Theologie als Funktion der Kirche: Eine systematisch-theologische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Kirche in der Moderne [Reprint 2012 ed.] 3110199491, 9783110199499, 9783110926453

Das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Theologie und Kirche ist in der Moderne zu einem Grundproblem geworden. Theol

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Theologie als Funktion der Kirche: Eine systematisch-theologische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Kirche in der Moderne [Reprint 2012 ed.]
 3110199491, 9783110199499, 9783110926453

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Hans-Martin Rieger Theologie als Funktion der Kirche

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer · W. Härle

Band 139

≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York

Hans-Martin Rieger

Theologie als Funktion der Kirche Eine systematisch-theologische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Kirche in der Moderne

≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISSN 0563-4288 ISBN 978-3-11-019949-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

” Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Karin Simone

Vorwort Das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Theologie und Kirche ist in der Moderne zu einem Grundproblem geworden, dessen unverminderte Aktualität unter sich wandelnden Kontexten und Herausforderungen immer wieder aufs Neue sichtbar wird. Gegenwärtig herausgefordert durch die Frage eines gesamtgesellschaftlichen Nutzens und einer ökonomisch greifbaren Effizienz scheint es vorteilhafter zu sein, zugunsten einer Anwendbarkeit der Theologie im Raum der Gesellschaft und Kultur von der Rede ihrer kirchlichen Funktion etwas sparsameren Gebrauch zu machen. Dabei zeigt gerade eine Kirche, die, vom gesellschaftlichen Wandel erfasst, sich durch Reformkonzepte als Ort der Orientierung und des einladenden Glaubens zu positionieren sucht, dass sie einer kritisch reflektierten Theologie bedarf. Die Diskussionen um das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ sind ein Beispiel dafür. Theologische Entwürfe versuchen immer schon, dem Verhältnis der wissenschaftlichen Theologie zur Kirche, aber auch zu Kultur, Religion, Gesellschaft und Universität gerecht zu werden. Im Ergebnis unterscheiden sie sich stark, weil ihre inhärenten Leitbegriffe und letztlich ihre Auffassungen von Theologie selbst die Verhältnis- und Funktionsbestimmungen steuern. Die Empfehlungen reichen deshalb von einer Theologie als einer praktischen Disziplin zur Optimierung der Kirchenleitung und einer Explikations- und Prüfungsinstanz christlicher Glaubenspraxis bis zu einer hermeneutischen Religions- und Kulturwissenschaft. Die Untersuchung hat also komplexe Zusammenhänge der jeweiligen Konzeptionen im Blick, wenn sie unter der Fragestellung des genannten Grundproblems ausgewählte Positionen der modernen protestantischen Theologie skizziert und problemorientiert aufarbeitet (Teil 1), wenn sie sich ausführlicher zwei gegenwärtigen Entwürfen widmet (Teil 2) und schließlich eine eigene Konzeption vorstellt, die eine theologisch begründete Positionalität mit weitreichender Funktionalität und Kommunikationsfähigkeit verbindet (Teil 3). Es sei darauf hingewiesen, dass die Teile auch für sich gelesen werden können. Die Untersuchung wurde im Sommer 2005 abgeschlossen und im Wintersemester 2005 / 2006 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Habilitationsschrift angenommen. Für

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Vorwort

den Druck wurde sich geringfügig überarbeitet. Die ausgesprochen förderliche Arbeits- und Gesprächsatmosphäre am Lehrstuhl für Systematische Theologie von Prof. Dr. Michael Trowitzsch hat diese Arbeit ermöglicht. An ihrem Ergehen teilnehmend gab auch Prof. Dr. Martin Leiner wertvolle Anregungen. Da Prof. Dr. Michael Beintker schon betrug, mir den Weg zur Promotion zu ebnen, gibt der Dank für die Gutachten also nur einen Teil dessen wieder, was ich den drei Professoren Michael Trowitzsch, Martin Leiner und Michael Beintker verdanke. Dass die förderliche Gesprächsatmosphäre in Jena über den eigenen Fachbereich hinausreicht, zeigten vielerlei Diskussionen mit Vertretern der historischen und exegetischen Fächer, insbesondere mit Prof. Dr. Volker Leppin. Sie schließt auch interdisziplinäre Gesprächspartner wie Prof. Dr. Holger Gabriel ein. Gerne erwähne ich an dieser Stelle auch frühere Gesprächspartner wie PD Dr. Johannes Zimmermann (Greifswald) und Dr. Friedmann Eißler (Tübingen). Den Herausgebern der Reihe „Theologische Bibliothek Töpelmann“ danke ich für die Aufnahme des Bandes in ihre Reihe, dem Verlag Walter de Gruyter, insbesondere Herrn Dr. Albrecht Döhnert und Frau Dr. Sabine Krämer, für die unkomplizierte und freundliche Zusammenarbeit. Für die Druckkostenzuschüsse danke ich der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

Jena, im April 2007

Hans-Martin Rieger

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Vorwort ..................................................................................................... VII Einleitung .................................................................................................

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1. Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche ............................................................... 18 1.1.

Das Verhältnis von Theologie und Kirche in der neueren protestantischen Theologie ...................................... 19 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.1.4. 1.1.5. 1.1.6. 1.1.7.

1.2.

Friedrich Schleiermacher ............................................. 20 Richard Rothe und Theodor Kliefoth ......................... 33 Albrecht Ritschl und Martin Kähler ........................... 49 Ernst Troeltsch ............................................................... 70 Karl Barth ....................................................................... 92 Dietrich Bonhoeffer ....................................................... 124 Topographie neuerer Positionen ab der Mitte des 20. Jahrhunderts ............................... 145 1.1.7.1. Diskussionen um die kirchliche Theologie: . Hermann Diem und Hans Joachim Iwand .. 145 1.1.7.2. Paul Tillich ....................................................... 151 1.1.7.3. Trutz Rendtorff ................................................ 157 1.1.7.4. Wolfhart Pannenberg und Gerhard Sauter .. 163 1.1.7.5. George Lindbeck und Stanley Hauerwas .... 180 1.1.7.6. Eilert Herms ..................................................... 190

Systematisch-theologische und wissenschaftstheoretische Problemmatrix .......................................................................... 201 1.2.1. Die Komplexität des Gegenstandsbereichs der Theologie ................................................................. 201 1.2.2. Die Komplexität der pragmatischen Bezüge ............. 213 1.2.2. Die Komplexität der ekklesiologischen Bestimmungsfaktoren .................................................. 218 1.2.3. Die Problematik funktionaler Beziehungsstrukturen ....................................................................... 227

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Inhaltsverzeichnis

1.2.4.1. Exkurs: Philosophische Funktionalismuskritik und Funktionsbestimmung bei N. Luhmann ...... 228

2. Exemplarische Verhältnisbestimmungen der Gegenwart: Zwischen einem neuen Kulturprotestantismus und einer neuen Theologie der Offenbarung ......................................... 240 2.1.

Wilhelm Gräb: Theologie als religionstheologische Kulturhermeneutik .................................................................. 242 2.1.1. Theologische Rekonstruktionspräferenz: Schleiermacher und Troeltsch ..................................... 242 2.1.2. Gegenstand einer religionstheologischen Kulturhermeneutik: gelebte Religion in der Kulturwelt ..... 259 2.1.3. Selbstbewusstseinstheorie und transzendentales Religionsverständnis .................................................... 279 2.1.4. Funktionalisierte Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Frage des Menschen nach sich selbst ..... 288 2.1.5. Die Frage der Theologizität der Theologie – eine Zwischenüberlegung ............................................ 307

2.2.

Ingolf U. Dalferth: Theologie im Horizont der Wirklichkeit Gottes .................................................................. 312 2.2.1. Philosophische Rekonstruktionspräferenz: analytische Sprachphilosophie .................................... 313 2.2.1.1. Grundzüge eines Verständnisses von Theologie als Methode ................................... 323 2.2.2. Thema einer theologisch-realistischen Theologie: Gottes Wirklichkeit ....................................................... 341 2.2.3. Orientierungsphilosophische Betrachtung von ‚Gott’ und ‚Ich’ ............................................................... 353 2.2.4. Theologische Interpretationspraxis im Horizont und unter der Voraussetzung des konkreten Gebrauchskontexts einer bestimmten Religionspraxis ............... 366 2.2.4.1. Exkurs: „Internalismus“, „Realismus“ und „Relativismus“ – philosophische Differenzierungen ............... 378 2.2.5. Die Frage der Theologizität der Theologie – eine Zwischenüberlegung ............................................ 395

Inhaltsverzeichnis

XI

3. Umrisse einer staurologisch orientierten Verhältnisbestimmung in gegenwärtiger Verantwortung ................... 398 3.1.

Der Selbstapplikationsgrundsatz ........................................... 399

3.2.

Theologia crucis als kritische Metatheorie ............................ 409

3.3.

Theologie als Kunst der Unterscheidens ............................... 425

3.4.

Theologie und Kirche in der Gestalt des Kreuzes ............... 432

3.5.

Kultur und Religion in der Perspektive des Kreuzes .......... 443

3.6.

Theologie als Wirklichkeitswissenschaft .............................. 462

3.7.

Erwägungen zur Bedeutung der Theologie an der Universität ..................................................................... 475

Literaturverzeichnis .................................................................................. 497

Personenregister ........................................................................................ 550

Einleitung Einleitung Im Blick auf die Rede von der Krise lässt sich eine Ritualisierung und Habitualisierung feststellen. Von Krise redet fast jeder – verdächtig schon, wer von ihr nicht zu reden weiß. Das ist nicht neu. Ein gutes halbes Jahrzehnt bevor E. Husserl sein wirkungsmächtigstes Werk „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“ verfasste, hieß es schon 1929 bei E. Hirsch: „Das Wort von der Kulturkrise ist in aller Munde, so sehr, daß man es fast nicht mehr hören mag. Es ist fast der Mumie gleich geworden, die nach Herodot in Ägypten bei großer Tafel zur Erhöhung des Lebensgenusses herumgereicht zu werden pflegte.“1 Dabei zeigt gerade Hirsch, dass Vorbehalte gegenüber einem inflationären oder ritualisierten Gebrauch den gezielten eigenen Gebrauch nicht ausschließen. So dachte er geistesgeschichtlichen Notwendigkeiten zu folgen, als er die mit der Kulturkrise seiner Meinung nach unvermeidlich korrespondierende Umformungskrise des Christentums in der Neuzeit zu einem wichtigen Pfeiler seines eigenen Entwurfs wie auch seiner Unterstützung der Bewegung der ‚Deutschen Christen’ machte. Nachhaltig zum Schlagwort anvanciert ist der Begriff der Krise, als zu seiner historisch-politischen, seiner soziologischen und kulturdiagnostischen Bedeutung eine ökonomische Bedeutung trat – eine Bedeutung, die in der Gegenwart unverminderte Aktualität besitzt.2 Auch Theologie und Kirche blieben und bleiben von der Rede einer Krise nicht unberührt, sie ist in ihre Diskurse längst eingegangen. Schon vordergründig mag es bezeichnend sein, dass sich wissenschaftliche Untersuchungen wie kirchliche Reformkonzepte dadurch zu legitimieren suchen, dass sie sich auf eine Krise beziehen. Doch hier ist allemal Vorsicht am Platze: Die Bedeutung von ‚Krise’ hat den Status einer Variablen, besser gesagt: einer theorieimprägnierten Größe. Was als Krise diagnostiziert wird, ist immer schon die Synthese dessen, was als äußerer Druck empfunden und als Herausforde1

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E. HIRSCH, Staat und Kirche, 32; vgl. zur Umformungskrise: ders., Wesen des Christentums, 131-133. 147-157; ders., Christliche Rechenschaft, 102f. 149-154; auch: ders., Umformung (Vorrede); ders., Das kirchliche Wollen, v.a. 15-17. 23! Weitere Beispiele des Umgangs der liberalen Theologie mit der Kulturkrise finden sich bei K. TANNER, Die fromme Verstaatlichung des Gewissens, 60ff. Vgl. R. KOSELLEK, „Krise“, 1239.

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Einleitung

rung gedeutet bzw. apperzipiert wird – ganz zu schweigen davon, dass das zur Therapie Empfohlene davon in erheblichem Maße bestimmt sein wird: Wer die Herausforderung der Theologie mit einem wissenschaftstheoretischen Legitimationsdruck verbindet, für den mag es sich nahe legen, darauf mit einer wissenschaftstheoretischen Explikation des Vollzugs theologischer Wissenschaft zu antworten. Wer die Herausforderung für Theologie, Christentum und Kirche in der postmodernen Unübersichtlichkeit (J. Habermas) erblickt, für den mag es sich nahe legen, für Übersichtlichkeit einzutreten oder aber allen Einheitsvorgaben den Abschied zu geben.3 Wer die Herausforderung in einer unerledigten Religionskritik und einem autoritären Offenbarungsdogmatismus lokalisiert, für den mag es sich nahe legen, für eine sich frei bestimmende religiöse Subjektivität und eine entschlossene Fortsetzung des von Hirsch geforderten Umformungsprozesses einzutreten.4 Wenn schließlich eine Identitätskrise und eine Relevanzkrise der Kirche zu thematisieren unternommen wird, so sind theoretische Dependenzbeziehungen nicht weniger grundsätzlich in Anschlag zu bringen – und zwar gerade auch dann, wenn die Korrespondenz zur kirchlichen Wirklichkeit in Gestalt harter empirischen Fakten (Mitglieder- oder Mitarbeiterzahl, Finanzausstattung) behauptet werden soll. Das gilt nicht minder für die darauf antwortenden Programmentwürfe. Was in diesem Zusammenhang als Kirche und deren Identitäts- oder Relevanzkrise begriffen wird, schlägt sich fast immer in der Aufgabenbestimmung kirchenleitenden Handelns und der Aufgabenbestimmung der Theologie nieder. Und umgekehrt lässt sich aus den jeweiligen Programmentwürfen erschließen, auf welche Herausforderungen sie als Antworten bezogen sind. Damit ist die in den zuvor genannten Beispielen implizit bereits mitgegebene Problematik der These von der Theologie als Funktion der Kirche am unmittelbarsten angesprochen. Denn die These von der Theologie als Funktion der Kirche kann selbst als Zeichen für eine Krise der institutionellen Kirche – gewissermaßen als „Krisensymptom“ – verstanden werden. So hat es jedenfalls G. Sauter im Blick auf die Positionen von F. Schleiermacher und K. Barth statuiert.5 Hinsichtlich des ersteren ist unter

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Beispielhaft entgegengesetzt: R. HÜTTER, Theologie als kirchliche Praktik; J. KUNSTMANN, Christentum in der Optionsgesellschaft. So F. WAGNER, Zur gegenwärtigen Lage, 28-67; v.a. ders., Geht die Umformungskrise des deutschsprachigen modernen Protestantismus weiter?, 225-254. Vgl. G. SAUTER, „Dogmatik“, 58. Sauter selbst grenzt sich von dieser These ab, insofern er mit ihr die Problematisierung des dogmatischen Wahrheitsverständnisses, insbesondere aber – hier auf dem Hintergrund von N. Luhmanns Funktionsbestimmung – die Fokussierung auf eine Selbsterhaltung verbindet. Die Beurteilung ist also

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anderem an den Hintergrund der Entstehung der Altpreußischen Union zu denken, hinsichtlich des letzteren an den dezidiert dogmatisch entworfenen Kirchenbegriff, auf den nicht nur das Bemühen um Kirchenreform, sondern auch der Theologiebegriff selbst bezogen werden konnte.6 Bei aller Zurückhaltung, was die Rede von der Krise betrifft, hat die vorliegende Arbeit Anteil an dem damit noch unterbestimmten Problemhorizont. Einige Schlaglichter mögen das Skizzierte veranschaulichen (1.), ehe dann zur weiteren Erhellung der Problemstellung beispielhaft auf die vor rund hundert Jahren geführte Debatte um die Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit der Theologie geblickt werden soll (2.). Denn damals schon schien es für die Theologie eine bessere Option darzustellen, sich um ihrer Wissenschaftlichkeit willen aus einer Beziehung zur Kirche zu lösen. Schließlich sollen einige Hinweise zur Vorgehensweise der vorliegenden Untersuchung nicht fehlen (3.). Zu 1: Bereits 1808 sah F. Schleiermacher das Kirchenwesen in einer tiefen Krise: „Dass unser Kirchenwesen in einem tiefen Verfall ist, kann niemand leugnen. Der lebendige Antheil an den öffentlichen Gottesverehrungen und den heiligen Gebräuchen ist fast ganz verschwunden, der Einfluss religiöser Gesinnungen auf die Sitten und auf deren Beurtheilung kaum wahrzunehmen, das lebendige Verhältnis zwischen den Predigern und ihren Gemeinden so gut als aufgelöst, die Kirchenzucht und Disciplin völlig untergegangen, der gesammte geistliche Stand [...] in einem fortwährenden Sinken begriffen“.7 Man wird diese schonungslose Diagnose bei Schleiermachers Bestimmung der Theologie als Funktion der Kirche mitzuhören haben. Die liberale Theologie der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts bezog sich vornehmlich – wie der bereits zitierte E. Hirsch – auf die Kulturkrise, d.h. auf die destruktiv empfundenen Folgen eines schrankenlosen Individualismus, auf die soziale Desintegration und auf einen ethischen Orientierungsverlust, welcher von theologischer Seite mit der Marginalisierung der Religion in Zusammenhang gebracht werden konnte.8 Für die Theologie selbst verstärkte sich die Krise, insofern sie – wie gleich zu sehen sein wird – in der wissenschaftlichen Beziehung mit den Problemen des Historismus, in der kirchlichen Beziehung mit

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von einem Vorverständnis abhängig, vgl. 1.1.7.4.; zu N. Luhmann vgl. den Exkurs 1.2.4.1. Kritisch ausgeführt dann von T. Rendtorff, vgl. 1.1.7.2. F. SCHLEIERMACHER, Entwurf einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche im preußischen Staate, abgedr. in: R.H. Huber / W. Huber (Hg.), Staat und Kirche, 565f. Vgl. K. TANNER, Die fromme Verstaatlichung des Gewissens, 63ff.

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dem Erstarken der institutionell-rechtlichen Kirche konfrontiert war. Das förderte programmatische Trennungsversuche, aber auch die Polemik (Stichwort „unkirchliche Theologie“). Der frühe K. Barth fasste nun – das zeigt die Bedeutungsvielfalt des Begriffs in theologischer Hinsicht – die ‚Krise’ theologisch, näherhin eschatologisch, um den „unendlichen qualitativen Unterschied“ zwischen Gott und Mensch zur Sprache zu bringen: „Der wahre Gott ist aber der aller Gegenständlichkeit entbehrende Ursprung der Krisis aller Gegenständlichkeit, der Richter, das Nicht-Sein der Welt [...]“9 Stand die liberale Theologie im Zeichen der Bemühung, sich gewissermaßen therapeutisch auf die Kulturkrise zu beziehen, Theologie im weiteren Sinn also als Kulturarbeit aufzufassen, so kam es auf der Grundlage der zitierten theologischen Leitdifferenz zur grundsätzlichen Kritik solcher Bemühungen. Die Funktionsthese, wie sie der spätere Barth seiner Kirchlichen Dogmatik zugrundelegte, konnte deshalb ihre Kraft entfalten, weil es der Kirchenbegriff ermöglichte, sie nicht im Sinne der Selbsterhaltung einer institutionellen oder kulturellen Größe misszuverstehen. Ähnliches gilt für D. Bonhoeffer.10 H.J. Iwand hat den Begriff der Krise ebenfalls theologisch, näherhin kreuzestheologisch gefasst,11 sich zugleich aber – gerade auch aufgrund eines schmerzhaft empfundenen Versagens eines großen Teils der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus – nachdrücklich für die konstruktive Arbeit an der Kultur eingesetzt. Die Ausarbeitung eines analytischen Instrumentariums zur Kulturdiagnose, wie sie etwa E. Troeltsch auf seine Weise in Angriff genommen hatte, gehörte allerdings nicht zum Ziel seiner Arbeit.

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K. BARTH, Römerbrief, XX. 62 (Hervorheb. im Orig.). Zu beiden Entwürfen unten, 1.1.5. und 1.1.6. Vgl. H.J. IWAND, Christentum, 107f.: Gegenüber Stimmen, die dafür eintraten, den Menschen in die Krise zu führen, um ihm dann das Evangelium anbieten zu können, stellt sich Iwand selbst zu den Stimmen, „die begriffen hatten, daß gerade vom Kreuze her und unter dem Kreuz die Frage ganz Frage, die Krise ganz Krise und die Not ganz Not werden muß, Stimmen, die das Gericht nicht an anderen, sondern an sich selbst vollzogen, und begriffen, daß das Christentum selbst die Stätte ist, wo die Krise aller Kultur und die Krise des Geistes in seiner letzten Tiefe offenbar wird.“ Vgl. ders., Krisis des Wissenschaftsbegriffes, 67, unter Berufung auf Am 5,18: „[...] wenn der Theologe etwa der Meinung sein sollte, sein wissenschaftlicher Bezirk sei gegen diese Krisis gesichert, daß er vielleicht von da aus Rettungsaktionen vornehmen könne, dann sollte er über seine eigene Einfalt erschrecken. Denn in Wahrheit zeigt das Zimmer, das er – als Theologe – in dem Haus der Wissenschaft bewohnt, dieselben Risse und Sprünge, die alle andern Gehäuse aufweisen, und die Theologie darf und kann nicht der Unterschlupf für geistig Heimatlose in solchen Krisenzeiten sein.“ In diesem frühen Aufsatz teilt Iwand die krisenproduktive Funktion der Theologie, wie sie vom frühen Barth ebenfalls vertreten wurde.

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J. Moltmanns Rede von der Krise erfolgt auf dem Hintergrund einer gesellschaftstheoretisch wahrgenommenen Problemkonstellation von Theologie und Kirche. Dabei ist er sich eines komplementären Zusammenhangs von Identitätskrise und Relevanzkrise (dem „identityinvolvement-dilemma“)12 gewahr und versucht dieser „Doppelkrise“ mit seiner Kreuzestheologie gerecht zu werden. Auch bei E. Herms wird die doppelte Fassung der Krise sichtbar; allerdings wird ein völlig anderer Entwurf von Theologie und Kirche dagegen aufgeboten, welcher mit der Frage der Identität des Christlichen zugleich die Frage der Relevanz des Christlichen zu beantworten sucht: Die erfahrbare Kirche (ihr Gottesdienst) ist das Identitätszentrum des christlichen Lebens, das wesenhaft und in bestimmter Form eine Selbstgewissheit zum Ausdruck bringt, die – so der subjektivitätstheoretisch proklamierte Anspruch – in allgemeiner Form jeder Handlungsfähigkeit zugrunde liegt und daher von gesamtgesellschaftlicher Relevanz ist.13 Selbst wenn dieser Lösungsversuch auf der Ebene der Reflexionstheorie einleuchten sollte – ob sich daraus eine auf der Vollzugsebene überzeugende Antwort auf die Zuspitzung einer „umfassende[n] Identitätskrise“ gewinnen lässt, wie sie sich in Ostdeutschland exemplarisch verdichtet, dürfte jedenfalls für E. Tiefensee, der ebendiese Diagnose mit beachtlichen Gründen vertritt, zweifelhaft sein.14 Auch W. Huber hat eine ähnlich zugespitzte Situation vor Augen, bezieht aber Diagnose und Therapievorschlag auf die evangelischen Kirchen des gesamten Bundesgebiets. Den sieben Aspekten der „Kirche in der Krise“ – von der Mitglieder- und Finanzkrise bis zur Orientierungskrise – korrespondieren sieben Vorschläge „Wege aus der Krise“. Erkennbar ist dabei die Fokussierung auf die Aufgabe geistlicher Orientierung in gesellschaftlichen Orientierungsproblemen (Säkularisierung, Wertewandel, Individualisierung und Pluralisierung).15 Huber sieht darin die speziel-

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Vgl. J. MOLTMANN, Der gekreuzigte Gott, 12: Das „identity-involvement-dilemma“ besagt: „Je mehr Theologie und Kirche in den Problemen der Gegenwart relevant zu werden versuchen, umso tiefer werden sie in eine Krise ihrer eigenen christlichen Identität hineingezogen. Je mehr sie ihre Identität in traditionellen Dogmen, Riten und Moralvorstellungen zu behaupten versuchen, umso irrelevanter und unglaubwürdiger werden sie.“ Dieser Vorstellung liegt axiomatisch eine limitative Denkbewegung zugrunde, die nicht zwingend sein muss, vgl. dazu die reziproke Denkbewegung in der Ethik D. Bonhoeffers (1.1.6.). Vgl. 1.1.7.6. E. TIEFENSEE, Umfassende Identitätskrise, 184-189; vgl. schon M. BEINTKER, Der gesellschaftliche Neuaufbau, 241-254; D. POLLACK, Kirche in der Organisationsgesellschaft; ders., Zur religiös-kirchlichen Lage, v.a. 593. 608f. 613! W. HUBER, Kirche in der Zeitenwende, 9ff. 223ff. 264. Mit ‚Orientierung’ wird dabei ein Begriff aufgenommen, der in Philosophie und Theologie zunehmend bean-

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le Kompetenz der Kirche, welche vor allem eines voraussetze: „Die eigene Botschaft ernst nehmen“.16 Insofern einem solchen Ansatz vorgeworfen werden könnte, auf die Restitution der kirchlich verfassten Religionspraxis begrenzt zu sein, scheint es sich nahe zu legen, vom Eigenrecht einer individuellen Religion auszugehen und die funktionalen Bestimmungen der Theologie und eine spezifische theologische Kompetenz von da aus zu gewinnen. Bei F.W. Graf steht so eine ideologiekritische Funktion der Theologie – um jenes Eigenrecht der Religion gegenüber kirchenpolitischen Instrumentalisierungen zu verteidigen – und eine Reinigungsfunktion – um neue Religiosität in ihren heterogenen, aber auch politisierenden Formen zu korrigieren und rationalisieren – im Mittelpunkt der Beantwortung der Frage „Wozu noch Theologie?“17 Graf versucht dabei, die kirchliche Funktion in eine historisch-kulturwissenschaftliche und sozial-gesellschaftliche einzuordnen. Dies mag als „Selbstlegitimationsstrategie“ entworfen sein, zu diskutieren wäre zunächst aber der Gegenstandsbezug auf die vorausgesetzte Religiosität. Folgt man den Thesen des erwähnten E. Tiefensee, der eine flächendeckende Areligiosität in Ostdeutschland diagnostiziert, mutet es zunächst schlicht anachronistisch an, sich im Gefolge von E. Troeltsch auf eine immer schon vorhandene Religion im Gestus der Selbstaufklärung regulativ und korrektiv meinen beziehen zu können.18 Als Ausweg – nun ebenfalls im Sinne Troeltschs – bietet sich eine subjektivitätstheoretische Grundlegung an, die auch jene von Tiefensee genannte Areligiosität als zutiefst religiös deutbar macht. Damit gewönne die Theologie auf der einen Seite als transzendentale Kulturwissenschaft ein überaus weites Gegenstandsfeld. Auf der anderen Seite drohen durch eine solche Strate-

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sprucht wird; vgl. den Entwurf von Dalferth (v.a. 2.2.3.), sowie die Arbeiten von W. STEGMAIER, v.a. Grundzüge einer Philosophie der Orientierung. W. HUBER, Kirche in der Zeitenwende, 234. F.W. GRAF, Wozu noch Theologie?, 11. Graf weist mit Nachdruck die kirchliche Anmaßung einer „prophetischen Allzuständigkeit“ zurück und formuliert für die Aufgabe der Theologie: „Die Universitätstheologie sucht die corporate identity der Kirche zu stärken, indem sie die bleibende Differenz zwischen empirischer Kirche und normativem ekklesiologischen Begriff präsent hält. Sie erinnert daran, daß seine Kernkompetenzen stärken muß, wer auf den Märkten erfolgreich agieren will.“ (ebd., 11, Hervorheb. im Orig.) In diesem Beharren auf dem Vorrang der Identitätsfrage vor der Relevanzfrage unterscheidet sich Graf von dem in dieser Arbeit erörterten Entwurf von W. Gräb. Dies würde implizieren, auch diejenigen religiös zu nennen, die von sich selbst das Gegenteil behaupten. Dieses Problem stritt verstärkt auch bei V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 122ff., auf, insofern er von der Theoriebedürftigkeit einer immer schon vorliegenden religiösen Praxis ausgeht, die theologischen Funktionen daher sämtlich als regulative gefasst werden.

Einleitung

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gie allerdings die kulturwissenschaftliche Funktion und die kirchliche Funktion der Theologie in einer problematischen Weise auseinander zu treten. Das gilt insbesondere unter der Voraussetzung, dass es Kirchen nach wie vor als ihre Aufgabe ansehen, einen inhaltlich bestimmten Glauben zu vermitteln, und sich damit auch in der Übereinstimmung zur religionssoziologischen Einsicht wissen können, dass nur ein bestimmter Glaube sich bejahen und tradieren lässt.19 Wird nämlich das sich selbst als nichtreligiös verstehende Umfeld der Kirche in einer transzendental-kulturwissenschaftlichen Perspektive religiös (um-) gedeutet, so kann dies seitens der Kirchen im Lichte der genannten Voraussetzung mindestens als nicht hinreichend, im schlimmeren Fall als religiöse Verklärung empfunden werden. In der vorliegenden Untersuchung werden solche Problemzusammenhänge anhand des Entwurfs von W. Gräb diskutiert. Diese wenigen Schlaglichter vermögen eines jedenfalls schon zu zeigen: Die These von der Theologie als Funktion der Kirche ist analog der Rede von der Krise von einer theoretischen Rahmenkonzeption abhängig. Die Funktionsthese zu erörtern, dies muss eine Analyse des vorausgesetzten Gegenstandsbereichs der Theologie, des vorausgesetzten Funktionsbegriffs und des vorausgesetzten Kirchenbegriffs mit umfassen. Ohne Beachtung des fundamentaltheologischen Gesamtrahmens eines theologischen Entwurfs ist eine solche Erörterung unzureichend. Zu 2: Die Problematik der These von der Theologie als Funktion der Kirche lässt sich am Beispiel der Debatte um die Voraussetzungslosigkeit der Theologie, wie sie vor etwas mehr als hundert Jahren intensiv geführt wurde, demonstrieren. Diese Debatte kann selbst als ‚Krisensymptom’, insbesondere als Präfiguration gegenwärtiger Problemstellungen begriffen werden – andererseits vermag ihre Betrachtung den Blick für die sich verändernden Kontexte zu schärfen. Für die Konzeption A. Ritschls war es von ihrem Ansatz her noch selbstverständlich, dass Theologie beides zugleich ist: ganz wissenschaftlich und ganz kirchlich. Rein formal entsprach sie damit einer Anforderung von Schleiermachers Enzyklopädie. Zu den Voraussetzungen dieser Einheit gehörte nicht nur ein differenzierter Kirchenbegriff, welcher es erlaubte, die Kirchlichkeit der Theologie von ihrer Instrumentalisierung zum Zweck einer Bestandserhaltung abzurücken.20 Was weiter zu ihren Voraussetzungen zählte, wurde erst offenbar, als es an deren Selbstverständlichkeit gebrach – durch das Auf-

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Vgl. D. POLLACK, Kirche in der Organisationsgesellschaft, 416. Vgl. zu Ritschl die Darstellung unten, 1.1.3.

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kommen der religionsgeschichtlichen Schule und einer krisenhaften Kulturstimmung.21 Reflexionstheoretisch äußerte sich der Umschwung im Bereich der Theologie darin, dass der auf theologische Inhalte bezogene explikative Theorietyp der Ritschlschule einem selbstreflexiven Theorietyp wich, welcher sich vorwiegend Prolegomena-Fragen widmete. Enzyklopädisch äußerte er sich darin, dass Genesis und Geltung auseinander traten, es zur (bis heute nicht überwundenen) Dichotomisierung von historischer und systematischer Theologie kam: „Der Historismus erobert die Theologie.“22 Beide Phänomene wiederum können als Folgeerscheinungen der theologischen Reaktion auf die Forderungen von P. de Lagarde verstanden werden, die dieser schon 1873 erhoben hatte, und die letztlich dann als Auslöser der Debatte anzusehen sind, ob und inwiefern eine kirchliche Theologie noch als voraussetzungslose Wissenschaft gelten könne. Auf diese Frage hatte Lagarde bekanntlich mit einem entschiedenen Nein geantwortet.23 Die Legitimität theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten hatte er damit aber nur für eine kirchlich gebundene Theologie bestritten; einer Theologie, die mit Recht als Wissenschaft wird auftreten und ihren Platz an der Universität wird beanspruchen können, empfahl er, sich ausschließlich als historische Disziplin zu verstehen. Denn: „Religion ist eine Realität, und alles Reale fällt in den Bereich der Wissenschaft.“24 21

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Erhellend ist diesbezüglich der Bericht des Ritschl-Schülers J. GOTTSCHICK, Entstehung, 83ff., v.a. 85: „Die Wandlung der religiösen Stimmung hat noch einen tieferen Grund. Als Ritschl’s Gedanken zündeten, in den siebziger Jahren, war Alles voll der Freude an den sittlichen Gütern der Erde, an Volk und Staat, an Wissenschaft und Technik, kurz an der Kultur. Die Arbeit an ihrer Aufgabe wurde als etwas Erhebendes empfunden. Es hat vielleicht nicht wenig zu Ritschl’s Erfolge beigetragen, daß durch seine Idee des sittlichen Berufes die Kulturarbeit eine religiöse Weihe empfing – so wenig jene hierin aufging und so wenig dies sein oberstes Ziel war. Nun ist jener Kulturrausch rasch genug verflogen.“ So der Untertitel der Untersuchung von M. MURRMANN-KAHL, Die entzauberte Heilsgeschichte, vgl. außerdem v.a. ebd., 316f. 452ff. Vgl. P. DE LAGARDE, Ueber das Verhältnis des deutschen Staates, 40f.: „Jeder, der die Wissenschaft kennt, weiß, daß sie ihren Zweck lediglich in sich hat, darum ihre Methode sich selbst sucht, und von keiner Macht im Himmel und auf Erden Vorschriften, Gesetze, Zielpunkte annimmt. Sie will wissen, nichts als wissen, und zwar nur um zu wissen. Sie weiß, daß sie nichts weiß, wo sie nicht bewiesen hat. Es ist jedem Manne der Wissenschaft vollständig gleichgültig, was bei seinen Untersuchungen herauskommt, das heißt, wenn nur neue Wahrheiten entdeckt werden [...] Man kann sich leicht überzeugen, dass diese Beschreibung der Wissenschaft auf die Disciplin, welche wir in Deutschland Theologie nennen, unanwendbar, daß mithin die thatsächlich vorhandene Theologie eine Wissenschaft nicht ist.“ Zur Debatte vgl. W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie, 255ff. P. DE LAGARDE, Ueber das Verhältnis des deutschen Staates, 73. Er geht dabei davon aus, dass Religion eine „Nothwendigkeit für jedes Volk“ sei (ebd., 72).

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Dieser Empfehlung ist Troeltsch – insbesondere was den Gegenstandsbereich betrifft – weitgehend gefolgt, auch wenn er sich den Konsequenzen, welche C.A. Bernoulli in seiner enzyklopädischen Adaption der Lagardeschen Thesen zu verfechten anschickte, nicht anzuschließen vermochte.25 Bernoulli plädierte nämlich angesichts der bereits faktisch vorherrschenden religionsgeschichtlichen Methode26 dafür, auf Vermittlungsversuche (Gründung der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“!) zu verzichten und zum Vorteil beider durch einen „operativen Eingriff“ eine Trennung von wissenschaftlicher und kirchlicher Theologie zu vollziehen.27 Die wissenschaftliche Theologie beziehe ihre Selbständigkeit daraus, dass sie sich – orientiert an der Frage nach wissenschaftlicher Wahrheit und Sachlichkeit – als säkularisierte historische Religionswissenschaft begreift; die kirchliche Theologie hingegen beziehe ihre Selbständigkeit daraus, dass sie sich – orientiert an der Frage nach der praktischen Brauchbarkeit und Nutzanwendung – auf die pastorale Religionspraxis ausrichtet.28 Die kirchliche Theologie umfasste für Bernoulli dabei die Systematische und Praktische Theologie.29 Bernoulli sah in seiner Alternativsetzung von Wissenschaftlichkeit und Kirchlichkeit freilich Vorteile: Die wissenschaftliche Theologie habe festen „Boden unter den Füßen“, insofern ihre Voraussetzung lediglich in der „Realität der Religion“ (de Lagarde) bestehe und sie aufgrund ihres außerkirchlichen Standpunkts ihrem Wesen nach unkirchlich sein dürfe.30 Zu letzterem ist sie gewissermaßen freigestellt, obliegt es doch der kirchlichen Theologie – etwa in Form der divinatorischen Hypothesenbildung der Systematischen Theologie – das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Kirche zu sein. Dass man über Bernoulli noch hinausgehen konnte, bewies G. Krüger in seinem entschiedenen Eintreten für eine unkirchliche Theologie, 25

26

27 28 29 30

Vgl. unten, 1.1.4.; der Einfluss von de Lagarde auf Troeltsch ist ein durch Freunde vermittelter, vgl. dazu den Brief an Bousset vom 27.5.1896, zit. bei E.-G. DRESCHER, Ernst Troeltsch, 82f., Anm. 82 (dort Anm. 84 zu de Lagardes Kritik an Ritschl!). C.A. BERNOULLI, Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode, IX: „Die historische Kritik hat sich nun, ich sage nicht in der Kirche, wohl aber in der Theologie ihr Recht ein für allemal erobert.“ Ebd., 221f. Ebd., Xf. 219. Z.B. ebd., 86. Ebd., 87; was freilich den Gegenstand betrifft, schließt für Bernoulli die Formel „Realität der Religion“ auch die Realität einer göttlichen Beziehung mit ein (89f.); außerdem macht er das „Dasein Gottes“ als unbewiesene Voraussetzung der wissenschaftlichen Theologie geltend (100; vgl. aber 106: „Hypothese, aber als solche ein so sicherer Ausgangs- und Stützpunkt, dass uns manche Wissenschaft darum beneiden dürfte“!). Diesbezüglich wirft Bernoulli mehr Fragen auf, als er löst. Zur „Unkirchlichkeit“: ebd., IX. 102.

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welche nicht nur ihre Maßstäbe völlig außerhalb der kirchlichen Sphäre gewinnen, sondern ihre vornehmste Aufgabe darin erblicken sollte, „Seelen zu gefährden“. Aber auch hier verbarg sich hinter dem destruktiven Impetus, der sich außerdem auf die Verflüssigung aller Formen und Vorstellungen des religiösen und kirchlichen Lebens richtete, eine zumindest konstruktive Absicht: „[...] je unkirchlicher die Wissenschaft, um so besser für die Kirche“.31 Bereits im Jahr 1897, im Jahr des Erscheinens von Bernoullis Werk, legte E. Troeltsch seine differenzierte Sicht der Voraussetzungslosigkeit vor: Er gedachte die unentbehrliche Voraussetzungslosigkeit und die unumgängliche Voraussetzungsgebundenheit in der Weise zusammenzudenken, dass die jeweils vorausgesetzte Voraussetzung stets revidierbar bleibt und einer voraussetzungslosen freien Gewinnung der letzten Voraussetzung nicht entgegensteht.32 Die dieser Konzeption zugrundeliegende Stoßrichtung war zeitgeschichtlich durch den Einfluss des katholischen Konservatismus auf eine Straßburger Besetzung bedingt. Das zeigt sich in dem, was sie ablehnt: Letzte Voraussetzungen könnten nicht kraft kirchlicher Autorität in Geltung stehen. 33 Gegen die „sophistische Theorie von der freien Selbstbindung“, die zugunsten einer Bindung an kirchliche Autoritäten angeführt zu werden pflegte, helfe indes, so Troeltsch, letztlich nur der Rückgang auf bessere, das heißt für ihn: allgemeinere Voraussetzungen.34 Er findet diese („den festen Halt“!) in der „Tatsache des religiösen Lebens selbst“.35 Sie gilt es durch eine allgemeine Religionstheorie zu explizieren und durch eine transzendentale Bewusstseinstheorie zu begründen. Dass auch lernbereite Ritschl-Schüler die religionsgeschichtliche Herausforderung aufnehmen und ebenfalls differenziert mit der Frage der Voraussetzungslosigkeit umgehen, zugleich aber an der grundsätzlichen Einheit von Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit festhalten konnten, zeigte 1903 F. Traub. Er versuchte zunächst, die implizit gemachten Voraussetzungen der Vertreter der Unkirchlichkeitsthese und die Ungereimtheiten deren Konzeptionen aufzudecken: Hinsichtlich des Wissenschaftsbegriff gehört dazu die mit der Lagardeschen Forderung der absoluten Selbstzweckhaftigkeit einhergehende Unterstellung, dass Wissenschaft nicht dem Leben dienen dürfe. Dazu gehört außerdem die unterstellte Unvereinbarkeit von Kirchlichkeit und freier Wahrheitsfindung, vor allem aber die bei Bernoulli offensichtlich un31 32 33 34 35

G. KRÜGER, Die unkirchliche Theologie, 805. 807. E. TROELTSCH, Voraussetzungslose Wissenschaft, 186f. Vgl. ebd., 188. Ebd., 189. Ebd., 192; zur weiteren Gesamtkonzeption unten, 1.1.4.

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differenzierte Rede von der „Realität der Religion“ als der einzigen Voraussetzung, an welche sich auch eine unkirchliche Theologie binden dürfe.36 Hinsichtlich des Kirchenbegriffs wird darauf hingewiesen, dass die Position einer unkirchlichen Theologie, insbesondere diejenige G. Krügers, von dem abhängig ist, was sie kritisiert: eine empirischrechtliche, durch Klerikalisierung und Katholisierung aufgeladene Auffassung von Kirche.37 Unter einer solchen Bedingung muss auch für Traub Theologie unkirchlich, und zwar notwendig unkirchlich werden, wenn sie der Wahrheit des Evangeliums dienen will. In der Darlegung seiner eigenen Verhältnisbestimmung geht er von einer Theologie als Wissenschaft vom christlichen Glauben aus. „Die Wahrheit dieses Glaubens bildet ihre Grundvoraussetzung. Nur indem sie innerhalb dieser Voraussetzung ihre Stellung nimmt, wird sie ihrem Gegenstand gerecht.“38 Diese Bindung an die Beteiligtenperspektive impliziert für Traub die ontologische Verpflichtung, „die Wirklichkeit der Glaubensobjekte“ vorauszusetzen. Entscheidend ist dann aber einerseits die von ihm vorgeschlagene Doppelstufigkeit der theologischen Wissenschaft: Sie kann nicht unter der Zugrundelegung der genannten Voraussetzung lediglich und unmittelbar explikativ verfahren und sich auf die Entfaltung der Inhalte des Glaubens beschränken. Dieser Aufgabe voraus geht die „erste“ Aufgabe der Theologie, nämlich die Geltungsprüfung der Voraussetzung bzw. ihrer Wahrheit. „Eine Wahrheit prüfen heißt aber immer, mindestens hypothetisch sie in Frage stellen.“39 Traub sieht die Infragestellung durch den Widerstreit mit anderen wissenschaftlichen Diskursen (Philosophie, Naturwissenschaften, Geschichtswissenschaften) gewährleistet, insofern deren Gegenstandsfeld sich mit dem theologischen decken, zumindest aber überlappen kann. Methodisch gilt für die Theologie selbst allerdings, eine ihrem Gegenstand adäquate Erkenntnismethode zu befolgen.40 Entscheidend ist andererseits nun, dass durch diesen ihren doppelstufigen Bezug zur Wahrheit des Glaubens der Theologie bereits eine Beziehung zur Kirche immanent ist, insofern diese im Glauben ihr Wesen 36 37 38 39 40

F. TRAUB, Kirchliche und unkirchliche Theologie, 53-76. Als weiterer Vergleich böte sich der Entwurf von G. WOBBERMIN, Verhältnis der Theologie, 375-438, an. Vgl. F. TRAUB, Kirchliche und unkirchliche Theologie, 59f. Ebd., 60. Ebd., 61. Ebd., 64f.: „Die Wissenschaftlichkeit der Theologie kann also nicht darin bestehen, daß sie vor einem gegen die religiösen Interessen neutralen Welterkennen sich legitimiert, sondern daß sie eine ihrem Gegenstand adäquate Erkenntnismethode befolgt.“ Für die historische Theologie gilt für Traub ebd., 61f., dass sie „theologische Wissenschaft nur unter der Bedingung [ist], daß sie die Grundvoraussetzung von der Wahrheit des Christentums teilt.“

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und ihr Fundament hat.41 Der Maßstab ihrer Kirchlichkeit besteht daher nicht in der bloßen Anerkennung dessen, was kraft kirchlicher Autorität Geltung zugeschrieben wird, auch nicht in der quantitativen Übereinstimmung mit kirchlicher Lehre und kirchlichem Bekenntnis.42 Indem Theologie vielmehr den Grund des Glaubens prüft, expliziert und so präsent hält, dient sie der Glaubenskirche, damit zugleich aber der empirisch-rechtlich verfassten Kirche, die diesen Anspruch in sich trägt.43 Blickt man auf den damit dargebotenen Ausschnitt der Debatte, so zeigt sich, dass das zum Begriff der Krise Gesagte auch hier zutrifft: Die Fassung einer kirchlichen bzw. unkirchlichen Theologie ist von Vorverständnissen abhängig, so dass sich auch zu ihrer Beurteilung nicht von der theoretischen Imprägnierung der verwendeten Begrifflichkeiten und ihrer Stellung in der jeweiligen Konzeption absehen lässt. Sehr deutlich ist dies in G. Krügers Fassung einer „unkirchlichen“ Theologie, die aus der Warte der Ritschl-Schule nur verstehbar werden kann, wenn die Transposition des eigenen Standpunkts vollzogen wird, also beachtet wird, dass sie auf dem Hintergrund eines von Klerikalisierung geprägten Kirchenbegriffs erfolgt.44 Grundsätzlich und auch im Blick auf die vorliegende Untersuchung gesagt: Legt es der eigene theoretische Kontext nahe, das Verständnis von Theologie als Funktion der Kirche im Zusammenhang einer Unterstellung unter deren Autorität oder im Zusammenhang einer Selbstghettoisierung der Theologie auf ein Wirklichkeitsfeld oder eine ‚Binnensprache’ hin zu interpretieren, bedarf es nicht vieler Gründe, sie abzulehnen. Eine unkirchliche Theologie empfiehlt sich dann geradezu von selbst. Nicht ganz so schnell, aber doch auch wird man zu einem solchen Urteil kommen müssen, wenn ‚Funktion’ im Sinne der Selbsterhaltung eines Systems verstanden würde.45 Die Bestrebungen, den Gegenstandsbereich in die Richtung der „Realität von Religion“ zu erweitern, beziehen daraus einige 41 42 43 44

45

Ebd., 62f. 76. Vgl. ebd., 67. 76. Ebd. Interessant auch, dass Traub es als Anmaßung zurückweist, sollte eine Theologie sich „die kirchliche schlechthin“ nennen wollen (ebd., 73). Es sei nur nebenbei erwähnt, dass Krügers Stoßspitze eine gewisse Analogie mit der Kritik F. Wagners an einer „kirchlich wie akademisch-theologisch zäh verteidigten Theologentheologie“ aufweist, welche die wissenschaftliche Theologie um „ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit“ bringe (F. WAGNER, Religion der Moderne, 18). Der Hintergrund dieser Kritik bildet dass Urteil einer „antimoderne[n] Stoßrichtung“ der „’dialektischen’, hermeneutischen, neureformierten, neulutherischen und kirchlich-positiven Spielarten der neuevangelischen Wendetheologien des Wortes Gottes.“ (ebd., 22). Von daher ist die Debatte um den Funktionsbegriff alles andere als unbedeutend, vgl. 1.2.4.1.

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Plausibilität, zumal dann, wenn die kirchliche Aufgabe nicht verabschiedet, sondern in eine kultur- oder gesellschaftstheoretische Funktionsbestimmung einzuzeichnen versucht wird. Die vorliegende Untersuchung wird allerdings zu zeigen bemüht sein, dass die Möglichkeiten der gesamtheoretischen Positionierung und Fassung der Funktionsthese erheblich weiter reichen. Die hermeneutische Berücksichtigung des Theoriekontexts hat dabei freilich Folgen, die hier – an einem klassischen Beispiel – bereits demonstriert zu werden verdienen: Sowohl für F. Schleiermacher als auch für K. Barth ist Theologie bekanntlich eine Funktion der Kirche. Konstitutiv für die weitere Auffassung beider – darin besteht deren strukturelle Analogie – ist es, dass mit der Funktionsthese ein kritisches Verhältnis von Theologie und Kirche angezeigt ist. Dieses kritische Verhältnis ergibt sich wiederum im Theoriekontext aus der – nun jeweils höchst verschiedenen – Gegenstandsbestimmung der Theologie. Dieses Zusammenhangs gewahr zu sein ist in mindestens zweierlei Hinsicht von nicht geringer Bedeutung: Einerseits kann eine Missachtung der Bestimmung des theologischen Gegenstandsbezugs, welche einer kritischen Verhältnisbestimmung zugrunde liegt, zu explikativ-positivistischen Degressionen führen. Diese vermögen freilich, wie die Beispiele R. Rothe und T. Kliefoth zeigen, ganz unterschiedliche Formen annehmen.46 Andererseits deutet sich schon an, dass eine Hermeneutik unter dem Leitgesichtspunkt der Strukturanalogien, welche im Blick auf Schleiermacher und Barth ja gerade an der Funktionsthese Anhalt hat, solange nicht hinreichend ist, solange die maßgebliche Differenz der Theologiebegriffe als Differenz des theologischen Begründungszusammenhangs nicht gebührend berücksichtigt wird.47 Diese Berücksichtigung der Theorieanlage ist im Übrigen auch zur Beurteilung der Frage erforderlich, ob denn Barths Ekklesiologie eine Funktionalität oder eine Dysfunktionalität zugeschrieben werden müsse. Ohne Transposition des eigenen Standpunkts konnte es in einer auf einen empirischen Kirchenbegriff abgestellten Theoriebildung der Praktischen Theologie zum Urteil der Dysfunktionalität kommen.48 Darauf wird zurückzukommen sein. Zu 3: Mit diesen Hinweisen ist bereits die methodische Vorgehensweise der vorliegenden Untersuchung angedeutet. Im analytischen ersten Teil geht es darum, bei klassisch gewordenen und einigen ausgewählten neueren Positionen den theoretischen Rahmen der Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche möglichst knapp und präzise zu rekonstruieren. Ein gewissermaßen synchroner Querschnitt, wie 46 47 48

Vgl. 1.1.2. Dazu neuerdings E. HERMS, Karl Barths Ekklesiologie, 179-186. Vgl. E. HÜBNER, Theologie und Empirie, 105. 228 u.ö.

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er hier hinsichtlich der Debatte um die Voraussetzungslosigkeit der Theologie ausschnitthaft sichtbar wurde und wie er unter einer weiteren Berücksichtigung des zeitgenössischen Kontexts zur Erhellung der Krisenverarbeitung dienen könnte, ist also nicht intendiert. Nicht nur, dass man sich zu diesem Zweck auf kleinere Zeitabschnitte beschränken müsste – vielmehr dürfte auch hierzu die analytische Durchdringung der Theorieanlage einer Konzeption notwendige Bedingung dafür sein, nicht den Einseitigkeiten einer genetisch-funktionalen Interpretation zu verfallen. Unter Wahrung dieser methodischen Vorsicht kann dann die jeweilige Theorieanlage selbst als Antwort auf das von ihr als Herausforderung Begriffene gelesen werden. Wenn also die Wahrnehmung der jeweiligen Problembearbeitung auf Theorieebene im Vordergrund steht, so soll dies zunächst auch heißen, von einer vorschnellen positionalen Kritik Abstand zu nehmen. Die Konzeptionen werden möglichst ad bonam partem interpretiert. Theorieexterne Kritik ergibt sich vornehmlich aus dem Längsschnitt selbst, nämlich aus der Kritik späterer Entwürfe oder aber aus bereits vorliegender Kritik anderer Rezipienten, die dazu herausfordert, Stellung zu beziehen. Dass über die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts maßgeblichen Positionen von Schleiermacher bis Bonhoeffer hinaus eine Topographie ausgewählter neuerer Positionen geboten wird, ist deshalb von Bedeutung, weil diese dazu verhelfen können, die Fragestellung im Blick auf die gegenwärtige Verantwortung voranzutreiben. Die neueren Positionen werfen Licht auf die Veränderungen des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Klimas, innerhalb dessen die Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche vorgenommen wird: Die Debatte um die Voraussetzungslosigkeit der Theologie – um daran noch ein letztes Mal anzuknüpfen – hatte noch nicht die Herausforderung vor sich, die später durch die Verkirchlichungstendenz der Weimarer Zeit, dann durch den Emanzipationsschub von Kirche und Theologie in der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben war.49 Die Sonderstellung einer Theologie als einer kirchlichen Wissenschaft wurde spätestens 49

Vgl. dazu die Position von H. Diem (unten 1.1.7.1.) auf dem Hintergrund des von Selbstbewusstsein geprägten Klimas der Diskussion: „Wissenschaftliche Theologie und Kirche“ in: ThLZ 72 (1947), 147ff. An dieser Diskussion nahmen so unterschiedliche Theologen wie O. Dibelius, H. Stephan, R. Hermann, H. Mulert, J. Schniewind teil. Lediglich die Thesen Schniewinds heben sich von diesem Klima ab, insofern sie von der Armut der Theologie reden und theologische Lehre differenztheoretisch als fallible Entfaltung des Kreuzeslogos verstehen: J. SCHNIEWIND, Verkündigungscharakter, 167f. In dieser Hinsicht konvergieren meine eigenen Vorschläge im dritten Teil der Arbeit mit dessen Ansatz. Vgl. auch die andersartige Anknüpfung von E. JÜNGEL, Theologische Wissenschaft und Glaube, 26f.

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dann problematisch, als die wissenschaftstheoretische Diskussion wieder einen stärkeren Legitimationsdruck erzeugte. Wie die wissenschaftstheoretische Debatte der 70er Jahre zeigte,50 stand dabei weniger die Frage nach den Voraussetzungen im Vordergrund, sondern die Frage der Kontrollierbarkeit, die Frage des methodisch kontrollierten Vollzugs einer Wissenschaft.51 In der neueren Zeit hat sich die Lage insofern verändert, als die erwähnte postmoderne Pluralität zu neuen Problemkonstellationen führte.52 Konnten diesbezüglich die aus den jeweils verschiedenen theologischen Traditionen sich ergebenden Antwortversuche weit auseinander liegen, so verhält sich dies etwas anders in der gegenwärtigen, zum Teil mit vermehrt äußerem (ökonomischem) Druck sich vollziehende Auseinandersetzung um die Frage der Effizienz, um die Frage des gesamtgesellschaftlichen Nutzens von Theologie und Kirche. Es handelt sich dabei um Herausforderungen, welche die gesamte Bildungskonzeption von Schule und Universität betreffen.53 In diesem Zusammenhang mag nun die These von der Theologie als Funktion der Kirche – ganz ohne die Luhmannschen Differenzierungsmöglichkeiten betrachtet – geradezu kontraproduktiv klingen.54 Es scheint vorteilhafter zu sein, zugunsten der Funktion der Theologie in Kultur und Gesellschaft von der Rede einer kirchlichen Funktion etwas sparsameren Gebrauch zu machen. E. Herms hat sich ganz offensiv diesem Kontext an Herausforderungen zugewandt und versucht, Theologie und Kirche durch das Behaupten einer gesellschaftlichen Basisfunktion von Religion in einen kulturellen und gesellschaftlichen Verweiszusammenhang einzustellen. Damit wird die genannte Alternative hinsichtlich der Funktionsbestimmungen aufgehoben. Nicht umsonst beschließt die Darstellung seiner Konzeption die Topographie der neueren Positionen. Sie steckt in gewisser Weise ein Problemniveau ab. Eine Problemmatrix (1.2.) ergibt sich denn auch bereits aus dem ersten Teil der Untersuchung. Es handelt sich dabei in erster Linie um eine systematisch-theologische und gegenwartsbezogene Auswertung grundlegender theorieimmanenter Interdependenzen, wie sie sich aus 50 51

52 53 54

Vgl. unten, 1.1.7.4. Dabei konnte in dieser Debatte um die wissenschaftstheoretische Verantwortbarkeit die ältere Debatte um die Voraussetzungslosigkeit durchaus auch erhöhte Aufmerksamkeit finden, vgl. W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie, 255ff. 319. Vgl. W. WELSCH, Haus mit vielen Wohnungen, 476-479; J. FISCHER, Pluralismus, Wahrheit, 487-539; J. KUNSTMANN, Christentum in der Optionsgesellschaft. Vgl. H. SCHMOLL, Bildungsauftrag, 530-544. ... und nachgerade noch einmal die These bestätigen, dass Theologie als Funktion der Kirche zu thematisieren schon einen Hinweis auf das Angefochtensein und die Schwäche der kirchlichen Institutionen darstellt.

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der vorangegangenen Analyse erhellen lassen, aber auch bereits um eine Auswertung im Blick auf die Anforderungen einer gegenwärtigen systematisch-theologischen Problemverarbeitung. Die Erörterungen haben so weitgehend eine Wenn-dann-Struktur. Sie sollen erhellen, wohin gewisse Denkvoraussetzungen führen, sie zeigen mithin für theologische Theoriebildung: „Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte“ (Goethe). Im zweiten Teil werden unter der Zugrundelegung des „Netzes“ der Problemmatrix zwei unterschiedlichen Traditionssträngen zugehörende gegenwärtige Entwürfe auf ihr Problemlösungspotential und ihre systematisch-theologische Verantwortbarkeit befragt: Der Entwurf von W. Gräb und der Entwurf von I.U. Dalferth. Sie werden ausführlich dargestellt, so dass auch ihre Genese bzw. ihr jeweiliger Anschluss an die klassischen Positionen sichtbar werden kann. Im jeweils vierten Unterabschnitt (2.1.4. und 2.2.4.) wird eine kritische Evaluation vorgelegt. Diese hat – dem skizzierten Vorgehen entsprechend – dabei mit dem Theologiebegriff letztlich den gesamten Ansatz vor Augen. Auch hinsichtlich des Sachverhalts, dass beide Positionen noch keine zusammenfassende systematisch-theologische Bearbeitung erfahren haben, rechtfertigt sich die etwas umfassendere Darstellung und Auseinandersetzung. Der dritte Teil schließlich bietet die Umrisse eines eigenen Entwurfs. Der Einsatzpunkt mag zunächst etwas unvermittelt anmuten, ist aber durch Zwischenüberlegungen (vgl. 2.1.5.) schon nahegelegt. Der vorgelegte Versuch einer stringenten Entwicklung aus einem Kerngedanken lässt ersehen, dass ich es nicht für förderlich halte, eine eigene Position lediglich als Kompositum verschiedener anderer zu entwerfen. Wie zu erkennen sein wird, schließt dies nicht aus, sondern ein, dass von den analysierten Entwürfen Erhebliches zu lernen ist und in einem eigenen Entwurf auch seinen Ort findet. Das Vorgehen macht vom guten Motto Gebrauch: „Prüfet alles, und das Gute behaltet“ (1 Th 5,21). Ohne weiteres lässt sich die vorgeschlagene Konzeption wiederum selbst im „Netz“ der Problemmatrix verorten. Auch für sie gilt ja jenes GoetheDiktum. Erkennbar ist auch das weitere Anliegen, die eigene Position – gewissermaßen als bescheidene Demonstration einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit im Vollzug – im Blick auf Ergebnisse der neutestamentlichen und der kirchengeschichtlichen Disziplinen für begründungsfähig und im Blick auf Ergebnisse philosophischer Erkenntnistheorie für plausibilisierungsfähig zu halten.

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Die kursiv gedruckten Thesen dienen sowohl der Zusammenfassung als auch der übersichtlichen Strukturierung des komplexen Gedankengangs. Zuletzt: „Theologie als Funktion der Kirche“ – dieser Titel ließe sich, wie bereits diese Einleitung demonstrierte, auch mit Fragezeichen versehen. Die Untersuchung richtet sich darauf, wie diese These bzw. Alternativen zu ihr in der neueren Theologie verstanden wurden, um sich dann der Frage zuzuwenden, ob und wie sie in der Perspektive Systematischer Theologie gegenwärtig verantwortet zu werden vermag. Unter der Klärung nicht weniger Bedingungen und Begrifflichkeiten wird sie dann so aufgenommen, dass sie innerhalb eines bestimmten konzeptionellen Rahmens auch mit einem Ausrufezeichen versehen werden kann. Zum Vermeiden des (Miss-) Verständnisses einer Funktionalisierung der Theologie zur Selbst- und Bestandserhaltung von Kirche gehört es beispielsweise, keine unmittelbare Beziehung von Theologie und Kirche zu denken, sondern beide kritisch auf ein Drittes zu beziehen (3.4.).

1. Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie Im Folgenden soll zunächst der problem- und argumentationsgeschichtliche Hintergrund gegenwärtiger Verhältnisbestimmungen von Theologie und Kirche skizziert werden (1.1.). Die Darstellung erfolgt dabei, wie bereits erwähnt, weniger aus theologiegeschichtlichem Interesse, sondern aus primär systematisch-wirkungsgeschichtlichem. Zur Geschichte gewordene Theologie wird als konzentrierte Glaubens- und Denkerfahrung angesehen, deren analytische Durchdringung als Wahrnehmungs- und Evaluationshilfe der gegenwärtigen Problemverarbeitung dienen kann und soll. Dies gilt insbesondere dann, wenn gegenwärtige Problemstellungen ebenso wie deren Bearbeitung als in dieser Geschichte präfiguriert gelten können. Eine solche Präfiguration wird jedenfalls in einer Vielzahl gegenwärtiger Konzeptionen vorausgesetzt. Von daher erscheint es auch sinnvoll, den Rezeptionsprozess selbst im Auge zu behalten. Im deutschen Protestantismus bleibt dieser durch die Eckpunkte, welche durch die Positionen von F. Schleiermacher und K. Barth, aber auch E. Troeltsch markiert werden kann, geprägt. Diese Positionen werden daher, ohne eine originelle Neuaufarbeitung, sondern eher eine knappe Rekonstruktion ihrer Gesamtperspektive auf das Verhältnis von Theologie und Kirche und eine Zusammenfassung des Diskussionsstandes bieten zu wollen, etwas ausführlicher zu Wort kommen. Bei ihnen finden sich die kursiv gedruckten Zusammenfassungen auch im laufenden Text. Daran schließt sich eine Matrix der systematisch-theologischen Grundprobleme an (1.2.). Wie soeben bereits ebenfalls erwähnt wurde, besteht ihr heuristischer Zweck zunächst darin, theorieimmanente Zusammenhänge wahrnehmen und die im Hauptteil der Arbeit dargestellten Konzeptionen daraufhin untersuchen zu können, wie in ihnen die gegenwärtige Wirklichkeit von Kirche, Gesellschaft, Religion aufgenommen und verarbeitet wird. Nicht zuletzt vermag sie Rechenschaft darüber zu geben, unter welcher Perspektive im weiteren Verlauf der Untersuchung die Evaluation vorgenommen wird.

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1.1. Das Verhältnis von Theologie und Kirche in der neueren protestantischen Theologie Vor einem grundsätzlichen Legitimationsbedarf stand die Theologie schon im Gefolge der Aufklärung, insofern durch die Ausdifferenzierung von Kirche und Gesellschaft und die mit ihr einhergehende Entkoppelung von kirchlich verfasstem Christentum und Religion die öffentliche Relevanz der Theologie fraglich und daher auch ihr Ort an der Universität begründungsbedürftig geworden war. Die These einer „Theologie als Funktion der Kirche“ weist somit ihre vom geistesgeschichtlichen und soziokulturellen Kontext zumindest mitabhängige Problemgeschichte auf,1 welche sowohl die Begründung als auch die inhaltliche Bestimmung der Funktion der Theologie immer wieder neu einzufordern nahe legt. Die Funktionsthese ist darüber hinaus ohne Veränderungen und Verschiebungen, welche fundamentaltheologische und wissenschaftstheoretische Bedeutung haben und darum das Innerste der theologischen Wissenschaft berühren, in ihrer Bedeutung kaum erfassbar. I. Kants Kritik der gegenständlichen Erkenntnis Gottes nötigte die Theologie, ihren Erkenntniszugang zu Gott zu überdenken.2 War bekanntlich bei Thomas von Aquin noch dezidiert Gott das Thema der Theologie, bei Luther das Beziehungsgeschehen zwischen dem gnädigen Gott und dem sündigen Menschen, so musste sich der neuzeitliche Protestantismus nunmehr der Problematik solcher Bestimmungen stellen. Es soll an dieser Stelle nicht der Hinweis fehlen, dass F. Schleiermachers Vorgehen, das religiöse Bewusstsein des Menschen zum Bezugspunkt der Dogmatik zu erklären und die gesamte Theologie funktional auf die Kirchenleitung hinzuordnen, schon durch die analytische Methode der lutherischen Orthodoxie und G. Calixts Aufnahme der Kirchenleitung in den Theologiebegriff gewissermaßen vorbereitet wurde3 und

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3

Auf diesen Zusammenhang verweist auch die erwähnte Feststellung von G. SAUTER („Dogmatik“, 58), die Betonung der Dogmatik als einer Funktion der Kirche folge meistens einer Schwäche der institutionellen Kirche. Dass Kants Kritik der reinen Vernunft im Blick auf den christlichen Glauben nicht nur im Sinne eines „alles zermalmenden Kant“ (M. Mendelssohn) aufgefasst werden musste, sondern einen Freiraum des Glaubens zu denken ermöglicht, ergab die Kantinterpretation des Jenaer Frühkantianismus. Ausgangspunkt dieser Interpretation ist die Beobachtung, dass Kants Kritik der reinen Vernunft eine doppelte Grenzbestimmung enthält: nicht nur eine Kritik der metaphysischen, sondern auch der wissenschaftlichen Vernunft (vgl. N. HINSKE, Kritik der reinen Vernunft). Vgl. J. WALLMANN, Theologiebegriff, 142ff.; W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie, 249f.

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

sich im Übrigen bereits in der theologischen Aufklärung ein folgenreicher Funktionswechsel der Dogmatik vollzogen hatte.4

1.1.1. Friedrich Schleiermacher Für Schleiermachers Theologie ist es grundlegend, dass sowohl der Individualität von Religion ein Eigenrecht eingeräumt wird (1) als auch Religion und Kirche aufeinander bezogen sind (2). Was das Erste betrifft (1), so bemüht sich Schleiermacher5 schon in seinen frühen Reden, den romantisch Gebildeten seiner Zeit einen subjektivitätstheoretisch explizierbaren Zugang zur Religion freizulegen, welcher dem eingetretenen Plausibilitätsverlust christlicher Grundüberzeugungen Rechnung trägt und dem zeitgenössischen Wahrheitsbewusstsein vermittelbar ist.6 Die Angeredeten werden dazu nicht auf spekulativ-philosophische oder religionsgeschichtliche Schriftinterpretationen oder theologische Aussagesysteme verwiesen,7 sondern auf den innerseelischen Bereich des Gemüts.8 Von hier aus wird dann nicht nur die Ursprünglichkeit und Selbstständigkeit der individuellen Religion im Unterschied zu Metaphysik und Moral demonstriert, es wird auch ihr Wesen („Anschauung und Gefühl“) auf solche Weise bestimmt, dass eine von jedem Vorwurf ethischer Funktionalisierung freie, passive Existenzkonstitution zur Geltung gebracht ist. Der Ansatz bei den inneren Gemütszuständen der Subjektivität deckt sich, wie Schleiermacher selbst bezeugt, mit dem „Standpunct meiner Glaubenslehre“: Dogmatik ist als dessen gedanklich-reflexive Explikation unhintergehbar auf das religiöse Selbstbewusstsein bezogen.9 Schleiermacher lässt dabei erkennen, dass der subjektivitätstheoretische Zugang zur christlichen Religion ihm aufgrund der zeitgenös-

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W. RADDATZ, Funktionswandel, 285ff., zu Semler: T. RENDTORFF, Kirche und Theologie, 27ff., v.a. G. HORNIG, Johann Salomo Semler; ders., Schleiermacher und Semler, 875ff. Zur neueren Schleiermacherliteratur vgl. die Überblicke von M. TROWITZSCH, Schleiermacher, 227-241; M. MOXTER, Neuzeitliche Umformungen, 133-154, und U. BARTH, Schleiermacher-Literatur, 408-461. Vgl. U. BARTH, Schleiermachers Reden, 463: „Schleiermachers Reden [...] sind nichts anderes als der begriffliche Versuch, Religion auch unter den Bedingungen der Moderne als eines nachtheistischen Zeitalters zur Geltung zu bringen.“ Vgl. seine Kritik an diesen seiner Zeit beliebten „Auswegen“ im Zweiten Sendschreiben, KGA I/10, 347,18ff. Reden1, 37 = KGA I/2, 204,35; vgl. CH. ALBRECHT, Schleiermachers Theorie, 149f. Zweites Sendschreiben, KGA I/10, 351,13ff.

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sischen Erkenntnistheorie und dem Siegeszug der Naturwissenschaften, welche sowohl der Deutung von Wundern als supranaturale Durchbrechungen des Naturzusammenhangs10 als auch der Deutung der Schrift als einer göttlich autorisierten Offenbarung11 entgegenstanden, methodisch notwendig geworden war12. Nicht nur, dass eine Selbstimmunisierung der Theologie gegenüber den Grundsätzen des neuzeitlichen Wahrheitsbewusstseins das Christentum der Lächerlichkeit und „Barbarei“ preisgeben würde,13 Schleiermacher ist darüber hinaus der Überzeugung, es entspräche dem Anliegen der Reformation, „einen ewigen Vertrag zu stiften zwischen dem lebendigen Glauben und der nach allen Seiten freigelassenen, unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen Forschung“.14 Was nun das Zweite betrifft, das Verhältnis zwischen Religion und Kirche (2), so lassen sich schon im Blick auf die Kritik an der institutionellen Kirche in der Erstauflage der Reden Entwicklungen feststellen, die K. Nowak zur Aussage veranlasst haben: „Aus dem kirchlichen Bilderstürmer der Erstausgabe war ein besonnener Kirchenreformer geworden.“15 Doch auch davon abgesehen wird in der vierten Rede der Erstauflage die individuelle Religion in die gemeinschaftliche Sozialund Kommunikationsgestalt eingebunden, die sie sowohl zu ihrer Vermittlung als auch zu ihrer Entfaltung bedarf. Die anthropologische Angewiesenheit auf Sozialität kommt dabei im Rahmen einer allgemein-ethischen Theorie der „wechselseitigen Mitteilung“ zu stehen. Dieser entspricht die an der romantischen Geselligkeitsauffassung orientierte Kirchentheorie des frühen Schleiermacher von einer freien „Einwirkung religiöser Menschen auf einander“,16 in welcher sich die Menschen mehr spontan-produktiv oder mehr empfangend-rezeptiv verhalten. Als religiöse Verfassung der „freien Geselligkeit“ macht eine solche Mitteilungsweise das Wesen der „wahren Kirche“ aus. Zugleich hat sie exemplarische Bedeutung für die menschliche Gesellschaft überhaupt, insofern sich in der religiösen Gesellschaftsform die Freiheit der 10 11 12

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Ebd., 345,18ff. Ebd., 355,7-356,18; vgl. W. PANNENBERG, Krise, 13. Dieser Hintergrund von Schleiermachers Wesensbestimmung des Christentums wird von M. SCHRÖDER, Identität, 18ff., herausgestellt. Es ist in der Schleiermacherliteratur nunmehr Konsens, dass außerdem die Meinung, das christlich-fromme Selbstbewusstsein stelle die Quelle der Dogmatik dar, als Vorurteil zu gelten hat, vgl. CG2 § 19. Zus. (I, 124). Dieses ist vielmehr methodisches Prinzip, vgl. H. FISCHER, „Schleiermacher“, 168,48. KGA I/10, 347,1-10. Ebd., 350,31-351,3. K. NOWAK, Schleiermacher, 112; vgl. schon G. MECKENSTOCK, Einführung, XXV. Reden1, 183f. = KGA I/2, 270,7.

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

Individualität Geltung verschafft. Von daher wird auch die Folgerung verständlich, dass jede heterogene Autorität des Staates über die Kirche als „Quelle alles Verderbens“ erscheint.17 Schleiermacher wird diese auf Kommunikations- und Handlungsvollzüge abzielende Kirchentheorie prinzipiell beibehalten, sie philosophisch-ethisch durch das allgemeine Kommunikationsphänomen des „symbolisierenden Handelns“ fundieren18 und in Handlungsvollzügen dann auch in seiner Glaubenslehre „[d]ie wesentlichen und unveränderlichen Grundzüge der Kirche“ erblicken.19 Hatte er allerdings noch in der Erstauflage der Reden das romantisch und visionär gezeichnete Idealbild der wahren Kirche als einer elitären Gesellschaft von religiösen Virtuosen dem real-bestehenden institutionellen Kirchenbild seiner Zeit kritisch gegenüber gestellt, so verschieben sich im folgenden die Bilder gleichsam übereinander: „Das Idealbild der Kirche bildete sich um zum hermeneutischen Instrument, mittels dessen mitten in der wirklichen Kirche mit all ihren Zweckwidrigkeiten doch auch die Lebensvollzüge der wahren Kirche aufgesucht werden können.“20 Davon zeugen beispielsweise die Erläuterungen, die Schleiermacher selbst seinen Reden später beigibt.21 Ziel ist nun deutlich die „bessere Gestaltung der bestehenden Kirche“.22 Schleiermacher bekundet damit jedenfalls selbst das Bemühen, sein in populär-frühromatischem Geist verfasstes Programm – im Festhalten an der Perfektibilität des Christentums und zugleich nunmehr durch den Aufweis des jeweiligen Realisierungszusammenhangs – gegenüber einer weitgehenden Deinstitutionalisierung und Entpositivierung abzugrenzen: So wie die wahre Kirche als freie religiöse Mitteilung sich nur in den (sich ständig vervollkommnenden) bestehenden Kirchen realisiert,23 wird auch das 17 18 19 20

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Ebd., 210 = KGA I/2, 281,9; vgl. T. RENDTORFF, Kirche und Theologie, 132ff., und G. LÄMMLIN, Individualität und Verständigung, 74f. (Kritik an Rendtorff). Vgl. Ethik 1812/13 §§ 196ff., v.a. § 209 (121); Güterlehre §§ 52 f. (259f.). CG2 §§ 127ff. (II, 278ff.). M. OHST, Schleiermacher und die Kirche, 59, dort weiter: „Und damit gewinnt die wirkliche Kirche, gewinnen die wirklichen Kirchentümer eine spezifische Würde: Sie und nur sie sind der Ort, wo die wahre Kirche verborgen präsent ist und wo sie durch mühsame, konstruktive Reformarbeit zum Vorschein gebracht werden kann.“ Der Artikel von Ohst bietet im übrigen einen instruktiven Überblick über die Entwicklungen in Schleiermachers Kirchenverständnis; vgl. auch W. GRÄB, Darstellung, 233-244. V.a. KGA I/12, 228,27-231,15. Ebd., 229,13f. Zu beachten ist dabei ebd, 229,25-30: „Realisirt werden kann also der hier aufgestellte Begriff der wahren Kirche nicht in einer einzelnen Erscheinung, sondern [...] nur in der weltbürgerlichen friedlichen Verbindung aller bestehenden und jede in ihrer Art möglichst vervollkommneten kirchlichen Gemeinschaften“ (Hervorheb. v. H.-M. R.).

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wahre Christentum sich niemals abseits seines Grund- und Mittelpunkts, des Erlösers Jesus von Nazareth realisieren können.24 Schleiermacher hat die Theologie funktional auf die „Kirchenleitung“ bezogen und damit theologieextern-formal begründet, ohne jedoch den fundamentaltheologisch-inhaltlichen Einheitsgesichtspunkt aus den Augen zu verlieren: Als positive Wissenschaft wird sie nicht nur durch das Prinzip der Kirchlichkeit („Kirchenleitung“), sondern auch durch das der Wissenschaftlichkeit („Wissen um das Christentum“) konstituiert. Schleiermachers enzyklopädisches Programm25 enthält die gründlichste Darstellung seines Theologiebegriffs und stellt den Schlüssel zum Verständnis der Einleitung seiner Glaubenslehre dar.26 Ihm zufolge sieht er

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Dass in Schleiermachers ekklesiologischem Modell geschichtlich-religiöse Kommunikationsvollzüge zur Wesensbestimmung der (wahren) Kirche herangezogen und ihren institutionellen Organisationsformen gegenüber gestellt werden, gibt diesem wie jedem doppelten Kirchenbegriff einen höchst reformerischen Charakter, begründet aber noch keine prinzipielle Deinstitutionalisierung. U. BARTHS These: „Die Verankerung des Kirchenbegriffs in der Struktur religiöser Darstellung und Mitteilung zielt auf eine Deinstitutionalisierung der traditionellen Organisationsstruktur religiöser Gemeinschaften als öffentlicher Heilsanstalten zugunsten von Sozialsystemen symbolischer Kommunikation“ (ders., Schleiermachers Reden, 474) ist daher nur eingeschränkt (v.a. auf die Erstauflage und im strikten Bezug auf ein Verständnis der Kirche als „Heilsanstalt“) gültig. Beim Schleiermacher der Glaubenslehre besteht die Pointe der Darstellung der kirchlich-institutionellen Handlungsvollzüge wie Verkündigung, Spendung des Sakraments etc. deutlich darin, dass diese institutionelle Vollzüge als Realisierung der genannten Mitteilungsstruktur erscheinen. Überdies sollte das rhetorische Genre der Reden, die ihrerseits nun ganz auf die Bergung von Religion unter den anzuprangernden kirchlichen Missständen aus sind, nicht verkannt werden, vgl. z.B. Schleiermachers Erläuterung in KGA I/12, 235,7ff. CH. BRAUNGART hat neuerdings den Nachweis zu erbringen versucht, dass schon beim frühen Schleiermacher der Gedanke der Mitteilung dem Gedanken der Heilsvermittlung nicht entgegensteht, sondern ihn kommunikationstheoretisch reformuliert (dies., Mitteilung, 66-69, vgl. auch 325ff.). Pointiert auch E. HERMS, Schleiermachers Lehre, 342, Anm. 97: „Das Kommunizieren kann als dauerndes gar nicht anders, als Institutionen zu bilden.“ Dazu M. OHST, Schleiermacher und die Kirche, 69. Damit führt Schleiermacher den Gedanken seiner Mittelpunktsbetrachtung in den Reden konsequent durch. Vgl. CG2 § 11 (I,74) und die Bezugnahme auf die Reden bei der Einführung von äußerem und innerem Individuationsmerkmal in CG2 § 10 (I, 64). Greifbar nicht nur in der „Kurzen Darstellung“ (KD) von 1811, sondern auch in der erst 1987 herausgegebenen Nachschrift von D.F. Strauß von 1831/32 (SchlA 4), abgek. ThEnz. Die These von der Schlüsselfunktion der Enzyklopädie stammt bereits von H. SÜSKIND, Christentum, 31, und wird von M. RÖSSLER neuerdings dahingehend aufgenommen, dass er die Funktionalität der Theologie als Schlüssel zum Verständnis des Schleiermacherschen Theologiebegriffs und seines Programms der Philosophischen Theologie zu erweisen sucht (ders., Schleiermachers Programm, 6. 203). Vgl. zum

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im Bezug auf die „Leitung der Kirche“ das Organisationsprinzip der Theologie.27 Die Theologie und ihre Einheit wird nicht durch einen Gegenstandbereich (traditionell die Lehre von Gott, aufklärungstheologisch die Wissenschaft von der Religion), auch nicht durch ein besonderes Erkenntnisprinzip (Schriftprinzip) definiert, sondern ähnlich der Jurispudenz und der Medizin durch ihren Bezug auf ein Positum, in diesem Fall ihre Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise, die ihr als praktische Aufgabe vorgegeben und anvertraut ist.28 Das heißt auch: Die Theologie beansprucht keine spezifischen Methoden; ihre wissenschaftlichen Elemente entstammen alle den nichttheologischen Wissenschaften und werden erst durch ihren Bezug auf die Kirchenleitung theologisch.29 Schleiermachers Verständnis der wissenschaftlichen Theologie als einer positiv praktischen Funktion der Kirche zur Optimierung ihrer Leitung setzt dabei einen institutionell abgrenzbaren Organisationsgrad („geschichtliche Bedeutung und Selbstständigkeit“)30 und zugleich eine interne Ausdifferenzierung (Gegensatz von „Herausragenden“ und „Masse“) voraus.31 Der Glaube an sich bedarf keiner Theologie.32

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allgemeinen Hintergrund U. DIERSE, Enzyklopädie, zum Folgenden die Arbeiten von E. SCHROFNER, Theologie als positive Wissenschaft; CH. DINKEL, Kirche gestalten, I. HÜBNER, Wissenschaftsbegriff, und v.a. M. SCHRÖDER, Identität. Die bekannte, nicht selten missverstandene Definition in KD § 5 (2) lautet: „Die christliche Kirche ist sonach der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d.h. ein christliches Kirchenregiment, nicht möglich ist.“ Zum Begriff der Kirchenleitung vgl. ThEnz 9: „Die Kirchenleitung ist also die Thätigkeit der Wenigen, welche im Besitz des geschichtlichen Bewußtseyns sind, um die Identität und die Mitteilung des Glaubens zu erhalten.“ Zur Differenzierung des Begriffs: M. RÖSSLER, Schleiermachers Programm, 56f. KD § 1 (1); weiter: Gelegentliche Gedanken, SW III/1, 581f.: „Die positiven Facultäten sind einzeln entstanden durch das Bedürfniß, eine unentbehrliche Praxis durch Theorie durch Tradition von Kenntnissen sicher zu fundiren. [...] Die theologische hat sich in der Kirche gebildet, um die Weisheit der Väter zu erhalten, um, was schon früher geschehen war Wahrheit und Irrthum zu sondern, nicht für die Zukunft verloren gehen zu lassen, um der weiteren Fortbildung der Lehre und der Kirche eine geschichtliche Basis, eine sichere bestimmte Richtung und einen gemeinsamen Geist zu geben.“ Vgl. dazu: H. BIRKNER, Schleiermachers “Kurze Darstellung“, 292; ausführlich: I. HÜBNER, Wissenschaftsbegriff, 129ff. KD § 6 (3); in Entsprechung zum bereits genannten „ewigen Vertrag“! Auf diese Weise hat Schleiermacher der Forderung J.G. Fichtes, wie dieser sie in seiner Bestreitung der Theologie als Wissenschaft an der Universität vorgetragen hatte, Rechnung getragen: E. JÜNGEL, Verhältnis, 40-50. KD § 2 (1). Vgl. ebd., § 3 (2); v.a. Praktische Theologie, abgek. PrTh, 12ff.! Weiter: W. GRÄB, Kirche, 157f.; M. RÖSSLER, Schleiermachers Programm, 49f. KD § 5 (2), vgl. ThEnz 9.

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Die Zweckbestimmung auf die Kirchenleitung als eines theologieexternen Handlungszusammenhangs erweckt den Verdacht einer Funktionalisierung d.h. letztlich einer Unterordnung des theologischen Arbeitens unter ein kirchliches Interesse, welches sich auf Kosten des Wahrheitskriteriums an der Nützlichkeit und Brauchbarkeit für die Kirche oder für die kirchliche Ausbildung orientiert.33 Der positive Wissenschaftsbegriff geht daher mit der Gefahr eines empirischen Positivismus im Blick auf kirchliches Denken und Handeln einher, welcher seinerseits eines externen Kriteriums entbehrt, um auf diese Vollzüge nicht nur explikativ, sondern auch kritisch bezogen zu sein. Schleiermacher weist eine solche „empirische[...] Auffassung“ zurück:34 Ohne ein kritisches Bewusstsein gegenüber dem gegenwärtigen Zustand kann die Kirchenleitung ihrer Aufgabe, „das Christentum [...] reiner darzustellen“ nicht gerecht werden35. Eine auf Verbesserung der Kirche abzielende Leitung muss daher ihrerseits das Interesse haben, einen über die „empirische Auffassung“ hinausreichenden klaren Begriff von der christlichen Kirche zu besitzen – d.h. zu wissen, „was in der Entwicklung des Christentums reiner Ausdruck seiner Idee ist, und was hingegen als Abweichung hievon, mithin als Krankheitszustand, angesehen werden muß.“36 Zu den „theologischen Kenntnisse[n] oder Regeln“, die jede Kirchenleitung voraussetzt,37 gehören Beurteilungskriterien. Im Anschluss an den Kantschen Wissensbegriff müssen solche Kriterien als der empirischen Zufälligkeit und Veränderlichkeit entnommene Begriffe verstanden werden. Diese bereitzustellen ist Aufgabe der Disziplin der Philosophischen Theologie: „[...] Prinzipien der Beurtheilung aufzustellen, ist Aufgabe der philosophischen Theologie.

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So noch J. WIRSCHING, Von der Kirchlichkeit, 129; vgl. schon H. SCHOLZ, Einleitung, XXVIII, und W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie, 254: „Wo solche Interessen maßgebliche Bedeutung in der Theologie gewinnen, da wird vielmehr Theologie als Wissenschaft korrumpiert.“ Auch die neuere Arbeit von CH. DINKEL kann von einer pragmatisch-funktionalen Einengung des Schleiermacherschen Programms nicht freigesprochen werden (vgl. ders., Kirche gestalten, 105. 254). Dass Schleiermacher selbst dazu Anhalt bieten kann, zeigt z.B. seine Rede vom Wohl und Nutzen der Theologie für die Kirche (KD § 11 (4)) und seine Aussage, die positiven Fakultäten fänden ihre Einheit nicht in der Erkenntnis unmittelbar, „sondern in einem äußeren Geschäft“ (Gelegentliche Gedanken, SW III/1, 583). KD § 21 (8f.). Ebd., § 263 (101); genauer: Keine „besonnene“, sondern lediglich eine „verworrene Einwirkung“ (§ 12 Zus. (5)) wäre möglich. KD § 35 (15), vgl. § 66 Zus. (28f.); PrTh, 24: „[...] es wäre eine Thorheit wenn sich einer anmaßen wollte eine leitende Thätigkeit ohne einen Begriff zu haben vom Gegenstande derselben [...]“ PrTh, 22.

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Hier sind wir schon in der unmittelbaren Beziehung auf die Kirchenleitung [...]“ 38 Der Rückgang der Theologie auf Begriffe wird dabei nicht nur äußerlich durch die kriteriologischen Erfordernisse der Kirchenleitung begründet, sondern auch durch eine innere wissenschaftstheoretische Notwendigkeit: Eine empirisch-geschichtlich gewonnene Ekklesiologie – dies gilt auch für eine im Anschluss an das Neue Testament oder Erkenntnissen der Reformation formulierte – ist „empirisches Auffassen, kein Wissen“.39 Wenn nun weiter feststeht: „Es wäre keine wissenschaftliche Theologie zu denken ohne ein solches Wissen um das Christenthum“,40 die Dogmatik bei Schleiermacher aber als historische Disziplin an die geschichtliche Erscheinung der christlichen Kirche gebunden ist, muss die vom Wissenschaftsbegriff geforderte begriffliche Wesensbestimmung auch von dieser Seite her einer besonderen Disziplin, eben der Philosophischen Theologie zufallen41. In der Philosophischen Theologie manifestiert sich darum die Wissenschaftlichkeit der Theologie; ihr obliegt es, die begriffliche Wesensbestimmung des Christentums so zu vollziehen, dass sie über pragmatisch-praktische Bedürfnisse der Kirche hinaus als allgemeingültige Darstellung zum Gegenstand des Wissens werden kann. Nur so ist möglich, dass sich fromme Gemeinschaften als notwendiges Element des menschlichen Geisteslebens begreifen lassen.42 Der Kirchlichkeit und der davon zu unterscheidenden Wissenschaftlichkeit der Theologie entsprechen bei Schleiermacher dann die diesen Prinzipien zugrundliegenden individuell-subjektiven Bedin-

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ThEnz, 40; zur Beschränkung der Prinzipienfrage hinsichtlich der christlichen Kirche vgl. PrTh, 22! Dabei erfüllen insbesondere die zwei Subdisziplinen der Philosophischen Theologie, die Apologetik und die Polemik, konkrete Bedürfnisse kirchlichen Handelns: erstere, indem sie den christlichen Wahrheitsanspruch argumentativ nach außen hin darlegt, letztere, indem sie nach innen hin die Kritik und Reinigung von Fehlentwicklungen ermöglicht (KD § 39f. (16f.), dazu M. RÖSSLER, Schleiermachers Programm, 147f.). ThEnz, 21. Der neutestamentlichen Exegese wird allerdings in der Hinsicht (!) zentrale Bedeutung beigemessen, dass sie den Anfang des Christentums bearbeitet, an welchem der „reine Begriff des Christentums dargestellt werden kann (KD § 84 Zus. (36)). ThEnz, 21. Die begriffliche Wesensbestimmung der Philosophischen Theologie ihrerseits kommt den anderen Disziplinen zur Hilfe. So erhält die historische Arbeit von ihr her ihre „leitenden Begriffe“ (KD § 252 Zus. (97), vgl. § 173 (66)), um zugleich die „Bewährung“ der Philosophischen Theologie zu sein (§ 27 (11)). KD § 22 (9).

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gungen: „religiöses“ bzw. „kirchliches Interesse“ und „wissenschaftlicher Geist“.43 Festhalten lässt sich: Die Theologie dient der Kirchenleitung insofern, als sie gerade durch die ihr eigentümliche Wissenschaftlichkeit dieser zur reineren Darstellung des Christentums verhilft.44 Eine dieser Wissenschaftlichkeit gemäße philosophisch-ethische Begriffsbestimmung gewährleistet zugleich die wissenschaftstheoretische Legitimation jenes theorieexternen Organisationsprinzips vor dem Forum der allgemeinen Wissenschaften.45 Gewann die altprotestantische Orthodoxie ihre Beurteilungsprinzipien von kirchlichem Denken und Handeln auf der Grundlage der traditionellreformatorischen Lehre von der Autorität der Schrift als göttliches Offenbarungswort, so findet Schleiermacher dieses Gegenüber in der Wesensbestimmung der Philosophischen Theologie.46 Diese tritt zwar nicht aus der Kirchlichkeit der Theologie heraus, wohl aber aus der Innenperspektive unmittelbarer Frömmigkeit und erbringt eine Reflexionsleistung „über dem Christentum“.47 Wie bereits erwähnt, kann für Schleiermacher eine Prinzipientheorie nicht mehr von der Heiligen Schrift als Funktion der höchsten normativen Instanz ausgehen. Denn würde man daran festhalten, wäre nicht nur die Kompatibilität mit dem neuzeitlichen Wissenschaftsverständnis gefährdet, es wäre vor allem auch der Allgemeinheit menschlichen Wissens nicht Rechnung getragen. Genau das aber erfüllt die Philosophische Theologie. Sie erreicht dabei ihr Ziel, das Wesen des Christentums und insbesondere die Bestimmung des christlichen Kirchenbegriffs zu ermöglichen, nicht auf spekulativem Weg (Apriori-Konstruk43 44

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KD § 9 (3f.) u. § 12 (5), dazu auch ThEnz, 11-14, und M. RÖSSLER, Schleiermachers Programm, 53ff. KD § 84 (36), § 263 (101) u. § 313 (120) sind dabei so zu interpretieren, dass die Handlungsvollzüge der Kirchenleitung, die Darstellungs- und Regelvollzüge der Theologie zufallen. Vgl. W. GRÄB, Humanität, 163. Vgl. H.-J. BIRKNER, Theologie und Philosophie, 176. Die Bedeutung der anderen Disziplinen wird damit nicht geschmälert. Für Schleiermacher ist nicht eine Disziplin als die eigentliche und die anderen als Hilfswissenschaften zu betrachten, auch die Rede von der „Priorität“ der Philosophischen Theologie wird abgelehnt (PrTh, 23). Ähnliches gilt hinsichtlich der Dogmatik, obschon auch ihr eine normative Funktion zur „Reinigung und Vervollkommnung der Lehre“ beigemessen wird (CG2 § 19 Zus. (I, 124). Denn auch die Exegese und die Kirchengeschichte leisten ihren eigenen Beitrag „für die Förderung und Leitung der Kirche“ (ebd., 125). Zur Beziehung untereinander vgl. auch oben, Fußnote 41. KD § 33 (14).

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tion erreichen geschichtlich Individuelles nicht), sondern durch das Verfahren einer kritischen Begriffsbildung.48 In diesem wird die geschichtlich-eigentümliche Erscheinung des Christentums in ein die allgemeine Notwendigkeit frommer Gemeinschaften begründendes Begriffsnetz eingestellt („subsumiert“).49 M. Schröder wies überzeugend nach, dass Schleiermacher damit – sich an Kants Zweistämmigkeit der Erkenntnis anlehnend – einer Theorie der historischen Begriffsbildung folgt, in welcher die allgemeine Religionstheorie methodisch als deduktiv-konstruktiver Begriffsrahmen fungiert und damit nur ein Moment der Definitionsprozesses darstellt. Den Zielpunkt stellt das zweite Moment, die induktive Bestimmung des spezifischchristlich Individuellen dar.50 Dieses Vorgehen hat wissenschaftstheoretische Folgen, welche für das Verhältnis der Philosophischen Theologie zur Kirchlichkeit der Theologie insgesamt von Bedeutung sind: Die wissenschaftliche Einordnung des Christentums in den Rahmen einer allgemeinen Religionstheorie erfordert zunächst eine Standortversetzung „über dem Christentum“ und eine Ausklammerung des christlichen Wahrheitsanspruchs.51 Wie aus einer Vorlesungsnachschrift zu entnehmen ist, kann Schleiermacher diesen Sachverhalt mit dem eines Staatsbürgers vergleichen, welcher, um an der Staatsführung teilzunehmen, neben seiner eigenen unmittelbaren und unveräußerlichen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat auch einer begrifflichen Erfassung des Staatswesens bedarf. Dazu hat dieser ebenfalls den Standpunkt innerhalb eines Staates zu verlassen und einen Standpunkt außerhalb dessen einzunehmen.52 Im Blick auf die Theologie bedeutet dies, dass der erforderliche Perspektivwechsel nicht dem Standpunkt des Dogmatikers widerspricht, für welchen die interne Perspektive und darum auch die Überzeugung von der „ausschließenden Vortrefflichkeit“ des Christentums konstitutiv ist.53 Im Gegenteil: Beide Perspektiven stehen in einem Wechselverhältnis zueinander, welches sich nicht nur darin ausdrückt, dass die Historische Theologie und damit auch die Dogmatik auf begriffliche Bestimmungen angewiesen ist, sondern auch darin, dass die kritische Begriffsbestimmung der Philosophischen Theologie zunächst hypothetischen Charakter hat und sich an der Darstellung der Histori48 49 50 51 52 53

CG2 § 2,2 (I, 12f.); auch KD § 24 (9f.) u. PrTh, 22. KD § 44 (19). M. SCHRÖDER, Identität, 46ff. KD § 33 (14); CG2 § 7.3 (50f.) u. § 11.5 (I, 82f.). Es handelt sich um die Nachschrift einer Enzyklopädievorlesung von Jonas aus dem Jahre 1816/17; dazu: M. RÖSSLER, Schleiermachers Programm, 108-113. Vgl. CG2 § 7.3. (50f.) u. H.-J. BIRKNER, Schleiermachers Christliche Sittenlehre, 62.

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schen Theologie, insbesondere der gegenwartsbezogenen Darstellung der Dogmatischen Theologie zu bewähren hat.54 Die damit benannte Angewiesenheit der Philosophischen Theologie ist bereits im Begriffsbildungsverfahren selbst angelegt, nämlich in der induktiven Bestimmung der Eigentümlichkeit des Christentums: Diese kann, als sogenanntes äußeres und inneres Individuationsmerkmal gefasst, nur aus der internen Selbstaussage, sprich dem „Glauben an Jesum als den Erlöser“ gewonnen werden.55 Präziser gesagt: Das innere Individuationsmerkmal, das Erlösungsbewusstsein der Glaubenden (eine „vollkommen innerliche[...] Tatsache“) geht auf das äußere der historischen „Grundtatsache“ („Offenbarung“ im religionsphilosophischen Sinn)56, in diesem Fall dem Ursprung und der Realisierung der Erlösung in Jesus von Nazareth zurück.57 Genau dieser Wirkungszusammenhang, mit dem Ausdruck „Glaube an Christum“ bezeichnet an sich der historischen Wahrnehmbarkeit entzogen, macht aber das Wesen der christlichen Verkündigung aus, an welcher die Dogmatik ihre normative Aufgabe hat.58 Die Philosophische Theologie hat daher letztlich „auf die Kirche als eine bestimmt begrenzte Gemeinschaft“ zurückzugehen.59 Sie bleibt an das Sprachlichwerden des Glaubens („Zeugnis“) verwiesen und könnte anders der Bewährungsforderung nicht genügen.60 Man wird die fundamentaltheologische Bedeutung der Philosophischen Theologie des reifen Schleiermacher darin zusammenfassen dürfen, dass sie gewissermaßen als internalisierte Außenperspektive der Theologie „Wissenschaftlichkeit“ und „Kirchlichkeit“ in einer bestimmten Weise aufeinander bezieht und somit mehrere Leistungen zugleich 54 55 56

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KD § 27. 196. 254 (11. 75. 98). CG2 § 14 (I, 94). Ebd., § 14.1 (I, 95); § 10 Zus. (I, 71ff.) erläutert diesen allgemeinen Offenbarungsbegriff. Dieser besitzt die grundsätzliche Struktur, dass er eine göttliche Kausalität für jene unbedingte Grundtatsache in Anspruch nimmt. Es handelt sich allerdings um einen Anspruch, welcher von einem der jeweiligen frommen Gemeinschaft Außenstehenden nicht anerkannt werden muss (ebd., 73). CG2 § 11.3 (I, 79). Schleiermacher räumt ein, dass die Fokussierung auf den spezifisch christlichen Begriff der Erlösung schon an dieser Stelle seiner Absicht entgegen steht, von einem überparteilichen Minimalkonsens auszugehen: Zweites Sendschreiben, KGA I/10, 358f. Zur Anknüpfungsmöglichkeit an Semler: G. HORNIG, Schleiermacher und Semler, 892-894. Ebd., § 14.1 (I, 95f.) u. § 19.1 (I, 119). Zur Normativität der Dogmatik: KD § 198 (76). KGA I/12, 223,3f. Vgl. oben, Fußnote 41. Dieser Zusammenhang ist nicht hinreichend berücksichtigt, wenn behauptet wird: „Indem das religiöse Gefühl als Abhängigkeitsgefühl nicht das Gefühl von bestimmten Inhalten ist, sondern sich allein auf das sich gegebene Dasein des Selbstbewußtseins bezieht, entzieht es sich der Kontrollier- und Überprüfbarkeit.“ (F. WAGNER, Theologie im Banne, 941).

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erbringt: Ohne die in der Christusprädikation inhaltlich gegebene interne Glaubensperspektive der christlichen Kirche zu ignorieren, sondern sie in ihrer Eigenständigkeit vorauszusetzen, kommt es zum Anschluss an einen allgemeinen Wissenschaftsbegriff. Dieser ermöglicht es, das konstitutive Wesen des christlichen Glaubens ohne funktionale Verkürzungen nach außen auch einem „Unchristen“ zu vermitteln („Apologetik“).61 Die gewonnene Wesensbestimmung stellt aber zugleich, nach innen, das (christologische) Konstruktionsprinzip62 der Dogmatik und die für die Kirchenleitung erforderlichen Kriterien und Begrifflichkeiten bereit, die diese zur Reinigung von Krankhaftem, insbesondere von „Ketzerischem“, bedarf („Polemik“).63 Auf dem Hintergrund eines Gleichgewichts in der systematischen Verschränkung von Spekulativem und Empirischem, von begrifflich Allgemeinem und geschichtlich Gegebenem lassen sich verschiedene Typen in der Rezeption der Schleiermacherschen Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche verdeutlichen. Das Interpretationsspektrum reicht von einer Entschränkung der kirchlichen Theologie zu einer allgemeinen Religions- und Christentumstheorie bis zu einer Verkirchlichung der Theologie. Einem methodischen Primat der deduktiv-begrifflich gewonnenen Religionstheorie auf der einen Seite, einem Primat der induktivgeschichtlichen Erhebung des Individuellen auf der anderen Seite oder schließlich einer Vermittlung beider zu folgen, führt bis in die Gegenwart zu unterschiedlichen Schleiermacherinterpretationen.64 An dieser Stelle sollen lediglich die Konsequenzen für die Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche in Augenschein genommen werden. Wie bereits erwähnt, ist Schleiermacher um der Wissenschaftlichkeit der Theologie willen darauf bedacht, die Erscheinung der Religion und 61 62 63 64

Zweites Sendschreiben, KGA I/10, 374,7-10; vgl. CG2 § 11.5 (I, 83). Vgl. M. SCHRÖDER, Identität, 55ff. KD § 58 (259) u. CG2 § 21 (I, 127-129). Ohne deren Differenziertheit im Einzelnen zu missachten, seien als neuere Beispiele für das erstere die Deutungen von M. Junker und Ch. Albrecht, für das zweite die Deutungen von D. Offermann, A. Weirich und Ch. Dinkel genannt. Das Gleichgewicht zu beachten versuchen M. Rössler und M. Schröder. Dieser Sachverhalt ist hier nicht zu diskutieren; die folgende Deutung versucht sich an letztere zu halten. Es ist offensichtlich, dass der genannte Sachverhalt damit zusammenhängt, ob als Ausgangspunkt der Interpretation der frühe oder der späte Schleiermacher gewählt wird; er fällt mit dieser Unterscheidung aber nicht zusammen. – Es sei außerdem darauf verwiesen, dass die Entschränkung zu einer allgemeinen Religions- oder Christentumstheorie sich zwar zunächst an die Betonung des spekulativen Moments anschließt (Rothe), später aber durchaus auch an die Betonung des empirischen Moments (Troeltsch, Rendtorff).

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damit die geschichtlich gegebene Erscheinung der Kirche in ein konstruktiv ermitteltes Begriffsnetz einzustellen. Denn nur auf eine solche Weise kann die Kirche – als Gemeinschaft der wechselseitigen Mitteilung und des individuellen Symbolisierens gefasst – als notwendiges Element der menschlichen Entwicklung erwiesen werden. Aufgrund dieser Angewiesenheit auf ein allgemeines Begriffsnetz hat Schleiermachers Kirchenbegriff seinen Ort zunächst in der philosophischen Ethik bzw. in der Glaubenslehre in den Lehnsätzen aus der Ethik. Die spezifisch christliche Ekklesiologie ist davon zu unterscheiden, aber nicht zu trennen, insofern sie als besondere Form des allgemeinen Kommunikationsmodells erscheint. Auf der anderen Seite ist von einer Angewiesenheit auf die begrenztpartikulare Organisation der Kirche zu reden. Diese betrifft nicht nur die Theologie insgesamt, insofern dieser die Steuerungsfunktion einer Organisation zukommt. Sie betrifft auch und gerade die durch wissenschaftliche Begriffsbestimmungen sich auszeichnende Philosophische Theologie, insofern diese auf eine geschichtliche Verkündigungsgestalt zurückzugehen hat. Damit erhebt sich die für die vorliegende Fragestellung bedeutsame Frage, wie sich die der Dogmatik zugrundeliegende und damit in die Philosophische Theologie selbst hineintretende Begrenzung zur Offenheit eines ekklesiologischen Modells verhält, welchem im Anschluss an eine allgemeine Religions- und Kommunikationstheorie eine universale Tendenz eigen ist. Eine Antwort darauf kann von Schleiermachers eigener Verhältnisbestimmung ausgehen, wie dieser sie in der Zuordnung des ethischen (prinzipiell offenen) Kirchenbegriffs der Lehnsätze zum dogmatisch explizierten Kirchenverständnis seiner Glaubenslehre vornimmt. In § 6 wird die Notwendigkeit eines religiösen Organismus auf der Ebene einer allgemein-ethischen Betrachtung erwiesen.65 Interessanterweise bleibt in dieser Perspektive offen, ob sich eine solche Gemeinschaft „ungleichmäßig fließend“ oder „bestimmt begrenzt“, nämlich als Kirche gestaltet. Die Lehnsätze aus der Ethik sind zur näheren Erfassung des Kirchenbegriffs dazu an die empirische Sozialgestalt gewiesen.66 Von ihr aus lässt sich eine Begrenzung dann nachweisen.67 Be65 66 67

CG2 § 6 (I, 41); vgl. Ethik (1812/13) § 199. 212 (119. 122). CG2 § 6.4 (I, 44): „wirkliche[r] Zustand“. Ebd., (45): „[…] so dass irgendwie zu bestimmter Anerkennung gebracht werden kann, welcher Einzelne dazugehört und welcher nicht […]“ Diese Begrenzung wird auch von T. RENDTORFF diskutiert und festgestellt, dass von einer freien Religion bei Schleiermacher nur in der Ethik geredet werde (ders., Kirche und Theologie, 152f.). Rendtorff meint aber, dass die Begrenztheit lediglich als Folge des Theologiebegriffs anzusprechen sei, welcher auf eine spezifisch christliche Frömmigkeit zurückgeht –

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währt und zugleich gemäß seinem christlichen Inhalt expliziert wird diese Begrenzung dann innerhalb der eigentlichen Dogmatik: Selbst als Gestalt der Welt zu begreifen, steht die Kirche im Gegensatz zur Welt („negative[r] Ausdruck“).68 Was dabei als Kirche zu gelten hat, kann nicht via negationis aus dem negativen Weltbegriff abgeleitet werden,69 sondern umgekehrt: Das von Christus ausgehende Gesamtleben macht das sich selbst immer gleichbleibende Wesen der Kirche aus, welche die Welt erst als Ort des sündigen Gesamtlebens erscheinen lässt. Für Schleiermacher hängt es darum von der Christologie ab, wie stark dieser Gegensatz bestimmt wird.70 Er selbst lässt keinen Zweifel daran, dass er aufgrund seiner Auffassung von der Würde Christi und seiner Erlösungstat für eine starke Fassung des Gegensatzes von Kirche und Welt, zwischen christlich Frommen und Weltgesinnten eintritt und diesen Gegensatz zum Wesentlichen des Christentums zählt.71 Entscheidend ist dabei nun allerdings, dass dieser Gegensatz nicht mit der empirisch begrenzten Sozialgestalt von § 6 zusammenfällt – insofern nämlich der Gegensatz von Kirche und Welt als Gegensatz von Geist und Fleisch die individuelle Existenz wie die gesamte Kirche durchzieht und einer bedeutsamen Dynamik unterliegt.72 Genau diese Dynamik gibt nun auch der prinzipiellen Offenheit des allgemeinethischen Modells von Kirche ihren spezifisch christlichen Inhalt: Die kirchlichen Handlungs- und Kommunikationsvollzüge – sie stellen als „wesentliche[...] und unveränderliche[...] Grundzüge der Kirche“ die Fortsetzung der Tätigkeit Christi und zugleich die identitätswahrenden notae ecclesiae dar73 – bewirken, dass sowohl in der individuellen Existenz wie in der Kirche die ihr entgegengesetzte Welt immer mehr ab-

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während die Bindung der Theologie an die Ethik den Blick für andere geschichtlich gegebene Dimensionen von Religion offen halte (ebd., 153. 166f.). CG2 § 113.2f. (II, 209f.), positiv betrachtet ist die Kirche die gestaltgewordene Erlösung in der Welt; zu den unterschiedlichen Begriffen für „Welt“ und zum Folgenden vgl. W. CHRISTE, Kirche und Welt, 83ff. CG2 § 126.1 (II, 274): „eine ebensosehr zum Separatismus als zur gesetzlichen Gerechtigkeit hinneigende Ansicht“. Ebd., § 113.3 (II, 210). So die Einleitung zu seiner Predigtsammlung, SW II,1, 11f. CG2 § 114.1 (II, 211). Diese Betrachtungsweise führt Schleiermacher zur Modifikation der traditionellen Lehre von der sichtbaren und unsichtbaren Kirche: ebd., § 148 (II, 384-387); dazu M. OHST, Schleiermacher und die Bekenntnisschriften, 219f. CG2 § 127 Überschr. (II, 278). Die sichtbare Kirche ist aufgrund ihres Zusammenseins mit der Welt dem Wandel unterworfen. Das immer gleich bleibende Wirken des Heiligen Geistes äußert sich dabei allerdings in folgenden, durch alle Veränderungen hindurch gleich bleibenden Grundzügen der Kirche: Zeugnis von Christus in der Heiligen Schrift und im Dienst am Wort, Taufe, Abendmahl, Amt der Schlüssel und Gebet im Namen Jesu.

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nimmt. Sie zielen auf „die fortschreitende Verwirklichung der Erlösung in der Welt“.74 Man wird von daher sagen dürfen: Der reife Schleiermacher rechnet mit einer universalen Realisierung des Christentums und darin einer Vollendung der Humanität,75 welcher einer durch das christologische Prinzip und den daraus resultierenden institutionellen Handlungsvollzügen gegebenen Selbstbegrenzung der Kirche nicht entgegensteht, sondern auf diese bezogen bleibt, sie geradezu voraussetzt. Durch diese Handlungsvollzüge erweist sich das Christentum als eine geschichtliche Macht der Welt- und Kulturdurchdringung.76 Die Reflexion darüber, inwiefern die Vorstellung des Christentums als Vollendung der Humanität mit einer optimistischen Einschätzung der Kulturentwicklung einhergehen kann, eröffnet den Raum für spezifisch „kulturprotestantische“77 Optionen.

1.1.2. Richard Rothe und Theodor Kliefoth In welcher extremen Weise die Zuordnung von Begrifflich-Spekulativem und Geschichtlich-Gegebenem in der Folgezeit auseinander treten konnte, lässt sich an den Konzeptionen von R. Rothe (1799-1867) als einem Vertreter der spekulativ-kulturprotestantischen Vermittlungstheologie und seinem Gegenüber, T. Kliefoth (1810-1895) als ei-

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Ebd., § 127.3 (II, 283); vgl. § 113.4 (II, 211). Vgl. H.-J. BIRKNER, Schleiermachers Christliche Sittenlehre, 90f. CG2 § 126.1 (II, 276); auch § 113.4 (II, 211). Dabei ist der differenzierte Zusammenhang von wahrer Kirche und empirisch-geschichtlicher Sozialgestalt im Auge zu behalten: Dass die Erlösertätigkeit durch die Kirche in der Menschheit auf universale Realisierung hin wirksam ist, kann nicht auf die empirisch-geschichtliche Institution Kirche zusammengezogen werden. Sie vollzieht sich aber durch die genannten Handlungsvollzüge, in welchen das Wirken des Geistes aus der Verborgenheit der unsichtbaren Kirche heraustritt und institutionell fassbar wird. Hinsichtlich dieser Handlungsvollzüge hält Schleiermacher fest: „Die in den Lehrstücken der ersten Hälfte behandelten Institutionen sind nun die vorzüglichsten Organe der unsichtbaren Kirche und repräsentieren am meisten die Kräfte derselben in der sichtbaren“ (ebd., § 148 (II, 387)). Zur Differenzierung von „Christianisierung der Welt“ und „Kirchewerdung der Menschheit“: W. CHRISTE, Kirche und Welt. Er sieht m.E. zu Recht bei Schleiermacher die Überzeugung wirksam, „daß es gerade um der Vollendung der Kultur, also um des Wirtschafts- und Staatslebens, der Wissenschaft und der freien Geselligkeit willen eine davon unterschiedene Kirche samt der ihr eigenen geistlichen Kommunikationspraxis (Gottesdienst) geben muß. Gerade um der Kultur willen darf sich die Kirche nicht in diese [...] auflösen“ (ebd., 239; vgl. auch 230). Zum Begriff vgl. den instruktiven Überblick von F.W. GRAF, Kulturprotestantismus, 21-77!

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nem Vertreter des lutherischen Konfessionalismus, ersehen. Beide Theologen hatten bei Schleiermacher studiert und beriefen sich zum Teil ausdrücklich auf ihn. Unübersehbar ist allerdings, dass bei ersterem die Rezeption dem Moment der (spekulativen) Wissenschaftlichkeit, bei letzterem die Rezeption dem Moment einer (positiven) Kirchlichkeit folgt. Insofern in der Gegenwart auf Grundansichten von R. Rothe vermehrt zurückgegriffen wird, um einen freien Protestantismus bzw. die „Vision eines kirchenfreien, ethischen Zeitalters des modernen Christentums“ zu plausibilisieren (T. Rendtorff, V. Drehsen),78 sind diese für die vorliegende Arbeit von größerer Bedeutung. R. Rothe ist vor allem durch seine Auflösungs- und Transformationstheorie bekannt geworden, der zufolge die Phase der Kirche lediglich ein Durchgangsstadium des modernen Protestantismus auf seinem Weg zu einem sittlich-religiösen Kulturstaat darstellt. Doch diese „äußerste [...] Zuspitzung der neuprotestantischen Kirchenidee“79 geht mit einer spezifischen Fassung des Theologie- und Wissenschaftsbegriffs einher, von der sie schwerlich gelöst werden kann.80 Soll Theologie eine Wissenschaft sein, hat deren Grundlegung wissenschaftlich zu erfolgen – und das heißt für Rothe: im Rahmen eines spekulativen Systems.81 Erbracht wird dieses von einer theologischen Ethik, welche von der historisch-kritischen Disziplin einer auf positivkirchliche Lehre bezogenen Dogmatik streng zu unterscheiden ist. Die Ethik bildet einen Organismus an Begrifflichkeiten mit wissenschaftlichem Charakter aus, auf deren Voraussetzung dann die nichtspekulative Dogmatik in der Entfaltung der Lehre zurückzugreifen

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V. DREHSEN, Vision, 201-218; vgl. schon: ders., Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 288-348. In der Bezugnahme von T. RENDTORFF (z.B. ders., „Weltgeschichtliches Christentum“, 1-19) ist schon von dessen Schleiermacherinterpretation her (s.o. Anm. 67) eine gewisse Folgerichtigkeit festzustellen: Die Begründung eines kirchenfreien Religionsbegriffs erfolgt auf der Basis von Schleiermachers spekulativethischer Grundlegung – ebendiese wird von Rothe weitergeführt. E. HIRSCH, Geschichte V, 168f. Dazu H.-J. BIRKNER, Spekulation und Heilsgeschichte; F. WAGNER, Theologische Universalintergration, 270ff.; M. HEESCH, Transzendentale Theorie. Ein Blick in die Biographe (vgl. F.W. GRAF, „Rothe“, 759-823; grundlegend immer noch: A. HAUSRATH, Richard Rothe, 2 Bde.) zeigt, dass der junge Rothe weniger von F. Schleiermacher als vielmehr von C. Daub und G.W.F. Hegel bleibende Eindrücke empfing. Ursprünglich der Erweckungsbewegung nahestehend, führte die Begegnung mit dem preußischen Gesandten in Rom, Ch.C.F. Bunsen, zum entscheidenden Anstoß für seine universalgeschichtliche Betrachtung des Protestantismus. Die kindliche Frömmigkeit, zu der sich Rothe immer wieder bekannte, verhalf ihm dazu, trotz ihrer äußerst unterschiedlichen theologischen Entwicklungen die Freundschaft mit F.A.G. Tholuck zu bewahren. R. ROTHE, Zur Dogmatik, 16; ders., Theologische Encyclopädie, 10f.

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hat.82 Anders als Schleiermachers Rückgriff auf eine philosophische Ethik bzw. auf ein allgemein-menschliches Abhängigkeitsgefühl geht Rothes spekulativ-theologische Ethik positionell vom schon im frommen Gefühl gesetzten Gottesbewusstsein aus.83 Von daher soll seine „Theologische Ethik“ nicht Philosophie sein, sondern „Theosophie“.84 Sie will den Gottesgedanken wirklich denken, in mathematischer Verfahrensweise mit den daraus sich ergebenden Begriffen „rechnen“ und so aus sich selbst heraus zum organischen Ganzen des spekulativen Systems gelangen.85 In seiner Funktion, den einfachen Gottesgedanken mithilfe eines theosophisch-spekulativen Begriffssystems in das Systemganze einer wohl konstruierten Integrationsgestalt zu überführen,86 verbleibt Ro82

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Zur Dogmatik, 16: „Eine speculative Disciplin ist also die Dogmatik durchaus nicht. Sie kann freilich ohne den Besitz eines speculativen Systems ihr Geschäft nicht vollziehen, – sie setzt freilich ein solches – und zwar ein selbständig theologisches – nothwendig voraus als eines von den ihr unentbehrlichen Instrumenten; denn sie bedarf schlechterdings fest bestimmter Begriffe, wenn sie erfolgreich arbeiten, wenn sie der wissenschaftlichen Haltung nicht entbehren will [...]; woher sonst aber sie solche Begriffe soll entnehmen können, wenn nicht aus einem speculativen Systeme, das läß sich gar nicht absehen.“ Vgl. auch: Theologische Ethik I, 62. Theologische Ethik I, VIII. XVI und v.a. 34f.: Die theologische Spekulation nimmt vom Gottesbewusstsein und dem damit gesetzten Gottesgedanken ihren Ausgangspunkt, um dann a priori (!) das ganze System zu konstruieren, während eine davon zu unterscheidende philosophische Spekulation vom Ichbewusstsein ausgehend auf gleichem Wege verfährt. Die Innenperspektive wird also nicht verlassen, so dass Rothe in supranaturalistischer Unbekümmertheit vom subjektiven Gottesbewußtsein auf die Offenbarung als einer „äußere[n] Objectivität“ (Zur Dogmatik, 3; vgl. Theologische Ethik I, 37) zurückschließen kann. Die Selbstoffenbarung Gottes stellt dabei ein übernatürliches äußeres Geschehen dar, eine „Manifestation“, welche erst durch ein dieser entsprechendes subjektives Moment, eine „Inspiration“, für den Menschen verständlich wird (Zur Dogmatik, 61-69). M. Kähler – selbst ein Schüler Rothes – wird beide Momente unter dem Begriff des Wortes Gottes zusammenfassen und damit K. Barths Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes vorbereiten (vgl. W. PANNENBERG, Systematische Theologie I, 246-248). Zur Dogmatik, 35; Theologische Ethik I, VIII. Ebd., XIX u. 6-8. Mit J.G. Fichte will Rothe „die Möglichkeit für das menschliche Denken, aus sich selbst heraus, also a priori, den Gedanken der Welt zu entwickeln, darin begründet finden, daß im Menschen (als dem Mikrokosmus) alle vorhergehenden Stufen der irdischen Kreatur einheitlich zusammenfasst sind“ (ebd., 8). Als Bestreiter einer solchen Möglichkeit zur Spekulation benennt Rothe nur A. Trendelenburg, J. Müller und J. Frauenstädt, nicht F. Schleiermacher. Zum Verfahren und seiner identitätstheoretischen Prämisse weiter: M. HEESCH, Transzendentale Theorie, 96ff.; zu ihrem Zusammenhang mit der vorkritischen Metaphysik: ebd., 138ff. Mit dieser Funktionsbestimmung antwortet Rothe auch auf den Vorwurf, er „anatomisire den lieben Gott wie einen Frosch“ (Theologische Ethik I, VIIf.): Er sieht sich nämlich in der Pflicht, „daß er seinen Gottesgedanken auch wirklich denke, mit aller Schärfe und Genauigkeit, die er nur immer erschwingen kann, daß er ihn gleich einem Anatomen analysire mit den einschneidensten Instrumenten, mit dem Mikro-

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thes Konzeption, wenn auch mit ganz anderer Zielsetzung als die Entwürfe der konfessionellen Theologen, im Rahmen eines positionellexplikativen Theologiebegriffs. War Schleiermacher in seiner Philosophischen Theologie mithilfe seines kritischen Begriffsbildungsverfahrens noch zu einem normativen Gegenüber in Form einer Wesensbestimmung des Christentums gelangt, so wird bei Rothe die theologischethische Theoriekonstruktion – getragen von der Absicht, dem Christentum zu Selbstbewusstsein und Gegenwartsorientierung zu verhelfen – zur Legitimationsinstanz einer spezifischen Wirklichkeitswahrnehmung des neuzeitlichen Christentums. Ihre Bewährung findet sie allein schon darin, dass sich die gegebene „Wirklichkeit“ in die aus dem Gottesgedanken deduzierte teleologische Geschichtsmetaphysik als einer begrifflichen Rekonstruktion der Heilsgeschichte einordnen bzw. von ihr her erschließen lässt.87 Zur Näherbestimmung dieses Ansatzes müssen einige Hinweise genügen: Zunächst lässt sich die Differenz zum kritischen Begriffsbildungsverfahren Schleiermachers vor allem in § 4 der Theologischen Ethik greifen. Die Spekulation wird hier als Experiment bezeichnet, das sich an der „empirischen Wirklichkeit“ (dazu zählt für Rothe auch Gott!) sowie an der Heiligen Schrift zu bewähren habe – diese Bewährung, das ist nun entscheidend, betrifft allerdings nicht die Begriffsbildung an sich, sondern ausdrücklich erst das abgeschlossene, auf spekulativem Wege konstruierte System.88 Denn während der völlig apriorischen Systemerzeugung schließt der spekulierende Theologe „sein Auge nach außenhin schlechthin, und schaut nur in sich selbst hinein“.89 Treten dann aber im Kontrollvorgang Divergenzen zwischen spekulativer Konstruktion und geschichtlicher Wirklichkeit bzw. Heiliger Schrift auf, muss das gesamte System verworfen und wieder von neuem begonnen werden – es sei denn, das christliche Bewusstsein selbst fordere die Divergenz als lediglich „abnormales“ Element in das System zu integrieren. Letzteres bringt Rothe für die „unumstößlich gewisse Erfah-

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skop der feinsten Dialektik und dem Secirmesser der eindringendsten Logik. Und zwar fordere ich das von ihm eben im Namen der Frömmigkeit selbst. Denn ich weiß es nicht anders, als daß Gott obenhin denken unfromm ist. Und gerade mein Begriff von Gott was ist er denn anderes als die wissenschaftliche Rekonstruktion der allereinfachsten christlichen Kindervorstellung von ihm?“ Ebd., 20; weiter: H.-J. BIRKNER, Spekulation und Heilsgeschichte, 36f. 105. Theologische Ethik I, 19. 23. Die Bewährung an der empirischen Wirklichkeit und die Bewährung an der Heiligen Schrift wird bis in die Einzelheiten von Formulierungen hinein analog formuliert: Theologische Encyclopädie, 20f. Theologische Ethik I, 19. M. HEESCH, Transzendentale Theorie, 250f., will allerdings von einer „aposteriorischen Spekulation“ sprechen, insofern das spekulative Denken duch die Normalisierung im moralischen Prozess (z.B. das bekehrte Subjekt des Denkens) bedingt ist. Der eigentliche Mangel liegt bei Rothe dann darin, diese Geschichtsgebundenheit seiner Spekulation nicht thematisiert zu haben (ebd., 251f.).

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rungsthatsache“ der Sünde in Anschlag, welche den „bisher konstruirte[n] normale[n] Verlauf des sittlichen Processes“ durchbreche.90 Wenn neuerdings auf die ethische Gegenwartsanalyse Rothes zurückgegriffen wird, insofern in ihr der moderne Relevanzverlust partikularer Kirchlichkeit, die Spannung zwischen Institution und Individualisierung etc. präfiguriert seien91, so ist der hier nur grob skizzierte systematische Rahmen zu beachten, „in dessen Angeln Rothes Analyse der ihm gegenwärtigen Situation hängt.“92 Es ist dies ein idealistisches Wissenschaftsverständnis, welches von der Grundüberzeugung getragen ist, das Wirkliche als Vernünftiges explizieren, und das heißt: auch in seiner Entwicklung zum Ganzen prognostizieren zu können. Theologie und Kirche sind darum immer schon transitorisch Theologie und Kirche im Übergang, deren Handlungs- und Kritikmotive sich nicht aus der geschichtlichen Wirklichkeit gegenüber externen Beurteilungsprinzipien, sondern aus der Übereinstimmung oder Differenz zu der mit begrifflicher Notwendigkeit prognostizierten zukünftigen Entwicklung (in diesem Fall: der Christentumsgeschichte) ergeben.93 Für Rothe ist diese Grundlegung deshalb ganz unproblematisch, weil sie mit seiner religiösen Überzeugung einer göttlich geführten Heilsgeschichte zusammenfällt: Christentumsgeschichte ist Heilsgeschichte.94 Sie deckt sich

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Theologische Ethik III, 1f. Die wissenschaftliche Bewährungsforderung ist von der eigentlichen Dogmenkritik unterschieden. Beide überschneiden sich aber insofern, als jedes Dogma sich nicht nur durch die Übereinstimmung mit der Schrift und dem religiösen Bewusstsein, sondern auch durch die Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Spekulation auszuweisen hat. Im Falle einer Divergenz hat die Besserung von letzterer auszugehen: Zur Dogmatik, 46-50. Beispielhaft dafür: V. DREHSEN, Vision, 205ff. So zu Recht D. HOFFMANN-AXTHELM, Freundlichkeit, 322; vgl. schon H.-J. BIRKNER, Spekulation und Heilsgeschichte, 49. 97. 106. Denn nur so lässt sich die auch von Drehsen postulierte Unumkehrbarkeit des geschichtlichen Prozesses erklären. Es bedarf dazu einer teleologischen Geschichtsmetaphysik. Ebenso: F. WAGNER, „Rothe“, 439. In der früheren Darstellung von V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 298-301, wird im Anschluss an die Arbeit von H.-J. Birkner der Zusammenhang von Spekulation und Gegenwartswahrnehmung gesehen, aber nur hinsichtlich seines Ertrags für letztere erörtert. In der Auseinandersetzung mit D. HoffmannAxthelm (ebd., 344-346) wird so übersehen, dass dieser mit seiner These der Kontamination der Theorie durch die Praxis eine wissenschaftstheoretisch-grundsätzliche Kritik des Zusammenhangs vorgenommen hatte. Insofern wird der prognostizierten Zukunft des Christentums normativer Charakter zugemessen. Zum Weiteren H.-J. BIRKNER, Spekulation und Heilsgeschichte, 13. 30f., vgl. auch H. THIELICKE, Glaube und Denken, 445; CH. ALBRECHT, Versöhnung, 40. Ein schönes Beispiel für diese Zuversicht Rothes findet sich in: Theologische Ethik III, 382: Die Erlösung sei unbedingt als geschichtliche Wirksamkeit des erlösenden Prinzips, also als „im Erlösungsprozesse begriffene Menschheit“ zu denken: „Wäre die christliche Gemeinschaft nicht in der That auf dem direkten – wenn gleich noch sehr in sich verschlungenen – Wege zu diesem Ziele begriffen, so wäre die geschichtliche Wirksamkeit der Erlösung in Christo überhaupt, und folglich auch diese letztere selbst ein bloßer Schein.“

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außerdem mit seiner Protestantismusdeutung, welche in der permanenten Umbildung und Ablösung der historischen Zustandsformen das funktionale Spezifikum des (sittlich bestimmten) Protestantismus erblickt.95

Die göttliche Zwecksetzung der Wirklichkeit ergibt sich schon aus dem teleologischen Verständnis des Gottesgedankens und vollends aus der teleologischen Fassung des erlösenden Prinzips. Im Verlauf des Schöpfungsprozesses geht zunächst die Realisierung des göttlichen Endzwecks als moralische Aufgabe auf den Menschen über.96 Die durch die Geschichte hindurch sich verwirklichende Zwecksetzung differenziert sich in ein sittliches und ein religiöses Moment. Konvergieren beide in der Einheit eines sittlich-religiösen Kulturstaates, so hat aufgrund der Sünde diese Entwicklung vom religiösen Moment, für Rothe notwendig von der Kirche auszugehen. In ihr realisiert sich die Macht der Erlösung geschichtlich, während der Staat anfangs dafür noch unempfänglich war, ja sich als Reich des Bösen gebärdete.97 Die christlich-sittliche Durchdringung von Staat und Kultur hob darum mit der kirchlichen Form an, ist daran aber nicht gebunden. Im Gegenteil: Sie findet ihre eigene Zweckerfüllung nur in der Einheit von sittlicher und religiöser Bestimmtheit, im „vollendete[n] christliche[n] Staat“.98 Die Kirche ist dabei selbst das Mittel zur Christianisierung des Staates, welches sich selbst mit dessen zunehmender Realisierung der „Wiederaufhebung“, d.h. der „Umbildung“ in die staatliche Form übergibt.99 Die Lage des für Rothe gegenwärtigen Protestantismus ist bereits durch diese Umbildung charakterisiert, dadurch, dass „das kirchliche Stadium der geschichtlichen Entwickelung des Christenthums vorüber ist, und der christliche Geist bereits in sein sittliches, d.h. politisches Lebensalter eingetreten ist“.100 Mit dieser spekulativen Fassung einer Umbildungstheorie unternimmt es Rothe, den Bedeutungsverlust der Kirche und die fortgeschrittene Säkularisierung nicht zu ignorieren, sondern sie in seine Geschichtsmetaphysik aufzunehmen und so ihre entwicklungsge-

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Vgl. CH. ALBRECHT, Historische Kulturwissenschaft, 148ff. Theologische Ethik I, 382. Ebd. III, 179. Ebd., 181. Ebd. Rothe verwirft die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche. Im Blick ist immer die empirische Sozialgestalt: H.-J. BIRKNER, Spekulation und Heilsgeschichte, 71. 100 Theologische Ethik V, 397: Der Relevanzverlust der Kirche sei deshalb nicht zu beklagen, denn „das Christentum will eben seinem innersten Wesen nach über die Kirche hinaus [...] Es geht wesentlich darauf aus, sich immer vollständiger zu verweltlichen.“ (Hervorheb. von H.-M. R.)

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schichtliche Legitimität nachzuweisen.101 Die Säkularisation wird als notwendiges Element in die Interpretation der Heilsgeschichte integriert; die Kulturzuwendung des modernen Protestantismus bedeutet nicht dessen Selbstpreisgabe, sondern erfüllt dessen genuine Funktion.102 Mit Fichte ist Rothe davon überzeugt, dass die Reformation die prinzipielle Aufhebung der Kirche intendierte, sie ist der „entscheidende Wendepunkt, mit welchem das Christenthum seine kirchengeschichtliche Periode durchbricht und in seine politisch-geschichtliche hinüber schreitet“.103 Auf dem Hintergrund seiner spekulativ-theologischen Grundlegung104 werden die gegenwärtigen Aufgaben von Theologie und Kirche in seiner „Pflichtenlehre“ (besonders in den „Kirchenpflichten“) entfal101 Vgl. CH. ALBRECHT, Versöhnung, 40. Die kritische Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit aus einer qualitativen Distanz heraus fällt daher nicht mehr in die Aufgabe der Theologie: „Suchen wir uns nun nach diesen allgemeinen Erörterungen die Aufgabe, wie sie sich unserer deutsch-evangelischen Kirche in der Gegenwart stellt, zur Klarheit zu bringen: so müssen wir zunächst fordern, dass sie den nun einmal gegebenen geschichtlichen Stand der Dinge unbefangen anerkenne, sich ohne Widerwillen und Widerrede in denselben schicke, und ihm gemäß ihre Aufgabe bemesse, d.h. beschränke. Hierdurch allein kann sie sich eine wahrhaft segensreiche Wirksamkeit sichern.“ (Theologische Ethik V, 416f.). Vgl. zum Problem auch: D. HOFFMANN-AXTHELM, Freundlichkeit, 324. Rothes Fassung der Christentumsgeschichte bzw. der Geschichte des Protestantismus impliziert, wie bereits angedeutet, schon von ihrem Grundsatz her die Legitimierung zwar nicht gesellschaftlicher oder kirchlicher Strukturen, aber der historisch erfolgreichen Entwicklungen. Dies muss als äußerst problematisch beurteilt werden, zumal sich dem Gewordenen einer solchen Entwicklung nicht mehr mit einer theologischen Kriteriologie gegenüber treten läßt. Vgl. dazu die Kritik von G. GEISTHARDT, Theologische Konzeptionen, 152: „Eine solche theologia gloria, deren Bezug zur theologia cucis derart undeutlich wird, muß angesichts der Verlustgeschichte der Menschheit den Vorwurf des Zynismus auf sich ziehen.“ Die abseits von dieser Zuspitzung immanent begründeten Anfragen Geisthards (v.a. ebd., 129156) werden in den neueren Rezeptionen von Rothes Gedanken sträflich vernachlässigt. 102 Vgl. CH. ALBRECHT, Versöhnung, 47; ders., Historische Kulturwissenschaft, 192ff.: Damit geht dann die Forderung nach einer protestantischen Kulturgeschichtsschreibung einher. 103 Theologische Ethik V, 398. Instruktiv auch Rothes Position auf der Generalsynode in Baden 1855, zit. bei A. HAUSRATH, Richard Rothe II, 320! 104 Eine Fundamentalkritik dieses Ansatzes kann an dieser Stelle außer Betracht bleiben. Folgt sie Beurteilungskriterien christlich-dogmatischer Tradition, kann sie mit P. ALTHAUS eine Vermischung von evolutionärem Kulturprozess und Kommen des Reiches Gottes beanstanden, welche die neutestamentliche Spannung der Eschatologie auflöst (ders., Die letzten Dinge, 231-249). Fragt sie nach der konstruktiven Verarbeitung der Gegenwartswahrnehmung, kann sie den dem Grundprinzip der Moderne zuwiderlaufenden Druck zur totalitären und zugleich utopischen Einheitskultur zurückweisen (F. WAGNER, „Rothe“, 439; ders., Theologische Universalintegration, 282f.).

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tet. Die interimistische Perspektive auf die Kirche und auf die Theologie als kirchliche Wissenschaft mündet konsequenterweise für die Kirche in die Handlungsmaxime, die heilsvermittelnde Wirksamkeit des Erlösers ihrem „Nachfolger“, dem Staat, zu übertragen. Für die Theologie mündet sie in die Handlungsmaxime, der Kirche in diesem Übergang mit der Transformation der kirchlichen Form christlicher Bewusstseinsgehalte in ihre nichtkirchlich-allgemeine zu dienen.105 Die Transformationsleistung der Theologie zielt dabei nicht nur auf eine Verbesserung des Dogmas, sondern auf die Befreiung zu einem nichtdogmatischen „christlich religiösen Gemeinbewusstsein“ – um der Realisierung der vollkommenen sittlichen Gemeinschaft willen.106 Die Evidenz des Christlichen (und hier insbesondere die „gottmenschlich geschichtliche Erscheinung“ Christi), so erwartet Rothe, bedarf nicht mehr der Autorität des Dogmatischen und einer besonderen kirchlichen Wissenschaft, sondern wird für den „natürlichen gesunden Menschenverstand“ eine allgemein zugängliche Vernunfterkenntnis, auf die sich dann alle Wissenschaften beziehen werden.107 In der gegenwärtigen Übergangszeit zu einem sittlichen Kulturstaat ist die Kirche eine „abnehmende Größe“,108 welche es aber vor

105 Theologische Ethik V, 420f. Die Verallgemeinerung des Christlichen und dadurch dessen Einflusssicherung ist darum die positive Seite des kirchenleitenden Handelns, welches Rothe mit der Feldherrenaufgabe des „wohlgeordneten Rückzugs“ beschreibt. 106 Zur Dogmatik, 53f. Das innere Anliegen von Rothes Theologie, dem neuzeitlichen Christentum durch die erwähnte Transformationsleistung zum Bewusstsein seiner selbst zu verhelfen, ist in einem Brief an seinen Freund Bunsen deutlich ausgesprochen: „Wir, theurer Bunsen, sind tief durchdrungen, daß die Christenheit (nicht die pure Welt) unserer Tage nur an einen undogmatischen Christus mit voller Wahrheit glauben kann. Der Christus der Theologen wird nie wieder in der Christenheit im Großen ein Gegenstand des Glaubens werden, dem undogmatischen Christus aber, wie ihn das mit aller Strenge gewissenhafter Geschichtsforschung behandelte Neue Testament uns zeigt, dem schlagen auch jetzt noch tausend Herzen in demüthig freudigem Vertrauen und anbetender Verehrung entgegen unter denen, welche sich von dem Christus der Theologen entrüstet abwenden. Diesen unbewußten Christen zum Bewusstsein um ihr thatsächliches Christenthum zu helfen, das wäre die schöne Aufgabe derer, die den Herrn Jesum lieb haben und auf ihn allein ihr Vertrauen setzen. Bleiben wir getrost bei unserer Überzeugung, daß die innere Wahrheit des Christenmenschen schlechterdings die Freiheit zu ihrer Bedingung hat, und schauen wir vertrauensvoll nach vorwärts hin, nicht zurück in das für immer verlorene Paradies des siebzehnten Jahrhunderts.“ (zit. bei A. HAUSRATH, Richard Rothe II, 363f.; vgl. das ebd., 440-442. 472 zum Ausdruck kommende Plädoyer eines christlichen Einsatzes für die neuzeitliche Humanität als adäquate Form des Christusbekenntnisses und für eine undogmatische, mit der modernen Kulturentwicklung versöhnte Volkskirche!) 107 Theologische Ethik V, 407-409. 108 Ebd., 419.

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allem zur Erziehung der sittlich Ungebildeten noch bedarf.109 Im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit dem sich ebenfalls an Schleiermacher orientierenden Vermittlungstheologen K.F. Nitzsch, welcher die christliche Kulturdurchdringung als durch die Kirche und deren Handlungsvollzüge vermittelt sah, kritisiert Rothe eine unzulässige Beschränkung der media salutis: „Wer möchte doch sagen wollen, daß der Erlöser in seiner Wirksamkeit auf die Welt durch den heil. Geist auf die heil. Schrift, die Taufe und das heil. Abendmahl als seine einzigen Medien beschränkt sei?“110 In seiner eigenen Darlegung wird auch hier der transitorische Charakter alles Kirchlichen deutlich: Die Mittel der Heilswirksamkeit werden hinsichtlich ihres gegenwärtigen Gebrauchs sowohl in den „Selbstpflichten“ als „religiöse Tugendmittel“ und in den „Socialpflichten“ als „Kirchenpflichten“ erörtert. Der Gebrauch der Tugendmittel tritt mit der fortschreitend erfolgreichen Erziehung des Individuums zurück,111 und auch der Gebrauch der letzteren ist an die fortschreitende „Herüberleitung des Lebens“ aus der durch die Sünde verursachten „Abnormität [...] in die Normalität“ der sittlichen Gemeinschaftssphäre gebunden.112 Denn nach Rothes spekulativer Konstruktion ist das eigentliche Sakrament, das universale Mittel des Heilswirksamkeit Gottes in der Welt, der sittlich-religiöse Staat.113 Der Gegensatz zur neulutherischen Position des mecklenburgischen Theologen und Kirchenmanns T. Kliefoth könnte an dieser Stelle kaum deutlicher sein: Kliefoth band unter Berufung auf die Schmalkaldischen Artikel114 Gottes Heilsgegenwart exklusiv an die der Kirche anvertrau109 Ebd., 422: „Die direkte Wirksamkeit der Kirche hat daher jetzt ganz überwiegend auf diejenigen Klassen der Gesellschaft zu gehen, welche vermöge des Standes ihrer sittlichen Bildung das Christenthum nur erst als Frömmigkeit (Religion) aufzufassen, und folglich ein klares und lebendiges Bewußtsein um eine christliche Sittlichkeit noch nicht in sich zu tragen vermögen. Dieß sind nun allerdings der Natur der Sache nach die niederen Volksklassen [...]“ Für diese sind darum auch die Einrichtungen der „Inneren Mission“ der vorzügliche Tatbeweis der christlichen Nächstenliebe (ebd., 424). Vorausgesetzt ist im Übrigen eine Definition von Kirche, welche an der Gleichheit der bürgerlichen Gesellschaft orientiert ist; vgl. G. GEISTHARD, Theologische Konzeptionen, 44-79. 154-157. 110 Theologische Ethik V, 416. 111 Ebd. III, 464. 489. 112 Ebd. V, 1. 113 Ebd. II, 459; dort weiter: „Der Staat ist somit von göttlicher Institution und hat göttliche Berechtigung – als das wesentliche Mittel (der organische Inbegriff aller Mittel) für die Erreichung des göttlichen Weltzwecks.“ (Hervorheb. im Orig.) Vgl. ebd., 198f.: „ethische[...] Begriff des Sakraments“. 114 ASm III,8, BSLK 455,31-456,5: “Darumb sollen und müssen wir darauf beharren, daß Gott nicht will mit uns Menschen handlen denn durch sein äußerlich Wort und Sa-

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ten Gnadenmittel, an Wort und Sakrament.115 Es wäre vordergründig, darin lediglich das Interesse einer zeitvergessenen Repristination zu erblicken; Ausgangspunkt ist hier die schon in seiner frühen vermittlungstheologischen Phase gewonnene Überzeugung, dass die ihm gegenwärtige Kirche und die ihm gegenwärtige Theologie sich in einem Übergang ihrer Entwicklung befänden – einem Übergang, welcher allerdings nicht wie bei Rothe von der Kirche weg, sondern zu ihr hin führe: Die dogmengeschichtliche Entwicklung des neuzeitlichen Protestantismus konvergiert aufgrund innerer Gesetzmäßigkeit sowie äußeren, gesellschaftlichen Bedürfnissen zur Lehre von der Kirche als dem Mittelpunkt dogmatischen Arbeitens116. Für die gegenwärtige Theologie ergibt sich nämlich – so Kliefoth dann in seiner späteren Streitschrift gegen die theologische Fakultät in Göttingen (1855) – das Erfordernis, im Dienst der empirisch-positiven Gestalt von Kirche und deren Zukunft zu stehen.117 In Kliefoths eigener theologischen Durchführung wird dabei Kirche – in einer spezifischen Weise „von oben her“118 – als eine empirische Sozialgestalt sui generis begründet und in einer ebenso spezifischen Weise deren gesellschafts- und kulturverändernde Kraft erhoben („christliche Durchdringung des Gesammtlebens“).119 Diesen strukturellen Andeutungen folgend verdienen einige Grundgedanken näherer Betrachtung. Kliefoths Frühwerk liefert dabei Ausgangspunkte in mindestens dreifacher Hinsicht: Zunächst wird in unverkennbarer Anknüpfung an Schleiermacher das Dogma als wissenschaftlich regulierter Reflex des christlichen Lebens definiert. Zugrunde liegt dabei die Vermittlung der geschichtlich gegebenen Identität des Christlichen durch das Selbstbewusstsein des Subjekts, in welcher das in der Selbstdarstellung Christi sowie in der Predigt gegebene Äußere in das Innere des Bewusstseins aufgenommen wird („Glaube“).120 Als Gedanke tritt es im Akt der gegenseitigen

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krament. Alles aber, was ohn solch Wort und Sakrament vom Geist gerühmet wird, das ist der Teufel.“ So in seinen „Acht Bücher[n] von der Kirche“ (nur ein Band 1854 erschienen), 138f. Einleitung in die Dogmengeschichte (1839), 87. 97. Es handelt sich hierbei um sein erstes programmatisches Werk, welches sich der Hegelschen Philosophie (zur Dogmenentwicklung) und des Schleiermacherschen Mitteilungsbegriffs (zur Genese des Dogma) bedient. Als „Scharnierstück zwischen Vermittlungstheologie und Neuluthertum“ wurde es neuerdings von M. OHST, Theodor Kliefoths „Einleitung“, interpretiert. Göttinger theologische Facultät, 38f. 57. Acht Bücher von der Kirche, 224; vgl. 2. 8. 128. Ebd., 356. Einleitung, 10-12.

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Mitteilung aus diesem wieder heraus und wird durch das Aufeinanderwirken mit Äußerungen anderer im Verlauf fortlaufender Kommunikationsvollzüge seiner Subjektivität und Partikularität entkleidet. Durch diese Verobjektivierung entsteht christliche Lehre, die ihren Gang durch die Geschichte antritt und nun ihrerseits Subjektivität formt.121 Für Kliefoth ergeben sich an dieser Stelle zwei Konsequenzen: Zum einen bedarf die den individuellen Gläubigen bildende Mitteilung notwendig einer normativen Regelhaftigkeit, d.h. eines kirchlichen Organismus.122 Zum anderen kommt das Dogma als zeitbedingter wissenschaftlich-begrifflicher Reflex des christlichen Lebens in den Blick, welcher selbst wiederum auf dieses Leben einwirkt.123 Ihm eignet sich darum sowohl ein geistiges Moment individuellen Lebens als auch ein geschichtliches Moment, nämlich das Moment der geschichtlich gewordenen Lehrentwicklung und deren substantieller Grundlage, der Heiligen Schrift.124 Tritt das für die Dogmenbildung leitende erste Moment zurück, droht es durch letzteres substituiert zu werden; kritikloser Traditionalismus und Supranaturalismus markieren daher den Niedergang einer dogmengeschichtlichen Periode.125 In dieser Phase treten dann allerdings ebenso die als Typen gefaßten Phänomene von Pietismus und Scholastik („Scholasticismus“) mit dem Ziel auf, ein überliefertes Dogmengebilde zu stützen – Ersterer durch die Aufwärmung religiöser Subjektivität, Letztere dadurch, dass sie das zum äußerlichhistorischen Faktenmaterial der Wissenschaft degenerierte Dogma durch wissenschaftliche Theoriebildung zu erklären und zu beweisen sucht.126 In diesem Denkgefüge Kliefoths offenbart sich bereits der Grundgedanke eines explikativen Wissenschaftsverständnisses, dem zufolge Theologie aus dem in der Kirche gegebenen Gesamtleben nur um den Preis einer Entfremdung vom Lebensgrund des Dogmas heraus- bzw. diesem Gesamtleben gegenübertreten kann.127

121 Ebd., 16-20. 28. 122 Ebd., 20f. Hier liegt bereits ein entscheidender Begriff seiner späteren Kirchentheorie vor, wenngleich Kliefoth später einer solchen Herleitung „von unten“ kritisch gegenüber steht. Vgl. E. HAACK, D. Theodor Kliefoth, 232f. 123 Einleitung, 29. 57. 124 Ebd., 43f. 125 Ebd., 170ff. 126 Ebd., 180. 183-185. 189. 127 Ebd., 185. Kliefoth ist der Meinung, dass sich diese Entfremdung des Dogmas nicht nur gegen die Lebendigkeit des Dogmas, sondern letztlich gegen das wissenschaftliche Ethos selbst richtet: „Eben so corrumpirt sich das wissenschaftliche Element, wenn es sich zur Demonstration und Bewahrheitung des geschichtlichen Dogma erhebt.“ (ebd.)

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Ein zweiter bedeutsamer Gedanke seines Frühwerks betrifft die bereits erwähnte Prognose, die nunmehr anhebende Periode der Dogmenbildung habe zu ihrem „Mittelpunkt die Lehre von der Kirche“.128 Dazu wird ein gesetzmäßiger Verlauf der christlichen Bewusstseinsentwicklung hinsichtlich ihrer wissenschaftlich-dogmatischen Seite erhoben129: Eine erste Periode thematisierte die Ursache des Heils, nämlich Gott, Christus, Heiliger Geist, und verhalf zur Ausführung von Trinitätslehre und Christologie; eine zweite richtete sich auf die heilsame Veränderung am Menschen selbst und führte zur Ausbildung der Anthropologie, während die dritte Periode die subjektive Heilsaneignung in Form der Soteriologie reflektierte.130 Im Protestantismus der Gegenwart habe sich, so Kliefoth, die Entwicklung der Soteriologie vollendet, er schreite darum mit innerer Folgerichtigkeit zur Lehre von der Kirche fort.131 Schließlich – dies ein dritter Gedanke – konvergiert die postulierte Weiterentwicklung mit einer sozialen und politischen Gegenwartsanalyse: Zunehmende Individualisierung und Emanzipation führen zur Auflösung der traditionellen sozialen Ordnung und deren Institutionen, so dass der darauf aufruhende Staat als regulative Instanz vor zwei Möglichkeiten steht: Entweder er restringiert die Eigenständigkeit der einzelnen Subinstanzen und macht sie sich botmäßig. Oder er gibt der gesellschaftlichen Tendenz zu fortgesetzter Ausdifferenzierung nach und reguliert diese allein durch das Freihalten der individuellen Freiheit und dem Recht zur staatlichen Mitwirkung.132 In beiden Fällen kann das Bedürfnis der Individuen nach einem „kleine[n] Lebenskreis“, welcher emotionalen Halt, sozialen Austausch und Orientierungshilfen bereitstellt, vom Staat selbst (obschon für diesen erforderlich) nicht erfüllt werden: „So sehen wir, dass es beiden Arten von Staaten um Ein und dasselbe zu thun ist, um eine Stätte, in welcher sich ein freies, frisches, aber zugleich gemütlich fesselndes und verknüpfendes Leben bilden könne. Eine solche Stätte aber ist die Kirche.“133

128 Ebd., 87. 129 Allerdings in expliziter Ablehnung einer Entwicklungskonstruktion a priori, vgl. dazu ebd., VI-VIII. 130 Ebd., 21f., vgl. 115. 131 Ebd., 91. Kliefoth will nicht verkennen, dass die Ekklesiologie auch in früheren Perioden reflektiert wurde – aber eben unter der Perspektive der Anthropologie (heilige Kirche gegenüber der sündigen Menschenwelt) bzw. unter der Perspektive der Soteriologie (Heilsaneignung durch Wort und Sakrament in einer Kirche der Sünder); vgl. dazu ebd., 88f. 132 Ebd., 92. Vgl. dazu M. OHST, Theodor Kliefoths „Einleitung“, 66-68. 133 Einleitung, 94.

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Von dieser Grundlegung aus ergibt sich eine gewisse Kontinuität zum dezidiert neulutherischen Theologieverständnis in Kliefoths späterer Streitschrift gegen die Göttinger. In den Vordergrund drängt sich allerdings nun ein institutioneller Positivismus, der den früheren vermittlungstheologischen Ansatz beim lebendigen Subjekt übergeht und sich nun als Fortschritt (!) der durch Schleiermacher inaugurierten „Restauration des Christentums“ ausgibt: Schleiermacher sei es gelungen, gegenüber den Systembildungen kantischer und hegelscher Provenienz das positive Christentum wieder zur Geltung zu bringen.134 Um ihm einen legitimen Freiraum zu verschaffen, verblieben Schleiermacher und seine Nachfolger auf der Ebene der wissenschaftlichen Theologie, welche ihrerseits lediglich des idealen Charakters der Kirche ansichtig wurde. Wer nun aber, wie Kliefoth selbst, eine realexistierende lutherische Kirche vorfindet und für deren Zukunft zu sorgen sich verpflichtet fühlt, sieht sich von der Ausrichtung der Göttinger auf eine ideale, gar unierte „Kirche der Zukunft“ geschieden (der „tieffste[...] Differenzpunkt“): „[W]ir dagegen, die wir diese Kirche der Zukunft eine ideologische Phantasie, aber die geschichtlich vorhandene lutherische Kirche eine Wahrheit nennen, verlangen von Ihnen, daß Sie Ihre ideologischen Träume fahren lassen, als Glieder einer lutherischen Theologenfacultät Ihre geschichtliche Stellung wahrnehmen, aus Ihrer idealen Kirche der Zukunft in die reale lutherische Kirche als theologische Richtung eintreten, und darinnen mit Aufrichtigkeit Ihre Pflicht thun sollen, damit die lutherische Kirche als solche eine Zukunft habe und nicht statt dessen die ‚große Zukunft’ der Kirche durch den Untergang der lutherischen Kirche erkauft werde.“135 Abseits solcher Polemik lassen Kliefoths Ausführungen an nur wenigen Stellen durchscheinen, wie man sich das Verhältnis von wissenschaftlicher Theologie und Kirche nach seinem positiven Gehalt vorzustellen hat: Er schreibt der Theologie hinsichtlich der Erneuerung der Kirche und der Entwicklung kirchlicher Lehre eine führende Rolle zu, welche insbesondere in der Bereitstellung dogmatischer Prinzipien besteht.136 Entscheidend ist dabei allerdings: Zu diesem Zweck hat die theologische Wissenschaft den Geltungsbereich des lutherischen Bekenntnisses nicht zugunsten eines „Standpunkt[s] außerhalb oder über der Kirche“ aufzugeben.137 Die Überzeugung, dass die Freiheit der Forschung nur innerhalb des Bekenntnisses statt hat, erklärt sich durch Kliefoths Sicht der kumulativen Dogmenentwicklung, der zufolge sich 134 135 136 137

Göttinger theologische Facultät, 40f. Ebd., 38f. Ebd., 57. Ebd., 95.

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Fortschritt nur in der Aneignung desjenigen Teils des erreichten Lehrbestands vollziehen kann, welcher als von Irrtum und Verfall rein zu beurteilen ist.138 Fortschritt gibt es nur durch Rückbildung, d.h. durch den Rückgriff auf den letzten gesunden Entwicklungsstand des Dogmas, welcher v.a. in der Phase der Dogmenbildung zu greifen ist: „Daher muß man immer, wenn man weiter will, erst vollständig zusammennehmen, was die Geschichte fertig hat.“139 Unbeschadet dessen, dass auch die lutherische Kirche Mängel habe und dem Ideal nicht entspreche, ist es Kliefoth völlig unzweifelhaft, worin sich ihr gesunder und darum unverrückbarer Lehrbestand auszeichnet und worin sie ihre eigentümliche Stabilität findet: Sie hat – anders als die reformierten Kirchen – die „rechte und richtige Gnadenmittelverwaltung, sie lässt Gottes Heilsanstalt ungekränkt“.140 Kliefoths Kirchentheorie kann als Entfaltung dieser Grundüberzeugung gelesen werden. Ausgangsthese ist der theologische Satz: „So ist die Kirche wesentlich immer ein fortgehend von oben herab in die Welt hinein und aus der Welt heraus geboren werdender Leib, ein Organismus, der als solcher Ordnung und Regiment haben muß und hat.“141 Zu seiner Entfaltung differenziert Kliefoth den Kirchenbegriff nach vier Gesichtspunkten; er unterscheidet zwischen der die Kirche tragenden Trinität („oberes Jerusalem“), dem Gnadenmittelamt („Heilsanstalt“), der in sich wiederum differenzierten Gemeinde und dem institutionellen Organismus.142 Bedeutsam ist dabei nicht die Differenzierung an sich, sondern die spezifische Zuordnung der einzelnen Größen: Der Einsatz beim dreieinigen Gott und dessen Tatwirklichkeit soll den „permanenten Werde- und Lebensgrund“ der Kirche in der Weise festhalten, dass zum einen dem ekklesiologischen Deismus gewehrt ist, wonach Kirche lediglich als menschliche Entwicklung eines göttlichen Lebensprinzips gefasst wird, und zum anderen auch eine Konstruktion des Kirchenbegriffs von seiner subjektiven Seite der Gemeinde her abgewiesen werden kann.143 Die reformatorische Bedeutung des Glaubens soll dabei nicht verdunkelt werden: „Durch unseren subjectiven Glauben also werden allerdings wir Einzelnen zur Gemeinde hinzugethan; wozu aber die Gemeinde sich im Glauben sammelt, ist nicht

138 139 140 141 142

Einleitung, 133. Göttinger theologische Facultät, 140. Ebd., 119. Acht Bücher von der Kirche, 2. Ebd., 30. Diese Differenzierung, der zufolge die „Heilsanstalt“ nur einen von vier Gesichtspunkten darstellt, wird in der Kritik häufig übersehen. So zu Recht schon: G. KEHNSCHERPER, Wesen der Kirche, 136. 143 Acht Bücher von der Kirche, 42f. 126-129.

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der Glaube, sondern dasjenige, was dem Glauben geboten und von ihm ergriffen wird, nämlich der dreieinige Gott und was er gethan hat und fortwährend thut und giebt.“144 Die Gegenwart Gottes kommt daher nicht der Gemeinde oder der verfassten Kirche an sich zu, sondern ausschließlich den Gnadenmitteln und ihrem Amt. Nach dieser Seite hin ist die Kirche eine vom himmlischen Jerusalem in die irdische Sphäre hineinreichende Heilsanstalt,145 ein unveränderliches institutum divinum,146 durch welches Gottes Offenbarungsworte und -taten zum Zweck der Austeilung des Heils und zur Schaffung einer Gemeinde fortsprechen und fortwirken.147 Diesem göttlichen Institut genügt ein funktional auf die Gemeinde bezogenes Amt nicht, es erfordert die Form eines „gottmenschlichen Handelns“, in welchem der menschlichen Seite nur instrumentale Bedeutung beizumessen ist.148 Ausgehend von diesem in sich stabilen „objektiven“ Ausgangspunkt, dem „von Oben her der Kirche“,149 kann nun auch die veränderliche subjektive Seite der Gemeinde entfaltet werden, wozu zwischen dem sichtbaren, sich an Wort und Sakrament haltenden coetus vocatorum und dem nur in diesem vorfindlichen unsichtbaren coetus vere credentium unterschieden wird.150 Das Ganze, ihre eigentliche „Leiblichkeit“ findet die Kirche nicht in einer Versammlung von Personen, sondern erst in einem „aus dieser Vielheit von theils aus der Gnadenordnung, theils aus der geheiligten Naturordnung sich heraus setzenden Ämtern und Ständen sich durch die Einheit der ihr von Gott gesetzten Aufgabe [...] zusammenfassende[n] Organismus“.151 In diesem geschichtlichen Organismus, welcher einer ebenso geschichtlich bedingten Kirchenordnung bedarf, steht die göttliche Gnadenordnung für das stetig Gleichbleibende, die geheiligte Naturordnung für die sich verändernde soziale und gesellschaftliche Disposition der Gemeindeglieder und ihres Umfeldes.152 Die gebotene Heiligung Letzterer geht von Ersterer aus; in ihr nimmt die christliche Durchdringung der Welt 144 145 146 147 148 149 150 151 152

Ebd., 130. Ebd., 21. 135f. 221. Ebd., 223f. Ebd., 165. Die Hochschätzung des Sakraments wird darin gesehen, dass es als Tathandeln Gottes nicht wie das Wort „wegspiritualisiert werden“ könne: ebd., 171. Ebd., 16; vgl. 132. Ebd., 224. Ebd., 22f. Ebd., 353, vgl. 27. 368. Ebd., 355f. Eine genauere Unterscheidung hätte zu beachten, dass es hinsichtlich der Naturordnung durchaus göttliche Stiftungen geben kann, welche dem ius humanum unterliegen, so z.B. die Ehe: ebd., 394.

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und ihrer Verhältnisse Gestalt an.153 Dies ist denn auch der Sollgehalt des Begriffs „Volkskirche“.154 Die skizzierte Zuordnung bringt nun eine bedenkliche theologische Legitimation von Macht und Hierarchie mit sich, welche weniger den kirchlichen Einfluss auf die Gesellschaft, als vielmehr das glaubende Individuum betrifft: Obschon geschichtlicher Bedingtheit hat die Kirche in ihrer Organisationsgestalt (wie schon als inkarnatorisch gefasste Heilsanstalt) göttlich gestiftete Institutionen und damit Gottes Willen „unter ihren Füßen“.155 Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem die Verschränkung von Ekklesiologie und theologischer Theoriebildung festzuhalten: Nicht nur, dass die Kirche in ihrer Gnadenordnung einen Hort der Stabilität bieten kann, welchem gesellschaftliche Transformationsprozesse nur äußerlich bleiben, sie bietet in ihr zugleich den archimedischen Punkt der theologischen Theorieentwicklung. Denn hinsichtlich der Gnadenordnung ist die Kirche bereits zu ihrer Wahrheit gekommen. Auf der Ebene der wissenschaftspraktischen Zuordnung wird sie daher als aus dem theologischen Begriff entworfene Institutionsgestalt sui generis zur unhintergehbaren Ortsbestimmung der demnach konfessionell-kirchlichen Theologie. Für Rothe vollzieht sich spekulative Theologie positionell als denkende Explikation einer der christlichen Selbstgewissheit gegebenen Objektivität – mit der Funktion, gegenwärtige Wirklichkeitswahrnehmung zum Zweck der wissenschaftlichen Geltungssicherung zu integrieren und dem zunehmend entkirchlichten protestantischen Christentum zu einer sich sittlich-allgemein bewährenden Gegenwarts- und Zukunftsorientierung zu verhelfen. Ihre Prämisse der Notwendigkeit des Geschichtsablaufs führt allerdings zu einer affirmativlegitimierenden Auffassung geschichtlicher Entwicklungen, insofern eine Kritik der Wirklichkeit (eine Kritik der Verfehlungen auch in der Geschichte) lediglich als sekundärer Reflex aus der Inkongruenz zur prognostizierten Entwicklung abzugewinnen, diese Inkongruenz aber im kontinuierlichen Geschichtsverlauf bereits als sich aufhebende zu denken ist. 156 Bei Kliefoth bezieht sich Theologie als dogmatisch-wissenschaftliche Theologie auf die im bereits entwickelten partikularen Lehrbestand zu Bewusstsein und Erkenntnis gekommene christliche Wahrheit. Ihre Aufgabe besteht darin, 153 154 155 156

Ebd., 355f. Ebd., 36f. Ebd., 508. Zur Macht der Kirche als Organismus explizit v.a. 395f.! Vgl. schon M. KÄHLER, Geschichte, 111f. Im Aufbau von Rothes Ethik äußert sich dies darin, dass die Pflichtenlehre lediglich als Folge des vorausgesetzten spekulativen Systems erscheint.

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eine mit dem Leben der Kirche verwobene denkende Explikation und Weiterführung dieses konfessionellen Lehrbestands zu liefern – mit der Funktion der Identitätsstabilisierung und Zukunftssicherung der Kirche. Die theologisch reklamierte Externität äußert sich im systematischen Rang von Gottes Reden und Handeln, sie spiegelt sich in der Sakramentenlehre und dem hierarchischen Amtsverständnis, für eine kritische Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche bleibt sie aber wirklungslos.

1.1.3. Albrecht Ritschl und Martin Kähler Als A. Ritschl (1822-1889) im Jahre 1864 an die Göttinger Fakultät kam, lag die Auseinandersetzung mit T. Kliefoths Streitschrift zwar 10 Jahre zurück, dennoch hinterlässt die weitergehende Auseinandersetzung mit dem Neuluthertum Kliefoths und seiner Parteigänger auch in Ritschls Arbeiten eine deutliche Spur.157 Der argumentative Gehalt dieser Auseinandersetzung berührt Grundüberzeugungen und scheint schon deshalb bemerkenswert, als für Ritschl selbst eine Wesensbestimmung des Protestantismus ohne den Kirchenbegriff als notwendigen Bezugspunkt unzureichend bleibt.158 Sein eigenes dogmatisches System trägt dessen prinzipiell-fundamentaltheologischer Bedeutung Rechnung und wird – gegenüber der konfessionellen Theologie allerdings unter völlig anderem Vorzeichen – als eine spezifisch kirchliche Theologie konstruiert.159 Deren Eigentümlichkeiten lassen sich bereits aus der Durchführung ersehen: Mit Schleiermacher findet Ritschl den Erkenntnisgrund der Offenbarung in der religiös-subjektiven Glaubenserfahrung, fasst diese aber zur Grundlegung einer auf die allgemeingültige Darstellung des Christentums abzielenden Theologie nicht als individuelle Erfahrung, sondern als geschichtlich vermittelten Glaubensvollzug der Gemeinde, welcher dem Einzelnen vorgeordnet ist.160 Der subjektive Zugang zur Theologie, demzufolge Objektivität durch ihre Manifestation im Realisierungszusammenhang der menschlichen Subjektivität vermittelt gedacht wird, kennzeichnet zunächst eine der Moderne verpflichtete Theoriebildung. Die direkte theologische Deduktion aus geoffenbarten Wahrheiten wird zurückgewiesen; Theologie ist methodisch an den Ort

157 Beispielhaft ist hier z.B. der Streit in der Hannoverschen Landeskirche, dargestellt bei H. KUHLMANN, Theologische Ethik, 13-23. 158 A. RITSCHL, Ueber die beiden Principien, 247; vgl. ders., Entstehung, 170. 159 Vgl. Rechtfertigung und Versöhnung II, 18: „Theologie im Dienste der Kirche“. 160 Rechtfertigung und Versöhnung II, 7f.; III, 3. 517. Vgl. R. SCHÄFER, Ritschl, 166.

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der ethischen Realisierung der Offenbarung gewiesen.161 Ritschls Werturteilstheorie dient der Vertiefung und der Legitimation dieser erkenntnistheoretischen Bindung der Theologie.162 Theologisch wird sie als methodisch konsequente Anwendung des reformatorischen pro me verstanden und mit der soteriologischen Bindung an die Heilsgegenwart Christi begründet.163 Notwendige Bedingung theologischer Erkenntnis der Gottesoffenbarung ist es, dass das erkennende Subjekt an den Wirkungen Christi, d.h. an den Wirkungen des rechtfertigenden Handelns Gottes teilhat.164 Ritschls Theologieverständnis geht dabei mit einer deutlichen Veränderung des seit Schleiermacher verbreiteten Ansatzes der Theoriebildung einher: Weil und insofern die Gnadenwirkungen Gottes durch die Gemeinde vermittelt sind165 und die systematische Methode eines verallgemeinerbaren einheitlichen Standpunktes bedarf, ist nicht das individuelle Selbstbewusstsein Medium und Ausgangspunkt theologischer Erkenntnis, sondern der Standpunkt der Gemeinde.166 Der Glaube der Gemeinde wird damit „das unmittelbare Object des theologischen Erkennens“.167 Wissenschaftlicher Theologie fällt daher zunächst die Aufgabe zu, in methodisch verantworteter Weise zu einer wirkungsgeschichtlichen Konstruktion zu gelangen, welche vom partikularen Standpunkt der Gemeinde und deren Vollzüge auf die diese ermöglichende und in ihnen gegenwärtige Offenbarung zurückgeht.168 Dieser Aufgabenbe-

161 Vgl. Rechtfertigung und Versöhnung III, 22f. 162 Zu dieser Deutung vgl. R. SCHÄFER, Ritschl, 172f.; J. RICHMOND, Albrecht Ritschl, 86ff. 163 Rechtfertigung und Versöhnung III, 34. 370ff. Zur Lutherrezeption Ritschls: F. HOFMANN, Albrecht Ritschls Lutherrezeption, v.a.170ff. 255ff. 164 Rechtfertigung und Versöhnung III, 2; dazu auch S. WEYER-MENKHOFF, Aufklärung und Offenbarung, 19. 165 Rechtfertigung ist für Ritschl bekanntlich Attribut der Gemeinde. 166 Diese Bedingung theologischer Erkenntnis gilt für alle christlichen Vorstellungen, nicht nur für Rechtfertigung und Versöhnung: „Man kann auch Gott, die Sünde, die Bekehrung, das ewige Leben im Sinne des Christentums nur erkennen und verstehen, sofern man mit Bewußtsein und Absicht sich in die Gemeinde, die Christus gestiftet hat, einrechnet. Diesen Standpunkt einzunehmen ist der Theologie geboten, und nur so kann es gelingen, ein System der Theologie auszuführen, welches diesen Namen verdient.“ (Rechtfertigung und Versöhnung III, 4) 167 Ebd., 3. Mit M. ZELGER, Modernisierte Gemeindetheologie, 182, kann Ritschls Theologie in der skizzierten Hinsicht als „modernisierte Gemeindetheologie“ aufgefasst werden. Zelger selbst versucht unter diesem Titel allerdings, Ritschls System im Rahmen der Systemtheorie als „eigenständige Reflexion auf die Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems“ zum Zweck einer Stabilisierung des Protestantismus zu rekonstruieren (198). 168 Ritschls wirkungsgeschichtliches Programm denkt dabei die Ursache als in den Wirkungen enthalten und gegenwärtig: Theologie und Metaphysik, 49f.

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stimmung gemäß gestaltet sie sich positionell und explikativ: Als partizipierende Wissenschaft analysiert und reflektiert sie die menschliche Selbsttätigkeit der Gemeinde auf die Gnadenwirkungen Gottes hin und strebt „eine positive abschließende Erkenntnis der christlichen Offenbarung“ an.169 Schleiermachers methodisches Verfahren, im Rahmen einer von der Dogmatik als historische Disziplin unterschiedenen Philosophischen Theologie einen Standpunkt „über“ dem Christentum einzunehmen, muss durch die erkenntnistheoretische Bindung der Theologie an die Teilnehmerperspektive als illegitim verworfen werden. Damit erhebt sich nun nicht nur die Frage, wie sich Ritschl den Anschluss an einen allgemeinen Wissenschaftsbegriff vorstellt. Insofern sein explikatives Theologieverständnis seinen Ausgangspunkt wie seinen Gegenstand im Glaubensvollzug der Gemeinde als dem Realisierungsort der Wirkungen Christi findet, ist auch nach der normativen Kriteriologie zu fragen, welche die Theologie davor bewahrt, dass die Explikation der Positivität in einen unkontrollierbaren Positivismus umschlägt, der sich zwar noch affirmativ betätigen und hinsichtlich seiner Funktionalität ausweisen kann, aber sich um die Möglichkeit begeben hat, die Wirkungen Christi als seine Wirkungen zu identifizieren.170 Ritschls Lösungsversuch ist Bestandteil einer bestimmten fundamentaltheologischen Programmatik. Diese verdient näher erläutert zu werden, bevor das Verfahren seiner kirchlichen Theologie auch in ihrem Zusammenhang mit seiner komplexen Kirchentheorie bedacht und die Differenz zu konfessionellen Ansätzen präzisierbar wird. Insofern mit der Gemeinde die Vermittlungsinstanz und aufgrund des erkenntnistheoretisch ausgeführten Wirkungsdenkens der methodische Ausgangspunkt sowie der Gegenstandsbereich der Theologie positiv gegeben sind, gerät theologische Erkenntnis ins Fahrwasser einer prinzipiellen Entschränkung ihrer Erkenntnismöglichkeiten. Das wird geradezu verstärkt, wenn Ritschl zur Abwehr der „falsche[n] Metaphysik“171 zwar von I. Kants Erkenntniskritik die Subjektbedingtheit der Erkenntnis und die Unerkennbarkeit der „Dinge an sich“ aufnimmt, zugleich aber mit H. Lotze in den Erscheinungen die Dinge als wirkende Ursache erkennen will und damit Kants transzendentale

169 Rechtfertigung und Versöhnung II, 9. Zur Standpunktbezogenheit auch: Unterricht, § 3 (13). § 25 (28) u.ö. 170 Zu diesem Problem vgl. G. WENZ, Geschichte der Versöhnungslehre II, 113; E. HERMS, „Weltanschauung“, 135. 141; D. LANGE, Verständnis von „Offenbarung“, 44f.; auch G. SAUTER, Theologie als Wissenschaft, 49! 171 Theologie und Metaphysik, 39.

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Grenzbestimmung auf seine Weise wieder unterläuft.172 Im Sinne seiner gegen die Spekulation in der Theologie gerichteten Stoßrichtung fasst Ritschl selbst allerdings diesen erkenntnistheoretischen Ansatz als bedeutsame Selbstbeschränkung der Theologie auf, insofern es abseits der subjektiven Vermittlung, „außerhalb der Selbstthätigkeit, in welcher wir die Wirkungen Gottes aufnehmen und für unsere Seligkeit verwerthen,“173 keine theologische Erkenntnis Gottes geben kann. Verfahrenstechnisch ausgeführt bedingt diese Begrenzung die Unterscheidung einer von der menschlichen Selbsttätigkeit ausgehenden ethischen Betrachtung von einer dogmatischen, welche diese Selbsttätigkeit als von Gott gewirkt begreift.174 Die dogmatische Betrachtung ist dabei stets an die ethische gebunden. Sie kann also nicht direkt bei Gottes Heilshandeln einsetzen, sondern wird in der analysierten Selbsttätigkeit der Gemeinde der Gnadenwirkungen Gottes gewahr; die genannte Selbsttätigkeit wird dann „vom Standpunkte Gottes aus“ aufgefasst.175 Man wird dabei sagen können: Die methodische Abwechslung beider Betrachtungsweisen ist das Merkmal eines Verfahrens, welches letztlich die neuzeitliche Bewährungsforderung theologischer Aussagen in sich aufgenommen hat. Auf diesem Hintergrund ist es dann folgerichtig Aufgabe einer wissenschaftlichen Theologie, „alles was als Gnadenwirkungen Gottes auf Christen zu erkennen ist, in den entsprechenden religiösen und sittlichen Acten nachzuweisen, welche durch die Offenbarung im Ganzen und durch die in ihr eingeschlossenen besonderen Mittel angeregt werden.“176 Festgehalten werden kann zunächst: Der Vermittlungszusammenhang der Gemeinde ist wissenschaftstheoretisch für Ritschls Theologiebegriff insofern von nicht zu unterschätzender Bedeutung, als er die Aufgabenbestimmung der wissenschaftlichen Theologie und deren Abgrenzung gegenüber der Spekulation („falsche Metaphysik“) ermöglicht. Zugleich ermöglicht er auch eine bereits fundamentaltheologisch begründbare Abgrenzung gegenüber einer religiösen Unmittelbarkeit,

172 Rechtfertigung und Versöhnung, 19f. Vgl. dazu auch S. WEYER-MENKHOFF, Aufklärung und Offenbarung, 42-48. 173 Rechtfertigung und Versöhnung III, 34; vgl. ebd, 202, die Berufung auf Luthers Großen Katechismus. 174 Ebd., 14. Auf die Bedeutung dieser Unterscheidung im Gegenüber zur Unterscheidung von „sittlich/religiös“ hat R. SCHÄFER, Ritschl, 68f., hingewiesen. Seine terminologische Klärung hat sich in der Forschung durchgesetzt. 175 Rechtfertigung und Versöhnung III, 33. Beispielhaft ist die Durchführung in der Christologie, ebd., 414. 426. 176 Ebd., 22.

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welche dem reformatorischen Verständnis des Evangeliums zuwider läuft.177 Diese Begrenzungsmöglichkeiten genügen der mit der Positivismusgefahr angezeigten Problemstellung allerdings nicht, da sie noch keine Kriterien bereitstellen, um innerhalb des nunmehr begrenzten Gegenstandsbereichs der Wirkungen zu differenzieren. An dieser Stelle ist darum auf ein weiteres, konstitutives Element von Ritschls theologischem Verfahren hinzuweisen. Ebenfalls als Kehrseite der Zurückweisung religiöser Unmittelbarkeit zu verstehen, hebt dieses nun auf die geschichtliche Vermittlung der Wirksamkeit Christi ab.178 Ihr entnimmt Ritschl die Maxime, für die aus der ethischen Selbsttätigkeit der Gemeinde erhobene und als gegenwärtiges Wirken Christi explizierende dogmatische Darstellung die Kontinuität zur geschichtlichen Wirksamkeit Christi nachzuweisen. Es handelt sich dabei um den mittels der neutestamentlichen Christusbeschreibung geführten kritischen Kongruenzaufweis des religiösen Maßstabes der Darstellung (der gegenwärtigen Wirksamkeit) mit dem geschichtlichen.179 Durch diese Aufgabenbestimmung will er der internen Perspektive seiner standpunktgebundenen Dogmatik treu bleiben, ohne sich um die Möglichkeit zu begeben, das Glaubensbewusstsein und die Vollzüge der Gemeinde kritisch zu prüfen.180 Ausgeführt wird dies von Ritschl selbst in der Christologie, insofern die geschichtliche Wirksamkeit Christi zur Norm der gegenwärtigen Wirkungen erklärt und darum an jener die Einheit von Faktizität und Bedeutsamkeit demonstriert wird.181 Letztlich erscheint sogar die ganze Anlage seines Werkes „Rechtfertigung und Versöhnung“ in diesem Licht als kritische Absicherung der in der wir-

177 Vgl. Theologie und Metaphysik, 50. Darauf hat zu Recht H. GREWEL, Kirche und Gemeinde, 300, Anm. 7 hingewiesen. Auf diese Weise ließe sich auch Ritschls Kritik des Pietismus von ihrer fundamentaltheologischen Seite her verständlich machen. In der neueren Ritschl-Interpretation wirkt sich die Missachtung dieses Zusammenhangs m.E. nachteilig aus. 178 So der Zusammenhang in: Theologie und Metaphysik, 50f. 179 Beispielhaft ausgeführt z.B. in: Unterricht, § 25 (28): Die vorgetragene Christologie richte sich „nach den geschichtlich bezeugten Hauptzügen seines tätigen Lebens, zugleich aber ist sie aus dem Standpunkte der von Christus gegründeten Gemeinde des Reiches Gottes entworfen. Jener geschichtliche und dieser religiöse Maßstab des Verständnisses seiner Person sollen sich decken [...]“ (Hervorheb. von H.-M. R.). 180 In expliziter Auseinandersetzung mit Schleiermachers und Rothes Verständnis der Dogmatik als einer lediglich historischen Disziplin: Rechtfertigung und Versöhnung II, 2-5. 181 Rechtfertigung und Versöhnung III, 383: „Jede Wirkung Christi aber muß ihren Maßstab in der geschichtlichen Gestalt seines Lebens finden.“; v.a. auch ebd., 366. A. Schlatters Christologie folgt hinsichtlich der geschichtlichen Verankerung formal der gleichen Methodik, vgl. H.-M. RIEGER, Adolf Schlatters Rechtfertigungslehre, 308f.

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kungsgeschichtlichen Konstruktion gegebenen Positivität durch den Nachweis von Kongruenz und historischer Kontinuität. Auf diesem Hintergrund muss dann sowohl Ritschls Schriftverständnis als auch seine Funktionsbestimmung der historischen Disziplinen verstanden werden: Die Auffassung der Schrift als eines normativen Kriteriums der Theologie lässt sich nicht unmittelbar durch eine vorausgesetzte Inspirationstheorie hinreichend begründen, sondern dadurch, dass sie als ausschließliche Geschichtsquelle der ursprünglichen Wirksamkeit Christi in der neutestamentlichen Gemeinde in Anspruch genommen wird.182 Entscheidend ist darum auch nicht die Lebensgestalt des historischen Jesus an sich, sondern – insofern Jesus ganz in seinem Beruf aufging, Gemeinde zu gründen – das Christusbekenntnis, die „Schätzung Christi“ im Selbstverständnis der ersten Gemeinden.183 Am Erheben der historischen Kontinuität orientiert aber sind „biblische Theologie und Dogmengeschichte nicht Selbstzweck, sondern Mittel für das Lehrsystem.“184 Voraussetzung dieser Vorgehensweise ist das Zutrauen zu den geschichtlichen Quellen; zugleich wies sie mit dem Rückgang auf diese das Feld an, auf dem sie bekanntlich von Ritschls Schwiegersohn J. Weiß und der aufkommenden religionsgeschichtlichen Schule – zunächst hinsichtlich ihres Verständnisses des Reiches Gottes im Sinn der Sittlichkeit Kants – zurückgewiesen wurde.185 Die vom Gegenwartsstandpunkt und den eigenen Prämissen geleitete Hermeneutik Ritschls offenbarte sich als eine harmonisierende, auf Verifikation abzielende Geschichtsbetrachtung, welche der Unterschiedenheit vom geschichtlichen Grund und dem historisch Fremden (dem „Unwirksamen“) methodisch zu wenig Rechnung trug und darum auch die wissenschaftstheoretisch erforderliche Absicherung der Positivität letztendlich nicht zu leisten vermochte.186 Abgesehen davon ist Ritschls Systembildung von dem Bemühen getragen, ihre Wissenschaftlichkeit dadurch unter Beweis zu stellen, dass sie die Konstruktion einer Weltanschauung nicht dem monistischen Zug der Naturwissenschaften und dem sich darauf aufbauenden weltanschaulichen Materialismus überlässt. Im Hintergrund steht da-

182 Rechtfertigung und Versöhnung II, 5f. 10. 13f.; Unterricht, § 3 (13); vgl. Selbstanzeige II/III, 1126. 183 Unterricht, § 25 (28); Rechtfertigung und Versöhnung III, 3. 184 Selbstanzeige II/III, 1127. 185 Vgl. dazu CH. WALTHER, Reich-Gottes-Begriff, 128ff.; S. WEYER-MENKHOFF, „Reich Gottes“, 60ff. 186 Diese auf Systemintegration zielende Betrachtung hat F. HOFMANN, Albrecht Ritschls Lutherrezeption, 234f. 259f., auch für dessen Lutherrezeption nachgewiesen.

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bei das Problembewusstsein für die Gefährdung der sittlichen Persönlichkeit in der modernen Welt.187 Ritschl geht zu diesem Zweck vom Begriff der christlichen Religion auf einen allgemein-funktionalen Religionsbegriff zurück.188 In diesem Horizont lässt sich das Christentum – insofern der Gottesglaube eine wirksame Selbst- und Weltdeutung bereitstellt – ethisch-allgemein bewähren und religionstheoretisch als Voraussetzung der Sittlichkeit demonstrieren. Für diesen Zusammenhang sollen einige Hinweise genügen: Als Konstruktionsprinzip seines theologischen Systems dient Ritschl ein Begriff von christlicher Religion, welcher gemäß dem berühmtgewordenen Modell einer Ellipse konfiguriert ist: Die beiden Brennpunkte, Erlösung und Reich Gottes sind dabei als in einer solchen Wechselwirkung stehend zu denken, dass mit Schleiermacher die Selbständigkeit der religiösen Bestimmtheit der Erlösung, zugleich aber mit der Verkündigung Jesu, mit dem „praktische[n] Grundgedanke[n] der Reformation Luthers“189 und mit der Sittenlehre Kants190 der gemeinsame Endzweck des Reiches Gottes festgehalten wird.191 Luthers Freiheitslehre in seiner Weise aufnehmend will Ritschl diese Wechselwirkung darin realisiert sehen, dass die religiöse Abhängigkeit von Gott mit der religiösen Freiheit über die Welt, mit der im Vertrauen auf Gottes Vorsehung vollzogenen „Weltherrschaft“ einhergeht.192 Das Christentum bewährt sich darin, dass der Glaube an Gottes Vorsehung eine solche Selbst- und Weltdeutung hervorbringt, welche das sittliche Subjekt nicht im Sinne einer mechanischen Weltbetrachtung dem Naturzusammenhang und der technischen Kultur unterordnet, sondern seine die Grundlage der Sittlichkeit bildende Freiheit ermöglicht und sichert.193 Diese funktionale Bewährungsforderung gibt für Ritschl nun zugleich das formale Kriterium des allgemeinen Begriffs von Religion ab, welche als Selbst- und Weltdeutung dem menschlichen Bedürfnis nach Kontingenzbewältigung und Selbstbehauptung entspricht.194 Die theologische Ausarbeitung einer einheitlichen „Weltanschauung“ ist auf diesem Hintergrund notwendiges Implikat christlicher Freiheitsausübung und dient der Be-

187 Zur Bedeutung dieses Motivs und zum folgenden neuerdings: A. v. SCHELIHA, Glaube, 222ff. 188 Die Richtung dieser Denkbewegung vom Besonderen zum Allgemeinen ist zu beachten, vgl. Theologie und Metaphysik, 42. 47 und v.a. 66: „Die Verneinung der natürlichen Religion bedeutet folgerecht die Verneinung aller Allgemeinbegriffe, welche man vor den besonderen Beziehungen der Offenbarungsreligion und abgesehen von deren Wirklichkeit im Stifter und in der Gemeinde besitzen möchte.“ 189 Festrede, 27. 190 Vgl. die Zusammenstellung in: Selbstanzeige II/III, 1138f. 191 Ebd, 1140. 192 Festrede, 9-11; Rechtfertigung und Versöhnung III, 515. 193 Vgl. Rechtfertigung und Versöhnung III, 583; Vollkommenheit, 15: „die eigenthümlichste Probe der Versöhnungsreligion“; auch Unterricht, § 60 (52f.)! 194 Vgl. Rechtfertigung und Versöhnung III, 17; Festrede, 10. Zur Problematik dieser funktionalen Auffassung: E. HERMS, „Weltanschauung“, 133ff.

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währung auf dem Gebiet des allgemeinen Erkennens. Insofern nach Ritschl Philosophie und Naturwissenschaft mangels Gotteserkenntnis zu einer solchen zusammenhängenden Weltanschauung nicht fähig sind, bleiben sie auf eine Theologie angewiesen, welche auch selbst ihre Außenfunktion wahrnimmt und im Anschluss an den moralischen Gottesbeweis Kants die christliche Gottesidee „als Lösung des Welträthsels“ bereitstellt.195

Aufgrund der konstitutiven Rolle der Gemeinde im Theologiebegriff ist es nicht nur im Blick auf die Auseinandersetzung mit der konfessionellen Theologie, sondern auch im Blick auf Ritschls eigene Konzeption entscheidend, wie der Komplexität der ekklesiologischen Bestimmungsfaktoren Rechnung getragen wird. Es geht dabei letztlich um die Frage, auf welche Kirche sich die kirchliche Theologie bezieht. Der Zweipoligkeit des theologischen Konstruktionsprinzips entsprechend unterscheidet Ritschl zwischen der sittlichen Seite der Gemeinde als „Reich Gottes“ und der religiösen als „Kirche“.196 Da im „Standpunkt der Gemeinde“ beide Seiten enthalten sind, deutet bereits diese Unterscheidung darauf hin, dass Ritschls Theologiebegriff weiter gefasst ist, als es der Begriff „kirchliche Theologie“ insinuiert. Er bezieht sich, wie gleich zu sehen sein wird, nicht nur auf die institutionelle Kirche. Zu beachten ist nämlich weiter, dass die genannte Unterscheidung von sittlicher und religiöser Seite mit derjenigen von ethischer und religiöser Betrachtungsweise nicht identisch ist; diese wird vielmehr auf jene angewandt, so dass sich eine Vierteilung ergibt: In der dogmatischen Perspektive ist das Reich Gottes in dessen Handeln gegründet und verwirklicht, während es nach der ethischen Perspektive zugleich als Aufgabe menschlicher Verwirklichung erscheint; in der dogmatischen Perspektive wird Kirche als durch Gottes Gnadenhandeln in Wort und Sakrament konstituierte Gemeinschaft der Heiligen betrachtet, in der ethischen Perspektive werden die gleichen Kennzeichen als menschliche Mitteilungsvollzüge bzw. gottesdienstliche Handlungen der allgemeinen Wahrnehmung zugänglich.197 Die zuletzt genannte Unterscheidung im Kirchenbegriff ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen Ritschls, die seinem theologischen Systementwurf vorangehen und seine Kritik am Kirchenbegriff der 195 Rechtfertigung und Versöhnung III, 215. Dass sowohl die Theologie wie auch der Glaube eines Beweises für die Wahrheit nicht bedürfen, wird von Ritschl immer wieder betont, vgl. ebd., 24, auch die Darlegung in Ritschls Dogmatik-Kolleg von 1881/82, zit. bei R. SCHÄFER, Ritschl, 187. Zum Problem des moralischen Gottesbeweises R. GEISLER, Ritschls ethischer Gottesbeweis, 23-39 (v.a. 37). 196 Rechtfertigung und Versöhnung III, 270ff. 197 Zur ersten Unterscheidung vgl. ebd., 30; zur Vierteilung vgl. R. SCHÄFER, Albrecht Ritschls Ethik-Kolleg, 88ff.

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konfessionellen Theologie theologisch begründen. Es wäre daher zu vordergründig, in dieser Kritik lediglich ein pragmatisches Interesse an der Zukunftsfähigkeit des Protestantismus198 oder die bloße Absicht der Minimalisierung des institutionentheoretischen Aspekts zu erblicken.199 Ritschls „Grundlinien zur Ordnung der Lehre von der Kirche“200 knüpfen an die auf Zwingli zurückgehende Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche an und zielen mittels dogmatischer und ethischer Betrachtung darauf, göttliches und menschliches Handeln zu unterscheiden und in rechter Weise aufeinander zu beziehen.201 In diesem Zusammenhang werden letztlich dann drei Betrachtungsebenen skizziert: Der dogmatische Begriff hebt ganz darauf ab, dass gemäß CA VII Kirche als Gemeinschaft der Heiligen durch Gottes Handeln in Wort und Sakrament, d.h. durch „Vehikel der göttlichen Gnade, verba visibilis“ hervorgebracht wird.202 Das paulinische Bild des Leibes ist nach Ritschl dieser Betrachtungsweise zuzuordnen und wird darum in der rechtlich-institutionellen Deutung der konfessionellen Theologen ebenso verkannt wie der grundsätzliche Gegensatz von Religion und Recht.203 Ethisch betrachtet realisiert sich das Handeln Gottes in der Selbsttätigkeit der Menschen, vorzüglich in der Antwort des Bekennens. „Denn in dem Worte Gottes ist Gott Subject, in dem religiösen Bekennen die Menschen. Die beiden entgegengesetzten Beziehungen

198 Dass dies allerdings ein Motiv seiner Kritik sein kann, zeigt seine Festrede zum Lutherjahr 1883, 24f.: „[D]ie Partei, welche seit 30 Jahren Luthers Namen für sich in Anspruch nimmt, sich selbst mit der evangelischen Kirche identificiert,“ trage entgegen ihrer Absicht Mitschuld an der zunehmenden Entkirchlichung und dem Desinteresse am Christentum! 199 Zur Analyse der Aufsätze zum Kirchenbegriff vgl. H. GREWEL, Kirche und Gemeinde, 300ff., und A. v. SCHELIHA, Protestantismus und Kirche, 84ff. Letzterem ist zuzustimmen, dass die Bedeutung Ritschls darin bestehen könnte, die Alternative zwischen einer radikal neuprotestantischen Auffassung eines institutionenfreien Christentums und einer dogmatisch-konfessionellen Kirchlichkeit als Scheinalternative zu entlarven (ebd., 79. 100). Unter dem Primat von Ritschls funktionalem Religionsverständnis wird bei v. Scheliha allerdings die kirchliche Funktion auf „die Errichtung einer stabilen Kultur religiös-sittlicher Selbstdeutung“ (100) reduziert und eine „Selbstaufhebungsstruktur“ der institutionellen Merkmale postuliert (101). Eine solche, nun gegen Ritschl vollzogene Funktionalisierung verkennt nicht nur die Beziehung der kirchlichen Merkmale untereinander, sondern die Sachordnung des Denkweges, welche die Eigenständigkeit der soteriologisch bestimmten religiösen Betrachtung wahrt. Die christliche Religion ist für Ritschl darum nicht nur Selbstund Weltdeutung, die Sekten ebenso gut besorgen könnten. 200 Über die Begriffe: sichtbare und unsichtbare Kirche, 93. 201 Vgl. ebd., 91; Begründung des Kirchenrechts, 109. 114. 202 Ebd., 105. 109. 203 Ebd., 108.

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treffen nun in den Sakramenten direct zusammen.“204 Kliefoths Ansinnen, in CA VII die pura doctrina evangelii an den Inhalt der Augustana zu binden, kommt daher einer Unterordnung des Gottesworts unter das der prinzipiellen Veränderlichkeit unterworfene menschliche Bekennen gleich: „Dies nun ist der Irrthum, durch dessen Aufrechterhaltung eine Partei in der Kirche sich für die eigentliche Trägerin der Kirche ausgiebt, daß man das Wort Gottes, wenn man es auch anfänglich mit Paulus als Kraft Gottes zur Seligkeit anerkennt, alsbald nur als den Inhalt oder Stoff menschlichen Erkennens und gemeinsamen Bekennens vergegenwärtigt, und demgemäß menschliche Thätigkeit als Grund der Kirche in einem Sinne in Anspruch nimmt, welcher der Bedeutung des Wortes Gottes Abbruch tut.“205 Das rechtlich-politische Merkmal der Kirche schließlich verdichtet sich im Amt des ministerium verbi divini und ist auf die ethische Funktion bezogen: Es dient wie die gesamte Lehrordnung der Kirche der Identitätswahrung der ethischpersonalen Vollzüge und ist abgesehen von dieser Funktion (etwa als „Anstalt“) bedeutungslos.206 In der theologiegeschichtlichen Situation der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts teilt auch M. Kähler (1835-1912) mit Ritschl die „brennende Frage“207 der Erkenntnisgewissheit des gegenwärtigen christlichen Glaubens angesichts der Relativität historischen Wissens.208 Auf dem Hintergrund dieses historischen Problemhorizonts erschien Schleiermachers subjektivitätstheoretische Begründung des religiösen Bewusstseins unzureichend und dessen Absicherung durch spekulativbegriffliche Konstruktionen, wie Kähler sie von seinem Lehrer R. Rothe vermittelt bekommen hatte, überholt.209 Die Vergewisserung der im wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang der Gemeinde mit dem ethischen Wirken Jesu gegebenen Positivität durch den rein geschichtlichen Kongruenzaufweis, wie sie Ritschls theologischer Methodik zugrunde lag, war für Kähler schließlich nicht nur deshalb kein gangbarer Weg, weil sie der Theorieabhängigkeit der Wahrnehmung (der Problematik 204 205 206 207 208

Ebd., 118. Ebd., 126. Ebd., 136. 143f.; vgl. auch: Über die Begriffe: sichtbare und unsichtbare Kirche, 93. M. KÄHLER, Geschichte, 272. Theologie in ihrer Bedeutung, 15: Die „schwere Frage“ der Erkenntnisgewissheit wird von der „alten Frage“ der Heilsgewissheit bewusst unterschieden und als Herausforderung der theologiegeschichtlichen Situation angenommen. 209 Vgl. die Rothedarstellung in: Geschichte, 103-118. Von Rothes Vorlesung über das Leben Jesu erhielt der junge Kähler wichtige Fragen und Anstösse für seine eigene Beschäftigung mit der historischen Kritik; dazu: H.-G. LINK, Geschichte Jesu, 193208.

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der Leben-Jesu-Theologie)210 und damit der aufkommenden religionswissenschaftlichen Skepsis zu wenig Rechnung trug, sondern weil mit dem ethischen Erkenntnisprinzip eine epistemische Reduktion von Glaubensinhalt und -grund einherging.211 Es ist für Kähler zentral, den Gekreuzigten und den Auferstandenen, wie er für die Selbstaussage des Glaubens und die kirchliche Verkündigung konstitutiv ist, in die Bestimmung des Glaubensgrundes mit einzubeziehen und nicht durch eine rein historische Betrachtungsweise zu ignorieren.212 Anders gesagt: Was der christliche Gottesglaube durch alle Zeiten hindurch im Grundsatz weiß, muss schon in die Grundlegung der Theologie wie in ihr Geschichtsverständnis Eingang finden können, dass nämlich der Gottesglaube sich nicht selbst konstituiert, sondern sich dem Handeln Gottes verdankt. Wie gleich näher zu sehen sein wird, bestimmt diese Grundintention Kählers Fassung des Gegenstands der Theologie und auch die Einführung des umstrittenen Begriffs des „Übergeschichtlichen“. Hinsichtlich der vorliegenden Fragestellung lässt sich an dieser Stelle bereits die Bedeutung des Ansatzes für eine Theologie als „kirchliche Wissenschaft“213 erhellen: In der Aufnahme der Selbstaussage des Glaubenden, welcher in unvoreingenommener Lektüre die Bibel als Anrede Gottes auffasst, hat insbesondere die Dogmatik „Anwalt des Laien“ zu sein.214 Dies nicht gegen die Wissenschaft, sondern mit ihr und durch sie: Theologie hat die Aufgabe, die Glaubenden bzw. die Kirche darin zu unterstützen, dass sie die Gründe, welche dem Glauben und seiner Gewissheit vorausliegen, wissenschaftlich prüft und expliziert.215 Wenn nun die „Wissenschaft vom Christentum“ nur „innerhalb der Kirche“ statt hat,216 insofern diese nicht nur aufgrund dem Bedürfnis nach Optimierung ihrer geschichtlichen Daseinsform, sondern aufgrund der dem Glauben innewohnenden Forderung der „forschenden Selbsterkenntnis“217 die geschichtliche Trägerin „für eine 210 Zur verborgenen Dogmatik der Leben-Jesu-Theologie: Der sogenannte historische Jesus, 56f. 211 Vgl. Geschichte, 257. 212 Vgl. Der sogenannte historische Jesus, 185f.; Wissenschaft, § 95 (92); H.-G. LINK, Geschichte Jesu, 404. 213 Wissenschaft, § 51 (54). 214 Diesen Aspekt der Theologie Kählers hat G. SAUTER, Dogmatiker als Anwalt, 278ff., zum Gegenstand seiner Erörterung gemacht. 215 Vgl. Der sogenannte historische Jesus, 122; Wissenschaft, § 42 (46). 216 Ebd., § 45.2 (49). 217 Ebd., § 7 (8). Die Theologie kann schon aus diesem Grund nicht in ihrer Funktion für die Kirche aufgehen. Vgl. ebd. 8f.: Die Erkenntnisarbeit der Theologie kann „erst in der Folge an der Kirche ihren Zweck finden [...], übrigens auch ohne daß sie darum

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umfassende und durch die Zeit zusammenhangend fortschreitende Arbeit an der gläubigen Erkenntnis des Christentums“ ist,218 so beschränkt sich ihre Aufgabe daher keinesfalls in der Explikation einer Positivität, welche in der geschichtlichen Wirklichkeit des Christentums oder in der Schrift- bzw. Bekenntnisüberlieferung zu suchen wäre.219 Die Dogmatik hat es (im Unterschied zu den historischen Fächern und der Praktischen Theologie) vielmehr damit zu tun, dass das Christentum gemäß seiner Selbstaussage einen Wahrheitsanspruch impliziert, welcher zu prüfen, zu begründen und argumentativ zu entfalten ist.220 Mit einer Wesensbestimmung des Christentums oder einer funktionalen Bestimmung von Glaube und Religion hat sie diese Aufgabe noch nicht erfüllt.221 Bildhaft kann Kähler sagen, die Funktion der Theologie erstrecke sich nicht nur darauf, „eines der Schatzhäuser der Kirche“ zu sein, sie ist ebenso – indem sie die Glaubenswahrnehmung und -verständigung reguliert – deren „Sprachmeisterin“ und vor allem eben auch ein „Fingerzeig auf die Wahrheit“.222 Wahrheit wird dabei auf die in der Schrift und in den Dogmen sich niederschlagende Behauptung der „Selbstbekundung des unsichtbaren Gottes in Christo“ bezogen und als für gegenwärtiges Leben relevante Heilswahrheit des Verkündigungsinhalts verstanden.223 Entscheidend für ein modernes Wissenschaftsverständnis ist es dabei, dass die Arbeit an der Frage des Wahrheitsanspruchs des christlichen Glaubens, wie sie sich in der Gewissheitsfrage jedem

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aufhörte, bedingterweise Selbstzweck zu sein, wie das alle Erkenntnisarbeit ist.“ Grundsätzlich wird dieser Sachverhalt in Kählers Rektoratsrede „Die Universitäten und das öffentliche Leben“ erörtert (v.a. 9. 12). Wissenschaft, § 45.2 (49). Vgl. ebd., 12 (12f.) u. § 21.1a (23): Es entsteht ansonsten „Positivismus (Traditionalismus)“. Ebd., § 42 (46); vgl. § 61 (62). Theologie in ihrer Bedeutung, 5: „Man schreibt über das Wesen, weil man nicht mehr den Mut hat, über die Wahrheit zu schreiben.“; vgl. die Kritik an der idealistischen Wesensbestimmung in: Wissenschaft, § 62c (63). Zu Kählers eigener Bestimmung von Religion und Wesen des Christentums im Rahmen seiner „Apologetik“: Wissenschaft, § 76 (76), § 84 (85), § 87 (88). Zur funktionalen Bestimmung: Späne II/3 (494f.), zur Kritik an Ritschls Vorsehungsglauben auch: Späne X/13 (522): „[...] dann kommen erschütternde Katastrophen, und der Vorsehungsglaube wird zum Aberglauben. [...] Der Vorsehungsglaube ist keine Versicherungsanstalt – antik gedacht nur für das Ganze.“ Kähler sieht das Problem der funktionalen Bestimmungen darin, dass sie dem Vorwurf Feuerbachs ausgesetzt sind und Gott zum „Lückenbüßer für die Mängel im Weltlauf und im eigenen Geschick“, die Kirche nur zum „geistigen oder anstaltlichen Büttel“ machen (Offenbarungsansehen, 113). Theologie in ihrer Bedeutung, 3. 5. Wissenschaft, § 43 (46f.); vgl. § 232f. (208f.).

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Christen selbst stellt, einer kritischen Vermittlung mit dem jeweils gegenwärtigen allgemeinen Denken und Welterkennen bedarf. Kähler vergleicht diesen Sachverhalt mit der Diagonale eines Kräfteparallelogramms: „Die Theologie ist eine [...] Diagonale. Sie beruht auf zwei Triebkräften. Die eine Triebkraft ist das Evangelium, der Inhalt, den wir besitzen und der durch die Sprachmeisterin in die Welt hineingebracht werden soll. Aber das geht nur durch die Vernunft, und die Vernunft steht auch noch unter einer anderen Triebkraft, und diese Triebkraft ist das Erkennen aller Dinge um sie her.“224 Angesichts der für Kähler gegenwärtigen monistischen Weltanschauung in den allgemeinen Wissenschaften und dem „Aberglauben an die historische Methode“, welche historisches Geschehen einem weltanschaulichen Analogieprinzip unterwirft,225 stellen sowohl vermittlungstheologische Ansätze im Gefolge Schleiermachers als auch konfessionelle Positionen problematische Einseitigkeiten dar, welche der kritischen Funktion des wissenschaftlich-theologischen Arbeitens nicht gerecht werden: Erstere explizieren den christlichen Glauben im Sinne von Schleiermachers Forderung nach einem „ewigen Vertrag“226 ganz unter den Voraussetzungen der einen Winkelseite, nämlich der herrschenden philosophisch-wissenschaftlichen Weltanschauung, während letztere sich in der Explikation des geschichtlichen Christentums (in seiner konfessionellen Form) erschöpfen und sich so der Auseinandersetzung mit der anderen Winkelseite meinen entziehen zu können.227 Als kirchliche Wissenschaft hat die Theologie kritisch zu sein, d.h. es ist ihr versagt, Begriffe der allgemeinen Wirklichkeitswissenschaften ungeprüft zu übernehmen oder grundsätzlich abzulehnen. Der Konfliktfall lag für Kähler insofern vor, als das „wirkliche Christentum“ sich zum Handeln Gottes in Christus bekannte, so aber mit dem totalitären Wirklichkeitsverständnis des „Historicismus“, d.h. dem erkenntnistheoretischen Konstrukt des „Monismus“ kollidierte.228

224 Die Theologie in ihrer Bedeutung, 6. Vorausgesetzt ist bei diesem Bild, dass das Verständnis des Evangeliums immer schon durch die weltanschauliche Prägung des Erkenntnissubjekts bedingt ist. Kähler sieht die Absicht der Vermittlung schon bei den altkirchlichen Apologeten, aber auch bei Harnacks „Wesen des Christentums“ am Werk (dessen Bestimmung des Allgemeinen in der Verkündigung Jesu wird bei Kähler allerdings als „untergeschichtlich“ eingestuft, dazu unten; vgl. darüber hinaus Späne IX/1 (515): „Man schilt über die Verfälschungen der Hellenisierung und plätschert fröhlich im Wellenspiel der Modernisierung.“). 225 Subjectivismus und Historicismus, 150f. 226 F. SCHLEIERMACHER, Zweites Sendschreiben, KGA I/10, 350. 227 Theologie in ihrer Bedeutung, 14f. 228 Ebd., 17. Dieser Konflikt ist weder durch eine deistische Geschichtsbetrachtung (vgl. Wissenschaft, § 195 (170); Späne IV/14 (506)) noch durch ein „[A]bdanken“ der Ge-

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Es versteht sich nach dem Skizzierten von selbst, dass der Begriff der „positiven Wissenschaft“ bei Kähler eine eigentümliche Prägung erhält: Er bezieht sich nicht nur auf die geschichtlich gegebene Wirklichkeit des Christentums, sondern vor allem auf die Wirklichkeit der kirchlichen Verkündigung, der Gewissheit begründenden viva vox evangelii und dem darin beschlossenen Wahrheitsanspruch.229 Mit diesen Ausführungen ist die Grundintention und die Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche in der Konzeption Kählers grob umrissen. Insofern der Theologiebegriff über die geschichtlichgegebene Wirklichkeit des Christentums hinausgreift, ist es von fundamentaltheologischer Bedeutung, welche Stelle der Kirche (ihrer Lehre, ihrer Verkündigung) im theologischen Erkenntnisprozess zugewiesen wird. Ein Blick auf die systematische Durchführung von Kählers Vorgaben ist schließlich auch deshalb gefordert, als ernsthafte Kritik bis heute sich hauptsächlich auf sie, also weniger auf seine progammatischen Forderungen und Absichten bezieht.230

schichte „zugunsten der Subjectivität“ bzw. zugunsten einer natürlichen Religion zu umgehen (Subjectivismus und Historicismus, 152. 154). 229 Wissenschaft, § 43f. (46-48); vgl. § 12 (12); Der sogenannte historische Jesus, 181. An diesen Stellen wird erkennbar, dass Kähler mit der „biblischen Anschauung von dem Worte Gottes“ (ebd., 182) ein rein historisches Wirklichkeitsverständnis hinter sich lässt, er aber auf der anderen Seite wirkungsgeschichtliche Rückschlüsse vollziehen kann (z.B. ebd., 63), welche ein solches voraussetzen und letztlich die Wirkung zum Kriterium der Geschichtlichkeit machen. Vgl. dazu auch die Ausführungen von H.-G. LINK, Geschichte Jesu, 171-175. 230 Vgl. die Anfrage K. BARTHS, KD I/2, 880; die materialreich und von einer subjektivistischen Deutungsperspektive erhobene durchgängige Kritik von J. WIRSCHING, Gott in der Geschichte, v.a. 46f. 58ff. 168ff. 197-206. Die Differenz von intendiertem Programm und faktischer Durchführung liegt (neben der Übernahme der These Wirschings) auch der Kritik von W. PANNENBERG (z.B. in: ders., Problemgeschichte, 119f.) und G. WENZ (ders., Geschichte II, 137-142) zugrunde. Vgl. ebenso H.-G. LINK, Geschichte Jesu, 224f. 319 u.ö. Dieser versucht allerdings den Interpretationen im Gefolge Wirschings durch die Erarbeitung einer Entwicklungsgeschichte entgegenzutreten (vgl. ebd., 390-403), der zufolge sich die meist als Ausgangspunkt genommene Schrift Kählers „Der sogenannte historische Jesus [...]“ (1892) lediglich als Position des Übergangs erweist (ebd., 176-184). J.H. SCHMID, Erkenntnis, 448ff., hat dieses Entwicklungsschema allerdings begründet zurückgewiesen. Dass unbeschadet der Einschätzung im Einzelnen die intentionale Ausrichtung der Schrift von 1892 bei der Interpretation zu berücksichtigen ist, wird von Kähler selbst gefordert (Der sogenannte historische Jesus, V). Wegweisend scheint mir, der grundsätzlichen Kritik am theologischen Verständnis der Geschichte bei Kähler, wie sie von G. EBELING, Theologie und Verkündigung, 6ff., und von anderen in der Aufnahme der Unterscheidung W. Herrmanns von Grund und Inhalt des Glaubens vollzogen wird und im Vorwurf der theologischen Selbstbegründung des Glaubens ihren Kern hat, die interne Begründungsstruktur von Kählers eigener Argumentation gegenüber zu stellen. In dieser Hinsicht kann die Untersuchung von H.-P. GÖLL, Versöhnung, v.a. 220-237, 249-255, als wichtiger Fortschritt in der bisherigen Kählerforschung gelten.

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Kähler stellt in seinem systematischen Hauptwerk den Gegenstand der Theologie voran. In wissenschaftlicher Hinsicht wird damit bereits dem Grundsatz Bedeutung verliehen, dass sich das wissenschaftliche Verfahren nach dem Gegenstand zu richten hat.231 In theologischer Hinsicht ist so außerdem schon in der Anlage des Entwurfs der internen Glaubensperspektive Rechnung getragen, der zufolge Glaube „nomen relativum“ ist und „durch den Gegenstand erst wird“.232 Die inhaltliche Bestimmung des Gegenstands nun – das ist entscheidend – beruht auf einer für Kählers Theologie fundamentalen Unterscheidung, welche für seine Bearbeitung des Grundproblems, wie nämlich geschichtlich Partikulares gegenwärtige Gültigkeit und Wahrheit beanspruchen kann, maßgebend ist: „Das Christentum ist der zunächst erkennbare Gegenstand der Theologie; es erfordert eine besondere Wissenschaft, weil sein Verständnis durch seinen Besitz bedingt ist. Dasjenige aber im Christentume, was ohne persönliches Christentum nicht erfasst werden kann und was den eigentlichen Gegenstand der Theologie ausmacht, ist die religiöse Erkenntnis des in Christo offenbaren Gottes aus seinen Taten und Wirkungen.“233 Das Christentum kommt als Gegenstand der Theologie sonach in einer „Doppelseitigkeit“ in Betracht,234 der gemäß die Geschichte bzw. das geschichtliche Christentum notwendige, allerdings noch nicht hinreichende Bedingung des Gegenstands ist. Insofern der Glaube sich zu seinem Ursprung, der Offenbarung Gottes in Christus, bekennt, dieser Ursprung seinerseits durch die Geschichte vermittelt ist, aber nicht in ihr aufgeht, muss in der spezifisch religiösen Erkenntnis die jenseitige Voraussetzung thematisch werden.235 Sie folgt darin dem Christusbekenntnis der Glaubenden, dem zufolge Christus nicht lediglich eine Gestalt der Vergangenheit, sondern von „allgemeingültige[r] Bedeutung“ ist.236 Was mit dem christologischen Dogma ausgesagt wird, ist nichts anderes als der „lebendige[...] Zusammenschluß des Bleibend-Allgemeingültigen mit dem Geschichtlichen in einem Wirksam-Gegenwärtigen“ und wird von Kähler als „das Übergeschichtliche“ definiert.237 231 Wissenschaft, § 3 (5); vgl. Geschichte, 207! 232 Einleitung, 44; vgl. Wissenschaft, § 95 (92). 233 Ebd., § 4 (5). In diesem Gegenstandsbezug gründet sowohl die Einheit als auch die Selbständigkeit der Theologie (ebd., § 33 (36f.), § 40 (42-45)). 234 Ebd., § 29 (29). 235 Vgl. Subjectivismus und Historicismus, 154; Wissenschaft, § 13 (13f.). Die Signatur der als Typus verstandenen „modernen Theologie“ ist es, „Diesseitigkeitslehre“ zu sein: Die moderne Theologie, 47f. 236 Wissenschaft, § 13 (13); sehr erhellend auch: Späne V/9 (498-500)! 237 Wissenschaft, § 13 (15). Es wird von einer Bestimmung des Allgemeingültigen durch philosophische Begrifflichkeiten als „untergeschichtlich“ abgegrenzt (ebd., § 12 (13)).

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Die Theologie hat die geschichtlich-übergeschichtliche Struktur ihres Gegenstands zu beachten, sie ist darum nicht nur äußerliche „Christentums-Wissenschaft“ und „Kirchen-Wissenschaft“, welche das Christentum zum Gegenstand hat, sondern auch „Wissenschaft des Christus-Glaubens“ und „Wissenschaft der Offenbarungs-Religion“, welche Gott selbst zum Gegenstand hat.238 Vorausgesetzt ist dabei, dass die Begegnung mit dem Handeln Gottes auf die Geschichte in ihrer Kontingenz bezogen bleibt (sie wird nicht „außergeschichtlich[...]“ gesucht),239 gerade dadurch aber auch ein theologisches Geschichtsverständnis bedingt, das „Gott Subject der Geschichte“ sein lässt.240 Von hier aus können nun auch die theologische Methode und ihre näheren Voraussetzungen in den Blick kommen. In ihr, soviel sei schon vorweggenommen, ist das religiöse Bewusstsein der Gerechtfertigten der Orientierungspunkt der Dogmatik, die Kirche die Bewährungsinstanz für die Allgemeinheit des Übergeschichtlichen und die Schrift das objektive Prinzip, gewissermaßen der Platzhalter dafür, dass der Glaubensgrund den epistemischen Gehalt des Glaubensbewusstseins übersteigt. Wechselwirkung und Zusammenhang der Größen werden von Kähler in der internen dogmatischen Perspektive im Zusammenhang von Rechtfertigung und Versöhnung aufgewiesen.241 Die Definition des Gegenstands der Theologie bringt es mit sich, dass dieser gemäß seiner historisch-anthropologischen Seite der allgemeinen Methodik der betreffenden Wissenschaftszweige zugänglich ist. Gemäß seiner übergeschichtlichen Seite gilt diese Zugänglichkeit nur mittelbar, „nämlich nur durch die überlieferten Aussagen in betreff

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Die Entfaltung des Begriffs des Übergeschichtlichen kann hier nicht geboten werden (vgl. dazu neuerdings M. MENCKE, Erfahrung und Gewißheit, 53ff.); festzuhalten bleibt seine christologische Zuspitzung auf die bleibende Allgemeinheit des Versöhnungsgeschehens Jesu Christi, das als Handeln Gottes in Anspruch genommen wird. Die Rede von einer eigenständigen Übergeschichte, gar als eigene Geschichtsdimension „über“ der Geschichte, ist daher fragwürdig. Vgl. ebd., § 63.2 (64): „vorläufige Bezeichnung“, § 249 (224). In der Christologie sodann: § 359 (322), § 377 (333) und die wichtige Stelle in: Späne V/9 (498-500). Wissenschaft, § 5-9 (6-10). Subjectivismus und Historicismus, 165; vgl. Wissenschaft, § 14.b+c (16). Subjectivismus und Historicismus, 164. Der gesamte Duktus dieser Schrift macht deutlich, dass Kähler mit dem Begriff des Übergeschichtlichen der internen Glaubensperspektive gerecht werden will. Vgl. Wissenschaft, § 43 (46). Auch dies kann an dieser Stelle nur knapp ausgeführt werden, im Vordergrund steht die Frage nach der Funktion der Kirche. Angesichts der Forschungslage scheint mir allerdings der Nachweis notwendig zu sein, dass es zu kurz greift, die Kontrollierbarkeit theologischer Aussagen der historischen Forschung zuzuweisen und konsequenterweise in der Kählerschen Weigerung diesbezüglich bzw. seiner vielzitierten Rede vom „sturmfreien“ Gebiet eine Selbstimmunisierung der Dogmatik zu erblicken.

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seiner [des Übergeschichtlichen, H.-M. R.] und deren geschichtlichen Wirkungen“.242 Die rein historische Betrachtung bleibt „die Lösung der eigentlich theologischen Aufgabe schuldig“,243 denn die Theologie hat „die übergeschichtliche Beschaffenheit ihres Gegenstandes“ aufzufassen.244 In dem geforderten „eigenartige[n] theologische[n] Verfahren“245 ist nun der Glaube das Erkenntnismedium, welches als vom Selbstund Weltbewusstsein unterschiedenes Gottesbewusstsein das Übergeschichtliche „erschließt“.246 Mit seiner Fassung der Differenz von Gottes-, Selbst- und Weltbewusstsein trennt sich der „evangelische[...] Subjectivismus“ Kählers von der theologischen Methode Schleiermachers.247 Die Bewusstseinsinhalte des Glaubens können für ihn nicht reflexiv aus dem frommen Selbstbewusstsein gewonnen werden. Was Kähler dagegen hält, führt freilich eine eigene erkenntnistheoretische Problematik mit sich: Der Inhalt des Bewusstseins ist mit der Rechtfertigungslehre gesetzt. Denn in ihr ist der Orientierungs- und Bezugspunkt gegeben, an dem das Handeln Gottes eindeutig und über das individuelle Bewußtsein hinaus zu identifizieren ist. An das Bewusstsein des Gerechtfertigten hält sich die dogmatisch-theologische Erkenntnis nicht deshalb, weil aus ihm Glaubensaussagen geschöpft werden müssten (nach Kähler eine „subjectivistische Bewußtseinsphänomenologie“),248 sondern weil dieses sich, an die viva vox evangelii gebunden, auf das geschichtlich-übergeschichtliche Handeln Gottes ausrichtet und in ihm gegründet sieht. Der evangelische Subjektivismus hat darum sein Maß darin, „daß er von dem tieffsten Zuge nach dem Objectiven bewegt ist“.249 Mit der Rechtfertigungslehre fragt die Theologie vom Bewusstsein des Gerechtfertigten aus nach den Gründen des Heilsstandes, welche mit der Versöhnungslehre ausgesagt werden. In erkenntnistheoretischer Hinsicht ist die Vorgehensweise Kählers damit durch ihre Bindung an die interne Perspektive als einer dogmatischen ausgezeichnet. Sie legt durch ihre Gegenstandsbestimmung selbst fest, an welcher Stelle sie für eine allgemeine Erkenntnismethode offen ist, ohne sich selbst in eine solche überführen zu lassen. Sie gewährleistet da-

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Wissenschaft, § 14a (15). Ebd., § 21 (23). Ebd., § 14a (15). Ebd., § 13 (15). Ebd., § 17 (18). Zur erschießenden Funktion der Glaubens („Schlüssel“) vgl. auch: Universitäten, 17ff. 247 Einleitung, 43; deutlich ist die Differenzierung auch in: Wissenschaft, § 117 (113). 121 (115f.) u.ö. Eine Interpretation des für Kähler wichtigen Begriffs „Bewusstsein der Gerechtfertigten“ wird dies zu beachten haben; vgl. J.H. SCHMID, Erkenntnis, 195ff. (dort auch Kritik an der Deutung von Wirsching); auch: H.-P. GÖLL, Versöhnung, 224-237. 248 Wissenschaft, § 247b (221); vgl. Heilsgewißheit, 383f. 249 Einleitung, 44; vgl. Heilsgewissheit, 401. 420. Zum Ganzen: H.-P. GÖLL, Versöhnung, 224-229.

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

mit, dass die Theologie ganz bei ihrer „Sache“, dem aufgegebenen Gegenstand bleibt und sich zugleich der Problematik einer kontingenten Geschichte stellen kann.250 Nachteilig ist allerdings, dass sie einer reflexionstheoretischen Metaebene entbehrt, welche eine erkenntnistheoretische Rechenschaft gegenüber philosophischen Fragestellungen z.B. des Neukantianismus ermöglicht hätte – zumal Kähler derartige erkenntnistheoretische Grenzbestimmungen zurückweist, zugleich aber mit seinem eigenen Verfahren an der Problematik einer zweifachen Erkenntnisordnung teilhat (dazu unten, 1.2.1.).

Ist der Glaube Voraussetzung der Theologie, insofern dieser in der Geschichte den „übergeschichtliche[n] Zug und Inhalt“ der Offenbarung erkennen lässt,251 so ist er dies nur in seiner Bezogenheit auf „geschichtliche Tatsachen und deren Überlieferung“ und zugleich auf die in der Schrift gründende Verkündigung der Kirche (als Vermittlung der übergeschichtlichen Bedeutung).252 In beidem zusammen – dies entspricht der „Doppelseitigkeit“ des Gegenstands – hat der Glaube das „Prüfmittel seiner Sachlichkeit“.253 Glaubenswissen muss sich daher sowohl (a) hinsichtlich der geschichtlichen Tatsächlichkeit als auch (b) hinsichtlich der „Allgemeingültigkeit“ deren Bedeutung und Wirkung bewähren lassen – nämlich durch die „gemeinsame Bezeugung“ in der internen Bekenntnisperspektive der Kirche.254 Zunächst zu letzterem (b): Insofern die Theologie auf Glaubensaussagen angewiesen ist, hat sie schon formal auch in der Kirche – gefasst als Gemeinschaft der Glaubenden – ihre Voraussetzung.255 Sofern diese wiederum als in der Art einer „geschichtliche[n] Trägerin des gemeinsamen Bekenntnisses“ erscheint, differenziert sich diese Voraussetzung dahingehend, dass der christliche Glaube durch das bekennende Zeugnis (in der Verkündigung) sowohl entsteht als auch durch das gemeinsame Bekenntnis mit dem Charakter eines „allgemeingültigen Wissens“ als Glaubensaussage bewährt werden kann.256 Es handelt sich dabei freilich um eine Allgemeingültigkeit, „deren Gültigkeit dem Umfange nach beschränkt bleibt“.257 Das heißt aber: Indem sich die Theologie auf einen bestimmten Bekenntnisgehalt bezieht, an welchem die

250 Das hält auch die überaus kritische Studie von J. WIRSCHING, Gott in der Geschichte, 237, fest. 251 Wissenschaft, § 221.1 (195), vgl. § 15 (17). 252 Ebd., § 18 (19); vgl. § 16 (17f.): „theologische Verbürgung“. 253 Ebd., § 16 (18); vgl. „zugleich“ in: ebd., § 18 (19). 254 Ebd., § 18 (20); vgl. § 22 (24f.). 255 Ebd., § 7 (8); vgl. die dreifache Differenzierung im Kirchenbegriff in: Die moderne Theologie, 67. 256 Wissenschaft, § 22 (24). 257 Ebd., § 18 (20); vgl. ebd., § 44.2 (48).

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie

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Glaubensaussagen zu bewähren sind, ist sie eine kirchliche Wissenschaft einer bestimmten konfessionellen Kirche. Gerade um der Bewährungsfunktion des Bekenntnisses willen ist es für Kähler allerdings erforderlich, dass die Erkenntnisvoraussetzung des Glaubens nicht als Vorurteil für die Gültigkeit eines bestimmten Bekenntnisses herabgesetzt wird,258 sondern die wissenschaftliche Prüfung der geschichtlichen „Sachlichkeit“ und der Allgemeingültigkeit der Aussagen umso mehr notwendig macht.259 Gegenüber einer konfessionellen Verengung, welche sich um die Möglichkeit begibt, den Bereich ihrer Allgemeingültigkeit zu prüfen, hat Theologie darum in diesem Fall Anwalt der Sachlichkeit zu sein, indem sie die Beziehung des Bekenntnisinhalts zum ursprünglichen kirchenbegründenden Bekenntnis der Schrift darlegt.260 Auf diese Weise hält sie die Einheitlichkeit des Glaubensinhalts gegenwärtig und arbeitet implizit auf ein allgemeinchristliches Bekenntnis hin.261 Kurzum: Die Bewährungsfunktion des kirchlichen Bekenntnisses erfordert die Arbeit einer kritisch prüfenden kirchlichen Wissenschaft. Zur Bewährung in geschichtlicher Hinsicht (a) ist festzuhalten: Die beiden Aspekte, auf welche das „Prüfmittel der Sachlichkeit“ anzuwenden ist, nämlich auf die geschichtliche Tatsächlichkeit und deren Bedeutung für die Glaubenden, finden sich untrennbar verbunden in der Schrift.262 Sie ist deshalb nicht historischer Tatsachenbericht, sondern „Bekenntnis“, „Predigt“. Dies hat bedeutsame Folgerungen für die Kontrollierbarkeit bzw. die Falsifizierbarkeit dogmatischer Aussagen. Ist die Unterscheidung von historischem Glaubensgrund und Glaubensinhalt, von Tatsache und Bekenntnis nicht möglich, dann erhält die historische Forschung im Blick auf die rein historische Falsifikation zunächst eine äußerst begrenzte Funktion. Sie betrifft nur den Sachverhalt, dass mit dem Schwinden der geschichtlichen Tatsächlich-

258 Ebd., § 21.1a (23). 259 Ebd., § 24 (25). Ebenso wie eine positivistische konfessionelle Theologie wäre allerdings auch eine völlig bekenntnislose Theologie eine „Abart[...] kirchlicher Wissenschaft“: Sie gibt vor, voraussetzungslos zu sein, ist es aber keineswegs. Denn sie besitzt ihre Voraussetzung in der angeblichen Entbehrlichkeit eines bestimmten Glaubens als Erkenntnisvoraussetzung. Dadurch verliert sie den Zusammenhang mit der Kirche als „Trägerin der Christentums-Wissenschaft“ (ebd., § 25 (25f.). Kähler nennt diesen Typ „Kriticismus“. 260 Die Theologie besitzt, das ist für Kählers Schriftverständnis grundlegend, in der Schrift die „fortwirkende Urkunde der kirchengründenden Predigt“ (ebd., § 52 (54)); vgl. auch: Der sogenannte historische Jesus, 24! 261 Wissenschaft, § 24 (25). 262 Ebd., § 29 (29f.).

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

keit keine dogmatische Bedeutung mehr möglich ist.263 Die Begrenzung ihrer Kontrollfunktion ist näher darin begründet, dass die Dogmatik ihren durch den geschichtlich-übergeschichtlichen Gegenstandsbezug geforderten theologischen Standpunkt nicht zugunsten eines externen Standpunkts aufgeben kann. Denn dann würde die Frage der Gewissheit des Glaubens außerhalb des durch die Grundvoraussetzung abgesteckten Raumes, dass Gott in Christus gehandelt hat, zu beantworten gesucht.264 Die Tatsache, dass der Glaubensgrund und die Glaubensgewissheit durch das Wort der Verkündigung von Schrift und Kirche gegeben sind, kann nun nicht von der historischen Forschung abhängig gemacht werden. Insofern gibt es, allerdings nur innerhalb (!) der Gemeinde der Glaubenden, ein „sturmfreie[s] Gebiet“265 – während in der nach außen gerichteten Perspektive der Apologetik einem historisch erarbeiteten „Minimum“ nach wie vor eine nützliche Funktion zugemessen werden kann.266 Hinsichtlich der Aufgaben theologischer Wissenschaft ist daher zu beachten, dass nur die dogmatische Disziplin, welche dem Wort der kirchengründenden Predigt Rechnung trägt und unter der Voraussetzung des Handelns Gottes arbeitet, dieses „sturmfreie Gebiet“ aufzeigen, mithin Jesus selbst als Urheber seines Bildes behaupten kann.267 Zugleich hat sie sich aufgrund der Forderung nach der Begründetheit ihrer Aussagen durch das so gefasste Wort (nicht durch das Konstrukt einer historischen Tatsächlichkeit bzw. eines historischen Jesus) fortwährend korrigieren zu lassen.268 Die Einspruchsfunktion historischer Forschung wird auch in diesem Zusammenhang nicht eliminiert, sondern begrenzt und präzisiert. Im Blick auf das verkündigte Wort gilt sehr wohl, dass die Dogmatik auf die historische Forschung der Bibel angewiesen ist und deren Infragestellung dogmatischer Aussagen ernst zu nehmen hat.269 Diese Einspruchsfunktion 263 Vgl. das mit dem Ausdruck „Unterlage“ Bezeichnete in: ebd., § 18 (20) und in: Der historische Jesus, 123: „Da ist aber auch ein Maßstab, auf den kein nachdenkender Christ verzichten kann: das ist die zuversichtliche Stellung zu geschichtlichen Tatsachen, welche Unterlage und Gegenstände des Glaubens bilden.“ Ähnlich: Einleitung, 49. 264 Vgl. Versöhnung, 351. 265 Vgl. Der sogenannte historische Jesus, 201, auch 147. 266 Vgl. ebd., 152. 267 Vgl. ebd., 202. 268 Vgl. Späne III/12 (496). 269 Offenbarungsansehen, 95: „Nach meiner Überzeugung fordert die besprochene, Jahrhunderte währende kritische Arbeit an der Bibel von uns die Prüfung der uns überlieferten theologischen Meinungen [...]“; vgl. auch die Verhältnisbestimmung von Offenbarung und menschlichem Zeugnis in der Bibel: ebd., 103. Zum Bezug des Glaubens auf geschichtliche Tatsachen außerdem die umsichtige Darstellung bei M. MENCKE, Erfahrung und Gewißheit, 82-90.

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie

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wird aber von der Meinung abgegrenzt, dass dazu Tatsächlichkeit und Bekenntnis auseinander dividiert werden müssten bzw. eine genealogisch rekonstruierte Tatsächlichkeit als Glaubensgrund in Anspruch genommen werden könnte. Die vorrangige Aufgabe der Dogmatik besteht letztlich darin, eine interne Begründungsstruktur theologischer Aussagen aufzuweisen. Von der Versöhnungslehre, dem „Realprinzip einer Dogmatik“ empfangen das materiale Prinzip (Rechtfertigungsglaube) und das formale Prinzip (Schriftprinzip) ihre Begründung und können in ihrer wechselseitigen Bezogenheit und Verschränkung erfasst werden.270 So erhellt die Versöhnungslehre die Gründe des Rechtfertigungsglaubens und steht auch für das Offenbarungsansehen der Schrift ein – während gemäß der ratio cognoscendi die Versöhnungslehre erst vom Rechtfertigungsglauben und von der Schrift her entwickelt wird.271 In ihrer Zusammengehörigkeit erst können subjektiv-religiöses Prinzip (aneignende Religiosität) und objektives Prinzip (Wort der Offenbarung) Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses sein. Weder ein abstraktes Schriftprinzip noch eine relationslose Subjektivität des Bewußtseins können diese Stelle einnehmen. Kähler versteht es als Abbildung des reformatorischen promissio-Gedankens, dass die Subjektivität nur dann schöpferisch tätig zu werden vermag, wenn sie auf eine geschichtlich gegebene Objektivität verwiesen ist.272 So gewährleistet es denn auch die Heilige Schrift, dass Glaubensgrund und -inhalt nicht mit dem epistemischen Gehalt des Bewusstseins zusammenfallen;273 sie ist außerdem der „unaufhörliche Protest wider die Herabsetzung Gottes und seiner Offenbarung zum Mittel irdisch-menschlicher Ziele“ und die Kritik „aller sich selbst überlassenen Religion“.274 Ritschls Dogmatik folgt einem streng standpunktbezogenen Theologieverständnis, welches seinen Erkenntnisgrund und -gegenstand intern im ethischen Vollzug der Gemeinde vorfindet und im Schema der göttlichen Bewirkung expliziert. Angesichts der menschlichen Bedürfnisstruktur und der Defizienz allgemeiner Deutungsmodelle muss sie sich ethisch-allgemein vermitteln und bewähren lassen, während sie im Blick auf sich selbst und auf die von ihr beanspruchte Wirksamkeit Christi in der Gemeinde das entscheidende wissenschaftliche Beurteilungskriterium im Nachweis der historischen Kontinuität findet. 270 271 272 273 274

Einleitung, 61f.; vgl. H.-P. GÖLL, Versöhnung, 16-19. Vgl. Einleitung, 43. 47; dazu: H.-G. LINK, Geschichte Jesu, 316f. Vgl. Einleitung, 48. 54f. Ebd., 55. Offenbarungsansehen, 112f.

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

Kählers Theologiebegriff folgt der Grundintention, der internen Glaubensperspektive (ihrer Erkenntnisforderung, ihrem Wahrheitsanspruch) wissenschaftlich Rechnung zu tragen. Die in ihr wirkenden Prinzipien haben ihre Begründung in der Universalität des Handelns Gottes, so dass die Dogmatik nicht in ihrer Funktion einer Identitätsstabilisierung von Kirche bzw. Protestantismus aufgehen kann. Gleichwohl ist die Kirche Trägerin einer Wissenschaft, welche sie zu ihrer Selbstreflexion, ihrer Selbstvergewisserung, der Selbstkritik, aber auch zu ihrer gesellschaftlichen Kommunikationsfähigkeit bedarf. Deren Kontrollierbarkeit ist durch die internen Prinzipien unmittelbar, durch Prinzipien der allgemeinen Wissenschaft nur mittelbar gegeben. Diese Differenz wird durch den der theologischen Wissenschaft zugrunde liegenden doppelseitigen Gegenstandsbegriff begründet und reguliert.

1.1.4.

Ernst Troeltsch

Im Anschluss an den allgemeinen Wissenschaftsbegriff findet Troeltsch die Positivität des theologisch-wissenschaftlichen Gegenstands in der historisch gegebenen Religion, speziell der Christentumsgeschichte. Die Erschließung der in ihr immanent vorhandenen normativen Gehalte wird durch eine religiös verankerte Geschichtsauffassung gesteuert, welche im Blick auf das prozessuale Sich-in-Beziehung-Setzen von Christentum und soziokultureller Umgebung Kompatibilität und Legitimität ebenso zu denken gestattet wie die Unentbehrlichkeit eines individuellen Urteils. Die für Schleiermachers Theologiebegriff maßgebliche Doppelbestimmung von Wissenschaftlichkeit und Kirchlichkeit wurde als heuristisches Mittel der Profilierung zur exemplarischen Darstellung der nachfolgenden Entwicklung in Anspruch genommen (1.1.2). Wie gleich zu sehen sein wird, ist sie auch weiterhin hilfreich. Aufgrund der wirkungsgeschichtlichen Nähe bzw. ihrer beiderseitigen Abgrenzung bietet sich für die folgenden Entwürfe von Troeltsch und Barth allerdings zunächst Kählers fundamentale Unterscheidung hinsichtlich des Gegenstands der Theologie an. Wie gezeigt, hatte dieser auf dem Hintergrund des durch die historische Fragestellung aufgeworfenen geltungstheoretischen Problemhorizonts eine „Doppelseitigkeit“ von geschichtlich Positivem und Geschichtstranszendentem der wissenschaftlichen Gegenstandsbestimmung zugrunde gelegt. Die Divergenz der theologischen Ansätze von Barth und Troeltsch, aber

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie

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auch der Zuordnungsversuch Bonhoeffers in „Akt und Sein“ lassen sich von dieser Doppelbestimmung her erhellen:275 In einem gegenüber dem theologie- und kulturgeschichtlichen Standort Schleiermachers und Kählers verschärften Problemhorizont („Krise“)276 ist für Barth die Positivität des Gegenstands wissenschaftlicher Theologie und deren geltungstheoretische Grundlage (unbeschadet des indirekten Zugangs) geschichtstranszendent, für Troeltsch (unbeschadet des transzendenten Hintergrunds) entschieden geschichtlichpositiv zu fassen. Das jeweils andere Moment ist dabei, dies bleibt zu beachten, als Ziel theologischer Arbeit und Methodik aufgegeben.277 War bei Kähler die Bestimmung der Theologie als einer „geschichtlich positive[n] Wissenschaft“278 lediglich ein Bestimmungsmoment im ganzen Theologiebegriff, so weitet sich dies bei Troeltsch im Zuge der Historisierung der Wissenschaft ins Grundsätzliche: Der Anschluß an den allgemeinen Wissenschaftsbegriff schließt geschichtstranszendente Begründungsinstanzen zur wissenschaftlichen Grundlegung und zur

275 Eine an dieser wie auch an anderen Stellen vorgenommene problemgeschichtliche Profilierung hat den methodischen Vorteil, gegenüber der perspektivischen Wahrnehmung der Gegner, wie sie von den Autoren in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext selbst vollzogen wird, eine relative Distanz wahren zu können. Die Bemerkung sei erlaubt, dass an diesem Punkt ein Vergleich auch der neueren Arbeiten über Schleiermacher, Troeltsch oder Barth kritisch ausfällt, insofern zum erheblichen Teil unbedacht Gegnerstilisierungen übernommen werden. Im ökumenischen Dialog haben sich diesbezüglich höhere hermeneutische Standards durchgesetzt. 276 Wie in der Einleitung dieser Untersuchung bereits sichtbar wurde, gehörte es seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nahezu zur Charakteristik theologischer Positionen, eine Analyse „der Krise“ und einen Beitrag zu deren konstruktiver Bewältigung leisten zu wollen: F.W. GRAF, Religion und Individualität, 218, Anm. 32. Graf selbst vertritt die These: „Unter den Theologen des 20. Jahrhunderts ist Ernst Troeltsch der Krisentheologe par excellence“ (ebd., 218). Vgl. dagegen: G. PFLEIDERER, Karl Barths praktische Theologie, 6: „Die Theologie Karl Barths ist die exemplarische Krisentheologie der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.“ Zum zeitgeschichtlichen Umfeld weiter: K. NOWAK, Geschichte des Christentums, 163-204; T. NIPPERDEY, Religion im Umbruch, 67ff.; vgl. außerdem: R. KOSELLEK, „Krise“, 12351240; M. MURRMANN-KAHL, Die entzauberte Heilsgeschichte, 75ff. 452ff.; schon K. HEUSSI, Krisis. Als sicher kann gelten, dass im Blick auf die Krise neuzeitlicher Subjektivität, auf den Historismus und seiner Infragestellung aller außergeschichtlichen Wahrheitsinstanzen und auf die Relativierung des kirchlichen Traditionsmonopols durch die höhere Ausdifferenzierung der Gesellschaft eine Verschärfung gegenüber dem Problemhorizont Schleiermachers vorliegt. Vgl. H. RUDDIES, “Das große Programm aller wissenschaftlichen Theologie“, 749f. 762. 277 So zielt Barths Entwurf in einer spezifischen Weise auf Realitätskonformität und Realitätsgestaltung, während Troeltschs Bemühen der Sicherung geschichtstranszendenter Werte gilt. Denn auch für ihn ist nicht unmittelbar Historisches Glaubensgegenstand, die „unmittelbar religiöse Empfindung“ richtet sich auf das „Übergeschichtliche“ (!): E. TROELTSCH, Logos und Mythos, 826. 278 M. KÄHLER, Wissenschaft § 12 (12).

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

Geltungssicherung des Christlichen aus. In dieser Perspektive musste Kählers These vom „sicheren Hafen“ die Theologie als „unreinliche Wissenschaft“ erscheinen lassen, welche einem „exklusiven Supranaturalismus“ nicht zu entsagen bereit ist, sich der historisch-kritischen Prüfung entzieht und mit dem allgemeinen Wahrheitsbewusstsein nicht vermittelbar ist.279 Dem historischen Bewußtsein und der allgemeinen Methodik ist für Troeltsch erst Rechnung getragen, wenn sich Religion und Theologie den dadurch hervorgerufenen Relativitätserfahrungen öffnen.280 Genau dies ermöglicht allerdings nun zugleich einen konstruktiven Umgang mit der Krise, insofern die Theologie genötigt wird, „auf die allgemeinste der erreichbaren Voraussetzungen zurückzugehen“, nämlich auf das historische Gegebensein der Religion in ihrer Geschichte bzw. im speziellen Fall auf die Christentumsgeschichte.281 Von dieser grundlegenden Positivität ausgehend282 wendet sich Troeltsch der Bearbeitung des für ihn zentralen Grundproblems zu, der Vermittlung von Geschichte und normativen Verbindlichkeiten. Zum Zweck einer nach dem Wegfall der Schriftautorität oder kirchlichen Autoritäten erforderlichen geltungstheoretischen Bearbeitung der Religionsgeschichte283 muss die theologische Wissenschaft neu konzipiert – und das heißt vor allem: die Religionsphilosophie als Fundamentaldisziplin zugrunde gelegt werden.284

279 Vgl. E. TROELTSCH, Absolutheit, 107 (dort im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit C.F.G. Heinrici). Zu Kähler direkt vgl. den Brief an A. v. Harnack (zit. bei K.-E. APFELBACHER, Frömmigkeit und Wissenschaft, 69): „Namentlich Kählers ganz vagen Behauptungen entgegenzutreten, war mein Anliegen. An solchen Büchern sieht man, wie die alte Theologie nur durch gewaltsame Capriccios schmackhaft zu machen ist und wie unendlich weit jede neue von der alten wegsteuern muß.“ Das Urteil des reifen Troeltsch über den Entwurf von A. Ritschl würde übrigens ähnlich ausfallen, vgl. ders., Protestantisches Christentum, 488f., Absolutheit, 158ff., Rückblick, 200. 280 Vgl. dazu und zum Folgenden die instruktive Einführung von F.W. GRAF / H. RUDDIES, E. Troeltsch: Geschichtsphilosophie in praktischer Absicht, 132ff.; auch schon: E. LESSING, Geschichtsphilosophie, 10ff.; K.-E. APFELBACHER, Frömmigkeit und Wissenschaft, 62ff.; G. KÖNIG, Die systematische Funktion, 76ff. 281 E. TROELTSCH, Voraussetzungslose Wissenschaft, 191f. 282 Ebd., 192: „die Tatsache des religiösen Lebens.“ Vgl. dazu unten, 1.1.5., Barths Bindung der Positivität an die „Tatsache“ der Predigt. 283 Vgl. etwa: Absolutheit, 90: Der Sinn der Theologie könne nur in der „Gewinnung normativer religionswissenschaftlicher Erkenntnisse“ aus der Geschichte bestehen (Hervorheb. im Orig.; vgl. dazu ebd., 189). 284 Voraussetzungslose Wissenschaft, 192: „Damit ist die Theologie an die Religionsphilosophie verwiesen. Von ihr aus wird sie erst Wesen und Geltung des Christentums so konstruieren können, daß damit dem modernen Geiste der Voraussetzungslosigkeit genügt ist.“

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie

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Auf dem Boden bestimmter wissenschaftstheoretischer und geschichtsphilosophischer Prämissen kommt es so nicht nur zu einer Neubestimmung theologischer Normen, sondern auch zu einer enzyklopädischen Neubestimmung der theologischen Disziplinen und ihrer Aufgaben. Dies soll im Folgenden ebenso skizziert werden wie die damit einhergehende Kirchentheorie und der Ertrag für die Funktionsbestimmung der Theologie. Neuprotestantische Theologie285 zeichnet sich für Troeltsch durch die Grundüberzeugung der Kompatibilität des Christentums mit neuzeitlicher Kultur und Wissenschaft aus.286 Sie verarbeitet die Historisierung der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft konstruktiv, indem sie ihre tradierten Vorstellungsgehalte und sich selbst der Historisierung sowie der damit einhergehenden Relativierung aussetzt und darin zugleich das „Ende der dogmatischen Begriffsbildung“ unbefangen anerkennt.287 Die Übernahme der Prinzipien historischen Denkens (Kritik, Analogie, Korrelation) in die theologische Methode, wie Troeltsch sie beispielhaft in seiner programmatischen Abhandlung „Über historische und dogmatische Methode in der Theologie“ (1900) fordert, wird zur fundamentaltheologischen Voraussetzung einer sich als Wissenschaft verstehenden Theologie. Ihr gemäß können Urteil und Wertung über das Christentum bzw. über die Person Jesu nicht unter der Berufung auf das interne Selbstverständnis der christlichen Gemeinde einem letztlich „autoritären Offenbarungsbegriff“ abgewonnen werden, sondern „nur [...] dem großen Zusammenhange der Gesamtgeschichte“.288 Die geltungstheoretische Verabschiedung einer spezifisch theologisch-dogmatischen Methode zugunsten einer allgemein-wissenschaftlichen mündet konsequenterweise schon in diesem Zusammenhang in die Forderung nach einer „religionsgeschichtlichen Theologie“.289 In seiner aus einem Vortrag vor den „Freunden der Christlichen Welt“ in Mühlacker hervorgegangenen ‚Absolutheitsschrift’ von 1902 285 Vgl. grundsätzlich H.-J. BIRKNER, Über den Begriff des Neuprotestantismus, 1ff.; zur Protestantismusdeutung von Troeltsch: CH. ALBRECHT, Historische Kulturwissenschaft, 226ff. 286 Vgl. v.a. Protestantisches Christentum, 503, auch: Weltanschauung, 228f., u. den Hinweis auf den religiösen Vollzug in: Rückblick, 198: „Wer persönlich im religiösen Leben steht [...] wird immer überzeugt sein, daß die verschiedenen Erkenntnisquellen irgendwie koinzidieren und harmonieren müssen.“ 287 Absolutheit, 113, vgl. 112: „Die moderne Historie ist ein Prinzip der Gesamtanschauung alles Menschlichen, [...] der Zentralherd der Bildung aller Weltanschauung.“ 288 Über historische und dogmatische Methode, 731. 738. 289 Ebd.

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

kommt das genannte Verfahren exemplarisch zur Durchführung: Das Christentum wird als historisches Phänomen einer Religion unter Religionen betrachtet und insofern relativiert – zugleich wird sein normativer Gehalt nicht preisgegeben, sondern als durch die Geschichte hervorgebrachter und als ihr immanenter erschlossen.290 Dieses Verfahren der geschichtlichen Normenerschliessung, das sieht Troeltsch selbst, steht und fällt mit der Bereitschaft, sich einer von der historischen Arbeit unterschiedenen geschichtsphilosophischen Aufgabe bzw. einer geschichtsmetaphysischen Bearbeitung des Problems zu stellen.291 Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Geschichtsphilosophie nimmt in Troeltschs Schaffen deshalb breiten Raum ein. Lassen sich die geschichtsphilosophischen Prämissen der ‚Absolutheitsschrift’ als „historisch gebrochener Hegelianismus“ charakterisieren,292 insofern sie auf die Individualität des Historischen vor dem Allgemeinen und auf die Immanenz der Werte abheben, so bleibt für das weitere Werk Troeltschs die prinzipielle Überzeugung leitend, dass im dynamischen Prozess des Sich-in-Beziehung-Setzens von Christentum und Kultur jede Epoche an der Gegenwart Gottes partizipiert. Das zeigt sich am auffallend oft wiederholten Anschluss an den Gedanken von L. v. Ranke, wonach „jede Epoche [...] unmittelbar zu Gott“ sei293 oder auch an der Aufnahme von E. Cairds Konzeption eines keimhaft gegebenen dynamisch-komplexen Geschichtsprinzips.294 Zugunsten einer Legitimierung der inneren Pluralität der Christentumsgeschichte und einer produktiven Neuanpassung sind damit sowohl der Vorstellung einer Entfremdung bzw. Verfälschung des Christentums durch dessen jeweilige Inkulturation als auch der entgegengesetzten Annahme einer sukzessiven Höherentwicklung entscheidende Grenzen gesetzt. Auch die Vorbehalte gegenüber A. v. Harnacks Wesensbestimmung des Christentums anhand der Urgestalt der Verkündigung Jesu und seiner Hochschätzung der Reformation werden von hier aus deut-

290 Vgl. Absolutheit, 170f. 189; auch F.W. GRAF / H. RUDDIES, Religiöser Historismus, 316: „Können normative Verbindlichkeiten nicht mehr von einem geschichtstranszendenten Ort aus gewonnen werden, dann ist in der Tat Geschichte der einzig mögliche Ort für eine Wertfindung, die als aktive Werterzeugung geleistet werden soll.“ 291 Vgl. Absolutheit, 171. 187f., auch: Wesen der Religion, 462. 292 So F.W. GRAF / H. RUDDIES, E. Troeltsch: Geschichtsphilosophie in praktischer Absicht, 135. 293 Vgl. Absolutheit, 179 (Nachweis im Apparat), die wichtige Schlussbesinnung der Soziallehren: 977 (schon 186 gewissermaßen als „methodisches Portal“ zur weiteren Darstellung), weiter: Logos und Mythos, 822f.; Zukunftsmöglichkeiten, 850 u.ö. 294 Vgl. G. BECKER, Neuzeitliche Subjektivität, 290. 344. 348f.; J.H. CLAUSSEN, JesusDeutung, 45ff. (zu Caird).

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie

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lich.295 Die Christentumsgeschichte kann nicht als Geschichte von geglückten oder gescheiterten Verschalungen eines unveränderlichen Kerns konstruiert werden, sondern ist als eine Geschichte vielfacher Ausgestaltungen und Realisierungen zu begreifen, für welche den wechselnden epochalen Bedingungen konstitutive Bedeutung zuzumessen ist. Die Eigenart des Christentums, sich positiv mit seiner Umgebung in Beziehung zu setzen, muss für Troeltsch deshalb in die Wesensbestimmung aufgenommen werden: „So kann das ‚Wesen’ nur verstanden werden als die jeweils jeder Gesamtlage entsprechende produktive Neudeutung und Neuanpassung der christlich-geschichtlichen Mächte. Das Wesen ist für jede Epoche ein anderes, aus der Gesamtheit ihrer Einflüsse sich ergebendes.“296 Bedeutung und Reichweite der geschichtsphilosophischen Grundanschauung, der zufolge sich das Christentum auf die veränderten Bedingungen seiner soziokulturellen Umgebung bzw. dem Wandel der Weltanschauungen so einstellt, dass es zu seiner legitimen Neugestaltung kommt, kann kaum überschätzt werden. So heißt es in den ‚Soziallehren’ im unmittelbaren Zusammenhang des Ranke-Worts, die jeweilige Gestalt des Christentums sei „eine der allgemeinen Konstellation entsprechende Formung des religiösen Bewußtseins mit ihr eigenen Vorzügen und Wahrheiten und ihr eigenen Fehlern und Schrecknissen. [...] Das religiöse Leben auch des Christentums ist in jeder seiner großen Bildungen ein anderes und neues und muß in erster Linie jedesmal aus sich selbst verstanden werden.“297 Damit ist nichts weniger als ein bedeutsamer Interpetationsgrundsatz von Troeltschs ‚Soziallehren’ benannt.298

295 Vgl. Was heißt „Wesen des Christentums“?, 418ff. Der Abdruck in den Gesammelten Schriften II ist erheblich überarbeitet; vgl. dazu auch die Darstellung von H.-G. DRESCHER, Ernst Troeltsch, 283ff.; N. WITSCH, Glaubensorientierung, 121ff. Zur Abgrenzung hinsichtlich des Kirchenbegriffs der Reformation: „Hier ist, wie schon angedeutet, der Punkt meiner relativen Differenz von [sic] Adolf Harnack. Insbesondere kann ich in dem Kirchenbegriffe der Reformation keine den modernen Lebensproblemen dienende Lösung der schwierigen sozialen Aufgabe der religiösen Gemeinschaftsbildung sehen.“ (Luther und die moderne Welt, 92, Anm. 15) 296 Dogmatik der „religionsgeschichtlichen Schule“, 511. 297 Soziallehren, 186. Die Aussage bezieht sich zunächst auf das mittelalterliche Christentum. 298 J.H. CLAUSSEN, Jesus-Deutung, 48, will die Soziallehren deshalb zu Recht als „ausgeführte narrative Wesensbestimmung des Christentums in ethischer Hinsicht“ lesen. Allerdings ist dabei zu beachten, dass in den Soziallehren ein historischer Wesensbegriff vorliegt, der vom systematisch-normativen zu unterscheiden ist: Was heißt „Wesen des Christentums“?, 450. Letzterer schließt, wie gleich zu sehen sein wird, die subjektive Entscheidung für das zukünftig Christliche ein.

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Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

Die Überzeugung von der Kompatibilität des Christentums mit der neuzeitlichen Kultur, als deren Leitvorstellungen Subjektivität und Historisierung des wissenschaftlichen Bewusstseins namhaft zu machen sind, ist für Troeltsch auf diesem Hintergrund kein oberflächliches Zugeständnis an den jeweiligen Zeitgeist, sie ist geschichtsmetaphysisch verankert und entspricht überdies der historisch beobachtbaren Entwicklung des Christentums seit seinen Anfängen.299 Ist man sich dieser Grundlegung ansichtig, lässt sich einerseits begreifen, dass der mit ihr einhergehenden Umformung der wissenschaftlichen Theologie und auch der Entpositivierung ihrer lehrmäßigen Gehalte letztlich die Intention zugrunde liegt, ein neuzeitliches Christentum zu etablieren, welches, der Gegenwart des Göttlichen gewiss, durch eine „produktive Neudeutung“ einen Ausgleich mit der sie umgebenden Kultur und Wissenschaft herstellt. Ohne eine solche Neugestaltung bliebe man einer vergangenen Gestalt des Christentums verhaftet und würde das stets gegenwartsbezogene Wesen des Christentums verfehlen. Aufgabe und Notwendigkeit der Theologe bestehen pointiert darin, in der Differenz von religiösem Bewusstsein und gegenwärtigem allgemeinen Bewusstsein zu vermitteln. Andererseits vermag das dynamische Christentumsverständnis auch zu erhellen, warum für Troeltsch der Kirchenbegriff der Reformation ebenso der Vergangenheit zu überantworten ist wie deren Fassung der Rechtfertigungslehre.300 Nicht nur

299 Vgl. G. BECKER, Neuzeitliche Subjektivität, 349, zum Folgenden auch ebd., 305f. Zu beachten ist, dass Troeltsch dem „modernen Geist“ durchaus kritisch begegnet: Wesen des modernen Geistes, 297ff. 300 Vgl. zum Kirchenbegriff lediglich die bereits zitierte Abgrenzung von Harnack in: Luther und die moderne Welt, 92, Anm. 15. Dass es allerdings einen bedeutsamen Anknüpfungspunkt gibt, wird zu zeigen sein. Zur Rechtfertigungslehre: Dogmatik der „religionsgeschichtlichen Schule“, 521f.: Da sich die Dogmatik an den „Lebenskräften“ orientiere, „die der gegenwärtige Moment verlangt“, in diesen Fragestellungen „die Kraft des lebendigen Gottes pulsiert“, begreift sie die Neugestaltung des Christentums „als das Evangelium von der Gewinnung und Behauptung der gotterfüllten Seele. Jesus wird zum Deuter und Wegweiser in den Geheimnissen der Seele.“ Die Rechtfertigungslehre wird daher im Sinne einer Ausstattung mit einer mystisch-effektiven göttlichen virtus rekonstruiert. „Das sind die neuen gluterfüllten Fragen, während die alten erkaltet und fremd geworden sind für uns. Wir fragen nicht, wie kriege ich einen gnädigen Gott? Wir fragen vielmehr, wie finde ich die Seele und die Liebe wieder?“ (ebd., 522) Vgl. dazu weiter: „Erlösung“, 484ff.; „Glaube“, 1440; „Kirche“, 1153; Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu, 32; außerdem die Hinweise bei J.H. CLAUSSEN, Jesus-Deutung, 283 (dort die Feststellung, Troeltsch könne deshalb selbst einer aktualisierenden Reformulierung nichts abgewinnen). Troeltschs Auffassung lässt sich materialdogmatisch kritisieren. Über sein theologisches Programm und Verfahren ist damit indes noch nichts ausgesagt – zumal Troeltsch jeder dogmatischen Formulierung eine individuelle Akkommodationsleistung zuweist. Eine Evaluation wird zweckmäßiger Weise auf die methodisch-

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notwendig, sondern auch möglich sind die jeweils erforderlichen Umformulierungen der lehrmäßigen Gehalte dadurch, dass die Unterscheidung von Theologie und Religion als Voraussetzung der „neueren Theologie“ festgehalten301 bzw. dahingehend spezifiziert wird, dass Lehre und Dogma sekundärer Ausdruck des kultischen Vollzugs und des einfachen präreflexiven Christusglaubens sind.302 Troeltsch eigenes Verfahren der geschichtlichen Normenerschließung ist seinen eigenen konzeptionellen Schwierigkeiten indes noch nicht enthoben.303 Die dynamisierte Wesensauffassung relativiert nicht nur die prinzipielle Bedeutung einer inhaltlich bestimmbaren Urgestalt, die begrifflich-inhaltliche Fassung des Wesens bleibt überhaupt unerreichbar. Die Verschärfung des Problemhorizonts durch die historische Betrachtungsweise schlägt sich also auch in der inneren Problemkonstellation der Theologie nieder, so dass ein Anschluss an Harnacks Konzeption ebenso unmöglich erscheint wie ein Anschluss an Schleiermachers Wesensbestimmung in dessen Philosophischer Theologie. Deshalb will Troeltsch das Wesen als in sich spannungsreiches Kontinuum verstehen, welches der Pluralität der aus der Urgestalt sich entwickelnden Gestaltungen des Christentums zugrunde liegt: „Dann aber besteht dieses Kontinuum überhaupt nicht in einem kurz formulierbaren Gedanken, in einer einfachen Haupt-Idee, sondern in einer geistigen Kraft, die an sich von Hause aus mehrere Ideen enthält und nirgends unmittelbar zu einfacher Formulierung bereit liegt, sondern selbst schon die Tendenz zu mehrfacher Formulierung in sich trägt.“304 Dieses Wesen gemäß seiner unveräußerlichen Potentialität als das prinzipiell „Keim- und Wachstumsfähige“ zu bestimmen bzw. eine gewisse Gestaltung als deren Ausdruck anzuerkennen, ist ohne „subjektiv persönliche[...] Bewertungen und Entscheidungen“ nicht möglich.305 Das subjektive Moment besteht in der Beurteilung des für den jeweiligen Betrachter gegenwärtig und zukünftig Wesentlichen. Es schließt eine Antizipation der Zukunft ein, wodurch der solchermaßen

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grundsätzliche Ebene zurücklenken müssen, für welche derartige Umformungen dann allerdings als symptomatisch zu begreifen sind. Vgl. Rückblick, 200; Protestantisches Christentum, 353. 472f. Für Troeltsch entspricht es dieser Unterscheidung, dass der naive Glaubenvollzug zunächst unabhängig seiner Verdogmatisierung und seiner geltungstheoretischen Versicherung der Gegenwart Gottes gewiss sein kann: Absolutheit, 229f. 241. Vgl. Soziallehren, 969; ähnlich schon in: Absolutheit, 230f. Vgl. Was heißt „Wesen des Christentums“?, 418: „ [...] damit beginnen wieder neue Probleme [...]“ Ebd., 420. Ebd., 419.

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individualisierte Wesensbegriff sich immer schon im Übergang zum Idealbegriff befindet.306 Für Troeltsch liegt im Verhältnis von Subjektivem und Objektivem daher letztlich „der eigentliche Knoten des ganzen Problems“. Dieser kann und soll nicht aufgelöst werden, sondern ist als Verknüpfung durch „eine schöpferische Tat“ anzuerkennen – soll heißen: Das wertende Subjekt schließt sich an die geschichtlich gegebene Potentialität in produktiver Neugestaltung an. „Wesensbestimmung ist Wesengestaltung“, so lautet Troeltschs bekanntes Diktum.307 Troeltschs Umbau der Theologie äußert sich in der strukturellen Zuordnung von Religionsphilosophie und Dogmatik, welche das Verhältnis von Begründung bzw. wissenschaftlicher Regulierung und praktischer Vermittlung abbildet. Dieser Umbau befördert auf der einen Seite die Trennung von wissenschaftlichen und praktischen Disziplinen, auf der anderen Seite nimmt Theologie durch ihre Ausrichtung auf die Differenzvermittlung von religiösem und allgemeinem Bewusstsein eine Funktion an der gelebten Religion und an der Kirche wahr. Dogmatisch geht dieser Umbau mit einer funktionalen Umformung und Akkommodation lehrmäßiger Gehalte einher. Die skizzierte religionsphilosophische Ausgangslage erlaubt und erfordert es, das Christentum in die allgemeine Religionsgeschichte einzustellen und mit der allgemein-historischen Methodik geltungstheoretisch so zu bearbeiten, dass ein funktionales Äquivalent zur herkömmlichen dogmatischen Methode und ihren Beurteilungsmechanismen geschaffen ist. Denn diese sind, daran lässt Troeltsch keinen Zweifel, als Produkte des vorneuzeitlichen Christentums anzusehen. Er meint sich dazu auf Schleiermachers Programm der kriteriologischen Grund-

306 Ebd., 426f. 307 Ebd., 428. 431. Auf Stellung und Funktion der subjektiven Wertentscheidung, welche eine gewisse Regionalisierung und Existentialisierung des Wahrheitsbegriffs zur Folge hat, ist hier lediglich hinzuweisen; vgl. G. BECKER, Neuzeitliche Subjektivität, 281. Mit ihrer Hilfe verwahrt sich Troeltsch gegenüber einer positivistischen Auffassung der Religionswissenschaft, welche die vom religiösen Bewusstsein ausgesagte selbständige Geltung übergeht (Wesen der Religion, 458-461). Hierin besteht deshalb auch das Recht einer idealistischen Voraussetzung. Auf der anderen Seite bleibt das subjektive Werten immer an die Vermittlung der Geschichte gebunden und muss sich im Zuge der religionswissenschaftlichen Reflexion der Hypothetisierung der eigenen Grundüberzeugungen zugunsten dem gleichfalls hypothetischen Nachempfinden anderer öffnen. Erst aufgrund eines solchen Vergleichs ist dann ein abwägendes Urteil als „eine letzte axiomatische Tat“ zu vollziehen (Absolutheit, 92. 103f. vgl. 177f.; auch: Zur Frage des religiösen Apriori, 760f.!). Dazu und zum Einfluss von H. Rickert: H.-G. DRESCHER, Ernst Troeltsch, 272. 279; vgl. auch J.H. CLAUSSEN, Jesus-Deutung, 50-62.

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legung der Theologie in der Philosophischen Theologie berufen zu können – wenngleich er anfügt, dass dieses Programm nie zur Durchführung gekommen sei und unter den veränderten Bedingungen auch „kaum ein Stein ganz auf dem andern bleiben“ könne.308 Die Modifikationen, die Troeltsch gegenüber Schleiermachers Konzeption vornimmt, sind tatsächlich auch für die vorliegende Fragestellung erheblich, insofern mit der Verschiebung in der Fundamentaldisziplin ein Funktionswechsel der Dogmatik, vor allem aber die Trennung von „Kirchlichkeit“ und „Wissenschaftlichkeit“ der Theologie befördert wird. Darauf ist kurz einzugehen, bevor der Troeltsche Umbau der Theologie weiter verfolgt wird. Wie bereits angedeutet, ist für Troeltsch eine normativ-inhaltliche Festlegung einer Wesensbestimmung, wie Schleiermacher sie mittels eines kritischen Bestimmungsverfahrens in seiner Philosophischen Theologie vollzogen hatte, unmöglich geworden. Genau genommen sind beide Momente von Schleiermachers „kritischem Verfahren“ betroffen: Zum einen kennt die historische bzw. religionswissenschaftliche Betrachtungsweise nach Troeltsch keinen abstrakten Allgemeinbegriff von Religion; das Verständnis der Religion hat aufgrund der individuell-psychologischen und historischen Bedingtheit in der induktiven Analyse ihrer Wirklichkeit seinen unhintergehbaren Ausgangspunkt.309 Zum anderen hatte Schleiermacher die Bestimmung der Besonderheit des Christlichen an der internen Selbstaussage der christlichen Gemeinde ausgerichtet, nach Troeltsch darum die erforderliche geschichtsphilosophische Voraussetzungslosigkeit der kirchlich-theologischen Binnenperspektive angenähert. Er spricht deshalb von einer „doch sehr gebundenen ‚philosophischen Theologie’“ und einer „Verkirchlichung von Schleiermachers Religionstheorie“.310 Unbeschadet dieser Kritik fand Troeltsch in Schleiermachers Philosophischer Theologie den Ort, wo er seine eigene prinzipientheologische Grundlegung einzeichnen konnte:311 Als „prinzipielle Theologie“ erbringt für ihn nämlich die selbständige Disziplin der Religionsphilosophie die wissenschaftlich-geltungstheoretische Begründungsleistung, welche

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Rückblick, 225f. Vgl. schon: Über historische und dogmatische Methode, 738; Absolutheit, 138ff. Rückblick, 225, Anm. 10; vgl. Rezension „Süskind“, 663f. Vgl. dazu und zum Folgenden: H.-J. BIRKNER, Glaubenslehre und Modernitätserfahrung, 325ff., hier: 325; W.E. WYMAN, Troeltschs Begriff der Glaubenslehre, 352ff.; H. RUDDIES, „Das große Programm aller wissenschaftlichen Theologie“, 752ff.

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der Dogmatik als einer praktisch-religiösen und praktisch-kirchlichen Disziplin vorausgeht.312 Das von der Religionsphilosophie bestimmte christliche Wesen bzw. Prinzip ersetzt „die Stelle der alten Bibelautorität“ und ist sodann von der Dogmatik als bekenntnismäßig-subjektive Ausgestaltung der christlichen Glaubensgedanken zum Zweck einer Anleitung für Predigt und Unterricht darzustellen.313 „So ist die Dogmatik ein Stück der praktischen Theologie und keine Wissenschaft.“314 Das bedeutet nun aber: Sie wird zwar geltungstheoretisch verabschiedet, d.h. aus der Normenbegründung und aus dem Gebiet des wissenschaftlichen Erkennens ausgeschlossen, behält jedoch – nunmehr ihres bekenntnismäßig subjektiven Charakters gemäß als „Glaubenslehre“ bezeichnet – eine für das ganze der theologischen Aufgabenbestimmung notwendige praktisch-vermittelnde Funktion.315 In seiner Heidelberger Vorlesung über die Glaubenslehre kann er daneben auch auf die religiös-produktive Funktion hinzuweisen, anderen als „Anleitung zur Erzeugung einer eigenen Glaubenseinsicht“ zu dienen.316 Troeltschs Arbeitsprogramm („System“) besteht demnach in einer unumkehrbaren Zweistufigkeit von Religionsphilosophie und Glaubenslehre317, welche die strukturelle Zuordnung von Begründung und Vermittlung abbildet. Die Vermittlung ist dabei im Sinne einer „Angleichung“ an das moderne Bewusstsein zu verstehen.318 Oder anders formuliert, als 312 Vgl. Glaubenslehre, 1f., die Zusammenfassung seines Arbeitsprogramms im Vorwort von GS II, VII, die wichtige Stelle in: Rückblick, 224f., außerdem: Dogmatik der „religionsgeschichtlichen Schule“, 515f.; Zur Frage des religiösen Apriori, 767: „Dann aber verlegt sich die Zentralwissenschaft für uns in die Religionsphilosophie [...] Dogmatik und Moraltheologie werden dann zu Zweigen der praktischen Theologie im engeren Sinne.“ 313 Glaubenslehre, 2f., vgl. Dogmatik der „religionsgeschichtlichen Schule“, 514. 516. 314 Ebd., 515; sie setzt „wissenschaftliche Kenntnisse und Methoden“ jedoch voraus (ebd., 514). 315 Vgl. „Dogmatik“, 109; Rückblick, 205: Die „neue Dogmatik“ habe die Aufgabe, „sowohl die orthodoxe als die liberale Dogmatik mit ihren Voraussetzungen wirklicher Erkenntnisse ins Grab zu legen und statt dessen eine aus der Predigt Jesu, Pauli und Luthers geschöpfte einheitliche praktisch-religiöse Lebensrichtung zu formulieren, die [...] als lediglich religiöse, an der Erfahrungsgewißheit von Jesu erlösender Offenbarungsbedeutung gewonnene Deutung der Dinge und der Welt das praktische Leben zu leiten imstande ist.“ (Hervorheb. von H.-M. R.) 316 Glaubenslehre, 4. 317 So im Vorwort von GS II, VII, und v.a. in: Zur Frage des religiösen Apriori, 767. Auch die Darstellung in: Rückblick, 224f., stellt dieses Begründungsgefälle heraus; dort werden allerdings wissenschaftlich-historische und praktisch-vermittelnde Disziplinen als zwei Zweige differenziert, welche in der religionsphilosophischen Disziplin ihre gemeinsame Wurzel haben. 318 Vgl. „Dogmatik“, 109; „Glaube“, 1444; Rückblick, 201 („dem fortschrittlichen Denken schonend angepaßt werden“); Absolutheit, 95 („umbildende Akkomodation“);

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eine „Konformierung“, welche sich in einer „Umgestaltung“ religiösen Denkens äußert.319 In seinem Dogmatik-Artikel definiert er die Glaubenslehre zusammenfassend als „die Darlegung der Glaubensgedanken auf wissenschaftlich-religionsphilosophischer Basis und unter Anerkennung des modern wissenschaftlichen Denkens zur Erziehung und Beratung des auch für sich in seinem Glauben selbständigen praktischen Geistlichen. Darüber hinaus soll sie aber auch jedem an diesen Fragen Interessierten zur Selbstverständigung über sein religiöses Denken dienen.“320 Die so neu verstandene dogmatische Disziplin erfüllt also praktisch-religiöse und kirchliche Vermittlungsfunktionen, während dies von den rein wissenschaftlichen Disziplinen nur indirekt gilt. Troeltsch meint, schon Schleiermacher habe eine solche Funktionsbestimmung vollzogen und unter der Voraussetzung des agnostischen Charakters dogmatischer Erkenntnis die „Trennung“ von rein wissenschaftlich verfahrenden und praktisch-vermittelnden Disziplinen anerkannt.321 Er habe den beiden getrennten Zweigen in der Philosophischen Theologie eine gemeinsame Wurzel gegeben – einer Struktur, der Troeltsch mit seinem Verständnis von Religionsphilosophie zu entsprechen gedenkt. Doch abgesehen davon, dass in Schleiermachers Glaubenslehre die Einleitung nicht dazu dient, das nachfolgende dogmatische System geltungstheoretisch zu begründen – bei ihm, das ist für den vorliegenden Zusammenhang entscheidender, lässt sich das Begriffspaar von „Kirchlichkeit“ und „Wissenschaftlichkeit“ nicht zur Zweiteilung der theologischen Disziplinen bzw. Methoden verwenden. Die Begriffe markieren vielmehr unterschiedliche, sich aber nicht ausschließende Motive des theologischen Subjekts und sind als solche auch beide für die Einheit des Theologiebegriffs konstitutiv.322 Im Blick auf Troeltsch zeigt sich, dass auch dessen Zweiteilung der Disziplinen letztlich dem Problemdruck der Aufnahme der allgemeinhistorischen Methode folgt, insofern diese die wissenschaftlichen Arbeit der Theologie von ihrer kirchlichen Aufgabe zunehmend distanziert hat

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Dogmatik der „religionsgeschichtlichen Schule“, 519. Die Dogmatik verkörpert daher den charakteristischen Zug des Neuprotestantismus, insofern dieser in der „Ausgleichung“ von religiösem Bewusstsein und allgemein-wissenschaftlichem besteht; vgl. Protestantisches Christentum, 503. Wesen der Religion, 497; vgl. Protestantisches Christentum, 479f. „Dogmatik“, 109. Vgl. Rückblick, 198f. 201. 225. Troeltsch folgt an dieser Stelle der von C.A. Bernoullis Unterscheidung von „wissenschaftlicher“ und „kirchlicher“ Methode beeinflussten Schleiermacherinterpretation von H. Süskind, vgl. Rezension „Süskind“, 661ff., und den weiteren Nachweis bei M. RÖSSLER, Schleiermachers Programm, 88-90, Anm. 89 u. 214, Anm. 80.

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und daher eines vermittelnden Zweiges zu bedürfen schien.323 Im gegenüber Schleiermacher verschärften Konfliktfeld zwischen Theologie und allgemeinen Wissenschaften geht es Troeltsch zwar nicht vorrangig darum, die Systematische Theologie an die allgemeine Methodik anzuschließen, sondern den Zugang zum wissenschaftlichen Bewusstsein von der Einheit der Wirklichkeit offen zu halten. Dieses Bewußtsein nämlich drohte aufgrund des zunehmenden Positivismus die latente Sehnsucht nach dem Absoluten nicht mehr einholen zu können.324 Wird diese Absicht Troeltschs beachtet, kann im Blick auf die von ihm faktisch vollzogene Reintegration der Theologie festgestellt werden: „Da [...] die Wissenschaft der reflexive Exponent der Kultur ist und die Theologie in einem entsprechenden Verhältnis zur Kirche steht, ist diese Reintegration der Theologie in die Wissenschaft zugleich die vorgängige Reintegration der Kirche in die Kultur.“325

Sowenig für Schleiermacher die „Wissenschaftlichkeit“ der Dogmatik infrage stand, sowenig auch ihr kirchlicher Bezug zu den „Grundsätzen der evangelischen Kirche.“ Auf diesem Hintergrund nimmt sich die Glaubenslehre von Troeltsch aufgrund ihres individuellen Charakters und ihrer Relativierung transsubjektiver Verbindlichkeiten als „Privatdogmatik“ aus.326 Zu berücksichtigen ist bei dieser pointierten Formulierung allerdings, dass sein Unternehmen darauf zielt, den „gemeinsamen christlichen Lebensbesitz“327 zwar bekenntnismäßig individuell, aber doch so zu explizieren, dass es zum Aufbau intersubjektiver religiöser Plausibilität kommt, welche dem Bedürfnis gelebter Religion entspricht.328 Eine solchermaßen gegenwartsbezogene Dogmatik wird der individualisierten Wesensbestimmung, mithin ihrem Struktur323 Vgl. Troeltschs eigene Beschreibung in: Rückblick, 194-196. 324 Vgl. Zur Frage des religiösen Apriori, 755f. 325 So fasst G. KÖNIG, Die systematische Funktion, 99f., den Ertrag von Troeltschs religionsgeschichtlicher Grundlegung der Theologie zusammen; vgl. ebd., 125. 129. 326 H.-J. BIRKNER, Glaubenslehre und Modernitätserfahrung, 337. 327 Glaubenslehre, 4 (Hervorheb. von H.-M. R.). 328 Vgl. das Urteil von H. RUDDIES, „Das große Programm aller wissenschaftlichen Theologie“, 753: „Wenn Schleiermacher in seiner ‚Glaubenslehre’ ständig darum bemüht ist, seine Umformung der Dogmatik mit den klassischen Grundlagentexten der evangelischen Kirchen und der theologischen Tradition in eine konstruktive Beziehung zu setzen, dann ist seine theologische Argumentation von einem kritischen und konstruktiven Ausgleich mit transsubjektiv gültigen kirchlichen Lehrbeständen bestimmt. Troeltschs ‚Glaubenslehre’ hingegen ist schon programmatisch auf die dogmatisch nicht mehr reduzierbare Historisierung, Individualisierung und Pluralisierung religiöser Vorstellungen aufgebaut; sie argumentiert nicht mehr vom Boden transsubjektiver Verbindlichkeiten, sondern indem sie zwar in einer prinzipiellen, aber auch historisch und subjektiv gebrochenen Weise nach dem Recht der ‚Anerkennung des Christentums als der Vollendung der religiösen Wahrheit’ fragt, inszeniert sie Kommunikationsprozesse zwischen individuell geprägten Glaubensbildern, deren Ziel es ist, intersubjektive religiöse Plausibilität im Raum des Protestantismus aufzubauen.“

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merkmal der Potentialität zur Pluralität gerecht. Kaum verwunderlich ist es auf diesem Hintergrund nun, dass Troeltsch nicht nur Schleiermachers Wesensbestimmung für defizitär hält, sondern ebenfalls dessen Dogmatik: Auch diese zolle den verbindlichen Traditionsgehalten nämlich zuviel Tribut, indem sie z.B. hinsichtlich ihrer Auffassung von der Erlösung durch Christus nicht vom gegenwärtigen religiösen Bedürfnis nach Lebenskraft und -halt, sondern noch von einer „Unkräftigkeit des außerchristlichen Gottesbewußtseins“ ausgehe.329 Deutlich ist und ließe sich im Einzelnen darlegen, dass in der auf ein „undogmatisches Christentum“ abgestellten,330 den individuell-religiösen Bedürfnissen entsprechenden und insofern pluralitätsoffenen Dogmatik Troeltschs mit der Relativierung transsubjektiver Verbindlichkeiten die Prävalenz des gegenwärtigen Bewusstseins als einer religiös produktiven Potenz korreliert.331 Dogmatische Gehalte müssen in der postdogmatischen Perspektive Troeltschs zwar nicht notwendig ausgeschieden werden, sondern entpositiviert und zur gegenwärtigen produktiven „Vorstellungsdeutung“ bzw. zur Vermittlung von Lebenskräften funktional rekonstruiert werden.332 Die Kontinuität mit früheren Gestalten 329 Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu, 42. 45: In Troeltschs Urteil ist das „wohl überhaupt ein wenig Anpassung an die herrschende biblisch-kirchliche Sprache“. 330 Vgl. Protestantisches Christentum, 633. 331 Auf dieser Linie liegt die um die Gegenwartsrelevanz von Troeltschs Dogmatikverständnis sich bemühende Interpretation von J.H. CLAUSSEN, Jesus-Deutung, 252ff. An sie schließt sich die noch weiterführende Rezeption von CH. DANZ, Dogmatik als Differenzhermeneutik, 210ff., an: Dogmatik sei als „normative Theorie religiöser Individualität“ Anleitung dazu, Differenzen vielfältiger religiöser Vorstellungsformen anzuerkennen und zu deuten. Die Zuständigkeits- und Funktionsbegrenzung, welche Troeltsch der Dogmatik als einer praktischen, selbst nicht wissenschaftlichen Disziplin zuweist, scheint bei dieser Interpretation ebenso vernachlässigt zu werden wie ihr einseitiges Abhängigkeitsverhältnis zur Religionsphilosophie. Die Normativität auch der Dogmatik jedoch, auf die von Claussen und Danz zu Recht hingewiesen wird, gestaltet sich von ihrer enzyklopädischen Ortsanweisung her gewissermaßen als norma normata und fügt sich in ihre vorrangige Funktion der Differenzverarbeitung durch Applikation und Akkomodation. 332 „Vorstellungsdeutung“ ist für das moderne Bewusstsein das Äquivalent des religiösen Begriffs „Glaube“: Glaubenslehre, 43. Im Glaubensbegriff schwingt aber die Ausstattung mit Lebenskraft mit, vgl. die Differenzierung in: „Glaube“, 1437. Zur Funktion der Vorstellungsdeutung vgl. H. KLEMM, Identifizierung, 195f.; zum Problem der Funktionalisierung transsubjektiver Traditionsgehalte auch die kritischen Äußerungen von H.-J. DRESCHER, Ernst Troeltsch, 345. 495; aus katholischer Sicht N. WITSCH, Glaubensorientierung, 275-278. Die Frage, wie ein mit der Bedürfnisstruktur des gegenwärtigen Bewusstseins nicht kompatibler Traditionsgehalt zur Anfrage bzw. gar zur Veränderung oder zur Formierung gegenwärtiger Bedürfnisstruktur beitragen kann, ist mit dem Verweis auf seine faktische Aufhebung in der Geschichte (im doppelten Sinne verstanden) oder mit dem Verweis auf die grundsätzliche Angewiesenheit der individuellen Religion auf mediale Vermittlungsinstanzen (hinsichtlich der Überlieferung vgl. z.B. Wesen der Religion, 490) noch keineswegs ein-

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des Christentums und der Gestalten untereinander wird durch das Bewusstsein „einer großen gemeinsamen historischen Lebenssubstanz“,333 religiös-reflexiv gewendet: durch den Gedanken einer „progressiven Offenbarung“334 gewahrt. Die Pluralität von Deutungen und Neugestaltungen ist dabei nicht grenzenlos, insofern Jesus das „Zentrum dieser Lebenswelt“ bleiben muss und dies auch als deren historisch notwendige Bedingung plausibilisiert werden kann.335 Die Betrachtung der von Troeltsch anvisierten „gründlichen Umbildung der Theologie“336 und ihrer dogmatischen Gehalte verdeutlicht die zentrale Stellung der Religionsphilosophie in seiner Konzeption. Auf sie ist daher noch einmal zurückzukommen: Ohne weiteres sichtbar ist es, dass sie die ‚altprotestantische’, sprich vorneuzeitliche Grundlegung der Theologie337 ersetzen bzw. – positiv gewendet – unter Weiterführung der schon A. Ritschl und M. Kähler bewegenden Fragestellung nach der religiösen Erkenntnisgewissheit nun selbst normative Erkenntnisse gewinnen soll.338 Damit aber hat auch die Religionsphilosophie einen „praktischen Zweck“; sie zielt nämlich darauf, verändernd und gestaltend auf die Religion zu wirken und liegt mit ebendieser Ausrichtung der dogmatischen Vermittlung (der geregelten religiösen Vorstellungsdeutung) zugrunde.339 Es versteht sich daher von selbst, dass dogmatische Sätze sich nicht im Widerspruch zu ihr befinden dürfen. Religionsphilosophie bildet die wissenschaftliche Regulierungsinstanz religiösen Denkens und leistet somit als Wissenschaft ihren spezifischen Beitrag zur Gestaltung des postdogmatischen Chris-

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geholt. Das Defizit zeigt sich auch in Troeltschs Auffassung der historisch-religiösen Sätze innerhalb der Glaubenslehre und deren Funktionsbestimmung zum Aufbau des gegenwärtig religiösen Bewusstseins: „Glaube“, 1456; Glaubenslehre, 19-24. 8185. Soziallehren, 983. Glaubenslehre, 40 Vgl. Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu, 39. Darauf zielt überhaupt die sozialpsychologische Argumentation dieser Schrift; so zu Recht J.H. CLAUSSEN, JesusDeutung, 268-274. Die Einordnung und Interpretation der Schrift ist umstritten, vgl. dazu nur: K.-E. APFELBACHER, Frömmigkeit und Wissenschaft, 227ff.; S. COAKLEY, Christologie, 344ff., und die Hinweise bei A.L. MOLENDIJK, Zwischen Theologie und Soziologie, 161, Anm. 194. Weltanschauung, 326. Vgl. Voraussetzungslose Wissenschaft, 192 („ein Zeitalter der axiomatischen Geltung kirchlicher Autoritäten“). Vgl. Glaubenslehre, 1. Wesen der Religion, 468; vgl. ebd., 492: Die Religionswissenschaft als Ganze erbringt „das erreichbare wissenschaftliche Verständnis der Religion und den Beitrag, den die Wissenschaft zu dem praktischen Leben und der Fortentwicklung der Religion leisten kann.“

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tentums.340 Zugleich stellt sie die Schnittstelle von Theologie und allgemeinen Wissenschaften dar, insofern schon ihr Ausgehen von der Positivität der gelebten Religion dem empirischen Zugang anderer Disziplinen (z.B. der Religionssoziologie) entspricht und einen produktiven Dialog ermöglicht. Diese doppelte Bewegung, das analytische Ausgehen vom Phänomen der Religion und das praktische Ziel, normativ auf sie einzuwirken, bestimmt auch Troeltschs Programmentwurf einer Religionsphilosophie, wie er sie in seiner Abhandlung „Wesen der Religion und der Religionswissenschaft“ skizziert hat.341 Die dort in einem Viererschema angeordnete Strukturgliederung setzt konsequenterweise mit einer „Religionspsychologie“ ein, deren Zugang zum Phänomen der Religion nicht über einen Allgemeinbegriff erfolgt, sondern über eine dezidiert induktiv verfahrende Analyse ihrer historischpsychologischen und lebensweltlichen Vielfalt.342 Damit soll zunächst lediglich die Nichtreduzierbarkeit und die Eigentümlichkeit des Phänomens sichergestellt werden. Das Urteil über Geltung und Wahrheit des religiösen Bewusstseins bzw. seiner Inhalte erfordert dann zweitens eine „Erkenntnistheorie der Religion“.343 Sie soll, wie Troeltsch es mit seinem Gedanken des „religiösen Apriori“ durchzuführen suchte, der positivistischen Auflösung des Religionsphänomens in den Bereich von Schein und Irrtum entgegentreten, kann aber keinen Beweis für die Existenz eines religiösen Objekts leisten. Wird die Frage der Geltung im Sinne einer Beurteilung innerhalb der Vielfalt positiv-historischer Religionsgestalten aufgefasst, nötigt dies drittens zu einer Geschichtsphilosophie der Religion. Troeltsch hatte sie bekanntlich in seiner ‚Absolutheitsschrift’ bereits exemplarisch vorgeführt. Insofern auf der zweiten und dritten Arbeitsebene jedoch noch nicht die vom Bewusstsein ausgesagte Realität des religiösen Objekts thematisiert werden kann, muss das religionsphilosophische Programm schließlich in eine „philosophische[...] Behandlung der Gottesidee“ bzw. eine Metaphysik der Religion münden.344 Eine solche Ausarbeitung einer Metaphysik – das gilt es z.B. auch angesichts der von K. Barth geäußerten Kritik eingedenk zu sein – folgt für Troeltsch der neuzeitlichen Notwendigkeit, über „Psychologismus und Skepsis“ begründet hinauszuführen.345 Diesbezüglich verschob sich seine Rezeption des philosophischen Instrumentariums nicht nur vom historisch-psychologischen Denken W. Diltheys zur neukantianischen Geltungstheorie H. Rickerts („gegenüber der bloßen Psychologie ei-

340 Vgl. Wesen der Religion, 468; dort auch der Begriff „wissenschaftliche Regulierung“. 341 Troeltschs Religionsphilosophie ist vielfach erörtert worden, vgl. nur die Arbeiten von K.-E. Apfelbacher, G. Becker und F.W. Graf, auch H.-G. DRESCHER bietet in seiner Biographie eine instruktive Zusammenfassung (ders., Ernst Troeltsch, 312ff.); vgl. auch G. PFLEIDERER, Theologie als Wirklichkeitswissenschaft, 43ff. 342 Wesen der Religion, 492. 343 Ebd., 494. 344 Ebd., 496. 345 Ebd.

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ne Erlösung und Klärung“)346, auch letztere musste er aufgrund ihrer der religiösen Selbstauffassung nicht angemessenen Behauptung der Bewusstseinsimmanenz überschreiten: „Die ‚Geltungsphilosophie’ mußte irgendwie ein Durchgangspunkt zur Metaphysik sein“.347

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Troeltschs Konzeption, der Maxime der Differenzvermittlung von religiösem und allgemeinem Bewusstsein folgend, eine äußerst komplexe Funktionsbestimmung der Theologie zur Folge hat, welche eine ausschließliche Bindung der Theologie an die Kirche hinter sich lässt. Eine ausschließlich kirchliche Theologie würde den Bedeutungsschwund der Kirche und die religiöse Desintegration nur beschleunigen – und überdies den Immunisierungsverdacht seitens der allgemeinen Wissenschaft zu rechtfertigen verhelfen. Dem entgeht eine religionsphilosophische Theologie, die ihre analytische und regulierende Funktion an der gelebten Religion wahrnimmt. Ihre Aufgabe an der Wissenschaft und an der Gesellschaft äußert sich beispielsweise dann darin, dass sie dem Verdrängen des Normativen und Absoluten ebenso entgegentritt wie der kulturellen Desintegration. Ihre kirchliche Funktion schließlich besteht darin, zwischen Volkskirche und allgemeinem Bewusstsein so zu vermitteln, dass erstere unter Beibehaltung ihrer „praktisch-religiösen Grundausrichtung“ und durch die Akkommodation bzw. Reinigung ihrer Lehrgehalte ihre Zukunftsfähigkeit behält.348 Nicht zuletzt arbeitet die Theologie nämlich für religiöse „Gemeinschaften als Unterlage der Predigt und Erbauung“.349 Aus der sozialgeschichtlich erhobenen Binnendifferenzierung der Christentumsgeschichte ergibt sich eine „elastisch gemachte Volkskirche“ als eine der Moderne adäquate Sozialgestalt von Kirche. Denn sie ermöglicht einen Ausgleich („Kompromiß“) zwischen christlicher Religion und sozialer Umwelt bzw. Kultur und sie kann als pluralismusfähige Kirchengestalt der Individualisierung und Subjektivierung von Religion Rechnung tragen.

346 Meine Bücher, 10. Vgl. die Selbstaussage in: Weltanschauung, 227, Anm. 1. 347 Meine Bücher, 10. Er bezeichnet dort die These von der Bewusstseinsimmanenz als Gegenteil des praktizierten Alltagsrealismus: „Eine derartige Stellung aller Erkenntnis rein auf die Spitze des Subjektes und die Verwandelung aller Realität in Produktionen des Subjektes ist dann überhaupt doch das reine Gegenteil aller natürlichen Realitätsempfindung.“ 348 Protestantisches Christentum, 479. 349 Ebd., 474; vgl. 484: Die dogmatische Glaubenslehre will „als Grundlage der praktischen Theologie, einer freien, duldsamen und verträglichen kirchlichen Verkündigung, dienen.“

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Troeltschs Kirchentheorie ist im Gesamtzusammenhang seiner Auffassung von theologischer Wissenschaft und seinem Zugang zur Wesensbestimmung des Christentums verständlich zu machen.350 Angesichts der für ihn gegenwärtigen Problemlage kann für sie „[n]icht ein irgendwie gearteter theologischer Begriff von Kirche, [...] sondern nur eine Analyse der konkreten gegebenen Verhältnisse und der in ihnen gegebenen Möglichkeiten und Interessen“ zugrunde gelegt werden.351 Wenn Troeltsch daher in seinen ‚Soziallehren’ aus einer sozialgeschichtlichen Analyse der Christentumsgeschichte eine Typologie ihrer Sozialgestalten – bekanntlich Kirche, Sekte und Mystik – erhebt, so entspricht dies dem geschichtlichen Verfahren der Normenerschliessung, insofern nämlich aus der soziologisch zugänglichen Binnendifferenzierung des geschichtlichen Christentums ein kritisches Regelwerk gewonnen wird, welches gegenwärtige Selbstorientierung und zukünftige Gestaltung ermöglicht.352 Abgesehen davon erlaubt eine Typologisierung, welche davon ausgeht, dass religiöse Lehre dem Kult folgt und nicht umgekehrt, nach Troeltsch ein besseres Verständnis der Dogmengeschichte.353 Der Zusammenhang zu einem bedeutsamen konzeptionellen Leitmotiv Troeltschs zeigt sich auch darin, dass die soziologischen Besonderheiten von Kirche, Sekte und Mystik so rekonstruiert werden, dass diese als unterschiedliche Formen der Differenzverarbeitung von christlicher Religion und sozialer Umwelt bzw. Kultur erscheinen: Die Kirche gestaltet dieses Verhältnis als Ausgleich und „Kompromiß“, die Sekte verfolgt den christlichen Weltgegensatz bis zum Widerstand, während die Mystik, „[u]nbekümmert [...] um beides, Kompromiß und Kompromißlosigkeit [...] in der Freiheit des Geistes und des Gewis-

350 Vgl. zur Kirchentheorie v.a. V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, v.a. 586ff., und K. FECHTNER, Volkskirche. Bei beiden Arbeiten handelt es sich um gegenwartsbezogene Rekonstruktionen. Sie schließen sich der Position von Troeltsch insofern an, als sie unter der Voraussetzung neuzeitlicher Prämissen die bevorzugte Sozialgestalt der Kirche in einer pluralistisch verfassten Volkskirche erblicken, welche selbst die Interessen der Gesamtkultur und die religiösen Bedürfnisse individuell gelebter Religion in sich aufgenommen hat. Eine kritische Evaluation ist auf A.L. MOLENDIJK, Zwischen Theologie und Soziologie, zu verweisen. 351 Kirche im Leben der Gegenwart, 108. 352 Vgl. Soziallehren, 979f. 983, auch 383. Analog dazu der Übergang von geschichtlicher Analyse zur Gegenwartsorientierung in: Religion und Kirche, 171. 353 Soziallehren, 969. K. FECHTNER, Volkskirche, 107, sieht in ihr einen „Versuch einer Formgeschichte und Systematik religiöser Vergesellschaftung“, welche als „Grundlegung einer kritischen Ekklesiologie“ fungiere.

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sens“ lebt, sich jedoch so um die Möglichkeit der Weltgestaltung begeben hat.354 Die Gewinnung von Beurteilungskriterien kann sich zunächst im Sinn einer wechselseitigen Begrenzung und Kritik daran anschließen: Die Mystik beispielsweise verkörpert als Moment individueller Religiosität auch ein Merkmal neuzeitlich gebildeter Kirchendistanz und steht dem Zwang, der Gewalt und der Konformität der Kirche entgegen.355 Andererseits vermag der Kirchentypus zu erhellen, dass auch der „radikale Individualismus [...] in Wahrheit von den in den Gemeinden aufrecht erhaltenen Überlieferungen und Kräften“ zehrt, ohne die er gar nicht bestehen könnte.356 Eine ähnliche, nämlich stärker religionspsychologische Argumentation tritt auch schon in Troeltschs früher, für die „Gesammelte Schriften“ jedoch überarbeiteter Abhandlung „Religion und Kirche“ zutage. Auch in ihr zeigt sich die für Troeltsch gängige Vorgehensweise: Das konstruktive Mittel zur Überwindung der durch die Entkirchlichung von Religion hervorgerufenen Krise wird – in diesem Fall als „Heilmittel“ des an sich antinomischen Verhältnisses von Religion und Kirche gefasst – aus der Analyse dieses Verhältnisses selbst erhoben.357 Auf der einen Seite gilt der innere Gegensatz: „An und für sich ist die Religion [...] der direkte Gegensatz gegen die feste Form der Kirche.“358 Auf der anderen Seite besteht eine notwendige Verknüpfung: „Die Kirchenbildung geht mit Notwendigkeit aus der religiösen Idee hervor und bedeutet zunächst für sie Schutz und Förderung, aber sie verändert zugleich rückwirkend die religiöse Idee in ihrem Wesen und ihrer Wirksamkeit, und zwar umso mehr, je vollkommener das Kircheninstitut ist.“359 Der konstruktive Umgang mit der skizzierten Antinomie („eines der großen historischen Gesetze des menschlichen Lebens“) wird in der theologischen Arbeit des Kompromisses gesucht.360 354 Soziallehren, 974, vgl. 967. Troeltsch hat seine begriffliche Explikation der „elastischen Volkskirche“ nur im für GS II neugeschriebenen Schlussabschnitt von: Kirche im Leben der Gegenwart, 104-108, dargeboten – das Material für eine kirchenkritischere Troeltschdeutung ist ungleich größer. Beachtet man aber die für dessen Auffassung konstitutive Zielvorstellung des Ausgleichs bzw. Kompromisses, auch seine am Ende der ‚Soziallehren’ konstatierte „Durchdringung“ der Typen (ebd., 982), so bekommt Troeltschs Option für eine „Volkskirche als Kompromißinstitut“ zentrale Bedeutung. Insofern folgt die Troeltschinterpretation von Drehsen der Ausrichtung der Gesamtkonzeption, die Fechtner fortführt. 355 Vgl. ebd., 424f. 970. 356 „Kirche“, 1153. 357 Religion und Kirche, 180f. 358 Ebd., 148. 359 Ebd., 175. 360 Ebd., 180f.

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In der soziologisch-kulturgeschichtlichen Betrachtung wird dann nicht nur die prinzipielle Angewiesenheit der christlichen Religion auf tradierfähige Organisationsformen und auf den Kultus zu demonstrieren möglich, die analytische Erhebung kann vielmehr zum Urteil der „Überlegenheit des Kirchentypus über den Sektentypus und die Mystik“ verdichtet werden.361 Ihm gereicht nämlich nicht nur das „eigene[...] geschichtliche[...] Schwergewicht“ kirchlicher Organisationen zum Vorteil, sondern vor allem sein Wesenszug, eine auf „beständigen Ausgleich mit dem Gesamtleben“ gerichtete „Kompromißnatur“ darzustellen.362 An dieses Urteil lässt sich das begründete Plädoyer anschließen, unter den gegebenen modernen Bedingungen des gesellschaftlichen Pluralismus diese Kompromissnatur „anzuerkennen und auszuweiten“ – zu „einer elastisch gemachten Volkskirche“.363 Der reine Kirchentypus, wie ihn die Kirche der Reformation verkörpere, war zwar unter den vorneuzeitlichen Bedingungen „der ungebrochenen Einheit der Weltanschauungs-Instinkte“ gerechtfertigt,364 er ist mittlerweile aber schon faktisch in eine Mischform übergegangen, welche der Individualisierung und Subjektivierung Rechnung trägt: „Auch unter der Hülle einer scheinbar noch fortbestehenden einheitlichen Bekenntniskirche hat die Bekenntnislosigkeit der ungeheuren Mehrzahl der Kirchenmitglieder diesen Zustand erzwungen. Es ist eine immer zunehmende Durchdringung der Lebensgehalte des Kirchentypus mit denen der Sekte und der Mystik, die uns die Geschichte des Protestantismus gezeigt hat.“365 Die Aufgabe für die Kirche der Zukunft als einer „elastisch gemachten Volkskirche“ besteht weniger in der Aufgabe einer dogmatisch-theologischen Arbeit, die wechselseitige Durchdringung zu steuern ist vielmehr eine soziologisch-organisatorische.366 Ziel von Troeltschs religionssoziologischer Theoriebildung ist dabei eine kulturell anschluss- und zugleich pluralismusfähige Volkskirche, welche für Individualismus und unkirchliche Religion

361 Soziallehren, 980. 362 Kirche im Leben der Gegenwart, 97. 104. Troeltsch führt das Streben nach Ausgleich schon auf eine anthropologische Grundstruktur des Menschen zurück (ebd., 105). Zu beachten ist, dass die Begriffe Ausgleich, Kompromiss oder gar Anschluss an die Kultur von einer „Versöhnung von Religion und Kultur“ im Sinne einer Integration oder einer Aufhebung ihrer Unterschiede streng zu unterscheiden sind – andernfalls würde man den wesenhaften „Kulturgegensatz“ der Religion und deren Salzcharakter missachten: ebd., 100f. 363 Ebd., 104. 105. 364 Soziallehren, 981. 365 Ebd., 982 (Hervorheb. von H.-M. R.). 366 Ebd.

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geöffnet ist und insgesamt unterschiedliche Gruppen in sich zu dulden bereit ist.367 Folglich ist wie die Bekenntnisbindung der Kirche so auch „ihre dogmatische Bindung auf ein Minimum“ zu beschränken; es handelt sich überhaupt um einen „Begriff der Kirche ohne bestimmtes Dogma“, welche lediglich durch die funktional-praktischen Bezüge zu ihrer historischen Herkunft, ihrer Frömmigkeitspflege und zu ihrer kulturellen wie staatlichen Umgebung zusammengehalten wird.368 Troeltsch kann sich diesbezüglich explizit auf R. Rothe berufen.369 Ist Troeltschs Eintreten für eine „elastische Volkskirche“ soziologisch-funktional bzw. religionspsychologisch-funktional begründet, so erhebt sich schließlich die Frage, welchen Stellenwert und welche Bedeutung einer spezifisch theologischen Theoriebildung bzw. einer spezifisch dogmatischen Ekklesiologie im Rahmen einer Kirchentheorie noch zugemessen werden kann. Hierzu ist erstens zu sagen, dass Troeltschs Argumentation mit dem Ergebnis seiner ‚Soziallehren’ übereinstimmt, insofern das kirchlich-theologische Selbstverständnis von der jeweiligen geschichtlich-realen Sozialgestalt abhängt und durch den Wandel der allgemeinen Verhältnisse bedingt ist.370 Zweitens besteht die Notwendigkeit einer Funktion der Theologie für die Kirche unter den modernen Bedingungen nur mittelbar darin, eine ihrem Selbstverständnis entsprechende theologische Ekklesiologie zu formulieren, entscheidend ist ihr grundsätzlicher Beitrag zur Differenzvermittlung, deren eine auf Kompromiss und Ausgleich bedachte Volkskirche bedarf. Drittens kann Troeltsch das soziologisch und religionspsychologische Plädoyer durchaus theologisch inhaltlich verstärken.371

367 Vgl. Protestantisches Christentum, 352; auch: Kirche im Leben der Gegenwart, 108, und die Urteile bei V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 609, aufgenommen von K. FECHTNER, Volkskirche, 190. Zu beachten ist, dass im Prozess der Durchdringung auch der Individualismus eine Begrenzung erfährt (vgl. E. TROELTSCH, Religiöser Individualismus, 126f.). Die Bedeutung des Sektentypus wird besonders durch ein theologisches Urteil reduziert, s.u. 368 Protestantisches Christentum, 352. 369 Vgl. Religion und Kirche, 178f., Soziallehren, 983. 370 Vgl. Soziallehren, 209 (Anm.). 420. 968f. Dies gilt auch unbeschadet der Tatsache, dass umgekehrt „eine wesentliche dogmatische Kritik auch eine Verschiebung in der soziologischen Grundempfindung“ mit sich bringt: ebd., 969. 371 Ähnlich wird man auch die Argumentation seiner Schrift über die ‚Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu“ einschätzen dürfen: Dort wird zunächst eine theologische Begründung der Bedeutung Jesu für den Glauben (z.B. im Sinne seiner Heilsbedeutung) abgelehnt (ebd., 30) und eine sozialpsychologische Begründung (Bedürfnis religiöser Subjektivität und Gemeinschaft nach Halt) dargeboten (ebd., 41f.); genau dies scheint dann aber als Begründung auch theologisch wie historisch plausibilisierungsfähig zu sein (vgl. ebd., 38f. 46f.).

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Von außen betrachtet scheint dies auch deshalb notwendig, als die bisher vorgeführte allgemein funktionale Begründungsstruktur für eine Volkskirche keine hinreichende Absicherung gegenüber ihrer Substitution bietet.372 So gibt er als „eine sehr idealistische und eigentümlich religiöse Begründung“ den für die protestantische Kirche konstitutiven Gnadenbegriff an.373 Denn dieser signalisiere, dass religiöse Gemeinschaft nicht vom Individuum hervorgebracht und getragen wird, sondern umgekehrt jene diesem vorgeordnet ist. Identifizierbar ist diese Gnade als Gnade des göttlichen Gemeingeistes am „Wort Gottes“.374 Zu seinem Recht kommt dieses theologische Argument dann in Troeltschs dogmatischer Explikation. So wird im RGG-Artikel „Kirche“ der Gnadengedanke mit dem Bekenntnis zu einem von Jesus ausgehenden erlösenden „Lebenszusammenhang“ verbunden, welcher stets durch Gemeinschaft vermittelt ist.375 Troeltsch sieht darin – gewissermaßen in neuprotestantischer Transformation von CA VII – den einzigen Anknüpfungspunkt an das reformatorische Kirchenverständnis („unverlierbare Wahrheitsmomente“), während alle anderen Momente des dogmatischen Kirchenbegriffs preiszugeben seien.376 Außerdem empfehle es sich, auf den Ausdruck „Kirche“ zugunsten des Ausdrucks „christliche Gemeinschaft“ zu verzichten.377 Das auf diese Weise über den Gnadenbegriff und die erlösende Bedeutung der Stifterpersönlichkeit dogmatisch-theologisch aufgeladene religionspsychologische Argument erlaubt Troeltsch nun allerdings, den radikalen Individualismus und das Vereinskirchentum der Sekte äußerst kritisch zu bewerten.378 Dieser Bewertungsversuch geht über das funktionale Plädoyer für die Volkskirche in den ‚Soziallehren“

372 Vgl. die Kritik von M. HONECKER, Kirche, 43. 47. 55; E. HÜBNER, Theologie und Empirie, 50-52. 373 Kirche im Leben der Gegenwart, 106. 374 Ebd. V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 604f., stellt dieses theologische Argument mit dem anthropologischen und dem kulturpolitischen in eine Reihe. Genau dies tut Troeltsch jedoch nicht. So unterbricht Drehsen die Textzitation an den Stellen, an denen Troeltsch die Bedeutung dieses Arguments gegenüber den anderen absetzt und einschränkt. 375 „Kirche“, 1153; vgl. Glaubenslehre, 3. 376 „Kirche“, 1153. 1155. Die Liste beginnt mit: „Preiszugeben ist [...] aber alles, was diese als eine von Christus gestiftete Anstalt [...] bezeichnet.“ Die Kritik bezieht sich auch auf die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes: „Die lutherischen Kirchen predigen ohne Unterlaß: ja ihr Idealismus besteht gerade darin, daß nichts getan wird als gepredigt. Sie leben vom ‚Wort’ und sie kranken am ‚Wort’.“ (Religion und Kirche, 168) Zur weiteren Beurteilung des lutherischen Wortverständnisses, insbesondere zum Begriff der „reinen Lehre“: Luther und die moderne Welt, 83-85. 93f. 377 „Kirche“, 1155. Vgl. auch die Darlegungen in der Glaubenslehre, 369ff. 378 Vgl. „Kirche“, 1154.

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hinaus. Mehr noch: Die in ihrem Rahmen geäußerte religionssoziologische Ansicht einer durch die Durchdringung der Typen pluralismusfähigen Volkskirche kann nun theologisch mit dem reformerischen Gedanken eines doppelten Kirchenbegriffs verbunden werden, dem zufolge sich die schon von Luther herausgestellte „aus dem Glauben an das Evangelium fließende[...] Geistgemeinschaft“ in einer real-existierenden Kircheninstitution verwirklichen soll.379

1.1.5. Karl Barth Mit seiner berühmtgewordenen These der Theologie als einer Funktion der Kirche antwortet Barth (a) zunächst auf das Problem des Verhältnisses von wissenschaftlicher Theologie und kirchlicher Praxis („Predigtnot“) und auf die liberalen Verarbeitungsversuche der durch die Religionsgeschichtliche Schule verschärften Divergenz von entwicklungsgeschichtlicher Relativität und gegenwärtigem Geltungserfordernis, welche eine Einordnung von Religion und Theologie in den Horizont eines allgemeinen Kultur- und Wissenschaftsverständnisses empfahlen. Hinsichtlich der Begründungsstruktur (b) hat der in einem gemeinsamen und zugleich spezifischen Gegenstandsbezug erhobene Zusammenhang von Kirche und Theologie grundsätzliche Bedeutung für Barths Verständnis von Theologie als Wissenschaft. Es gehört bekanntermaßen zum Entstehungszusammenhang (a) der Theologie Barths, dass in ihm die Problemwahrnehmung pastoraler Praxis eine entscheidende Rolle spielte. Diese Problemwahrnehmung führte allerdings zugleich einen wissenschaftlichen Reflexionsbedarf mit sich, dem im Horizont liberaler Theoriebildung nur ungenügend entsprochen werden konnte. Das galt vor allem dann, wenn man im Blick auf die Frage nach der erforderlichen gegenwärtigen Geltung des Christlichen die liberale Verarbeitung der historischen Relativität praktisch wie wissenschaftlich als im höchsten Sinne defizitär beurteilen musste. Ein Beleg dafür ist die Auseinandersetzung Barths mit A. von Harnack: Die Hochschätzung des Historischen, an die Harnack im Gefolge Ritschls noch meinte appellieren zu können, konnte für Barth nicht darüber hinwegtäuschen, dass die theologische Verantwortung vor der Gegenwart (die Geltungssicherung) auf anderem Wege erfol379 Ebd., 1155, vgl. 1151, dort als „spiritualistische Höhe“ des reformatorischen Glaubens- und Kirchenverständnisses gewürdigt. Zur Bedeutung und Funktion dieser rein ideelen communio sanctorum, welche sich in geschichtlich gewachsenen Realitäten verobjektiviert: A.L. MOLENDIJK, Zwischen Theologie und Soziologie, 177ff.; N. WITSCH, Glaubensorientierung, 247ff.

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gen musste.380 Schon bereits 1909 bewegte sich der frühe Barth in diesem Problemkontext, als er feststellte, dass der „Konflikt zwischen dem Geschichtlichen und dem Gegenwärtigen“ bei W. Herrmann zu einem von Schleiermacher gewonnenen normativen individuell-ethischen Religionsbegriff führe. Demgegenüber versuche E. Troeltsch, von der grundsätzlichen Relativität des Historischen ausgehend den Geltungswert des Christlichen religionsphilosophisch zu begründen und erweise sich konsequenterweise als „Metaphysiker“.381 Barths eigene Entwicklung läuft darauf hinaus, die Begründung des Glaubens nicht von der mittels historischer Methodik erfassten Geschichte zu erwarten, sondern allein vom Gegenstand.382 Dieser maßgebliche Gegenstand, so Barths Monitum gegenüber Harnack, sei im „chaotische[n] Fakultätsbetrieb unserer Tage [...] vor lauter Maßgeblichkeit der Methode fremd und ungeheuerlich geworden“.383 Auf Harnacks Vorwurf, „den theologischen Lehrstuhl in einen Predigtstuhl“ zu verwandeln, antwortet Barth: „Der [...] Satz, daß die Aufgabe der Theologie eins sei mit der Aufgabe der Predigt, ist für mich als Programmsatz [...] unvermeidlich. [...] Ist aber dies ‚Wort’ [des Christus, H.-M. R.] wiederzugeben die Aufgabe des Predigers, so ist dies auch die des [...] Theologen.“384 In Übereinstimmung nicht nur mit diesen frühen Aussagen Barths müsste man sagen, dass – so sehr die erkenntnistheoretisch-philosophisch explizierbare Geltungsproblematik zum Entstehungszusammenhang gehört – ihr eine grundlegende Bedeutung nicht von selbst zukommt. Diese ist vielmehr in dem schon mit der Predigt gegebenen fundamentaltheologischen Sachproblem der Erkenntnisge380 Vgl. Vorwort zur 2. Aufl. des Römerbriefs, XIXf. Zur Problematik und ihrer Verschärfung durch die Religionsgeschichtliche Schule vgl. M. MURRMANN-KAHL, Die entzauberte Heilsgeschichte. Zu Barths Auseinandersetzung mit Harnack vgl. H.-A. DREWES, Auseinandersetzung, 189-203. 381 Rezension (1909), 371f. Das ist zweifellos mit einem negativen Urteil verbunden: Was die Bewertung betrifft, so sympathisiert der junge Barth noch ebenso mit dem individuellen Religionsverständnis seines Marburger Lehrers wie mit der angeblich „voraussetzungslosen historischen Wissenschaft“ A. Ritschls (ebd., 370). Zum Verhältnis Barths zu Troeltsch: W. GROLL, Ernst Troeltsch; H. RUDDIES, Karl Barth; vgl. W. GREIVE, Kirche, 45-77. 382 So z.B. in: Christliche Dogmatik, 317: „Es ist eine verhängnisvolle Zweideutigkeit, wenn man sagt, der Glaube sei auf die Geschichte begründet, d.h. doch wohl, er sei eine besondere Art von Geschichtsbetrachtung und Geschichtsdeutung. In der Geschichte an sich ist, soweit das Auge reicht, nichts, was den Glauben begründen könnte.“ Damit ist die deutliche Gegenposition zu Ritschl eingenommen. Vgl. außerdem: Kirche und Theologie, 310; KD I/2, 64. Barth entwickelt vom Gegenstand her dann einen eigenen christologischen, durchaus Zeit- und Raumkategorien einschließenden Geschichtsbegriff; dazu K. HAFSTAD, Wort und Geschichte, 39ff. 383 Briefwechsel (1923), 335. 384 Ebd., 336.

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wissheit Gottes in seinem Wort und der Identität der Verkündigung mit diesem zu suchen. Bereits aufgrund dieses Sachproblems ist Theologie an den Raum der Kirche verwiesen.385 Insgesamt lässt sich behaupten: Unbeschadet der Entwicklung in der inhaltlichen Durchführung steht für die Theologie Barths fest, dass im theologischen Gegenstand – ob nun nicht-gegenständlich oder gegenständlich erkennbar verstanden – die Schnittstelle von wissenschaftlicher Theologie und kirchlicher Praxis zu suchen ist.386 Denn nur vom Gegenstand her ist der angezeigten Sachproblematik beizukommen. Entsprechend heißt es dann in KD I/1, dass die der Kirche zur Verkündigung gegebene Sache zugleich die der Dogmatik zur prüfenden Verantwortung gegebene Voraussetzung ist.387 Für den Wissenschaftsbegriff und die Methodik bedeutet dies ähnlich wie bei M. Kähler eine strenge Ausrichtung am besonderen Gegenstand der Theologie.388

385 Es ist die Pointe der Arbeit von I. SPIECKERMANN, Gotteserkenntnis, das die Entwicklung des Barthschen Denkens steuernde innere Fundamentalproblem der Gotteserkenntnis gegenüber einer nur durch geistesgeschichtliche Frontstellungen bestimmten Deutung herausgearbeitet zu haben (v.a. 73f. 143ff. 226). Vgl. dazu auch neuerdings B. MCCORMACK, Der theologiegeschichtliche Ort, 15-40. 386 Zur Entwicklung von der Identifizierung der Theologie als Verkündigung und der Theologie als Lehre sowie von der Dialektik als Wahrung der Nichtgegenständlichkeit des Gegenstands für menschliches Erkennen hin zur Differenzierung von göttlichem Selbstwort und menschlichem Zeugenwort, auch zur Überführung der Dialektik in das dogmatische Denken und zur betonten Erkennbarkeit des Gegenstands ist nach wie vor grundlegend M. BEINTKER, Dialektik, v.a. 141ff. 161ff. 185-194. Dies gilt auch unabhängig von der Kritik von B. MCCORMACK, Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, 434ff. (zur Bedeutung der sog. Anselm-Wende). 387 KD I/1, 86f.: „Dogmatik kann also der kirchlichen Verkündigung gegenüber nicht Selbstzweck sein wollen. Es verhält sich nicht so, daß Gott, Offenbarung, Glaube der Verkündigung gegeben wäre und dann abseits davon und irgendwie anders auch noch der Dogmatik. Sondern das alles ist der Kirche gegeben, und zwar nicht zur Betrachtung, sondern eben zur Verkündigung gegeben und nur insofern dann auch der Dogmatik als Voraussetzung ihrer Prüfung des menschlichen Werks dieser Verkündigung.“ 388 Vgl. v.a. Unterricht I, 10; KD I/2, 6! Zum Verhältnis zu M. Kählers Konzeption ist außerdem zu bemerken, dass Barths Aufnahme des Begriffs der „Urgeschichte“ von F. Overbeck z.B. in: Christliche Dogmatik, 309ff., dem Kählerschen Begriff des „Übergeschichtlichen“ insofern nicht fern steht, als es sich um einen theologisch qualifizierten, christozentrisch ausgerichteten Geschichtsbegriff handelt – mit der Funktion, „die Offenbarung als eine besondere Kategorie zu denken“ (ebd., 318) und der grundlegenden Bedeutung des erhöhten Christus Rechnung zu tragen. Die Ablehnung des Begriffs (und damit auch Kählers) in KD I/2, 64, ist differenziert zu betrachten, da hier vor allem die Vermeidung des Missverständnisses, vom Allgemeinen zum Besonderen zu denken, im Vordergrund steht. Das zur Begründung aufgebotene Argument, Offenbarung sei nicht ein Prädikat der Geschichte, sondern die Geschichte ein Prädikat der Offenbarung, findet sich denn auch schon in der Christlichen Dogmatik (311, vgl. Kirche und Theologie, 659).

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Barths Theologie ist kirchlich nicht nur hinsichtlich ihres Entstehungszusammenhangs (a), sondern auch hinsichtlich ihres Begründungszusammenhangs (b) – wobei nicht zu bestreiten, sondern ausdrücklich zu bekräftigen ist, dass die Beantwortung der Frage, wie der theologische Gegenstand („Wort Gottes“), seine Erkennbarkeit und sein Verhältnis zur Erfahrungswirklichkeit menschlichen Redens und Handelns zu denken ist, Veränderungen unterliegt, welche das Verständnis des „Kirchlichen“ der Theologie beeinflussen.389 So hat die Auseinandersetzung mit E. Peterson im Jahre 1925 Auswirkungen nicht nur auf das Verständnis der Dialektik und des Dogmatischen in der Theologie, sondern auch auf das Verständnis ihrer Kirchlichkeit: Die Theologie ist nicht mehr allein als dialektische auf die Unanschaulichkeit und Unmittelbarkeit des Wortes Gottes verwiesen, sondern als dogmatische theologia ektypos,390 welche ihren Gegenstand in Schrift, Bekenntnis und Dogma in mittelbarer Form erhält, auf die „konkrete Autorität der Kirche“ bezogen, deren Verkündigung sie dienend und kritisch zugeordnet ist.391 Diese Autorität ist im Sinne von Barths aktualem Denken „konkret“ (nicht prinzipiell gegeben), d.h. sie ist gegenüber der unmittelbaren Autorität Christi als zeitliche, relative und formelle Autorität sekundär; sie gilt, weil und insofern die Kirche im Reden Gottes gegründet ist.392 Doch gerade so wird die Kirche in die theologische Begründung der Theologie, mithin in die Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes hinein genommen – als, wie Barth in seiner Christlichen Dogmatik von 1927 sagen kann, am urgeschichtlichen Offenbarungsereignis partizipierende „qualifizierte Geschichte zweiten Grades [...] als Zeugnis, Reflex, Echo“.393 Das in den folgenden

389 Vgl. zur Anwendung der durch G. Sauter in die Theologie eingeführten wissenschaftsphilosophischen Unterscheidung von Begründungs- und Entdeckungszusammenhang auch: P. SCHERLE, Fragliche Kirche, 112. Die Konstante der Entwicklung Barths im Entstehungszusammenhang, die Variabilität im Begründungszusammenhang anzusiedeln, erscheint allerdings zu undifferenziert: Der Entstehungszusammenhang unterliegt ebenso Wandlungen, wie auf der anderen Seite hinsichtlich des Begründungszusammenhangs – vor allem wenn man der neueren Barthforschung folgt – mit erheblich mehr Kontinuität zu rechnen ist, als dies über die bekannte Interpretationslinie von H.U. von Balthasar über E. JÜNGEL (v.a. ders., Von der Dialektik zur Analogie, 127ff.) gesehen wurde. Vgl. auch die These von D. KORSCH, Ein großes Mißverständnis, 359-361. 390 Gegenüber der Gott vorbehaltenen theologia archetypos. 391 Kirche und Theologie, 657, vgl. 654; zur Auseinandersetzung Barths mit Peterson vgl. z.B. E. JÜNGEL, Von der Dialektik zur Analogie, 130ff.; B. NICHTWEIß, Lebendige Dialektik, 313-330; auch die Kritik an der Position Barths bei R. HÜTTER, Theologie als kirchliche Praktik, 131-155. 392 Kirche und Theologie, 662. 393 Christliche Dogmatik, 320; dazu auch W. GREIVE, Kirche, 226. 298.

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Jahren abzuarbeitende Fundamentalproblem lautet daher nicht mehr „Offenbarung und Geschichte“, sondern „Offenbarung und Kirche“.394 Für die Theologie bedeutet dies, dass sie nicht selbst Begründung der Kirche sein kann, sie ist „kritische Besinnung [...] auf das die Kirche begründende Wort“ und als solche „eine Funktion der Kirche“.395 Das dialektische Moment ihrer Aufgabenbestimmung besteht nun darin, mittels „reiner Lehre“ den Raum für Gottes eigenes Reden offen zu halten.396 Ein weiterer wichtiger Schritt zur Grundlegung eines neuen Begriffs von kirchlicher Wissenschaft stellt Barths 1931 erschienene Studie über Anselm von Canterbury dar. Diese ist als wissenschaftstheoretische Fundierung einer Konzeption von theologischer Rationalität zu lesen, welche Barth selbst als Schlüssel zum Verständnis der Denkbewegung der „Kirchlichen Dogmatik“ zu betrachten empfiehlt.397 Bedeutsam ist dabei nicht nur, dass der Glaube einen Gegenstand hat, welcher dem glaubenden intelligere erkennbar ist, sondern auch die Funktion des objektiven Credo der Kirche, welches hinsichtlich der Voraussetzungen der Theologie und deren spezifischer Methodik einen konstitutiven Bezugspunkt bildet. Unter der entscheidenden Voraussetzung nämlich, dass in der Frage der Gotteserkenntnis die Wirklichkeit der Möglichkeit vorgeordnet ist, hat Theologie nicht zu begründen, dass es so ist, wie Glaubende glauben, sondern unter der Voraussetzung des objektiven Credo der Kirche zu explizieren und zu präzisieren, inwiefern es so ist.398 Wie noch zu sehen sein wird, soll so auf der einen Seite festgehalten werden, dass Theologie nicht in einer positivistischen Explikation kirchlicher Glaubenssätze aufgeht, sondern sich als „Nachdenken“ gestaltet – die Positivität der Theologie bezieht sich primär auf die Offenbarungswirklichkeit, das Faktum des „Deus dixit“, in welchem Gott seine Wahrheit für uns gegenständlich macht. Auf der anderen Seite soll einer Theologie abseits der Kirche und ihrem jedem

394 Christliche Dogmatik, 321 (Hervorheb. im Orig.); vgl. schon: Kirche und Theologie, 657-660, und die spätere Aussage in KD I/1, 127: „Indem die Kirche vergaß, dass das Korrelat zur Offenbarung und Schrift zunächst gar nicht die Beseligung oder Besserung des menschlichen Individuums, sondern [...] die Verkündigung als Dienst Gottes ist, vergaß sie nicht weniger als sich selber [...]“ 395 Theologie und der heutige Mensch, 375. 396 Vgl. Kirche und Theologie, 677. 397 Fides, 6. 398 Ebd., 25f. „Intelligere kommt zustande durch Nachdenken des vorgesagten und vorbejahten Credo“ (ebd. 26).

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subjektiven credere vorausgehenden Credo gewehrt werden – das intelligere ist demzufolge immer zuerst ein „Nachdenken“.399 Was die situativ-kontextuelle Auswirkungen auf die Kirchentheorie im Besonderen betrifft, so ist schließlich in aller Kürze zu bemerken, dass der Aufbau des theologischen Kirchenbegriffs sich im Gegenüber zur empirischen Kirche vollzieht. Dieses Gegenüber veränderte sich bekanntlich – etwa von einer sich nach dem Ende des Staatskirchentums 1918 als selbständige Kulturpotenz verstehenden Kirche, wie sie von O. Dibelius propagiert wurde, hin zu einer durch die „Deutschen Christen“ besetzten Institution Kirche.400 Der ideologiekritische theologisch-christologische Kirchenbegriff hat die empirische Kirche nicht nur immer schon im Blick, intern thematisiert er sie vielmehr in indirekter Weise, als er eine Steuerungsleistung hinsichtlich einer ihr angemessenen Sichtbarkeit zu erbringen intendiert.401 Das gilt auch für die späteren Bände der KD, welche die Kirche im Kontext der gesellschaftlichen Wirklichkeit als ihrer Sendung gemäße vorläufige Realisierung der Christuswirklichkeit entfalten. Die hiermit in einigen Grundzügen skizzierte Zuordnung von Entstehungs- und Begründungszusammenhang der Theologie Barths folgt formal dem Diktum E. Jüngels, wonach der „sachliche Grund [...] zugleich theologie-geschichtlich vermittelt“ ist,402 der Sach- und Begründungsgehalt also in geistesgeschichtlicher Relationalität vorliegt, er anders gesagt also einen spezifisch neuzeitlichen ‚Sitz im Leben’ voraussetzt. Über diesen Sachverhalt besteht kein Streit. Die Mehrheit der historisch-problemorientierten und systematischen Deutungen folgt diesem Schema, wenngleich die inhaltliche Präzisierung der Zuordnung höchst unterschiedlich ausfallen kann. Methodisch setzen sie in der Regel mit den erhobenen theologischen Inhalten an und versuchen von da aus die Korrelation zum vorausgesetzten (biographischen, problemgeschichtlichen etc.) Entstehungszusammenhang herzustellen. Anders verhält es sich mit den metatheoretischen, insbesondere modernitätstheoretischen Rekonstruktionsversuchen, welche die Korrelation vom gegenüberliegenden Pol aus herzustellen versuchen. Sie sollen an dieser Stelle kurz angesprochen werden. Die interpetatorische Divergenz dieser Barthdeutungen erscheint, verglichen mit analogen Phänomenen etwa der Schleiermacherforschung, erheblich und

399 Zur Relation von (subjektivem) credo und (objektivem) Credo v.a. ebd., 23; zur Relation von Nachdenken und Nachdenken: ebd., 40. 400 Vgl. G. PFLEIDERER, Das ‚prophetische Amt’, 129f. Zur Auseinandersetzung mit Dibelius vgl. die Gegenüberstellung der Positionen bei E. LESSING, „Selbständigkeit“ und „Freiheit“ der Kirche, 426ff. 401 Für eine der Kirche unter dem Kreuz angemessene Sichtbarkeit votiert v.a. Barths Schrift „Die Not der evangelischen Kirche“ (1931). 402 E. JÜNGEL, Anfänge, 74.

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berührt außerdem eine an der gegenwärtigen Bedeutung interessierte Untersuchung nicht unwesentlich.403 Eine bedeutsame modernitätstheoretische Barthdeutung wurde 1969 von T. Rendtorff zur Debatte gestellt. Barths Entwurf wird dabei in den historischen Kontext der neuzeitlichen Theologie eingestellt und als Radikalisierung des liberalen Problem- und Krisenbewusstseins begriffen.404 Problematisch ist nun nicht die Wahrnehmung des so skizzierten Entstehungszusammenhangs an sich, sondern die Tatsache, dass diesem selbst das Rekonstruktionsprinzip, d.h. das Deutungsraster wie das Beurteilungskriterium für die nachfolgende Textinterpretation entnommen wird. In diesem Fall ist es das neuzeitliche Autonomieprinzip, in dessen Licht bei Barth die Aufklärung als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit dadurch radikalisiert werde, dass sie nicht auf die Freiheit und Autonomie des Menschen, sondern auf die Freiheit und Autonomie Gottes ziele.405 Die Durchsetzung der Autonomie erlange in der Christologie ihre dogmatische Fassung. Zu ihren Folgen gehöre nicht nur die Liquidation der erkennbaren Lebenswirklichkeit und der neuzeitlichen Christentumsgeschichte, sondern vor allem auch eine „Liquidation der Kirche“, so dass das Verständnis der Theologie Barths als kirchliche Theologie zum zeitgeschichtlich bedingten Missverständnis erklärt werden muss.406 F. Wagner hat diese Interpretationsrichtung mit der Hilfe eines am Aufbau eines absoluten Subjekts orientierten Rekonstruktionsprinzips zur Konstruktion einer totalitären Theologie Barths weitergetrieben und E. Jüngels Vorwurf der „Sünde wider den guten Geschmack“ provoziert.407 Die Problematik dieser Deutungsperspektive wurde bereits diskutiert.408 403 Zur detaillierteren Übersicht der neueren Forschung vgl. T. GUNDLACH, Selbstbegrenzung Gottes, 38-95; G. PFLEIDERER, Karl Barths praktische Theologie, 142ff. Bei beiden Arbeiten handelt es sich um modernitätstheoretische Rekonstruktionen. Gundlachs Studie zeichnet sich dadurch aus, dass sie – die angesprochene Korrelation im Blick – sich der Problematik dieses Zugangs, nämlich der Verortung der Aussagen Barths in einem fremden Problemzusammenhang, methodisch reflektiert stellt und der Erhebung der Textintention methodische Priorität einräumt (ebd., 23-31). In diesem Zusammenhang muss offen bleiben, ob neuere Versuche einer ästhetischsymboltheoretischen Deutung eine Vermittlung der hier idealtypisch dargestellten Positionen bedeuten; vgl. den Differenzierungsversuch von G. PFLEIDERER, ‚Inkulturationsdialektik’, 223-244. 404 T. RENDTORFF, Radikale Autonomie Gottes, 163f. 180. 405 Ebd., 164. Diese (alternative) Deutung wurde inhaltlich in den folgenden Jahren modifiziert, vgl. z.B. ders., Der ethische Sinn der Dogmatik, 132. 406 Ders., Radikale Autonomie Gottes, 178f. Eine „Liquidation der sichtbaren Kirchen“ wird von W. GREIVE, Kirche, 219, für den frühen Barth zugestanden. 407 F. WAGNER, Theologische Gleichschaltung, 13ff.; E. JÜNGEL, Barth-Studien, 13. 408 Vgl. z.B. D. KORSCH, Christologie und Autonomie, 146ff. Korsch selbst bemüht sich ebenfalls um eine modernitätstheoretische Rekonstruktion der Theologie Barths, um diese als postmoderne Theologie ausweisen zu können (ders., Theologie in der Postmoderne, 74ff.). Formal hat seine Interpretation letztendlich an der gleichen Problematik teil, insofern das Modernisierungstheorem prinzipiell normativfunktionale Deutekategorien (z.B. die angemessene Verarbeitung von neuzeitlichen Krisenerscheinungen) von außen an einen Entwurf heranträgt. Vgl. auch hierzu: T.

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Einen neuen, beachtenswerten Versuch einer modernitätstheoretischen Rekonstruktion hat G. Pfleiderer vorgelegt. Formal folgt dieser der funktionalen Methodik F. Wagners und T. Rendtorffs These von Barths Theologie als einer Reduktion des Christentums auf Theologie – nicht aber deren Durchführung und deren Ergebnissen.409 Das Ziel der (rekonstruierten) Theologie Barths besteht nicht in einer vordergründig verstandenen Liquidation der Kirche, sondern, wie eine intentional-pragmatische Deutung im Kontext zeitgenössischer gegenmoderner Entwürfe plausibilisieren soll, im Aufbau eines kollektiven geschichtlichen Handlungssubjekts (‚Kirche’).410 Theologie ist dann nicht nur eine Funktion einer Kirche, deren Existenz und Handeln als konstituiert vorauszusetzen ist,411 sondern einer Kirche, die als intersubjektiver „Reflexionshandlungszusammenhang“ mittels einer gewissermaßen prinzipialisierten „praktischen Theologie“ zuallererst konstituiert werden muss.412 Dies geschieht in Barths dogmatischer Theologie näherhin dadurch, dass die kategoriale Differenz von theologischer Reflexion und religiösem Vollzug am Ort des Rezipienten (der theologischen Elite) in eine Substitution des letzteren durch ersteres überführt wird. Pfleiderer sieht selbst, dass Barths eigene textlich fassbare Intention einer solchen Deutung widerspricht, diese sei nur in der metatheoretischen Außenperspektive einer funktionalen Analyse der Theologie beobachtbar, zu verifizieren oder zu falsifizieren.413 Die Bewertung dieser sophistisch wie monumental vorgetragenen modernitätstheoretischen Barthinterpretation muss der Barthforschung überlassen bleiben. Würde sich deren Kernthese jedenfalls erhärten, bekäme eine werkimmanent (semantisch) anset-

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GUNDLACH, Selbstbegrenzung Gottes, 21-24, und B. THOMASSEN, Dialektische Theologie, 258-262. G. PFLEIDERER, Karl Barths praktische Theologie, 18f. 22f. Barths Theologie wird von Pfleiderer ebenfalls in den Umkreis der radikal-modernen Gegenmoderne gestellt – allerdings mit dem ausschlaggebenden Deutehorizont, dass es sich bei ihr um eine „praktisch gewendete [...] invertierte Transzendentaltheorie“ handle, insofern „die Lösung der Probleme, die sich einer transzendentalen Theorie individueller Freiheit stellen, durch den Aufbau eines kollektiven Geschichtssubjekts zu lösen“ gesucht wird (ebd., 23). Vgl. ebd., 14. 22f. 425 u.ö.; auch die Zusammenfassung in: ders., Das ‚prophetische Amt’, 116f. Dazu v.a. die von T. RENDTORFF schon 1966 formulierte These, bei Barth werde die Kirche zu einem dogmatisch zu entwerfenden Sachverhalt, der als „Grenzbegriff“ eine der Offenbarung eigene Welt zu denken ermögliche (ders., Kirche und Theologie, 213ff.). Wird der unterschiedliche Bedeutungsgehalt des Kirchenbegriffs beachtet und das Schlagwort von der Liquidation der Kirche bei Rendtorff streng von den kommunikativ-religiösen Vollzügen her verstanden, so erscheint Pfleiderers Konzeption als Weiterentwicklung der These Rendtorffs mit anderen Mitteln. Das negative Moment der Liquidation wird dabei in das positive des Aufbaus bzw. des Hervorbringens eines starken Handlungsagenten, mithin in die Erzeugung einer intendierten und initiierten Empirie überführt. Man denke aber nur an das anstelle eines Vorworts gewichtig positionierte Lutherzitat in KD I/2, VI. Pfleiderer stützt seine These deshalb ganz bewusst auf den frühen Barth. G. PFLEIDERER, Karl Barths praktische Theologie, 18f. Ebd., 19. 140f.; vgl. 460.

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zende Deutung hinsichtlich der Barthschen Grundüberzeugung der Theologie als einer „Funktion der Kirche“ allenfalls die Spitze eines Eisbergs in den Blick – die synthetisch-praktische Aufgabe insbesondere der Dogmatik hätte für den Aufbau einer „protestantischen Identität“ bzw. für die „Erzeugung“ des Handlungsagenten Kirche schlechterdings konstitutive Bedeutung.414 Grundsätzlich problematisch erscheint mir allerdings auch hier, dass die intentional-pragmatische Deutung der Theologie Barths als Reflexionshandeln den theologischen Sach- und Begründungszusammenhang der Texte nicht in ihrer eigenen (semantisch-argumentativen) Würde – und das heißt auch: in einer inhaltlich bestimmten Frage-AntwortKorrelation – ernst nimmt. Sie werden vielmehr unter dem methodischen Primat eines prinzipialisierten Entstehungszusammenhangs (Praxisproblem der Predigtnot bedarf des Aufbaus eines Handlungssubjekts) metatheoretisch als krisenhaft-gegenmoderner Reflex gedeutet und unter Umgehung einer differenzierten Erhebung der Textintention (pragmatisch) funktionalisiert. Insgesamt wird damit ein theologischer Entwurf einer modernitätstheoretischen Mediatisierung unterworfen.415

Theologie ist eine positive und kirchliche Wissenschaft, als sie sich auf das gegebene Faktum der Verkündigung im Lebensraum der Kirche bezieht. Die Voraussetzung der Dogmatik besteht darin, dass es christliche Rede von Gott gibt, ihre Notwendigkeit darin, dass es diese nur in fehlbarer menschlicher Gestalt gibt. Dogmatik als „wissenschaftliche Selbstprüfung“ der Kirche stellt sich der in der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes explizierten Differenz von menschlicher Gestalt und göttlichem Gehalt und untersucht die menschliche Gestalt der Verkündigung auf die Übereinstimmung mit dem in der Bibel in „indirekter Identität“ gegebenen Wort Gottes. Voraussetzung der Theologie und zugleich Ausgangspunkt der Dogmatik ist für Barth der positiv gegebene Gegenstand der christlichen Rede bzw. der Verkündigung, welche selbst wiederum „das Vorhandensein einer christlichen Kirche, die nicht wir zu bauen und zu tragen haben, sondern die uns baut und trägt,“ zur Voraussetzung hat.416 Die theologische, insbesondere die dogmatische Reflexion geht von einem un-

414 Vgl. ebd., 425ff. 415 Die Strukturanalogie auf der Ebene der allgemeinen Wissenschaftstheorie scheint diesbezüglich erhellend zu sein: Nachdem im logischen Empirismus und im Anschluss an ihn auch bei K. Popper die rationale Rekonstruktion ganz auf den Begründungszusammenhang einer Theorie eingegrenzt wurde, wird in der Wissenschaftstheorie T. Kuhns und seiner Nachfolger der Entdeckungszusammenhang d.h. der krisenhafte Wechsel der Forschungsgemeinschaft zum Ausgangspunkt der methodischen Fragestellung. Wissenschaftstheorie wird zur Theoriendynamik. 416 Unterricht I, 4; vgl. Christliche Dogmatik, 13, und v.a. KD I/1, 2: „Es gibt also Theologie in diesem besonderen und eigentlichen Sinn, weil es die Kirche vor ihr und ohne sie Rede von Gott gibt.“

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zweifelbaren Faktum aus und hat deshalb nie Mangel an „Rohstoff“: „Daß die christliche Kirche redet, katholisch und evangelisch, orthodox und liberal, anständig und weniger anständig, dieser große, wunderliche Lobgesang ist Tatsache. ‚Es predigt’ in der Welt, so gewiß und wahrnehmbar als ‚es regnet’ [...]“417 Barth hält die „unbedingte Präsenz des Stoffes“ für den Vorzug seines Ausgangspunkts gegenüber dem Rückgang Schleiermachers auf das fromme Bewusstsein oder auch gegenüber Herrmanns Rückgang auf das „innere Leben“.418 Entscheidend ist es dabei, dass sich mit der methodischen Selbstbeschränkung auf Sätze der Verkündigung gegenüber Schleiermacher auch das Verständnis der Theologie als einer positiven Wissenschaft wandelt: Ihre Positivität bezieht sich nicht auf einen Sachverhalt, welcher der christlichen Rede zugrunde läge und erst zu erschließen wäre, sondern auf diese Rede selbst – und zwar so, wie sie im theologischen Lebensbereich der Kirche vollzogen wird und vollzogen werden soll.419 Weil es sich bei der christlichen Rede allerdings um ein „zweideutige[s] Phänomen“ handelt, entsteht aus der damit aufgeworfenen Frage, inwiefern das kirchliche Verkündigungswort Wort Gottes ist, das Dogma und die Dogmatik.420 Die Notwendigkeit der Dogmatik ist in der Zweideutigkeit des Faktums, dem Sachverhalt, dass die Verkündigung fehlbares Menschenwerk ist, begründet.421 Sie hat über diese deshalb zu reflektieren und ihr als kritische Instanz gegenüber zu treten.422 Die in der Kirche vollzogene und zu vollziehende Rede von Gott bedarf, so die bekannte Ausgangsthese der KD, der „wissenschaftliche[n] Selbstprüfung“.423 Die genannte Notwendigkeit ergibt sich letztlich aus der 417 Christliche Dogmatik, 51. 418 Unterricht I, 35. 31. 419 Vgl. Christliche Dogmatik, 48, auch: Schicksal und Idee, 347f. Dort die Schlussfolgerung: „Im leeren Raum oberhalb der Kirchen und Konfessionen gibt es keine Theologie. Es gäbe dort allenfalls das Problem des von uns in einem progressus ad infinitum zu suchenden Gottes an sich. Von diesem Gott aber haben wir keine Wissenschaft. Theologie ist nur möglich als Theologie des verkündigten Gottes, des Gottes, den wir nicht erst zu suchen haben, sondern der sich uns zu finden gegeben hat und noch gibt [...]“ (348). Die sich daraus ergebende Bindung an die Kirche wird von Barth auch gegen die mediale Verfasstheit der kirchlichen Rede von Gott bei Schleiermacher ins Feld geführt – folgerichtig habe bei diesem daher anstelle der bindenden Kirche der „Religionsphilosoph seinen Richterthron aufgeschlagen“ (Theologie und der heutige Mensch, 390). Die Schleiermacherkritik in KD I/2, 893. 909, setzt hingegen auf der unverfügbaren Seite der Positivität als Anrede Gottes an und kritisiert Schleiermachers Dogmatik als kirchliches „Selbstgespräch“ (s.u.). 420 Unterricht I, 30. 421 So später in: KD I/1, 84; I/2, 892. 422 Vgl. KD I/1, 51. 423 Ebd., 1. Vgl. Theologie und der heutige Mensch, 375: „Indem die Kirche die Besinnung auf das Wort als einem [...] fort und fort und regelmäßig – mit der Regelmä-

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Verkündigung selbst, insofern diese in ihrer menschlichen Gestalt mit dem Anspruch auftritt, Gottes Wort zu sein, d.h. mit dem in der Schrift bezeugten göttlichen Gehalt der Offenbarung überein zu stimmen.424 Die Kirche stellt sich in der Form der Dogmatik der Aufgabe der Kritik und Korrektur, indem sie ihre Verkündigung an dem ihr eigenen Anspruch misst. Die Rede vom theologischen Gegenstand ist somit nicht positivistisch zu verstehen: Die kirchliche Rede von Gott und Gottes eigenes Reden sind, so das Pathos des frühen Barth von 1922, nicht identisch.425 In seiner Dogmatik von 1927 und in der KD wird der Begriff „indirekte Identität“ bzw. „doppelte Indirektheit“ leitend.426 Doppelt indirekte Identität: Weil das Reden Gottes in seiner keineswegs nur äußerlichen Welthaftigkeit als Geheimnis begegnet, erscheint der göttliche Gehalt nicht nur in seiner menschlichen Gestalt, sondern ist in dieser darüber hinaus – Barth wendet Luthers theologia crucis gewissermaßen erkenntnistheoretisch an – verhüllt.427 Nur in der doppelten Indirektheit sind die welthaften Gestalten von Verkündigung, Schrift und Offenbarung Gottes Wort nach seinem göttlichen Gehalt.428 Zusammengefasst bedeutet dies: In der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes wird die spezifische Gehalt-Gestalt-Zuordnung von Barth als in sich differenzierte Positivität begrifflich entfaltet. Dabei soll – so Gott selbst die Koinzidenz bzw. die Synthese von Gestalt und Gehalt vorbehalten bleibt429 – nicht nur der bleibende Unterschied, sondern auch die wechselseitige Bedingtheit festgehalten werden: „[D]ie welthafte Gestalt ohne den göttlichen Gehalt ist nicht das Wort Gottes und der göttliche Gehalt ohne die welthafte Gestalt ist

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ßigkeit jeden anderen Wissenschaft – zu vollziehenden Akt für notwendig und möglich hält, bringt sie die Theologie hervor. Theologie ist also eine Funktion der Kirche.“ Vgl. KD I/1, 79. 296. Vgl. Wort Gottes, 148-175. Vgl. Christliche Dogmatik, 539f.; auch schon: Unterricht, 263. 266; KD I/1, 124. 174; KD I/2, 831. 835. 849 u.ö. In anderer Form wurde, darauf lohnt es sich zu verweisen, die Indirektheit im theologischen Gegenstandsbezug auch schon von M. Kähler geltend gemacht – durch das Einführen der geschichtlich-übergeschichtlichen Struktur des Gegenstands. Vgl. KD I/1, 173f. 216. Ebd., 174. Gegenüber dem Elgersburger Vortrag von 1922 („Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“) tritt später neben (besser: in) die menschliche Unmöglichkeit, zu reden, was Gott redet, nun deren Aufhebung durch Jesus Christus, so dass die „Gleichung“, der zufolge die kirchliche Verkündigung Gottes Wort ist, begründet erscheint: KD I/2, 837.

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auch nicht das Wort Gottes.“430 In diesem Licht wäre es auf der einen Seite als falsche realistische Theologie zu beurteilen, „vor der welthaften Gestalt als solcher stehen“ zu bleiben.431 Damit ist ein positivistischexplikativer Theologiebegriff ebenso abgewiesen wie ein von der These der Bewusstseinsimmanenz bestimmter. Auf der anderen Seite aber wäre einer falschen idealistischen Theologie entgegenzuhalten, dass wir nicht über die welthafte Gestalt „hinausfliegen und uns nur an dem göttlichen Gehalt erfreuen wollen“ können.432 Entsprechend dem Sachverhalt, dass Gott sich selber welthaft gegeben hat, bleibt sie nach dieser Seite hin an die Bibel und an die Kirche gebunden.433 Für eine Wissenschaft, deren Aufgabe ganz von der Eigenart ihres Gegenstands her bestimmt wird, macht der so gefasste differenzierte Gegenstandsbezug eine spezifisch theologische Erkenntnistheorie erforderlich.434 Die von ihr zu bewältigende Aufgabe ist schon aus der inneren Problemstellung erheblich, insofern die zur Prüfung der menschlichen Verkündigung beauftragte Dogmatik nicht nur allein als ein menschliches Werk der Kritik und Korrektur sich vollziehen kann, sondern für dieses selbst die göttliche Gestalt und damit letztlich das Kriterium ihres Prüfens unverfügbar bleibt. In seiner ‚Kirchlichen Dogmatik’ geht Barth von der Einsicht aus, dass die Dogmatik selbst ihren Gegenstand nur im Medium zweier Gestalt-Gehalt-Relationen, d.h. in Schrift und Verkündigung zu Gesicht bekommt. Nicht unter der Beiseitesetzung der Unverfügbarkeit des wirklichen Gegenstands, sondern unter ihrer Zugrundelegung entfaltet Barth in seinen Prolegomena eine dogmatische Methode.435 Grundsätzlich bleibt dabei die dogmatische Arbeit zur Erledigung ihrer Aufgabe an die welthaften Gestalten des Wortes Gottes gewiesen und muss

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KD I/1, 182. Ebd. Ebd. Vgl. Schicksal und Idee, 352. 376. Neben seiner Anselmstudie ist die Schrift „Schicksal und Idee in der Theologie“ (1929) erkenntnistheoretisch nicht zu unterschätzen. In ihr wird nicht nur das Verständnis von Gegenständlichkeit und Nicht-Gegenständlichkeit in der Theologie, damit Recht und Grenze eines realistischen und eines idealistischen Erkenntniszugangs erörtert, sondern vor allem auch die Rechtfertigungslehre auf dem Gebiet der Erkenntnis geltend gemacht. 434 Vgl. schon Unterricht I, 10; Theologie und der heutige Mensch, 381f.: „Sie relativiert auf der einen Seite die Wissenschaft als solche, auf der anderen Seite doch auch wieder den Relativismus der Wissenschaft.“ Siehe auch die zusammenfassenden Ausführungen in KD I/1, 291. 435 Vgl. nur KD I/2, 968f. In diesem Zusammenhang und zum Folgenden vgl. die auf eine wissenschaftsphilosophische Analyse der Prolegomena abzielende Studie von E. MAURER, Sprachphilosophische Aspekte, v.a. 35ff. 104ff.

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ihnen entnehmen, wie das Wort Gottes ist.436 Die Gegenstandsbestimmung, wie sie in Barths Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes vorliegt, hält so das Zugleich von unverfügbarer Ereignishaftigkeit und Bindung an sprachlich gefasste „relative Autoritäten“ der Kirche zusammen437 und kommt auf diese Weise zum Verständnis einer gegenstandsbezogenen Wissenschaft, in welcher der noch näher zu erörternden Falsifizierbarkeit vom Gegenstand her eine zentrale Rolle beigemessen wird. Voraussetzung eines solchen Wissenschaftsverständnisses ist allerdings, soviel lässt sich schon sagen, dass „[m]odernistisches Denken“, welches der kopernikanischen Wende Kants folgt, zurückgewiesen wird:438 Das Wort Gottes wird erkenntnistheoretisch nicht durch Bewusstseinsakte des Menschen konstituiert, sondern tritt als Anderes außerhalb seiner selbst entgegen – als „Felsblock eines Du, aus dem kein Ich wird“.439 Die Möglichkeit eines solchen Widerspruchs und damit die Möglichkeit, des Wort Gottes als einer von menschlicher Rede verschiedenen Größe ansichtig zu werden, hat dabei Anhalt am schlichten Faktum, dass in der Kirche die Bibel als Anrede Gottes gelesen wird.440 Um die geforderte Selbstprüfung der Kirche zu vollziehen und der Zweideutigkeit ihrer faktischen Kommunikationsvollzüge unterschieden d.h. in relativer Distanz gegenüber zu treten, übernimmt die Dogmatik paradigmatisch und exemplarisch die Rolle der hörenden und lehrenden Kirche: Sie bringt das Wort Gottes als dogmatische Norm zur Geltung, welche zu hören ist, und mittels geeigneter, eine bestimmte Korrekturfähigkeit ermöglichender Methode als Gegenstand zur Sprache, welcher zu lehren aufgegeben ist. Ziel der Dogmatik ist es im Verbund mit den anderen theologischen Disziplinen, der Kirche zur „reinen Lehre“ zu verhelfen, einem eindeutigen Menschenwort, welches Gottes Gegenwart und seinem Selbstwort „freien Raum“ schafft.

436 Vgl. KD I/1, 136. 280. 437 So auch T. GUNDLACH, Selbstbegrenzung Gottes, 110. 438 KD I/1, 62. Barth hat dabei meist Schleiermacher vor Augen und redet von „Schleiermachers kopernikanischer Umkehrung“ (z.B. Unterricht I, 11) bzw. von der „große[n] Verwechslung (Schleiermacher)“ (Christliche Dogmatik, 402). Dies führe zu einer Gegenstandslosigkeit der Bewusstseinsimmanenz: „Ihr Pathos beruht geradezu in ihrer Gegenstandslosigkeit. Nichts und niemand ist für sie draußen, dem Ehre oder Furcht gebühren würde. Alles ist drinnen.“ (ebd., 408f.) Vgl. KD I/2, 893. 909, zum bereits erwähnten Vorwurf des kirchlichen „Selbstgesprächs“. 439 KD I/1, 146, vgl. 217. Dazu grundsätzlich: W. HÄRLE, Sein und Gnade, 270ff. (kritisch: 319f.). 440 KD I/1, 280.

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Wissenschaftliche Selbstprüfung setzt ein vom zu Prüfenden unterschiedenes, in begrifflicher Bestimmtheit gefasstes kritisches Gegenüber voraus – darin ist sich Barth mit Schleiermacher einig. Angesichts dessen, dass sich der Fokus theologischer Problematik von der gesellschaftlichen Eigenständigkeit der kirchlichen Vollzüge auf deren Zweideutigkeit verschoben hat, erscheint ihm allerdings Schleiermachers Theoriebildung trotz (und wegen) seines kritischen Begriffsbildungsverfahrens als nicht kritisch genug.441 Durch die Zweideutigkeit der menschlich-frommen Vollzüge beunruhigt, „aus dem Frieden der Bewußtseinstheologie aufgeschreckt“442 und so die Gefahr nicht nur eines kirchlichen Selbstgesprächs, sondern einer grandiosen kirchlichen Selbstbestätigung vor Augen, kann Dogmatik als kritische Wissenschaft sich nicht mit einer nur „immanente[n] Kritik und Normierung“ zufrieden geben.443 Mag auf diese Weise auch eine relative Reinigung und Vertiefung des menschlichen Lehrens und Handelns der Kirche möglich sein, für Barth kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass in Schleiermachers Glaubenslehre – gewissermaßen in begrifflich-reflexiver Verdoppelung – eben „nur noch einmal die lehrende Kirche mit dem Menschenwort ihrer Verkündigung“ sichtbar wird.444 In ihr ist deshalb – damit bekommt man eine für Barth wichtige Differenzierung im Dogmatikbegriff zu Gesicht445 – die lehrende Kirche und damit die explikativ-darstellende Aufgabe der Dogmatik stärker zur Geltung gebracht als die hörende Kirche und die kritische Aufgabe der Dogmatik. Denn diese steht und fällt mit der bereits erwähnten Anrede durch das externe Wort Gottes, das sich Kirche und Theologie nicht selbst sagen können. Zugespitzt müsste man sagen, dass für Barth das Theologieverständnis Schleiermachers trotz der Reflexionsdistanz seiner Philosophischen Theologie (noch) zu sehr im schlechten, d.h. im affirmativen Sinne kirchlich ist. Ebenso folgerichtig wie bemerkenswert ist für Barths Denkbewegung nun, dass die Dogmatik die geforderte Externität ihres Kriteriums 441 Deutlicher als in KD I/2, 893, wird Schleiermacher in der Christlichen Dogmatik, 550, gegenüber einer Normativität des Faktischen in Schutz genommen. Vgl. weiter: KD I/1, 299. Die genannte Differenz in der Leitvorstellung zeigt sich im Disput mit O. Dibelius, für welchen die sich dem Neuaufbruch von 1918 verdankene „Selbständigkeit“ der Kirche programmatische Bedeutung hatte; vgl. E. LESSING, „Selbständigkeit“ und „Freiheit“ der Kirche, 428. 442 Christliche Dogmatik, 551. 443 KD I/2, 909. 444 Ebd. 445 Wie die zusammenfassende These versuchen auch die folgenden Abschnitte die entscheidenden Momente der Gedankenstruktur der §§ 23 u. 24 aus der KD aufzunehmen.

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nicht durch eine Standortversetzung „über“ die christliche Kirche gewinnt, sondern dadurch, dass sie exemplarisch deren Stellung, also die Stellung einer das Wort Gottes als ihrer Norm hörenden und einer dieses als den sie beanspruchenden Gegenstand lehrenden Kirche einnimmt.446 Theologiegeschichtlich gesehen kann dieses Verfahren als Versuch beschrieben werden, das seit der Aufklärung angefochtene und der „Theologie des modernistischen Protestantismus“ verloren gegangene Kriterium des Wortes Gottes, mithin das Schriftprinzip wiederzugewinnen.447 Konsequenterweise muss dazu die Inspirationslehre zwar nicht verabschiedet, aber unter den erschwerdenden Bedingungen des modernen Denkens reformuliert werden.448 Barth greift also auf die römisch-katholische Unterscheidung von ecclesia docens und ecclesia audiens zurück und modifiziert diese (wie auch deren Reihenfolge) entsprechend seinem Anliegen, die kritischnormative wie positiv-explikative Aufgabe der Dogmatik zu beschreiben:449 Exemplarisch hörende Kirche zu sein besteht für die Dogmatik nicht darin, das Hören der Kirche zu ersetzen oder auch nur zu ergänzen, sondern darin, in gewissermaßen exemplarischer Proexistenz selbst zu hören, sich anreden zu lassen und sich der Norm zu unterstellen.450 Sie hat ihren Standpunkt dazu innerhalb einer sichtbaren, in einer bestimmten historischen und konfessionellen Gestalt gegebenen Kirche und misst diese am Sein der Kirche in Jesus Christus.451 Dabei wird ersterer – darin liegt die Undankbarkeit der dogmatischen Aufgabe –

446 Vgl. die Leitsätze von § 23 (KD I/2, 890) und § 24 (ebd., 943), aber auch schon KD I/1, 298: Gegen eine Bevorzugung der explikativ-darstellenden Aufgabenstellung ist „einzuwenden, daß die Kirche dabei sozusagen von außen gesehen ist, bzw. ihre eigene Zuschauerin ist. Die wirkliche Kirche existiert aber im Akte des Hörens und Verkündigens des Wortes Gottes durch Menschen. Auf die Frage dieser wirklichen Kirche antwortet nur eine solche Dogmatik, die auf die Problematik dieser ihrer Existenz eingeht.“ 447 Der „Theologie des modernistischen Protestantismus“ wird zwar bescheinigt, die kritische Funktion der Theologie aufrecht erhalten zu wollen, es aber nicht zu können, weil das fehlende Wort Gottes schlechterdings nicht durch andere Kriterien gleichsam vikarierend ersetzt werden kann. Denn bei einem solchen Versuch würde missachtet, dass das Kriterium nicht von Kirche und Theologie erwählt, sondern diesen bereits gegeben ist: KD I/1, 264f. 270. Vgl. zur Krise des Schriftprinzips auch die Skizze in KD I/2, 508f. 448 Dies ist hier nicht weiter zu verfolgen, vgl. dazu die instruktiven Ausführungen von U. KÖRTNER, Schriftwerdung des Wortes, 107ff. 449 Vgl. KD I/2, 891f. 450 Vgl. ebd., 955. 451 Ebd., 920.

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zugemutet, sich in ihren auch ritualisierten menschlichen Denk- und Handlungsvollzügen stören zu lassen.452 Wie bereits erkennbar, ordnet Barth das Verhältnis von der Unverfügbarkeit des Wortes Gottes als Kriterium und dessen konkretsprachlicher Bestimmtheit so, dass einerseits die Unverfügbarkeit gewahrt, andererseits die kritische Aufgabe, die Kirche und sich selbst an die dogmatische Norm zu erinnern, in konkrete Handlungsmaximen gefasst werden kann: Es geht kurz gesagt darum, in einer bestimmten Weise die erste Gestalt des Wortes an der zweiten zu messen.453 Wissenschaftstheoretisch ist damit eine wichtige Voraussetzung von Falsifizierbarkeit und von operationalisierbarer Korrekturfähigkeit gegeben: Die in Sätzen formulierte menschliche Rede von Gott wird durch andere Sätze, welche dem biblischen Kanon abgewonnen werden, kritisierbar.454 Exemplarische Proexistenz impliziert für die kritische Aufgabe der Dogmatik nun in der Selbstanwendung auch die Offenheit für Selbstkorrektur: Die dogmatische Arbeit dient grundsätzlich dazu, in sprachlich formulierten, auf der Bibel sich gründenden Begriffsschemata die Wahrheit des Wortes Gottes wissenschaftlich zur Geltung zu bringen.455 Insofern die theologische Wahrnehmung immer schon von mitgebrachten, letztlich philosophischen Begriffsschemata Gebrauch macht, die Bibel darum immer „durch die Brille einer bestimmten Begrifflichkeit“ gelesen wird,456 kann es nicht darum gehen, den Gebrauch von Denkund Begriffsschemata grundsätzlich zu bestreiten bzw. eines von diesen zum dem biblischen Wort allein adäquaten zu erheben.457 Entscheidend ist es vielmehr, ein Begriffsschema als zur theologischen Arbeit notwendige Hypothese korrekturfähig zu halten und es 452 Ebd., 899. 453 Vgl. KD I/1, 280. 306 u. KD I/2, 911. 454 Vgl. dazu weiter: E. MAURER, Sprachphilosophische Aspekte, 106f.: Von daher hat es erhebliche Bedeutung, wenn religiöse Rede so gefasst wird, dass ihr der Satzcharakter nur uneigentlich zukommt. 455 Eine anschauliche Beschreibung der theologischen Notwendigkeit von Begriffsschemata, ihrer Relativität und funktionalen Ersetzbarkeit findet sich in: Schicksal und Idee, 350-355. In der Anwendung auf die Schriftauslegung dann in: KD I/2, 815825. 456 Ebd., 817. Barth mahnt, nicht zu vergessen, „daß wir die Bibel ohne solches Deuten, ohne eine solche Brille überhaupt nicht lesen könnten. Es ist darum ein groteskes Schauspiel, an dem man sich besser nicht beteiligen sollte – wenn immer wieder je einer glaubt, mit ausgestrecktem Finger auf alle Übrigen in Vergangenheit und Gegenwart zeigen zu dürfen mit dem Vorwurf, daß sie dieser und dieser Philosophie verfallen seien, während er sich, ganz und gar in der Wirklichkeit lebend, auf seine gesunden zwei Augen verlasse.“ 457 Ebd., 818f.

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dem Gegenstand immer wieder anzupassen. Für das theologische Nachdenken des in der Schrift Gesagten gilt näherhin: „Über die Richtigkeit unseres Nachdenkens entscheidet der in jenem Gegenstandsbild des Textes gespiegelte Gegenstand als der Herr unseres Denkens [... D]er Gebrauch des menschlichen Denkschematismus im Dienst der Schrifterklärung ist dann legitim und fruchtbar, wenn er ein kritischer Gebrauch ist, wobei der Gegenstand der Kritik nun allerdings nicht die Schrift, sondern unser Denkschematismus, die Schrift also vielmehr das Subjekt dieser Kritik sein muß. Es dürfte nun deutlich sein, warum der hypothetische, der relative, der zufällige Charakter jeder Philosophie in diesem Gebrauch so stark betont werden mußte.“458 Diese Ausführungen mögen auf den ersten Blick recht vage und allgemein scheinen. Was die skizzierte exemplarische Rolle der Dogmatik betrifft, gibt Barth hinsichtlich der dogmatischen Norm selbst ein Beispiel, wenn er als erste konkrete Forderung an eine Dogmatik deren „biblische Haltung“ benennt.459 Zu dieser gehört es nämlich, die Voraussetzung, dass Gott in bestimmter Weise geredet und gehandelt hat, nicht hypothetisierend oder historisierend außer Kraft zu setzen, die Hypothetisierung also nicht dorthin zu tragen, wo sie für Barth nichts zu suchen hat.460 Barth sieht seine eigene methodische Grundüberzeugung, von der geschehenen und in der Schrift bezeugten Wirklichkeit zu deren Möglichkeit zu denken (nicht umgekehrt), als konkrete Anpassung des dogmatischen Denkens an die dogmatische Norm und damit an eine biblische Grundüberzeugung. Des eigentlichen Ziels theologischer Arbeit und der beachtenswerten Eingrenzung theologischer Falsifizierbarkeit wird man allerdings erst ansichtig, wenn die Dogmatik nun auch als Funktion der lehrenden Kirche in den Blick genommen wird: Sowenig es eine Rechtfertigung ohne Heiligung geben kann, sowenig kann es für Barth eine hörende Kirche geben, welche sich der Trägheit hingibt, tatenlos zu hören und ihre positive Aufgabe der inhaltlichen Explikation ihres besonderen Gegenstands zu versäumen.461 Denn das Wort Gottes ist „nur so die Norm [...], weil und insofern es etwas ganz Bestimmtes sagt, einen ganz bestimmten Inhalt hat.“462 Dieser 458 459 460 461

Ebd., 823f. Ebd., 912f. Ebd., 915. Vgl. ebd., 944f. Eine Vernachlässigung ihrer formalen Aufgabe des Hörens und Gehorchens geht für Barth mit der Gefahr einer häretischen Kirche einher, eine Vernachlässigung des Lehrens und Verkündigens mit der Gefahr, eine tote Kirche zu werden (ebd., 951). 462 Ebd., 948 (Hervorheb. im Orig.). Norm und Gegenstand sind für Barth in der Weise eins, dass sie als Form und Inhalt in ihrer Einheit auch verschieden sind (ebd., 944).

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Inhalt des Wortes Gottes und der der Kirche zu lehren aufgegebene Gegenstand ist Jesus Christus.463 Ihn verständlich zur Sprache zu bringen ist der positive Sinn der dogmatischen Prüfung. Es geht ihr um eine Erneuerung, eine Belebung der Lehre – ohne sich anheischig zu machen, „das Wort Gottes selbst und als solches auf den Plan zu führen“.464 Die Dogmatik macht sich die Aufgabe der lehrenden Kirche zu eigen und arbeitet auch von dieser Seite her exemplarisch, indem sie sich in ihrer dabei zur Anwendung kommenden Methode ganz vom gemeinsamen Gegenstand beanspruchen lässt465 – eben als von dessen Wirklichkeit ausgehendes Nachdenken, als „ein Nachzeichnen der göttlichen Wahrheitswirklichkeit oder Wirklichkeitswahrheit mit den Mitteln menschlicher Begrifflichkeit [...]“466 Dieser bereits in „Schicksal und Idee in der Theologie“ (1929) skizzierte Grundsatz wird in Barths Anselmstudie dann zum „Paradigma einer theologischen Methodenlehre“467 bzw. zur Entfaltung einer der Theologie eigenen „Rationalität des Glaubens“468 weitergeführt. Wie bereits erwähnt, begreift Barth darin das intelligere als Nachdenken des Credo, als „Begehen der Mittelstrecke zwischen der stattgefundenen Kenntnisnahme und der ebenfalls schon stattgefundenen Bejahung“.469 Das objektive Credo der Kirche ist also vorausgesetzt und ihm wird auch nichts hinzugefügt; das intelligere ist allein darauf ausgerichtet, das „Inwiefern“ zu erfassen. „Eine Glaubenswissenschaft, die den Glauben (das Credo der Kirche) verneinte und bezweifelte, würde ipso facto nicht etwa bloß gläubig, sondern auch wissenschaftlich zu sein aufhören.“470 Wie bereits ebenfalls erwähnt, wäre es nun allerdings ein Missverständnis, das Nachdenken des Credo im Sinne einer positivisti463 Ebd., 948f. 464 Ebd., 955. Und, so ist hinzuzufügen, in solidarischer Partnerschaft mit der Kirche. Denn die Dogmatik wird, „indem sie das Wort Gottes entfaltet und darstellt, nicht anderswoher als aus dem eigensten Sein und Eigentum der Kirche heraus zu dieser reden. Sie wird ihr nichts sagen, was diese, so gewiß Jesus Christus in ihr gegenwärtig ist, nicht selber schon ist und hat. Sie wird sie vor die Fülle ihres eigenen Reichtums stellen.“ (ebd., 953) 465 Vgl. 956f. 466 Schicksal und Idee, 376. 467 So W. ULLMANN, Karl Barths zweite Wende, 78; vgl. dazu auch: I. DALFERTH, Fides quaerens intellectum, 51ff.; B. NIELSEN, Rationalität, 91ff.; D. KORSCH, Intellectus fidei, 202ff., und schon M. JOSUTTIS, Gegenständlichkeit der Offenbarung. 468 KD I/2, 10 469 Fides, 24 (Hervorheb. gestrichen). 470 Ebd., 26 (Hervorheb. gestrichen); die Fortsetzung: „Ihre Negationen wären zum vornherein nicht besser als der Streit der Fledermäuse und Eulen gegen die Adler – um die Wirklichkeit der Strahlen der Mittagssonne.“

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schen Explikation von Glaubenssätzen aufzufassen: Es handelt sich vielmehr darum, dass die Tatsachenfrage und die Wahrheitsfrage im objektiven Credo bereits entschieden sind und vom darauf sich beziehenden subjektiven credere nicht hintergangen werden kann. Es handelt sich um die ratio veritatis, die als Diskussionsgrundlage auch nach außen hin, sprich zum Zwecke der „Apologetik“ nicht verlassen wird.471 Axiomatische Voraussetzung der theologischen Argumentation Anselms ist nämlich der Glaube mit einem ganz spezifischen Inhalt: „Deum veritatem esse credimus.“472 Als solcher ist er aller Rede vom Beweisen bzw. Falsifizieren vorgegeben. Er ist es, der eine Theoriebildung in theologischer Verantwortung und eine Korrekturfähigkeit theologischer Denkgebilde zuallererst begründet473 – und darum konsequenterweise nicht selbst in Frage gestellt werden kann. Das bedeutet umgekehrt, dass die Forderung der Falsifikation streng auf das im intelligere vollzogene „Begehen der Mittelstrecke“, auf Produkte theologischen Denkens zu beziehen ist, nicht auf das Credo und die Fides selbst. Dem entspricht nun, was Barth in § 24 der KD zur dogmatischen Methode und deren Zielbestimmung ausführt:474 Vom extrinsischen Gegenstand – und das heißt in diesem Zusammenhang: vom unverfügbaren, durch keine Theorie einholbaren Wort Gottes – bestimmt, hat die theologische Theoriebildung hypothetischen Charakter, um sich für neue Erkenntnis offen zu halten: „Grundsätzlich in diesem Offenhalten und nur darin besteht die dogmatische Methode.“475 Denn die vollständige Kongruenz von theologia ektypos und theologia archetypos, von fallibler menschlicher ratio und infallibler göttlicher ratio bleibt dem Eschaton vorbehalten, so dass Barth sagen kann: „Das Dogma ist ein eschatologischer Begriff, zu dem sich jedes von den Dogmen nur als eine Annäherung verhalten kann [...]“476 Von hier aus erklärt es sich auch, dass er eine Offenheit und Unbestimmtheit in der erkenntnistheoretischen Grundlegung, also im Theologie- und Wissenschaftsbegriff selbst 471 Ebd., 60f. 472 Ebd., 17. 473 Vgl. W. ULLMANN, Karl Barths zweite Wende, 84: Es handelt sich um eine Theologie, „die sich zu ihrer Wahrheitsdefinitheit und damit auch zum Risiko der Falsifikation bekennt.“ 474 Vgl. dazu auch: W. KRECK, Grundentscheidungen, 91-95. 475 KD I/2, 970. Durch den Versuch, ein „Wesen des Christentums“ oder ein „Prinzip“ zu definieren, werde diese Offenheit verdeckt, die Unverfügbarkeit des Wortes Gottes eingeschränkt (ebd., 968). Dasselbe gilt freilich auch für eine Verwechslung des unverfügbaren Wortes Gottes mit einer zum Prinzip erhobenen Konzeption des Wortes Gottes! 476 Ebd., 967 (Hervorheb. von H.-M. R.).

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fordert.477 Die Theologie, so kann es an anderer Stelle heißen, ist paradigmatisch „offene und öffnende Wissenschaft“.478 Die in der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes explizierte Differenzierung und Zuordnung von Unverfügbarkeit und sprachlicher Bestimmtheit führt – um damit nun eine Bündelung vorzunehmen – zu einer bedeutsamen Differenz hinsichtlich der Korrekturfähigkeit bzw. der Falsifzierbarkeit: Sie basiert darauf, dass Sätze der Verkündigung und in exemplarischer Weise Sätze der Dogmatik „der Verfügungsgewalt“ des selbst unverfügbaren Gegenstands „möglichst ungesichert preisgegeben“ werden479 – dieses sich aber im Medium anderer Sätze konkretisiert. Auf diese Weise stellt sich Dogmatik wie Theologie überhaupt als „ein Werk der Buße“ dar.480 Dieselbe Differenzierung von Unverfügbarkeit und sprachlicher Bestimmtheit prägt schließlich auch die Zielbestimmung der dogmatischen Methode: Sie ist darauf ausgerichtet, dem unverfügbaren Reden Gottes „freien Raum“ zu schaffen481 – im Medium einer angesichts der Zweideutigkeit des Faktischen sich um Eindeutigkeit bemühenden, menschlichen „reinen Lehre“.482 Im Anschluss an CA VII wird letztere als pura doctrina des Evangeliums verstanden, als eine Lehre, die auf Gottes Wort hinweist und insofern „rein“ ist, als es für dieses „transparent“ ist, also Gottes Gegenwart Raum schafft.483 Die kritische Arbeit der Dogmatik (hörende Kirche) zielt darauf, dass es reine Lehre gibt, die positiv-explikative (lehrende Kirche) darauf, dass es reine Lehre gibt.484 Die kritische Radikalität der dogmatischen Methode Barths, in deren Binnenstruktur die Dialektik als notwendiges Moment ihren Ort hat, richtet sich also gegen jede Dominanz eines des Wortes Gottes unangemessenen Begriffsschemas wie gegen jede menschliche Funktionalisierung der Rede von Gott, die auf etwas anderes aus ist, als von Gott selbst gebraucht zu werden, auf seine Selbstvergegenwärtigung. Die damit einhergehende Selbstbeschränkung wird in der dogmatischen Methode dadurch gewährleistet, dass sich deren inhaltliche Positionalität als fallible und perfektible Nachkonstruktion der Selbstpositionierung Gottes im Modus theologischer Lehre verstehen lässt. Dass 477 478 479 480 481

Vgl. KD I/1, 197. Einführung, 197 (Hervorheb. gestrichen); vgl. KD I/2, 863f. Ebd., 969. Vgl. Unterricht I, 45; dazu: M. TROWITZSCH, Nachkritische Schriftauslegung, 102ff. Christliche Dogmatik, 540, vgl. 531, u. Theologie und Kirche, 676f. Das ist, wie bereits erwähnt, das bleibende dialektische Moment der dogmatischen Aufgabenstellung. 482 Christliche Dogmatik, 540f., aufgenommen in: KD I/2, 851ff. 483 Christliche Dogmatik, 540; vgl. KD I/2, 854. 484 Vgl. ebd., 950.

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diese Lehre wirklich von Gott gebraucht wird, sich die „Gleichung“ von menschlicher Rede von Gott und Gottes eigener Rede einstellt, es also im strengen Sinne zur Verifikation theologischer Rede kommt – dies bleibt Sache des Gebets.485 Die Aufgabenbestimmung der einzelnen theologischen Disziplinen folgt der Vorgabe, dass sie zusammen eine kritische Wissenschaft zu verkörpern haben, deren Einheit in der Unterordnung unter das Wort Gottes und in der menschlichen Bemühung um „reine Lehre“ besteht und deren Differenz die von Theologie und Kirche geforderte Korrekturfähigkeit möglich macht.486 Um der gemeinsamen Aufgabe der Theologie willen kann keine der einzelnen Disziplinen für entbehrlich gehalten, mit einer anderen gleichgeschaltet oder in ihrer Angewiesenheit auf die anderen ignoriert werden. Und umgekehrt verkehrt sich bei jeder einzelnen ihr Nutzen in Schaden, wenn das gemeinsame Problem und Thema aus den Augen verloren wird.487 Diese programmatische Bestimmung wird unterschiedlich umgesetzt: In KD I/1 entspricht die Zuordnungsstruktur der zunächst einlinigen Trias: Begründung (biblisch-exegetische Theologie), Ziel (praktische Theologie) und Inhalt (dogmatische Theologie)488, welche wiederum der Lehre von der Schriftauslegung und deren Trias: Beobachtung, Nachdenken, Aneig-

485 Vgl. KD I/2, 868; IV/3, 1011f.: Dass das Gebet nicht nur einen Zusatz zur dogmatischen Methode darstellt, sondern in ihren Vollzug hineingehört – dies vermag für die Theologie nun ihrerseits exemplarisch die Kirche und ihr Gebet zu verdeutlichen. Zu beachten ist, dass auch nach: Fides, 35-40, das „qualifizierte intelligere“, also die Verifikation des theologischen Denkens eine Frage des Gebets ist. Vgl. dazu O. HERLYN, Religion oder Gebet, 113ff. Es scheint mir wesentlich, diesen am Vollzug des theologischen Arbeitens und des Verkündigens orientierten Motivationshintergrund einer Verifikation durch Gott selbst bei Barths deiktischem Wortverständnis und seinem Vorbehalt gegenüber dem lutherischen EST mit zu bedenken; vgl. dazu den Einspruch von O. BAYER, Theologie, 317. 373ff., und schon H.J. IWAND, Jenseits von Gesetz und Evangelium?, v.a. 100-109. Barth bewegt sich auch hier im neuzeitlichen Horizont der Frage nach der Erkenntnisgewissheit (vgl. das oben, 1.1.3., schon zu Ritschl und Kähler Gesagte), während Luthers EST von der Frage nach der gewissen Heilszueignung geprägt war. Unter der hermeneutischen Beachtung des jeweiligen Horizonts müsste Barths Ringen mit Luther (vgl. dazu exemplarisch: G. EBELING, Karl Barths Ringen mit Luther, 428ff.; ders., Über die Reformation hinaus?, v.a. 286ff.) etwa anhand seines frühen Aufsatzes: Ansatz und Absicht in Luthers Abendmahlslehre (1923), dann anhand seines unterschiedlichen Bewertens von WA 51, 516f. in: Christliche Dogmatik, 535ff.; KD I/2, 835f. 838. 841, dargestellt und auch nach der Problematik seiner mündlich überlieferten späteren Ablehnung der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes (und damit wohl auch der „indirekten Identität“) gefragt werden. 486 Vgl. KD IV/3, 1009. 487 Anschaulich beschrieben in: ebd., 1009f. 488 Vgl. KD I/1, 3; hier wird die Kirchen- und Dogmengeschichte dann nur als „Hilfswissenschaft“ betrachtet, welche allerdings für alle drei Disziplinen vonnöten sei. Dazu auch: Einführung, 194: „Nebengespräch“.

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nung entspricht.489 Damit ist allerdings bereits die Grundlage für eine gewisse Doppelläufigkeit geschaffen – beispielsweise durch die konstitutive Rolle der Aneignung schon für die Beobachtung.490 Diese Doppelläufigkeit betrifft nun auch den für Barths Verständnis von dogmatischer Wissenschaft wichtigen Begriff des „Nachdenkens“, welcher sich auf die „Mittelstrecke“ zwischen explicatio und applicatio, zwischen exegetischer und praktischer Theologie bezieht. Wenn in diesem Sinn Dogmatik dann als „Zentrum“ und „Mitte“ der Theologie bezeichnet wird, so mit der von Barth unterlegten Bedeutung, dass sie nur im Rahmen und in der doppelten Beziehung zu exegetischer und praktischer Theologie „gehalten, genährt und geschützt“ ist und ihr von daher Mut zur Freiheit in der Verwendung wissenschaftlicher Methoden zufließt.491 Umgekehrt gilt: „Von daher gibt es ein echtes und nicht nur erschlichenes Selbstbewusstsein auch der exegetischen und der praktischen Theologie.“492 In KD IV/3, 1008ff. liegt der Schwerpunkt der Darstellung zunächst auf der erwähnten notwendigen interdisziplinären Zusammenarbeit der nunmehr vier theologischen Disziplinen biblisch-exegetische Theologie, Kirchen- und Dogmengeschichte, Dogmatik und praktische Theologie. Erstere erarbeitet das ursprüngliche Zeugnis der Offenbarung in der Schrift, die zweite deren theoretisches und praktisches Verständnis in der Geschichte der Gemeinde, die dritte fragt nach dem für die jeweilige Gegenwart erschlossenen normativen Dogma, letztere nach verantwortbaren Anweisungen für die Praxis.493

Die Kirche findet ihre allein theologisch bestimmbare Identität und Wirklichkeit darin, dass sie („von innen her“) als „irdisch-geschichtliche Existenzform“ Christi gewissermaßen anhypostatisch existiert, so aber („nach außen“) die univerale Christuswirklichkeit in der Partikularität einer soziohistorischen Gestalt als gleichnishaft „vorläufige Darstellung der Versöhnung“ weltlich wird. Barths Kirchentheorie folgt noetisch dieser ontologischen Struktur, indem sie nach ihrer negativen Seite hin eine funktional soziologische oder kulturhistorische Begründung der Institution Kirche zurückweist und einer wie immer gearteten empirischen Perspektive die Zuständigkeit für die Realitätskonformität streitig macht, nach der positiven Seite hin in der Perspektive der prioritären Christuswirklichkeit („dritte Dimension“) ihre Praxisorientierung

489 KD I/2, 857f. 490 Ohne die Warnungen seitens der von der Kirchengeschichte bereitgestellten Ergebnisse oder seitens der von der Praktischen Theologie eingeforderten Verantwortung hinsichtlich der Überführbarkeit in die Praxis drohe beispielweise der Exegese die Gefahr, zu „einem Feld wilder Husarenritte“ zu werden: KD I/3, 1009. Das entspricht der Erörterung der applicatio im Ganzen der Schriftauslegung: KD I/2, 825f. 491 Ebd., 858. 862f. 492 Ebd., 863. 493 Vgl. zur Praktischen Theologie v.a. Einführung, 198.

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gewinnt, d.h. mit ihr das Feld des Ringens um die Sozialgestalt bzw. um den kulturell-gesellschaftlichen Auftrag der Kirche betritt. Fasst man zur Charakterisierung der Kirchentheorie Barths auch hier zunächst einen wichtigen Berührungspunkt mit derjenigen Schleiermachers ins Auge, lassen sich von diesem aus erhebliche, schon den Ansatz betreffende Divergenzen wahrnehmen und Barths eigenes Verständnis gemäß seinem spezifischen Profil erhellen.494 Dieser Berührungspunkt besteht nicht nur darin, dass sich für beide der frühe Impetus der Kirchenkritik („Reden“ bzw. „Römerbrief“) mit einer später positiv entfalteten Kirchentheorie verbindet, sondern dass beide grundsätzlich davon ausgehen, das Wesen der Kirche realisiere sich in einer partikularen soziohistorischen Gestalt.495 Eine bedeutsame Differenz tritt schon bei der Frage der Identifizierung dieses Wesens zutage. Barth weist Schleiermachers Versuch einer integrativen Theoriebildung, welche eine empirische Identifizierung gestattet, angesichts der Vieldeutigkeit menschlicher Kommunikationsvollzüge und der Möglichkeit einer sich realisierenden „Scheinkirche“ zurück und beharrt nachdrücklich auf einer allein theologischen Identifizierung.496 Selbst im Falle einer größtmöglichen Kongruenz von

494 Es liegt auf der Hand, dass man methodisch hierzu Barths eigener Wahrnehmung Schleiermachers nicht ohne weiteres folgen kann – eine methodische Vorsicht, der D. LÜTZ, Homo Viator, zu wenig Gewicht beimisst. 495 Vgl. für Barth nur KD IV/1, 730. Von den zahlreichen Untersuchungen zu Barths Ekklesiologie seien nur einige hervorgehoben: M. HONECKER, Kirche als Gestalt; K.A. BAIER, Unitas ex auditu; E. HÜBNER, Theologie und Empirie der Kirche, 83-106. 223ff.; die Beiträge in ZDTh 10 (1989) und 13 (1991), v.a. W. KRÖTKE, Ekklesiologie, W. GRÄB, Aktion, und ders., Ekklesiologie. Hervorzuheben ist die Monographie von W. GREIVE, Kirche, in welcher die Entwicklung der Ekklesiologie vom frühen Barth bis zu den Prolegomena der KD nachgezeichnet und zunächst theorieimmanent evaluiert wird, die Kritik sich dann aber auf die ungenügende, weil tendenziell doketische Verarbeitung der ekklesiologischen Differenz von Sozialität und Individualität, genauer: auf die Unterbestimmung des menschlichen Selbstverhältnisses konzentriert (ebd., 314f. 320. 356. 368f.). Die vorliegenden Ausführungen orientieren sich neben den 1926-1931 verfassten Aufsätzen: Die Kirche und die Kultur, Der Begriff der Kirche, Die Not der evangelischen Kirche, v.a. auf die ekklesiologischen Teile der KD, nämlich auf die §§ 62 (KD IV/1, 718ff.), 67 (KD IV/2, 695ff.), 72 (KD IV/3, 780ff.) – ohne die bereits in den Prolegomena getroffenen Entscheidungen aus den Augen zu verlieren (v.a. § 16, KD I/2, 229ff.). 496 Vgl. KD IV/2, 701; besonders IV/3, 826 (Hervorheb. im Orig.): „Es kann uns bei der Frage nach dem Wesen der christlichen Gemeinde im Weltgeschehen nur um eine theologische Besinnung gehen. Man kann sie gewiß, wie es Schleiermacher im Zusammenhang seiner Ethik und Geschichtsphilosophie in seiner Weise genial getan hat [...] im Rahmen einer allgemeinen Phänomenologie und Soziologie des Vereins und im besonderen des religiösen Vereins stellen und beantworten. Es ist ernstlich zu be-

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empirischer Erscheinung und unsichtbarem Wesen bleibt letzteres – auch hier führt seine Fassung der theologia crucis den Gedankengang – gerade durch die faktisch-empirische Vergleichbarkeit ihrer Erscheinungsform verborgen und darum Gegenstand des Glaubens.497 Die mit der theologischen Identifikation einhergehende deduktive Theoriebildung nun unbesehen mit einer Vernachlässigung der empirischen Faktizität der Kirche gleichzusetzen, liefe Gefahr, die der genannten Differenz zugrundeliegende Weichenstellung im Wirklichkeitsverständnis zu übergehen: Für Barth kann die Frage nach der Identität des Wesens von Kirche in ihrer soziohistorischen Gestalt deshalb nur von der Christuswirklichkeit her beantwortet werden, weil nur von dieser her gesagt werden kann, was „wirklich“ ist.498 Dass diese Priorität der Christuswirklichkeit nicht mit einem „ekklesiologischen Doketismus“ einhergeht, versucht Barth dabei mit der christologischen Denkfigur der Anhypostasie einsichtig zu machen als auch mit der grundsätzlichen methodischen Unterscheidung von theologischer Innenperspektive und nicht-theologischer Außenperspektive zu rechtfertigen: Es entspricht der Anhypostasie der menschlichen Natur Christi, dass die Kirche einerseits keine gegenüber Jesus Christus selbständige Wirklichkeit hat, sondern diese von ihm empfängt.499 Auf der anderen Seite hat – wie Jesus Christus nicht nur in uneigentlicher Weise wahrer Mensch war – ihre mit anderen historischen Sozialgestalten vergleichbare Gestalt und Ordnung nicht nur uneigentliche, sondern durchaus konstitutive Bedeutung.500 Nur: Von dieser Seite, „von außen“ kommt man an die Identität ihres Wesens nicht heran. „Sie ist dieses besondere Menschenvolk, indem sie (wie als ein Menschenvolk ganz nach außen)

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zweifeln, ob man von daher an das, was die Besonderheit der christlichen Gemeinde ausmacht, auch nur herankommen kann.“ Dazu auch: KD IV/1, 733. Vgl. ebd., 733-735. 766. Das zeigt sich hinsichtlich der Ekklesiologie v.a. in Barths Besetzung des Begriffs „wirkliche Kirche“ (KD IV/2, 695ff.) und des Begriffs „wirkliche Welt“ (z.B. IV/3, 880. 882! Vgl. auch III/4, 28ff.). Damit ist bereits offensichtlich, dass die hier umrissene Problemstellung auf die fundamentaltheologische Ebene des Wirklichkeitsverständnisses hinüberführt. Dort ist sie zu erörtern. Vgl. M. HONECKER, Kirche als Gestalt, 193. KD I/2, 234. 236. Eingeführt wird die Anhypostasie als Unwirklichkeit der menschlichen Existenz abgesehen von der assumptio carnis in ebd., 178ff., und an der genannten Stelle auf die Ekklesiologie angewandt. Wenngleich die spezifische Begrifflichkeit zurücktritt, schimmert die christologische Denkfigur in den späteren Teilen der Ekklesiologie immer wieder durch, da mit ihrer Hilfe auf der einen Seite die göttliche Bestimmtheit festgehalten, auf der anderen Seite der „ekklesiastische“ bzw. „ekklesiologische Doketismus“ abgewehrt wird, vgl. KD IV/1, 729ff.; IV/3, 827f. 831ff. Vgl. KD IV/2, 807; IV/3, 828. 831f.

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als dieses ganz von innen, indem sie wie allen übrigen Elementen, Größen und Faktoren des Weltgeschehens ganz gleichartig, so ihnen auch ganz ungleichartig ist.“501 Der noetische Grundsatz von Barths Kirchentheorie stellt sich auf diesem Hintergrund als Anwendung der christologischen Regel dar, wonach die Identität Jesu Christi nicht von den allgemein zugänglichen Kategorien des Menschlichen her zu verstehen ist.502 Er folgt aber zugleich der schon früher getroffenen und z.B. in seinem 1926 gehaltenen Vortrag „Die Kirche und die Kultur“ ausgeführten Unterscheidung eines „theologischen Innenaspekt[es]“ und eines „geschichtlich-soziologischen Außenaspektes der Kirche“ und deren unumkehrbarer Zuordnung.503 Barth fordert in diesem Zusammenhang eine „methodische Überordnung des theologischen Innenaspektes“504, um den für ihn unbestreitbaren Tatbestand: „Die Kirche schwimmt auf der ganzen Linie mit im Strom der Kultur“505 mit einem theologisch bestimmten Kulturbegriff bearbeiten zu können. Die Kirche weiß nämlich „nichts von einem menschlichen Handeln in abstracto und im allgemeinen, sondern nur von einem erstens sündigen und zweites gläubigen und gehorsamen Handeln des konkreten, vom Worte Gottes lebenden Menschen. [...] Sie kann sich also auch hier [bei der Bestimmung des Kulturbegriffs, H.-M. R.] auf den Außenaspekt als solchen und in seiner Beschränkung nicht einlassen, sondern fragt, auf ihrem eigenen Boden bleibend, auch hier nach dem Innenaspekt.“506 Dieser Zugang ist nun auch erkenntnistheoretisch einsichtig zu machen, insofern nämlich eine neutrale „Zuschauerstellung“ als menschliche Unmöglichkeit, mithin als Anmaßung des Standpunkts Gottes entlarvt wird.507 Barth trägt damit der modernen Einsicht von der Theorieabhängigkeit auch einer empirisch-soziologischen Wahrnehmung auf seine Weise Rechnung und verschafft sich die Möglichkeit, dieser die Zuständigkeit für die Realitätskonformität streitig zu machen – um dann selbst, gewissermaßen im Modus der Eroberung, die eigene Zu-

501 Ebd., 832. Von daher könne sowohl eine Auffassung, welche der Christentumsgeschichte konstitutive Bedeutung zuerkennt, als auch eine aus einem Religionsvergleich gewonnene Wesensbestimmung „nur auf ein verheerendes Missverständnis hinauslaufen“. 502 Vgl. KD I/2, 233. 503 Vgl. Kirche und die Kultur, 12. 16. 504 Ebd., 15. 505 Ebd., 35. 506 Ebd., 16. 507 Ebd., 19f.

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ständigkeit für die wahrzunehmenden menschlichen Vollzüge zu reklamieren.508 Die pointierte Aussage der KD, die Welt sei „blind für die eigene Wirklichkeit“509 erklärt sich von diesem Ansatz her ebenso wie der genannte noetische Grundsatz. Und er begründet die hinsichtlich der Kirchentheorie erhobene methodische Forderung, die Kirche müsse in der „dritte[n] Dimension ihrer Existenz“ wahrgenommen werden. Ansonsten verbleibe man in den Schranken einer allgemein zugänglichen „zweidimensionalen Sicht“, welche allein von „irdisch-geschichtliche[n] Faktoren“ ausgehend allenfalls das „Außenbild“ der Kirche als einer „Religionsgesellschaft“ zu Gesicht bekomme.510 Abgesehen von der Frage der Identitätsbestimmung gilt aber entsprechend der anhypostatischen Verfasstheit der Kirche sehr wohl: „Es ist klar, daß die Kirche sich zu dem Bild, das sie in dieser Sicht bietet, grundsätzlich bekennen muß. Es ist ihr ja eben wesentlich, auch äußerlich zu sein, auch in den Dimensionen jener Ebene zu existieren und also auch dieses Außenbild zu bieten.“511 Diese konzeptionelle Grundlegung hat nun weitreichende Bedeutung für Barths Verständnis von Kirche: 1. Zunächst ist in der Perspektive der „dritten Dimension“ ein reduziertes Verständnis der reformatorischen Unterscheidung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Kirche im Sinne einer Identifikation der sichtbaren Kirche mit ihrer allgemein zugänglichen empirischen Vorfindlichkeit nicht mehr möglich. Denn zum einen ist hinsichtlich der Sichtbarkeit zwischen einer „besonderen Sichtbarkeit“ des Glaubens, welche allein das besondere Wesen der Kirche erkennen lässt, und der allgemeinen „zweidimensionalen“ Sichtbarkeit zu unterscheiden – zum anderen wird letztere bei Barth „von innen“, also christologisch qualifiziert wahrgenommen.512 508 D.h. sie nicht anderen Fachleuten oder gar „dem Teufel zu überlassen“ (ebd., 35). Das entspricht im wesentlichen auch der Standortbestimmung in KD IV/3, 784f. 509 Ebd., 880. 510 KD IV/1, 732. Die dort missverständliche Rede vom „Nur-Historiker“, vom „NurSoziologen“ scheint mir (entgegen E. HÜBNER, Theologie und Empirie, 98) nicht notwendig eine grundsätzliche Abwertung einzuschließen. Sie setzt vom Kontext her die Reduktion der Betrachtung auf die „zweidimensionale Sicht“ voraus (in dieser Weise wird auch Schleiermacher interpretiert: ebd., 733) und muss wohl eher im Sinn des Protestes gegen den faktisch verbreiteten „heidnischen“ Wissenschaftsbegriff (und wohl auch auf dem zeitgenössischen Hintergrund der Abgrenzung von den empirischen Wissenschaften) aufgefasst werden (vgl. KD I/1, 9). 511 KD IV/1, 732 (Hervorheb. gestrichen). Von daher ergibt sich auch, dass die Sichtbarkeit ebenso zum Wesen der Kirche gehört wie die Unsichtbarkeit (KD I/2, 239; IV/3, 827). 512 Vgl. KD IV/1, 731f.; IV/3, 833.

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Wenn Barth sich dann auf der einen Seite eine „Flucht vor der Sichtbarkeit der Kirche“ verboten sein lässt,513 so ist hier durchaus die empirische Sozialgestalt der vorfindlichen Volkskirche samt ihren menschlichen Bedenklichkeiten gemeint, die – allerdings aus dem Blickwinkel der Niedrigkeit des gekreuzigten Christus – wahrgenommen und angenommen werden will.514 Auf der anderen Seite ist es ebenso folgerichtig, dass Barth sowohl seine Auffassung der Gemeinde als „irdisch-geschichtliche Existenzform“ Jesu Christi515 wie auch die in §§ 67 und 72 dargestellten vom Heiligen Geist bewirkten menschlichen Handlungsvollzüge nicht in der Perspektive der allgemeinen Sichtbarkeit, sondern derjenigen der „dritten Dimension“ entfaltet. Dass es innerhalb der skizzierten Unterscheidung zur entscheidenden Koinzidenz kommt, d.h. in der allgemeinen Sichtbarkeit der Kirche nicht nur die Selbstdarstellung menschlicher Vollzüge, sondern die Sichtbarkeit der „wirklichen Kirche“ aufleuchtet – dies ist freie Tat der göttlichen Gnade.516

513 Not der evangelischen Kirche, 44 (dieser Flucht wird eine „falsche Flucht in die Sichtbarkeit“ gegenüber gestellt: ebd., 48); vgl. auch KD IV/1, 756. 514 Vgl. Not der evangelischen Kirche, 45f. Nach seiner Verfallsdiagnose und seiner beißenden Kritik der protestantischen Volkskirche in Gestalt der Kirche von Basel-Stadt und deren Verfassung von 1911 heißt es bezeichnenderweise: „Aber wie dem auch sei – es hilft schon nichts: die Gemeinde Jesu Christi will und muß offenbar rebus sic stantibus auch in solcher oder ähnlicher Selbstdarstellung und Sichtbarkeit geglaubt sein.“ (KD IV/1, 789). Beachtenswert ist in dieser Hinsicht auch Barths Anerkennung der Charakterisierung der Volkskirche als corpus permixtum: So dürfe die Unterscheidung von unsichtbarer und sichtbarer Kirche nicht partial, also im Sinne einer Aufteilung von zwei Gruppen (einer reinen, aber unsichtbaren und einer gemischten, aber sichtbaren) verstanden werden. Denn von der Christuswirklichkeit her sind „nur alle als unsichtbare, d.h. als in ihrer Wirklichkeit direkt nur Gott, ihnen selbst nur im Glauben sichtbare Kirche – und von dorther wieder nur sie alle – im Blick auf den Streit des Geistes gegen das Fleisch, des Fleisches gegen den Geist, in den sie ja alle verwickelt sind – als sichtbare, der Welt und sich selbst ohne weiteres erkennbare Kirche [zu] bezeichnen.“ (KD IV/3, 896f.) Dem muss nun nicht widersprechen, wenn Barth bei der Beschreibung der „Evangelisation“ als Dienst der christlichen Gemeinde (KD IV/3, 1000f.) dann durchaus von einer „fließenden Grenze“ zwischen „bloß nominellen Christen“ und „der Versammlung derer, ‚die mit Ernst Christen sein möchten’“ spricht und somit einen gewissen partialen Aspekt in Anschlag bringt. Denn in diesem Zusammenhang geht es um das Anliegen der „Erweckung dieser schlafenden Kirche“, welche den Charakter „des Rufes an jene theoretisch Drinnen-, praktisch aber Draußenstehenden haben muß“ – dieser Ruf sich aber nur so vollziehen kann, dass jene nicht als Heiden oder Heuchler, auch nicht als Unglaubende oder auch nur als Indifferente begriffen werden, sondern als bereits in der Christuswirklichkeit Stehende. 515 Vgl. KD IV/I, 718. 738ff.; IV/2, 695. 739. 516 Vgl. KD IV/1, 698-700. 728. Vgl. auch: Begriff der Kirche, 156.

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2. Barths Kirchentheorie gewinnt ihre Praxisorientierung, der unumkehrbaren Denk- und Begründungsrichtung folgend, streng von der „dritten Dimension“ her.517 Ein konzentrierter Ausdruck dieser Grundauffassung ist die Aussage: „Der Mensch betritt im Glauben an die ecclesia invisibilis das Arbeits- und Kampffeld der ecclesia visibilis.“518 Der Umriss des Auftrags der Kirche lässt sich programmatisch so bestimmen, dass es in der geschichtlichen Sozialgestalt der Kirche, in deren institutioneller Partikularität und deren Handlungen zur „vorläufigen Darstellung“ der universalen Christuswirklichkeit kommt.519 Die dabei vorausgesetzte institutionelle Partikularität kann zwar durchaus in der Entsprechung zur faktisch gewordenen neuzeitlichen Ausdifferenzierung der Gesellschaft verstanden und in diesem Horizont auch expliziert werden, begründend ist aber auch an dieser Stelle der theologische Zusammenhang. Die Kirche erscheint in ihm als von Gott in Anspruch genommener, mit „beweglicher Grenze“ von der Welt unterschiedener „Raum“, durch den Gott in der Welt wirkt, d.h. zu ihr redet und so seine Kirche in der Welt wachsen lässt:520 Gott redet so mit der Welt, „daß sein Wort zuerst Kirche schafft, um dann, durch den Dienst der Kirche, Wort an die Welt zu werden.“521 Die Kirche ist als theologisch qualifizierte und mit Hilfe des Analogiedenkens erschliessbare „Sonderexistenz“ zu begreifen, welche „nicht sich selbst, sondern Gott und im Dienste Gottes der Welt“ dient522 – nämlich dadurch, dass sie in ihrer begrenzten Form und ihrer ebenso begrenzten Zuständigkeit für die Christuswirklichkeit diese nun nicht in ihrem Geltungbereich gewissermaßen regionalisiert, sondern in ihrer Universalität der Welt bezeugt und zur vorläufigen Darstellung bringt.523 In diesem Zusammenhang (!) einer theologischen Funktions517 Vgl. KD IV/3, 784. Deutlich wird dies v.a. auch im Blick auf die Auflistung und Darstellung der Grundformen kirchlichen Handelns in ebd., 991ff. Vgl. dazu auch J. RITZ, Präsenz der Empirie, 232: Die Empirie sei bei Barth „ständig anvisierter Zielpunkt“, nicht Ausgangspunkt des Denkens – zugleich aber ständige Triebkraft der Reflexion. 518 KD IV/1, 730, die Fortsetzung: „Ohne das zu tun, ohne unterscheidende, aber ernsthafte Teilnahme am geschichtlichen Leben der Gemeinde [...] in einer bloß theoretisch-abstrakten Kirchlichkeit, hat noch niemand das credo ecclesiam sinnvoll nachgesprochen.“ 519 Vgl. KD IV/2, 701ff. 723; IV/3, 906. 520 KD I/2, 768, vgl. ebd., 769, zur notwendigen Grenzbestimmung von Kirche und Welt. Für Barth ist darum eine Vergesellschaftung der Kirche ebenso wenig möglich wie eine Verkirchlichung der Welt. 521 Ebd. (Hervorheb. gestrichen). 522 Ebd. 523 Vgl. dazu weiter: KD IV/3, 787. 880. 906. Der Begriff der „begrenzten Zuständigkeit“ ist grundlegend für die Interpretation von T. GUNDLACH, Selbstbegrenzung Gottes,

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bestimmung bezeichnet Barth die sichtbare Verkörperung der Versöhnung für die Welt als „richtige nota ecclesiae“.524 Es genügt nunmehr lediglich darauf hinzuweisen, dass sich Barth die umgekehrte Begründungsrichtung, welche eine angeblich kulturellgesellschaftliche bzw. humane Notwendigkeit der christlichen Gemeinde postuliert, versagt sein lässt.525 Dem Ausgang von einer theologischen Funktionsbestimmung kommt daher kriteriologische Bedeutung zu.526 3. Barth erbringt, wie gezeigt, auf seine Weise den Nachweis, dass die geschichtliche Sozialgestalt der Kirche notwendig zum Wesen der Kirche gehört und eine bestimmte Funktion zu erfüllen hat. Noch ist damit allerdings nicht gesagt, wie diese beschaffen sein soll. Hier gilt zunächst, dass Barth gegenüber einer wie immer gearteten Festschreibung einer Form bzw. einer soziologischen Gestalt eine Relativierung vornimmt und eine „gänzliche Freiheit“ einfordert.527 Es handelt sich hier um eine menschliche Ermessensfrage, welche sich dann auch ihrer „gänzliche[n] Abhängigkeit“ von der jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt, auch der Entlehnung von „profanen Möglichkeiten soziologischer Gestaltung“ nicht zu schämen braucht.528 Man wird mit A. Grözinger sagen dürfen, dass Barths Ausrichtung auf die von allem menschlich-kirchlichen Handeln unterschiedene Gotteswirklichkeit ersteres nicht nur vor einer Überhöhung bewahrt, sondern zugleich als menschliches, sich zur Zweideutigkeit bekennendes Handeln „in seiner

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252f., ebenso die Rede von einer „Differenzierungsleistung“ der Kirche und im Rückgriff auf E. Herms von einer „kompetenzbewußten“ Theologie. Vgl. das Urteil: „Die oft so beklagte ekklesiologische Engführung Barths kann auch als die empirische Konkretion der inhaltlich besonderen Zuständigkeit gelesen werden, in der die Kirche und ihre Theologie ihre begrenzte Verantwortlichkeit institutionell festhält. Die Kirche muß sich nach Barth als diejenige Institution verstehen, die in der Welt die allein in Jesus Christus erkennbare Wahrheit Gottes bezeugt und gerade deswegen die grundsätzliche Differenz zwischen Gott und sich selbst bekennt, bezeugt und so präsent hält.“ KD IV/3, 883. Ebd., 850: Dies könne nur in „schärfstem Widerspruch“ zu deren Selbstverständnis geschehen. Ebenso kritisch wird – gewissermaßen als Verarbeitung der Kritik F. Nietzsches – die funktionale Bedeutung der Kirche und des Christentums als Geburtshelfer der europäischen Kultur und Zivilisation bedacht: ebd., 856! Vgl. ebd., 908, auch schon: Begriff der Kirche, 154. Vgl. seine grundsätzlichen Ausführungen zur „soziologischen Struktur“: KD IV/3, 845ff., auch schon IV/1, 807: „zweite Frage“. Dazu die gegensätzliche Beurteilung des Sachverhalts bei W. KRÖTKE, Ekklesiologie, 19f. (positiv) und W. GRÄB, Ekklesiologie, 44f. (kritisch)! KD IV/3, 845. 847.

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Freiheit und Verantwortung freisetzt“.529 Dies entspräche dem, was zur falliblen Begriffsbildung der Dogmatik ausgeführt wurde. Es verdeutlicht auch Barths Überzeugung, der reformatorische Grundsatz der ecclesia semper reformanda (nicht formata!) betreffe auch die prinzipiell veränderbare Ordnung der Gemeinde.530 Auf der anderen Seite unterliegt die zu wählende Sozialgestalt der Anforderung, dem skizzierten, theologisch bestimmten Auftrag der Kirche zu entsprechen.531 Die erwähnte „nota ecclesiae” der sichtbaren Verkörperung der Versöhnung gibt auch in dieser Beziehung das “Grundkriterium“ ihrer rechten Erscheinungsform ab.532 Unter seiner Zugrundelegung wird Barth ebenso theologisch bestimmte „Grundformen“ kirchlichen Redens und Handelns skizzieren, denen die Adaption soziologischer Elemente bei aller prinzipieller Offenheit zu genügen hat.533 Aufgrund Barths unumkehrbarer Begründungsrichtung muss freilich offen bleiben, ob und wie es – in umgekehrter Richtung – zu einer Wandlung von Sozialgestalt oder von bestimmten Formen kirchlichen Handelns aufgrund wohlbegründeter, aber untheologischer Einsprüche und Problemstellungen aus der allgemein-zugänglichen Wirklichkeit (z.B. Veränderungen in der Beteiligungsstruktur, atheististisch geprägte Rezipienten)534 in methodisch reflektierter Weise kommen kann.535 Damit ist man an einen Punkt angelangt, die Barth immer wieder vorgeworfene „Realitätsferne“ einer Beurteilung zugänglich zu machen: In seiner starken Form als „Liquidation der Wirklichkeit“536 scheint der Vorwurf nicht gerechtfertigt, wenn der Theorieabhängigkeit jeder Wahrnehmung und Barths eigenem Wirklichkeitsverständnis Rechnung getragen wird. 529 A. GRÖZINGER, Offenbarung und Praxis, 191 (Hervorheb. von H.-M. R.); vgl. KD IV/3, 848. 530 Vgl. KD IV/2, 809. 531 Vgl. KD IV/3, 848, auch ebd., 849: „So wird sie, sei es als Volkskirche und vielleicht Staatskirche, sei es als Freikirche, ihr unsichtbares Wesen unter allen Umständen darin sichtbar machen müssen, dass sie bekennende, dass sie Missionskirche ist, ihrer Umgebung keinen Zweifel darüber läßt, für wen und für was sie in ihrer Mitte einzustehen hat.“ (Hervorheb. im Orig.) 532 Ebd., 883. 533 Ebd., 991ff.; ähnlich verhält es sich mit den „Gesichtspunkten“ hinsichtlich des Kirchenrechts, vgl. KD IV/2, 767. 777. 783. 534 Der (sicher unverdächtige) W. KRÖTKE, Ekklesiologie, 21f., sieht die Grenze der Ekklesiologie Barths darin, den religiösen Menschen als Gegner sehr ernst genommen zu haben, nicht aber den atheistischen, wie er den Kirchen der ehemaligen DDR begegne. Gerade das ließe sich m.E. nun aber als Beispiel auswerten, dass und wie Barth faktisch Erfahrungen – und zwar ganz bestimmte – in seine Theoriebildung aufgenommen hat. 535 Vgl. schon M. HONECKER, Kirche als Gestalt, 193. 198f. 536 So G. LÄMMERMANN, Praktische Theologie, 18 (unter Bezugnahme auf T. Rendtorff).

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Mit Barth und über ihn hinaus ist dann vielmehr eher zu fragen, ob der „Streit um die Wirklichkeit auch auf der Ebene der Methodendiskussion geführt werden“ kann.537 In einer differenzierten Form hat nun E. Hübner Barths programmatischer These der Theologie als Funktion der Kirche eine tatsächliche „Dysfunktionalität“ seiner Ekklesiologie, sprich ihre Verfehlung der empirischen Volkskirche vorgehalten.538 Dies vollziehe sich durch deren Überlagerung durch eine deduktive Theorie- und Wirklichkeitsbildung, welche wiederum die Absorption des empirischen Interesses durch die Fixierung auf die Wesensfrage und die Nichtannahme einer dem Wesen nicht entsprechenden Volkskirche zur Folge habe.539 Doch auch bei dieser Kritik kommt nicht zum Tragen, dass Barth sehr hellsichtig mit dem ambivalenten Phänomen des „Empirischen“ umgeht und es in seine theologische Perspektive aufnimmt – so dass jede Anfrage auf der Ebene eines Eindeutigkeit suggerierenden Empiriebegriffs Barths Problemniveau kaum erreicht.540 Ein Urteil über die Funktionalität oder Dysfunktionalität von Barths Theologie ist ohne die Diskussion über die Auffassung des Zugangs zur Wirklichkeit, darin hat A. Grözinger recht, nicht zu erreichen. Sicher kann gegenüber Hübner jedoch gesagt werden, dass Barths theologische Perspektive die Annahme einer nicht wesenskonformen Volkskirche nicht verhindert, sondern geradezu erst möglich macht – eben im Modus der theologischen Besetzung des „Empirischen“. In einer spezifischen Zuspitzung jedoch vermag die Kritik von E. Hübner und der Hinweis von A. Grözinger auf das m.E. entscheidende Problem hinzuweisen: Ist die menschlich zugängliche Wahrnehmung und Erfahrung bei Barth, unbeschadet der jeweils vorauszusetzenden Interpretationsschemata, von der Christuswirklichkeit immer schon überholt bzw. diese ihr immer schon voraus, dann ergibt zwar nicht zwangsläufig das Problem der Verfehlung, aber das der Bevormundung bzw. der Vereinnahmung. Mensch und Kirche werden besser verstanden, als diese sich in der Selbstwahrnehmung selbst verstehen können. Interessanterweise wird dieses Problem der Bevormundung von Barth selbst diskutiert541 – allerdings bezieht sich dann deren Zurückweisung nur auf überlegenes menschliches Wissen, nicht auf das Geltendmachen der Christuswirklichkeit! Diese wird sogar ausdrücklich ausgenommen: Ausnahmslos jeden Adressaten als christianus designatus zu verstehen und nur als solchen ernst zu nehmen, kann nach Barth keine Bevormundung, sondern nur Befreiung bedeuten. Das Problem wird in diesem Zusammenhang so neutralisiert, dass der inhaltlich-explizierten Innenperspektive Regeln für eine gelunge537 A. GRÖZINGER, Offenbarung und Praxis, 192 (Hervorheb. gestrichen). 538 E. HÜBNER, Theologie und Empirie, 105; vgl. dazu auch die Definition von „Dysfunktionalität“: ebd., 228, Anm. 631. 539 Ebd., 101. 540 Die von Hübner rezipierte Arbeit von J. RITZ, Präsenz der Empirie, hatte sich dieser Aufgabe gestellt und daher im Anschluss an D. Mieth zwischen Erfahrung, Empirie, Experienz und zwischen theologischer, kirchlicher und geschichtlicher Erfahrung unterschieden (240. 251ff.). 541 KD IV/3, 948: „[...] überlegen wissend und wollend und also im Grunde Alles besser wissend [...]“

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ne, sprich befreiende Kommunikation entnommen werden.542 Dieser Argumentationsgang ist zunächst zu würdigen. Seine Bewertung indes wird davon abhängen, wie man seine Kehrseite beurteilt: Er lässt die Möglichkeit eines agonalen Konflikts der Perspektiven außen vor, insofern die nichttheologische Selbst- und Weltwahrnehmung des Anderen gegenüber der (eigenen) theologischen Perspektive auf den Status einer akzidentiellen Variablen reduziert wird.543 542 Ebd., 949f. 543 Ähnlich stellt sich auch Barths Umgang mit der soziologischen Perspektive dar. Lehrreich ist hier z.B. ebd., 920: Die biologische und soziologische Differenzierung der Adressaten wird wahrgenommen (!), in der theologischen Perspektive aber sofort auf eine Grundsituation des Menschen schlechthin reduziert – unabhängig von der jeweiligen Selbstwahrnehmung. Ob aufgrund dieser Problematik eine integrative Theoriebildung, wie Schleiermacher sie vorgeführt hat, eine sinnvolle Alternative darstellt, sei dahin gestellt. Barth selbst könnte vielmehr im Sinne der These von der „begrenzten Zuständigkeit“ der Theologie so aufgefasst werden, dass die Selbstunterscheidung der Theologie von anderen Wissenschaften (deren Wirklichkeitsauffassung) den Boden bereiten kann, in eine produktive Auseinandersetzung mit anderen Wirklichkeitsauffassungen einzutreten, welche solches sehen und sagen, was Theologie so gerade nicht sieht und sagt (in Anlehnung an T. RENDTORFF, Wirklichkeitswissenschaft im Streit, 108, der dort allerdings von einer „befreite[n] Anerkennung“ redet). Noch stärker über Barth hinaus, nämlich nun ganz im Sinne eines Pluralismus von prinzipiell gleichrangigen Wirklichkeitsdeutungen (!) wird diese Linie ausgezogen in der modernitätstheoretischen Rekonstruktion von T. GUNDLACH, Selbstbegrenzung Gottes, v.a. 251. 284. 288. Nicht als eine Rekonstruktion, sondern als eine auf „Inspiration“ beschränkte Barthrezeption unter pluralistischen Vorgaben ist die 2002 erschienene Dissertation von A. FETZER, Tradition im Pluralismus, zu verstehen: „Barths Entwurf wird als partikular christliche Sicht im Rahmen von MacIntyres polipartikularer Metatheorie der rationality of traditions interpretiert.“ (ebd., 7) Der an sich interessante Vermittlungsversuch leidet jedoch zum einen an Mängeln eines gängige Pauschalurteile fortsetzenden Barthverständnisses, das sich an den §§ 19-21 der KD orientiert und sich dem korrigierenden Gespräch mit der Barthforschung weitgehend entzieht. So bescheinigt sie Barth zwar einen differenzierten Gehorsamsbegriff, möchte diesen aber aufgrund der Unverfügbarkeit des Wortes im Blick auf die Traditionsvermittlung verabschieden (ebd., 84, es handle sich um ein „vergiftete[s] Konzept“). Hier wäre es z.B. nützlich gewesen, die Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes, welche Unverfügbarkeit und Bindung an eine Sprachgestalt, von absoluter und relativer Autorität zusammen zu denken erlaubt, zu beachten – oder auch nur einen Blick in die im selben Verlag zuvor erschienene Untersuchung von G. PLASGER, Die relative Autorität, zu werfen. Mit erheblichen Schwierigkeiten belastet ist zum anderen der erkenntnistheoretische Rahmen, innerhalb dessen die Interpretation weiterzuführen beabsichtigt ist: So sehr das antirelativistische Motiv begründungsfähig ist, dass ein konstruktiver agonaler Konflikt von Traditionen den Wahrheitsanspruch der Einzeltraditionen nicht ausschließt, sondern vielmehr zur Voraussetzung hat (ebd., 5. 194f. 213 u.ö.) – so sehr sind andere basale Elemente der Konzeption von MacIntyre höchst diskussionswürdig und in der philosophischen Erkenntnistheorie umstritten, etwa die Überzeugung, ein anderes Begriffsystem (Tradition) als gewissermaßen apriorisches Schemata der Weltwahrnehmung analog dem Erlernen einer zweiten Muttersprache (second first language) aneignen zu können (vgl. dazu die Ein-

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Damit wird man zur Evaluation wieder auf die Problematik von Barths theologischem Wirklichkeitsverständnis zurückgeführt, das sich als fundamentaltheologische Anwendung der materialdogmatischen christologischen Denkfigur der Anhypostasie darstellt. Unbeschadet dessen, dass der von ihm angeprangerte „Verlust der Phänomene“ nicht ohne eine vorausgesetzte Differenzbestimmung von Innen- und Außenperspektive zustande kommt, erreicht die Barth-Kritik von M. Moxter jedenfalls darin das Niveau einer ernsthaften Auseinandersetzung, als sie genau diese Rolle der Anhypostasie im Wirklichkeitsverständnis diskutiert.544 Eine kritische Diskussion des Barthschen Wirklichkeitsverständnisses wird dieses Problemniveau nur zu ihrem Schaden unterschreiten.

1.1.6. Dietrich Bonhoeffer Bonhoeffers frühe akademische Arbeiten führen die Problemgeschichte schon insofern weiter, als sie sich der theologischen Aufgabe widmen, in erkenntnistheoretisch-fundamentaltheologischer Hinsicht die Nichtgegenständlichkeit des theologischen Gegenstands und seine Gegenständlichkeit sowie in ekklesiologischer bzw. kirchentheoretischer Hinsicht Offenbarungsrealität und geschichtlich-empirische Realität der Kirche miteinander zu verbinden. Ihre Besonderheit liegt zunächst darin, dass sie den „Einheitspunkt“ der jeweils entgegengesetzten Denkbewegungen nicht jenseits, sondern in der Gegenständlichkeit und Konkretheit der empirischen Kirche suchen.545 Bonhoeffers systematische Konzeption in seiner Habilitationsschrift „Akt und Sein“ ist an dieser Stelle durch den Grundgedanken seiner Dissertation „Sanctorum Communio“ vorbereitet und führt zu einem ganz spezifischen Verständnis der Theologie als positiver Wissenschaft.546 Für die weitere Entwicklung ist es bedeutsam, dass der mit schränkungen ebd., 192. 197. 202f.). Nicht zuletzt entbehrt es jeder Selbstverständlichkeit, die christliche Innenperspektive (auch die Barths) als kognitiven Deuteprozess mit der Intention auf größtmögliche Objektkorrespondenz aufzufassen und in eine Theorie der asymptotischen Wahrheitsannäherung einordnen zu wollen (ebd., 204ff., für die Selbstwahrnehmung der christlichen Tradition wird konsequenterweise die Lessingsche Ringparabel empfohlen: 255f.) 544 Vgl. M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt, 224ff. 545 Vgl. Akt und Sein, 125; auch Sanctorum Communio, 90. 173. 180 (im Folgenden zitiert nach den Ausgaben der DBW). 546 Das gilt unbeschadet aller Weiterentwicklung, die sich ja bekanntlich bis ins Spätwerk beobachten lässt und in der Forschung vielfach diskutiert wurde. Angesichts der starken These von Brüchen (vgl. R. MAYER, Christuswirklichkeit, 219ff., aber auch einschränkend 195) wurde immer wieder versucht, ein kontinuierliches Grundthema herauszuarbeiten; v.a. die von E. FEIL dafür angebotene Unterscheidung von actus directus und actus reflexus und die darin zum Ausdruck kommende Rückbindung der Theologie an den konkreten Glauben fand Anklang (vgl. ders., Theologie

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der These der Theologie als Funktion der Kirche547 zur theologischen Bearbeitung aufgegebene partikulare Wirklichkeitsbereich der Kirche der Universalität der Christuswirklichkeit in der Welt nicht entgegensteht.548 Mindestens ebenso bedeutsam ist es, dass Bonhoeffers Konzeption erkenntnistheoretisch zu einer gegenüber E. Troeltsch völlig anders gelagerten Auffassung von Theologie als Wirklichkeitswissenschaft549 gelangt, insofern allgemein-begrifflichem bzw. philosophischem Denken als Denken des cor curvum in se550 die Realität zu erreichen abgesprochen wird.551 Dieses Theologie- und Kirchenverständnis soll hier in einer auf die wesentlichen Gedankengänge beschränkten Skizze dargeboten werden, welche dem angedeuteten Dreischritt von Kirchentheorie, Erkenntnistheorie und Wirklichkeitsverständnis der Theologie und damit auch Bonhoeffers Ausarbeitung seiner Konzeption nachgeht. In seiner Vorlesung über das Wesen der Kirche (1932) fasst Bonhoeffer pointiert die empirisch konkrete Kirche als Voraussetzung und Gegenstand der Theologie552 und gedenkt darin nicht nur über Schleiermachers religiöse und individualistische Begründung des Kirchenbegriffs, sondern auch über Ritschls erkenntnistheoretische Bindung der Theologie an die Gemeinde und über Barths Fassung der Theologie als Funktion einer dogmatisch bestimmten Kirche hinaus zu kommen.553 Seine eigenen Ausführungen in „Sanctorum Communio“ und „Akt und Sein“ folgen dementsprechend der Forderung, dass die empirische Kirche „vor der Klammer“ der Theologie zu stehen habe:554

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Dietrich Bonhoeffers, 38f. 128f.; H.-R. REUTER, Nachwort, 175ff.; auch G.L. MÜLLER, Für andere da, 173). Schon H. MÜLLER, Von der Kirche zur Welt, 425f., hatte für ein solches Kontinuum plädiert. CH. TIETZ-STEIDING, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 90, Anm. 1, möchte auf ein solches verzichten und befördert dementsprechend hinsichtlich Bonhoeffers theologischer Entwicklung die Diskontinuitätsthese (z.B. ebd., 310ff.). Akt und Sein, 128; Wesen der Kirche, 251. Vgl. dazu nur: ebd., 250f.; Ethik, 408f. Entsprechend einer „Wissenschaft von der Wirklichkeit“ hat Theologie von der „Tatsache des religiösen Lebens“ auszugehen, so E. TROELTSCH, Voraussetzungslose Wissenschaft, 187. 192. Paradigmatisch entfaltet bei: G. PFLEIDERER, Theologie als Wirklichkeitswissenschaft, 43ff. Antrittsvorlesung: Die Frage nach dem Menschen, 369. Concerning the Christian idea of God, 424f. Wesen der Kirche, 260. Zu Ritschl (dem Bonhoeffer im Blick auf die Ablehnung der religiösen Unmittelbarkeit nicht fern steht) und Barth: ebd., 254ff. Zu Schleiermacher ist diesbezüglich neben den Ausführungen in ebd., 253 („Individuelle Religiosität setzt er vor die Klammer.“, vgl. ebd., 276), die Abgrenzung in Sanctorum Communio, 101ff. Anm. 18, zu beachten, dazu unten. Wesen der Kirche, 252. 257.

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In seiner Erstlingsarbeit zum Kirchenbegriff kommt schon in der Argumentationsstruktur zum Ausdruck, dass theologische Erkenntnis von der empirischen Kirche ausgeht als auch auf deren systematisches Erfassen hinzielt.555 Dieses Erfassen steht grundsätzlich zwei verschiedenen Perspektiven offen, einer theologischen und einer religiössoziologischen.556 Da die Isolierung einer dieser Perspektiven die komplexe Wirklichkeit der Kirche, welche „geschichtliche Wirklichkeit und gottgesetzt zugleich ist“,557 verfehlen würde, ist der Zuordnung beider Perspektiven entscheidende Bedeutung zuzumessen. Im Blick auf diese Frage ist für Bonhoeffer maßgebend, dass die faktisch gegebene Kirche einen allein theologisch verstehbaren Anspruch in sich trägt, welcher – das ist nun die Kehrseite – die soziologische Betrachtung ohne den „theologischen Rahmen“ von vorne herein als defizitär erscheinen lässt.558 Denn diese würde allenfalls zu einer soziologischen Morphologie einer Religionsgemeinschaft, aber zu keiner Soziologie der Kirche gelangen, die diesen Anspruch ernst nimmt. Sie könnte daher auch die notwendigen Kriterien zur Prüfung dieses Anspruchs nur von „außen her“ gewinnen.559 Bereits im ersten Kapitel von „Sanctorum Communio“ wird daher die methodische Leitlinie zur Zugangsbedingung erhoben: „Das Wesen der Kirche aber kann nur von innen heraus cum ira et studio verstanden werden, nie hingegen von unbeteiligter Seite. Nur wer den Anspruch der Kirche ernst nimmt und diesen nicht an anderen derartigen Ansprüchen oder seiner eigenen Vernünftigkeit relativiert, sondern ihn aus dem Evangelium heraus versteht, hat Aussicht, etwas von ihrem Wesen zu schauen.“560 Ist die empirisch konkrete Kirche erst dann wahrgenommen, wenn ihre „eigentümliche[...] Doppelheit“561 wahrgenommen ist, dann impliziert das für Bonhoeffer, sich dem Anspruch der Kirche, Kirche Gottes bzw. sein neuer Wille mit den Menschen zu sein,562 so zu stellen, dass man sich in sie hineinstellt. Denn hier handelt es sich um eine nicht weiter zu rechtfertigende Offenbarungsrealität, „zu deren Wesen es gehört, entweder geglaubt oder geleugnet zu wer-

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Vgl. Sanctorum Communio, 85. 180. Ebd., 79f. Ebd. 79. Vgl. ebd., 39. Ebd., 80. Ebd., 18 (Hervorheb. im Orig.). Vgl. dazu und zum Folgenden: W. HUBER, Wahrheit und Existenzform, 172ff.; J. v. SOOSTEN, Sozialität der Kirche, 52ff. 561 Was ist Kirche?, 237. 562 Vgl. Sanctorum Communio, 87.

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den.“563 Eine theologisch verantwortbare Erfassung der empirischen (!) Kirche setzt darum beides voraus: einen Glauben, welcher die Offenbarungswirklichkeit Gottes, die den genannten Anspruch begründet, anerkennt – und zugleich auch ein methodisches Ausgehen von dieser Wirklichkeit. „Erkenntnis und Anerkenntnis ihrer Wirklichkeit muß da sein, bevor man über sie redet. Gerade in dieser Lage beweist sie sich als Offenbarungswirklichkeit, nicht nach außen, sondern für den, der ihrem Anspruch glaubt. Die Berechtigung dieser theologischen Methode kann nun nur anerkannt werden, wenn man schon in der Kirche steht, andererseits hat man dann aber eine objektive Außenstellung aufgegeben.“564 In der Durchführung der Untersuchung „Sanctorum Communio“ tritt die Offenbarungsrealität der Kirche in ihrer methodischen Vorordnung deutlich zutage, auch wenn dies nicht grundsätzlich ein deduktives Verfahren zur Folge hat.565 Das Stichwort vom „theologischen Rahmen“ erhellt, dass die theologische Perspektive eher im Sinne eines umfassenden Horizonts zu verstehen ist, in welchem das religiössoziologische Verständnis in den Blick genommen und kritisch evaluiert wird. Diese Zuordnung – das kann im Folgenden nur angedeutet werden – hat insofern entlastende Funktion, als sie die Freiheit zur Wahrnehmung von Zweideutigkeit, Unvollkommenheit und Gestaltungsbedürftigkeit der empirischen Kirche mit sich bringt.566 Beispielhaft zeigt sich dies in der theologischen Entfaltung des Kirchenbegriffs an der Dreigliederung, mit deren Hilfe die komplexe Wirklichkeit der Kirche strukturiert wird: die durch Christus realisierte Kirche (a), die durch den Heiligen Geist aktualisierte Kirche (b) und die in menschlichen Mitteilungsvollzügen existierende empirische Kirche (c). Die berühmtgewordene Formel „Christus als Gemeinde existierend“ gehört dabei der ersten Betrachtungsebene an. Für Bonhoeffer ist es von grundlegender Bedeutung, den Kirchenbegriff nicht erst in der Pneumatologie, sondern schon in der Christologie begründet zu sehen. Dies gewährleistet es, dass Kirche nicht in ihrer Potentialität, sondern in ihrer unhintergehbaren Realität in den Blick kommt: „Christus hat nicht die Kirche ermöglicht, sondern für die Ewigkeit realisiert.“567 Dadurch nämlich, dass er durch den Akt der Stellvertretung „die Menschheit real in die Gottesgemeinschaft hineingezogen“ hat,568 die Got563 564 565 566

Ebd., 80. Ebd., 81, vgl. 84. Vgl. die Beispiele bei W. HUBER, Wahrheit und Existenzform, 176f. 200. Vgl. Sanctorum Communio, 142f.; auch das Ergebnis von J. v. SOOSTEN, Sozialität der Kirche, 238f. 286f. 567 Sanctorum Communio, 100, vgl. 89. 568 Ebd., 91.

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tesgemeinschaft und die soziale Gemeinschaft der Menschen untereinander neu konstituiert ist. Die einen Begriff Hegels modifizierende Formel „Christus als Gemeinde existierend“ folgt dem Verständnis Christi als Kollektivperson und trägt Momente der Identifikation in sich,569 unterschlägt aber nicht das entscheidende Differenzmoment: Als der von ihr unterschiedene Konstitutionsgrund bestimmt Christus die Gemeinde (nicht umgekehrt).570 Bonhoeffer will sich darin der paulinischen Vorstellung vom Leib Christi anschließen, welche ja bekanntlich mit der Vorstellung von Christus als Haupt einhergeht. Schon diese Grundlegung bringt es mit sich, dass die Verwendung des Funktionsbegriffs und die Zweckbestimmung der Kirche am Herrsein Christi auszurichten sind,571 und dass darum von Anfang an einer um ihre institutionelle Selbstmächtigkeit besorgten Kirche eine eigenmächtige Funktions- und Ortsbestimmung entzogen ist.572 Die Begründung der Kirche im Christusgeschehen ist außerdem nicht im Sinne der Stiftung einer Religionsgemeinschaft zu verstehen. Mit Christi Auferstehung ist vielmehr die Realität einer neuen Menschheit, einer Kreuz- und Auferstehungsgemeinde geschaffen, während die davon zu unterscheidende Aktualisierung (b) dem Gründungstag an Pfingsten vorbehalten bleibt.573 Die Unterscheidung einer christologisch gefassten überzeitlichen Realisierung von einer pneumatologisch gefassten zeitlichen Aktualisierung bewahrt letztere (wie auch die empirische Gestaltung) davor, als Aktualisierung einer insuffizienten Wirklichkeit verstanden zu werden, welche der ergänzenden Verwirklichung noch bedürfe.574 Die Beschreibung der aktualisierten Kirche (b) ist im Weiteren durch die Aufnahme und Einordnung der im ersten Teil der Untersuchung dargebotenen soziologischen Kategorien, insbesondere des triadischen Schemas von Personeinheit (Individualität), Wechselwirkung (Intersubjektivität) und Einheit der Gruppe (Institutionalität) geprägt und führt Bonhoeffer zu gewissen normativen Leitvorstellungen hinsichtlich der Frage nach der adäquaten Sozialgestalt der Kirche.575 Im Blick auf die vorliegende Prob-

569 Ebd., 86, die erstmalige Verwendung der Formel ebd., 87, zur Fundstelle vgl. 132f. 271, Anm. 205. 570 Ebd., 86f.; vgl. Wesen der Kirche, 272: „Christus steht der Gemeinde auch gegenüber.“ Vgl. auch J. v. SOOSTEN, Sozialität der Kirche, 72f. 571 Vgl. Sanctorum Communio, 87. 572 Vgl. Wesen der Kirche, 247 (mit Verweis auf O. Dibelius), auch Ethik, 49 (s.u.). 573 Sanctorum Communio, 96. In: Wesen der Kirche, 271, werden deshalb als Stifter die Apostel benannt. 574 Vgl. Sanctorum Communio, 90. Die Fortsetzung, „[...] und es kommt nur darauf an, in der empirischen Gestalt die offenbarungsmäßige Realität zu glauben“, darf nicht im Sinne eines kirchlichen Positivismus verstanden werden. Denn damit wäre für die empirische Kirche als peccatorum communio die Buße außer Kraft gesetzt, vgl. ebd., 144. 575 Zu dieser Struktur der „drei soziologischen Grundverhältnisse“ vgl. schon die Aufnahme in ebd., 16, dann die Explikation im Abschnitt zur aktualisierten Kirche ebd., 100, als „Geistvielheit, Geistgemeinschaft, Geisteinheit“. Zur Anlehnung an Hegel

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lemskizze fallen dabei Analogie und Abgrenzung zu den Entwürfen von Troeltsch und Schleiermacher auf: Gegenüber Troeltsch, welcher in der religionssoziologischen Beschreibung seiner ‚Soziallehren’ die Trias von Individualität, Intersubjektivität und Institutionalität als unterschiedliche Formen der Differenzverarbeitung von christlicher Religion und sozialer Umwelt auffasste, will Bonhoeffer die Zusammengehörigkeit der drei Momente auf der theologischen Ebene der Geistgemeinschaft nachweisen576 und dabei vor allem durch die nachdrückliche Hervorhebung des Moments der Gemeinschaft bzw. der Intersubjektivität („sanctorum communio“) der im neuzeitlichen Protestantismus drohenden Problemfixierung auf die Polarität von Individualität und Institutionalität entgegentreten.577 Er ist dabei grundsätzlich der Überzeugung, dass die „transzendente Begründung der Gemeinschaft“578 nicht nur die soziologischen Begrifflichkeiten zu korrigieren notwendig macht, sondern auch eine der empirischen Betrachtung adäquate Bestimmung und Abgrenzung von Anstalt, Verein, Sekte ermöglicht, welche die genetisch-soziologische Betrachtung Troeltschs nicht zu leisten vermochte.579 Schleiermacher weise zwar einen mit sozialen Kategorien angereicherten, aber letztlich individualistisch begründeten Kirchenbegriff auf, insofern im Blick auf das „verschränkte Verhältnis“ von Individualität und Kirche dem Sachverhalt zu wenig Rechnung getragen wird, „dass es also keine einzelnen vom Geist Bewegten gab, bevor es Gemeinde gab.“580 Denn bei Schleiermacher, so Bonhoeffer in Aufnahme der Kritik A. Ritschls und R. Seebergs, ist der entscheidende Grund religiöser Vergemeinschaftung im Mitteilungsbedürfnis des Individuums zu sehen (so vor allem Glaubenslehre2 §§ 24 und 115). Die dazu gegenläufige Vorordnung der Kirche in Glaubenslehre § 113 beschreibe lediglich die historische Entste-

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vgl. W. HUBER, Wahrheit und Existenzform, 174f., und den Hinweis in Sanctorum Communio, 262, Anm. 85. Ebd., 129f. 140. Vgl. ebd., 106ff. 177. Ein weiterer Vergleich hätte v.a. zu beachten, dass Troeltsch und Bonhoeffer von einer „Durchdringung“ der Typen bzw. Momente ausgehen, dieses aber auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen durchführen und daher zu verschiedenen Konsequenzen gelangen. Das zeigt sich zum Beispiel an der Beurteilung der Funktion der Volkskirche. Bei Bonhoeffer folgen die kriteriologischen Leitgedanken, welche sowohl Unterscheidung als auch Durchdringung der Typen steuern, nicht einer externen, sondern der internen Differenz von Predigt, Taufe und Abendmahl. Weil beispielsweise der Predigt eine freie individuelle Annahme entspricht, drängt die Volkskirche auf Freiwilligkeitskirche (ebd., 150; 277, Anm. 275). Oder: Weil die Praxis der Kindertaufe voraussetzt, dass die Gemeinde ihrer Verantwortung nachkommen kann, den Täuflingen ihre Glaubensinhalte zu vermitteln, kann bei Wegfall dieser Voraussetzung der Übergang zu einer Missionskirche notwendig werden (ebd., 165). Ebd., 181. Ebd., 175-178. Beispielhaft auch ebd., 187: „[...] solange man die Sekte nach den in ihr wirklichen sozialen Akten christlicher Art betrachtet, wird man prinzipiell kein Recht haben, ihr die Wesensgleichheit mit der Kirche zu bestreiten.“ Zu den soziologischen Gegenargumenten: ebd., 186. Ebd., 101.

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hung individueller Religiosität bzw. den Ort der Gnadenwirkungen, welcher der Wiedergeburt vorausgesetzt ist.581 Bonhoeffer hingegen sieht den Einzelnen nur möglich als Glied der Gemeinde. Andernfalls würde man der theologisch-soziologischen Bedeutung der Liebe nicht gerecht, der entsprechend nämlich die Geistgemeinschaft als Gemeinschaft der Liebe so in der Christuswirklichkeit verwurzelt zu denken ist, dass das Individuum von seiner Ichgebundenheit gelöst und zur Hingabe befähigt wird.582 Auf dem Hintergrund des für die Geistgemeinschaft basalen Liebesgedankens ist Kirche zwar „auf einen Zweck hin organisiert, nämlich auf die Erreichung des Gottes-Willens“583, zugleich aber ist dieser auf sie selbst als Geistgemeinschaft gerichtet und so Selbstzweck.584 Sie entspricht darin der Liebe Gottes in der Dahingabe seines Sohnes. Diese grundsätzliche Doppelseitigkeit von „Zweck“ und „Selbstzweck“ wird ebenso wie die Absage an einen auf Bedürfnisse des religiösen Individuums abgestellten funktionalen Kirchenbegriff585 und an eine auf institutionelle Selbsterhaltung gerichtete Selbstzwecklichkeit586 von Bonhoeffer bei allen Veränderungen der Bezugsebenen und der Schwerpunkte bis in „Widerstand und Ergebung“ durchgehalten.587 Die empirisch-geschichtliche Gestalt der Kirche in der Welt (c) ist, insofern die Aktualität der Sünde es illusorisch macht, den Einzelnen und die Gemeinschaft als reines Werkzeug des heiligen Geistes aufzufassen,588 nicht mit der wesentlichen Kirche identisch; zugleich kann ihr aber auch nicht im Sinne einer spiritualistischen Trennung das Kirchesein abgesprochen werden. An dieser Stelle kommt es daher auf die Zuordnung an: Für Bonhoeffer entspricht die Differenz von wesentlicher und empirischer Kirche der Dialektik des simul iustus et peccator. Das bedeutet, dass die Kirche Jesu Christi („Christus als Gemeinde existierend“) nur in einer mit höchster Zweideutigkeit behafteten peccatorum communio erscheint.589 Ihre Identität kann also der geschichtlichen Realisierung nicht abgelesen werden, sondern bleibt der Glaubenswahrnehmung vorbehalten.590 Dieser nämlich erschließt sich die „Einheit von wesentlicher und empirischer Kirche“ in der „konkrete[n] Funktion der empirischen Kirche“, nämlich in der gottes581 582 583 584 585 586 587

588 589 590

Ebd., 102, Anm. 18. Ebd., 107. Ebd., 116 (Hervorheb. von H.-M. R.) Vgl. ebd., 127. 181. Vgl. schon Wesen der Kirche, 242f., dazu mit Nachdruck K.-M. KODALLE, Dietrich Bonhoeffer, 143f. Vgl. Widerstand und Ergebung, 435. Vgl. das viel zitierte Diktum aus ebd., 261: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ Zur weiteren Diskussion (Lit.) in der Bonhoefferrezeption die Darstellung und sich E. Bethge anschließende Position bei G.L. MÜLLER, Für andere da, 160ff. 180ff. Neuerdings auch R. MAYER, Kirche als „Selbstzweck“, 92ff. Für die durchgehende Überzeugung von der Doppelseitigkeit ist m.E. die Interpretation von Bonhoeffers Ethik, 49f. 408-411, weiterführend, dazu unten. Sanctorum Communio, 144. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 191.

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dienstlichen Versammlung um Wort und Sakrament.591 In diesem Zusammenhang bestätigt sich für Bonhoeffer noch einmal die Grundüberzeugung seiner methodischen Vorgehensweise, nur von innen nach außen, nicht aber umgekehrt (in der Perspektive einer religiösen Vergemeinschaftung) sei ein Verständnis der empirischen Kirche (und damit dann auch der religiösen Gemeinschaft) möglich.592 Denn andernfalls würde der objektive Geist einer Gemeinschaft593 mit dem heiligen Geist der sanctorum communio identifiziert, damit aber missachtet, dass der objektive Geist ohne die Sündhaftigkeit der peccatorum communio nicht zu denken ist.594 Wohl kommt dem objektiven Geist eine bedeutende Rolle als „Träger und Werkzeug des Geistes der Kirche Christi“ zu; dieses aber nicht dem objektiven Geist als solchem, sondern insofern er selbst vom Heiligen Geist getragen ist.595 An dieser Stelle lässt sich in „Sanctorum Communio“ eine zweite bedeutsame Stoßrichtung von Bonhoeffers Kritik an Schleiermacher ausmachen („verhängnisvolle Identifikation“).596

In „Akt und Sein“ legt Bonhoeffer nun in grundsätzlicher Weise dar, wie in erkenntnistheoretischer Hinsicht „Kirche vor der Klammer“ der Theologie zu stehen hat. Dabei wird die Kirche als Erkenntnisort einer solchen Theologie bestimmt, welche sich dessen gewahr ist, dass der Zugang zur gottgegebenen Wirklichkeit als Voraussetzung ihres Denkens allein im existentiellen Akt des Betroffenseins und der Bezugnahme besteht. 591 592 593 594

Ebd., 154. Ebd., 141. Zu dieser soziologischen Kategorie ebd., 62ff. Ebd., 145: „Die Sünde muß in den Begriff des objektiven Geistes notwendig mit aufgenommen werden. So macht das Faktum der Schuld die Unmöglichkeit offenbar, den objektiven Geist der Gesamtperson der Kirche mit dem heiligen Geist zu identifizieren [...]“ 595 Ebd., 146f. Aufgrund dieses differenzierten Verhältnisses scheint mir die These M. HONECKERS von einem kirchlichen Positivismus in den Frühschriften, welcher die soziologische Faktizität der Kirche unkritisch bejaht, einseitig zu sein (ders., Kirche als Gestalt, 138. 145, vgl. 154). Der reformerische Grundzug, dass es der empirischen Kirche bleibend aufgegeben ist, der wesentlichen zu entsprechen, ist bei Bonhoeffer jedenfalls deutlich sichtbar. Er folgt letztlich einem dynamischen Verständnis des simul iustus et peccator. Honeckers weitere Kritik, Bonhoeffers Verständnis der Theologie als Funktion der Kirche vernachlässige deren kritisches Gegenüber (ebd., 146), wird zu prüfen sein. Auch die massiven Vorwürfe von F.W. GRAF, Innerlichkeit und Institution, 382ff., gehen von einer Identität von objektivem Geist der Institution und Heiligem Geist aus. Dies führe dazu, dass die individuelle Innerlichkeit des Menschen mit dem Gemeingeist der Institution „gleichgeschaltet“ werde (ebd., 390). Bonhoeffers Kirchenmodell drohe deshalb durch die Theologisierung des objektiven Geistes „in ein potentiell totalitäres Sozialkonzept umzuschlagen.“ (ebd., 391) 596 Sanctorum Communio, 131, Anm. 68. Bonhoeffer sieht die Ursache dabei in Schleiermachers anthropologisch-biologischer Fassung des Geistbegriffs, vgl. ebd., 136. In ebd., 198, wird demgegenüber betont, dass die Identifikation von objektivem Geist und heiligem Geist dem Eschaton vorbehalten bleibt.

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Hierzu werden zunächst zwei unterschiedliche erkenntnistheoretische Grundansätze, der transzendentale und der ontologische, skizziert, um dann deren Unangemessenheit im Blick auf die theologische Erkenntnis der Offenbarung festzustellen. Schließlich wird von einer der Offenbarung eigenen Seinsart der Kirche ausgehend das Erkenntnisproblem einer Lösung zugeführt.597 Transzendentales Denken ist Denken „in bezug auf“ Transzendentes, gemäß welchem das gegenständliche Sein der Welt für den Menschen nur in bezug auf sein Denken, also nur im reinen Akt da ist.598 Während für ontologisches Denken der Erkenntnisgegenstand im Sinn von vorfindlich Seiendem gegenständlich ist, ist er für transzendentales Denken nichtgegenständlich, d.h. dem Menschen unverfügbar.599 Was die Auslegung des Offenbarungsgeschehens betrifft, vermag die dem Transzendentalismus folgende Auslegung, wie Bonhoeffer sie bei Barth feststellt,600 darauf aufmerksam machen, dass Gott nicht auf der Ebene der vorfindlichen Gegenständlichkeit zu denken ist, sondern als Transzendentes unverfügbar bleibt: Mit dem transzendentalen Ansatz „ist Front gemacht gegen jede Art der Vergegenständlichung Got597 Für die vorliegende Fragestellung ist vor allem der dritte Schritt, die positive Entfaltung und Grundlegung (Akt und Sein, 105ff.) von Bedeutung. Zu verweisen ist auf die beiden neueren Untersuchungen zu „Akt und Sein“ von J. BOOMGAARDEN, Verständnis der Wirklichkeit, und CH. TIETZ-STEIDING, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft. 598 Vgl. Akt und Sein, 29. 31. 599 Der „echte“ Transzendentalismus erkennt diese Grenze, auch wenn es sich um eine „selbstgewählte Begrenzung der Vernunft durch sich selbst handelt“ (ebd., 38), an, während der Idealismus „sich zum Herrn über das Nichtgegenständliche aufschwingt“, das Ich sich zum Schöpfer macht (ebd., 32. 37). Welt ist dann nicht mehr nur „in bezug auf mich“, sondern „durch mich“. 600 Die Betonung der Nichtgegenständlichkeit des frühen Barth und dessen Aktualismus wird von Bonhoeffer grundsätzlich dem transzendentalen Ansatz zugerechnet und, wie gleich zu sehen sein wird, kritisch betrachtet. Interessanterweise liegt Bonhoeffer bei der Abfassung seiner Habilitationsschrift Barths eigener Zuordnungsversuch hinsichtlich der Nichtgegenständlichkeit und Gegenständlichkeit („Idealismus“ und „Realismus“) in dessen Abhandlung „Schicksal und Idee in der Theologie“ (1929) vor, wird aber ganz im Sinne der Nichtgegenständlichkeit bzw. des Transzendentalismus interpretiert. Vgl. auch Bonhoeffers Bezugnahmen in: Theology of Crisis, 434ff. Außerdem M. BEINTKER, Kontingenz und Gegenständlichkeit, 34ff.; CH. TIETZ-STEIDING, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 146ff. Bei letzterer (ebd., 175) findet sich der richtige Hinweis, dass Bonhoeffer in seiner Vorlesung „Geschichte der systematischen Theologie des 20. Jahrhunderts“, 202, erkannt zu haben scheint, dass Barth Nichtgegenständlichkeit und Gegenständlichkeit zusammendenkt. Noch gewichtiger wäre aber, dass an dieser Stelle sogar der Barthsche Zuordnungsversuch der „indirekten Identität“ aufgegriffen wird (ebd., 203). Dass für Bonhoeffer damit allerdings wenig gewonnen ist, insofern die Dominanz der Reflexion, wie er sie bei Barth wahrnimmt, dem actus directus nicht genügend Rechnung trägt, zeigt M. Beintker, a.a.O., 46f.

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tes“ und gesichert, dass dieser „immer Subjekt bleibt und sich jedem erkennenden Zugriff des Menschen entzieht“.601 Ebenso wird damit festgehalten, dass die Existenz des Menschen nicht im akthaften Vollzug des ‚Ich’, sondern lediglich in der Reflexion des ‚Mich’ zugänglich ist.602 Diese Anliegen kann Bonhoeffer, zumal sie seiner Grundunterscheidung von actus directus und actus reflexus603 entsprechen, aufnehmen. Auf der anderen Seite erweist sich für Bonhoeffer die reine Aktinterpretation als unzureichend, so dass die Theologie „aufs leidenschaftlichste an Seinsbegriffen interessiert sein“ muss:604 Wird Gott im Sinne der Aktauslegung als nichtgegenständliche Transzendenz gedacht, kann er dem Menschen nicht als „echte Grenze“605 entgegentreten. Weiterhin ermöglicht „das formalistisch-aktualistische Verständnis der Freiheit und Kontingenz Gottes in der Offenbarung“ zwar die Explikation dessen, dass Gott Subjekt bleibt und dem menschlichen Erkenntniszugriff entzogen ist, versagt aber in der Beschreibung dessen, dass Gott nicht vom Menschen, sondern für den Menschen frei ist, dass er „’habbar’, fassbar in seinem Wort in der Kirche“ ist.606 Dies führt nun zu einem weiterführenden und für die vorliegende Fragestellung bedeutsamen Problemkreis: Der transzendentale Ansatz verhilft zu einer deutlichen Unterscheidung von Glauben und Religion bzw. existentiellem Glaubenswissen und Reflexion auf religiöse Akte.607 Aufgrund der kategorialen Differenz, dass im jeweils ersten Gott, im jeweils zweiten der Mensch Subjekt ist, befördert er allerdings eine verhängnisvolle Trennung, welche ein Wissen von Gott, somit Theologie als Wissenschaft unmöglich machen würde. Denn Gott wäre dann nur im existentiellen Glaubensakt, könnte nur existentiell gewusst werden – dies ließe sich aber nicht in verfügbares theologisches Wissen überführen.608 Damit Theologie als Wissenschaft möglich ist, bedarf es daher einer ‚Seinsart’, welche „das Sein der Offenbarung weder als Seiendes, Gegenständliches noch als Nichtseiendes, Nichtgegenständliches“ auffas601 Akt und Sein, 86f. 602 Ebd., 31; auch ebd., 90: „In einem reflektierten Denken habe ich zu meiner Existenz nicht näheren Bezug als zu Gott. Im Gegenteil könnte paradox gesagt werden, daß Gott mir näher ist als meine Existenz.“ 603 Ebd., 23. 126. Der erste Begriff markiert die reflexionslose reine Intentionalität, welche Christus als Schöpfer und Herr des Glaubens anerkennt und allein Gewißheit ermöglicht, während in der Reflexion der Mensch sich selbst als Subjekt betätigt. 604 Ebd., 91. 605 Ebd., 38. 606 Ebd., 85; vgl. 121. 607 Ebd., 88. 608 Vgl. ebd., 90.

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sen lässt.609 Auf einer solchen ‚Seinsart’ könnte dann ein Wissen von Gott auch außerhalb des existentiellen Glaubensakts „ruhen“.610 Es ist die Grundthese von „Akt und Sein“, dass die Einheit von „echtem Transzendentalismus“ und „echter Ontologie“ in der soziologischen Kategorie der Kirche zu finden ist.611 Mit „Christus als Gemeinde existierend“ ist diejenige gegenwärtige Seinsart der Offenbarung gegeben, welche sowohl existentielle Bedeutsamkeit als auch eine legitime, „echte Gegenständlichkeit im Sinne des konkreten Entgegenstehens“612 und damit eine spezifische Form des Wissens und Erkennens möglich macht.613 Der so bestimmten Gegenständlichkeit der Kirche als Akt-Seinseinheit entsprechen nach Bonhoeffer drei verschiedene Erkenntnisweisen: das glaubende Erkennen, das predigende Erkennen und das theologische Erkennen.614 Das glaubende Erkennen ist ganz auf den gepredigten Christus ausgerichtet, also in keiner Weise reflexiv auf sich selbst. Innerhalb Bonhoeffers Grundunterscheidung ist diese Erkenntnisweise als actus directus zu fassen. Während in der Reflexion der Mensch Subjekt des Erkennens bleibt und der Selbstbezug auch durch eine transzendentale Selbstbegrenzungsoperation nicht überwindbar ist, wird im glaubenden Erkennen der Glaube als von Gott gewirkt anerkannt. Hier ist Christus der Schöpfer und Herr eines neuen Personseins, die transzendentale Grenze, „in bezug auf“ welche sich der Mensch begreift.615 Denn die in der Gemeinde gepredigte Christusperson „widersteht jeder Einbeziehung in ein transzendentales Ich wie jeder Vergegenständlichung, er steht als Person dem Menschen als Person gegenüber.“616 Es handelt sich in dieser Beziehung um eine Gegenständlichkeit (das gesuchte „Außen“), derer sich der Mensch nicht bemächtigen, sondern sie als eine sich in Freiheit ihr gebende Person nur anerkennen kann.617 609 610 611 612 613

614 615 616 617

Ebd., 110. Ebd., 90. Vgl. ebd., 26. 107. 125 u.ö. Ebd., 111. Damit ist für Bonhoeffer außerdem der geforderte Bezugspunkt des Mensch- und Personseins gefunden, welcher den homo incurvatus in se aufbricht: Vgl. ebd., 117. 125f. als Weiterführung des ebd., 29, zum Transzendentalismus Gesagten. Ebd., 123. Ebd., 126. Ebd., 123. Deshalb kann es auch keine „Zuschauer-Bekanntschaft“ mit Gott („spectator-knowledge of God“) geben: Theology of Crisis, 447. Vgl. Akt und Sein, 124f., dazu die Ausführungen von CH. TIETZ-STEIDING, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 274-277: Die Differenz zum Barthschen Denkversuch liegt darin, dass dieser, um ein Sich-Gottes-Bemächtigen abzuwehren, Gott als freies Subjekt denkt – während Bonhoeffer diese Grenze durch seine Fas-

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Im Blick auf die folgenden Reflexionsmodi ist es dabei entscheidend, dass der Glaube sich ausschließlich als „gottgegebene Wirklichkeit“ auffassen kann.618 Um die Frage der Möglichkeit dieser Wirklichkeit zu erörtern, müsste der Glaube sich von seiner intentionalen Ausrichtung auf Christus herauslösen, würde dann aber auf der Ebene der Reflexion die im actus directus gegebene Wirklichkeit nicht unterlaufen können.619 Der Raum der Reflexion, mithin der Theologie, ist damit begrenzt: Der Reflexion ist das „Daß“ dieser Wirklichkeit vorausgesetzt, sie kann nicht auf dessen Möglichkeit reflektieren, sondern nur „nachzeichnen“.620 Anders gesagt: Ein Denken in Kategorien des Möglichen ist inadäquat, sobald der Mensch im actus directus aus seiner Reflexion herausgerissen und vor eine ihn begrenzende Wirklichkeit gestellt ist, zu welcher er sich nur durch Betroffensein bzw. Annahme oder Nichtbetroffensein bzw. Nichtannahme „in bezug“ setzen kann. Nun „unabhängig von der Wirklichkeit der Offenbarung“ von einer Möglichkeit zu reden, könnte nur auf der derivaten Reflexionsebene des Menschen auf sich selbst geschehen, innerhalb derer es dann aber keine echte Grenze, kein echtes Außen, damit aber auch kein „echtes Selbstverständnis“ geben kann.621 Die dem actus directus folgende und von ihm unterschiedene Reflexion zeigt sich zunächst im predigenden Erkennen, dem aktuellen Wissen, das der Prediger zum Vollzug von Predigt und Sakrament bedarf.622 Dieses Erfordernis ist z.B. darin begründet, dass er nicht kraft seines eigenen existentiellen Glaubens („Mir ist vergeben“) die Sündenvergebung zusprechen kann („Dir ist vergeben“), sondern dazu auf das gegebene „Wort vom Gekreuzigten reflektieren und es zur Aussage bringen“ muss.623 Insofern die Verheissung der Gegenwart Christi nach lutherischem Verständnis an das „recte docere“ gebunden ist,

618 619 620

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622 623

sung des actus directus gewinnt. Diese Grenzbestimmung und die damit gegebene differenzierte Rede von der Gegenständlichkeit (der „Positivität“) ist für Bonhoeffers Theologiebegriff grundlegend. Akt und Sein, 123 (Hervorheb. im Orig.). Vgl. ebd., 131. Vgl. Antrittsvorlesung: Die Frage nach dem Menschen, 375, dort wird „die dynamische Wirklichkeit Gottes“ deshalb zur Bestimmung der „Grenze in der Theologie“ herangezogen. Auf dieser Linie liegt dann die sich Barth anschließende Aussage von der Theologie als „construction [...] a posteriori“: Concerning the Christian idea of God, 426. Vgl. Antrittsvorlesung: Die Frage des Menschen, 373. Bonhoeffer behauptet (ebd.) darum, „der Begriff der Möglichkeit hat in der Theologie und damit in der theologischen Anthropologie kein Recht.“ Das weist schon auf die Wirklichkeitsbestimmung seiner Ethikfragmente voraus. Akt und Sein, 127. Ebd.

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erschließt sich dann auch von hier aus die Notwendigkeit der Theologie.624 Das theologische Erkennen setzt, gewissermaßen als actus reflexus zweiter Ordnung, den Vollzug der Verkündigung voraus, um dann selbst wieder Voraussetzung für diese Verkündigung sein zu können.625 Diese zweiseitige Beziehung ist für das Verständnis der Bonhoefferschen Formel „Theologie ist eine Funktion der Kirche“626 erheblich – und ebenso zur Erörterung dessen, ob und inwiefern die Theologie als kritisches Gegenüber zur Kirche vorgestellt werden kann. Bonhoeffer bezeichnet die Theologie als „Gedächtnis der Kirche“ und bestimmt damit bereits deren Gegenstand und deren Positivität, nämlich das „im Gedächtnis bewahrte[...] Geschehen in der Gemeinde, in Bibel, Predigt und Sakrament, Gebet, Bekenntnis, im Worte der Christusperson, das als Seiendes in der geschichtlichen Kirche je aufbewahrt wird.“627 Zu dieser Gegenständlichkeit gehört auch die Reflexion auf die „Gläubigkeit“ bzw. auf das religiöse Selbstverständnis des Glaubenden.628 In diesem Zusammenhang wird noch einmal deutlich, dass Theologie keinen direkten Zugang zum existentiellen actus directus hat, sondern sich als „nur im Gedächtnis-sich-verstehen-können“ auf das bereits reflexive Selbstverständnis bezieht und sich darum als „doppelte[...] Reflexion“ gestaltet.629 Bonhoeffer hat auf diese Weise also das gegenständliche Seiende, das der Theologie als positiver Wissenschaft630 zugrunde liegt, dargetan, zugleich aber durch das Geltendmachen der kategorialen Differenz von actus directus und actus reflexus ihre Reichweite und ihre Zuständigkeit begrenzt.631 Weil sie die Offenbarung zu etwas Seiendem 624 Vgl. auch die Darstellung des Zusammenhangs in: Wesen der Kirche, 286; Theologie und Gemeinde, 423ff. 625 Vgl. Akt und Sein, 128; auch J. BOOMGAARDEN, Verständnis der Wirklichkeit, 437. 626 Akt und Sein, 128; Bonhoeffer kann die Theologie auch als „[e]rste außerkultische Aufgabe der Kirche“ fassen: Wesen der Kirche, 286. 627 Akt und Sein, 128. 628 Vgl. ebd., 133. 153. 629 Ebd., 133. Der Theologie ist der Glaube also nur insofern zugänglich, als er in reflexiv zugänglichen religiösen Vollzügen (Gebet, Willensumkehr etc.) erscheint. Genau dies, dass der an sich unzugängliche Glaube als Gläubigkeit, als Religion und damit als „Menschenwerk“ Gestalt annimmt, gehört aber zu seinem Wesen: ebd., 153f. 630 Vgl. die Verwendung des Begriffs ebd., 129. 631 Der actus directus fungiert letztlich als Platzhalter für den Tatbestand, dass die Wirklichkeit des intentionalen Glaubens über das der Reflexion zugängliche Bewusstsein von ihm hinausgeht – was Bonhoeffer später bekanntlich mit der Wendung vom „unbewußten Christentum“ und der Forderung der „nicht-religiöse[n] Interpretation der biblischen Begriffe“ aufnimmt: Widerstand und Ergebung, 529. 545, auch Ethik, 162 (mit Anm. 95).

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macht, ist sie vom existentiellen Wissen geschieden und hat ihr Recht deshalb nur als kirchliches Wissen: Sie darf nur dort getrieben werden, „wo die lebendige Christusperson selbst gegenwärtig ist und dies Seiende zerbrechen oder sich zu ihm bekennen kann“.632 Auf der anderen Seite bietet die Theologie – unbeschadet dessen, dass sie nicht wie das Christuswort der Predigt „schöpferisch reden kann“633 – durch ihre Arbeit am Dogma634 der zukünftigen Predigt eine Grundlage. Ihre Gestaltungskraft ist „als Korrektur der Gemeindetheologie“635 darum unverzichtbar und, insofern sie der Wortverkündigung dient, letztlich auch für den existentiellen Akt von mittelbarer Bedeutung.636 Insgesamt betrachtet ist es ein bedeutsames Ergebnis der erkenntnistheoretischen Grundlegung in „Akt und Sein“, dass reflexives Den632 Akt und Sein, 129; die Fortsetzung: „Theologie muß deshalb in unmittelbarem Bezug zur Predigt stehen, sie vorbereitend und doch immer wieder demütig von ihr sich ‚richten’ lassend.“ Die „Demut der Theologie“, von der hier die Rede ist, bezieht sich also, wissenschaftstheoretisch gesprochen, auf die Bewährung ihrer Sätze. 633 Ebd. 634 Vgl. dazu die Definition in: Wesen der Kirche, 286. 635 Theologie und Gemeinde, 496. 636 Damit ist auch die kritische Funktion der Theologie zumindest grob umrissen. Eine weitere Erörterung beträfe die Frage, ob Bonhoeffers Zweckbestimmung der Theologie (Dienstfunktion an der Kirche) nicht die zweckfreie Sachlichkeit der Wissenschaft restringiert. Beobachten lässt sich hierzu jedoch schon in Akt und Sein, 133, dass Bonhoeffer die Theologie, insofern sie sich als Lehre auf Seiendes bezieht, als „autonomes Denken“ bezeichnen kann – das gerade als solches Christus und der Kirche dient. Entsprechend der Grundausrichtung, dass die Betonung des Zwecks nicht auf Kosten des Selbstzwecks zu denken ist, gehört es dann nach Ethik, 270, zu Verantwortlichkeit einer Wissenschaft, dass ihre Funktionsbestimmung nicht die Sachgemäßheit, die Hingabe an die Sache verdunkeln darf – sondern ihr umgekehrt durch die vorbehaltlose Hingabe an die Sache am besten gedient ist. Kritisch zu erörtern bleibt aber die grundsätzliche Frage, ob Bonhoeffers kategoriale Fassung seiner Leitdifferenz von actus directus und actus reflexus dem komplexen Verhältnis von Glaube und Erkennen wirklich gerecht wird. (Vgl. Sätze wie ebd., 153: „Daß nicht der Glaube als opus, sondern Christus rechtfertigt, weiß der Glaube selbst; es braucht ihm nicht durch eine Reflexion gesagt zu werden, die zudem etwas ganz anderes sagt, indem sie den Glauben in Anfechtung bringt.“) Der Struktur nach stellt sich Bonhoeffer hinter Schleiermachers Rezeption von Anselms ‚credo ut intelligam’ als Grundprinzip der Dogmatik (vgl. F. SCHLEIERMACHER, CG2 Deckblatt, I, 1), ohne aber hinreichend deutlich zu machen, inwiefern ein Wachstum der Erkenntnis auch den Glauben fördern kann. Die fides qua creditur bekommt so eine problematische logische Priorität: „Die Wissenschaft wird zu einer Wissenschaft vom Glauben, während sie einst eine Wissenschaft für den Glauben war.“ (R. BULTMANN, Theologische Enzyklopädie, 17 (Hervorheb. im Orig.), vgl. A. SCHLATTER, Dogma, 112; CH. TIETZ-STEIDING, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft, 314). Anders gesagt: Im Konfliktfall von Glaube und Erkennen müsste nach Bonhoeffer der Fehler immer auf der Seite des Letzteren liegen. Das entspricht dem Strukturproblem einer zweifachen Erkenntnisordnung, welches auch schon bei M. Kähler aufgefallen war (vgl. unten, 1.2.1.).

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ken auch mithilfe philosophischer Selbstbegrenzungsoperationen nicht zu einem „echten Außen“ und zu einer durch es begrenzenden Wirklichkeit durchdringen kann. Bonhoeffers Antrittsvorlesung und sein 1932 erschienener Aufsatz „Concerning the Christian idea of God“ führen diesen Gedanken fort und lassen die Entscheidung seiner Ethik, von der einen Wirklichkeit Gottes in der Weltwirklichkeit auszugehen, begründet erscheinen. Im Blick auf die These von der Theologie als Funktion der Kirche bzw. auf die Forderung, die Kirche „vor der Klammer“ der Theologie zu denken, ergibt sich dann allerdings die nicht unerhebliche Schwierigkeit, wie sich universale Christuswirklichkeit und partikulare Wirklichkeit der Kirche zueinander verhalten. Die Begrenztheit der Gotteswirklichkeit auf die Kirche, welche einer an diese gebundenen Theologie den Vorwurf der Gettoisierung hätte einbringen können, scheint zugunsten einer universal-prinzipialisierten Perspektive der Theologie, welche jede Aufteilung der Wirklichkeit negiert, verabschiedet worden zu sein. Es entspricht Bonhoeffers erkenntnistheoretischer Argumentation, dass die Hauptdifferenz zwischen Theologie und Philosophie nicht auf der Ebene der Reflexion gesucht werden kann, sondern darin, dass der Theologie ein unmittelbarer actus directus zu berücksichtigen aufgegeben ist.637 Ohne eine solche Bestimmung verbleibt philosophisches Denken (wie auch eine dieses besonderen Erkenntnisbereiches nicht bewusste Theologie) innerhalb der Kategorie der Möglichkeit; „it can never be a thinking in reality. It can form a conception of reality, but conceived reality is not reality any longer.”638 Der egozentrische Ansatz einer idealistischen Erkenntnistheorie, so lautet Bonhoeffers Fazit, erscheint im Licht der Theologie nicht nur als Täuschung, sondern als gewaltsame Selbstbemächtigung des cor curvum in se und ist deshalb Kennzeichen des Menschen im status corruptionis.639 Damit Theologie das Denken unter dem Begriff der Möglichkeit hinter sich lassen kann, hängt für sie nun also alles daran, dem actus directus, welcher den Menschen vor die Wirklichkeit Gottes stellt, Rechnung zu tragen.640 Obschon sich selbst immer als Reflexion vollziehend hat sie die Realität Gottes als Voraussetzung ihres Denkens von Realität anzuerkennen.641 Nimmt man diese erkenntnistheoretische Überzeugung mit dem früheren Gedanken zusammen, dass die Heilstat Christi als Realität bezüglich der ganzen Menschheit zu denken ist, dann ergibt sich eine 637 638 639 640 641

Theology of Crisis, 448. Concerning the Christian idea of God, 424. Vgl. ebd., 424f.; Antrittsvorlesung: Die Frage nach dem Menschen, 369. Vgl. ebd., 375. Vgl. Concerning the Christian idea of God, 424.

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sachlich begründete Linie zur pointierten These von Bonhoeffers Ethik: „Es gibt nicht zwei Wirklichkeiten, sondern nur eine Wirklichkeit, und das ist die in Christus offenbargewordene Gotteswirklichkeit in der Weltwirklichkeit. An Christus teilhabend stehen wir zugleich in der Gotteswirklichkeit und in der Weltwirklichkeit. Die Wirklichkeit Christi fasst die Wirklichkeit der Welt in sich. Die Welt hat keine eigene von der Offenbarung Gottes in Christus unabhängige Wirklichkeit.“642 Dass eine solche These ihre eigene Problematik besitzt, ist offensichtlich und zum Gegenstand kritischer Erörterungen geworden: Keine Wirklichkeit außerhalb ihres In-bezug-auf-Offenbarung-Seins zu verstehen scheint eine Einheit des Wirklichkeitsganzen zu unterstellen – eine solche Einheit, welche Spannungen und Divergenzen durch das integrative Verfahren einer christologischen Verallgemeinerung enteschatologisiert und neutralisiert.643 Was schon am theologischen Wissenschaftsbegriff in „Sanctorum Communio“ zu beobachten war, dass nämlich die soziologische Perspektive zwar nicht mit der theologischen identifiziert, aber doch so in den theologischen Rahmen integriert wurde, dass ihr kein eigenständiger Status mehr zukommen konnte,644 wird nun grundsätzlich gefasst und auf die Betrachtung der ganzen Weltwirklichkeit ausgedehnt. Bonhoeffers Konzeption mag an dieser Stelle die Gefährdung eines „theologischen Reduktionismus“645 in sich tragen – seine zumindest in den Fragmenten der „Ethik“ und „Widerstand und Ergebung“ erkennbare Denkbewegung kann indes als Weiterführung und als Reflex des theorieimmanenten Problemdrucks gelesen werden. Sie eröffnet die Möglichkeit erhellender Klarstellungen: Die Zuordnung von Christuswirklichkeit und Weltwirklichkeit entspricht nicht einem limitativen, sondern einem reziproken Verhältnis, so dass die Ausdehnung der integrativen Christusperspektive das Weltsein der Welt nicht einschränkt, sondern zuallererst ermöglicht und eine „Polyphonie“ selbständiger Perspektiven, mithin eine eschatologische Spannung angemessen gedacht werden kann.646 642 Ethik, 43 (Hervorheb. im Orig.). 643 So konzentriert in der Monismus-Kritik von R. MAYER, Christuswirklichkeit, 166. 280f. 283 u.ö. und in der ins Metatheoretische gewendeten Kritik einer christologischen Verallgemeinerung als einer Spielart der theologia crucis naturalis bei O. BAYER, Christus als Mitte, 260-262; ders., Theologie, 511ff. 644 Vgl. Sanctorum Communio, 39. 77; dazu J. v. SOOSTEN, Sozialität der Kirche, 245. 247. 263. 645 Ebd., 265. 646 Es ist ein wichtiger Gedanke der Gefangenschaftsbriefe, dass durch eine integrative Denkweise die Wirklichkeit des Lebens „nicht in eine einzige Dimension zurückgedrängt“ ist (Widerstand und Ergebung, 453), sondern – hier setzt Bonhoeffers Ver-

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Fassen und konkretisieren lässt sich die damit umrissene Denkbewegung vor allem in Bonhoeffers Unterscheidung von prinzipieller und polemischer Einheit647 und in seiner Unterscheidung einer das „Letzte“ geltend machenden Christonomie, welche die Autonomie des „Vorletzten“ (Familie, Kultur, Obrigkeit) nicht zerstört, sondern zu ihr befreit.648 Beide Unterscheidungen sollen auf ihre Weise sicherstellen, dass die Auffassung von der Einheit des Wirklichkeitsganzen allein im Bezugsrahmen einer von der Wirklichkeit des „Letzten“ überzeugten und christliches Leben der Gegenwart grundsätzlich bestimmenden eschatologischen Glaubensperspektive besteht.649 Die Eigenart dieses integrativen Bezugsrahmens ist zu beachten, bevor die nur in ihm statthabende „Einheit“ erhoben werden kann. In Bonhoeffers Vergleich mit der musikalischen Mehrstimmigkeit ist er als cantus firmus gedacht, welcher der Polyphonie (der Mehrdimensionalität) eine Grundlage gibt. Konkret handelt es sich bei ihm um eine der Rechtfertigung des Sünders entsprechende eschatologische Urteilsperspektive, welche die gegenwärtige Wirklichkeitswahrnehmung der Glaubenden bestimmen soll.650 Sie gewährleistet es, das „Vorletzte“ der menschlichen Wirklichkeit sowie die menschliche Verantwortlichkeit für diese ernst zu nehmen, und zwar so, dass ihre Selbständigkeit weder zerstört noch sanktioniert zu werden braucht.651 Die grundsätzliche Urteilsperspektive erlaubt es somit zwar, die Welt besser zu verstehen, als sie sich selbst versteht, entscheidend ist aber, dass ihr diesseitig-mündiger Charakter nicht in irgendeiner Form religiös angereichert oder gedeutet wird:652 Im Licht der Versöhnungstat Christi

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gleich mit der musikalischen Mehrstimmigkeit an – der cantus firmus eine solche Polyphonie erlaubt, welche Eigenheit und „volle Selbstständigkeit“ der kontrapunktischen Themen einschließt (ebd., 440f.). Die damit angesprochene reziproke Denkbewegung wird im Blick auf die Zuordnung von göttlichem und menschlichem Wirken berücksichtigt bei H.-J. ABROMEIT, Geheimnis Christi, 261ff. (mit dem Verweis der Verwendung des Begriffs „Reziprozität“ bei R. Bohren). Erhellend wäre hier m.E. vor allem ein Verweis auf den Gedanken der Reziprozität und der triadischen Zuordnung von göttlichem und menschlichem Wirken in der „erotischen Philosophie“ des katholischen Philosophen FRANZ V. BAADER (SW VIII, 206; X, 135f.). Interessant ist dabei nicht nur, dass Baader zu einer vollen Selbständigkeit menschlicher Liebe gelangt – sondern dass umgekehrt auch Bonhoeffer seine Gedanken auf das Phänomen der Liebe anwendet (vgl. „erotische[...] Liebe“, Widerstand und Ergebung, 440). Bonhoeffer scheint Baader zumindest partiell wahrgenommen zu haben, vgl. Sanctorum Communio, 118, Anm. 42, dazu auch 267, Anm. 149. Ethik, 45. 265. Vgl. ebd., 150f. 405f. Vgl. ebd., 45: Zwischen Christlichem und Weltlichem besteht „eine allein in der Christuswirklichkeit und das heißt im Glauben an diese letzte Wirklichkeit gegebene Einheit.“ Vgl. ebd., 137. 142. 151. Vgl. ebd., 149. 151. Widerstand und Ergebung, 479f. Dies hat auch Konsequenzen für die Betrachtung des natürlichen Lebens: Ihm muss nicht erst ein (christlicher) Zweck unterlegt wer-

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gibt es „echte Weltlichkeit“, weil das Weltliche weltlich sein darf und nicht vergöttlicht werden muss.653 Es ist also der Struktur der Christuswirklichkeit keineswegs äußerlich, dass sie einer eschatologischen Glaubensperspektive zugehört, für welche die Wirklichkeit in Jesus Christus personhaft vorstellig wird.654 Die Einheit dieser Wirklichkeit ist darum ausschließlich in der Person Christi und allein im Glauben, nicht im Schauen gegeben. Das ist der Hintergrund dafür, dass Bonhoeffer die „prinzipielle Einheit“ von Christlichem und Weltlichem ablehnt.655 Diese Abgrenzung ermöglicht ihrerseits zweierlei festzuhalten: dass es einerseits selbstverständlich andere „Wirklichkeiten“ bzw. Wirklichkeitsbegriffe gibt, diese aber andererseits unter der Absehung der personhaften Wirklichkeit Christi als „Abstraktionen“ zu beurteilen sind.656 Im Unterschied zu einer „prinzipielle[n] Einheit“ muss die Einheit in der Christuswirklichkeit so verstanden werden, das die eschatologische Spannung und die Nichtidentität von Christlichem und Weltlichem gewahrt bleibt. Bonhoeffer verwendet dazu den Begriff „polemische Einheit“ und nimmt in diesem Sinn Luthers Unterscheidung der beiden Regimente auf.657 Wie diese Einheit konkret gedacht werden muss, lässt sich in Bonhoeffers kritischer Anwendung auf den Kulturprotestantismus demonstrieren: Hier würden unter der Missachtung der einen Christuswirklichkeit Christliches und Weltliches als zwei Räume aufgefasst. Das Weltliche erschiene dabei bereits in seiner ihm eigenen Selbständigkeit gerechtfertigt. Von einem solchen partialen, dem neuzeitlichen Religionsbegriff und einer ausdifferenzierten Gesellschaftsform entsprechenden Verständnis ausgehend versuche man dann das Verhältnis dieses Weltlichen zum Christlichen einlinig über die Denkfigur des Kompromisses zu bestimmen.658 Sich gegenüber diesem kulturprotestantischen Verfahren der „polemischen Einheit“ in der Christuswirklichkeit gewahr zu sein, würde in diesem Fall die Maxime erforderlich machen, dem sich verselbständigenden und dem Anspruch des „Letzten“ sich entziehenden Weltlichen vom Christlichen her polemisch zu widersprechen.659

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den, es kann vielmehr in seiner Selbstzwecklichkeit gewürdigt werden (vgl. Ethik, 179f. 182). Ebd., 404f.; vgl. auch 49. 149. 263. 266. Zum Personhaften des Wirklichkeitsbegriffs v.a. ebd., 261: Die Wirklichkeit ist dem gemäß zuerst und zuletzt nicht als Neutrum, sondern als der in Jesus Christus Wirkliche zu bestimmen. So der Zusammenhang in ebd., 265f. Das betrifft ein empirisch-vulgäres Wirklichkeitsverständnis ebenso wie die „falsche“ sündige Wirklichkeit unter der Gewalt des Teufels, vgl. ebd., 39. 51, auch 61. 261. Ebd., 45. Ebd., 42f. 144f.; vgl. auch Widerstand und Ergebung, 479; E. FEIL, Theologie Dietrich Bonhoeffers, 307ff. 339ff. Ethik, 45; vgl. 147f. Im Duktus von Bonhoeffers „Nachfolge“ gesagt in ebd., 145: Die Rechtfertigung des Sünders würde ansonsten prinzipiell zur Rechtfertigung des Vorletzten und Bestehenden missbraucht.

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Hat man Bonhoeffers Gedankengang bis hierher nachvollzogen, lässt sich schließlich auch die Frage beantworten, wie sich der eine Raum der universalen Christuswirklichkeit mit der von Bonhoeffer strikt festgehaltenen Unterschiedenheit von Kirche und Welt verhält – ohne in die Vorstellung zweier abgegrenzter Räume zurückzufallen. Oder anders formuliert: Worin die Partikularität der Kirche im Gegenüber zur Partialität einer eine gesellschaftliche Teilfunktion einnehmenden „Religionsgesellschaft“ nun eigentlich besteht.660 Schon in „Sanctorum Communio“ war erkennbar, dass Bonhoeffer die universale Reichweite, die Unbegrenztheit der Christuswirklichkeit und die Begrenztheit ihrer aktualen Geltung und ihres Wirklichwerdens im Raum der Kirche zusammendenkt. Solche Aussagen finden sich auch in den Fragmenten der „Ethik“ und markieren eine Kontinuität in seinem Denken.661 Insofern aber, der theologischen Entwicklung von Bonhoeffers Denken folgend, das universale und entgrenzende Moment eine Vertiefung erfährt und außerdem durch die Erfahrung des Kirchenkampfs, dass nämlich auch Menschen außerhalb der Kirche gerecht und christlich handeln, verstärkt wird,662 spitzt sich die Frage auf Reichweite und Grenze der sichtbaren Kirche, mithin auf deren Ausschließlichkeitsanspruch zu.663 Diese Frage wird in Bonhoeffers Ethik darum auch ausführlich erörtert. Bonhoeffer ordnet die Kirche hier in die Reihe der göttlichen Mandate ein – dies aber in einer solchen Weise, dass einer kulturprotestantischen Reduzierung auf eine gesellschaftlich-kulturelle Teilfunktion gewehrt ist: Im Sinne der ‚polemischen Einheit’ greift die Kirche in die anderen drei Mandate (Arbeit, Ehe, Obrigkeit) ein.664 Denn aufgrund 660 Ebd. 48. 54. 661 Besonders ebd., 409. Vgl. zu diesem Sachverhalt G.L. MÜLLER, Für andere da, 171ff. (seine Interpretation zeichnet sich dadurch aus, dass sie der eschatologischen Spannung durchgehend Rechnung trägt), zu den Veränderungen im Raumbegriff auch: E. FEIL, Theologie Dietrich Bonhoeffers, 304, Anm. 59. 662 Vgl. vor allem den Hinweis auf diese Erfahrungen in Ethik, 345. 349, auch 162. In diesem Zusammenhang wäre auch der Begriff vom „unbewußten Christentum“ zu erörtern; vgl. die Anspielung in ebd., 344 („unbewußtes Wissen“) und die Randnotiz nach ebd., 162, Anm. 95. 663 Hier wäre nur an frühere Aussagen in Sanctorum Communio, 99, oder auch an die berühmte These in: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, 676, zu erinnern: „Extra ecclesiam nulla salus. Die Frage nach der Kirchengemeinschaft ist die Frage nach der Heilsgemeinschaft. Die Grenzen der Kirche sind die Grenzen des Heils. Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil.“ Dies Stellen bedürfen einer genauen Interpretation (vgl. schon die Präzisierung ebd., 677) – zumal nicht erst der späte Bonhoeffer von einer „Ortlosigkeit“ der Kirche spricht (Wesen der Kirche, 246. 248). Vgl. zu dieser Problematik schon die Ausführungen von H. MÜLLER, Von der Kirche zur Welt, 181-196. 664 Ethik, 54. 59.

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie

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der universalen Reichweite des Handelns Christi erstreckt sich ihr Mandat „über alle Menschen und zwar innerhalb aller anderen Mandate.“665 Diese übergreifende Reichweite ist auch Grundlage ihrer Missionstätigkeit.666 Im Blick auf den Raum der Kirche und dessen Begrenztheit bedeutet dies: Natürlich bedarf eine Kirche, deren Sichtbarkeit schlechterdings nicht zu leugnen ist, eines (schon äußerlichen) Raumes in der Welt.667 Entscheidend ist aber, dass in diesem Raum die universale Christuswirklichkeit offenbar wird, welche diesen Raum durchbricht. „Dieser Raum der Kirche ist also nichts für sich selbst Bestehendes, sondern etwas immer schon weit über sich Hinausgreifendes [...] Der Raum der Kirche ist nicht dazu da, um der Welt ein Stück ihres Bereiches streitig zu machen, sondern gerade um der Welt zu bezeugen, daß sie Welt bleibe, nämlich die von Gott geliebte und versöhnte Welt. [...] Die Kirche kann ihren eigenen Raum auch nur dadurch verteidigen, daß sie nicht um ihn, sondern um das Heil der Welt kämpft. Andernfalls wird die Kirche zur ‚Religionsgesellschaft’, die in eigener Sache kämpft, und damit aufgehört hat, Kirche Gottes in der Welt zu sein.“668 Die Kirche ist also als der Ort zu begreifen, an dem der cantus firmus der Christuswirklichkeit gegenwärtig ist, in ihr verwirklicht sich die Gestalt Christi mitten in der Welt.669 Sie steht damit „an der Stelle, an der die ganze Welt stehen sollte; insofern dient sie stellvertretend der Welt, ist sie um der Welt willen da.“670 Nimmt man diese Gedankenlinien zusammen, so ist damit eine „doppelte[...] göttliche[...] Bestimmung“ skizziert, welche sich in der „Ausrichtung auf die Welt“ (Zweck) und der „Ausrichtung auf sich selbst als der Stätte der Gegenwart Jesu Christi“ (Selbstzweck) vollzieht.671 Die Überzeugung schließlich, dass die Christuswirklichkeit über den begrenzten Geltungsraum der Kirche hinausgreift, ermöglicht es dem späten Bonhoeffer, ein Christentum außerhalb der Kirche auch theologisch einzuholen. In den Fragmenten seiner „Ethik“ gebraucht er 665 666 667 668 669 670 671

Ebd. Vgl. Wesen der Kirche, 302. Ethik, 48. Ebd., 49f. Ebd., 126. Ebd., 408. Ebd., 409. Auf diesem Hintergrund lässt sich auch die Forderung Bonhoeffers verstehen, das Sein der Kirche für andere bedürfe einer identitätssichernden, das Christusbekenntnis bewahrenden Arkandisziplin. Vgl. Wesen der Kirche, 285; Widerstand und Ergebung, 405. 415. Dazu weiter: A. PANGRITZ, Dietrich Bonhoeffers Forderung einer Arkandisziplin, 127ff. 399ff.; H.-J. ABROMEIT, Geheimnis Christi, 150ff., und schon H. MÜLLER, Von der Kirche zur Welt, 393-400.

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dazu die Unterscheidung und Zuordnung des Absolutheitsanspruchs und des Ganzheitsanspruchs Christi: Der Ganzheitsanspruch folgt dem Logion Jesu: „Wer nicht wider uns ist, der ist für uns“ (Mk 9,40) und öffnet die „Grenzen der Zugehörigkeit“ zu ihm auch für unbewusste, aber dem Namen Christi gemäß handelnde Menschen.672 Der Absolutheitsanspruch folgt dem Logion: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich“ (Mt 12,30) und entspricht ebenfalls der Erfahrung des Kirchenkampfs, dass nämlich der äußere Druck zur Sammlung einer bekennenden, sich ihrer Identität bewussten Gemeinde führt, welche ihrerseits für die ihr Entfremdeten, des Schutzes und der Hilfe Bedürftigen offen ist. Für die Zuordnung von Absolutheitsanspruch und Ganzheitsanspruch gilt die reziproke Struktur der ‚Polyphonie’: „Je ausschließlicher, desto freier. Der isolierte Ausschließlichkeitsanspruch aber führt zu Fanatismus und Sektiererei, der isolierte Ganzheitsanspruch zur Verweltlichung und Selbstpreisgabe der Kirche. Je ausschließlicher wir Christus als unseren Herrn erkennen und bekennen, desto mehr enthüllt sich uns die Weite seines Herrschaftsbereiches.“673

672 Ebd., 344. 673 Ebd., 346f. Es bedarf kaum des Hinweises, dass Bonhoeffers Konzeption jenseits der Alternative von Kirche als Fremdlingsgemeinschaft bzw. „Kontrastgesellschaft“ und Kirche als „öffentlicher Kirche“ zu stehen kommt; vgl. die populär gewordene Unterscheidung z.B. bei W. HUBER, Kirche in der Zeitenwende, 100f. Wie zu sehen war, kann Bonhoeffer ersteres in seiner Frontstellung gegen den Kulturprotestantismus im Sinne der ‚polemischen Einheit’ geltend machen (vgl. Ethik, 291). Die Stoßrichtung seiner „Nachfolge“ liegt weitgehend auf dieser Linie (vgl. Nachfolge, 276), während in der Ethik stärker die öffentliche Verantwortung der Christen in der Welt hervorgehoben wird.

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie 1.

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1.1.7. Topographie neuerer Positionen ab der Mitte des 20. Jahrhunderts Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie Nach der analytischen Aufarbeitung markanter Programme, die für die moderne Diskussion der Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche als theologiegeschichtlich bedeutsam angesehen werden können, soll eine Topographie signifikanter neuerer Positionen ab der Mitte des 20. Jahrhunderts geboten werden. Ähnlich einer an Berggipfeln sich orientierenden Topographie, wie sie von einem Panoramapunkt aus entworfen ist, wird hier also keine Vollständigkeit angestrebt. Zur Darstellung kommen für die Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche signifikante Positionen, welche sich zur exemplarischen Vertiefung des an den analysierten Programmen gewonnenen Problemlösungspotentials und zu dessen Weiterführung im Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen von Theologie und Kirche eignen.

1.1.7.1.

Diskussionen um die kirchliche Theologie: Hermann Diem und Hans Joachim Iwand

Hermann Diem wandte sich dem Sachverhalt zu, dass unter dem Eindruck des vergangenen Kirchenkampfs das Verhältnis von „Kirchlichkeit“ und „Wissenschaftlichkeit“ in der Theologie einem problematischen Verständnis ausgesetzt war (vgl. die Strukturparallele der Situation nach Schleiermacher: 1.1.2.) und darum auch die von ihm im Gefolge Barths vertretene These der Theologie als Funktion der Kirche unter den spezifischen Bedingungen der deutschen Neuordnung der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg präzisierungsbedürftig war. Seine Schriften „Restauration oder Neuanfang in der evangelischen Kirche?“ (1946) und „Der Abfall der Kirche Christi in die Christlichkeit“ (1947) richteten sich zunächst gegen eine Kirchlichkeit, welche ihre wiedererlangte Deutungshoheit des Prädikats „christlich“ unter Ausnutzung der konjunkturell bedingten gesellschaftlichen Offenheit nach dem Krieg zum kulturell-politischen Anspruch gegenüber Gesellschaft und Staat aufbauen zu können meinte. Zum Zweck dieser, letztlich der Sicherung des eigenen kirchlichen Bestands betriebenen klerikalen Vereinnahmung der Gesellschaft werde von den Protagonisten auf die Bedeutung des Christlichen für die Geschichte und für die kulturellen Errungenschaften des Abendlandes sowie auf einen problematischen „Öffentlichkeitsanspruch“ der Kirche verwiesen.1 Nach innen hingegen 1

Vg. H. DIEM, Restauration, 41-44; ders., Abfall, 45ff. 53.

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führe dieses Interesse – wie Diem in Württemberg vor Augen hatte – zur Fokussierung auf eine kirchliche Verwaltungsinstitution (Oberkirchenrat), welche die Einzelgemeinden auch in ihrer geistlichen Verantwortung weitgehend entmächtige.2 Diem sieht die Früchte des Kirchenkampfes, dem Glauben und der Verkündigung etwas zuzutrauen und sich darin vor der Welt zu bewähren, gefährdet. Es kann nicht ausbleiben, dass der sich durch den Kirchenkampf als legitimiert betrachtende klerikale Anspruch auch auf die theologische Wissenschaft Einfluss zu nehmen versucht – eben im Sinne der Betonung ihrer Kirchlichkeit.3 Gegenüber der damit einhergehenden Gefahr, dass „die ‚Kirchlichkeit’ der Theologie zu einer Bestimmung neben und im Gegensatz zu ihrer Wissenschaftlichkeit“ oder gar „als Privileg zur Errichtung eines geistlichen Naturschutzparkes mißbraucht“ werden könnte,4 ist es für Diems theologische Enzyklopädie programmatisch, dass Theologie als „kirchliche Wissenschaft“ gefasst wird. Der kirchliche Bezug verweist allerdings darauf, dass Wissenschaftlichkeit, darin folgt er Barth, nicht Einordnung in einen allgemeinen Wissenschaftsbegriff bedeutet, sondern eine von ihrem gegebenen besonderen Gegenstand bestimmte Wissenschaftlichkeit. Der Gegenstand der Theologie besteht nämlich im „Geschehen der Bezeugung des Wortes Gottes durch Menschen“;5 ihre Aussagen sind „aposteriorische Aussagen“, welche sich nicht selbst unmittelbar auf die Offenbarung Gottes in Christus beziehen, sondern auf das im Raum der Kirche Vernommene und Weitergesagte. In diesem Sinn kann Theologie dann auch Funktion der Kirche sein, welche, um ihrer kritisch-konstruktiven Aufgabe der Prüfung sachgemäßer Kontinuität der Verkündigung der Kirche mit dem von ihr vernommenen Reden Gottes in seiner Offenbarung gerecht zu werden, gegenüber „klerikalen Herrschaftsansprüchen [...] unbedingt frei bleiben muß.“6 Die genannte dogmatische Aufgabe 2 3

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Ders., Restauration, 52ff. Dieser Hintergrund von Diems Werk „Theologie als kirchliche Wissenschaft“ (1951) ist zu beachten, vgl. nur die Einleitung (ebd., 7ff.: Streit um Bultmann) und das Nachwort (ebd., 279). Zum weiteren Hintergrund auch das Diskussionsforum über das Verhältnis von wissenschaftlicher Theologie und Kirche in ThLZ 72 (1947), 157ff., v.a. die Thesen von O. DIBELIUS, Achtzehn Sätze! An die anders gelagerten Thesen von J. SCHNIEWIND, Verkündigungscharakter, 167f., hat später E. JÜNGEL, Theologische Wissenschaft und Glaube, 26f., angeknüpft. H. DIEM, Theologie als kirchliche Wissenschaft, 24. 25. Ebd., 27. Ebd., 22. Vgl. auch die Definition in: ders., Bibel, 34 (Hervorheb. von H.-M. R.): „Die Aufgabe der christlichen Theologie besteht darin, daß die Kirche sich selbst und der Welt aposteriorisch-analytisch Rechenschaft gibt über die sie konstituierende Verkündigung, indem sie diese Verkündigung kritisch befragt auf ihre Identität und Kontinuität mit der durch die Bibel bezeugten Offenbarung.“

Das Verhältnis in der neueren protestantischen Theologie

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der Prüfung sachgemäßer Kontinuität ist von der historisch-exegetischen Wahrheitsfrage, bei Diem gefasst als Frage nach der Kontinuität der Verkündigungsgeschichte, in welcher sich Jesus Christus als Initiator und Gegenstand durchhält, zu unterscheiden. Zugleich bleibt sie allerdings auf die historisch-exegetische Wahrheitsfrage bezogen – nämlich als Frage nach der in der Verkündigungsgeschichte in Anspruch genommenen Subjektidentität des verkündigten Christus mit dem irdischen Jesus von Nazareth.7 Johannes Wirsching hat in seinem Beitrag zur Festschrift Diems die Kirchlichkeit der Theologie und insbesondere die Formel der Theologie als Funktion der Kirche in einer auf kirchliche Nützlichkeit abgestellten Auffassung vor Augen. Die einlinige, am Leitfaden des Zweckgedankens orientierte und so spannungslose Zuordnung von Theologie und Kirche sieht er schon bei Schleiermacher am Werk, wie Diem dann auch in den Nachwirkungen des Kirchenkampfs. Im Rückgriff auf H.-J. Iwand (und auch H. Gollwitzer) plädiert er dagegen für eine „dialektisch[...] geschärfte[...] Spannung“ zwischen Theologie und Kirche – zwischen beide müsse nämlich das Bibelwort treten, das allein pragmatisches Zweckdenken aufzubrechen in der Lage sei.8 Hans Joachim Iwand strukturierte in der Tat das Verhältnis von Theologie und Kirche als indirekte Wechselwirkung durch den Bezug auf ein Drittes, nämlich auf das Wort Gottes: „Wo immer Theologie und Kirche kontingent und ereignishaft aufeinander bezogen bleiben, wo die Theologie die Kirche nötigt, um des Wortes willen Kirche zu sein, und wo die Kirche die Theologie daran mahnt, um eben dieses Wortes Gottes willen Theologie zu sein, wo so einer den anderen an das Wort Gottes, das heißt aber an die ursprüngliche Wahrheit, erinnert und deren Offenbarung neu erwartet, da ist ein Drittes in die Mitte getreten, welches so den theologischen Systemen des 19. Jahrhunderts unbekannt ist. Daß zwischen Theologie und Kirche – frei und keinem untertan! – das Wort Gottes tritt, trennend und verbindend, daß einer den anderen von dorther findet oder verliert, daß nichts beide so ei-

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Vgl. die kleine Schrift „Der irdische Jesus und der Christus des Glaubens“ (v.a. 9-11. 19). Art und Funktion des historischen Kontinuitätsaufweises sind gegenüber dem Entwurf A. Ritschls deutlich verschoben. Diem knüpft an die Begrenzung der historischen Fragestellung bei Kähler und Barths Unterscheidung von allgemeiner und besonderer Geschichtlichkeit an. Das dadurch gewonnene geschichtlich-gegenständliche Kontinuitätskriterium verändert allerdings Barths Lehre der dreifachen Gestalt des Wortes nachhaltig, insofern für diese das Kriterium nichtgegenständlichunverfügbar, zugleich aber im Medium zweier Gestalt-Gehalt-Relationen bestimmbar bleibt. J. WIRSCHING, Von der Kirchlichkeit der Theologie, 123. Bei H. GOLLWITZER handelt es sich um dessen Beitrag „Die Bedeutung des Bekenntnisses für die Kirche.“

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nander bindet wie dieses, nichts sie so tief voneinander trennt wie eben wieder dieses, das ist das Neue, welches im Verhältnis von Theologie und Kirche an den Tag getreten ist.“9 Wenn Iwand in diesem Zusammenhang von einer gegenüber dem Neuprotestantismus neuen Verhältnisbestimmung redet und dies andernorts in einen „Prinzipienstreit innerhalb der protestantischen Theologie“ einordnet, welcher sich am Verständnis der Wortes Gottes entscheide,10 so ist dies bereits Ausdruck einer schrittweisen Annäherung an K. Barths Wort-Gottes-Theologie.11 Das darf allerdings nicht verkennen lassen, dass sein Ansatz durch die Verankerung des Gottesworts in einer spezifisch lutherischen, erkenntnistheoretisch zugespitzten theologia crucis ein eigenständiges Gepräge besitzt. Mit ihrer Hilfe verarbeitet er nicht nur das, was sich ihm im Blick auf die nationalsozialistische Herrschaft als Zusammenbruch der Volkskirche, als Versagen des Protestantismus (in seiner neuprotestantischen wie konservativen Form!), letztlich als verlorener Kirchenkampf darbot, von ihr aus gewann er auch seine neue Verhältnisbestimmung von Christentum und Kultur bzw. Kirche und Gesellschaft.12 Einige Grundlinien dieses theologischen Profils seien an dieser Stelle skizziert: Jenes Dritte, auf das sich Theologie und Kirche beziehen, ist der Gegenstand eines theologischen Erkennens, welches wie alles Erkennen auf Vermittelndes zurückgeht. Im Gefolge von Schleiermacher und Kant wurde dieses Vermittelnde im Bereich des menschlichen Selbstbewusstseins bzw. des Gewissens, in den Variationen von Hofmann und Ritschl im wiedergeborenen Menschen bzw. in der erneuerten Gemeinde erblickt. Gegenüber diesem subjektiven Verständnis des Vermittelnden wahrt das objektive Verständnis, welches das Vermittelnde in Heilstatsachen sucht (Iwand nennt als Beispiele die Konzeptionen von Vilmar und Kähler), zwar das extra nos von Gottes heilsamer Vermittlung – dieses aber letztlich so, dass es wieder menschlicher Sinngebung übereignet wird und der Gewiss-

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H.J. IWAND, Über das Verhältnis von Theologie und Kirche, 210 (Hervorheb. gestrichen). Ders., Prinzipienstreit, 231ff. Iwand hat sich von seiner frühen Barthkritik (in: ders., Jenseits von Gesetz und Evangelium?) später distanziert, vgl. den Brief an Barth vom 31.12.1959 (in: ders., Briefe, Vorträge, Predigtmeditationen, 143) und die Disputation mit G. Wingren (H.J. IWAND, Gegenthesen zu: Zwischen Barth und Luther, 401-405). Vgl. außerdem die Darstellung der Theologie des Wortes in seiner Vorlesung: Glauben und Wissen, 183ff. Ebd., 185, wird der Vergleich von K. Barths Verständnis des Wortes Gottes mit Kants „Ding an sich“ lediglich notiert, gegenüber der früheren Barthkritik also weder zurückgenommen noch negativ bewertet. Vgl. weiter: J. SEIM, Hans Joachim Iwand, 144f. 354f. 377f. 410ff. u.ö.; G. SAUTER, Theologisches Feuer, 97ff. Vgl. dazu nur: H.J. IWAND, Kirche und Gesellschaft, 288ff. Zur Ursache des Versagens vgl. ders., Der moderne Mensch, 101: „Das Thema Offenbarung war nicht eindeutig und klar unter uns Christen.“

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heit verlustig geht.13 Troeltsch gab der Dogmatik deshalb das Fundament einer Religionsphilosophie, die das Problem jedoch nur verschob: Wer sagte, dass das religionsphilosophisch als Gott Behauptete mit dem Vater Jesu Christi identisch sei?14 Für Iwand liegt das Vermittelnde allein in Gottes Hand und erreicht den Menschen durch die Schrift. Es ist dies das extra nos des Wortes Gottes: „Das Wort schafft das unaufhebbare Gegenüber. Alle Tatsachen, auch Christus, habe ich nur im Gegenüber des Verbum“.15 – Daß nun erst das transzendent-nichtgegenständliche Wort Gottes den (Heils-) Tatsachen den Charakter der Verheißung (promissio) verleiht,16 entspricht einer theologia crucis, der zufolge der verborgene Gott im fleischgewordenen Logos gegenständlich, er in seiner Niedrigkeit a posteriori offenbar wird.17 Deshalb ergibt sich auch das, was theologisch Wirklichkeit genannt zu werden verdient, erst von hier aus.18 Luthers theologia crucis wird von Iwand also als erkenntnistheoretisches Prinzip theologischer Arbeit gefasst, in dessen Licht alle außertheologische Erkenntnis beurteilt werden muss.19 Theologie kommt zu ihren Sätzen nicht dadurch, dass sie gegebenes Endliches auf apriori-Wahrheiten bezieht und es überschreitet, sondern dadurch, dass sie – vom Offenbarwerden Gottes im Gekreuzigten ausgehend – „von einer aposteriori-Wahrheit herkommt.“20 Iwand ist überzeugt: In der Theologie „geht alles a posteriori – aber was hier a posteriori erscheint, ist das Apriori schlechthin!“21

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Ders., Glauben und Wissen, 164-173. 182f. Ders., Prinzipienstreit, 232f. Ders., Glauben und Wissen, 183; vgl. ders., Prinzipienstreit, 248f. Ders., Glauben und Wissen, 183; vgl. ders., Theologie als Beruf, 230. 233. Ders., Theologia crucis, 386. Iwand beruft sich auf Luthers 21. These der Heidelberger Disputation: ebd., 388f.; vgl. ders., Glauben und Wissen, 195! Was der Mensch abgesehen von Christus als Wirklichkeit konstituiert, ist nicht die Wirklichkeit Gottes. An dieser Stelle entsprechen sich für Iwand die erste These der Barmer Theologischen Erklärung und Luthers Wirklichkeitsverständnis; vgl. Brief an R. Hermann vom 4.4.1953 (in: ders., Briefe an Rudolf Hermann, 307). Das geschieht nach ders., Theologia crucis, 381, in Übereinstimmung mit der Interpretation von W. von Loewenich und setzt voraus, dass die theologia crucis der Heidelberger Disputation nicht lediglich ein frühes, später überwundenes Stadium der Theologie des Reformators darstellt. Vgl. dazu R. HEINRICH, Verheißung des Kreuzes, 105ff. H.J. IWAND, Theologie als Beruf, 229. Ders., Immanuel Kant, 337. Es ist ersichtlich, das Iwand das „visibilia et posteriora“ aus Luthers 20. These der Heidelberger Disputation pauschal gegen einen idealistischen Erkenntnisweg in Stellung bringt. Wenn dies auch gegenüber dem kritischen Verfahren Schleiermachers geltend gemacht wird (vgl. ders., Theologie als Beruf, 232f.), so stellt sich spätestens hier die Frage, was die von Iwand oft wiederholten Grundsätze für sein eigenes theologisches Verfahren bedeuten. An dieser Stelle bleibt auch nach der Arbeit von R. HEINRICH, Verheißung des Kreuzes, und den Aufsätzen von M. HOFFMANN, Kreuzestheologie; E. THAIDIGSMANN, Theologischer Realismus, Klärungsbedarf bestehen.

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Man wird das so verstehen dürfen: Diejenige Gotteswirklichkeit, welche Theologie aposteriorisch am Inkarnierten und Gekreuzigten wahrnimmt, wird ihr zum zentralen Gesichtspunkt einer Perspektive, in der sie sich und alles andere erfasst und beurteilt. Dieser Gesichtspunkt ist dabei kein Standpunkt des Wissens, auf den sich Theologie stellen könnte, er zeigt vielmehr den Ort an, an dem Gottes Wort, nach dem die Theologie fragt, laut wird und gibt gewissermaßen ein strukturelles Prinzip ab.22 Theologie als Wissenschaft wäre dann im Verbund aller ihrer Disziplinen nichts anderes als „die Erziehung zum rechten Fragen nach Gott“23 – eine Wissenschaft, welche sich nicht lediglich explikativ oder reflexiv-kritisch auf Gegebenes, sei es ein religiöser Lebensvollzug oder ein Wissen, bezieht, sondern eine Wissenschaft, die Neues entdecken darf.24 Dieses Neue vermag sie nur zu entdecken, wenn sie das Kreuz als Ortsanweisung begreift, um auf ihre Weise und von diesem Ort aus die Frage nach dem neuen Menschen aufzunehmen. Von daher tritt sie schon für den frühen Iwand aus dem Rahmen der anderen Wissenschaften heraus; von daher auch kann sie nicht in einer Funktion für die Kirche, für den Staat oder die Gesellschaft aufgehen.25 Der theologische Gesichtspunkt der theologia crucis bestimmt den öffentlichen Auftrag von Theologie und Kirche von einem Jenseits des politischen und gesellschaftlichen Handlungsfeldes aus und steht so sowohl einer Vereinnahmung von Theologie und Kirche als auch einer Eigengesetzlichkeit gesellschaftlicher Funktionsbereiche entgegen. In einer Vielzahl von Veröffentlichungen arbeitet Iwand nach dem Zweiten Weltkrieg das Versagen der Kirche im Nationalsozialismus auf, zu dessen Gründe er vor allem den kirchlichen Verzicht auf Öffentlichkeit zählt.26 In einer politisch ihm eigentümlichen Positionierung sieht er die Politik der Bundesrepublik Deutschland und das Verhalten der Kirchen dabei auf dem besten Wege alte Fehler zu wiederholen. Er macht dies an der These der Privatheit von Religion, der politischen Inanspruchnahme der Religion für politische (restaurative) Zwecke oder auch an der Neuetablierung des Freund-FeindDenkens im Ost-West-Konflikt fest.27 Man mag verschieden darüber urteilen, ob Iwands Vorwurf, das CDU-Programm der 50er Jahre sei die „in po-

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Vgl. H.J. IWAND, Krisis des Wissenschaftsbegriffes, 72f. Ebd., 73. Ebd., 63: „Die Wissenschaft, für die es nichts Neues, nichts Wunderbares geben darf, kommt in die fatale Ähnlichkeit mit dem Kammerdiener, für den es keine Helden gibt.“ Ebd., 72. Das geschieht auch als Auseinandersetzung um die rechte Auslegung der ZweiReiche-Lehre Luthers, vgl. ders., Widerstandsrecht der Christen, 199-229, v.a. 221. 231; die daraus resultierende Absage an „gegeneinander abgegrenzte soziologische Größen“ in der Gesellschaft, in: ders., Kirche und Gesellschaft, 290; außerdem ders., Kirche und Öffentlichkeit, 35ff.; dazu: G. DEN HERTOG, Iwands Verarbeitung der Inkarnation, 134-158; J. SEIM, Politische Predigt, 84-100. Vgl. neben den genannten Aufsätzen auch: H.J. IWAND, Gewissen und das öffentliche Leben, 125ff.

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litische Form gegossene theologia naturalis christiana“,28 auf ihn selbst insofern zurückfällt, als seine eigenen politischen Urteile einer theologia crucis naturalis folgen.29 Für die vorliegende Fragestellung ist der Begründungszusammenhang bedeutsam, aufgrund dessen er die Strukturmomente seiner Kreuzestheologie für diese Öffentlichkeitsbereiche geltend macht: Die theologia crucis steht für eine Umkehr der Werte, die von einer „Theologie der Kultur“30 im Sinne einer veränderten Wirklichkeitsbeschreibung in alle Bereiche hinein zu artikulieren und zu bestimmen ist, weil gegenüber den die Öffentlichkeit erobernden Ideologien eine ethische Gesinnung wie eine auf die private Innerlichkeit beschränkte Religion nicht ausreichen. Denn Ideologien füllen, wie die Vergangenheit lehrte, den in und durch die Innerlichkeit entstehenden „leeren Raum“ schnell auf ihre Weise auf.31 In der Perspektive der Kreuzestheologie verliert auch der Begriff der Volkskirche seine normative Aufgeladenheit; der öffentliche Auftrag der Kirche speist sich daraus, dass sie nicht um jeden Preis dem Volk dient, sondern die „mit dem Evangelium von Jesus Christus gesetzte Umkehr der geltenden gesellschaftlichen Ordnung auf sich“ nimmt.32

1.1.7.2. Paul Tillich Paul Tillich beginnt seine „Systematische Theologie“ bekanntlich mit der Formel der Theologie als einer Funktion der christlichen Kirche.33 Das Verständnis dieser Formel lässt sich nicht abgesehen von seinen früheren Arbeiten erfassen, in denen die grundsätzliche Bedeutung der Religion und die Aufgabe der Theologie für Gesellschaft und Kultur reflektiert sind.34 Sie erhellen eine spezifische kultur- und geschichtsphilosophische Perspektive, innerhalb derer die Funktionen von Religion und Theologie bestimmt werden. So kann es dann zwar durchaus mit Iwands Thematisierung eines kulturellen ‚leeren Raums’ verglichen werden, erfolgt aber auf anderen Grundlagen und führt zu völlig anderen Folgerungen, wenn Tillich – signifikant etwa in seiner späteren 28 29

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So im Brief an K. Barth vom 31.12.1959 (in: ders., Briefe, Vorträge, Predigtmeditationen, 141). Relativ ungeschützt in diese Richtung wird Iwand von R. HEINRICH, Verheißung des Kreuzes, 298ff., interpretiert. Doch die Abgrenzung Iwands von sozialistischen Weltverbesserungsprogrammen durch den Rekurs auf die am Kreuz erworbene sakramentale Gerechtigkeit (z.B. H.J. IWAND, Glauben und Wissen, 144f.) scheint nicht nur ein Differenzmerkmal unter anderen zu sein. P.-P. SÄNGER, Einführung, 169. Vgl. dazu: H.J. IWAND, Kirche und Öffentlichkeit, 20. 35f.; ders., Gewissen und das öffentliche Leben, 145. 149. Ders., Kirche und Gesellschaft, 295; vgl. ders., Kirche und Öffentlichkeit, 34; M. HOFFMANN, Kreuzestheologie, 143-151. P. TILLICH, Systematische Theologie I, 9. Vgl. schon den frühen Vortrag: „Über die Idee einer Theologie der Kultur“ (1919).

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Rede „Das geistige Vakuum“ (1948) – die Erfahrung der kulturellen Durchschlagskraft der nationalsozialistischen Diktatur dahingehend theoretisiert, dass der Verlust des geistigen Zentrums einer Kultur zu einer geistigen Leere führe, die durch totalitär aufgeladene, aber zutiefst bedingte Zentren eingenommen werden könne.35 Die gegenüber der dialektischen Theologie deutlich profilierten Grundlagen treten hervor, wenn man der für Tillichs Ansatz zentralen Bedeutung des „protestantischen Prinzips“ folgt. Denn dann wird erkennbar, dass die Formel der Theologie als einer Funktion der Kirche – anders als bei Barth und Bonhoeffer – im Gesamtrahmen einer „apologetischen Theologie“ zu stehen kommt. Diese soll nicht nur der existentiellen und kulturellen Situation des Menschen um ihrer „echt dialektische[n]“ Vermittlungsaufgabe36 willen Rechnung tragen, sie geht darüber hinaus mit der Aufgabe einer Kulturhermeneutik einher, welche Religion als unbedingtes Betroffensein in den kulturellen Schöpfungen herausstellen und zur Darstellung bringen will. Dabei soll es zu einer angemessenen „Konfrontierung“ der existentiell-kulturellen Analyse mit der christlichen Symbolisierung des unbedingten Heils kommen.37 Methodisch entspricht diesem Ansatz die „Methode der Korrelation“, die Tillich als Alternative zur naturalistischen Methode einerseits (verkörpert durch die liberale Theologie) und zur supranaturalistischen Methode andererseits (verkörpert durch die dialektische Theologie) auffasst.38 Auch hier lohnt es sich also, die Zusammenhänge im Auge zu behalten: Auf der Grundlage der Rechtfertigungslehre, wie Tillich sie bei seinem Lehrer M. Kähler als Mitte der Theologie kennen gelernt hatte, 35

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Vgl. ders., Das geistige Vakuum, 234f. Diese Rede muss im Zusammenhang der Modifikation seiner Kairos-Lehre betrachten werden; vgl. H. JAHR, Vom Kairos zur heiligen Leere, 3ff. Die frühe Form der Kairos-Lehre war durch E. Hirsch in Misskredit gebracht worden, vgl. den Vorwurf an Hirsch in ders., Offener Brief, 152: „Du verkehrst die prophetisch-eschatologisch gedachte Kairos-Lehre in priesterlichsakramentale Weihe eines gegenwärtigen Geschehens.“ Bei allen unterschiedlichen Ausprägungen und Akzentuierungen bildet demgegenüber das Moment des protestantischen Prinzips das sich durchhaltende Grundmoment der Tillichschen Theoriebildung. Von diesem wird deshalb im Folgenden ausgegangen; vgl. dazu E. STURM, Protestantismus und protestantisches Prinzip, 443-458. Als das „echt dialektische Denken“ versteht Tillich sein eigenes Denken: ders., Was ist falsch in der „dialektischen“ Theologie?, 255f., zur Mittleraufgabe der Theologie: ders., Die protestantische Ära, 13. Ders., Aspekte einer religiösen Analyse der Kultur, 107f.; vgl. ders., Systematische Theologie I, 50. Ebd., 79f.; vgl. ders., Die protestantische Ära, 25; ders., Was ist falsch in der „dialektischen“ Theologie?, 247. 255: Die fehlende Wahrnehmung der Vermittlungsaufgabe in der dialektischen Theologie wird von Tillich immer wieder durch das Stichwort „Fremdkörper“ signalisiert.

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entwickelte er sein protestantisches Prinzip, für welches die universale und unbedingte Geltung konstitutiv sein sollte.39 Insofern Barth nun dieses Prinzip in seiner kritischen und prophetischen Bedeutung – etwa gegenüber dem neuzeitlichen Autonomiestreben oder der unparadoxen Aufwertung religiöser Erfahrung – zum Zuge gebracht habe, ist ihm zuzustimmen: „Die Theologie der Krisis hat Recht, uneingeschränktes Recht in ihrem Kampf gegen jede unparadoxe, unmittelbare, gegenständliche Fassung des Unbedingten.“40 Tillichs fundamentale Kritik an der dialektischen Theologie Barths bezieht sich darauf, diese Theologie drohe zu einer heteronomen Theologie des „positiven Absurdum“ zu werden, wenn sie die der Krisis zugrunde liegende Position verdecke.41 Auch die Theologie der Krisis „hat eine Voraussetzung, die selbst nicht mehr Krisis ist, sondern Schöpfung und Gnade.“42 Für Tillich bedeutet das: Die Theologie des kritischen Paradoxes muss eine Theologie des positiven Paradoxes werden. Kulturtheoretisch gewendet: „Wo für die dialektische Theologie die [...] Formen der autonomen Kultur bestenfalls Gegenstand des göttlichen Gerichts sein können, da sind sie nach Tillich fähig, göttlichen Gehalt in sich aufzunehmen und so selbst zu heiligen Formen zu werden.“43 Dies geht mit einer von Tillich schon früh formulierten Konzeption von Theologie einher, welche nicht ein von anderen Gegenständen abgrenzbares religiöses Phänomen zum Gegenstand hat, sondern das gesamte religiöse und kulturelle Geistesleben. Tillichs Fassung des protestantischen Prinzips zwischen Naturalismus und Supranaturalismus öffnet dementsprechend den Blick „für alle Position“,44 für die religiöse Dimension des Unbedingten in allem Bedingten,45 für die religiöse Substanz der Kultur.46 Sie impliziert die 39

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Das heißt: Jede Identifikation des Unbedingten mit dem Bedingten ist zerbrochen; das Kreuz ist der anschauliche Ort von Gottes Nein und Ja über die Welt (ders., Auf der Grenze, 32). Das heißt ebenso: Als Prinzip ist die Rechtfertigung anzuwenden auch auf das Denken des Zweifelnden, ja selbst des Gottesleugners (ders., Die protestantische Ära, 14). Zum Verhältnis Tillichs zu seinem Lehrer Kähler: G. WENZ, Die reformatorische Perspektive, 62-89. Ders., Was ist falsch in der „dialektischen“ Theologie?, 224. Zum Verhältnis von Tillich zu Barth: J. TRACK, Paul Tillich und die Dialektische Theologie, 138-166, vgl. schon ders., Der theologische Ansatz. PAUL TILLICH, Was ist falsch in der „dialektischen“ Theologie?, 223. Ebd., 224. Vgl. ders., Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip, 36f. 45. H. JAHR, Vom Kairos zur heiligen Leere, 11. P. TILLICH, Was ist falsch in der „dialektischen“ Theologie?, 218. Vgl. die Definition von Religion bereits in: ders., Über die Idee einer Theologie der Kultur, 18; auch: ders., Aspekte einer religiösen Analyse der Kultur, 100. Zu dieser Reformulierung des Glaubensbegriffs vgl. M. KORTHAUS, „Was uns unbedingt angeht“, 99ff.

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prinzipielle Aufhebung der Kluft zwischen heiliger und profaner Sphäre, zwischen Kirche und Kultur.47 Sie impliziert aber auch, dass das von Barth reklamierte Strukturmoment der Zweideutigkeit als durch alle Erscheinungen der religiösen und profanen Kultur hindurchgehend zu denken ist.48 Der Angelpunkt („Felsen“), der aller Zweideutigkeit entnommen ist und der kritischen wie gestaltenden Kraft des protestantischen Prinzips zugrunde liegt, ist die in Christus (paradox) manifest gewordene Kraft des neuen Seins.49 Aufgrund dieser Auffassung kann Tillich das von allen zeitlich-bedingten Gestalten (auch von der geschichtlichen Gestalt des Protestantismus!) unterschiedene protestantische Prinzip für zeitlos gültig, für ewig und unvergänglich halten.50 Der Struktur nach kann man hier Kählers Doppelseitigkeit von Nichtgegenständlichkeit und Gegenständlichkeit des theologischen Gegenstands in prinzipien- und kulturtheoretischer Hinsicht weiterentwickelt sehen. Dieser Weite des prinzipien- und kulturtheoretischen Programms eingedenk lässt sich der Ansatz beim Besonderen, wie ihn Tillich dann seiner „Systematischen Theologie“ vorführt, richtig einschätzen. Die Kirchlichkeit der Theologie kann zunächst keinesfalls als Beschränkung des Gegenstandsbereichs aufgefasst werden. Sie markiert vielmehr den „konkret religiösen Standpunkt“,51 den Ort, an welchem den Theologen die Manifestation dessen, was ihn unbedingt angeht, erreicht.52 Sie stellt den Theologen innerhalb des „theologischen Zir46

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Vgl. P. TILLICH, Aspekte einer religiösen Analyse der Kultur, 101f. Der Überschritt zur „naiven Kulturtheologie“ vollzieht sich dann, wenn Kultur als Offenbarung verstanden wird: ders., Was ist falsch in der „dialektischen“ Theologie?, 259. Vgl. ders., Kirche und Kultur, 32ff. Vgl. ders., Nichtkirchliche Religionen, 24ff.; zu den Kirchen: ders., Systematische Theologie III, 192. Ders., Die protestantische Ära, 23. Tillich kann vom neuen Sein her die von aller Religion und allen kirchlichen Gestalten unterschiedene „Geistgemeinschaft“ ebenfalls der Zweideutigkeit enthoben sehen: ders., Systematische Theologie III, 177. Die (verborgene, aber auf das ganze Gebiet der Religion ausgedehnte) Geistgemeinschaft steht, wie es dem „dialektischen“ Ansatz von Tillich entspricht, in einem dialektischen Verhältnis von „Identität und Nicht-Identität“ zu den Kirchen. Diese selbst können ihren paradoxalen, zweideutigen Charakter nur zu ihrem Schaden verleugnen (ebd. u. 191ff.). Zur Ekklesiologie Tillichs auch F. MIEGE, Kirche und Geistgemeinschaft, 207-219. Zu Tillichs Paradox-Christologie und ihrer Problematik: H. FISCHER, Christologie als Mitte des Systems, 207-229. P. TILLICH, Die protestantische Ära, 12. 28. Vgl. dazu die kritischen Auseinandersetzungen bei J. TRACK, Der theologische Ansatz, 378ff.; O. BAYER, Theologie, 260ff., aber auch die klarstellenden Beiträge in G. HUMMEL (Hg.), Truth and History. So schon in P. TILLICH, Über die Idee einer Theologie der Kultur, 14f. So in ders., Systematische Theologie I, 32: „Er spricht in der Kirche über den Grund der Kirche, und er spricht, weil er durch die Macht dieses Grundes und durch die Gemeinschaft, die auf ihm sich aufbaut, ergriffen ist.“ Das bedeutet: Ohne persönliche (konkret-religiöse) Betroffenheit gibt es für Tillich keine Theologie!

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kels“.53 Der Theologe ist nicht Religionsphilosoph, auch wenn er in religionsphilosophischen Kategorien denkt, er solche der philosophischen Erhellung der Existenzsituation des Menschen geradezu bedarf.54 Gleichwohl befindet sich der Theologe, weil sowohl ergriffen als auch entfremdet, „innerhalb und außerhalb des theologischen Zirkels“, er kann über dessen Grenze getrieben und deshalb dem kirchlichen Establishment verdächtig werden.55 In ihrer Standpunktgebundenheit, die nichts anderes darstellt als die Gebundenheit an die Erfahrung der Offenbarung, bildet die Kirchentheologie das notwendige „Gegengewicht“ zur Kulturtheologie; beide ergänzen sich gegenseitig.56 Eine Kluft zwischen Kirchentheologie und Kulturtheologie kann auch für den späteren Tillich nicht entstehen, wenn die Theologizität der Theologie an ihrem prinzipiell universalen Gegenstandsbereich festgemacht und dieser wie folgt definiert wird: „Der Gegenstand der Theologie ist das, was uns unbedingt angeht. Nur solche Sätze sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand beschäftigen, sofern er uns unbedingt angeht.“57 Damit wird letztlich alles zum Thema der Theologie – insofern es „etwas von letzter Bedeutung zu enthüllen“ vermag,58 es zur Manifestation des Göttlichen im Seienden wird. Ihre kulturelle und gesellschaftliche Funktion gewinnt diese Theologie sodann, indem sie von ihrem konkreten Standpunkt aus die Differenz von religiösem Prinzip und prinzipiell zweideutigen Kulturerscheinungen erarbeitet und darüber wacht, dass die Absolutheit allein ersterem zugesprochen wird. Das heißt letztlich auch: Aufgabe einer apologetischen Theologie ist der Nachweis, dass „der christliche Anspruch auch vom Standpunkt außerhalb des theologischen Zirkels Geltung hat.“59 53 54

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Ebd., 17; vgl. 31. Vgl. hierzu die Abgrenzung von der Vorgehensweise Schleiermachers in ebd., 39f. Tillich sah, was seine Person betrifft, sich selbst „auf der Grenze von Philosophie und Theologie“ stehend: ders., Auf der Grenze, 35. Ders., Systematische Theologie I, 18. 34. So schon in ders., Über die Idee einer Theologie der Kultur, 27. 29. Zu Tillichs Theologie der Kultur vgl. E. AMELUNG, Die Gestalt der Liebe, 43ff. P. TILLICH, Systematische Theologie I, 19f. Als zweites formales Kriterium der Theologie wird genannt: „Nur solche Sätze sind theologisch, die sich mit einem Gegenstand beschäftigen, sofern er über unser Sein oder Nichtsein entscheidet.“ (ebd., 21). Die Kriterien haben, hier durchaus auch mit Schleiermacher vergleichbar, unmittelbare Bedeutung für die enzyklopädische Frage nach dem Kriterium der Zugehörigkeit einer theologischen Subdisziplin zur Theologie: „Das Kriterium dafür, ob ein Fach theologisch ist oder nicht, liegt nicht in dessen angeblich übernatürlichem Ursprung, sondern in seiner Bedeutung für das, was uns unbedingt angeht.“ (ebd., 39) Ebd., 21. Vgl. W. SCHÜßLER, Jenseits von Religion, 192-209. Ders., Systematische Religion I, 23. Gewährleistet wird dies durch eine Logos-Lehre, die das Paradox von absolut Konkretem und absolut Universalem denken lässt (ebd., 24). Wird Tillichs Programmstruktur perspektivisch reformuliert, lässt sie sich

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Die Theologie hat ihren Gegenstand freilich nie unmittelbar, sondern in religiösen Riten und Symbolen. Dabei ist es die Eigentümlichkeit religiöser Symbole, auf das Unbedingte als einer anderen Dimension von Wirklichkeit hinzuweisen bzw. für diese Dimension transparent zu sein. Theologie ist daher schlecht beraten, sich einem wörtlichgegenständlichen Verständnis oder einer rationalisierenden Entmythologisierung hinzugeben. Symbolische Redeweise zu verdrängen, dies hieße, der Religion ihre Sprache zu rauben.60 Als antwortende Theologie hat Theologie vielmehr ihre Aufgabe darin, die Bedeutung der religiösen Symbole auf das Ganze der menschlichen Existenz hin auszulegen, indem sie – mit Hilfe der „Methode der Korrelation“ – religiöses Symbol und Existenz, Botschaft und Situation aufeinander bezieht.61 Diese Aufgabenbestimmung wirft dann auch Licht auf die Notwendigkeit von Theologie: Die Kirche bedarf der Theologie als methodische Auslegung der in religiösen Symbolen erschließbaren ewigen Wahrheit ihres Fundaments in die theologisch ebenfalls zu erschließende Zeitsituation hinein.62 Die Notwendigkeit der Theologie selbst geht insofern darüber hinaus, als sie – entsprechend der Differenz von Prinzip und Gestalt, von Unbedingtem und Bedingtem – in der Notwendigkeit der Aufgabe der Vermittlung begründet ist. Die „Aufgabe der Theologie ist Mittlerdienst. Mittlerdienst zwischen dem ewigen Kriterium der Wahrheit, wie sie im Bilde Jesu als des Christus anschaubar ist, und der wechselnden Erfahrungen von Individuen und Gruppen, ihrer sich ändernden Fragestellungen und ihrer Kategorien zur Wahr-

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am ehesten mit derjenigen von E. Herms (1.1.7.6) vergleichen und sagen: Dass aus der Bindung an eine besondere interne Perspektive Aussagen von universaler Geltung getroffen und das Allgemeine zu erfassen beansprucht wird, verliert seinen totalitären Gestus, wenn die interne Perspektive das kritische Prinzip gegenüber allen perspektivischen Gegebenheitsweisen bereits enthält und selbstkritisch auf sich selbst anwendet. Deutlich wird die Analogie zwischen Tillich und Herms auch im Sachverhalt, dass Ersterer Theologie als „theonome Metaphysik“ auffasst und behauptet: „Die Theologie macht ausdrücklich zum Gegenstand, was unausdrücklich Voraussetzung allen Erkennens ist.“ (ders., Auf der Grenze, 36) Vgl. ders., Systematische Theologie I, 15; W. SCHÜßLER, „Was uns unbedingt angeht“, 157f. Zu Tillichs Verständnis von Entmythologisierung: M. LEINER, Mythe et modernité, 3-21. Da sich dies alles innerhalb des „theologischen Zirkels“ vollzieht, kann Tillich diesen auch als Ellipse mit zwei Brennpunkten (existentielle Frage und theologische Antwort) darstellen: ebd. II, 21. Zur vielfach diskutierten Methode der Korrelation ebd. I, 73ff.; vgl. J.P. CLAYTON, The Concept of Correlation; J. RINGLEBEN, Paul Tillich’s Theologie der Methode; W. SCHÜßLER, “Theologie muß Angriff sein”, 57-62; inbesondere D.-M. GRUBE, Kontextinvariante Wahrheit, 49-68. Grube zeigt, inwiefern bei Tillichs Korrelation letztlich die kontextvariante Konstruktion der Botschaft mit einer theologisch präformierten Frage korreliert. Vgl. P. TILLICH, Systematische Theologie I, 9. 38.

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nehmung von Wirklichkeit. Wird die Mittleraufgabe der Theologie abgelehnt, wir die Theologie selber abgelehnt.“63 Ohne weiteres ist ersichtlich, dass die Methode der Theologie mit dieser Wesens- und Aufgabenbestimmung in Übereinstimmung steht. Denn sie soll gewährleisten, dass die für die Theologie konstitutive Spannung zwischen den beiden Polen von ewiger Wahrheit und Zeitsituation nicht zugunsten eines Pols oder zugunsten einer billigen Harmonisierung beider aufgegeben wird. Die Übereinstimmung reicht aber – dies illustriert die systematisch-systematisierende Kraft von Tillichs Denken – weiter: Es handelt sich um eine grundsätzliche Übereinstimmung von formaler und materialer Dogmatik, von Theologiebegriff und theologischem Inhalt. Das wird nicht nur bei Tillichs „Anwendung der Rechtfertigungslehre auf das Denken“ deutlich,64 sondern in seiner Grundüberzeugung, dass die methodisch zu erfassende Korrelation von ewiger Wahrheit und Zeitsituation eine erkenntnismäßig getreue Abbildung dessen ist, was sich der Theologie als reale Korrelation der Gott-Mensch-Beziehung darstellt.65

1.1.7.3. Trutz Rendtorff In seiner 1966 erschienenen Habilitationsschrift „Kirche und Theologie“ erörtert Rendtorff die systematische Funktion und Stellung des Kirchenbegriffs in den neueren Fassungen von Theologie. Seine produktiven Interpretationen folgen unter anderem dem Leitgedanken, dass in systematischer Hinsicht das Verständnis der Formel „Theologie ist eine Funktion der Kirche“ davon abhängig ist, wie Theologie auf die Kirche bezogen wird: Bei Schleiermacher besteht nach Ansicht Rendtorffs die zentrale Aufgabe des Kirchenbegriffs darin, die wissenschaftliche Theologie in den Dienst des Vorhandenen, der gegenwärtigen Gegebenheit des Christentums zu stellen.66 Dem gegenüber habe die dialektische Theologie

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Ders., Die protestantische Ära, 13. So Tillich selbst in ders., Auf der Grenze, 33. Ders., Systematische Theologie, 74f. („reale gegenseitige Abhängigkeit“); vgl. dazu J. RINGLEBEN, Paul Tillich’s Theologie der Methode, 258. T. RENDTORFF, Kirche und Theologie, 164. 166. Wie in der vorliegenden Arbeit unter 1.1.1. notiert, wird in Rendtorffs Schleiermacherinterpretation unter dem Rückgriff auf die Reden und auf die philosophische Ethik der Kirchenbegriff auf die „Welt der Religion“ ausgeweitet, während dessen Begrenztheit in der Glaubenslehre lediglich als Folge des Theologiebegriffs angesprochen wird (ebd., 131. 152f.). Die spätere Argumentation in ders., Theologie in der Moderne, 187f., demonstriert anhand der

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Barths den Kirchenbegriff als einen um der Freiheit der Theologie willen notwendigen Grenzbegriff entworfen, welcher es erlaubt, „eine nur der Offenbarung eigene ‚Welt’ denken zu lassen“.67 Seine systematische Funktion besteht darin, eine Abgrenzung der Theologie von den Bedingungen der geschichtlichen Wirklichkeit des Christentums zu leisten, anstatt diese vorhandene – auch nichtkirchliche – Wirklichkeit theologisch zu begreifen.68 Gerade Letzteres macht sich aber Rendtorff als zentrales Motiv seines Verständnisses von Theologie als „Wirklichkeitswissenschaft“69 und der Ausarbeitung einer „Theorie des gegenwärtigen Christentums“70 zu eigen. Die Beschreibungsleistung für die vorhandene Wirklichkeit ist darüber hinaus für seine Aufnahme bzw. Kritik der Formel der Theologie als Funktion der Kirche bestimmend. Diese muss sich nämlich überführen lassen in die Formel: „Die Theologie ist eine Funktion der geschichtlichen Welt des Christentums.“71 Das soll zunächst heißen: Theologie ist in Anlehnung an Schleiermacher und Troeltsch auf die ihr vorgegebene Religion als deren Auslegerin und intellektuell-wissenschaftliche Vermittlungsinstanz funktional bezogen.72 Die Ausweitung des theologischen Gegenstandsbezugs auf Geschichte und Leben der Religion gemahnt auch die formal sich auf der Ebene von Barths theologisch strukturierter Gegenständlichkeit sich bewegende organisationsspezifische Funktionsbestimmung bei N. Luhmann („Systemsteuerungswissenschaft“, vgl. 1.2.4.1.) zu überschreiten: Ihr ist eine organisationsunspezifische Allgemeinheit der Theologie entgegenzustellen, welche darauf abhebt, „Kirche müsse eine

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Glaubenslehre, dass für Schleiermacher Theologie „eine Funktion der vorhandenen Kirche ist und sein soll.“ Ders., Kirche und Theologie, 213. Ebd., 215. In ders., Theologie in der Moderne, 192, heißt es dann im Blick auf die christologische Fassung des Seins der Kirche in Barths Kirchlicher Dogmatik, dass sie zur radikal theologischen Deutung aller Wirklichkeit führt, mithin zur „Zurückführung von Theologie auf nichts als Theologie“. Ders., Verantwortung, 35. Ders., Theologie in der Welt des Christentums, 155. Dieser Aufsatz ist 1969 zuerst im ökumenischen Sammelband von P. NEUENZEIT (Hg.), Die Funktion der Theologie in Kirche und Gesellschaft, erschienen. Der Band erhellt nicht nur die damalige Diskussionslage anhand der Positionen von namhaften katholischen und evangelischen Theologen (sowie Philosophen und Soziologen!), er zeigt auch die unterschiedlichen römisch-katholischen und evangelischen Problemstellungen. T. RENDTORFF, Radikale Autonomie Gottes, 181. Vgl. die spätere positive Aufnahme der Formel in der Selbstdarstellung: Trutz Rendtorff, 76. Vgl. ders., Kirche und freier Protestantismus, 90; Theologie in der Moderne, 82f.; auch: Christentum außerhalb der Kirche, 47f.

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Funktion von Religion immer wieder werden und bedürfe dazu der Theologie.“73 Rendtorffs eigene Fassung der Theologie als „Wirklichkeitswissenschaft“ wendet sich darum dem Bestehendem als dem neuzeitlichen Stand der Christentumsgeschichte – mit ihrer Spannung von Allgemeinheit christlicher Religion und kirchlichem Christentum – zu. Dabei entwickelt Theologie ihre Themen aus ihrer neueren Geschichte und lässt sie sich nicht durch eine normative Tradition vorgeben.74 Einer Reklamation eines ihr eigenen Erkenntnisweges abhold kann sie sich mit anderen „aufgeklärten“ Wissenschaftsbereichen, vor allem den Sozialwissenschaften in die Diskussion um die Wirklichkeit begeben. Eine präzise und gegenüber der Theologie gesteigerte Form erhält die theologische „Wirklichkeitswissenschaft“ dann als „ethische Theologie“, welche die Suche nach Wirklichkeit als „Signatur des ethischen Zeitalters des Christentums“ erkennt.75 Der Ansatz bedingt also ein besonderes Verständnis von „Kirchlichkeit“ und von „Wissenschaftlichkeit“ der Theologie, er äußert sich auch in einer bestimmten Perspektive auf die geschichtliche Wirklichkeit der Volkskirche. Diese Aspekte sollen kurz entfalten werden. „Kirchlichkeit“ markiert für Rendtorff den Wirklichkeitsbezug der Theologie, welche neuzeitlich jedoch darauf eingestellt ist, dass sich der theologische Schwerpunkt der Kirche außerhalb ihrer, nämlich in der Wirklichkeit der christlichen Religion befindet.76 Da – wie Rothe frühzeitig erkannt habe – mit der „Christlichkeit der Gesellschaft“77 die „weltgeschichtliche Phase des Christentums“ in ihrer emanzipativen, individuelle Freiheit ermöglichenden Form angebrochen sei,78 können Kirche und Theologie nicht umhin, „die Dimension des kirchlich nicht definierten Christentums in ihr eigenes Wirklichkeitsverständnis aufzunehmen“.79 „Kirchlichkeit“ trägt daher die Unterscheidung von Kirche und Christentum bereits in sich und ermöglicht, so verstanden, zu einer „Freiheit zum Bestehenden“, die Rendtorff indes nicht als Norma73

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Ders., Gesellschaft ohne Religion?, 61. Dessen ungeachtet kann Rendtorff später Theologie als „intellektuelles Ordnungsinstrument der Kirche“ bezeichnen: ders., Vielspältiges, 259. Vgl. ders., Überlieferungsgeschichte des Christentums, 33-35. Ders., Ethik I, 15f. Die Analogie zu R. Rothes theologischer Ethik besteht im Bezug zum allgemeinen Bewusstsein, der menschlichen Lebenswirklichkeit als Lebensführung. Vgl. ders., Gesellschaft ohne Religion?, 61; Verantwortung, 38. Ders., Christentum außerhalb der Kirche, 18f. Vgl. ders., Theologie in der Welt des Christentums, 156; Radikale Autonomie Gottes, 181. Ders., Christentum ohne Kirche?, 147.

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tivität des Faktischen aufgefasst wissen will.80 Oder anders gesagt: Die „Kirchlichkeit“ der Theologie bedeutet keine Limitierung des Wirklichkeitsbezugs auf bestimmte kirchliche Formen oder Bedürfnisse, sondern benennt zunächst den ihre spezifische Wissenschaftlichkeit bedingenden und im wissenschaftlichen Vollzug zu transzendierenden Haft- und Bezugspunkt. So kann dann gelten: „Theologie ist das Organ, mit dem die praktische Lebenswelt der Religion, wie sie als Kirche verfaßt ist, sich jener Allgemeinheit bewußt wird, die ihre bestimmte kirchliche Fassung transzendiert.“81 In seiner Schrift „Christentum außerhalb der Kirche. Konkretionen der Aufklärung“ (1969) war Rendtorff darum für die protestantische Christlichkeit von Gesellschaft und Kultur eingetreten – unter dem Rückgriff auf ein Säkularisierungsverständnis, das Säkularisierung als legitime Folge (nicht als Verfall) des christlichen Glaubens deuten lässt. Das „Lob der Aufklärung“ mündet in ein affirmatives Lob eines „undogmatischen Christentums“,82 dessen Funktion als Trägerin der Zukunft des Christentums seitens kirchlichen Handelns und kirchlichtheologischer Reflexion nur unter Verlust preisgegeben werden kann: „Die kirchliche Religion hat nur eine Zukunft, sofern sie in sich selbst jene Schritte nachholt und vollzieht, die das Christentum, das nicht durch die Kirche definiert ist, schon getan hat oder heute zu gehen unternimmt.“83 Nun steht die These der Säkularisierung als Freisetzung einer nichtkirchlichen privat-kritischen Form von Christlichkeit allerdings – und das in zunehmendem Maße – im Widerspruch zu Ergebnissen der auf empirischen Erhebungen basierenden religionssoziologischen Forschung. Diese stellen nämlich einen hohen Korrelationsgrad von kirchlicher Praxis und individuellem Glauben, von Kirchlichkeit und Religiosität fest.84 In späteren Schriften Rendtorffs tritt denn auch die Vorreiterrolle des nichtkirchlichen Christentums zugunsten einer Kirche als sozialer Trägerinstanz und Instanz der Präsenz des christlichen Geistes85 zurück; Kirche erscheint im Sinne von Troeltschs ‚elastisch gemachter Volkskirche’ als Kompromissinstitut, welche für individuelle Religion und modernes Bewusstsein ein „Heimatrecht“ bereithält

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Ders., Verantwortung, 30. Ders., Verantwortung, 29. Ders., Christentum außerhalb der Kirche, 59ff. 77ff., v.a. auch 82! Ebd., 92. Vgl. zur früheren Kritik an Rendtorff zusammenfassend: G. GEISTHARD, Theologische Konzeptionen, 242f.; neuerdings außerdem: D. POLLACK, Individualisierung statt Säkularisierung? T. RENDTORFF, Vielspältiges, 44.

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und in diesem Sinn einer Freiwilligkeitskirche nicht entgegensteht.86 Das vermag nicht zuletzt auf eine gleichbleibende Antwort auf die Frage „Welche Kirchlichkeit wollen wir?“ hinzuweisen. Es ist dies eine Volkskirche als „Institution der Freiheit“87, welche, ihrer Gemeinsamkeit mit der neuzeitlichen Gesellschaft und deren Freiheitsbewusstsein ansichtig, sich den Zug zur Kontrastgemeinschaft oder Minoritätskirche versagt sein lässt. Als „Sachwalterin der Religion“ hat sie vielmehr zu begreifen, dass sie zugleich „Sachwalterin der Moderne“ ist.88 Was die „Wissenschaftlichkeit“ einer Theologie als „Wirklichkeitswissenschaft“ betrifft, so ist es entscheidend, dass ihr die vorfindliche Wirklichkeit von Christentum und Kultur der Gegenwart nicht äußerlich bleibt, sondern sie theologisch begriffen wird. Gestalt gewinnt dieses Begreifen in einer integrativen Doppelbewegung, welche durch die Momente von Aufnahme und Auslegung (bzw. Deutung) zu bestimmen ist; sie führt insgesamt zu einer „Neukonstitution der Theologie als Wissenschaft, die sie als Theorie der heutigen praktischen Lebenswelt des Christentums begreift.“89 Die Bedeutung des Motivs der Aufnahme ist grundlegend: „Der Rang gerade der Wissenschaftlichkeit der Theologie bemißt sich daran, ob in ihren Begriff wie in die Methoden ihrer Arbeit das Aufnahme findet, was sie tatsächlich bestimmt. Die Theologie muß sein die begriffene Geschichte des christlichen Glaubens und seiner Folgen, des Christentums in seiner Welt.“90 Das Motiv der Auslegung bzw. Deutung heißt die „Gegenwart unter den Bedingungen der christlichen Religion“ zu erfassen91 und ist mit Rendtorffs Korrespondenzthese (und damit auch seiner Säkularisierungsthese) aufs Innerste verwoben: Eine strukturelle Analyse erhelle nämlich die

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Vgl. ders., Theologie in der Moderne, 43. 286 (Abgrenzung von Rothe). Nach ders., Vielspältiges, 244, geht es um „Wege zur Individualisierung der Frömmigkeit, denen die Volkskirche als Freiwilligkeitskirche Raum gibt.“ Grundlegend dazu Rendtorffs Troeltschinterpretation in ders., „Meine eigene Theologie in spiritualistisch“ (1993). Ders., Verantwortung, 31. Entfaltet dann in ders., Theologische Probleme der Volkskirche, 104ff. Ders., Theologie in der Moderne, 290, vgl. ebd., 289: „Ihr Adressat ist, historisch wie systematisch, der Mensch, der gleichsam das Herz der Neuzeit ist. Ihr primäres Ziel kann darum nicht eine äußerlich sich abgrenzende Kirchlichkeit des Menschen sein, sondern die zu einem freien Selbstverhältnis gebildete Gewißheit unserer Humanitas.“ Ders., Theologie in der Welt des Christentums, 157. Ebd., 151. Es ist im Übrigen die Pointe von Rendtorffs Barthinterpretation, dass Barth diesem kulturprotestantischen Aufnahmemotiv auf seine Weise entspricht! Vgl. nur ders., Christentum ohne Kirche?, 148: „Die Dogmatik Karl Barths hat die neuzeitliche Autonomie mit letzter Konsequenz ins Zentrum der Theologie aufgenommen und als Christologie theoretisiert.“ Ders., Theologie in der Moderne, 252.

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„gleichlaufenden Intentionen von moderner emanzipativer Gesellschaft und christlichem Glauben und Denken“.92 Diese Korrespondenz, zuvörderst und konkret die Korrespondenz von christlichem und politisch-gesellschaftlichem Verständnis von individueller Freiheit, wird in der christentumsgeschichtlichen Deutung zu einem bedeutsamen Grund-Folge-Zusammenhang: „Wir leben in der Welt der Folgen des christlichen Glaubens“.93 Eine solche Überzeugung erklärt dann nicht nur die Auftragskonvergenz von Volkskirche als „Institution der Freiheit“ und gesellschaftlich-politischen Institutionen, sie eröffnet eine kaum zu übertreffende Weite der zu deutenden Wirklichkeit von christlicher Religion. In der vernünftigen Auslegung von Wirklichkeit entwickelt sich Theologie zu einer Parallelstruktur des säkularisierten aufgeklärten Denkens; was jene als Entschlüsselung christlichen Traditionsguts für das gegenwärtige Christentum vollzieht, vollzieht diese als Entschlüsselung und Transformation zu einer universalisierbaren menschlichen Form überhaupt.94 Unter der Voraussetzung, dass das gegenwärtige Christentum in einem (Folge-) Zusammenhang zum christlichen Glauben steht, meint Rendtorff es gegenüber einem der biblischen Überlieferung und den Anfängen des Christentums zugeschriebenen normativen Autoritätsanspruch, wie er seitens der historischen Bibelwissenschaft verfolgt wird, als eigenständiges Thema, als eigene „Legitimationsinstanz“ insbesondere für die Systematische und für die Praktische Theologie einsetzen zu können.95 Denn die „Frage, was christlich ist, zielt ja schließlich darauf ab, wie man sich im gegenwärtigen Stande des Christentums denkend und handelnd in der christlichen Überlieferung bewegen könne.“96 Die normative Inanspruchnahme der Welt des neuzeitlichen Christentums kann dem Urteil, sie setze in ein unkritisch-affirmatives Verhältnis zur vorhandenen Wirklichkeit, mit dem Verweis begegnen, dass ein transzendentales Bewusstsein deren Voraussetzungen und eine kritische Haltung zu sich selbst bereits zum essentiellen Bestandteil ebendieses neuzeitlichen Christentums gehört.97 Unübersehbar ist aber,

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Ders., Theologie in der Welt des Christentums, 156. Ebd., 157f. Die Korrespondenz ist von einer Identität deutlich abgegrenzt, insofern der Aspekt der Differenz durch die Rezeption von Luthers Zwei-Reiche-Lehre festgehalten wird. Vgl. beispielweise ders., Vielspältiges, 28f. 55f. Vgl. ders., Christentum außerhalb der Kirche, 88f.; Vielspältiges, 53. Ders., Reformation oder Revolution?, 72. Ders., Historische Bibelwissenschaft und Theologie, 53. Vgl. ebd., 59f.

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dass kritisch-normative Gegebenheiten außerhalb dieser Wirklichkeit – biblische oder dogmatische Tradition – ihrerseits mit dem Urteil der Inkommensurabilität oder der Konkurrenz zum Vorhandenen belastet werden („Überschuß an theologischer Sollensforderung“)98 und so allein schon die konstruktiven Funktionen ihrer kritischen Differenz, etwa das kreative Potential, durch Erfahrungsüberschuss zuallererst Erfahrungen und damit die Begegnung mit Wirklichkeit zu ermöglichen, ausgeblendet werden.99

1.1.7.4. Wolfhart Pannenberg und Gerhard Sauter Wolfhart Pannenberg und Gerhard Sauter entwickelten ihre Ansätze unter dem Eindruck dessen, dass Theologie nicht mehr unbefragt ihre Stellung an der Universität voraussetzen könne, sondern sich einer wissenschaftstheoretischen Klärung ihrer Wissenschaftlichkeit und ihrer Kirchlichkeit zu unterziehen habe. Angesichts der durch den kritischen Rationalismus verstärkten Frage nach einer kontrollierbaren Theologizität der Theologie schien es unabweisbar, die von H. Scholz gegenüber K. Barth geltend gemachten wissenschaftstheoretischen Forderungen neu zu reflektieren. Pannenberg und Sauter vollziehen diese Reflexion sowohl in unterschiedlicher Art und Weise als auch von unterschiedlichen Standpunkten aus: Während für Pannenberg in einer durch Religion vermittelten Weise Gott der eigentliche Gegenstand der Theologie ist, geht Sauter vom Reden Gottes aus, wie es in spezifisch kirchlichen Sprachvollzügen vorliegt. Beide sind sich zwar einig im Blick darauf, dass Glaubensaussagen eine kognitive, prinzipiell wahrheitsfähige Aussagestruktur eignet; sie sind sich auch einig in der Ablehnung eines lediglich explikativen Theologiebegriffs. Sie gehen aber unterschiedliche Wege in der Formulierung eines solchen Aufgabenprofils theologischer Wissenschaft, das wissenschaftstheoretischen Standards zu entsprechen vermag. Für Pannenberg hat die Forderung nach der Überprüfbarkeit, für Sauter die Forderung nach der Begründung theologischer Aussagen basale Bedeutung. Das geht beispielsweise einher mit einer unterschiedlichen Fassung des Begriffs der Hypothese: Nach Pannenberg betrifft er das Verhältnis von Glaubensaussagen zur Erfahrungswirklichkeit bzw. 98 99

Ebd., 57; vgl. ders., Theologie in der Welt des Christentums, 152f. 158; Theologische Probleme der Volkskirche, 108 u.ö. Vgl. neben der Arbeit von G. Geisthard auch die kritischen Darstellungen von P. STEINACKER, Kirchenbegriff und kirchliche Wirklichkeit; CH. LINK, Theologie auf der Höhe der Zeit?

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zur Geschichte, nach Sauter betrifft er auf der Ebene theologischer Theoriebildung die Reichweite theologischer Sätze, die das finite Reden von Gott bereits voraussetzen. Letzterer kann diesbezüglich kritisch an die Theologie K. Barths anknüpfen, während Ersterer seine Position bekanntlich als Alternative zu dieser entwirft.100 Im Folgenden werden beide Ansätze so skizziert, dass die Struktur ihres Theologiebegriffs und ihre Stellung zur These der Theologie als Funktion der Kirche deutlich werden kann. Pannenberg befragt zunächst in historischen Rekursen das Selbstverständnis der Theologie als einer praktischen Wissenschaft wie auch ihr Selbstverständnis als einer positiven Wissenschaft auf die jeweilige Leistungsfähigkeit. Schleiermachers Auffassung lässt sich als Verbindung beider Momente verstehen: Ihr zufolge ist der positiv-praktische Gesichtspunkt im Erfordernis von Kirchenleitung seitens einer institutionell gesicherten Kirche gegeben. Dies kann als Weiterentwicklung der älteren Bestimmungen betrachtet werden. Schleiermachers Verständnis der Theologie als Funktion der Kirche indes liegt eine idealisierte Vorstellung von gesellschaftlichen Größen zugrunde, die übersehen ließ, „daß es keineswegs die Kirche für sich ist, die die Stellung der Theologie an der Universität begründet, und daß deren Fortdauer vielmehr davon abhängen muß, ob Gesellschaft und Staat auch fernerhin Gründe haben, eine in Schleiermachers Sinn konzipierte Theologie als Universitätsfakultät beizubehalten.“101 Unzureichend erweist sich eine solche Sicht spätestens dann, wenn dem institutionell gesicherten Zustand der Kirche die öffentliche Anerkennung versagt wird.102 Sieht man genauer zu, so hat Schleiermacher das Erfordernis der Kirchenleitung und damit die Einheit der theologischen Disziplinen allerdings in der Sache selbst, nämlich im Wesen des Christentums verankert.103 Tatsächlich hat sich in der Folgezeit das Verständnis der Theologie als einer positiven Wissenschaft vom Christentum als weiterführend erwiesen.

100 Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden im Gesprächsband W. PANNENBERG / G. SAUTER, Grundlagen der Theologie (1974) deutlich. Ein Jahr zuvor hatten beide ihre grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Wissenschaftstheorie vorgelegt: W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie; G. SAUTER u.a., Wissenschaftstheoretische Kritik. 101 W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie, 250. 102 Ebd., 251. 103 Ebd., 253f.; vgl. dort die Abgrenzung: „Die Wissenschaft vom Christentum selbst ist aber durch das kirchliche und gesellschaftliche Interesse an ihr deswegen nicht schon konstituiert: Wo solche Interessen maßgebliche Bedeutung in der Theologie gewinnen, da wird vielmehr Theologie als Wissenschaft korrumpiert.“ Vgl. ders., Systematische Theologie I, 17.

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Auch ein solches Verständnis von Theologie als Christentumswissenschaft konnte allerdings – wie die um das Jahr 1900 intensiv geführte Diskussion um die Voraussetzungslosigkeit der Theologie belegt – vor allem angesichts seiner positivistischen Deutungsmöglichkeit dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit nicht mehr genügen. Man musste über es hinausgehen, wollte man der schon damals artikulierten Forderung Rechnung tragen, die Wahrheit der christlichen Überlieferung könne in einer wissenschaftlichen Theologie nur als Hypothese fungieren:104 „Eine Theologie, die das Christentum als ihre Grundlage in dem Sinne voraussetzt, daß sie sich auf die Beschreibung und Entfaltung des darin geschichtlich Gegebenen beschränkt, hat damit noch nicht den Rahmen gewonnen, in dem sich die Frage nach der Wahrheit des Christentums umfassend erörtern ließe.“105 Der im Christentum selbst verankerte Wahrheitsanspruch, seine Berufung auf Gott und seine Offenbarung führen also über das Verständnis der Theologie als einer Wissenschaft vom Christentum hinaus. Gerade eine Theologie, welche dem Christentum gerecht werden will, muss im Kern eine Wissenschaft von Gott sein – eine Wissenschaft, für welche Gott der eigentliche Gegenstand ist.106 Dafür spricht nicht nur der klassische Theologiebegriff der Alten Kirche und des Mittelalters, sondern ein nicht zu vernachlässigender theologischer Sachverhalt. Denn wenn Gott als der eigentliche und umfassende Gegenstand der Theologie aufgefasst wird, dann ist es diesem Gegenstand nicht äußerlich, dass seine Erkenntnis nur durch ihn selbst ermöglicht wird. Genau dies, nämlich die Ermöglichung der Gotteserkenntnis durch Gott selbst, gehört zu den Grundbedingungen des Theologiebegriffs als solchen.107 K. Barth hat, so Pannenberg, diesen Zusammenhang treffend erkannt und daher zu Recht die neu-protestantische Begründung der Dogmatik auf die Glaubensgewissheit verworfen.108 Indem Barth seinerseits nun aber das Wagnis, mit Gottes Wirklichkeit zu rechnen, zum Ausgangspunkt der Theologie macht, bleibt er selbst dem Glaubenssubjektivismus verhaftet, den er zu überwinden vorgibt.109 Von Kähler wäre zu 104 105 106 107 108 109

Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 261. Ebd., 263. Ebd., 266. Ders., Systematische Theologie I, 12. Ebd., 53f. Ebd., 55; vgl. ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 274: „Es zeigt sich hier, daß gerade Barths unvermittelter Ansatz bei Gott und seinem offenbarenden Wort nur als grundlose Setzung des theologischen Bewußtseins vollziehbar ist. So berechtigt Barths Widerspruch gegen die Reduktion des Gegenstandes der Theologie auf das religiöse Bewußtsein des Menschen gewesen ist, so wenig öffnet der unvermittelte Einsatz bei Gott und seiner Offenbarung einen Ausweg aus dieser Problematik.

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lernen gewesen, dass die Gegenstandsangemessenheit zum Kriterium der Wissenschaftlichkeit zu erheben, nicht davon entbindet, sich allgemein-formalen Kriterien der Wissenschaftlichkeit zu stellen.110 Für Pannenberg gilt dies insbesondere für die Forderung nach der Kontrollierbarkeit theologischer Behauptungen.111 Hinsichtlich der Positivitätsproblematik ist Barths Theologie der Tradition neuprotestantischer und pietistischer Begründungsversuche zuzuordnen und ihr ebenso wie diesen vorzuwerfen, an einer „vorgängige[n] Sicherstellung“ der Wahrheit des christlichen Glaubens festzuhalten.112 Auch die Versuche von G. Ebeling und G. Sauter setzen ein Moment von rational nicht ausweisbarer Positivität voraus und bleiben darum ebenfalls dieser Problematik verhaftet.113 Auf diesem Problemhintergrund besteht nach Pannenberg die Aufgabe der Theologie darin, religiöse Überlieferung nicht nur auszulegen, sondern sie auch auf ihre Wahrheit zu prüfen. Der Anspruch auf göttliche Wahrheit „ist in der Theologie darzustellen, zu prüfen, wo möglich zu erhärten, muß aber eben darum als offen und nicht schon vorweg entschieden behandelt werden.“114 Für die christliche Theologie fällt die Explikation und Prüfung des Inhalts der kirchlichen Lehre dabei der Dogmatik zu, welche sich als Systematische Theologie vollzieht – d.h. einen gewissermaßen internen Zusammenhang zwischen christlichen Lehraussagen und einen gewissermaßen externen Zusammenhang zwischen ihnen und allem sonstigen Wahren zur Darstellung bringt. Damit ist bereits „ein ganz bestimmtes Verständnis von Wahrheit impliziert, nämlich Wahrheit als Kohärenz, als Zusammenstimmung alles Wahren. Durch Untersuchung und Darstellung der Kohärenz der christlichen Lehre hinsichtlich ihres Verhältnisses ihrer Teile zueinander, aber auch hinsichtlich ihres Verhältnisses zu sonstigem Wissen vergewissert sich systematische Theologie der Wahrheit der christlichen Lehre.“115 Bei der Prüfung von

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Denn die Darlegungen Barths über den Glaubensgehorsam als Wagnis sprechen es aus, und seine Auseinandersetzung mit Scholz bestätigt, daß die Positivität der Offenbarung keine Alternative zum Subjektivismus in der Theologie darstellt, sondern vielmehr als theologische Position dessen äußerste Zuspitzung bedeutet“. Ebd., 269-273; vgl. ders., Wie wahr ist das Reden von Gott?, 29ff. In beiden Referaten werden die von H. Scholz eingeforderten formalen Mindestbedingungen aufgegriffen. Ebd., 34. Ders., Systematische Theologie I, 57. Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 284. 296f. Ders., Systematische Theologie I, 60; vgl. ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 318. 322. 324. Ders., Systematische Theologie I, 31 (Hervorheb. im Orig.). Pannenberg kann hierbei an die modifizierte Kohärenztheorie von N. Rescher anknüpfen, welche Konsens-

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Wahrheitsansprüchen hat man sich durchweg des Sachverhalts eingedenk zu sein, dass „die vorausgesetzte Wahrheit nur im Medium ihrer Erkenntnis als Wahrheit erfasst werden kann.“116 Außerdem gibt es subjektive Wahrheitsgewissheit „nur im Vorgriff auf ihre Bestätigung und Bewährung im Fortgang des Erfahrungsprozesses.“117 Die grundlegende Frage ist nun die, wie Gott als Gegenstand der Theologie verstanden werden kann, ohne diese Theologie auf eine positivistisch gefasste subjektive Wahrheitsgewissheit zu gründen und damit die Wahrheitsfrage bereits als vorweg entschieden zu betrachten. Wenn Gott nicht unmittelbar, sondern nur im Medium seiner religiösen Thematisierung gegeben ist, mündet dies in die Frage, wie religiöse Wahrheitsansprüche, welche wie alles menschliche Behaupten prinzipiell fallibel sind, bewährt und überprüft werden können, wenn dies nicht direkt an ihrem Gegenstand geschehen kann. Es entspricht der Endlichkeit und Vorläufigkeit menschlichen Erkennens, dass der Gottesgedanke „als Problem zum Gegenstand und Thema der Theologie erklärt wird“.118 Soll er nicht aus anderweitigen Gegebenheiten hergeleitet werden, muss er als Hypothese fungieren. Wie aber ist eine solche Hypothese überprüfbar, wenn nicht an einer von ihr unterschiedenen und zugleich zugänglichen Realität des Gegenstands? Pannenberg legt das Verfahren nahe, den Gottesgedanken „an seinen eigenen Implikationen“ zu prüfen bzw. zu bewähren.119 Es handelt sich dabei um Implikationen für das Verständnis der endlichen Wirklichkeit, insofern Gott nämlich sowohl in biblischer als auch in sonstiger religiöser oder philosophischer Tradition als alles bestimmende Wirklichkeit vorausgesetzt wird.120 „Gelingt solche Bewährung, dann ist sie nicht durch eine dem Gottesgedanken äußerliche Instanz erfolgt, sondern das Verfahren erweist sich dann als der Form des ontologischen Gottesbeweises gemäß, als Selbsterweis Gottes. Doch solange der Ausgang der Prüfung des Gottesgedankens an der erfahrenen Wirklichkeit noch offen ist, und das ist der Standpunkt des endlichen

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und Korrespondenzaspekt miteinander verbindet, vgl. ebd., 62f.; ders., Antwort, 173f., und schon ders., Wahrheit, Gewißheit und Glaube, 235f. Ders., Systematische Theologie I, 34 (Hervorheb. im Orig.). Ebd., 57. Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 301 (Hervorheb. im Orig.). Ebd. (Hervorheb. im Orig.). Ders., Wie wahr ist das Reden von Gott?, 34. Die Bestimmung Gottes als alles bestimmende Wirklichkeit ist als unvollständige, aber fundamentale Nominaldefinition zu verstehen (vgl. ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 304f.), welche gegenüber einem Konstruktions- bzw. Projektionsverdacht dem Realitätsbewusstsein des religiösen Selbstverständnisses Rechnung trägt und Gott als Urheber aller Weltund Selbsterfahrung begreift: ders., Systematische Theologie I, 167-176.

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Erkennens, solange bleibt der Gottesgedanke als ein bloßer Gedanke der erfahrenen Wirklichkeit gegenüber Hypothese. Es gehört also zur Endlichkeit theologischen Erkennens, daß der Gottesgedanke auch in der Theologie hypothetisch bleibt und vor der Welterfahrung und Selbsterfahrung des Menschen zurücktritt, an der er seine Bewährung zu finden hat.“121 Die Totalität der Wirklichkeit, an welcher der Gottesgedanke als alles bestimmende Wirklichkeit überprüft werden könnte, ist allerdings selbst nur indirekt, d.h. in der Relativität vorläufiger Totalitätsunterstellungen gegeben. Diese stellen sich als Antizipationen dar, welche die noch nicht vorhandene und im Prozess der Geschichte noch strittige Vollendung alles Wirklichen als Sinntotalität antizipieren und als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung immer schon im Spiele sind.122 Da sie aber auch umgekehrt durch Erfahrung bestätigt oder erschüttert werden können, bleiben sie prinzipiell revidierbar. Ihnen eignet das Moment des Hypothetischen.123 In den geschichtlichen Religionen werden (religiöse) Antizipationen zum expliziten Thema, sie sind deshalb der unmittelbare Gegenstand der wissenschaftlichen Theologie. Theologie als Wissenschaft ist darum nur möglich als eine Religionswissenschaft, welche die Religionen auf ihr spezifisch religiöses Thema hin befragt und ihre Überlieferung am Maßstab des eigenen Verständnisses der göttlichen Wirklichkeit prüft. Sie ist darum eine „Theologie der Religionen“.124 „Christliche

121 Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 302. Zu Gemeinsamkeiten und Differenzen von naturwissenschaftlichen, historischen, philosophischen und theologischen Hypothesen vgl. v.a. ebd., 65ff. 339ff. Mit historischen Hypothesen haben theologische z.B. den Ausweis an Dokumenten und bisherigen Erklärungsversuchen, mit philosophischen Hypothesen die Thematisierung umfassender Sinnhorizonte gemeinsam. 122 Ebd., 312. 123 Ebd., 312f. 124 Ebd., 316f.; ders., Wie wahr ist das Reden von Gott?, 37. Zur Prüfung der Religionen nach dem jeweils eigenen Verständnis der göttlichen Wirklichkeit gehört nach Pannenberg nun allerdings auch die Prüfung auf ihre integrative Leistungsfähigkeit, die tatsächlich erfahrbare Wirklichkeit in ihrer geschichtlichen Veränderlichkeit zu erschließen. Ansonsten ist mit einem Versagen, mindestens aber mit einer Modifikation der religiösen Überlieferung zu rechnen (ebd., vgl. ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 323). Zu diskutieren wäre m.E. dabei, ob die Entwicklungen von Religionen sich von ihrem externen Kohärenzzusammenhang her erklären ließen; den internen Verarbeitungsmöglichkeiten von Inkohärenz- bzw. Konflikterfahrungen (kritisch formuliert: den Immunisierungsmöglichkeiten) muss wohl ein größerer Stellenwert eingeräumt werden. Nicht zuletzt bemisst sich das, was leistungsfähig genannt zu werden verdient, mit N. Luhmann gesagt, nach dem der Religion eigenen Code. Vgl. dazu auch die späteren Äußerungen Pannenbergs zum Konflikt religiöser Wahrheitsansprüche in ders., Religionen als Thema, 166-169.

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Theologie wäre dann Wissenschaft von der christlichen Religion.“125 Unter diesen Voraussetzungen kann Pannenberg schließlich auch den von ihm bereits kritisch beleuchteten Theologiebegriff des 19. Jahrhunderts aufnehmen – allerdings mit der entscheidenden Pointierung, „daß Theologie Religionswissenschaft und so auch speziell Wissenschaft vom Christentum ist, insofern sie Wissenschaft von Gott ist. Theologischen Charakter hat die Untersuchung der Religionen und so auch des Christentums nur dann, wenn sie die Religionen darauf befragt, inwiefern sich in ihren Überlieferungen Selbstbekundung göttlicher Wirklichkeit dokumentiert.“126 Zwei Gesichtspunkte lohnen sich auch aufgrund späterer Äußerungen Pannenbergs zu präzisieren: Es ist dies zum einen die theologische Erfassung der Vorläufigkeit theologischen Wissens, zum anderen die genaue Fassung dessen, was in der Theologie methodisch bzw. sachlich vorauszusetzen ist und was nicht. a) Die Vorläufigkeit theologischer Behauptungen resultiert nicht erst aus der wissenschaftstheoretisch bedeutsamen Einsicht in die Geschichtlichkeit der Vernunft bzw. in die Relativität aller Gegenstandsthematisierung,127 sie ergibt sich bereits aus dem biblischen Wahrheits- und Glaubensbegriff:128 Gottes Gottheit wird sich erst am Ende aller Zeit und Geschichte als unzweifelhaft offenbar erweisen; alles Wissen der Theologie bleibt demgegenüber „Stückwerk“ (1 Kor 13,12).129 Die von Pannenberg vorgeschlagene, wissenschaftstheoretisch verantwortbare theologische Methode wird also materialdogmatisch begründet: Die Zukunft ist dem Menschen unverfügbar; die Entscheidung über sie und damit über die Wahrheit liegt allein bei Gott selbst.130 Dogmatische „Versuche, die Kohärenz der christlichen Lehre […] zu denken, sind nur Nachvollzug und Vorentwurf der Kohärenz der göttlichen Wahrheit selber. Sie beruhen auf Antizipationen, die die Prolepse des Eschaton in der Geschichte Jesu Christi nachvollziehen, und die im Hinblick auf Gott die Funktion der Doxologie haben.“131

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Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 317. (Hervorheb. gestrichen). Ebd., 317 (Hervorheb. im Orig.). Vgl. auch ders., Glaube und Vernunft, 248ff. Vgl. z.B. ders., Wahrheit, Gewißheit und Glaube, v.a. 230. 241. Ders., Systematische Theologie I, 64f. Ebd., 66. Ebd. Spätestens hier zeigt sich eine Strukturparallele zu Barths Zuordnung von fallibler menschlicher Rede und unverfügbarem Selbstwort Gottes, die von Pannenbergs Barthdeutung allerdings verdeckt wird. Man wird sogar weitergehen dürfen zu sagen: Insofern die unverfügbare Zukunft nur in menschlichen Antizipationen der Totalität der Wirklichkeit zugänglich ist, kehrt in seiner eigenen Konzeption das von ihm kritisierte Moment einer vorausgesetzten Positivität – hier im Sinne eines proleptischen Vorgriffs auf ein unterstelltes Ganzes der Geschichte – wieder. Vgl. dazu auch E. JÜNGEL, Nihil divinitatis, 230, Anm. 102.

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Pannenberg kann zur theologischen Begründung auch auf die theologia crucis des Paulus in 1 Kor 1 zurückgreifen. Lässt sich die These des Paulus dahingehend verstehen, dass alle menschliche Weisheit und alles menschliche Erkennen vorläufigen Charakter besitzen, so erfordert diese Einsicht auch eine Selbstanwendung auf alles theologische Erkennen.132 b) Was die Voraussetzungen der Theologie betrifft, lehnt Pannenberg, wie bereits erwähnt, eine vorgängige Entscheidung bzw. Sicherstellung der Wahrheitsfrage ab. In diesem Zusammenhang hat die Rede vom proleptischen Vorgriff und das Geltendmachen des Hypothetischen ihren Ort. Damit ist Theologie aber keineswegs voraussetzungslos: Im Falle der Dogmatik ist die geschichtlich gewordene Lehre samt ihren Wahrheitsansprüchen vorgegeben. Grundsätzlich geht außerdem der theologischen Reflexion meist ein Glaube voraus, welcher in religiöser Überlieferung nicht lediglich menschliche Behauptungen, sondern die Offenbarung Gottes erblickt.133 Allerdings: Auf der Ebene des Begründungszusammenhangs,134 auf der Ebene der auf intersubjektive Geltung zielenden und die Strittigkeit religiöser Wirklichkeitsbehauptungen mitbedenkenden Reflexion muss dies alles als problematisch behandelt werden. Das beträfe selbst eine unmittelbare Gotteserfahrung.135 Gegenüber Missverständnissen wird in der „Systematischen Theologie“ betont: Der Glaubende soll keineswegs die Wahrheit seiner Behauptungen dahingestellt sein lassen. Im Gegenteil: Gerade weil er mit ihnen einen Anspruch auf Wahrheit verbindet, können diese Behauptungen auf der Ebene der Reflexion als zu prüfende Hypothesen behandelt werden.136 Den assertorischen Charakter von Glaubensaussagen nimmt man nämlich nicht ernst, wenn man ihren Wahrheitsanspruch vorweg sicherstellt, sondern wenn man ihn einer Prüfung für würdig empfindet.137 Für eine Dogmatik als Systematische Theologie, welche ihrer Aufgabe nachkommen will, das Dogma auszulegen und zu prüfen, bedeutet dies dementsprechend, dass sie „sowohl assertorisch als auch hypothetisch“ verfährt.138

132 W. PANNENBERG, Theology of the Cross, 299; zum diesbezüglich exemplarischen Charakter von Theologie vgl. ders., Religionen als Thema, 171. 133 Vgl. ders., Systematische Theologie I, 59f.; auch ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 322f. 134 In ebd., 323f., wird die Unterscheidung von G. Sauter noch aufgenommen. 135 Ebd., 303f. 136 Ders., Systematische Theologie I, 67f.; vgl. auch ders., Religionen als Thema, 170. 137 Ders., Systematische Theologie I, 68f. 138 Die zentrale Feststellung in ebd., 70 lautet: „Dogmatik als systematische Theologie verfährt sowohl assertorisch als auch hypothetisch, indem sie ein Modell von Welt, Mensch und Geschichte als in Gott begründet entwirft, das, wenn es stichhaltig ist, die Wirklichkeit Gottes und die Wahrheit der christlichen Lehre ‚beweist’, nämlich durch die Form der Darstellung als konsistent denkbar ausweist und erhärtet. Die Dogmatik legt damit den Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre aus; sie führt aus, wie diese Lehre im Zusammenhang verstanden werden muß, um als wahr angenommen werden zu können. Die Bedingung der Stichhaltigkeit der dogmatischen Auslegung von Welt, Mensch und Geschichte als in Gott begründet zeigt allerdings, daß die Entscheidung über Beweiskraft und Wahrheit nicht bei ihm [sic] selber

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Erhellend ist schließlich, dass Pannenberg das von ihm Gemeinte auch an der Kongruenzargumentation Anselms von Canterbury demonstrieren kann und dabei dann zur Differenz von vorausgesetztem Gegenstand, Wahrheitsantizipation (im Glaubensakt vorausgesetzt, aber Ziel der Argumentation) und Prämisse der Argumentation gelangt. Vorausgesetzt ist der Glaubensinhalt nicht im Sinne des Wissenschaftsbegriffs des Thomas von Aquin als Prinzip deduktiver Argumentation, sondern als Gegenstand rationaler Rekonstruktion.139 Der Argumentationsgang selbst vollzieht sich sola ratione, ohne dass das intelligere über den Glauben und seiner Autoritätsbindung hinausführt. „Das Ergebnis der rationalen Rekonstruktion […] ist dann noch einmal auf seine Kongruenz zum Inhalt des Glaubens zu befragen, den der Theologe als Gegenstand seiner Arbeit voraussetzt und dessen Wahrheit er im Glaubensakt antizipiert. Diese Wahrheitsantizipation begründet im Normalfall das Interesse am Gegenstand der Theologie, aber sie ist nicht Prämisse oder Prinzip, sondern eher Ziel ihres Argumentationsganges. Insofern nämlich das theologische Denken auf den intellectus fidei zielt, sucht es sich der im Glaubensakt antizipierten Wahrheit des Geglaubten zu vergewissern. Dabei hat das theologische Denken den Charakter von Konjekturen oder, anders gesagt, von hypothetischen Entwürfen, die als Rekonstruktionen des Glaubensinhalts auf die Kongruenz mit ihm und mit der durch ihn beanspruchten Wahrheit zielen, aber immer mit dem Bewußtsein ihrer grundsätzlichen Verbesserungswürdigkeit und Korrekturbedürftigkeit angesichts der Überlegenheit der göttlichen Wahrheit über die menschliche Vernunft.“140

Pannenbergs Grundlegung einer Theologie der Religionen hat Konsequenzen für eine christliche Theologie und deren Beziehung zur Kirche, aber auch für die innere Organisation dieser Theologie. Zunächst kann eine Theologie der christlichen Überlieferung nur als Spezialfall einer Theologie der Religionen bzw. einer Wissenschaft von Gott betrachtet werden.141 Dass sich die Stellung der deutschen Universitätstheologie einer pragmatischen Plausibilität (z.B. einem liegt.“ An der richtigen Interpretation dieser Feststellung, welche für E. JÜNGEL, Nihil divinitatis, 209, das „Kernproblem der Theologie Pannenbergs formuliert“, liegt einiges. Ihr ist aber durch die Struktur der doppelten Aufgabenbestimmung der Dogmatik und Pannenbergs Auffassung der Wahrheit als Kohärenz die Richtung gewiesen. Vgl. dazu die Nachzeichnung bei E. JÜNGEL, ebd., 210-212 (v.a. 212: „Die Doxologie ist sozusagen das assertorische Konvex zum hypothetischen Konkav.“), aber auch die Verzeichnung bei A. LANGE, Religion als Weltbemächtigung, 51f. 139 W. PANNENBERG, Rationalität der Theologie, 78. 140 Ebd., 83 (Hervorheb. im Orig.). Pannenberg vermerkt ebd., 84, allerdings, dass sich der methodische Zugang der rationalen Rekonstruktion in der gegenwärtigen Theologie gegenüber den Entwürfen von Anselm und Thomas insofern verschoben hat, als diese Rekonstruktion nicht mehr als Explikation eines allgemeinen Gottesgedankens, sondern als Explikation der geschichtlichen Offenbarung in Jesus Christus zu entwickeln ist. 141 Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 324.

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kirchlichen Ausbildungsinteresse) verdankt, steht dem nicht entgegen – vorausgesetzt, man ist sich dessen gewahr, dass die wissenschaftliche Thematik der Theologie umfassender ist und die Strittigkeit religiöser Wahrheitsansprüche nur vorläufig suspendiert werden kann.142 Auch wenn man Theologie von vorneherein als spezielle Theologie des Christentums versteht, so bedürfte diese, wenn nicht einer Grundlegung durch eine allgemeine und kritische Theologie der Religionen, so doch zumindest einer Grundlegung durch eine Fundamentaltheologie. Entsprechend Schleiermachers Konzeption einer Philosophischen Theologie hat eine solche dann nicht die Aufgabe, die Wahrheitsfrage ihrer Strittigkeit zu entkleiden, sondern auf dem Boden der allgemeinen Religionsproblematik die Besonderheit der christlichen Offenbarung zu bestimmen und also eine vorläufige Ortsbestimmung des Christentums in der geschichtlichen Welt der Religionen zu bieten.143 Was im Weiteren eine theologische Enzyklopädie betrifft, so hebt Pannenberg grundsätzlich die Wechselbeziehung von systematischphilosophischem und exegetisch-historischem Aspekt der Theologie hervor: Am historischen Phänomen selbst muss die theologische Dimension aufgewiesen werden.144 Das führt dazu, alttestamentliche und neutestamentliche Exegese konsequent als Teil der historischen Disziplin aufzufassen, ohne sie auf der einen Seite historisierend ihres theologischen Charakters zu berauben oder aber auf der anderen Seite mit einem normativen Geltungsinteresse zu belasten.145 Ziel ist die im Sinne einer Theologie der Religionen vollzogene theologische Dechiffrierung der Überlieferung bzw. eine dementsprechende Bearbeitung der Überlieferungsgeschichte.146 Ähnliches gilt für die Kirchengeschichte, die als das Ganze der Theologie umfassende „Religionsgeschichte des Christentums“ definiert wird.147 Aufgabe der systematisch und praktischtheologischen Reflexion ist es, auf der Grundlage der Ergebnisse der historischen Theologie deren Bedeutung für den gegenwärtigen Rezeptionsprozess christlicher Überlieferung zu bestimmen bzw. – im Fall der Praktischen Theologie – Modelle für die kirchliche Praxis zu entwickeln.148 Die Systematische Theologie nimmt darüber hinaus proviso142 Vgl. ebd., 327. Interessanterweise kann Pannenberg die Notwendigkeit eines umfassend zu entwerfenden Theoriezusammenhangs auch mit der „Krise des Schriftprinzips“ und der problematischen Entwicklung der Theologie zur Selbstpartikularisierung begründen, vgl. ders., Krise, 20f. 143 Vgl. ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, 328. 361. 372f. 418f. 144 Ebd., 351f. 145 Vgl. ebd., 377. 381. 146 Vgl. ebd., 382. 391. 147 Ebd., 394f. 148 Vgl. ebd., 383. 424. 439.

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risch die Aufgabe einer Theologie der Religionen wahr – solange die allgemeine Religionsgeschichte noch nicht zu einer Theologie der Religionen vorgedrungen ist.149 G. Sauter verwahrt sich dagegen, in begründungstheoretischer Absicht die Theologie in ein Rahmenkonzept von „Geschichte“ oder „Religion“ hinein aufzuheben.150 Ebenso wenig annehmbar sind für ihn die im 19. Jahrhundert sich Schleiermacher anschließenden Modelle, welche die Theologie aus einem kulturtheoretisch gefassten Verweisungszusammenhang von Kirche und Kultur, Religion und Gesellschaft heraus erklären, indem sie auf eine Repräsentanzfunktion der Theologie abheben.151 Gegenüber solchen Vorgriffen auf einen Integrationshorizont, mögen sie noch so sehr von der Sorge um den Platz der Theologie im Haus der Wissenschaft bestimmt sein, gilt es vielmehr einen analytischtheoretischen Denkstil zu pflegen, d.h. nach einer der Theologie eigenen Ordnung der Erkenntnis, nach ihrem spezifischen Theoretisierungsverfahren zu fragen. Erst auf diesem Hintergrund ist es angemessen, sich dem Problem zuzuwenden, wie der Austausch von Aussagen verschiedener theoretischer Systeme möglich ist.152 In seiner Mainzer Antrittsvorlesung von 1969 plädiert Sauter dafür, Theologie wissenschaftstheoretisch als Theorie, genauer: als Protobzw. Metatheorie im Unterschied zu einer Theoriebildung innerhalb der Theologie, darzustellen. Mittels einer solchen Theorie könne Theologie der Selbstprüfung einer Wissenschaft entsprechen und für einen externen Beobachter nachvollziehbar und kontrollierbar werden.153 Auf dieser Ebene der letztlich sprachlogischen Rekonstruktion vermögen theologische Sätze zum Gegenstand einer Theorie zu werden und als begründungsbedürftige und hypothetische zu erscheinen. Die Rede von Gott selbst, die als elementare Basis und als Gegenstand der Theologie zugrunde liegt, ist davon aber ausgenommen: Seitens der Theologie sind Glaubensaussagen weder nachträglich zu begründen noch lediglich zu inventarisieren, sondern auf ihre Möglichkeiten zu zukünftiger Rede hin zu erschließen. Dies geschieht dadurch, dass in einem

149 Ebd., 422. Dabei entwickelt sie auf „der Basis der allgemeinen Anthropologie […] zunächst propädeutisch den Begriff der Religion (Religionsphilosophie)“ (ebd., 425). 150 Vgl. G. SAUTER, „Dogmatik“, 56f. Ausschlaggebend ist dafür seine Unterscheidung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang, s.u. 151 Repräsentanzfunktion heißt: „Die Theologie vertritt die Kirche in bezug auf die Wissenschaft und sie vertritt die Wissenschaft in der Kirche.“ (Ders., Einleitung, 35; vgl. zur Kritik ebd., 38. 52. 64. 70). 152 Ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 224f. 153 Ders., Aufgabe der Theorie, 505f.

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methodischen Vorgehen die Aporien des Glaubens in klar beschreibbare und lösbare Probleme übersetzt werden.154 Wie stellt sich nun in einer solchen metatheoretischen Perspektive eine theologische Theoriebildung dar? Die theologische Theoriebildung, die wie jede Theoriebildung auf eine künstliche Anordnung der Wirklichkeit in einem Aussagenzusammenhang zielt, wird zunächst sowohl von einer empirischen Theoriebildung, welche von Basissätzen ausgeht, und einer axiomatischen Theoriebildung, für welche eine Theorie durch fundamentale Grundsätze konstituiert ist, unterschieden. Sie wird dem Typus einer kommunikativen Konstitution wissenschaftlicher Theorien zugeordnet, für den modellhaft etwa die Rechtswissenschaft steht.155 Als Zwischenform zwischen einer rein axiomatischen und einer streng empirischen Theoriebildung setzt die kommunikative Konstitution theologischer Theoriebildung „Dialogregeln“ voraus (Beispiele: die regula fidei, das Chalcedonense, die Exklusivpartikel der Reformation).156 Mit L. Wittgensteins Regeln von Sprachspielen strukturell vergleichbar führen sie zu einer geschichtlich-sozial begrenzten Argumentation, die auf einen klar erkennbaren empirischen Ort zurückverweist: den Verständigungsraum der Kirche.157 Für Sauter ist es schon aufgrund der Einsicht in die grundsätzliche Theoriegeladenheit von Wahrnehmung abwegig, normative Gehalte der Theologie außertheoretisch zu begründen, sei es im Rekurs auf Ergebnisse empirischer Wissenschaften, sei es im Rekurs auf vor- und außertheoretische religiöse Vollzüge. Nun mag man zwar solche – etwa 154 Sauter nennt fünf Aporien, darunter z.B. die Unvollständigkeit theologischer Rede angesichts der definitiven Offenbarung Gottes, die Aporie von Gottes Freiheit und Geschichte, die Aporie des gegenständlichen Redens von Gott. Aus Aporien ergeben sich strukturelle Probleme, welche die Theologie zu allen Zeiten geprägt haben. Aus ihnen muss sich das Problemlösungsverhalten ergeben, das sich aktuellen Probleme stellen kann, vgl. ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 229. 258; ders., Theologie als Beschreibung, 53f., und die weitere Diskussion mit Pannenberg in ders., Grundlagen der Theologie, 72f. 155 Ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 306: „Die kommunikative Konstitution wissenschaftlicher Theorien unterscheidet sich von den empirischen dadurch, daß sie sprachliche Sachverhalte an sich bereits als elementare Basis der Theoriebildung gelten läßt, ohne grundsätzlich eine Bestätigung in außersprachlich beobachtbaren, ‚gegenständlichen’ Gegebenheiten zu verlangen.“ Damit ist freilich auch für Sauter noch nicht alles zur Dialektik von Sprache und Wirklichkeit gesagt, vgl. ders., Theologie als Beschreibung, 50f.; ders., Zugänge zur Dogmatik, 62. 120. 122f. 268f. Allerdings läßt sich der Unterschied zu einem sprachanalytischen Ansatz wie demjenigen I.U. Dalferths, welcher einem Rückgang zur Wirklichkeit Gottes das kritische Potential der Theologie abgewinnt, kaum übersehen. 156 Vgl. ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 323ff.; in ders., Zugänge zur Dogmatik, 82, werden sie „Kern der Dogmatik“ genannt. 157 Vgl. ebd., 82ff.; ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 319.

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mittels eines Religions- oder Sprachbegriffs – zu einer kontrollierten Gewinnung von theologischen Aussagen theoretisieren, hat damit allerdings nach Sauter erst das erreicht, was der wissenschaftstheoretische Terminus „Entdeckungszusammenhang“ besagt.158 Die Theologizität von theologischen Aussagen hängt aber allein daran, ob sie mit dem aus „Dialogregeln“ bestehenden „Begründungszusammenhang“ in Einklang zu bringen sind.159 Zur Überprüfung einer Aussage wie des universellen Satzes „Alle Menschen sind Sünder“ kann man sich nicht auf die Suche nach einem falsifizierenden singulären Satz machen – denn: „Die universelle Aussage ‚Alle sind Sünder’ steht in einem Begründungszusammenhang, der auch die Begriffsbildung ‚Sünder’ enthält […]“160 Eine weitere wichtige Unterscheidung Sauters kommt ins Spiel, wenn gesagt wird: Bei aller unterstellten universalen „Reichweite“ des Inhalts theologischer Aussagen ist deren empirische „Geltung“ allein dort gegeben, wo eine empirisch begrenzte Dialogpraxis tatsächlich in Erscheinung tritt, nämlich im Sprach- und Verständigungsraum der Kirche.161 Das heißt nun aber: Erst der durch die Verständigung des Glaubens konstituierte empirische Sprachraum der Kirche, der nicht institutionell, sondern eben durch das Gelingen und Misslingen jener Verständigung faktisch begrenzt und damit letztlich offen ist, ermöglicht die Theoriefähigkeit und damit die Kontrollierbarkeit der Theologie!162 Um zu einer verantwortbaren theologischen Rationalität zu gelangen, kommt Theologie unbeschadet aller notwendigen universalen Entgrenzungen ihrer Behauptungen nicht umhin, sich methodisch durchgängig am sprachlichen Kontext der wirklichen Kirche zu orientieren.163 Sie wird dadurch zur kirchlichen Theologie. „Theologie als kirchliche Wissenschaft ist Einübung in spezifische Sprachleistungen, ist Sprachhilfe und darum Sprachkritik des faktischen kirchlichen Redens. Dieses Reden geschieht zwar immer an bestimmten Orten, in angebbaren Räumen, aber das sind nicht zugleich die Grenzen der Kirche.“164 Die zuletzt zitierte Aussage vermag allerdings nur ansatzweise darauf hinzudeuten, dass Sauters Verständnis von Theologie als kirch158 159 160 161 162

Ebd., 313f. Vgl. ebd., 289. 323. Ebd., 319 (Hervorheb. im Orig.). Vgl. ebd., 278f. 291. 318f.; ders., Zugänge zur Dogmatik, 237ff. Vgl. ders., Beobachtungen und Vorschläge, 25; ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 327. 163 Ders., Theologie – eine kirchliche Wissenschaft?, 297f. 164 Ebd., 299; vgl. ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 327. 330.

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licher Wissenschaft sich nicht durch gängige Programme des gleichen Titels festgelegt sieht und er sich die These der Theologie als Funktion der Kirche nur unter der Voraussetzung eines kritischen Verständnisses von Dogmatik zu eigen machen kann. Bevor dieses Verständnis und die damit verbundene Aufgabenbestimmung näher beleuchtet wird, sei an dieser Stelle lediglich festgehalten, dass für Sauter anders als für Pannenberg Theologie (etwa als Theologie der Religion) nicht erst nachträglich bzw. pragmatisch auf eine kirchliche Theologie zusammengezogen werden kann, dass für ihn vielmehr eine wissenschaftstheoretisch verantwortbare Theorie der Theologie, erst recht deren Aufgabenbestimmung, eine Theorie der Kirche voraussetzt.165 Dies nicht, um eine positive Vorgegebenheit zu legitimieren, sondern die Konstitutionsbedingungen theologischen Arbeitens offen zu legen, zu welchen eben ein sprachliches Verständigungssystem gehört. Erklärungsbedürftig ist allerdings nicht nur, wie im Rahmen dieses Ansatzes ein kritisches Gegenüber aufgebaut sein soll, sondern – in der Optik Pannenbergs gefragt – ob hier nicht immer schon ein Moment von Positivität ungeprüft vorausgesetzt wird. Dabei ist es eines, die Homologie als eine Weise, in der Glaubende ihr Verhältnis zu ihrem Glaubensgrund zum Ausdruck bringen und bejahen, als einen auf der Ebene menschlicher Verständigung vorausgesetzten und keiner Begründung bedürftigen Einsatzpunkt zu betrachten. Das Bekenntnis, sich nicht selbst zu begründen, gehört konstitutiv zur Rede von Gott.166 Ein anderes ist es, diesen Sachverhalt des Nicht-Begründungs-Bedürftigseins auf „dialogdefinite Sätze“ bzw. „Dialogregeln“ auszudehnen und von ihnen her einen Begründungszusammenhang zu entwerfen. Denn das heißt nichts anderes, als sie zur Grundlage einer Axiomatik bzw. einer axiomatischen Struktur von Theologie zu erklären.167 Man hat diesbezüglich – um zur Optik Sauters zurückzukehren – zu beachten, dass es einer kommunikativ konstituierten Theoriebildung entspricht, die ihr zugehörigen Axiome prinzipiell für vorläufig und revidierbar zu halten. Konkret im Falle der Theologie beträfe das z.B. anerkannte Dogmen wie die altkirchliche Trinitätslehre. Mit einer weiteren Unterscheidung Sauters gesprochen hieße dies, „dialogdefinit“ von „wahrheitsdefinit“ zu unterscheiden. Theologische Axiome, welche die theologisch sinnvollen Voraussetzungen und Grenzen eines Glaubensgesprächs abstecken und zugleich für deren Verständnis von Realität und Gegenständlichkeit konstitutiv sind, dienen der Wahrheitsfindung im Vollzug, ohne selbst je „wahrheitsdefinit“ zu werden.168 Sauters Frage an Pannenberg lau165 Vgl. ders., Wissenschaftstheoretische Kritik, 226, und das Gespräch mit Pannenberg in ders., Grundlagen der Theologie, 112f. 166 Vgl. ders., Zugänge zur Dogmatik, 55f. 167 So dann ausdrücklich in ders., Charakter der Theologie, 147ff.; vgl. schon die Anfrage von W. PANNENBERG, Antwort, 169ff. 168 Vgl. G. SAUTER, Zugänge zur Dogmatik, 64. 68f. 273.

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tet dementsprechend umgekehrt, ob Gott in irgendeiner Weise an der Weltwirklichkeit ausweisbar sein kann oder ob nicht vielmehr die (unabgeschlossene) Rede von Gott die Wirklichkeitserfahrung von Neuem zuallererst eröffnet.169 Dieser Sicht Sauters, der gemäß sich die Überprüfung theologischer Aussagen auf den ihren Wahrheitsgehalt bestimmenden Begründungszusammenhang bezieht, nicht wie für Pannenberg auf ihr Verhältnis zur Erfahrungswirklichkeit, entspricht es nun ganz, dass er das Ansinnen einer Fundamentaltheologie als Holzweg verwirft.170 An ihre Stelle tritt vielmehr eine „Theorie der Dogmatik“ bzw. eine „Theorie der Theologie“. Diese kann dann wiederum zeigen, dass Theologie nicht nur am Funktionieren eines aus der kirchlichen Binnenperspektive erhobenen Sprachspiels ausgerichtet ist, sondern an einer diesem kritisch gegenüberstehenden Begründungszusammenhang. „Der Weg der Dogmatik wird zwischen foundationalism und antifoundationalism hindurchgehen müssen.“171

Auf dem skizzierten Hintergrund seiner wissenschaftstheoretischen Positionierung kann Sauters Verständnis von Dogmatik, wie er es in seinem TRE-Artikel, später in seiner dogmatischen Einführung „Zugänge zur Dogmatik“ ausgeführt hat, in seinen Grundzügen bedacht werden. Im Folgenden wird dabei vor allem auf die erwähnte Frage geachtet, wie eine an die Kirche als den faktischen Geltungsraum theologischer Aussagen gebundene Theologie sich von diesem Geltungsraum reflexiv und kritisch distanzieren kann, soll sie es doch erklärtermaßen vermögen, ihrer Verzweckung zur Selbststeuerung und Selbsterhaltung der Kirche entgegenzutreten.172 M. Kählers doppelte Gegenstandsbestimmung (vgl. 1.1.3.) ist für Sauter nicht nur darin wegweisend, wie sie es erlaubt, historische Forschung und theologische Argumentation zu verzahnen, ohne von Ersterer die Begründung des Glaubens zu erwarten.173 Sie macht auch darauf aufmerksam, dass der eigentümliche Gegenstand der Dogmatik nur indirekt zugänglich ist. Selbst so verschiedene Ansätze wie derjenige K. Barths und derjenige W. Pannenbergs folgen dieser Struktur. Sauter grenzt sich von ihr insofern ab, als sie – wie die genannten Entwürfe zeigen – dazu verleiten kann, die „Sache“ der Dogmatik von der „Sprache“ abzuheben und in der Durchführung dann gleichwohl auf

169 Vgl. ders., Theologie als Beschreibung, 49f. 170 Vgl. ders., Fundamentaltheologie, 37-40; ders., Zugänge zur Dogmatik, 310ff. – Fundamentaltheologie wird hier immer als Rekurs auf allgemein einsichtige Phänomene und im Sinne einer Letztbegründung verstanden. 171 Ebd., 315. 172 Vgl. die dementsprechenden Abgrenzungen Sauters von N. Luhmann und von der nordamerikanischen Schule um H. Frei in ebd., 19ff. 314f. 173 Ders., Einleitung, 49f.

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eine theologische Objektsprache zurückzugreifen.174 Angesichts der so verwickelten Situation der Gegenstandsfrage plädiert Sauter nun dafür, die eigentümliche theologische Objektsprache nicht nur nicht auszublenden, sondern durch sie vielmehr die Frage nach dem eigentlichen Gegenstand der Dogmatik beantwortet zu sehen. Daraus resultiert dann die folgendermaßen umrissene Position, die sich, wie unschwer zu erkennen, mit dem deckt, was zur kommunikativ konstituierten Eigenart theologischer Theoriebildung bereits gesagt wurde: „Dogmatik kann darum keine kritische Reflexion der Äußerungen christlichen Glaubens und auch keine Metasprache über eine elementare Glaubenssprache sein. Sie tritt vielmehr neben andere Redeweisen in Kirche und Frömmigkeit, die jedoch nichts substantiell anderes aussagen. Der entscheidende Unterschied liegt nicht in der ‚Sache’. Das proprium dogmatischer Begriffe und Aussagen ist vielmehr in dem Umstand zu suchen, daß die Dogmatik zugleich die Bedingungen des Redens von Gott nennt, ohne reflexiv die Ebene der Objektsprache zu verlassen. Die Dogmatik formuliert den Grund des Redens von Gott, […] ohne dieses Reden selbst zu begründen und damit ihren Ursprung aufzuheben. Daß sie sich auf Voraussetzungen einläßt, ohne sich damit einfach auf historisch Gegebenes zu verlassen, ist auch das charakteristische Merkmal ihrer Gebundenheit an die Bibel und an die Bekenntnisse der Kirche.“175 Als Regeln für das Reden von Gott bedarf es theologischer Aussagen um der Selbstverständigung und Verständigung der Glaubenden willen, also um Prozesse willen, welche, wie bereits erwähnt, in der konkreten Wirklichkeit der Kirche, samt dem dort geführten Streit, was denn als glaubens-würdig zu gelten hat, ihren Ort haben.176 Um zu einer kritischen Distanz zu gelangen, soll Dogmatik nicht die Ebene der Objektsprache verlassen.177 Was kritische Distanzierung nach Sauters Sinn deshalb allein bedeuten kann, ist in der zitieren Stelle mit den Stichworten von „Bedingung“ und „Grund des Redens von Gott“ angezeigt. Damit ist aber nichts weniger angezeigt als die Grundaufgabe der Dogmatik, nämlich sich auf die dem Glauben eigene Externität – wie sie etwa im exemplarischen Phänomen des Redens von Gott, dem Ge174 Ders., „Dogmatik“, 48f. 175 Ders., „Einfaches Reden von Gott“, 167 (Hervorheb. im Orig.); eine etwas kürzere Fassung findet sich in ders., „Dogmatik“, 50. 176 Hinsichtlich des Bezugs auf diese Verständigungsebene grenzt sich Sauter explizit von K. Barths Bezug auf die kirchliche Verkündigung ab, vgl. ebd., 49. 58. 177 Auch die Ausarbeitung einer Metatheorie von Dogmatik bzw. Theologie vollzieht, wie Sauter unermüdlich betont, keinen befristeten Kirchenaustritt; vgl. ders., Theologie als Beschreibung, 57; ders., Fundamentaltheologie, 40; ders., Zugänge zur Dogmatik, 311.

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bet, zum Ausdruck kommt – einzulassen und dieser Externität durch kritische Urteilsbildung zu dienen.178 Dogmatik behaftet die Rede von Gott und kirchliches Handeln auf ihre Bedingung und ihren Grund im Handeln Gottes und formuliert einen theologischen Begründungszusammenhang, den sie – auch und gerade angesichts vorlaufender kirchlicher Konsense, Dekrete oder Konventionen – der Kirche gegenüberstellt und verantwortet. Man muss sogar sagen: Die Kirche wird letztlich sich selbst gegenübergestellt, wenn sie z.B. auf notae ecclesiae angesprochen wird, die ihr faktisches Dasein mit ihrem externen Grund verklammern.179 Bei alldem redet Dogmatik in der Kirche und bezieht sich in einer ganz bestimmten Weise auch auf kirchliche Lehre. Durch kirchliche Lehre nämlich hat sich Kirche bereits selbst ihrer Externität unterstellt – und zwar so, dass ihre dialogdefinite Grenze und damit ihre Partikularität markiert ist.180 Diese kirchliche Lehre bedarf aber der Urteilsbildung daraufhin, was unter allen Umständen und unbedingt zu sagen ist. Oder positiv formuliert: Dogmatik gibt „der Kirche die Freiheit …, das ihr Gemäße zu sagen und zu tun.“181 Dazu muss sie selbst von institutioneller Selbständigkeit und Freiheit sein. Kirchliche Lehre und Dogmatik unterscheiden sich folglich vor allem in ihren Funktionen (Selbstbindung und kommunikative Partikularisierung – Prüfung auf Begründungszusammenhang und Eröffnung bzw. Begrenzung eines Konsensraums). Damit ist nun auch bezeichnet, in welchem Sinn allein von der Dogmatik bzw. von der Theologie als Funktion der Kirche gesprochen werden kann: Wenn Dogmatik den Begründungszusammenhang – und das heißt: die inneren Gründe kirchlichen Handelns – zur Geltung bringt, ist sie eine in sich selbst sinnvolle Denkpraxis, „nicht von anderen Zweckmäßigkeiten abhängig, insofern auch keine ‚Funktion’ einer übergeordneten Bestimmung von Kirche. Die Dogmatik nötigt deshalb zur Rücksichtslosigkeit – ein anderer Ausdruck für ihre Unbedingtheit und Voraussetzungslosigkeit als Wissenschaft.“182 Die Funktionsthese 178 Vgl. ebd., 27f. 179 Vgl. ebd., 140-145. 244f. Das bedeutet dann auch eine Selbstbeschränkung gegenüber der praktisch-theologischen Aufgabe einer Theorie kirchlichen Handelns. 180 Vgl. ebd., 100-103. 181 Ebd., 148. 182 Ebd., 149. Das zuletzt genannte Motiv der Rücksichtslosigkeit ist übernommen von M. SEILS, Rolle der Dogmatik, 8. Vgl. auch die Zusammenfassung Sauters in ders., „Dogmatik“, 57: „Dogmatik kann zwar nicht abseits von Kirche bestehen, sie geht jedoch nicht in der Kirche auf, sondern steht der faktischen Kirche in bestimmter Weise gegenüber. In diesem dialektischen Verhältnis hat Dogmatik eine kirchliche Funktion, in der ihre konstitutive Beziehung zur Kirche zum Ausdruck kommt – im

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ist für Sauter daher unterbestimmt, wenn sie soziologisch-systemtheoretisch auf die Selbsterhaltung bzw. Selbststeuerung einer religiösen Gruppe bezogen (N. Luhmann), wenn sie kulturtheoretisch oder wissenschaftssystematisch in einen Verweiszusammenhang eingezeichnet (F. Schleiermacher), oder aber theologisch auf eine Kirche ausgerichtet wird, die einen dogmatisch entworfenen Sachverhalt darstellt (K. Barth).183 Dogmatik gewinnt als „Wissenschaft vom Dogma“ ihre Bestimmung nicht von Faktoren außerhalb ihrer, gleichwohl hat sie ihren Lebensbezug in der Verständigung von glaubenden Menschen, wie sie sich im wirklichen Sprachraum der Kirche vollzieht.184

1.1.7.5. George Lindbeck und Stanley Hauerwas Der Ansatz des bis zu seiner Emeritierung an der Yale University lehrenden evangelischen Theologen George Lindbeck, dessen Bekanntheit sich auch im deutschsprachigen Raum weitgehend der Diskussion um seine Untersuchung „The Nature of Doctrine“ (1984)185 verdankt, zielt letztlich auf eine gegenüber des eben dargestellten Entwurfs von G. Sauter weit engere, weil strukturell kommunitaristisch gedachte Beziehung der Theologie zum Sprachraum der Kirche. Ihm liegt dabei ein kulturell-sprachliches Religionsmodell zugrunde, welches jeder kulturellen Plausibilisierung von Theologie und Kirche durch einen subjektivitätstheoretisch konstruierten Religionsbegriff entgegensteht186 und so als provozierender Gegenentwurf zu der nachfolgend vorzustellenden Konzeption von E. Herms, vollends aber zu der im zweiten Teil der Arbeit zu analysierenden Konzeption von W. Gräb gelesen werden kann.187

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Unterschied zu einer Dogmatik, die eine Funktion der Kirche genannt wird, weil sie ein spezifischer Teil der Selbstdarstellung der Kirche ist.“ (Hervorheb. im Orig.) Vgl. ders., Einleitung, 70; ders., „Dogmatik“, 58f. Im Blick auf die Funktion des Kirchenbegriffs bei K. Barth scheint Sauter hier der Interpretation von T. Rendtorff zuzustimmen. Vgl. ebd., 52. 58f. Deutsche Fassung: Christliche Lehre als Grammatik des Glaubens (1994). Vgl. G. THOMAS, Religionstheorie, 292. Die Anzahl der Besprechungen von Lindbecks Ansatz ist kaum mehr zu überblicken. Die gründlichste Monographie im deutschsprachigen Raum hat A. ECKERSTORFER, Kirche in der postmodernen Welt (2001), vorgelegt. Wichtige Aufnahmen finden sich bei R. HÜTTER, Theologie als kirchliche Praktik, 64ff.; auch bei M. ZEINDLER, Gotteserfahrung, 89ff. Vgl. dazu unten, 2.1.4.: Im Verhältnis von Religion und Kultur, von externer und interner Dimension von Religion votieren Lindbeck und Gräb, was die prioritäre Präge- und Formierungsrichtung betrifft, gegenläufig.

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Profil gewinnt Lindbecks Ansatz auf dem Hintergrund des von ihm als Krise von Theologie und Kirche Empfundenen, nämlich des Verlusts der gesellschaftlich-kulturellen Prägekraft des „konstantinischen“ Christentums. In seiner früheren Phase legte sich ihm für den epochalen Überschritt in eine post-konstantinische Zeit ein Diasporachristentum, eine strukturell vorkonstantinisch gedachte „sectarian church“ nahe, während er sich später deutlich von der Idealisierung früherer Epochen abgrenzt und stärker dem gesellschaftlich-kulturellen Auftrag der Kirche an einer entchristlichten Umwelt Rechnung trägt, er sogar von einer „Christianization of culture“ sprechen kann.188 Grundsätzlich gilt allerdings und macht dann auch eine Grundlinie seiner eben erwähnten Untersuchung aus, dass Theologie und Kirche ihre Prägekraft nicht durch die Konzentration auf die Frage gewinnen können, wie das Christliche in einer entchristlichten Umwelt noch relevant werden kann, sondern durch die entschlossene Konzentration „auf ihre eigenen intratextuellen Standpunkte und Lebensformen“.189 Voraussetzung dafür ist in Lindbecks Konzeption ein kulturell-sprachliches Religionsmodell. Dieses hatte er in vortheologischer und ökumenischer Absicht ursprünglich zur Erklärung dessen entwickelt, warum es zu einem Konsens in Lehrdifferenzen kommen kann, ohne dass die beteiligten Kirchen ihre spezifische Identität in Lehre und Tradition aufgeben.190 Das Ergebnis ist ein „postliberal“ genannter Ansatz, der eine beachtenswerte Auffassung von kirchlichen Lehrsätzen und Theologie mit sich bringt. Lindbeck hebt sein kulturell-sprachliches Modell von Religion kontrastierend von einem präliberalen kognitiv-präpositionalen Verständnis ab, das religiöse Äußerungen im klassischen Sinn als propositionale Sätze begreift – und ebenso von einem liberalen „erfahrungs- und ausdrucksorientierte[n]“ Verständnis, das religiöse Äußerungen als expressive Symbole einer religiösen Kernerfahrung auffasst.191 Gegenüber der zuletzt genannten Ansicht, welche Lindbeck idealtypisch vergrö-

188 Das zeigt sich etwa in Lindbecks Sammelband “The Church in a Postliberal Age“, darin: Confession and Community, 7. Dort auch: “The waning of cultural Christianity might be good for the churches, but what about society?” Es handelt sich bei diesem Aufsatz um einen autobiographischen Einblick in die Veränderungen von Lindbecks Denken (später veröffentlicht unter: „How My Mind Has Changed”). A. ECKERSTORFER, Kirche in der postmodernen Welt, 71ff., macht drei Schaffensperioden aus. Bemerkenswert erscheint, dass Lindbeck den Verlust der Prägekraft des Christlichen mit einer Krise der Schriftauslegung verbinden kann: vgl. G. LINDBECK, Heilige Schrift, 66. 189 Ders., Christliche Lehre, 187. 190 Vgl. ebd., 17f. 26f. 191 Ebd., 34. 53f.

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bernd dem liberalen, subjektorientierten Protestantismus seit Schleiermacher zuschreibt, ist sein eigenes Modell geradezu als „Umkehrung“ entworfen. Religion ist „in erster Linie“ nicht äußere Manifestation einer inneren, unschematisierten Erfahrung, sondern umgekehrt: „Eine Religion kann als eine Art kulturelles und / oder sprachliches Grundgerüst und Medium betrachtet werden, das die Gesamtheit von Leben und Denken formt. Sie funktioniert in etwa wie das kantische Apriori, obgleich in diesem Falle das Apriori eine Reihe von erworbenen Fertigkeiten ist, die ganz andere sein könnten. [...] Gleich einer Kultur oder Sprache, ist sie ein gemeinschaftliches Phänomen, das viel eher die jeweilige Subjektivität Einzelner prägt, als daß sie in erster Linie eine Manifestation dieser jeweiligen Subjektivität wäre.“192 Das symbolische bzw. konzeptionelle Schema einer Religion stellt also gleich einer Sprache – Lindbeck kann auch sagen: gleichsam als verbum externum – die Bedingung der Möglichkeit religiöser Erfahrung dar, insofern es diese prägt, formt und so gewissermaßen konstituiert.193 Lindbeck folgt zur Erklärung des Verhältnisses von Religion und Erfahrung explizit der Struktur des aristotelischen Hylemorphismus: Die symbolischen Schemata haben als formative Vorgegebenheiten deshalb Vorrang vor der Erfahrung, als diese nur insofern existiert, als sie geformt ist.194 Gleichwohl ist das Verhältnis von Religion und Erfahrung nicht einlinig, vielmehr in reziproker Wechselwirkung zu denken, so dass ein partikular-gemeinschaftlicher Symbolbestand nicht sakrosankt, sondern prinzipiell veränderbar erscheint. Sowohl fremde Erfahrungsmuster als auch prophetisch-kreativer Innovationsgeist können Änderungen bzw. Neuprägungen herbeiführen. Die Pointe ist allerdings, dass erst ein verändertes konzeptionelles Schema auch erfahrungskonstituierend wirksam zu werden vermag.195 Schon in diesem differenzierten Zusammenhang ist es begründet, dass die Aufgabe der Theologie – entgegen der ersten Vermutung – nicht positivistisch in einer deskriptiven Explikation aufgehen kann.196 Von weitreichender Bedeutung ist es zunächst jedoch, dass der Vorrang der symbolischen Schemata das Religiöswerden als Aneignung von sprachlichen Fertigkeiten, als Erlernen eines Symbolsystems einer bestimmten Religion verstehen heißt: „Um Christ zu werden, lerne ich die Geschichte Israels und der [sic] Jesu so gut, dass ich mich 192 193 194 195 196

Ebd., 56f. vgl. 59. 62. Ebd., 58. Ebd., 59. Vgl. ebd., 57. 67f. So richtig und mit Verweisen auf spätere Äußerungen Lindbecks belegt bei A. ECKERSTORFER, Kirche in der postmodernen Welt, 145f.

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und meine Welt nach ihren Begriffen interpretieren kann.“197 Darstellung und Vermittlung dieser sprachlichen Fertigkeit vollziehen sich nicht lediglich in der kognitiven Dimension explizit formulierter Glaubensausagen oder Verhaltensnormen, sondern mindestens ebenso in ihren ästhetischen und nichtdiskursiven Dimensionen (Ritus, Kunst, Vorbild). Auch diesbezüglich bleibt das gemeinschaftliche Leben ausschlaggebend: „Die Verkündigung des Evangeliums, wie dies ein Christ sagen würde, mag vor allem in der Nacherzählung der Geschichte Jesu Christi bestehen, doch gewinnt dies Macht und Bedeutung nur insofern, als es in die ganze Gestalt gemeinschaftlichen Lebens und Handelns eingebettet ist.“198 Bereits hier wird die an anderer Stelle199 explizit vorgenommene Anlehnung an die Story-Konzeption der narrativen Theologie sichtbar, die in noch stärkerer (v.a. theologischer und ethischer) Ausprägung dann bei S. Hauerwas begegnen wird. Lindbeck hat sich mit seinem religionstheoretischen Modell den Ausgangspunkt zur Beantwortung der Frage geschaffen, wie in der als Krise empfundenen fortschreitenden Entchristlichung der Gesellschaft eine „postliberale“ Option gegenüber dem „Anpassungsdruck“ der Moderne verfasst sein wird. Anders als der liberale Weg der Anpassung an die Kultur, welcher – um die Mitgliederzahl der Kirchen einigermaßen aufrecht zu erhalten – die Mehrheit der Bevölkerung zu integrieren aufgibt, aber unweigerlich den Verlust der gesellschaftlichkulturellen Prägekraft des Christlichen zur Folge habe, empfiehlt sich für Lindbeck eine Vergesellschaftung des Christlichen in profilierten Gemeinschaften. Denn diese können – in Anlehnung an P. Berger formuliert – psycho-soziale „Plausibilitätsstrukturen“ bereitstellen, um das Fremde des Glaubens gegenüber den Überzeugungen seiner Umwelt wirksam zu erhalten.200

197 G. LINDBECK, Christliche Lehre, 58. In ders., Heilige Schrift, 70ff., nimmt Lindbeck die Vorstellung des „Bewohnens“ und Befolgens des biblischen Textes auf und sieht darin die „Wiederentdeckung der klassischen Hermeneutik“. 198 Ders., Christliche Lehre, 61. 199 Vgl. ebd., 122f. 174ff. 200 Ebd., 117; vgl. 195f.! Lindbeck selbst grenzt seinen soziologischen Sektenbegriff von der Vorstellung soziologischer Ghettos ab (ebd., 117). Er unterscheidet sich, wie M. ZEINDLER, Gotteserfahrung, 97, zu Recht bemerkt, erheblich vom Sektenbegriff E. Troeltschs. Dabei ist allerdings auch im Blick auf Troeltsch zu berücksichtigen, dass Kompromiss bzw. Versöhnung von Kultur und Religion einen bleibenden „Kulturgegensatz“ der Religion voraussetzt. Der Sektenbegriff Lindbecks steht jedenfalls nicht für einen Rückzug, sondern für eine Wiedergewinnung der gesellschaftlichkulturellen Prägekraft des Christlichen durch Identitätsprofilierung.

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Lindbeck verbindet sein kulturell sprachliches Modell mit einem regulativen Verständnis von kirchlicher Lehre.201 Kirchliche Lehraussagen sind nicht als expressive Symbole oder als Wahrheitsbehauptungen aufzufassen, sie stellen als Diskurse zweiter Ordnung (als Grammatik) vielmehr das Regelwerk des Gebrauchs religiöser Sprache erster Ordnung in einer bestimmten Gemeinschaft dar.202 Als ein solches Regelwerk bzw. eine solche Grammatik sind kirchliche Lehrsätze allerdings für die Identität einer Gemeinschaft konstitutiv. Oder anders gesagt: Die Grammatik einer Religion bestimmt, was christlich ist, nicht das Vokabular per se – andererseits vermag die Grammatik per se nicht zu bestimmen, was wahr oder falsch ist, das leistet dasjenige, was sich im Vollzug religiösen Sprechens und Lebens bewährt.203 Besonders an dieser Stelle zeigt sich die von Lindbeck anvisierte Möglichkeit ökumenischer Verständigung: Als Regelwerk zweiter Ordnung aufgefasst garantieren Lehren die Identität der Kirchen; ihre Verschiedenheit muss aber nicht direkt als Widerspruch auf der Ebene der Wahrheitsansprüche aufgefasst werden.204 Hinsichtlich der gemeinschaftlichen Normativität unterscheiden sich Theologie und kirchliche Lehre; zugleich ist mit Letzterer aber auch der Bezugspunkt theologischer Aufgabenstellung benannt. Lindbeck hält zunächst daran fest, dass es „innerhalb eines Rahmens gemeinschaftlich lehrmäßiger Übereinstimmung [...] eine große Vielfalt theologischer Erläuterungen, Verständigungen und Verteidigungen des Glaubens geben“ kann.205 Diese stellen theoretische Optionen der Theologie dar und sind als solche nicht gemeinschaftlich normativ. Gleichwohl richtet sich die Systematische Theologie als eine beschreibende Disziplin auf die „normative Explikation der Bedeutung einer

201 Es ist hier nicht weiter auszuführen, dass dieses Modell, das als kommunitaristische Auslegung von L. Wittgensteins Sprachspieltheorie verstanden werden kann, von Lindbeck außerdem zur Grundlage von Erörterungen über die Wahrheits- und Absolutheitsansprüche von Religionen gemacht wird. Zu diskutieren wäre seine häufig kritisierte wie missverstandene Zuordnung von intrasystematischer und ontologischer Wahrheit, welche Letztere in den Vollzug bzw. den Gebrauchskontext einer Glaubenspraxis einbindet (vgl. den Exkurs in ders., Christliche Lehre, 100-109; dazu R. HÜTTER, Theologie als kirchliche Praktik, 77-82). 202 G. LINDBECK, Christliche Lehre, 37. 203 Vgl. ebd., 109. 111. Lindbeck hat in dieses etwas schematische Verständnis beachtenswerte Differenzierungen eingebaut: Dogmen können von der Ebene der Grammatik (qua Dogma) durchaus auch in den Zusammenhang des Sprachvollzugs erster Ordnung einrücken und insofern ontologische Wahrheitsansprüche implizieren; vgl. ebd., 122; zu späteren Differenzierungen außerdem A. ECKERSTORFER, Kirche in der postmodernen Welt, 127f. 204 Vgl. G. LINDBECK, Christliche Lehre, 37. 122f. 205 Ebd., 114.

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Religion für ihre Anhänger“.206 Erklärlich wird diese Auffassung, wenn man sich die dazu von Lindbeck vorgeschlagene Methode der Intratextualität vor Augen hält, wie er sie in Anlehnung an das Modell der „dichten Beschreibung“ von C. Geertz entwickelt: Es handelt sich im Gegensatz zu extratextuellen Methoden (wie sie sowohl der historischkritischen Rekonstruktion als auch ihrem fundamentalistischen Pendant zugrunde lägen)207 um eine Methode, welche Bedeutung und Sinn nicht außerhalb eines Textes oder eines semiotischen Systems, sondern von seinem Inneren heraus zu erheben sucht.208 Was „Gott“, was „Liebe“ oder was „Realität“ bedeutet, dies alles kann nicht abgesehen vom Gebrauch einer spezifischen Sprache bzw. eines spezifischen Symbolsystems bestimmt werden. Eine „intratextuelle“ Theologie versucht deshalb schon gar nicht, den liberalen Weg zu beschreiten und die Inhalte der christlichen Lehre in system-externe Kategorien zu übersetzen. Sie beschreibt vielmehr „alles als der Innenseite zugehörig“, ihr biblischer Interpretationsrahmen „absorbiert“ die Welt.209 Dem kulturell-sprachlichen Religionsmodell entsprechend vermag Theologie so zu erhellen, wie Religion Realität und Erfahrung prägt. Sie bleibt zur Erfüllung dieser Aufgabe ganz am konkreten Lebens- und Gebrauchskontext einer Gemeinschaft orientiert. Lindbeck hebt selbst hervor, dass die von ihm anvisierte postliberale Methode der Intratextualität große Ähnlichkeiten mit der altkirchlichen Katechese aufweist. Das heißt: „Anstatt den Glauben in neuen Konzepten wiederzugeben, sucht sie ihren potentiellen Anhängern die Sprache und Praxis der Religion zu lehren.“210 Im Zusammenhang einer fortschreitenden Entchristlichung erhält so auch Luthers katechetische Art, Theologie zu treiben, Vorbildfunktion. Ein katechetischer Ansatz erlaubt es überdies, eine verlorengegangene Analogie zur rabbinischen Tradition des Judentums wiederzuentdecken, für das der Umgang mit Minoritätserfahrungen zum essentiellen Bestandteil seiner Geschichte gehört.211 Beschreibende Theologie verhilft so zur Einübung und Einführung in den christlichen Glauben – unbeschadet dessen, dass ihr durchaus auch eine korrigierende und in gesellschaftlichen Umbrüchen weiterführende Funktion eigen ist.212 Lindbeck weist nachdrücklich darauf 206 207 208 209 210 211 212

Ebd., 164. Ausführlich in ders., Heilige Schrift, 55-60. Vgl. ders., Christliche Lehre, 164f. Ebd., 166. 170. Ebd., 194. Ders., Martin Luther and the Rabbinic Mind, 36f. Vgl. ders., Christliche Lehre, 189. 193f.

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hin, dass dieses Verständnis von Theologie keineswegs in eine intellektuelle Ghettoisierung führt, es vielmehr die Interdisziplinarität geradezu befördert. Dies gilt beispielsweise im Blick darauf, dass die Orientierung an Intratextualität mittlerweile eine Vielzahl von Disziplinen auszeichnet.213 Vorausgesetzt ist für ihn dabei freilich die Einsicht, das Intratextualität weder Irrationalität noch Fideismus bedeutet. Religion hat ihre eigene (begründungstheoretisch aufgefasste) Rationalität. Diese spielt zwar beim Zum-Glauben-Kommen, insofern dies dem Erlernen einer Sprache gleicht, weniger eine Rolle; sobald ein religiöses Interpretationsschema aber erlernt ist, kann es zum Gegenstand „rationaler Testvorgänge“ werden (B. Mitchell).214 Eine differenzierte Evaluation des Entwurfs von G. Lindbeck ist mit erheblichen Schwierigkeiten schon insofern belastet, als er selbst in umfänglicher Weise von idealtypischen Konstruktionen und kontrastierenden Negativfolien Gebrauch macht. Das betrifft etwa seine Sicht des theologischen Liberalismus, seine Sicht der Moderne, aber auch seine idealtypische Anwendung des aristotelischen Hylemorphismusmodells in kulturtheoretischer Hinsicht. R. Hütter hat sich von diesen Schwierigkeiten nicht aufhalten lassen, sich der seiner Meinung nach eigentlichen Schwäche, der mangelnden theologischen Verortung des Lindbeckschen Entwurfs, zugewandt und die formalisierte Vorstellung des verbum externum einer pneumatologisch-ekklesiologischen Reflexion zugeführt: Kirche wird als der soteriologische Raum des Handelns Gottes entfaltet und dabei als durch spezifische Kernpraktiken und die kirchliche Lehre konstituiert gedacht, welche am Sein des Heiligen Geistes partizipieren.215 213 Ebd., 189f. Zu Lindbecks Plädoyer für eine universitäre Theologie vgl. A. ECKERSTORFER, Kirche in der postmodernen Welt, 155-160. 214 G. LINDBECK, Christliche Lehre, 192: „Eine positive oder negative Bestätigung erfolgt durch eine Zunahme von Erfolgen oder Misserfolgen, indem man die entsprechenden Daten praktisch oder kognitiv schlüssig erklärt, und dieser Vorgang kommt im Falle der Religionen bis zum Verschwinden der letzten Glaubensgemeinschaften oder, falls der Glaube überlebt, bis zum Ende der Geschichte nicht zum Abschluß. Dieser Prozeß versetzt einzelne gewiß nicht in die Lage, allein auf der Grundlage der Vernunft zwischen größeren Alternativen zu entscheiden, aber er gibt doch Gewähr dafür, daß in der Religion Vernünftigkeit ernst genommen wird, und er hilft zu erklären, warum die intellektuellen Anstrengungen der Theologen, die ohne entsprechende Praxis nichts sind, manchmal doch bedeutsame Beiträge für das Wohl einer religiösen Tradition leisten.“ 215 Vgl. R. HÜTTER, Theologie als kirchliche Praktik, 42f. 91. 130. 183: „Die Kirche ist gemäß der hier entwickelten pneumatologischen Logik als ein Geflecht von Kernpraktiken zu verstehen, die Kirche in einem konstituieren und kennzeichnen. In Form dieser Kernpraktiken subsistiert die Kirche enhypostatisch im Heiligen Geist, und durch sie vollzieht der Heilige Geist seine ökonomische Mission [...] Neben diesen Kernpraktiken sind noch eine ganze Reihe der Kirche inhärenter und dem Glau-

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Zu bedenken ist hinsichtlich des Ansatzes von Lindbeck außerdem die starke Dichotomisierung von Glaubens- und Kulturwelt, von Interpretationssystem und Erfahrung, welche den vielfältigen Interdependenzen zwischen den Bereichen nicht ansichtig wird und die produktive Rückkopplung externer Anfragen – unbeschadet dessen, ob man dafür ein anderes Symbolsystem oder das Bestimmende einer göttlichen Wirklichkeit setzt – theoretisch nicht einzuholen vermag. So wertvoll es ist, das urchristliche Kontrastmotiv und die formative Kraft einer durch die christliche Gemeinde verkörperten Interpretationsperspektive für die Entstehung religiöser Erfahrung herauszustellen, so sehr ist also auch nach den externen Korrekturmöglichkeiten eines solchen symbolischen Schemas zu fragen. Dazu wird wohl ein anderer Kulturbegriff notwendig werden, welcher dem gleichzeitigen Geprägtsein von kultureller Welt und der Welt religiöser Symbole Rechnung trägt.216 Als einflussreicher christlicher Ethiker in den USA teilt Stanley Hauerwas bedeutsame Grundentscheidungen der Position von Lindbeck, ohne sie erst von diesem übernommen zu haben. Dazu gehört der narrative und ekklesiologisch verankerte Ansatz, die Methode der Intratextualität und die formativ-prägende Beziehung zwischen Gottes Geschichte, kirchlichem Gemeinwesen und ethischem Subjekt bzw. Charakter. Folgendes Zitat mag für die Kernthese seiner Position stehen: „Wir sind in eine ‚bestimmte Geschichte’ gefaßte Menschen (storied people), weil der Gott, der uns erhält, selbst ein in eine ‚bestimmte Geschichte’ gefaßter Gott (storied God) ist, den wir nur kennenlernen, indem wir unseren Charakter dem Charakter Gottes gemäß bilden. Eine derartige Charakterbildung ist kein isoliertes Geschehen, sondern verlangt vielmehr die Existenz eines ihr entsprechenden Gemeinwesens, d.h. eines in eine ‚bestimmte Geschichte’ gefaßten Gemeinwesens (storied society).“217 ben integraler Praktiken zu benennen, die in einer Vielzahl von Beziehungen zu den konstitutiven Kernpraktiken stehen. Eine dieser Praktiken ist die Theologie.“ Bei W. GRÄB, Rezension „Hütter“, 507, konnte diese Theologisierung, die Hütter ja dezidiert aus der theologischen Innenperspektive heraus entworfen hatte, keinerlei Anerkennung finden: Hier werde Theologie aus jedem zeitgeschichtlichen Kontext der real-existierenden Volkskirche herausgenommen. Vgl. auch die Bewertung von Hütters Position bei P. DABROCK, Antwortender Glaube, 154ff. 216 Vgl. dazu die Auseinandersetzung von M. VOLF, Theologie, Sinn und Macht, 126ff. Es sei darauf hingewiesen, dass unten in der Entwicklung einer eigenen Position in 3.3. und 3.5. die Thesen 11 und 17 als implizite Auseinandersetzung mit dem hier angesprochenen Problemfeld gelesen werden können. 217 S. HAUERWAS, Kirche in einer zerrissenen Welt, 341. Zu Hauerwas vgl. die grundlegenden Hauerwas-Darstellungen bei R. HÜTTER, Evangelische Ethik, 107-265; E. KA-

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Dieser Ansatz hat eine weitreichende Bedeutung für eine theologische Ethik, welche hier nicht zur Erörterung ansteht. Im vorliegenden Zusammenhang ist das Augenmerk vor allem auf die Punkte zu richten, die gegenüber Lindbecks Auffassung eine deutlichere Reflexion vermuten lassen. Ausgangspunkt ist für Hauerwas die Einsicht, dass menschliches Selbstverständnis eine narrative Struktur aufweist, welche selbst als Zeichen seines kontingenten und geschichtlichen Wesens interpretiert werden kann.218 Das impliziert dann aber nichts weniger als die Feststellung, dass auch ethischem Denken grundsätzlich eine Relationalität zu einer das jeweilige Selbst bestimmenden story eigen ist. In christlicher Hinsicht erlaubt es ein narrativer Ansatz darüber hinaus, dem intrinsischen Zusammenhang von Gottes- und Selbsterkenntnis Rechnung zu tragen. Und schließlich verbindet er sich mit dem Erfordernis eines Gemeinwesens, das sich von der story Gottes prägen und bestimmen lässt und auf diese Weise für die Welt – gerade in der Unterschiedenheit von ihr – die Verkörperung einer „realen Option“ darstellt.219 Hauerwas geht dabei davon aus, dass die die Kirche umgebende Welt nicht durch rationale Überzeugungen, sondern durch eine praktische Lebensweise zu gewinnen ist, welche selbst durch Nachfolge, durch Gottesdienst und Liturgie geprägt ist.220 Christliche Ethik folgt nicht erst aus dem Geprägtsein durch eine bestimmte Geschichte, sie besteht vielmehr schon darin, sie verhilft zu einem neuen Wahrnehmungsvermögen. Insofern haben christliche Überzeugungen selbst schon eine eminent praktische Bedeutung, die dann auch in die Aufgabenstellung der Theologie eingeht: „Theologie ist eine praktische Aktivität, die sich damit beschäftigt darzustellen, wie christliche Überzeugungen das Selbst und die Welt konstruieren.“221 Dieser epistemologisch nicht näher ausgeführte Grundsatz und das ethische Erfordernis der Verkörperung einer bestimmten Geschichte

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TONGOLE, Beyond Universal Reason; sowie die vom Vorwurf der Selbstimmunisierung durchzogene, kritische Untersuchung von B. ROMMEL, Ekklesiologie und Ethik. Letztere folgt im Aufbau ihrer Darstellung dem angegebenen Hauerwas-Zitat. S. HAUERWAS, Selig sind die Friedfertigen, 74. 76; ders., Christian Existence Today, 29. 38-41. Ders., Kirche in einer zerrissenen Welt, 371: Die Aufgabe der Christen besteht darin, „die Art von Menschen zu sein und ein solches Gemeinwesen zu bilden, daß sie für andere zu einer ‚realen Option’ werden und ihnen eine reale Konfrontation bieten können. Solange es ein solches Gemeinwesen nicht gibt, gibt es auch keine ‚reale Option’“. Ders., Truth about God, 37f.; ders. / S. WELLS, Christian Ethics, 7ff., u. Gift of the Church, 24ff. Ders., Selig sind die Friedfertigen, 107; vgl. 77.

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ergeben bereits die entscheidenden Elemente des Programms von Kirche als Sozialethik:222 Die erste Aufgabe christlicher Sozialethik ist es nicht, die Welt friedfertiger und gerechter zu machen, sondern dazu beizutragen, dass Kirche Kirche ist – als Verkörperung des Friedens und der Gerechtigkeit Gottes.223 Das Kontrastverhältnis von Kirche und Welt ist also weder Selbstzweck noch zielt es auf Systemerhaltung durch Abkapselung, vielmehr soll es durch Differenzbildung ein reflexives Weltbewusstsein zuallererst hervorrufen.224 Schon auf diesem Hintergrund lassen sich einige derjenigen konzeptionellen Elemente erörtern, welche in Lindbecks Entwurf bereits als problematisch gekennzeichnet wurden. So wird auch bei Hauerwas die Kirche-Welt-Differenz vom Motiv des Kontrasts bzw. der Alternative beherrscht,225 allerdings deutlich von einer Differenz kulturell abgeschlossener Systeme abgegrenzt. Es handelt sich um eine Differenz von Haltungen, um eine Differenz im Blick auf dasjenige, was menschliches Denken und Handeln bestimmt. Die Welt besteht daher aus jenen, „uns eingeschlossen, die sich entschieden haben, Gottes Geschichte nicht zu ihrer Geschichte zu machen.“226 Die Differenz geht also, so Hauerwas im Anschluss an J.H. Yoder, durch jeden Handelnden hindurch.227 Vorausgesetzt ist dabei die Anwendung der Story-Konzeption in einer Weise, welche das gleichzeitige Geprägtsein von kultureller Welt und Welt der religiösen Symbole denken lässt. Das erhellt Hauerwas Unterscheidung zwischen den vielen stories auf der einen und einer Leitstory auf der anderen Seite: Menschen leben in einer Vielzahl sich überlagernder und sich überlappender stories – entscheidend ist aber, welcher story bestimmende Kraft eingeräumt wird, so dass sie als Leit-

222 Vgl. v.a. ders., Christian Existence Today, 101-110, auch ders., Selig sind die Friedfertigen, 158. 223 Ebd., 159; in Anlehnung an K. Barths Auffassung von Christengemeinde und Bürgergemeinde: ebd., 162, Anm. 5. 224 Ebd., 159f. Vgl. ders., Ohne Feind kein Christentum, 59; ders., Christian Existence Today, 102. 225 Der Zusammenhang mit dem Relativismusproblem ist hier zu beachten (vgl. ders., Kirche in einer zerrissenen Welt, 368ff.): Nur eine „reale Konfrontation“ vermag den relativistischen Schlummer aufzustören, während auf der Ebene „gedachter Konfrontation“ der Relativismus weitgehend zuzugestehen ist. 226 Ders., Selig sind die Friedfertigen, 161. Mit N. LUHMANN, Religion in der Gesellschaft, 325, könnte man von einer „Einschließung der Negation des Systems ins System“ sprechen. 227 S. HAUERWAS, Selig sind die Friedfertigen, 161, Anm. 3.

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story die anderen stories überformt bzw. einer kritischen Aneignung zugänglich macht.228

1.1.7.6. Eilert Herms In einer Vielzahl von Publikationen hat sich E. Herms bemüht, die Funktion von Theologie und Kirche in einem Theorierahmen zu verankern, der sich als dem kategorialen Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens verpflichtet ausgibt. Die theologische Ausarbeitung kategorialer Gesichtspunkte des christlichen Wirklichkeitsverständnisses bildet nicht nur die Basis einer von ihr abhängigen theologischen Handlungskompetenz, sie beansprucht auch die Beschreibung derjenigen Bedingungen zu sein, unter denen alle mögliche Erfahrung steht. Von daher kann sich wissenschaftliche Theologie nicht damit begnügen, unter dem Verweis auf den modernen Pluralismus von Wirklichkeitskonzeptualisierungen nun ihr Wirklichkeitsverständnis einfach neben die in Gesellschaft und Wissenschaft wirksamen Konzeptualisierungen zu stellen. Damit ist schon eine für den Ansatz von Herms zentrale Denkbewegung angedeutet: Er verbindet die unhintergehbare Positionalität theologischer Theoriebildung mit einer kaum steigerbaren Integralität. Ausgangspunkt dafür ist das transzendentaltheoretische 228 Vgl. ders., Kirche in einer zerrissenen Welt, 352. 366. Zur Unterscheidung von story und Leitstory: R. HÜTTER, Evangelische Ethik, 142ff. B. ROMMEL, Ekklesiologie und Ethik, 22-28. 93. 265. 290 u.ö. konzentriert ihre Kritik nicht auf die formative Funktion einer Leitstory, sondern auf die fehlenden Rückwirkungsmöglichkeiten der anderen stories und plädiert unter Aufnahme feministischer Kritik für eine Verflüssigung der Leitstory. Damit verweist sie auf die Vielfalt der Interpretations- und Rezeptionsmöglichkeiten der Position von Hauerwas, wie sie in den USA bereits vorliegt. In der Tat muss von Lindbeck her die erste Frage lauten, ob das Problem einer kulturellen Gegenüberstellung von Kirche und Welt bei Hauerwas nicht auf der Ebene der Differenz von story und Leitstory wiederkehrt. Für Hauerwas selbst ist die christliche Leitstory die in den Evangelien bezeugte Geschichte Gottes, die sich in einer bestimmten Gemeinschaft verkörpert. Genau auf diesen Ausgangspunkt lassen sich die kritischen Fragen dann beziehen: Wird hier die Verfasstheit der Leitstory von einer Trägerinstanz, von der Kirche abhängig gemacht? Wie vollzieht sich eine Korrektur, ein Lernen von Außendiskursen? Hauerwas ist ein solcher Sachverhalt jedenfalls nicht unbekannt (vgl. ders., Selig sind die Friedfertigen, 183). Anders gefragt: Hat die Leitstory selbst ein sie störendes, sie gegebenenfalls falsifizierendes Gegenüber? Worin besteht dies? – Zur Erhellung solcher erkenntnistheoretischer Fragen ist grundlegend: E. KATONGOLE, Beyond Universal Reason, v.a. 136-138. 252-257: Gegenüber dem Vorwurf der ‚Tribalisierung’ bzw. der sektiererischen Selbstabschließung bietet Katongole eine epistemische Explikation der Konzeption Hauerwas, welche die Partikularität des ethischen Bezugssystems auf dem Hintergrund historischer Relationalität und Kontingenz verstehen heißt.

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Postulat eines fundamentalanthropologischen Konstitutionszusammenhangs von gesellschaftlichen Gewissheitsbeständen und einer Selbstgewissheit, welche der Handlungsfähigkeit aller gesellschaftlichen Akteure zugrunde liegt. Von hier aus entfaltet Herms das Modell einer Gesamtgesellschaft, innerhalb derer die Institution religiösweltanschaulicher Kommunikation – weil den genannten Konstitutionszusammenhang thematisierend – eine integrale Sozialisationsleistung erbringt.229 Die Beiträge von Herms zur Theorie der Kirche, insbesondere zu ihrer erfahrbaren Sozialgestalt verweigern sich konsequenterweise dem Import humanwissenschaftlich-soziologischer Kategorien und folgen stattdessen einer näher zu bestimmenden Kompatibilität von theologischer und soziologischer Begriffsbildung.230 An dieser Stelle stimmen für Herms die Thematisierungshorizonte von Schleiermacher und Bonhoeffer überein.231 Mit dieser groben Skizze sind entscheidende Grundzüge und Stichworte des Entwurfs von Herms benannt. Sie sollen im Folgenden etwas näher beleuchtet werden: a) Theologische Kompetenz: Vorbildlich ist am Theologiebegriff Schleiermachers, dass Theologie sich „durch die Bezugnahme auf einen bestimmten, nämlich den kirchlichen, die institutionalisierte christlichreligiöse Kommunikation umfassenden Sektor gesellschaftlicher Praxis konstituiert.“232 Erst unter der Voraussetzung einer dauerhaften christlichen Kommunikation, welche eine institutionelle Ausformung aus sich heraussetzt, kann es Kirchenleitung als eine „optimierende Partizipation am christlichen Gesamtleben“ geben.233 Diese gestaltet sich als „auftragsorientierte Regelkompetenz“.234 Wie grundsätzlich für Herms theologische Bestimmungen ein Spezialfall allgemeiner Bestimmungen sind, so kann auch theologische Kompetenz als ein Spezialfall kompetenten Handelns beschrieben werden, das seine Ziele aufgrund der 229 Vgl. beispielhaft: E. HERMS, Gottes Wirklichkeit, 327ff.; ders., Vom halben zum ganzen Pluralismus, 396f.; ders., Aufgabe der Theologie, 19ff. 230 Ders., Fähigkeit zur religiöser Kommunikation, 259f., vgl. den Entwurf von ders., Theologie – eine Erfahrungswissenschaft. 231 Vorausgesetzt ist eine Schleiermacherinterpretation, welche dessen Konzeption als Überwindung der Position I. Kants begreift, insofern sie von dem der Religion eigenen Wirklichkeitsverständnis ausgeht. Insofern dieses wiederum kontingent eröffnete Zugänglichkeiten durch geschichtliche „Erschließungsereignisse“ voraussetzt, kann Schleiermachers Konzeption auch mit einer Offenbarungstheologie verbunden werden: ders., Religion, Wissen und Handeln, 294f. 232 Ders., Theologie – eine Erfahrungswissenschaft, 72. 233 Ders., Schleiermachers Lehre, 339, vgl. 342, Anm. 97! 234 Ders., Was heißt „Leitung in der Kirche“?, 89. Im Begriff der Kompetenz fallen die Bedeutungen von „Zuständigkeit“ und „Fähigkeit, etwas zu bewirken“ zusammen.

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Orientierung an einer handlungsleitenden Theoriebildung zu erreichen sucht.235 Im Blick auf den Gegenstandsbezug ist damit bereits vorausgesetzt, dass Theologie sich nicht auf eine wie immer geartete Beziehung zu Übernatürlichem richtet, sondern auf die Lebenswirklichkeit der Menschen. Nur diese kann Gegenstand handlungsorientierender Theoriebildung werden.236 Herms hat diesen Ansatz unter dem Titel „Theologie – eine Erfahrungswissenschaft“ und „Theologie als Phänomenologie des christlichen Glaubens“ entfaltet. Entscheidend gegenüber anderen erfahrungswissenschaftlichen Disziplinen ist für eine theologische Zuwendung zur Lebenswirklichkeit dabei freilich, dass der kategorialen Leitperspektive christlicher Frömmigkeit beobachtungskonstitutive Bedeutung zugemessen wird. Diese deutet Wirklichkeit immer unter dem Gesichtspunkt der Transzendenzabhängigkeit – für Herms gleichbedeutend mit Geschöpflichkeit.237 Theologische Kompetenz erfordert also nichts weniger als eine kategoriale Theorie der Lebenswirklichkeit von Menschen, die deren Transzendenzabhängigkeit und den deutenden Umgang mit ihr zu explizieren vermag. Diese (nur diese!) rein begriffliche Kategorienlehre zu erbringen ist zentrale Aufgabe theologischer Dogmatik.238 b) Kategoriales Wirklichkeitsverständnis und Selbstgewissheit des Glaubens: Die Dogmatik gewinnt ihr kategoriales Wirklichkeitsverständnis, das sie als Leitkategorialität aller Phänomene der geschichtlichen Erfahrungswelt beansprucht, im Vollzug einer phänomenologischen Explikation ihres direkten Gegenstands: der Selbstgewissheit des Glaubens.239 Für diese Selbstgewissheit des Glaubens ist es grundlegend, 235 Vgl. ders., Theorie für die Praxis, Einleitung, 14; ders., Was heißt „theologische Kompetenz“?, 38. Für eine „theologische Kompetenz“ als Ziel theologischer Ausbildung hat sich Herms in der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums eingesetzt: W. HASSIEPEN / E. HERMS (Hg.), Grundlagen, 20f. 236 Ders., Was heißt „theologische Kompetenz“?, 40f.; ders., Beitrag der Dogmatik, 51; ders., Theologie – eine Erfahrungswissenschaft, 23. 237 Ders., Beitrag der Dogmatik, 52f.; ders., Theologie – eine Erfahrungswissenschaft, 7679. Zur Umformung des biblisch-christlichen Schöpfungsgedankens im Anschluss an Schleiermacher vgl. ders., Schleiermachers Eschatologie, 126, Anm. 3. 238 Ders., Beitrag der Dogmatik, 61f. Gegenstand kompetenten theologischen Handelns ist die soziohistorisch bestimmte christliche Religiosität „als spezieller Fall von bewusster, sozial wirksamer Auslegung der Transzendenzabhängigkeit personaler Lebenswirklichkeit“ (ebd., 63). Von dieser Bestimmtheit kann die Dogmatik nicht absehen, wenn sie zur rein begrifflichen Beschreibung der Bedingungen anhebt, unter denen alle mögliche menschliche Lebenserfahrung steht (ebd., 75). Damit ist dann auch schon ihre (indirekte) gesamtgesellschaftliche Funktion gesetzt. 239 Vgl. ders., Offenbarung und Glaube, Vorwort, XIV; ders., Lehre von der Schöpfungsordnung, 432-436; ders., Theologie als Phänomenologie, 92-96. Im Anschluss an Schleiermacher hat für Herms der Glaube wesentlich den Charakter der Selbstge-

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dass sie eine Gewissheit über den transzendenten Ursprung des Daseins und zugleich über seine Bestimmung ist. Ließen sich solche ontologische Aussagen bereits als Implikationen der biblisch-christlichen Schöpfungslehre ausweisen, so beharrt Herms nachdrücklich darauf, dass die eigentümliche Spitze des christlichen Wirklichkeitsverständnisses mit der Rechtfertigungslehre gegeben ist.240 Zusammen mit W. Härle hat er deshalb eine kategorial-ontologische Reformulierung der Rechtfertigungslehre vorgelegt, welche sich als prinzipialisierte und umfassende Selbstauslegung des christlichen Glaubens versteht.241 Dogmatische Arbeit reflektiert also die in geschichtlich-inhaltlicher Bestimmtheit vorliegende christliche Selbstgewissheit. Sie vollzieht sich als Phänomenologie mit einer spezifischen Perspektive, wird darin aber – hier kommt die Denkbewegung von Herms zum Vorschein – sich und ihres Gegenstands als eines exemplarischen Falls eines Allgemeinen ansichtig.242 Eine wirklich aufgeklärte evangelische Theologie kann nur von der Perspektivität einer bestimmt-besonderen Gewissheitsgestalt ausgehen (darin ist ihre Positionalität begründet), sie kann diese aber nur dann erfassen, wenn sie in ihr das Allgemeine begreift (darin ist ihre Integralität begründet). Von daher muss sie geradezu eine gewisse Metaphysik ausbilden.243 Wenn in der Orientierung an der christlichen Selbstgewissheit Dogmatik die Theologie dazu anheißt, die Wirklichkeit als transzendent begründete zu erfassen, hat dies weitreichende Bedeutung: Zum einen beansprucht sie Einsicht in den allgemeinen Konstitutionsprozess des Wissens und kann sich selbst als exemplarischer Fall von (richtig verstandener) Wissenschaft begreifen. Zum anderen und vor allem aber muss sie die transzendente Begründungsfigur auch für ihren eigenen Gegenstand, die Selbstgewissheit des Glaubens, in Anschlag bringen. Das heißt: Wie alle unsere alltäglichen Gewissheiten gründet auch die christliche Selbstgewissheit des Glaubens in passiv erlebbaren Erschließungsvorgängen. In diesem Sinn ist die Rede von „Offenbarung“ zu

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wissheit. Auch für Luthers „De servo arbitrio“ stelle die Gewissheitsthematik das Grundthema dar: ders., Gewißheit in Martin Luthers „De servo arbitrio“, 23ff. Ders., Beitrag der Dogmatik, 64. So kann er „Dogmatik als begriffliche Theorie der Rechtfertigungswirklichkeit“ definieren (ebd., 71). W. HÄRLE / ders., Rechtfertigung, 9ff. Ders., Lehre von der Schöpfungsordnung, 435: „Konkret begriffen ist der erscheinende Gegenstand der Selbstreflexion des Glaubens erst, wenn er erfaßt ist als der besondere, ausgezeichnete Fall eines Allgemeinen, das seinerseits solcher besonderen Auszeichnung fähig, ja zu ihr sogar ursprünglich bestimmt ist; und dies im ausdrücklichen Bewußtsein der bloß perspektivischen Zugänglichkeit dieses Allgemeinen aus der Situation seiner jeweils erscheinenden spezifischen Bestimmtheit (oder: Ausgezeichnetheit).“ Vgl. W. HÄRLE / ders., 49.

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verstehen. Schon für den christlichen Offenbarungsgedanken gilt, dass er von jedem Gedanken der Übernatürlichkeit frei ist. Er verweist vielmehr auf eine allgemeine Struktur der Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis – eben auf ihre Abhängigkeit von durch passive Erschließungsereignisse konstituierten Gewissheiten.244 Der Inhalt der christlichen Offenbarung verlangt, Gott als Urheber des Erschließungsgeschehens in Anspruch zu nehmen. Reformatorische Theologie trägt, so Herms, dem insofern Rechnung, als für sie der Kern der Offenbarungslehre nicht in der Behauptung liegt, dass nur die kanonische Schrift Quelle des Offenbarungsgeschehens sei, sondern in der präzisen Fassung des Unterschieds zwischen dem opus Dei und den opera hominum.245 Es bedarf nach der vorangegangenen Skizze nunmehr nur des freilich mindestens ebenso weitreichenden Hinweises, dass für Herms die Prägekraft eines aus der christlichen Tradition gewonnenen kategorialen Wirklichkeitsverständnisses für die Reproduktion des Christentums und dessen Thematisierung der Lebenswirklichkeit in der Gegenwartsgesellschaft notwendig ist. Einer Umformungstheorie im Sinne E. Hirschs zu folgen, würde demgegenüber bedeuten, die christliche Innerlichkeit der Prägekraft außerchristlicher Formierungssagenten und mächten auszuliefern und das kritische Potential einer der Neuzeit querstehenden christlich-theologischen Tradition unbedacht zu lassen.246 c) Gesellschafts- und Kirchentheorie: Mit der Verpflichtung der Theologie auf den gegebenen Ausgangspunkt einer bestimmt-besonderen Gewissheitsgestalt gehen fundamentalanthropologische Grundüberzeugungen eines christlichen Menschenbilds einher, welche wiederum gesellschaftstheoretische Implikationen im Blick auf die Konstitutionsbedingungen von Gesellschaft haben. Ebenso wie sich ‚empirische Sozialwissenschaft’ immer als perspektivische Soziologie im Horizont ihrer fundamentalanthropologischen Überzeugungen vollzieht, welcher

244 Ders., Offenbarung, 178ff.; ders., Selbstverständnis der Wissenschaften, 380f.; ders., Mit dem Rücken an der Wand?, 499. 245 Ders., Offenbarung, 215. Herms hat von dieser reformatorischen Grundunterscheidung ausgehend die These eines konfessionellen Grunddissenses zwischen römischkatholischer und evangelischer Theologie entfaltet und vielfach in die ökumenische Diskussion eingebracht, vgl. nur: ders., Einheit der Christen, 96ff.; Ökumene im theologischen Grunddissens, 188ff. 246 Vgl. ders., Emanuel Hirsch II, 38-47; ders., „Kirche für andere“, 75 (dort als Kritik am späten Bonhoeffer); auch die Selbstdarstellung in ders., Eilert Herms, 337. H. FISCHER, Protestantische Theologie, 253f., hat die kategoriale Bedeutung des hier zur Debatte stehenden perspektivischen Ansatzpunktes durch seine Kritik an einer positivistischen Lehrexplikation verdeckt.

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ihrer Allgemeingültigkeit keinen Abbruch tut, ebenso kann Soziologie auch im Horizont der Leitkategorialität des christlichen Wirklichkeitsverständnisses und seines Menschenbilds betrieben werden – als christliche Sozialphilosophie bzw. christliche Gesellschaftslehre.247 Für sie ergeben sich aus der Verfassung endlichen Personseins, der Verfassung unter den Bedingungen der „Praxissituation endlicher Freiheit“, gesellschaftskonstitutive Grundanforderungen von Interaktion, die in jeder Gesellschaftsform der Menschheitsgeschichte irgendwie gelöst oder erfüllt sein müssen.248 D. Bonhoeffer hat eine solche gesellschaftstheoretische Ausweitung dogmatischer Begrifflichkeiten, die den Rahmen dessen abgibt, was als Funktion der Sozialgestalt von Kirche bestimmt wird, in seiner Mandatenlehre geboten. Neben F. Schleiermacher war er es, der sich vorbildlich die Aufgabe zu eigen machte, die der Protestantismus nur zu seinem eigenen Schaden übergehen kann: die Aufgabe nämlich, die dogmatische Auffassung von Kirche und Gesellschaft durch die Entwicklung eigener soziologischer Begrifflichkeiten von Kirche und Gesellschaft zu konkretisieren; solche Begrifflichkeiten also nicht einfach nur zu importieren, sondern sie im eigenen kategorialen Horizont kritisch anzueignen.249 Herms weicht von Bonhoeffer nun allerdings in der Durchführung der Thematisierung gesellschaftskonstitutiver Interaktionsbereiche (und vor allem von dessen späteren Empfehlungen zur organisatorischen Selbstentäußerung der Kirche) ab.250 Er folgt, was sein häufig expliziertes Quadrupel-Modell betrifft, F. Schleiermacher. Dies gilt ebenso für seine Überzeugung, dass zwar nicht direkt die christliche Kirche, wohl aber das Funktionssystem „Kommunikation zielwahl-orientierender weltanschaulich-religiöser Gewissheit“ für den Gesamtaufbau auch säkularisierter Gesellschaften grundlegend und unverzichtbar ist.251 Das bedeutet zunächst: Aufgrund von vier gleichursprünglichen und von einander abhängigen Grundanforderungen menschlicher In247 Vgl. E. HERMS, Kirche für die Welt, Vorwort, XVIf. 248 Vgl. ders., Lehre von der Schöpfungsordnung, 448ff.; ders., Vom halben zum ganzen Pluralismus, 398f.; ders., „Kirche für andere“, 31f. 41 u.ö. 249 Ders., Religion und Organisation, 51, Anm. 10; ders., „Kirche für andere“, 31f. Diese Aufgabe wird umso dringlicher, wenn man den Irrtum einsieht, dass die institutionelle bzw. organisatorische Gestalt die individuelle Religion sowie die individuelle Freiheit nicht restringieren, sondern zuallererst bestimmen, was als Selbsterleben und Freiheit überhaupt möglich ist. 250 Vgl. die ausführliche Auseinandersetzung mit Bonhoeffer in ders., „Kirche für andere“, 38-59. 251 Vgl. ders., Grundzüge, 56-94; ders., Offenbarung und Erfahrung, 270, Anm. 35; ders., Religion und Organisation, 56; ders., Welt – Kirche – Bibel, 261 u.ö.

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teraktion muss eine Vierzahl gesellschaftskonstitutiver Interaktionsbereiche angesetzt werden: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion (im eben genannten Sinne). Mit Hilfe dieses Quadrupel-Modells kann Herms nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen, die Probleme verschiedener Pluralismusformen, die Probleme von Monokulturalismus und Multikulturalismus sowie die Probleme verschiedener Bildungsmodelle begreifbar machen; er bestimmt von diesem Rahmen aus auch die Funktion der erfahrbaren Kirche und deren Organisationsformen.252 Die grundlegende und unverzichtbare Funktion des religiösen Interaktionssystems für die Gesellschaft muss als indirekte Funktion aufgefasst werden. Diese ergibt sich nämlich aus seiner direkten Funktion für den Einzelnen, nämlich daraus, dass es in seinem Institutionengefüge den Ort der Begründung und Regeneration des religiösen Lebens, also der ethisch orientierenden Gewissheit des Glaubens darstellt. Wie bereits skizziert, gilt allgemein, dass zielwahlorientierende Gewissheiten der Handlungsfähigkeit von Personen zugrunde liegen. Herms kann deshalb sagen, die Aufgabe der Kirche an der Gesellschaft bestehe in der „Pflege der notwendigen Bedingungen für die Erhaltung und Regeneration solcher Daseinsgewissheiten, wie sie für die innere Lebendigkeit und den Zusammenhalt der gesellschaftlichen Gesamtöffentlichkeit unverzichtbar sind.“253 Die soziale Gestaltungskraft der Institution der erfahrbaren Kirche setzt ihre eigene institutionelle Identität voraus, die durch das Identitäts- und Regenerationszentrum des christlichen Lebens, nämlich durch den Gottesdienst, gewährleistet ist.254 Gerade von diesem ihrem Kern her – und nicht an ihm vorbei – hat sich Kirche als „Bildungsinstitution mit gesamtgesellschaftlicher Funktion“ zu verstehen255 und sich nicht durch die Zuweisung lediglich diakonischer Hilfsfunktionen „gewissermaßen als sozialer Nachsorgetrupp ins Schlepp nehmen zu lassen.“256 Unbeschadet dessen, dass in einer pluralistisch und multikulturellen Gesellschaftsform nicht allein die Kirche, sondern auch 252 Zur Kritik an diesem Modell vgl. S. BRANDT, Kirche als System?, 296-304; dazu die Antwort von E. HERMS, Erfahrbare Kirche als soziales System, 454-467. Zu bemerken ist, dass das Modell nur die Systemtypen erfasst, welche spezielle Interaktionsleistungen erbringen. Die Familie beispielweise erbringt hingegen eine integrale Interaktionsleistung. 253 Ders., Aufgabe der Theologie, 23. 254 Ders., Kirche für die Welt, Vorwort, XVIIIf.; ders., Vom halben zum ganzen Pluralismus, 396. 255 Ders., Bildung und Ausbildung, 214, vgl. 218f.; ders., Schleiermachers Bildungsbegriff, 244ff. 256 Ders., Aufgabe der Theologie, 23; zum Hintergrund auch hier: ders., Schleiermachers Bildungsbegriff, 246!

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funktionale Äquivalente zielwahlorientierende weltanschaulich-religiöse Gewissheiten bereitstellen können, das religiöse Interaktionssystem besitzt in jedem Fall eine gesamtgesellschaftliche Relevanz. Seiner grundlegenden Funktion gemäß muss es geradezu als Indikator für den Aufstieg oder den Abstieg einer Gesamtgesellschaft betrachtet werden.257 Die inneren Organisationszüge einer Kirche schließlich entsprechen ihrer für ihre gesamtöffentliche Funktion notwendigen Identität. Herms hat dies beispielsweise im Blick auf ihre systemkonstitutive Mitgliedschaftsregel258 und die für reformatorische Kirchen zu ihrer Identität notwendigen kirchlichen Lehre und dem damit verbundenen Amtsverständnis entfaltet.259 d) Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie: Herms bestimmt die Aufgabe der Theologie zunächst als Aufgabe an der eben erwähnten kirchlichen Lehre. Diese wird dabei als „Konsens über Konsensartikulationen“ und als notwendige Bedingung von kirchlicher Öffentlichkeit aufgefasst.260 Eine auf sie bezogene lehrbildende Tätigkeit, für welche nach reformatorischer Sicht nicht allein die Amtsträger, sondern alle Kirchenmitglieder Verantwortung tragen, folgt – bei aller positionalen Gebrochenheit – gewissen Regeln bzw. Bedingungen der Konsensfähigkeit. Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie ist es, einen solchen Regelkanon (als Voraussetzung erneuter Lehrbildung) diszipliniert zu erarbeiten. Sie stellt damit nicht nur das Fundament theologischer Kompetenz bereit, sondern auch die „lebendige Alternative zum Heiligen Offizium bzw. seiner Nachfolgerin oder einem funktionalen Äquivalent“.261 So sehr wissenschaftliche Theologie an ihre kirchliche Aufgabe und damit an die Institution Kirche gebunden bleibt,262 sie geht in dieser

257 Auch hier wieder im Anschluss an Schleiermacher: ders., Welt – Kirche – Bibel, 261; vgl. ders., Theologie als Wissenschaft, 159. Als eine unterbestimmte Form des Pluralismus hat ein „Pluralismus der Beliebigkeit“ zu gelten, welcher weltanschaulichreligiöse Perspektiven privatisiert, sie ihrer gesamtgesellschaftlichen Funktion also beraubt. Das führe zu gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklungen: ders., Pluralismus aus Prinzip, 476ff. Ein „Pluralismus aus Prinzip“ hingegen, als dessen exemplarische Gestalt nach reformatorischer Theologie der christliche Glaube zu gelten hat, verbinde die Unverfügbarkeit jeder weltanschaulich-religiösen Gewissheit mit ihrer Öffentlichkeitsrelevanz (ebd., 481-485). 258 Vgl. ders., Religion und Organisation, 62ff. 259 Vgl. ders:, Lehre im Leben der Kirche, 137ff. 260 So ebd., 137. 261 Ebd., 156. 262 Vgl. ders., Eilert Herms, 346.

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Aufgabe nicht auf.263 In neueren Veröffentlichungen von Herms wird die Aufgabe wissenschaftlicher Theologie, dem skizzierten Ansatz entsprechend, grundsätzlicher auf die christliche Daseinsgewissheit und des ihr mitgegebenen Bewusstseins der Transzendenzabhängigkeit bezogen. Die kirchliche Aufgabe wird dann „strikt als Implikat jener wissenschaftlichen Disziplin theologischer Arbeit verstanden“.264 Durch alle sich wandelnden Kontexte hindurch besteht die Identität der Theologie, so die grundsätzliche Definition, darin, „diejenige Funktion der christlichen Glaubensgemeinschaft, der Kirche [zu sein], durch die diese sich selbst und aller Welt Rechenschaft gibt über den Grund und Gehalt ihrer Daseinsgewissheit; und dies in derjenigen rational disziplinierten und in diesem Sinne wissenschaftlichen Form, die der Grund und Gehalt dieser Gewissheit selber verlangen.“265 Für Herms selbst geschieht dies in der Form einer „Phänomenologie des christlichen Glaubens“.266 Grundsätzlich können aber alle Mittel, welche die gewissheitsexplizierende Vernunft bereitstellt, zum Einsatz kommen. Verändert und sich grundlegend gewandelt hat sich allerdings der gesamtgesellschaftliche Kontext von Theologie und Kirche – und damit auch der Einfluss eines reinen Vernunftethos: Die reflektierende und methodisch verfahrende Vernunft beansprucht, nicht nur gewissheitsexplizierend, sondern gewissheitskonstitutiv zu sein, sich also selbst als Produzentin aller handlungsorientierenden Gewissheiten zu verstehen.267 Bedenklich ist dabei nicht nur, dass Wissenschaft bzw. Universität in einen gesellschaftseinheitlichen Monokulturalismus des reinen Vernunftethos einrücken, welcher den alltäglichen Gewissheitsbedarf selbst abzudecken verspricht, sondern auch der daraus resultierende Einfluss der reinen Vernunftkultur bzw. deren Effizienzkriterien auf die wissenschaftliche Theologie selbst.268 Herms plädiert demgegenüber für einen konsequenten Multikulturalismus, welcher die Vernunft auf gewissheitsexplikative Leistungen beschränkt und so offen ist für vorreflexiv konstituierte Gewissheitsgehalte sowie die Angewiesenheit auf vorgängige Erschließungsereignis263 Vgl. schon ders., Theologie – eine Erfahrungswissenschaft, 75ff.: Dort wird die Notwendigkeit der Theologie mit der Notwendigkeit einer kategorialen Deutung alles erfahrbar Seienden als transzendenzabhängig begründet. Das heißt: Eine erfolgreiche Bestreitung der Transzendenzabhängigkeit alles Seienden würde die Notwendigkeit der Theologie als Erfahrungswissenschaft aufheben. 264 Ders., Aufgabe der Theologie, 34. 265 Ebd., 13. 266 Ders., Theologie als Phänomenologie, 94f.; vgl. ders., Offenbarung und Glaube, Vorwort, XIV. 267 Vgl. ders., Theologie als Wissenschaft, 163ff. 268 Vgl. ebd., 177-179. 182f.

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se („Offenbarungen“).269 Er rechnet an dieser Stelle mit Konvergenzen seitens des gegenwärtigen Wissenschaftsverständnisses, insofern die Abhängigkeit alles Wissens von der konstituierenden Tätigkeit des Wissenden, damit die systematische Relativität alles Wissens zunehmend Anerkennung findet.270 Auf diesem Hintergrund ergibt sich schließlich für die Aufgabe der Theologie an der Universität Folgendes: Im Horizont der Gesellschaftsund Kirchentheorie von Herms müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit Theologie ihren Platz an der Universität hält und dort der Ort ist für die Ausbildung des Führungspersonals, das in den Kultusund Bildungsinstitutionen der christlichen Kultur unabdingbar ist:271 „a) In der Gesellschaft sind die Organisationen des Funktionssystems ‚Kommunikation zielwahl-orientierender weltanschaulich-religiöser Gewissheit’ als wesentlicher Bestandteil der Öffentlichkeit anerkannt [...], b) zu ihnen zählen auch die christlichen Kirchen [...], c) die Gesellschaft hält daran fest, die wissenschaftliche Bildung der Funktionsträger für alle diese Organisationen nicht in separierte Spezialinstitute zu verlagern, sondern in der einheitlichen Öffentlichkeit der Universität zusammenzubinden“.272 Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann Universitätstheologie ihre Aufgabe an der Kirche und ihre Aufgabe an der Universität – und mit beiden zugleich ihre Aufgabe an der Gesellschaft – erfüllen: An der Kirche insofern, als sie zum einen der wissenschaftlichen Disziplinierung der Selbstauslegung des christlichen Daseinsverständnisses und seiner Gewissheit dient, nämlich ihrer gedanklichen Klarheit und ihrer umfassenden Weite. Zum anderen gewährleistet sie eine binnenkirchliche und – durch die Anwendung von und Auseinandersetzung mit Standards anderer wissenschaftlicher Disziplinen – eine gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit.273 Für die Universität erfüllt Theologie ihre Aufgabe insofern, als sie zum einen ihren Gegenstand – eine zielwahl-orientierende religiöse Gewissheit – präsent hält und dessen gesamtgesellschaftliche Bedeutung für alle Interaktionsbereiche entfaltet und verantwortet. In der Art und Weise, wie sie dies tut, zeigt sie zum anderen exemplarisch, dass alle erfahrungswissenschaftliche Erkenntnis von kategorialen Leithorizonten abhängt, welche selbst wiederum eine vorgängige perspektivi269 Ebd., 183; vgl. 173. 270 Vgl. ders., Selbstverständnis der Wissenschaften, 359ff.; ders., Gottes Wirklichkeit, 332ff.; ders., Aufgabe der Theologie, 30ff.; ders., Philosophie und Theologie, 423f. 271 Vgl. ders., Theologie als Wissenschaft, 181. 272 Ders., Aufgabe der Theologie, 33. 273 Ebd., 34f.

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sche Erschlossenheit durch Erschließungsereignisse voraussetzen.274 In diesem Sinn ist ihre primäre Funktion nicht die des Protests gegen das nichtchristliche Verständnis von Wissenschaft (K. Barth), sondern die der Erinnerung – an die unverfügbaren Quellen aller Rationalität und die Unverfügbarkeit jeder weltanschaulich-religiösen Gewissheit.275

274 Ebd., 37f. 275 Ebd., 40. Eine kritische Diskussion des Hermsschen Programms könnte sich auf die schematische Differenz von gewissheitskonstituierenden und gewissheitsexplizierenden Leistungen und deren ebenso schematische Zuweisung an die gesellschaftlichen Funktionssysteme richten. So ist das religiöse Funktionssystem allein für zielwahl-orientierende Gewissheiten zuständig, hat sich aber offenbar mit Eigengesetzlichkeiten anderer Systeme im Blick auf technisch-orientierende Gewissheiten und im Blick auf die Gewissheitsexplikation abzufinden (vgl. ders., Aufgabe der Theologie, 25). Das Konfliktpotential der Theologie ist damit unterbestimmt. Eine weiterführende Auseinandersetzung wäre überdies wohl beraten, sich dem zuzuwenden, welches Fundament und zugleich Nadelöhr der Theoriebildung von Herms darstellt: Es ist dies eine Selbstgewissheit des Glaubens, welche nicht anders als in der Perspektive einer Transzendentaltheorie zu interpretieren sei. Herms beruft sich dazu auf Schleiermachers Bestimmung des religiösen Gefühls (vgl. z.B. ders., Philosophie und Theologie, 417). Im Blick auf beide Fragen wäre ein Vergleich mit der Position von H.J. Iwand aufschlussreich (vgl. 1.1.7.1.); im Blick auf die erste die Kritik Bonhoeffers und Sauters an einer Plausiblisierungsstrategie, welche von einem kulturellen Verweisungszusammenhang und der Repräsentanzfunktion der Theologie ausgeht. Selbst wenn Theologie und Kirche einen zentralen Ort in einem kulturell-gesellschaftlichen Zusammenhang begründet beanspruchen könnten und selbst wenn dabei, mit Bonhoeffer gesprochen, eine „polemische Einheit“ nicht zum Ausfall käme, die Frage nach dem von diesem kulturell-gesellschaftlichen Ort unterschiedenen „eigentlichen Ort“ bedarf der Reflexion. Es könnte theologisch als (verborgene) Mitte geltend zu machen sein, was kulturell-gesellschaftlich nur in einer Ortlosigkeit oder in einer Randexistenz auftritt.

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1.2. Systematisch-theologische und wissenschaftstheoretische Problemmatrix Systematisch-theologische und wissenschaftstheoretische Problemmatrix

1.2.1. Die Komplexität des Gegenstandsbezugs der Theologie Die Bestimmung der Theologie als Funktion der Kirche, allgemeiner formuliert: des Grundes und des Zwecks der Theologie ist zunächst in erheblichem Maße davon abhängig, wie die Positivität ihres Gegenstandsbezugs1 gefasst wird. Wie schon aus dem problemgeschichtlichen Abriss ersichtlich wurde, ist dies in der evangelischen Theologie nach der Erkenntniskritik I. Kants wiederum von mindestens zwei weiteren Momenten theologischer Theoriebildung abhängig, nämlich zum einen davon, wie das Verhältnis von Gegenständlichkeit und Nichtgegenständlichkeit des theologischen Gegenstands gedacht wird, zum anderen davon, ob und inwiefern zwischen einer internen und einer allgemeinen bzw. äußeren Perspektive auf diesen unterschieden wird. Die Auseinandersetzung mit diesen Problemzusammenhängen führt keineswegs nur in den Bereich systematisch-theologischer Selbstthematisierung, sie ermöglicht es vielmehr, sich des Streites um die Wirklichkeit, auf welche sich die Theologie bezieht, ansichtig zu werden.2 Das Ergebnis zeitigt denn auch unterschiedliche integrative Theorierahmen, welche die verschiedenen Aspekte der Wirklichkeit bzw. des darunter Verstandenen wahrnehmen und zu verarbeiten suchen. Paradigmatisch hierfür ist die symmetrisch angelegte Theoriebildung Schleiermachers, welche mittels eines kritischen Verfahrens Allgemeines durch Besonderes spezifiziert, und die der christologischen Denkfigur der

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Zum Begriff des Positiven bzw. der Positivität und seiner Entwicklung vgl. W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie, 243f. 247f.: Dem Begriff eignet in seiner ursprünglichen Verwendung für eine Teildisziplin der Theologie die Beziehung auf lehrmäßige Gehalte und auf deren praktisch-kirchliche Anwendung. Unter dem Rückgriff auf seine Verwendung bei F.W. Schelling, welcher in der Theologie, der Jurisprudenz und der Medizin die drei positiven Wissenschaften erblickte, wird er von Schleiermacher in die Grundlegung seines Theologiebegriffs aufgenommen, dazu oben, 1.1.1. Zugespitzt in Barths Bezugnahme auf die Tatsache des „Es predigt“, die eine ebenso zugängliche Wirklichkeit darstelle wie „es regnet“ (ders., Christliche Dogmatik, 51), in Troeltschs „Tatsache des religiösen Lebens“, in welcher die Theologie entsprechend einer „Wissenschaft von der Wirklichkeit“ ihren Ausgangspunkt finde (ders., Voraussetzungslose Wissenschaft, 192. 187) und in Bonhoeffers Fassung der Christuswirklichkeit als Voraussetzung des Denkens von Wirklichkeit überhaupt. Wie in der bisherigen Erörterung geschehen, soll allerdings auch im Folgenden die Aufmerksamkeit darauf gerichtet sein, dass diesen Zuspitzungen ein differenziertes Verständnis von Positivität zugrunde liegt, welches in einer spezifischen Weise der Differenz von Gegenständlichkeit und Nichtgegenständlichkeit Rechnung trägt.

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Anhypostasie folgende und darum asymmetrisch angelegte Theoriebildung Barths, welche vom Singulären ausgehend Allgemeines, mithin menschliches Handeln zuallererst erschließt und auf ihre Weise integriert.3 Mit dem Blick auf die Problemgeschichte und dem gegenwärtigen Horizont pluralistisch-gesellschaftlicher und volkskirchlicher Realität lassen sich die genannten Dependenzen verdeutlichen: a) Zunächst der Zusammenhang von Positivität und Gegenständlichkeit bzw. Nichtgegenständlichkeit: Gegenüber dem Programm Schleiermachers ließ sich, wenn auch auf unterschiedliche Weise, in den Ansätzen von Rothe, von Kliefoth und auch von Ritschl eine folgenschwere Verschiebung hinsichtlich der theologischer Reflexion zugrunde liegenden Positivität beobachten – hin zu einem Positivismus, welcher sich zum Gegebenen als seiner unhintergehbaren Grundlage nur noch explikativ und letztlich affirmativ verhält.4 Der Begriff des Positiven markierte bei Schleiermacher jedoch noch die Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise, welche durch die Theologie (insbesondere durch die Philosophische Theologie) kritisch zu bearbeiten ist und zu diesem Zweck z.B. auch einer transzendentalen Bestimmung von Religion bedarf.5 Bei Rothe wurde daraus die Explikation des der religiösen Selbstgewissheit Gegebenen, bei Kliefoth die Explikation des konfessi3

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Die „Umkehrung“ in der Theoriebildung als einer Umkehrung des Verhältnisses von Besonderem und Allgemeinem, von Offenbarung und Religion wurde von Barth nicht nur wahrgenommen (ders., KD I/2, 318, vgl. zur Kirchentheorie z.B. IV/3, 826), sondern bekanntlich gegenüber dem von ihm retrospektivisch vereinheitlichten Neuprotestantismus mit dem Pathos des Innovationsbewusstseins abgehoben. Unbeschadet dessen, dass von Barths Fokussierung die qualifizierende Funktion des Besonderen bei Schleiermacher zu würdigen nicht erwartet werden kann (erkennbar schon an der Interpretationsfunktion des Gedankens der „Nachträglichkeit“: Die Besonderheit der Offenbarung „nachträglich in dem so abgesteckten systematischen Rahmen“ der Religion geltend zu machen, gestalte sich als „eine wehmütige Erinnerung an den schon beim Ausmarsch verlorenen Krieg“, KD I/2, 321), und unbeschadet dessen, dass die dem Innovationsbewusstsein zugrunde liegende Wende in der historiographischen Perspektive als radikalisierte Konsequenz aus der Problemsituation der Religionsphilosophie erscheinen kann (so im Anschluss an W. Pannenberg und T. Rendtorff entfaltet bei G. PFLEIDERER, Theologie als Wirklichkeitswissenschaft, vgl. v.a. 2f. 240-243), ist damit eine grundsätzliche Differenz der Denkkonzeptionen benannt. Auch der um eine Vermittlung bemühte D. KORSCH, Vernünftigkeit, 310, sieht zwei voneinander unterschiedene Reflexionsgänge, welche allerdings „zusammengehören und aufeinander verweisen“. Das hat, was Rothe betrifft, schon M. KÄHLER, Geschichte, 111f., erkannt, im Weiteren dann G. SAUTER, Einleitung, 40f. In diesem Kontext verstanden kann daher Schleiermachers Zweckbestimmung der Theologie zur „Lösung einer praktischen Aufgabe“ (KD § 1), mithin zur Kirchenleitung, wie bereits unter 1.1.1. ausgeführt, nicht im Sinne einer utilitaristischen Bedürfnisbefriedigung aufgefasst werden.

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onellen Lehrbestands, bei Ritschl die wissenschaftliche Explikation der ethischen Selbsttätigkeit der Gemeinde als Gnadenwirkungen Gottes.6 Im Verbund mit seiner Kritik am monistischen und historistischen Positivismus wird bei Kähler das transzendente Moment in den theologischen Gegenstandsbezug nun nicht auf der Ebene des Religionsbegriffs, sondern auf der Ebene eines spezifischen Geschichtsbegriffs aufgenommen – durch die Behauptung einer „Doppelseitigkeit“ von kulturhistorisch bzw. christentumsgeschichtlich Positivem und Geschichtstranszendentem. Mit jeweils verschiedenen Ausgangspunkten liegt der Struktur nach die Fassung einer differenzierten Positivität, welche Nichtgegenständlichkeit und Gegenständlichkeit, Idealismus und Realismus verbindet, dann in Barths Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes (Differenz von göttlichem Gehalt und menschlicher Gestalt) vor, in Bonhoeffers Erkenntnislehre (Differenz von actus directus und actus reflexus), durchaus aber auch in Troeltschs Konzeption der Religionsphilosophie (Differenz von substantiellem und funktionalem Religionsbegriff).7 Im Blick auf diese Entwürfe lässt sich thetisch formulieren, dass dort, wo das Moment der Nichtgegenständlichkeit des theologischen Gegenstands zur Geltung gebracht wird, es leichter möglich ist, einer positivistisch oder funktional verkürzten theologischen Theoriebildung entgegenzutreten. Als in diesem Sinn defizitäre Theoriebildungen müssen solche angesehen werden, welche sich in der Reflexion, Explikation oder auch Regulation von Gegebenem, etwa von kirch6

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Ritschl versuchte der positivistischen Gefährdung allerdings dadurch zu entgehen, dass er durch die Forderung eines historischen Kongruenzaufweises ein kritisches Verhältnis zu seinem Erkenntnisgegenstand aufbaute. Wie in 1.1.4.-1.1.6. entfaltet wurde, kann diese Strukturparallele freilich nicht verdecken, dass schon die jeweilige Zuordnung der differenten Momente mit einem jeweils unterschiedlichen Theologiebegriff einhergeht und ihre eigene Problematik mit sich führt. Für Troeltschs Konzeption ist an dieser Stelle an die Differenz von Religionspsychologie- bzw. -soziologie und Religionsphilosophie im engeren Sinn zu erinnern. Sie soll es ihm zunächst ermöglichen, die „Bedeutung der idealistischen Voraussetzung“ der „vom religiösen Bewusstsein ausgesagte[n] Selbständigkeit“ gegenüber einer positivistisch reduzierenden Religionswissenschaft festzuhalten: E. TROELTSCH, Wesen der Religion, 461. Darauf baut dann auch die gegen G. Simmel angemahnte Differenz von funktionalem und substantiellem Religionsbegriff (gemäß welchem der religiöse Partizipant „alle Bewegung des Lebens in Gott begründet weiß“) auf: E. TROELTSCH, Rezension Simmel, 208. Wenn Troeltsch in der zitierten Schrift: Wesen der Religion, 457-463, gegen einen positivistisch verstandenen Gegenstandsbezug ein idealistisches Moment zur Geltung bringt, so zeigt sich darin – bei aller Differenz im Gesamtansatz – eine interessante Strukturparallele zur Bestimmung des Gegenstandsbezugs bei Barth in dessen Schrift: Schicksal und Idee, 368-381. In funktionaler Reduzierung könnte man sagen, dass es beiden um die Selbständigkeit der Religion zu tun ist – zu den Mitteln, die dafür aufgeboten werden, gehört das Beharren auf Nichtgegenständlichkeit des (allerdings verschieden gefassten) Gegenstands.

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licher Lehre oder von religiösen Vollzügen, erschöpfen. Auf der anderen Seite ist zu sehen, dass dort, wo das Moment der Gegenständlichkeit des theologischen Gegenstands zur Geltung gebracht wird, es leichter möglich ist, den Bezug zu gewissen empirischen Wirklichkeitsfeldern (Predigt, Sozialität der Kirche, gelebte Religion) festzuhalten, welche selbst wiederum auch außertheologischen Erkenntniswegen offen stehen. Daran kann sich dann eine Differenzierung von Innen- und Außenperspektive, wie sie in ihrer starken Form den Konzeptionen von Barth und Bonhoeffer zugrunde liegt und ihre eigene Problematik besitzt, anschließen. Der heuristische Wert der Unterscheidung von Gegenständlichkeit und Nichtgegenständlichkeit erweist sich – um einige Hinweise zu ergänzen – z.B. in der Evaluation von G. Lindbecks Auffassung der Religion als kulturell-sprachliches Interpretationsschema, welches dem Subjekt und seiner Erfahrung als verbum externum vorgegeben ist.8 Bleibt hier die Differenz zur Unverfügbarkeit ebendieses Wortes unbestimmt, kann in der ekklesiologischen Anwendung auf kirchliche Lehre einer positivistischen Gefährdung schwerlich etwas entgegengesetzt werden.9 D. Lange versucht demgegenüber im Rückgriff auf Schleiermacher die genannte Unterscheidung in den Erfahrungsbegriff selbst einzuzeichnen, indem er vier verschiedene Ebenen der Erfahrung unterscheidet.10 Eine völlig andere Lage ergibt sich, wenn theologisches Erkennen überhaupt nicht auf die Positivität eines Gegebenen, sondern auf das Entdecken des Gegenstands im Glauben bezogen wird, wie dies H.G. Ulrich mit dem Modell einer „explorativen Theologie“ vorgeschlagen hat.11

b) Zum Zusammenhang von Positivität und Perspektivendifferenz: Die Unterscheidung von interner und externer Perspektive kann mittlerweile dem Arsenal methodischen Instrumentariums neuerer Theologie zugerechnet werden. Diese bewegt sich damit im Horizont der philosophischen Diversifizierung des Vernunftbegriffs zu einer Rationalitätstheorie als Diskurstheorie auf der Basis pluraler (z.T. heterogener) Differenz.12 Der Sache nach gehört die Strittigkeit der Betrachtungswei8 9 10 11 12

G. LINDBECK, Christliche Lehre, 58; vgl. 1.1.7.4. Das zeigt selbst die Diskussion dieses Entwurfs auf römisch-katholischer Seite, vgl. z.B. A. ECKERSTORFER, Kirche in der postmodernen Welt, 270ff. D. LANGE, Glaubenslehre I, 27ff. H.G. ULRICH, Fides, 67ff. Zur philosophischen Auseinandersetzung erhellend H. SCHNÄDELBACH, Einleitung; ders., Was ist eigentlich ein relatives Apriori?; B. WALDENFELS, In den Netzen der Lebenswelt; A. WÜSTEHUBE, Vollständige oder unvollständige Rationalität? (Überblick über Positionen von Apel, Schnädelbach, Habermas, Bubner etc.); zur genannten Entwicklung im Rahmen der Wissenschaftstheorie, zum „internen“ Realismus H. Putnams und K. Hübners vgl. meine Skizze H.-M. RIEGER, Grenzen wissenschaftlicher Rationalität, 334-355; für die französischen Denker Foucault, Derrida und Lyotard die Arbeit von P. GEHRING, Innen des Außen; außerdem J. FRÜCHTL, Vernunft-

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sen allerdings zum Grundbestand theologischen Denkens überhaupt.13 Insofern kommt es darauf an, wie die Perspektiven und deren Wechselwirkung gedacht werden. Hierzu lassen sich einige formale Erfordernisse schon allgemein erheben: Zum einen ist auch der externen Perspektive Sachgemäßheit im Blick auf die Selbstauslegung der an einer internen Perspektive Partizipierenden prinzipiell möglich, diese ist nicht allein der inneren Beschreibungsperspektive vorbehalten. Erstere ist allerdings daran gebunden, dass wahr ist, was sie als Selbstauslegung präsentiert – was nicht mit der Behauptung zu verwechseln ist, dass das von den Partizipierenden Behauptete wahr ist.14 Zum anderen können – anders als es die Raummetapher insinuiert – die beiden Perspektiven nicht als separate Größen aufgefasst werden. Allein schon aufgrund der ihnen eingelagerten Reflexionsmodi ist die Beziehung der beiden Perspektiven außerordentlich verwickelt: Sie stellen keine selbständige, für sich zu betrachtende Relate dar, insofern die externe Perspektive als die interne wahrnehmend und die interne als die externe wahrnehmend wahrgenommen wird. Dabei ist es so, dass das, was ich als externe Perspektive in meiner internen thematisiere, seine (allerdings irreziproke) Entsprechung darin findet, dass diese externe Perspektive selbst wiederum als interne meine interne Perspektive als externe thematisieren kann.15 Ob und in welcher Weise abgesehen von solchen Strukturgegebenheiten die Wechselwirkung bestimmt wird, hängt davon ab, welche Reflexionsrichtung prioritär gesehen wird und ob bzw. inwiefern Implikationsmechanismen Eingang finden. Bekannte Beispiele sind auch hierfür die skizzierten Bestimmungen von theologischer und soziologischer Betrachtung in Barths Kirchentheorie oder Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre: Letztere kann als internalisierte Außenperspektive aufgefasst werden, welche auf der Grundlage der Kongruenz zur internen Selbstauslegung das kritische und noch zu bewährende Kriterium der Dogmatik bereitstellt und begründet. Barths Kir-

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metaphorik und Rationalitätstheorie, 193-214. Zur Perspektivität: F. KAULBACH, Philosophie des Perspektivismus; H.-P. GROßHANS, Perspektivität. Beide urteilen hinsichlich des Grundproblems, wie sich Perspektivität zu einem gemeinsamen Weltbezug verhalte, unterschiedlich. Vgl. das strittige Verhältnis von Glaube und Vernunft, von theologischer und außertheologischer Perspektive. Grundsätzlich durchgeführt sind die folgenden Unterscheidungen bei H. SCHULZ, Theorie des Glaubens, 321ff. 454ff. An der zuerst genannten ist der Aufbau der Religionsphilosophie von Troeltsch orientiert. Zur Weiterführung hinsichtlich der irreziproken Relation von Selbstbezug und Fremdbezug in der Wahrnehmung vgl. B. WALDENFELS, „Wahrnehmung“, 1671ff.; ders., Antwortregister, 202ff.

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chentheorie hingegen begreift eine angemessene soziologische Betrachtung als Implikat der theologischen. Auf diesem Hintergrund lässt sich auch die Problematik weiterer vorgestellter Typen transparent machen: So binden Kähler und Bonhoeffer, um der Nichtgegenständlichkeit des theologischen Gegenstands Rechnung zu tragen, die Theologie in einer solchen Weise an die interne Perspektive, dass das mit dem Stichwort der „zweifachen Erkenntnisordnung“ Angesprochene der theologischen Erörterung aufgegeben bleibt.16 Im ungünstigen Fall droht die interne Perspektive gegenüber anderen Erkenntnisweisen verabsolutiert zu werden. Demgegenüber scheint es sich geradezu anzubieten, den Konvergenzpunkt von interner und externer Beschreibung in der Fassung des Glaubens bzw. der Religion als Deutung (Vorstellungsdeutung, Lebensdeutung) zu suchen – wie es im Rückgriff auf Schleiermacher und Troeltsch weithin üblich geworden ist.17 Zu beachten ist hierbei allerdings, dass eine (moderne) Beschreibung des Glaubens bzw. der Reli-

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Anders als in der evangelischen Theologie spielte die Problematik einer zweifachen Erkenntnisordnung in der von Hause aus auf Harmonie von Glaube und Vernunft bedachten katholischen Theologie eine grundsätzlichere fundamentaltheologische Rolle. Zu erinnern ist dabei nicht nur an die im Mittelalter aufkommende Lehre von der doppelten Wahrheit. Exemplarisch greifen lässt sie sich auch in der Erklärung Dei filius des 1. Vatikanischen Konzils, welche den Einfluss aufklärerischen Denkens auf Theologie und Kirche begrenzen sollte. In ihr wurde dem Absolutheitsanspruch der natürlichen Vernunft die von ihr nicht erreichbare, kontingent vorgegebene übernatürliche Offenbarung gegenübergestellt (DH 3015, dort auch der Begriff einer zweifachen Erkenntnisordnung). Mit dieser starken Unterscheidung konnte zwar die Selbständigkeit des Offenbarungsglaubens bewahrt werden; zum Problem wurde aber, dass in ihrer Folge im Konfliktfall zwischen Glauben und Vernunft der Fehler immer auf der Seite der Letzteren liegen musste (vgl. DH 3017f. und die kritische Darstellung bei J. WERBICK, Den Glauben verantworten, 266-270). Unabhängig des hier vorausgesetzten Verständnisses von Offenbarung und Vernunft ist damit ein Strukturproblem benannt, dem auch durch die Pluralisierung der Rationalitätstypen noch nicht begegnet ist (eine solche kann vielmehr verstärkend wirken). Es tritt immer dann ein, wenn die Wechselbeziehung von Glaube (bzw. Glaubensrationalität, glaubendem Erkennen) und Erkenntnis außerhalb des Glaubensakts zugunsten der Auffassung zweier separat-partikularer Bereiche aufgelöst wird. Das Ergebnis: Theologie wäre nicht genötigt, sich der überzeugenden Kraft anderer Erkenntnisweisen (anderer wissenschaftlicher Theorien) argumentativ zu stellen. Auf ein vom allgemeinen Wahrheitsbewusstsein abgegrenztes Theologieverständnis, welches sich vom Gang der wissenschaftlichen Entwicklung lösen zu können meint und darum, so die Befürchtung, die Theologie der Selbstimmunisierung preisgebe, zielt bekanntlich auch der häufig zitierte ‚Barbarei-Verdacht’ von F. SCHLEIERMACHER, Zweites Sendschreiben, KGA I/10, 347. So paradigmatisch bei U. BARTH, Was ist Religion? 548: „Religion als Deutung der Erfahrung im Horizont der Idee des Unbedingten“. Anknüpfen lässt sich hierbei an Schleiermachers Beschreibung der religiösen Selbsttätigkeit als „individuelles Symbolisieren“.

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gion als reflexiv-selbsttätige Selbstdeutung des Subjekts nicht ohne weiteres mit der religiösen Selbstaussage, welche Gott als Agens der Beziehung behauptet, identisch ist.18 Hier kann dann der umgekehrte Fall eintreten, dass nämlich das extern Konstruierte bzw. eine Reflexionskategorie die interne Perspektive der Partizipanten zu dominieren und zu verändern beginnt.19 Insgesamt wird man sagen dürfen, dass es darauf ankommt, interne und externe Perspektive(n) nicht nur zu unterscheiden, sondern in ihrer Wechselwirkung zu bedenken. Angesichts der Gefahr einer diskursiven Selbstabschließung ist im Horizont der gegenwärtigen Moderne vor allem nach der produktiven Rückkopplung nichtchristlicher Diskurse auf den bzw. die christlichen zu fragen. Eine bedeutsame Voraussetzung ist es dabei, dass das, was in Außendiskursen als externe Perspektive auftritt, nicht einer Negativkategorie unterstellt wird.20 c) Zur Auffassung der Positivität und der damit aufgegebenen Problemstellungen im Blick von Theologie und Kirche in der gegenwärtigen Moderne: Bereits eine einigen exemplarischen Positionen gewidmete Durchsicht theologischer Entwürfe nach Kant zeigt, dass 18

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Vor einer solchen Verwechslung hat F. WAGNER (Religion der Moderne, 16) gewarnt und den in der vorigen Anmerkung genannten Vorschlag von U. Barth als „typische[s] Konstrukt einer Theologenreligion“ bezeichnet (ebd., 28, Anm. 19). Unbeschadet dessen, ob dieser Vorwurf zutrifft oder nicht, bemerkenswert ist jedenfalls, dass eine solche als Lebensdeutung verstandene Individualitätsreligion im Rahmen der antiontologischen Weichenstellung der „kopernikanischen Wende“ Kants auftritt, als Religion, welche die Art und Weise ihrer Gehalte selbst konstituiert (vgl. ebd., 16). Diesen Weg empfiehlt U. Barth dann in der Tat als „prinzipientheoretischen Paradigmenwechsel in der Geschichte der Theorie des Christentums“ (ders., Religion oder Gott?, 33). Bemerkenswert ist die Problematisierung einer zunehmenden Abstraktheit und einer reflexiven Distanzierung in der Definition von Religion durch den Religionssoziologen F.H. TENBRUCK, Religion im Maelstrom der Reflexion, 31-67: Wird im Zuge der wissenschaftlichen Bearbeitung Religion in eine allgemeine Reflexionsperspektive eingerückt, trifft sie nicht auf einen unbeteiligten Beobachter, sondern auf einen produktiven, welcher die Religion bzw. deren Selbstaussagen nicht in ihrer Unabhängigkeit von ihm zu Gesicht zu bekommt, sondern diese verändert und beeinflusst. Tenbruck fordert daher: „Die Prüfung unseres Religionsbegriffes im Blick auf dessen Grenzen und Vorannahmen steht an und ist den Religionswissenschaften wie der Theologie aufgegeben.“ (Ebd., 66) Eine positivere Einschätzung von reflexiver Distanziertheit ergibt sich, wenn man religionsphilosophisch von einer irreduziblen Differenz und einer wechselseitigen Angewiesenheit von Reflexion und Vollzug ausgeht. Denn dann wäre nicht nur die Reflexionsebene auf die Vollzugsebene, sondern – etwa zur notwendigen Klärung der Geltungsfrage – auch die Vollzugsebene auf eine (metatheoretische) Reflexionsebene angewiesen: vgl. J. DIERKEN, Glaube und Lehre, 433-437. Vgl. dazu die Arbeit von P. DABROCK, Antwortender Glaube; das genannte Problem wird im Blick auf das Perspektivenmodell von I.U. Dalferth (vgl. 2.2.1.1.), aber auch bei den von mir formulierten „Umrissen“ (vgl. 3.3.) Beachtung finden.

208

Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

die gerne unterstellte Alternative „Religion oder Gott“ bzw. „Religion oder Offenbarung“ der Komplexität des von ihnen geltend gemachten theologischen Gegenstandsbezugs nicht gerecht wird. Tillichs Zuordnung, wonach die unbedingte Offenbarung notwendig zu bedingter Religion wird, diese aber immer wieder aufhebt, wurde lediglich gestreift.21 Sehr deutlich wurde in der problemgeschichtlichen Skizze aber, wie selbst die Auffassungen von Barth und Bonhoeffer einer differenzierten (und modern verstehbaren) Sicht der Positivität folgen. Diese kann zum einen nämlich durchaus in Entsprechung zu Rahmenvorgaben der Erkenntniskritik Kants entschlüsselt werden, insofern die Differenz von Gehalt und Gestalt des Wortes Gottes bzw. von actus directus und actus reflexus die Kantsche Differenz von noumenaler und phänomenaler Modalität abbildet.22 Zum anderen aber, das ist in diesem Zusammenhang von größerer Bedeutung, erlaubt es die genannte Differenz, in einer bestimmten Form die Beziehung zu religiös-kirchlichen Vollzügen in die Fassung des theologischen Gegenstands aufzunehmen, ohne diesen damit zu identifizieren. Das gilt für Barth und Bonhoeffer ganz unbeschadet der Tatsache, dass sie sich ihrem letztlich theologisch entworfenen Religionsbegriff gegenüber nur kritisch verhalten können. Ist der Rekurs auf eine Positivität im Sinne von religiös-kirchlichen Vollzügen, von kirchlichen Glaubens- oder Lehrkonsensen o.ä. möglich, so sind damit zwar einer von volkskirchlicher Realität abgehobenen Theologie jedenfalls prinzipiell Schranken gesetzt, eine für die gegenwärtige Moderne fundamentale Schwierigkeit ist allerdings zu bedenken erst aufgegeben. Diese besteht schlicht und einfach darin, dass der gegenständliche Bezugspunkt immer weniger in einer Eindeutigkeit und Einheitlichkeit vorliegt – etwa in Form einer fest umrissenen Religionspraxis oder eines fest umrissenen Glaubenskonsenses. Zwar lassen sich kirchliche Sprach- und Handlungsvollzüge ausgrenzen, ein solches Vorgehen wird aber problematisch, wenn die Reflexion theologischer Gegenständlichkeit den Anspruch in sich trägt, die Komplexität der Lebenswelt nicht zu übergehen. Denn bekanntlich ist diese wiederum bestimmt durch den Pluralismus einer ausdifferenzierten Gesellschaft, welche sich nicht nur als funktionale Differenzierung von Teilsystemen (N. Luhmann), sondern auch innerhalb der Institution Kirche als Pluralität der Funktionserwartung verschiedener (konkurrierender) Interessengruppen und der Pluralität positioneller Glaubensüberzeugungen vorfindet. Sie ist ebenso bestimmt durch die Emanzipation einer religiösen Individualität, welche in der Privatisierung von 21 22

Vgl. P. TILLICH, Kirche und Kultur, 42, sowie den Abschnitt „Medien der Offenbarung“ in: ders., Systematische Theologie, 142-151. Zu K. Barth vgl. neuerdings B. MCCORMACK, Der theologiegeschichtliche Ort, 15-40.

Systematisch-theologische und wissenschaftstheoretische Problemmatrix

209

Religion ihren Ausdruck findet und J. Semlers theoretischer Unterscheidung von Theologie und Religion im Nachhinein ihre praktische Wirkung verschafft.23 Es ist mittlerweile zu einem Grundproblem systematisch-theologischer und praktisch-theologischer Theoriebildung geworden, wie sich diese (in sich wiederum mehrstufige) Komplexität zur Bestimmung des theologischen Gegenstands verhält. Im Folgenden sei dies an dessen Fassung als „Glaube“ und als „Religion“ verdeutlicht. Schleiermacher machte mit seinem Rekurs auf die Positivität der christlichen Glaubensweise das partikular Gegebene eines gewissen lehrmäßig fassbaren Glaubenskonsenses zum Bezugspunkt theologischer Arbeit – und zwar so, dass diese einem allgemeinen Wissenschaftsbegriff eingeordnet und zugleich ihre praktische Ausrichtung festgeschrieben werden konnte. In unterschiedlicher Weise hat seither nicht nur die evangelische Theologie den christlichen Glauben bzw. die Lebens- und Sprachvollzüge der Glaubenskommunikation zum Gegenstandsbereich einer Theologie erklärt, welche sich im Modus der Darstellung, der Begründung, der Bewahrung etc. auf jene bezieht. Sie ist dann wissenschaftliche Rechenschaft vom christlichen Glauben (W. Trillhaas), „Denken des Glaubens“ (E. Jüngel) oder „Glaubenswissenschaft“ (M. Seckler).24 Besonders R. Bultmann hat sich in herausragender Weise für den Glauben als Bezugspunkt wissenschaftlicher Theolo-

23

24

Grundlegend für die Darstellung und die praktisch-theologische Verarbeitung dieses Sachverhalts: D. RÖSSLER, Positionelle und kritische Theologie, 217ff., V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 106-120; vgl. weiter CH. SCHWÖBEL, Religiöser Pluralismus, 40ff.; F.-X. KAUFMANN, Theologie, 265ff.; zur Wahrnehmung der Pluralität innerhalb der Kirche: E. HAUSCHILDT, Milieus in der Kirche, 392ff. W. TRILLHAAS, Dogmatik, 9ff.; E. JÜNGEL, Theologische Wissenschaft und Glaube, 30; M. SECKLER, Theologie – Religionsphilosophie, 31; ders., Theologie als Glaubenswissenschaft. Seckler stimmt ebd., 161, der Barthschen These der Theologie als Funktion der Kirche zu und entfaltet diese Zustimmung dahingehend, dass der Glaube der Kirche (fides ecclesiae) Voraussetzung und Gegenstand der Theologie sei (vgl. aber auch die Differenzierung von Glaube und persönlichem Gläubigsein: ebd., 145f.) – unbeschadet einer kritischen Aufgabe und prophetischen Sendung der Theologie. Die Kirche wird dann allerdings bei Seckler auch in der Weise auf der Subjektseite der Glaubenswissenschaft eingesetzt, dass ihr die Funktion einer norma proxima theologischen Arbeitens d.h. in Gestalt des pastoralen Lehramts eine „kriteriologische Funktion“ zukommt (ebd., 164f.). Damit ist die Differenz zu protestantischen Positionen markiert. An diesem Punkt ließe sich die kontroverstheologische Problematik auf die Frage zuspitzen: Wer ruft hier wen zur Sache? Die Kirche die Theologie oder die Theologie die Kirche? Für protestantische Theologie bleibt indes die Aufgabe, nicht nur ein einliniges Verhältnis von Theologie und Kirche, sondern ein Verhältnis wechselseitiger Kritik reflexiv einzuholen.

210

Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

gie ausgesprochen.25 Alle diese Bestimmungen können das wissenschaftstheoretisch bedeutsame Merkmal für sich geltend machen, dass Theologie den Glauben und auch einen Glaubenskonsens nicht konstituiert, sondern dieser jener vorgegeben ist. Ihre weiteren Vorzüge bestehen darin, dass der Glaubensbegriff eine Zuordnung von Vollzug und lehrmäßiger Bestimmtheit als auch von Vollzug und seinem spezifischen Grund und Gegenüber im transzendenten Gegenüber des in Christus offenbaren Gottes erlaubt – und zwar eine solche Zuordnung, welche nicht nur der gegenwärtig-internen Selbstaussage, sondern auch der neutestamentlichen Bedeutung des Glaubens und seiner reformatorischen Beschreibung auf der Spur bleibt. Unter dem Vorzeichen der genannten Komplexität der Lebenswelt ist die Herausforderung allerdings darin zu sehen, dass die christliche Glaubenskommunikation der modernen Ausdifferenzierung von Sozialformen und der Schubkraft der Individualisierung folgt, so dass der Rückbezug auf einen einheitlichen Gegenstand zwar nicht unmittelbar betroffen sein muss, seine Behauptung indes nicht mehr nur auf einen lehrmäßig fassbaren (kirchlichen) Glaubenskonsens zurückgreifen kann, sondern mit einer Vielzahl von Glaubensformen konfrontiert ist. Für J. Fischer gehört es darum zur Krise der gegenwärtigen Dogmatik, dass ihr die Orientierung an einer auf Konsens basierenden Lehre, wie dies in Schleiermachers Bezug auf eine bestimmte christliche Glaubensweise der Fall war, im Horizont gegenwärtiger volkskirchlicher Wirklichkeit versagt ist.26 Selbst wenn man im Blick auf diesen Sachverhalt einen 25

26

R. Bultmanns posthum herausgegebener enzyklopädischer Entwurf wurde im vorigen Teil nicht eigens analysiert, er verdient aber spätestens an dieser Stelle wenigstens genannt zu werden: Für Bultmann ist der Glaube als fides quae creditur Gegenstand der Theologie – anders als der Glaube als fides qua creditur, welcher von der Theologie abhängig ist (R. BULTMANN, Theologische Enzyklopädie, 16f., vgl. 21. 193). In Abgrenzung zu Schleiermacher, vollends zu Troeltsch wird darauf bestanden, dass der Glaube als religiöses Phänomen nicht vom Gottesbezug gesondert werden kann und definiert: „Was ist Theologie als Wissenschaft? Ihr Gegenstand ist Gott, so wie er in der einzig möglichen Zugangsart, im Glauben gesehen wird. Er zeigt sich in der Offenbarung und wird gesehen im Glauben. Also sind in einem Offenbarung und Glaube der Gegenstand der Theologie [...] Das Thema der Theologie kann also auch bezeichnet werden als die von Gott bestimmte Existenz des Menschen.“ (ebd., 159; Hervorheb. gestrichen) Vgl. auch den kritischen Unterton in ebd., 190: „Einst war die Theologie die Wissenschaft vom Glauben, als der fides quae creditur, für den Glauben als die fides qua creditur. Jetzt ist sie eine Wissenschaft vom Glauben als der fides qua creditur, und verloren ist die fides quae creditur und das Wofür dieser Wissenschaft. [...] Eine Theologie, deren Gegenstand die Religion ist und die den Glauben als einen Fall des religiösen Lebens auffaßt, hat den Glauben und seinen Gegenstand ein für allemal verloren, sie redet nicht vom Glauben und seiner Wahrheit. Ihr Gegenstand ist nur noch das glaubende Subjekt, dessen Glauben als menschliche Haltung verstanden wird.“ (Hervorheb. im Orig.) J. FISCHER, Pluralismus, Wahrheit, 487ff.

Systematisch-theologische und wissenschaftstheoretische Problemmatrix

211

Glaubenskonsens weniger als Voraussetzung betrachtet, ihn vielmehr in die Zielbestimmung einer daran mitarbeitenden Theologie aufnimmt, bleibt die von praktischen Theologen angemahnte Problemstellung aufgegeben, dass nämlich eine fehlende Vermittlung mit der Wirklichkeit individueller Glaubenserfahrung und religiöser Praxis die neuzeitliche Komplexitätserfahrung unbewältigt sein lässt und mithin den Differenzierungsschub nur verstärkt. Genau diese Bewältigung der Komplexitätserfahrung kann wiederum als Vorzug eines Ansatzes theologischer Gegenstandsbestimmung auf der Grundlage des Religionsbegriffs namhaft gemacht werden. Theologie wird dann die Funktion bzw. der funktionale Orientierungsprimat der Auslegung von Religion zugewiesen, welcher sich gegenüber der religiösen Praxis zwar nicht als diese erzeugende, aber doch als regulierende Instanz zu bewähren habe.27 Als eine gegenüber religiösen bzw. kirchlichen Gruppeninteressen autonome „Wirklichkeitswissenschaft“ stellt sie sich in „den Dienst des Vorhandenen“28, konsequenterweise nimmt sie die Komplexität der Lebenswelt in den Begriff von Religion selbst auf.29 Zur Vermittlung externer Perspektiven ist sie dabei nicht mehr auf die klassische Bezugswissenschaft der Philosophie, sondern auf die Soziologie verwiesen. Doch auch hier geben die Vorzüge dieser Gegenstandsbestimmung entsprechende Probleme zu ihrer Bearbeitung auf. Dabei geht es nicht nur um die (Barths Einwurf aufnehmende) Frage, ob und wie in den weiten, sich einer allgemein-gültigen Definition entziehenden Begriff30 die spezifische Bestimmtheit der internen Glaubensperspektive (nachträglich?) eingezeichnet werden kann, sondern auch um die nur als Selbstunterscheidung mögliche, aber notwendige Unterscheidung des religiösen Vollzugs von seinem (nichtgegenständlichen) transzendenten Grund im extramentalen Handeln Gottes. Wie bereits angedeutet wurde, muss eine solche „transzendentale“ Bestimmung des Religionsbegriffs, der 27

28 29 30

Vgl. D. RÖSSLER, Positionelle und kritische Theologie, 221; V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 120. 126; T. RENDTORFF, Theologie in der Moderne, 82f., vgl. ders., Theologie in der Welt des Christentums, 157 („Neukonstitution der Theologie als Wissenschaft, die sie als Theorie der heutigen praktischen Lebenswelt des Christentums begreift“). T. RENDTORFF, Verantwortung, 35; vgl. schon ders., Kirche und Theologie, 215. Vgl. die darauf aufbauende Differenzbildung von D. RÖSSLER, Grundriß, 89ff. Vgl. L. HÖLSCHER, Religion im Wandel, 45ff.; schon W. TRILLHAAS, Wirklichkeit der Religion, 14f. Auf diesem Befund basiert dann auch die verschiedentlich geforderte Verabschiedung des Religionsbegriffs zugunsten des Glaubensbegriffs bei E. FEIL, vgl. ders. (Hg.), Streitfall „Religion“; darin v.a. die für die Beibehaltung des Religionsbegriffs votierenden Beiträge von F. NÜSSEL, Ende oder Wiederkehr der Religion?; W. PFÜLLER, Die „Religion“ ist tot – Es lebe die Religion! Instruktiv zum Problemfeld des Religionsbegriffs: D. POLLACK, Was ist Religion?

212

Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

dann im Übrigen eine religionsphänomenologische Fassung des Offenbarungsbegriffs bzw. dessen Äquivalent entsprechen kann,31 als notwendige Bedingung dafür angesehen werden, dass die regulative und orientierende Funktion der Theologie nicht allen Autonomieforderungen zum Trotz zu einem positivistischen Verhältnis zur Religion bzw. deren Vollzug regrediert. Denn der Geltungsanspruch religiöser Praxis kann sich selbstverständlich nicht auf ihr faktisches Gegebensein berufen. J. Dierken hat die erforderliche Differenzierungsfähigkeit jüngst in den Begriff der Religion selbst eingezeichnet und Religion als „gelebtes Differenzbewußtsein“ definiert.32 Beide Ansätze vermögen nicht zuletzt auf ein Strukturproblem aufmerksam zu machen, welches die protestantische Theologie in der Moderne begleitet: die Verhältnisbestimmung von religiöser Subjektivität und kirchlicher Lehre. Während im Gefolge von Schleiermacher der religiös-subjektive Glaubensvollzug – unbeschadet einer geschichtlichen Vermittlungsfunktion von Sozialität – der kirchlichen und theologischen Lehre prinzipiell vorgeordnet wird, verstehen sich die dargestellten Ansätze von G. Lindbeck und S. Hauerwas als Umkehrung dieses Verhältnisses. Auch wenn eine solche Gegenüberstellung idealtypisch vergröbernd erscheint und über den Rahmen des Gegensatzes von Liberalismus und Kommunitarismus nicht hinauszuführen vermag, diskussionsbedürftig ist jedenfalls die epistemische Maxime, dass Erfahrung bzw. subjektive Überzeugung immer schon durch Gemeinschaft vermittelte Interpretation ist. Sie lässt sich in solche Modelle umsetzen, in denen vorgegebene bzw. überlieferte Interpretationsschemata im konstitutiv-formierenden Sinn als Bedingung der Möglichkeit von subjektiver Erfahrung und Überzeugung zugrunde gelegt sind. Die dadurch ausgelöste und mit entsprechenden Tendenzen von Wissenschafts-, Erkenntnis- und Religionstheorie verzahnte Diskussion ist mittlerweile nicht nur auf den angelsächsischen Raum beschränkt. Und sie ist über die unmittelbare Problematik hinaus dazu angetreten, zu einer veränderten Sichtweise von Religion, von Glaubenskonsens und Sozialität der Kirche (und deren Wechselwirkungen) beizutragen, welche eingeschliffene Frontstellungen hinter sich lässt.33 Das zeigt 31

32 33

Auch hierzu ist wieder auf Schleiermacher zu verweisen, welcher in CG2 § 10 Zus. (I, 71ff.) den Offenbarungsbegriff gewissermaßen als religionsphänomenologischen Platzhalter für die Eigenständigkeit der internen Perspektive und der mit ihr verbundenen Überzeugung von der „ausschließlichen Vortrefflichkeit des Christentums“ (ebd., § 7.3 (I, 50)) festhält. J. DIERKEN, ‚Religion’ als Thema, 257. Vgl. dazu die Studie von J. DIERKEN, Glaube und Lehre, die im Verhältnis von Glaube (als Vollzug) und Lehre (als Bestimmtheit) die Unreduzierbarkeit der Differenz zwischen religiösem Vollzug und theologischer Bestimmtheit darlegen möchte. Dies

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beispielsweise eine neuerdings von M. Zeindler vorgelegte Studie, in welcher die „in der Gemeinde aufgebaute und erhaltene Deutungsperspektive des Glaubens“ als „Möglichkeitsbedingung jeglicher Gotteserfahrung, sowohl der inner- als auch der aussergemeindlichen“ behauptet wird.34 Das Phänomen struktureller Individualisierung von Religion wird dabei nicht negiert, die individuelle Erfahrung der Gegenwart Gottes bleibt aber in einer „differenzierte[n] Relationierung“ an den für sie konstitutiven Kommunikations- und Sozialisationszusammenhang der christlichen Gemeinde verwiesen.35

1.2.2. Die Komplexität der pragmatischen Bezüge Wenn im Unterschied zur Komplexität des Gegenstandsbereichs – als Wirklichkeit, auf welche sich Theologie als Wissenschaft bezieht – hier von der Komplexität der pragmatischen Bezüge die Rede sein soll,36 so mit der Absicht, die Fragestellung nunmehr auf die funktionalen Relationen der Theologie im Sinne von Handlungs- und Aufgabenfeldern zu lenken. Gemäß dem gemeineuropäisch lateinischen Sprachgebrauch von „functiones“ als Tätigkeiten bzw. Verrichtungen legt es die Formel der Theologie als Funktion der Kirche zunächst nahe, die Theologie als eine Tätigkeit der Kirche zu begreifen.37 Das wiederum nötigt dazu, die Handlungs- und Bezugsfelder, auf welche sich diese Tätigkeit bezieht und ihre Aufgaben bzw. ihre Ziele findet, in ihrer Differenz wahrzunehmen. Ausgangspunkt für eine grundlegende Differenzierung kann die Einsicht sein, dass Theologie nicht nur der Kirche verantwortlich ist bzw. in ihr das Rechenschaftsforum und den Adressatenkreis hat, sondern ebenso in der Welt (vgl. 1 Petr 3,15). Über diese Grunddifferenz hinaus lässt sich dann das Bezugsfeld weiter differenzieren. Beispielhaft hierfür ist die gewissermaßen ‚multifunktionale’ Ortsbestimmung der Dogmatik von W. Trillhaas, der zufolge das Forum der wissenschaftlichen Verantwortung des christlichen Glaubens drei Ebenen mit

34 35

36 37

geschieht im Rückgriff auf vier klassische Positionen (Barth, Hegel, Schleiermacher, Bultmann), aber ohne Berücksichtigung der neueren angelsächsischen Diskussion. M. ZEINDLER, Gotteserfahrung, 326. Ebd., 334. Die Interpretationsschemata werden dabei nicht auf „Lehre“ reduziert, sondern in den umfassenderen Kontext des Aufbaus einer Deutungsperspektive des Glaubens und einer erneuerten Sozialität eingestellt. Vgl. zu dieser Unterscheidung S. WIEDENHOFER, Theologie als Wissenschaft, 94ff., v.a. 96, Anm. 10. In diesem Sinn ist für Bonhoeffer Theologie neben Verkündigung, Versammlung etc. die „[e]rste außerkultische Aufgabe der Kirche“: ders., Wesen der Kirche, 286.

214

Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

einer jeweils spannungsreichen Doppelseitigkeit aufweist: Verantwortung vor dem christlichen Glauben – vor der wissenschaftlichen Vernunft, vor der Geschichte bzw. der tradierten Überlieferung – vor der Gegenwart bzw. deren Geltungserfordernis, vor der Kirche – vor der Welt.38 Im Blick auf die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft hat sich dann jedoch die Unterscheidung der drei „Öffentlichkeiten“ Gesellschaft, Universität und Kirche, wie sie von D. Tracy vorgeschlagen wurde, im theologischen Diskurs weitgehend durchgesetzt.39 Was die interne Strukturierung des kirchlichen bzw. religiösen Bezugsfeldes betrifft, ließe sich weiter differenzieren und die Funktion der Theologie für die Ausbildung einer Profession, für den Glaubenskonsens, für die kirchliche und individuelle Religion etc. thematisieren. Wie immer und mit welchen Gründen man die pragmatischen Bezüge der Theologie unterscheidet und zuordnet, auf dem Hintergrund des bereits Analysierten muss es als unabdingbar angesehen werden, sie jeweils als kritische Beziehungen zu bestimmen. Dabei erscheint es sinnvoll, innerhalb des jeweiligen Bezugs negative Kritik (prophetische Kritik) und positiv-konstruktive Kritik (Aufbau und Gestaltung eines Erkenntnis- und Handlungszusammenhangs) zu unterscheiden, bei alledem aber auch die selbstkritische Kritik bzw. die Selbstkritik der Kritik nicht aus den Augen zu verlieren.40 Die Unterscheidungen im Blick auf die pragmatischen Bezüge ermöglichen es nicht nur, verschiedene Typen der Verhältnisbestimmung von Kirche und Theologie zu erschließen (b), auf ihrem Hintergrund kann man darüber hinaus eines durch die neuzeitliche Gesellschaftsentwicklung bedingten spezifisch modernen Problemmoments ansichtig werden, das die Arbeit der Theologie nachhaltig bestimmt (a). Zunächst zum zuletzt Genannten: a) Schon die Tatsache, dass die Differenz der pragmatischen Bezüge in der gegenwärtigen Theologie verstärkt wahrgenommen wird, kann als Indiz einer Problemkonstellation verstanden werden, welche sich auf dem Hintergrund der problemgeschichtlichen Skizze und der in 1.2.1. erörterten Problematik idealtypisch als Folge einer Überlagerung bzw. Verlagerung darstellen lässt: Die frühere Frage nach der historischen Erkenntnisgewissheit, wie sie etwa bei Ritschl und Kähler vorherrschte, orientierte sich an der diachronen Differenz von Vergangenheit 38 39

40

W. TRILLHAAS, Dogmatik, 9ff. Vgl. insbesondere die Zuordnung im QuadrupelModell von E. HERMS (1.1.7.6.)! D. TRACY, Analogical Imagination, 3ff.; vgl. D. LANGE, Die drei öffentlichen Rechenschaftspflichten der Theologie, 286ff.; ders., Glaubenslehre I, 49-51. 88f.; auch F.W. GRAF, Wozu noch Theologie?, 11. Vgl. M. SECKLER, Theologie als Glaubenwissenschaft, 180f.

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215

und Gegenwart. Bereits bei Troeltsch lässt sich die Überlagerung durch eine andere Frage beobachten. Bei ihm tritt zu einer der Religionsphilosophie aufgegebenen wissenschaftlich-geltungstheoretischen Bearbeitung der Religion bzw. ihrer Geschichte eine auf Vermittlung der synchronen Differenz von gesellschaftlichen Kommunikationsinstanzen ausgerichtete praktisch-dogmatische Theologie. Die synchrone Differenz wird dabei nicht nur als Herausforderung der Theologie begriffen, sondern geht in deren Grundlegung selbst mit ein: Die Begründung für die Notwendigkeit der Theologie und insbesondere für ihre kirchenunabhängige Institutionalisierung als theologische Fakultät im Universitätssystem kann in einem soziologisch plausibilisierbaren Modell direkt an die Differenz von allgemein-wissenschaftlichem, christlich-religiösem und kirchlichem Bewusstsein angeschlossen werden.41 An der Verlagerung hin zur Herausforderung gegenwärtiger Kommunikation hat auch der Entwurf von Barth Anteil, zumal er mehr noch als Kähler das Scheitern einer geltungstheoretischen Bearbeitung der Geschichte vor Augen hatte. Allerdings erkennt er die vorrangige Schwierigkeit nicht in der äußeren Differenz zu anderen Kommunikationsinstanzen, sondern im Sprach- und Lebensraum der Kirche selbst. Die Herausforderung, welche auch hier in die Begründung der Notwendigkeit der Theologie eingeht, besteht darin, dass jene vom göttlichen Selbstwort lebt, dieses aber nur in fehlbarer menschlicher Gestalt vorfindlich ist. Die erneute Diskussion um das Problem des historischen Jesus in den 50er und 60er Jahren vermochte das dogmatische Interesse nicht dauerhaft auf die diachrone Differenz von Vergangenheit und Gegenwart umzustellen. So sehr in der Theologie darüber Einigkeit bestehen dürfte, dass jede theologische Erkenntnis in irgendeiner Weise auf der geschichtlichen Offenbarung Gottes beruht,42 bleibt für den gegenwärtigen systematisch-theologischen Diskurs die synchrone Differenz der Kommunikationsinstanzen, zwischen Wissenschaft und Kirche, individueller Religion und Kirche etc. im Brennpunkt des Interesses. So verwundert es nicht, dass auf der enzyklopädischen Ebene der theologischen Subdisziplinen die Systematische Theologie – unbeschadet des hohen Forschungsanteils an Rekonstruktionen theologiegeschichtlicher Positionen und des Bemühens um eine Biblische Theologie bzw. Dog-

41 42

Vgl. V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 126ff.; F.-X. KAUFMANN, Theologie, 270f. Vgl. dazu und zu der damit verbundenen Problematik: G. SAUTER u.a., Wissenschaftstheoretische Kritik, 245f.

216

Zur Problembestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kirche

matik43 – faktisch eher mit der Praktischen Theologie denn mit den historischen bzw. exegetischen Fächern kooperiert. Dies wird vor allem dort erleichtert, wo der Begriff der „gelebten Religion“ als Programmbegriff Systematischer und Praktischer Theologie konzipiert wird.44 b) Die Differenzierung hinsichtlich der pragmatischen Bezüge kann als formales Klassifikationsinstrument die verschiedenen Typen der Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche erschließen helfen. Das zeigen beispielhaft die mit dem eben erwähnten Begriff der „gelebten Religion“ verbundenen Ansätze45, stellt man sie der Barthschen Definition der Theologie als Selbstprüfungsfunktion der Kirche gegenüber. Allerdings erhellt gerade dieses Beispiel bereits, dass von einem bestimmten Handlungs- und Aufgabenfeld auszugehen noch keine Beschränkung des Aufgabenfelds insgesamt bedeuten muss: Wird etwa individuelle Religion als primäres Aufgabenfeld der Theologie (ggfs. zugleich als ihr bevorzugter Gegenstandsbereich) betrachtet, so wird 43 44

45

Vgl. F. MILDENBERGER, Biblische Dogmatik; auch P. STUHLMACHER, Biblische Theologie. A. GRÖZINGER / G. PFLEIDERER (Hg.), „Gelebte Religion“. Zum Zweck einer heuristischen Problemmatrix mag dieser Hinweis einstweilen genügen. Ohne die skizzierte Loslösung von historisch-exegetischen Fragestellungen im Sinne einer Verlustgeschichte zu bewerten, verdient allerdings angemerkt zu werden, dass an dieser Stelle der theologische Diskurs sich nicht ohne weiteres mit dem Klärungsbedarf dessen, was christlicher Glaubensreflexion zu bedenken aufgegeben ist, deckt. Zur Bewährung (oder Bestreitung) dessen, was gegenwärtige Geltung beansprucht, hat sich die historische Rückfrage nach dem, was sich historisch rekonstruieren und plausibilisieren lässt, keineswegs nur in freikirchlicher sowie in tatsächlich oder vermeintlich „aufklärungsresistenter“ Frömmigkeit und Theologie überlebt. Das gilt – auch nach dem Scheitern des historistischen Paradigmas und dessen Anspruch, normative Geltung aus der Geschichte erheben zu können – vor allem im Blick auf die Normativität der Person Jesu Christi. Die historische Bestandsaufnahme christlicher Überzeugungsgehalte, die der SPIEGEL jeweils vor Weihnachten und vor Ostern zu unterbreiten unternimmt, vermag die Theologie daran zu erinnern, dass, mit M. MURRMANN-KAHL (vgl. ders., Die entzauberte Heilsgeschichte, 316) formuliert, Genesis und Geltung zwei „irreduzible Erkenntnisinteressen“ der Theologie darstellen. Murrmann-Kahl selbst will im Blick auf die gegenwärtige Verfassung der Theologie die Spannung von historischen und systematischen Disziplinen im Anschluss an T. Koch als eine Beziehung der produktiven Konfrontation (mit geschichtlicher Fremdheit) verstanden wissen: Die historische Theologie bleibt, gerade aufgrund ihrer Selbstbeschränkung auf das historische Interesse von der geltungstheoretischen Grundlegung entlastet, kritischer Partner der Systematischen Theologie und behält ein „Vetorecht der Quellen“ (ebd., 460f.). Als neueres Beispiel einer Christologie, welche auf historisch-kritischer Rekonstruktion aufbaut, sei genannt: D. LANGE, Glaubenslehre II, 6ff. 84ff.; differenzierter, weil unter Berücksichtigung der homologischen Grundstruktur der Aussagen und des von ihnen in Anspruch genommenen Interpretationshorizonts: G. EBELING, Dogmatik II, 366ff, v.a. 384. 399. 403ff. Zur Konjunktur dieses Begriffs in der Praktischen Theologie vgl. D. RÖSSLER, Vernunft der Religion, 10. 67f.; W.-E. FAILING / H.-G. HEIMBROCK, Praktische Theologie als Theorie gelebter Religion, 15ff.; diess., Gelebte Religion wahrnehmen.

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mit einer solchen perspektivischen Fokussierung die Theologie nicht notwendig in den ausschließlichen Gegensatz zum kirchlichen Bezugsfeld geführt. Wie ein Blick auf die klassisch gewordenen Varianten lehrt, legt sich vielmehr zunächst eine sachliche Nachordnung dieses Bezugsfelds nahe – mit freilich nicht unerheblichen kirchentheoretischen Konsequenzen. Die Kirche nach ihrem institutionellen Angebot religiöser Deutungsmuster und deren sprachlicher Vermittlung zu beurteilen, vermag Ausdruck einer solchen Nachordnung zu sein.46 Auf der anderen Seite bedeutet ein auf den kirchlichen Bezug konzentrierter Ansatz wie der Barths richtig verstanden zwar nicht, dass der Weltbezug der Theologie aufgegeben wird. Er geht aber mit der Behauptung einher, dass die Theologie ihrer Funktion an Gesellschaft, Wissenschaft und Individuum nur dann gerecht wird, wenn sie ihren Dienst an der Verkündigung tut und so bei ihrer Sache ist. Der Weltbezug ist Implikat des kirchlichen Bezugs der Theologie. In zugespitzter Weise war dieser Grundsatz auch in den Konzepten von G. Lindbeck und S. Hauerwas zu beobachten, welche beide eine starke Kirche-WeltDifferenz zur Geltung bringen. Die Auffassungen von Theologie und deren Aufgabenfelder können also darauf befragt werden, ob und inwiefern sie eine einzelne Bezugsrelation vorordnen (bzw. den Ansatz bestimmen lassen), die anderen über wiederum funktionale Relationierungen auf dieses Relat oder über ein Implikationsverhältnis nachordnen.47 Für eine theorieimmanente Erhebung soll der Beantwortung dieser Fragen bzw. der Beobachtung von Interdependenz- oder Implikationsmechanismen für sich genommen zunächst noch kein wertender Charakter zugemessen werden. Es wäre auch ein Missverständnis zu meinen, ein solcher hinsichtlich der pragmatischen Bezüge hochdifferenzierter Entwurf, wel-

46

47

Die Unterscheidung von ‚gelebter’ und ‚gedeuteter’ Religion geht auf die eben erwähnte Arbeit von D. Rössler zurück. Was die häufig unterstellte Nachordnung letzterer betrifft, ist – wie selbst Bonhoeffers Schleiermacherkritik in ‚Sanctorum Communio’ nicht übersieht – zwischen einer funktional-sachlichen und einer genetischvermittelnden zu unterscheiden: Dem individuellen Bedürfnis nach Lebensdeutung kann in der Konstruktion kirchlicher Sozialität eine begründende Funktion zugewiesen werden, zugleich ist es aber durchaus festzuhalten möglich, dass religiöse Individualität sich im sozialen Sprach- und Auslegungshorizont der Kirche zuallererst bildet. Vgl. dazu die Definition von Kirche als „Ort religiöser Deutungskultur“ bei D. KORSCH, Religion mit Stil, 166f. Im ersten Fall sind neben der direkten funktionalen Relation mehrere indirektmittelbare denkbar, im letzten sind die anderen möglichen Relationen in einer umfassenden enthalten gedacht. Vgl. auf diesem Hintergrund die in der Abgrenzung zu Barths Funktionsbestimmung formulierte These von T. RENDTORFF (ders., Gesellschaft ohne Religion?, 61), „die Kirche müsse eine Funktion von Religion immer wieder werden und bedürfe dazu der Theologie.“

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cher allen in der pluralisierten Gesellschaft vorfindlichen Kommunikationssystemen bzw. -instanzen gleichermaßen Aufmerksamkeit schenken könnte, sei vorzuziehen oder auch nur anzustreben. Die meisten haben schon allein aufgrund ihrer positionellen oder kontextuellen Fragestellung eine partielle Perspektive auf die angesprochene Komplexität.48 Für heuristische Zwecke ist vielmehr zunächst entscheidend, dass im „Netz der Interdependenzen“ eine perspektivische Fokussierung auf einen bestimmten Bezug automatisch die Perspektive anderer Bezüge beeinflusst. Im Blick auf eine erste Evaluierung soll mit gewisser Vorsicht lediglich die formale Feststellung getroffen werden, dass derjenige Entwurf stärker ist, welcher die Komplexität der Bezüge nicht ignoriert bzw. für die jeweils anderen offen ist (vgl. 1.2.4.). Auch eine theologische Funktionsbestimmung der Theologie, wie sie hier im letzten Teil der Untersuchung vorgeschlagen wird, ist daraufhin zu befragen, wie sie ihr Verhältnis zu Religion und Kultur zu explizieren und Abhängigkeiten zu reflektieren vermag (vgl. 3.5.).

1.2.3. Die Komplexität der ekklesiologischen Bestimmungsfaktoren Der unterschiedliche Gebrauch als auch die unterschiedliche Bewertung der Formel einer „Theologie als Funktion der Kirche“ verdanken sich zum erheblichen Teil einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis von Funktionsbestimmung und Ekklesiologie. Eine umfassende und reflektierte Form eines Abhängigkeitsverhältnisses wurde bei G. Sauter sichtbar, insofern er nachdrücklich darauf bestand, dass eine Theorie der Theologie eine Theorie der Kirche zu ihrer Voraussetzung habe. In dieser Beziehung hatte Bonhoeffer mit seiner These, dass die empirisch konkrete Kirche „vor der Klammer“ der Theologie stehen müsse, einen profilierten Standpunkt eingenommen und letztlich die Ekklesiologie als Rahmentheorie der Theologie entworfen.49

48 49

Vgl. dazu nur Schleiermachers Theologiebegriff in seiner Enzyklopädie. D. BONHOEFFER, Wesen der Kirche, 252; vgl. 257. 260. Beispielhaft ist die Durchführung in „Akt und Sein“, insofern dort die Kirche als Akt-Seinseinheit die bestimmte Gegenständlichkeit darstellt, auf welche die Theologie zu beziehen ist. Dass die Ekklesiologie die Rahmentheorie der Dogmatik abgibt, kann auch für die Position Barths behauptet werden, vgl. dazu neuerdings E. HERMS, Karl Barths Entdeckung der Ekklesiologie, 141-186. In der Durchführung und auf dem Hintergrund der Interdependenz zu zeitgenössischen Gesellschaftstheorien der Weimarer Zeit (F. Tönnies) meint G. PFLEIDERER, Gemeinschaft der Gesellschaft, 207-239, eine sozialontologisch aufgeladene Prinzipialisierung der Ekklesiologie bei Barth und Bonhoeffer feststellen zu können. Diese erlaube es, Kirche als Gegenwelt aufzubauen, zementie-

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Es empfiehlt sich daher grundsätzlich, nicht nur den Begriff der Funktion (1.2.4.), sondern auch den jeweils vorausgesetzten oder abgeleiteten Begriff von Kirche näher zu betrachten. Dessen Bestimmungsfaktoren lassen sich zunächst in drei Gruppen fassen: theologische Faktoren (geglaubte Wirklichkeit der Kirche), empirische Faktoren (erfahrbare Wirklichkeit der Kirche) und schließlich die Wechselwirkung mit der Funktionsbestimmung selbst. Um die Gefährdung perspektivischer Reduzierungen in der Wahrnehmung zweier entgegengesetzter Positionen noch einmal exemplarisch zu demonstrieren: Wird, um die Theologie als Funktion der Kirche begreifen zu können, der Kirchenbegriff dogmatisch erzeugt, vermag er zwar sowohl theoretisch zur Abgrenzung des zu reflektierenden Gegenstandsfeldes als auch praktisch für reformerische Zwecke dienlich sein, er droht sich aber der vorhandenen empirischen Wirklichkeit der Kirche zu entziehen.50 Wird die funktionale Bestimmung hingegen direkt auf diese empirische Wirklichkeit bezogen und Theologie als Teil deren Selbstdarstellung gedacht, lässt sich deren Funktion im Rahmen des Bedürfnisses nach Identitätssicherung explizieren, droht so aber nur als Mittel der Legitimation und Selbsterhaltung einer institutionellen Gestalt in den Blick zu kommen.51 Die Zuordnung, näherhin die Vermittlung von theologischen Faktoren und empirischen Faktoren, von theologisch-ekklesiologischen Aussagen und kirchensoziologischen Erkenntnissen wird zunächst in einem Theoriezusammenhang erörtert, für welchen der Begriff „Kirchentheorie“ Verwendung gefunden hat. Die folgenden Überlegungen (a) betreffen daher zuerst diesen Zusammenhang, dessen Bearbeitung prinzipiell allen theologischen Disziplinen offen steht, in Hinsicht der gegenwärtigen Kirche aber von der Systematischen Theologie und der Praktischen Theologie wahrzunehmen ist. In einem zweiten Schritt (b) wird dann die Bearbeitung desselben Sachverhalts im Rahmen der dogmatischen Ekklesiologie erörtert. a) Ziel einer Kirchentheorie ist eine einheitliche theologische Theorie, welche biblisch-reformatorisch verantwortbare ekklesiologische Überzeugungen und das Praxisfeld der sozial verfassten Kirche verbindet

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re und legitimiere aber die Immunisierung gegenüber einer Wahrnehmung von empirisch-sozialer Wirklichkeit. Zu diskutieren wäre hier die vorausgesetzte Theorieoptik von T. Rendtorff, welche ihrerseits voraussetzt, dass dogmatische Ekklesiologie der soziologisch feststellbaren Wirklichkeit zu entsprechen habe. Dazu gleich im Folgenden. So das Argumentationsmuster der Kritik T. Rendtorffs an Barth (vgl. 1.1.7.2.). So das Gefälle der Argumentation von T. Kliefoth (1.1.2.) und die durch N. Luhmanns systemtheoretische Deutung motivierte Kritik an einem Verständnis von Dogmatik als Funktion der Kirche bei G. SAUTER, „Dogmatik“, 59. 61.

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und so eine Brückenfunktion einnimmt.52 Das Bild einer Brücke vermag denn auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine solche Theorie sowohl von der Systematischen Theologie als auch von der Praktischen Theologie aus entwickelt werden kann.53 Es soll außerdem zugleich darauf hinweisen, dass das (im theologischen Diskurs häufig noch mit einer Wertung verbundene) Alternativschema „deduktiv – induktiv“ die Zugangsweisen nur unzureichend kennzeichnet. Das ist nicht nur in der Möglichkeit einer im Sinne Schleiermachers kritischen bzw. integrativen Theoriebildung begründet,54 sondern vor allem in der wissenschaftstheoretischen Einsicht der Theorieabhängigkeit jeder Wahrnehmung und der Lebensweltbedingtheit jeder Theoriebildung. Illustrieren lässt sich dies im Blick auf das praktisch-theologische Aufgabenfeld schlicht dadurch, dass die zu erfassenden Gestaltbedingungen der gegenwärtigen Kirche, ihrer Frömmigkeit, ihrer sozialen Umwelt etc. zwar empirisch vorfindlich sind, deren Erfassung selbst aber die Form begrifflicher Aussagen über diese Tatbestände annimmt und sich auf dem Feld einer Gesellschaftstheorie, einer Religionstheorie etc. loziert. Im Blick auf das systematisch-theologische Aufgabenfeld kann umgekehrt gelten, dass selbst eine dogmatisch bestimmte Kirchentheorie wie diejenige Barths die Gestaltbedingungen der empirischen Sozialität von Kirche in gewisser Weise verarbeitet (1.1.5.).55 In Anlehnung an eine begriffliche Unterscheidung von K.-W. Dahm ließe sich die Differenz des systematisch-theologischen und des praktisch-theologischen Zugangs angemessener dahingehend beschreiben, dass man das basale Anforderungsprofil beider mit dem Stichwortpaar „Identitätsreflexion“ und „Realitätsanalyse“ kennzeichnet.56 Dann bekäme man auch deutlicher zu Gesicht, dass und wie auf beiden Seiten Anstrengungen unternommen werden, nicht nur einen Teil des ‚Brückenbaus’ beizutragen, sondern diesen durch eine umfassende Theoriebildung in seiner Gänze jeweils selbst zu projektieren. Die gemeinsame Verantwortung würde sich dann in der Frage äußern, ob dies gelungen, genauer: dem jeweiligen Anforderungsprofil entsprechend 52

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Vgl. die im Einzelnen unterschiedlichen Bestimmungen von K.-F. DAIBER, Grundriß, 206. 210; W. HUBER, Kirche und Öffentlichkeit, 125ff.; E. LESSING, Kirche, 9ff.; R. PREUL, Kirchentheorie, 3ff.; auch E. HÜBNER, Theologie und Empirie, 292ff. R. PREUL, Kirchentheorie, 4. 9. Vgl. die Dreiertypologie bei W. HUBER, Kirche und Öffentlichkeit, 125ff. Zu erörtern steht, in welcher Art und Weise das Praxisfeld menschlicher Handlungen thematisch wird: im Modus von Freisetzung und Entsprechung (A. Grözinger, W. Krötke), im Modus der Gleichschaltung mit theologischer Begrifflichkeit (T. Rendtorff), im Modus der Konstitution eines geschichtlichen Handlungssubjekts (G. Pfleiderer) etc. Vgl. K.-W. DAHM, Identität und Realität, 71ff.

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angemessen gelungen ist.57 Zwei paradigmatische Rückverweise sollen in dieser Hinsicht genügen: In der grundsätzlichen Übereinstimmung mit Bonhoeffers Vorgehensweise in ‚Sanctorum Communio’ konkretisiert E. Herms die dogmatische Ekklesiologie durch einen theologisch entwickelten und soziologische Einsichten kritisch rezipierenden Begriff von Kirche als erfahrbarer Sozialgestalt (1.1.7.6.). Auf der anderen Seite kann V. Drehsen an Grundüberzeugungen von Troeltsch und Rothe dahingehend anknüpfen, dass eine religionssoziologische Analyse diejenigen epochalen Bedingungen des geschichtlichen Frömmigkeitsbestands freizulegen erlaubt, in welchem das konstruktive Moment einer der produktiven Neudeutung offenen Identitäts- und Wesensbestimmung, mithin „die Ingredienzien einer ethisch verantwortbaren Zukunftsgestaltung“ bereits enthalten sind.58 b) Die Verarbeitung des Verhältnisses von theologischen und empirischen Faktoren, von geglaubter und erfahrbarer Wirklichkeit der Kirche obliegt auch der dogmatischen Ekklesiologie. Der reformatorische Impetus der Identitätsreflexion verdankt sich bekanntlich zunächst der Einsicht, dass die im Handeln Gottes begründete Gemeinschaft der Glaubenden sich zwar nicht von der institutionell verfassten erfahrbaren Kirche absondern lässt, sich mit ihr aber auch nicht deckt. Für die reformatorische Theologie entsteht daraus sowohl die Notwendigkeit, sich auf prinzipiell erfahrbare Gestalten von Kirche zu beziehen, als auch zugleich die Notwendigkeit, sich im Blick auf diese der Unterscheidung von wahrer und falscher Kirche nicht zu entschlagen.59 Die Spannung von erfahrbarer und geglaubter Wirklichkeit der Kirche kommt dabei in einem doppelten Kirchenbegriff zum Austrag, welcher häufig mit der auf Zwingli zurückgehenden Unterscheidung zwischen ecclesia invisibilis und ecclesia visibilis verbunden wird, das mit ecclesia invisibilis Bezeichnete indes besser, weil unmissverständlicher, durch Luthers Rede von der verborgenen Kirche präzisiert wird. Denn diese schließt die leibhaft-soziale Gestalt immer schon ein.60 So gefasst ließe sich das Verständnis der eigentlichen Kirche des Glaubens auch nicht auf die (unsichtbare) Teilmenge einer größeren, prinzipiell für diese aber entbehrlichen Menge (sichtbares corpus permixtum) reduzie-

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Vgl. K.-F. DAIBER, Grundriß, 215. V. DREHSEN, „Normativität“, 272, vgl. ebd., 274; ders., Vision, 209ff. Vgl. H.-G. GEYER, Wahre Kirche?, 470ff.; H.TH. GOEBEL, Notae ecclesiae, 222ff. Vgl. dazu die Abgrenzung Melanchthons in CA Ap VII, 19f. (BSLK 237,54-238,32). Dazu und zum gesamten Sachverhalt: E. KINDER, Der evangelische Glaube, 44-50. 93-95; G. WENZ, Theologie der Bekenntnisschriften II, 272-276; W. HÄRLE, „Kirche“, 286f.; G. NEEBE, Apostolische Kirche.

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ren. Vielmehr handelt es sich vorrangig um zwei Betrachtungsweisen, welche sich mit dem Begriffspaar geistlich bzw. seelisch – leiblich darstellen lassen und auf diese Weise die Unterscheidung zwischen dem Handeln Gottes und menschlichem Handeln abbilden. Die verborgene, sich dem Handeln Gottes verdankende Gemeinschaft der Glaubenden bedarf daher der leibhaft-sozialen Gestalt und wird in dieser geglaubt.61 Auf dem Hintergrund einer solchermaßen differenzierten Sicht der lutherischen Unterscheidung kann die gegen die konfessionellen Theologen ins Feld geführte Dreigliederung A. Ritschls als an der Grunddifferenz von göttlichem und menschlichem Handeln orientierte Fortführung gelesen werden: Die rechtlich-politische Dimension lässt sich nicht dogmatisch aufladen, wenn sie funktional auf die ethische Dimension der Kirche zu beziehen ist.62 Auch die Dreigliederung D. Bonhoeffers führt reformatorische Grundgedanken in eine neuzeitliche Problemstellung hinein, wenn sie darauf abzielt, suffiziente christologische Realisierung und insuffiziente geschichtliche Realisierung so zusammenzudenken, dass letztere, von einem ergänzenden Verwirklichungsstreben entlastet, sich gleichsam im Rückenwind der gnadenhaften Realisierung bewegt.63 Wie immer man den „doppelten“ Kirchenbegriff reformatorischen Denkens im Einzelnen expliziert oder weiterführt, deutlich dürfte sein, dass er ein „unerledigte[s] Problem“64 in durchaus positiver, soll heißen: kritisch-konstruktiver Hinsicht darstellt, insofern er theologische Mittel bereitstellen hilft, um die Mehrdimensionalität der Realität von Kirche offen zu halten und so einen grundsätzlichen Beitrag zu jeder Kirchentheorie zu leisten. In gewissermaßen metatheoretischer Betrachtung muss nämlich in dieser Mehrdimensionalität selbst (und nicht erst 61

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Vgl. T. AUSTAD, Kirche, 172; im Anschluß an E. Kinder G. WENZ, Theologie der Bekenntnisschriften II, 273f. Darin besteht dann z.B. auch die Übereinstimmung der Entwürfe von Moltmann, Huber und Herms. Anders verhält es sich mit der Umdeutung durch den „freien Protestantismus“, welcher die reformatorische Differenz dazu benutzt, die selbstbewusste religiöse Individualität als Repräsentation des protestantischen Christentums außerhalb der Kirche zu denken, vgl. D. KORSCH, Religion mit Stil, 158f. Zur Dreigliederung bei Ritschl vgl. 1.1.3. und die Aufnahme bei H.-R. REUTER, Begriff der Kirche, 39-47. Wenn die Lutherinterpretation von G. NEEBE (Apostolische Kirche, 270ff., v.a. das Schaubild 278!) zuträfe, müsste man der ekklesiologischen Dreigliederung von Bonhoeffer eine beachtenswerte sachliche Adäquatheit zumessen: Neebe versucht die Implikationen von Luthers Unterscheidung so zu explizieren, dass die von der Lebensdimension der Kirche als einer geistlichen Gemeinschaft (verborgene Kirche) unterschiedene leibliche Dimension selbst eine Differenz enthält – diejenige nämlich zwischen der neuen leiblichen Gemeinschaft und ihrer noch unvollkommenen geschichtlichen Realität (als corpus permixtum, als ecclesia semper reformanda). So U. KÜHN, Kirche, 164.

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in der modernen Pluralisierung wissenschaftlicher Zugangsweisen) der Anhalt und der Grund für die Differenz unterschiedlicher Betrachtungsweisen gesucht werden – welche selbst wiederum die Nichtidentität von begrifflicher Fassung und erfahrbarer Wirklichkeit bewusst hält. Der genannte dogmatische Beitrag kann seinerseits jedenfalls verschiedene Funktionen erfüllen: Er wird sich gegenüber der Selbstmächtigkeit der Kirche und praktischer Handlungskonzepte kritisch verhalten und gegebenenfalls zur Umkehr rufen,65 zugleich aber – der Entlastung von einem falschen Verwirklichungsstreben Raum gebend – wird er kreativ, mitunter reformerisch Handlungs- und Gestaltungsimpulse setzen.66 Anders gesagt: Eine theologische Charakterisierung von Kirche ist darin kritisch und konstruktiv, dass sie sich durch einen Erfahrungsüberschuss auszeichnet, welcher selbst, durchaus auch als „aufgespeicherte kirchliche Erfahrung“67 verstehbar, wiederum auf Erfahrbarkeit und Erfahrung drängt und diese prägen kann.68 Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung und des gegenwärtigen Problemhorizonts ist dabei auf einen konkreten Punkt hinzuweisen, der das Erfordernis eines dogmatisch-ekklesiologischen Beitrags zu Theorie und Praxis der Kirche zu demonstrieren vermag. Dieses Erfordernis bezieht sich auf die kritische Prüfung von den der kirchlichen Praxis, praktisch-theologischen, aber auch systematischtheologischen (!) Entwürfen inhärenten Leitbegriffen im Blick auf die Funktions- bzw. Kompetenzbestimmung der Kirche: Zu erörtern ist beispielsweise, ob und inwiefern eine Fokussierung auf elementare Kernfunktionen im Blickwinkel einer die Mehrdimensionalität von Kirche vertretenden Ekklesiologie eine angemessene Profilierung oder eine folgenschwere Reduktion darstellt. Auf dem Hintergrund einer weithin 65

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Vgl. K.-F. DAIBER, Grundriß, 215: Der spezifische Beitrag der Dogmatik „zur Praxis der Kirche liegt eigentlich viel stärker dort, wo sie das nicht unmittelbar Praktikable zur Sprache bringt. Dies ist so gemeint: Der Praktiker wie der praxisbezogene Theoretiker braucht denjenigen, der frei von Handlungszwängen, aber doch in persönlicher Betroffenheit die Dimension der geglaubten Kirche reflektierend erschließt. Indem der Dogmatiker diese Aufgabe übernimmt, setzt er die Predigt über die Kirche fort. Er eröffnet Perspektiven, ermöglicht Hoffnung und weist zur Buße angesichts des Unwesens der Kirche.“ P. STEINACKER (Kirchenbegriff und kirchliche Wirklichkeit, 436) plädiert dafür, die „gängige Klage, Kirchenbegriff und kirchliche Wirklichkeit entsprächen einander nicht,“ zu modifizieren: „Sollen sie denn überhaupt einander einfach entsprechen? [...] Wenn Begriff und Wirklichkeit sich nicht decken, kann ihre Differenz auch ein utopische Potential enthalten. Sie müssen immer wieder auseinandertreten, sonst versandet jeder schöpferische Prozeß.“ J. RITZ, Präsenz der Empirie, 269. Vgl. M. BEINTKER, „Kirche spielen – Kirche sein“, 255.

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in Anspruch genommenen Allzuständigkeit der Kirche und deren Problematik lässt sich nämlich eine verstärkte Rückbesinnung auf spezifische Kompetenzen – in Anlehnung an ökonomische Begrifflichkeit: auf Kernkompetenzen – beobachten.69 Diese kann dazu führen, dass die Kirche bzw. kirchliches Handeln auf gewisse als elementar angesehene Funktionen reduziert wird.70 Sie kann sich aber umgekehrt als Zuständigkeitsspezifizierung auf die Vermittlung bzw. exemplarische Darstellung christlicher Wirklichkeit gestalten, welche der Differenz zu anderen Wirklichkeitssichten, Lebensgewissheiten etc. Rechnung trägt und in dieser Hinsicht die Komplexität und Pluralität gesellschaftlicher Lebensperspektiven und menschlicher Verantwortungsbereiche nicht nivelliert.71 Wie immer die Funktions- oder Kompetenzbestimmungen ausfallen, sie können ihre Legitimität sowohl aus Erfordernissen der empirischen Wirklichkeit als auch aus theologischen Grundüberzeugungen (notae ecclesiae in CA VII)72 beziehen, sie haben aber in jedem Fall materialdogmatisch-ekklesiologische Implikationen. 69

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Das kann im Rahmen verschiedener Kirchentheorien geschehen, vgl. nur W. HUBER, Kirche in der Zeitenwende, 127. 152. 236. 264 u.ö.; F.W. GRAF, Wozu noch Theologie? 11: „Die Universitätstheologie sucht die corporate identity der Kirche zu stärken, indem sie die bleibende Differenz zwischen empirischer Kirche und normativem ekklesiologischen Begriff präsent hält. Sie erinnert daran, daß seine Kernkompetenzen stärken muß, wer auf Märkten erfolgreich agieren will.“ Zur Einführung des Begriffes „Kompetenz“ schon E. HERMS, Was heißt „theologische Kompetenz“? Bei Drucklegung dieser Untersuchung wurde die Rückbesinnung auf Kernkompetenzen im Zusammenhang des EKD-Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ heftig diskutiert. So kritisch E. HÜBNER, Theologie und Empirie, 224; auch W. STECK, Kirchliches Christentum, 189: „Die restaurativen Programme zur Vitalisierung des kirchlichen Christentums von Wichern bis McKinsey empfehlen [...] eine Konzentration der kirchlichen Aktivitäten auf einen Katalog ideell angereicherter Essentials, eine Reduktion der Komplexität des kirchlichen Lebens auf elementare Kernfunktionen der Kirche.“ Vgl. dazu nur die bereits angeführte moderne Barthdeutung von T. GUNDLACH, Selbstbegrenzung Gottes, v.a. 251ff.; anders: A. FETZER, Tradition im Pluralismus, 80ff. Ein Gegenmodell hierzu bietet das Volkskirchenmodell von T. Rendtorff, insofern Kirche in der kritischen Selbstauslegung als Trägerin neuzeitlich-aufgeklärten Freiheitsbewusstseins betrachtet wird, zwischen aufgeklärter Welt und Kirche darum eine Auftragskonvergenz besteht (1.1.7.2.). Der Rekurs verschiedener Kirchenmodelle auf CA VII bzw. die lutherischen notae ecclesiae überhaupt wäre eine eigene Thematisierung wert. Schematisch wird sich sagen lassen, dass eine funktionale Auffassung dazu tendiert, den auf institutionelle Vermittlung der Gnade, d.h. auf die Aufgabe der Heilsvermittlung abhebenden Relativsatz von CA VII (in qua evangelium recte docetur et recte administrantur sacramenta) auf Kosten der Person- bzw. Kommunikationsgemeinschaft (congregatio sanctorum) zu betonen. Dagegen wandte sich schon (freilich in ganz anderem Zusammenhang, nämlich gegenüber dem Konfessionalismus) A. RITSCHL, Begründung des Kirchenrechts, 105. Für die gegenwärtige Problemlage der Volkskirche ist die Verhältnisbe-

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Ein wichtiger Beitrag der Dogmatik zur Kirchentheorie besteht schließlich in der reflektierten Zuordnung von Individualität und Sozialität. Insofern sich dieser Beitrag ebenfalls auf empirische Erfordernisse wie auf ein theologisches Grundproblem reformatorischer Theologie bezieht, ist es der Sache entsprechend, dass der theologische Zugang auf sozialwissenschaftliche Zugänge trifft und eine Relationierung, gegebenenfalls eine kontroverse Auseinandersetzung erforderlich macht. Eine abschließende Klärung ist schon aufgrund der Kontextualität der erfahrbaren Wirklichkeit von Kirche schwerlich möglich.73 Zur Strukturierung und Aufarbeitung des Problems kann allerdings die bei Troeltsch und Bonhoeffer angewandte formale Differenzierung von Individualität, Intersubjektivität und Institutionalität äußerst hilfreich sein.74 Unter anderem vermag diese Trias bereits deutlich zu machen, dass die moderne Problemfixierung auf das Verhältnis von Individualität und Institutionalität lediglich einen begrenzten Ausschnitt der soziologischen Beziehungsgrößen thematisiert. Von daher verwundert es wiederum nicht, dass die ekklesiologische Bedeutung des Communio-Gedankens zunächst aus dem Zentrum der reformatorischen Theologie zu erheben für notwendig erachtet und mit Nachdruck betrieben wurde.75 Interessanterweise wurde er dann seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von römisch-katholischer wie ökumenischer Seite geradezu zum Leitbegriff der ekklesiologischen Reflexion erhoben und nahezu inflationär gebraucht.76 Für die evangelische Ekklesiologie selbst wird man sagen können: Gegenüber seiner Eklipse in einem (sicherlich einseitigen und schematisch verstandenen) volkskirchlichen Betreuungsmodell ist in nicht wenigen Entwürfen der Gedanke der Communio – und damit das Moment der Intersubjektivität – zur Zielgröße ekklesiologischer Orientierung avanciert. Das lässt sich schon bei Tillich, ausgeprägt dann beispielweise bei

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stimmung beider Momente deshalb von hoher Bedeutsamkeit, weil sich darin die Verhältnisbestimmung von Angebotskirche und Beteiligungskirche artikuliert. Dazu auch die abschließende Überlegung dieses Abschnitts. Auch Schleiermachers bekannte Definition in CG2 § 24 (I,137) hat eher heuristischen Zweck. Unbeschadet dessen, dass wie gezeigt, Troeltsch die Trias soziologisch mit der Differenzverarbeitung von Religion und sozialer Umwelt, Bonhoeffer hingegen dogmatisch begründet. Auch die Folgerungen sind, wie sich an der „Durchdringung“ der Typen oder der jeweiligen Individualismuskritik demonstrieren lässt, im Einzelnen höchst unterschiedlich (vgl. 1.1.6.). Neben der Dissertation Bonhoeffers ist hier an die Arbeit von P. ALTHAUS, Communio Sanctorum (1929), zu erinnern. Zur Auslegung von CA VII: G. WENZ, Bekenntnisschriften II, 255ff. Vgl. CH. SCHWÖBEL, Kirche als Communio, 11-14 (Lit.).

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Moltmann beobachten.77 Zur Begründung kann auf die Bedeutung der Tischgemeinschaft Jesu, auf die johannäische Bruderliebe, auf Apg 2,42, auf Luther oder auf Barmen III („Gemeinde von Brüdern“) verwiesen werden.78 Auf der anderen Seite kann gegenüber einer Betonung oder gar Absolutsetzung der Beteiligungskirche im Rückgriff auf die genannte formale Trias die Berücksichtigung distanzierter individueller Kirchlichkeit eingefordert und der Betreuungs- und Angebotskirche eine Schlüsselrolle zugewiesen werden.79 Heuristisch-strukturell gesprochen: Die Wahrnehmung des Moments der Individualität führt zur Stärkung einer bestimmten Ausformung des Moments der Institutionalität. Zur Begründung wird unter anderem darauf verwiesen, dass eine Zentrierung oder Beschränkung auf die Person- und Kerngemeinde jedenfalls der städtischen Kommunikationsform und der Mobilität der modernen Gesellschaft nicht gerecht und außerdem das Verständnis für die Notwendigkeit zweckrationaler Organisationszusammenhänge als Teil der kirchlichen Wirklichkeit erschwert würde.80 Hier kehrt letztlich das Grundproblem des doppelten Kirchenbegriffs wieder, als zu erörtern aufgegeben ist, ob das mit dem Begriff der Communio Sanctorum Bezeichnete für die Realitätsgestalt des Sozialgebildes Kirche eine maßgebende Größe abgibt, ob es ein kontextuellen Erfordernissen gegenüber anpassungsfähiges und der menschlichen Gestaltungsfreiheit anheim gestelltes Ideal neben anderen darstellt oder ob es

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P. TILLICH, Systematische Theologie III, 254 (Bewegung von der latenten zur manifesten Teilhabe an der Geistgemeinschaft); J. MOLTMANN, Kirche, 13. 389, vgl. die Vorschläge für eine neue Taufpraxis (von der Kindertaufe zur Berufungstaufe): ebd., 266-268. Vgl. auch W. HUBER, Kirche, 122-126. Vgl. dazu die zitierte Abhandlung von CH. SCHWÖBEL, Kirche als Communio, 15ff., zu Apg 2,42 als Grundmatrix der Institutionalisierung gemeinschaftlicher Vollzüge: U. KÜHN, Kirche, 173ff., zu Luther: J. WIEBERING, Kirche als Bruderschaft, 300ff. Dazu schon T. Rendtoff (vgl. 1.1.7.2.); vgl. in der Diskussion um die dritte EKDErhebung „Fremde Heimat Kirche“ z.B. H. BUß, Distanzierte Kirchlichkeit, 330-338. Die neuere Arbeit von G. KRETZSCHMAR, Distanzierte Kirchlichkeit (2001), erschöpft sich darin, die angeblich mangelnde Thematisierung distanzierter Kirchlichkeit in den drei großen EKD-Erhebungen, den mangelnden Umgang mit Distanziertheit seitens Programmen zur Mitgliederpartizipation oder zur Mission unter Getauften, aber auch seitens des Neuprotestantismus (!) nachzuweisen. Nach derartigen Rundumschlägen verbleibt der Versuch, die distanzierte Kirchlichkeit mittels der ethischen Betrachtung der Kirche bei A. Ritschl theologisch zu legitimieren (ebd., 305f.) und im Rückgriff auf J. Assmanns These des „kulturellen Gedächtnisses“ die Kirche als „religiöse Kulturträgerin“ zu empfehlen (ebd., 314f.). So exemplarisch neuerdings D. LANGE, Glaubenslehre II, 349f.; zu Notwendigkeit zweckrationaler Organisationsgestalten vgl. schon die Kritik an dem von F. Tönnies übernommenen Gegensatz von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ bei Bonhoeffer von W. HUBER, Wahrheit und Existenzform, 176.

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auf der Ebene einer wie immer verstandenen „geistlichen“ Gemeinschaft zu lokalisieren ist.

1.2.4. Die Problematik funktionaler Beziehungsstrukturen Die Funktionsthese besitzt schon abgesehen von ihrer materialdogmatischen Bestimmung in der neueren Theologie eine eigene, philosophisch und wissenschaftstheoretisch zu reflektierende Problematik, welche zur begrifflichen Klärung nötigt. Aber auch im Blick auf Konsequenzen in wissenschaftspraktischer und hochschulpolitischer Hinsicht empfiehlt es sich, ihr Beachtung zu schenken. Modellhaft lassen sich zwei Bedeutungsaspekte des Sprachgebrauchs von „Funktion“ unterscheiden: Dem mittelalterlichen Gebrauch folgend wird in der Physiologie, der Biologie, z.T. in der Psychologie und dann in den Sozialwissenschaften ein Handlungsbegriff leitend, welcher durch Wirkungen charakterisiert ist. Funktion bezeichnet eine Leistung, welche der Erhaltung einer Struktur bzw. eines Systems dient. Die philosophische oder theologische Rezeption dieses Begriffs hat sich mit dem Bedenken der Utilisierung auseinander zu setzen, welche zweckrational von Bedürfnissen bzw. Selbsterhaltungsintentionen gesteuert wird. In der Mathematik wird der Ausdruck zunächst als Relationsbegriff gebraucht, welcher durch eine Zuordnung und die Dependenz von Variablen gekennzeichnet ist (z.B. in der einfachen Form einer zweistelligen Zuordnungsrelation y = f (x)). Seine Rezeption muss der prinzipiellen Möglichkeit der Substitution durch funktionale Äquivalente Rechnung tragen.81 Dass beide Bedeutungsstränge sich nicht alternativ gegenüberstehen, zeigt nicht nur die Auffassung Kants, der zufolge unter Funktion „die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“ zu verstehen ist, sondern auch die Verwendung des Begriffs bei N. Luhmann.82

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Zur differenzierten Darstellung vgl. die Art. von H.G. STEINER / H. NOACK / R. HEEDE / N. LUHMANN, „Funktion“, 1138-1143; CH. THIEL, „Funktion“, 510-519, die schon 1962 erschienene Grundlegung von N. LUHMANN, Funktion und Kausalität, 617-644, und die materialreiche neuere Studie von H.-TH. HOMANN, Das funktionale Argument. Zur philosophischen und theologischen Kritik v.a. R. SPAEMANN, Funktionale Religionsbegründung, 9-25; K.-M. KODALLE, Eroberung des Nutzlosen. I. KANT, KrV B 93. Das durch Funktionen geregelte Ordnungshandeln besteht in der Zur-Relation-Bringen von Mannigfaltigem auf den Begriff. Dazu und zur Verbindung der beiden Bedeutungsstränge bei Kant: P. SCHULTHESS, Relation und Funktion, 219ff. 290. N. LUHMANN, Funktion und Kausalität, 624f., möchte sich dieser Funktionsbestimmung anschließen, indem er die Bedeutung der Leistung (für et-

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Eine im Gegensatz zur Substanzenontologie entworfene Funktionenontologie wird ebenfalls beide Bedeutungsstränge verbinden. Während das Substanzielle sein Sein „in sich“ hat und darum dem Kriterium der Innenbestimmtheit folgt, hat das funktionale Moment „sein Sein nicht in sich, sondern ‚im anderen’, insofern es das, was es ist, erst ‚dort’ zu sein vermag. Eine Funktion ‚ist’ (besser: ‚besteht in’ ihrer) ‚Wirkung’.“83 Die Außenbestimmtheit ist für dieses Verständnis von Funktion bzw. der hier gesteigerten Form einer Funktionalisierung grundlegend. Da N. Luhmann in seiner Konzeption funktionalismuskritische Einwände zu einem erheblichen Teil bereits verarbeitet hat und sich – wichtiger noch – auf seine Weise die Formel der Theologie als Funktion der Kirche zu eigen macht, soll dessen Aufnahme des Funktionsbegriffs auf dem Hintergrund einer grundsätzlichen Funktionalismuskritik in Grundlinien skizziert werden. Für Letzteres, die Funktionalismuskritik selbst, genügt der Blick auf einige exemplarische Argumentationsmuster (Nietzsche, Heidegger, Spaemann). Anschließend können dann die drei soeben angesprochenen strukturellen Problemaspekte – Selbsterhaltungsutilitarismus, Substitution durch funktionale Äquivalente, Außenbestimmtheit – im Blick auf das Verhältnis von Theologie und Kirche konkretisiert werden.

1.2.4.1. Exkurs: Philosophische Funktionalismuskritik und Funktionsbestimmung bei N. Luhmann F. Nietzsches Kritik an überlieferten Wert- und Wahrheitsvorstellungen in Philosophie, Religion und Ethik folgt dem Grundsatz, dass die Rechtfertigung (die Geltungssicherung) einer Überzeugung bzw. eines Guts durch die Behauptung einer Funktion mühelos in ihre Dekonstruktion überführt werden kann. Wie er in seinem Aphorismenwerk „Mörgenröthe“ (1881) schonungslos durchleuchtet, befördert das Bestreben nach Utiltitätsaufweisen „falsche Schlüsse aus der Nützlichkeit“.84 So sehr die Beanspruchung

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was) mit der logisch-mathematischen Bedeutung der durch eine Funktion bestimmten begrenzten Klasse der äquivalenten Ausfüllungsmöglichkeiten (Variablen) verbindet. So soll der kausalwissenschaftliche Funktionalismus durch einen Äquivalenzfunktionalismus ersetzt und dem wissenschaftstheoretischen Problem der kausalwissenschaftlichen Bedürfnispostulierung entgangen werden. H. ROMBACH, Strukturontologie, 27. Diese Position wird übernommen von H.-TH. HOMANN, Das funktionale Argument, 394. F. NIETZSCHE, Morgenröthe, 37 (KGW V,1, 40): „Wenn man die höchste Nützlichkeit einer Sache bewiesen hat, so ist damit auch noch kein Schritt zur Erklärung ihres Ursprungs gethan: das heisst, man kann mit der Nützlichkeit niemals die Nothwendigkeit der Existenz verständlich machen.“

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der Funktionalität als Argument für die Wahrheit widerlegbar ist, so wenig kann allerdings umgekehrt die Dysfunktionalität einen Einwand gegen sie darstellen: „Wie, wenn die Wahrheiten gerade dies – zu trösten – nicht zu leisten vermöchten? – Wäre dies denn ein Einwand gegen die Wahrheiten? Was haben diese mit den Zuständen leidender, verkümmerter, kranker Menschen gemeinsam, daß sie gerade ihnen nützlich sein müßten? Es ist doch kein Beweis gegen die Wahrheit einer Pflanze, wenn festgestellt wird, daß sie zur Genesung kranker Menschen nichts beiträgt.“85 Nietzsche selbst verabschiedet bekanntlich das traditionell-ontologische Wahrheitsverständnis zugunsten eines unhintergehbaren Perspektivismus, welcher die „wahre Welt“ als „Fabel“ anerkennt.86 Die perspektivische Illusion wird allerdings zugleich als gattungsgeschichtlich notwendig begriffen: „Wahrheit ist die Art von Irrthum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte.“87 Wahrheiten und Werte können sich deshalb nur dahingehend als funktional erweisen, dass sie Mittel zur Erhaltung des Menschen, mithin vor dem Forum des Machtwillens legitimierbar sind.88 M. Heidegger beobachtet in der europäischen Geistesgeschichte im Zuge einer fortschreitenden anthropologischen Funktionalisierung eine „Seinsvergessenheit“; die Funktionalismuskritik seines ‚Humanismusbriefes’ setzt darum mit der Subjektivierung ein: Anstatt das „Sein“ sein zu lassen und sich im Modus des Hütens auf es zu beziehen, begreift der Mensch sich selbst aus der Subjektivität – nämlich als Herr des Seienden, als Wertender, welcher dem Gewerteten seine Würde raubt. Heidegger denkt in diesem Zusammenhang an die Bereiche Kultur, Kunst, Wissenschaft, Menschenwürde und Gott. Pointiert formuliert er: „Das besagt: durch die Einschätzung von etwas als Wert wird das Gewertete nur als Gegenstand für die Schätzung des Menschen zugelassen. [...] Alles Werten ist, auch wo es positiv wertet, eine Subjektivierung. Es läßt das Seiende nicht: sein, sondern das Werten läßt das Seiende lediglich als das Objekt seines Tuns – gelten. Die absonderliche Bemühung, die Objektivität der Werte zu beweisen, weiß nicht, was sie tut. Wenn man vollends ‚Gott’ als ‚den höchsten Wert’ verkündet, so ist das eine Herabsetzung des Wesens Gottes. Das Denken in

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Ebd., 424 (KGW V,1, 264); vgl. ders., Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 bis Sommer 1882, 11 [106] (KGW V,2, 377); in der Anwendung auf das Christentum: ders., Morgenröthe, 73 (KGW V,1, 68) u. Nachgelassene Fragmente Anfang 1888 bis Anfang 1889, 15 [74] (KGW VIII,3, 247f.): „Das Mittel, Priester und Religionen zu widerlegen, ist immer nur dies: zeigen daß ihre Irrthümer aufgehört haben, wohlthätig zu sein, – daß sie mehr schaden, kurz daß ihr eigener ‚Beweis der Kraft’ nicht Stich hält [...]“ Ders., Götzendämmerung (KGW VI,3, 74). Ders., Nachgelassene Fragmente Herbst 1884 bis Herbst 1885, 34 [253] (KGW VII,3, 226); vgl. ders., Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 bis Sommer 1882, 11 [320] (KGW V,2 463); außerdem J.N. HOFMANN, Wahrheit, 45ff. Ders., Nachgelassene Fragmente Frühjahr bis Herbst 1884, 25 [470] (KGW VII,2, 134); vgl. ders., Antichrist, 2 (KGW VI, 3, 168).

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Werten ist hier und sonst die größte Blasphemie, die sich dem Sein gegenüber denken läßt.“89 R. Spaemann wendet diese scharfe Funktionalismuskritik ins Religionsphilosophische und widerspricht dem Denken in funktionalen Äquivalenten und grundsätzlicher Austauschbarkeit, das auch er für ein „Signum des Zeitalters“90 hält. Denn auf die Gottesidee angewandt führe dies – wie Nietzsche klar gesehen habe – zu deren Substitution und Zerstörung. Spaemann konzentriert seine Kritik darum zunächst im weithin beachteten Placebo-Vorwurf.91 Dieser gründet seinerseits, so präzisiert Spaemann später, darin, dass es in der methodischen Divergenz von Außeninterpretation und Selbstbeschreibung zum sog. ‚Latenz-Problem’ kommt: Genau dann nämlich, wenn das, was ein Beobachter im Blick auf einen beobachteten Vorgang als latente, also dem Partizipanten selbst unzugängliche Funktion versteht, in Widerspruch tritt zu der einer Selbstbeschreibung zugänglichen Intention des Partizipanten selbst (manifeste Funktion), führt ein Enthüllen der latenten Funktion zur Zerstörung der manifesten.92 Begegnet nun die äquivalenzfunktionale Deutung mit ihrer relativierenden, die Latenz enthüllenden Wirkung Unbedingtheitsansprüchen, welche für religiöse Grunderfahrungen konstitutiv sind, muss es dabei nun allerdings, so die Spitze von Spaemanns Argumentation, zu einem prinzipiellen Konflikt kommen: Die in die Innenansicht vorgedrungene und implantierte Außeninterpretation verändert jene dahingehend, dass sie die Unbedingtheitsform, mithin das Absolute selbst zum Verschwinden bringt.93 Anders gewendet besteht das Dilemma funktionaler Rekonstruktion darin, einen bestimmten Horizont als Systemreferenz (sei es Wissenschaft, Psyche oder Gesellschaft) vorauszusetzen und so die Perspektivendifferenz einzuzie89 90 91

92

93

M. HEIDEGGER, Brief über den „Humanismus“, 349. Vgl. auch E. JÜNGEL, Wertlose Wahrheit, 90ff. R. SPAEMANN, Einsprüche, 17. Ebd., 18: „Der Begriff Gottes, einmal funktional definiert, verlangt geradezu danach, durch Äquivalente ersetzt zu werden, denn er hat das Eigentümliche an sich, seine Funktion gerade nur so lange erfüllen zu können, wie er durch sie nicht definiert ist. Ein Placebo, ein Scheinmedikament, wirkt nur so lange, wie der Patient nicht weiß, daß es nur in der Relation zu seinem Glauben, zu seinem Bewußtsein Realität hat. Es gehört deshalb zur Wirkung des Placebo, daß der Patient glaubt, es helfe nur durch Glauben. Aufklärung zerstört seine Wirkung.“ Vgl. ebd., 57f.! Ders., Funktionale Religionsbegründung, 10-12. Die Pointe der Argumentation besteht also darin, dass die zerstörerische Wirkung der funktionalen Interpretation erst bei einer Inkompatibilität von Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung und einer Dominanz Letzterer eintritt. Sind Innen- und Außenaspekt vermittelbar, ist auch für Spaemann eine funktionale Deutung nicht schon an sich problematisch. Vgl. dazu die Reaktion Spaemanns auf die Einwände von O. Marquard und K. Hübner in: P. KOSLOWSKI (Hg.), Die religiöse Dimension, 53. 57f. K. Hübner selbst hat eine ontologische Außenbetrachtung des christlichen Glaubens vorgelegt, für welche die geforderte Kompatibilität und der absolute Geltungsanspruch einer religiösen Selbstbeschreibung basal sind: K. HÜBNER, Glaube und Denken, v.a. 1-8. Die von Spaemann skizzierte Problematik wird unter dem „theoretischen Zweifel“ verhandelt, vgl. ebd., 9. R. SPAEMANN, Funktionale Religionsbegründung, 15-17.

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hen, welche für eine adäquate Funktionsbestimmung grundlegend ist: „Religion ist eine Verwandlung der Perspektive, innerhalb derer die Frage nach Funktion erst Sinn macht. Der paulinische Satz ‚Der geistliche Mensch beurteilt alles, er selbst wird aber von niemandem beurteilt’, muß in diesem Sinne verstanden werden.“94 In der Systemtheorie N. Luhmanns erschließt sich die gesellschaftliche Entwicklung als eine Evolution von segmentierender zu stratifizierender und schließlich zu funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung. Die funktionale Differenzierung wird darum zur systemtheoretischen Leitperspektive der Betrachtung moderner Gesellschaftsform: Das primäre Differenzierungsprinzip folgt nicht mehr unterschiedlichen Gesellschaftsschichten oder -klassen, sondern spezifischen Funktionen, die von gesellschaftlichen Teilsystemen in gewissermaßen exklusiver Kompetenz für die Gesellschaft übernommen werden.95 Die Teilsysteme operieren dabei selbstreferentiell und bilden einen für sie jeweils spezifischen binären Code aus (z.B. Wissenschaft: wahr / falsch, Wirtschaft: zahlen / nicht zahlen, Religion: Immanenz / Transzendenz).96 Mit diesem Ansatz wird, das ist für den Funktionsbegriff von Bedeutung, die strukturell-funktionale Systemtheorie T. Parsons in eine funktionalstrukturelle überführt: Bei ersterer werden spezifische Strukturen unterstellt, welche zu ihrer Selbsterhaltung gewisse funktionale Leistungen erbringen müssen. Der Funktionsbegriff, so ist kritisch einzuwenden, wird durch die normative Prämisse der Selbsterhaltung des Bestehenden kontaminiert.97 Luhmann ordnet demgegenüber den Begriff der Funktion dem der Struktur vor; oberstes Bezugsproblem ist nicht mehr der Systembestand,98 sondern die Komplexität der Welt, welche innerhalb eines Teilsystems mittels der spezifischen Differenz von System und Umwelt strukturiert und verarbeitet wird.99 Die traditionelle, dem biologischen Funktionsbegriff entsprechende Differenz von Ganzem und Teil ist in dieser Konzeption durch die Differenz eines stabilisierten Innen und Außen, von System und Umwelt ersetzt.100 Dem entspricht wiederum, dass der Kausalfunktionalismus, welcher Systemleistung und Systemerhaltung einen kausalen Zusammenhang zugesprochen hatte, zu einem expliziten Äquivalenzfunktionalismus wird, welcher sich an der Relation von (Komplexitäts-)

94 95

Ebd., 17 (Hervorheb. im Orig.). Vgl. dazu zusammenfassend N. LUHMANN, Funktion der Religion, 229. Zur Einführung: G. KNEER / A. NASSEHI, Niklas Luhmanns Theorie; D. KRAUSE, LuhmannLexikon; zur Religionstheorie: D. POLLACK, Religiöse Chiffrierung; zur theologischen Evaluation H.-U. DALLMANN, Systemtheorie (evang.); M. WOIWODE, Heillose Religion? (röm.-kath.). 96 N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 64ff. Die Codes fallen dabei nicht mit der Differenz von System / Umwelt zusammen, sondern stehen quer zu ihr: ebd., 67. 97 Vgl. G. KNEER / A. NASSEHI, Niklas Luhmanns Theorie, 35ff. 98 Vgl. N. LUHMANN, Soziale Systeme, 87. 99 Vgl. ebd., 47ff. 100 Ebd., 22; vgl. ders., Funktion der Religion, 75.

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Problem und Problemlösung orientiert – und so von vornherein von funktionalen Äquivalenten ausgeht und sie zum Zweck des Vergleichs erörtert.101 Im Blick auf die drei für die vorliegende Skizze relevanten Problemsaspekte bringt der Ansatz der Systemtheorie Luhmanns also zunächst eine Verschiebung mit sich: Hinsichtlich der Teilssysteme jedenfalls bekommt die Substitution durch funktionale Äquivalente gegenüber den Selbsterhaltungsmechanismen größere Bedeutung.102 Auf diesem Hintergrund ist es interessant, wie die Funktion der Religion und vor allem die Funktion der Theologie näher bestimmt werden.103 Für sich selbst reduziert zwar grundsätzlich jedes System mittels Codierung und Programmierung Komplexität, belässt aber so immer „[u]nbestimmbare Horizonte“.104 Die Religion hingegen erbringt die Transformation von unbestimmbarer Komplexität in bestimmbare Komplexität für die Gesamtgesellschaft und findet darin ihre spezifische funktionale Bestimmung.105 „Religion hat demnach die Funktion, die an sich kontingente Selektivität gesellschaftlicher Strukturen und Weltentwürfe tragbar zu machen, das heißt ihre Kontingenz zu chiffrieren und motivfähig zu interpretieren.“106 Nun gilt formal, dass es von der Definition des Bezugsproblems abhängt, was als funktionale Äquivalente für Religion in Betracht kommen kann. Wird dabei allerdings beachtet, dass andere Teilsysteme zwar Komplexität reduzieren, so aber im Laufe der evolutionären Entwicklung ihren Problemhorizont immer weiter einschränken, bedeutet das für die Religion: „Sobald Religion eingespielt ist auf das Problem der Simultanität von Unbestimmbarkeit und Bestimmtheit [...], gibt es für die Lösung dieses Problems außerhalb der Religion keine funktionalen Äquivalente mehr. Das Religionssystem wird zur selbstsubstitutiven Ordnung, die durch Orientierung an der eigenen Identität, also durch Reflexion ihre Fortentwicklung kontrolliert.“107 Was das Problem der Ersetzbarkeit durch funktionale Äquivalente anbelangt, ist also zunächst auf die Charakterisierung des Re-

101 Vgl. neben der erwähnten Grundlegung in ders., Funktion und Kausalität, 617ff., den Abschnitt in ders., Soziale Systeme, 83ff. 102 N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 142: „Selbsterhaltung, Bestandserhaltung [...] sind keine Bezugspunkte für Funktionen, sondern Existenzprädikate. Ein System, dies hat der Begriff der Autopoiesis geklärt, operiert nur, wenn es seine Operationen fortsetzen kann; und wenn nicht, dann ist auch keine Trägerstruktur für Funktionen vorhanden. Im übrigen könnte man mit einem Begriff wie ‚Bestandserhaltung’ die einzelnen Funktionssysteme nicht unterscheiden. Er träfe auf alle zu, und die Annahme einer funktionalen Differenzierung gäbe keinen Sinn.“ 103 Vgl. ebd., 116f.: Der Funktionalismus weist auf eine Mehrheit funktional äquivalenter Problemlösungen. „Das kann sich, muß sich aber nicht, praktisch als Substitutionsmöglichkeit auswirken; es mag auch als Anreiz der Suche nach anderen Möglichkeiten dienen. In diesem Seitenblick auf Ersatzmöglichkeiten liegt denn auch die Brisanz der Frage nach der Funktion der Religion.“ 104 N. LUHMANN, Funktion der Religion, 35. 105 Ebd., 20. 26. 78f.; vgl. ders., Religion der Gesellschaft, 344. 106 N. LUHMANN, Organisierbarkeit von Religionen, 250f. 107 N. LUHMANN, Funktion der Religion, 46.

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ligionssystems als selbstsubstitutive Ordnung zu verweisen: Ein soziales System kann sich in jeder Hinsicht weiterentwickeln, es lässt sich aber nicht durch ein anderes, sondern nur durch sich selbst ersetzen. Jede Ersatzleistung erscheint innerhalb seiner selbst.108 Diese Gedankenfigur vermag zwar das Substitutionsproblem noch nicht hinreichend zu lösen, zwei Missverständnissen der Funktionsthese kann aber deutlich entgegen getreten werden: Zum einen bedeutet die funktionale Betrachtung der Religion nicht, dass sie auf ein vorhandenes Problem lediglich reagiert; sie generiert und kontrolliert vielmehr den Problemhorizont, auf den sie bezogen ist (Unbestimmbarkeit), selbst.109 Dies impliziert zum anderen, dass Luhmann auf jede Postulierung eines anthropologischen Bedürfnisses verzichtet; das Bezugsproblem betrifft stets die Systemreferenz ‚Gesellschaft’.110 Die Selbstbeschreibungsversuche des Religionssystems, sich durch die Unterstellung eines anthropologischen Bedürfnisses nach Sinn und ihres darauf bezogenen ‚Angebots’ zu inszenieren, sind nichts anderes als kognitive Konstrukte, mit deren Hilfe das System sich der als säkularisiert begriffenen Gesellschaft anpasst.111 Was das Substitutionsproblem betrifft, räumt Luhmann in späteren Arbeiten ein, dass die funktionale Orientierung an einem Bezugsproblem noch nicht ausreicht, um ein ausdifferenziertes System bleibend von einem anderen zu unterscheiden. Er verweist darauf, dass die Ausdifferenzierung selbst durch die Ausrichtung an einem spezifischen binären Code gesteuert wird, mittels dessen die Funktion interpretiert und identifiziert werden kann.112 Damit reagiert Luhmann ebenso auf funktionalismuskritische Einwände (z.B. Spaemanns) wie dies auch in seiner deutlichen Beschränkung der funktionalen Betrachtungsweise zum Ausdruck kommt: Die Beschreibung von latenten, d.h. dem System selbst unzugänglichen Funktionen überspielt dessen Selbstverständnis – und muss sich deshalb ihrer Grenzen gewahr sein: „Sie erklärt nicht, warum etwas so ist, wie es ist, und nicht anders. Sie vermag also keinen Glauben zu begründen, sondern setzt alles, was angenommen ist, dem Vergleich aus.“113 Im Blick auf die Funktion der Dogmatik und die Funktion der Theologie ist die Entwicklung funktionaler Ausdifferenzierung nach Luhmanns Werk „Funktion der Religion“ zugrunde zu legen: Die Funktion der Religion wird zunächst zwar in ritueller Praxis erfüllt, muss sich aber in einer 108 Ebd., 48. 109 Vgl. ebd., 37. 110 Vgl. N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 112. 139. Unentbehrlich und notwendig ist sie also nur hinsichtlich dieses Bezugspunkts, nicht jedoch für das individuelle Menschsein. 111 Ebd., 340. 112 So z.B. in: N. LUHMANN, Unterscheidung Gottes, 237f.; vgl. ders., Religion der Gesellschaft, 118! 113 Ebd., 119. Hinreichend geklärt ist das Verhältnis von Fremdbeschreibung (Beobachtung zweiter Ordnung) und Selbstbeschreibung damit ebenso wenig wie das von R. Spaemann in den Mittelpunkt gerückte Latenzproblem, vgl. dazu auch: M. WOIWOKE, Heillose Religion?, 217f.; M. LAUBE, Beobachtung, 180f. Letzterer verweist darauf, dass Zuordnung und Status der Theologie diesbezüglich unterbestimmt bleiben.

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ausdifferenzierten Gesellschaftsform zugunsten einer verbalen und begrifflichen Interpretationsfunktion als eine religiöse Dogmatik gewissermaßen entritualisieren.114 Vor allem die reformatorische Dogmatik gestaltet sich als gedankliche Verarbeitung dessen, dass sich für das Religionssystem, mithin für die Kirche, der „Funktionskern“ vom Kult zur geistlichen Kommunikation verschoben hat.115 Ohne sich selbst reflexiv zu thematisieren, bezieht sich die Dogmatik als gedankliche Konzeptualisierung auf den spezifisch religiösen Funktionsbereich und dient so der Identität und Selbststeuerung des Religionssystems.116 Die Theologie ist in davon zu unterscheidender Weise für die „Reflexion des Religionssystems“ zuständig.117 Vorauszusetzen ist dabei die Differenz von Funktion, Leistung und Reflexion: Die Funktion bezieht sich, wie erwähnt, auf das Gesamtsystem; dessen Problem erfordert einen spezifisch religiösen Funktionskern, die geistliche Kommunikation.118 Die Leistung bezieht sich auf das Verhältnis zu anderen Systemen und vollzieht sich als Diakonie (an anderen Teilsystemen) und als Seelsorge (an personalen Systemen) in Dienstleistungen, ist so aber systemfremden Anforderungsprofilen und Normativitätsstrukturen ausgesetzt.119 Die Reflexion schließlich bezieht sich auf das Selbstverhältnis und wird im Religionssystem von der Theologie wahrgenommen. Diese ist – so die Doppeldefinition – „Reflexions- und Systembetreuungswissenschaft“ und hat zunächst die Aufgabe des Rückbezugs auf die eigene Identität, welche prinzipiell und konkret (z.B. durch Säkularisierung) gefährdet erscheint.120 Zu dieser Identitätsreflexion und mithin zur Funktion der Theologie gehört deshalb zuförderst die Reflexion des Verhältnisses von Funktion, Leistung und Reflexion.121 Dadurch widmet sich die Theologie zugleich auch den aktuellen Problemen des ausdifferenzierten Religionssystems. Denn gerade angesichts des Tatbestands, dass in der gesellschaftlichen Evolution des Religionssystems Funktion, Leistung und Reflexion divergieren, ist systemautonome Orientierung gefordert. So steht beispielsweise die Rechtfertigungslehre dafür, dass das Proprium der Religion, ihr in geistlicher Kommunikation bestehender Funkti-

114 N. LUHMANN, Funktion der Religion, 86f. 106ff. Diese Fassung als Interpretation von Erleben und Handeln bringt es mit sich, dass Dogmatik selbst sowohl der Forschung als auch der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung entnommen ist (vgl. ebd., 67. 88). Anders verhält es sich mit der Theologie als Reflexionswissenschaft bzw. Reflexionstheorie. 115 Ebd., 111f. 116 Vgl. ebd., 87. 126. 174. 117 Ebd., 59. 118 Ebd., 56f.: „Die Funktion des Religionssystems wird unmittelbar durch das System geistlicher Kommunikation erfüllt, das man Kirche nennt. [...] Die Kirchen tragen in ihrem religiösen Kernbereich geistlicher Kommunikation den funktionalen Primat des Religionssystems.“ 119 Ebd., 58f. 120 Ebd., 266, vgl. ebd., 59. 121 Vgl. ebd., 266.

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onskern, nicht in Leistungen aufgelöst werden kann.122 Insbesondere in einer säkularisierten Gesellschaft, welche mit der Privatisierung religiösen Entscheidens einhergeht, ist der „Kernbereich geistlicher Kommunikation“ dadurch bedroht, dass „eine Verlagerung kirchlicher Aktivität aus dem Bereich primärer in den Bereich sekundärer Funktionen“ eintritt, es aufgrund eines befürchteten Attraktivitätsverlusts zu einer Kompensation durch vermehrten sozialen Aktivismus kommt.123 Im interdisziplinären Austausch bewirkt die Säkularisierung einen umgekehrten Prozess: Weil die Theologie mehr nimmt, als sie gibt, kommt es zu einem chronischen Bilanzdefizit.124 Angesichts dieser Situation ist allerdings auch daran zu erinnern, dass die Theologie ihre Funktion nicht in der Beschränkung auf Tradierung von Dogmatik erfüllen kann, sondern durch die Chiffrierung religiöser Sachverhalte.125 Von daher war es zunächst folgerichtig, dass die Theologie ihre Identität in der Kirche (Reflexion auf geistliche Kommunikation) fand – wobei jedoch die divergierende Pluralität der pragmatischen Leistungsbeziehungen weitgehend unbearbeitet blieb.126 Um ihrem Anspruch auf Führungsposition gerecht zu werden, ist es theologischer Reflexion aufgegeben, „Funktion, Leistung und Reflexion in der von ihr betreuten Religion zu integrieren.“127 Mit diesen Ausführungen ist man bei der pointierten These Luhmanns angelangt, die Theologie müsse „eine ‚Funktion der Kirche’ erst noch werden.“128 Auf dem Hintergrund der genannten Doppeldefinition bezieht sich diese Forderung allerdings weniger auf die Funktion der Theologie im Sinne einer auf Reflexion von Identität ausgerichteten Reflexionswissenschaft, sie bezieht sich vielmehr auf ihre Funktion als Systemsteuerungswissenschaft. Diesbezüglich gelingt es der Theologie nicht, das, was als spezifische gesellschaftliche Funktion (geistliche Kommunikation) theologisch reflektiert wird, in ein solches Programm zu übersetzen, welches dem Strukturwandel der Gesellschaft Rechnung trägt und als kirchenpolitisches Steuerungsinstrument fungieren kann.129 Wenn aber eine bewusst geistlich-theologische und zugleich operationalisierbare Steuerung des Kirchensystems ausfällt, müssen sich die Instrumente der Systemsteuerung neben einer theologischen Dogmatik entwickeln.130

122 123 124 125 126 127 128 129

Ebd., 112. Ebd., 264. Ebd., 266. Ebd., 265. Ebd., 266f. Ebd., 270. N. LUHMANN, Organisierbarkeit von Religionen, 262. Ebd. In: ders., Funktion der Religion, 309, spricht er von einer „Theologie der Planung“. 130 Für den vorliegenden Zusammenhang kann eine kritische Würdigung zurückgestellt werden. Thematisiert sie den funktionalen Zugriff auf die „Wirklichkeit“, wäre m.E. vor allem die ontologische Voraussetzung zu problematisieren, welche das Gegebene (das faktisch wirksame System) zwar in der Variabilität flexibler Anpas-

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Auf diesem Hintergrund stellt sich der Gebrauch des Funktionsbegriffs für das Verhältnis von Theologie und Kirche differenziert und stets auch theoriegeladen dar. Zunächst kann das Merkmal der Außenbestimmung positiv aufgenommen werden, wenn auf den Gegenstand bezogen (vgl. 1.2.1.) zu formulieren möglich ist: Die Theologie gründet in einer Gegenständlichkeit, welche nicht aus der Theologie selbst abzuleiten ist bzw. von ihr produziert wird. Insofern diese Gegenständlichkeit als zwar nicht mit der Kirche identisch, aber durch sie vermittelt gedacht ist, kann Theologie als Funktion der Kirche zur Sprache kommen. Zum Problem wird diese, im Folgenden zu reflektierende ‚Systemreferenz’ der Theologie allerdings dann, wenn ihre Mittelbarkeit zugunsten eines direkten Selbsterhaltungsinteresses abgelöst wird und das Verhältnis von Theologie und Kirche in ein unkritisches umschlägt. Unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten erschien die Außenbestimmung der Theologie als Fremdbestimmung, welche die Frage aufwarf, ob Theologie überhaupt als Wissenschaft gelten könne, wenn sich ihre Prämissen und Vorgehensweisen nicht in den Rahmen „der“ wissenschaftlichen Vernunft fügen. An dieser Stelle hat sich die Diskussionslage in den letzten Jahrzehnten insofern geändert, als wissenschaftstheoretische und wissenschaftssoziologische Einsichten die von einer Forschungsgemeinschaft anerkannten Voraussetzungen wissenschaftlicher Erkenntnis, deren positionale Verfasstheit und deren historische Relationalität anerkennen.131 Aufgrund des daraus resultierenden begrenzten Geltungsbereichs der „wissenschaftlichen Vernunft“ werden die Gründe für eine Disqualifikation der Theologie, für welche die Positionalität eines Glaubens in irgendeiner Form erkenntnisleitende Bedeutung hat, relativiert und lassen sich in eine Kritik der Kritik überführen. In der äußersten Zuspitzung dieser Diskussionslage wäre es allerdings problematisch, sie mit einer Rehabilitierung einer irrationalen Überzeugungsbildung zu verbinden oder zu unterstellen, Wissenschaft beruhe in einer postmodernen Moderne lediglich auf sungsmechanismen zugrunde legt, dessen konstitutive Intentionalität sowie die Möglichkeit des Nichtseins indes ausklammert. Dieser affirmative Zug zeigt sich in dem auf das Problem der Gesamtgesellschaft bezogenen äquivalenzfunktionalen Ansatz und der These der selbstsubstitutiven Ordnungen. Vgl. die Kritik von CH. THIEL, „Funktion“, 513; H.-U. DALLMANN, Systemtheorie, 180ff. Auf die „Kritik der funktionalistischen Vernunft“ von J. Habermas ist hier lediglich hinzuweisen, vgl. dazu: K.-M. KODALLE, Eroberung des Nutzlosen, 45ff. Kodalle selbst entwickelt eine „gegenutilitaristische“ Konzeption, welche dem Vorrang der Dysfunktionalität grundlegende Bedeutung zumisst, im Anschluss an S. Kierkegaard. 131 Hier ist auf die Selbstbeschränkung der wissenschaftlichen Vernunft abzielenden Entwürfe von T. KUHN, Struktur; P. FEYERABEND, Wider den Methodenzwang, und K. HÜBNER, Kritik der wissenschaftlichen Vernunft, zu verweisen.

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Konvention und Willkür.132 Entscheidend ist vielmehr, dass sich die erfahrungswissenschaftliche Rationalität als partikular erweist und sich einer der Theologie eigenen Rationalität zumindest nicht prinzipiell verschließen kann. In der Beziehung zu einem allgemeinen Wissenschaftsbegriff ist die These der Theologie als Funktion der Kirche also mittlerweile einem geringeren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt als dies beispielsweise bei Schleiermacher oder Troeltsch der Fall war. Entwürfe wie derjenige von E. Herms haben sich auf diese veränderte Lage eingestellt. Die Lage ist indes nicht unbedingt komfortabler geworden: In der gegenwärtigen Moderne besteht der Rechtfertigungsdruck für Theologie und Kirche vielmehr zunehmend seitens Gesellschaft, Wirtschaft oder auch individuellen Bedürfnissen. Im Blick auf diese ihrem pragmatischen Beziehungsfeld zugehörenden Größen liegt es nahe, sich durch sozialen oder individuellen Nutzen zu legitimieren und also durch den Ausweis der Funktionalität bzw. Utilität dem Verlangen dieser anderen ‚Systemreferenzen’ zu entsprechen. Dadurch droht Theologie, Kirche, Glaube, Religion etc., wie N. Luhmann bemerkt, nicht nur in den etablierten zweckrationalen Verwertungszusammenhang eingepasst zu werden – mindestens ebenso gravierend ist, dass, systemtheoretisch formuliert, die zunehmende Leistungsorientierung in den Horizont der systemautonomen Funktionsbestimmung eingeht, diese im schlimmsten Fall zugunsten funktionaler Äquivalente verdrängt wird. Ungeachtet ihrer vieldiskutierten Problematik kann so auch die Zurückstellung der kulturtheoretischen Perspektive in der Konzeption Barths als (radikaler) Entsprechungsversuch zur Funktionalismuskritik Nietzsches verstanden werden: Das Christentum lässt sich nicht pragmatisch durch seine Wirkung, seinen Einfluss auf die Kultur, die Gesellschaft etc. rechtfertigen.133 Dieses Problems der Fremdbestimmung, welches durch finanzielle Abhängigkeiten institutionalisierter Theologie und Kirche eine nicht unwesentliche Brisanz erhält, gilt es sich also mindestens ebenso gewahr zu sein wie desjenigen der Utilisierung der Theologie zur Selbsterhaltung der vorfindlichen Kirche. Inwiefern nun aber auch eine solche, mit dem Stichwort der Selbsterhaltung umrissene Gefährdung mit der Funktionsthese in Verbindung zu bringen ist, hängt letztendlich von der konkreten Fassung bereits diskutierter Bestimmungsgrößen ab. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob der Funktionsbegriff kausalfunktional oder im Sinne Luh132 Damit wären auch die genannten Entwürfe von T.Kuhn und P. Feyerabend missverstanden. 133 Vgl. z.B. K. BARTH, KD IV/3, 856.

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manns äquivalenzfunktional aufzufassen ist. Vielmehr kann schon im Blick auf die Gegenstandsbestimmung gelten: Die Bedingung, dass der Theologie eine Gegenständlichkeit zugrunde gelegt wird, welche nicht in der erfahrbaren Wirklichkeit der Kirche aufgeht, kann als Ermöglichungsgrund dafür angesehen werden, dass Theologie von der Funktion einer der Besitzstandswahrung dienenden Selbstdarstellung Abstand nehmen und dieser erfahrbaren Wirklichkeit kritisch gegenüber treten kann. Für Schleiermacher wie für Barth ist schon darum die Eigenständigkeit der Theologie gegenüber der Kirche grundlegend. Ähnliches ergibt sich im Blick auf die pragmatischen Beziehungen: Insofern Kirche nicht um ihrer selbst willen, sondern – wie Bonhoeffer betont – um der Welt willen existiert, kann Selbsterhaltung nicht das letzte Ziel einer auf sie bezogenen Theologie darstellen. Die so bestimmte Existenzweise bringt es zugleich mit sich, dass Theologie nicht, um etwa der genannten Gefahr der Fremdbestimmung zu entgehen, auf ihre Aufgabe an der Gesellschaft oder an der Wissenschaft (Universität) grundsätzlich zu verzichten vermag. Wie bereits unter 1.2.2. gezeigt, kann dies unter soziologischen Gesichtspunkten in eine Begründung für eine weitgehend kirchenunabhängige Institutionalisierung der Theologie überführt werden, welche dann wiederum ihren konstruktiv-kritischen und versachlichenden Auftrag an der Kirche wahrnehmen und sich zugleich vor dem Rechenschaftsforum einer ausdifferenzierten Gesellschaft bewähren kann. Schließlich: Eine funktionale Betrachtungsweise des Verhältnisses von Theologie und Kirche wird beides, deren Eigenständigkeit und deren wechselseitige Beziehung zu bedenken haben – und zwar so, dass auch die wissenschaftspraktische Zuordnung der völlig verschieden verfassten institutionellen Größen Beachtung findet. Anhand einer zweiseitigen Vollzugsstruktur müsste sich indizieren und konkretisieren lassen, inwiefern unter der Voraussetzung (nicht der Angleichung) dieser institutionellen Differenz dann wirklich eine wechselseitige konstruktiv-kritische Beziehung möglich ist: Die Theologie tritt der Kirche konstruktiv-kritisch gegenüber als auch in sicherlich anderer Weise die Kirche der Theologie konstruktiv-kritisch gegenübertritt. Etwas pointierter, aber missverständlicher formuliert: Die Theologie ruft die Kirche zu deren Sache – die Kirche ruft die Theologie zu deren Sache.134 Die zweite Hälfte dieser Vollzugsstruktur bleibt im Raum evangelischer Theologie in der Regel mit dem Verweis auf die römischkatholische Problematik der Funktion eines institutionellen Lehramts

134 Vgl. dazu dann auch unten, Abschnitt 3.4.

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weitgehend unthematisiert.135 Anders verhält es sich mit der ersten Hälfte: Hier haben sich Irritationen auch auf evangelischer Seite institutionell gefestigt. Offen zutage trat dies, als im innerprotestantischen Streit um die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ die Universitätstheologie und eine Theologie der Kirchenämter konfligierend gegenüber traten. Die zu klärenden Fragen sind nicht unerheblich: Welchen Ort und welche Funktion können kirchliche Dezernate für Theologie beanspruchen, ohne in Gefahr einer Art Hoftheologie zu geraten, welche das gerade durch zwei eigenständige institutionelle Größen wechselseitige Kritik ermöglichende Verhältnis von Theologie und Kirche unterläuft? Inwiefern benötigt oder ersetzt eine solche kirchenamtliche Theologie eine Theologie an universitären Fakultäten?136 Die Aufnahme der funktionalen Betrachtungsweise muss sich also auch auf dieser Ebene mit dem Problem der Ersetzbarkeit durch funktionale Äquivalente auseinandersetzen. Denn stellt man das weitere pragmatische Bezugsfeld der Theologie (die Rechenschaft vor und die Auseinandersetzung mit Gesellschaft, Wissenschaft etc.) einmal zurück, scheint die These der Theologie als Funktion der Kirche die Meinung zu befördern, dass nicht nur theologische Arbeit durch Kirchenämter, sondern auch die gesamte theologische Ausbildung durch kirchliche Seminare besorgt werden könne. Diese Deutung ist der These, dass Theologie eine Funktion der Kirche sei, indes auch unter Zugrundelegung von einem an der Relation von Problem und Problemlösung orientierten Äquivalenzfunktionalismus keinesfalls zwangsläufig mitgegeben. Sie wäre es erst dann, wenn sie eine „Funktionalisierung“ einschlösse, der zufolge ein Moment nur in seiner Funktion besteht und in dieser aufgeht. Im vorliegenden Fall hieße das: Theologie ginge in ihrer kirchenbezogenen Funktionsweise, etwa ihrer professionsspezifischen Ausbildungsfunktion auf. Einer solchen einfachen Mittel-Zweck-Bestimmung wird sich eine ‚multifunktionale’ Ortsbestimmung, welche der Komplexität der Bezugsfelder (1.2.2.) Rechnung trägt, schwerlich einpassen lassen.

135 Vgl. den Gegensatz, der in den Positionen von J. Ratzinger und E. Herms zum Ausdruck kommt: J. RATZINGER, Wesen, 54f.: „Das Wesen des Lehramts besteht eben darin, daß die Verkündigung des Glaubens auch für die Theologie der gültige Maßstab ist. [... D]ie Verhältnisbestimmung ist genau umgekehrt: Die Verkündigung ist das Maß der Theologie und nicht die Theologie das Maß der Verkündigung.“ E. HERMS, Lehre im Leben der Kirche, 156, hingegen positioniert die wissenschaftliche Theologie als „die lebendige Alternative zum Heiligen Offizium bzw. seiner Nachfolgerin.“ 136 Vgl. W. SPARN, Grauslich handgestrickt, 58-61.

Exemplarische Verhältnisbestimmungen der Gegenwart Exemplarische Verhältnisbestimmungen der Gegenwart

2. Exemplarische Verhältnisbestimmungen der Gegenwart: Zwischen einem neuen Kulturprotestantismus und einer Theologie der Offenbarung Die im vorigen Abschnitt entfaltete Problemmatrix stellt als ein systematisches Schema von zusammenhängenden Bestimmungsfaktoren ein aus der Problemgeschichte und gegenwärtigen Problemkonstellationen rekonstruiertes „Netz“ an Problemzusammenhängen dar. Ein solches verhilft zu besseren Wahrnehmung theorieimmanenter Zusammenhänge, ermöglicht aber auch eine Vergleichbarkeit, welche nicht allein auf die Ähnlichkeit formalisierter Strukturen abgestellt ist. Denn auch die Strukturanalogien, welche schon in der problemgeschichtlichen Aufarbeitung zutage traten, vermögen die Differenzen der einzelnen Positionen nicht zu verdecken, sondern vielmehr erst zu erhellen. Dass materialdogmatische Entscheidungen bzw. Überzeugungen ebenso wie die erkenntnistheoretischen von fundamentaltheologischer Bedeutung sind und Auswirkungen bis auf die Wirklichkeitswahrnehmung und den Theologiebegriff haben, verdient dabei also noch einmal nachdrücklich festgehalten zu werden. Insofern ist es auch kein Widerspruch, dass die Problemmatrix schon selbst von einem sich der protestantischen Tradierungsgeschichte verpflichteten systematischen Urteil vorläufigen Gebrauch macht. Wird die Problemmatrix als Netz verstanden, so insofern als es die Komplexität der Bestimmungsfaktoren theologischer Theoriebildung und deren Interdependenz ansichtig werden lässt. Wie die Fäden und Verknotungen eines Netzes bilden formalisierbare Strukturzusammenhänge und theologische Bestimmungsmomente ein Ganzes, eingebettet, wie jede historische Betrachtungsweise offenbart, in eine bestimmte Lebenswelt und deren Herausforderungen.1 Die inhaltliche Verschie1

Vgl. B. WALDENFELS, In den Netzen der Lebenswelt. Wird, wie im vorliegenden Fall, die Theoriebildung mit einem Netz verglichen, so trifft eher die Definition von K.R. POPPER, Logik der Forschung, 31, zu – allerdings nicht im Blick auf dessen Überzeugung der Wahrheitskonvergenz im rationalen Erkenntnisforschritt (engere Maschen des Netzes). Auch das weitere Vorgehen kann mit der Netzmetapher verdeutlicht werden: An die Problemmatrix anschließend ließe sich die Erörterung einiger zentraler Verkno-

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bung hinsichtlich einzelner Bestimmungsmomente zieht eine Veränderung des gesamten Theorienetzes nach sich. Dergestalt verwendet vermag die Netzmetapher darauf hinzuweisen, dass der theologischen Theoriebildung eine Wenn-dann-Struktur eignet. Wie bereits eingangs erwähnt, gilt für eine solche wie für jede Theoriebildung: „Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte“ (Goethe). Unter der Zugrundelegung des Netzes der Problemmatrix werden im Folgenden zwei Entwürfe der theologischen Gegenwart untersucht. Nach einer ausführlicheren Darstellung sollen sie (im jeweils vierten Abschnitt) auf ihr Problemlösungspotential und ihre systematischtheologische Verantwortbarkeit befragt werden. Dieses Vorgehen dient zugleich der Vertiefung dessen, was bisher erarbeitet wurde. Die Vertiefung betrifft dabei weniger die im ersten Teil gebotene knappe Rekonstruktion theologiegeschichtlicher Positionen – schon insofern diese nunmehr nur im Zusammenhang einer bestimmten Rezeption Schleiermachers, Troeltschs oder Barths thematisch werden. Sie betrifft vor allem die Problemmatrix, welche in der skizzierten Form lediglich bis zu einer gewissen Problemtiefe bzw. einem gewissen Grad an Komplexität vorstoßen konnte. Gewissermaßen als Nebenprodukt vermögen diese Vertiefungen noch einmal mehr zu zeigen, dass praxisrelevante theologische Urteile bzw. Positionen in Theologie und Kirche einen solchen Rückgang notwendig machen – es sich also mitnichten um Erörterungen von selbstgenerierten Diffizilitäten innerhalb eines systematisch-theologischen Elfenbeinturms handelt. Das lässt sich insbesondere am ersten der hier vorzustellenden Vertreter demonstrieren. Denn dessen Analysen und Forderungen, welche nicht nur der praktisch-theologischen Fachwelt und kirchlichen Handlungsträgern, sondern auch einem breiteren Publikum eingängig sind, lassen sich ohne spezifische, z.T. subtile systematisch-theologische Erörterungen und ohne einen kritisch-konstruktiven Rekonstruktionsvollzug nicht verstehen. Die beiden Theologen W. Gräb und I. Dalferth wurden bewusst deshalb ausgewählt, weil sie unbeschadet interessanter Überschneidungen zwei sich im Widerstreit befindliche theologische Traditionsstränge repräsentieren und überdies ihre Publikationen die angesprochene Erörterungstiefe möglich machen. tungen bzw. Zusammenhänge vertiefen und deren Folgen erörtern – die Gefahr einer solchen Spezialuntersuchung besteht dann darin, die vielfältigen Interdependenzen des Ganzen aus dem Blick zu verlieren. Oder aber es werden ganze Netze in ihrer Komplexität untersucht und verglichen – die Mangel besteht gegebenenfalls dann darin, die differenzierte Bearbeitung einer bestimmten Problematik selbst nur unzureichend leisten zu können. Die vorliegende Arbeit folgt weitgehend der letzten Variante.

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2.1. Wilhelm Gräb: Theologie als religionstheologische Kulturhermeneutik Wilhelm Gräb: Theologie als religionstheologische Kulturhermeneutik Der Titel von Gräbs Habilitationsvortrag „Dogmatik als Stück der Praktischen Theologie“ steht programmatisch für dessen theologische Arbeit: Das auf systematisch-theologischer Grundlage Erarbeitete – zu denken ist an die Ergebnisse seiner dogmatischen Dissertation über Schleiermachers Geschichtsbegriff („Humanität und Christentumsgeschichte“, 1980), aber auch an Anregungen von E. Troeltsch, E. Cassirer oder D. Henrich – wird in ein integratives Gesamtkonzept von Praktischer Theologie überführt, dessen fundamentaltheologische Implikationen auch in den beiden aus zahlreichen Aufsätzen zusammengestellten Bänden „Lebensgeschichten – Lebensentwürfe – Sinndeutungen“ (1998) und „Sinn fürs Unendliche“ (2002) zu greifen sind. Nicht nur zum Zweck einer Wahrnehmung der Genese dieses Entwurfs und der präzisen theologiegeschichtlichen Verortung richtet sich die Aufmerksamkeit daher zunächst auf Untersuchungen, welche auf dem Weg zu „einer kulturhermeneutisch verfahrenden ‚Praktischen Theologie gelebter Religion’“2 wichtigen Referenzpositionen gewidmet sind.

2.1.1. Theologiegeschichtliche Rekonstruktionspräferenz: Schleiermacher und Troeltsch Es ist die zentrale These von Gräbs Dissertation, dass Schleiermachers Doppelentfaltung der Geschichtsthematik in der philosophischen Wissenskonstruktion und im Theologiebegriff nicht im Sinne eines einlinigen Begründungszusammenhangs begriffen werden kann, wie dies die frühere Schleiermacherinterpretation im Umfeld von E. Troeltsch meinte annehmen und zugleich als insuffizent beurteilen zu können. Es handelt sich vielmehr um einen Verweiszusammenhang zweier unterschiedlicher Betrachtungsweisen mit jeweils begrenzter Leistungsfähigkeit.3 Dessen Unumkehrbarkeit erweist sich am Ort der Begrenztheit des in der ethischen Theorie beschriebenen humanen Vernunfthandelns, insofern diesem der eigene Grund nicht in reflexiver Selbstthematisierung zugänglich wird, es also auf die Selbstauslegung des religiösen Bewusstseins, wie es sich in der Christentumsgeschichte reali-

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W. GRÄB, Sinn fürs Unendliche, 14 (im Folgenden werden nur die Kurztitel zitiert, die beiden Bände „Lebensgeschichten [...]“ und „Sinn fürs Unendliche“ werden mit LLS bzw. SfU abgekürzt). Humanität, 162. 177.

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siert hat, angewiesen ist. Gräb sieht in dieser Erschließungsleistung der Religion für die darauf angewiesene humane Vernunft schließlich die Grundlage einer Versöhnung von Vernunft und Religion.4 Damit erhält auch Schleiermachers diesbezügliche Rede vom „ewigen Vertrag“ eine auf den Zusammenhang von Kulturtheorie und Theorie der Christentumsgeschichte interpretierbare und für Gräbs eigene Konzeption bedeutsame Fassung – so sehr das kulturtheoretisch und auch erkenntnistheoretisch zu reflektierende Problem von Pluralisierung und Partikularisierung der Trägerinstanzen noch nicht eingeholt werden kann. Die der skizzierten These zugrundeliegende Argumentationsfigur lässt sich an den Ausführungen zu Schleiermachers theologischer Enzyklopädie demonstrieren, insofern insbesondere die ‚philosophische Theologie’ als der systematische Punkt einer spezifischen Konvergenz von allgemeiner Wissenssystematik und Theologiebegriff betrachtet werden kann.5 Festgehalten wird zunächst, dass der funktionale Bezug auf die Aufgabe der Kirchenleitung als theorieexterne Größe auftritt, die damit erforderliche Positivität der Theologie weder einen vordergründig gegenstandsgebundenen Wissenstyp noch die Unterordnung unter kirchliche Nützlichkeitserwägungen zur Folge hat.6 Die Begründung hierfür setzt interessanterweise nun nicht erst an der um der Aufgabe der reineren Darstellung des Christentums willen von der Kirchlichkeit unterschiedenen Wissenschaftlichkeit an, sondern wird bereits Schleiermachers Hinweis auf die geschichtlichen Entwicklungsbedingungen entnommen, von welchen die Ausdifferenzierung einer bestimmten Sozialgestalt des religiösen Bewusstseins abhängig ist (KD §§ 2-4). Konsequenterweise beruht dann aber nicht nur das Organisationsprinzip der Theologie, sondern das enzyklopädische Programm selbst auf dem Entwicklungszusammenhang der Christentumsgeschichte. Erst mit der Bezogenheit der kirchenleitenden Tätigkeit und damit auch der Theologie auf eine geschichtliche Selbstdarstellung einer bestimmten Glaubensweise kann nach Gräb eine pragmatischfunktionalistische Zuordnung von Theologie und Kirche sowie ein unangemessenes Verständnis von Positivität abgewiesen werden.7 Letztlich ist es ihm um ein differenziertes, weil dreistelliges Funktionsverhältnis zu tun: Die theologischen Disziplinen sind funktional auf die kirchenleitende Tätigkeit bezogen, insofern diese selbst Handlungsmotiv und -zweck in der geschichtlichen Selbstdurchsetzung und Selbstdeutung des vorgegebenen Christentums findet, und folgen darum in 4 5 6 7

Ebd., 179. Ebd., 162. Ebd., 65f. Ebd., 69.

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ihrer Aufgabenstellung auch einer Entsprechung zu seiner geschichtlicher Entwicklung.8 Lediglich die ‚philosophische Theologie’ verlässt, um ihre kritische Funktion wahrnehmen zu können, diese Ebene der geschichtlichen Selbstbewegung und Selbstdeutung des Christentums.9 Obgleich selbst eine theologische Disziplin thematisiert sie hierzu das Organisationsprinzip im Zusammenhang allgemein philosophischer Wissenschaften und ermöglicht auf diese Weise der Kirchenleitung eine anschlussfähige Selbstobjektivation. Die weitere Erörterung von Gräb begnügt sich nun allerdings mit der von Schleiermacher in KD § 22 angesprochenen, auf die Grundlegung der philosophischen Ethik verweisenden Legitimationsforderung – ohne diese zum kritischen Begriffsbestimmungsverfahren gehörende Teilbestimmung selbst wieder in den Kontext einer normativen Grundlegung der Aufgabenbestimmung von Apologetik und Polemik zu überführen: „Dem allgemeine Evidenz in Anspruch nehmenden neuzeitlichen Wissenschaftsbegriff gegenüber wird die Reflexion auf die Selbstdeutung der christlichen Glaubensweise zuhöchst legitimationsbedürftig. Sie kann allgemeine Plausibilität nur noch dann in Anspruch nehmen, wenn die von ihr vorausgesetzte lebensweltliche Selbstdeutung des Glaubens zugleich zum Gegenstand der allgemeinen Theorie der geschichtlichen Welt werden und somit einem grundlegenden Element des humanen Lebensvollzuges überhaupt entsprechen kann.“10 Das interpretationsleitende Interesse tritt an dieser Stelle deutlich hervor.11 8

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Vgl. ebd., 69. 75. Pointierter dann in: Kirche, 157: „Nicht die Theologie, sondern die gelebte Religion ist eigenen Rechts, von irreduzibler Eigenständigkeit, autonom, aus dem ihr eigenen Grund zum humanen Lebensvollzug gehörig. [...] Der Theologie hingegen bedarf es nur angesichts bestimmter sozial-kultureller Bedingungen, unter denen sich diese Religion geschichtlich realisiert.“ Humanität., 73. Ebd., 74. Die Interpretation erhält durch die Fokussierung auf die erwähnte Konvergenz bzw. den Verweiszusammenhang eine bedeutsame Begrenzung: Um der Funktion der Wesensbestimmung und der Aufgabe der Kirchenleitung ansichtig zu werden, hätte der weiteren Argumentationslinie Schleiermachers in der ‚Kurzen Darstellung’ – bis hin zur Aufgabe der auf der Grundlage der Polemik tathaft zu beseitigenden „krankhaften Abweichungen“ (KD § 40; vgl. § 60) – Beachtung geschenkt werden müssen. Dieses Moment der normativ-exkludierenden Wesenshandhabung ist aus der auf die reinere Darstellung des Christentums einwirkenden Tätigkeit (KD §§ 257. 263) nicht wegzudenken, so dass Gräbs auf die „Selbstdurchsetzung“ des Christentums und die Erhöhung seiner Integrationsfähigkeit konzentrierte Beschreibung unterbestimmt bleibt. Das zeigt sich nicht erst in Gräbs späterer Gesamtkonzeption, sondern schon im weiteren Fortgang seiner Dissertation, insofern ein exkludierendes Moment im Zusammenhang der Dogmatik als einer kritischen Untersuchung des geltenden Lehrbestands nun doch unterstellt wird – und zwar im Sinne einer „Ausscheidung all dessen [...], was die Befreiung christlicher Frömmigkeit zur je eigenen Gegenwart verhindert.“ (Humanität,166. Diese Forderung übernimmt Gräb denn

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Wenn der Theologiebegriff selbst auf Organisationsbedingungen bezogen ist, welche durch die geschichtliche Selbstdeutung des Christentums formiert werden, so muss der christlichen Glaubensweise eine solche Funktion von Selbstdeutung zuallererst zugeschrieben werden können. Für Gräb leistet dies Schleiermachers Theorie des (konkreten) Selbstbewusstseins: Weil das unmittelbare Selbstbewusstsein des Gefühls sich nicht selbst erfassen kann, muss vom bestimmt-konkreten Selbstbewusstsein ausgegangen werden, welches sich im Blick auf seinen Ermöglichungsgrund selbst auslegt, d.h. den reinen Identitätsakt des unmittelbaren Selbstbewusstseins in seinem Verhältnis zum transzendenten Grund thematisch macht.12 Schleiermachers Glaubenslehre bildet diese Struktur in ihrer Zuordnung von allgemein-ethischer Konstruktion und theologisch-dogmatischer Entfaltung ab: Die philosophische Ethik kann zwar auf der Ebene humanen Vernunfthandelns der Frömmigkeit die Funktion individuellen Symbolisierens zuweisen und die strukturale Möglichkeit bzw. Offenheit einer kontingenten Realisationsgestalt umreißen – aber erst in ihrer aktualisierten Form frommen Selbstbewusstseins ist eine solche Gestalt dann auch konstituiert, welche ihren eigenen geschichtlichen Ursprung explizieren kann. Der dogmatische Aussagezusammenhang ist dann als Funktion der Selbstauslegung christlichen Bewusstseins zu begreifen, in welchem der Selbstbezug auf die Person Jesu so umgekehrt wird, dass er als von der Tätigkeit Christi hervorgebracht erscheint. „Die Entdeckung der Geschichtsthematik in der Selbstdeutung christlicher Frömmigkeit entfaltet sich so auf dem Weg einer christologischen Rekonstruktion christlicher Frömmigkeit.“13 Es gehört dabei zur Signatur der Christentumsgeschichte, diese Tätigkeit als durch den „christlichen Gemeingeist“ fortgesetzte und sich realisierende zu erkennen – und zwar in doppelter Weise: Sie realisiert sich in der Geschichte der Kirche, insofern diese die negative Einwirkung der durch die sündhafte Natur des Menschen gekennzeichneten Welt überwindet. Sie realisiert sich darüber hinaus in der fortschreitenden Überwindung der Polarität von Kirche und Welt selbst und zielt damit auf die Vollendung einer humanen Weltwirklichkeit und eines humanen Lebens überhaupt.14

12 13 14

auch für sein eigenes Votum, ebd., 179. Man beachte den Anklang an T. Rendtorffs Forderung einer „Freiheit zum Bestehenden“.) Ebd., 79 (als Interpretation von CG2 § 4). Ebd., 148. Ebd., 132f. Ersteres ergibt sich aus den §§ 126f. 148 u.a. der Glaubenslehre, letzteres muss für Gräb hingegen, weil dort nur in „verkürzender Einseitigkeit“ durchgeführt, Schleiermachers Predigten entnommen werden.

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Dem kann Gräb nunmehr eine spezifisch kulturprotestantische Zuordnung von Religion und Vernunft, von Christianum und Humanum abgewinnen, welche sich in der Person Jesu realisiert findet: „Die Person Jesu [...] ist [...] das den humanen Bildungsprozeß in der Einheit religiöser Selbstauslegung vollendende Subjekt.“15 Die Person Jesu ist zunächst zwar wohl als der exemplarische Realisationspunkt des normativen Begriffs frommer Selbstauslegung und seine Urbildlichkeit als Prinzip der Vollendung von Frömmigkeit zu bestimmen. Zu behaupten ist darüber hinaus dann aber auch, „daß hier eine Gestalt frommer Selbstauslegung zur geschichtlichen Gegenwart gelangt, die die freie Entfaltung humanen Vernunfthandelns nicht hindert, ihr vielmehr erst zu einer sich in ihrem Grund selbst verstehenden geschichtlichen Durchsetzung verhilft. Es ist dies insofern allerdings der Anfang einer geschichtlichen Entwicklung, der von der Selbstexplikation des religiösen Bewußtseins ausgeht und an sie gebunden bleibt.“16 Auf diesem Hintergrund impliziert Schleiermachers Rede vom „ewigen Vertrag“ nicht nur die Widerspruchsfreiheit von christlicher Frömmigkeit und humaner Vernunft, sondern zielt auf ein produktives Mitwirken der Frömmigkeit am Aufbau einer humanen Weltgestaltung.17 Damit lässt sich der Gehalt des von Gräb postulierten Verweiszusammenhangs in seiner Doppelseitigkeit erfassen: In der Blickrichtung einer allgemeinen Kulturtheorie erscheint die christliche Frömmigkeit als geschichtliche Realisierung einer dem humanen Vernunfthandeln struktural gegebenen Möglichkeit und bezieht daraus zunächst auch ihre Legitimität. Umgekehrt erhellt die Theorie der religiösen Selbstauslegung, dass das fromme Selbstbewusstsein mithilfe seiner Kirchlichkeit seine geschichtliche Selbstvoraussetzung, mithin die für es konstitutive Bedingtheit in kontingenter Geschichtlichkeit selbst verarbeiten kann.18 Die christologische Verlaufstheorie der Geschichte ist gegenüber einer allgemeinen Strukturtheorie zwar dadurch begrenzt, dass sie nur als rekonstruktive Darstellung der geschichtlichen Selbstdeutung christlichen Bewusstseins möglich ist, zugleich aber leistet sie für diese und für die sittlich-humane Vernunft überhaupt die Thematisierung ihrer geschichtlichen Selbstvoraussetzung. Die allgemeinethische Kulturtheorie verweist selbst auf eine geschichtliche Bedingt-

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Humanität, 134. Ebd., 135; vgl. auch 168. Ebd., 141. Ebd., 164f. 166: Der Kirchenbegriff steht für die „geschichtliche Haltung“ der Dogmatik, insofern er „den geschichtlichen Mitteilungszusammenhang bezeichnet, durch den die gegenwärtige Auslegung christlichen Bewußtseins sich mit ihrem geschichtlichen Ursprung zusammenschließt.“

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heit, welche erst durch die Selbstdeutung christlichen Bewusstseins und seiner rekonstruktiv-reflexiven Leistung zu erfassen möglich ist.19 Gräb wird unbeschadet späterer Erweiterungen an Grundeinsichten der dargelegten Theorie des Selbstbewusstseins und des Verweisgefüges von Religionstheorie und Kulturtheorie festhalten, wobei Letzteres durch einen allgemein-formalen Religionsbegriff eine stärkere Analogisierung erfährt. Von hier aus verdienen einige weitere Rückgriffe auf Schleiermacher dargelegt zu werden: a) Die grundlegende fundamentaltheologische Bedeutung des Verweiszusammenhangs für Gräbs ausgeprägte Religionstheologie wird besonders in dessen Aufsatz „Wahrnehmung gelebter Religion [...]“ (2000) deutlich, aus dem Teile dann in „Sinn fürs Unendliche“ übernommen wurden. Zumindest der Grundstruktur nach lässt sich in dieser Perspektive auch schon die Zuordnung von Religion und Alltagskultur bzw. von religiöser Erfahrung und ästhetischer Erfahrung erhellen. Die von E. Hirsch in seiner Theologiegeschichte beschriebene „Umformungskrise“ des Christentums vollzieht sich als eine Abwendung von dogmatisch-theologisch zu bearbeitenden Heilstatsachen – ein Sachverhalt, der in das Selbstverständnis der (neu-)protestantischen Theologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Eingang gefunden hat.20 Dies führte – für Gräb zu Recht – zu einer „neuzeitlichen Umbestimmung im Thema der Theologie“: Sie löste sich von ihrer dogmatischen Verfassung und wandte sich der primär ethischen Selbstbeschreibung des Christentums zu; die sittliche „Praxis der gelebten Religion“ wurde zum eigentlichen Thema. Damit rückte, von R. Rothe enzyklopädisch vollzogen, die Ethik in den Status der theologischen Fundamentaldisziplin auf, in deren Rahmen sich Religion als Sinneinstellung und Lebensform plausibilisieren ließ.21 Auf diesem Hintergrund zeigt sich für Gräb die „große Leistung Schleiermachers, daß er 1. die ethische Grundlegung der Theologie programmatisch ausformuliert hat, er 2. die Theologie insgesamt als die explizite Reflexionsgestalt der gelebten Religion [...] auf das kirchenlei-

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Ebd., 169f. 179. SfU 44f.; vgl. Wahrnehmung gelebter Religion, 114. SfU 45f. An dieser Stelle kann Gräb dann mühelos auch seine eigene Aufgabenbestimmung der Theologie einzeichnen: „Die Theologie ist in ihrer Arbeit darauf zu konzentrieren, die zugleich handlungsleitenden, religiösen Sinnorientierungen im Leben des Einzelnen, der Kirche und der Gesellschaft symbolisch zu repräsentieren.“ (Hervorheb. im Orig.)

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tende Handeln funktional bezogen hat und er 3. die Praktische Theologie als diejenige Methodenlehre kirchlichen Handelns entworfen hat, welche diese konsequent auf die Bildung und Förderung der ethisch verstandenen Christentumspraxis ausrichtet.“22 Das genannte Leistungsprofil ergibt sich dabei, wie unschwer zu erkennen ist, unter der Zugrundelegung der These von Gräbs Dissertation: Schleiermachers ethische Grundlegung prozediert auf der Ebene der Evidenz des Humanen, also des Allgemeingültigen, und zeigt, dass der neuzeitliche Begriff des zur Selbstgesetzgebung fähigen Menschen der religiösen Dimension humaner Lebensführung nicht entgegensteht, sondern vielmehr auf deren konstitutive Erschließungsleistung für diesen Menschen verweist. In einem Satz wird dabei die Theorie des Selbstbewusstseins rekapituliert und bekräftigt: „Schleiermacher hat gezeigt, daß die autonome humane Vernunft auch die religiöse Selbstauslegung mitvollzieht, weil diese die menschliche Freiheit in dem ihr transzendenten, sie prinzipiell ermöglichenden, göttlichen Grund thematisch macht.“23 Weil die Erschließungsleistung allein von der Religion erbracht werden kann, ist von einer „innere[n] Zusammengehörigkeit“ von humaner Ethik und Religion auszugehen. Konsequenterweise behält Schleiermachers allgemeine Bestimmung der Ethik eine Offenheit für kontingent geschichtliche, aber auch plural verfasste materiale Formungen von humaner Lebensführungspraxis, zu denen eben das Christliche gehört. Umgekehrt wird nun aber auch dieses Christliche an die human-neuzeitliche Bestimmung der Ethik zurückgebunden, d.h. seine materialen Gehalte müssen letztinstanzlich am Ort des individuellen Subjekts und seiner Selbstdeutung festgemacht werden.24 Für die Aufgabenbestimmung der Theologie ergibt sich daraus, die individuell gelebte Religion nicht von außen durch den Rekurs auf kritisch-normative Anspruchsgehalte reglementieren zu wollen, sondern als positiv gegebene religiöse Selbstdeutungsvollzüge aufzunehmen und zu vertiefen. Damit ist nicht nur bereits eine bedeutsame Funktion der sich als Kulturhermeneutik vollziehenden Religionstheologie benannt,25 eingeschlossen sind zunächst auch Erfordernisse für 22 23 24 25

Wahrnehmung gelebter Religion, 120. Ebd. Ebd. Der Text von: Wahrnehmung gelebter Religion, 121, wird in: SfU, 48, in diesem Sinn weitergeführt: „Aufgabe der Theologie ist es vor allem, die ethisch-religiösen Sinngehalte des Christentums zur Ausdrücklichkeit zu bringen. Die Theologie bringt die gelebte Religion in die symbolische Form. In der Ausbildung symbolischer Repräsentanzen, durch die Arbeit an der Sprache und den Bildern des Glaubens, nimmt die Theologie diejenigen ethischen Orientierungen und religiösen Sinndeutungsvollzüge auf, die in der Praxis gelebten Lebens bestimmend sind, und führt sie in ei-

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die Praktische Theologie selbst: Sie kann nur mit einer solchen theologischen Ethik bzw. einer solchen Religionstheorie kooperieren, welche nicht an dogmatischen Wissensgehalten bzw. dem „klerikalistischen Paradigma“ festhält. Sie würde ansonsten ihrem emanzipativem Selbstverständnis, welches seinerseits dem neuzeitlichen Verständnis des Menschen, wie es „zur Signatur des humanen Selbstbewußtseins in der Moderne geworden“ ist, folgt, nicht gerecht werden können.26 Gräb sieht freilich, dass eine solche Zuordnung der Praktischen Theologie zur Religion in der Kultur Schleiermachers Verständnis der Kirchlichkeit von Theologie überschreitet.27 Zur Veranschaulichung wurde an dieser Stelle die Linie von Gräbs Dissertation bis zu seiner Konzeption in „Sinn fürs Unendliche“ ausgezogen. Denn der Struktur eines Verweiszusammenhangs entspricht Gräbs Konzeption einer religionstheologischen Kulturhermeneutik dann überhaupt, insofern sie wie eine allgemeine Kulturhermeneutik sich als Verstehen symbolischer Formen vollzieht und damit Religion als zur Alltagskultur gehörend begreift, zugleich allerdings diese Symbolisierungen „im Blick auf ihren die Unbedingtheitsdimension ansprechenden Sinngehalt“ reflektiert und als für die individuelle Lebenssinnorientierung der Gegenwartskultur anschlussfähige interpretiert.28 b) Ein zweiter bedeutsamer und sich durchhaltender Rückgriff auf Schleiermacher betrifft Grundannahmen der Subjektivitätstheorie und der Theorie religiöser Mitteilung. Erstere muss, zusammenfassend formuliert, als Strategie der Autonomisierung von Religion durch deren Individualisierung und durch die Selbsttranszendierung ihrer symbolischen Deutungsformen aufgefasst werden. Gräb ist es dabei vor allem um den Gewinn dieser Strategie zu tun. Dieser besteht darin, „religiöse Individualität als religionsphilosophische und theologische Leitkategorie zur Beschreibung des Christentums in der Moderne“ nahe zu legen:29 Eine im inneren Selbstverhältnis des individuellen Subjekts vorauszusetzende Transzendenzgewissheit ermöglicht es, eine von symbolischer Gegenständlichkeit unterschiedene „unsichtbare Religion“ (Th. Luckmann) zu behaupten, die – für vor-

26 27 28 29

ne tiefere, kritisch-konstruktive Verständigung über sich. Die Theologie versucht so, Anstöße und Anregungen zu geben, mit deren Hilfe die Einzelnen zur besseren Klarheit über sich selbst und die Ausrichtung ihres Lebens finden.“ (Hervorheb. gestrichen) Wahrnehmung gelebter Religion, 121f. So der gegenüber ebd., 121, ergänzende Hinweis in: SfU, 48f. SfU, 68; vgl. LLS, 51f.; Wahrnehmen und Deuten, 46. Der kulturelle Umbruch, 175.

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dergründige empirische Umfragen gewissermaßen invisibel – gleichwohl eine für das individuelle Menschsein konstitutive Funktion innehat.30 Wie bereits erwähnt, ist für Gräb die Schleiermachersche Unterscheidung zwischen einer unmittelbaren Selbstvertrautheit mit vorsprachlichem, nicht-symbolischem Charakter und einer reflexiven Selbstdeutung mit bestimmt-symbolischer Form basal.31 Sie geht mit einem doppelstufigen Religionsbegriff einher, dessen innere Differenz durch Bezeichnungen wie Selbstgefühl und Selbstdeutung, Religion 1 und Religion 2, unsichtbarer und kulturell manifester Religion, subjektiver und objektiver Religion, Wesen der Frömmigkeit und deren symbolischer Ausdrucksform etc. markiert wird. Entscheidend ist auch hier die Zuordnung, wie sie schon in Schleiermachers Reden zum Ausdruck kommt: Als die ungegenständliche Beziehung auf das Unendliche ist das zuerst genannte Moment auf das zweite insofern angewiesen, als es sich nur in und durch es artikulieren kann. Umgekehrt gilt: Um den Ort der Entstehung Ersterer im generativen Prozess ansichtig zu werden, ist ein Rückgang, eine Negation dessen, was historisch-empirisch von ihr da ist, erforderlich. Religion ist eine „prozessual-dynamische [...] Selbstunterscheidung“ vom geschichtlich-kulturell Manifesten eigen; gerade die christliche vollzieht sich in „der Destruktion ihrer kulturellen Bestände, die zugleich die Rekonstruktion ihres Wesens als Anwendung der Negativität auf sich selbst ist“.32 In der subjektivitätstheoretischen Anwendung impliziert dies für Gräb, dass der funktionale Religionsbegriff von der Sozialisierungsfunktion auf die Individualisierungsfunktion umgestellt werden muss: „Die Religion kommt in dieser Sicht einer unaufhörlich arbeitenden Reflexionsmaschine gleich, als Arbeit an dem Selbstverhältnis, das wir sind, gerade und allein in der Unterscheidung von dem, was wir nicht sind.“33 Anders gesagt: Mit einer empirischen Analyse der „marginalisierten Restbestände institutionalisierter und individualisierter religiöser Praxis“34 bleibt man nicht 30

31 32 33

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Vgl. ebd., 174f.; SfU, 268f.; zum Verweis auf Th. Luckmann beispielhaft: Religion in der Alltagskultur, 38ff. (entspricht LLS, 55ff., vgl. dort auch 86ff.). Der freie und souveräne Umgang mit sowohl statistischem Material z.B. der großen EKD-Erhebungen als auch dogmatischem Anspruchsdenken ist als kontextuelles Motiv von Gräbs Theoriebildung (als bedeutsames Moment ihres „Sitzes im Leben“) wohl nicht gering zu veranschlagen. Zu Ersterem vgl. Institution und Individuum, 266. Vgl. LLS, 66ff.; SfU, 61f. 268f.; Auf den Spuren der Religion, 45 u.ö. Institution und Individuum, 264f. Ebd., 266. Dies in Abgrenzung von Luckmanns Fassung einer Sozialisierungsfunktion, welche den polemisch-emanzipativen Charakter der christlichen Religion missachtet. Ebd., 260.

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nur hinter dem in sich differenzierten Religionsbegriff Schleiermachers zurück, man wird so dem Vorkommen der religiösen Selbstdeutung im individuellen Leben auch kaum gewahr. Dazu bedarf es einer spezifischen Hermeneutik, welche diese Selbstdeutungen aus den Kommunikationsvorgängen und -medien, in welchen sie sich zur Darstellung bringen, erhebt. Das Schleiermachersche Programm religiöser Individualität steht – um dies bereits mit Gräbs programmatischen Formulierungen zu demonstrieren – insgesamt für eine Umformung der christlichen Religion, „wonach religiös sein heißt, eine sinnlich-vermittelte Selbstdeutung hinsichtlich des transzendenten Grundes endlicher, individueller Freiheit zu vollziehen. Religiös weiß ich mich in meinem eigenen Dasein dergestalt erschlossen, daß ich in der Beziehung zu Gott als dem transzendenten Sinngrund eine letzte Unabhängigkeit behaupte von allem, was mich in dieser Welt binden kann. Religion ist die spezifische Weise humaner Selbstdeutung, wonach ein Mensch durch alle natürlichen, geschichtlichen, gesellschaftlichen Bedingungen hindurchgehend, transzendierend, im Ungedingten sich begründet weiß.“35 Das Wort ‚Gott’ bezeichnet nicht mehr ein übernatürliches Subjekt, sondern ist Symbol für das im Selbstverhältnis präsente transzendentale Gefühl, eine „um unserer Humanität willen notwendige Projektion unserer Selbstdeutung als freie Wesen.“36 Und theologische Aussagen verweisen darum nicht auf eine der individuellen Subjektivität vorgegebene und externe Realität, sondern – in dieser Weise wird Schleiermachers funktionale religiöse Interpretation verstanden – sind „die symbolischen, der religiösen Kommunikation dienenden Zeichen der sinnorientierenden Selbstdeutung von Menschen.“37 Der Sachverhalt, dass das Subjektiv-Individuelle nach Symbolen und Kommunikationsmedien verlangt, zeigt bereits an, dass die subjektivitätstheoretischen Grundannahmen und Implikationen nicht einer solipsistischen Reduktion anheim zu stellen sind und darum der Zusammenhang von Individualität und Sozialität im Auge zu behalten ist. Das damit angedeutete Problemfeld wird vor allem bei der Untersuchung von Schleiermachers Theorie der Mitteilung im Rahmen von Gräbs Habilitationsschrift abgeschritten:38

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LLS, 133. Ebd. (Hervorheb. von H.-M. R.); vgl. SfU, 304ff. Zur Stellung Gräbs zur Feuerbachschen Projektionsthese weiter unten. LLS, 216. Die Studien mit dem Titel „Predigt als Mitteilung des Glaubens“ haben das Problem der Diskrepanz von prinzipieller und praktischer Homiletik, von dogmatischem Predigtbegriff und praktischem Predigtvollzug im Blick. In der Bearbeitung dieses

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Auf dem Weg zu einer spezifischen Operationalisierung der Mitteilung des Glaubens geht Schleiermacher davon aus, dass Religion sich über Akte des Symbolisierens in kommunikativen Sozialbeziehungen aufbaut, sie zugleich aber im „intimsten Selbstverhältnis des individuellen Subjekts“ ihren Ursprung hat.39 Das individuelle religiöse Bewusstsein drängt geradezu in seine interpersonale Mitteilung, weil es nicht nur des unhintergehbaren Gegründetseins in seinem Selbstverhältnis, sondern auch desjenigen der ganzen humanen Wirklichkeit gewiss wird – und diese ihm innewohnende vernünftige Allgemeinheit sich in der intersubjektiven Mitteilung realisieren kann und muss.40 Auf einer solchen Basis (und nicht von einem objektsprachlichen Verständnis aus) klärt Schleiermacher auch die Frage nach dem Übertragungsmechanismus bzw. dem Kommunikationsmedium: Wird Kommunikation im Sinne ‚individuellen Symbolisierens’ aufgefasst, wird darauf abgehoben, dass das Medium seine subjektive Bedeutung mit sich führt, ein an sich seiender mit objektiver Gültigkeit behaupteter Inhalt unabhängig vom symbolisierenden autonomen Subjekt also gar nicht in Betracht kommt.41 Schleiermachers Symbolverständnis erlaubt es vielmehr, die Übertragung des Nichtübertragbaren, die Anregung des Gefühls so zu denken, dass das Symbol das in ihm Symbolisierte nur dann freisetzt, wenn jeder Kommunikationsteilnehmer den Akt des Symbolisierens unvertretbar für sich selbst nachvollzieht und der Symbolgehalt von ihm entschlüsselt werden kann.42

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Problems, welche dem Durchgang durch die Konzeptionen von K. Barth, E. Hirsch und F. Schleiermacher (im Sinne einer Klimax) folgt, richtet sich die beharrliche Frage deshalb darauf, ob es gelingt, das als dogmatische Prämisse Formulierte in den praktischen Vollzug einzuholen (z.B. ebd., 44. 168. 185f. 211f. 240f.). In diesem Zusammenhang hat Schleiermachers Theorie der Mitteilung programmatische Bedeutung, insofern „die Frage danach, was eine Rede zur Predigt macht, [...] in den Kontext eingebracht [wird], in dem die Predigt faktisch vorkommt.“ Die Kritik von O. BAYER (Wortlehre oder Glaubenslehre? Gräb zitiert die Erstveröffentlichung in: Predigt, 172), Schleiermachers Rückgang hinter das Wortgeschehen und sein expressivdarstellendes Verständnis widersprächen der reformatorischen Auffassung von der Prävenienz des Wortes als verbum externum, wird von Gräb damit auf einer anderen Ebene loziert, auf welcher das eigentliche Problem, auf das Schleiermachers Theorie antworte, gerade aufgeworfen werde (ebd., 184f. 227. 229). Von daher gelte es vielmehr, den Vorzügen einer Überführung der Relation von Wort und Glaube in das interpersonale Mitteilungsgeschehen auf der Spur zu bleiben. Predigt, 187. Ebd., 189; vgl. 201. Ebd., 193f. Die darin beschlossene Diskontinuität neuprotestantischer Predigt zum reformatorischen Predigtverständnis und dessen subjektivitätstheoretische Reformulierung nimmt bereits in der Darstellung der Konzeption von E. Hirsch breiten Raum ein: ebd., 120ff. Ebd., 194. 196. Programmatisch aufgenommen in: Der eigene Zugang zum Christentum, 217 (entspricht LLS, 261): Vorzüglich wird an dieser Deutung der Mitteilung

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Auch in diesem Zusammenhang zeigen sich bereits Elemente von Gräbs eigener Konzeption: Wird Selbstverständigung als Selbstdarstellung und damit zugleich als eine die Intersubjektivtät herstellende begriffen, bedeutet das umgekehrt, dass diese daran gebunden ist, „daß das Medium, in dem sie ihre Darstellung findet, die Akte je individueller Selbstverständigung freisetzt und fördert.“43 Die plurale und „je eigenaktive Transformation des symbolisch Repräsentierten“ ist für diese unter den Bedingungen neuzeitlichen Autonomiebewusstseins entworfene Kommunikationsform konstitutiv.44 Das später bedeutsame Verflüssigungstheorem wird ebenfalls bereits an diese Schleiermacherinterpretation angeschlossen: Die Plausibilität für das Selbstverhältnis des individuellen Subjekts wird in der Weise zum Kriterium der Auslegung von religiösen Symbolgehalten (sowie von theologischen und dogmatischen Aussagen), dass diese „wieder zu verflüssigen und an den Ort des sich in ihnen erfassenden humanen Bewußtseins zurückzubringen“ gefordert wird.45 Unterbestimmt ist Schleiermachers Verständnis des Predigtakts für Gräb insofern, als die bereits skizzierte sich in der Negation des Vorfindlichen sich vollziehende religiöse Selbstunterscheidung nicht mehr auf die Subjektivität des Predigers selbst angewandt wird – an dieser Stelle ist seiner Meinung nach E. Hirschs subjektivitätstheoretische Reformulierung der reformatorischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wegweisend.46 c) Der Rückgriff auf Schleiermachers Kirchenverständnis, welcher hier nur hinsichtlich einiger ausgewählter Grundelemente bedacht werden soll, wirkt durch den Vergleich mit dem Kirchenverständnis K. Barths profiliert.47 Theologie in ihrem funktionalen Bezug auf die Le-

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des Glaubens gewertet, dass sie nicht als Verhinderung von einer in der Wahl von Lebensdeutungsangeboten in Anspruch genommenen Autonomie zu stehen kommt. Vgl. Liberale Theologie, 129. Predigt, 200. Vgl. ebd., 201. Ebd., 202, dort die Fortsetzung: „An diesen Ort zurückgebracht, müssen sie dann aber auch die sich in ihnen erfassende und zur Auslegung bringende Subjektivität immer mit sich führen.“ Vgl. SfU, 214f.! Predigt, 256, vgl. 261ff. Erhellend ist für Gräb die Meditationstheorie von E. Hirsch, gemäß derer die antinomische Struktur des Gottesverhältnisses (Gesetz – Evangelium) sich in der Prozessualität des meditativen Aktes (der Predigtmeditation) abbildet. Von daher kann eine Predigt als Selbstdarstellung niemals darin bestehen, das im Bewusstseinsinneren Vorhandene lediglich nach außen zu kehren. Vgl. ebd., 148156. Die drei Aufsätze: Aktion (1989), Die sichtbare Darstellung (1989) und Karl Barths Ekklesiologie (1991) zeichnen sich – gegenüber den späteren polemischen, weitgehend auf der Linie der Kritik von F. Wagner sich bewegenden Abgrenzungen von

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benswirklichkeit der Kirche als kritische Theorie zu begreifen, dies verbindet dabei beide Entwürfe ebenso wie das grundsätzliche Interesse an der sichtbaren Sozialgestalt von Kirche.48 Mehr noch: Beide folgen im neuzeitlichen Denkhorizont auch einem funktionalen Kirchenbegriff, der auf die „sichtbare Darstellung der Versöhnung“ abzielt. Die Unterschiede treten dann in der theologischen Durchgestaltung zutage, insbesondere in der Fassung und im Stellenwert der Pneumatologie: Den „Heiligen Geist“ als „Gemeingeist“ zu verstehen erlaubt es Schleiermacher, dessen Werk auch in der Faktizität des Geschehens, also im Medium von interpersonalen Kommunikationsprozessen und als Faktor im geschichtlich-kulturellen Prozess zu reflektieren.49 Weil für Barth hingegen das Wesen der Kirche auf der Ebene soziohistorischer Realisierung – aufgrund der auf dieser Ebene immer gegebenen Zweideutigkeit und Verhüllung – nicht gefasst werden kann, wird zwischen beiden die Zuordnung von kulturtheoretischer bzw. soziologischer Außenperspektive und theologischer Innenperspektive strittig.50 Für Schleiermacher gilt nun, dass er auf gesellschaftliche, ethischpolitische Funktionszuschreibungen, wie sie im Rahmen des landesherrlichen Kirchenregiments Bestand hatten, mit einer harschen Kritik antwortete. Gleichwohl verband er diese schon in seinen „Reden“ mit einem Rückgang auf die – „in ihrer unersetzbaren Leistung für die

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Barths Theologie in LLS und SfU – dadurch aus, dass die Strukturanalogien in den Konzeptionen von Schleiermacher und Barth konturiert und auf deren Hintergrund die differenten Momente dann auch in ihrer intentionalen Ausrichtung erfasst werden. Die ersten beiden Aufsätze unterscheiden sich nur in Variationen. Aktion, 237f. Ebd., 252. 258; damit führt Gräb eine Einsicht seiner Habilitationsschrift weiter. Die sichtbare Darstellung, 246f. Mit Recht notiert Gräb, dass für beide die Unterscheidung der Perspektiven selbst nicht strittig ist. Bei Barth wird eine asymmetrische Zuordnung festgestellt und dabei das Motiv der Zweideutigkeit in Anschlag gebracht. Unzureichend erfasst ist von Gräb jedoch der innere Begründungszusammenhang hierfür: Barths Ablehnung einer empirisch identifizierbaren Sozialgestalt (Schleiermacher) und sein Beharren auf ihrer allein theologischen Identifizierbarkeit – also seine methodische Überordnung des theologischen Innenaspekts – folgt einem fundamentaltheologischen Grundsatz, welcher der christologischen Figur der Anhypostasie und daher einem spezifischen Wirklichkeitsverständnis entspricht. Da diese in den Prolegomena (KD I/2, 233ff.) bereits auf die Kirche angewandte (in der Tat: asymmetrische) Denkfigur in den späteren Teilen der Ekklesiologie von Barth nicht mehr expliziert wird, gleichwohl aber der inneren Begründungsstruktur zugrunde liegt, erweist sich Gräbs Beschränkung der Textbasis (ebd., 245, Anm. 47) als nachteilig. Weit unschärfer wirkt die Barthinterpretation in: Karl Barths Ekkesiologie, 44f.: Barths funktionale Bestimmung des Kirchenbegriffs erfolge strikt theologischchristologisch, so dass die Frage nach der soziohistorischen Realisationsgestalt marginalisiert würde, dies im Kern eine „Entinstitutionalisierung“ und eine „Enthistorisierung“ bedeute (vgl. schon: Die sichtbare Darstellung, 248).

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Selbstdeutung der Menschen“ zum humanen Lebensvollzug gehörende – Religion und entwarf von ihrem Mitteilungsbedürfnis aus sein ekklesiologisches Modell.51 Dieses Modell ermöglicht es nicht nur, die Kritik am institutionell erstarrten Kirchentum in eine kulturtheoretische Perspektive einzuholen und auf dem Hintergrund einer allgemeinhumanen Theorie gesellschaftlicher Interaktion zu plausibilisieren, es zielt darüber hinaus auf eine empirisch identifizierbare Sozialgestalt von Kirche, insofern die Gemeinschaft des Glaubens in der Vermittlung ihrer geschichtlichen Realisationsgestalten aufgefunden und bestimmt werden kann.52 Die Troeltschinterpretation von Gräb schließt sachlich an seine Arbeiten zu Schleiermacher an und führt diese so fort, dass auf der einen Seite insbesondere die frühen religionstheologischen und kommunikationstheoretischen Ansichten Schleiermachers, aber auch seine allgemeinkulturtheoretischen Ansichten aufgenommen werden können. Auf der anderen Seite wird dessen Verständnis von der Wesensbestimmung des Christentums, vom transsubjektiv-kirchlichen Status der Dogmatik oder auch dessen enzyklopädische Zuordnung der Disziplinen zum Zweck einer neuzeitlichen Aktualisierung – nun eben mit Hilfe einer Troeltschrezeption – modifiziert. Ausgangspunkt ist dabei zunächst, dass Schleiermacher und Troeltsch ein neuprotestantisches Kirchenverständnis verbindet, für welches Kirche einer doppelten Betrachtungsweise, einer kulturtheoretischen und einer theologischen, zugänglich ist.53 Ihre liberale Auffassung zeigt sich – wie soeben gegenüber Barths Ekklesiologie kenntlich gemacht – darin, den Prinzipien und Anforderungen liberal geprägter humaner Gegenwartskultur, z.B. dem „Recht der Subjektivität auf die eigene Gestalt religiöser Selbstauslegung“, einen Einfluss auf die innere, theologische Perspektive von Kirche zuzugestehen.54 Troeltsch unterscheidet sich von Schleiermacher allerdings dann darin, in welcher Weise er den erschwerten Bedingungen theologischer und kirchlicher Anspruchsgehalte angesichts eines zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierungsgrads, angesichts der Individualisierung und Pluralisierung der Erwartungsprofile und angesichts des gesteigerten historischen Bewusstseins Rechnung getragen hat: nämlich durch das Leitbild einer Kirche, die ihre religiösen Lebensformen und ihre tradierten Lehrgehalte im Blick auf die Pluralität der 51 52 53 54

Aktion, 241. Hier ließe sich die Linie zur These einer Kirche, welche es um der Religion der Menschen willen bedürfe, weiterführen: vgl. LLS, 46. Vgl. Die sichtbare Darstellung, 240ff. Liberale Theologie, 131, Anm. 8. Ebd., 139.

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religiösen Erwartungsprofile „applikationsfähig“ hält und in gegenwartsrelevante Gehalte umzuformen bereit ist.55 Gräb verweist dazu auf Troeltschs dynamisierter und subjektivierter Auffassung einer Wesensbestimmung des Christentums und auf seine enzyklopädische Ortsangabe der „Dogmatik als Stück der praktischen Theologie“.56 Da für Gräbs eigene Konzeption höchst bedeutsam, soll das hiermit grob Skizzierte im Blick auf das Kirchenverständnis und auf den Theologiebegriff (die enzyklopädische Aufgabenbestimmung) im Folgenden etwas näher ausgeführt werden. Ähnlich dem frühen Schleiermacher fasst Troeltsch Kirche und individuelle Religion einerseits als Gegensatz, hält aber andererseits an einer notwendigen Verknüpfung beider fest („antinomisches“ Verhältnis).57 Der konstruktive Umgang mit diesem Sachverhalt besteht deshalb nicht in einer Loslösung der individuellen Religion von der Kirche, sondern darin, vom Angewiesensein des religiöses Subjekts auf Mitteilung auszugehen und diesem entsprechend die institutionell organisierte Volkskirche zu gestalten. Die einem liberalen Kirchenverständnis zugehörige Ambivalenz drückt sich dann darin aus, dass das religiöse Individuum seine Selbständigkeit in der Gestaltung der religiösen Selbstauslegung geltend macht, zugleich aber gegebener Vorstellungsgehalte, mithin eines (kirchlichen) Lieferanten von – auf das individuelle Selbstauslegungsinteresse applikationsfähigen – Deutungen bedarf.58 Liberale Theologie bleibt daher selbst in einer spezifisch funktionalen Weise auf die Kirche bezogen: „Liberale Theologie braucht die Kirche zur Sicherung ihrer Identität und zum Zwecke der sowohl flexiblen wie plausiblen Fortschreibung der von ihr zu erbringenden religiös-moralischen Deutungskultur.“59

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Ebd., 130; vgl. Dogmatik als Stück der Praktischen Theologie, 167. Illustrativ für Gräbs Umsetzung dieser Überzeugung im Rahmen der modernen Mediengesellschaft ist SfU, 167! Dogmatik als Stück der Praktischen Theologie, 484. LLS, 80-82; vgl. oben, 1.1.4. Denn, so in: Liberale Theologie, 135, der religiöse Individualismus bringt „es seinerseits allein durch sich selber nicht zu einer interpersonal plausiblen religiösen Deutungskultur, nicht zu einer stabileren Gemeinschaftsbildung, nicht zu einer solidarischen Praxis und erst recht nicht zu einer geschichtlich dauernden, die gesellschaftsöffentliche Wirksamkeit der Religion sichernden Kirchenorganisation.“ Vgl. LLS, 84. 91. Liberale Theologie, 141 (Hervorheb. von H.-M. R.). Damit ist man bereits bei Gräbs Auffassung von Kirche als „Ort religiöser Deutungskultur“ angelangt (vgl. den gleichnamigen Aufsatz „Kirche als Ort religiöser Deutungskultur“; LLS, 79ff.). Gegenüber der damit angezeigten Vorherrschaft eines funktionalen Deutungsverständnisses (welches auch für den Glaubensbegriffs bestimmend ist; vgl. Pluralisierung des Religiösen, 193) ist bei Troeltsch die Differenziertheit seiner Auffassung

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Es entspricht für Gräb dem liberalen Kirchenverständnis, dass das skizzierte Anforderungsprofil auf die innere theologische Betrachtungsweise durchschlägt, genauer gesagt: der dogmatische Kirchenbegriff aufgelöst oder zumindest umgedeutet wird. Von weitreichender fundamentaltheologischer Bedeutung für den gesamten Ansatz von Gräb ist es hierbei, wenn folgender Zusammenhang postuliert wird: „Erst wo der dogmatische Begriff der Kirche als einer übernatürlichen, mit dem Offenbarungsgeschehen selber gesetzten Stiftung Christi zumindest erheblich abgeschwächt ist, wo Kirche selber in ihrem historisch-soziologischen Entstehungszusammenhang als eine relative Größe gesehen und mit anderen religiösen Organisationsformen in Geschichte und Gegenwart vergleichbar wird, wird die Öffnung der Kirche für den religiösen Individualismus und Pluralismus in einem nicht nur schicksalhaften, sondern offensiv-programmatischen Sinne möglich.“60 Damit wird ein allein limitatives Verhältnis der beiden Perspektiven einer „liberalen“ Theoriebildung zugrunde gelegt; andere Verhältnisbestimmungen wie eine differenztheologische oder eine reziproke bleiben außen vor.61 Notiert wird allerdings, dass Troeltsch einen Konvergenzpunkt mit dem reformatorischen Kirchenbegriff festhält: den Gnadengedanken. Dieses geschieht freilich nun nicht, ohne ihn jedes supranaturalistischen Charakters zu entkleiden und ohne ihn einer für die subjektivitätstheoretische Deutung offenen Umformung zuzuführen. Ihr zufolge drückt der Gnadengedanke dann den Sachverhalt aus, dass religiöse Sozialität nicht durch die Leistung von Individuen hervorgebracht und getragen wird, sondern als geschichtliche Tradierungsinstanz diesen Individuen vorgeordnet ist.62

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von Glaube bzw. Religion als „Vorstellungsdeutung“ beachtenswert. Denn Troeltsch ist sich, wie bereits erwähnt, dessen gewahr, damit lediglich ein Erkenntnismoment begrifflich ausgesondert zu haben, während für das substantielle Verständnis von Glaube bzw. Religion ein dynamisches Moment der Erfüllung mit Gotteskraft konstitutive Bedeutung hat. So verwundert es auch nicht, dass Troeltsch dezidiert von diesem Gedanken aus den Punkt seiner Übereinstimmung mit dem theologischen Kirchenbegriff der Tradition demonstrieren kann: Die religiöse Lebensmacht, welche den Glaubenden in ihrer Lebenserfahrung manifest ist, wird in der Kirche als dem von „Jesus ausgehenden Lebenszusammenhang“ geweckt (vgl. E. TROELTSCH, „Kirche“, 1153f.). Liberale Theologie, 137. Eingängig umgesetzt beispielsweise in den Reformvorschlägen in: SfU, 258f.! Eine limitative Bestimmung geht davon aus, dass die Bestimmung (die Erweiterung) eines Moments die Beschränkung des anderen impliziert. Exemplarisch für eine reziproke Bestimmung sei auf die Ethik D. Bonhoeffers verwiesen (vgl. oben, 1.1.6.). Liberale Theologie, 139f.

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Der Ausgangspunkt einer limitativen Verhältnisbestimmung liegt nun auch der enzyklopädischen Ortsbestimmung von Dogmatik und Praktischer Theologie zugrunde: Troeltsch wird dafür in Anspruch genommen, die Emanzipation der Praktischen Theologie von einer ekklesiologischen Grundlegung bzw. von einem „dogmatisch-nomothetischen Deduktionismus“ in eine solche enzyklopädische Ortsanweisung von Dogmatik und Praktischer Theologie überführt zu haben, welche diese für individuelle und pluralisierte religiöse Erfahrung öffnet und zugleich das normative Problem nicht umgeht.63 Das Erfordernis einer solchen Umstellung bzw. einer veränderten Aufgabenbestimmung ergab sich schlicht daraus, dass die Dogmatik ihren Status als transsubjektiv verbindliche kirchliche Lehre unter den Bedingungen der zunehmenden Individualisierung und der Pluralisierung der Erwartungsprofile weitgehend eingebüßt hatte. Troeltsch reagierte auf diese gegenüber Schleiermachers Grundannahmen verschärften Problemkonstellation mit einer jenen Erwartungen und Bedürfnissen Rechnung tragenden Subjektivierung in der Wesensbestimmung des Christentums und mit einer offensiven Integration der Dogmatik „in eine erfahrungsoffene, der kirchlich-gesellschaftlichen Gegenwart konstruktiv zugewandte und mit produktivem Gestaltungsinteresse an ihr teilnehmende Praktische Theologie.“64 Das bedeutet: Die Identitätsbestimmung des Christlichen kann nicht – wie dies die dialektische Theologie meinte annehmen zu können – durch den unvermittelten Rekurs auf Schrift und Bekenntnis, gleichsam an den Bedingungen und Bedürfnissen des gegenwärtig neuzeitlichen Bewusstseins vorbei, vollzogen werden. Die zu einer kritisch handhabbaren Norm führende Wesensbestimmung hat vielmehr ihrer historischen Vermittlung ansichtig zu bleiben; zu ihr gehört eine persönlich zu verantwortende subjektive Wertentscheidung für das, was als christlich soll gelten und sich durchsetzen können.65 Dem zuletzt genannten Sachverhalt entspricht es, dass Dogmatik nicht mehr als Wissenschaft aufzufassen ist, sie hat mit ihrem bekenntnishaft-subjektiven Charakter vielmehr selbst eine praktisch-pädagogische Funktion inne. Dies ermöglicht nun zu sagen, dass die Praktische Theologie sich nicht an eine ihr externe Dogmatik bindet, sondern aufgrund ihres der Gegenwart verpflichteten Gestaltungsinteresses und ihrer normativen Orientierungsfunktion die solchermaßen definierte dogmatische Aufgabe als Teil ihrer eigenen Aufgabenbestim-

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Dogmatik als Stück der Praktischen Theologie, 476. 484. 487. Ebd., 490. Liberale Theologie, 142-144.

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mung zu begreifen hat.66 Die Praktische Theologie muss in einem gewissen Sinne selbst dogmatisch werden. Wie gestaltet sich aber eine Dogmatik, wenn sie nicht mehr als transsubjektive Bestandsaufnahme kirchlicher Lehre, sondern als eine Entfaltung gegenwartsrelevanter christlicher Gehalte verstanden werden muss, in welcher das subjektive Urteil des wesenhaft Christlichen zur Ausführung gebracht wird? Gräb grenzt sich von H.-J. Birkners Behauptung der Glaubenslehre Troeltschs als einer bloßen „Privatdogmatik“ ab und besteht – sofern sich nun die dogmatische Aufgabenbestimmung von der Praktischen Theologie her ergibt – auf ihrer „kirchliche[n] Brauchbarkeit“.67 Denn sie nimmt die Pluralität der individuell gelebten Religion und deren Selbstauslegung so in den Verständigungsprozess über die gegenwartsrelevante Bedeutung christlicher Gehalte hinein, dass das in der „Glaubenslehre“ Entfaltete zwar einem subjektiven Urteil folgt, zugleich aber zwei Funktionen erfüllt: Es vermittelt lebensdienliche und tragfähige Deutungsangebote, die sich für die Erfahrungssubjektivität als aneignungsfähig erweisen sollen und im Rahmen dieser Funktion auch von Schrift und Bekenntnis Gebrauch machen.68 Es präsentiert diese Deutungszuschreibungen aber zugleich in einer solchen Weise, dass sie als konsensfähiges Konzept über das aktuell verbindliche Selbstverständnis des Christlichen und seiner gegenwartsrelevanten Gehalte erscheinen können.69 Gräb markiert dabei selbst die Stelle, an der seiner Meinung nach die Praktische Theologie dogmatisch zu werden und Rechenschaft abzugeben hat: Es ist die religiöse Gewissheit, welche selbst Praxis konstituiert und auf transsubjektive Verbindlichkeit drängt.70

2.1.2. Gegenstand einer religionstheologischen Kulturhermeneutik: gelebte Religion in der Kulturwelt Wie im vorigen Abschnitt ersichtlich wurde, lassen sich bedeutsame Elemente der Konzeption Gräbs als Ergebnisse theologiegeschichtlicher Rekonstruktionen erhellen. In diesem Abschnitt soll der Blick nun auf 66 67 68

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Dogmatik als Stück der Praktischen Theologie, 487. Ebd., 490. Liberale Theologie, 145: Für Gräb gehört die Substitution der die normativ-kirchliche Autorität von Schrift und Bekenntnis auslegenden Dogmatik durch eine auf die Reflexion religiöser Gegenwartserfahrung gerichteten Glaubenslehre zum Kennzeichen liberaler Theologie. Dogmatik als Stück der Praktischen Theologie, 490-492. Ebd., 491. Er verweist dazu auf seine eigene Auffassung der Rechtfertigungslehre als Konstitutionstheorie von praxisfähiger Subjektivität in: Selbsttätiger Glaube.

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den ausgeführten Gesamtentwurf gerichtet werden. Er zeichnet sich schon dadurch aus, dass das, wofür bei Schleiermacher eine ethischreligiöse Grundlegung der Theologie, bei Troeltsch eine religionsphilosophische stand, in eine spezifische Form von religions- und kulturtheoretischer Grundlegung gebracht wird. Die Aufgabe von Systematischer und Praktischer Theologie wird auf dieser Basis im Sinne einer religionstheologischen Kulturhermeneutik bestimmt, als Arbeit am existentiell-religiösen Deutungssinn des christlichen Symbolsystems.71 Zur weiteren Annäherung lässt sich diese Aufgabenbestimmung als eine dreigliedrige auseinanderlegen, welche die entscheidenden und im Folgenden zu explizierenden Begriffe zum großen Teil bereits enthält:72 Als religionstheologische Kulturhermeneutik muss sich Theologie 1. in Gestalt einer religiösen Phänomenologie und einer Hermeneutik gegenwärtiger Kultur der Wahrnehmungsaufgabe gelebter Religion so stellen, dass sie der vielfältigen Verflüssigung von Religion in der Kultur Rechnung trägt; d.h. sie muss den aufs Unbedingte gehenden, nichtgegenständlichen Sinngehalt als implizite subjektive Religion aus ihren gegenständlichen, symbolischen und medialen Repräsentationen der Kultur zuerst erschließen. Sie muss 2. als Konsequenz aus der Transformation des Christentums ins Säkular-Kulturelle nun ihrerseits mit einer sprachlichen Verflüssigung christlicher Symbolbestände, mit einer Entsubstantialisierung und religiös-funktionalen Interpretation biblischer Begriffe antworten, damit diese sich für das subjektive Selbstdeutungsverlangen als resonanz- und anschlussfähig erweisen können. Sie bleibt darum 3. unbeschadet der Weite ihres religiös-kulturellen Gegenstandsbezugs in handlungstheoretischer Fokussierung auf die explizit religiöse Praxis der Kirche bezogen und will dieser zu lebenskundlicher Deutungskompetenz humaner Sinnerwartungen und zu tragfähigen religiösen „Anschluß-Kommunikationen“, mithin zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe als „religiösem Dienstleistungsunternehmen“ verhelfen.73 Diese Zusammenfassung lässt bereits deutlich werden, dass die Überführung der Theologie in die Gestalt einer religionstheologischen Kulturhermeneutik einem Verflüssigungstheorem folgt, welches auf der subjektivitätstheoretischen Fassung eines prinzipiell-anthropologi-

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Vgl. Wahrnehmen und Deuten, 43. 46; Praktische Theologie als religiöse Kulturhermeneutik, 106; auch: Religion in der Alltagskultur, 41f. Vgl. zum Folgenden die dreigliedrige Zusammenfassung in: Praktische Theologie als Praxistheorie, 37 (vgl. ebd., 50), und die weiteren Darstellungen in: LLS, 50ff. 91f.; Praktische Theologie als religiöse Kulturhermeneutik, 86ff.; Wahrnehmen und Deuten, 43ff.; SfU, 25ff. (entspricht: Die ambivalente Suche, 17ff.) und v.a. 61-69! Vgl. SfU, 175. 253.

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schen und transzendentalen Religionsverständnisses aufruht.74 Dieses soll um seiner fundamentaltheologischen Bedeutung willen im nächsten Abschnitt 2.1.3. eigens vertieft werden. An dieser Stelle ist der Begriff von Religion und auch der Begriff von Kultur lediglich insoweit zu explizieren, dass das erste Moment der skizzierten Aufgabenformulierung einer Kulturhermeneutik, nämlich die Erschließung des aufs Unbedingte gehenden Sinngehalts aus seinen symbolischen Repräsentationen der Kultur, zur Darstellung gebracht werden kann. Zu 1: Für Gräb ist „Theologie nach Kant nur als ReligionsTheologie möglich.“75 Das soll zunächst heißen: Sie findet ihr Thema und ihren Gegenstand in der gelebten Religion der Menschen und begreift theologische Sachinhalte als Ausdruck ihrer religiösen Selbstthematisierung bzw. Selbstauslegung.76 Für das damit anvisierte Verständnis von gelebter Religion ist die bereits erwähnte kritische Selbstunterscheidung (unsichtbare – kulturell-manifeste Religion) von großer Bedeutung. Sie ermöglicht es, die Präsenz der Religion von den äußeren Formen menschlichen Selbst- und Weltumgangs abzuheben und der geschichtlichen Veränderung durch Subjektivierung und Privatisierung Rechnung zu tragen. Die innere Differenz im Religionsbegriff erlaubt es so zugleich, Säkularisation nicht mit Religionslosigkeit gleichzusetzen, sondern vielmehr Religion „auch im säkularen Gewand ihres Erscheinens als Nicht-Religion“ zu erschließen.77 Das gilt insbe74

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Gräb kann die Verflüssigung im Anschluss an Th. Luckmanns Rede von der unsichtbaren Religion mit dem religionssoziologisch bearbeiteten Thema der Individualisierung in Zusammenhang bringen und sie zum Ausgangspunkt seiner Religionstheologie erklären: „Hier wird [...] von einer Verflüssigung der Religion ins Religiöse ausgegangen.“ (SfU, 246, Anm. 4; vgl. H. KNOBLAUCH in der Vorrede zu Th. Luckmann, Die unsichtbare Religion, 7: „Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse“.) Von daher ist Gräbs Theoriebildung dem religionssoziologischen Streit um die Möglichkeit eines verinnerlichten bzw. subjektivierten Religionsbegriffs (bzw. dessen Verabschiedung) nicht entnommen. Andererseits ergibt sich das, was als unsichtbares, nicht-gegenständliches Religiöses begriffen wird, erst durch das Visibilisierungsverfahren einer Hermeneutik, welche von dem genannten subjektivitätstheoretischen, transzendentalen Religionsbegriff ausgeht (vgl. SfU, 30. Ausgeführt ist dieser Zusammenhang v.a. in den Aufsätzen: Der hermeneutische Imperativ; Auf den Spuren der Religion). Deshalb ist es in der wissenschaftstheoretischen Beschreibungsperspektive angebracht, für den Verflüssigungsgrundsatz den Status eines Theorems anzusetzen und den subjektivitätstheoretischen und kulturanthropologischen Annahmen den Status einer axiomatischen Grundlegung zu belassen (vgl. die in SfU, 55, notierte Entsprechung in der Kulturtheorie Schleiermachers). Die Abgrenzung Axiom vs. Theorem ist im modernen Wissenschaftsverständnis überdies ohnehin durchlässiger geworden; vgl. W. STELZNER, „Axiom / Axiomatik“, 110. SfU, 18. Ebd., 45; vgl. LLS 28; Religion der freien Einsicht, 220. Praktische Theologie als Praxistheorie, 50; vgl. LLS, 42. 297f. Die Alternative wird in einer bibel- und vergangenheitsorientierten Theologie gesehen, welcher prophezeit

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sondere dann, wenn – wie Gräb es bereits in seiner Dissertation vorgeführt hat – der religiöse Vollzug von den Konstitutionsbedingungen der humanen Vernunft her verstanden und dementsprechend definiert wird: „Die Religion muß sich begreifen als Selbstthematisierung der humanen Vernunft in dem ihr eigenen Unbedingtheitshorizont, in den ersten Gründen und letzten Zwecken ihres Daseins und ihrer Praxis [...]“78 Christliche Religion in der Moderne ist wesentlich Selbstthematisierung der Individualität des einzelnen Menschen. Diese Selbstthematisierung vollzieht sich dabei nun nicht als Arbeit an einer Wirklichkeitsauffassung, sondern als Arbeit an der Sinnbestimmtheit menschlichen Lebens.79 Sinn meint ein bewusstes Sichbeziehen im Selbst- und Weltverhältnis des Menschen, ein reflexives Sichverhalten zu den Gründen und Zwecken des Lebens.80 Die Verortung der Religion in der Sinnarbeit des Individuums überschreitet jeden Ausgrenzungsversuch eines bestimmten kulturell-gesellschaftlichen Sinngebiets. Schon aus diesem Grund kann Theologie sich nicht nur als Funktion der Kirche begreifen.81 Religion ist als mentale Sinneinstellung vielmehr eine der menschlichen Kulturwelt als einer sinnhaft erschlossenen Welt konstitutiv zugehörende Sinndimension – eine Sinndimension, welche sich dadurch auszeichnet, dass der Mensch sich zum sinntranszendenten Grund seines sinnbewussten Selbst- und Weltumgangs deutend verhält.82 „Religion ist die aller Kulturpraxis inhärente Sinndeutung, sofern diese die immer partikularen und fragmentarischen Erfahrungen in ein Ganzes des Sinns integriert.“83 Die so gefasste Definition verhilft zur Präzisierung des Verflüssigungstheorems: „Die Religion hat sich ins Religiöse verflüs-

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wird: „Die Theologie wird weiter ins wissenschaftliche Abseits geraten. Sie wird ihren Gegenstand an die Religionssoziologie, -psychologie, -wissenschaften verlieren. Sie wird weiterhin auch zur Religionsunfähigkeit der Kirchen beitragen, wenn sie die religiösen Interessen der Zeit nicht erkennen lernt. Dem wissenschaftlichen Reputations- und kirchlichen Resonanzverlust der Theologie ist nur dadurch zu wehren, daß sie entschlossen die Religion als ihr genuines Thema zurückgewinnt.“ (Vorwort, 10f.) LLS, 291; vgl. SfU 47. Vgl. die deutlichen Alternativsetzungen in: LLS 214f.; SfU, 63f. 148. 182. 194f. (Umstellung der Religion von Substanz auf Funktion). Zum Sinnbegriff: LLS, 13ff., Wahrnehmen und Deuten, 43f. LLS, 40. Wie gleich zu sehen sein wird, liegt es im Duktus der Cassirerinterpretation Gräbs, wenn gesagt wird, der Mensch bediene sich dabei zwar mythisch-gegenständlicher Vorstellungen, aber nur zum Zweck seiner religiös produktiven Deutungsarbeit, vgl. Wahrnehmen und Deuten, 44. SfU, 30.

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sigt. Sie ist immer weniger eine apart gesetzte Sinnwelt. Sie steht für eine Sinndimension in den funktional differenten, eigenständigen Sphären von Wissenschaft und Kunst, Wirtschaft und Politik.“84 Es ist dabei wichtig zu sehen, dass Gräb diese Verflüssigung nicht nur im angezeigten Sinne anthropologisch-kulturtheoretisch, sondern auch christentumsgeschichtlich d.h. genetisch begründen kann. Die in die Individualitätskultur verflüssigte Religion wird dann als Resultat der protestantischen Christentumsgeschichte aufgefasst.85 Im neuzeitlichen Sinndeutungsverlangen, im Sinnvergewisserungsinteresse des Individuums artikuliert sich diejenige Dimension der Kultur, welche als (verflüssigte) Religion begriffen werden muss. Anders gesagt: Die Entsprechung von Religion und Kultur befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium, so dass die Reservierung einer auf das Sinnganze ausgerichteten Unbedingtheitsdimension allein für die Religion obsolet geworden ist. Denn auch die Alltags- bzw. Medienkultur ist zur Erbringung religiös letztinstanzlicher Sinnleistungen fähig, welche denjenigen des kirchlichen Religionssystems funktional äquivalent sind.86 Die Bandbreite umfaßt dabei – in Anknüpfung an Unterscheidungen Th. Luckmanns – die Bewältigung kleiner und mittlerer Transzendenzen, während lediglich große Transzendenzen die Präsenz eines spezifischen Religionssystems erforderlich scheinen lassen.87 Dessen unbeschadet kann für die Entsprechung von Kultur und Religion weiterhin gelten: „Die alltagspraktisch relevante Kultur lebensgeschichtlicher Sinndeutung ist Religion in der Alltagskultur, sei sie nun von größerer oder geringerer Transzendenzspannweite.“88 Vorbild für die Einordnung der Religion in die Kultur, dies ist bereits deutlich geworden, ist Schleiermachers philosophische Ethik. Der für die Gegenständlichkeit der Theologie maßgebliche doppelte Religionsbegriff ist in einen Kulturbegriff eingefügt, welcher ebenfalls entlang der Differenz von Sinndimension und diese repräsentierender Symbolisierung entworfen ist: Die als Wirklichkeit erfahrene Welt baut sich als durch menschliches Handeln hervorgebrachte und gestaltete Symbolwelt auf 84 85 86 87

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Ebd., 31 (Hervorhebungen gestrichen). Vgl. Praktische Theologie auf der Suche, 86 (im Anschluss an D. Rössler); Praktische Theologie als Praxistheorie, 48; LLS, 298. LLS, 54f. Ebd., 56-58. Dass diese auf Kontingenzbewältigung abgestellte funktionale Bestimmung dem von M. Kähler und D. Bonhoeffer kritisierten Lückenbüßer-Modell gleichkommt, ist offensichtlich. Gräbs funktionale Religionssauffassung erweist sich insofern differenzierter, als er im Blick auf das Verlangen nach Kontingenzbewältigung die Differenz von Bewältigung und Widerspruch in der Selbstdeutung geltend macht (ebd., 59). Ebd., 61 (Hervorheb. von H.-M. R.).

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und ist dementsprechend geformt. Gräb findet eine solche, von der symbolschöpferischen Funktion des Geistes ausgehende Kulturtheorie bei E. Cassirer und C. Geertz vor. Vor allem die Kulturphilosophie E. Cassirers hat paradigmatische Bedeutung: Im Gegenüber zur Natur als dem Vorgegebenen ist Kultur eine solche sinnbewusste Weltschöpfung des Menschen, welche deren Sinnbestimmtheit selbst zum Ausdruck bringt, sie in Symbolen erschließt und bezeichnet.89 Symbolische Formen und Medien erschließen eine Welt, die bereits mit der Bedeutung, die wir ihr verleihen, imprägniert ist; sie verweisen also nicht im Sinne der Abbildtheorie auf eine vorgegebene Wirklichkeit, auch auf keine phänomenal oder substantiell vorgegebene kulturelle Wirklichkeit. Gegenüber der letztlich dualistisch verfassten Kulturtheorie Schleiermachers hebt E. Cassirers Kulturphilosophie darauf ab, dass im geschichtlichen Prozess der Kulturschöpfung der Vorgang des menschlichen Sich-Erfassens thematisch wird.90 Cassirers Kulturphilosophie ist darum zugleich Kulturhermeneutik. Sie ist dies als kritische Kulturhermeneutik, insofern sie zwar nicht hinter die Kulturschöpfungen zurückgeht, aber – den formgebenden Leistungen des menschlichen Geistes ansichtig – den naiven Realismus der natürlichen Welteinstellung überwindet und so sowohl zur Kritik der Alltagskultur als auch zur Kritik der Totalisierung einer mythisch übersteigerten Kultur fähig ist.91 Neben der Grundstruktur einer auf symbolische Formen gerichteten Kulturhermeneutik erkennt Gräb in Cassirers Postulat einer Wandlung des mythischen Realitätsbewusstseins in ein religiöses Sinnbewusstsein eine für die Theologie wichtige Einsicht, insofern es den Status religiöser Aussagen in der Moderne zu klären verheißt: Sinnliche Zeichen und Medien werden vom mythisch-gegenständlichen Bewusstsein im Sinne einer Abbildung von bzw. einer Partizipation an einer absoluten Realität verstanden, während das religiöse Bewusstsein ihres Charakters als Sinnzeichen, als Symbol gewahr ist.92 Die mythi89 90

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SfU, 56; vgl. Wahrnehmen und Deuten, 44; Praktische Theologie als religiöse Kulturhermeneutik, 89f. Religion in vielen Sinnbildern, 230. 235. 239. Während die Cassirerrezeption in SfU die Übereinstimmung mit Schleiermacher betont, macht die Darstellung in: Religion in vielen Sinnbildern, 230, auf den für Gräb bedeutsamen Unterschied aufmerksam, dass Schleiermacher dieses reflexive Sich-Erfassen nicht innerhalb seiner Kulturtheorie, welche über die Schematisierung von Dualismen (ideal – real, allgemein – individuell etc.) gewonnen wird, geltend macht. Die Vermittlung von deduktiv gewonnenen Kulturformen und erhobenen positiven Vorstellungsgehalten bleibt vielmehr einem kritischen und technischen Verfahren vorbehalten. Ebd., 234. Gräb entnimmt seine Alternativsetzung von Wirklichkeitsabbildung und funktionaler Sinndeutung der Unterscheidung Cassirers von Bildzeichen und Sinnzeichen,

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sche Weltsicht ist gewissermaßen noch nicht reflexiv geworden, sie „weiß noch nicht, daß sie Weltansicht ist.“93 Sie weiß noch nicht, dass Bilder symbolisch als Ausdruck von Sinn zu verstehen sind.94 Gräb sieht neben der Transformation des mythischen Realitätsbewusstseins ins religiöse Sinnbewusstsein schließlich auch die Gewichtung der individuellen Subjektivität sowie den Abstoßungsprozess der Religion von aller Gegenständlichkeit und auch von allen historisch-dogmatischen Elementen bei Cassirer vorliegen.95 Auf dem Hintergrund des sinnbewusst gefassten doppelstufigen Religionsbegriffs und des eben skizzierten symbolischen Kulturbegriffs lässt sich nun erhellen, wie Gräb Kulturhermeneutik und insbesondere Theologie als religiöse Kulturhermeneutik verstanden wissen will: Kulturhermeneutik ist die „Lehre vom Verstehen der durch sinnbestimmtes menschliches Handeln hervorgebrachten symbolischen Welten“.96 Sie interpretiert und entschlüsselt symbolische Formen bzw. kulturelle Medien im Blick auf den (nichtgegenständlichen) Sinn, der sich in ih-

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z.B. SfU, 182: Religion informiere nicht über Tatsachen-Wahrheiten, sondern habe die Aufgabe der Sinndeutung (vgl. LLS, 214f.; Praktische Theologie als religiöse Kulturhermeneutik, 104f.; Religion in der Moderne, 106f.; SfU 148. 194f.). Er kann sich dabei auf das „Strukturgesetz in der Entwicklung“ von magischem Bild zum sinnerschließenden Symbol beziehen (Praktische Theologie als religiöse Kulturhermeneutik, 91). Zu Recht hält er allerdings fest, dass für Cassirer selbst die religiöse Formung zu Sinnbildern nicht von realistischen Vorstellungen loskommt – dies geschieht erst in der Kunst (Religion in vielen Sinnbildern, 246f.). Eine Interpretation von Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen“ wird m.E. danach zu beurteilen sein, inwiefern sie der Spannung von Pluralität der Symbolwelten einerseits und dem progressiven Entwicklungsgedanken andererseits Rechnung trägt, zugleich aber das Verhältnis von Mythos und Religion nicht mit diesem gleichschaltet. Denn das Verhältnis von Mythos und Religion wird von Cassirer ausdrücklich als Dialektik gefasst, so dass Religion nie den Mythos, nie realistische Vorstellungen hinter sich lassen kann (vgl. E. CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen II, 285f. 311; E. RUDOLPH, Theologia Abscondita, 7f.). Der Sache nach favorisiert Gräb also jenes Entwicklungsmoment, welches Cassirer erst in der Kunst verwirklicht sieht. SfU, 63 (Hervorheb. im Orig.; entspricht: Religion in vielen Sinnbildern, 241). SfU, 64: „Aber das religiöse Bewußtsein weiß, daß die Bilder symbolisch zu verstehen sind, dass sie unendlich mehr und anderes besagen können, als sich in den realistischen Vorstellungen, die sie abbilden, ausdrückt. Das religiöse Bewußtsein weiß, daß es ein in sinnlichen Vorstellungen von einer absoluten Realität sich schematisierendes, aufs Letzte gehendes, für Transzendenz offenes Sinnbewußtsein ist.“ (Hervorheb. im Orig.) Die zitierte Passage entspricht: Religion in vielen Sinnbildern, 242 – während sich die folgende produktive Weiterführung dann nur in SfU, 65, findet: „Die spezifische Funktion der Religion in der Bildung der Welt zur Kultur – so könnte man mit Schleiermacher und Cassirer auch sagen – ist die Sinndeutung menschlichen Lebens und aller endlichen Erfahrung in ihm mit Bezug auf den ihm konstitutiv zugehörenden ‚Sinn fürs Unendliche’.“ (Hervorheb. im Orig.) Religion in vielen Sinnbildern, 244f. SfU, 57.

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nen sinnlich wahrnehmbar (gegenständlich) zum Ausdruck bringt bzw. sich in ihnen gewissermaßen „materialisiert“ hat.97 Als Medienhermeneutik ist ihr Sinnverstehen in der modernen Mediengesellschaft angesichts der fortwährenden Möglichkeit des Missverstehens grundsätzlich erforderlich. Ihr hermeneutisches Verfahren richtet sich auf die Vielzahl der empirisch zugänglichen Phänomene der Kultur (Massenmedien, Unterhaltungsfilme, Literatur etc.), betrachtet diese als symbolische Zeichen und entschlüsselt ihre „gnoseo-semiotische Funktion“,98 indem sie deren Sinngehalt (nicht: deren referentielle Beziehung zu einer externen Wirklichkeit) rekonstruiert. Die Notwendigkeit einer spezifisch religiösen Kulturhermeneutik ergibt sich daraus, dass eine allgemeine Kulturhermeneutik sich in Entsprechung zu den verschiedenen in kulturellen Medien abgelagerten Sinndimensionen ausdifferenzieren muss. Dem hermeneutischen Verfahren nach besteht zwischen allgemeiner Kulturhermeneutik und religionstheologischer Kulturhermeneutik hingegen kein Unterschied, schon insofern für beide der Gegenstandsbereich – was die Differenz von subjektiv-nichtgegenständlichem Sinn und objektiv-gegenständlicher medialer Symbolisierung betrifft – gleich strukturiert ist. Da gemäß dem Verflüssigungstheorem religiöser Sinn durch die Kultur insgesamt vermittelt wird, kann die Differenz auch nicht durch eine vordergründige Beschränkung des Phänomenbereichs markiert werden; auch religiöse Kulturhermeneutik muss prinzipiell alle Repräsentationen der Kultur zu ihrem Thema machen. Ihr Spezifikum findet sie allein darin, dass sie diese Repräsentationen im Blick auf die religiöse Sinndimension bearbeitet.99 Als religiöse Kulturhermeneutik richtet sich die Theologie also auf eine im weiten Sinne verstandene gelebte Religion; sie muss zum Verstehen des Sinngehalts und zur Erschließung ihres impliziten, unsichtbaren Wesens darum mehr sein als nur religiöse Phänomenologie.100 Dass eine Hermeneutik des Rückgangs allerdings eines leitenden Kriteriums bedarf, belässt Gräb nicht unerörtert. Er bezieht sich in dieser Hinsicht ausdrücklich auf den formalen Religionsbegriff von U. Barth:101 „Praktische Religionstheologie braucht diesen formalen Begriff der Religion, wonach Religion Lebensdeutung im Unbedingtheitshorizont ist, um kulturhermeneutisch in umfassender Weise erschließungs-

97 98 99 100 101

Vgl. ebd., 57. 65. Vgl. ebd., 195. Vgl. ebd., 68; Wahrnehmen und Deuten, 45f. Vgl. LLS, 53; Praktische Theologie als Kulturhermeneutik, 87. U. BARTH, Was ist Religion?, 548.

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kräftig zu sein.“102 Die Vorteile dieser Definition liegen auf der Hand: Sie ist anschlussfähig an das Erwartungsprofil, genauer: an das Sinnvergewisserungsinteresse des individuellen Subjekts. Und sie ist kompatibel mit seiner bei der Auswahl bzw. Transformation von Deutungsangeboten in Anspruch genommenen Autonomie. Mit Hilfe des genannten formalen Kriteriums sind also die als Kulturprodukte vorliegenden und medial vermittelten objektiven Vorstellungsgehalte bzw. die in ihnen zur Darstellung kommenden kulturellen Lebensdeutungen auf die Symbolisierung letztinstanzlicher Sinnhorizonte zu untersuchen.103 Der objektiven Religion („Religion 2“) sind diese Symbole dann zuzuordnen, wenn sie als subjektive Religion („Religion 1“)104 eine Unbedingtheitsdimension, eine transzendenzoffene Sinneinstellung entbergen – oder, wie Gräb entlang des formalen Religionsbegriffs weiter ausführen kann, die Integration fragmentarischer Erfahrungen in ein Sinnganzes,105 das Bewusstsein des transzendenten Grundes menschlicher Freiheit.106 Die Praktische Theologie wendet dieses hermeneutische Verfahren nicht lediglich auf die Gegenwartskultur an, sondern ebenso wie die Systematische Theologie auf historische Vermittlungszusammenhänge. Mehr noch: Es hat in die Hermeneutik der christlichen Überlieferung, in eine biblische Hermeneutik Eingang zu finden.107 Das weist bereits auf die Doppelaufgabe einer kulturhermeneutisch verfahrenden Theologie: Über das Symbolverstehen hinaus arbeitet sie selbst am Aufbau 102 Wahrnehmen und Deuten, 48; vgl. Praktische Theologie und Religion, 370f.; SfU, 50 u.ö. 103 Wie dies vollzogen wird, demonstriert Gräb beispielhaft an den Filmen „Titanic“ und „Lola rennt“: SfU, 202ff. 288 (dort exemplarisch für den Sachverhalt der ‚Verflüssigung’: „Ein Teenager kann – statt in die Kirche – auch zum dritten Mal in den Film ‚Titanic’ gehen, um die Botschaft von der den Tod überdauernden, absoluten Liebe zu hören. Andere folgen – vorübergehend – dem ‚Meister’ Guildo Horn [...]“) 104 Gräb variiert hinsichtlich dieser terminologischen Unterscheidung eine von H.-E. Bahr eingeführte Begrifflichkeit: vgl. LLS, 67. 97. 105 Z.B. SfU, 30. 295. 106 Z.B. LLS, 216; Religion in der Moderne, 105. 107 Vgl. LLS, 45; SfU, 256f.: „Die biblische Hermeneutik muß mit einer Gegenwarts- bzw. Kulturhermeneutik verknüpft werden. Letztere erst [...] vermittelt Informationen darüber, in welchen symbolischen Welten und Lebensdeutungen sich die Menschen bewegen [...] Und nur wenn wir über all das informiert sind, können wir der biblischen Überlieferung einen gegenwartsrelevanten Sinn abgewinnen.“ (Hervorheb. im Orig.) Vgl. weiter: SfU, 273; 276, Anm.1: „Recht verstanden ist die Alternative, vor der die Bibelexegese steht, die, ob sie sich als Teil einer Theologie für die Praxis verstehen will: Dann fragt sie in der Auslegung der biblischen Texte nach ihrem die gegenwärtig gelebte Religion inspirierenden Sinngehalt. Oder ob sie Teil der historischen Arbeit an der Erforschung der Religionsgeschichte Israels, des alten Orients, der antiken Welt und des frühen Christentums sein und bleiben will [...]“

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symbolischer Formen, welche Identitätsvergewisserung und vertiefte Lebensorientierung ermöglichen. In diesem Zusammenhang Inspirationen der bildenden Kunst aufnehmend kann dann wohl gelten: „Laßt und [sic] wieder Bilder machen [...]“108 Es soll an dieser Stelle schließlich nicht der Hinweis auf die theologiegeschichtliche Stoßspitze fehlen, die Gräb seiner Konzeption von Kulturhermeneutik selbst verleihen will: In der gegenwärtigen Kultur, welche auf individueller Freiheit, subjektiver Evidenz, eigenem Gewissheits- und Orientierungsverlangen etc. aufgebaut ist, müssen die „Phänomene einer neuen protestantischen Kultur“ erkannt und „in Gestalt eines neuen Kulturprotestantismus konstruktiv vertreten“ werden.109 Dabei geht es darum, – auch hier klingt wieder die zentrale These von Gräbs Dissertation an – auf die Religion als konstitutiven Faktor der Kultur zu bestehen, auf welchen „auch die moderne Gesellschaft nicht verzichten kann“.110 Der Versuch der Etablierung einer Gegenkultur durch die Theologie Barths kommt als unheilvolles Intermezzo in der Ausformung einer Theologie als Kulturwissenschaft zu stehen, dessen Nachwirkungen der Überwindung bedürfen.111 Zu 2: Indem die kulturhermeneutisch verfahrende Theologie sich auf die Differenz von Sinnbestimmung und medialer Symbolisierung bezieht, kann sie die der Religion selbst inhärente kritische Selbstunterscheidung von Unbedingtem und Bedingtem als ihre eigene Aufgabe begreifen.112 Die angezeigte Aufgabe ist eine doppelte: Sie besteht nicht nur im bereits geschilderten Verstehen der religiösen Sinndimension in kulturellen Medien, sondern auch in der Erschließung des christlichreligiösen Symbolsystems zu subjektiv plausiblen Lebensdeutungsangeboten.113 Es handelt sich also um eine doppelte Erschließungsfunktion, von der nun auch das zweite Moment an dieser Stelle skizziert werden

108 109 110 111

SfU, 314. Praktische Theologie als Praxistheorie, 47. SfU, 96. Praktische Theologie als religiöse Kulturhermeneutik, 91f.: „Der Einbruch der WortGottes-Theologie stellte dann jedoch noch einmal den von vornherein zum Scheitern verurteilen Versuch dar, eine theologisch normative Theorie der Konstitution kulturell-gesellschaftlicher Wirklichkeit zu etablieren. Es sollte eine geschlossene Welt theologischer Existenz bzw. christlicher Gemeinde der in sich pluralen, auch religiös differenzierten Kulturwelt entgegengesetzt werden. Von diesem grotesken Unternehmen hat sich die Theologie, auch die Praktische, bis heute nicht recht erholt. Deshalb ist sie darauf angewiesen, sich auf dem Weg einer religiösen Kulturhermeneutik durch Kulturtheoretiker wie Ernst Cassirer und Clifford Geertz zurückhelfen zu lassen.“ 112 Vgl. SfU, 33. 113 Vgl. LLS 92. 116f. 163; SfU, 257. 295 u.ö.

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soll.114 Erst mit diesem ist gewährleistet, dass Theologie sich an der Kommunikation über Religion wie an der Kommunikation als Religion beteiligt. „Die Herausforderung an Theologie und Kirche besteht [...] darin, ob sie dieses lebensgeschichtliche Sinnverlangen in ihre Kommunikation über Religion aufzunehmen fähig und in einer die persönliche Lebensgewißheit stärkenden Weise als Religion zu kommunizieren in der Lage sind.“115 Die von Gräb entfaltete Plausibilisierungsstrategie stellt sich dieser Herausforderung und rekurriert dabei auf Grundbegriffe wie Anschlussfähigkeit, Resonanzfähigkeit, Religionsfähigkeit oder Kompatibilität.116 Entscheidend ist dabei freilich, mit welchen Mitteln das in diesen Begriffen Benannte erreicht werden soll: durch eine nun ebenfalls als „Verflüssigung“ bezeichnete Transformation der überlieferten christlichen Glaubensinhalte, durch ihre strikt religiös-funktionale Interpretation. Dazu im Einzelnen: An mehreren Stellen skizziert Gräb die verschiedenen Stufen der Umformungskrise des neuzeitlichen Christentums und begreift es als vorbildhaft, in welcher Weise A. v. Harnack sich „an der Wende zum 20. Jahrhundert mit seiner Wesensbestimmung des Christentums auf diese Transformation der christlichen Religion eingestellt [hat]. Er hat die (seit der kopernikanischen Wende) für die wissenschaftliche Welterklärung und moralisch-politische Weltgestaltung immer weniger zuständige Religion umgestellt auf die Bearbeitung der lebenspraktischen Sinnvergewisserungsinteressen der einzelnen Menschen.“117 Vorbildhaft ist diese Vorgehensweise gerade unter den Bedingungen der massenmedial verfassten Gegenwartskultur: „Es wandelt sich [...] die Funktion der expliziten Religion, der Kirche. Die Mediengesellschaft ist, so könnte man sogar sagen, auf spezifische Weise erneut religionsbildend. Dies kann gerade auch den Kirchen und religiösen Gemeinschaften zugute kommen. Dazu müssen sie sich aber auf den Formwandel der Religion einstellen und eine neue Religionsfähigkeit entwickeln.“118 Das Stichwort des Einstellens verweist in beiden Zitaten auf den Bezugspunkt, an welchem sich die Anschlussfähigkeit der von Theologie und Kirche vertretenen Symbolbestände erweisen muss: Es

114 Vgl. LLS 94 u. SfU, 293: Die wechselseitigen Erschließungsprozesse bilden den hermeneutischen Zirkel ab. Kulturhermeneutik ist beides, sowohl Visibilisierungsstrategie als auch Plausibilisierungsstrategie. 115 LLS, 43 (Hervorheb. im Orig.). 116 Beispielhaft: Die gesellschaftliche Relevanz, 8. 20; LLS 34; Praktische Theologie und Religion, 372; SfU, 167. 173. 311. 117 LLS, 28f. (entspricht: Die gesellschaftliche Relevanz, 12); vgl. SfU, 44ff. 118 SfU, 167 (Hervorheb. gestrichen).

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ist dies die individuelle sinnvergewissernde Selbstdeutung, deren Erschließungskraft am Ort des individuellen Bewusstseins benötigt wird. Zum Zweck einer nachfrage- und dienstleistungsorientierten religiösen Kommunikation sind die auch empirisch zugänglichen Erwartungen an Sinndeutung in einer solchen Weise aufzunehmen, dass durch die Umformung christlicher Glaubensinhalte ein „Passungsverhältnis“ von religiöser Sinnerwartung und rituell-symbolischen Selbstdeutungsangeboten gewährleistet ist.119 Die Erlebnis- und Reflexionssubjektivität des modernen Menschen kommt dabei als Bewährungs-instanz der Umformung zu stehen, insofern dieser selbst entscheidet, ob ein religiöses Sinndeutungsangebot seinem Verlangen nach plausibler Lebensorientierung oder seiner Erwartung auf Kontingenzbewältigung entspricht und angeeignet wird. Weil auch das religiöse Verhältnis des Menschen Züge des Ästhetischen angenommen hat, kommen Theologie und Kirche also nicht umhin, dass es sich an den „erwartungsadäquateren“ Dienstleistungen entscheidet, ob Kirche sich als religiöses Dienstleistungsunternehmen auf dem pluralen Markt der Lebensdeutungsangebote halten kann.120 Voraussetzung dafür, die Herausforderung der Resonanzfähigkeit zum inneren Anliegen der Theologie zu machen, ist dabei nicht nur die Anerkenntnis ästhetischer Subjektivität, sondern auch die Anerkenntnis des Wandels dessen, was im Zuge der gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung jeweils als am Christentum wesentlich erkannt wird.121 Auf diesem Hintergrund der intendierten Kompatibilität von religiöser Kommunikation und moderner Bewusstseinsformation erklärt sich nicht nur Gräbs vehemente Ablehnung von kulturell-religiösen „Gegenwelten“, es erklärt sich auch, dass diese Kompatibilität sich in der Forderung nach einer Anschlussfähigkeit artikulieren muss, welche durch die Transformation überlieferter Symbolbestände zu erreichen gesucht wird. Kaum besser lässt sich dieses Anliegen bündeln als durch die Maxime, die Gräb selbst so formuliert: „Es braucht die Verflüssigung der überkommenen Chiffren. Es kommt darauf an, dass sie anschlussfähig werden und sich einspielen lassen in diejenigen religiös sensiblen Selbstdeutungen, welche die Zeitgenossen so oder so angefertigt haben und die sie sich aus dem reichen Angebot von Ritualen und Symbolen, welches die Medien- und Erlebnisgesellschaft bietet, zuspielen lassen.“122 119 120 121 122

Vgl. LLS, 21. 25. 96; SfU, 256. 272. Vgl. LLS, 44. 91f.; SfU, 253. Vgl. LLS, 28, 34. Praktische Theologie und Religion, 372 (aufgenommen in: SfU, 51; Wahrnehmen und Deuten, 50).

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Was „Verflüssigung“ bedeutet, betrifft zunächst die ganze Weite der Ästhetik kirchlicher Religionskultur: Auch im Umgang mit religiöser Deutungskultur „tritt das ästhetische Moment des Frei-Spielerischen ein.“ Weil die Aneignung sich am zwanglosen Einleuchten für die eigene Lebensdeutung und der Freisetzung einer subjektiv-kreativen Selbstdeutung orientiert, muss religiöse Kommunikation sich „im Modus ästhetischer Verflüssigung“ als „offenes Kunstwerk“ (U. Eco) gestalten, als Reinszenierungsgeschehen.123 Vorausgesetzt ist dabei ein bestimmtes Verhältnis von ästhetischer und religiöser Erfahrung. Dieses ist von erheblicher Bedeutung nicht nur, um die ästhetische Verflüssigung im Inszenierungsgeschehen religiöser Kommunikation zu erhellen, sondern auch deshalb, weil es noch einmal eine Näherbestimmung von Religion und des an der Geschichtsthematik skizzierten Verweiszusammenhangs im Blick auf Kunst und Kultur ermöglicht. Kunstwerke sind sinnlich gegebene Gegenstände, welche ästhetische Erfahrungen auslösen wollen. In ihnen geht es nicht um Abbildungs- oder Symbolisierungsleistungen für ein externes Bezugssystem, sondern – wie Kants Begriff des ‘Schönen’ zeigt – um ein freies Zusammenspiel von sinnlichen Wahrnehmungen und ideeller Einbildung. Dies äußert sich in einem Empfindungszustand bzw. Gefühl.124 Insbesondere moderne Kunst vermittelt dabei die Erfahrung, dass alles auch ganz anders sein könnte und treibt das alltagsverhaftete Bewusstsein in einen unabschließbaren Reflexionsprozess. Bezugssystem und Konstitutionsort ästhetischer Erfahrung ist also die Reflexionssubjektivität, welche dann auch, vom Kunstwerk provoziert, in einen ästhetischen Diskurs über diese Erfahrung einzutreten vermag. Gräb betont, dass eine solche Kommentierung der ästhetischen Erfahrung immer äußerlich bleibt.125 Damit ist bereits die Strukturanalogie zur religiösen Erfahrung anvisiert: Auch bei religiöser Erfahrung geht es nicht um kognitivrealistische oder praktische Bestimmungen, sondern um “das unmittelbare Sich-selbst-Gewahrwerden der individuellen Subjektivität” im Zusammenspiel seiner Funktionen.126 Mithilfe der bereits geläufigen Doppelstufigkeit des Religions- und Kulturbegriffs wird die Differenz zwischen dem Ästhetischen und dem Religiösen dann in den Deutungs- und Symbolisierungskategorien gesucht, mittels derer die vorsprachlich unbestimmten Empfindungszustände als ästhetische oder religiöse überhaupt erst bestimmbar werden. Dass gegenüber der ästhetischen Erfahrung als immanente Glückserfahrung die religiöse Erfahrung sich als “transzendentale Ursprungserfahrung” verstehen kann,127 ergibt sich also nicht aus einer Diffe123 LLS, 117. Das 5. Kapitel von LLS erschien bereits unter dem Titel: „Der inszenierte Text“. 124 Vgl. LLS, 104f. 125 Ebd., 109. 126 Ebd., 111. 127 Kunst und Religion, 66.

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renz im sinnlich-ideellen Gehalt, sondern allein aus der Deutung, welche von der Kategorie des Unbedingten Gebrauch macht. Wie diese im Selbstverhältnis bewussten Lebens aufbricht, wird noch zu zeigen sein. Zunächst entscheidend ist auf diesem Hintergrund ein Doppeltes: 1. Ebenso wie der aufs Unbedingte gehende Sinngehalt am Bedingten zur Erscheinung kommt, so ist religiöse Erfahrung durch eine Sinndeutungen provozierende ästhetische Erfahrung vermittelt.128 Um die “Momente des Religiösen am Ästhetischen”, den der Kunst immanenten religiösen Sinn zu erheben, bedarf es einer – freilich nicht zwingenden – Kommentierung des Ästhetischen im Horizont des Unbedingten.129 Wie unschwer zu erkennen ist, entspricht dies dem ersten Erschließungsmoment einer kulturhermeneutisch verfahrenden Theologie. 2. Weil sie ebenfalls auf die Erregung vorsprachlich-subjektiver Gemütsgestimmtheiten zielt und die beteiligten Subjekte zur freien Selbstdeutung aktivieren möchte, legt es sich auf der anderen Seite für religiöse Kommunikation nun selbst nahe, sich eines ästhetischen Verfahrens zu bedienen. Im Sinne einer solchen ästhetischen Anregung, welche ein künstlerisches Spielen und eine verfremdende Reinszenierung einschließt, können Gottesdienst und Predigt zu “offenen Kunstwerken” werden, “die sich im Vollzug der subjektiven Aneignung ihres Sinngehaltes vollenden.”130

Im engeren Sinn verweist „Verflüssigung“ auf eine religiös-funktionale Interpretation christlicher Symbolbestände, die Gräb, wie gezeigt, schon bei Schleiermacher vorliegen sieht. Die Symbolbestände werden auf die Selbstauslegung von Subjektivität bezogen und ausschließlich auf diese Funktion hin ausgelegt. Dieser Sachverhalt hat kriteriologische Bedeutung: Inhaltliche Aussagen müssen sich auf die Selbstthematisierungsfunktion zurückführen lassen; können sie hingegen nicht „im Interesse der Symbolisierung und rhetorischen Vermittlung lebensgeschichtlicher Sinndeutungserwartungen und ethisch-moralischer Lebensorientierungsbedürftigkeiten zeitgenössischer Individuen“ reformuliert werden, sind sie aus einer gegenwartsbezogenen Glaubenslehre bzw. aus der christlichen Predigt auszuscheiden und der Dogmengeschichte zu überstellen.131 Gräb sieht es als kennzeichnendes Merkmal seines neuprotestantischen Theologieverständnisses an, „auf der ganzen Linie die Entsubstantialisierung herkömmlicher theologischer bzw. biblischer Begriffe“ zu betreiben und definiert: „Entsubstantialisierung meint, daß der Bedeutungsgehalt dieser theologischen Begriffe strikt auf die Funktion hin verstanden wird, den sie im Vollzug der religiösen Selbstdeutung humaner Subjekte für dieselben zu erfüllen vermögen. Diese Begriffe werden also als hermeneutische Kon128 129 130 131

Vgl. LLS, 123; SfU, 106f. Ebd., 107; LLS, 116. Ebd., 117. SfU, 266; vgl. schon: Predigt, 211f.

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strukte aufgefaßt [...] Sie stehen insofern nicht für eine andere, göttliche, geistliche oder kirchliche Wirklichkeit, die von der menschlichen Erfahrungswirklichkeit substanziell unterschieden wäre und in sie nur von außen, als ‚Wort Gottes’ hineinzusagen wäre, sondern für eine andere Sicht, eine andere Deutung dieser Wirklichkeit, eine solche, die im Horizont religiösen Fragens aufgebaut sein möchte.“132 Gräb kann das dabei zur Anwendung kommende hermeneutische Kriterium „die hermeneutische Regel der Freiheit“ nennen133 und meint dabei die „Stimmigkeit“ religiöser Symbole für die subjektive Lebensdienlichkeit, für die in dem Subjekt der Person wachsende Lebensgewissheit bzw. für eine gesteigerte Selbstdurchsichtigkeit.134 Beispiele für eine funktionale Interpretation, also für die Umformung der Auslegung biblischer Texte oder wichtiger protestantischer Lehrgehalte in die religiöse Selbstauslegung gibt Gräb einige. Im vorigen Abschnitt wurde bereits auf die Entschlüsselung des Wortes ‚Gott’ als Symbol dafür verweisen, dass menschliches Selbstverhältnis sich im Unbedingten als eines transzendenten Grundes begründet weiß. Das Symbol des Kreuzes steht hingegen für eine der christlichen Symbolisierung eigentümlichen „antinomische[n] Struktur“, insofern es widersprüchliche Erfahrungen so zu deuten erlaubt, dass Anerkennung von Kontingenz und zugleich Widerspruch zu ihr zum Ausdruck kommen.135 Und die Rechtfertigung des Sünders weist dementsprechend auf ein neues, in einer „kontrafaktischen Sinngewißheit“ bestehendes Selbstverhältnis, welches durch eine am Kreuz Christi gewonnene Perspektivenverschiebung zustande kommt.136 Die zuletzt genannten Beispiele verdeutlichen nun allerdings einen wichtigen Sachverhalt, welcher bei der Rede von der Anschluss- und Resonanzfähigkeit, der Nachfrageorientierung etc. – und insgesamt bei der Ausrichtung der religiös-funktionalen Interpretation auf die Erwartung nach lebensdienlicher Sinnvergewisserung zu beachten ist: Diese

132 LLS, 214f. Man kann diesen Abschnitt durchaus als theologisches Credo von Gräb lesen; ein Credo, welches die Anknüpfung an F. Wagners (spätes) Religions- und Theologieverständnis nahe legen kann (so dann in: SfU, 262ff.). Von einer Entsubstantialisierung und einer Enttheologisierung spricht Wagner kurz vor seinem Tod in einer mit Gräb und anderen bestrittenen Bochumer Vortragsreihe: F. WAGNER, Religion der Moderne, 40. 133 SfU, 300. 134 Vgl. LLS, 45f. 93; SfU, 80. 173. 278. 293. 295 u.ö. 135 LLS, 59; vgl. SfU, 302. 136 Ebd., 340. 345. Im Sinne einer solchen „Perspektivenverschiebung“ wird in: Deutungsarbeit, 337ff. (entspricht: LLS, 213ff.), die Rede vom „Bruch“ in der Seelsorgekonzeption E. Thurneysens aufgefasst. Weitere Beispiele für die funktionale Interpretation finden sich in der kurzen Auflistung in: Pluralisierung des Religiösen, 192.

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Interpretationsweise beinhaltet nicht nur die Aufnahme von religiösen Sinndeutungen, wie sie in der Pluralität ihrer kulturellen Manifestationen vorliegen, zu ihr gehört vielmehr auch das Moment der Vertiefung bzw. des Widerspruchs (des „Bruchs“!).137 Anders gesagt: Die von Gräb vertretene Steigerung der Erwartungsadäquatheit ist von einer direkten Erwartungsidentifikation zu unterscheiden. Es geht weder um eine einseitige Affirmation der kulturhermeneutisch erhobenen religiösen Sinndeutungen in der Kultur noch um ihre abstrakte Negation, sondern um ihre „kritische[...] Aufhebung in den Geist des Christentums“.138 Die Auffassung einer nachfrageorientierten christlichreligiösen Kommunikation ist allerdings grundsätzlich darauf gerichtet, dass jede Kommunikation unter den Bedingungen einer Aneignung seitens des die religiöse Selbstauslegung vollziehenden Subjekts steht – und diese Kommunikation ohne die Ermöglichung von subjektiv empfundener Resonanz bzw. Stimmigkeit nicht gelingen kann. Theologie nimmt die religiösen Sinndeutungsvollzüge der Kultur so auf, dass sie eine „tiefere, kritisch-konstruktive Verständigung über sich“ finden.139 Genauer Betrachtung fällt auf, dass die bis hierher dargestellte Konzeption einen Sachverhalt in sich birgt, der mit einer (bestimmten) Asymmetrie im Resonanzverhältnis umschrieben werden kann. Es handelt sich um eine bestimmte – kulturprotestantische – Zuordnung der drei Kommunikationsgrößen Kultur, Religion und Individuum. Diese Zuordnung betrifft das Verhältnis von Produktion und Rezeption, genauer: die Frage, welcher Größe inwiefern formative Kraft zugemessen wird. Wenn Gräb ein zu seinem Zuordnungsmodell alternatives Modell als Inszenierung von Gegenwelten verwirft, verweist letztlich seine eigene Bewertung darauf, dass dieser Frage fundamentaltheologische Relevanz zuzumessen ist. Insofern sol137 Erhellend sind v.a. die Ausführungen in: LLS, 96-99. Zum „Bruch“ s. vorige Anm.! 138 LLS, 96. 139 SfU, 48 (Hervorhebung von H.M. R.). Inwiefern Nachfrageorientierung und direkte Erwartungsidentifikation zu unterscheiden sind, hat Gräb bereits in seinem 1985 gehaltenen Referat „Rechtfertigung von Lebensgeschichten“ deutlich gemacht: Die Kasualpraxis einer angebotsorientierten Volkskirche mit dem Rechtfertigungsglauben und der im Evangelium gewährten Freiheit zu begründen – dies kann nicht in eine Gleichschaltung mit der religiösen Markt- bzw. Erwartungslage umgemünzt werden, so dass die Freiheit des Evangeliums mit der Vielgestaltigkeit empirischer Lebensvollzüge zusammenfiele. Denn die Rechtfertigung von Lebensgeschichten kann nach evangelischem Verständnis nicht auf den Motiven und Leistungen des empirischen Subjekts beruhen. Das wäre Rechtfertigung nach dem Gesetz, nach dem Gesetz des eigenen Lebens (Rechtfertigung, 28. 33. 35). Positiv gewendet: Die kirchliche Kasualpraxis nimmt die religiösen Bedürfnisse auf – das Recht der Subjektivität wird damit nicht wie in kerygmatischen Konzepten negiert – , sie gibt ihnen aber nicht unmittelbar Recht, sondern vertieft sie dahingehend, dass klar wird: Zur Rechtfertigung von Lebensgeschichten kommt es „nicht auf dem Grunde dessen, was sie selber dafür bereitstellen, sondern auf dem Grunde und in der Zuwendung des rechtfertigenden Glaubens an Jesus Christus.“ (ebd., 38)

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len an dieser Stelle die wesentlichen Eckpunkte des Modells verdeutlicht werden. Der Rückgriff auf Schleiermachers subjektivitätstheoretische Fassung des Religionsbegriffs und Cassirers Verständnis von symbolischer Form bzw. Prägnanz erhellt eine basale Doppelstämmigkeit von sinnbewusstem Selbstverhältnis und Symbolgestalt.140 Aufgabe von Theologie und Kirche ist es, die Anschlussfähigkeit der tradierten Symbolbestände an das Deutungsstreben des sinnbewussten Selbstverhältnisses herzustellen. Der Gebrauch der kulturell überkommenen Sinnbilder der Glaubens ist auf eine für menschliches Leben konstitutive Dimension der Sinnvergewisserung ausgerichtet; menschliches Leben bleibt auf Sinnzeichen angewiesen, die „jene Resonanzen in der Unmittelbarkeit unseres Gefühlsbewußtseins erzeugen [...]“141 Dieser Auffassung entspricht ein Religionsbegriff, welcher die kulturell-symbolische Gestaltung von Religion (objektive Religion 2) in expressiver Weise als Ausdruck einer individuellen Sinnbestimmtheit (subjektive Religion 1) begreift.142 Anders verhält es sich mit dem von Gräb aufgebotenen Medienbegriff: Gräb folgt dem aktivisch konstruierten und dem Naturbegriff entgegengesetzten Kulturbegriff Cassirers, gemäß welchem kulturelle Medien Ausdruck bzw. Formationen geistigen Produzierens sind – zugleich wird aber der Wechselwirkung insofern Rechnung getragen, dass diese Medien wiederum formativ auf das subjektive Bewusstsein, das subjektive Wirklichkeitsverständnis und das ästhetische Verhalten einwirken:143 „Sie formen die Strukturen unseres Selbst- und Weltumgangs.“144 Er kann sich in dieser Hinsicht auf Cassirers Verständnis von ‚symbolischer Prägnanz’ ebenso berufen wie auf Grunderkenntnisse der modernen Massenkommunikationsforschung.145 Während Massenmedien das, was Menschen unter Wirklichkeit verstehen, prägen, oder mit Luhmann: konstruieren, können die symbolischen Medien der expliziten Religion allerdings nicht (mehr) mit einer weitreichenden Formierungsfunktion rechnen.

140 E. Cassirers Wirklichkeitsverständnis ist bekanntlich als kulturtheoretische Erweiterung der ‚kopernikanischen Wende’ I. Kants zu verstehen; sie bezieht sich nicht mehr nur auf die Urteilsfunktionen des Verstandes, sondern „auf jedes Prinzip geistiger Gestaltung“ (E. CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen I, 10). Entscheidend ist dabei die Wechselwirkung von sinnlichem Erleben und Symbolgestalt, welche einen Rückgang auf gewissermaßen leere Formen oder ein leeres Bewusstsein ebenso wenig gestattet wie eine Zweiteilung von uninterpretiertem Primärerlebnis und sekundärer Deutung (vgl. ders., Philosophie der symbolischen Formen III, 235; Gräb hat in: SfU, 60, diesen Sachverhalt zunächst insofern berücksichtigt, als er die symbolischen Formen als „ursprüngliche Synthesis“ bezeichnet und festhält: „Es gibt keine Welt für uns, die nicht immer schon aus dieser bildschöpferischen, sinngebenden, symbolisierenden Kraft des Geistes geformt wäre.“). 141 SfU, 311; vgl. Kirche als Ort religiöser Deutungskultur, 232. 142 Besonders deutlich in: LLS, 261; SfU, 268f. 143 Vgl. LLS, 34; SfU, 60, 139-144. 170. 144 Ebd., 141. 145 Dabei auch auf: N. LUHMANN, Realität der Massenmedien.

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Hinsichtlich ihres Verhältnisses zu modernen Massenmedien bedeutet dies, dass die Aufgaben explizit religiöser Kommunikation in der Kirche oder in den Medien allein im Sinne von „Anschluß-Kommunikationen“, als „religiös vertiefende[r] Kommentar zur Lage“ angesehen werden können.146 Die geforderte Kompatibilität von religiöser Kommunikation mit moderner Bewusstseinsformation wäre unterlaufen, wollte explizit religiöse Kommunikation ein alternatives (neues) Wirklichkeitsverständnis vermitteln – in diesem Zusammenhang gilt vielmehr, dass die Botschaft der Kirche keinen In-formationswert besitzt.147 Ein Unterlaufen der Kompatibilitätsforderung würde den im Verflüssigungstheorem konzentrierten Sachverhalt missachten, dass wie die kulturellen Medien so auch die Massenmedien nicht nur menschliches Wirklichkeitsverständnis bestimmen, sondern implizit zugleich bereits religiöse Funktionen erfüllen – welche, das ist sogleich hinzuzufügen, einer anschließenden Explizierung (einer Kommentierung) bedürfen.148 Etwas freier gesagt: Religiöse Deutung ist als Sinndeutung immer Deutung zweiter Ordnung, welche die (durch das mediale Wirklichkeitsverständnis erschlossene) vorliegende Deutung erster Ordnung nicht revoziert, sondern sinndeutend transzendiert. Hinsichtlich des individuellen Subjekts bedeutet der Verzicht religiöser Kommunikation auf (Gegen-) Formierung deren strikte Ausrichtung am Deutungsstreben des sinnbewussten Selbstverhältnisses, wie es in seiner medienformierten Gestalt positiv gegeben ist. Zitiert wurde bereits die Aussage, dass religiöse Kommunikation an religiös sensible Selbstdeutungen anschlussfähig zu sein hat, „welche die Zeitgenossen so oder so angefertigt haben“. Diese Positivität lässt sich dann dahingehend vertiefen, dass das Verlangen nach Sinnvergewisserung und der unbedingte Sinngrund selbst bereits „da“ sind.149 Entscheidend für die Anschlussfähigkeit explizit religiöser Kommunikation ist es nun, einerseits der Medienformierung des religiösen Bewusstseins und andererseits der durch Massenmedien hervorgerufenen Überforderung mit ständig Neuem Rechnung zu tragen. Dann kann es nicht Aufgabe expliziter Religion sein, individuelles Bewusstsein nun ebenfalls mit etwas Neuem zu konfrontieren oder die Unbedingtheitsdimension als „Aufbau von Gegenwelten“ zu inszenieren. Gefragt ist vielmehr Krisenbewältigung durch „Sinnvergewisserung im Unbedingten“, gefragt ist die Erschließung der den Medien nicht äußerlichen Dimension der Transzendenz mithilfe alter Geschichten auf das Bleibende, Verlässliche hin.150 „Die Religion darf die Komplexität und die Dynamik der Lebensverhältnisse, ihre Unüberschaubarkeit und Kontingenzanfälligkeit nicht ihrerseits noch steigern wollen, sondern muß sie transzendieren auf das Einfache, Feststehende, Notwendige, Ewige hin.“151

146 147 148 149 150 151

SfU, 175 (Hervorheb. gestrichen). Ebd., 148. 172. Ebd., 183. Z.B. LLS, 43; SfU, 162. SfU, 171-173. Ebd., 173 (Hervorheb. im Orig.). Verworfen wird daher auch eine Verkündigung des Evangeliums als (gute) Nachricht, welche darauf abhebt, das Leben zu ändern.

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Das Ziel ist eine im Grundvertrauen „stabilisierte Lebensgewißheit“.152 In diesem Zusammenhang ist allerdings noch einmal zu betonen, dass dies nicht durch eine einseitige Affirmation dessen, was der Religion als Erwartung ihrer Kontingenzbewältigungsfunktion entgegentritt, geschehen soll.153 Um die Komplexität der Lebensverhältnisse zu bewältigen bzw. auf das Einfache und Feststehende hin zu transzendieren, macht religiöse Anschlusskommunikation vielmehr von „Perspektivverschiebungen“, von der „antinomische[n] Struktur“ christlicher Symbolisierung Gebrauch und muss so Zerrissenheits- und Endlichkeitserfahrungen nicht überhöhen, sondern kann ihnen eine Deutung verleihen, welche das Uneingelöste zu integrieren fähig ist.154 Dass Perspektivverschiebungen im Blick auf das individuelle Subjekt nicht im Sinne eines ‚reframing’ in einen neuen Wirklichkeitshorizont oder gar als Zuschreibung einer fremden Identität aufgefasst werden können, dürfte nach dem bereits Geschilderten offensichtlich sein.155 Ebenso offensichtlich ist es, dass es allein die genannte Transzendierungsfunktion der Religion im Blick auf individuelle Lebensentwürfe betrifft, wenn Gräb sagen kann: „Die Religion formt das Leben.“156 Die Anschlussfähigkeit explizit religiöser Symbolisierung ist auf das Deutungsstreben eines prinzipiell-anthropologisch gegebenen Grundverhältnisses zu beziehen, welches jeder Medienformierung letztlich zugrunde liegt. Das macht eine transzendentale Theorie von Subjektivität notwendig, auf die dann auch die Interpretation im Abschnitt 2.1.3. ausgreifen muss. Ohne sie entbehrt eine Behauptung wie die folgende allein schon im Blick auf die empirisch zugänglichen Selbstauffassungen einer tragfähigen Begründung: Das Wort ‚Gott’ spricht „uns auf jene Dimension einer letzten, unbedingten Realität an, der wir im sinnbewußten Selbstverhältnis unseres bewußten Lebens unausdrücklich immer schon gewahr werden.“157

Zu 3: Mit der Bestimmung der Aufgabe explizit religiöser Kommunikation sind bereits Grundlinien einer „theologisch-ekklesiologischen Neubeschreibung der Kirche“, welche von ihrer religiösen Funktion her entworfen ist, konturiert.158 „Es geht um lebenskundliche Deutungskompetenz in dem Sinne, daß die Kirche sehr viel stärker die existentiellreligiösen Sinnerwartungen, die von den Menschen im Kontext ihrer

152 Ebd., 93. 263 (im Anschluss an F. Wagner). 153 Der Zusammenhang des Kontingenzbewältigungsmotivs ist zu beachten; Gräb kann sich auch kritisch davon absetzen: LLS, 115f. 154 Vgl. ebd., 99. 155 Vgl. ebd., 35. Dieser Sachverhalt ist insbesondere auch bei der positiven Rede von Identitätszuschreibung bzw. Neukonstruktion (ebd., 211. 225) zu berücksichtigen. 156 Ebd., 118 (Hervorheb. im Orig.). Und selbst hier ist zu beachten: „[...] es darf die religiöse Deutung der Lebensgeschichte weder präskriptiv dekretiert, noch darf sie als die einzig mögliche, alle anderen Aspekte des eigenen Selbstseins formierende, deklariert werden.“ (Kirche als Ort religiöser Deutungskultur, 235; Hervorheb. im Orig.) 157 SfU, 311. 158 Vgl. ebd., 258!

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Lebens- und Alltagswelt selber immer schon entworfen werden, aufsuchen, aufnehmen und im Auslegungszusammenhang des Evangeliums verarbeiten müßte.“159 Für das Projekt „Kirche für die Religion der Menschen“ lehnt sich Gräbs „Neubeschreibung“ an die bereits erwähnte Verhältnisbestimmung von Kirche und religiösem Individuum bei Troeltsch an: Dem „antinomischen“ Verhältnis entsprechend sind sowohl die kritische Selbstunterscheidung individueller Religion als auch deren Angewiesenheit auf institutionelle Abstützung geltend zu machen. Das heißt: Auf der einen Seite „braucht“ es die Kirche um der Religion der Menschen willen, weil subjektive Religion grundsätzlich schon der Vermittlung von Symbolgehalten zur Selbstdeutung bedarf.160 Zu erörtern bleibt dabei freilich, inwiefern menschliches Selbstdeutungsinteresse seine Erfüllung im kirchlichen Deutungsangebot oder aber im funktional äquivalenten Deutungsangebot von Werbungs- und Unterhaltungsprogrammen der Mediengesellschaft zu suchen unternimmt.161 Auf der anderen Seite gehört es zur Autonomieanmutung des Menschen, zwischen religiösen Deutungsangeboten wählen bzw. sich kritisch absetzen zu können. Von daher ist das Deutungsangebot der individuellen Aneignung und Umformung immer wieder freizugeben.162 Diesem doppelseitigen Sachverhalt wird, so Gräb, am ehesten durch eine offene Volkskirche Rechnung getragen, welche den Pluralismus in sich nicht nur zulässt, sondern fördert.163 Das Kriterium dafür, ob Kirche ihrer religiösen Funktion gerecht wird, ist weder normativen Überlieferungsvorgaben (Schrift, Bekenntnis) noch ihrem sozialen Beitrag zur Weltgestaltung zu entnehmen; es konzentriert sich vielmehr in der mehrfach genannten Frage nach der „in der Subjektivität der Person wachsenden Gewißheit“,164 nach der Stabilisierung personalen Identitätsbewusstseins. Diese Funktionsbestimmung hat Folgen für die kulturelle Außenperspektive auf die Kirche wie für ihr inneres Selbstverständnis: Die Kirche kann sich der neuzeitlichen Umkehrung der Urteilsforen – „Kulturen werden nicht mehr religiös, sondern Religionen werden kulturell beurteilt“165 – stel159 LLS, 91 (Hervorheb. von H.-M. R.). 160 Vgl. ebd., 46. 83f. 161 Das mit der funktionalen Bestimmung einhergehende Problem der Substituierbarkeit scheint in: SfU, 146ff. 183ff., gegenüber LLS, 46, stärker präsent. In diesem verschärften Problemzusammenhang hebt Gräb dann auf die Interaktion unter leibhaft Anwesenden (SfU, 148) bzw. auf die Explizierungs- und Kommentierungsfunktion explizit religiöser Kommunikation ab (ebd., 183). 162 LLS, 84. 96. 163 Ebd., 89. 164 Ebd., 93. 165 SfU, 96.

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len, indem und insofern sie sich als für Kultur und Gesellschaft relevanter Faktor zu präsentieren vermag. Darüber hinaus macht sie sich selbst einer ökonomischen Betrachtungsweise als religiöses Dienstleistungsunternehmen bzw. als religiöse Deutungsagentur zugänglich.166 Was schließlich die handlungstheoretische Fokussierung der Theologie auf die Kirche betrifft, so ist nicht allein auf die kulturhermeneutische Aufgabe der Theologie zu verweisen, welche diese als Arbeit am christlichen Symbolsystem für die explizit religiöse Kommunikation erbringt. Sie ist vielmehr zugleich Abbildung eben des Sachverhalts, dass die außerkirchlichen pluralen Formen gelebter Religion auf die Präsenz des kirchlichen Christentums angewiesen bleiben. An dieser Stelle setzt sich Gräb kritisch vom Verständnis der Praktischen Theologie bei G. Otto und H. Luther ab und bevorzugt die Grundeinsicht D. Rösslers, dass die drei Gestalten neuzeitlichen Christentums (individuell, kirchlich, gesellschaftlich) zu den drei großen Arbeitsfeldern kirchlicher Praxis (Seelsorge, Gottesdienst, Unterricht) in Entsprechung stehen.167 Dass dabei nun für die Praktische Theologie der kirchlichen Gestalt eine Schlüsselrolle zukommt, ist nicht als nachträgliche Einschränkung ihres phänomenalen Gegenstandsbereichs zu verstehen, sondern umgekehrt: Nur im kirchlichen Christentum bzw. in seinem theologisch reflektierten Selbstverständnis wird der transzendente Grund und die Vollzugsstruktur menschlicher Freiheit, der Konstitutionszusammenhang menschlicher Subjektivität also, thematisch, welcher allen auch mehr oder weniger verflüssigten Realisationsformen vorausliegt und diese als dem Christentum zugehörig zu identifizieren möglich macht.168

2.1.3. Selbstbewusstseinstheorie und transzendentales Religionsverständnis In einer transzendentalen Reflexionsperspektive und in der Anlehnung an eine idealistische Theorie des Selbstbewusstseins wird die Struktur des menschlichen Selbstbewusstseins egologisch als „wissendes Selbstverhältnis“ bestimmt, welches seine präreflexive Selbstvertrautheit im Modus von Selbstdeutungen vor sich bringen muss.169 Bewusstes Leben 166 167 168 169

Vgl. ebd., 253. Unausdrückliches Christentum, 241; Praktische Theologie auf der Suche, 86. Vgl. Selbsttätiger Glaube, 86-89; Praktische Theologie auf der Suche, 87. Diese thetische Zusammenfassung wird im Folgenden ausgeführt, hinzuweisen ist zunächst für die philosophische Problemgeschichte auf den Art. von W. JAESCHKE, „Selbstbewußtsein“, v.a. 357ff.; zur Strukturierung des Problembereichs auf: K.

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drängt „unweigerlich“ in seine Deutung und unterliegt deshalb der Logik eines „hermeneutischen Imperativs“.170 Gräb kann sich für eine solche subjektivitätstheoretische Auffassung des Humanum und dann auch für seine Zuordnung zum Christianum auf Schleiermacher berufen, für dessen Ansatz die „Duplizität des Selbstbewußtseines“171 bekanntlich grundlegende Bedeutung besitzt. Zur Begründung und Geltungssicherung des dem menschlichen Grundverhältnis entspringenden allgemeinen Imperativs zur Selbstdeutung greift Gräb indes auf die Selbstbewusstseinstheorie von D. Henrich zurück, wie dieser sie im Anschluss an Fichte philosophisch zu entwerfen und gegenüber etwaigen Einwänden oder strukturellen Aporien abzusichern unternommen hat. Bei Gräb selbst ist die mit den genannten Aussagen bereits grob umrissene subjektivitätstheoretische Grundlegung lediglich im Blick auf einige Grundlinien ausgeführt, so dass sie nicht ohne weiteres auf alle mit ihr verbundenen Aporien in Stellung zu bringen ist.172 GLOY, Bewußtseinstheorien, 78ff. Dort auch die Erörterung des Sachverhalts, dass eine Selbstbewusstseinstheorie keineswegs mit der Annahme eines Ich einhergehen muss, sondern auch eine nicht-egologische Interpretation begründungsfähig ist. 170 Der hermeneutische Imperativ, 80. 82; Kirche als Ort religiöser Deutungskultur, 231. 171 F. SCHLEIERMACHER, CG2 § 4.1 (I, 24). 172 Als Beispiel für eine im philosophischen Kontext diskutierte Problematik einer Selbstbewusstseinstheorie sei das Reflexions- oder Identifikationsproblem genannt: Im bewusstseinsphilosophischen Denkrahmen setzt Selbstbewusstsein voraus, dass das Ich von sich als dem Inhalt seines Wissens weiß, um sich identifizieren zu können. Vorausgesetzt ist damit aber nichts weniger als das Wissen vom erkannten Ich im erkennenden Ich, welches ja erst durch Reflexion zustande kommen soll. Im Anschluss an Fichte widmet sich Henrich dieser Problematik ausführlich (vgl. “Zirkel vom Typus Münchhausen”: D. HENRICH, Subjektivität als Prinzip, 57f.; P.B. HEIDER, Jürgen Habermas und Dieter Henrich, 86-89.), während Gräbs Stellung hierzu nie explizit erfolgt, aber interpretativ erschlossen werden kann: Zunächst ist zu beachten, dass Gräb sich bei aller Bezugnahme auf Henrich an der Selbstbewusstseinsund Religionstheorie von U. Barth orientiert, welcher durch seinen Rückgriff auf die Schleiermachersche Theoriebildung eine differenzierte Position auch gegenüber der durch die Namen D. Henrich, K. Cramer und M. Frank repräsentierten Schulrichtung explizit vertreten kann; vgl. z.B. U. BARTH, Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit, 41ff. Für Schleiermachers Verständnis des unmittelbaren Selbstbewusstseins kann bereits geltend gemacht werden, dass es jedem Subjekt-Objekt-Verhältnis vorausliegt und dem Zirkel der Reflexionstheorie entnommen ist. Des Weiteren verweist Gräb in: SfU, 305, auf einen entsprechenden Gedankengang, den D. Henrich selbst (in: Gedanken zur Dankbarkeit) bietet: Dort entwickelt dieser von einer (vermittelten) humanen Grundstimmung eines unvordenklichen Danks fürs Dasein ausgehend den möglichen Gedanken eines (endlichen) Absoluten. Schließlich kann im Blick auf Gräbs eigene Position im Anschluss an den bereits skizzierten Sachverhalt gesagt werden, dass die Erschlossenheit im “wissenden Selbstverhältnis” bzw. das Bewusstsein eines transzendenten Einheitsgrundes wie jede religiöse Erfahrung durch eine ästhetische Erfahrung vermittelt und auf diese Weise Erfahrung mit der Erfahrung ist. Die Reflexionssubjektivität als Konstitutionsort ästhetischer Erfahrung ist aber (inspiriert von Kants Kritik der Urteilskraft) vom Zusammenspiel von Sinn-

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Die folgende Darstellung nimmt darauf Rücksicht – sie beabsichtigt daher lediglich zwei Begründungsstränge, einen philosophischen und einen theologischen, etwas weiter zu verfolgen: die erwähnte Begründung der Imperativs zur Selbstdeutung und die Begründung der in der eigenaktiven Vorstellungsproduktion und der individuellen Wahl von Deutungen in Anspruch genommenen Freiheit des Reflexionssubjekts. Das Wesen des Menschen beruht, mit D. Henrich gesprochen, in einem „wissenden Selbstverhältnis“:173 Wenn Menschen „Ich“ sagen, nehmen sie eine unmittelbare Selbstvertrautheit in Anspruch, welche allen Deutungen, wer wir eigentlich sind, vorausgeht und sie als die eigenen zu identifizieren (bzw. als fremde abzustoßen) überhaupt erst ermöglicht.174 Dies bringt eine Identifikationsparadoxie mit sich: Einerseits ist es ein Merkmal bewussten Lebens, von sich selbst als diesem Selbst zu wissen, andererseits ist die unmittelbare Selbstvertrautheit nicht gegenständlich objektivierbar bzw. auf direkte Weise reflektierbar. „Das ist eine Paradoxie, daß wir um unsere Identität wissen und gleichwohl unaufhörlich nach ihr suchen müssen. [...] Daß wir selbstverständlich ‚Ich’ sagen und zugleich nicht wissen, ob wir dieses Ich, das da spricht, auch selber sind.“175 Der „hermeneutische Imperativ“ bezieht sich genau auf diese fortwährende Aufgabe der Differenzüberwindung durch Deutung; er besagt, dass „bewußtes Leben unweigerlich in seine Deutung drängt“.176 Henrich hat für diesen Zusammenhang der beiden Stufen des Selbstverhältnisses (präreflexiv – reflexiv) eine subjektivitätstheoretisch-transzendentale – d.h. zunächst eine einzelwissenschaftlichen Erkenntnissen vorausliegende und mit metaphysischem Anspruch177 ausgezeichnete – Begründungsfigur aufgeboten, der

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177

lichkeit und Vorstellungskraft her, also nicht von einer wissenden Begriffssubsumierung her entworfen. SfU, 245; vgl. 305. LLS, 63-65. Ebd., 65. Der hermeneutische Imperativ, 82. Die Rede vom „Drängen“ des bewussten Lebens in seine Deutung findet sich an der für Gräb zentralen Stelle bei D. HENRICH, Fluchtlinien, 20, und taucht bei Gräb immer wieder auf, vgl. Kirche als Ort religiöser Deutungskultur, 231; LLS, 66; interessanterweise auch schon in der Schleiermacherinterpretation in: Predigt, 189. Henrichs Bemühen um eine auf das bewusste Leben fokussierte moderne Metaphysik, welche der falliblen Erkenntnis von Einzelwissenschaften und der Pluralität formativer Begriffshorizonte vorausliegt, wurde von J. HABERMAS, Nachmetaphysisches Denken, 272ff., kritisiert. Vgl. dazu auch die späteren klärenden Aussagen von D. HENRICH, Bewußtes Leben und Metaphysik, 194ff. W. HOGREBE, Metaphysik und Mantik, 15f., hat dann gegenüber Habermas die Unterscheidung von plural-komplexer Deutungskultur und einer sie bedingenden metaphysisch zu erfassenden konstanten Deutungsnatur des Menschen geltend gemacht. Zur Problematik einer theo-

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sich Gräb an einigen Stellen anschließt: Das Drängen in die Lebensdeutung wird von der „antinomischen Duplizität“ einer Grundstruktur bewussten Leben hergeleitet.178 Die antinomische Verfassung humaner Subjektivität besteht darin, dass der Mensch sich in einer doppelten Relation verstehen muss: als einer unter vielen und als einzelner gegenüber allem, als ‚Person’ und als ‚Subjekt’. Als individuelle Person ist der selbstbewusste Mensch ein Vereinzelter in Raum und Zeit und als Vereinzelter eines Allgemeinen (Naturwesen) auch beschreibbar. Während hier die Selbstbeschreibung einer Beobachterperspektive folgt, weiß sich der Mensch zugleich von dem in ihr Gewahrgewordenen als einzigartiges Subjekt im Gegenüber zu seiner Welt auch unterschieden.179 Aus dieser antinomischen Grundverfassung geht ein fortwährender Prozess des Ausgleichens von Selbstbeschreibung der Person und Selbstauffassung der Subjektivität hervor. „Deuten, und d.h. sich selbst verstehend erfassen, muß es [das bewusste Leben, H.-M. R.] sich eben in den Gründen des Sachverhalts, daß es sich seiner, indem es sich als dieses einzelne, als welches es sich neben allem anderen gegeben ist, wissend vor sich zu bringen versucht, zugleich unmittelbar immer schon bewußt ist.“180 Dieser fortwährende Deutungsprozess hat prinzipiellen Charakter, er liegt der modernen Lebenskultur zugrunde. In ihr tritt allerdings das Bewusstsein der Freiheit zum Anders-Sein-Können verstärkt hervor, was eine Ortsanweisung durch einen vorgegebenen Deutungshorizont (z.B. der traditionellen Religion) erschwert. Der Arbeit am Symbolsystem der christlichen Religion ist es also mehr denn je aufgegeben, deren Anschlussfähigkeit durch Interpretationsanstrengungen herzustellen. „Und diese wiederum müssen auftreffen auf die Deutungsanstrengungen, die dem antinomisch verfaßten Grundverhältnis unseres bewußten Lebens selber entspringen.“181 Gewährleisten lässt sich dies, wenn Religion – wie bereits dargelegt – in ihrer Funktion der individuellen Selbstthematisierung verstanden wird. Für diesen Zusammenhang reformuliert: Angesichts der Freiheit des Anders-Sein-Könnens und dem faktischen So-und-nicht-anders-Sein der Person sich als von Gott gegeben zu begreifen, bedeutet, sich seines einzigartigen, absoluten

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logischen Rezeption Henrichs vgl. außerdem J. BRACHTENDORF, Subjektivität, Metaphysik, 1-22. Kirche als Ort religiöser Deutungskultur, 231. Ebd. („antinomische Duplizität“); Die gesellschaftliche Relevanz, 23 („antagonistische[...] Grundverfassung“); Religion in der Moderne, 105 – vgl. zu allen drei Stellen: D. HENRICH, Fluchtlinien, 20f. Kirche als Ort religiöser Deutungskultur, 231. Ebd., 232 (Hervorheb. im Orig.).

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Wertes vergewissern zu können. Zugleich erlaubt eine so verstandene Religion es, das Freiheitsrecht, die unverletzliche Einzelheit jeder Person durch das Präsenthalten einer allgemeinen Subjektivität anzuerkennen.182 „Die Religion ist das Bewußtsein des transzendenten, man kann auch sagen, metaphysischen Grundes menschlicher Freiheit.“183 Was damit andeutungsweise sichtbar wird, ist dies, dass der (antinomisch verfassten) Grundverfassung humanen Daseins eine religiöse Begründungsfigur zugeordnet wird, welche im Übrigen schon angesichts der These Henrichs von der Philosophie als Nachfolgerin der Religion nicht ohne weiteres als plausibel gelten kann. Um also eine hinreichende Erfassung des transzendentalen Religionsbegriffs zu gewährleisten, ist die in ihrer funktionalen Signatur skizzierte Definition von Religion, der gemäß das Individuum im Horizont des Unbedingten zur Eindeutigkeit seines Selbstverständnisses und damit zu lebensorientierter Sinngewissheit verlangt, auf ihre begründungstheoretische Reichweite zu testen.184 Dazu eignen sich explizite Aussagen insbesondere an zwei Stellen.185 Religion ist eine Bestimmtheit im Selbstverhältnis bewussten Lebens. Wir erfahren uns auf unmittelbare Weise erschlossen. „Ich bin mir mit einem Schlage dessen bewußt, daß ich mir meiner selbst wie des Ganzen einer Welt, die mir aufgeht, bewußt bin.”186 Schleiermacher folgend äußert sich dieses unmittelbare Selbstbewusstsein im Gefühl einer vorreflexiven und ursprünglichen Selbstvertrautheit. Im Gefühl wird der transzendente (weil aller gegenständlichen Unterscheidung vorausgehende) Einheitsgrund von Selbst und Welt präsent; es ist das Gefühl eines unbedingten Gegründetseins. Die im Gefühl bewusst werdende „Erschlossenheit in ei182 Vgl. den an die Ausführungen von K. Müller angeschlossenen, gedrängten Argumentationsgang in: Religion in der Moderne, 105. 183 Ebd. 184 Für D. Henrich macht es die Struktur wissender Selbstbeziehung notwendig, einen ihr zugehörenden Grund vorauszudenken, welcher gleichwohl der Erkenntnisfähigkeit des Subjekts entzogen bleibt (D. HENRICH, Bewußtes Leben, 18. 35; vgl. ders., Subjektivität als Prinzip, 64. 69). In einer Umkehrungsoperation wird dieser als eine Realität, von der wir abhängig sind, einzusetzen möglich, während die darüber hinausgehende Annahme eines Absoluten lediglich den Charakter einer Option erhalten kann (vgl. ebd., 64; ders., Gedanken zur Dankbarkeit, 190f.). Damit ist bereits angezeigt, was auch jede theologische Argumentation zu beachten hat, dass nämlich eine Notwendigkeit auf der jeweiligen Reflexionsstufe sich nicht analytisch aus derjenigen der vorhergehenden Stufe ableiten lässt: Die Notwendigkeit, einen Grund vorauszudenken, impliziert nicht die Notwendigkeit, sich von einer (geistigen) Realität abhängig zu wissen. Dieses wiederum impliziert keineswegs die Notwendigkeit einer Deutung als Transzendenzabhängigkeit, erst recht nicht die einer religiösen Transzendenzabhängigkeit oder gar eines Gottesbewusstseins. Wenn Gräb unterstellt, dass – z.B. im Anschluss an Th. Luckmanns Rede von kleinen, mittleren und großen Transzendenzen – prinzipiell alle Menschen religiös sind, so ist auch zu erwarten, dass sich dies für ihn auf der skizzierten subjektivitätstheoretischen Ebene rekonstruieren und in seiner begründungstheoretischen Reichweite erörtern lässt. 185 Gemeint sind: Auf den Spuren der Religion, 45f., und SfU, 304-309. 186 Ebd., 305.

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nem unvordenklich Gründenden”187 hat den Charakter einer für alle Menschen konstitutiven Evidenzerfahrung. Vorreflexiv werden sie sich eines Grundes, welcher ihr theoretisches und praktisches Wissen ermöglicht, ihm zugleich aber entzogen ist, bewusst. Subjektivitätstheoretisch betrachtet beinhaltet Religion nun den Reflexionsvollzug des Gefühls des Gegründetseins – „hin zu seinem transzendenten, absoluten Ermöglichungsgrund”.188 Damit ist das prinzipielle und transzendentale Religionsverständnis und seine begründungstheoretische Implikation bereits umrissen. „Transzendental” verweist in diesem Zusammenhang sowohl auf die Präsenz eines transzendenten Ermöglichungsgrundes in der Unmittelbarkeit des Selbstgefühls als auch auf die schlichte Tatsache, dass sich dieses Religionsverständnis als neuprotestantisch in der Tradition des transzendentalen Idealismus versteht. Werden in diesem Sinne alle Menschen für notwendig religiös erklärt – unabhängig davon, ob sie sich selber als Religiöse, Religionskritiker oder als Atheisten betrachten –, so ist damit also gesagt, dass alle Menschen nach sich selbst fragen, darin eine religiöse Grunderfahrung machen und in die Reflexion bzw. die Deutung des unbedingten Grundes gedrängt werden. Genau hier erfolgt nun allerdings – ebenfalls im Rückgriff auf Schleiermacher – eine entscheidende begründungstheoretische Grenzbestimmung: Die religiöse Grunderfahrung impliziert kein Gottesbewusstsein. „Was es um diesen unbedingten, unserem Wissen transzendenten Grund ist, wie wir ihn uns sollen vorstellen können, das ist […] eine Frage der Deutung, eine Sache der Interpretation.”189 Noch deutlicher: „Die unergründliche Erfahrung, daß wir in einem sinnbewußten Selbst- und Weltverhältnis stehen, ohne uns durch eigene Anstrengung in dieses versetzt zu haben, öffnet uns für die Religion. Sie macht freilich die Rede von Gott keineswegs zwingend. Es wird vielmehr deutlich, daß dies auch gar nicht nötig ist. Für unser Leben wichtig ist die Öffnung für Religion, nicht die Rede von Gott.”190 Diese begründungstheoretische Grenzbestimmung eines allgemeinen Religionsbegriffs führt zum kritischen Befund von Gräbs Dissertation über Schleiermacher zurück; zugleich umgeht sie so eine fundamentale Schwierigkeit für eine durch die Kritik Nietzsches hindurchgegangene metaphysische Subjektivitätstheorie, wie sie diejenige von D. Henrich darstellt.191 Ein analoger Sachverhalt wurde bereits in der Zuordnung von ästhetischer und religiöser Erfahrung deutlich: Auch hier vermag ästhetische Erfahrung den Sinn für Transzendenz zu ‚öffnen’, während die Bestimmt-

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Ebd. Auf den Spuren der Religion, 45. Zusammengefasst auch: Atheistisch, 192-194. SfU, 306 (Hervorheb. im Orig.). Ebd. (Hervorheb. von H.-M. R.). Das zeigt sich etwa daran, dass zwar Fiktionalismus wie Materialismus als Möglichkeit eines (letztlich unzureichenden) Symbolsystems gedacht werden können, sie aber – anders als bei Henrich – bei der argumentativ-denkerischen Gewinnung der subjektivitätstheoretischen Begründungsfigur und damit als ernsthafte Alternative außen vor bleiben.

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heit religiöser Erfahrung die Anwendung entsprechender Deutekategorien voraussetzt. Für die explizit religiöse Kommunikation der Kirche kommt nun alles darauf an, dass sie ihre Gottesrede in diesem Sinne religionsfähig hält, d.h. sie als Symbolisierung zur Erschließung der menschlichen Grunderfahrung applikationsfähig ist. Denn, dessen ist sich eine kulturhermeneutisch arbeitende Theologie gewahr, Religion ist eine mittlerweile durch eine Vielzahl kultureller Medien vermittelte Sinndimension. Hinsichtlich der Deutung des unbedingten, transzendenten Grundes ist also mit erhöhter Konkurrenz zu rechnen. Gräb ist dabei überzeugt: Unter solchen neuzeitlichen Kulturbedingungen ist, um Menschen auf das Grundverhältnis ihres bewussten Lebens, die Frage nach dem Sinn ihres Daseins anzusprechen, eine Gottesrede in den Bahnen eines weithin gepflegten theistischen Personalismus schlichtweg hinderlich.192

Die von einer unmittelbaren Erschlossenheit ausgehende religiöse Selbstdeutung lässt sich als Prozess der reflexiven Selbstvergewisserung beschreiben. Es handelt sich um einen (antinomischen) Prozess, welcher auf die gesteigerte Selbst-Durchsichtigkeit zielt, einer letzten Erhellung des unbedingten Gegründetseins jedoch entbehrt und sich darum auch im fortwährenden Unterscheiden von Selbstdeutungsgestalten, auch von religiösen Symbolisierungen, vollzieht. Angesichts der nur fragmentarisch zugänglichen Lebensgeschichte sowie menschlichen Fraglichkeits- und Verlusterfahrungen bricht also zwar die Frage nach Transzendentem in der alltäglichen Lebenspraxis auf – ohne aber in einer auf die Unbedingtheitsdimension rekurrierenden Religion zu einer abschließend erhellenden Selbstdeutung oder einer Aufhebung widersprüchlicher Erfahrungen zu gelangen.193 Einer vom wissenden Selbstverhältnis her verstandenen Religion ist immer eine „letzte Dunkelheit” eigen, welche allerdings bereits auf das Licht, nämlich auf die Einheit des Ich, die immer schon in Anspruch genommene unmittelbare Selbstvertrautheit, zu verweisen vermag.194 In ihr ist der unvordenkliche Grund des Selbstwissens gegeben, welcher ein sich seiner singulären Totalität bewusstes kontrafaktisches Selbstsein festhalten lässt – „allen fragmentarischen, negativen, ambivalenten Erfahrungen mit diesem Leben zum Trotz.”195 Zugleich ist durch die Art seines Gegebenseins die Vorstellung abgewiesen, meine Identität resultiere aus eigener oder von anderen zugeschriebener Selbstdeutung.196 Dies käme einer Rechtfertigung nach dem Gesetz gleich.

192 193 194 195 196

Vgl. SfU, 308; Atheistisch, 196. Vgl. LLS, 87f. Ebd., 72. Ebd., 88. Ebd., 72f.

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An dieser Stelle kann nun also eine Rede von Gott und insbesondere das „protestantische[...] Zentralsymbol der Rechtfertigung allein aus Gnade”197 ins Spiel kommen: ‘Gott’ symbolisiert das Woher der unmittelbaren Selbstvertrautheit als einer geistigen Wirklichkeit, von der ich lebe und die ein Wissen um mich hat, welches ich selbst nicht erbringen kann.198 Die Rechtfertigung des Sünders steht für ein neues Selbstverhältnis, in welchem das in Gott gegründete Selbstbewusstsein zu einer kontrafaktischen Sinngewissheit gelangt. Diese subjektivitätstheoretisch reformulierte, von aller forensischen und eschatologischen Kategorialität bereinigte Rechtfertigungslehre wurde bereits angedeutet. Erst auf der Grundlage der skizzierten Subjektivitätstheorie vermag nun allerdings deutlich zu werden, inwiefern der Glaube als ein Perspektivwechsel hin zur externen Gottesgeschichte des gekreuzigten Christus auch unter modernen Lebensbedingungen gebraucht wird. Er korrespondiert einem Defizit der humanen Selbstdeutungsmöglichkeit. Die Geschichte Jesu, seines im Vater gegründeten und sich verschenkenden Lebens wird zum Gehalt der Selbstvergewisserung – einer Selbstvergewisserung im Blick auf den unendlichen Wert jedes Einzelnen unabhängig seines Tuns und im Blick auf die Totalität des Sinnganzen trotz aller Negativerfahrungen.199 Der Glaube schaut „am Kreuz an: Unverbrüchliches Gehaltensein auch an den Abgründen, auch in Tod und Sterben, auch in der Erfahrung der Gottverlassenheit, auch in der Verhältnislosigkeit desolater Zustände.”200 Rechtfertigungsglaube ist so „christologisch vermittelter Schöpfungsglaube”.201 Grundlegende Bedeutung hat die subjektivitätstheoretisch reformulierte Rechtfertigungslehre und eine ihre entsprechende Kreuzestheologie indes nicht allein, insofern sie auf die durch einen Perspektivwechsel in der Selbstdeutung zu gewinnende kontrafaktische Sinngewissheit abhebt. Sie hat es auch, insofern sie die Konstitution der Freiheit des wählenden und vorstellungsproduktiven Reflexionssubjekts, seines in der Selbstdeutung praktizierten Rezeptionsverhaltens theologisch einzuholen ermöglicht.202 197 198 199 200 201

Praktische Theologie als Praxistheorie, 50. Vgl. LLS, 72f. Vgl. Die gesellschaftliche Relevanz, 24; Praktische Theologie als Praxistheorie, 49f. SfU, 347 (Hervorheb. im Orig.). Ebd. Vgl. auch ebd., 338: „Der religiöse Glaube ist die Fähigkeit, das Fragmentarische und Zweideutige, Ruinöse und Desaströse in den Selbst- und Weltverhältnissen zu sehen (‘Sünde’) und in der Perspektive des Evangeliums, der Vergebung, der Durchbrechung von Unheilszusammenhängen auszuhalten, manchmal auch verändern und bewältigen zu können.” 202 Vgl. die doppelte Aufgabenbestimmung der Theologie, sich an der Kommunikation als Religion und an der Kommunikation über Religion zu beteiligen, auch LLS, 39-43.

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Wie dies geschehen kann, hat Gräb bereits mit D. Korsch in der Studie „Selbsttätiger Glaube” (1985) vorgeführt. Auf die neuzeitliche Problemkonstellation, der gemäß Wirklichkeit vom Vollzug einer endlichen, ihres Grundes nicht ansichtigen Freiheit her zu begreifen ist, antwortete Schleiermacher bekanntlich mit einem Verständnis von Religion als Bewusstsein des Grundes der in endlicher Freiheit vollzogenen Selbsttätigkeit. Genau im Blick auf dieses „allgemeine Bezugsproblem” wird in der Studie nun Luthers Rechtfertigungslehre reformuliert – und zwar so, dass sie nicht nur das Gegebensein der Freiheit endlicher Subjekte, sondern deren Zustandekommen expliziert.203 Im vorliegenden Zusammenhang geht es dabei vorrangig darum, das von der Praktischen Theologie vorausgesetzte Subjekt von Praxis theologisch zu begreifen. Denn ein subjektivitätstheoretischer Ansatz beim empirischen Subjekt würde übersehen lassen, dass Menschen Subjekte zuallererst werden müssen.204 Anhand zweier Schriften Luthers wird daher die Rechtfertigungslehre als theologische Konstitutionstheorie von Subjektivität behauptet. Dies bedeutet vor allem: „Was im theologischen Sinn ‚Subjekt’ heißen kann, wird allein durch die Rechtfertigungslehre begriffen – und die Rechtfertigungslehre ist erst hinreichend durchdacht, wenn sie auch in dieser Funktion betrachtet wird.”205 Das Bewusstsein der Rechtfertigung wird dazu als dasjenige Selbstbewusstsein aufgefasst, das um sein eigenes Zustandekommen weiß. So vermag die Rechtfertigungslehre schließlich für die Praktische Theologie ein kategoriales Bezugssystem bereitzustellen, welches die Diskussion um den phänomenal mehrdeutigen Gegenstandsbereich zu überschreiten ermöglicht – hin zu seinen subjektivitätstheoretisch zu erfassenden Konstitutionsbedingungen.206 Sie erlaubt zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit humanwissenschaftlichen Theorien, insofern sie schon gegenüber dem Postulat einer allgemein gegebenen Freiheit deren Bestimmtheit zu thematisieren einfordert.207 Positiv gegeben ist Freiheit in ihrer (vom Glaubensgrund) bestimmten Gestalt am Ort der Kirche. Nur von diesem als dem „Ort der Selbstthematisierung der Freiheit” ausgehend kann Praktische Theologie daher, wie erwähnt, dann alle gegebenen kulturell-religiösen Manifestationen zu ihrem umfassenden Objektbereich erklären.208

203 Selbsttätiger Glaube, 15; vgl. 38. 204 Ebd., 68f. 205 Ebd., 39, vgl. 47. 60. Grundlegend für die Argumentation ist die Differenz von ‚innerem’ und ‚äußerem’ Menschen in Luthers Freiheitsschrift: Dass der innere Mensch im Wort Gottes seinen Bestimmungsgrund hat, wird durch die tätig vorweggenommene Selbstbestimmung unter dem Gesetz verstellt. Das Evangelium hingegen offenbart die dabei in Anspruch genommene, aber pervertierte Struktur – insofern es eröffnet, dass der Selbstbestimmung durch sich selbst eine andere Bestimmung, nämlich diejenige des inneren Menschen vorausliegt. 206 Vgl. ebd., 72. 207 Vgl. ebd., 85. 208 Vgl. ebd., 85f. 88.

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2.1.4. Funktionalisierte Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Frage des Menschen nach sich selbst Die vorgeführte Darstellung von W. Gräbs Programm ist vom Bemühen getragen, die Gesamtstruktur hervortreten zu lassen. Und im Blick auf diese wird eine beeindruckende Kohärenz zunächst kaum abzusprechen sein: Die Doppelstruktur der Religion steht in einem “Passungsverhältnis” zur Doppelstruktur humanen Daseins, schließlich zur Doppelstruktur von Kultur und Kunst. Das muss nicht nur als konsequente Fortführung des in der Dissertation bereits postulierten Verweiszusammenhangs von Christianum und Humanum, von Religion und Vernunft verstanden werden, sondern zugleich auch als Abbildung der behaupteten „Anschlussfähigkeit” auf Theorieebene. Dem entspricht es, dass auch zentrale protestantische Lehrgehalte wie Glaube, Sünde, Rechtfertigung oder die Differenz von Gesetz und Evangelium in diesen Rahmen eingezeichnet werden: Ihrer Materialität und Partikularität entkleidet werden sie im Sinne von Vollzugsgestalten humaner Subjektivität bzw. von differenzbewusster Lebensdeutung prinzipialisiert. Sowohl in der Gesamtanlage als auch in den verschiedenen Ausführungen ihrer Teile besitzt diese Denkkonzeption freilich auch ihre Problematik, welche in diesem Abschnitt erörtert werden soll – und zwar so, dass Einsichten und Fragestellungen für die weitere Bearbeitung des vorliegenden Themas fruchtbar gemacht werden können: Zunächst wird das kontextuelle Denkmotiv und seine Auswirkungen auf die Theoriebildung betrachtet (1.), sodann ist im Anschluss an die Problemskizze die theologische Gegenstandsbestimmung (2.) und die spezifische Fokussierung der funktionalen Relation von Theologie auf das individuelle Subjekt (3.) zu diskutieren. Von da aus kann dann ein über Gräbs Konzeption hinausweisendes grundsätzliches Problem, nämlich die Frage der Theologizität des Theologiebegriffs, thematisiert werden. 1. Das kontextuelle Denkmotiv lässt sich mit den Stichworten „Relevanz” bzw. „Relevanzverlust” markieren. Die inhaltliche Auffassung des Relevanzverlusts und die Vorstellung darüber, an welchem Ort die verlorene Relevanz wieder zu gewinnen erhofft wird, sind dabei beide bestimmt von der Verbindung einer Zeitdiagnose der Alltags- und Medienkultur und einer an E. Hirsch orientierten begrifflichen Fassung einer neuzeitlichen “Umformungskrise” des Christentums. Seinen Niederschlag findet dies in zwei Grundüberzeugungen, welche der weiteren Konzeption und auch der Rezeption von Gedanken Schleiermachers, Harnacks oder Troeltschs die Richtung weisen: Zum einen ist

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hier der vorausgesetzte Bezugspunkt der Relevanz, nämlich das Sinndeutungs- und Sinnvergewisserungsverlangen am Ort individueller Subjektivität, zu nennen – zum anderen die Überzeugung der Relevanz(wieder)gewinnung durch die Transformation überlieferter Identität des Christlichen, eben im Blick auf die religiöse Selbstauslegung, welche der Subjektität des Menschen „so oder so”, soll heissen: konstitutiv zugehört. Unter der Zugrundelegung dieser beiden Grundüberzeugungen wird die kommunikative Resonanzfähigkeit von Theologie und Kirche auch zum inneren Anliegen theologischer Reflexion. Für die Dialektik von Relevanz und Identität209 bedeutet dies: Die Identität des Christlichen wird von seiner Relevanz her, von seiner Relevanz für das sich um Identität bemühende Individuum der Erlebnis- und Medienkultur her aufgebaut.210 Die Identitäts- und Wesensbestimmung des Christlichen prozediert im Anschluss an Troeltsch darum als deren Subjektivierung und Dynamisierung – in ständiger Negation einer Heteronomie durch biblisch-dogmatisch Vorgegebenes. Entscheidend ist nun nicht so sehr der Sachverhalt, dass damit von einer weiteren Überzeugung in Form eines bestimmten Verständnisses von Dogmatik negativ Gebrauch gemacht wird (Behauptungswissen vs. Selbstthematisierungsangebot), sondern die Übersetzung der genannten Grundüberzeugungen in eine limitativ-gegenläufige Denkbewegung: Relevanzerhöhung ist nur zu gewinnen durch eine Begrenzung bzw. eine Minimierung theologisch-dogmatischer Bestimmtheit. Diese Minimierung von inhaltlicher Bestimmtheit bezieht sich dabei nicht nur auf eine invariante und entwicklungsresistente Dogmatik – „Dogmatischen Ballast abwerfen“211 muss im Blick auf eine solche Dogmatik in der Tat geraten sein – , sie zielt vielmehr erklärterweise darauf, die ‚Substanz‘ der Dogmatik überhaupt, den Bedeutungsgehalt ihrer Sätze und Begriffe durch deren Funktionalisierung („Entsubstantialisierung“) in lebensdienliche Sinndeutungsangebote zur Selbstdeutung humaner Subjekte zu überführen. Das schließt ein, dass der herkömmliche Realitätsanspruch bzw. die referentielle Bindung religiöser wie theologischer Aussagen zum Verschwinden gebracht wird. Davon wird noch zu reden sein. Nun kann gegenüber einer solchen limitativen Denkbewegung auf die prinzipielle Möglichkeit anderer Modelle verwiesen werden. So würde beispielsweise ein Modell, welches Identität und Relevanz in analoger (also nicht gegenläufiger) Abhängigkeit strukturiert begreift, es 209 Vgl. dazu auch: J. MOLTMANN, Der gekreuzigte Gott, 12-33. 210 Deutlich z.B. in: LSS, 34. 211 SfU, 249.

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nahe legen, dass ein hoher Relevanzgrad auf eine starke, das individuelle Subjekt in der inhaltlichen Konkretheit von Vorstellungen prägende Identität angewiesen ist. Eine „Verflüssigung“ bzw. „Entsubstantialisierung“ konkreter Bedeutungsgehalte wäre dann gerade der falsche Weg zur Lösung des Relevanzproblems. Hinsichtlich der religiösen Verhaltensmuster in der gegenwärtigen Gesellschaft Deutschlands vermag ein solches Modell auch eine gewisse empirische, in religionssoziologischen Untersuchungen aufweisbare Evidenz für sich in Anspruch zu nehmen.212 Dass sich Gräb eine solche Möglichkeit versagt sein lässt, ist indes nicht unbegründet: Unter neuzeitlichen Bedingungen impliziert Relevanz auch Plausibilität für individuelle Subjektivität. Seinen Plausibilitätserweis aber – für Gräb: den Erweis seiner sinnerschließenden Funktion – muss ein im Modus von „Behauptungswissen“ auftretendes theologisch-kirchliches Wissen erst erbringen, um nicht in seinem Vorgegebensein als heteronomes Behauptungswissen abgestoßen zu werden.213 In Szene gesetzt wird diese Forderung durch den Verweis auf einen postulierten Folgezusammenhang: Sollte es der Kirche nicht gelingen, als relevanter Faktor religiöser Deutungskultur sich in der Gesellschaft Anerkennung zu verschaffen, droht die Regression ihrer Kommunikation in eine nur „binnenkirchlich plausible[...] ‚Sondergruppensemantik‘ (N. Luhmann)“ und ihr selbst eine „gesellschaftliche[...] Marginalisierung zur Sekte“.214 Diese drastische und durchaus voraussetzungsreiche215 Drohkulisse wäre grob missverstanden, wollte man Gräbs Denkbewegung unterstellen, sie ziele auf die Selbsterhaltung der Kirche. Das Ziel ist (in der Vollzugsform) die subjektive Religion, die Lebens- und Sinngewissheit am Ort des individuellen Subjekts und (in der Reflexionsform) die öffentliche Anerkennung der humanen Allgemeinheit von Religion. Dazu wird die Kirche „gebraucht“; ihre Kernkompetenz besteht daher in ihrer spezifisch religiös-kommunikativen Funktion, nicht in ihrer ethisch-moralischen, ihrer prophetisch-politischen oder ihrer kognitiven Funktion der Welterklärung. 212 Vgl. D. POLLACK, Kirche in der Organisationsgesellschaft, 416. 213 Oder von Gräbs Position aus formuliert: Wird die Anschlussfähigkeit mittels entsubstantialisierter und auf menschliche Grundverhältnisse hin interpretierter Bedeutungsgehalte hergestellt, kann davon Abstand genommen werden, die vorstellungsproduktive Eigenaktivität menschlicher Subjektivität in falscher, nämlich heteronomer Weise zu limitieren. 214 LLS, 297; Vorwort, 9; vgl. SfU, 247. 215 Schließlich könnte ja auch eine gesellschaftliche Marginalisierung als Zuweisung des Ortes zu begreifen sein, von dem aus Kirche ihren Dienst an Kultur und Gesellschaft wahrzunehmen hat.

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Die ausgezeichnete Stellung des Relevanz- bzw. Plausibilitätsproblems wirkt sich also auf die gesamte Konzeption aus. Dies offenbart auch 2. die theologische Gegenstandsbestimmung. Erfasst wird diese durch den Grundbegriff der Religion. Unabhängig seiner näheren subjektivitätstheoretischen Explikation ist seine Leistungsfähigkeit schon darin zu sehen, dass die Weite bzw. die Abstraktheit eines Religionsbegriffs die Möglichkeit der Erfassung eines weiten d.h. eines den humanen Lebensvollzügen zugehörigen Phänomenbereichs von „gelebter Religion“ begrifflich zuallererst eröffnet. Dies kann dabei in einer solchen Weise geschehen, dass die Gegenstandsbestimmung in der internen (theologischen) Beschreibungsperspektive einer externen (kulturtheoretischen) Beschreibungsweise entspricht, d.h. im Horizont allgemeinen Bewusstseins plausibilisiert werden kann. Von daher bleibt Gräbs religionstheologisches Programm vom religionssoziologischen Streit um den Religionsbegriff bzw. dessen Verabschiedung weitgehend unberührt.216 Die weite Unbestimmtheit des Religionsbegriffs und die Tatsache, dass er sich einer allgemeingültigen Definition entzieht (durchaus vergleichbar mit der analogen Frage: „Was ist Kunst?“), wird nicht als Argument für seine Verabschiedung gewertet, sondern als Aufforderung zu einer eigenen, für den Programmentwurf von Kulturhermeneutik auch notwendigen subjektivitätstheoretisch-formalen Rekonstruktion. In ihrer formalen Abstraktheit beansprucht diese dann freilich nichts weniger zu sein als der begriffliche Nachvollzug dessen, wie die Wirklichkeit „gelebter Religion“, die Wirklichkeit des religiösen Bewusstseins in seinen konkreten Lebensbezügen tatsächlich verfasst ist.217 Die Aufgabe der Begriffsbestimmung von Religion wird näherhin nun so wahrgenommen, dass eine differenzierte Positivität vorliegt, also die Differenz von Nichtgegenständlichkeit und Gegenständlichkeit des theologischen Gegenstands konfiguriert ist (vgl. 1.2.1.) – in diesem Fall in Gestalt einer schlichten Doppelstufigkeit von präsymbolischem Selbstgefühl und symbolischer Deutung. Damit ist einerseits eine positivistisch-funktionale Beziehung zur religiösen Wirklichkeit, der gemäß Religion sich letztlich mit einer oder mehreren ihrer gesellschaftlichen oder kulturellen Äußerungsformen deckt, ausgeschlossen; ermöglicht 216 Das zeigt sich z.B. in Gräbs Statement: Religion in der Moderne, in welchem dieser auch zum Referat von F.-X. KAUFMANN, Selbsterfahrung, 85-103, Stellung nimmt. Kaufmann empfahl ebd., 99, „daß christliche Theologie auf den Unbegriff der Religion verzichten sollte, wenn sie sich ihrer Aufgaben in unserer Zeit vergewissern will.“ 217 Vgl. U. BARTH / W. GRÄB, Vorwort, 8f.

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wird es andererseits, Religion in den Konstitutionszusammenhang der Verfasstheit humanen Daseins einzuzeichnen. Das wird noch einmal mehr deutlich, wenn man sich die Pointe von Gräbs Religionsbegriff vor Augen hält: In der erwähnten Doppelstufigkeit erweist sich die Priorität der allgemeinen Grunderfahrung darin, dass sie zwar auf symbolisch-mediale Deutungsgehalte angewiesen ist, sich zugleich aber immer wieder von diesen emanzipiert. Die Aufgabe der Theologie wird daher von einer bloßen Explikation transsubjektiver Bedeutungsgehalte abgegrenzt; sie vollzieht sich vielmehr in den zwei Erschließungsfunktionen von Visibilisierung und Deutung der nichtgegenständlichen Sinndimension auf der einen, Plausibilisierung von Bedeutungsgehalten des christlich-religiösen Symbolsystems mittels Entsubstantialisierung auf der anderen Seite. Das auf den subjektivitätstheoretisch-doppelstufig verfassten Religionsbegriff aufbauende Systemprogramm von Theologie ist insoweit klar. Die folgenden kleineren und größeren Fragen bzw. Schwierigkeiten betreffen den Ausgangspunkt, die im Religionsbegriff versammelten Grundannahmen: a) die Frage der Reduktion: Die im Anschluss an Schleiermachers Religionstheorie und Cassirers Symboltheorie gewonnene Struktur einer formalen Doppelstufigkeit des Religionsbegriffs scheint zunächst einleuchtend zu sein. Zu beachten vorausgesetzt ist allerdings, dass es sich bei den beiden Teilmomenten des Begriffs um in der Reflexion gewonnene Grenzbegriffe handelt. Das bedeutet: Die Relation von präsymbolischem Erleben und symbolischer Deutung kann nicht in zwei für sich bestehende Relate zerlegt werden. Präreflexive Selbstvertrautheit ohne symbolische Deutung gibt es schlichtweg nicht; ihr wechselseitiger Zusammenhang ist unhintergehbar. Unhintergehbar ist also nicht erst die Selbstvertrautheit, wie Gräb meint,218 sondern schon die Relation von Selbstvertrautheit und diese artikulierender Deutung. In diesem Sinn ist, wie bereits angedeutet, auch Cassirers Prägnanzbegriff zu verstehen. Von dieser Position aus ist daher ein Reduktionismus als erkenntnistheoretisch problematisch zu beurteilen, welcher mit der Polarität der beiden Relate (präsymbolische Selbstvertrautheit / symbolische Deutung; subjektive Religion / objektive Religion; Religion 1 / Religion 2 etc.) operiert, um das spezifisch Religiöse, auf das vermeintlich alles ankomme („Sinn fürs Unendliche“), lediglich in der präsymbolischen Unmittelbarkeit suchen zu können. Eine solche, auf der methodischreflexiven Ebene vollziehbare Trennung gehört nun allerdings zur kri-

218 Z.B. LLS, 67; differenzierter in der Cassirer-Darstellung: SfU, 60.

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teriologischen Voraussetzung einer Kulturhermeneutik, welche sich anschickt, abseits der positiven Religionsformen das Religiöse in kulturellen Manifestationen zu erschließen. Die Problematik wird sogar noch verschärft, wenn beachtet wird, dass es in Anbetracht der genannten unhintergehbaren Relation unbegründet ist, Wandelbarkeit und Veränderlichkeit allein den symbolischen Vorstellungsgehalten zuzuschreiben, das präreflexive Erleben davon aber auszunehmen und in Form einer allgemeinen, sich selbst gleich bleibenden konstitutiven Fundamentalität humanen Daseins zu postulieren.219 Als Fundamentalkategorie mag ein so konstruierter Religionsbegriff nun nicht unmöglich zu sein; er kann sich dann aber nicht mehr als allein hermeneutisch gewonnene Interpretation des Phänomens religiöser Erfahrung bzw. erfahrbarer Subjektivität darstellen, sondern konsequenterweise als philosophische Konstruktion mit Hilfe einer Subjektmetaphysik.220 Auf dieser Linie muss Gräbs Rückgriff auf die Selbstbewusstseinstheorie von D. Henrich denn auch aufgefasst werden: Hier lässt sich von vorn herein der Tatsache Rechnung tragen, dass dasjenige, was unmittelbare bzw. präreflexive Selbstvertrautheit genannt wird, nur in der Relation mit gegenständlich-reflexiver Selbstdeutung vorkommt. Nicht die Erklärung des Phänomens von symbolisch-reflexiver Deutung in Form einer falliblen Erkenntnis von empirischen Einzelwissenschaften wird daher beabsichtigt, sondern die philosophisch-metaphysische Reflexion auf den Ermöglichungsgrund. Zugrunde gelegt wird also ein philosophisches Rückschlussverfahren, welches eine immer schon in Anspruch genommene unmittelbare – und nun in der Tat: unhintergehbare – Selbstvertrautheit zu entbergen in der Lage sein soll. Man mag sich mit einem solchen philosophischen Rückschlussverfahren den empirischen Rechtfertigungsfragen weitgehend entziehen können, in der religionsphilosophischen Anwendung dieses Gedankengangs kommt es dann jedoch zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten – und zwar wieder an der Schnittstelle, an welcher der philosophisch rekonstruierte Ermöglichungszusammenhang zu einem allgemeinen Erlebnisphänomen des Gegründetseins positiviert wird. Lässt man diese Problematik einmal auf sich beruhen und bedenkt die systematisch-theologische und praktisch-theologische Anwendung eines solchermaßen konstruierten Religionsbegriffs, so wird deren Be219 Zur kritischen religionsphilosophischen Evaluation eignet sich besonders M. JUNG, Erfahrung und Religion, hier: 263ff.; vgl. auch die Cassirer-Interpretation von M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt, insbesondere 107-136. 220 Vgl. die Verbindung von rationaler Rekonstruktion religiösen Bewusstseins und spekulativer Idee des Unbedingten bei U. BARTH, Was ist Religion?

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urteilung entscheidend davon abhängen, inwiefern sie die Vermittlung mit den Phänomenen gestattet, welche in der christlichen Religion als explizit-religiöse zweifellos vorliegen. Die Angemessenheit der Differenz von präsymbolischem Erleben und symbolischer Selbstdeutung muss sich dabei im Blick auf kirchlich-theologische Glaubensaussagen ebenso bewähren wie im Blick auf die Glaubensvollzüge selbst. Gräb entfaltet ein Gottesdienst- und Predigtverständnis, das von einer die Sinnreflexion des individuellen Subjekts provozierenden Inszenierung der christlichen Symbolwelt ausgeht, in welchem sich das Subjekt zur eigenen, auf den unbedingten Sinngrund hin vertieften religiösen Selbstdeutung anregen lassen kann. Zu fragen ist, ob damit z.B. die Phänomene von Gottesklage und Gotteslob, welche gemäß ihrem inneren Selbstverständnis ein dialogisches und zugleich performatives Beziehungsgeschehen zu sein beanspruchen, angemessen beschrieben werden können.221 Die Behauptung, dass sie sich lediglich auf die Selbstthematisierung des transzendenten Grundes des eigenen Selbstseins beziehen222 bzw. der damit verbundenen differenzbewussten Deutung von Negativitätserfahrungen, ist ein Produkt der Reflexion. Und als solches hat es seine Vermittlung mit der religiösen Selbstaussage erst noch vor sich, will es nicht das Urteil auf sich ziehen, mit seiner Hilfe würden die positiv gegebenen Glaubensvollzüge einem theoretischen Reduktionsverfahren unterworfen und so ihrer tatsächlichen Intention beraubt.223 b) die Frage der Visibilisierbarkeit: Was als Religion bzw. als Religiöses erschlossen wird, ist von den in deren Begrifflichkeit mitgesetzten Bedingungen abhängig. Die Reflexion auf das humane Selbstverhältnis führt zunächst zur reflexiven Notwendigkeit eines transzendenten Ermöglichungsgrundes. Die Reflexion bezieht sich dabei auf die Unmittelbarkeit des Selbstgefühls, in welcher die Gründung im Unbedingten präsent ist. Die Realität einer Transzendenzabhängigkeit ist damit noch nicht gesetzt, wohl aber eine für humanes Dasein konstitutive Dimension der Transzendenzoffenheit.

221 Vgl. den subjektivitätstheoretischen Rekonstruktionsversuch des Bittens im Zwischenraum von Deuten und Handeln bei D. KORSCH, Dogmatik, 197ff. 222 Vgl. LLS, 134. 223 Zu erinnern ist an die in 1.2.1. erwähnte Warnung des Religionssoziologen F.H. Tenbruck, dass eine mittels allgemeiner Kategorien reflektierte Religion in eine inhaltlich entleerte Perspektive eingerückt wird, welche auf die gelebte Form selbst durchschlage, diese also unter der Hand verändere. Prinzipiell allerdings ließe sich die produktive Bedeutung der Aufnahme von Reflexionswissen in die Partizipantenperspektive auch als Aufklärung der Religion über sich selbst und als zu deren Fortentwicklung notwendig beurteilen.

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Die wirkliche Religion in der Alltagswelt vollzieht sich hingegen weitgehend in der symbolischen Verarbeitung von ‚kleinen‘ und ‚mittleren‘ Transzendenzen. Als verflüssigte Religion wird sie letztlich im Entwerfen eines subjektiv-plausiblen Sinnhorizonts gelebt, welche sich der symbolischen Formen der Erlebnis- und Mediengesellschaft bedient. Solche Sinnstiftungen können sich, um konkrete Beispiele zu nennen,224 an fiktiven Filmgestalten aufbauen, an einem Ernährungsoder Fitnessideal, aber auch an einer Identifizierung mit politischgesellschaftlicher Programmatik oder der Hinordnung des Lebens auf den Jahresurlaub oder auf ein neues Auto. Für das vorliegende System bedeutet dies: Der Begriff der (subjektiven) Religion ist so gewählt, dass er mit einer Lebensdeutung im Unbedingtheitshorizont, mit dem Bewusstsein des Transzendenten zunächst zusammenfällt. In ihrer verflüssigten Form wird Religion zu einer Sinneinstellung verallgemeinert, welche den Integrationshorizont fragmentarischer Erfahrungen strukturiert und die letzten Bedeutsamkeiten unseres Lebens bestimmt und welche daher in allen gesellschaftlichen Bereichen (dem ökonomischen, dem politischen, dem wissenschaftlichen und dem ästhetischen) realisiert ist. Mit dieser kaum mehr zu maximierenden Verallgemeinerung des Religiösen wird die Theologie auf ein weites Gegenstandsfeld geführt, das ihr als Kulturhermeneutik zu bearbeiten aufgegeben ist. Der Vorteil gegenüber einer an der binnenkirchlichen „Sondergruppensemantik“ orientierten Theologie scheint offensichtlich zu sein. Die Herausforderung besteht indes genau darin, dass einer solchen als Kulturhermeneutik sich vollziehenden Theologie nicht mehr eine (symbolische) Bestimmtheit, sondern eine maximierte Unbestimmtheit als Ausgangspunkt zugewiesen ist.225 Je allgemeiner das Bezugsfeld in dieser Hinsicht aber gewählt wird, desto weiter ist es – hier lässt sich an das Vorherige anschließen – von der symbolischen Selbstartikulation eines humanen Lebensvollzugs entfernt. Eine Visibilierungsstrategie, wie sie Gräb verfolgt, muss daher mit mindestens zwei Einwänden rechnen: Der erste entspricht einem Argument, welches sich K. Barth in seiner Religionskritik zunutze gemacht hat und das sich im vorliegenden Fall geradezu aufdrängt. Es besagt, pointiert formuliert: Bestimmtheit und Besonderheit können nicht nachträglich in einen allgemeinen Begriffsrahmen (von Religion) eingezeichnet werden, ohne dass ihre basale d.h. jegliches Allgemeine qualifizierende Bedeutung zu einer akzidentiellen verkommt. Der zweite Einwand bezieht sich auf den erwähnten

224 Vgl. LLS, 88. 225 Vgl. im Blick auf die Gottesfrage: SfU, 303.

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Zusammenhang von interner und externer Beschreibung: Visibilisiert wird etwas als implizite subjektive Religion, was nicht nur nicht in expliziter Selbstzuschreibung vorliegt, sondern in ihr auch ausdrücklich als nichtreligiös oder areligiös verstanden werden kann. Damit wird nun allerdings eine positionale Zuschreibungshoheit in Anspruch genommen. Eine solche Zuschreibungshoheit muss als heteronome Fremdzuschreibung betrachtet werden, wenn man der inneren Beziehung von präsymbolischem Erleben und faktischem Symbolgebrauch tatsächlich Rechnung tragen will. Die Alternative, von vorneherein positional aus der Perspektive eines in positiver Symbolgestalt vorliegenden Glaubens zu urteilen, liegt Gräb ja erklärterweise fern. Die Zuschreibungshoheit bezieht, wie bereits diskutiert, ihre Legitimität aus einer Subjektmetaphysik, erschwert so aber die Rückbindung an den Phänomenbereich bzw. den tatsächlichen Symbolgebrauch. Die damit bezeichnete religionstheoretische Problematik lässt sich auch so veranschaulichen: Ist die mit den Begriffen eines religiösen Symbolsystems artikulierte Selbstzuschreibung des individuellen Partizipanten nicht mehr normativ für die externe Beschreibungsperspektive, so dass gleichzeitig gelten kann „x hat eine religiöse Erfahrung gemacht“ und „x weiß davon nichts“ bzw. „x behauptet das Gegenteil“, dann können einem Subjekt beliebige Beschreibungen angesonnen werden, unter die sein Selbstverständnis lediglich subsumptionslogisch zu stehen kommt. Dem Vorwurf des Behauptungswissens ist auf diese Weise also gerade nicht zu entgehen.226 c) die Frage der Referenz. Diese Frage ist zum Verständnis von Religion bzw. religiöser Erfahrung außerordentlich bedeutsam, insofern sie zu erörtern aufgibt, in welcher Weise sich das religiöse Subjekt an eine transsubjektive, von ihr nicht erzeugte Realität gebunden weiß und daher sein Symbolgebrauch sich in Form von Wahrheitsbehauptungen auf diese Wirklichkeit bezieht. Gräb löst diese Frage letztlich durch ihre Elimination: Symbole sind reine Sinnzeichen. Ihre Bedeutungsfunktion besteht nicht darin, auf

226 Vgl. M. JUNG, Erfahrung und Religion, 395f. G. PFLEIDERER, Theologie als Wirklichkeitswissenschaft, 233f., hat eine ähnliche Problemkonstellation bereits in den Religionstheorien von G. Wobbermin, R. Otto und H. Scholz ausgemacht. Deren Verfahren der Rekonstruktion der Selbstwahrnehmung religiöser Subjekte fasst religiöse Aussagen als unmittelbare Expression religiöser Erfahrung, verkennt aber gerade darin deren selbstreflexiven Charakter. „Indem die Theorie der Religion den selbstreflexiven Charakter religiöser ‚Selbstaussagen’ verkennt oder bestreitet, tritt sie faktisch selbst an deren Stelle und wird zur reflexiven Selbstdeutung des Autors als religiösen Subjekts. Die in diesem Sinne theologische Deutung der religiösen Lebenswelt muß dazu führen, daß die Theorie eben dies nicht ist: eine Theorie religiöser Lebenswelt.“

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eine von innerer Erfahrungs- und Vorstellungsrealität („geistige Realität“) unterschiedene externe Realität zu verweisen. Symbole konstituieren Sinn und gehen in dieser ihrer Symbolisierungsfunktion auf.227 Kants Argument der produktiven Tätigkeit des Bewusstseins wird in einer solchen Weise für grundlegend erachtet, dass mit ihm auch L. Feuerbachs Projektionsthese anzuerkennen gefordert ist. „An die Stelle der Wahrheitsfrage muß die Sinnfrage treten. Denn wie solle sich zeigen lassen, daß der christliche Gottesgedanke wahr ist? Es müßte zur Ansicht gebracht werden, daß der christliche geglaubte oder gedachte Gott der Realität Gottes auch vollkommen entspricht.“228 Damit ist die Alternative, vor die Gräb sich gestellt sieht, deutlich umrissen. Sein erkenntnistheoretischer Konstruktivismus lebt geradezu in der Abgrenzung eines abbildungstheoretischen naiven Realismus (‚Tatsachenwahrheiten‘).229 Erkenntnistheoretisch differenziertere Positionen, wie sie allein schon mit Stichworten wie „kritischer Realismus“ oder „interner Realismus“ (um eine mehr und eine weniger realistische Position zu nennen) angezeigt werden können und die längst in kritisch-theologischer Aufarbeitung vorliegen, finden in diese Perspektive keinen Eingang.230 Das zeigt sich dann auch in der antirealistischen Rezeption von Cassirers Symboltheorie. Gräb merkt selbst an, dass das von ihm vertretene Aufgehen der Symbole in ihrer Symbolisierungsfunktion bei Cassirer erst in der Kunst gegeben ist.231 Denn für diesen ist, wie bereits erwähnt, Religion nicht als Elimination des Mythos und damit abseits jeglicher realistischer Vorstellungen zu denken. Kann sich Gräbs religiös-funktionalistische Interpretation also nicht ohne weiteres auf Cassirers Symboltheorie berufen, so ist die Strukturanalogie von religiöser und ästhetischer Erfahrung in diesem Zusammenhang umso gewichtiger. Im Gefolge von Schleiermachers Auffassung einer von der Funktion des Erkennens und Handelns unterschiedenen selbständigen Provinz im Gemüt bietet sich eine solche geradezu 227 Vgl. v.a. SfU, 62-67; auch: Atheistisch, 195: „Gott ist eine geistige Realität, in Gedanken existierend, die wir Menschen uns machen.“ Diese Realität wird auch als absolute Realität, die Alternative als gegenständliche Realität bezeichnet. 228 Von der Religionskritik zur Religionshermeneutik, 126f.; vgl. Atheistisch, 195: „Die Rede von Gott entspringt unserer Imaginationskraft. Wir symbolisieren.“ 229 Vgl. nur LLS 215f.; Praktische Theologie als Kulturhermeneutik, 104f.; Religion in der Moderne, 106f.; SfU, 64. 66. 182. 195 u.ö. 230 Vgl. F. v. KUTSCHERA, Bemerkungen zur gegenwärtigen Realismus-Diskussion; H. PUTNAM, Vernunft, Wahrheit und Geschichte; J. NIDA-RÜMELIN (Hg.), Rationalität, Realismus, Revision. Zur theologischen Rezeption des „internen Realismus“: H.-P. GROßHANS, Theologischer Realismus. 231 SfU, 62.

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an. Der weitere Gedankengang ist dann klar: Wird das, was als ästhetische Erfahrung zu verstehen ist, auf der Grundlage von Kants Ästhetik erhoben, rückt die Subjektivität zum Konstitutionsprinzip ästhetischer Erfahrung auf, so dass diese von der referentiellen Bindung einer Wirklichkeitserkenntnis entbunden gedacht werden kann. Genau dies wird dann im Sinne der genannten Strukturanalogie auch für die religiöse Erfahrung geltend gemacht.232 Die sich stellende, schon religionsphilosophische Sachfrage ist schlichtweg die, ob eine solche Parallelisierung richtig ist. Das Selbstverständnis religiöser Erfahrung spricht doch wohl eher für eine referentielle Bindung an eine transsubjektive Realität. Und diese wird gegebenenfalls auch gegenüber einer (zu) weit gehenden Parallelisierung von religiöser und ästhetischer Erfahrung, welche deren Differenz lediglich in der Deutung zu lokalisieren gedenkt, geltend zu machen sein – ohne freilich eine Kognitivierung von Religion zu betreiben.233 Mit Cassirer gesagt: Dem Christentum eignet eine „mythische ‚Bodenständigkeit‘“234, welche sich nicht nur in seinen realistischen Vorstellungen ausdrückt, sondern auch in seiner bleibenden Angewiesenheit auf sakramentale äußere Dinglichkeit. Folgt man einer solchen Position, so bleibt freilich die von Gräb aufgegebene Frage bestehen, wie nämlich eine Theologie, die ein propositionales Behauptungswissen zu vertreten hat, ihre Resonanzfähigkeit nicht verspielt. Zu vermuten ist an dieser Stelle lediglich: nicht dadurch, dass sie das der Religion zugehörige Behauptungswissen zum Verschwinden bringt, sondern in der Art und Weise, wie sie es vertritt. d) die Frage der Formierung. Ihr wurde bereits in der Textanalyse etwas weiter nachgegangen. Sie steht im Zusammenhang mit dem von Gräb verwendeten Kulturbegriff: Kultur ruht auf dem (hinsichtlich seiner Konstitution der theologischen Aufklärung bedürftigen) Gegebensein humaner Freiheit auf und wird aktivisch als „die von Menschen hervorgebrachte Welt“, als symbolischer Sinnstiftungsvollzug begriffen – konsequenterweise als Gegenbegriff zur Natur.235 232 Die „Stimmigkeit“, auf welche Gräbs religiös-funktionalistische Interpretation zielt, muss deshalb als ästhetische Kategorie aufgefasst werden; vgl. LLS, 150. 233 Beispielhaft für die unterschiedliche Zuordnung von religiöser und ästhetischer Erfahrung: U. BARTH, Religion und ästhetische Erfahrung, 103ff.; M. JUNG, Erfahrung und Religion, 380ff. Zur philosophischen Kritik einer Ausweitung des Ästhetischen auf andere Erfahrungs- und Erkenntnisbereiche vgl. M. SEEL, Ästhetik und Aisthetik, 36-69; auch den Band von A. KERN / R. SONDEREGGER, Falsche Gegensätze (v.a. die Einleitung); weiter zur kognitiven Referenz: F. v. KUTSCHERA, Ästhetik, 7079. 234 E. CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen II, 297. 235 SfU, 53.

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Dieser Zugang ist zumindest einseitig, wenn sich kulturanthropologisch ein Wechselverhältnis des Menschen „als Schöpfer und Geschöpf der Kultur“ (M. Landmann) nahe legt.236 Denn dann kann die Abhängigkeit von Vorgegebenem, von kulturell bereits Imprägniertem der begrifflichen Reflexion von Kultur nicht äußerlich bleiben.237 Die Aufgaben, die sich aus der Rückbesinnung auf einen solchermaßen differenzierten Kulturbegriff ergeben, sind erheblich. Vor allem dann, wenn man erkennt, dass – was hier nur angedeutet werden kann – sie in Wechselwirkung stehen zu analogen Aufgabenstellungen im Blick auf den Erfahrungsbegriff und den Freiheitsbegriff. Die Diskussion darüber, ob und inwiefern der Mensch als Geschöpf oder / und als Schöpfer der Kultur zu denken ist, hat ihre Entsprechungen in der Diskussion um reproduktives / produktives Handeln (B. Waldenfels)238 und in der Diskussion um positive / negative Freiheit (Ch. Taylor).239 Dass für Gräbs Konzeption, dem neuzeitlichen Individualismustheorem (Freiheit als selbstbestimmte Wahlfreiheit) folgend, das jeweils zuletzt genannte Moment bestimmend ist, könnte von hier aus noch einmal auf eine metatheoretische Kohärenz bzw. Durchsichtigkeit hin interpretiert werden. Dabei bedarf es keiner größeren Erörterung darüber, dass eine Alternative nicht in der Akzentuierung, gar in der Isolierung des jeweils anderen (zuerst genannten) Moments gesucht werden kann. Denn dieser entspräche eine heteronome Bedrohung der Freiheit durch die Unterordnung von Selbstbestimmung unter ein vorgegebenes Ordnungsgefüge; ihr entspräche die Bedrohung innovativ-

236 Auf die Zusammengehörigkeit der beiden Aspekte weist im Anschluss an den Titel der Arbeit von M. Landmann (Der Mensch als Schöpfer und Geschöpft der Kultur, 1961) auch W. PANNENBERG, Anthropologie, 308f., hin. Vgl. weiter zur begriffsgeschichtlichen Entwicklung: W. PERPEET, “Kultur, Kulturphilosophie“, 1309-1324; F. RODI, „Kultur. I. Philosophisch“, 176-187. 237 An diesem Punkt besteht ein bedeutsamer Unterschied im Kulturverständnis von Gräb und von M. MOXTER (vgl. ders., Kultur als Lebenswelt, v.a. 278-291. 385-389; auch die interessante Replik auf Gräb in: ders., Protestantische Wahrnehmungen, 65f.). Der Sachverhalt der Wechselwirkung taucht im Übrigen sogar in demjenigen Werk Luckmanns auf, auf das sich Gräb öfters bezieht: TH. LUCKMANN, Die unsichtbare Religion, 171-173; dort als die „Dialektik“ zweier Formierungsprozesse. 238 B. WALDENFELS, In den Netzen der Lebenswelt, 140f.: Dem reproduktiven Handeln entspricht eine an einem Ordnungsschema orientierte ektypische Erfahrung; dem produktiven eine dieses Ordnungsschema generierende prototypische Erfahrung. 239 Zum „Unbehagen an der Moderne“ gehört es nach Taylor, dass sie Freiheit vorwiegend als individualistische Selbstbestimmung und das heißt: negativ als Abwesenheit von äußerem Zwang bzw. äußeren Hemmnissen definiert. Damit wird ihre Abhängigkeit von einem hintergründigen Wertehorizont verdeckt: CH. TAYLOR, Das Unbehagen der Moderne. Die Diskussion um den negativen bzw. positiven Charakter der Freiheit ist Kernpunkt der sog. Liberalismus-Kommunitarismus-Debatte.

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kritischer Erfahrung durch die formative Kraft von Begriffs- bzw. Symbolsystemen. Innerhalb des damit umrissenen Erörterungsfeldes lassen sich allerdings nun durchaus auch Spielarten eines „Kulturprotestantismus“ vertreten, welche die formative Kraft der Religion auch im kritischen Gegenüber zu den Formierungskräften der Medien- und Erlebnisgesellschaft und damit das Motiv einer christlichen „Kontrastkultur“ stärker geltend machen können. Durch die dominante Stellung der Forderung nach Kompatibilität und durch die Funktionszuweisung explizit religiöser Kommunikation als „Kommentar“ bzw. „Anschluß-Kommunikationen“ ist Gräbs Theoriebildung hier erkennbar anders ausgerichtet.240 Im Hintergrund steht, darauf wurde hingewiesen, die traditionell kulturprotestantische Behauptung einer vom (protestantischen) Christentum geprägten Kultur.241 Lässt man die damit eingeschlagene Richtung einmal hinter sich, öffnet sich ein weiteres Spektrum von Positionen, welches bis zur Auffassung G. Lindbecks von Religion als einem der subjektiven Erfahrung vorgegebenen kulturell-sprachlichen Interpretationsschema reicht. Die Funktion der Religion bestünde in einem solchen Fall dann nicht in einer Identitätsfindung im Modus der Emanzipation von überlieferten Deutungsvorgaben, sondern im Modus der Einübung in diese als formativen Kontext von Erfahrung. Eine solche, außerordentlich stark auf das Motiv der „Kontrastkultur“ setzende Position käme dem mit den Begriffen des reproduktiven Handelns (des ektypischen Charakters der Erfahrung) und der positiven Freiheit markierten Pol und der damit gegebenen Problematik recht nahe.242 Interessant im Blick auf die Kon240 Dass damit eine lediglich kulturaffirmative Position vorliegen müsse, ist damit keineswegs gesagt, Gräb weiß um den religiösen Protest gegen jede Absolutsetzung und Ideologisierung endlicher Sinnformen (vgl. SfU, 304). Auch eine, freilich auf die individuelle Lebensgeschichte reduzierte Transzendierungsfunktion der Religion wurde bereits hervorgehoben. Entscheidend ist es, dass kulturkritische Optionen, an die nachgeordnete Deutungskategorie gebunden, nur innerhalb der Grenzen einer Anschlussfähigkeit zur durch gesellschaftliche Medien formierten Subjektivität statt haben. Denn durch die gesellschaftliche Medienformierung bleibt die zu kommentierende „Lage“, also das, was als Realität und als in impliziter Kommunikationsform vorliegendes Sinndeutungsverlangen zu gelten hat, definiert. Vgl. nochmals SfU, 171-175! 241 Vgl. SfU, 115. Das, was hier im Sinne einer „Formatierung gelebter Religion“ (SfU, 337) für die Genese gegenwärtiger Kultur bzw. des modernen Christentums in Anspruch genommen wird, müsste dann ebenso der in der vorigen Anm. genannten Formierungsstruktur gefolgt sein. Wenn der Protestantismus tatsächlich das Freiheitsbewusstsein in die moderne Kultur eingebracht haben sollte, so lediglich durch „Anschluß-Kommunikationen“? 242 Vgl. dagegen auch die empirischen Verweise Gräbs auf das Zustandekommen autobiographischer Lebenskonzepte: Kirche am Ort, 229.

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zeption Gräbs ist sie indes nicht lediglich als mit eigener Problematik behaftete Gegenposition; interessant ist auch, dass Lindbeck und Gräb sich beide dem linguistischen Kulturbegriff von C. Geertz anschließen, dies aber auf völlig verschiedene Art und Weise in den eigenen Entwurf übersetzen. Das ist hier nicht weiter zu verfolgen; zu verfolgen sind aber die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Das Geltendmachen einer der expliziten religiösen Kommunikation eigenen formativen Kraft im kritischen Gegenüber (und nicht nur im Rahmen) der Formierung durch die Medien- und Erlebnisgesellschaft kann als Gegenbewegung einer Verengung des Religiösen ins Innerliche, mit Schleiermacher gesagt: als Gegenbewegung seiner Abtrennung von Handeln und Denken, angesehen werden. Es ist dann jedenfalls möglich, zentrale biblische Inhalte wie die Bergpredigt auch in ihrer ethischen, nicht der Verinnerlichung preiszugebenden Reichweite ernstnehmen zu können – als „Kontrastethik“.243 Die bleibende kulturprotestantische Aufgabe bestünde dann darin, diesen Sachverhalt weder als Rückzug aus der Gesamtkultur noch als heteronome Totalisierung einer christlichen Alternativkultur zu entschlüsseln. Nicht zuletzt muss eine gewisse kontrastkulturelle Formierungskraft der Religion immer schon über die individuelle Innerlichkeit hinausreichen, weil die Offenheit dessen, was ‚negative Freiheit‘ gedenkt als Raum ihrer Selbstbestimmung beanspruchen zu können, gefährdet ist, durch unerwünschte, gar unerkannte Formierungsmächte besetzt zu werden.244 Davon ist die moderne Mediengesellschaft in hohem Maße betroffen. Es handelt sich um einen Konflikt von Bestimmungsgrößen, der sich gewissermaßen im Untergrund der Freiheit abspielt.245 243 Vgl. U. LUZ, Evangelium nach Matthäus I, 304. 419. 244 Festgehalten wird in: W. GRÄB / D. KORSCH, Selbsttätiger Glaube, 85ff., dass die Bestimmtheit der Freiheit im Blick auf den ihr externen Konstitutionszusammenhang zu thematisieren notwendig ist und an der Struktur kirchlichen Handelns nach CA V verdeutlicht werden kann: Für kirchliches Handeln kommt der Vollzug freier Selbstbestimmung nur zustande, wenn er sich vom Evangelium als Grund bestimmen lässt. Kirchliches Handeln zielt daher letztlich auf eine Subjektwerdung in Gestalt vermittelter und bestimmter Selbstbestimmung. Die Folgerungen aus dieser frühen, mit Korsch ausgearbeiteten Position für die spätere Verwendung des Freiheitsbegriffs vermisst man: Die Bestimmtheit der Freiheit scheint lediglich darin zu bestehen, dass sie eine ihres Gegründetseins bewusste Selbstbestimmung ist. Vgl. dagegen D. KORSCH, Dogmatik, 59. 245 H.-M. GUTMANN, Ich bin’s nicht, 58, hat in seiner kritischen Darstellung der Offenheit E. Hirschs für den Nationalsozialismus hierfür eine pointierte These gewagt: „Wenn Individualisierung und Verinnerlichung normative Geltung für ein Konzept menschlicher Subjektkonstitution beanspruchen, kann ein Risiko nicht abgewendet, ja nicht einmal theoretisch begriffen werden: Die (durch Individualisierung und Verinnerlichung überwunden geglaubten) Mythen und Riten – religiöser, vor allem aber politischer Provenienz – und die jeweils vorherrschenden ökonomisch-politischen

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3. die pragmatischen Beziehungen und die Funktionsbestimmung. Mit der Überschrift „Kirche für die Religion der Menschen“ (LLS, 77) ist bereits der wichtigste pragmatische Bezugspunkt, mithin das wichtigste Aufgabenfeld der Theologie benannt. Eine Utilisierung der Theologie zur Selbsterhaltung der Kirche ist ausgeschlossen. Theologie kann nur insofern als Funktion der Kirche verstanden werden, insofern diese als explizit religiöse Gestalt von Religion das Sinnvergewisserungsinteresse der Individuen deutend bearbeitet und in dieser ihrer spezifisch religiösen Kompetenz von jener gestärkt wird. Es liegt nicht auf der Linie dieser Kompetenz, wenn Kirche eine transzendenzarme Allzuständigkeit für alle möglichen Lebens- und Gesellschaftsprobleme reklamiert oder sich um direkte Weltgestaltung bzw. -erklärung bemühen zu müssen meint.246 Ihr Einfluss auf die Weltgestaltung ist ein indirekter, über die religiöse Funktion der individuellen Selbstthematisierung vermittelter.247 Dabei erweist sich ihre auf das individuelle Sinnvergewisserungsverlangen bezogene religiöse Kompetenz zugleich als eine auf Relevanz ausgerichtete Kompetenz. So kann es zur funktionalen Aufgabenstellung der Theologie gehören, die Kirche mit ihrer religiösen Deutungskompetenz als religiöses Dienstleistungsunternehmen auf dem nachfrageorientierten pluralistischen Markt der Deutungslieferanten in Position zu bringen – und zwar so, dass ihre Angebote einer Nachfrageorientierung zu entsprechen und zugleich einer einlinigen Nachfrageanpassung (einer Erwartungsidentifikation) zu widersprechen vermögen. Was Letzteres betrifft, ist noch einmal an die der Kreuzestat Jesu abgewonnene „antinomische Struktur“ christlicher Symbolisierung und an die in der Rechtfertigungslehre symbolisierte „kontrafaktische Sinngewißheit“ zu erinnern. Hat man die gegenwärtige Herausforderung von Kirche und Theologie in der pluralistisch gewordenen Moderne vor Augen, so verspricht eine solche Funktionsbestimmung, einen attraktiven Weg zu einem konstruktiven Umgang mit diesen Herausforderungen darzustellen. Mindestens zwei Fragen sind dabei jedoch zu bedenken und dann auch dezidiert theologisch zu erörtern: a) die Frage des Bezugspunkts: Der Relevanzstruktur entsprechend rückt die Klärung und Stärkung der individuellen Sinngewissheit zum zenMachtkonstellationen gewinnen auch unter den Bedingungen der (Spät-)Moderne solange ungebrochen Gewalt über die Menschen, wie ihre Entmächtigung nicht gelingt: durch heilsame Macht und durch Riten und Mythen, in denen diese begehbar wird und Gestalt gewinnt.“ 246 Vgl. LLS, 29. 46f. 247 SfU, 247: „Gerade der gesellschaftliche Einfluß der Kirche bemißt sich nicht nach ihren Voten zu Tagesaktualitäten, sondern hängt von ihrer religiösen Stärke und Kompetenz ab. Diese Stärke und Kompetenz bilden sich durch Theologie.“

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tralen Bezugspunkt und zum normativen Kriterium explizit religiöser Kommunikation auf. Sie bestimmt die funktional religiöse Interpretation, die „Entsubstantialisierung“ dogmatisch-biblischer Gehalte. Und dies nicht, ohne es sowohl von einer philosophischen Subjektivitätstheorie als auch von einer als Konstitutionstheorie von Subjektivität dechiffrierten Rechtfertigungslehre her begreifbar zu machen. Ausgehend von der Rechtfertigungslehre ist die Diskussion um den Bezugspunkt theologischer Arbeit auch aufzunehmen. Denn in ihr geht es nicht nur um die Reflexion des „protestantischen Zentralsymbol[s]“, sondern auch darum, wie fundamentaltheologische Bestimmungen materialdogmatisch eingeholt werden. Bei Gräb jedenfalls wird sie entschieden subjektivitätstheoretisch rekonstruiert. „Die Rechtfertigungslehre stellt das Ganze der religiösen Praxis im Christentum auf die individuelle Subjektivität der Glaubenden.“248 Das Protestantische besteht in einer bestimmten, nämlich seines transzendenten Gegründetseins ansichtigen, freiheitsbewussten Sinneinstellung und Lebensform, welche vom Glauben perspektivisch vollzogen wird. Gerade als unhintergehbare perspektivische Lebensdeutung ist der Glaube „eine Vollzugsgestalt unserer humanen Subjektivität.“249 Nicht die Fassung des Glaubens als subjektive und perspektivische Aneignungskategorie an sich, sondern seine Funktionalisierung zum Aufbau einer sinnbewussten Subjektivität ist hier zu erörtern. Denn im Duktus dieser vom individuellen Sinnbewusstsein ausgehenden Interpretation werden dann der Gegensatz von Sünde und Gnade als deutender Umgang mit Gegensatzerfahrungen, die Differenz von Gesetz und Evangelium als Differenz einer Subjektstabilisierung aus sich selbst (empirisch) oder einer solchen aus dem göttlichen Grund (transzendent) ausgelegt. Der damit beschrittene Weg, die Rechtfertigungslehre aus ihrem genuinen Rahmen auszulösen und als Bezugstheorie ganz auf die stabilisierte individuelle Sinngewissheit auszurichten, ist problematisch, wenn man unterstellt, dass die materiale Rechtfertigungslehre erstens ein Geschehen im Verhältnis von Gott und Mensch expliziert und zweitens sie selbst auch Urteilskriterien ihrer Formalisierbarkeit enthält. Denn dann erschließt sich erst in der Gotteserkenntnis des Deus iustificans, wer den Mensch ist; dann kann erst dort, wo Gott – als Deus iustificans – Gott ist, der Mensch auch Mensch sein. Eine Subjektivitätstheorie, welche abseits dieses Rahmens eine Selbstverhältnis- und Sinnstruktur entwirft und Gott dann in unspezifischer Weise als symboli-

248 SfU, 337 (Hervorhebung im Orig.) 249 Ebd., 338.

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sches Sinnzeichen für die Gründung im Unbedingten einzeichnet, dürfte dem inneren Zusammenhang von Gottes- und Selbstverhältnis kaum gerecht werden. Dass Gott in der genannten spezifischen Weise Gott ist, gehört – das zeigt nicht zuletzt auch die Diskussion um den neutestamentlichen Begriff der „Gerechtigkeit Gottes“ – zur unaufgebbar theozentrischen Bestimmung der Rechtfertigungslehre. Unter der Voraussetzung dieses Bezugspunkts der Rechtfertigungslehre muss die kriteriologische Bedeutung der Relevanz- und Sinnfrage und das durch eine entsubstantialisierende Interpretation erschlossene Gottesverständnis kritisch befragt werden.250 Man bekommt dann zu Gesicht, dass ‚Sinn’ als anthropozentrische Kategorie zwar mit der Relevanzfrage auf eine bestimmte Form von Rechtfertigung abzielt – auf die Rechtfertigung vor mir. Damit ist aber das Rechtfertigungsgeschehen nach seinem theozentrischen Aspekt und nach seinem soteriologischen Aspekt noch nicht berührt: Der biblische Begriff der Gerechtigkeit Gottes setzt zunächst die Frage nach Gott und seiner Wirksamkeit voraus; bei der Rechtfertigung des Menschen geht es um die Frage, wie der Mensch vor Gott bestehen kann.251 E. Jüngel hat darauf abgehoben, dass der Rechtfertigungsartikel zwar den selbstverschuldeten Sinnverlust aufdeckt, darauf aber nicht mit religiöser Sinnstiftung antwortet. Das Bedürfnis nach Sinn erfährt „im Kontext der Rechtfertigungslehre eine durchaus dialektische Behandlung.“252 Gräb macht eine solche Dialektik lediglich als Funktion eines differenzbewussten Deuteprozesses geltend, während das Bedürfnis nach Sinnvergewisserung ungebrochen übernommen wird. Darauf wird zurückzukommen sein. Das Übergehen einer bestimmten Gegensätzlichkeit von Rechtfertigung und neuzeitlichem Sinnvergewisserungsverlangen führt nun dazu, dass die Gnade der Rechtfertigung die engen Grenzen der bloßen Frage des Menschen nach sich selbst nicht mehr aufzubrechen vermag. Die als ‚Gnade’ symbolisierte Vertiefung in der Verständigung des nach sich selbst fragenden Menschen253 – auf sein letztes Gegründetsein hin – steht in voller Übereinstimmung zu Gräbs These vom Verweiszusammenhang von Christianum und Humanum. Sie läßt diesen zu250 Auch M. MOXTER, Protestantische Wahrnehmungen, 57, hat von der Rechtfertigungslehre her an Gräbs Auffassung der Subjektstabilisierung Zweifel angemeldet. Er orientiert sich dabei am Begriff der iustitia aliena, um darauf hinzuweisen, dass die auf Selbstdurchsichtigkeit zielende Identitätstheorie den Durchgang durch Anderssein und Fremdheit nicht in sich aufgenommen hat. 251 Gräb spricht bewusst von einer Rechtfertigung „vor unserem inneren Gerichtshof“ (SfU, 342). 252 E. JÜNGEL, Das Evangelium von der Rechtfertigung, 221. 253 Vgl. auch SfU, 342: „Es rückt ein Mehrwert in den Horizont unserer Selbstbeurteilung“ (Hervorheb. im Orig.).

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gleich auch als anthropozentrisch reduzierte Variation des thomistischen Schemas ‚gratia non tollit naturam, sed perficit’ erscheinen. Kritisch bliebe dagegen festzuhalten: Vor seiner funktionalen Inanspruchnahme für das individuelle Sinnvergewisserungsverlangen ist der Rechtfertigungsartikel auf dieses Verlangen selbst anzuwenden und kritisch in Stellung zu bringen. Ansonsten kann der Gefahr seines funktionalen Missbrauchs zu einer theologisch fragwürdigen „Sakralisierung von Identität“254 schwerlich entgangen werden. Hinsichtlich der Funktionalisierung des Glaubens ist dies noch einmal zuzuspitzen: b) die Frage der Funktionalisierung. Funktionalisierung des Glaubens zur Konstitution von individueller Sinngewissheit bedeutet zunächst: Seine bestimmten Gehalte werden allein um ihrer lebensorientierenden Funktion willen gedacht oder geglaubt.255 Die funktional verflüssigte Form des Glaubens an Jesus gestaltet sich als „Glaube an den unendlichen Wert jedes Einzelnen“.256 Das steht im Einklang damit, dass die Symbole der christlichen Symbolwelt in ihrer Symbolisierungsfunktion für Sinn aufgehen. Für Gräb wäre – hier taucht wieder eine bereits bezeichnete Alternative auf – ein solches Verfahren der „sinnreflexiven Funktionalisierung“ nur um den Preis „der fortwährenden Affirmation einer kirchlich-theologischen Behauptungskultur“ vermeidbar.257 Im Zuge dieser Funktionalisierung müssen sich religiöse Glaubensinhalte also auf das Grundverhältnis bewussten Lebens, auf den Aufbau einer sinnvertiefenden Selbstdeutung hin funktional entschlüsseln lassen – ansonsten sind sie, „wie ja auch schon Schleiermacher vorgeschlagen hat, der Dogmengeschichte zu überstellen.“258 Das Kriterium einer gelungenen funktionalen Interpretation lässt sich unter den Begriff der Lebensdienlichkeit von Selbstdeutungen bringen.259 Die Auswirkungen dieser Funktionalisierung verdienen bedacht zu werden: 254 255 256 257 258

Vgl. F.-X. KAUFMANN, Selbsterfahrung, 95. Vgl. Von der Religionskritik zur Religionshermeneutik, 128. SfU, 345. Von der Religionskritik zur Religionshermeneutik, 128. SfU, 266. Ob sich eine solche Funktionalisierung auf Schleiermacher berufen kann, wäre zu klären: So unstrittig es sein kann, das für diesen der epistemische Zugang zu den Glaubensgehalten über eine Analyse des Bewusstseins führt, so wenig ist damit die Lebensdienlichkeit der religiösen Selbstthematisierung als Kriterium ihrer Auslegung gesetzt. Zur Auslegung überlieferter Glaubensgehalte bedarf es der ausgeführten Wesensbestimmung als kritisches Konstruktionsprinzip der Dogmatik. Vgl. die übernächste Anm. 259 Beispielhaft: LLS, 47; SfU, 300. Dass diese für Gräb nach protestantischem Verständnis der Struktur einer „kontrafaktischen Sinngewissheit“ entsprechen, wurde bereits mehrfach betont.

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Zunächst werden als Teil einer Theologie für die Praxis die historischen Fächer konsequent auf ein synchrones Problem umgestellt (vgl. 1.2.2.). Ihre gerade aus der Selbstbeschränkung auf das spezifisch historische Interesse resultierende Einspruchsfähigkeit (ihr „Vetorecht“) ist erheblich reduziert.260 Sodann: Wie bereits erwähnt, wird die Feuerbachsche Projektionsthese von Gräb anerkannt. Ihre religionskritische Spitze gedenkt er dadurch nehmen zu können, dass er auf die für die humane Welt nicht schädliche, sondern notwendige und lebensdienliche Funktion verweist.261 Dieses kulturtheoretische Argument ist nun aber, wie der Begriff des Lebensdienlichen überhaupt nahe legt, mit den kritischen Anfragen der Kulturkritik Nietzsches konfrontiert. Denn zur konsequenten Verabschiedung der herkömmlichen Wahrheitsfrage würde dann nicht nur gehören, dass sie von der Frage nach ihrer Funktionalität bzw. Dysfunktionalität abgelöst wird. Zu ihr würde auch die Anerkenntnis dessen gehören, dass die religiöse Selbstdeutung als notwendige Fiktion – eben als lebenserhaltende und lebensförderliche Fiktion muss angesehen werden können.262 Von daher erhebt sich zugleich die Frage, ob das Kriterium der Lebensdienlichkeit christlicher Deutungsangebote, ihre Ausrichtung auf individuelle Lebens- und Sinngewissheit, eine solche Utilisierung religiöser Glaubensgehalte befördert, welche nichts anderes darstellt als ihre Einpassung in den zweckrationalen Zusammenhang individueller Selbsterhaltung und Selbstverwirklichung.263 Ob dann zwar nicht ein 260 Schleiermachers Wesensbestimmung folgt der Duplizität von begrifflicher Konstruktion und empirischer bzw. historischer Spezifikation. Wie bereits gezeigt, ergibt sich das Eigentümliche des Christentums aus dem Zusammenhang von innerem und äußerem Individuationsmerkmal – so dass die Frage nach dem wesenhaft Christlichen auf die Frage der historischen Verifizierbarkeit (der Erlöserprädikation) zurückführt. Vgl. dazu die Arbeit von M. SCHRÖDER, Identität, 181-183. 228f. Schleiermachers Frage nach der geschichtlichen Wirklichkeit der Person Jesu gehört seiner Bestimmung des Kriteriums der Theologie (als induktive Seite des Bestimmungsverfahrens) konstitutiv zu. 261 Vgl. Von der Religionskritik zur Religionshermeneutik, 126. 262 Vgl. F. NIETZSCHE, Nachgelassene Fragmente Mai – Juli 1885, 35 [37] (KGW VII/3, 248f.): „Die Falschheit eines Begriffs ist mir noch kein Einwand gegen ihn. Darin klingt unsere neue Sprache vielleicht am fremdesten: die Frage ist, wie weit er lebensfördernd, lebenserhaltend, arterhaltend ist. Ich bin sogar grundsätzlich des Glaubens, daß die falschesten Annahmen uns gerade die unentbehrlichsten sind, daß ohne ein Geltenlassen der logischen Fiktion, ohne ein Messen der Wirklichkeit an der erfundenen Welt des Unbedingten, Sich-selber-Gleichen der Mensch nicht leben kann und daß ein Verneinen dieser Fiktion, ein praktisches Verzichtleisten auf sie, so viel wie eine Verneinung des Lebens bedeuten würde.“ 263 Genau an dieser Stelle hat G. Theißen – auf den Gräb, SfU, 300, Anm. 19 verweist – seinen Begriff des „Lebensgewinns“ theologisch präzisiert: Er zielt nicht lediglich

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vernunftwidriges Behauptungswissen, sondern eine (im Luhmannschen Sinne verstandene) Leistungsorientierung für individuelle Daseinsvergewisserung vorliegt und diese nun als Fremdbestimmung des wesenhaft Christlichen kritisiert werden muss – genau dies lässt sich in der angezeigten Weise über die Rechtfertigungslehre beurteilen.

2.1.5. Die Frage der Theologizität von Theologie – eine Zwischenüberlegung Die Diskussion um die prinzipielle Bedeutung der Rechtfertigungslehre macht auf ein Grundproblem aufmerksam, das zu erörtern letztlich über die spezifische Durchführung im Systemprogramm von Gräb hinausführt. Insofern es für die gegenwärtige Aktualität dessen von Bedeutung ist, was Schleiermacher einen „ewigen Vertrag“ von christlichem Glauben und allgemeinem Wissenschaftsverständnis genannt hatte, soll dieses Grundproblem an dieser Stelle zumindest so strukturell gekennzeichnet werden, dass die entscheidende Anforderung seiner Bearbeitung sichtbar wird. Aufgeworfen wird es durch das, was zu Beginn von 2.1.4. als „beeindruckende Kohärenz“ des Gesamtprogramms von Gräb angeführt wurde. Diese steht nicht nur für eine grundsätzliche „Versöhnung von Vernunft und Religion“264 – innerhalb derer sich theoretisch verschiedene Verhältniskonfigurationen von humaner Vernunft und christlicher Frömmigkeit denken lassen – , sie steht vielmehr für eine bestimmte, im Gesamtprogramm dann auch durchgeführte Konzeptionalisierung derselben, nämlich als Verweiszusammenhang. Die weitgehenden Strukturanalogien zwischen allgemeiner Kulturhermeneutik und Theologie als religionstheologischer Kulturhermeneutik, zwischen den dem humanen Selbstverhältnis entspringenden Lebensdeutungen und vertiefender Sinndeutung des Glaubens, zwischen ästhetischer und religiöser Erfahrung usw. lassen sich alle von diesem Grundsatz aus verständlich machen. Zu denken möglich sind zunächst allerdings auch Modelle einer „Versöhnung von Vernunft und Religion“, welche hinsichtlich der Zuordnung von allgemeiner Vernunft und Religion nicht von zwei partikular begrenzten und aufeinander angewiesenen Funktionen (humanes vorreflexives Erschlossensein – religiöse Deutung) ausgehen auf eine Lebensgewissheit als „Daseinserhellung“, sondern auf Lebensveränderung, auf eine neue Geschöpflichkeit im Dialog mit Gott (G. THEIßEN, Zeichensprache des Glaubens, 24; vgl. 81. 107). 264 Vgl. Gräbs Ausführungen bereits in: Humanität, 179.

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und welche nicht im Sinne eines Notwendigkeit und Allgemeinheit beanspruchenden Insuffizienzzusammenhangs entworfen sind. Es handelt sich um Modelle, welche die Standpunktbezogenheit grundsätzlicher denken, so dass auch jener Insuffizienzzusammenhang – „die“ humane Vernunft bedürfe zur Erschlossenheit ihres Grundes der Religion, die Religion bedürfe ob ihrer kontingenten Verfasstheit der Legitimation durch „die“ Vernunft – als positional verfasst erkannt werden kann. Das hieße dann: Auch der Rekurs auf ein perspektivisch vereinheitlichtes humanes Erschlossensein im Selbstverhältnis führt die Theologie nicht auf einen allgemeinen und notwendigen Bezugspunkt, vor dem religiöse Deutungen dann kriteriologisch ausweispflichtig wären. Der Bezugspunkt wird vielmehr immer schon in einem religiösen Symbolzusammenhang aufgebaut, ausweispflichtig ist er daher zuerst in diesem Zusammenhang. Das hieße aber auch, dass einer perspektivischen Differenz in dem postulierten Verweiszusammenhang selbst Rechnung zu tragen wäre: Das, was sich der standpunktgebundenen Vernunft als ein vorfindlicher oder ein noch zuzuweisender Ort der Religion im Verweiszusammenhang darstellt, muss nicht identisch sein mit dem eigentlichen Ort, wie er sich für die Religion selbst darstellt – und umgekehrt.265 Dieser Sachverhalt hätte auch erhebliche kulturtheoretische Bedeutung; er begründet ein kritisches Verhältnis gegenüber gesellschaftlich-kulturellen Funktionserwartungen an Kirche und Theologie, er begründet aber auch ein selbstkritisches Verhältnis im Blick auf eine theologische Unterstellung einer gesellschafts- oder kulturbegründenden Funktion der Religion, die diese nicht lediglich als eine partikulare gesellschaftliche oder kulturelle Form unter anderen zu begreifen bereit ist. Eine Position, welche die Standpunktbezogenheit in einer solchen grundsätzlichen Weise bedenkt, konvergiert im Übrigen mit einer Grundüberzeugung der modernen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, angesichts derer ein Rekurs auf die Allgemeinheit der humanen Vernunft zumindest legitimationsbedürftig, wenn nicht gar fragwürdig geworden ist. In diese Richtung weist bereits die Mehrdimensionalitätsthese in E. Cassirers ‚Philosophie der symbolischen Formen; K. Hübner erweitert sie zu einer Mehrdimensionalität der Wirklichkeitsauffassungen (von Wissenschaft, Mythos und christlicher Religion).266 265 H. M. BAUMGARTNER, Endliche Vernunft, 211f., hat die von ihm ebenfalls behauptete „Verweisungsstruktur“ als philosophische Sicht der endlich gewordenen Vernunft gekennzeichnet. 266 K. HÜBNER, Glaube und Denken; vgl. den Untertitel: Dimensionen der Wirklichkeit. Als eine standpunktbezogene und auf standpunktbezogene Weltorientierung ausge-

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Wie immer man es im Einzelnen wendet, die positionale und perspektivische Verfasstheit betrifft jede Theoriebildung von wissenschaftlicher und philosophischer Vernunft. Auf dem Hintergrund dieser, jedenfalls auf der Ebene der modernen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Reflexion wahrgenommenen Standpunktgebundenheit kann auch Schleiermachers Barbarei-Vorwurf267 nicht dazu herangezogen werden, um die Positionalität und Perspektivität theologischer Theoriebildung per se des Rationalitätsdefizits oder des Relevanzverlusts zu bezichtigen. Die Aufgabenstellung besteht dann vielmehr darin, auf der Grundlage standpunktbezogener Diskurse den kritischen Dialog mit anderen Wahrnehmungsperspektiven, auch gegebenenfalls ihre kritische Rezeption aufzunehmen. Zu denken nahegelegt wird nun eine prinzipielle Standpunktbezogenheit bzw. Positionalität der Theologie – unter deren Voraussetzung dann Verweiszusammenhänge von Vernunft und Religion, von humaner Lebensdeutung und religiöser Selbstdeutung zu beurteilen sind – wenn folgender Leitsatz soll gelten können: Was Theologie materialdogmatisch im Grundsatz weiß, kann fundamentaltheologisch für die prinzipielle Verfasstheit von Theologie nicht als außer Kraft gesetzt gelten.268 Wie immer man über die Theologiebegriffe von K. Barth oder P. Tillich urteilen mag, indem sie die Rechtfertigungslehre für die theologische Erkenntnistheorie bzw. für eine theologische Kulturtheorie für grundlegend erachteten, haben sie dem mit dem genannten Leitsatz bezeichneten Zusammenhang entschieden Rechnung getragen. Auch Gräb selbst ist er, wie an seiner Verhältnisbestimmung von prinzipieller und materialer Homiletik deutlich ist, nicht unbekannt: Was als prinzipielle Prämisse gewissermaßen als Vorzeichen vor der Klammer behauptet wird, kann für die Strukturierung der Vollzüge innerhalb der Klammer nicht folgenlos bleiben – und umgekehrt.269 Auf der fundamentaltheologischen Ebene wird die Kompatibilität allerdings von ihm so hergestellt, dass sich, etwas vergröbernd gesagt, die materialdogmatischen Gehalte nach den prinzipiellen Vorgaben einer gegenwartsbezogenen Religions- und Kulturtheorie zu richten haben. Von P. Tillichs Modell struktureller Spannung her (vgl. 1.1.7.1.) wäre deshalb richtete Konzeption wird Kants Philosophie neuerdings von J. SIMON, Kant, interpretiert. Vgl. ebd., 2: „Vernunft versteht sich als das Bedenken der Standpunktgebundenheit und des letztlich persönlichen Charakters des menschlichen Denkens.“ Vgl. schon die perspektivische Kantdeutung von F. KAULBACH, Philosophie des Perspektivismus, 11-136. 267 Vgl. auch K. Barths Abgrenzung von „Schleiermachers Bangemachen vor der ‚Barbarei’“ in: K. BARTH, Fünfzehn Antworten, 327. 268 Formuliert in Anlehnung an: M. TROWITZSCH, Nachkritische Schriftauslegung, 115. 269 Vgl. W. GRÄB, Predigt, 44. 168.

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zu urteilen: Der Pol der Botschaft wird zugunsten des Pols der Situation, der Pol der an einen konkreten religiösen Standpunkt gebundenen Kirchentheologie zugunsten des Gegenpols einer offenen Kulturtheologie vernachlässigt.270 Differenzierend und zugleich zusammenfassend ist festzuhalten: Gräb selbst folgt dem Leitsatz, dass die Berücksichtigung der Pluralität verschiedener Lebensgestalten christlichen Glaubens in die Theologie Eingang finden können muss – wobei diese Gestalten allerdings wie alle religiöse Lebensgestalten auf eine allgemeine vorreflexive Erschlossenheit im humanen Selbstverhältnis, auf eine allgemeine Evidenzerfahrung zurückzuführen behauptet wird. Das im symbolischen Gehalt von Rechtfertigungslehre und Kreuzestheologie aufbewahrte Differenzbewusstsein findet nun umgekehrt in den Prozess der Lebensdeutung Eingang, nicht aber in die Grundlegung von Theologie und Anthropologie selbst. Im Zuge der Maßgabe, dass Theologie sich ganz auf die Sinnbedürftigkeiten der Menschen einzustellen bzw. diese erst zu explizieren habe, wird vielmehr die – religionstheoretisch aufgeladene – Sinnfrage des individuellen Subjekts, sein Verlangen nach gesteigerter Lebensgewissheit zu ihrer fundamentalen Bezugskategorie. In der Ausführung geht dies mit einer ungebrochenen Übernahme einer aus humaner Selbstthematisierungsfähigkeit philosophisch erschlossenen Transzendenzoffenheit einher. Auf dieser Grundlage werden Rechtfertigungslehre und Kreuzestheologie dann lediglich als Funktion eines differenzbewussten religiösen Deuteprozesses dechiffriert; sie ermöglichen eine bessere, d.h. eine tiefere, kritisch-konstruktive Sinndeutung, welche Negativitätserfahrungen aushalten lässt. Mittels einer solchen entsubstantialisierten Rechtfertigungslehre sind Theologie und Kirche zumindest noch befähigt, Einspruch bei der Beantwortung menschlichen Sinndeutungsverlangens einlegen zu können – beispielsweise gegenüber einer Rechtfertigung von Lebensgeschichten und einer Identitätsvergewisserung, welche aus selbst verfertigten oder aus von anderen mir zugeschriebenen Selbstdeutungen resul-

270 Die Terminologie Tillichs wurde hier übernommen. Im Übrigen findet sich eine analoge Spannung bei Tillich im Blick auf die subjektive und objektive Religion. Geradezu als Warnung liest sich seine Abgrenzung in: P. TILLICH, Nichtkirchliche Religionen, 14: „Es ist eine Selbsttäuschung, wenn man meint, in irgendeiner religiösen Regung, in einem Ergriffensein, nur in sich zu schwingen. Es gibt keine in sich schwingende Ergriffenheit, sondern jede Ergriffenheit ist bezogen auf einen Sachgehalt, von dem sie ergriffen ist. Vieles Reden von subjektiver Religion, von Religion der bloßen Innerlichkeit, ist nichts anderes als die Feigheit, das, was man tatsächlich als objektive Religion in sich hat, unter das Feuer der Kritik zu stellen und unter das Urteil, das sich erhebt, wenn das Objektive auch objektiv ausgesprochen wird.“

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tiert.271 Sie können aber, insofern die „Entsubstantialisierung“ ja unter der Maßgabe des humanen Selbsterschließungsbedürfnisses erfolgt, die so entsubstantialisierte Rechtfertigungslehre und mit ihr den entsubstantialisierten Sündenbegriff nicht mehr auf das Sinnvergewisserungsstreben selbst anwenden. Sie können von daher auch nicht der Ambivalenz, mitunter der Perversion des Strebens nach Sinnvergewisserung bzw. Selbststabilisierung ansichtig werden. Konsequenterweise verbleibt der Sündenbegriff im Rahmen eines auf symbolische Lebensdeutung bezogenen Defizienzbegriffs.272

271 Vgl. LLS, 72f. Auf dieser Linie liegt dann das kultur- bzw. ideologiekritische Potential der Religion überhaupt, wenn ihr die Aufgabe zufällt, der Identifikation des Unendlichem mit einem Endlichen zu wehren. Und genau dies zeigt auch nochmals der Aufsatz „Die ambivalente Suche nach Sinn“ – dessen Titel ja am ehesten vermuten lässt, dass eine Ambivalenz für die Sinnsuche des neuzeitlichen Menschen selbst geltend gemacht wird. Doch ambivalent ist nicht dessen Sinnverlangen an sich (29f.; übernommen dann in: SfU, 34f.), sondern ambivalent sind die Bewegungen und Aufbrüche, in denen sich diese artikuliert. Insofern diese dann – als „verkappte Religionen“ (C. Bry) – die Identifikation des Unendlichen mit dem Endlichen betreiben, ist es ihnen gegenüber Aufgabe der Theologie, eine „kritische Selbstunterscheidung“ einzufordern, welche dem der „wahren Religion“ eigentümlichen Transzendenzbewusstsein Rechnung trägt. 272 Vgl. SfU, 331.

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Exemplarische Verhältnisbestimmungen der Gegenwart Exemplarische Verhältnisbestimmungen der Gegenwart

2.2. Ingolf U. Dalferth: Theologie im Horizont der Wirklichkeit Gottes Ingolf Dalferth: Theologie im Horizont der Wirklichkeit Gottes Theologie ist eine Funktion des Glaubens; sie ist Denken des Glaubens. Als solches beschränkt sie sich für Dalferth nicht auf die Explikation dieses Glaubens, sondern zielt auf eine kritische Rekonstruktion seines Grundes und Gegenstandes, der Wirklichkeit Gottes selbst. Im Unterschied zu Religionswissenschaft und Religionsphilosophie nicht nur von ‚Gott’ (einem Gottesverständnis), sondern von Gott und seiner Wirklichkeit reden kann Theologie nur, indem sie sich ihrerseits an der dem Glauben mitgegebenen kritischen Selbstunterscheidung zwischen dem, was unter ‚Gott’ verstanden wird, und dem, was Gott ist, ausrichtet und diese wiederum kritisch begleitet. Daraus ergibt sich bereits eine für christlichen Glauben, Kirche und Universität gleichermaßen wichtige Funktion der Theologie: Im Offenhalten dieser Differenz wahrt Theologie den Raum für Gottes Sich-selbst-zur-ErfahrungBringen in den menschlichen Selbst- und Welterfahrungen der Gegenwart. Die genannte Selbstunterscheidung vollzieht sich dabei in der Sprache, da Gottes Gegebenheitsweise für Glaubende und Nichtglaubende unhintergehbar sprachlicher Natur ist, mithin Gott nicht unabhängig von jeder sprachlichen Bestimmung als wirklich bestimmt werden kann. Gleichwohl muss er als etwas bestimmt werden, das unabhängig von jeder Bestimmung wirklich ist, mehr noch: dessen Wirklichkeit überhaupt Bedingung der Möglichkeit ist, ihn zu bestimmen.1 Mit diesen Gedanken ist der sich durchhaltende Ansatz und die damit verbundene Problemkonfiguration der Konzeption Dalferths bereits grob umrissen. Zu diesem Ansatz gehört insbesondere die doppelt-komplementäre Thematisierungsweise von religionsphilosophischer Frage nach ‚Gott’ und theologischer Frage nach Gott. Dieser Doppelung entspricht schon die Dissertationsschrift „Religiöse Rede von Gott“ (1981) und die Habilitationsschrift „Existenz Gottes und christlicher Glaube“ (1984): Während Erstere auf einer religionsphilosophischen Metaebene nicht Gott, sondern die als empirisches Faktum vorgegebene Rede von Gott thematisiert und hinsichtlich ihrer Bedingungen und Regeln kritisch klärt, rekonstruiert und profiliert Letztere den ontologischen Anspruch des christlichen Glaubens, Wirklichkeit zur Sprache zu bringen.

1

Vgl. Religiöse Rede, 19f. 372f.; Was Gott ist, 24. 29-31; Vor Gott gibt es keine Beobachter, 56; Theologie und Philosophie, 133; Theologie im Kontext, 14.

Ingolf Dalferth: Theologie im Horizont der Wirklichkeit Gottes

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Der analog zur Darstellung des Entwurfs von Gräb die Genese und den Argumentationsaufbau nachzeichnende erste Abschnitt geht von diesen Arbeiten aus und verfolgt die Gedankengänge im Interesse der vorliegenden Fragestellung bis zur Bündelung in „Theology and Philosophy“ (1988) und vor allem im Theologieentwurf von „Kombinatorische Theologie“ (1991).2 In einem zweiten Abschnitt ist der Blick dann auf die spätere, ausgeführte Gesamtkonzeption zu richten; in einem dritten soll eine Vertiefung einzelner Problemfelder erfolgen. Ergibt sich dabei bereits teilweise eine Gesprächsmöglichkeit mit den Thesen von W. Gräb, so tritt in einem vierten Abschnitt schließlich wieder die kritische und weiterführende Erörterung mit dem vorgestellten Entwurf selbst in den Vordergrund.

2.2.1. Philosophische Rekonstruktionspräferenz: analytische Sprachphilosophie „Religiöse Rede von Gott“ thematisiert als philosophische Untersuchung die vorfindliche Rede von Gott und setzt damit elementare Bestandteile des christlichen Selbstverständnisses bereits voraus; es geht um „eine bessere Einsicht in schon Gewußtes durch explizite Klarlegung von dessen sprachlich faßbarer Struktur und durch logische Rekonstruktion der für es angeführten Begründungen und Rechtfertigungen.“3 Dadurch, dass Dalferth die inhaltlichen Leitgesichtspunkte der Rekonstruktion dem Selbstverständnis des christlichen Glaubens entnimmt, ergibt sich eine gewisse Nähe zu Barths Programm von „Fides quaerens intellectum“. Dies ist zunächst weder unter noch über zu bewerten – Letzteres auch nicht im Blick darauf, dass Dalferth 1986 eine erkenntnistheoretische Aufarbeitung des theologischen Realismus von Barth vornimmt. In „Religiöse Rede von Gott“ spielt eine Barthrekonstruktion jedenfalls keine Rolle und kann daher nicht als Aus-

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3

Spätere Aussagen werden zur Erhellung durchgehender Gedanken mitberücksichtigt. Zu beachten ist, dass z.B. der erste Teil von „Kombinatorische Theologie“ auf einen Vortrag im Jahr 1985 zurückgeht – die frühen Arbeiten liegen zeitlich also relativ nahe beieinander. Eine den Texten folgende und erst abschließend sich positional abgrenzende Sammelrezension liegt vor von J. ROHLS, Sprachanalyse, 200ff.; die von ihm betreute Dissertation von M. LAUBE, Im Bann der Sprache, interpretiert in einem Kapitel über Dalferth lediglich dessen zuerst genanntes Werk und hat schon allein durch die Vermischung von Textwahrnehmung und eigener (z.B. an F. Wagner orientierter) Position stark entstellenden Charakter. Dalferth hat darauf polemisch reagiert, vgl. ders., Münchner Märchen, 450ff. Gleichwohl sind einige Sachfragen von Bedeutung. Zu Laubes Arbeit weiter unten. Religiöse Rede, 21.

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gangspunkt zum Verständnis von Dalferths Ansatz unterlegt werden. Diese methodische Vorsicht wird im Folgenden beachtet, was keineswegs aus-, sondern einschließt, auf etwaige Analogien zum Denken Barths, aber auch Schleiermachers und anderer zu achten. Ausgangpunkt der genannten Untersuchung ist es, die Leitfrage „Was heißt es, religiös von Gott zu reden?“ mithilfe sprachphilosophischer Reflexionen der Analytischen Philosophie zu erhellen. Um zu diesem Zweck ein Konzept von Sprachlichkeit aufweisen zu können, das die Eigenart von religiöser Sprache überhaupt zu diskutieren erlaubt, werden zunächst die Entwicklungsphasen im Sprachverständnis der Analytischen Philosophie hinsichtlich Adäquatheit und Engführungen in der Thematisierung von Sprache durchleuchtet:4 Drohte die am Spätwerk von Wittgenstein orientierte Phase der linguistischen Analyse zunächst mit ihrer deskriptiven Zugangsweise einen theorielosen Pluralismus zu befördern, so ist es insbesondere das Verdienst von J.L. Austin, eine theoretisierbare Rekonstruktion von Sprache zu entwerfen, welche diese nicht auf das Operieren und Referentialisieren von Zeichen reduziert, sondern die Komplexität der Sprache als Sprechhandlung zu begreifen sucht. Dalferth folgt dieser Richtung dahingehend, dass er vom empirisch fassbaren Phänomen der Sprechhandlung, der „Äußerung“ ausgeht, diese heuristisch als Grundkategorie von Rede bestimmt und deren situative Faktoren (Äußerung als in einer bestimmten Situation lokalisierbares Ereignis), deren strukturale Faktoren (Äußerung als Handlung) und deren propositionale Faktoren (Äußerung als Proposition) herausarbeitet.5 4

5

Sprachlogik, 9ff., unterscheidet drei Phasen, während in: Religiöse Rede, 42f., und in: Analytische Religionsphilosophie, 17f., von der dritten Phase ausgehend weiter differenziert wird: logischer Atomismus – logischer Empirismus – linguistische Analyse bzw. Sprachanalyse, welche dann pragmatisch zur Sprechaktanalyse (J.L. Austin; J. Searle) und semantisch zur wahrheitstheoretischen bzw. ‚realistischen Analyse’ (S. Kripke; H. Putnam) weiterentwickelt wurde. Während, vergröbernd gesprochen, die Analytische Religionsphilosophie zunächst in den ersten beiden Phasen mit der Problematisierung der Kognitivität religiöser Rede konfrontiert war, kam es im Zuge der Wende zur Pragmatik zu einem produktiven Verhältnis, insofern der interpretativen und performativen Funktion religiöser Rede Rechnung getragen werden konnte. Bedeutend für den Wechsel von apriorisch-normativer Konstruktion von Sprache zur aposteriorisch-deskriptiven Rekonstruktion des Sprachgebrauchs, mithin für die Beachtung des Zusammenhangs von Sprache und Lebensform ist die Orientierung am Spätwerk L. Wittgensteins (vgl. Religiöse Rede, 44. 143; Analytische Religionsphilosophie, 31). Für die Religionsphilosophie ergab sich nun die Gelegenheit, Religion als eigenen Regeln gehorchende Sprach- und Lebensform auszuweisen, welche eigenen Rationalitätsstandards folge – sie musste sich allerdings zugleich den relativistischen Konsequenzen hinsichtlich der Wahrheits- und Realitätsfrage stellen. Dieses Problemfeld ist in Dalferths Thematisierung der Gottesfrage durchweg präsent. Religiöse Rede, 157. 161ff.

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Das Zwischenergebnis soll eine sprachanalytische Basis bilden, auf deren Grundlage die Anforderungen an eine adäquate Theorie religiöser Rede formulierbar sind: So erfordert es die situative Verankerung jeder Äußerung als Ereignis, religiöse Rede nicht unabhängig ihrer charakteristischen Situation zu analysieren. Vielmehr gelte: „Die Struktur verschiedener Äußerungssituationen ermöglicht die Spezifizierung verschiedener Redetypen.“6 Oder: Äußerungen nicht nur auf symbolische Handlungen zu reduzieren, sondern als Sprechhandlungen mit illokutionärem oder kausativem Instruktionsmodus zu begreifen, bedeutet diese als grammatische Regelkomplexe beschreiben zu können und zusammen mit ihrer propositionalen Dimension ihres Charakters als Text bzw. Texterzeugung gewahr zu werden.7 Die Berücksichtigung dieses umfassenden Handlungs- und Textcharakters legt es dann nicht nur für religiöse Rede nahe, die Frage der Verifizierbarkeit bzw. Falsifizierbarkeit (z.B. im Blick auf Handlungsmuster wie „versprechen“, „bitten“, „ein Urteil sprechen“) und die Frage nach dem propositionalen Gehalt von Behauptungen (z.B. Referentialisieren eines identifizierbaren Gegenstandes durch einen Designator) zu präzisieren.8 Schließlich ist eine Theorie regelgeleiteten Sprechens selbst darauf zu befragen, wie innovatives Sprechhandeln gedacht werden kann. Dalferth rekurriert hierzu im Anschluss an P. Ricoeur, E. Jüngel und andere auf metaphorische Rede, welche als semantisches Kontextphänomen durch eine „konterdeterminierende“ Funktion (H. Weinrich) auf der Textebene einen neuen Horizont eröffnet.9 Einer Theorie religiöser Rede, wie sie nun in einem zweiten Teil hinsichtlich ihrer Grundbedingungen zu entfalten unternommen wird, obliegt es, die Regeln und Strukturen (die „Grammatik“) religiöser Kommunikation zu formulieren. Hat eine solche Theorie religiöser Rede aufgrund der grundsätzlichen Angewiesenheit gelebter Religion auf Sprache eine Schlüsselstellung in jeder Religionstheorie inne, so gilt dies insbesondere für die Theorie der spezifisch christlichen Religion.10

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Ebd., 267. Ebd., 195ff. Im Blick auf „Gott“ stellt sich die Frage, ob der Ausdruck als Eigename, als Beschreibung, Titel oder Indikator zu verstehen ist und ob er überhaupt zum Vollzug der Referenz verwendet wird; vgl. ebd., 246f.; Analytische Religionsphilosophie, 28. Religiöse Rede, 218ff. Dieser Aspekt ist auch deshalb erwähnenswert, weil Dalferth später in der Metaphernhermeneutik einer zentrale theologische Aufgabe erblicken kann: In Bildern denken, 165ff. Religiöse Rede, 262f. 366: Für die christliche Religion (v.a. protestantischer Ausprägung) gibt es „keine religiösen Vollzüge [...], die nicht sprachlich fundiert und über Sprache konstituiert wären. Alle christlichen Situationen sind durch Rede konstitu-

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Um allerdings aus dem breiten Phänomenbereich von Äußerungen zunächst überhaupt nur einen repräsentativen Korpus religiöser Äußerungen abgrenzen und einer weiteren Theoriebildung zugrunde legen zu können, muss ein Kriterium dessen, was als „religiös“ gelten kann, gefunden werden. Dalferth bemüht sich diesbezüglich um den Nachweis, dass sprachliche Kriterien, welche die Religiosität an einem sprachlichen Merkmal einer Äußerungen festmachen (am religiösen Vokabular; am propositionalen Gehalt, dass über Gott geredet wird; am evokativen Bezug des Sprechens auf eine Erschließungssituation;11 an verschiedenen funktionalen Merkmalen) allesamt unzureichend sind. Als qualifizierende Momente kommen an dieser Stelle vielmehr die im ersten Teil hervorgehobenen situativen Gesichtspunkte ins Spiel, so dass die Religiosität von Äußerungen nicht in der sprachlichen Eigenschaft der inneren Struktur von Texten zu suchen ist, sondern in ihrer Beziehung zu einer religiösen Situation. Die zu lösende Aufgabe konzentriert sich daher auf die Frage nach speziell religiösen Situationen und deren Struktur. Um diese wiederum identifizieren zu können, müssen die Verhaltens- und Interaktionsmuster, muss eine Strukturbeschreibung einer bestimmten Religion bereits bekannt sein. Die Lösung dieser Aufgabe führt keineswegs aus der Sprache heraus, sondern ist auf Äußerungsberichte über Äußerungssituationen verwiesen, welche sich ihrerseits als Anredesituationen oder Antwortsituationen strukturell differenzieren lassen. Das heißt nun aber für das weitere Vorgehen: Die notwendige Strukturbeschreibung lässt sich adäquat nur von der Selbstauskunft einer Religion her konzipieren, wie sie vor allem in ihren für normativ gehaltenen Texten und Bekenntnissen und ihren deskriptiv erhebbaren aktuellen religiösen Interaktionen und Verhaltensmustern erkennbar wird.12 Religiöse Strukturen sind dabei als Gesamtstrukturen konkret historischer Phä-

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iert, und zwar auch dann, wenn sie durch nichtsprachliche Handlungen strukturiert werden.“ An I.T. Ramseys Konzeption von religiöser Sprache wird gewürdigt, dass die Religiosität von Äußerungen von der Situation her bestimmt und religiöse Erfahrung als Begegnungserfahrung gefasst wird. Kritisch wird eingewandt, dass sie kein Kriterium der Religiosität bereitstelle und außerdem ihre Verwendung als Begründungsmodell der Interpretativität von Erfahrung zu wenig Rechnung trage. An dieser Stelle ist sie durch J. Hicks Einsicht der Erfahrung als Interpretation zu korrigieren; ebd., 320-322. 427-433. Ebd., 277-279. 354ff. Eine rein ideelle Rekonstruktion offizieller Selbstauskünfte würde übersehen lassen, welche Regeln für das faktische religiöse Leben bedeutungslos sind; eine rein an empirischer Deskription orientierte Rekonstruktion hätte kein Kriterium zur Unterscheidung von religiösen und nichtreligiösen Faktoren zur Verfügung.

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nomene, also spezifischer Religionen aufzufassen – sie gehen somit nicht in verallgemeinerbaren religiösen Grundkonstanten auf. Dalferth wählt für die weitere Problembearbeitung die christliche Rede als Paradigma und legt eine spezifische Strukturbeschreibung der christlichen Religion vor, welche einer Wesensbestimmung des Christlichen gleichkommt. Er nimmt dabei eine Anregung von S.W. Sykes auf. Dieser hatte das wesenhaft Christliche in der antwortenden Bezugnahme auf den „character of Christ“ verankert. Das bedeutet: Eine Situation ist christlich, wenn sie in einem strukturellen Zusammenhang steht zu dem (in überlieferten Zeugnissen erschließbaren ) Jesus, der als Christus bekannt wird. Diese Bezugnahme ist als Reaktion auf die Erfahrung Jesu als Anrede Gottes begreifbar.13 Sprachanalytisch gesprochen hat darum ihrem Selbstverständnis gemäß alle christliche Glaubensrede die Grundstruktur der Antwort, ihre Grundsituation ist die Antwortsituation. Um der Differenz der Sprechmodi gerecht zu werden, empfiehlt es sich, diese in eine Sequenz typischer Situationen auseinanderlegen: Rezeptionssituation, Responsionssituation und Reaktionssituation. Von hier aus kann dann ein dynamisches Kommunikationsmodell skizziert werden: Die primäre Rezeption (a1) schlägt sich in der Erfahrung nieder, sich von Gott angeredet zu wissen (Glaube), die Responsion (b1) in der Rede zu Gott (paradigmatisch im Gebet), die Reaktion (c1) in Artikulation, Reflexion und Tradition (paradigmatisch in Bekenntnis, Theologie und Verkündigung). Die Verkündigung im weitesten Sinn ermöglicht nun als Zeugnis der Anredeerfahrung wiederum eine Wiederholung der Anredeerfahrung, eine sekundäre Rezeption (a2). Der Vorgang setzt sich also fort (b2, c2, a3 ...) und zwar in der Weise, dass andere in den Kommunikationsprozess hineingezogen werden.14 Beachtenswert ist, dass das vorgeschlagene Modell von Anrede und Antwort zur Beschreibung der Anredesituation eine Rekonstruktionsmethode erfordert, welche der Nichtgegenständlichkeit der Anrede Rechnung trägt und darum bei der Rezeptionssituation, anders gesagt: der gegenständlich-sprachlichen Mitteilung von Glaubenserfahrung einsetzen muss. Hinsichtlich dieser indirekten Zugangsweise kann durchaus eine formale Analogie zu K. Barths Rekonstruktionsmodell des Wortes Gottes gesehen werden, das ebenfalls von indirekter Zugänglichkeit ausgeht. Allerdings werden dann zugleich auch Differenzen deutlich, die entsprechende Analogien eher im Bereich Schleierma13

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Ebd., 360-365. Dalferth deutet dabei an, dass der Versuch einer solchen Strukturbeschreibung eine Integration von Zugangsweisen impliziert, welche den Subdisziplinen der Theologie entsprechen können. Ebd., 374ff.

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cherscher Theoriebildung zu suchen nahe legen würden. Dalferths Kommunikationsmodell christlicher Rede erlaubt es jedenfalls – das ist sein Vorzug –, über die Verkündigung hinaus eine Vielzahl von Sprechmodi religiösen und kirchlichen Handelns aufzunehmen. Andererseits – das ist seine zentrale Schwierigkeit und der gravierende Unterschied zu Barths Ansatz – wird es als Rekonstruktionsmodell durch den methodischen Ausgangspunkt bei der primären Rezeptionssituation (a1) auf das diffuse Feld von behaupteter (!) religiöser Erfahrung geführt.15 Die Erfahrungsbasis der Glaubensrede in der primären Rezeptionssituation wird deshalb im Folgenden angegangen. Dazu wird zunächst das Anrede-Antwort-Modell auf seine religionsphilosophische Tauglichkeit zur Explikation christlicher Glaubensrede geprüft, als spezifischer Fall eines Begegnungsmodells aufgefasst und von gängigen begründungstheoretischen Anfragen abgehoben. Sodann werden die wesentlichen Züge des Erfahrungsverständnisses entfaltet: Formal heißt erfahren zunächst, etwas als etwas erfahren. Dies lässt sich wiederum – den beiden logisch unterscheidbaren Momenten von Erfahrung, nämlich Wahrnehmung und Interpretation, folgend – differenzieren in: etwas als etwas wahrnehmen, und: etwas als etwas im Lichte einer spezifischen Erfahrungstradition interpretieren. In der Anwendung dieses formal differenzierten Erfahrungsbegriffs auf die christliche Anredeerfahrung in der primären Rezeptionssituation sind dann noch einmal zwei Ebenen der Interpretation zu unterscheiden, so dass sich drei Ebenen ergeben: – die erste Ebene der historischen Wahrnehmung der Erfahrung Jesu, – die zweite Ebene existentiell-religiöser Interpretation der Wahrnehmung als Anrede, – die dritte Ebene der spezifisch christlichen Interpretation dieser bereits interpretierten Wahrnehmung als Anrede Gottes. Während im Blick auf die erste Ebene relativ wenig Streit besteht (Personen haben Jesus erfahren), ändert sich dies mit jeder weiteren Ebene zunehmend. Denn die Anerkenntnis des Anspruchs auf der dritten Ebene ist davon abhängig, dass religiöse Erfahrung im Licht des christ-

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Man rufe sich nur Barths Vergleich seines Ausgangspunkts mit der Tatsache „Es regnet“ in Erinnerung. Dalferth selbst ist sich der Schwierigkeit seines methodischen Ansatzes bewusst (ebd., 376. 394) – diese Schwierigkeit kann aber seiner Meinung nach nicht umgangen werden, sondern ist als Herausforderung anzunehmen, wenn die Differenz von primärer und sekundärer d.h. sprachlich vermittelter Rezeptionssituation nicht unterschlagen werden soll.

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lichen Paradigmas interpretiert wird, das seinerseits die Einübung und den Gebrauch charakteristischer Metaphern und Modelle voraussetzt.16 Dabei ist insbesondere hinsichtlich des von Dalferth beibehaltenen Verständnisses von Dogmatik als „Grammatik“ zu präzisieren, was es heißt, dass die Erfahrung Jesu als Anrede Gottes in (christologische) Modelle gefasst wird. Allgemein gesprochen artikuliert das Urbekenntnis „Jesus ist Christus“ ebenso wie andere Prädikationen (Erlöser, Gottesknecht, Prophet etc.) zunächst die gemachte Anredeerfahrung. Eine solche Prädikation ist logisch nicht zwingend, sondern muss sprachlogisch in ihrem Zusammenhang einer komplexen Sprechhandlung gesehen werden, in welcher ein Sprecher eine Erfahrung mithilfe einer (prinzipiell veränderlichen) Erfahrungstradition (z.B. der Messiastradition) artikuliert. Die von Dalferth als „perspektivische Prädikationen“ bezeichneten Prädikationen Jesu sind darum als Modelle aufzufassen, welche in ihrer Verschiedenheit alle die Anredeerfahrung Jesu artikulieren und zur Strukturierung dieser Erfahrung dienen. Selbst wenn sich diese Modelle als Verkündigungs- und als Reflexionsmodelle bewähren können, sie verändern sich zwangsläufig durch den Übertritt aus ihrem Entstehungskontext in andere Traditionsräume. Insofern bedarf es regulativer theologischer Theorien, welche die Fortentwicklung von Modellen so zu regeln erlauben, dass der Zusammenhang zur ursprünglichen Erfahrungssituation nicht verloren geht. Genau in diesem Sinn sind (christologische) Dogmen zu verstehen. Auf einer sekundären Position operieren sie über einem Modell, d.h. sie „reden nicht über Jesus, Gott usf., sondern sie sagen, wie man reden muß bzw. wie man nicht reden darf, wenn man christlich über Gott reden will. Sie haben somit eine – im Anschluß an Wittgenstein formuliert – wesentlich grammatische Funktion und stellen keine Behauptungen auf, die wahr oder falsch sein könnten, sondern formulieren – wenigstens zum Teil – Regeln, die zu kennen und zu beachten notwendig ist, wenn man verstehen will, was es heißt, christlich von Jesus, von Gott usf. zu reden.“17 Nach Dalferth ist es ein „scheinbar unausrottbares Mißverständnis“, dogmatische Sätze als situationsvergessene Behauptungen und Beschreibungen zu verstehen, und eine theologische Fehlentwicklung, mit der Reflexion und der spekulativen Weiterentwicklung auf dieser Ebene der Regelformulierung anzusetzen.18 Denn auf diese Weise wird Dogmatik gewissermaßen als abstrakter Selbstläufer inszeniert und der alles entscheidende Rückbezug aller theologischen Aussagen auf die Erfahrungsbasis ihrer Ursprungssitu-

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Ebd., 447-472. Im Gefolge der Positionen von Th. Kuhn und I.G. Barbour wird an dieser Stelle die Paradigmaabhängigkeit von Überzeugungen betont; alledings kann über die zugrunde liegenden Ebenen eine Überlappung der verschiedenen Überzeugungssysteme aufgenommen werden. Ebd., 493 (Hervorheb. im Orig.). Dass die Glaubensrede selbst einen Wahrheitsanspruch impliziert und es darum in der Theologie zentral um die Wahrheit des Glaubens geht, welche daran hängt, dass die Wirklichkeit so ist, wie geglaubt wird, steht damit nicht im Widerspruch. Vgl. ebd., 702ff.; Theologie und Gottes Gegenwart, 277279. Religiöse Rede, 492f.

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ation aus den Augen verloren. Positiv bedeutet dies für den weiteren Fortgang der Untersuchung nicht nur, dass es zum Kriterium rechter christlicher Rede von Gott wird, über christologische Modelle auf diese konkreten Erfahrungssituationen zurückbezogen werden zu können. Es weist darüber hinaus auf zwei Grundauffassungen, welche für Dalferths Ansatz kaum unterschätzt werden dürfen: Das ist zum einen die Ansicht, dass Theologie sich zum religiös-christlichen Glaubensvollzug verhält wie die Grammatik zur Sprache, sie also nicht von ihrem spezifischen Praxis- und Gebrauchskontext abzulösen und ihre Sätze nicht im Sinne einer referentiell-theoretischen Beschreibungsfunktion zu begreifen sind. Theologie ist die Grammatik der Sprache von Glaubenserfahrung, ihrer Bilder und Metaphern.19 Das ist zum anderen der damit verbundene pragmatische Rückbezug auf und die Ausrichtung der Theologie an den praktischen Kommunikationssituationen und -formen, in denen Gottes Gegenwart wahrgenommen und zur Gewissheit wird, ein Rückbezug und eine Ausrichtung auf die Gotteserkenntnis im Modus der zweiten Person. Theologie ist in diesem Sinne praktische Wissenschaft.20

Eine christliche Grundbehauptung ist eine Behauptung, welche die Erfahrungsbasis der christlichen Glaubensrede artikuliert und dabei einen Wahrheitsanspruch impliziert. Auf der dritten angesprochenen Ebene, der Ebene der spezifisch christlichen Interpretation, bringt dieser Wahrheitsanspruch die größten Schwierigkeiten mit sich: Denn von konstitutiver Bedeutung ist hier die Existenzpräsupposition der Existenz Gottes, ohne die letztlich die christliche Grundbehauptung nicht wahr sein kann. Nun setzt deren Überprüfung die Identifizierbarkeit des mit ‚Gott’ Bezeichneten und dies wiederum eine identifizierende Beschreibung seitens der Theologie bzw. der Dogmatik voraus. Letzteres, nämlich eine von christlicher Theologie vollzogene ontologische Rekonstruktion der Existenz Gottes, wird Dalferth mit seiner Habilitationsschrift ausarbeiten – im dritten Teil von „Religiöse Rede von Gott“ geht es noch im religionsphilosophischen Kontext darum, die Möglichkeit und die Notwendigkeit rationaler Rechenschaftsablegung christlicher Rede von Gott zu erörtern. Dabei zeigt sich, dass diese Erörterung selbst erhebliche Relevanz nicht nur für religionsphilosophische, sondern auch für theologische Reflexion mit sich bringt. Denn letztlich ist es die Abstraktion der Religion bzw. der religiösen Rede von ihren konkreten Kommunikationssituationen sowie die Loslösung der Rede von Gott von christologischen Modellen, welche für zahlreiche religionsphilosophischen Aporien verantwortlich gemacht werden muss. Dem entspricht 19 20

Ebd.; vgl. Kombinatorische Theologie, 82f.; Jenseits von Mythos und Logos, 153. 195. 232f. 237f. 306ff.; In Bildern denken, 165-167 u.ö. Vgl. Fides quaerens intellectum, 66f. 94 ; Kombinatorische Theologie, 144ff.; Der auferweckte Gekreuzigte, 216f.; Theologie im Kontext, 15 u.ö.

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nun umgekehrt die weitreichende Forderung, diese beiden Bezüge von vornherein zu beachten und nicht nachträglich als lediglich spezifizierende Momente in einen theistisch konstruierten Gottesbegriff einzeichnen zu wollen.21 Die Fragestellung der rationalen Rechenschaftablegung und ihre weitere Bearbeitung durch Dalferth offenbart auch im dritten Teil der Untersuchung z.T. schon Grundeinsichten seines Theologiebegriffs, so dass einige Gedankenlinien zumindest der groben Skizzierung bedürfen. Zunächst stellt die Frage nach der rationalen Rechenschaftsablegung als Frage nach der Wahrheitsfähigkeit und Begründbarkeit der religiösen Rede von Gott den ernsthaften Problemkern der fortgeschrittenen religionsphilosophischen Debatte um ihre Verifizierbarkeit bzw. Falsifizierbarkeit dar, welcher sich christliche Rede nicht entziehen kann (vgl. 1 Petr 3,15). Dabei unterscheidet Dalferth zwei Formen dieser rationalen Rechenschaftsablegung, zwischen (theoretischer) Begründung einer Behauptung und (praktischer) Rechtfertigung der Handlung bzw. des Behauptens.22 Dementsprechend ist auch zu differenzieren zwischen Gründen der Begründung und Gründen der Rechtfertigung. Weil sich allerdings mit Rechtfertigungsgründen zwar die Rationalität bzw. die Legitimität des Behauptens, nicht aber die Wahrheit des Behaupteten begründen lässt, konzentriert sich die religionsphilosophische Auseinandersetzung (und mit ihr Dalferths Gedankengang) auf die Begründung d.h. den Aufweis der Wahrheit bzw. der Falschheit von Behauptungen. An dieser Stelle ist bemerkenswert, dass Dalferth mit dem christlichen (expliziten oder impliziten) Aufstellen einer Behauptung bereits die Berechtigung der Begründungsforderung gesetzt sieht. Denn diese Ansicht nötigt zur Abgrenzung gegenüber Positionen, welche im Anschluss an die Sprachspieltheorie des späten L. Wittgenstein Religion als eigenständige Lebensform und selbständiges Sprachspiel auffassen und welche deshalb Begründungsversuche ablehnen.23 So lässt es die These der logischen Eigenständigkeit, wie sie paradigmatisch im Werk von D.Z. Phillips vorliegt, inadäquat erscheinen, für religiöse Rede externe Gründe bzw. Kriterien geltend zu machen.24 Dies führt zu einem wahrheitstheoretischen Internalismus, demzufolge Rationalitätskriterien und Wahrheitskriterien nur systemintern gelten können. Dalferth kritisiert an solchen, seit K. Nielsen als „Wittgensteinischer Fideismus“ bezeichneten Positionen grundsätzlich die Relativierung der Wahrheitsfrage. Sie liegen damit zwar im Trend der wissenschaftstheoretischen Diskussionslage nach Th. Kuhns Paradigmentheorie, beschränken aber die Wahrheit und deren Kriterien auf den Binnenbereich eines Systems. So sehr begründungstheoretisch daran festzuhalten ist,

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Religiöse Rede, 475. 495-507. 669. In der Anknüpfung an Luthers Subjektbestimmung der Theologie: The Visible, 29f. Ebd., 506ff. Ebd., 525-530. Vgl. D.Z. PHILLIPS, Religiöser Glaube, 247-257, und v.a. ders., Religiöse Glaubensansichten und Sprachspiele, 258-282.

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dass es rational-argumentative Rechtfertigungen und Begründungen gibt, welche nur innerhalb eines Überzeugungshorizonts akzeptiert werden und letztlich an lebenspraktischen Entscheidungen „ein Ende“ haben,25 Wahrheit bleibt eine „systemtranszendierende Angelegenheit“26. Sie widersetzt sich der Auflösung in die Relativität von Überzeugungssystemen oder Perspektiven – ohne damit zu einer außersemiotischen Angelegenheit zu werden: Sie und die sie konstituierende Korrespondenz bezieht sich auf eine immer schon durch ein Zeichen- oder Überzeugungssystem präfigurierte Realität.27 Die damit angesprochene Differenz ist für Dalferths Wahrheits-

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26 27

Dalferth stellt sich hinter das Diktum von L. WITTGENSTEIN, Über Gewissheit, § 192: „Es gibt freilich Rechtfertigung, aber die Rechtfertigung hat ein Ende“; vgl. auch sein Wittgensteinreferat in: Wirklichkeit Gottes, 107f. Religiöse Rede, 528. Ebd., 152. 529; Existenz Gottes, 33f. Mit dieser Differenz ist die klassische Korrespondenzthese ebenso in Schranken verwiesen wie ein naiver Realismus. Schon allein durch die Missinterpretation der Dalferthschen Sprachtranszendenz im Sinne eines naiven Realismus und einer Abbildtheorie hat sich die auf Dalferths Erstlingswerk beschränkende kritische Interpretation von M. LAUBE, Im Bann der Sprache, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dessen Position verbaut: Laube arbeitet – trotz der zahlreich angegebenen Arbeiten H. Putnams! – mit einem undifferenzierten Realismusbegriff, welcher Dalferth durchgängig ein „realistisches“ Gegenüber von Sprache und sprachunabhängig strukturierter Welt unterstellt (ebd., 218. 224f. 238f. 262f. u.ö.). Mit der Kritik daran verfällt für ihn zugleich ein nichtepistemischer Wahrheitsbegriff (wie er bei Dalferth zweifellos vorliegt) und eine Beschränkung des Konstruktivismus auf die semiotische Dimension der Kritik. Beiden Verwerfungen muss man aus erkenntnistheoretischer Perspektive keineswegs beipflichten; vgl. dazu den Exkurs unten, 2.2.4.1. Mindestens ebenso diskussionsbedürftig ist der Gesamtrahmen von Laubes Untersuchung: Als heuristisches Kriterium dient ihm das theologiegeschichtliche Urteil einer Übersteigerung der z.B. bei Schleiermacher vorliegenden These der Selbständigkeit von Religion zu einer These ihrer völligen Eigenständigkeit (A. Ritschl, K. Barth, E. Jüngel) und deren Scheitern. Dieses Urteil soll an den Positionen von A. Plantinga und I. Dalferth exemplifiziert werden (3-15). Doch auch unabhängig von der Frage, ob Dalferths Position dieser These der Eigenständigkeit zuzuordnen ist, das zugrunde gelegte theologiegeschichtliche Raster und die mit ihm einhergehende Bewertung scheint problematisch. Nicht zuletzt diskussionsbedürftig ist das Ergebnis der Arbeit: Laube lehnt sich an die Wittgensteininterpretation von M. KROß (ders., Klarheit als Selbstzweck) an, der zufolge der späte Wittgenstein eine Destruktion der „kognitiv-lehrhaften Auffassung der Religion“ (450) betreibe und für eine funktionale Reduktion religiöser Aussagen als bildhafte Darstellung von Lebensregeln votiere (453). Sich in der Ausarbeitung einer internen Eigenständigkeit des christlichen Glaubens wie D.Z. Phillips auf Wittgenstein – geradezu dem Überwinder der Eigenständigkeitsthese! – zu berufen, wird als eklatantes Missverständnis enthüllt. Zu beseitigen ist dies für Laube lediglich durch den Verzicht auf ein „realistisches“ Verständnis religiöser Äußerungen, der Destruktion jeglicher Versuche, ein „Weltbild“ auszuarbeiten und einer stattdessen einzunehmen empfohlenen religiös-ethischen Lebenshaltung, mit deren Hilfe das auf den innerweltlichen Sinnvollzug sich einstellende Ich sich in seiner Selbsttätigkeit realisiert (14. 449). Unbeschadet dieses problematischen Gesamtduktus verweist Laubes Arbeit allerdings auf ein Problemfeld, welches im Blick auf die Konzeption Dalferths der Erörterung verdient und auch im Interesse der vorliegenden Untersuchung auf-

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konzeption unaufgebbar; er wird sie auch später gegenüber dem radikalen Perspektivenpluralismus postmoderner Provenienz einfordern.28 Das Hauptaugenmerk richtet Dalferth im Folgenden auf die Frage nach der Möglichkeit der Begründung, welche ihrerseits die Frage der Propositionalität, d.h. die Frage nach der Möglichkeit von Wahrheit oder Falschheit voraussetzt. Zur Beantwortung dieser Frage müssen die beiden religionsphilosophischen Problemfelder der Identifizierbarkeit und der Prädizierbarkeit angegangen werden: Was verständlich als existierend behauptet wird, muss sich identifizierend beschreiben lassen. Und wenn Gott beschrieben werden soll, erhebt sich die Frage der möglichen Prädikate, deren Eigenart und Verwendung.29 Mit der erfolgten Klärung der Propositionalität ist dann zumindest die Möglichkeit der Wahrheit christlicher Behauptungen erwiesen, so dass die Frage ihrer Verifizierbarkeit in den Blick genommen werden kann. Aufgrund der unhintergehbaren Interpretativität von Erfahrung scheiden dabei Verifikationsversuche religiöser Behauptungen durch religiöse Erfahrungen ebenso aus wie die Ansicht einer angeblichen Selbstevidenz. Dalferth selbst nimmt J. Hicks Idee einer eschatologischen Verifikation auf – wobei allerdings der Begriff des Eschatologischen eine bedeutsame Modifikation erfährt: Eschatologische Verifikation hat ihre Pointe nicht als Verifikation in einem noch ausstehenden (apokalyptischen) Zustand, sondern als Verifikation durch das Handeln Gottes: „Epistemische Sicherheit über den christlichen Wahrheitsanspruch ist daher insofern Resultat nicht unserer, sondern von Gottes verifizierender Tätigkeit, als sie die eschatologische Transformation der Welt zu der Gottes Absicht entsprechenden Schöpfung voraussetzt, die der christliche Glaube aufgrund der ihm gegebenen Verheißung der versöhnenden Liebe Gottes nicht nur für dieses Leben, sondern für das kommende, neue Leben erhofft.“30

2.2.1.1. Grundzüge eines Verständnisses von Theologie als Methode Auf der Grundlage des skizzierten Ansatzes lässt sich das Theologieverständnis, wie es in den weiteren Veröffentlichungen bis zur „Kombinatorischen Theologie“ vorliegt, einsichtig machen und bündeln. Dies soll im Folgenden in vier Schritten geschehen, welche sich durchaus den Schwerpunkten der verschiedenen Veröffentlichungen zuordnen lassen (in Klammern angegeben).

28 29

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zunehmen ist: die Frage nach Eigenart und Reichweite internalistischer Begründungsmuster. Vgl. Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 183f. Essentielle Prädikatoren halten fest, dass Gott z.B. nicht nur Liebe hat, sondern Liebe ist und ohne sie etwas anderes als Gott wäre. Im Anschluss an S. Kripke ist ‚Gott’ als „rigider Designator“ aufzufassen, der immer (in allen möglichen Welten und Situationen) auf ein ganz bestimmtes Individuum Bezug nimmt, vgl. Religiöse Rede, 670f. Ebd., 697; vgl. 672. 700.

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Zunächst (1) ist Theologie gegenüber anderen Reflexionsarten (Religionsphilosophie, Religionswissenschaft) eine notwendige Funktion der Glaubensrede und vollzieht sich methodisch als rückführende Rekonstruktion auf diese – zur Ermöglichung neuer Glaubensrede. Eine zentrale Aufgabe der systematisch-theologischen Rekonstruktionsarbeit ist es dabei, den ontologischen Gehalt der ihr vorgegebenen Glaubensrede rational zu rekonstruieren, zu prüfen und zu explizieren („Existenz Gottes“). Das hermeneutische Rückführungspostulat auf die Gottesrede im Modus der zweiten Person erfordert ebenso wie die theologische Ausrichtung auf ihre erneute Ermöglichung die Kenntnis von Regeln, so dass es sich nahe legt, Theologie insgesamt als Methode bzw. Kunst zu entwerfen. Als Programm entfaltet umfasst dies die gewissermaßen inneren Bezüge der Theologie, und zwar auf zweifache Weise: Sie ist (2) Kunst der argumentativen Anleitung zum eigenen Erkenntnisvollzug im Gebet, zum eigenen Vollzug der Wahrnehmung von Gottes Gegenwart und hat darin ihre pragmatische Pointe („Fides quaerens intellectum“). Im Blick auf die Kirche und ihre Lehre ist sie (3) im Rückgang auf die Glaubenskommunikation die Kunst der Kombination innertheologischer wie nichttheologischer Differenzen und pluraler Bezugssysteme („Kombinatorische Theologie“). Die gewissermaßen äußeren Bezüge gehören damit ebenfalls konstitutiv zu diesem Programm (4): Im Bezug auf das Referenzsystem Wissenschaft teilt Theologie die argumentative und diskursive Art der Problembearbeitung, folgt aber, durch ihre inhaltlichen Leitgesichtspunkte bedingt, einer spezifischen Rationalität (Grammatik) der internen Perspektive des Glaubens. Das Problem der externen Rationalitätsproblematik lässt sich indes nicht umgehen (etwa durch Ignorieren der Eigenständigkeit anderer Perspektiven), sondern nötigt – v.a. im Blick auf die externe Perspektive der Philosophie – zur internen Rekonstruktion durch wiederum theologische Kombinationsarbeit (Teil 2 von „Kombinatorische Theologie“; „Theology and Philosophy“). Insbesondere die Erhellung des Modellcharakters der Verhältnisbestimmungen von Luther („The Visible and the Invisible“) und Barth („Theologischer Realismus“, „Karl Barth’s Eschatological Realism“) ist diesbezüglich von Bedeutung. Zu 1: Theologie ist Reflexion über die am Ort der Kirche vorgegebene Glaubensrede.31 Im Unterschied zu den nichtreligiösen Reflexionsarten Religionswissenschaft und Religionsphilosophie ist sie vom Glauben als fides quaerens intellectum selbst gefordert.32 Der damit anvi31 32

Hier ist die durch das Glaubensgeschehen konstituierte Kirche gemeint: Existenz Gottes, 20. 260f. Religiöse Rede, 372.

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sierte theologische Gegenstandsbezug und seine Implikationen verdienen der Beachtung: Als vorgegebener (nicht selbst hervorgebrachter) Gegenstand theologischer Wissenschaft ist der Glaube nur mittelbar, nämlich in der Mannigfaltigkeit seiner unhintergehbar sprachlichen Objektivationen zugänglich.33 Diese lassen sich wiederum in Glaubens-Texte unterschiedlicher kirchlicher Verbindlichkeit differenzieren. Für die Theologie haben die im kirchlichen Konsensbildungsprozess sich bewährenden maßgeblichen Glaubens-Texte, die Schriften der Bibel und die Bekenntnisse „den Status von Grundtexten“.34 Anders als unter einem anthropologisch-phänomenalen Blickwinkel, welcher nur den Glauben von Christen und deren Ansprüche zu Gesicht bekommt, kann den Glaubenstexten zumindest entnommen werden, dass es christlichen Glauben und spezifisch christliche Glaubensansprüche gibt. Darauf richtet sich die Theologie. Als (dogmatische) Wissenschaft fragt sie nach dem spezifischen Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens und legt vor dem Forum von Kirche und Welt argumentativbegrifflich Rechenschaft über ihn ab. Würde dies allein im Modus der Deskription geschehen, wäre nicht nur die situativ-kontextuelle Verwobenheit der Aufgabenstellung übersehen. Gegenüber der Mannigfaltigkeit der Glaubensäußerungen ließe sich auch nicht die Einheitlichkeit des christlichen Glaubens (in Form von revidierbaren hypothetischen Sätzen) so zur Darstellung bringen, dass die Einheitlichkeit eines kirchlichen Konsenses bzw. der Verkündigung gewährleistet ist.35 Theologie ist nicht nur Deskription, sondern rational-begriffliche Rekonstruktion. In dieser Eigenart ist sie durch eine kritische Doppelbeziehung ausgezeichnet, welche einer positivistisch-explikativen Gegenstandsbeziehung ebenso entgegensteht wie einer begrifflich-abstrakten Eigendynamik theologischen Denkens: Einerseits rekonstruiert dogmatische Theorie materialiter nichts anderes als den Inhalt der christlichen Glaubensrede; sie geht aber begrifflich über sie hinaus und dient im nachhinein als Kriterium im Blick auf neue Glaubensartikulationen. Andererseits muss ihre begriffliche Rekonstruktion durch die Rückführung auf Glaubensrede („Hypochorese“) als Rekonstruktion ausweisbar und für Selbstrevision offen sein.36 Nimmt eine solchermaßen rückbezogene Theologie den grundlegenden assertorischen Anspruch christlicher Glaubensrede ernst, werden der in und mit ihr gegebene Wahrheitsanspruch und die mit diesem wiederum gesetzten ontologischen Voraussetzungen zu ihrer zen33 34 35 36

Existenz Gottes, 18f. Ebd., 22. Ebd., 23f. Religiöse Rede, 673; Existenz Gottes, 25f.

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tralen Aufgabe. Denn dies ist den Glaubensartikulationen wie Gebet, Bekenntnis und Verkündigung zu entnehmen: „Der christliche Glaube beansprucht, eine Wirklichkeit zu sein und von einer Wirklichkeit zu handeln, die mehr ist als eine bloße Konstruktion des menschlichen Geistes.“37 Eine anthropologisch-religionswissenschaftliche Betrachtung gelebter Religion mag zwar der Meinung sein, von diesem im Selbstverständnis des Glaubens gegebenen Anspruch absehen zu können, damit verlöre aber Theologie nicht nur ihr Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Religionswissenschaft, sondern stünde selbst in Gefahr funktionalistisch degradiert zu werden.38 Die Thematisierung eines sachgerechten Verständnisses der Wirklichkeit Gottes bestimmt deshalb die weitere Untersuchung von „Existenz Gottes“ und zieht sich darüber hinaus in Dalferths Arbeiten durch bis zu den in „Gedeutete Gegenwart“ versammelten Beiträgen und bis zum religionsphilosophischen Entwurf „Die Wirklichkeit des Möglichen“. Ihre Grundentscheidungen sind anfangs deutlich durch die Auseinandersetzung mit G. Ebeling und die Anknüpfung an M. Luther ausweisbar.39 So kann eine Theologie, die rekonstruiert, was der christliche Glaube sagt, dass es gebe, nicht einfach eine importierte philosophische Ontologie zugrunde legen, sondern hat eine Ontologie sub specie fidei zu konzipieren. Dabei ist nicht eine lediglich regionale Ontologie intendiert, sondern eine Ontologie, welche den integrativen Gesamtrahmen aller anderen zu sein beansprucht, gerade so aber dem Konflikt um die (richtige) Wirklichkeitsauffassung immer ausgesetzt bleibt.40 Der universale Anspruch des Glaubens äußert sich in einer eschatologischen Perspektive auf die vorfindliche Weltwirklichkeit, welche diese – in Anlehnung an Luthers 35. These der Disputatio de homine formuliert41 – als materia für Gottes Neuschöpfung wahrnimmt und als solche auch achtet. Im Sinne dieser präzisen eschatologischen Differenz muss Dalferths Ausarbeitung einer eschatologischen Ontologie verstanden werden.42

37 38 39 40 41 42

Ebd., 16. Ebd., 17. Zur Vorordnung der Wahrheitsfrage vor funktionalen Fragestellungen vgl. Wirklichkeit Gottes, 119. Vgl. nur G. EBELING, Glaube und Unglaube im Streit um die Wirklichkeit, 393ff., und I. Dalferth, The Visible. Existenz Gottes, 75f. Vgl. die Anspielungen in: Religiöse Rede, 672. 697, den expliziten Bezug dann in: The Visible, 33f. 37; auch Existenz Gottes, 173 (auf Luthers Römerbriefvorlesung). Zum Begriff des Eschatologischen, als dessen Merkmal das Konstituiertsein durch Gott bereits sichtbar wurde, vgl. ebd., 268ff.; v.a. aber das spätere Referat in: Der auferweckte Gekreuzigte, 197ff.

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Die sichtbare Welt als Schöpfung und die gesamte Wirklichkeit als Wirklichkeit unter den Möglichkeiten Gottes wahrzunehmen,43 dies macht für Luther den entscheidenden Unterschied zur philosophischen Thematisierung allgemeiner Welterfahrung aus.44 In der theologischen Rekonstruktion Dalferths wird diese Standpunktdifferenz in grundsätzlicher Weise aufgenommen – so nämlich, dass das raumzeitliche Identifikationssystem des Menschen von dessen Sündersein und der darin begründeten epistemischen Blindheit nicht unberührt gedacht werden kann: Der wirkliche Mensch ist der sündige Mensch, der im sündigen abusus seine raumzeitliche Gegenständlichkeit zum absoluten Identifikationssystem erhebt und dadurch die Frage der Existenz Gottes – weil unter ontischem, nicht eschatologischem Vorzeichen – negativ beantwortet.45 Die Unterscheidung zwischen unserer ontischen Gegenständlichkeit und Gottes nichtontischer Gegenständlichkeit ist daher basal. Und das bedeutet zunächst: Die so gegebene Gegenständlichkeit Gottes ist von uns prinzipiell nicht verifizierbar, sie wird lediglich in Jesus Christus als eschatologisch zur ontischen Gegenständlichkeit des Menschen vermittelt erfahren.46 Aus diesem Grund heißt denn auch der Glaube nicht dazu an, das Verhältnis von ontischer Gegenständlichkeit des Menschen und nichtontischer Gegenständlichkeit Gottes als totale Alternative zu fassen. Vielmehr kann Gottes Gegenständlichkeit nun – vor einem Denkhorizont von Raum und Zeit – zwar nicht als ontische Wirklichkeit, aber als eine solche Möglichkeit verantwortet werden, durch deren „Potenz alles unter den Bedingungen ontischer Gegenständlichkeit stehende Wirkliche und Mögliche überhaupt erst konstituiert ist.“47

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Unter Bezugnahme auf E. Jüngel spricht Dalferth in: The Visible, 25, von einer eschatologischen Wirklichkeit, „which from the point of view of the visible world is at best a possibility; a possibility however, which has an ontological priority over our present world.“ Dieser äußeren Differenz entsprechen interne Differenzierungen einer theologischen Epistemologie: Die epistemische Blindheit des Menschen, von welcher die Theologie auszugehen hat, ergibt sich aus der Differenz von sündigem Menschen und göttlichem Schöpfer (vgl. Existenz Gottes, 173. 179). Der ‚epistemic access’ zur eschatologischen Wirklichkeit des Glaubens (Luthers ‚invisibilia’) gestaltet sich dementsprechend nicht als Rückgang hinter die philosophisch zugänglichen ‚visibilia’ – das wäre theologia gloriae –, sondern als Zugang über das Kreuz und das Leiden Christi (The Visible, 24). Nicht zuletzt läuft Luthers Unterscheidung zwischen visibilia und invisibilia für Dalferth einer natürlichen Theologie insofern zuwider, als sie eine undialektische Identifikation von sichtbarer Welt und Schöpfung nicht gestattet (ebd., 34). Existenz Gottes, 179ff. Ebd., 188. Ebd., 184.

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Damit ist – wiederum im Rückbezug auf Luther48 – dargetan, dass die christliche Behauptung einer eschatologischen Wirklichkeit nicht einer Regionalisierung bzw. einer Trennung zweier Welten das Wort redet, sondern Gottes Gegenständlichkeit als das prioritäre und umfassende Identifikationssystem voraussetzt, in dessen Horizont das menschliche raumzeitliche Identifikationssystem integriert ist.49 Von daher eignet sich ein Eschatologiebegriff, welcher darauf abhebt, dass alles durch Gott schöpferisch konstituiert ist, am ehesten zur Auszeichnung eines theologischen Begriffssystems.50 Zu 2: Mit dem eben skizzierten Sachverhalt, dass Theologie auf den Lebensvollzug des Glaubens rückbezogen sein muss und ihre Aufgabe darin besteht, die in ihm erschlossene, spezifische Wirklichkeit zu rekonstruieren und zugleich gegenüber Glaubensansprüchen kritisch zur Geltung zu bringen – mit diesem Sachverhalt ist die Vermittlungsfunktion der Theologie nur nach der einen Seite hin beschreiben. Denn der rekonstruierende Rückbezug auf geschehenen Glaubensvollzug hat für Dalferth den pragmatisch-anleitenden Bezug auf neu zu geschehenden Glaubensvollzug bei sich. Grundlegende Bedeutung für ein solchermaßen pragmatisch pointiertes Theologieverständnis besitzt seine subtile Analyse des Proslogion von Anselm von Canterbury. Denn die in dieser Schrift vorgeführte Theologie als „Kunst der Argumentation“ lehrt Theologie als Kunst, näherhin als Grammatik zu begreifen, deren Funktion darin besteht, durch Mitvollzug in den eigenen Erkenntnisvollzug einzuweisen.51 Dies ergibt sich bereits aus der Hauptthese von Dalferths Relektüre der Anselmschen Schrift, welche in der deutlichen Abgrenzung sowohl gegenüber der „scheinbar unausrottbaren Legende“ eines ‚ontologischen Gottesbeweises’ als auch gegenüber der Deutung K. Barths dargelegt und begründet wird:52 Anselm hat „nicht den aporetischen Versuch unternommen, die für uns unüberbrückbare Differenz zwischen Gott und Gottesgedanke doch mit Hilfe eines ‚ontologischen Argumentes’ zu überbrücken. Er hat vielmehr argumentativ einen Weg in die Situation gewiesen, in der Gott sich selbst identifizierbar vergegenwärtigt und verständlich macht.“53

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The Visible, 34f. Vgl. Esse est operari, 115. 118. Existenz Gottes, 184. 227. Ebd., 269f. Fides quaerens intellectum, 51. 67. 73. 94. Ebd., 52; zur Kritik an der Barthschen Deutung vgl. v.a. 71f. 88, Anm. 25 („[...] im Ansatz verfehlt“). Einleitung, 17, vgl. Fides quaerens intellectum, 77.

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Ausgangspunkt ist ein Interpretationsverfahren, welches das Proslogion nicht isoliert, sondern, wie vom Prooemium nahe gelegt, im Kontext des Monologion interpretiert. Monologion und Proslogion können dann zunächst als zwei Konkretionsformen von Theologie unterschieden werden: Das meditative Selbstgespräch zielt auf investigative Wissenserweiterung, auf die Erkundung dessen, was man noch nicht weiß. Die Argumentation des Proslogion hingegen zielt auf das Verständnis dessen, was man glaubt (intellectus fidei) – wobei von der fides zum intellectus fidei der Weg sola ratione zu begehen ist. Zur Wissenserweiterung (Monologion) tritt also die davon zu unterscheidende Transformation von Wissen in Erkenntnis, welche als durch eigene Erfahrung verifiziertes Wissen definiert ist.54 Während es zum Glauben und zum Wissen in der Verkündigungssituation und Lehrsituation kommt, verweist der gesuchte intellectus fidei auf die Situation des Gebets. Dalferth spricht von einer „pragmatischen Pointe“ des Programms fides quaerens intellectum: Der sola ratione angelegte Denkweg soll so mitvollzogen sein, dass es zur Verifikationserfahrung im Gebet kommen kann.55 Genau diese Ausrichtung lässt sich dann auch dem Argumentationsaufbau selbst entnehmen: Zunächst formuliert Anselm mit seinem Argument nichts anderes als eine (grammatische) Regel, wie von Gott gedacht werden muss, wenn man Gott denken will.56 Entscheidend ist dann die präzise Fassung des Beginns und des Endes der Argumentation, die Dalferth anders als herkömmliche Interpretationen bestimmt: Der berühmte Satz, dass Gott sei „aliquid quo nihil maius cogitari possit“ ist nicht als Prämisse der nun in Kap. 2 beginnenden Argumentation aufzufassen, sondern markiert im Sinne einer propositio das zu lösende Problem. Der erste Schritt der Argumentation begibt sich daher auch gar nicht auf den Weg, die Brücke von einem Gottesbegriff zur Existenz Gottes zu schlagen, sondern besteht schlicht im Nachweis, dass die genannte Formel nicht referentiell verwendet werden kann, ohne Wahres und damit die Wahrheit einer res zu denken. Bedeutsam ist nun, dass in der Argumentationsstruktur des ganzen Buches (bis Kap. 26 in insgesamt sieben Schritten) die strenge Beweisführung der probatio schon in Kap. 3f. bei der Identifikation der gedachten Wahrheit mit Gott einer pragmatischen Instruktion weicht. Mit Wittgenstein formuliert hat die Rechtfertigung ein Ende an einer logisch nicht zwingenden Identifikation, welche nur kontemplativ nachvollzogen werden kann.57

Die an Anselms Programm herausgestellte pragmatische Pointe theologischer Argumentation ist für Dalferths Verständnis von Theologie

54 55 56 57

Ebd., 57-59. Ebd., 66f., vgl. 67 die These: „Die Theologie wird zur Kunst argumentativer Anleitung zum eigenen Erkenntnisvollzug im Gebet.“ Ebd., 72f. Ebd., 83ff.

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als Grammatik bzw. grammatischer Analyse grundlegend; in diesem Sinn ist Theologie im Ganzen auch praktische Wissenschaft.58 Trinitätslehre und Christologie sind von der „pragmatischen Pointe ihres Gebrauchs“ her zu interpretieren: „Die Lehre von Gott Vater, Sohn und Geist fungiert als Kurzformel der Grammatik christlicher Gottesrede und christlichen Glaubenslebens, insofern sie die christliche Grunderfahrung und ihre vielfältigen sprachlichen Artikulationen in Gebet, Bekenntnis und Verkündigung in einer Sprach- und Denkregel summiert, die das, was Christen mit ‚Gott’ ansprechen, an die Selbstidentifikation Gottes in Jesus Christus und durch den heiligen Geist bindet.“59 Die Grammatik der Trinitätslehre ermöglicht es also nicht nur, die unaufhebbare Differenz zwischen Gott und ‚Gott’ (Dalferths Fundamentalunterscheidung) zu wahren, sondern sie thematisiert Gott letztlich im doxologischen Modus der zweiten Person und weist – das ist ihre regulative Funktion – in die Situation ein, in welcher Gottes Sich-selbst-verständlich-Machen und seine Selbstidentifikation wahrgenommen werden kann.60 Die Trinitätslehre wäre demnach missverstanden, würde man sie im Sinne von theoretischen Sätzen über metaphysische Wahrheiten oder im Sinne einer Begriffstheorie Gottes auffassen; sie wäre wie alle dogmatische Arbeit allerdings ebenso missverstanden, wollte man aufgrund der Einsicht in den regulativ-pragmatischen Charakter ihrer Sätze die Wahrheitsfrage und die ontologische Fragestellung für unerheblich erachten.61 Es geht um den Bildgebrauch christlicher Glaubensrede, den dogmatische Arbeit regelt62 – und es geht daher um die ontologischen Implikationen und die Wahrheitsbedingungen dieses Bildgebrauchs, den sie zu rekonstruieren hat.63 Deshalb muss es auch im Blick auf Dalferths eigene Rekonstruktion der Ontologie des Glaubens präzise heißen: Die Trinitätslehre ist nicht selbst als deskriptive Darlegung eines (eschatologischen) Wirklichkeitsverständnisses aufzufassen, sie hat aber regulative und kritische Bedeutung für dieses, insofern sie 58

59 60

61 62 63

Im Ganzen unter anderem deshalb, weil sich die Grammatik des christlichen Diskurses zunächst als grammatische Analyse der biblischen Texte vollzieht, soll heißen: sich in ihnen die paradigmatischen Strukturen der christlichen Erfahrung von Gottes Verhältnis zur Welt erschließen: Esse est operari, 116. Einleitung, in: ders., Gott, 19. Ebd., 20f.; vgl. Umgang mit dem Selbstverständlichen, 239ff.; Der auferweckte Gekreuzigte, 212ff. Insofern für K. Barth gilt, dass Dogmatik Raum schafft für Gottes unverfügbares Selbstwort, besteht an dieser Stelle eine auffällige Analogie. Vgl. Jenseits von Mythos und Logos, 237. 310; Kombinatorische Theologie, 30f. Im Bildgebrauch hat daher auch die Übereinstimmung mit den biblischen Schriften zu bestehen, nicht in einer weiter zu tradierenden Identität der Bilder selbst. Jenseits von Mythos und Logos, 310-312.

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auf dessen Voraussetzungen und Bedingungen zurückverweist. Sie ist die Grammatik einer von spezifischen Bildern und Metaphern Gebrauch machenden Perspektive, welche in der Erfahrung der eschatologischen Wirklichkeit Gottes (in Christus) gründet und welche sich auf alles Wirkliche und Mögliche erstreckt.64 In den beiden Bänden „Jenseits von Mythos und Logos“ und „Der auferweckte Gekreuzigte“ hat Dalferth zunächst in vorwiegend historischem, dann in vorwiegend systematischem Horizont ein grammatisches Verständnis der Christologie vorgelegt und von da aus Dogmatik als christologische Grammatik christlichen Glaubenslebens entfaltet. Die Rekonstruktion einer Grammatik der neutestamentlichen Bilder und Symbole vermag so z.B. zentrale Anliegen von R. Bultmanns Programm der existentialen Interpretation aufzunehmen, ohne ihm selbst – und das heißt vor allem: einer problematischen Distinktion von mythologischer Darstellungsform und kerygmatischer Intention, von Interpretandum und Interpretat – folgen zu müssen. Denn eine Grammatik bildet zu der ihr zugrundeliegenden Sprache, auf die sie bezogen ist, keine Verdoppelung oder Konkurrenz, sondern regelt deren Gebrauch.65 Gleichwohl bleibt die Frage bestehen, inwiefern Mythisches nichtmythisch interpretiert werden kann – und zwar so, dass das Problem vieler Mythosinterpretationen vermieden wird, nämlich von der jeweils vorausgesetzten Fassung des nichtmythischen Interpretats bzw. des vorausgesetzten Wirklichkeitsverständnisses abhängig zu werden. Dalferth beruft sich an dieser Stelle auf den eschatologischen Charakter der christlichen Botschaft und ihres Wahrheitsanspruchs, welcher mythologische Darstellungsformen geradezu verlangt, zugleich aber um der Wahrheit des Dargestellten willen der dogmatischen Darstellungsform bedarf: „Beides also, mythologische Rede und dogmatischer Diskurs gehören gleichermaßen zum christlichen Glauben, und nur durch beide zugleich vermag er die Eigenart seines eschatologischen Wahrheitsanspruchs zu verdeutlichen. Christliche Theologie gibt es daher nicht ohne die Spannung zwischen Mythos und Logos, aber sie lässt sich weder in das eine noch das andere auflösen, weil sich der Glaube an Jesus Christus auf etwas richtet, was jenseits von Mythos und Logos liegt.“66 – Vom Logos unterschieden, so ist hinzuzufügen, ist die grammatische Rationalität der Dogmatik, insofern sie auf ihren spezifischen Operationsbereich in einer solchen Weise bezogen bleibt, dass ihr eine generalisierende Aufhebung in eine allgemeine Begrifflichkeit versagt ist: „Jede Sprache hat ihre eigene Rationalität, die ihre Grammatik prägt [...] Grammatiken sind also rationale Orientierungsinstrumente“.67

64 65 66 67

Der auferweckte Gekreuzigte, 214f. Jenseits von Mythos und Logos, 153. Ebd., 163. Ebd., 195.

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Die These von der Theologie als Grammatik, welche in der Auseinandersetzung mit den Positionen von J.H. Newman, L. Wittgenstein, A. Farrer und vor allem M. Luther präzisiert wird, fasst Grammatik und Sprache demnach als verschiedene Größen, welche wechselseitig aufeinander bezogen sind: Theologie bezieht sich auf religiösen Glauben, dessen Sprachregeln sie kritisch expliziert – um zu neuer Sprachpraxis anzuleiten. Ohne Glaube gäbe es daher keine Theologie, ohne die (implizite Kenntnis der) Sprachregeln des Gebrauchs von Bildern, Metaphern, Erzählungen usw. gäbe es keinen Glauben. Gegenüber Wittgensteins deskriptivem Grammatikverständnis wird die kritisch-normative Funktion der Dogmatik im Blick auf den richtigen christlichen Gebrauch hervorgehoben. Geschieht dies im Rückgang auf das explizit vorliegende Selbstverständnis des Glaubens, wie es in Schrift und Bekenntnis zu fassen ist, so nicht als Explikation zeitloser Wahrheiten, sondern als fortwährender Prüfprozess der faktisch wirksamen Regeln im neutestamentlichen, späteren und gegenwärtigen Bildgebrauch der Kirchen.68 Trinitarisches und christologisches Dogma sind selbst als durch einen solchen Prozess zustande gekommene Grundregeln aufzufassen; sie zeigen, wie mit Problemen des Bildgebrauchs so umgegangen wurde, dass wirklich Jesus als Christus und Gott als der Vater Jesu Christi unverfälscht zur Geltung kommen können. Für Dalferth gilt grundsätzlich, „dass die dogmatische Arbeit keine normativen Voraussetzungen, wohl aber normative Konsequenzen hat. Sie geht vom christlichen Glaubensleben in seiner faktischen und geschichtlichen Vielfalt aus, und sie zielt auf eine Klärung dessen, was Christen im Licht des Evangeliums mit guten Gründen vertreten können und was nicht.“69 Die Dogmen selbst bieten solche Klärungen nicht, sie zeigen aber den Weg, auf dem sie sich finden lassen, weil sie auf ihm schon gefunden wurden. Diese Auffassung hat weitreichende Folgen für das Verhältnis von Theologie und Kirche, insofern ein Glaubenskonsens nicht die Voraussetzung eines normativen Rückgriffs darstellt, sondern die Zielgröße der theologischen Arbeit.

Zu 3: Auf dem Hintergrund der ausdifferenzierten, heterogenen Gesellschaftsstruktur der gegenwärtigen Moderne und einer innerreligiösen wie innertheologischen Pluralität hat christliche Theologie sich als praktische Orientierungsdisziplin zu bewähren. Die Herausforderung besteht einerseits darin, dass sie hierzu einen gesellschaftlich eindeutigen Ort und eine gesamtkulturell legitimierte Funktion nicht mehr in Anspruch nehmen kann, und andererseits darin, dass das Festhalten an einer zuständigkeitsspezifischen, monoreferentiellen Bestimmung etwa im Blick auf das Referenzsystem Kirche eine zu Recht kritisierte Abhängigkeit von partikularen Denk- und Problemvorgaben mit sich führt.70 Um ihrer Aufgabe als praktische Orientierungsdisziplin unter diesen 68 69 70

Ebd., 308. Ebd; vgl. Der auferweckte Gekreuzigte, 73f. 136. Kombinatorische Theologie, 12f.

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Bedingungen nachkommen zu können, schlägt Dalferth vor, sie als praktische Kunst der Kombination zu verstehen: Als Reflexion des christlichen Glaubenslebens erarbeitet sie einen Orientierungs- und Urteilsrahmen, der zwischen dem plural verfassten kulturellen Gesamtgefüge und dem organisiert-kirchlichen sowie dem individuellen christlichen Glaubensleben so zu vermitteln erlaubt, dass die Aneignung des Glaubens ermöglicht und gefördert wird.71 Gerät die Theologie unter die einseitige Dominanz eines Referenzsystems und beginnt sich monoreferentiell zu entwerfen, ist ihre Freiheit in Gefahr. Das spricht nicht dagegen, dass sie ihre Kriterien (ihre „Leitgesichtspunkte“) dem geschichtlich gegebenen Selbstverständnis des christlichen Glaubens entnimmt, wie es aus den komplexen Gegebenheiten von Bekenntnis, Lehre und Kultur der Kirchen kritisch zu rekonstruieren ist.72 Theologie besitzt das Merkmal der Kirchlichkeit. „Doch es ist eines, die Kriterien und Leitgesichtspunkte theologischer Reflexion dem (immer erst kritisch zu bestimmenden) Selbstverständnis des christlichen Glaubens zu entnehmen, ein anderes, sich dem partikularen Selbst- und Lehrverständnis einer kirchlichen Institution zu unterstellen. Theologie benötigt Freiheit auch gegenüber kirchlicher Lehre.“73 Ähnliches gilt auch für ihre Beziehungen zum Referenzsystem Wissenschaft und zum Referenzsystem Lebenserfahrung: Theologie teilt mit den Wissenschaften die uneingeschränkte Wahrheits- und Erkenntnisfrage, mit der zeitgenössischen Lebenserfahrung die Frage der Lebensorientierung – sie kann sich aber nicht einem dieser Referenzsysteme so unterstellen, „daß sie (z.B.) ihre Kirchlichkeit zu ignorieren beginnt [...] So sehr die Theologie daher um ihrer Kirchlichkeit willen die Freiheit zur kritischen Distanz von der Kirche braucht, so sehr benötigt sie um ihrer Wahrhaftigkeit willen die Freiheit, kritische Distanz zu den Wissenschaften zu wahren.“74 Schon dies legt die rechtliche Absicherung ihres Ortes an der Universität nahe. Dalferth unternimmt es sodann, das Verhältnis der Theologie zu den beiden Referenzsystemen Kirche und Wissenschaft zu klären. Im Blick auf Ersteres ist nicht nur zu fragen, was es bedeutet, dass, wie bereits angedeutet, Theologie ihre „Leitgesichtspunkte“ dem kirchlich vermittelten Glauben entnimmt, es ist auch zu klären, worin ihre Funktion für die Kirche präzise besteht.

71 72 73 74

Ebd., 5. 12. 18: Unterschieden werden die Referenzsysteme Glaube, Lebenserfahrung, Politik, Recht, Wirtschaft und Religion. Ebd., 20. Ebd., 20f. Ebd., 21; vgl. auch: Vor Gott gibt es keine Beobachter, 48f.

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Die Grundformen der Glaubenskommunikation beziehen sich auf die Konstitutionssituationen des Glaubens zurück. Ihnen ist daher nicht nur die Grunddifferenz zwischen opus dei und opus hominum eingeschrieben, sie führen auch zu einer soziologisch greifbaren Ausbildung der Grunddifferenz von Kirche und Welt. Damit sind bereits die wichtigsten Leitgesichtspunkte, an denen sich eine Theologie als kritische Reflexion christlicher Glaubenskommunikation auszurichten hat, benannt; es sind Kriterien, welche dem Gegenstandsfeld der Reflexion selbst entnommen werden.75 Um der Funktion von Theologie bzw. theologischer Lehre ansichtig zu werden, ist die Differenz und die Beziehung zur Verkündigung bzw. zur kirchlichen Lehre zu beachten. Kirchliche Lehre wird dabei definiert als „der Inbegriff des in einer Kirche zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Konsenses über das in der gemeinschaftlichen Praxis in Anspruch genommene gemeinsame Glaubenswissen“.76 Sie ist, im Anschluss an E. Herms formuliert, ein expliziter Konsens über den Glaubenskonsens, welcher seinerseits das implizite gemeinschaftliche Glaubenswissen umfasst. Entscheidend ist: Nicht auf diesen Glaubenskonsens selbst, sondern auf den lehrmäßigen Konsens über den Glaubenskonsens bezieht sich die Funktion der Theologie. Drei Ebenen sind also zu Präzisierung des Reflexionscharakters von Theologie zu unterscheiden: der Glaubenskonsens, die kirchliche Lehre bzw. der Lehrkonsens, die theologische Lehre bzw. der theologische Konsens. Während das Zweite das Erste expliziert, expliziert und reflektiert das Dritte das Zweite. Das heißt: Es ist die kirchliche Lehre, welche theologische Reflexion voraussetzt – um der Differenz von opus dei und opus hominum entsprechend die Differenz von Lehre und Glaube offen zu halten. Die Unterscheidung der drei Ebenen birgt die Möglichkeit in sich, Theologie als notwendige und kritische Funktion der Kirche dergestalt zu bestimmen, dass Theologie einen Beitrag zur kirchlichen Lehre leistet, von ihr zugleich aber kritisch unterschieden bleibt, sie selbst mithin auch nicht die Aufgabe primärer Glaubenskommunikation (Verkündigung) erfüllen kann und soll.77 Nicht im Bewirken des Glaubens- bzw. Lehrkonsenses selbst, sondern im Bereitstellen von an Grund- bzw. Leitdifferenzen orientierten begrifflichen Problemlösungen besteht daher der funktionale Beitrag der theologischen Reflexion für die Kirche.

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Kombinatorische Theologie, 34ff. Die gesuchten „Leitgesichtspunkte“ sind grundsätzlich als Differenzen zu verstehen; in Differenzen bzw. in der Kombination von Differenzen besteht wie alle Rationalität auch die theologische Rationalität; vgl. 62f. Ebd., 39. Ebd., 38-40.

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Die Grunddifferenz von opus dei und opus hominum erfährt in der reformatorischen Theologie durch den Rechtfertigungsartikel eine Spezifizierung in Folgedifferenzen wie Gesetz / Evangelium, Sünder / Gerechter etc. Die Rationalität der Theologie zeichnet sich dann dadurch aus, im Licht dieser Differenzen das nichttheologische Selbst-, Weltund Gotteswissen theologisch einzuholen, d.h. die externe Perspektive intern zu verarbeiten – zugleich aber unter Beachtung der irreduziblen Kirche-Welt-Differenz die Eigenständigkeit der externen Perspektive theologisch zu respektieren.78 Die so vorstellig gemachte kombinatorische Methode verweist nicht nur auf die Entschlüsselung theologischer Ansätze im Sinne eines spezifischen Rationalitäts- und Perspektivenmodells, sie geht auch mit einer differenzierten Betrachtungsweise des spannungsvollen Verhältnisses von Theologie und Philosophie einher, welche dem universalen Anspruch der jeweiligen Wirklichkeitsdeutung Rechnung trägt. Bevor darauf eingegangen werden soll, ist die Differenz von kirchenbezogener und weltbezogener Theologie ins Auge zu fassen: Sie ergibt sich aus der Gestalt der Selbstreflexion, zu der theologische Reflexion übergeht. Orientiert sich diese primär an den beschriebenen innertheologischen Differenzen, ist sie kirchliche bzw. dogmatische Theologie; orientiert sich diese primär an den Differenzen von christlichem und nichtchristlichem Lebensvollzug und Wirklichkeitsverständnis, ist sie weltbezogene, nämlich sozialethische oder wissenschaftliche Theologie.79 Auch im letzteren Fall bleibt sie eine Funktion der Kirche, leistet aber nur einen indirekten Beitrag zur kirchlichen Lehre; ihre vorrangige Aufgabe besteht in der Funktion für die plural verfasste Welt. Gegen Herms wird nun also nicht nur die Verkündigung, sondern die Theologie selbst zum „Kontaktinstrument“ mit der Welt.80 Während Ver78

79 80

Ebd., 44-47. P. DABROCK, Antwortender Glaube, 170ff., hat nachdrücklich auf die Problematik der Deutung der Kirche-Welt-Differenz mithilfe des Kategorienpaars Gesetz / Evangelium hingewiesen: Dadurch werde alles Nichttheologische der Kategorie des Gesetzes unterstellt, so dass das selbstabgeschlossene Eigene eines Anstoßes, geschweige denn einer Rückkopplung oder einer Beeinflussung durch fremde Diskurse entnommen ist. Auf diesen Vorwurf fixiert Dabrock seine Kritik an Dalferth. Für diesen selbst ist allerdings zu beachten, dass die Perspektivenzuordnung mittels der Differenz von Gesetz und Evangelium nur ein theologiegeschichtliches Modell neben weit komplexeren wie denjenigen Schleiermachers oder Barths darstellt (ausführlich: I. DALFERTH, Theology and Philosophy, 61ff.). Mehr noch: Als Impuls für die Weiterentwicklung führt Dalferth selbst das von Dabrock genannte Problem an: „Die Gefahr dieser Situation ist der religiöse bzw. theologische Absolutismus, das Sich-absolut-Setzen der universal konzipierten internen Perspektive des christlichen Glaubens.“ (ders., Theologischer Realismus, 414). Kombinatorische Theologie, 48ff. Ebd., 50; vgl. 33.

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kündigung auf Konsens zielt („Amen“), übt wissenschaftliche Theologie eine Kontradiktionsfunktion aus, indem sie angesichts der Gefahr der Partikularisierung und Regionalisierung christlicher Überzeugungen für die Universalität des christlichen Wahrheitsanspruchs eintritt. Im jeweilig zeitgenössischen Wissenskontext präsentiert sie in begrifflich präzisen und kontradiktionsfähigen Sätzen „als ponderable Möglichkeit, was dogmatische Theologie als erfahrene Wirklichkeit lehrt.“81 Auf dem Hintergrund dieser Definition wird aufmerksam zu verfolgen sein, worin für Dalferth die Differenz zur Religionsphilosophie noch bestehen kann. Festgehalten werden kann jedenfalls, dass die grammatische Funktion der Theologie diese nicht auf eine lediglich interne Reflexion und Explikation der christlichen Glaubenskommunikation zum Zweck der Regulierung ihres Sprach- bzw. Bildgebrauchs reduziert. Sie unternimmt es vielmehr, im Lichte dieser Grammatik die gesamte Wirklichkeit zu deuten und trifft darin auf die Grammatik einer Wissenschaft, welche ebenfalls Wirklichkeit zu erfassen unternimmt, die Philosophie. Zu 4: Der soeben genannte Sachverhalt lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass von zwei Grundaufgaben der Theologie geredet wird, der rekonstruktiven Explikation des Glaubens und der konstruktiven Wirklichkeitsdeutung.82 Letztere setzt dabei Erstere, die grammatische Glaubensexplikation voraus. Vollzieht sich schon diese nicht unabhängig von der Perspektive der Philosophie, so gilt das umso mehr für die Wirklichkeitsdeutung selbst. Theologische Reflexion – dies ist nun präzisierend zu skizzieren – gestaltet sich als (kombinatorische) Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven, sie stellt vor das (externe) Rationalitätsproblem und das Realitätsproblem. Rationalität ist keine Eigenschaft bestimmter kognitiver Inhalte, gar deren theoretische Beweisbarkeit, sondern hat es mit der Art und Weise, mit der Methode zu tun, wie Inhalte (argumentativ) vertreten werden.83 Auf der Linie der Unterscheidung von theoretischer Begründung und praktischer Rechtfertigung, wie Dalferth sie in seiner Dissertationsschrift aufgenommen hatte, liegt es, in grundsätzlicher Weise zwischen theoretischer und praktischer Rationalität zu unterscheiden. Hängt aber die Rationalität eines Überzeugungsgefüges von den Gründen ab, mit denen es vertreten wird, und können diese Gründe in 81 82

83

Ebd., 54. Theology and Philosophy, 151; vgl. Kombinatorische Theologie, 83. Diese Doppelaufgabe findet sich später in der kommunikationstheoretischen Reformulierung wieder, als Interpretationsaufgabe auf das Evangelium hin – als Interpretationsaufgabe vom Evangelium her: Evangelische Theologie, 145-148. Kombinatorische Theologie, 61ff.; später in: Die Wirklichkeit des Möglichen, 229ff.

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interne und externe Gründe spezifiziert werden, dann ergibt sich die Unterscheidung von interner und externer Rationalität. Interne Rationalität besagt im Anschluss an L. Wittgenstein: Die Kriterien von Rationalität bzw. Irrationalität sind Teil der Lebensform, zu der die zu beurteilende Glaubensansicht gehört. Für Dalferth ist nun eine argumentative Rationalität, welche die interne Rationalität eines (kirchlichen) Glaubenssystems kritisch expliziert, grundlegend für die Theologie.84 Die Ablehnung externer Rationalitätskriterien scheint relativistische Konsequenzen zu befördern, welche sich mit der Wittgenstein-Kritik seiner Dissertationsschrift schwerlich vereinbaren lassen – insbesondere dann, wenn er selbst am Beispiel eines Glaubens an die Existenz von Kobolden und Feen demonstriert, dass ein solcher Glaube nur positional aus einer anderen internen Perspektive als irrational kritisiert werden kann.85 Doch hängt die Rationalität an den Gründen, die für eine Überzeugung argumentativ vertreten werden, nicht an der Wahrheit dieser Gründe, ist also die Frage der Rationalität von der Frage der Wahrheit zu unterscheiden, dann wird Dalferths Zusammenschau eines rationalitätstheoretischen (begründungstheoretischen) Internalismus und eines wahrheitstheoretischen Externalismus zu denken nicht nur möglich, sondern zu denken nahegelegt. Das heißt: In perspektivinternen Rechtfertigungsgründen von religiösen Überzeugungen ist die Möglichkeit ihrer Rationalität begründet, aber diese Rechtfertigungsgründe und die daraus resultierenden Wahrheitsansprüche können falsch sein.86 Letztlich ist es daher die genannte Zusammenschau, welche das Problem der Perspektivität als zentrales Problem theologischer Rationalität zu erörtern aufgibt.87 Denn auch und gerade in der systematischen Explikation der internen Glaubensperspektive vertritt theologische Reflexion einen universalen Wahrheitsanspruch, der zur Auseinandersetzung mit den Wahrheitsansprüchen anderer Perspektiven wie derjenigen der Philosophie herausfordert. 84 85 86 87

Theology and Philosophy, 10. Kombinatorische Theologie, 67. Vgl. ebd., 64; Theology and Philosophy, VIII. 143f. Schon im Blick auf die Orientierung des Menschen in seinen Lebensformen geht die Lebensformabhängigkeit von Beurteilungskriterien nicht mit einem amorphen Pluralismus und Relativismus einher: Wir befinden uns gleichzeitig in einer Vielzahl verschiedener Weltperspektiven und einer Vernetzung von Lebensformen, die wir mehr oder weniger mit anderen teilen. Deshalb befinden wir uns ständig in einem Prozess des Unterscheidens, indem wir interne Kriterien von privilegierten Lebensformen auf andere anwenden und so Kohärenz bzw. Harmonie herstellen. Die Privilegierung bestimmter Perspektiven „ist dann kein willkürlicher Akt, wenn diese Perspektiven universal und reflexiv sind, d.h. die ganze Welt ordnen und uns selbst in dieser Welt orten.“ (Kombinatorische Theologie, 69)

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Hinsichtlich einer externen Vernunftperspektive wird das Problem der Perspektivität bzw. der irreduziblen Perspektivendifferenz von Dalferth weiter geklärt. Schon was die erste, die rekonstruktive Aufgabe der Theologie betrifft, kommt theologische Reflexion nicht umhin, in qualifizierter Weise von philosophischen Begrifflichkeiten Gebrauch zu machen, zugleich aber der Eigenständigkeit ihrer eigenen Rationalität Rechnung zu tragen. Dazu gehört nicht nur die selbstkritisch-rationale Reflexion darauf, ob ein tradiertes oder herangetragenes Problem wirklich ein theologisches Problem ist, sondern auch die entschiedene Ablehnung jeder nichttheologischen Grundlegung von Theologie. Der Gebrauch der Philosophie kann sich der internen Rationalität der Theologie entsprechend niemals als „foundational use“ vollziehen, sondern als „instrumental use“.88 Was die zweite, konstruktive Aufgabe betrifft, hat die Theologie die Herausforderung anzunehmen, sich mit dem jeweiligen Wahrheitsanspruch ihr externer Vernunftperspektiven in Beziehung zu setzen.89 Wie bereits am reformatorischen Modell von Gesetz und Evangelium beispielhaft sichtbar wurde, steht theologische Reflexion dabei für einen nichtpartikularen, universalen Wahrheitsanspruch in der Weise ein, dass sie die externe Perspektive in differenzsensibler Kombination reflexiv einholt und intern verarbeitet.90 Erst mit Schleiermaches „Difference-in-Unity Model“ wurde jedoch ein Reflexionsstand erreicht, mit welchem – nach der Erfahrung der Religionskriege und der Aufklärungskritik – auch der Gefahr einer theologischen Absolutsetzung der eigenen internen Perspektive begegnet werden konnte: Die Unterscheidung zwischen Universalitäts- und Absolutheitsanspruch wurde in einen zweifachen Umgang mit der externen Perspektive umgesetzt, so dass die interne Rekonstruktion der externen Perspektive mit der theologischen Respektierung ihrer unaufhebbaren Eigenständigkeit zusammengehalten werden konnte.91

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Vgl. Theology and Philosophie, 153ff. Den Gebrauch der Philosophie im Sinne des „foundational use“ sieht Dalferth beispielsweise in F. Wagners Theorie des Absoluten vorliegen. Als vordergründige Vermeidungsstrategien werden die Position des Wahrheitsexklusivismus, die Position der doppelten Wahrheit und die Position des Wahrheitspluralismus genannt: ebd., 63ff. Kombinatorische Theologie, 47; Theology and Philosophy, 76ff. Die lutherische Kombination der Perspektiven wird in: The Visible, 34ff., allerdings auf der Grundlage der 35. These von Luthers Disputatio de homine dargestellt: Die vorfindliche Weltwirklichkeit hat im Blick auf die eschatologische Wirklichkeit Gottes materiaCharakter. Theology and Philosophy, 99ff.; vgl. die Kurzfassung in: Theologischer Realismus, 414f. Zu denken ist an die wechselseitige Beziehung von philosophischer (religions-

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Dieser Reflexionsstand genügte nicht mehr, als mit der Entdeckung des eschatologischen Charakters des Christentums die Inkompatibilität von christlichem Glauben und neuzeitlichem Wirklichkeitsverständnis ans Licht trat, ein fideistischer Rückzug auf die interne Perspektive aber ausgeschlossen sein sollte. K. Barth reagierte auf die entsprechende Kompatibilitätskritik mit einem „Unity-in-Difference Model“, indem er formal-strukturell betrachtet nicht mehr wie Schleiermacher einen zweifachen, theologischen und philosophischen Umgang mit der Außenperspektive kombinierte, sondern für eine zweifache, aber zweifach theologische Einholung der externen Perspektive eintrat.92 Beide Momente der Schleiermacherschen Thematisierung der externen Perspektive, nämlich ihre theologische Verarbeitung (in der Glaubenslehre) und ihre nichttheologische Entfaltung (in der Religionstheorie) wurden einer theologischen Übersetzung zugeführt. Für Dalferth unterscheidet sich Barth von Schleiermacher darin, dass er in einer bestimmten Weise von einem referentiellen Gegenstandsbezug theologischer Rede ausgeht, den Bezugspunkt dieser Referenz aber mit einem „Nicht-Gegebenen“ identifizieren kann. Über Barths eigene Verwendung des Realismusbegriffs in „Schicksal und Idee in der Theologie“ (1929) hinaus ist ein theologischer Realismus und – so sich die „wirkliche Wirklichkeit“ vom eschatologischen Heilshandeln in Jesus Christus bestimmt – genauer ein eschatologischer Realismus für dessen Konzeption als grundlegend zu erachten.93 Das Verhältnis von eschatologischer Realität und welthafter Realitätserfahrung wird dann intern theologisch nach dem Modell der klassischen Christologie rekonstruiert, was zu einem enhypostatischen bzw. anhypostatischen Verständnis von weltlicher Realitätserfahrung führt. Dadurch wird diese zwar nicht in ihrer Eigenständigkeit beschnitten, sie wird aber in eine theologische Rahmenperspektive integriert – mit dem provokativen Anspruch, sie besser zu verstehen als sie sich selbst.94 Am Beispiel der Religionsthematik demonstriert Dalferth, wie Barth seine der unio hypostatica entsprechende Zuordnung von eschatologischer und welthafter Realität mithilfe seines theologischen Verfahrens der zweifachen Internalisierung der externen Perspektive umsetzt: In der theologischen Perspektive ist Religion als Unglaube, in der nichttheologischen Perspektive als allgemein-humanes Phänomen, in der theologischen Metaperspektive auf diese nichttheologische Perspektive schließlich als einen menschlichen Vollzug zu explizieren, welcher aufgrund Gottes faktischen Sich-in-Beziehung-Setzens zu uns zum mehr oder weniger deutlichen

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theoretischer) und theologischer Perspektive, wie sie z.B. in Schleiermachers kritischem Verfahren zum Ausdruck kommt. Ebd., 415f.; Karl Barth’s eschatological realism, 34ff.; Theology and Philosophy, 112ff. Eine analoge Integrationsstruktur hat auf philosophischer Seite Hegel entwickelt. Theologischer Realismus, 404. 407. Ebd., 409-413.

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Vollzug des Glaubens werden kann. Für Dalferth ist es angesichts dieses theologischen Integrationsverfahrens nicht verwunderlich, dass der Eigenständigkeitsanspruch weltlicher Phänomene sich (wieder) kritisch erheben musste und zu einer Gegenbewegung führte. Auf einen neuen Schleiermacher zu setzen würde indes übersehen lassen, dass die erreichte Komplexität der Perspektivenzuordnung kaum mehr steigerbar, sondern – will man nicht hinter sie zurückfallen – lediglich variierbar ist.95

Das Problem der Perspektivität ist für Dalferth ein nicht lösbares, immer wieder neu zu bearbeiten aufgegebenes Grundproblem der Theologie. Seine Problematik verdankt sich dabei nicht nur in angezeigter Weise dem Wahrheitspostulat, sondern zugleich einem Wirklichkeitspostulat, demzufolge etwas unabhängig von seinem Erfassen in einer Perspektive so gegeben sein muss, dass es auch in anderen Perspektiven erfasst werden könnte. Unterstellt ist damit nichts weniger als derselbe Bereich der Referenten. Um diese Dimension des Perspektivitätsproblems zu erhellen, ist eine transzendentale Subjektivitätstheorie ebenso unzureichend wie eine ontologische Theorie einer gemeinsamen Wirklichkeit. Letztere scheitert am Identifikationsproblem, welches häufig mit der völlig unterbestimmten Auffassung einer Distinktion von Erklärung (bzw. Beschreibung) und Interpretation (bzw. Deutung) zu lösen versucht wird – als ob die Identifikation des Gegebenen zunächst neutral festgestellt und beschrieben werden könne und sich die perspektivinternen Verarbeitungen lediglich als verschiedene Interpretationen desselben Sachverhalts vollzögen. Damit wäre nicht nur die Unhintergehbarkeit des Symbolisierungszusammenhangs missachtet, für welchen Interpretation immer schon basal ist, sondern die religiöse Perspektive des Glaubens selbst. Denn für diese ist beispielsweise die Thematisierung des Handelns Gottes keineswegs eine problematisierbare Interpretation eines historisch vorliegenden Sachverhalts bzw. eine Deutung zweiter Ordnung desselben; vielmehr umgekehrt: Das Handeln Gottes ist die eigentliche Wirklichkeit, während historische Beschreibungen im besten Fall eine Abstraktion von derselben sind.96 Dalferth selbst verzichtet daher auf eine neutrale Identifikation und plädiert zur Sicherstellung der Kompatibilität des Referenzierens bzw. der Perspektiven – seinem sprachanalytischen Ansatz entsprechend – für eine Übersetzbarkeit.97 Das bedeutet aber und ist für seine weitere Auffassung der Wirklichkeit von nicht zu unterschätzender Bedeutung:

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Ebd., 418f. 421. Theology and Philosophy, 128ff. Dalferth wird diesen Gedankengang in “Schöpfung – Stil der Welt” pointiert aufnehmen (vgl. den nächsten Abschnitt). Theology and Philosophy, 148.

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Dalferths kombinatorischer Theologie konnte zunächst vorgehalten werden, sie sei selbst – nun eben im Bezug auf einen kritisch zu rekonstruierenden christlichen Glauben – monoreferentiell entworfen und ihre kombinatorische Arbeit vollziehe sich daher innerhalb eines Integrationsrahmens, welcher Konflikte mit Außenperspektiven interiorisiere.98 Diesem Eindruck entspricht der Sachverhalt, dass in „Theology and Philosophy“ dezidiert eine Theologie der Offenbarung als Ausgangspunkt vorgeschlagen wird.99 Anderes ergibt sich, wenn von der erwähnten Übersetzbarkeit ausgehend der Pluralität der Perspektiven grundlegende Bedeutung für die Erfahrung der Wirklichkeit selbst beigemessen wird: Denn dann kann verdeutlicht werden, dass das christlicher Theologie aufgegebene Wirklichkeitspostulat nicht die Pluralität differenter Perspektiven negiert, sondern um der Entscheidbarkeit und der Korrigierbarkeit von Wirklichkeitsansprüchen willen die kritisch-vergleichende Kombination der verschiedenen perspektivischen Darstellungsweisen geradezu erfordert. Theologie ist so also auf das kritische Potential anderer Perspektiven angewiesen.100

2.2.2. Thema einer theologisch-realistischen Theologie: Gottes Wirklichkeit Ist einmal erkannt, dass einerseits perspektivische Symbolisierungen unter einem Wirklichkeitspostulat stehen, andererseits alle Wissenschaften nur im Horizont von Deuteperspektiven mit der Wirklichkeit zu tun haben, erweist sich die gängige Unterscheidung von der einen Wirklichkeit und den vielen Deutungen als problematisch – vollends dann, wenn sie mit der spannungslosen Zuordnung einhergeht, empirische und historische Wissenschaften würden diese Wirklichkeit erschließen bzw. erklären und die Theologie sich dann deutend auf diese Wirklichkeitserschließungen beziehen. Doch Theologie ist ihrerseits nicht nur schlecht beraten, sondern macht sich nach Dalferth geradezu selbst überflüssig, wenn sie auf den Anspruch verzichtet, „daß der Glaube Wirklichkeit wahrnimmt und in unverwechselbarer Weise Wirklichkeit erschließt“.101 Das heißt: Es ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Theologie, dass die in Gestalt einer kategorialen Grammatik christlichen Glaubenslebens rekonstruierten Deutekategorien fun98 99 100 101

Vgl. D. LANGE, Fundamentaltheologische Probleme, 87. Theology and Philosophy, v.a. chap. 13 u. 17. Vgl. die Fortführung in: Wirklichkeit Gottes, 127f. 130f. Theologie und Gottes Gegenwart, 284; zum Wirklichkeitsverständnis: Schöpfung – Stil der Welt, 420ff.

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damentale Kategorien, nicht lediglich sekundäre Anschlusskategorien darstellen. Die Deuteperspektive des christlichen Glaubens prägt in spezifischer Weise die christliche Wirklichkeitswahrnehmung und damit auch die Erfahrung empirischer und historischer Sachverhalte.102 Die „kritische Pointe der Glaubenspraxis gegenüber anderen Erfahrungspraktiken“ wird dann aber „systematisch verspielt“, wenn Theologie auf eine Sinn- und Deutedisziplin zweiter Ordnung reduziert wird.103 Dieses Urteil gilt ganz unabhängig davon, ob eine solche Kommentierungsfunktion in der Orientierung an dem, was sozialwissenschaftliche Analysen als komplexe Wirklichkeit des Lebens erschließen, oder im bloßen Rekurs auf die Übereinstimmung mit lebensweltlicher Erfahrung ihren Bezugspunkt findet. Denn auch Letztere ist keine unproblematische, sondern höchst vieldeutige Größe, mit welcher erst innerhalb einer Leitperspektive interpretierend und orientierend umgegangen werden kann.104 Fragwürdig sind alle Versuche, Inhalte des christlichen Glaubens an lebensweltlicher Erfahrung oder wissenschaftlicher Welterfassung bewähren zu wollen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie theologisch als Versuche, das Neue permanent am Alten auszuweisen, beurteilt werden müssen.105 Auf dem Hintergrund der damit sichtbar werdenden Abgrenzungen ist zunächst die kritische Profilierung von Dalferths Theologieverständnis gegenüber kulturprotestantischen Relevanzsteigerungsstrategien deutlich erkennbar. Wenn dieses dem Zentralbegriff von Gottes Gegenwart bzw. Gottes Wirklichkeit verpflichtete Theologieverständnis im Folgenden nun darzulegen versucht wird, so vor allem im Blick darauf, wie es selbst die damit gesteckten Anforderungen in sich aufgenommen und verarbeitet hat. Zu zeigen ist daher, wie sich Theologie in ihrer bereits erwähnten doppelten Aufgabenstellung so auf ihren Gegenstand bezieht, dass sie einerseits dem Wahrheits- und Wirklichkeitsanspruch des Glaubens Rechnung trägt, also realistisch von Gottes Wirklichkeit redet und in diesem Horizont alles Mögliche und Wirkliche versteht – dass sie aber andererseits, ohne die fundamentale Bedeutung von Deutekategorien zu verkennen, Kriterien zur Prüfung von Symbolisierungen der Gotteswahrnehmungen und zur Entscheidbar102 Die Mitte ist außen, 183ff.; vgl. In Bildern denken, 165. 103 Volles Grab, leerer Glaube?, 382, Anm. 10. Vgl. die kritische Aufnahme des Begriffs der Deutung in: Evangelische Theologie, 56f., Anm. 91. 104 Vgl. zur Vieldeutbarkeit der Lebenserfahrung: Glaube und Lebenserfahrung, 91f. 105 Volles Grab, leerer Glaube?, 382, Anm. 10. Demgegenüber heben die Metaphern des Glaubens auf die Wahrnehmung des Neuen mit den Mitteln des Alten ab. Ist sich Theologie dieses Sachverhalts gewahr, vermag sie einen Horizont zu gewinnen, innerhalb dessen zwischen überwundenem bzw. zu überwindendem Altem und von Gott initiiertem Neuem in den Lebenserfahrungen unterschieden werden kann.

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keit von Wirklichkeitsansprüchen bereitstellt, mithin in ihren eigenen Erkenntnisbemühungen korrigierbar bleibt. Zu fragen ist also insbesondere auch nach der Art ihrer Korrekturfähigkeit (seitens der Wirklichkeit Gottes selbst, seitens anderer Perspektiven) und nach der Art ihrer reflexiven Distanzierung von der internen Beschreibungsweise der am christlichen Selbstverständnis Partizipierenden bzw. der internen Beschreibungsweise des Glaubenssystems. Für Dalferth unterscheidet sich Theologie von Religionswissenschaft nicht im bloßen Gegenstandsbezug (in beiden kann von Religion die Rede sein). Auch Differenzmuster wie normativ – deskriptiv, intern – extern oder gar: voreingenommen – kritisch-reflexiv eignen sich nicht als Unterscheidungsmerkmal.106 Ausschlaggebend sind vielmehr die verschiedenen Leitfragen und die verschiedenen Horizonte: Während Religionswissenschaft als theoretische Wissenschaft Religion als geschichtliches Kulturphänomen mit empirischer und historischer Methodik zu beschreiben sucht, wird Theologie auch dann, wenn sie religiöse Phänomene thematisiert, durch ihre Leitfrage nach der Gegenwart Gottes bzw. nach der Wirklichkeit der Gegenwart Gottes in den Erfahrungen der Zeit zusammengehalten. Diese Leitfrage macht die Theologie zur Theologie. Sie macht sie zu einer praktisch-hermeneutischen Disziplin, unbeschadet dessen, dass in ihren Teildisziplinen ein unterschiedliches Methodenrepertoire zur Anwendung kommt.107 Aus dieser Leitfrage ergeben sich die beiden Grundaufgaben, die rekonstruktive und die konstruktive: Im Ausgang von den Wahrnehmungen der Gegenwart Gottes, wie sie im gelebten Glauben und dessen Symbolisierungen vorgegeben sind, rekonstruiert Theologie kritisch, sie formuliert und expliziert die Erkenntnis der Wirklichkeit Gottes in stets revidierbaren Konzeptionen von ihr.108 Sie tut das beispielsweise in Gestalt einer kritisch-historischen Metaphernhermeneutik, welche aus metaphorischen Prozessen des Glaubens ihre Wirklichkeitsperspektive gewinnt und durch ihre Metaphernauslegung zur neuen Wahrnehmung der Gegenwart Gottes Anstoß geben kann.109 Theologie ist auf der anderen Seite „in all ihren Disziplinen denkende Verantwortung des christlichen Glaubens“, welche für Gottes Gegenwart als den Grund und den Horizont einer Lebensorientierung öffentlich einsteht – für einen Orientierungsrahmen, in dem wir uns, unsere Mitgeschöpfe und unsere Welt coram deo wahrnehmen und verorten.110 106 107 108 109 110

Theologie im Kontext, 7-9. Ebd., 13f. Vgl. zur Leitfrage den Untertitel von „Gedeutete Gegenwart“! Theologie und Gottes Gegenwart, 274f. In Bildern denken, 165-167. Religion als Privatsache?, 293. 296.

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Theologie ist im Letzten darum keine theoretische Erklärungsdisziplin (wie etwa die Naturwissenschaften), sondern eine „praktische Orientierungsdisziplin“.111 Zusammenfassend definiert Dalferth sie seinem Selbstverständnis evangelischer Theologie zufolge als „praktische Disziplin der Lebensorientierung durch kritische Entfaltung des christlichen Glaubens und seines Wirklichkeitsverständnisses“.112 Die schon oben herausgestellte pragmatische Pointierung wirkt sich also in einer deutlichen Zuordnung der beiden Aufgabenprofile aus, die, wollte man sie auf eine griffige Formel bringen, folgenden Zuschnitt haben müsste: Theologie ist insgesamt praktische Orientierungswissenschaft dadurch, dass sie insgesamt hermeneutische Rekonstruktionswissenschaft ist.113 Durch ihre Leitfrage nach der Gegenwart Gottes wird die Theologie zur Theologie. Das bringt einerseits die Voraussetzung mit sich, sie nicht als Kulturwissenschaft, sei es historischen oder empirischen Zuschnitts, misszuverstehen und sie auch nicht lediglich auf die Funktion einer Systemsteuerungswissenschaft für das Religionssystem oder die Kirche zu reduzieren. Andererseits wird ihr durch ihre Leitfrage von Anfang an ein gewisser Praxisbezug eingeschrieben, insofern sie das in der realistischen Rede von Gott sich artikulierende religiöse Selbstverständnis nicht unterschlägt bzw. insofern sie eine realistische Gottesrede nicht als Ausdruck einer angeblich unaufgeklärten religiösen Praxis denunziert.114 Grundsätzlich gilt vielmehr: Indem Theologie methodisch der dem christlichen Glauben mitgegebenen kritischen Fundamen-

111 Schöpfung – Stil der Welt, 427. 112 Theologie im Kontext, 18. 113 Von dieser Strukturbeschreibung und dann vor allem von den inhaltlichen Ausführung ausgehend ließen sich dann auch bei Dalferth Veränderungen in der systematischen Explikation und in der thematischen Fokussierung ausmachen: Basal ist und bleibt die analytische Fundamentaldifferenz von ‚Gott’ und Gott sowie die Fragestellung einer analytischen Ontologie, welche von den sprachlichen Äußerungen der Wirklichkeit Gottes ausgeht und deren ontologischen Implikationen nachzugehen sucht. Schon in: Theology and Philosophy, 151. 158f. 189f., äußert sich Offenbarung als existentielle Lozierung in einem neuen Bezugshorizont, so dass dementsprechend auch die rekonstruktive Aufgabe mit der Formulierung eines neuen Orientierungsrahmens verbunden wird. Die Untersuchung konzentriert sich allerdings noch ganz auf die Rekonstruktionsaufgabe und bietet die Entfaltung einer Offenbarungstheologie (zur Begründung vgl. ebd., 151. 196f.). Zu beobachten ist m.E. nun, dass die Orientierungsfunktion ein stärkeres eigenes Gewicht bekommt – insbesondere wohl deshalb, weil sie sich auch einer „orientierungsphilosophischen Religionsphilosophie“ als zugänglich erweist (s.u. die indexikalischen Funktionsbestimmungen von ‚Gott’ und ‚Ich’). Das bleibende offenbarungstheologische Kernanliegen ist jedoch in der theologischen Rückfrage nach Gottes Gegenwart bzw. Gottes Wirklichkeit aufgenommen und bildet das Hauptthema der Aufsatzsammlung „Gedeutete Gegenwart“. 114 Theologie und Gottes Gegenwart, 274f.

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taldifferenz zwischen Gott und Gottesvorstellungen, zwischen Glaube an Jesus Christus und dem Glauben der Christen folgt, kann Gott bzw. die vielgestaltige Wirklichkeit seiner Gegenwart nun selbst zu ihrem Thema werden, dem sie sich im Ausgang von der indirekten Gegebenheitsweise in Vorstellungen oder Konzeptionen Gottes kritisch-hermeneutisch zuwendet. Dass die „kritisch-realistische Ausrichtung auf Gott unmissverständlich ins Zentrum theologischer Arbeit gestellt wird,“ ist somit nicht ohne die genannte Fundamentaldifferenz und damit nicht ohne die Differenz im Gegenstandsbezug der Theologie selbst zu denken.115 Diese Differenz von sprachlich gegebener Gegenständlichkeit des Glaubens und nichtgegenständlichem Thema ist von erheblichem Gewicht, weil sich ihr das kritische Potential einer realistischen Theologie abgewinnt, welche sich als kritisch-unterscheidende Reflexion und Deutung der Lebenspraxis des Glaubens vollzieht.116 Erst von da aus kann das Verfahren des kritischen Unterscheidens, mithin das Verfahren theologischer Selbstkritik verständlich werden. Zunächst ist also festzuhalten: Da Gottes Wirklichkeit nicht unmittelbar gegenständlich gegeben ist, hat Theologie keinen direkten Zugang zu ihrem Thema, sondern folgt methodisch und epistemisch einem kritischen Rekonstruktionsverfahren, das in vorgegebenen Symbolisierungen der wahrgenommenen Gottesgegenwart, in der Sprache und den Metaphern des Glaubens ihren Gegenstand findet und dabei durchgehend die genannte Fundamentalunterscheidung zur Geltung bringt. Unbeschadet dessen, dass Theologie nicht aus den Sprach- und Symbolisierungszusammenhängen gewissermaßen aussteigen kann,117 ihr jene Fundamentalunterscheidung nur als kritische Selbstunterscheidung in der Sprache zur Verfügung steht und sie selbst also Rede von ‚Gott’ (qua Gottesvorstellung) bleibt – ihr „Thema ist Gott, nicht irgendwelche Gottesvorstellungen.“118 Um ein Gottesverständnis zu erheben, welches dann wiederum kritisch auf Symbolisierungen der Gotteswahrnehmungen angewandt werden kann, begibt sich Theologie in einen kritischen Zirkel und ist darin anderen Disziplinen vergleichbar, „denen es um die Erkenntnis einer Wirklichkeit geht, die nicht durch diese Erkenntnisbemühungen erst konstituiert wird.“119 Sie entspricht

115 Ebd., 275 (Hervorheb. im Orig.). Zur Differenz im Gegenstandsbezug schon: Existenz Gottes, 18ff.; Kombinatorische Theologie, 151; vgl. Jenseits von Mythos und Logos, 238. 116 Vgl. Theologie und Gottes Gegenwart, 281; vgl. Einleitung: Vom Wahrnehmen Gottes, 6. 117 Nachdrücklich in: Wirklichkeit Gottes, 101. 118 Theologie und Gottes Gegenwart, 275. 119 Ebd., 276.

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genau darin aber dem Glauben als einer realistischen Einstellung zur Wirklichkeit. Für diesen ist nämlich der Grundsatz konstitutiv: „Die Wahrheit des Glaubens hängt nicht daran, daß sie geglaubt wird, sondern daß die Wirklichkeit so ist, wie geglaubt wird.“120 Nicht allein die Wahrnehmung der vielfältigen Formen gelebter Religion macht die Theologie realistisch, sondern das Bemühen um Kriterien zur Gewinnung einer Urteilsfähigkeit im Blick auf Wahrheits- und Wirklichkeitsansprüche. Ein Verzicht darauf würde die Gefahr mit sich bringen, die Frage der Wahrheit diversen Machtmechanismen, insbesondere einer Medienbeeinflussung zu überlassen. Schutzlos preisgegeben ist dieser Gefahr ein Verständnis von Religionen als Markt der Möglichkeiten für Sinnangebote, aus denen nach Maßgabe individueller Bedürfnisse gewählt wird.121 Dem korrespondieren konsequenterweise dann Funktionalisierungs- und Instrumentalisierungsstrategien, welche zur Steigerung von Plausibilität nicht davor Halt machen, Gottesvorstellungen entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen zu gestalten. Dalferth betont: „[E]ntweder ist Gottes Wirklichkeit etwas, das sich nicht unserer (religiösen oder theologischen) Thematisierung verdankt, sondern über deren Wahrheit oder Falschheit, Sinn oder Unsinn entscheidet, oder sie verdient nicht, so genannt zu werden, welche Funktionen die Bezugnahme auf Gott im Leben der Gläubigen auch spielen mag.“122 Um dem Grundsatz „Die Wahrheit des Glaubens entscheidet sich an Gottes Wirklichkeit“123 in der Theologie Rechnung tragen zu können, hängt nun alles daran, dass und wie diese das erwähnte kritische Unterscheiden vollzieht. Einzusetzen empfiehlt sich hierfür mit Dalferths Kritik am singular gebrauchten Vernunftkonzept der Moderne und seinem Plädoyer für eine „Theologie aus der Sicht der Beteiligten“.124 Denn eine kritische 120 Ebd., 277. Diesen Grundsatz macht Dalferth v.a. in den in „Gedeutete Gegenwart“ versammelten Aufsätzen immer wieder deutlich, vgl. Was Gott ist, 26f.; Wirklichkeit Gottes und christlicher Glaube, 101. 115. 119 u.ö. Der Ausdruck ‚wirklich’ bzw. ‚Wirklichkeit’ wird durch zwei semantische Merkmale einer wahren Proposition bestimmt: „Zum einen besagt sie, daß sich etwas so oder so verhält, zum anderen verhält es sich auch so.“ Entscheidend ist dabei, dass die Frage nach der Wahrheit dann zur Frage nach der Wirklichkeit führt. Das entspricht dem Ansatz einer analytischen Ontologie, vgl. E. RUNGGALDIER / C. KANZIAN, Grundprobleme, 15. 35f. 121 Theologie und Gottes Gegenwart, 278. 122 Ebd., 280. 123 Was Gott ist, 26. 124 Ebd., 24; vgl. die Kritik an J. Rohls in: Kombinatorische Theologie, 84, Anm. 27. Unschwer wird zu erkennen sein, dass hier die Problematik von Rationalität und Perspektivität wiederkehrt. Und ebenso unschwer wird zu erkennen sein, dass sich Erkenntnisse aus seinen Studien über L. Wittgenstein und Anselm von Canterbury

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Selbstunterscheidung vollzieht sich immer in der Perspektive des Beteiligtseins, in welcher allein sich Wirklichkeit erschließen kann. Die Behauptung einer allgemeinen Vernunftkonzeption sucht diese Perspektivität durch den Rekurs auf eine neutrale Beobachterperspektive zu hintergehen. Doch so führt sie nicht nur zur Unterschätzung des konstruktiven Charakters von Symbolisierungsleistungen – wir haben Wirklichkeit nur in Symbolisierungs- und Deutungszusammenhängen und können diese nicht mit jener selbst vergleichen – sie führt darüber hinaus in eine Aporie: „Bloße Beobachter gibt es nicht, weil sie immer auch Beteiligte sind.“125 Postmoderne Denker haben die standpunktlose Neutralität einer allgemeinverbindlichen Vernunft als Illusion entlarvt, verfangen sich aber ebenfalls in jener Aporie, die sie kritisieren: Sie prinzipialisieren die Partikularität der Beteiligtenperspektive, ohne sich selbst in eine solche Position zu begeben. Die so von ihnen erlangte Pluralisierung der Beobachterperspektive ist nicht weniger aporetisch als die kritisierte monistische Neutralisierung derselben.126 Beide Wege sind der Theologie verwehrt. Sie spricht aus der Sicht der Beteiligten, weil sie einen wirklichkeitserschließenden Glauben zu verantworten hat, welcher sich selbst Gottes Wirklichkeit verdankt weiß. Dabei ist es unerheblich, ob der Glaubensvollzug unter dem Leitbegriff der Religion gefasst und erörtert wird. Entscheidend ist vielmehr, ob dieser Vollzug im Horizont der Beteiligtenperspektive d.h. im Horizont von Gottes Gegenwart thematisiert wird – oder im Horizont einer religionswissenschaftlichen Distanzierungsweise, welche von Gottes Wirklichkeit prinzipiell nichts weiß und darum nur zum Status einer „Anführungszeichentheologie“ gelangt: „Während der Glaube um Gottes Wirklichkeit weiß, weil er weiß, dass es ihn nicht gäbe, wenn Gott nicht wirklich wäre, kann man als Religion von ihm nur sagen, dass er um Gottes Wirklichkeit zu wissen meint.“127 Zu beachten ist allerdings, dass Theologie die Beteiligtenperspektive nicht absolut setzen kann, sondern sich von ihr – nicht religionswissenschaftlich, sondern theologisch – kritisch distanziert. Ihre Phänomendistanzierung erfolgt nämlich unter ihrer spezifischen Leitfrage nach der Gegenwart Gottes. Das bedeutet: Der genannte Grundsatz: „Die Wahrheit des Glaubens entscheidet sich an Gottes Wirklichkeit“ markiert also nichts weniger als die spezifische Distanzierungsweise, mittels derer sich Theologie innerhalb der Beteiligtenperspektive vom wiederfinden – insofern dem Grundsatz gefolgt wird, dass es Wahrheitsgewissheit nur im Lebensvollzug gibt. 125 Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 179. 126 Ebd., 178f. 127 Theologie im Kontext, 17 (Hervorheb. im Orig.).

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Phänomenbereich des Glaubens distanziert.128 Und zugleich nimmt sie den Anspruch des Glaubens, mithin sein kritisches Potential ernst; sie misst den Glauben an seinem eigenen Anspruch.129 Damit ist zumindest schon der Weg gewiesen, auf dem eine kritische Theologie ihre Unterscheidungskriterien gewinnen kann: Ihr rekonstruktives Verfahren entspricht der Selbstunterscheidung im Lebensvollzug der Glaubenden als einer Unterscheidung von Gottes Wirklichkeit und dem Glauben an sie. Sie gewinnt darum ihre Kriterien aus der Wahrnehmung von verschiedenen geschichtlichen Zusammenhängen, in welchen diese Selbstunterscheidung von Glaubenden immer wieder vollzogen wurde. Sie gewinnt sie aus der Wahrnehmung dessen, wie diese Selbstunterscheidung in der Auseinandersetzung mit anderen kritisch zu kontrollieren versucht wird, und zwar unter der Anwendung von zu Regeln kondensierten Selbstunterscheidungen, welche in einer Gemeinschaft von Glaubenden kanonische Geltung erlangen konnten.130 Dalferth spricht von einem „schmalen Grad“, auf dem sich der Weg der Theologie bewege: Einerseits anerkennt sie, dass es keine konsequente Beobachterperspektive gibt und sich der Glaube gegenüber anderen immer nur aus der Sicht von Beteiligten verantworten lässt. Andererseits ist ihr als kritische Reflexion aufgegeben, dass nicht die Beteiligten entscheiden, was Gott ist, sondern allein Gottes Wirklichkeit selbst.131 Sie kann darum nicht die sprachlich-kulturelle Formung eines Religionssystems (G. Lindbeck), sie kann nicht ein Bekenntnis von Glaubenden axiomatisch voraussetzen – sondern nimmt Lehr- und Bekenntnisbestände insofern ernst, als sie ihnen die kritische Selbstunter-

128 Auf diese Weise stellt sie sich dem Sachverhalt, dass es einen externen Vergleich zwischen Gegebenem und Gegebenheitsweise, wie es ein naiver Realismus meint unterstellen zu können, nicht gibt: vgl. Wirklichkeit Gottes, 122f. 127. 129 Man vergleiche damit das Verfahren Barths, die Verkündigung an ihrem eigenen Anspruch, nämlich Gottes Wort zu sein, zu messen (KD I/1, § 3). Auch unabhängig dieser Strukturanalogie ist die mit diesem Verfahren verbundene Einsicht von weitreichender Bedeutung, insofern sie, religionstheoretisch formuliert, dem Tatbestand Rechnung trägt, dass Religion ein „gelebtes Differenzbewußtsein“ ist (J. DIERKEN, ‚Religion’ als Thema, 257ff.) – und zwar in der Weise, dass sie selbst eine Form kritischen Bewusstseins darstellt. Dazu unten, 2.2.4. 130 Vgl. Was Gott ist, 25f. 131 Ebd., 27. In: Evangelische Theologie, 137-140, wird dieser Sachverhalt noch deutlicher als Kombination zweier Perspektiven beschrieben, einer wissenschaftlichen Perspektive coram mundo und einer theologischen Perspektive coram deo. Eine Verabsolutierung der zuerst genannten würde Theologie in eine Religionswissenschaft der Beobachterperspektive überführen, eine Verabsolutierung der zuletzt genannten würde sie zum Explikationsorgan der Teilnehmerperspektive machen.

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scheidung rekonstruktiv abgewinnt.132 Denn: „Ohne diese selbstkritische Relativierung der Gottesverehrung einer Glaubensgemeinschaft auf die Wahrheit ihres Gottesverständnisses degenerieren Religionen zu Ideologien.“133 Indem Theologie dem genannten Grundsatz folgt, kommt sie also der Aufgabe nach, den Prozess der kritischen Selbstunterscheidung von Glaubenden ihrerseits kritisch zu begleiten. Gegenüber einem solchen Ansatz ist mit dem Einwand zu rechnen, dass Theologie jenen Grundsatz schwerlich übernehmen kann, da sich ihrer Reflexion das, wessen sich das religiöse Bewusstsein als Bestimmungsgrund inne ist (Gott bzw. Gottes Wirklichkeit), als konstruktive Setzung oder Bestimmung enthüllt. Doch für Dalferth wird das Gewicht dieses Einwandes überschätzt: „Wir können in der Tat nur in der Sprache zwischen unserer Bestimmung Gottes und Gott selbst unterscheiden, aber deshalb ist das, worauf wir mit dem Ausdruck ‚Gott selbst’ Bezug nehmen, keineswegs nur Resultat einer sprachlichen Operation. Die Referenz konstituiert nicht den Referenten, und daß uns alles nur unter einer Beschreibung gegeben ist, heißt nicht, daß uns nur Beschreibungen gegeben wären.“134 Dass wir wie alles so auch Gottes Wirklichkeit nur im Horizont bestimmter Deutungsmuster bestimmen können, bedeutet also nicht, dass wie alles so auch Gottes Wirklichkeit nur deshalb wirklich ist, weil und insofern sie bestimmt wird. Unser Denkhorizont konstituiert zwar die Bestimmtheit des Wahrgenommenen („Was“), nicht aber die Wirklichkeit des Wahrgenommenen („Daß“).135 Anders gesagt: „Gott als etwas zu bestimmen, das unabhängig von jeder Bestimmung wirklich ist, heißt nicht, Gott unabhängig von jeder Bestimmung als wirklich zu bestimmen.“136 Dalferths kritischer Realismus zielt also darauf, dass Gott nicht deshalb wirklich ist, weil er als wirklich bestimmt wird, sondern umgekehrt: Weil Gott wirklich ist, kann er wahrheits- und irrtumsfähig bestimmt werden. Man kann dies als ein Zusammendenken des Gedankens der Offenbarung und des Gedankens menschlicher Fallibilität verstehen: Einerseits haben Glaubende so eine kritische Einstellung zur ihrer von der Wirklichkeit Gottes zu unterscheidenden und prinzipiell revidierbaren Überzeugung. Andererseits gibt es Offenbarung nur im Horizont eines sprachlichen Bestim132 133 134 135

Vgl. Wirklichkeit Gottes, 114. Was Gott ist, 27. Ebd., 30. Einleitung: Vom Wahrnehmen Gottes, 2f. Dalferth scheint auf die kausale Referenztheorie der Bedeutung von D. Davidson anzuspielen (vgl. D. DAVIDSON, Kohärenztheorie der Wahrheit, 259. 272, Anm. 9), wenn er dort den Sachverhalt unter der Kausalitätsprämisse des Wirkens darstellt: Die Wirkung verdankt sich nicht dem Bestimmen, aber das Bestimmen bestimmt, von was wir uns bestimmen lassen (vgl. die Aufnahme von Davidson in: I. DALFERTH / P. STOELLGER, Wahrheit, 99). Diese Formulierung liegt dann relativ nahe auch an dem, was M. SEEL, Sich bestimmen lassen, 7, in seinen philosophischen Studien als Weg einer Erkenntnistheorie zwischen Realismus und Antirealismus vertritt. 136 Gottes Wirklichkeit, 14.

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mungsgeschehens, in welchem Gottes Wirklichkeit als Gottes Wirklichkeit wahrgenommen wird.137 Es handelt sich dabei um ein Geschehen, das sich für Glaubende nicht von selbst versteht. Es handelt sich darüber hinaus um ein Bestimmungsgeschehen, das wie jedes andere auch anders sein könnte und deshalb stets umstritten ist. Die Abhängigkeit der Bestimmung von Gottes Wirklichkeit von einem sprachlichen Bestimmungshorizont bzw. von einer Beteiligtenperspektive impliziert für Dalferth auch, dass Gottes Existenz nicht unabhängig vom christlichen Glauben demonstriert werden kann. Denn dann würde eine grundlegende Überzeugung der Beteiligtenperspektive unterschlagen, dass nämlich Gottes Wirklichkeit auch Bedingung der Möglichkeit ihrer Wahrnehmung ist. Insofern hier also nicht nur die Dimension des Inhalts, sondern auch die Dimension der Vollzugs in sie einzubeziehen ist bzw. von ihr her gedacht werden muss, liegt die Wirklichkeit Gottes ihrer Thematisierung anders voraus als dies empirische Sachverhalte tun.138 Die christliche Rede von Gottes Wirklichkeit „ist nicht wahr, wenn die Wirklichkeit, von der sie redet, nicht zugleich der Grund dafür ist, daß sie so redet und reden kann.“139 Die pragmatische Pointe christlichen Glaubens besteht somit darin, dass sich Beteiligte ihn einem Orientierungsrahmen loziert finden, in dem sie nicht nur sich und ihre Welt in der Gegenwart Gottes erkennen, sondern dies auch als Gottes Wirken verstehen.140

Mit der skizzierten gewissermaßen innerperspektivischen Gewinnung einer kritischen Differenz von Wirklichkeitsthematisierung und thematisierter Wirklichkeit ist der Weg, den das kritische Verfahren der Theologie zu begehen hat, noch nicht abgeschritten. Sie ist vielmehr selbst Voraussetzung für eine kritische Verknüpfung differenter Perspektiven. Und diese müssen in diesem Zusammenhang nun weniger als Herausforderung zur theologischen Integration, sondern als Möglichkeiten begriffen werden, zum Zweck der kritisch-vergleichenden Fortführung der eigenen Thematisierung den Widerstand des Wirklichen wahrzunehmen. Denn die Beachtung der kritischen Differenz innerhalb unserer

137 Einleitung: Vom Wahrnehmen Gottes, 4f. Offenbarung kann nach der Beteiligtenperspektive nur als Selbstoffenbarung gedacht werden: In der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus nehmen Glaubende nicht nur das Dass, sondern das Was von Gottes Gegenwart wahr. Auch in: Evangelische Theologie, 116, ist für den Offenbarungsbegriff die fundamentale Unterscheidung und das unauflösbare Ineinander von Thematisierung bzw. Symbolisierung und Thematisiertem bzw. Symbolisiertem unhintergehbar: „Was die evangelische Dogmatik ‚Offenbarung’ nennt, findet als Selbstkommunikation des Evangeliums nicht vor, sondern in und mit der christlichen Kommunikation des Evangeliums statt, und zwar so, dass der dadurch provozierte Glaube sich responsorisch auf das, dem er sich verdankt, zurückbezieht und das ‚Gottes Offenbarung’ nennt.“ 138 Wirklichkeit Gottes, 120f. 139 Ebd., 121. 140 Vgl. Vor Gott gibt es keine Beobachter, 56.

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Perspektive ist notwendige Bedingung für die Wahrnehmungsfähigkeit für andere und anderes in ihrer bzw. seiner Andersheit.141 Dalferth kritisiert den zum Solipsismus neigenden radikalen Beobachterpluralismus zunächst mit dem Verweis auf den Anspruch des Anderen in der Konzeption von E. Lévinas. Es handelt sich dabei nämlich um einen Anspruch, der als Widerstand in der eigenen Perspektive präsent ist.142 Dalferth pointiert: „Es ist gerade die Beobachterperspektive, in der die Andersheit von anderen und anderem systematisch überspielt wird, weil sie alle in die gleiche Sicht gerückt werden, also nur als differente Fälle eines Allgemeinen bestimmt werden.“143 Ein weiteres Argument gegen den radikalen Beobachterpluralismus wird dem Anspruch einer Wahrheit abgewonnen, welche sich der Auflösung in die Relativität privatisierter Perspektiven widersetzt – und welche selbst wiederum voraussetzt, dass die Differenz von Wirklichkeitsthematisierung und thematisierter Wirklichkeit („Lücke“) offengehalten wird.144 Zwischen Perspektiven kann nur kommuniziert werden, wenn in ihnen das Jenseits der Perspektiven festgehalten wird – wofür ein kritischer Wahrheitsbegriff steht. Zusammengenommen führen diese Überzeugungen nicht nur zu einer reflektierten Rede von Perspektiven,145 sondern auch zu einer Position zwischen naiver Unterstellung einer gemeinsamen Wirklichkeit und naiver Separierung individueller Perspektiven, gar individueller Welten.146 „Nur in unseren Perspektiven läßt sich die Frage nach der Wahrheit und gemeinsamen Wirklichkeit dessen beantworten, was sich in unseren Perspektiven im Widerstreit anderer als Widerstand von Wirklichem zu Wort meldet, wenn sie sich überhaupt beantworten läßt.“147 Wenn wir unsere Perspektive bzw. unseren Thematisierungshorizont dem Widerstreit mit anderen aussetzen, kann uns (wiederum: in ihr bzw. ihm) der Widerstand des Wirklichen erfahrbar werden. Genauer: Von einer anderen Deutung her vermag sich die Differenz zwischen Wirklichkeit und Wirklichkeitsdeutung so zur Geltung zu bringen, dass die Frage einer gemeinsamen Wirklichkeit überhaupt in den Blick treten kann.148 141 142 143 144 145 146 147 148

Vgl. Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 186; Wirklichkeit Gottes, 131. Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 181ff. Ebd., 185. Ebd., 183f; vgl. schon die Kritik am Wittgensteinschen Fideismus von D.Z. Phillips in: Religiöse Rede, 527-529. Insofern interne und externe Perspektive nicht isolierte Größen sind, sondern die externe beispielsweise erst in der internen als externe wahrgenommen wird. Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 186. Ebd., 187 (Hervorheb. im Orig.). Ebd., 187f.

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Das zu suchende Andere, mit dem eine perspektivische Thematisierungsweise zum Zweck eines kritischen Vergleichs zu konfrontieren ist, kann also nicht – wie ein naiver Realismus unterstellt – das thematisierte Gegebene selbst sein. Ein solcher externer Vergleich von Gegebenem und perspektivischer Gegebenheitsweise ist aufgrund der epistemischen Unhintergehbarkeit der Letzteren unmöglich.149 Das zu suchende Andere ergibt sich vielmehr dann, wenn wir uns innerhalb unserer Perspektiven bzw. Thematisierungsweisen auf ein Drittes als einer anderen perspektivischen Thematisierung beziehen. Weil auch dieses Dritte die Differenz von Gegebenem und perspektivischer Thematisierung an sich trägt, stellt sich der kritische Vergleich als potentiell unendlicher Iterationsprozess dar. Er wird aber aus lebenspraktischen Gründen abgebrochen, weil entschieden und gehandelt werden muss.150 Die Folgen für eine „realistische Theologie“, welche sich um Kriterien zur Entscheidbarkeit von Wirklichkeitsansprüchen bemüht, liegen auf der Hand: Ihr kritisches Vergleichen und Verknüpfen bezieht sich ebenfalls auf andere Perspektiven und Thematisierungsweisen – wobei ihr spezifischer Ort innerhalb des Horizonts einer Beteiligtenperspektive bereits vorausgesetzt ist. Sie rechnet allerdings damit, dass Gott in mehr als einer Perspektive zugänglich, unter mehr als einer Beschreibung gegeben ist und gewinnt gerade daraus auch ihr selbstkritisches Potential.151 Diese Offenheit für den kritisch-argumentativen Diskurs spricht dafür, dass Theologie an den öffentlichen Ort der Universität gehört.152 Von hier aus bietet sich zuletzt ein Blick auf das Verhältnis einer solchen Theologie zur Kirche an: Der rational-argumentative Diskurs, wie er in der Theologie gepflegt wird, bewirkt keinen Glauben – dieser entsteht allein aus der Wahrnehmung der Gegenwart Gottes. Der Glaube setzt aber einen argumentativen Diskurs über Rechtfertigungen und Begründungen von Glaubensüberzeugungen frei, deren „Überzeugungskraft von einer Lebenspraxis zehrt, die ihre Überzeugungskraft nicht diesen oder irgendwelchen sonstigen Argumenten verdankt.“153 Dass alles Denken grundsätzlich „Weiterdenken“ ist und nicht unter Absehung konkreter Argumentationssituationen auf unbezweifelbare letzte Gründe führen kann, gilt entsprechend auch für eine Theologie, welche durch ihre Leitfrage nach der Ge-

149 Wirklichkeit Gottes, 122. 150 Ebd., 128. 130. 151 Vgl. ebd., 129; auch die Regel, die für die Vernunft des Glaubens formuliert wird: „Setze dein Gottesverständnis vorbehaltlos der Kritik aus und sei bereit, es anderen gegenüber zu verantworten [...]“ (Was Gott ist, 33). 152 Vgl. ebd., 35; Vor Gott gibt es keine Beobachter, 52f.; Religion als Privatsache?, 290ff. 153 Wirklichkeit Gottes, 108.

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genwart Gottes von einer Lebenspraxis ausgehend ihr universales Thema gewinnt. Was für diese Gegenstand des argumentativen Diskurses ist, bringen nun aber Christen immer schon in ihren Gottesdiensten öffentlich zur Darstellung: Gottes Gegenwart ist das Evangelium, dem sich die Kirche verdankt.154 Dass dies dort öffentlich zur Darstellung kommt, die Kirche sich nicht in Allotria verliert – dies wiederum ist permanente Aufgabe der Theologie an der Kirche.155 Sie hat dabei vor allem darauf zu achten, dass die kirchliche Verkündigung von der Gegenwart der Wirklichkeit Gottes eine solche realitätsgerechte Lebensorientierung ermöglicht, welche sich am Wort vom Kreuz orientiert und darum auch zum Leben mit Sinndifferenzen und -dissonanzen ermuntern kann.156

2.2.3. Orientierungsphilosophische Betrachtung von ‚Gott’ und ‚Ich’ Theologie ist eine praktische Wissenschaft, sie ist als Reflexionsgestalt einer bestimmten geschichtlichen Religion eine praktische Orientierungsdisziplin. Wie zu sehen war, zieht sich diese Überzeugung unbeschadet verschiedener Erörterungszusammenhänge wie ein roter Faden von Anfang an durch die Arbeiten Dalferths. Zu erinnern ist beispielsweise an „Theology and Philosophy“ und dem dort beschriebenen Zusammenhang von Offenbarung und Lozierung in einem neuen Orientierungsrahmen; zu erinnern ist an die Tübinger Antrittsvorlesung, welche am Beispiel von Anselms Programm ‚Fides quaerens intellectum’ die pragmatische Pointe theologischer Argumentation herausstellt. Es handelt sich um eine Konzeption, welche davon Abstand nimmt, Gott als Allgemeinbegriff zu fassen und im Modus einer Fremdidentifikation zu bestimmen. Stattdessen wird Gottes Selbstidentifikation und -interpretation (in Jesus Christus) und damit seine Offenbarung für grundlegend erachtet. Da diese nicht unmittelbar gegenständlich gegeben ist, besitzt Theologie allerdings einen indirekten, rekonstruktiv-kritischen Zugang zu ihrem Thema; sie kann Gottes Offenbarung nicht unabhängig von der Lebensorientierung des Glaubens und seines Vollzugs thematisieren. Insofern sich auch Religionsphilosophie in einer bestimmten Weise auf Religion als Lebensorientierung beziehen, und mehr noch: sie sich selbst als kritische Orientierungsdisziplin verstehen kann, legt es sich nahe, Differenz und Beziehung dieser beiden Disziplinen, der philosophischen und der theologischen Denkdisziplin zu reflektieren. Dalferth 154 Vgl. Religion als Privatsache?, 284. 155 Vgl. Theologie und Gottes Gegenwart, 273. 283. 156 Vgl. Das Wort vom Kreuz, 80f.

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tut dies – zunächst in Aufsätzen, dann gebündelt in „Die Wirklichkeit des Möglichen“ (2003) – nicht ohne zu den verschiedenen faktisch praktizierten oder (und) programmatisch geforderten Verhältnisbestimmungen von Philosophie bzw. Religionsphilosophie und Theologie Stellung zu nehmen.157 Dabei wird nicht nur eine Kritik am Import von philosophischen Grundlegungen erkennbar, wie dieser bei W. Gräb im Fall der Subjektivitätstheorie festzustellen war. Es handelt sich vielmehr um eine prinzipielle Abweisung jeder religionskonstruktiven und begründungstheoretischen Rolle der Religionsphilosophie.158 Beachtenswert ist dabei für den aus der analytischen Tradition herkommenden Dalferth, dass eine nicht weniger grundsätzliche Kritik auch gegenüber rational-theistischen Plausibilisierungsversuchen der analytischen Religionsphilosophie geltend gemacht wird, insofern diese Versuche begriffliche und epistemologische Reduktionen voraussetzen und der Eigenart religiöser Phänomene nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken.159 In „Die Wirklichkeit des Möglichen“ entfaltet Dalferth daher einen Grundriss einer hermeneutischen Religionsphilosophie, für welche eine phänomenologische Interpretationsperspektive basal ist. Anders als es ein phänomenologischer Zugang zu religiösen Phänomenen auf den ersten Blick vermuten lassen könnte, ist diese Religionsphilosophie allerdings so entworfen, dass sie ihrerseits nicht auf eine tendentiell relativistische Deskription der Phänomene reduziert werden kann, sondern ihr in mehrfacher Hinsicht eine kritische Aufgabe zufällt.160 Dalferth hält daran fest, dass es „eine wesentliche Aufgabe des religionsphilosophischen Vernunftprojekts“ ist, nichtreligiöse, aber religionsrelevante Beurtei-

157 Die konflikthafte Auseinandersetzung mit anderen Verhältnisbestimmungen ist dem religionsphilosophischen Ansatz Dalferths nicht äußerlich, vgl. den Beitrag „Subjektivität und Glaube“ (1994), welcher zum großen Teil in den Abschnitt „Kritik philosophischer Theologie“ übernommen wurde (Die Wirklichkeit des Möglichen, 336ff.). 158 Vgl. schon Theology and Philosophy, 153ff.; Theologie und Philosophie, 152ff. 159 Beispielhaft deutlich wird dies in der Auseinandersetzung mit der ‚reformierten Erkenntnistheorie’ A. Plantingas und mit dem philosophischen Theismus, vgl. Die Wirklichkeit des Möglichen, 96f. 114. 216f. 300ff. 450. Die Kritik an der analytischen Tradition macht dabei lediglich explizit, was in „Religiöse Rede von Gott“ mit der hermeneutisch-rekonstruktiven Rückführung auf die Selbstauskunft der christlichen Religion bereits präsent war; vgl. Religiöse Rede, 534! 160 Schon an dieser Stelle bietet es sich an, Dalferths Ansatz mit dem Ansatz der ein Jahr zuvor als Studienausgabe erschienenen Religionsphilosophie von R. SCHAEFFLER, Religionsphilosophie, zu vergleichen: Weil Schaeffler mit einem phänomenologischen Ansatz die Gefahr einer bloßen Deskription und einer relativistischen Betrachtung der Religionen als autonomer Sprachspiele verbindet, ist es um der normativkritischen Aufgabe willen für ihn „unentbehrlich“, phänomenologischen und transzendentalen Zugang zu kombinieren: ebd., 204f. 210f. 282.

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lungskriterien zu finden.161 Die von ihm konzipierte phänomenologisch orientierte Religionsphilosophie kann und soll nämlich eine solche extern-nichttheologische Perspektive repräsentieren, welche für eine in der internen Perspektive der Beteiligten sich vollziehende Theologie ein Potential nicht nur kritischer, sondern weiterführender Anstöße bereitzustellen vermag. Wie die Darstellung der indexikalisch-symbolischen Funktion des religiösen Gottesgedankens und die religionsphilosophische Forderung, alle kommunikativen Orientierungspositionen bei der Thematisierung von Gott zu berücksichtigen, beispielhaft zu demonstrieren vermögen, hat Dalferths entwickelte Position über die materiale Dogmatik hinaus Konsequenzen für den Ansatz einer christlichen Theologie überhaupt. Im Interesse der vorliegenden Fragestellung werden im Folgenden (1) Dalferths Verständnis von Religionsphilosophie in der Abgrenzung zu anderen Traditionen und im Verhältnis zur Theologie, (2) seine religionsphilosophische Betrachtung zu ‚Gott’ (dazu gehört seine theologisch wichtige These von der Unvermeidlichkeit Gottes und der Vermeidbarkeit der Religion) und schließlich (3) seine religionsphilosophische Betrachtung zu ‚Ich’ (dazu gehört seine Kritik am begründungstheoretischen Gebrauch von Subjektivitätstheorien) in der notwendigen Kürze skizziert. Zu 1: Zum Verständnis des Gerüsts von Dalferths hermeneutischer Religionsphilosophie sind zwei Begriffsfelder und ihre Verbindung von ausschlaggebender Bedeutung: das Begriffsfeld von Orientierung und das Begriffsfeld der drei Modalbegriffe Möglichkeit, Notwendigkeit und (kontingente) Wirklichkeit.162 Lebensorientierung ist für den Menschen unverzichtbar; sie erlaubt es ihm, sich in immer neuen Situationen so zurechtzufinden, dass er verantwortlich handeln kann. Zu dieser Lebensorientierung benötigt er 161 Die Wirklichkeit des Möglichen, 110. Zu beachten ist die Fortsetzung: Das Ziel dieses Vernunftprojekts ist allerdings „kein zeitlos gültiges und in jeder Hinsicht religionsneutrales Vernunftkonzept, sondern ein Katalog von Kriterien, deren Relevanz unabhängig von den zur Verhandlung stehenden religiösen Positionen plausibel gemacht werden kann.“ 162 Im Blick auf den Begriff der Orientierung ist die philosophische Aufnahme und Bearbeitung des Begriffs bei I. Kant grundlegend; nach Arbeiten von F. Kaulbach und H. Lübbe wird neuerdings ein darauf aufbauendes Philosophieverständnis vor allem von W. Stegmaier ausgearbeitet, vgl. W. STEGMAIER, Grundzüge einer Philosophie der Orientierung, 162ff. Im Blick auf die drei genannten Modalbegriffe geht die wirkungsgeschichtlich bedeutsame Thematisierung auf Aristoteles zurück; für den Ansatz von Dalferth ist die als ontologische Implikation der Rechtfertigungslehre entfaltete theologische Transformation der aristotelischen Priorität der Wirklichkeit vor der Möglichkeit bei E. JÜNGEL, Die Welt als Wirklichkeit und Möglichkeit, 206ff., vorauszusetzen.

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nicht nur ein möglichst zuverlässiges Wissen über die kontingente Wirklichkeit, sondern auch deren Verständnis im Horizont des Möglichen. Er muss wissen, was der Fall sein könnte bzw. wie man auch anders handeln könnte.163 Dafür, eine Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit verlässlich für sich ordnen und sich selbst darin orten zu können, bieten empirische Wissenschaften wichtige Voraussetzungen und Instrumente, selbst leisten können sie dies jedoch nicht.164 Denn sie erklären Wirkliches, blenden aber den Horizont des Möglichen am Wirklichen aus. Auf deren Erkundung richtet sich die Philosophie; sie orientiert im Denken, indem sie mögliche Weltperspektiven erschließt und im Licht von Alternativen kritisch beurteilt.165 Grundsätzlich gilt nämlich, dass die Orientierungsschemata, mit deren Hilfe wir uns im Leben orientieren, allein schon durch den jeweiligen Standpunkt, von dem aus sie entworfen wurden, kontingent sind. Das betrifft auch Religionen, die sich als gemeinschaftliche Lebensorientierung an unverfügbarer Andersheit religionsphilosophisch fassen lassen.166 Die Möglichkeit von Alternativen, die Möglichkeit der Negation von Religion ist daher ebenso zu beachten wie die einer denkerischen Orientierung aufgegebene Forderung, den eigenen Standpunkt der ‚fremden Vernunft’ des anderen auszusetzen.167 Auf diesem Hintergrund wird der Ansatz von Dalferths Religionsphilosophie verständlich. Definiert ist sie als „philosophische Orientierung im Denken über religiöse Orientierung im Leben“, kürzer gesagt als „philosophisches Nachdenken über Religion“.168 Nun vollzieht sich auch Theologie als Nachdenken über religiöse Orientierung und als Entfaltung des Möglichen am Wirklichen. Sie tut dies aber vom Standpunkt einer bestimmten Religion aus, sie beschreibt die Wirklichkeit der Welt im Horizont der Möglichkeiten Gottes – während für religionsphilosophische Orientierungsversuche der philosophische Standpunkt der ‚fremden Vernunft’ des anderen wesentlich ist. Sie folgen der Leitdifferenz von Vernunft / Religion, nicht der Leitdifferenz Gott / Welt oder der Leitdifferenz Glaube / Unglaube.169

163 164 165 166 167

Die Wirklichkeit des Möglichen, 34f. Vgl. Schöpfung – Stil der Welt, 427f. Die Wirklichkeit des Möglichen, 50f. 66. Ebd., 39f. 83f. 92. Ebd., 40-44; vgl. 64: „Denn vernünftig ist nicht das, was ohne Bezug auf irgendeinen Standpunkt vertreten wird, sondern was auf jedem Standpunkt jederzeit damit rechnet, dass angesichts des Anderen der Vernunft auch der andere recht haben könnte.“ 168 Ebd., 6. 65. 169 Ebd., 65f. 77. 74f.

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Dass der für Religionsphilosophie spezifische Reflexionsmodus durch die Ausrichtung an der Leitdifferenz Vernunft / Religion bestimmt ist, bedeutet für Dalferth: Sie beschäftigt sich nicht mit einer philosophischen Umformung bzw. einem philosophischen Konstrukt von Religion, sondern mit dem Phänomen religiösen Lebens, mit gelebter Religion. Die entscheidende Differenz zu Religionswissenschaft und Theologie besteht also nicht im Bezugs- und Themenfeld. Es handelt sich vielmehr um eine Differenz der Art und Weise, wie über die faktische religiöse Wirklichkeit, welche sich aus konkreten religiösen Lebensvollzügen erschließen lässt, nachgedacht wird – nämlich philosophisch, soll heißen: unter auf Orientierung im Denken zielenden Gesichtspunkten im Horizont der kritischen Vernunft.170 Im Blick auf die quaestio facti konkurriert sie darum nicht mit der wissenschaftlichen Erklärungsperspektive der Religionswissenschaft und auch nicht mit der Beteiligtenperspektive der Theologie, für welche im Horizont der Möglichkeiten Gottes die quaestio facti von vornherein im Sinne eines göttlichen Verdanktseins (factum dei) beantwortet ist. Sie setzt Letztere vielmehr voraus; sie nimmt die durch den Phänomenbereich der Religionen und deren Reflexionsgestalten aufgeworfenen Fragen zum Anlass philosophischen Verstehens. Sie fragt darüber hinaus nach der Plausibilität, der Geltung und Wahrheit von religiösen Überzeugungen (quaestio iuris) und setzt dabei die Erkundung von möglichen Weltperspektiven voraus (quaestio possibilitatis).171 Die Aufgabenstellung religionsphilosophischen Denkens besteht daher in einem Dreifachen. Dalferth kann sie mit den Stichworten Hermeneutik, Imagination und Kritik markieren oder von drei mehr oder weniger unterscheidbaren Komponenten sprechen, durch welche sich ein ausgewogener religionsphilosophischer Entwurf auszeichnet: eine historisch-hermeutische Komponente, eine kreativ-konstruktive und eine kritisch-rationale Komponente.172 Mit dieser dreifachen Aufgabenstellung folgt Religionsphilosophie einem „lebensweltlichen Vernunftinteresse“, das sich von den Phänomenen vorphilosophischer Lebenspraxis verwirren lässt und durch Kritik, Korrektur und Erkundung alternativer Möglichkeiten der Selbstaufklärung dieser Lebenspraxis dienen will. Für ein vom lebensweltlichen Vernunftinteresse bestimmtes philosophisches Denken geht es dann grundsätzlich darum, dass beide Pole, der Ausgang vom Wirklichen und dessen Beurteilung im Licht alternativer Möglichkeiten, aufeinander bezogen bleiben: „Auf der einen Seite ‚erdet’ es die Sinnmöglichkeiten, die es erschließt, in170 Vgl. ebd., 3. 68f. 76f. 171 Ebd., 76f. 104. 172 Ebd., 71f. 78.

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dem es sie reflektierend an lebensweltliche Wirklichkeiten rückzubinden sucht bzw. diese Rückbindung oder ihr Fehlen kritisch aufzeigt. Auf der anderen Seite ‚entselbstverständlicht’ es die Phänomene, mit denen es sich beschäftigt, indem es nach ihren nichtrealisierten Möglichkeiten fragt und sie in deren Licht nach Vernunftgesichtspunkten beurteilt.“173 Religionsphilosophie ist darum beides, hermeneutisch und kritisch. Aufgrund ihres hermeneutischen Ausgangspunkts kann sie nicht zu einer besseren Alternative zur Theologie werden, sie beurteilt und erkundet kontrafaktische Möglichkeiten konkreter religiöser Wirklichkeiten und Wirklichkeitssichten – während Theologie sich auf eine Explikation der impliziten Möglichkeiten der bestimmten Wirklichkeitssicht des (christlichen) Glaubens konzentriert. Zugleich erfüllt Religionsphilosophie eine kritische Aufgabe gegenüber der ihr vorausliegenden Praxis der Religion und ihrer religiösen Kommunikation, indem sie beispielsweise die Überführung indirekter Mitteilungsformen der Perspektive von Ich und Du (Gebet, Bekenntnis usw.) in direkte Mitteilungsformen von Wissens- und Wahrheitsansprüchen kritisch begleitet. Die Mehrdimensionalität ihrer kritischen Aufgabe zeichnet sich auch durch eine Kritik an Philosophie und Wissenschaft, nicht zuletzt auch durch eine Selbstkritik aus.174 Dalferth versteht seinen Ansatz als „Alternative zu den spekulativen Ansätzen einer philosophischen Theo-logie und eines demonstrativen Theismus, die gegenwärtig die Debatte vor allem in der analytischen Tradition beherrschen“.175 Dieser Anspruch lässt sich als Kehrseite seiner Forderung einer angemessenen Kombination der drei Aufgabenmomente verstehen: Die einseitige Betonung der hermeneutischen Komponente kann zu unkritischer Deskription oder zur religiös-spekulativen Indienstnahme der Religionsphilosophie, die einseitige Betonung der kreativen Komponente zur mit Möglichkeiten spielenden Imagination führen. Der zitierte Anspruch ist jedoch vor allem gegen die mit der Betonung der kritisch-rationalen Komponente einhergehenden Gefahr einer rationalistisch-kognitiven Reduktion bzw. einer rationalen Konstruktion von Religion gerichtet. Dieser Gefahr erlegen zu sein bildet dann den Hauptnenner seiner im Teil II von „Die Wirklichkeit des Möglichen“ dargebotenen Kritik philosophischer

173 Ebd., 103. Ohne dass es an dieser Stelle eigens genannt wird (vg. aber ebd., 407), knüpft Dalferth mit dieser Programmformulierung an E. Husserls Definition von Lebenswelt als einem „Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten“ und deren Aufnahme bei H. BLUMENBERG, Lebenswelt, 21ff., an: Die analytische Aufgabe bezieht sich auf diese Lebenswelt so, dass sie deren Kontingenz bzw. die Möglichkeit des Anders-sein-Könnens herausarbeitet und dies wiederum als kritisches Moment gegenüber ihr geltend machen kann. 174 Ebd., 113f. 175 Ebd., 114 (Hervorheb. gestrichen).

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Theologie: Die Religionsphilosophie der Neuzeit habe weithin ihre Aufgabe verfehlt, weil sie sich nicht mehr auf diejenigen philosophischen Probleme bezog, welche durch die Phänomene einer empirisch und historisch zu erschließenden religiösen Lebenspraxis aufgeworfen wurden. Das Projekt einer Vernunftreligion, das Projekt eines philosophischen Theismus und das Projekt einer subjektivitätstheoretischen Begründung von Religion stellen in dieser Beziehung lediglich Variationen eines Problemthemas dar, nämlich „anstatt der faktisch gelebten Religionen eine rationale Religion zu postulieren, statt der Gottesverständnisse geschichtlicher Religionen ein theistisches Gotteskonzept, statt des gelebten Glaubens an Gott eine subjektivitätstheoretisch begründete Gewissheit“.176 Dabei ist es eines, den religiösen Glauben wie andere Wissensansprüche behandeln und rechtfertigen zu wollen, ihn also unbefragt in eine epistemologische Problemperspektive einzurücken. Ein anderes ist die gewissermaßen gesteigerte Version, wenn Religionsphilosophie sich auf die Debatte mit der Religionskritik so einlässt, dass sie selbst meint, eine rationale Religion, letztlich ein rationales Substitut oder Surrogat gelebter Religion konstruieren oder eine subjektivitätstheoretische Begründung leisten zu müssen.177 Die Meinung, Glaube sei nur rational, wenn er sich allgemein einsichtig begründen lasse, setzt nicht nur ein fragwürdiges Rationalitätsmodell voraus,178 sie lässt es auch ungeprüft, „in welchen Fällen und Situationen nach besonderen Vernunftgründen zu suchen vernünftig ist und in welchen nicht.“179 Und schließlich drohen theistische wie subjektitätstheoretische Begründungsstrategien für ein Konstrukt von Gott oder Subjekt zu argumentieren, für welches – allein schon aufgrund der Missachtung des intrinsischen Zusammenhangs von Selbst- und Gottesverständnis – nur unterstellt werden kann, dass es diejenigen Überzeugungen von Gott und Mensch trifft, welche in der gelebten Religion tatsächlich auch eine Rolle spielen.180 Es bleibt in diesem Zusammenhang festzustellen, dass die Ablehnung einer begründungstheoretischen Aufgabe der Religionsphilosophie im Sinne einer subjektivitätstheoretischen Letztbegründung oder eines theistischen Gottesbeweises die Aufgabe der Glaubensrechtfertigung in den konkreten Situationen der Moderne nicht schmälert, im Gegenteil: Man wird ihrer als Erfordernis nicht vermeintlich allgemein-abstrakter, sondern kon-

176 Ebd., 207 (Hervorheb. gestrichen); vgl. 72f. 78. 110-112. 218. 426ff. u.ö. 177 Vgl. ebd., 112. 246. 427: Die Grundaporie von zu begründungstheoretischen Zwecken entworfenen Subjektivitätstheorien „besteht darin, dass sie theoretische Erklärungen an die Stelle der zu klären gesuchten Phänomene setzen, theoretische Problemlagen mit lebenspraktischen Fragen verwechseln und lebensweltliche Gewissheiten für unausgewiesen erklären, solange sie nicht transzendental oder erstphilosophisch als unzweifelbar gewiss fundiert sind.“ 178 Dalferth übernimmt in ebd., 229ff., seine Skizzierung praktischer Rationalität aus: Kombinatorische Theologie, 61ff. 179 Die Wirklichkeit des Möglichen, 217. 180 Vgl. ebd., 217. 393ff. 450; Subjektivität und Glaube, 50ff.

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kreter, adressatenbezogener und kontextsensibler Argumentation ansichtig.181

Religionsphilosophie teilt also mit Religionswissenschaft und Theologie ihr Bezugsfeld im Bereich der Phänomene religiösen Lebens; mit der Theologie insbesondere teilt sie als Orientierungsdisziplin das Interesse nicht nur an der quaestio facti, sondern auch an der quaestio iuris und der quaestio possibilitatis. Als eine philosophische Disziplin hat sie aber nicht Gott oder den Gottesgedanken, sondern die menschliche Religionspraxis im Horizont kritischer Vernunft zum Thema. Wie bereits ersichtlich wurde, ergibt sich aus dieser ihrer Leitdifferenz Vernunft / Religion eine Perspektivendifferenz zur Theologie: Während Religionsphilosophie in der Beobachterperspektive von der empirischen und historischen Wirklichkeit religiösen Glaubens ausgehend sich dessen Möglichkeit (quaestio possibilitatis) und dessen vernünftiger Beurteilung (quaestio iuris) zuwendet, betrachtet Theologie in der Teilnehmerperspektive dieselbe Wirklichkeit im Licht der Möglichkeiten Gottes und insofern in einer coram Deo-Perspektive. Im Horizont des Glaubens von ihm und nicht in einem anderen Horizont über ihn zu reden, heißt dem Bekenntnis des Glaubens zu folgen, der sich als Wirkung Gottes auffasst, sich also nur als Gott zu verdankende Möglichkeit und Wirklichkeit verstehen kann.182 Die damit gegebene ontologische und epistemologische Priorität der Möglichkeit gegenüber der Wirklichkeit (E. Jüngel) äußert sich auch in einer unhintergehbaren Differenz der theologischen Interpretationsperspektive gegenüber der von der Religionsphilosophie zu verfolgenden phänomenologischen Interpretationsperspektive. Weil theologische Möglichkeits- und Wirklichkeitsbestimmungen nicht einfach Fortbestimmungen von Möglichkeiten und Wirklichkeiten der coram mundo-Perspektive sind, bedarf es eines fundamentalen Wechsels des Horizonts, der eine Konversion des Selbstverständnisses einschließt: „Man kann sich selbst in der coram deo-Perspektive nicht verstehen, ohne sich und alles andere anders zu verstehen.“183 Unter bestimmten Bedingungen ist es für die Religionsphilosophie zwar möglich, geradezu naheliegend, das Nachdenken über Wirkliches und Mögliches zu einem Grenzbegriff einer absoluten Wirklichkeit

181 Die Wirklichkeit des Möglichen, 403: Der gängige Verweis auf 1 Petr 3,15 darf also nicht überspielen, dass „Rechtfertigung ablegen heißt, jemandem für etwas Gründe nennen.“ (Hervorheb. im Orig.) 182 Ebd., 105-108. 118-121. In diesem Sinn lässt sich dann Theologie als Interpretationspraxis verstehen; vgl. Evangelische Theologie, 61f. 183 Die Wirklichkeit des Möglichen, 126; zur Bedeutung der Konversion als Horizontwechsel: ebd., 450f.

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weiterzutreiben – zu einer Wirklichkeit also, ohne die es keine Möglichkeit und keine Wirklichkeit geben könnte. Diese Wirklichkeit ließe sich mit Kierkegaard Gott nennen und als „die Wirklichkeit des Möglichen“ bestimmen.184 Die Religionsphilosophie hätte sich mit einem solchen Gottesgedanken selbst einen kritischen Grenzbegriff gegeben, welcher letztlich nichts weniger offenbart als die Grenze auch ihrer eigenen (phänomenologischen) Beschreibungsperspektive. Denn eine absolute Wirklichkeit kann nicht mehr im Horizont nichtrealisierter Möglichkeiten, in der Perspektive des Konjunktivs gedacht werden. Philosophisch den Gottesgedanken als Grenzbegriff zu denken bleibt daher etwas fundamental anderes als theologisch Gott zu denken. Und eine „kontrafaktische Möglichkeit des Menschseins im Welthorizont zu denken, ist deshalb etwas anderes, als seine geschöpfliche Wirklichkeit im Bezug auf Gott zu denken.“185 Der Vorteil der phänomenologischen Beschreibungsperspektive besteht nun nicht nur darin, diese Differenz und das bedeutet: die Abhängigkeit des Bestimmens von der jeweiligen konkreten Interpretationspraxis und dem jeweiligen konkreten Interpretationshorizont ausdrücklich machen zu können; er besteht vielmehr auch in einer bedeutsamen Nähe zur theologischen Beschreibungsperspektive selbst: Phänomenologische Beschreibungen subsumieren Phänomene nicht unter Allgemeinbegriffe oder substituieren sie durch propositionale Beschreibungen, sondern präsentieren Phänomene als konkrete Interpretationsakte bestimmter Lebensvollzüge, zu deren Formulierung daher auf Indexwörter wie ich, hier, jetzt, dies etc. nicht verzichtet werden kann. Was Theologie als Schöpfung, Sünde, Gnade etc. beschreibt, ist ebenfalls pragmatisch zu verstehen, so dass es „nur um den Preis seiner Auflösung“ aus seinen indexikalischen in bloß propositionale Bestimmungen überführbar ist. Denn es loziert „mit dem Bestimmten und Beschriebenen immer zugleich auch den Beschreibenden und Bestimmenden: Wer von Gott und Gottes Gegenwart spricht, loziert damit zugleich sich selbst in der Gegenwart Gottes, von der er spricht.“186 Zu 2: Eine ernsthafte Erörterung des Gottesgedankens hat sich diesem „Kern des Problems“, dem intrinsischen Zusammenhang von Selbst- und Gottesverständnis zu stellen.187 Die herkömmliche Debatte um die Semantik des Ausdrucks ‚Gott’, wie sie auch in der analytischen Religionsphilosophie geführt wurde und wird, bleibt für Dalferth dahinter zurück. Der Streit darüber, ob ‚Gott’ nun als Begriff (genereller 184 185 186 187

Ebd., 153; vgl. den Titel des Buches. Ebd., 167; vgl. den gesamten Abschnitt ebd., 164-168, auch 126. Ebd., 132. Ebd., 448.

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Term) oder Name (singulärer Term) zu fassen ist, missachtet die prinzipielle Bedeutung seiner pragmatischen Funktion, die darin besteht, dass für den Bestimmenden nicht nur ein Einzelproblem neben anderen zur Debatte steht, sondern der ganze Orientierungsrahmen, in dem er sich und seine Welt versteht. Für die christliche Sicht stellt sich deshalb die Gottesbestreitung als eine pragmatische Inkonsistenz zwischen Inhalt und Vollzug dar, insofern sie im Vollzug in Anspruch nimmt, was sie als Inhalt bestreitet, nämlich die Existenz Gottes. Denn es gehört zum Gottsein Gottes, dass man sich mit der Bestreitung oder Nichtbeachtung seinem Anspruch nicht entziehen kann, er vielmehr Ermöglichungsgrund auch dieser ist.188 Insofern sind für Dalferth auch Versuche, die Notwendigkeit von Religion zu erweisen, theologisch fragwürdige Unternehmen: Religion ist vermeidbar, Gott ist es nicht.189 Gott zu denken schließt also einen Wechsel des Horizonts bzw. des Orientierungsrahmens ein, in dem man sich und seine Welt anders versteht. Nur wenn religionsphilosophische Reflexion dies beachtet, kann sie dem Sachverhalt gerecht werden, dass nach christlicher Überzeugung das ontologische Problem der Existenz Gottes und das epistemologische Problem seiner Erkennbarkeit im Horizont der soteriologischen Frage nach Gottes-für-mich-Sein zu bedenken ist. Einer Religionsphilosophie, welche in dieser Weise die Gottesfrage als Frage eines ganzen Orientierungssystems ernstnimmt, empfiehlt Dalferth, ‚Gott’ als Indexwort zu verstehen. Indexwörter wie ‚ich’, ‚du’, ‚hier’, ‚jetzt’ sind sprachliche Zeichen, die nicht referenzialisieren, denen also kein ontologisches Korrelat entspricht. Ihre Funktion ist nicht semantisch, sondern pragmatisch: Sie zeigen an, wie wir uns und anderes in einer Gebrauchs- und Äußerungssituation lozieren. Sie treten nicht isoliert auf, sondern bringen Orientierungssysteme ins Spiel, mit deren Hilfe wir uns orientieren. Sie werden deshalb auch ‚synkategorematisch’190 zusammen mit anderen 188 Ebd., 446-449. 189 Notwendig religiös?, 200ff.; vgl. Die Wirklichkeit des Möglichen, 176f.: „Natürlich kann man jede Lebensorientierung Religion oder ein Religionsäquivalent nennen. Doch es ist wenig plausibel, selbst denen noch Religion zu unterstellen, die sich ausdrücklich dagegen verwahren und nichts dergleichen leben. Soll sich der phänomenale Gehalt des Religionsbegriffs nicht transzendental verflüchtigen, muss Religion etwas anderes sein als die Bedingung der Möglichkeit, dass Menschen religiös oder nicht religiös leben. Man hat keine Religion, wenn man nicht religiös lebt.“ (Hervorheb. im Orig.) 190 Vgl. dazu F. KAMBARTEL, Theo-logisches, 32-35: In der mittelalterlichen Logik z.B. eines Ockham sind „synkategorematische“ Ausdrücke solche, die ihre Bedeutung erst im Zusammenhang mit Prädikatoren im Rahmen eines syllogistischen Urteils erlangen, z.B. „alle“ oder „einige“. Kambartel hatte für das Wort „Gott“ eine synka-

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Namen und Begriffen im Kontext von Propositionen, Aussagen etc. verwendet. Es gibt kein Hier und Du, das für sich genommen wahrgenommen oder thematisiert werden könnte.191 In analoger Weise wird mit ‚Gott’ ein ganzes Orientierungssystem, eine Perspektive ins Spiel gebracht, in der alles übrige wahrgenommen und zugeordnet wird. Wer im christlichen Lebensvollzug ‚Gott’ gebraucht, loziert sich coram Deo als Geschöpf und fasst die Kontingenzen seines Lebens als Ort der Gegenwart Gottes auf. Die Eigentümlichkeit des Indikators ‚Gott’ besteht nämlich darin, nicht nur ein zusätzliches Orientierungssystem, sondern eine andere Perspektive auf die vorhandenen zu markieren. Diese Sicht der Funktion von ‚Gott’ impliziert ein Doppeltes: Einerseits bezeichnet der Indikator eine insofern transzendentale Funktion, als Gott die Bedingung der Möglichkeit von Wirklichkeit, der Möglichkeit auch allen Denkens und Gedachten gedacht wird. Andererseits entspricht dem seine „Entgegenständlichung“, denn der Gesichtpunkt, von dem aus ein Orientierungssystem entworfen ist, kann selbst nicht wahrgenommen werden, er ist der ‚blinde Fleck’ des Orientierungssystems.192 Dalferth sieht sich mit seiner Auffassung der indexikalischen Funktion von ‚Gott’ in der Linie Kant – Schleiermacher: Hatte Kant die Indikatoren von Raum und Zeit von ihrer Lozierungs- und Identifizierungsfunktion her verstanden und sie ‚entbegrifflicht’ wie ‚entgegenständlicht’, so dehnte Schleiermachers These vom Mitgesetztsein Gottes in allen Wahrnehmungsvollzügen diese ‚entgegenständlichende’ Analyse auf den Gottesgedanken aus. Zu beachten ist allerdings, dass die indexikalische Funktion des Gottesgedankens von seiner semantischen Symbolisierung zwar analytisch unterschieden, nicht aber (darin besteht die Gefahr der Schleiermacherschen These) zu trennen ist: Die Funktion verweist nicht auf eine der Symbolisierung vorgängige präsymbolische Religiosität – ganz abgesehen davon, dass von Gott als

tegorematische Verwendung vorgeschlagen, die Dalferth in: Existenz Gottes, 89ff., als reduktiv kritisierte! Will man keine Änderung des Standpunkts annehmen, müsste man sagen: Das synkategorematische Verständnis hat in der Religionsphilosophie als Beschreibung menschlicher Religionspraxis im Horizont kritischer Vernunft seinen Ort, in der Theologie selbst wirkt es – im Blick auf ein theologisches Wirklichkeitsverständnis – reduktiv. 191 Die Wirklichkeit des Möglichen, 463-465; vgl. zum Folgenden die Kurzfassung in: Wer Gott abschafft, 502ff. 192 Die Wirklichkeit des Möglichen, 467. 473; vgl. 37f. Die Nähe zu Wittgensteins AugeGesichtsfeld-Vergleich, der im Übrigen auf die platonische Tradition der AugeSonnen-Metaphorik zurückgeht, ist offensichtlich. Vgl. den „blinden Fleck“ in der Beobachtungstheorie N. LUHMANNS, Religion der Gesellschaft, 29f. 39.

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Möglichkeitsbedingung bzw. von Gottes Mitgesetztsein zu reden eine Abstraktion von konkreten religiösen Lebensvollzügen darstellt.193 Die indexikalische Funktion herauszustellen, dies darf daher nicht dazu führen, den konkreten Symbolisierungshorizont und die konkreten Bezeichnungen für Gott zu hintergehen. Die mit ‚Gott’ angezeigte Orientierungsfunktion kann in unterschiedlichen Religionen und Traditionen unterschiedlich symbolisiert werden und bleibt von der Art dieser Symbolisierung abhängig. Andererseits kann die religionsphilosophische Einsicht in die indexikalische Orientierungsfunktion auch theologische Reflexionsbemühungen davor bewahren, bei der Arbeit an den religiösen Symbolisierungen deren umfassende Orientierungsfunktion aus dem Auge zu verlieren.194 Dalferth konkretisiert dies an der lebensweltlichen Orientierungsstruktur von ICH, DU, ER, SIE, ES und macht deutlich, dass es zu religionsphilosophischen und theologischen Verkürzungen führt, wenn Gott lediglich unter einer Positionsstelle thematisiert wird. Gott ist weder lediglich als ES, d.h. als Objekt bzw. Gegenstand zu denken, wie dies der philosophische Theismus weitgehend voraussetzt, noch lediglich als ICH, d.h. als Subjekt, wie dies beispielhaft von Hegel vollzogen wurde, noch lediglich als DU eines göttlichen Anrufs.195 Das führt letztlich zu einer Grundüberzeugung von Dalferths Dissertation zurück: Ohne Berücksichtigung der konkreten Kommunikationssituationen ist Gott nicht angemessen zu denken.196 Zu 3: ‚Subjektivität’ ist phänomenologisch als Selbstthematisierungsfähigkeit in sozialen Kommunikationskontexten fassbar. Davon in begründungstheoretischer Absicht zu abstrahieren und auf ein präreflexives Selbstbewusstsein zu schließen, dies führt nach Dalferth unvermeidbar in Aporien – vor allem dann, wenn dieses präreflexive Selbstbewusstsein als unhintergehbarer Sachverhalt oder gar als ursprüngliches Phänomen ausgegeben wird. Diese seit Fichte üblich gewordenen Weiterführungen Kants im Sinne subjektivitätstheoretischer Begründungsversuche sind ebenso abzulehnen wie die theologischen Versuche, aus deren Scheitern theologisches Kapital zu schlagen.197 Mit einem ausführlichen Kantreferat versucht Dalferth zu demonstrieren, dass es der pragmatischen Pointe der Kantschen Thematisierung von Subjekt und Gott mehr entspricht, das Zeichen ‚ich’ von seiner indexikalisch-pragmatischen Funktion her 193 194 195 196 197

Die Wirklichkeit des Möglichen, 470f. 474-476. Ebd., 477; vgl. Wer Gott abschafft, 505f. Die Wirklichkeit des Möglichen, 509f. Vgl. ebd., 513f. Ebd., 353ff. 388f.

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zu verstehen. Kant habe zwar selbst Anlass zur Behauptung eines immer schon in Anspruch genommenen transzendentalen Subjekts gegeben, indem er die These „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können“198 nicht nur als Wahrheitsbedingung, sondern als eine vom transzendentalen Selbstbewusstsein hervorgebrachte Vorstellung auffasste. Der wahrheitstheoretisch zu verstehenden Urteilsstruktur des ‚Ich denke’ bleibt man aber eher auf der Spur, wenn man ‚ich’ nicht als Platzhalter für ein transzendentales Subjekt versteht, sondern als Indexausdruck, der eine Äußerung konkret loziert. Das bedeutet: Die Wahrheitsbedingungen von ‚Ich denke’ sind in entsprechenden Situationen genau dieselben wie diejenigen von ‚Er denkt’. Es gibt kein Ich-Faktum, das zur Wahrheitsbedingung von ‚Er denkt’ hinzutreten müsste. Das Prädikat des Denkens ist also nicht einem transzendentalen Ich zuzusprechen, sondern einer empirischen Person in ihren konkreten Kommunikationszusammenhängen. Die Existenz eines transzendentalen Subjekts zu unterstellen würde nämlich nichts anderes bedeuten als die „semantische Resubstantialisierung einer pragmatischen Bedingung der Zuschreibung von Vorstellungen zu Instanzen, vor der Kant selbst mit recht warnt.“199 Dalferth selbst geht, indem er auch weitere Indexzeichen wie ‚du’ einbezieht, einen Schritt weiter und folgert: „Die Beachtung der Indexalität von ‚ich’ führt also gerade nicht auf die Chimäre eines ‚transzendentalen Subjekts’, sondern umgekehrt in die Realität wirklicher Interaktionen und Kommunikationen zwischen anderen und mir: ‚Ich denke’ kann nur wahr sein, wo auch ‚Du denkst’ und ‚Er denkt’ bzw. ‚Sie denkt’ wahr sein kann. Selbstgewissheit ist nicht subjektivitätstheoretisch als unhintergehbare, weil immer schon in Anspruch zu nehmende Gewissheit eines ‚transzendentalen Subjekts’ zu explizieren, sondern alterologisch als Selbstgewissheit eines konkreten Menschen, der ‚ich’ nur sagen und ‚Ich denke’ nur denken kann, weil er von anderen als ‚du’ angesprochen und als ‚er’ bzw. ‚sie’ wahrgenommen wird und gedacht werden kann.“200 Wenn ‚ich’ als Indexzeichen kommunikativ fungiert, es zwar subjektive Aussagen, nicht aber subjektive Fakten gibt, dann gibt es auch keine durch sie aufgeworfenes Problem der Selbstzuschreibung zu einem Ich, so dass der Anlass für eine besondere Subjektivitätstheorie entfällt. Das Subjektivitätsproblem führt nicht zu einer angeblich transzendentalen Grundstruktur, die als begründungstheoretische Bedingung der Möglichkeit legitimierter Gewissheit expliziert werden könn198 I. KANT, KrV, B 131f. 199 Die Wirklichkeit des Möglichen, 379-383, hier: 383. 200 Ebd., 384.

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te (quaestio iuris), sondern zu einer von den empirischen Wissenschaften zu bearbeitenden komplexen Struktur psychosozialer Prozesse (quaestio facti).201

2.2.4. Theologische Interpretationspraxis im Horizont und unter der Voraussetzung des konkreten Gebrauchskontexts einer bestimmten Religionspraxis Die Grundstruktur des dargestellten Entwurfs von I. Dalferth zielt darauf, Wissenschaftlichkeit und Theologizität der Theologie zu verbinden. Das geschieht dadurch, dass die reflexiv-distanzierende Arbeit an christlichen Symbol- und Kommunikationszusammenhängen mit der Thematisierung der in diesen praktischen Zusammenhängen behaupteten Gotteswirklichkeit, dass also Beobachter- und Teilnehmerperspektive kombiniert werden. Die Pointe ist darin zu sehen, dass das Ernstnehmen der Teilnehmerperspektive nicht als Einschränkung, sondern geradezu als Möglichkeitsbedingung der Existenz von Theologie gedacht wird.202 Wenn sich die Theologizität der Theologie aber nicht erst aus einer sekundären dogmatischen Regelformulierung (Grammatik) ergibt, sondern bereits aus der Rückbindung an einen konkreten Praxis- und Kommunikationskontext, dem die basalen kritischen Differenzen analytisch entnommen werden können, dann ist dies von weitreichender Bedeutung. Dalferths Ansatz einer Offenbarungstheologie zuzuordnen, dürfte dann beispielsweise nicht unterschlagen, dass der Fragestellung analytischer Rekonstruktion entsprechend sich theologiegeschichtlich vereinfachende, aber weitverbreitete Vorbehaltsmuster in bestimmten Punkten geradezu umkehren können: So muss es sich eine subjektivitätstheoretisch-transzendentale Fassung von Religion gefallen lassen, als Abstraktion vom Phänomenbereich des Religiösen, als unsachgemäße Verkürzung konkreter Religionspraxis beurteilt zu werden.203 201 Ebd., 424f. 202 Evangelische Theologie, 143; vgl. ebd., 53: „Nicht ihr Ort an der Universität, ihr Status als Wissenschaft oder ihre Akzeptanz in der Gesellschaft, sondern ihr Bezug auf die Kommunikation des Evangeliums im christlichen Leben ist das, womit evangelische Theologie steht und fällt.“ (Hervorheb. im Orig.) 203 Dalferth kann diesbezüglich an die entwickelten systemtheoretischen Überlegungen zur Religion von N. Luhmann anknüpfen, insofern dieser ebenfalls auf einen substantiellen oder funktionalen Religionsbegriff verzichtet, um „die Bestimmung dessen, was religiös ist, dem rekursiven Netzwerk der Selbstbeobachtung des Religionssystems“ zu überlassen (N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 309; vgl. ebd., 15. 57f. und die Aufnahme in I. DALFERTH, Wirklichkeit des Möglichen, 82). Verbin-

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Dass die dogmatische Erarbeitung von Regeln des Bild- und Sprachgebrauchs nicht zu einer unkritisch positivistischen Explikation einer religiösen Sprachpraxis bzw. eines gegebenen Glaubenssystems regrediert, dies liegt auf der Linie der an konkreten Praxiszusammenhängen orientierten analytischen Fragestellung selbst. Denn diese heißt dazu an, zwischen dem Glauben von Christen und dem Glauben an Jesus Christus zu differenzieren und zu fordern, dass Ersterer nur dann wahr ist, wenn es das, was die Christen glauben, also Letzteren tatsächlich gibt. Die Wahrheit eines Glaubens entscheidet sich daran, dass die Wirklichkeit so ist, wie geglaubt wird. Der Dogmatik ist es deshalb nicht nur darum zu tun, den faktischen Sprach- und Bildgebrauch auf die kritisch zu erhebenden Grundregeln des christlichen Bild- und Sprachgebrauchs zurückzubeziehen, sondern auch seine Wahrheitsbedingungen und seine ontologischen Implikationen zu klären.204 Weil der christliche Glaube einen Anspruch auf Wahrheit und einen Anspruch, Wirklichkeit wahrzunehmen, in sich trägt, wird die Frage der Wahrheit und der Realität von Gottes Wirklichkeit zur zentralen Aufgabe der Theologie. Ein Verzicht darauf würde nicht nur die Theologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin neben der Religionswissenschaft überflüssig machen. Sie würde der Gefährdung schwerlich etwas entgegensetzen können, ihre Arbeit einseitig an Effizienzgesichtspunkten zu orientieren und sie funktionalistisch, sei es für kirchliche Zwecke oder für individuelle Bedürfnisse, zu degradieren. Funktionale Plausibilisierungsversuche fügen sich zwar der postmodernen Unterstellung, zwischen Konstruktion und Wirklichkeit nicht sinnvoll unterscheiden zu können, drohen damit aber auch die Unterscheidung von Wahrheit und Macht zu unterlaufen: Was Wahrheit ist, folgt im Grunde der Macht der Sprache und der Medien, Bedürfnisse und Mehrheiten zu

dungslinien zeigen sich schon in der Fokussierung auf religiöse Kommunikation, vor allem dann aber in dem, was sich als Theorem der ‚Selbstbeschreibung’ fassen lässt: Eine Reflexionstheorie eines Systems, wie sie die Theologie darstellt, ist an den jeweils systemeigenen, spezifischen ‚Code’ eines Systems gebunden. Als Reflexion stellt sie nicht nur die Identität des eigenen Systems gegenüber der systemexternen Umwelt fest, sondern unternimmt es auch, mit den Mitteln des eigenen Systems diese Umwelt zu beschreiben. Damit ließe sich Dalferths Auffassung der Integration bzw. Interiorisierung externer Perspektiven vergleichen, vor allem aber auch seine Kritik an einer Schließung der Selbstbeschreibung erörtern: Luhmann zeigt, dass die Unterstellung eines anthropologischen Sinnbedürfnisses zur Plausiblisierung des religiösen Angebots die Selbstbeschreibung des Religionssystems über eine Externalisierung schließt, welche nichts anderes darstellt als ein „kognitives Konstrukt“, das für den religiösen Praxiskontext gar nicht benötigt wird (N. Luhmann, a.a.O., 340f.). Solche und andere Vergleichsmomente sind hier nicht weiter zu verfolgen; zu Luhmanns Systemtheorie s.o. 1.2.4.1. 204 Vgl. beispielhaft die Zusammenfassung in: Jenseits von Mythos und Logos, 306-313.

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formieren, so dass es sich für eine um Relevanzsteigerung bemühte Theologie selbst nahe legen mag, religiöse Vorstellungen nach Maßgabe dieser Bedürfnisse und Mehrheiten zu gestalten, sie leistungsfähiger für die erwarteten Funktionen zu machen. Das kann sich durchaus mit dem kirchlichen Anliegen verbinden, sich durch größere Anteile am Markt der Sinnangebote behaupten zu können.205 Es ist nicht schon der Bezug auf die faktische Pluralität religiöskultureller Repräsentationen und Objektivationen, sondern der Bezug auf den aus sprachlichen Objektivationen und dem Gebrauchskontext des christlichen Glaubens erhobenen Wirklichkeitsanspruch, der die Theologie als eine realistische erforderlich macht und ihr zugleich ein eigenes Thema gibt. Und es ist daher letztlich dieser Bezug, der die Theologie davor bewahrt, sich auf die Kommentierungsfunktion einer Sinnund Deutungsdisziplin zweiter Ordnung zurückzunehmen, die wirklichkeitserschließende Kraft daher anderen gesellschaftlichen Referenzsystemen bzw. Agenten zu überlassen. Bei aller Differenziertheit der Argumentation und bei allen Überschneidungen zwischen beiden Ansätzen – beispielsweise in der Verwendung der semiotisch explizierbaren Kategorie der Deutung oder einer Hermeneutik des Rückgangs hinter die sprachlichen Manifestationen – dürfte an dieser Stelle jedenfalls die Stoßspitze der von Dalferth vertretenen Theologie gegenüber derjenigen von W. Gräb schnell deutlich werden. Im Blick auf die Dialektik von Relevanz und Identität folgt sie darum auch einer sichtbar anderen Denkbewegung: Die Relevanz des Christlichen wird nicht durch seine Plausibilisierung im Bereitstellen von sekundären Anschlusskommunikationen und die Minimierung theologisch-dogmatischer Bestimmtheit gewonnen. Umgekehrt kann seine Identität auch nicht durch das Festhalten an überlieferten Lehr- und Lebenstraditionen gewahrt werden – sondern allein durch das, was diesen zugrunde liegt, nämlich durch das Evangelium und den Glauben, für Dalferth heißt das: durch die Wahrnehmung der wirksamen Gegenwart Gottes. In ihr ist die Identität des Christlichen begründet und sie ist in ihrer Relevanz so zu vermitteln, dass Menschen der gegenwärtigen Moderne sie als ihre gegenwärtige Wirklichkeit wahrnehmen können und sie ihren praktischen Lebensvollzug zu prägen vermag. In ihr findet sich in der Vielfalt religiös-christlicher Manifestationsformen ein Gemeinsames, das sich als Regeln fassen und als Grammatik eines Sprach- und Bildgebrauchs beschreiben lässt. Angesichts des Differenzierungsschubs der Moderne ist es Aufgabe und Ziel

205 Vgl. beispielhaft die Zusammenfassung in: Theologie und Gottes Gegenwart, 277285.

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der Theologie, diese die Selbigkeit und Bestimmtheit des christlichen Glaubens ausmachenden Grundregeln zu explizieren und sich um eine normative Kriteriologie des Christlichen zu bemühen, zugleich aber die Vielfalt des Glaubens der Christen als im christlichen Glauben selbst angelegte zu erhellen. Dalferth hat dieses Theologieverständnis in seinem Traktat „Evangelische Theologie als Interpretationspraxis“ (2004) neuerdings auch kommunikationstheoretisch erläutert und Theologie als Interpretationspraxis auf eine der christlichen Kommunikation des Evangeliums zugrunde liegende göttliche Selbstkommunikation des Evangeliums bezogen.206 Dabei wird noch mehr deutlich, dass das Ziel der normativen Fragestellung weder ein symbolisierungsfreies Evangelium noch eine unüberbietbare Evangeliumssymbolisierung sein kann, sondern eine neue Symbolisierung des Evangeliums, welche die kritische Differenz von Symbolisiertem und Symbolisierung in sich aufgenommen hat.207 Das heißt aber, dass sich die erwähnte Selbigkeit des Glaubens überhaupt nicht mehr inhaltlich-semantisch fixieren, sondern allein pragmatisch feststellen lässt.208 Ob und inwiefern diese Position eine Veränderung gegenüber der früher herausgestellten Aufgabe einer normativen Grammatik bedeutet, kann hier unerörtert bleiben.209 Im Folgenden soll nun auch nicht die konkrete Fassung des christologischen und trinitarischen Strukturkerns dieser Grammatik zur Erörterung stehen, fokussiert werden vielmehr drei Fragekomplexe, welchen entscheidender Charakter für Dalferths Theologiebegriff überhaupt zuzumessen ist und welche für die vorliegende Untersuchung von weiterführender Bedeutung sind. Es geht hierbei (1.) um die Frage der Theologizität der Theologie, (2.) um die Frage ihrer Perspektivität und der damit verbundenen Probleme wie das Problem des Internalismus und des Realismus, (3.) um die Frage der ihr zugrunde liegenden Gegenständlichkeit. 1. Konstitutiv für eine theologische Theologie und ihre Einheit, also für ihre Theologizität und ihr enzyklopädisches Organisationsprinzip 206 Die analytisch-semiotische Fundamentaldifferenz von Symbolisierung und Symbolisiertem, von thematisierter Wirklichkeit und Wirklichkeitsthematisierung, von Gott und Gottesverständnis etc. wird hier lediglich in einem veränderten Theoriehorizont geltend gemacht und findet sich dementsprechend als Differenz von christlicher Evangeliumskommunikation und göttlicher Selbstkommunikation des Evangeliums wieder. 207 Vgl. Evangelische Theologie, 163. Insofern auch exegetische und historische Disziplinen diese Differenz zu bearbeiten haben, können sie sich der normativen Aufgabe nicht entziehen. 208 Vgl. ebd., 170. 209 Sie muss keine Veränderung bedeuten, wenn beachtet wird, dass die Grammatik den Symbolgebrauch christlicher Glaubensrede regelt, nicht aber die Identität der Symbole feststellt. Vgl. dazu oben, 2.2.1.1. (zu 2).

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ist der Rekurs auf eine praktische Methode bzw. Leitfrage. Das entspricht formal dem Theologiebegriff Schleiermachers. Was Theologie zur Theologie macht, ergibt sich dementsprechend weder aus ihrem Gegenstandsbezug (den sie mit Religionswissenschaften teilt) noch aus ihrer Perspektivität (die sie mit Wirklichkeitswissenschaften teilt). In der Konzeptualisierung von „Kombinatorische Theologie“ wurde Theologie daher als Methode bzw. Kunst der Kombination, als Kunst einer produktiven Vermittlung verschiedener Referenzsysteme entworfen. Eine solche verträgt sich durchaus mit der Annahme eines allgemeinen Wissenschaftsbegriffs. Ihrer an einer intern-theologisch begründeten Positionalität orientierten Fassung, welcher eine theologische Aufgabenfokussierung auf die Explikation der eigenen und die Integration fremder Perspektiven entsprach, konnte indes vorgehalten werden, die kritische Rückkopplung anderer, nichttheologischer Perspektiven unzureichend zu berücksichtigen. Eine solche Vorhaltung hat sich allerdings nicht nur dessen eingedenk zu sein, dass es Theologie für Dalferth nicht mit einer autarken Perspektive des Glaubens zu tun hat, sondern mit einem Netz wechselseitig abhängiger Überzeugungsperspektiven, in dem wir immer schon leben. Viel wichtiger ist es, das in der Fundamentaldifferenz zwischen dem Glauben der Christen und dem Glauben an Christus angelegte Kritik- und Korrekturpotential zu beachten.210 So sehr Theologie diese Differenz wie die Leitgesichtspunkte überhaupt der Gemeinschaftspraxis christlichen Lebens entnimmt, es ist gerade auch diese Differenz, die zu einem kritischen Verhältnis zu jener Gemeinschaftspraxis, damit auch zur Kirche führt: Von Anfang an wird so erkennbar, dass die Vergegenwärtigung Gottes bzw. des Evangeliums, nicht die Kirche selbst der maßgebliche Bezugspunkt evangelischer Theologie sein kann.211 Die in den weiteren Arbeiten immer deutlicher als Leitfrage in den Vordergrund gestellte Frage nach der Wirklichkeit der Gegenwart Gottes leistet auf diesem Hintergrund ein Mehrfaches: Es handelt sich zu-

210 In: Kombinatorische Theologie, 20f., wird dementsprechend bei der Feststellung der Kirchlichkeit der Theologie hinzugefügt: „Doch es ist eines, die Kriterien und Leitgesichtspunkte theologischer Reflexion dem (immer erst kritisch zu bestimmenden) Selbstverständnis des christlichen Glaubens zu entnehmen, ein anderes, sich dem partikularen Selbst- und Lehrverständnis einer kirchlichen Institution zu unterstellen.“ Auch an dieser Stelle steht die Konzeption von „Kombinatorische Theologie“ formal in der Nähe zu Schleiermachers Theologiebegriff, während sie sich in der stärkeren Differenzierung zwischen kirchlichem und wissenschaftlichem Bezug der Theologie von ihm unterscheidet. 211 So dann mit Nachdruck in: Evangelische Theologie, 20f. Auf einer kritisch-konstruktiven Weise dient Theologie der Erfüllung der kirchlichen Aufgabe, der Fortsetzung christlicher Kommunikation des Evangeliums: ebd., 93.

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nächst um eine entschieden theologisch formulierte Frage, zu deren Beantwortung die kritisch-vergleichende Kombination der verschiedenen perspektivischen Darstellungs- und Thematisierungsweisen als grundlegend erachtet wird. Auf diese Weise nämlich wird nichts weniger gefordert, als der Fundamentaldifferenz des Glaubens, übersetzbar in die von der analytischen Philosophie bearbeitete Differenz von Thematisierung der Wirklichkeit und thematisierter Wirklichkeit, auch methodisch Rechnung zu tragen. Der Glaube birgt den Imperativ in sich, die Differenz zwischen dem jeweiligen Gottesverständnis und Gott offen zu halten und sich dem Gottesverständnis anderer auszusetzen. Es ist bedeutsam, dass gerade auch an der zentralen Stelle der Leitfrage die programmatische Forderung Dalferths, sich auf den Gebrauchskontext des christlich-religiösen Vollzugs auszurichten, erhellt werden kann. Sowohl der bezeichnete Wirklichkeitsanspruch als auch die kritische Fundamentaldifferenz werden, wie erwähnt, der Lebenspraxis der christlichen Religion selbst entnommen. Damit kann nicht nur gegenüber einer Verkirchlichung, sondern nach zwei weiteren Seiten hin Position bezogen werden: Zum einen vermag eine nichtpropositionale und nichtrealistische Deutung religiöser Rede als Reduktion religiösen Selbstverständnisses erwiesen zu werden. Zum anderen aber verhalten sich Religion und kritisches Bewusstsein nicht äußerlich wie zwei heterogene Größen zueinander: Weil und insofern Religion – bewusstseinstheoretisch formuliert – „gelebtes Differenzbewusstsein“ ist,212 kann sie selbst eine Form des kritischen und selbstkritischen Bewusstseins sein.213 Das Verhältnis von Religion bzw. Glaube und auf sie bzw. ihn bezogener Theologie ist daher nicht sachgemäß bestimmt, wenn Religion lediglich als Objekt der Kritik betrachtet, nicht aber als ihr Subjekt in Pflicht genommen wird. „Eine Religion, die nicht um ihre eigene Differenz zum Deus semper maior weiß, steht im Widerspruch zu dem, was sie sein und tun muß, wenn sie wirklich Religion sein will.“214 Um es auf der Ebene gängiger Argumentationsmuster etwas plakativer zu formulieren: Nicht nur, dass Theologie die Funktion zugeschrieben wird, die Selbstvergötzung und den Fundamentalismus in der Religion zu kritisieren, es muss ebenfalls umgekehrt einer differenzbewussten Religion das Vermögen zugeschrieben werden, Selbstvergötzung und Fundamentalismus wie bei sich selbst so auch in Wissenschaft und 212 Vgl. J. DIERKEN, ‚Religion’ als Thema, 257ff.; aufgenommen von Dalferth in: Die Wirklichkeit des Möglichen, 92. 213 Vgl. R. SCHAEFFLER, Religion und kritisches Bewußtsein, 25f. 109f. 184ff.; M. SECKLER, Theologie als Glaubenswissenschaft, 174f. 214 M. SECKLER, Theologie als Glaubenswissenschaft, 175 (Hervorheb. im Orig.).

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Theologie zu Bewusstsein zu bringen und in ihrer Kritikwürdigkeit aufzudecken. In ihrer aus dem konkreten Praxis- und Kommunikationskontext erhobenen Leitfrage und in der erwähnten kritischen Fundamentaldifferenz ist es begründet, dass Theologie weder in eine empirische oder historische Kulturwissenschaft noch in eine Systemsteuerungswissenschaft für das Religionssystem oder für die Institution Kirche überführt werden kann. Letzteres gilt auch unbeschadet dessen, dass sie von dem in Bekenntnis, Lehre und Kultus vorgegebenen Selbstverständnis ausgeht. Die der Theologie aufgegebene Frage nach der Wahrheit und der Wirklichkeit von Gottes Gegenwart macht die Freiheit der Theologie und damit auch die Zurückweisung einer monoreferentiell konzipierten Bestimmung ihrer Aufgabe zur Bedingung und lässt die rechtliche Absicherung ihres Ortes an der Universität notwendig erscheinen. Die in Dalferths Theologiebegriff zum Ausdruck kommende erkenntnistheoretische bzw. reflexionstheoretische Position zwischen dem Status eines bloßen Beteiligten und eines bloßen Beobachters, die Verbindung also zwischen der Rückbindung an den Lebensvollzug der Beteiligten und reflexiver Distanzierung gegenüber diesem, sie weist schon auf das Problem der Perspektivität der Theologie hinüber. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die damit angezeigte Gradwanderung nur gelingen kann, wenn die Leitfrage nach Gottes Wirklichkeit nicht aus den Augen verloren wird. Denn sie regelt die Art und Weise, wie sich Theologie vom Lebensvollzug des Glaubens reflexiv distanziert, sie führt zu einer spezifisch theologischen Distanzierungsweise. Zu erörtern ist an dieser Stelle allerdings, welche Argumente theologisch bzw. phänomenologisch grundsätzlich für und gegen eine solchermaßen theologische Theologie geltend gemacht werden können. Für sie spricht ein äußerst gewichtiges Argument, das von Dalferth auch immer wieder genannt wird: Ein religiöser Mensch bezieht sich, wenn er sich auf Gott bezieht, zugleich auf sich selbst – und zwar so, dass Gott nicht nur als Gegenstand des religiösen Vollzugs, sondern auch als diesen Vollzug ermöglichender und sich in ihm erschließender Grund zu stehen kommt. Die philosophische Phänomenologie spricht verallgemeinernd vom untrennbaren Zusammenhang von Sachgehalt und Zugangsart.215 Auch aus dem Bekenntnis des christlichen Glaubens lässt es sich schlechterdings nicht wegdenken, es ist geradezu dessen Pointe, dass das von Gott Bekannte nicht nur von seinem Inhalt her (das, was es sagt und bekennt), sondern auch von seinem Vollzug her (dass es das sagt und bekennt, was es sagt und bekennt) auf Gott zu-

215 Vgl. B. WALDENFELS, Phänomenologie der Erfahrung, 69. 79.

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rückgeführt wird.216 Das trinitarische Bekenntnis ist präzise Zusammenfassung dieses Sachverhalts. Indem Dalferth die Frage nach der Wirklichkeit Gottes zum Organisationsprinzip der Theologie macht, stellt er den genannten intrinsischen Zusammenhang in ihr Zentrum. Das hat weitreichende Konsequenzen: Wenn sich Wirklichkeit nur im Vollzug erschließt und als Grund dieses Vollzugs gedacht werden muss, dann ist es im Ansatz verfehlt, eine ‚Neutralität’ der Theologie propagieren zu wollen, die davon absieht, was der Grund alles Denkens und Redens von Gott ist. Auch religionsphilosophisch ist es verfehlt, Sätze über Gott unabhängig vom Horizont der Thematisierung in einem konkreten Kommunikationskontext zu erörtern – etwa im Horizont der Begriffsoperationen des Verstandes. Weil die Bedingungen seines Gedacht- und Erkanntwerdenkönnens im Denken über Gott mitzudenken sind, kann er nicht mehr als Gegenstand dieser Welt, Glaubensansprüche auch nicht mehr lediglich als Fälle allgemeinen oder basalen Wissens behandelt werden. Man stößt hier letztlich auf eine Weichenstellung, die Dalferths Position in Sachen Horizontabhängigkeit und Indexikalität sowie seine Fassung der Gegenständlichkeit Gottes prägt. Die Frage nach Gottes Wirklichkeit führt nicht nur im äußeren Sinne zum Organisationsprinzip der Theologie. In Abwandlung der These von D. Bonhoeffer ließe sich sagen: Gott bzw. Gottes Wirklichkeit ist vor der Klammer seiner bzw. ihrer Thematisierung (auch seiner bzw. ihrer Bestreitung) zu denken. Dalferths kritische Orientierung am Selbstverständnis des christlichen Glaubens hat in diesem Zusammenhang seinen inneren sachlichen Grund. Gegen Dalferths Fassung der Frage nach Gottes Wirklichkeit als Frage nach der Bedingung der Möglichkeit allen Denkens und Erkennens mag ihre Grundsätzlichkeit sprechen, mit der sie der genannten Fundamentaldifferenz unterstellt wird. So wie in der analytischen und semiotischen Betrachtungsweise jede Darstellungsweise vom Dargestellten immer kritisch abzuheben ist, so gibt es auch kein religiöses Phänomen, für das beansprucht werden könnte, in ihm gehe die mit Gottes Wirklichkeit bezeichnete Wirklichkeit auf. Gottes Wirklichkeit ist Bedingung alles Möglichen und Wirklichen. Sie ist in jedem Geschehen gegenwärtig, aber kein Geschehen kann mit ihr identifiziert werden.217 Oder um das Bild weiterzuführen: Als Zeichen vor der Klammer bestimmt es alle Phänomene in der Klammer – ohne in ihr als Phänomen neben einem anderen Phänomen bestimmt oder wahrgenommen

216 Vgl. I.U. DALFERTH, Wirklichkeit Gottes, 120f.; Der auferweckte Gekreuzigte, 178f. 217 Pointiert in: Wirklichkeit Gottes, 131.

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werden zu können. Die Bestimmung Gottes wird so zur Differenzbestimmung einer nie abschließend zu benennenden Differenz zwischen Gottesbestimmung und bestimmtem Gott. Sie bezeichnet die „Lücke“, welche menschliche Wirklichkeitserfahrung überhaupt erst möglich macht.218 Zu beachten ist freilich, dass der iterative Prozess des fortwährenden Bestimmens, innerhalb dessen einer negativen Theologie eine wichtige Korrekturfunktion beigemessen wird, nicht in ein ewiges Oszillieren führt – sondern im praktischen Lebensvollzug (einer Lebensentscheidung) ein Ende hat. Doch was semiotisch und beobachtungstheoretisch als grundsätzlich richtig zu beurteilen ist – die Missbrauchsgeschichte der Gleichsetzung von Wirklichkeitssymbolisierungen mit angeblicher Wirklichkeit liegt offen zutage –, dies kann bei der Explikation verschiedener religiöser Kommunikationsvollzüge und der mit ihnen verbundenen Vorstellungen zu Reduktionen führen. Auch hier gälte es, konkret und kontextsensibel zu denken.219 Dalferths Konzentration auf die fundamentale Differenz von Gott und menschlichem Reden von Gott, von Symbolisiertem und Symbolisierung, von göttlicher Selbstkommunikation des Evangeliums und christlicher Evangeliumskommunikation etc. befördert die dialektische Denkweise des prinzipiellen Offenhaltens und ist darin jedenfalls mit dem Ansatz K. Barths verwandt.220 Die Rede von „Gottes Gegebensein“ hat aber Kommunikationsvollzüge zu berücksichtigen, für welche beansprucht wird, dass Gott sich in ihnen – anders als in allem anderen – unüberbietbar ganz gibt. Das ließe sich am Beispiel sakramentaler Vollzüge diskutieren, zu deren Explikation im Rahmen lutherischer Theologie bekanntlich das Beharren auf der Einheit von Gotteswort und Menschenwort gehört („est“).221 Das hier218 Vgl. ebd., 130f.; Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 190f. 219 Vgl. Die Wirklichkeit des Möglichen, 403f. 220 Vgl. K. BARTH, Kirche und Theologie, 669: „das prinzipielle Offenbleiben aller ihrer Sätze“. 221 Sakramentale Vollzüge lassen sich in diesem Rahmen nicht als lediglich menschliche Bezeichnungsvollzüge verstehen, welche der signifikativen Differenz unterliegen. Das betrifft lediglich die reflexive Kommunikation über sie. Interessanterweise ordnet sie Dalferth in: Kombinatorische Theologie, 151f., weder der Ebene der kopräsentischen Kommunikation mit Christus noch der Ebene der zeichenvermittelten menschlichen Kommunikation über ihn zu, sondern einer dritten Ebene der symbolischen Kommunikation über die gewissheitskonstituierende kopräsentische Kommunikation Christi mit uns: Sie verweisen lediglich auf Gottes Selbstvergegenwärtigung, halten also die Angewiesenheit der zweiten Ebene auf die erste offen. Vgl. auch die Darstellung sakramentaler Kommunikation in: Evangelische Theologie, 108f. Ein programmatisches von der Einheit von Gotteswort und Menschenwort ausgehendes Programm (bei gleichzeitiger Fundamentaldifferenz von Gesetz und Evangelium) bietet O. BAYER, Leibliches Wort, 5. Ein lehrreiches Beispiel zur Erfordernis eines kontextsensiblen Umgangs mit semiotischen und symboltheoretischen Theorien

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mit nur Angeschnittene wird im Blick auf das Problem der Gegenständlichkeit Gottes und Dalferths Kantrezeption noch vertieft werden müssen (3.). Ein problematisches Gefälle des Ansatzes ist jedoch deutlich feststellbar: Die Konzentration auf die Leitfrage nach Gottes Wirklichkeit bzw. Gottes Gegenwart und auf die Differenz von Symbolisierung und Symbolisiertem bringt es mit sich, dass die semantische Bestimmtheit der Kommunikationsinhalte akzidentiell zu werden droht. Gottes wirksame Wirklichkeit bzw. die Selbstkommunikation des Evangeliums führt zu einer grundsätzlichen Erneuerung und Neuorientierung menschlichen Lebens. Dalferth gelingt es – das ist seine Stärke – mittels eines perspektivischen bzw. orientierungsphilosophischen Modells die pragmatische Bedeutung dieser Erneuerung als eines grundlegenden Wechsels zum Ausdruck zu bringen und sie bzw. ihn als notwendige Bedingung von Theologie zu positionieren, es bleibt aber – das ist seine Grenze – akzidentiell, als was diese Erneuerung bzw. dieser Wechsel durch das Evangelium inhaltlich gefasst werden soll: als Rettung, Trost, Geborgenheit, Anerkennung, Einsicht etc. Pointiert formuliert: „Das Evangelium hat deshalb eine pragmatische, aber keine semantische Identität.“222 Auch wenn es richtig ist, dass das Evangelium nicht substantiell als immergleicher Inhalt bzw. als semantisch fixierbare Lehre zu fassen ist, scheint diese Alternativsetzung von Pragmatik und Semantik überzogen. Eine solche Position könnte zu einem Hindernis werden, wenn es darum geht, die historische Entwicklung des Christlichen erschließen zu wollen. Und es ist vollends fraglich, ob man mit ihr – gerade im Blick auf den gegenwärtigen Praxiskontext! – der Bedeutung des Streits um konkrete Inhalte gerecht werden kann. Es ist für Dalferths Explikation des Evangeliums ja selbst bedeutsam, dass für sie semantisch bestimmbare Differenzreihen wie Sünder / Gerechter wesentlich sind. 2. Dalferths erkenntnistheoretische Position zeichnet sich dadurch aus, dass und wie sie das Grundproblem der Perspektivität bzw. der Horizontabhängigkeit alles Glaubens und Denkens ins Zentrum der Erörterung stellt. Die Abhängigkeit einer adäquaten Thematisierung Gottes vom Gebrauchskontext im Horizont einer bestimmten Lebenspraxis und liefert die andauernde Diskussion innerhalb der Religionspädagogik: So wirft – in gewissermaßen umgekehrter Richtung – der semiotischen Ansätzen folgende M. MEYER-BLANCK, Vom Symbol zum Zeichen, v.a. 21. 93f., symboldidaktischen Ansätzen vor, mit einem durch die Teilhabe-Metapher oder die Realpräsenz-Vorstellung ontologisch aufgeladenen Symbolbegriff zu arbeiten, welcher die Abhängigkeit vom Gebrauch der zeichendeutenden Rezipienten zu wenig zur Geltung bringe. 222 Evangelische Theologie, 100.

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Diskurstradition ist zunächst in dem soeben genannten intrinsischen Zusammenhang von Inhaltsdimension und Vollzugsdimension begründet. Sie entspricht aber zugleich der erkenntnistheoretischen Theorielage nach L. Wittgenstein – inhaltlich genauer formuliert: dem epistemologischen Standpunkt, dass es Gewissheit und Erkenntnis (als gewisses Wissen) nur im Vollzug, nur im Leben geben kann.223 Grundlegend wird für Dalferth deshalb eine „pragmatische Pointe“ theologischer Argumentation, wie er sie am Denkweg des Proslogion von Anselm von Canterbury beispielhaft zu demonstrieren versucht hatte. Diese Pointe findet sich in soteriologischer Ausrichtung auch in der reformatorischen Auffassung von Theologie als praktischer Wissenschaft. Perspektivisch formuliert hält diese Auffassung fest, dass die Erkennbarkeit der Wirklichkeit Gottes im Horizont der soteriologischen Frage nach Gottes-für-mich-Sein zu erörtern ist. Folgerichtig legte Dalferth eine solche Religionsphilosophie vor, welche der Horizontabhängigkeit aller Wahrnehmung und der pragmatischen Bestimmtheit des Denkens und Glaubens von Anfang an Rechnung trägt. Sie ist dementsprechend an eine phänomenologische Interpretationsperspektive gewiesen und als kritische Orientierungswissenschaft entworfen. Nicht vom Sachverhalt, dass Phänomene immer Phänomene in einem Kontext sind, abstrahieren zu können, legt eine indexikalische Beschreibung dieser Phänomene nahe. Von den Implikationen der Dalferthschen Herangehensweise an das Grundproblem der Perspektivität sind lediglich einige in Erinnerung zu rufen: Für das Verhältnis der wissenschaftlichen Theologie zu anderen Wissenschaften ist es von weitreichender Bedeutung, dass es nicht entlang der symboltheoretisch naiven Differenz von Sache und Deutung im Sinne eines Zwei-Stockwerke-Denkens expliziert werden kann. Es ist hinsichtlich der Wirklichkeitsthematisierung beispielsweise verfehlt, den Naturwissenschaften oder den historischen Wissenschaften die Erklärung der Wirklichkeit zuzuschreiben, zu der Theologie dann eine (der vielen möglichen) „Deutungen“ hinzufüge. Wenn die Theologie den Deutungsbegriff in Anspruch nimmt, dann als Fundamentalkategorie. Was hier exemplarisch an dem in der neueren Theologie häufig bemühten, sei es symboltheoretisch oder semiotisch verfassten Begriff der „Deutung“ deutlich gemacht wird, kann auch für die Explikation des christlichen Glaubens unter dem Leitbegriff von „Religion“ gelten: Entscheidend ist nicht so sehr, ob man dem Begriff grundlegende Be223 Vgl. Kombinatorische Theologie, 106; Fides quaerens intellectum, 58; Theologie und Philosophie, 155; Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 164f.; Die Wirklichkeit des Möglichen, 426-428 u.ö.

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deutung zumisst, sondern wie dies geschieht: so nämlich, dass die Perspektivendifferenz nicht missachtet wird. Eine Theologie, welche ihres durch die Leitfrage markierten Horizonts gewärtig ist, wird an ein religiöses Phänomen anders anknüpfen als eine perspektivische Verfahrensweise, welche „Religion“ in der Sicht von Nichtbeteiligten definiert: Letztere lässt allenfalls zu sagen zu, dass der religiöse Glaube von Gottes Wirklichkeit zu wissen meint, während Erstere ihn als Resonanz göttlichen Wirkens versteht. Sie folgt darin der Perspektive des Glaubens, der um Gottes Wirklichkeit weiß, weil er weiß, dass es ihn nicht gäbe, wenn Gott nicht wirklich wäre.224 Die philosophischen Entscheidungen und ihre Implikationen, die in Dalferths Stellung zum Problem der Perspektivendifferenz zum Ausdruck kommen, ließen sich auf dem Hintergrund der Philosophie des

224 Theologie im Kontext, 17. Eine eventuelle Engführung der dogmatischen wie religionsphilosophischen Reflexion soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Dalferth richtet die Theologie und die Religionsphilosophie auf den Gebrauchskontext des religiösen Vollzugs aus. Es bedeutet, dass Theologie von Gott im Modus der zweiten Person redet; es bedeutet, das Religionsphilosophie sich auf die vom religiösen Phänomenbereich aufgeworfenen Fragen konzentriert, sie einem „lebensweltlichen Vernunftinteresse“ folgt (vgl. Die Wirklichkeit des Möglichen, 102). Auf diese Weise soll die „permanente Quelle der Konfusion“ (Kombinatorische Theologie, 97) vermieden werden, die dadurch entsteht, dass man theologische Arbeit auf einen externen philosophischen oder wissenschaftlichen Problemkontext bezieht und dabei eine inadäquate Rekonstruktion christlichen Glaubens, nämlich ein rationales Substitut desselben in Stellung bringt. Wie auch die analytische Religionsphilosophie zeige, besteht die Reaktion auf die Kritik des rationalen Theismus oder der rationalen Religionsbegründung letztlich nur darin, ein rationales Konstrukt zu verteidigen (vgl. Wirklichkeit des Möglichen, 112, 217f.). Doch selbst wenn Dalferths Meinung zuträfe, dass analytische Religionsphilosophie oder rationale Religionsbegründungsversuche sich mit von religiösen Phänomenen nicht aufgeworfenen Problemen beschäftigen würden – dieser Sachverhalt spricht noch nicht gegen diese Beschäftigung als solche. Eine denkerische Diakonie an Andersdenkenden wird sich zumindest auch mit Problemen beschäftigen, welche sich nicht aus der Sache selbst ergeben – ohne freilich die Grunddifferenz der in Stellung gebrachten theoretischen Erklärung (bzw. des Konstrukts) zum zu erklärenden Phänomen aufheben zu können. Ähnliches gilt für die Theologie: Selbst wenn man eine metaphysische Thematisierung Gottes als verlustreiche Abstraktion vom ursprünglichen Gebrauchskontext bewertet, zur christlichen Gebrauchsgeschichte von ‚Gott’ gehört jedenfalls zweifellos das „metaphysische Gepäck“ von Jahrhunderten (vgl. R. TRIGG, Rationality and Religion, 137). Dalferths Ansatz ist für dieses Anliegen insofern offen, als er den Anlass religionsphilosophischer Probleme nicht nur in gelebter Religion, sondern auch in gedachter, geleugneter oder erdachter Religion erblickt (vgl. Wirklichkeit des Möglichen, 70f.: allerdings nicht den Ansatz zu deren Bewältigung). Dalferths Ablehnung der rationalen Begründungsversuche von A. Plantinga u.a. müssen im Übrigen auf dem Hintergrund seiner I. Kant folgenden Abgrenzung des Glaubens vom theoretischen Wissen gesehen werden (vgl. ebd., 96f. 301).

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späten L. Wittgenstein erhellen.225 Das soll hier allenfalls indirekt geschehen. Sachlich orientiert werden vielmehr zwei komplexe Problemkreise – und diese auch nur ansatzweise – bedacht. Es handelt sich erstens um einen Problemkreis, welcher mit den erklärungsbedürftigen Ausdrücken „Internalismus“ (bzw. „intern“) und „Relativismus“ angesprochen werden kann, sodann um die Frage einer orientierungsphilosophischen Reformulierung der Metaphysik z.B. mithilfe indexikalisch-funktionaler Beschreibungen. a) Der mit dem Stichwort „Internalismus“ verbundene Problemkreis ist deshalb bedeutsam, weil er als Artikulation der Frage verstanden werden kann, inwiefern Theologie auf eine eigenständige (interne) Perspektive des Glaubens zu beziehen ist – und ob bzw. inwiefern der Bezug auf eine solche Eigenständigkeit beispielsweise den Rückzug auf eine (wie auch immer, aber meist negativ beurteilte) „Binnensemantik“ bedeutet.

2.2.4.1. Exkurs: „Internalismus“, „Realismus“ und „Relativismus“ – philosophische Differenzierungen Zur erkenntnistheoretischen Klärung des Begriffs „Internalismus“ sind mindestens fünf Ebenen zu unterscheiden: 1. Internalismus und Externalismus der epistemischen Rechtfertigung.226 Seit E. Gettier die Frage: „Is Justified True Belief Knowledge?“227 aufgeworfen (und negativ beantwortet) hatte, steht in der Diskussion der analytischen Erkenntnistheorie weithin das Problem im Vordergrund, wie die epistemische Rechtfertigung von Meinungen und wie deren Bezug zur Wahrheit zu denken ist. Der Internalismus der Rechfertigung bindet die Rechtfertigung an die Perspektive des epistemischen Subjekts: Eine Meinung ist epistemisch dann gerechtfertigt, wenn das Subjekt über ihm intern zugängliche Gründe dafür verfügt (genauer gesagt müssen alle rechtfertigenden Faktoren kognitiv zugänglich sein).228 Während hier die externe Relation zwischen Meinung und externem, sie wahrmachendem Sachverhalt (Welt) 225 Und von hier aus auch die bereits erwähnte, den Arbeiten von M. Kroß folgende und gegen Dalferth ins Feld geführte Wittgensteindeutung M. Laubes beurteilen: Wittgenstein habe religiösen Sätzen jeden kognitiven Charakter, jede Referenzfunktion zu einer außersprachlichen Realität und damit jeden religiösen Wahrheitsanspruch abgesprochen. Sie bezeichnen dieser Deutung zufolge lediglich eine Haltung, die in ihrer Funktion, nämlich der Fähigkeit zur Sinnstiftung, zu erhellen ist. Vgl. M. KROSS, Klarheit als Selbstzweck; ders., „Glaube du!“, 257-291. 226 Vgl. dazu vor allem: L. BONJOUR, „externalism/internalism“; K. KIM, Internalism and Externalism; E. BRENDEL, Externalistische vs. internalistische Wissensanalysen; TH. GRUNDMANN, Neuere Tendenzen; DERS. / K. STÜBER, (Hg.), Philosophie der Skepsis. 227 Dt. E. GETTIER, Ist gerechtfertigte, wahre Meinung Wissen?, 91-93. 228 Vgl. L. BONJOUR, „externalism/internalism“, 132.

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keine Rolle spielt, steht sie im Externalismus gerade im Mittelpunkt: Unabhängig davon, ob das epistemische Subjekt über ihm kognitiv zugängliche Gründe verfügt, wird eine Meinung allein durch die externe Relation zwischen einem Sachverhalt und einer diesen ausdrückenden Meinung gerechtfertigt. – Beide Positionen können sich auf Intuition berufen; bei beiden besteht aber die Hauptschwierigkeit darin, sie mit der Komponente der Wahrheit zu verbinden: Der Internalismus betont mit E. Gettier die Kluft zwischen epistemischer Rechtfertigung und Wahrheit und deckt sich hierin mit der Intuition eines realistischen Wahrheitsbegriffs: Auch die intern bestens begründeten Meinungen können falsch sein. Auf dieses Element der Intuition beruft sich zugleich der Externalismus, indem er das subjektive Moment der Wahrheitszuträglichkeit schlichtweg aufgibt und festhält, dass Sachverhalte auch dann die Meinungen von jemandem rechtfertigen können, wenn sie ihm nicht kognitiv zugänglich sind. Rationale Gründe allerdings ganz aus der Rechtfertigung auszuschließen, wie dies der radikale Externalismus vorsieht, hat aber wiederum kontraintuitive Konsequenzen. Es gibt deshalb zahlreiche Mischformen und Versionen: Eine moderate Form des Externalismus kann beispielsweise zugestehen, dass das Subjekt über Gründe für seine Meinung verfügen kann, aber zugleich darauf beharren, dass zumindest nicht alle Sachverhalte, die für das Gerechtfertigtsein einer Meinung sprechen, dem Subjekt kognitiv zugänglich sein müssen. 2. Internalismus und Externalismus der Bedeutung. Der semantische Externalismus ist vom logisch orientierten epistemischen Externalismus durch den Rückgang auf ein Bedeutungsverständnis ausgezeichnet, wie es sich in alltäglichen Kommunikationssituationen erhellen lässt. In dieser Hinsicht stellt sich der Internalismus als skeptische Einschließung in Sprache dar, die sich als Konsequenz der Einsicht verstehen kann, dass eine Korrespondenzrelation zwischen Sprache und Welt keiner Überprüfung zugänglich ist. H. Putnam hat – um die Selbstwidersprüchlichkeit dieser Form des Internalismus aufzudecken – das bekannte Bild von „Gehirnen im Tank“ geprägt.229 D. Davidson, der sich mit Putnams Ablehnung des semantischen Internalismus einig ist, entwickelte eine Position, die geradezu auf eine Revolutionierung des Denkrahmens hinausläuft: Zunächst versuchte er, die Dichotomie von Begriffsschema (Sprache) und Inhalt als das dritte und letzte „Dogma des Empirismus“ zu entlarven, so dass das Ansinnen eines überprüfenden Vergleichs im Sinne der „Konfrontation unserer Meinung mit der Realität“ prinzipiell fragwürdig wird.230 Mit dem Aufgeben der beliebten Differenz von Schema und Inhalt wird nun aber auch der Gedanke eines Begriffsrelativismus (Th. Kuhns Rede von inkommensurablen Begriffssystemen!) und Putnams Behauptung eines lediglich 229 H. PUTNAM, Brains in a Vat, dt. Gehirne im Tank, in: TH. GRUNDMANN / K. STÜBER (Hg.), Philosophie der Skepsis, 227-250; vgl. ders., Vernunft, Wahrheit und Geschichte, 76f. 230 D. DAVIDSON, Was ist eigentlich ein Begriffsschema?, 270; ders., Kohärenztheorie der Wahrheit, in: TH. GRUNDMANN / K. STÜBER (Hg.), Philosophie der Skepsis, 251f. 255: dort 252: „Mein Slogan lautet: Korrespondenz ohne Konfrontation! Eine richtige Erkenntnistheorie vorausgesetzt, können wir in jeder Beziehung Realisten sein.“

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„internen Realismus“ unsinnig. Entscheidend ist allerdings, dass mit dem Aufgeben der genannten Dichotomie und dem Ernstnehmen der Unhintergehbarkeit der Sprache die Beziehung zur Welt nicht negiert, sondern als unmittelbare kausale Verbindung verstanden wird. Nach Davidsons ausgeführter „externalisierter Erkenntnistheorie“ bekommen unsere auf Wahrnehmung gestützten Meinungen ihren Inhalt durch externe Faktoren, d.h. sie werden ursächlich durch die tatsächliche Außenwelt bestimmt. Kurz: Die Gegenstände von Überzeugungen sind in grundlegenden Fällen auch die Ursachen dieser Überzeugungen.231 Damit ist zugleich der skeptische Trugschluss ausgeschlossen, dass aus der Möglichkeit, dass wir uns irren können, geschlossen wird, dass unser Meinungssystem global falsch sei.232 3. Externalismus und Internalismus des Realismus. Die Vielzahl der meist adjektivisch präzisierten Realismusbegriffe kann in dieser Beziehung außen vor bleiben. Der Begriff des „internen Realismus“ wurde von H. Putnam geprägt, während das, was die Externität eines Realismus ausmacht, über Strukturmerkmale einer größeren Klasse (ontologischer, semantischer, kritischer, „realistischer“ etc. Realismus) zu bestimmen ist. Grundlegend für den Realismus ist die These einer denkunabhängigen Wirklichkeit – eine These, welche selbst wiederum aus zwei Teilthesen besteht: Zum einen (a) aus der Behauptung der Existenz, dass es bestimmte Dinge außer mir tatsächlich gibt, zum anderen (b) aus der Behauptung deren Unabhängigkeit, dass sie also auf denkunabhängige Weise existieren. Der Antirealismus eines radikalen Konstruktivismus leugnet schon die erste Teilthese (a) und vertritt der Konstruktivität (Fiktionalität) des Wirklichen. Obwohl er sich mitunter als Deutung Kants präsentieren kann, leugnet der ideale Konstruktivismus von Kants Vernunftkritik erst die zweite Teilthese (b). Nicht unerheblich ist dabei, dass dies in einer nichtrelativistischen Weise geschieht, der gemäß allen Formen des Erkennens dieselben apriorischen Strukturen zugrunde liegen und die fraglichen Gegenstände in Abhängigkeit von diesen Strukturen existieren. Wissen bezieht sich so auf eine externe Erscheinungswelt.233 Für einen (in verschiedenen Versionen vorliegenden) kritischen Realismus ist unsere Erkenntnis stets von unserer Erkenntnisperspektive abhängig, gleichwohl richtet sie sich auf das Erfassen von etwas, was nach Existenz und Beschaffenheit sich nicht dem Erkennen selbst verdankt. Erkenntnis ist darum prinzipiell fallibel. Nach F. v. Kutscheras „realistischem Realismus“ hat ein Realist darauf zu beharren, „daß die Welt nicht 231 D. DAVIDSON, Externalisierte Erkenntnistheorie, 72ff.; ders., Der Mythos des Subjektiven, 95. 232 J. MCDOWELL, Geist und Welt, v.a. 34-42, hat die Position Davidsons, weil sie nur ein kausales, nicht aber ein begründendes Verhältnis von Weltwirklichkeit und geistiger Tätigkeit ansetzt, als Kohärentismus kritisiert. Vgl. dazu die unten (3.7.) diskutierte Position von R. Brandom. 233 Vgl. zu I. KANT die deutliche Differenzierung in: KrV, A 368-377. B 519; dazu und zu weiteren Einteilungsversuchen: M. WILLASCHEK, Einleitung: Die neuere Realismusdebatte; H.J. SANDKÜHLER, „Realismus“, M. SEEL, Konstruktivismus; M. DEVITT, Irrwege.

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mit dem zusammenfällt, [...] was wir mit einem bestimmten Begriffssystem charakterisieren oder mit einer bestimmten Sprache beschreiben können. Für ihn (wie nach dem normalen Verständnis) ist die Welt vielmehr offen: Sie ist in jedem Zeitpunkt der Gegenstand möglicher weiterer Erfahrungen, anderer Bestimmungen und Beschreibungen. Aufgrund neuer Erfahrungen kann sich immer erweisen, daß die bisher verwendete Sprache unzulänglich ist für ihre Beschreibung oder daß die bisherigen Theorien revisionsbedürftig sind. Welt wird also so verstanden, daß jede Sprache und jede Theorie über sie revidierbar ist. Sie ist aber wie gesagt kein ‚Ding an sich’, sondern Gegenstand möglicher Erfahrungen, möglicher sprachlicher Bestimmungen und theoretischer Beschreibungen. Ihre Grenzen werden also einerseits nicht durch eine bestimmte Sprache und Theorie festgelegt und insofern ist sie sprach- und theorienunabhängig. Andererseits ist sie aber auch nicht etwas, was jenseits des Horizonts aller möglichen Sprachen und Theorien läge, also nicht sprach- und theorientranszendent.“234 Von größtem Gewicht, auch und gerade für den theologischen Diskurs, ist es zu beachten, inwiefern die Ebene der Fragestellung des Realismus mit anderen Ebenen, z.B. der Ebene von Wahrheit oder epistemischer Rechtfertigung zusammenhängt – und inwiefern sie von solchen Ebenen unabhängig ist: Realistische Theorien haben einen nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff, antirealistische Theorien einen epistemischen Wahrheitsbegriff zur Voraussetzung. Erstere setzen aber, auch wenn es häufig unterstellt wird, keine Korrespondenztheorie der Wahrheit voraus, erst recht nicht die naive Ansicht, man könne – von einem externen Standpunkt aus – die jeweiligen Konzeptualisierung von Realität mit der unkonzeptualisierten Realität vergleichen. H. Putnams „interner Realismus“ ist von diesen Abgrenzungen her entworfen235 und geht von einem epistemischen Wahrheitsbegriff aus. Auch er kann an Kant anknüpfen, gibt also dementsprechend die zweite Teilthese (b) auf: Die Welt, auf die wir uns beziehen, stellt keine denkunabhängige Wirklichkeit dar, sie wird vielmehr durch unsere Begriffe strukturiert. Im Blick auf die erste Teilthese (a) grenzt er sich zwar von der konstruktivistischen Behauptung ab, „daß der Geist die Welt erschafft“,236 gleichwohl ist die Rede von einer denkunabhängigen Wirklichkeit „nur im Rahmen einer Theorie bzw. einer Beschreibung“ sinnvoll.237 „Unabhängig von Begriffsschemata existieren keine ‚Gegenstände’. Wir spalten die Welt in Gegenstände auf, indem wir dieses oder jenes Beschreibungsschema einführen. Da die Gegenstände und Zeichen gleichermaßen interne Elemente des Beschreibungsschemas sind, ist es möglich, anzugeben, was wem ent-

234 F. V. KUTSCHERA, Bemerkungen zur gegenwärtigen Realismus-Diskussion, 513f. 235 So verbindet er den von ihm abgelehnten „metaphysischen Realismus“ mit einer naiven (abbildungstheoretischen) Korrespondenzauffassung, welche zur Feststellung der Übereinstimmung von Beschreibung und beschreibungsunabhängigen Sachverhalten einen externen Gesichtspunkt des Auges Gottes benötigt: vgl. H. PUTNAM, Vernunft, Wahrheit und Geschichte, 75f. 236 Ebd., 11 (Hervorheb. im Orig.). 237 Ebd., 75 (Hervorheb. im Orig.).

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spricht.“238 Putnam bestreitet, dass sein Internalismus relativistisch sei. Es gibt zumindest „Inputs“ durch die Erfahrung. Diese sind freilich durch Begriffe geformt und lassen deshalb mehrere Beschreibungen zu. Beachtenswert ist die Tatsache, dass Putnam sich von diesem letztlich antirealistischen Internalismus immer mehr distanziert und seit den 90er Jahren einen „direkten Realismus“ bzw. einen „Common-Sense-Realismus“ vertritt.239 4. Externalismus und Internalismus der Wahrheit. Diese Differenz lässt sich auf dem bereits skizzierten Hintergrund verständlich machen. Auf die Vielzahl der Wahrheitsdefinitionen und Wahrheitskonzeptionen einzugehen, kann in diesem Zusammenhang verzichtet werden. Anzumerken ist lediglich, dass das Folgende propositionale Wahrheitsbegriffe betrifft, dazu solche, welche – wie in der analytischen Tradition üblich – das Wahrheitsproblem im Zusammenhang der Realismusfrage erörtern.240 „Extern“ bzw. „intern“ kann sich also, wie bereits ersichtlich, auf die kognitive Zugänglichkeit für epistemische Subjekte beziehen. Ein epistemischer Wahrheitsbegriff macht Wahrheit von dieser Zugänglichkeit bzw. der internen Begründbarkeit abhängig: Wahrheit ist nicht rechtfertigungstranszendent. Realistische Wahrheitsbegriffe folgen demgegenüber grundsätzlich einem nicht-epistemischen Verständnis. Für sie ist es darum basal, dass Wahrheitsbedingungen von Meinungen nicht durch Rechtfertigungsbedingungen (wie Begründbarkeit, Evidenz, Kohärenz oder Konsens) definiert werden können. Etwas anderes ergibt sich, wenn die zur Verhandlung stehende Differenz auf die Differenz von Perspektiven oder Begriffssystemen bezogen wird. Zur Diskussion steht dann nicht, dass Wahrheit nur im Horizont einer Perspektive bzw. semiotisch vermittelt thematisiert werden kann. Selbst wenn man einer Korrespondenzauffassung folgt, kann sich die Korrespondenz von Meinungen nicht auf Gegebenes außerhalb der thematisierten Sprache bzw. Thematisierungsperspektive beziehen, sondern auf in einer Sprache bzw. Thematisierungsperspektive artikuliertes bzw. formuliertes Gegebenes. Zur Diskussion steht aber sehr wohl, ob über Wahrheit und Falschheit nur in dieser Perspektive entschieden, Wahrheitskriterien also nur perspektivintern Geltung beanspruchen können. Wäre das der Fall, wäre Wahrheit nicht mehr eine perspektiventranszendente Angelegenheit, herkömmlicher ausgedrückt: keine allgemeingültige Angelegenheit mehr. Dann wäre aber ein Wahrheitsrelativismus die logische Folge. Dieses Problem wurde und wird in der Regel auf dem Hintergrund der Spätphilosophie L. Wittgensteins diskutiert: Dieser beharrte darauf – das nimmt schon seine Position zur entsprechenden Differenz im Blick auf 238 Ebd., 78 (Hervorheb. im Orig.). Die Korrespondenztheorie der Wahrheit ist zwar zu denken, aber eben theorierelativ. 239 H. PUTNAM, Das modelltheoretische Argument, 125-131; vgl. TH. GRUNDMANN, Neuere Werke, 64ff. 240 Zu den Wahrheitstheorien vgl. G. SKIRBEKK (Hg.), Wahrheitstheorien; L.B. PUNTEL, Wahrheitstheorien. Anderes ergibt sich, wenn die Wahrheitsfrage nicht auf die Geltungsfrage, sondern auf die Konstitutionsfrage angewendet wird, wie dies z.B. eine evidenztheoretische oder existentialhermeneutische Bestimmung nahe legt.

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die Rationalität vorweg – , dass sich das Begründen und Rechtfertigen von Meinungen innerhalb der Regeln und Standards eines Sprachspiels oder Weltbilds vollzieht.241 Ein Weltbild ist der Hintergrund, welcher Begründungen, aber auch das Unterscheiden von wahr und falsch überhaupt erst möglich macht.242 Am Ende alles Begründens, am Ende der Begründungskette steht eine Gewissheit, welche von allen anderen Begründungen dadurch unterschieden ist, dass es für sie keine weiteren Begründungen mehr gibt.243 Das Kriterium der Wahrheit muss als Übereinstimmung in einem diskursiven Sprachspiel gefasst werden; innerhalb eines solchen beansprucht ein wahrer Satz dann aber auch, mit der Wirklichkeit überein zu stimmen. Er bezieht sich auf eine externe Wirklichkeit, wie sie sich freilich als nach der Logik des Sprachspiels konzeptualisiert darstellt.244 Was das Problem des Relativismus betrifft, so ist zu beachten: Wenn grundsätzlich kein externer Standpunkt eingenommen werden kann, ist beides nicht möglich, weder die Propagierung einer epistemischen Überlegenheit eines bestimmten Sprachspiels gegenüber einem anderen noch ein Relativismus, welcher beispielsweise die Gleichwertigkeit der Sprachspiele behaupten könnte. Wittgenstein selbst lässt keinen Zweifel daran, dass für ihn das Partizipieren an einem Sprachspiel das Überzeugenwollen von anderen, auch das „Bekämpfen“ ihrer Überzeugungen einschließen kann.245 5. Externalismus und Internalismus der Rationalität. Eine Meinung, eine Handlung, eine Norm etc. ist rational, wenn sie begründet, also durch Gründe gerechtfertigt ist. Bezieht man diese allgemeine Definition auf die angeführte Meinung des späten Wittgenstein, ergibt sich das Weitere von selbst: Weil die Kriterien der Rechtfertigung innerhalb einer Lebensform bzw. eines dieser zugehörenden Sprachspiels ihre Gültigkeit haben, muss auch die Unterscheidung von rational und irrational intern getroffen werden. Hinreichend für Rationalität ist die logische Konsistenz und die Wohlbegründetheit von Meinungen innerhalb eines Überzeugungssystems oder innerhalb einer Perspektive.246 Ob ein solches System als ganzes rational oder irrational ist, ließe sich nicht anhand externer Kriterien beurtei-

241 L. WITTGENSTEIN, Über Gewißheit, § 105. 242 Ebd., § 94. 243 Vgl. ebd., §§ 165. 193. 563. Diese Gewissheit konstituiert sich nicht durch Evidenz, sondern durch ein Handeln, eine Entscheidung. Folgerichtig gestaltet sich für Wittgenstein die Überzeugungsarbeit an Menschen mit anderen Weltbildern nicht als rationale Begründungsarbeit, sondern als Überzeugungsarbeit (vgl. ebd., § 612, auch § 262). Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass sich das, was sich in dem einen Weltbild als Gewissheit darstellt, sich auch in ein anderes übersetzen lässt – dann aber nicht als Gewissheit, sondern als bezweifelbare Meinung. Vgl. dazu M. KOBER, Gewissheit als Norm, 145f. 243ff. (zum Folgenden). 244 An diesem Punkt ist eine Interpretation zu systematisieren gezwungen, vgl. zur Auseinandersetzung die Position von M.B. HINTIKKA / J. HINTIKKA, Untersuchungen, 271ff. Zu diskutieren wäre etwa die verschieden interpretierbare Stelle in: L. WITTGENSTEIN, Über Gewissheit, §§ 617f. 245 Ebd., § 609-612. 246 Die Rechtfertigung durch Gründe muss nicht kognitiv-epistemisch verstanden werden, möglich sind auch praktische Gründe wie Nützlichkeitserwägungen.

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len. Das Problem des Relativismus, zugespitzt in der Frage, ob es nur system- oder lebensformrelative Rationalitätsstandards gebe, ist daher Bestandteil der neueren Rationalitätsdebatte.247 Die Depotenzierung der einen Vernunft hin zu einer Vielzahl von Rationalitäten ist allerdings schon älter. Zu erinnern ist nicht nur an Nietzsches Perspektivismus, sondern an die Tatsache, dass die Vernunft zunehmend nicht mehr nur Gegenstand philosophischer Reflexion als vielmehr Gegenstand empirischer und sozialwissenschaftlicher Thematisierung wurde. H. Schnädelbach stellt für diese Entwicklung fest: „So hat Rationalität die Vernunft verdrängt.“248 Auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie ließe sich Analoges an der Entwicklung über K. Poppers Verabschiedung eines verifikationistischen Rationalitätsbegriffs zu Th. Kuhns Verabschiedung eines rationalen Erkenntnisfortschritts demonstrieren. Allerdings ist festzuhalten: Auch wenn es, wie die andauernde philosophische Rationalitätsdiskussion zeigt, kein extern-neutrales Kriterium der „reinen Vernunft“ geben kann, um über die Rationalität oder Irrationalität eines Überzeugungssystems zu urteilen249 – die Anerkenntnis dieser Ansicht muss keineswegs in einen Relativismus der Beliebigkeit führen. Ein Konzept von Rationalität bzw. Rationalitätsformen kann das (durchaus auch normativ) Verbindende in verschiedenen Stärkegraden vortragen. Man kann gewisse, allen Rationalitätsformen oder Rationalitätstypen250 gemeinsame Merkmale behaupten, und sei es nur das Merkmal der Begründbarkeit oder der intersubjektiven Regelhaftigkeit. Man kann aber auch auf allgemeine Charakterisierungen wie Verständlichkeit, Selbstreferentialität und Offenheit setzen. Oder man begnügt sich mit dem Aufzeigen von Familienähnlichkeiten.251

Auf dem Hintergrund der skizzierten Unterscheidungen legt es sich nahe, die Eigenständigkeit einer spezifisch theologischen Perspektive, wie sie von Dalferth vertreten wird, differenziert zu betrachten. Zunächst muss den Wirklichkeitsbezug religiöser Rede korrespondenztheoretisch zu behaupten keineswegs ausschließen, dass die Differenz von Sprache und außersprachlicher Sache semiotisch vermittelt gedacht wird: Es handelt sich um eine kritische Unterscheidung innerhalb der Sprache.252 Dalferths Beharren auf dem intrinsischen Zusammenhang von Inhaltsdimension und Vollzugsdimension lässt es folgerichtig erscheinen, dass er das Kausalitätstheorem von Davidsons „externalisierter Erkenntnistheorie“ positiv aufnehmen kann: Unseren sprach247 Im Blick auf L. Wittgenstein kann diesbezüglich auf die Vernetzung der Lebensformen verwiesen werden, vgl. I. DALFERTH, Kombinatorische Theologie, 68f. 248 H. SCHNÄDELBACH, Einleitung, 8. 249 Vgl. ebd., 13. 250 H. LENK, Typen, 20-23, listet 21 Typen auf. Oft werden in Anlehnung an Kant drei Typen vorgeschlagen, vgl. W. WELSCH, Vernunft, 442; N. RESCHER, Rationalität, 1ff. 251 Vgl. J. FRÜCHTL, Vernunftmetaphorik und Rationalitätstheorie, 208; H. SCHNÄDELBACH, Über Rationalität. 252 Schon deutlich in: I.U. DALFERTH, Religiöse Rede, 153. 528-530.

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lichen Thematisierungen liegt die Wirklichkeit Gottes voraus, ohne die es weder diese Thematisierung noch irgendetwas anderes gäbe. Damit ist ein Realitätsanspruch gesetzt, der über den „internen Realismus“ Putnams hinausgreift. Er ist einen „Widerstand des Wirklichen“ in der kritischen Konfrontation mit anderen perspektivischen Wirklichkeitsdeutungen zu wahrnehmen offen.253 Wenn ein Wahrheitsanspruch aber einen Wirklichkeitsanspruch voraussetzt, ist es weiterhin folgerichtig, dass gegen in der Nachfolge L. Wittgensteins stehende Positionen ein Externalismus der Wahrheit und ein nichtepistemischer Wahrheitsbegriff vertreten wird. Die Angabe von Gründen – und das heißt dann auch: die rationale Bemühung der Theologie – bleibt demgegenüber eine perspektiveninterne Angelegenheit, welche der Wahrheitsfrage und Wirklichkeitsfrage nachgeordnet ist: „Sie kommen immer zu spät.“254 Theologie wird auf die Frage nach der Wirklichkeit Gottes und deren Wahrheit fokussiert; die Frage einer eigenständigen theologischen Rationalität als einer internen Begründungsrationalität muss deshalb als Folge, nicht als Voraussetzung dieses Ansatzes verstanden werden. Dass sich Wirklichkeitsgewissheit im Vollzug lebensweltlicher Praxiszusammenhänge erschließt, dem gegenüber Gründe immer sekundär sind, entspricht wiederum der Spätphilosophie Wittgensteins. Von ihr her wäre die Frage zu bedenken, wie ein Lernen von Außendiskursen sich vollziehen kann. Denn der kritische Vergleich mit anderen Wirklichkeitsdeutungen kann ja nicht von einem externen Standpunkt her erfolgen, sondern innerhalb eines Horizonts, hier: des Gottesverständnisses des christlichen Glaubens. Wittgenstein weiterführend ließe sich eine Version vertreten, der zufolge die (im Leben verankerte) Wirklichkeitsgewissheit eines Diskurssystems innerhalb eines anderen zwar auftreten und sich geltend machen kann – aber nur in ihrer reflexiven Form als Behauptung von Wirklichkeitsgewissheit. Ihre Anerkennung käme einer Bekehrung gleich. Dalferth legt eine stärkere Version vor, welche dem Anspruch des Anderen im Eigenen konstitutive Funktion beimisst, um der Identität einer gemeinsamen Wirklichkeit überhaupt gewahr werden zu können: Notwendig ist der Widerstreit mit anderen Perspektiven nicht nur, um sich in lediglich

253 Vgl. I.U. DALFERTH / P. STOELLGER, Wahrheit, 98f. Dabei kann offen bleiben, ob mit Davidson der Gedanke des Begriffssystems abgelehnt werden muss. Entscheidend ist: Wenn eine Wirklichkeit behauptet wird, ohne die es weder die Behauptung von ihr noch irgendetwas anderes gäbe, dann muss sich diese Behauptung – geradezu von innen heraus – mit anderen Wirklichkeitsbehauptungen in Beziehung setzen, sie muss sich dem kritischen Vergleich mit Außendiskursen stellen. 254 I.U. DALFERTH, Weder Seinsgrund noch Armutszeugnis, 189.

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derivater Reflexionsform gegebene Möglichkeiten zuspielen zu lassen, sondern um zu prüfen, was in diesem Widerstreit selbst als Widerstand von Wirklichem ernstgenommen werden will.255 Zwei weitere Fragen vermögen lediglich zu markieren, dass eine auf die Wahrheits- und Wirklichkeitsfrage konzentrierte Theologie sich auch anders denken ließe – was dann wiederum auf das Perspektivenproblem durchschlüge: Zum einen ließe sich der Zusammenhang von Wahrheit und Wirklichkeit nicht auf einem analytischen Theoriehintergrund, sondern auf einem subjektivitätstheoretischen umsetzen, wie das beispielhaft E. Herms (vgl. 1.1.7.6.) vorführt: Der Glaube ist in einem konstitutionslogisch explizierbaren Selbsterlebnis zu lokalisieren, als Selbstgewissheit über seinen transzendenten Ursprung. Der semiotischen Struktur des Selbst wird ein epistemischer Begriff von Wahrheit eingezeichnet – als erlebbare Eigenschaft einer Relation, in der das, was wir durch unser symbolisches Handeln repräsentieren, zu dem in Beziehung steht, was vor ihm als artikulierte Erwartung im primären Gedächtnis präsent ist. Die unterschiedlichen perspektivischen Wirklichkeitsthematisierungen konvergieren dabei in einem einheitlichen Moment, nämlich dem, dass diese alle in einer symbolischen Tätigkeit von Wissenden fundiert gesehen werden – was dann wiederum mit einer Begründungsfigur theologisch eingeholt werden kann.256 Zum anderen ist auch Dalferths theologische Inanspruchnahme einer Begründungsrationalität anders denkbar, und zwar so, dass es seiner eigenen „pragmatischen Pointe“ entspräche. Mit einer Begründungsrationalität kommt, auch wenn sie praktischen Rechtfertigungsgründen eine gewichtige Rolle zumisst, Theologie „immer zu spät“ (s.o.). Insofern ließe sich erwägen, ob es einer pragmatisch ausgerichteten Theologie nicht besser entspräche, wenn sie den traditionellen Doppelaspekt von Rationalität, neben der Begründungsrationalität also auch die Entdeckungs- und Forschungsrationalität aufnähme.257 b) Was die orientierungsphilosophische Reformulierung der Metaphysik betrifft, bewegt sich Dalferths religionsphilosophischer Ansatz in Übereinstimmung mit verschiedenen Versuchen zeitgenössischer Philosophie, der Rede vom Ende der Metaphysik (bzw. von einem postme-

255 Ebd., 187. Das notwendige Lernen von Außendiskursen besteht, wie bereits erwähnt, auch darin, dass die Differenz von Darstellung und Dargestelltem in der eigenen Perspektive offengehalten wird. 256 E. HERMS, Offenbarung und Glaube, 294-296. 327ff. Für Dalferth leidet eine solche Denkweise an einer versteckten ontologischen Reifizierung logischer Denkformen, vgl. I.U. DALFERTH, Die Wirklichkeit des Möglichen, 459ff. 257 Vgl. dazu: J. MITTELSTRASS, Forschung, Begründung, 118ff.

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taphysischen Zeitalter) eine orientierungsphilosophische Reformulierung ihrer Themen entgegenzustellen und sie so auf die Grundaufgabe der Philosophie, nämlich im Denken zu orientieren, beziehbar zu machen.258 Die philosophische Ausarbeitung eines pragmatischen Orientierungsverständnisses hat im Anschluss an I. Kant und L. Wittgenstein neuerdings W. Stegmaier zum Programm gemacht: Orientierung tritt aus der zeitlosen und allgemeinen Ordnung von Subjekt, Objekt und Erkenntnis heraus; ihr eignet Pragmatizität (Wissen ist Voraussetzung zum Gebrauch), Perspektivität (sie ist von zeitlichen und räumlichen Horizonten abhängig), Semiotizität (sie kürzt die Welt in Zeichen ab), Transitivität (erst in der Verschiebung wird die Standpunktabhängigkeit bewusst) und Innovabilität (Orientierungsschemata sind veränderbar).259 Der orientierungsphilosophischen Beschreibungsweise von Religion, wie sie von Dalferth vorgetragen wird, entspricht daher die indexikalisch-symbolische Funktionsbestimmung ihrer Themen. Sieht man einmal von der Durchführung im Einzelnen ab, kann eine solche Funktionsbestimmung philosophisch und theologisch als plausibel gelten: Philosophisch insofern, als Indexwörter grundlegende Orientierungsschemata ins Spiel bringen. Sie haben pragmatisch-performative, nicht semantisch-deskriptive Funktion; sie bringen damit etwas zum Ausdruck, was sich nur in der Perspektive der Gebrauchenden bzw. der Teilnehmenden identifizieren lässt. Von Ch. Peirce her ist dabei festzuhalten, dass das, worauf das Indexwort verweist, in der Kommunikationssituation präsent sein muss.260 258 Vgl. W. OELMÜLLER, Metaphysik, 24ff.; H. SCHNÄDELBACH, Metaphysik und Religion heute, 137ff.; auch H. LÜBBE, Wozu Philosophie?, 142ff. 259 Vgl. W. STEGMAIER, Grundzüge einer Philosophie der Orientierung, 162ff.; ders., „Was heißt: Sich im Denken orientieren?“; ders., Orientierung an Recht und Religion, 3ff.; ders., Einleitung, 7ff.; ders., „Orientierung“, 987-989 (Lit.). 260 Vgl. CH. PEIRCE, Collected Papers II, §§ 2248. 2300. 2306. Die von Peirce geprägte Einteilung von Index, Ikon und Symbol wird je nach semiotischer Konzeption anders verwendet; vgl. dazu U. ECO, Zeichen, 60ff.; T. WYLLER, Indexikalische Gedanken. Bei Dalferth wird eine Begriffsklärung oder -entwicklung auf das Notwendigste beschränkt; er bezieht sich, was jedenfalls die Analyse des Selbst betrifft, auf die angelsächsische Sprachphilosophie, neben D. Kaplan insbesondere auf D.H. MELLOR, Matters of Metaphysics; vgl. ders., Analytische Philosophie und das Selbst. In diesem Zusammenhang treten zwei Fragen auf: 1. Lassen sich, wie Husserl, Russell oder Quine nahe legen, indexikalische Sätze ohne Bedeutungsverlust in indexfreie übersetzen? Das beliebte Beispiel: „Ich bin hungrig“ ist gleichbedeutend mit „Rieger ist hungrig“. Dalferth bejaht dies im Blick auf „Ich“, verneint es aber im Blick auf „Gott“. 2. In welchem Verhältnis stehen Indizes zu Referenz und zu deskriptiver Information? Eco unterscheidet die Beziehung der Kontiguität (der zeigende Finger) und die Beziehung der Kausalität (Rauch als Produkt des Feuers); indexikalische Zeichen im strengen Sinn stehen nicht für einen Gegenstand, sondern für sein Signi-

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Theologisch kann eine solche Beschreibungsweise als plausibel gelten, insofern sich mit ihr festhalten lässt, dass mit der Gottesfrage nicht nur ein einzelner Sachverhalt zur Debatte steht, sondern der gesamte Denk- und Orientierungsrahmen, in dem man sich und seine Welt versteht. Dies entspricht wiederum dem intrinsischen Zusammenhang von Inhalts- und Vollzugsdimension bzw. der Aufforderung, die epistemologische Frage nach Gott im soteriologischen Horizont zu denken. Dabei hat diese Beschreibungsweise auch zwei Probleme vor sich: Zum einen handelt es sich um das Problem des Wechsels von einem Horizont in den anderen sowie das Problem der Veränderlichkeit bzw. der Innovation innerhalb einer solchen. Dalferth denkt den Wechsel im Sinne einer Konversion, welche sich zwischen gewissermaßen durchlässigen Horizonten vollzieht. Ohne die grundlegende Perspektivendifferenz und die Notwendigkeit einer vollziehenden Teilnahme zu minimieren, hat in bestimmter Hinsicht nämlich eine Überlappung bzw. ein integratives Moment statt: Sichtbar wurde bereits die begrenzte Übersetzbarkeit von perspektivinternen Überzeugungen und Begründungen; von Bedeutung sind insbesondere metaphorische Prozesse, welche mit den Mitteln des Alten Neues zur Sprache zu bringen erlauben, also eine „Wanderschaft durch die Symbolisierungsbereiche“ ermöglichen.261 Gegenüber einem Perspektivenwechsel, wie er von G. Lindbeck vorausgesetzt wird, ist außerdem grundsätzlich zu beachten, dass eine eschatologische Perspektivendifferenz nicht in eine kulturelle Alternative umgemünzt werden kann.262 Und schließlich müssen in einem neuen Gesamthorizont nicht nur die Orientierungsaufgaben, die vorher bereits bestanden, neu bearbeitet und insofern integriert werden – aufgrund des „Widerstands des Wirklichen“ hat man sich diesen Horizont vielmehr selbst als beweglichen vorstellig zu machen. Als innovativ erweist sich dabei die Begegnung mit anderen bzw. mit anderen Perspektiven. fikat (U. ECO, Zeichen, 61f.). Auch wenn ein Indexzeichen selbst keine deskriptivsemantische Funktion hat – das, worauf es verweist, lässt sich identifizieren und deskriptiv beschreiben (beispielsweise „Mensch“, „Feuer“). Im Blick auf die Verwendung von „ich“ ergibt sich so ein einsichtiger Zusammenhang (vgl. die Klarstellung von I.U. Dalferth, Die Wirklichkeit des Möglichen, 421, Anm. 216); im Blick auf „Gott“ bleibt er präzisierungsbedürftig: Im Kontext von Dalferths Religionsphilosophie verweist das Wort auf die „Kontingenz des Gesamtzusammenhangs“, welche dann mit Schleiermacher weiter expliziert wird. Dalferth betrachtet dies selbst als Abstraktion vom konkreten Symbolhorizont des christlichen Glaubens. Dort müsste dann aber als Bezugspunkt „der Vater Jesu Christi“ gesetzt und deskriptiv-inhaltlich weiterbestimmt werden (s.u.). 261 I.U. DALFERTH, In Bildern denken, 166; Die Mitte ist außen, 197; vgl. Über Einheit und Vielfalt, 112; Wirklichkeit Gottes, 107f. u.ö. 262 Was Gott ist, 19.

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Zum anderen stellt sich auch in diesem Zusammenhang noch einmal verstärkt das Problem der „Entgegenständlichung“ Gottes. Denn das mit ‚Gott’ Benannte markiert den Bezugspunkt einer Orientierungs- und Wahrnehmungsperspektive, der selbst nicht wahrgenommen werden kann. Erinnert sei an die Rede vom „blinden Fleck“ und an den erwähnten Vergleich eines Zeichens vor der Klammer. 3. Wie die Gegenständlichkeit Gottes religionsphilosophisch zu denken ist, kann auf dem Hintergrund der Kantrezeption Dalferths deutlich gemacht werden: Zunächst wird Kant nicht nur für den orientierungsphilosphischen Ansatz in Anspruch genommen,263 auch dessen Ablehnung, den Glauben an Gott epistemologisch als einen Fall von theoretischem Wissen aufzufassen, wird grundsätzliche Bedeutung zugemessen. Die eine Seite ist dabei die kritische Grenzbestimmung der theoretischen Vernunft („Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“)264, die negative Konklusion, dass das Paradigma der empirischen Gegenstandserkenntnis nicht für die Gotteserkenntnis tauge.265 Die andere Seite ist der positive Beitrag Kants zu einer praktischen Rechtfertigung des Glaubens im Horizont der praktischen Vernunft.266 Beide kann Dalferth aufnehmen; die erste gegenüber Ansätzen des philosophischen Theismus, insbesondere den Legitimationsversuchen von A. Plantinga, W.P. Alston und anderen: Kant zeige „dass dieser Glaube weder positiv noch negativ, weder assertorisch vertretbar noch assertorisch bestreitbar etwas theoretisch Wissbares ist, sondern eine wichtigere Funktion hat: Er dient der Orientierung des ganzen menschlichen Lebens im Wissen, Handeln und Hoffen.“267 Die zweite liegt dementsprechend ganz auf der Linie dessen, was Dalferth mit der Unterscheidung von theoretischer Begründung und praktischer Rechtfertigung, vor allem aber mit der „pragmatischen Pointe“ theologischer Argumentation von Anfang an herausgestellt hatte: Beim Glauben an Gott geht es nicht268 um ein theoretisches Wissen um Gott, sondern um einen fundamentalen Wechsel unserer Orientierungsperspektive, welcher alles in einem neuen Horizont sehen lässt und eine neue Lebenspraxis einschließt.269

263 264 265 266 267 268

Die Wirklichkeit des Möglichen, 41ff. I. KANT, KrV, B XXX. Die Wirklichkeit des Möglichen, 289f. 484ff. Ebd., 292. 370ff. Ebd., 301. Korrekt müsste es wohl heißen: „nicht nur“. Denn innerhalb des Lebensvollzugs spielt die kognitive Dimension freilich eine Rolle, vgl. ebd., 217. 269 Ebd., 303.

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Von grundsätzlicher Bedeutung an Kants Vernunftkonzeption ist darum der Primat der praktischen Vernunft.270 Wessen die theoretische Vernunft als regulativer Ideen bedarf (Seele, Welt und Gott), erweist sich für die praktische Vernunft als unverzichtbare Postulate, die in allen ihren Vereinheitlichungsvollzügen transzendental vorauszusetzen, gerade darum aber theoretischem Wissen nicht zugänglich sind. Die Existenz Gottes, der Welt und der eigenen Freiheit werden bei den Vereinheitlichungsoperationen, zu denen sich die Vernunft bestimmt, immer schon in Anspruch genommen, egal ob sie förmlich anerkannt oder bestritten werden. Im Blick auf sie kann es keinen apodiktischen Beweis, gleichwohl aber eine pragmatisch begründete Gewissheit geben.271 Kant benennt hier für Dalferth eine kritische Grenze, über welche subjektivitätstheoretische oder andersartige Letztbegründungsversuche nur zu ihrem eigenen Schaden und zum Schaden der Vernunft meinen hinausgehen zu können.272 Die Weichen für eine orientierungsphilosophisch-pragmatische Fassung des Subjektbegriffs und – für den vorliegenden Zusammenhang wichtiger – des religionsphilosophischen Gottesbegriffs sind damit gestellt.273 Der Indikator ‚Gott’ bringt ein Orientierungssystem und eine Wahrnehmungsperspektive ins Spiel, welche als Bedingung der Möglichkeit von perspektivischer Wahrnehmung und Orientierung begriffen werden muss. Die dabei zugrunde liegende transzendentale Denkfigur entspricht der Analyse Kants und ihrer Anwendung auf den Gottesbegriff bei Schleiermacher: Kant fasste die Indikatoren von Raum und Zeit pragmatisch in ihrer Lozierungsfunktion auf, als Bedingung der Möglichkeit von Erscheinungsgegenständen. Weil sie bei allen raumzeitlichen Wahrnehmungen immer schon in Anspruch genommen werden, eignet ihnen eine transzendentale Idealität, sie werden ‚entgegenständlicht’. Schleiermacher wandte den Kerngedanken dieser ‚entgegenständlichenden’ Analyse auf Kants Postulat Gottes als Einheitsprinzip der Erfahrung selbst an: „Wie ‚hier’, ‚jetzt’ und ‚ich’ fungiert

270 Vgl. ebd., 374: „Die Frage nach der Einheit der Vernunft in der Verschiedenheit ihrer Anwendungsfelder wird von Kant also systematisch im Horizont lebenspraktischer Orientierungsprobleme des Menschen verankert.“ 271 Vgl. ebd., 371f. 430. 272 Vgl. ebd., 376. 406f. 484f. 273 Auf Dalferths Interpretation von Kants Diktum „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können [...]“ wurde bereits verwiesen. Dass er Kants Argumentation in der Durchführung für problematisch hält, wird dabei ebenso wenig verschwiegen (vgl. ebd., 378. 422) wie die Tatsache, dass Kants Selbstbeschränkung der Vernunft, weil selbst noch dem Subjekt-Objekt-Paradigma verhaftet, Gott zu einer produzierten Größe werden lässt und vom Objektparadigma nicht loskommt (ebd., 485. 491. 510). Dalferths Kantrezeption ist also selbst kritisch.

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auch ‚Gott’ als etwas, das nicht begrifflich-kategorial bestimmt werden kann, sondern Bedingung der Möglichkeit kategorialer Bestimmung ist.“274 Diese indexikalische Auffassung schließt in ihrer perspektivischen Formulierung ein, dass das ‚Gott’ Genannte den Gesichtspunkt der Perspektive markiert, vom dem aus alles wahrgenommen werden kann. Dann kann es aber selbst und als solches nicht wahrgenommen werden, sondern nur als in jedem Wahrnehmungsvollzug Mitgesetztes.275 Dalferth hebt diesen religionsphilosophischen Zugriff auf die „immergleiche Funktion“ des Ausdrucks ‚Gott’ von seiner konkret-kontingenten Symbolisierung ab. Der Gewinn und die Gefahr einer solchen Vorgehensweise liegen nahe beieinander: Der Gewinn kann darin gesehen werden, dass eine konkrete Symbolisierung Gottes zwar bestritten werden, ihre durch alle diese religiösen Symbolisierungen hindurchgehende indexikalische Funktion hingegen nicht. Gott wird vielmehr auch im Bestreiten als Bedingung der Möglichkeit in Anspruch genommen. Insofern kann gesagt werden. „Wer Gott abschafft, schafft gewissermaßen auch sich selbst und seine Welt ab.“276 – Die Gefahr besteht darin, dass auseinandergerissen wird, was zusammengehört, nämlich die indexikalische Funktion und die konkrete Art der Symbolisierung.277 Von daher lassen sich Symbolgehalte nicht ohne weiteres ‚entsubstantialisieren’, erst recht nicht zugunsten eines reifizierten präreligiösen Phänomens. Ungleich wichtiger zu erörtern ist die weitreichende Bedeutung der indexikalischen Entgegenständlichung Gottes. Diese ist als religionsphilosophische Fortführung einer erkenntnistheoretischen Position aufzufassen, welche I. Kant als transzendentalen Idealismus bezeichnet. Bei ihm kommt diese Position in Abgrenzung zu einem transzendentalen Realismus zu stehen, welcher die Indikatoren (Raum und Zeit) als gegenständlich Gegebenes ansieht.278 Wie erwähnt, kann Dalferth seine Position auch phänomenologisch bzw. perspektivisch ausdrücken: Es geht dann darum, dass das mit ‚Gott’ Bezeichnete den ‚blinden Fleck’ der Orientierungsperspektive markiert, oder allgemeiner formuliert, dass es Phänomene nicht ohne Horizonte gibt, Horizonte aber niemals Phänomene werden können.279 Man kann einen solchen transzendental idealistischen Ansatz als Kontraindikation eines kulturell-kollektiven 274 275 276 277 278 279

Ebd., 472. Ebd., 473. Vgl. den gleichnamigen Aufsatztitel. Die Wirklichkeit des Möglichen, 475f. I. KANT, KrV, A 369. Vgl. Die Wirklichkeit des Möglichen, 37. 144. 467.

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Idealismus im Gefolge der Konzeption G. Lindbecks sehen – eines Idealismus also, welcher die Fundamentaldifferenz von menschlicher Thematisierung Gottes und thematisiertem Gott zu missachten droht. Muss damit das religionsphilosophische Projekt ‚Gott denken’ bei der Nichtgegenständlichkeit Gottes enden? Dalferth selbst macht deutlich, dass die negative Konklusion Kants lediglich festhält, dass Gotteserkenntnis anders als im Paradigma der theoretischen Gegenstandserkenntnis bzw. als im Subjekt-Objekt-Paradigma zu denken ist: „Gott ist etwas anderes als ein Gegenstand einer besonderen Art.“280 Orientierungsphilosophisch besteht deshalb die Anforderung, die Erörterung von Gottes Gegenständlichkeit nicht auf die Orientierungsposition des Objekts, also auf diejenige des ES zu beschränken, sondern den konkreten Lebens- und Kommunikationsvollzügen folgend der Vielfalt der Orientierungspositionen Rechnung zu tragen. In diesem Sinne kann Religionsphilosophie also keineswegs bei der Nichtgegenständlichkeit Gottes enden. Gleichwohl kann sie nicht dazu weiterschreiten, den mit ‚Gott’ benannten Gesichtspunkt als solchen zu erschließen; erst im Wechsel zur Teilnehmerperspektive und deren konkreter Symbolisierung wird man der Selbsterschießung und der Selbstidentifikation Gottes (Offenbarung) ansichtig, so dass Gott im Horizont seines Gottseins als real gedacht werden kann. In dieser Perspektive ließe sich in Anlehnung an Kant von einem transzendentalen Realismus reden – vorausgesetzt allerdings, dass die mit dem Indikator ‚Gott’ angezeigte Wirklichkeit nicht im Sinne raumzeitlicher Gegenständlichkeit, sondern, wie in Dalferths Habilitationsschrift entfaltet, im Sinne einer nichtontischen Gegenständlichkeit281 verstanden wird. Theologisch korrekter wäre von einem eschatologisch-transzendentalen Realismus zu reden. Als von ihrer Thematisierung unabhängige Wirklichkeit erschließt diese sich erst in einem Vollzug, der sich selbst als von ihr verdankt begreift und in ihr die Bedingung der Möglichkeit von Realität überhaupt erblickt. Gegenüber einer solchen Konzeption scheint beachtenswert, dass Schleiermacher in seiner Glaubenslehre nicht bereits mit der von Dalferth indexikalisch reformulierten Analyse des Gottesgedankens seine religionsphilosophische Beschreibung bewenden lässt und dann zur Explikation des konkreten christlichen Symbolisierungsgehalts hinüberwechselt. Es entspricht schon dem Vorgehen in seinen ‚Reden’, dass die Lehnsätze aus der Religionsphilosophie vom Bemühen getragen sind, den eigentümlich christlichen Mittelpunkt der positiven Religion, 280 Ebd., 487. Zur Erhellung dieser Art der Kantrezeption vgl. F. WAGNER, Aspekte der Rezeption Kantischer Metaphysik, 25ff. 281 Existenz Gottes, 182f.

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hier: des Christentums herauszuarbeiten. Und in dieser Hinsicht nun bleibt der Bezugspunkt der christlichen Orientierungsweise auch für die religionsphilosophische Zugangsweise keineswegs ein ‚blinder Fleck’; er ist vielmehr nach Differenz und Übereinstimmung von äußerem und innerem Individuationsmerkmal einer äußeren Betrachtungsweise zugänglich.282 Fasst man, anders als Dalferth in „Die Wirklichkeit des Möglichen“, den Bezugspunkt der christlichen Orientierungsperspektive christologisch, ließen sich – um dies beispielhaft und in Anlehnung an Schleiermacher anzudeuten – verschiedene Interpretationsebenen unterscheiden: zum einen die historische Urtatsache des Stifters und dessen Ergehen, zum anderen die beobachtbare religiöse Inanspruchnahme des Stifters und dessen Ergehen als Offenbarung Gottes, schließlich die vollzogene Anerkennung des Stifters und dessen Ergehen als Offenbarung Gottes. Dalferth hat eine etwas anders gelagerte Differenzierung von Interpretationsebenen in seiner Dissertation vertreten, während er in „Theology and Philosophy“ Vorbehalte zumindest gegenüber J. Hicks Auffassung einer „hierarchy of interpretations“ geltend macht.283 Diese betreffen aber vor allem die empiristischen Missbrauchsmöglichkeiten, insbesondere die Meinung, die höherstufige Interpretation basiere auf einer tieferliegenden im Sinne einer sekundären Deutung. Wie die nicht-raumzeitliche Gegenständlichkeit Gottes und ihr Verhältnis zur raumzeitlichen Erscheinung Christi von Dalferth theologisch konzeptualisiert werden kann, erhellt schon seine Habilitationsschrift. Schon dort wurde die negative Konklusion Kants, Gottes Gegenständlichkeit nicht raumzeitlich zu denken, zugunsten des Wechsels zu einer eschatologischen Gegenständlichkeit interpretiert, zugleich aber deren Vermittlung zur raumzeitlichen christologisch expliziert. Dalferth zeigte zunächst, dass das Problem der Existenz und das Problem der Gegenständlichkeit sich am Problem der Identifizierbarkeit entscheiden. Um etwas zu identifizieren, bedarf es eines Identifikationssystems, das sowohl für das zu Identifizierende als auch für den Identifizierenden Geltung hat.284 Nun unterscheidet 282 Genauer muss es nach CG2 §§ 10f. (vgl. oben, 1.1.1.) heißen: Die „innere Tatsache“ des gegenwärtigen Erlösungsbewusstseins (b) stimmt mit der zugrunde liegenden „Urtatsache“ (a), der historischer Wahrnehmung zugänglichen Beziehung der Erlöserprädikation auf den Stifter Jesus von Nazareth überein. Die Beziehung selbst (c), als christlicher Glaube definiert, kann ebenso wie schon die Auffassung der Urtatsache (a) als Offenbarung nur der internen Überzeugung der christlichen Glaubensgemeinschaft abgewonnen werden. Eine Urtatsache als Offenbarung anzusehen, bedeutet schon für Schleiermacher, in den Konflikt mit anderen Wirklichkeitsauffassungen einzutreten. 283 Theology and Philosophy, 53ff.; vgl. Kombinatorische Theologie, 90-92. 284 Existenz Gottes, 48. Zu bemerken ist, dass in diesem Kontext, wie schon in: Religiöse Rede, 670f.; Existenz und Identifikation, 29-31, ‚Gott’ nicht als Index, sondern als Designator verstanden wird.

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Exemplarische Verhältnisbestimmungen der Gegenwart

Gott und Mensch nicht nur die Gegenstandsart, sondern schon die Gegenständlichkeit (als der Horizont, innerhalb dessen ein Gegenstand identifiziert werden kann): Gott lässt sich im Horizont raumzeitlicher Gegenständlichkeit nicht lokalisieren. Gleichwohl behauptet der christliche Glaube zu Recht, dass Gott von Menschen unter den Bedingungen von Raum und Zeit erfahren wurde. Damit ist aber nichts weniger als ein gemeinsames Identifikationssystem in Anspruch genommen. Im Geschehen des Kreuzes treten beide Identifikationssysteme tatsächlich in ein präzises Verhältnis zueinander: Hier erweist sich Gottes raumzeitliches Nichtvorhandensein nicht als Nichtexistenz, sondern als christologisch zu interpretierende Verborgenheit. In seiner nichtontischen Gegenständlichkeit bringt sich Gott als eschatologischer Sachverhalt unter den Bedingungen von Raum und Zeit zur Erfahrung, ohne dadurch selbst zu einem raumzeitlichen Gegenstand zu werden.285 Für Dalferth bedeutet dies, dass das Identifikationssystem der nichtontischen Gegenständlichkeit Gottes und das raumzeitliche Identifikationssystem des Menschen nicht mehr als strikte Alternative gedacht werden können; Ersteres umfasst vielmehr das Letztere und kann von ihm aus wenigstens als Möglichkeit einsichtig gemacht werden.286 Diese Auffassung hat aber auch Auswirkungen im Blick auf das Verständnis des Menschen: Auch er darf nicht mehr nur unter den Bedingungen des raumzeitlichen Identifikationssystems gedacht werden. Das ergibt sich nicht allein aus der von Kant reflektierten epistemischen Entzogenheit des Ich, sondern aus der theologischen Einsicht in die Wirklichkeit des Sünders, welcher seine raumzeitliche Gegenständlichkeit darin missbraucht, dass er sie zum absoluten Identifikationssystem erhebt. Zu Gesicht bekommt man diese epistemische Blindheit der Sünde freilich erst im Horizont der eschatologischen Gegenständlichkeit Gottes, in der sich der Mensch als beides wahrnimmt: als Mensch, der ontisch und eschatologisch zugleich existiert. Das hat wiederum weitreichende Folgen: Erst dem Glaubenden, dem gerechtfertigten Sünder, welcher sich in Gottes eschatologischem Identifikationssystem wahrnimmt, erschließt sich die Präsenz Gottes und damit seine Existenz.287 Auch dieser Gedankendurchgang zeigt, dass die epistemische Grenzbestimmung von Kants Vernunftkritik und sein Primat der praktischen Vernunft in einen solchen Theologiebegriff überführt werden können, der mit Grundsätzen der materialen Dogmatik in Übereinstimmung steht.

285 Existenz Gottes, 175f. 286 Ebd., 183f. 287 Ebd., 279; vgl. Existenz und Identifikation, 48-50.

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2.2.5. Die Frage der Theologizität der Theologie – eine Zwischenüberlegung Dalferth folgt einem Theologiebegriff, welcher, wie eben erwähnt, beides zusammenbindet: Einerseits trägt er der epistemischen Grenzbestimmung von Kants Vernunftkritik und dessen Primat der praktischen Vernunft Rechnung, andererseits einer Übereinstimmung mit Grundsätzen der materialen Dogmatik – soweit sie sich pragmatisch ausweisen lassen und der Teilnehmerperspektive einer gemeinschaftlich gelebten Religionspraxis entsprechen. In dieser Übereinstimmung ist ebenso wie in der zentralen Rückfrage nach der Wirklichkeit Gottes auch ein Gegensatz zum Entwurf W. Gräbs gegeben. Der genannte Gegensatz ist wie die erkenntnistheoretische Möglichkeit einer Rückfrage nach der Wirklichkeit Gottes wiederum darin begründet, dass Dalferth Vernunft und Realität unhintergehbar perspektivisch denkt, ein Rekurs auf eine angebliche Allgemeinheit humaner Vernunft mithin als Symptom einer Differenzen überspielenden Beobachterperspektive zu stehen kommt. In dieser Hinsicht besteht die Anschlussfähigkeit zur gegenwärtigen analytischen Erkenntnistheorie, aber auch die Anschlussfähigkeit an den – perspektivisch deutbaren – Theologiebegriff K. Barths und dessen eschatologischen Realismus. Der Übereinstimmung der theologischen Erkenntnislehre mit gewissen materialen Grundsätzen der Dogmatik korrespondiert ein perspektivisches Modell, das auch die Identifikation der Referenz perspektivisch fassen heißt. Man mag grundsätzlich fragen, ob dabei noch der Gedanke einer gemeinsamen Welt, in der wir leben, denkbar ist.288 Dalferth hat mit guten Gründen ein einliniges Modell der Interpretationsbzw. Deutungsebenen (wie es etwa J. Hick vertreten hatte) zurückgewiesen, eine Überlappung der Lebensformen indes nicht abgelehnt. Mehr noch: Eine perspektiven- oder horizontübergreifende Kontinuität von Altem und Neuem zeigt sich auch darin, dass bei einem Perspektiv- oder Horizontwechsel die vormals vorhandenen Orientierungsaufgaben sich neu stellen und zu bearbeiten sind. Zu erwägen wäre zunächst, ob das Anliegen einer gemeinschaftlich-gemeinsamen Welt nicht stärker durch den Begriff des Alltags oder den Begriff der Lebenswelt aufgenommen werden könnte. Wie die kritische Aufnahme des Husserlschen Begriffs bei B. Waldenfels zu

288 Das ist letztlich die lapidare Frage A. SCHLATTERS (ders., Die philosophische Arbeit, 120) an jede Erkenntnistheorie im Gefolge Kants: „Geht uns nicht die Welt verloren?“ Auf den heutigen Kontext übertragen müsste man von einer Einbettung der Vernunft in das, was „Lebenswelt“ oder „Alltag“ genannt wird, reden.

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erhellen vermag,289 muss das ebenso wenig auf ein einliniges Modell der Deutungsebenen hinauslaufen, so wenig es eine Fundamentierungsfunktion von Alltag bzw. Lebenswelt insinuieren muss.290 Zu erwägen wäre vor allem, ob die Frage nach der Gegenständlichkeit Gottes und die Frage nach dem Mittelpunkt der Orientierungsperspektive des Glaubens im Blick auf die epistemischen Grenzbestimmungen von Kants Vernunftkritik sowohl theologisch als auch religionsphilosophisch offensiver angegangen werden müsste.291 Und zwar vom kontingenten Ereignis des Kreuzes her. Denn sowohl für den christlichen Glauben als auch für das subiectum theologiae ist die Subjektivität des Wortes vom Kreuz wesentlich. Diese Subjektivität ist als Subjektivität Gottes nun aber ohne die bestimmte raumzeitliche Gegenständlichkeit des Gekreuzigten, ohne die radikale Objektivierung des Jesus aus Nazareth nicht zu denken.292 Dieser dann für die Theologie paradoxale Sachverhalt, dass die göttliche Subjektivität im Ereignis menschlicher Objektivierung zu suchen ist, würde das Verständnis der Theologie als Wirklichkeitswissenschaft ebenso bestimmen müssen wie die Explikation des Glaubens in einem religionsphilosophischen Modell differenter Orientierungsperspektiven.293 Unbeschadet dessen, dass sich Gottes Subjektivität und damit auch die Subjektivität des Wortes vom Kreuz erst in der Perspektive und im Horizont des Glaubens erschließt, ist es auch anderen Perspektiven vermittelbar und insofern keine perspektiveninterne Angelegenheit, dass der Orientierungs- und Symbolhorizont des christlichen Glaubens durch das geschichtlichkontingente Ereignis des Kreuzes bestimmt ist. Bevor man zur Erörterung solcher Problemzusammenhänge weiterschreitet, ist es aber ratsam, zuerst die grundsätzliche Frage zu beantworten, in welcher Weise die Übereinstimmung bzw. die Nichtübereinstimmung des Theologiebegriffs oder einer theologischen Erkenntnislehre mit Grundsätzen materialer Dogmatik zu denken ist. Hier entscheidet sich – es sei nur noch einmal an die jeweils auf ihre Weise von einer Übereinstimmung ausgehenden Programme von P. Tillich 289 Vgl. z.B. B. WALDENFELS, Lebenswelt zwischen Alltäglichem und Unalltäglichem, 107-118. 290 Vgl. dann die Aufnahme in den Kulturbegriff bei M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt. 291 Vgl. E. ROSENSTOCK-HUESSY an F. Rosenzweig (in: F. Rosenzweig, Briefe, 680): „Alle Offenbarung ist maßgebliches, sinnlich wahrnehmbares Geschehen, also eine contradictio in adjecto für den Kantianer.“ (Hervorheb. gestrichen) 292 Damit ist bereits auf die nachfolgend entfaltete Position verwiesen, vgl. 3.2. (These 7) u. 3.6. (These 20). 293 Interessanterweise führt Dalferth selbst das hier Geforderte hinsichtlich der Fassung des Kontingenzbegriffs durch; er wird von der Kontingenz der Kreuzes her reformuliert: I.U. DALFERTH / P. STOELLGER, Einleitung: Religion als Kontingenzkultur, 38-44.

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oder E. Herms erinnert – die implizite Grundstruktur eines systematisch-theologischen Entwurfs. Was als Gegebenheitsweise des theologischen Gegenstands gefasst wird, bleibt davon ebenso wenig unberührt wie schließlich die Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche.294 Es legt sich deshalb zur Klärung der eigenen Position nahe, sich über die genannte Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung als einer bedeutenden theoretischen Voraussetzung zuerst Klarheit zu verschaffen. Bei Dalferth jedenfalls – das sei noch einmal im Blick auf die Themenstellung der Untersuchung festgehalten – schlug sich die Übereinstimmung in einem Theologieprogramm nieder, für welches der theologische Gegenstandsbezug zur Wirklichkeit Gottes bzw. zur Selbstkommunikation Gottes im Evangelium ein kritisch-konstruktives Verhältnis zur Kirche impliziert, Theologie darum in ihrer kirchlichen Funktion nicht aufgehen kann.295 Diesbezüglich steht Dalferths Entwurf in einer gewissen Strukturanalogie zu den in der Einleitung erwähnten Thesen von F. Traub.

294 Vgl. oben, 1.2.1. 295 Nachdrücklich in: Evangelische Theologie, 20f.

Umrisse einer staurologisch orientierten Verhältnisbestimmung

3. Umrisse einer staurologisch orientierten Verhältnisbestimmung in gegenwärtiger Verantwortung Mit der Frage der Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche steht zugleich die Frage der Bestimmung des Theologiebegriffs und die Frage des Verständnisses von Kirche und deren Aufgaben zur Debatte. Die komplexen Zusammenhänge dieser und weiterer Bestimmungen konnten als Netz von Interdependenzen bereits im Anschluss an die Analysen des ersten Teils vorgeführt werden (1.2.). Darstellung und Erörterung der beiden Positionen von W. Gräb und I.U. Dalferth im zweiten Teil dienten unter anderem zur Bestätigung und zur Vertiefung dieser Zusammenhänge. Bewusst wurden zwei weit auseinander liegende und sich in ihren Traditionszusammenhängen gegenüberstehende Positionen gewählt, welche jeweils in ihrer Art und Weise auf gegenwärtige Problemkonfigurationen antworten. Angesichts der hier notwendig gewordenen Erörterungstiefe liegt es auf der Hand, dass die folgenden Ausführungen lediglich den Charakter von „Umrissen“ haben können. Sie entsprechen damit dem Duktus der Arbeit, sich auf theorieimmanente Zusammenhänge und zum Zweck einer problemorientierten Vergleichbarkeit auf Gesamtkonfigurationen zu richten. Das bringt es mit sich, dass Einzelfragen und -probleme nur bis zu einem gewissen Grad verfolgt werden können. Es handelt sich im Folgenden um den Versuch einer stringenten Entwicklung aus einem Kerngedanken, welcher eine Vielzahl der in der bisherigen Analyse aufgeworfenen Fragestellungen in sich aufgenommen hat und in Anknüpfung und Widerspruch an die untersuchten Positionen entworfen ist. Dabei wird Wert darauf gelegt, dass unbeschadet dessen, dass für eine systematisch-theologische Konzeption ein eigener Begründungszusammenhang zu entfalten ist, der Ausgangspunkt auch im Blick auf Ergebnisse der neutestamentlichen und der kirchengeschichtlichen Disziplinen als begründungsfähig gelten kann. Von ihm her gilt es dann allerdings, das weitere Problemfeld einer gegenwärtigen Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche zu bearbeiten und auch im Blick auf deren Verhältnis zu Kultur und Lebenswelt Leitlinien zu gewinnen.

Der Selbstapplikationsgrundsatz

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Die kursiv gesetzten Thesen sollen Inhalt und Struktur des Umrissenen herausstellen; zu ihrem genaueren Verständnis ist der Zwischentext – vor allem im Blick auf die wichtigsten Begriffsklärungen – notwendig. Der Selbstapplikationsgrundsatz

3.1. Der Selbstapplikationsgrundsatz 1. Konstitutiv für die prinzipielle Verfasstheit der Theologie ist das Erfordernis einer Selbstapplikation. Systematisch-theologisch bedeutet dies: Was Theologie materialdogmatisch im Grundsatz weiß, kann für ihre prinzipielle Verfasstheit nicht als außer Kraft gesetzt gelten. Dieser formale Grundsatz1 wird von nicht wenigen Autoren der untersuchten Konzeptionen in Anspruch genommen: nicht nur von K. Barth, sondern auch von so verschiedenen Theologen wie P. Tillich, W. Pannenberg, E. Herms oder I.U. Dalferth. Dass W. Gräb ihn weitgehend abblenden muss, wurde als Problematik seines kulturprotestantischen Entwurfs bereits markiert: Sie resultiert daraus, dass der Angleichung an prinzipielle Vorgaben einer Religions- und Kulturtheorie die Verflüssigung bzw. Entsubstantialisierung materialdogmatischer Gehalte korrespondiert (2.1.5.). Gleichwohl wirft seine Vorgehensweise Licht auf die Problematik des hier verfolgten Grundsatzes: Es muss geklärt und theologisch reflektiert werden, welche materialdogmatischen Gehalte so positiviert werden, dass sie auf den Theologiebegriff durchschlagen – und es muss ebenso geklärt und theologisch reflektiert werden, wie sie dies tun.2 In nicht wenigen Fällen konvergiert die Beantwortung der ersten Frage im Geltendmachen der Rechtfertigungslehre, während die Divergenzen dann vor allem die zweite Frage betreffen. Tillichs Prinzipialisierung oder Herms’ Ontologisierung der Rechtfertigungslehre sind dafür extreme Beispiele – solche allerdings, welche

1 2

Zu seiner Formulierung und seiner Bedeutung vgl. schon die Hinweise oben, 2.1.5. Diese Frage ist auch deshalb nicht unerheblich, weil sich die Negation der Selbstanwendung materialdogmatischer Gehalte selbst als Form der Selbstapplikation darstellen kann. Lehrreich ist in dieser Hinsicht die Position Troeltschs. Wie gezeigt (vgl. 1.1.4.), ergibt sich eine undogmatische Umformung bzw. eine Anpassung materialdogmatischer Gehalte aus einer Kompatibilität, welche die Entwicklung des Christentums selbst kennzeichnet und insofern seinem (neuprotestantischen) Wesen entspricht. Die Position Troeltschs belegt außerdem, dass die Aufgabenformulierung einer undogmatischen Dogmatik, nämlich eine „einheitliche praktisch-religiöse Lebensrichtung zu formulieren“ (E. TROELTSCH, Rückblick, 205), mit einer auf die Selbstbestimmungsfreiheit von Subjektivität abgestellten Paulus- und Lutherinterpretation zusammengehen kann.

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erhellen, dass eine starke Form der Selbstanwendung durchaus mit einer starken Form der Wahrnehmung des Religiösen in der Kultur zusammengehen kann. Daraus vermag man bereits den Hinweis entnehmen, dass auf das Erfordernis der Selbstanwendung in der Theologie zu beharren nicht an sich schon mit der simplifizierenden Unterstellung einer Selbstghettoisierung verbunden werden kann. 2. Die Problematik des Selbstapplikationsgrundsatzes besteht nicht nur darin, dass er sich selbst materialdogmatisch ausweisen können muss (etwa durch eine Verhältnisbestimmung von Pneumatologie und Erkenntnislehre). Sie besteht vor allem darin, dass zunächst offen ist, an welchen materialdogmatischen Grundsätzen sich die prinzipielle Fassung des Theologiebegriffs orientieren, vor allem aber, wie deren Entsprechung gedacht werden soll. Der genannte Grundsatz – als Entsprechungsforderung verstanden – scheint weitgehend offen zu sein. Allerdings bekommen unter seiner Voraussetzung theologische Auseinandersetzungen so etwas wie eine Diskursregel: Eine Auseinandersetzung mit K. Barths Ablehnung der Mindestforderungen von H. Scholz kann beispielsweise auf die Frage fokussiert werden, ob jene Ablehnung in Übereinstimmung mit der von Barth explizit auf dem Gebiet theologischer Erkenntnis angewandten Rechtfertigungslehre steht oder nicht.3 Außerdem ist theologischer Reflexion unter der Voraussetzung des Selbstapplikationsgrundsatzes die Frage einer Begrenzung der Selbstanwendung bereits eingezeichnet: Die erwähnte Prinzipialisierung der Rechtfertigungslehre bei P. Tillich wäre daraufhin zu diskutieren, ob sie nicht einer Deduktion folgt, welche der Selbstanwendung – etwa im Blick auf die Rechtfertigung des Gottesleugners oder auf die Zuordnung des Profanen zum Heiligen – letztlich zuwiderläuft. Das wäre dann der Fall, wenn man zur Überzeugung käme, dass in der auf Prinzipialisierung ausgerichteten Anwendung basale Differenzen der Rechtfertigungslehre eingezogen würden. Unbeschadet dessen also, dass die Durchführung der Selbstanwendung von den zugrunde gelegten materialdogmatischen Gehalten abhängig ist, lässt sich doch eine solchermaßen bestimmte Art der Selbstanwendung durch erneute Selbstanwendung des materialen Topos diskutieren und prüfen.

3

Schon vorausblickend sei gesagt, dass auch die existentielle Universalisierung des Kreuzes in Luthers Kreuzestheologie auf ihre Selbstanwendung befragt werden kann. Es ist beispielsweise zu fragen, warum vorzüglich das Selbstrechtfertigungsstreben, nicht aber der Selbsthass bzw. die humilitas der Kategorie des sündigen Missbrauchs unterstellt wird. In Luthers frühen Schriften gerät die Erniedrigung bekanntlich in die Nähe einer Disposition zum Gnadenempfang.

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3. Der Vorteil des Selbstapplikationsgrundsatzes besteht nicht nur darin, spezifisch theologische Diskurse zu ermöglichen. Als zumindest eine notwendige Bedingung einer theologischen Theologie können in seinem Licht bereits Anwendbarkeits- und Utilitätsforderungen seitens der Kirche wie Effizienzforderungen seitens der gesellschaftlichen Öffentlichkeit kritisch betrachtet werden. In diesem Sinne gilt pointiert formuliert: Ohne die konstitutive Rolle der (Rück-) Kopplung mit der Anwendungsebene zu missachten, geht für die Theologie Selbstanwendung vor Anwendung bzw. Anwendbarkeit.4 Ist der Selbstapplikationsgrundsatz konstitutiv für die Theologizität der Theologie, so muss diese nicht mehr allein durch Außenabgrenzungen, etwa gegenüber der Philosophie oder den Gesellschaftswissenschaften bestimmt werden. Dass in genetischer oder kontextueller Hinsicht bzw. in der theoretisierten Form des Entdeckungszusammenhangs5 Rezeptions- und Abstoßungsmechanismen eine bedeutende Rolle spielen können, ist damit nicht bestritten. So mag man auch behaupten können, dass – um ein signifikantes Beispiel herauszugreifen – unter den Bedingungen der Weimarer Zeit zum Zweck der Selbstpositionierung und Selbststeuerung der Kirche Theologisierungs- und Verkirchlichungsstrategien aufgeboten wurden, welche mit einer sozialontologischen Prinzipialisierung der Ekklesiologie einhergingen.6 Ob aber solche Strategien als fragwürdige Abkapselungsversuche zu beurteilen sind, kann sich nicht allein aus der Erschließungsleistung für empirische Repräsentanzformen der Kirche ergeben. Die Beurteilung muss auf die Frage nach der Ausweisbarkeit und nach der theologischen Begründung der in jenen Konzeptionen vollzogenen Selbstanwendung zurückführen, sie führt damit aber auf eine theologische Reflexionsebene über der theologischen Theoriebildung. Auf ihr kommt zum Austrag, dass das Problem der Theologizität der Theologie theologisch zu bearbeiten ist. 4. Die Aufgabe einer theologisch konzipierten Position besteht nun immer darin, sich über die Umsetzung dessen, was gemäß des Selbstapplikationsgrundsatzes im Bereich theologischer Prinzipien- und Erkenntnislehre Anwendung finden soll, und über den Umsetzungsprozess selbst biblisch-reformatorisch Rechenschaft abzulegen. Im Blick auf die Rechtfertigungslehre, 4 5 6

Theologisch gesprochen geht es um den Sachverhalt, sich selbst und der Verantwortung vor Gott treu zu bleiben. Zur Rückkopplung vgl. z.B. unten, S. 457, 468f., 485ff. Um die von G. Sauter in die Theologie eingeführte wissenschaftstheoretische Terminologie aufzunehmen. So im Anschluss an T. Rendtorff vorgetragen von G. PFLEIDERER, Gemeinschaft der Gesellschaft, v.a. 208-211. 236-239.

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die nach lutherischem Verständnis grundlegende kriteriologische Bedeutung hat, liegt eine solche Anwendung auf das Gebiet theologischer Erkenntnis bereits par excellence vor: in der Theologia crucis. Sie wird deshalb zur kriteriologischen Grundlegung des im Folgenden zu entwickelnden Theologiebegriffs und der Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirche genommen. Mit dieser These ist markiert, dass sich die vorgelegten Umrisse begründet und zugleich positional vollziehen. Wollte man nach einer Anknüpfungsmöglichkeit im Bereich der in den vorigen Teilen analysierten Positionen suchen, so kämen, was den Ansatzpunkt betrifft, am ehesten die Überlegungen H.J. Iwands (1.1.7.1.) in Betracht. Wichtiger erscheint, dass eine diesbezüglich biblisch-reformatorisch verantwortbare Position sich tatsächlich neutestamentlich und kirchengeschichtlich verantworten lässt und zugleich ein gegenwartsbezogenes Problemlösungspotential mit sich führt. Metatheoretisch von der Theologia crucis auszugehen und eine Kriteriologie zur Bestimmung von Theologie und Kirche dementsprechend dem Wort vom Kreuz abzugewinnen, dies birgt einige Missverstehensmöglichkeiten in sich. Klärungen werden sich im weiteren Verlauf der Entfaltung ergeben – dennoch sei auf einige entscheidende Punkte bereits vorab verwiesen. Zunächst: Nicht die Theologia crucis selbst bzw. eine bestimmte Fassung derselben wird als Kriterium in Anspruch genommen, sondern das Wort vom Kreuz. Erstere bildet eine fallible kriteriologische Metatheorie, die an Letzterem zu messen ist. Es kann daher also auch keinesfalls darum gehen, eine bedingte Lehrgestalt zu einer unbedingten zu erklären.7 Für die nähere Bestimmung des Wortes vom Kreuz wiederum ist Differenz und Zusammengehörigkeit von konstitutivem Erschließungsmodus (das Wort) und Widerpart der Erschließung (der Gekreuzigte) geltend zu machen. Dies kann erkenntnistheoretisch expliziert werden (Thesen 19f.). Sodann: Der Selbstapplikationsgrundsatz für die prinzipielle Verfasstheit von Theologie ist zunächst weit gefasst, so dass sich auch die Abbildung von Inhalten etwa aus den Gebieten von Hamartiologie, Christologie und Pneumatologie nahe legt und mit guten Gründen auch vollzogen werden könnte. Eine umfassende Prinzipialisierung

7

Vgl. zum Wort vom Kreuz als Aufhebung jeder endlichen und bedingten Form P. TILLICH, Kirche und Kultur, 42: „Auch das Wort vom Kreuz wurde Religion in dem Augenblick, wo es erging, und es wurde Kultur in dem Augenblick, wo es vernommen wurde. Aber das ist seine Größe und der Erweis seiner offenbarerischen Unbedingtheit, daß es die Religion und die Kultur, die von ihm spricht, immer wieder verneint und in sich selber aufhebt.“

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müsste sich allerdings der Gefahr einer kohärentistischen Selbstabschließung gewahr sein, welche die auch anderen Diskursteilnehmern zugängliche referentielle Bezugsebene zu missachten droht. Grundsätzlich in den Blick kommt dieser Problemkreis im philosophischen Zusammenhang von R. Brandoms Inferentialismus (These 22) und im theologischen Zusammenhang von Bonhoeffers Vorstellung des Vorletzten (Thesen 11. 16f.). Hier jedoch steht er nur in mittelbarer Weise zur Erörterung. Gewissermaßen prinzipienarm und prinzipienkritisch bezieht sich die Selbstapplikation nämlich im vorliegenden Fall auf die Frage des Kriteriums. – Zu ihrer Beantwortung wird in lutherischem Verständnis in der Regel die Rechtfertigungslehre herangezogen. Zum Zweck der Reflexion einer solchen Anwendung ist es wiederum erhellend, dass im Blick auf die Rechtfertigungslehre eine Anwendung auf das Gebiet theologischer Erkenntnis (und darüber hinaus etwa auf das Gebiet der Ekklesiologie) in Schrift und Tradition bereits vorliegt – in der Theologia crucis. Die Selbstanwendung ist in dieser Hinsicht nicht erst zu konstruieren, sondern für die gegenwärtige Verantwortung und die vorliegende Fragestellung zu rekonstruieren und zu reflektieren. Schließlich: Es ist in vielen Fällen bereits ein Zeichen einer einseitigen Fassung der Theologia crucis, wenn man meint, sie durch eine Theologie der Auferstehung, eine Theologie der Schöpfung oder eine Theologie des Segens korrigieren zu müssen. Denn dabei wird nicht selten übersehen, dass es sich um ein Kriterium handelt, das wie die genannten so auch andere theologische Felder nicht negiert bzw. der Vernachlässigung anheim stellt, sondern innerhalb ihrer in differenzbildender Weise geltend zu machen ist bzw. einen angemessenen Zugang zu ihnen überhaupt erst ermöglicht. Im Blick auf die Rechtfertigungslehre ist – immer wieder auch als wirkungsgeschichtliche Korrektur – zu Recht festgestellt worden, dass sie als durch den im gekreuzigten und den Sünder rechtfertigenden Christus begründeten „Häuptartikel“ zu behaupten8 keineswegs eine Reduktion darstellt, welche der schöpfungstheologischen Thematisierungsfähigkeit der Theologie entgegenstünde.9 Auch ein kreuzestheologischer Ansatz, welcher in kriteriologischer Hinsicht damit ernst macht, dass das Kreuz Christi Grund und „Angelpunkt“10 christlicher Theologie ist, muss keinesfalls einer weiten theologischen und kulturtheoretischen Thematisierungs-

8 9 10

ASm II,1 (BSLK 415,6). Vgl. in klassischer Weise E. SCHLINK, Verborgenheit Gottes, 202-221; außerdem M. BEINTKER, Schöpfercredo, 1-17. So der Neutestamentler U. LUZ, Theologia crucis, 116; ähnlich J. ZUMSTEIN, Wort vom Kreuz, 31; vgl. weiter den Untertitel von J. MOLTMANN, Der gekreuzigte Gott.

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und Kommunikationsfähigkeit verlustig gehen.11 An dieser Stelle wird gegebenenfalls einem undialektischen Gebrauch des Begriffspaars Torheit des Kreuzes / Weisheit der Welt entgegenzutreten sein. Im Folgenden wird daher auch insbesondere zu zeigen unternommen, dass eine Orientierung an der Theologia crucis zu einer theologischen Wissenschaft als einer ‚offenen Wissenschaft’ führt, die fähig ist, ihr Wechselverhältnis zur Kultur- und Lebenswelt sowie zu eigenständigen Außenperspektiven konstruktiv-kritisch zu bestimmen. 5. In reflexionstheoretischer und wissenschaftstheoretischer Hinsicht macht es das Voraussetzen des Selbstapplikationsgrundsatzes zu klären erforderlich, ob und wie Theologie an materialen Überzeugungen einer (christlichen) Überzeugungsgemeinschaft partizipieren und so einen Ort innerhalb ihrer einnehmen, zugleich aber der Überzeugungsgemeinschaft wie den Überzeugungen selbst reflexiv-kritisch gegenübertreten und nach ihrer Wahrheit fragen kann – und zwar in einer Weise, die den Ort wissenschaftlicher Theologie an der Universität begründet erscheinen lässt. Von Bedeutung ist diesbezüglich die Einsicht, dass eine reflexive Distanzierung von den Kommunikationsvollzügen und -inhalten der an bestimmten (christlichen) Überzeugungen Partizipierenden und von der mit diesen Vollzügen verbundenen Beschreibungsperspektive unter Gesichtspunkten erfolgen kann, welche den internen Vollzügen bzw. Beschreibungen selbst entnommen sind (stärkere Variante) oder sich an ihr zumindest zu bewähren haben (schwächere Variante). Die mit dieser These angesprochene Problematik fand im analytischen Teil eingehende Beachtung.12 Bei F. Schleiermacher ist es die ‚Philosophische Theologie’, welche durch die Bereitstellung von Begriffsbestimmungen eine Reflexionsleistung „über dem Christentum“ erbringt. Diese Begriffsbestimmungen haben sich aber an der von der Dogmatik explizierten internen Perspektive zu bewähren.13 K. Barth bietet eine stärkere Variante der Übereinstimmung von wissenschaftlicher Reflexion und (kirchlicher) Kommunikation, wenn sich die Dogmatik selbst, in der Position der hörenden und lehrenden Kirche, dem unverfügbarem Gegenstand – freilich im Medium sprachlich und textlich fixierter 11

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R. PRENTER, Zur Theologie des Kreuzes, 258ff., grenzt Luthers Kreuzestheologie von einer einseitigen Konzentration auf den zweiten Glaubensartikel ebenso ab wie von einer Zweiteilung der Wirklichkeit in zwei Räume. Das Kreuz Christi gehöre in die profane Geschichte sowie in das alltägliche Leben des Menschen hinein. „Hier schließt die Theologie des Kreuzes bei Luther eine Theologie der Schöpfung und der Geschichte ein. [...] Er kennt nicht die moderne Kluft zwischen der Theologie des ersten und der Theologie des zweiten Artikels.“ (ebd., 260) Vgl. zum Positivismusproblem insbesondere 1.2.1., Abschnitt a. Vgl. 1.1.1.

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Sätze – auszusetzen hat. Die dogmatische Reflexion folgt kriteriologisch damit dem Anspruch, der den inhaltlich bestimmten Kommunikationsvollzügen (hier: der kirchlichen Verkündigung) selbst entnommen ist.14 G. Sauter hat die reflexive Distanzierung noch stärker an die theologische Objektsprache zurückgebunden und dadurch auch zurückgenommen,15 während I.U. Dalferth, die Programmatik analytischer Ontologie aufnehmend, das reflexiv-kritische Potential der Leitfrage nach der Wirklichkeit Gottes abgewinnt. Dabei kann jedenfalls seine Verbindung eines internen Rationalitätsverständnisses mit einem wahrheitstheoretischen Externalismus analytisch-philosophische Plausibilität beanspruchen.16 Bei T. Rendtorff stellt sich der Sachverhalt völlig anders dar, wenn er – letztlich R. Rothe folgend – die interne Beschreibungsweise zu einer Welt des neuzeitlichen Christentums entgrenzt und es zur Aufgabe der Theologie macht, die gesamte moderne Gesellschaft unter den Bedingungen der christlichen Religion zu begreifen.17 Reflexionstheoretisch ließe sich die damit angezeigte Problematik wie diejenige des Selbstapplikationsgrundsatzes überhaupt auch auf dem Hintergrund der bereits mehrfach erwähnten Systemtheorie N. Luhmanns, insbesondere seines Verständnisses von Selbstbeschreibung und Reflexionstheorie diskutieren:18 Die als Reflexionswissenschaft der organisierten christlichen Religion (Kirche) definierte Theologie sieht ihre Selbstbeschreibungen (Dogmatiken) mit den Fremdbeschreibungen anderer Teilsysteme konfrontiert, welche Religion in einer leistungsorientierten Perspektive thematisieren.19 Sie wird darüber zu ei14 15 16 17 18

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Vgl. 1.1.5. Vgl. 1.1.7.3. Vgl. die ausführliche Skizze 2.2.4.1. Vgl. 1.1.7.2. Vgl. 1.2.4.1. Ein Theorieimport ist an dieser Stelle in keiner Weise beabsichtigt (vgl. dazu kritisch H.-U. DALLMANN, Von Wortübernahmen, 222ff.), es handelt sich um einen vergleichenden Blick auf eine in der Systemtheorie in gewisser Hinsicht analoge Differenz. Die dortige Fassung der Differenz (inklusive der mit ihr verbundenen Problematik) kann in heuristischer Verwendung durchaus dann auch zur Erhellung der vorliegenden Fragestellung bzw. etwaiger Lösungsversuche dienen. Eine Selbstbeschreibung ist eine Reflexion eines Systems im System, welche auf äußere Herausforderungen mit einer internen Verarbeitung bzw. Schließung reagiert, vgl. N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 340, v.a. aber ders., Gesellschaft der Gesellschaft, 879ff. Im Fall der Religion geschieht dies z.B. durch die Dogmatik, etwa in der Formulierung einer Zwei-Reiche-Lehre, der Aufnahme des Religionsbegriffs oder des Säkularisierungstheorems. Zum nicht immer durchsichtigen Verhältnis von Selbstbeschreibung und Reflexionstheorie vgl. N. LUHMANN, Wissenschaft der Gesellschaft, 469ff.; ders., Gesellschaft der Gesellschaft, 964ff.; u. A. KIESERLING, Soziologie der Selbstbeschreibung, 45ff. Kieserlings Differenzierung von Selbstbeschreibung und Reflexionstheorie scheint mir plausibler zu sein als diejenige von M. LAUBE, Beobachtung, 178ff.

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ner Reflexionstheorie, welche – auf der Ebene der Beobachtung dritter Ordnung – eine Theorie des Systems im System bleibt, insofern sie sich dessen interner Perspektive anschließt, zugleich aber Religion und deren Selbstbeschreibung zum Gegenstand hat. In Luhmannscher Terminologie handelt sich um eine Selbstanwendung des Codes, ohne dass damit eine codierte Operation vorläge. Die Orientierung an der Identität des Systems und die damit übernommenen systemeigenen Plausibilitäten können so dann auch in gewisser Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Teilsystemen vertreten werden. Dies betrifft nicht nur die Theologie, ebenso verhält es sich mit den Reflexionstheorien anderer Teilsysteme, etwa den Reflexionstheorien des Rechts, der Politik oder der Wirtschaft. Wie alle anderen Reflexionstheorien konvergiert aber auch die Theologie als Reflexionstheorie im Bemühen um Wissenschaftlichkeit – und das heißt zunächst: um die kontrollierte Zuweisung von wahr und falsch. Dies eröffnet auf der einen Seite eine diskursive Vergleichbarkeit und die Möglichkeit partieller Anschlussfähigkeit. Auf der anderen Seite droht zwar nicht mit dieser Differenz (von wahr und falsch) an sich, aber mit den damit verbundenen Kompetenzzuschreibungen der Reflexionstheorie eines Teilsystems, nämlich desjenigen der Wissenschaft, eine problematische Führungsrolle aufgebürdet zu werden.20 Man mag dabei nicht nur an das denken, was der späte Husserl als umfassende theoretische „Mathematisierung“ diagnostizieren zu können meinte,21 sondern zunächst an die Tendenz der Reflexionstheorie der Wissenschaft, der Wissenschaftstheorie also, nicht anschlussfähige Konzeptualisierungsgrundlagen anderer Teilsysteme negativ zu kategorisieren – etwa durch die Bezeichnung „irrational“. So betrachtet muss allerdings auch umgekehrt gesagt werden, dass die Führungsrolle der Wissenschaftstheorie letztlich gerade durch die Ansprüche der Reflexionstheorien der anderen Teilsysteme zementiert wird: Diese wollen eine wissenschaftliche Theorie sein. In der daraus resultierenden Auseinandersetzung um die Ansprüche des Wissenschaftlichen steht für die Reflexionstheorien anderer Teilsysteme nicht selten ihre eigene Legitimität auf dem Spiel, während der wissenschaftliche Anspruch des Wissenschaftssystems selbst oder auch derjenige des Reflexionssystems des Wirtschaftssystems durch das Auswechseln von Wissenschaftstheorien kaum berührt wird. In diesen Zusammen-

20 21

Vgl. zur Anschlussfähigkeit allerdings die sorgsame Unterscheidung bei N. LUHMANN, Gesellschaft der Gesellschaft, 964, Anm. 167. Vgl. E. HUSSERL, Krisis, 20ff.

Der Selbstapplikationsgrundsatz

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hängen mag wiederum die erwähnte mathematisierte Theorieform von Bedeutung sein.22 Diese soziologisch behaupteten Zusammenhänge sind diskussionsbedürftig, beispielsweise hinsichtlich empirischer Anfragen.23 Im Blick auf die spezifisch Luhmannschen Begrifflichkeiten von Reflexionstheorie und Selbstbeschreibung ist außerdem zu klären, inwiefern Reflexionstheorien nicht nur beobachtungstheoretisch den binären Code des zugrundeliegenden Systems übernehmen, sondern sich den systemeigenen Selbstbeschreibungen und material ausgeführten Plausibilitäten loyal und affirmativ gegenüber verhalten.24 Sie hätten dann vorrangig die Funktion einer systemeigenen Rekonstruktions- und Begründungswissenschaft. Der kritische Impuls auf die systemeigenen Unterscheidungen träte dann zurück. Unbeschadet solcher mit der angezeigten Problematik verbundenen Herausforderungen – auf sie gibt die folgende Entfaltung implizit auch eine Antwort – kann der systemtheoretische Zugang zum Reflexions- und Wissenschaftsproblem in heuristischer Hinsicht zur Erhellung dessen beitragen, was bei der Diskussion um den Ort der Theologie an der Universität zur Debatte steht.25 Reflexionstheoretisch bietet die Theologie (analog den wissenschaftlichen Reflexionstheorien der anderen Funktionssysteme) eine problemorientierte und begrifflich ausgearbeitete Theorieform, die beides ermöglichen soll: Sie gestattet eine diskursive Vergleichbarkeit – sie stützt sich auf systemeigene Unterscheidungen bzw. passt zu ihnen. Letzteres steuert dabei dann auch die Anschlussfähigkeit und die Kontradiktionsfähigkeit im Verhältnis zu den anderen wissenschaftlichen Reflexionstheorien. Es kann ein Zeichen der Hypostasierung einer gesellschaftlichen Einzelfunktion sein, wenn die Anschlussfähigkeit an sie bzw. deren Reflexionstheorie auf Kosten der Übereinstimmung mit den 22 23 24 25

Vgl. A. KIESERLING, Soziologie der Selbstbeschreibung, 48ff. 60ff.; J.F.K. SCHMIDT, Differenz der Beobachtung, 12f. 16f. Vgl. K. KNORR CETINA, Zur Unterkomplexität der Differenzierungstheorie, 406ff. Vgl. N. LUHMANN, Gesellschaft der Gesellschaft, 965. Vorausgesetzt wird dabei, dass die mit der Ausdifferenzierung operativ geschlossener Teilsysteme behauptete Autonomie nicht gegen Interdependenzen zwischen ihnen spricht. Man kann vielmehr behaupten, dass mit wachsender Ausdifferenzierung auch der intersystemische Koordinationsbedarf wächst, vgl. dazu grundlegend K. BENDEL, Funktionale Differenzierung, 261ff. Damit ist auch zu einem wichtigen Punkt der Auseinandersetzung um Luhmanns Theoriebildung Stellung genommen. Die genannten Interdependenzen betreffen in Sachen Windkraftwerke bzw. Kernkraftwerke und deren ökologischer Einschätzung mindestens die Bereiche Politik, Recht und Wirtschaft, vgl. N. LUHMANN, Protest, 57. Im Übrigen kennt Luhmann auch Mischformen, etwa religiöse Bewegungen, die zugleich politische Bewegungen sind, vgl. ders., Religion der Gesellschaft, 224f.

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(näher zu bestimmenden) systemeigenen Unterscheidungen gesucht werden soll. Im Falle des Wissenschaftssystems besteht die Gefahr, dass Religion dann in einer leistungsorientierten Fremdperspektive, etwa der des rationalen Erkenntnisfortschritts, gemessen würde. Analoges gälte für die ökonomische oder die politische Perspektive: Die Politik kann danach fragen, welche religiöse Bewegungen politisch gefährlich sind, und Religion nach ihrer Leistung als politisches Stabilisierungs- bzw. Destabilisierungsmittel bewerten. Gewichtig erscheint gegenwärtig der Anspruch der Wirtschaft, insofern in deren Reflexionsperspektive Familie als Reproduktion von Arbeitskraft und Bildung als Ausbildung für das Wirtschaftssystem unter Effizienzgesichtspunkten betrachtet und bewertet wird. Die Hypostasierung dieses Anspruchs stellt die theologischen Fakultäten (wie andere geisteswissenschaftliche auch) dann vor das Problem, dass sich ihr Bildungsauftrag der vordergründigen Nutzenmaximierung entzieht.26 Man kann einen grundlegenden Beitrag der Interdisziplinarität einer Universität schon darin erblicken, dass sie es erlaubt, leistungsorientierten Fremdbeschreibungen systemeigene Selbstbeschreibungen von Reflexionstheorien gegenüber zu stellen. Es ginge dann nicht nur um das Bereitstellen von Anschlüssen, sondern auch um die gebotene Kontradiktionsfähigkeit im Blick auf die erwähnten Hypostasierungstendenzen.27 Unter der Voraussetzung einer damit verbundenen wissenschaftlichen Kommunikationsfähigkeit sind dabei zumindest mittelbar auch (wechselseitige) Anstöße denkbar, die in die Selbstbeschreibung eingehen und dabei vor allem die Reflexion von Negationsmechanismen betreffen. Im Bereich der Wissenschaftstheorie hat sich beispielsweise die Negativkategorie „irrational“ zu einer Pluralisierung des Begriffs der Rationalität hin verändert und entspricht so weit mehr dem wissenschaftlichen Anspruch anderer Reflexionstheo26 27

Vgl. H. SCHMOLL, Bildungsauftrag, 533. Vgl. zum Verhältnis von Soziologie und Theologie N. LUHMANN selbst in: ders., Unterscheidung Gottes, 252: „Der Dialog muß erschwert, nicht erleichtert werden. Das verlangt der Respekt vor den ‚Eigenwerten’ des anderen Systems. Aber Erschweren heißt nicht Ausschließen. Und Kommunikation heißt nicht notwendig Konsensfindung. Ja, vielleicht ist sogar Dissensfindung das vorherrschende Interesse, damit jede Seite umso mehr darüber nachdenken kann, weshalb sie der anderen unaufgebbare, mit der Autopoiesis ihres eigenen Systems verknüpfte Positionen entgegenzusetzen hat.“ In neueres Dialogfeld ersten Ranges ist in dieser Hinsicht sicherlich die Ethik, insofern hier anerkanntermaßen nicht lediglich systeminterne Probleme zur Bearbeitung anstehen. Was die Theologie betrifft, ließe sich der positive Sinn der Kontradiktionsfähigkeit anhand E. Jüngels Bild des „Narren“ oder anhand E. Buseks Vergleich mit der Funktion eines musikalischen Kontrapunkts diskutieren; vgl. E. JÜNGEL, Theologie als Narr, 60ff.; E. BUSEK, Erwartungen eines Politikers, 29.

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rien, als dies noch in Zeiten des logischen Empirismus der Fall war. Die ökonomische Negativkategorie „ineffizient“ hat einen solchen Reflexionsprozess noch nicht durchlaufen, wenngleich Interdependenzen etwa hinsichtlich der Thematisierung ökologischer Themen in der Wirtschaft zugenommen haben.28 Inwiefern es auch für die Theologie als erforderlich angesehen werden muss, nicht jede Abweichung von der eigenen Beschreibungsperspektive einlinig einer Negativkategorie zu unterstellen („Sünde“, „Gesetz“) wird in den Thesen 11 und 17 erörtert werden. Durch ihren universitären Ort sind jedenfalls diskursive Anstöße möglich, welche als Anzeichen der Aufgabe verstanden werden können, die Innen-Außen-Differenz in einer kontrollierten und begründet erscheinenden Weise so zu bearbeiten, dass dabei interne Differenzen (z.B. simul iustus et peccator) Anwendung finden. Unabhängig vom Ertrag interdisziplinärer Diskurse legitimiert die Universität als Verbund von institutionalisierten Reflexionstheorien den Sachverhalt, dass sich die einzelnen Reflexionstheorien von den direkten Kommunikations- und Handlungsvollzügen des Teilsystems unterscheiden dürfen. Gegenüber dem praktischen Vollzug dürfen sie Theorie sein. Diese Differenz wird dann wiederum intern als Spannung von Theorie und Praxis abgebildet und bearbeitet.29 Theologia crucis als kriteriologische Metatheorie

3.2. Theologia crucis als kriteriologische Metatheorie 6. In welcher Weise Theologia crucis als Selbstapplikation beschreibbar wird, lässt sich zunächst neutestamentlich erhellen: Formuliert Paulus die Botschaft von der Heilstat Gottes in Kreuz und Auferweckung Christi im Galater- und Römerbrief in den Begrifflichkeiten der Rechtfertigungslehre, gibt ihm die Gemeindespaltungen verursachende Weisheitshypertrophie der Korinther Anlass, sie in der erkenntnistheoretischen Form der Kreuzestheologie als kriteriologische Metatheorie paradigmatisch zu entfalten. Das Wort vom Kreuz wird zum fundamentalen Kriterium dafür, was theologisch genannt zu werden verdient, und damit zur Bedingung der Möglichkeit von Theologie überhaupt.

28 29

Vgl. zur Problematik der These einer reflexiven Modernisierung grundsätzlich B. GILL, Reflexive Modernisierung, 182ff. Vgl. A. KIESERLING, Soziologie der Selbstbeschreibung, 64f. Die genannte Differenz bringt auch eine Abständigkeit zu widerstreitenden Interessen praktizierender Agenten(gruppen) mit sich, so dass von einer Vermittlungs- und Versachlichungsfunktion gesprochen werden kann, vgl. V. DREHSEN, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen, 122ff.

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Diese These30 gilt unbeschadet entwicklungsgeschichtlicher Einsichten über die Genese der paulinischen Kreuzestheologie, also insbesondere der Beantwortung der Frage, ob die Kreuzestheologie des 1 Kor unter dem Vorzeichen der ausformulierten Rechtfertigungslehre oder umgekehrt die Rechtfertigungslehre des Gal und Röm unter dem Vorzeichen der Kreuzestheologie zu lesen ist.31 Sie hält, ohne dies an dieser Stelle weiter erörtern zu können, außerdem die Meinung für begründet, dass zwischen der narrativen Gestalt der Kreuzestheologie bei Mk und ihrer argumentativen Gestalt bei Paulus kein Widerspruch besteht, sondern beide Gestalten sich gegenseitig ergänzen (vgl. Gal 3,1).32 Die Textanalyse von 1 Kor 1,18-25 hat im Kontext der Analyse von Kap. 1-4 davon auszugehen, dass der mit der Weisheitshypertrophie der Korinther einhergehende Personenkult Ursache für die von Paulus kritisierten Spaltungen darstellt. Diesbezüglich lässt es sich Paulus in seiner Argumentation allerdings versagt sein, einen Konsens auszumitteln. Gleichwohl werden die Divergenzen zunächst dadurch relativiert, dass zur Begründung für die Einheit des Christlichen auf den Gekreuzigten rekurriert wird.33 Dass Christus allein der Gekreuzigte ist, steht auch in Korinth nicht zur Disposition. An diesem Sachverhalt kann Paulus in seiner Argumentation – unter Zuhilfenahme traditioneller Überlieferung im Blick auf die christologische und soteriologische Bedeutung des Kreuzestods Christi (1 Kor 15,3-5) – ansetzen und ihn seiner in 1,18ff. argumentativ explizierten Differenz von Kreuzeslogos und Weltweisheit zugrunde legen. Das daraus entstehende Grundgerüst führt, wie etwa allein schon die Bedeutung des Wortfelds von 30

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Vgl. dazu F. LANG, Briefe an die Korinther, 27f.; W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 55f. 150. 161. Zur neutestamentlichen Bedeutung der kriteriologischen Funktion grundlegend: U. LUZ, Theologia crucis, 116-141; auch R. BAUMANN, Mitte und Norm, 280ff.; S. VOLLENWEIDER, Weisheit am Kreuzweg, 43f. („kriteriologische Metatheorie“). Außerdem E. KÄSEMANN, Heilsbedeutung des Todes Jesu, 61-107; P. BÜHLER, Kreuzestheologie und Soteriologie, v.a. 267; F. VOSS, Wort vom Kreuz, v.a. 135f. 272ff. Für die zuletzt erwähnte Version tritt TH. SÖDING, Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre, 158. 181, ein. Sachlich entschärft sich allerdings die Lage, wenn man mit K. HALDIMANN, Kreuz, v.a. 17-25, begrifflich differenziert zwischen „Wort vom Kreuz“ (als durchgehendes Zentrum paulinischer Theologie) und Kreuzestheologie bzw. Rechtfertigungslehre (als Artikulationen desselben). So U. LUZ, Theologia crucis, 116ff. Im Anschluss an diesen Aufsatz ist die Frage, inwiefern das „Wort vom Kreuz“ beanspruchen kann, als Mitte des ganzen Neuen Testaments zu gelten, mehrfach diskutiert worden; vgl. dazu auch G. STRECKER, Kreuz Jesu Christi, 248ff. Interessant scheint für den vorliegenden Zusammenhang auch die Verbindungslinie zur „Kontrastweisheit“ in der Verkündigung Jesu Mt 11,25-30 par., die P. STUHLMACHER, Biblische Theologie, 321, herausstellt. Das leuchtet bereits vor dem Beginn der eigentlichen Argumentation in 1,13b auf; vgl. dazu W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 153.

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‚Kreuz’ anzeigt, über die Tradition hinaus. Das Wort vom Kreuz ist für Paulus nichts anderes als das Evangelium in seinem dia- und metakritischen Anspruch.34 Damit ist nicht jede Weisheit und jede Philosophie verworfen, sondern diejenige, welche nach Kriterien einer eigenmächtigen Weltweisheit urteilt und so das Handeln Gottes im Gekreuzigten als töricht verwerfen muss (1,19f.).35 Das zeigt sich vor allem unter der Voraussetzung, dass man den Abschnitt 2,6-11 nicht als Entgegenkommen an die korinthischen Pneumatiker sondern – wie dies neuerdings meist geschieht – als positive Fortführung der antithetischen Argumentation von 1,18-25 versteht.36 Denn dann kann man die positive Bedeutung der Weisheit Gottes (über 1,24 hinaus) umfänglich zu Gesicht bekommen:37 Die göttliche Weisheit ist verborgen – und zwar präzis verborgen im Kreuz Jesu Christi (vgl. 2,7) – und muss durch den göttlichen Geist erschlossen werden (vgl. 2,10). Eine Rationalität des Begründens und Unterscheidens ist damit nicht negiert, sie erhält vielmehr mit dem Kreuz und dem dieses erschließenden Geist die Bedingung ihrer Mög-

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Während W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 170, von einer Identität spricht (mit dem Verweis auf den beide Mal gegebenen Dynamis-Charakter, vgl. Röm 1,16), differenziert S. VOLLENWEIDER, Weisheit am Kreuzweg, 44, im angegebenen Sinn. H.CH. KAMMLER, Kreuz und Weisheit, 56-59, differenziert weiter zwischen Evangelium und Verkündigung des Evangeliums. Paulus bietet keine nähere Angabe zur Weltweisheit, sondern beschränkt sich auf die Weisheitssuche der Griechen, die exemplarisch zum Ausdruck bringt, dass – was die Offenbarung Gottes im Gekreuzigten hinlänglich beweist – der Mensch mittels seiner Weisheit Gott nicht erreicht (1,21). Zum Zusammenhang von Weltweisheit und Tendenz zur Gesetzlichkeit vgl. F. VOSS, Wort vom Kreuz, 103f. Zur Behandlung von 2,6-16 in der neutestamentlichen Forschung vgl. P. STUHLMACHER, Zur hermeneutischen Bedeutung von 1 Kor 2,6-16; zum Verhältnis von 1 Kor 2,6-11 zu 1 Kor 1,18-2,5 neuerdings H.-CH. KAMMLER, Kreuz und Weisheit, 176-192: Er tritt für eine Identität von Weisheitsrede und Kreuzesrede ein. Mit Nachdruck F. VOSS, Wort vom Kreuz, 190-195, im Anschluss an die von U. Wilckens vollzogenen Korrekturen. Vgl. zu 2,6-16 die schöne Zusammenfassung bei W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 240: „Während 1,18-25 die weisheitliche Umklammerung des Kreuzes verworfen hat, nicht aber die Weisheit qua Weisheit, wird nun die Weisheit vom Kreuz umklammert und expliziert, nicht aber vom Kreuz abstrahiert.“ A. SCHLATTER, Weisheit oder Torheit?, 108-119, weist auf die Strukturanalogie des Argumentationsaufbaus im Röm hin: Auch dort folgt auf die Negation (der Gesetzesgerechtigkeit) die Position (der Gottesgerechtigkeit). Die Strukturanalogie zeigt sich dann auch an der kontrovers diskutierten Frage, ob schon das Streben nach Gesetzeserfüllung (Problemgehalt von Röm 2) verwerflich sei oder erst das Resultat desselben. Für Schlatter gilt letzteres, auch hinsichtlich des menschlichen Strebens nach Weisheit. Sein Fazit (ebd., 119): „Die Polemik gegen die Vernunft auf Grund von 1. Kor 1 ist nicht weniger unverständig als die Polemik gegen die Ehrlichkeit auf Grund von Röm 2.“

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lichkeit.38 Wie sich diese Rationalität vollzieht, zeigen – trotz der exegetischen Schwierigkeiten von V. 13c – die beiden Verse 13 und 15 hinlänglich: Für das synkrínein in V. 13c kann sich die Bedeutung von deuten, auslegen oder urteilen, prüfen,39 für den Dativ pneumatikois ein maskulinisches oder ein neutrisches Verständnis nahe legen. Die Kombination des jeweils zuerst Genannten ergibt die Variante „indem wir Geistliches für Geistliche deuten“, diejenige des jeweils zuletzt Genannten „indem wir Geistliches mit Geistlichem beurteilen“.40 Wie immer man sich entscheidet, spätestens in V. 14f. wird der Vollzug der geistlichen Rationalität im Sinne eines kritischen Urteilens bzw. eines kritischen Unterscheidens deutlich: „Der geistliche Mensch aber beurteilt alles, wird selbst aber von niemand beurteilt.“ Im Sinne einer fundamentalen Perspektivendifferenz wurde der damit angezeigte Grundsatz, wie bereits erwähnt, von R. Spaemann gegenüber N. Luhmanns Funktionsbestimmung geltend gemacht (vgl. 1.2.4.1.). In der Tat ist auf der einen Seite die in der zitierten Aussage reklamierte Universalität christlicher Urteilskraft nicht zu unterschätzen – auf der anderen Seite aber scheint die in ihr vorgenommene Abgrenzung einen epistemischen Internalismus zu befördern, welcher einer Selbstabschließung des christlichen Diskursfeldes gleichkommt. Was das Erste betrifft, so lässt sich diese Aussage als Hinweis darauf verstehen, dass der einer destruierten Weltweisheit gegenübergestellte Kreuzeslogos die theologische Thematisierung des weiten Phänomenbereichs von Natur und Kultur nicht einschränkt. Eine kritische Theologie der Schöpfung ist dabei ebenso wenig unmöglich gemacht wie eine kritische Theologie der Kultur. Wie immer man diese fasst, sie gewinnen vom Wort vom Kreuz her den Bezugspunkt ihrer Perspektiven.41 Ähnliches ist auch hinsichtlich des Rechts und der Grenze einer 38

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Vgl. charisthénta in 2,12; dazu W. SCHRAGE, ebd., 260; F. VOSS, Wort vom Kreuz, 178. Paulus kann diese geistlich-besondere Epistemologie durch den Rekurs auf die allgemein-philosophische Erkenntnisstruktur, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann, plausibilisieren: 2,11. So dann sicher anakrínein in V. 14b. 15b. Zur Abwägung vgl. F. LANG, Briefe an die Korinther, 45f.; W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 261f.; H.-CH. KAMMLER, Kreuz und Weisheit, 225-227. Beachtenswert ist im Blick auf 1,21 (an bzw. inmitten der Weisheit Gottes erkannte die Welt durch ihre menschliche Weisheit Gott nicht) die Analogie zu Röm 1,19-23. Möglichkeiten und Grenzen einer cognitio Dei naturalis sind daher unter der Zugrundelegung beider Stellen zu diskutieren. Gerade 1 Kor 1,18-25 legt es dabei nahe, zwischen cognitio Dei naturalis und theologia naturalis zu unterscheiden (vgl. W. PANNENBERG, Systematische Theologie I, 86f.). Das negative Urteil des Paulus über die Gotteserkenntnis der Weltweisheit muss die Möglichkeit einer cognitio Dei naturalis nicht negieren, vgl. H. MERKLEIN, Weisheit Gottes, 376ff. (anders H.-C. KAMMLER, Kreuz und Weisheit, 83-86). Differenziert urteilt A. SCHLATTER, Kreuz,7f.: Mit der

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Theologie der Auferstehung zu bemerken. Sie vermag zu erhellen, dass erst die Auferweckung die heilsame Bedeutung des Kreuzes enthüllt und so den Glauben an den Gekreuzigten überhaupt erst ermöglicht. Andererseits impliziert gerade dieser Sachverhalt, dass sie den Auferweckten nur als den Gekreuzigten denken kann.42 Ohne Auferweckung gäbe es kein Wort vom Kreuz und ohne das Wort vom Kreuz gäbe es keine christliche Rede von der Auferweckung. Das Wort vom Kreuz als Bezugspunkt zu begreifen, an dem sich theologisches Denken zu orientieren hat, dies besagt dann insgesamt für eine theologische Rationalität, „daß das Kreuz tatsächlich Vorzeichen aller Weisheit und Horizont allen im Glauben implizierten Verstehens und aller Theologie ist.“43 Was das Zweite, das Problem der immunisierenden Selbstabschließung betrifft, so ist – ohne die Aussagen des Paulus an dieser Stelle im Problemhorizont pluralistischer Theoriebildung rekonstruieren zu wollen – darauf hinzuweisen, dass die fundamental kritische Funktion des Kreuzeslogos gerade gegen die christlichen Formen der Selbstabschließung, wie sie in Korinth gepflegt wurden, ins Feld geführt wird. So richtig es ist, dass das fundamentale Kriterium des Wortes vom Kreuz kein Kriterium mehr über sich haben kann, anhand dessen über seine Wahrheit entschieden werden könnte, so sehr muss es von der Internalisierung einer Gruppenidentität oder einer verfügbaren Verkündigungs- und Lehrgestalt abgehoben werden. Dafür spricht nicht nur der Sachverhalt, dass die Weisheit Gottes als Dynamis Gottes verstanden wird (1,18), sondern schon die Genitivverbindung lógos tou staurou: Das Wort vom Kreuz – und erst recht eine Theologie des Kreuzes – ist ständig am gekreuzigten Christus zu prüfen. Im Sinne dieses Verständnisses, dass also das Pneuma, welches die Christen Verstehen lehrt, das Pneuma des Gekreuzigten ist und darin seinen Maßstab hat, in diesem Sinne ist wohl auch 2,16 zu lesen.44 Für eine Theologie des Kreuzes geht

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cognitio Dei naturalis verbindet sich das Verlangen menschlicher Weisheit nach Gotteserkenntnis; dieses Verlangen führt wie auch das religiöse Verlangen nach Lebensbewältigung, nach Gerechtigkeit etc. allerdings zur Konstruktion eines menschliche Bedürfnisse stillenden Götzen. „[...] Jesu Beruf und Werk [besteht] darin, daß er unsere Götzen zerstört, und die Waffe, mit der er unsere falschen Gottheiten vernichtet, ist sein Kreuz.“ Mit der Verbindung der Differenz von Gott – Götze mit der Differenz von göttlicher Weisheit und Weltweisheit bewegt sich Schlatter in relativer Nähe zu M. Luthers Jona-Auslegung von 1526 (WA 19, 206f.). Vgl. bereits die Auseinandersetzung von E. KÄSEMANN, Heilsbedeutung des Todes Jesu, 101f.; dazu dann W. SCHRAGE, Der gekreuzigte und auferstandene Herr, 25ff. W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 192. Vgl. W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 267; von Paulus her treffend für die theologia crucis von Luther formuliert U. KERN, Theologia crucis, 65: „Die Falsifikation des theologischen Theorems theologia crucis durch den Christus crucifixus bewahrt die theologia crucis vor Depravierung, Destruktion, davor, dass diese verkommt zum

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es also darum, dass das Wort vom Kreuz nicht ihr Objekt, sondern ihr Subjekt ist – dass sie, anders gesagt, der Struktur des Sich-bestimmenLassens folgt. 7. Das Wort vom Kreuz steht bei Paulus nicht lediglich für das Durchkreuztwerden menschlicher Wirklichkeitsthematisierung (und insofern für eine theologische Dimension der Krise), es wird ihm als Kriterium zugleich zentraler Bezugspunkt der Perspektive, in welcher die gesamte menschliche Wirklichkeit thematisch wird. Die hermeneutische Umkehrung der Interpretationsrichtung45 hat nicht nur anthropologische Bedeutung, insofern sich am Kreuz die Selbstüberschätzung des sich-selbst-transzendieren-wollenden Menschen enthüllt, sondern einen im engeren Sinne theologischen Skopus, insofern sich dort die Gottheit Gottes selbst erschließt.46 Anders als in der Tradition, in welcher der Tod Jesu selbst als Herausforderung der Interpretation begriffen wurde, ist es als Spezifikum paulinischer Kreuzestheologie herausgestellt worden, dass Paulus umgekehrt im Wort vom Kreuz das Kriterium findet, mit dessen Hilfe er die gesamte Wirklichkeit interpretiert: „Die Welt wird zum Gegenstand der Kreuzestheologie.“47 Dieser Subjekt- und Perspektivwechsel, welcher schon im Dynamis-Charakter des Kreuzeslogos, dann grammatikalisch auch in Stellen wie 1,21 zum Ausdruck kommt, ist unter systematisch-theologischen Gesichtspunkten weiter zu erörtern. Zum einen ist zu bedenken, dass die Umkehrung der Interpretationsrichtung nicht gegen den Sachverhalt ausgespielt werden kann, dass das paulinische Wort vom Kreuz nicht davon entnommen ist, von Menschen interpretiertes Wort vom Kreuz zu sein. Zum anderen muss die Subjektivität des Wortes vom Kreuz, das diesem als Kraft Gottes eignet, so gedacht werden können, dass das Kreuz Christi selbst als die radikalste Objek-

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dogmatischen Gestell (subjektivistischer oder objektivistischer) klerikaler Pose, die in ihrem Gehäuse permanent Entfremdung fabriziert.“ Vgl. J. ZUMSTEIN, Wort vom Kreuz, 33, im Anschluss an U. LUZ, Theologia crucis, 121f. Vgl. U. LUZ, Theologia crucis, 124; TH. SÖDING, Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre, 165, außerdem schon M. KÄHLER, Kreuz, 328; E. KÄSEMANN, Heilsbedeutung des Todes Jesu, 75f.; R. BULTMANN, Jesus und Paulus, 225. U. LUZ, Theologia crucis, 123.

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tivierung Gottes zu stehen kommt.48 Über beide Punkte wird im erkenntnistheoretischen Zusammenhang noch zu reden sein.49 Zunächst aber muss 1 und 2 Kor selbst als angewandte Durchführung dieses staurologischen Programms gelesen werden – etwa im Blick auf die theologischen Stellungnahmen des Paulus zur Ehe, zur Gestaltung des Gottesdienstes oder zur Eschatologie. Darüber hinaus lässt es mit gewisser Vorsicht sagen, dass die erwähnte Umkehrung Paulus es im Weiteren erlaubt, Analogien des Handelns Gottes in der Welt zu entdecken: Der sich von Gottes heilsamer Umwertung bestimmen-lassende Glaube wird zur Wahrnehmungshilfe der Spuren von Gottes Dynamis in der Welt.50 Für Luthers Fassung der theologia crucis ist es nun höchst bedeutsam, dass die paulinische Kreuzestheologie letztlich als interne Verarbeitung der Strittigkeit Gottes, mithin des Konflikts zwischen philosophischer und theologischer Perspektive dechiffriert werden kann: Ein der Weltweisheit des gegenwärtigen Äons verpflichtetes kategoriales Denken wird die Gottheit Gottes, wie sie sich im Handeln des Gekreuzigten offenbart, nur als Schwäche und Torheit beurteilen (1,23-25). Umgekehrt erschließt sich dem Glauben dasselbe Ereignis gerade in seiner Anstößigkeit als Heilshandeln des rettenden Gottes, welcher durch die Torheit des Kreuzes seinerseits die Weltweisheit in die Krise führt und als Torheit entlarvt. Das Wort vom Kreuz muss, wie 1,18 oder 1,21 zeigen, ganz auf dem Hintergrund der Dialektik von Gericht und Gnade, oder in der Folgedifferenz von Luther gesprochen: von Gesetz und Evangelium, verstanden werden.51 Wenn der Mensch meint, seinen eigenen Kriterien folgend Gott identifizieren zu können, dann hat das nicht nur die epistemische Bedeutung einer Fehlbestimmung, sondern die soteriologische Bedeutung der Heillosigkeit.

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Vgl. M. TROWITZSCH, Subjektivität und Objektivität Gottes, 188: „Der Begriff Gottes bedarf der Bestimmung durch das Kreuz Christi. Subjektivität und Objektivität Gottes können theologisch nicht ohne diese radikalste, furchtbare Objektivierung gedacht werden.“ Es handelt sich dabei um eine mittelbare Gegenständlichkeit im Bereich des Geschöpflichen, welche Folgen für alles weitere Erkennen hat. Vgl. die Ausführungen zu These 19 und These 20. Vgl. F. VOSS, Wort vom Kreuz, 135f. Wie H. MERKLEIN, Weisheit Gottes, 383, zeigt, hat dies bereits Anhalt an 1 Kor 1,21, insofern dort das Kreuz zwar in den Gegensatz zur „Welt“, nicht aber zur Schöpfung (als „Weisheit Gottes“) gebracht wird. Der gekreuzigte Christus wird vielmehr zum hermeneutischen Schlüssel zur Auslegung der Schöpfung. Vgl. TH. SÖDING, Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre, 164-167; J. ZUMSTEIN, Wort vom Kreuz, 34-39.

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8. Mit seiner Gegenüberstellung von theologia crucis und theologia gloriae hält Luther fest, dass Theologie das anstößige scandalum des Christus crucifixus in ihrer Mitte nicht überspringen kann, stellt dieses doch den Bezugspunkt dar, an dem sich der epistemische Zugang zur Unsichtbarkeit Gottes zu orientieren hat und von dem aus die Paradoxien der Theologie zu entwerfen und zu prüfen sind: Gott ist sichtbar in der Verborgenheit des Leidens Christi. Der Leitsatz „Crux probat omnia“52 benennt nicht nur das Prüfkriterium, welches in erkenntnistheoretischer Hinsicht strittige Erkenntniswege und Wirklichkeitsthematisierungen zu unterscheiden erlaubt, sondern zugleich auch den Scheidepunkt, welcher in praktischer wie soteriologischer Hinsicht die Differenz menschlicher Lebensformen offenbar werden lässt. Unbeschadet dessen, dass damit die bedeutende Stoßrichtung seiner Heidelberger Thesen in den Blick kommt, ist es in der Lutherforschung weitgehend Konsens, dass Luthers theologia crucis nicht – wie es W. v. Loewenich in klassischer Weise pointiert hat53 – lediglich auf der Ebene einer theologischen Erkenntnistheorie zu verstehen ist. Sie muss vielmehr im weiteren Zusammenhang der Differenz menschlicher Lebensformen und insbesondere im engen theologischen Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre interpretiert werden.54 Das ergibt sich nicht erst aus den Operationes in Psalmos, sondern bereits aus dem Aufbau der Heidelberger Disputation selbst:55 Die berühmten erkenntnistheoretischen Thesen 19-24, welche die Torheit menschlichen Erkennens aufzudecken suchen, sind eingebettet in eine kreuzestheologisch motivierte Kritik an einem Verständnis, welches in seinem Handeln (Thesen 112; Stichworte: opus und lex) bzw. in seinem Willen (Thesen 13-18; Stichworte: liberum arbitrium; facere quod in se est) einen Beitrag des Menschen zu seiner Rechtfertigung meint annehmen zu können – und auf der anderen Seite in einer Beschreibung des Rechtfertigungsge-

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WA 5, 179,31 (Operationes in Psalmos). W. v. LOEWENICH, Luthers Theologia crucis. Vor allem Loewenichs Auswertung im Blick auf die Indirektheit der Offenbarung (vgl. ebd., 15) verrät die Problemstellung der dialektischen Theologie. Insgesamt bleibt seine Studie von grundlegender Bedeutung. Vgl. schon P. ALTHAUS, Theologie Martin Luthers, 35-37; H.J. IWAND, Theologia crucis, 382. 394; E. SCHLINK, Weisheit und Torheit, 8ff.; G. EBELING, Luther, 262; J.E. VERCRUYSSE, Gesetz, 29; dieser praktischen Ausrichtung folgt dann insbesondere das gegenwärtig ausführlichste Werk von H. BLAUMEISER, Martin Luthers Kreuzestheologie, vgl. 124ff. 450ff. Er spricht von einer „theologia practica“ (ebd., 126). Vgl. K.-H. ZUR MÜHLEN, Heidelberger Disputation, 166ff.; J.E. VERCRUYSSE, Gesetz, 8ff.

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schehens, welches in der von aller menschlichen Liebe unterschiedenen schöpferischen Liebe Gottes seinen Grund hat (Thesen 25-28).56 In der Zuordnung von Erkenntnislehre und Soteriologie wird bereits eine bedeutsame Verbindungslinie zu Paulus sichtbar: Das Wort vom Kreuz ist nicht nur Bedingung der Möglichkeit theologischen Erkennens, in ihm selbst widerfährt vielmehr Gottes rettende Liebe.57 Luther beruft sich schon in der Einführung explizit auf Paulus, wenn er seine Thesen als „theologica paradoxa“ bezeichnet58 und sich von 1 Kor die paradoxale Struktur seiner Thesen geben lässt. Allerdings: Konstitutiv ist für Theologie nicht die Reflexionsfigur des Paradoxen an sich, sondern das, was Maßstab, Kriterium und gewissermaßen Zentrum alles Paradoxen ist: der Christus crucifixus.59 Hält man sich diese Unterscheidung vor Augen, erweist sich eine Prinzipialisierung der Kreuzestheologie, konkret: eine Prinzipialisierung des „sub contrario“ im Sinne einer einseitig negativen Kreuzeslogik, welche die „gloria“-Dimension als Erscheinungsform des Christlichen grundsätzlich ausschließt, als schon im Ansatz verfehlt.60 Ebenso zu berücksichtigen ist die genannte Unterscheidung, wenn zu Recht darauf beharrt wird, dass mit der theologia crucis kein christologisches Einzelthema, sondern das Vorzeichen der gesamten Theologie zur Debatte steht. P. Bühler hat zur Erhellung des systematischen Begründungszusammenhangs darauf hingewiesen, dass die theologia crucis deshalb vom Widerspruch des Paradoxalen geprägt ist, weil sie auf Menschen trifft, deren zerrüttetes Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis immer schon vom abusus gekennzeichnet und deren Sicht der Wirklichkeit verkehrt 56 57

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Text in WA 1, 353ff. oder StA I, 200,4ff. Th. 28, StA I, 212,2f. Die Differenz zu Paulus besteht vor allem im Argumentationskontext: Bei Paulus geht es um Spaltung und Einheit in der Gemeinde, Luthers Herausforderung besteht im scholastischen Gebrauch der Philosophie in der Theologie. Vgl. dazu die Disputation über Joh 1,14 (WA 39/II, 3-5). WA 1, 353,11. Vgl. Th. 20 (StA I, 208,17): “Ergo in Christo crucifixo est uera Theologia (et) cognitio Dei.” Bezeichnenderweise heißt die berühmte Stelle in den Operationes (WA 5, 176,32) auch nicht: “Theologia crucis est nostra theologia“, sondern: „CRUX sola est nostra Theologia.“ Vgl. auch E. SCHLINK, Weisheit und Torheit, 8. Vgl. die behutsamen Erörterungen von H. BLAUMEISER, Martin Luthers Kreuzestheologie, 258-262. 499-505, sowie von TH. DIETER, Luther und Aristoteles, 122-130. Folgt man der skizzierten Position, gewönne man auch ein Kriterium, welches sachkritisch gegenüber Luthers Durchführung erhoben werden kann: Es wäre eine bedenkliche Prinzipialisierung der theologia crucis, wenn Gott ausschließlich im Widerfahrnis des Leidens, nicht auch im Widerfahrnis des Guten gesucht würde. Erwähnt wurde oben auch schon die Gefährdung, dass das menschliche Selbstrechtfertigungsstreben, nicht aber der Selbsthass bzw. die humilitas der Kategorie des sündigen Missbrauchs unterstellt wird. Die Auswirkungen einer Prinzipialisierung der Selbsterniedrigung sind aus der Seelsorge hinreichend bekannt.

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ist. Folgerichtig wird die richtige Beschreibung der Wirklichkeit zur Hauptaufgabe des Kreuzestheologen: „Theologus crucis dicit, id quod res est“ (Th. 21).61 Auch von diesem Zusammenhang her wäre es plausibel zu machen, dass sich Luthers Kritik nicht gegen das mit „gloria“ Bezeichnete an sich richtet, sondern dem abusus gloriae durch die Herrlichkeitstheologen gilt.62 Für den theologus crucis ist der gloria im Sinne von 2 Kor 12,9f. eine paradoxale Struktur eigen; er weiß, „daß sie in diesem Leben nur durch das Kreuz gegeben wird.“63 Genau dies lässt sich nämlich an der Gestalt des Gekreuzigten Christus selbst ablesen: Was von Gott und seiner Herrlichkeit sichtbar wird, ist gewissermaßen ihre Rückseite (Th. 20: „posteriora“), ihre Schwachheit im Leiden.64 Gottes Werk wird paradoxal sichtbar – „Opera Dei, ut semper sint deformia, malaque videntur, vere tamen sunt merita immortalia“ (Th. 4).65 Die Sichtbarkeit („visibilia“), die der theologia crucis allein zugrunde liegen kann, ist deshalb die Verborgenheit Gottes am Kreuz (Th. 21).66 Hält dabei These 21 bereits fest, dass die Differenz der Wirklichkeitsthematisierungen aus zwei Lebenshaltungen resultiert, welche am Kreuz Christi auseinander treten,67 so bestimmt diese Interpretationsperspektive dann vor allem die späteren Operationes in Psalmos.68 Dies nachdrücklich herausgearbeitet und die sapientia crucis positiv im Kontext der Unterscheidungen von Gericht und Rechtfertigung, von Selbstruhm und Versetztwerden in Christus, von vita activa und vita passiva, von Erhöhung und Erniedrigung etc. erörtert zu haben, ist das Verdienst der Studie von H. Blaumeiser.69 61

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StA I, 208,20f.; P. BÜHLER, Kreuz und Eschatologie, 113f.; G. EBELING hat mit Vorliebe vom Streit um die Wirklichkeit gesprochen: ders., Glaube und Unglaube im Streit um die Wirklichkeit, 393-406. Vgl. das „gloriatur“ der Herrlichkeitstheologen und der Kreuzestheologen: StA I, 210,2f. u. 13! P. BÜHLER, Kreuz und Eschatologie, 129. StA I, 208,4f.; vgl. die Hinweise bei P. ALTHAUS, Theologie Martin Luthers, 35f. StA I, 201,17f. Th. 4 zeigt deutlich, wie die Kreuzestheologie Luthers die paradoxale Erscheinung göttlichen Handelns in soteriologischer Hinsicht aufnimmt und mit der theologischen Unterscheidung von opus alienum – opus proprium verbindet: StA I, 201,27202,4; vgl. dazu auch H. BLAUMEISER, Martin Luthers Kreuzestheologie, 175-180 StA I, 208,22. StA I, 208,25-209,2. Zum Zurücktreten der spezifischen Terminologie der Heidelberger Disputation bei gleichzeitiger Weiterführung der Sache und damit auch zum Problem des Vorreformatorischen vgl. die Zusammenfassung bei K.-H. ZUR MÜHLEN, „Kreuz“, 763. H. BLAUMEISER, Martin Luthers Kreuzestheologie, 92-97. 100-102. 118-120. 125-127. 133. 448ff. 470f., dort (471f.) das Fazit: „Halten wir fest: Ausgangspunkt für Luthers Kreuzeshermeneutik ist die konkrete Gestalt des Gekreuzigten. Was in ihr und durch sie Wirklichkeit geworden ist, und sich an ihr ablesen läßt, ist das entschei-

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Zur Erläuterung der Rede vom „Paradox“ seien einige kurze Hinweise gegeben: Luthers Verwendung des Begriffs paradoxa kennt verschiedene Bezugsfelder, welche jedoch in der bekannten Definition Ciceros konvergieren, Paradoxa seien „admirabilia contraque opinionem omnium“.70 Luthers Bezeichnung „Theologica paradoxa“ verweist so zunächst äußerlich auf die paradoxale Aussagestruktur der theologischen Thesen der Heidelberger Disputation, insofern diese gegen die herrschende scholastische Lehrmeinung formuliert sein wollen. Darüber hinaus aber bezieht sich die Begriffsbildung darauf, dass die theologischen Sätze die Paradoxalität des Glaubens bzw. des Glaubensgegenstands abbilden: die Herrlichkeit im Kreuz, die Weisheit in der Torheit, die Kraft in der Schwachheit. Diese Paradoxalität ist von einer Absurdität sowie von logischer Widersprüchlichkeit unterschieden. Man kann diesen Sachverhalt schon daran ablesen, dass die Paradoxa von Luther einer solchen theologischen Bearbeitung zugeführt werden, welche in einer präzisen Weise die Dimension der Verborgenheit zum Ausdruck bringt: die Herrlichkeit verborgen im Kreuz usw. Etwas vergröbernd ließe sich sagen, dass sich das Paradoxe gegen die Selbstverständlichkeit des allgemein Erwartbaren richtet, wenngleich Luther gelegentlich keinen Zweifel daran lässt, dass göttliche Dinge auch die syllogistische Logik sprengen.71 Bemerkenswert, insbesondere hinsichtlich der damit aufgeworfenen philosophischen wie theologischen Fragen, erscheinen auf dem Hintergrund des hier umrissenen Ansatzes drei Entfaltungsmomente. Sie zu reflektieren empfiehlt sich einer Position, welche die paradoxale Aussagestruktur für einen basalen Bestandteil der Rede vom Kreuz hält. Zum Ersten: Die paradoxale Struktur von Glaubensaussagen, die entsprechend der Verzahnung von Theologie und Lebensform dann auch in theologische Aussagen eingeht, ist im Christus crucifixus begründet und von ihm her ist die Paradoxalität von Aussagen auch immer wieder zu überprüfen. Im Mittelpunkt steht das christologische Paradox: im Menschsein (des Gekreuzigten) das Gottsein. Dieser Mittelpunkt hat zugleich auch begrenzende Funktion für das Entwerfen paradoxaler Aussagen. K. Barth hatte diese Sicht dann in der Empfehlung zugespitzt, den Begriff des Paradoxen auf das christologische Paradox zu beschränken. Denn im Unterschied zu diesem (als bleibendem Geheimnis) ließen sich die weiteren Paradoxien des Glauben auf einer höheren Reflexionsebene bearbeiten und

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dende Kriterium für alle Deutungen der Welt, der christlichen Existenz und der Schrift.“ Cicero, Paradoxa Stoicorum, Proemium 4, zit. bei P. PROBST, “Paradox”, 82; dort (81ff.) auch Hinweise zum weiteren Sprachgebrauch in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Zur Luthers Rezeption vgl. P. BÜHLER, Kreuz und Eschatologie, 103f., Anm. 120. 129f. 219f. Vgl. WA 1, 226,21 (Disputatio contra scholasticam theologiam, 1517); auch WA 39/II, 8,4f. u. 23,1 (Disputation über Joh 1,14, 1539). Der Überschritt Luthers zur Kritik der Logik ist präzisierungsbedürftig, wenn man ein differenziertes Verständnis der Paradoxalität zugrunde legt, wie dies beispielsweise H. Schröer vorgeschlagen hat. Dazu gleich.

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auflösen.72 Von hier aus wäre zu bedenken, ob der gekreuzigte Christus selbst mit der Bezeichnung des ‚absoluten Paradoxes’ belegt werden kann, wie S. Kierkegaard und P. Tillich es jeweils auf ihre Weise für das Christusereignis zu tun pflegten.73 Zum Zweiten: Bei Luther vollzieht sich das reflektierte Bearbeiten in der Bildung von theologischen Unterscheidungen. So findet, wie bereits erwähnt, beispielsweise das paradoxale Handeln Gottes, dass Gott lebendig macht, indem er tötet, seine Entsprechung in der Differenz von opus alienum und opus proprium und in der Differenz von Gesetz und Evangelium. Dies kann, wie eben bereits angedeutet, als ein Grund dafür angesehen werden, den Begriff der Paradoxie vom Begriff der Antinomie, wie er von I. Kant geprägt wurde, ebenso abzurücken wie vom Begriff eines logischen Widerspruchs.74 Was die Position Kants betrifft, so ist dabei anzumerken, dass in ihr der Begriff des Paradoxen selbst ambivalent bleibt; Kant kennt jedenfalls auch die innovative Funktion des Pardoxen für die Erkenntnis: „Dem Paradoxon ist das Alltägliche entgegengesetzt, was die gemeine Meinung auf seiner Seite hat. Aber bei diesem ist eben so wenig Sicherheit, wo nicht noch weniger, weil es einschläfert; statt dessen das Paradoxon das Gemüth zur Aufmerksamkeit und Nachforschung erweckt, die oft zu Entdeckungen führt.“75 Diese ihre innovativ-kritische Funktion ist gegenwärtiger philosophisch-erkenntnistheoretischer und wissenschaftstheoretischer Erörterung nicht unbekannt.76 Was die Widerspruchsfreiheit betrifft, so ist von W. Härle im Anschluss an Luthers Großen Katechismus zu zeigen versucht worden, dass fehlende Widerspruchsfreiheit der Glaube gerade dem Aberglauben vorwirft – denn dieser meint sich auf etwas Bedingtes unbedingt verlassen zu können.77 Eine solche starke Abgrenzung von der Widerspruchsfreiheit könnte sich als überzogen erweisen, wenn sich die antithetische Relativierung erst von einem bestimmten Aspekt her ergibt. H. Schröer hat unter Bezugnahme auf 1 Kor 1 von einem supplementären Pa-

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K. BARTH, KD I/1, 172; Barth distanzierte sich bekanntlich damit zunehmend vom existenzdialektischen Gebrauch Kierkegaards. Zur Möglichkeit nicht auflösbarer Paradoxien vgl. W. JOEST, Zur Frage des Paradoxon, 116-151. Vgl. S. KIERKEGAARD, Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift I, 209; II, 273 u.ö. Zu Tillichs Verständnis vom christologischen Paradox vgl. oben, 1.1.7.2.; das christologische Paradox (und mit ihm das Wort vom Kreuz) hat für Tillich kriteriologische Bedeutung für die Wahrheit religiöser Symbole. Es hält die Unterscheidung von Unbedingtem und Bedingtem offen, vgl. P. TILLICH, Kirche und Kultur, 42; außerdem: W. SCHÜßLER, Fortwirken des christologischen Paradoxes, 24. 29! Zum „absoluten Paradox“ bei Tillich: E. STURM, Das absolute Paradox, 32ff. Vgl. H. SCHRÖER, „Paradox“, 732; grundsätzlich: R. SCHAEFFLER, Logisches Widerspruchsverbot und theologisches Paradox, 321-351. I. KANT, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 129; vgl. zu Kants Stellung zum Paradox J. SIMON, Das philosophische Paradoxon, 51ff. Vgl. R. SCHAEFFLER, Logisches Widerspruchsverbot und theologisches Paradox, 327. 341; G. VOLLMER, Paradoxien und Antinomien, 165. 167. Zum kreativ-innovativen Moment und zur Paradoxieentfaltung durch Unterscheidungen vgl. auch N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 17f. 131ff. W. HÄRLE, Widerspruchsfreiheit, 236f.

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radox gesprochen, dessen logische Widersprüchlichkeit sich auflösen lässt – und zwar dadurch, dass sich ein dialektisches Begriffsdreieck ausbilden lässt. Die verborgene Weisheit Gottes bildet den Oberbegriff der Gegensatzglieder von Weisheit und Torheit. Das Problem verlagert sich dann auf das Problem der Analogie von Weisheit Gottes und Weisheit der Welt.78 Von hier aus wäre zu erörtern, wie sich Diskontinuität und Kontinuität, wie sich Unähnlichkeit und Ähnlichkeit, wie sich (negatives) Paradox zur Analogie verhalten sollen.79 Das führt zwangsläufig auf das Feld eines erstrangigen theologischen und auch ökumenischen Grundproblems. Diesbezüglich ist auch die Debatte zwischen K. Barth und P. Tillich über die Eigenart des Paradoxes nach wie vor beispielhaft. Für den vorliegenden Zusammenhang ist zunächst bedeutsam: Auch dann, wenn Paradoxes durch die Verwendung von Unterscheidungen bearbeitet wird, markieren diese Unterscheidungen nicht nur Brüche und Differenzen, sie ermöglichen vielmehr auch (neue) Zuordnungen.80 Ein Paradox ist nicht nur als Unterbrechung eines Horizonts von Selbstverständlichkeiten (von Alltäglichem) zu denken, sondern als innovativer Impuls, alte Selbstverständlichkeiten auf neue zu beziehen. Zum Dritten: Es ist bereits mehrmals unternommen worden, verschiedene Arten von Paradoxien zu klassifizieren.81 Noch nicht geschrieben ist die Geschichte des religiösen Paradoxon.82 Zu ihr gehören neben den genannten Positionen von Luther, Kierkegaard, Barth und Tillich auch Tertullian, Meister Eckhardt, Nikolaus von Kues, Erasmus von Rotterdam, Sebastian Franck, Blaise Pascal, Heinrich Vogel, Henri de Lubac sowie weitgehend vergessene Theologen wie Hermann Cremer, aber auch Positionen der neueren analytischen Religionsphilosophie.83 Dabei dürfte nicht nur im Blick auf das Verhältnis Luthers zum mystischen Paradox Erhellendes zu erwarten sein; aus der Geschichte der systematischen Verwen-

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H. SCHRÖER, Denkform, 50f. Pointiert S. KIERKEGAARD, Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift II, 311: „[...] und das absolute Paradox ist ja daran kenntlich, dass jedes Analogon ein Betrug ist.“ Die an Tillichs Position geübte Fundamentalkritik von O. BAYER, Paradox, 5ff., hebt letztlich darauf ab, die Diskontinuität im Sinne der Brüche (von der geschaffenen zur gefallenen, von der gefallenen zur erlösten, von der schon erlösten, aber angefochtenen zur unangefochten erlösten Welt) unterbestimmt zu haben. Vgl. R. HAGENBÜCHLE, Was heißt „paradox“?, 31-35; G. VOLLMER, Paradoxien und Antinomien, 173ff.; K. WUCHTERL, „Paradox“, 727; für die Theologie beispielsweise H. SCHRÖER, Denkform, 28-46; W. JOEST, Zur Frage des Paradoxon, 117-122. Zwar hat in seiner 1933 erschienenen Dissertation K. SCHILDER, Zur Begriffsgeschichte, einen Beitrag zur Begriffsgeschichte erbracht, dieser beschränkt sich aber im Wesentlichen auf Calvin, Kierkegaard und R. Otto. Vgl. die Liste bei A.M. HAAS, Das mystische Paradox, 282 (Lit.), zur Interpretation des Tertullian zugeschriebenen Satzes credo quia absurdum vgl. H. KRAFT, Paradoxie, 271. Bei H. Cremer stößt man mit der Frage nach der Paradoxie ins Zentrum seiner Auseinandersetzung mit A. v. Harnacks „Das Wesen des Christentums“. Vgl. H. CREMER, Wesen des Christentums, 116-122; außerdem: W. KOEPP, Die antithetische Paradoxtheologie, 291-341.

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dung der Figur des Paradoxen ließen sich auch deren Gefahren ablesen. „Es besteht die Gefahr, aus dem Korrektiv ein System zu machen.“84 Häufig wurde diese Gefahr sowie weitere Gefahren auf dem Hintergrund der profilierten Position S. Kierkegaards diskutiert. Angesichts der breiten Wirkungsgeschichte seines Paradoxverständnisses in der modernen evangelischen Theologie hat diese paradigmatische Vorgehensweise jedenfalls vorläufig ihr Recht. Die in ihr auftretenden Gefährdungen als theologische Herausforderungen zu begreifen, hieße dann zum einen, die Unterschiedenheit der Paradoxalität von Irrationalität und Absurdität deutlich herauszustellen.85 Zum anderen wäre die mit der Fokussierung auf eine Grundkategorie menschlicher Existenz gegebene Abwertung der Lehre gegenüber dem individuellen Leben und die im Interesse der Gleichzeitigkeit vollzogene Abwertung der Geschichte zu problematisieren.86

9. Der Fassung der Kreuzestheologie bei Paulus und Luther korrespondieren Grundprobleme, denen sich Theologie in den sich verändernden Kontexten und so auch als Theologie in gegenwärtiger Verantwortung zu stellen hat: Das Wort vom Kreuz ist differenzbildend, so dass Bedeutung und Tragweite theologischen Unterscheidens (3.3.) zu bedenken aufgegeben sind. Und es ist gestaltbildend, so dass das Gestaltproblem und in gewisser Hinsicht auch das Zuordnungsproblem von Theologie und Kirche (3.4.) darauf bezogen werden können. Damit verbinden sich zwei in der ausdifferenzierten Gesellschaft der Moderne bedeutsam gewordene Fragekreise. Das ist zum einen die Frage, ob und wie Theologie als Wirklichkeitswissenschaft und demzufolge ihr Verhältnis zu anderen Instanzen der Wirklichkeitsthematisierung zu denken ist (3.6.). Zum anderen konkretisiert sich diese Frage in der Frage nach dem Verhältnis zu Religion und Kultur (3.5.). Luthers Verständnis der sapientia crucis ist jedenfalls vom Anspruch getragen, dass sich im Gekreuzigten die eine wirkliche Wirklichkeit Gottes erschließt, welche in Gottes schöpferischer Liebe ihren Maßstab und Grund hat und welche die menschliche Wirklichkeitskonstitution als Scheinwirklichkeit enthüllt. Wird sein Wahrnehmen und sein Urteilen von der Gestalt des Gekreuzigten bestimmt, erschließt sich dem theologus crucis die schöpferische Liebe Gottes, welche gerade an demjenigen ihre Kraft und Gegenwart 84 85

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H. SCHRÖER, Paradox als Kategorie, 67. Vgl. zur Verbindung des Paradoxen mit dem Absurden S. KIERKEGAARD, Furcht und Zittern, 57-60. 76; ders., Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift I, 201-204; ders., Tagebücher Bd. 5, 386-388; zum ‚contra rationem’: ders., Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift II, 280. 292! Dazu und zur Entwicklung bei Kierkegaard vgl. TH. KOBUSCH, Paradoxon und religiöse Existenz, 464-471. 476-480 (Lit.); zur Paradoxchristologie Kierkegaards H. FISCHER, Christologie des Paradoxes. Vgl. S. KIERKEGAARD, Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift I, 204ff.; II, 321ff.; auch H. SCHRÖER, Kierkegaard und Luther, 237-248.

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erweist, das sich der Weltwahrnehmung als deformitas und infirmitas darstellt.87 Die Wirklichkeitssicht der (aristotelischen) Vernunft orientiert sich am Ansichsein, am Selbststand, während Gott gerade dem Nichtigen und Bedürftigen Wirklichkeit zuspricht.88 Von zwei Wirklichkeiten kann dabei keine Rede sein: Die erste Sicht ist – freilich aus der Perspektive der Kreuzestheologie – schlichtweg schöpfungswidrig; sie entspringt einem Scheinurteil.89 Menschliche Wirklichkeitskonstitution wiederum als Scheinwirklichkeit zu beurteilen, bedeutet dabei nicht, ihr Machtlosigkeit zu unterstellen. Das erhellt ihre weitere Explikation mittels der Differenz von Gott und Götze: Der Mensch hält sich an die von ihm konstituierte, Bedürfnisse stillende Gottheit.90 Diese Wirklichkeitskonstitution ist vom Gekreuzigten im wahrsten Sinne des Wortes zu durchkreuzen. Die in einer solchen Position zum Ausdruck kommende Universalität der theologischen Beschreibungsperspektive mag unter modernen Bedingungen als legitimationsbedürftig erscheinen; sie sperrt sich jedenfalls gegen eine Regionalisierung dessen, was Theologie zu vertreten hat. Dass anders theologisch von Wirklichkeit nicht geredet werden kann, hat dann nachdrücklich auch R. Bultmann in seiner Ablehnung einer Konzeption der doppelten Wahrheit unterstrichen.91 Und man wird an dieser Stelle schon hinzufügen dürfen: Sie ist auch jeder An-

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Zentral ist diesbezüglich These 28 der Heidelberger Disputation mit ihrer Probation, vgl. v.a. StA I, 212,8-17; aber auch WA 5, 660,7-10. StA I, 212,15-17. Vgl. exemplarisch in den Operationes WA 5, 38,14-18; aber auch StA I, 212,17f. Zum Sachverhalt von Luthers theologischer Wirklichkeitsthematisierung vgl. E. THAIDIGSMANN, Kreuz und Wirklichkeit, 95f.; ders., Gottes schöpferisches Sehen, 19-38; H. BLAUMEISER, Martin Luthers Kreuzestheologie, 252ff. 451ff. 519ff.; M. PLATHOW, Wirklichkeit – erschlossen im Kreuz, 180-202. Zu erinnern ist außerdem an W. JOEST, Ontologie der Person, und an G. EBELINGS relationale Bestimmung des Seins als Zusammensein: ders., Dogmatik I, 222f. Vgl. die bereits erwähnten Ausführungen Luthers in der Jona-Vorlesung (WA 19, 206f.). Weil die menschliche Vernunft in ihrer Wirklichkeitskonstitution „nymer mehr den rechten Gott, sondern allewege den teuffel odder yhr eygen dunckel, den der teuffel regiert“ (WA 19, 207,9f.), trifft, wäre an dieser Stelle auch Luthers Rede vom Teufel zu thematisieren. Dazu G. EBELING, Disputatio de homine, 246ff. Zum Verhältnis der einen Christuswirklichkeit zur selbstkonstituierten „falschen“ Wirklichkeit und zum Raum des Teufels vgl. auch D. BONHOEFFER, Ethik, 51f. R. BULTMANN, Theologische Enzyklopädie, 196f. (Hervorheb. gestrichen): „Der Satz von der doppelten Wahrheit hilft gar nichts, weil jede Betrachtung die ganze Welt, den ganzen Menschen sich unterwirft und zeigen will, wie die Welt, wie der Mensch wirklich ist. [...] Der Glaube ist nur ernstgenommen, wenn er als die Sicht verstanden ist, die Welt und Mensch so sieht, wie sie wirklich sind, wenn er also von jeder anderen Betrachtungsweise, die das gleiche beansprucht, getrost sagt, daß sie falsch ist.“

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wendung eines Perspektivenmodells im Bereich der Theologie zu bedenken aufgegeben. Die Gestalt des Gekreuzigten wird bei Luther also zum Erschließungspunkt, von dem her Theologie urteilen muss, will sie die Wirklichkeit als eine Wirklichkeit wahrnehmen, die sich Gottes seinskonstitutiver Liebe verdankt.92 Evangelische Theologie ist gut beraten, das theologische Potential einer solchen zugespitzten klassischen Position zu bedenken, ehe sie dazu weiterschreitet, mehr noch: dazu weiterschreiten muss, die gegenwärtige Verantwortbarkeit der darin zur Geltung gebrachten Sache zu erörtern. Die im Rahmen dieser Erörterung zu bearbeitenden und in der These benannten Probleme weisen zum großen Teil auf die in 1.2. entfaltete Problemmatrix zurück, sie ließen sich auch exemplarisch an den analysierten Positionen von W. Gräb und I.U. Dalferth aufweisen. Luthers Heidelberger Disputation von 1518 ist von Paradoxien der Glaubenskommunikation geprägt, welche theologische Unterscheidungen bzw. Differenzierungen erfordern. Es handelt sich dabei durchweg um solche, welche innerhalb des christlich-theologischen Selbstverständnisses Geltung haben. Einige von ihnen dienen dabei allerdings dazu, das Außenverhältnis zur Welt bzw. zur Gesellschaft gewissermaßen intern zu verarbeiten. Letztere sind im Anschluss an 1 Kor 1 in der Heidelberger Disputation außerordentlich stark gefasst. Diesbezüglich legt es sich nahe, von einer starken Perspektivendifferenz zu sprechen (vgl. 1.2.1.). Bei allen erkenntnistheoretischen Problemen, die eine solche Reformulierung mit sich bringt, sie steht in Übereinstimmung damit, dass Luthers Wirklichkeitsverständnis sich selbst an den Differenzen der visuellen Wahrnehmung orientiert (Sehen Gottes – Sehen des Menschen).93 Für eine Theologie in gegenwärtiger Verantwortung fängt die Herausforderung an dieser Stelle erst an: Von Paulus und Luther bekommt sie mit- und vorgegeben, dass zum einen eine perspektivische Reformulierung von Wirklichkeitsthematisierungen nicht die Auffassung verschiedener separat-partikularer Wirklichkeitsbereiche insinuiert, und dass zum anderen die epistemologische Kategorie der Perspektive von Grund auf praktisch bestimmt ist, insofern eine Lebens92

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Konsequenterweise fordert Luther mit 2 Kor 10,5, dass nicht die Glaubenswahrheiten unter das Urteil der Vernunft, sondern die Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen zu nehmen ist: WA 39/II, 4,2f. 6f. (Disputation über Joh 1,14). Der Streit um die Vernunft ist ein Streit darüber, was ihr Urteil bestimmt. Vgl. dazu die Studie von E. THAIDIGSMANN, Gottes schöpferisches Sehen. Zur Perspektivität allgemein vgl. G. KÖNIG, „Perspektive“, 363-375; F. KAULBACH, Philosophie des Perspektivismus; zur Perspektivität als theologisches Grundproblem: H.-P. GROßHANS, Perspektivität, 351-366.

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form bzw. Existenzweise immer schon voraussetzt ist. Diskussionsbedürftig ist aber die interne Verarbeitung des Konflikts von Weltweisheit und göttlicher Weisheit, insofern sie die andere Erkenntnisweise, hier also die der Weltweisheit, einer „theologia gloriae“ und damit dem Prinzip einer Selbstkonstitution unterstellt. Man könnte meinen, eine solche Differenzen ausprägende Theologie schaffe sich selbst ihre Bedingungen, um sich gewissermaßen ungestört auf die Explikation einer selbstabgeschlossenen Glaubensperspektive konzentrieren zu können: In der perspektivischen Reformulierung wird eine stabile Innen-Außen-Differenz aufgebaut, die einer außerhalb des eigenen Diskursfeldes gewonnenen Erkenntnis nichts Förderliches für das Eigene entnehmen könnte.94 Wie zu sehen war, gehen W. Gräb und I.U. Dalferth sehr verschieden mit diesem Problem um: Während Dalferth das Problem der Perspektivendifferenz an den Positionen von Luther, Schleiermacher und Barth zur Darstellung bringt und als Aufgabe seiner eigenen Konzeption begreift, steht Gräbs Programm der Entsubstantialisierung für eine funktional-konstruktive Auffassung christlich-theologischer Bedeutungsgehalte, welche diese nur als mit einem medienformierten Wirklichkeitsaufbau kompatible gelten lässt. Ebenso wie die diesbezüglich ebenfalls gegensätzlichen Positionen von T. Rendtorff und E. Herms es zu tun mögen, verweist dies darauf, dass Theologie in bestimmter Weise als Wirklichkeitswissenschaft zu konzipieren einer präzisen Fassung von Differenzen bedarf. Theologie als Kunst des Unterscheidens

3.3. Theologie als Kunst des Unterscheidens 10. Theologie hat als Kunst des Unterscheidens nicht die Aufgabe, die dem Glauben innewohnenden Paradoxien zum Verschwinden zu bringen, denn dann hätte sie das ihm eigene kritische Bewusstsein zum Verschwinden gebracht. Durch die Formulierung von dogmatischen Folgedifferenzen hält sie vielmehr – den am Kreuz offenbaren – paradoxen Umgang Gottes mit den Menschen offen und orientiert dadurch im Glauben. Diese Folgedifferenzen dienen zugleich dazu, die fundamentale Differenz von Gott und Mensch, wie sie im Wort vom Kreuz zur Geltung kommt, vor Verharmlosungen oder unangemessenen Verallgemeinerungen zu schützen, sie sind als Theoreme aber immer wieder selbst auf diesen Ursprung zurückzuführen bzw. an ihm zu prüfen.

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Auf diese Grundstruktur bringt T. Rendtorff auch die funktionale Bedeutung der Ekklesiologie K. Barths für dessen Theologiebegriff (vgl. 1.1.7.3.).

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Mit der Forderung einer rechten „Kunst des Unterscheidens“ zog Luther keineswegs gegen eine distinktionslose Theologie ins Feld, sondern gegen eine solche, welche seiner Meinung nach die am Kreuz offenbaren Paradoxien und Gegensätze verdunkelt, damit aber das Zentrum alles Paradoxen, den Christus crucifixus verliert.95 Von diesem Zentrum her vollzieht sich Luthers Theoriebildung gewissermaßen als konstruktive Differenzbildung: In der Heidelberger Disputation werden die Paradoxien des Glaubens mit den Unterscheidungen von opus proprium und opus alienum bzw. von Gesetz und Evangelium verbunden, in seinem „Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi“ mit der Unterscheidung von sacramentum und exemplum.96 Doch selbst diese Unterscheidungen erwiesen sich – um ein Beispiel zu nennen – in Luthers Auseinandersetzung mit Karlstadt als nicht ausreichend, um das Wort vom Kreuz als Wort vom Kreuz und damit die Reinheit des Evangeliums zu bewahren: In seiner Schrift „Wider die himmlischen Propheten ...“ (1525) wird deshalb die Folgedifferenz meritum Christi und distributio meriti ins Feld geführt.97 Letztlich ließe sich auch die Theoriebildung der neueren Theologie als Bildung von Differenzen und Zuordnungen in jeweils verschiedenen Ausprägungen begreifen: F. Schleiermachers Unterscheidung von unmittelbarem und gegenständlichem Selbstbewusstsein ist in der Entsprechung zur Gott-Mensch-Differenz als der Differenz von Unendlichem und Endlichem entworfen. Zuvor hatte schon J.S. Semlers Differenzbildung von Religion und Theologie darauf gezielt, den individuellen Glauben von einem Fürwahrhalten überlieferter Glaubenssätze abzuheben. M. Kählers grundlegende Unterscheidung von Geschichtlichem und Übergeschichtlichem möchte in einer interessanten Analogie 95

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Das wird vor allem in seiner Galaterbrief-Vorlesung von 1531 deutlich, vgl. WA 40/I, 50,24. Im unmittelbaren Kontext ist die Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten, in ebd., 207,17f., die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium angesprochen: „Qui igitur bene novit discernere Evangelium a lege, is gratias agat Deo et sciat se esse Theologum.“ Zu beachten ist dabei, dass diese Differenzen für Luther nicht auf der Ebene theologischer Reflexion allein, sondern auch und vor allem auf der Ebene des Glaubensvollzugs Geltung haben sollen: ebd., 207,28f. Der Streit mit der scholastischen Theologie wird im Blick auf die Unterscheidung von nacktem und fleischgewordenem Glauben (ebd., 417,12-14) und die Unterscheidung von fides informis und fides formata ausgetragen (ebd., 421,29-31) und den Scholastikern vorgeworfen, mit ihrer Weise des Unterscheidens den gekreuzigten Christus zu verlieren (ebd., 423,16f.). Erhellend sind diesbezüglich schon die philosophischen Thesen der Heidelberger Disputation, insofern dort Luther Aristoteles (faktisch Ockham) unterstellt, nur eine distinctio rationis, nicht aber eine distinctio realis von forma, materia und compositum denken zu können. Vgl. dazu TH. DIETER, Luther und Aristoteles, 564631. WA 2, 141,8-13. WA 18, 203,30-204,4; vgl. WA 26, 294,5-9 (Vom Abendmahl Christi, 1528).

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zur zuletzt genannten Unterscheidung Luthers das Allgemeingültige und Bleibende des kontingenten Christusgeschehens begrifflich fassbar machen. Im Anschluss an Luther hat im vergangenen Jahrhundert vor allem G. Ebeling den Vollzug des Unterscheidens zum Ausgangspunkt seiner eigenen Arbeit und auch seiner Kritik an K. Barth gemacht.98 Nach G. Sauter richtet sich theologische Urteilsbildung an Unterscheidungen aus, welche zu Dialogregeln geworden sind (Chalcedonense; Barmer Theologische Erklärung).99 Ein neueres Beispiel für das Erheben einer Folgedifferenz, welche ihrerseits an die Unterscheidungen von Luthers Kreuzestheologie angeschlossen wird, ist die von E. Thaidigsmann und O. Bayer gegen Hegel und Moltmann vertretene Unterscheidung einer an den concreta des Seins Jesu Christi und dem existentiellen Vollzug orientierten theologia crucis von einer sogenannten theologia crucis naturalis.100 Als normativer Kern eines solchen Theoriebildungsverfahrens ergibt sich im Licht der hier verfolgten metatheoretischen Orientierung am Wort vom Kreuz grundsätzlich: Aufgabe eines systematisch-theologischen Diskurses ist es nicht nur, Begründungen für Unterscheidungen einzufordern und einem Sparsamkeitsprinzip Rechnung zu tragen,101 vielmehr sind Positivierungen von Differenzen immer wieder kritisch zu hinterfragen und auf die Fundamentaldifferenz des Evangeliums von Jesus Christus zurückzuführen bzw. von ihr her zu rekonstruieren.102 Das muss im Übrigen dann auch für diejenigen Lehrsätze geltend gemacht werden, welche für die Identität des Protestantismus eine bedeutsame Rolle spielen – etwa die Differenz von Gesetz und Evangelium. Insofern einem solchen Rekonstruktionsvollzug selbst die

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G. EBELING, Lehre und Leben, 34-36; vgl. ders., Das rechte Unterscheiden, 19-58; ders., Über die Reformation hinaus?, 295ff. Vgl. zum Motiv des Unterscheidens bei Ebeling die Studie von K. ZWANEPOL, Unterscheiden, v.a. 269ff. 99 G. SAUTER, Zugänge zur Dogmatik, 74-89. 100 E. THAIDIGSMANN, Kreuz und Wirklichkeit, 95; O. BAYER, Wort vom Kreuz, 119f.; ders., Passion und Wissen, 116f. 101 Auch in der Scholastik hat es keine unbeschränkte Lizenz zur Einführung neuer Unterscheidungen gegeben: „Distinctio non est introducenda sine necessitate“ (F. Suàrez, zit. bei S.K. KNEBEL, „Unterscheiden“, 309). Zur Geschichte und zu den verschiedenen Formen des mit Wilhelm von Ockham in Verbindung gebrachten Sparsamkeitsprinzips, das in der Philosophiegeschichte unter dem berühmten Ausdruck „Ockhams Rasiermesser“ diskutiert wurde, vgl. die Hinweise bei H.J. CLOEREN, „Ockham’s razor“, 1094-1096; V. LEPPIN, Wilhelm von Ockham, 62f. 102 Vgl. dazu noch einmal U. KERN, Theologia crucis, 65f., welcher Luthers theologia crucis als kritische Theorie und theologisches Fundamentaltheorem auffasst.

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Differenz von Glaube und Lehre nicht äußerlich ist, eignet ihm dabei ein ökumenisches Potential.103 Der eben skizzierte Teil der Aufgabenbestimmung lässt sich durchaus auch einer allgemeinen Beschreibungsperspektive zugänglich machen. Es ist dann davon auszugehen, dass nicht erst deren Reflexion, sondern schon die Religion selbst sich als Form kritischen Bewusstseins darstellen kann (vgl. These 18). Ihr sind Differenzen (Differenz von Gott – Welt, heilig – profan, transzendent – immanent) eingeschrieben, die eine welt- und selbstkritische Funktion ermöglichen.104 Im spezifischen Fall der christlichen Religion nötigt der gekreuzigte Christus zu einer paradoxalen Fassung der Differenz, die – um mit N. Luhmann zu sprechen – in Form von Folgedifferenzen in dogmatische Selbstbeschreibungen eingeht und von theologischen Reflexionstheorien begrifflich reflektiert werden kann. Diese begrifflichen Ausarbeitungen wiederum fungieren als Identitätsreflexionen, welche nicht nur die für das System fundamentalen Differenzen sicherstellen,105 sondern der intrinsezistischen Verantwortung der Glaubensüberzeugungen nach außen dienen.106 Von erheblicher Bedeutung ist dabei, dass und wie die Innen-Außen-Differenz selbst durch Unterscheidungen der Reflexionstheorie eingeholt wird. 11. Als Kunst des Unterscheidens hat Theologie außerdem die Differenz von christlichem und nichtchristlichem Wirklichkeitsverständnis zu bestimmen und dabei Letzteres unter Maßgabe intern-theologischer Differenzen zu rekonstruieren. Dabei besteht die Gefährdung darin, eine dualistisch gefasste Rekonstruktionsdifferenz schematisch so anzuwenden, dass die externe Beschreibungsperspektive einer Negativkategorie zugeordnet und so eine Selbstabschließung stabilisiert wird, welche echte Konflikte wie konstruktive Rückwirkungen gar nicht erst aufkommen lässt.

103 Vgl. K. RAHNER, „Theologia crucis. II“, 61 (dazu unten, These 14); auch F. FLEINERTJENSEN, Ecclesia crucis, 174-189. 104 Vgl. die in 2.2.4. angeführten Arbeiten von R. Schaeffler, M. Seckler und J. Dierken. 105 Vgl. dazu M. LUTHER, WA 40/I, 486,26-28 (Galaterbrief-Vorlesung von 1531). Luther macht hier die Identität der christlichen Lehre an der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium fest. 106 Mit „intrinsezistisch“ im Unterschied zu „extrinsezistisch“ bezeichnet M. Seckler im Anschluss an M. Blondel die Verantwortung des Glaubens nach außen aus seiner ihm eigenen Inhaltlichkeit heraus. Er will diesen Begriff in systemtheoretischer Wendung verstanden wissen und deutet mit seiner Hilfe bereits die Vorgehensweise F. Schleiermachers: M. SECKLER, Fundamentaltheologie, 398-400; zu Schleiermacher: ebd., 338f. 362.

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Diese Aufgabenbestimmung bezieht sich auf das theologische Grundproblem, wie sich theologische und nichttheologische Beschreibungsperspektiven zueinander verhalten. Die Bedingungen moderner Erkenntnistheorie bringen es sich, dass mit der Einsicht in die Differenz der Beschreibungsperspektiven auch die Aufforderung zu deren Zuordnung einhergeht.107 Wie dies innerhalb der Theologie selbst durch die jeweils eigene Bildung von Differenzen und Zuordnungen vollzogen wurde, lässt sich an einer Vielzahl von Entwürfen ablesen. Den paradigmatisch gewordenen unter ihnen hat sich I.U. Dalferth im Rahmen seiner Diskussion verschiedener Perspektivenmodelle ausführlich gewidmet. Blickt man auf seinen eigenen Vorschlag in seiner „Kombinatorischen Theologie“, so scheinen die zur Bearbeitung der perspektivischen Differenz aufgebotenen theologischen Differenzreihen dogmatisch festzustehen.108 Im weiteren Kontext seiner Arbeiten stellt sich dies anders dar. Im Rahmen des hier vorgeschlagenen Entwurfs haben solche Differenzen jedenfalls grundsätzlich den Status fallibler Theoreme. Die Bedeutung der an dieser Stelle zur Erörterung stehenden Fragestellung lässt sich leicht einsehen – und zwar gerade auf dem Hintergrund der in Luthers Theologia crucis zur Geltung gebrachten starken Perspektivendifferenz. Strukturell besehen handelt es sich bei ihr allerdings nicht lediglich um die Differenz von nichttheologischer und theologischer Beschreibungsperspektive, sondern um die Differenz zweier theologischer Erkenntniswege, wobei der eine von einer nichttheologischen Wirklichkeitsbeschreibung, der andere von einer theologischen ausgeht. Die starke Fassung dieser Differenz vermisste Luther in der einem bestimmten Zuordnungsmodell von Natur und Gnade folgenden Theologie etwa eines G. Biel, und zwar ganz ungeachtet der in dieser selbst vorgenommenen (nicht wenigen) Differenzbestimmungen.109 Die gegenwärtiger systematisch-theologischer Bearbeitung auf107 Vgl. H.-P. GROßHANS, Perspektivität, 364. 108 Deutlich und ebenso problematisch wird dies, wenn G. Sauter den Status der Dialogdefinitheit von Unterscheidungen mit ihrem axiomatischen Charakter verbindet. 109 Dies zeigt bereits deutlich seine frühe Disputatio contra scholasticam theologiam von 1517 (WA 1, 224-228). Ihr zufolge stellt sich systematischer Auswertung das Kernproblem so dar, dass bei Biel menschliche Wirklichkeit und menschliches Handeln zunächst (mit aristotelischen Mitteln) an sich bestimmt werden, die Beziehung zu Gott und damit die theologischen Bestimmungen so aber immer als nachgetragene erscheinen müssen. Im Schatten der Akzeptanztheorie kommt es zu einer aus Luthers Warte optimistischen Anthropologie. Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem, v.a. 371-377. Von daher geht es nicht lediglich um die Zuordnung von Natur und Gnade an sich, sondern um das ‚Wie’, also die Art und Weise dieser Zuordnung. Der kirchengeschichtlich differenzierte Befund ist für die ökumenische Verständigung an dieser Stelle nicht unerheblich.

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gegebene Frage bezieht sich auf die Zuordnung auf Theorieebene, welche sich aus Luthers eigener Fassung der Perspektivendifferenz dann ergibt. Diesbezüglich wurde bereits auf die Gefahr einer Selbstabschließung hingewiesen, die dann eintreten kann, wenn die Kategorie „theologia gloriae“ oder die Kategorien von „Sünde“ oder „Gesetz“ einlinig der externen Perspektive zugewiesen werden.110 Die moderne Theologie ist hier auch erkennbar andere Weg gegangen, wie sich im Durchgang der analysierten Positionen exemplarisch verdeutlichen lässt. So fallen in Schleiermachers Konzeption die unterschiedlichen Thematisierungsweisen von theologischem und nichttheologischem Zugang zwar nicht in eins, werden aber symmetrisch integriert. Damit gesellen sich zwei Bewegungen zueinander: Einerseits wird die Differenzbestimmung des eigentümlich Christlichen über ein allgemeines Begriffsbestimmungsverfahren der Philosophischen Theologie gewonnen, so dass das Christentum als eine Religion unter vielen erscheint; andererseits schließt dies nicht aus, ein universales Wirklichkeitsverständnis aus dem Horizont der christlichen Religion zu entwerfen.111 Die ganze Bandbreite der Differenz- und Zuordnungsmöglichkeiten zeigt sich schließlich, wenn man die Positionen von T. Rendtorff

110 Zu beachten ist bei einer solchen problemorientierten Reformulierung allerdings, dass die jeweiligen Negativkategorien durchaus auch in die Selbstauffassung eingehen. So läuft etwa die Bestimmung des simul iustus et peccator einer kulturellen Abschließung des Christlichen zuwider. Vgl. zu dem damit angesprochenen Problem N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 324f.: „Die Selbstbeschreibung der modernen Religion muß sich also im alten Modus einer wahrgenommenen Differenz von System und Umwelt auf neue Formen einlassen. Es genügt nicht mehr, den nichtreligiösen Kommunikationen eben dies, daß sie nicht auf Religion achten, zum Vorwurf zu machen. Nichtteilnahme kann nicht gut als ‚Sünde’ charakterisiert werden. [...] Oder anders gesagt: es genügt nicht mehr, das System/Umwelt-Verhältnis mit einem positiv/negativ-Schematismus zu beschreiben und die Umwelt als Abweichung von dem aufzufassen, was eigentlich (und auch im Sinne Gottes) zu verlangen wäre. Die Autonomie des Religionssystems ist erst jetzt voll realisiert, so daß nicht einmal der positiv/negativ-Schematismus für die Beschreibung des Umweltverhältnisses ausreicht. Wenn das System seine Umwelt negativ besetzt, muß es dies selbst tun und als Moment der eigenen Selbstbeschreibung selbst verantworten. Die autopoietische Autonomie verlangt [...] die Einschließung der Negation des Systems ins System.“ Ein neueres Beispiel für die Selbstabschließung des Religionssystems ist für Luhmann die Beschreibung der Umwelt mittels der Säkularisierungskategorie und mittels der Konstruktion eines allen Menschen unterstellten Sinnbedarfs: ebd., 339f. 111 Für Letzteres hat sich nachdrücklich noch einmal E. HERMS, Religion, Wissen und Handeln, 288-295, eingesetzt. Vorausgesetzt ist dabei die Integration über eine Begründungsstruktur: Das nichtreligiöse Verständnis von Wirklichkeit wird bei der Erfassung seiner Möglichkeitsbedingungen auf ein religiöses zurückgeführt, in dessen Horizont es ausgelegt werden kann.

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und G. Lindbeck einander gegenüber stellt: Während in Rendtorffs „Wirklichkeitswissenschaft“ die Differenz der Beschreibungsperspektiven eingezogen zu werden droht, wird sie bei Lindbeck zu einer nicht unproblematischen Dichotomisierung von Glaubens- und Kulturwelt zugespitzt. In einer neueren Studie hat sich P. Dabrock dem hier angesprochenen Problemfeld zugewandt. Hinsichtlich der Gefahr einer Selbstabschließung hat er die theologischen Differenzbildungen und Zuordnungsmechanismen von G. Ebeling, von G. Lindbeck, aber auch von I.U. Dalferth kritisieren zu müssen gemeint und zur Bearbeitung der „Schwelle“ der Theologie zu nichttheologischen Bereichsrationalitäten die Konzeption responsiver Rationalität von B. Waldenfels aufgeboten.112 So erhellend dies sein mag, für die Erörterung des genannten Problems wird in der vorliegenden Skizze auf D. Bonhoeffers Unterscheidung von Letztem und Vorletztem zurückgegriffen (3.6). Sie bietet sich schon deshalb an, weil Bonhoeffer selbst sie vom gekreuzigten und auferstandenen Christus her entworfen hatte und sie somit dem Duktus der hier verfolgten Argumentation näher liegt.113 Dass damit die zu bedenklichen Prinzipialisierungen neigende Antithetik des frühen Luther in einer gewissen Weise transformiert wird, liegt auf der Hand.114

112 Vgl. P. DABROCK, Antwortender Glaube, 20. 121. 170-178. Was Dalferth betrifft, wurde die Kritik (vgl. 2.2.1.1.) bereits zurückgewiesen, sie trifft allenfalls die verkürzten Ausführungen in „Kombinatorische Theologie“. In seiner Religionsphilosophie wird die Differenz von Innen- und Außenperspektive, wie erwähnt, als Differenz zweier verschiedener Denkwege idealtypisch entworfen: von der Wirklichkeit zur Möglichkeit (außen) – von der Möglichkeit zur Wirklichkeit (innen). Dabei sind Rückkopplungen ausdrücklich vorgesehen. 113 In einer Anmerkung erwägt P. DABROCK (ebd., 170f., Anm. 619) diesbezüglich selbst die Bonhoeffersche Unterscheidung. Dabei bleibt unklar, ob sie das zu leisten vermag, was Dabrock der responsiven Rationalität von Waldenfels entnimmt. 114 Um die Reichweite der Explikation der Theologia crucis mithilfe der Unterscheidung von Letzten und Vorletztem an dieser Stelle bereits anzudeuten: Sie gestattet es, christlichen Grundüberzeugungen, wie derjenigen, dass Gott auch im Widerfahrnis des Guten zu suchen ist, ebenso gerecht zu werden, wie sie es gestattet, menschliche Vollzüge wie das Streben nach Gerechtigkeit oder die auf Gutes und Seiendes gerichteten Liebesakte in ihrem positiven Stellenwert wiederzugewinnen – vom Letzten her.

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3.4. Theologie und Kirche in der Gestalt des Kreuzes Theologie und Kirche in der Gestalt des Kreuzes 12. Ihre jeweilige Beziehung zum Wort vom Kreuz verbindet Theologie und Kirche und hat für beide gestaltbildende Bedeutung: Dadurch, dass sie sich bewährten oder sich zu bewährenden Lehren oder Verlautbarungen unterstellen, beanspruchen Kirchen, sich in ihren Handlungsvollzügen und ihrer Sozialgestalt vom Evangelium als dem Wort vom Kreuz bestimmen zu lassen. Theologie reflektiert diesen Bestimmungsanspruch kritisch und fragt als rekonstruktive wie konstruktive Unterscheidungsdisziplin nach der Begründungsfähigkeit von Lehren und Verlautbarungen. Die unterscheidende Gestalt als Theologia crucis gewinnt sie dabei nur im Rückgang auf dieselbe Voraussetzung, die auch der unterscheidenden Gestalt der Kirche zugrunde liegt: auf das Wort vom Kreuz als Bedingung der Möglichkeit und als kritischem Maßstab beider. Diese Verbindung deutet sich schon bei Paulus, vollends bei Luther an, wenn er im Kreuz die unterscheidende Form sowohl von menschlichen Lebensweisen und kirchlichen Handlungsvollzügen als auch von unterschiedlichen Erkenntnisweisen erblickt.115 Das bedeutet allerdings auch: Dass Kirche und Theologie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit ihrer institutionellen Verfassungen „etwas“ sind und nicht „nichts“, als solche Größen daher auch eine gewisse gloria mit sich führen, dies ist an sich noch keineswegs der Verwerflichkeit anheim zu stellen. Der abusus gloriae tritt für die Kirche dann ein, wenn dieser Sachverhalt die Maxime der Systemsteuerung abgibt, wenn die intentionale Ausrichtung auf die Selbst- und Bestandserhaltung konzentriert wird. Für die Theologie tritt er, wie bereits skizziert, dann ein, wenn das „etwas“ der Weltwirklichkeit die begriffliche Formatierung und insofern die Maxime ihres Denkwegs vorgibt.116 Eine solche Wirklichkeitskonstruktion ist der göttlichen Wirklichkeitsschöpfung entgegengesetzt. Zur unterscheidenden Form wird das Kreuz also deshalb, weil in ihm das göttliche Wirklichkeitsverhältnis zum Bedürftigen und Nichtigen manifest ist. Dieser Sachverhalt ist freilich erst durch den Glauben an den Auferweckten zugänglich. Durch ihn erschließt sich, dass im Gekreuzigten innerweltlich diejenige Form zur Erscheinung kommt, in welcher sich göttliches Gestalten vom menschlichen unterscheidet.

115 Vgl. H. BLAUMEISER, Martin Luthers Kreuzestheologie, 252ff. 116 Es braucht nicht eigens gesagt zu werden, dass von dieser Warte aus auch eine entchristlichte und religiös indifferente Umwelt als solche wahrgenommen werden kann. Ihr muss nicht erst ein „etwas“ an Religion unterstellt werden, um als basale Gegebenheit eine darauf bezogene Wissenschaft zu legitimieren.

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Gegenüber einem abusus gloriae haben sich Kirche und Theologie daher in der Ausrichtung an der Gestalt des Gekreuzigten die Maxime ihres Denkens und Handelns geben zu lassen. Wie dies im Blick auf die Theologie verstanden werden muss, wurde bereits deutlich; im Blick auf die Kirche ist im Vorgriff auf die nächste These bereits daran zu erinnern, dass Luther ganz folgerichtig die Kreuzesgestalt zu den notae ecclesiae zählt.117 Bevor diesbezüglich einige notwendige Präzisierungen vorzunehmen sind, ist die missverständliche, aber nicht selten gebrauchte Metapher der Gestalt bzw. der Gestaltung zu erläutern. Beispielhaft kann auch hierzu der Ansatz von D. Bonhoeffer dienen, insbesondere seine Ausführungen in „Ethik als Gestaltung“.118 Bei diesem Ansatz wird auf den ersten Blick ersichtlich, dass er, ohne es zu explizieren, Luthers Differenz von sacramentum und exemplum in sich trägt. So wird von vorneherein „Gestaltung“ nicht von menschlicher Aktivität her basal bestimmt, sei es im wohlgemeinten Sinne einer imitatio oder eines Imperativs zur Verwirklichung, sondern ganz im Sinne von Luthers ‚conformari’:119 „Christus bleibt der einzige Gestalter.“120 Wie dies näherhin vorgestellt werden soll, ergibt sich aus dem Leitsatz: „Gestaltung gibt es [...] allein als Hineingezogenwerden in die Gestalt Jesu Christi, als Gleichgestaltung mit der einzigen Gestalt des Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen.“121 In der Fortführung von Bonhoeffers dreigliedrigem Kirchenbegriff muss dies als ein Prägen und Sich-bestimmen-Lassen verstanden werden, das auf menschliche Kommunikationsvollzüge und -inhalte, aber auch auf Organisationsstrukturen gestaltend wirkt.122 Denn was universale Bedeutung für alle Men-

117 WA 50, 641,35-642,30 (Von den Konziliis und Kirchen, 1539); vgl. dazu: M. BEINTKER, Wort vom Kreuz, 151ff. 118 D. BONHOEFFER, Ethik, 62-90; vgl. dazu: B. WANNENWETSCH, Gestaltwerdung, 65-64. 119 WA 5, 166,12-14 (Operationes in Psalmos, 1519-1521). 120 D. BONHOEFFER, Ethik, 81; schon Bonhoeffer wußte darum, dass man sich der christlichen Programme zur Gestaltung „überdrüssig“ werden kann. Er grenzt das biblische Verständnis zunächst („in erster Linie“) von Planung und Programmen ab: ebd., 80. Im Hintergrund hat man Bonhoeffers Verhältnisbestimmung von Wirklichkeit und Wirklichwerden mitzuhören, vgl. ebd., 34, ebenfalls die Entfaltung des Kirchenbegriffs in ‚Sanctorum Communio’, vgl. oben, 1.1.6. 121 Ebd., 80. Vordergründig hätte F.W. GRAF, Innerlichkeit und Institution, 390f., für seinen Vorwurf, bei Bonhoeffer läge strukturell Gleichschaltung und Totalitarismus vor, mit dieser Stelle einen Beleg für seine These. In der Tat stand 1940 zur Debatte, von wem man sich total bestimmen lassen wollte. Die 2. These der Barmer Theologischen Erklärung hatte darauf jedenfalls eine eindeutige Antwort gegeben. 122 Vgl. D. BONHOEFFER, Ethik, 81. Das conformari schließt also eine cooperatio des Menschen nicht aus, sondern setzt sie vielmehr frei. Vgl. M. SEILS, Gedanke vom Zusammenwirken, 86-89. 129-135. 166ff.

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schen hat, soll in der partikularen Gestalt der Kirche wirksam werden – gewinnt aber gerade so wiederum Bedeutung für alle Menschen.123 Für die empirische Kirche als Erfahrungsort dieses Gestaltetwerdens ist dabei zu beachten, dass Bonhoeffer hier nun keineswegs Christus als Prinzip bzw. allgemeine Norm der Gestaltung aufgefasst sehen will. Denn dann bestünde die Gefahr, dass eine Pluralisierung hinsichtlich der Gestaltungsweisen, welche der Vielfältigkeit menschlicher Lebenswirklichkeit entspricht, gar nicht mehr anerkannt werden könnte: „Das bedeutet, daß die Gestalt Christi, so gewiß sie eine und dieselbe ist und bleibt, doch in wirklichen Menschen und das heißt in ganz verschiedener Weise Gestalt gewinnen will. Christus hebt die menschliche Wirklichkeit nicht auf zugunsten einer Idee, die Verwirklichung gegen alles Wirkliche forderte, sondern Christus setzt die Wirklichkeit gerade inkraft, er bejaht sie, ja er selbst ist ja der wirkliche Mensch und so der Grund aller menschlichen Wirklichkeit.“124 Mit dieser Aussage bewegt sich Bonhoeffer bereits auf dem Problemfeld eines theologischen Wirklichkeitsverständnisses, das eingehender Erörterung bedarf (3.6.). Deutlich ist jedenfalls und entspricht Bonhoeffers Ablehnung jedes Denkens von zwei Wirklichkeitsräumen, dass das Gestaltetwerden durch Christus in eine Alltagswirklichkeit mit ihrem Leiden unter Armut, Tod und Krankheit hineinstellt. – Zunächst ist dieses Gestaltetwerden hinsichtlich der Handlungsvollzüge und der Sozialgestalt der Kirche zu bedenken. 13. Im Blick auf die Kirche betrifft das Wort vom Kreuz als Maßstab für ihre Gestalt sowohl die konstitutiven (unveränderlichen) Handlungsvollzüge als auch ihre (veränderliche) Sozialgestalt. Kirchen steuern ihre Gestalt zu einem erheblichen Teil so, dass sie sich Lehren (in den Ostkirchen: liturgischen Texten) unterstellen, die zugleich Ausdruck dessen sind, was sich eine bestimmte Kirche zu einer bestimmten Zeit gesagt sein lassen will. Wie F. Schleiermachers Glaubenslehre exemplarisch zeigt, schließt das Anerkennen einer Kontextualität von Lehre nicht aus, dass in ihr konstitutive und unveränderliche Handlungsvollzüge („Haupttätigkeiten“) festgeschrieben werden, welche zur Identität der Kirche erforderlich sind.125 Schleiermacher selbst 123 Vgl. D. BONHOEFFER, Ethik, 84f. 124 Vgl. ebd., 86. 125 F. SCHLEIERMACHER, CG2 § 126.2 (II, 278). Die Begründung hierfür ist gut reformatorisch: „Jenes Unveränderliche nun gründet sich wesentlich darauf, daß die Kirche nur durch dasjenige fortbestehen und zu ihrer Vollkommenheit gelangen kann, wodurch sie auch entstanden ist“ (ebd.).

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skizziert in diesem Sinne außer dem in CA VII genannten Kern sechs notae ecclesiae,126 welche für ihn „am meisten die Kräfte“ der unsichtbaren Kirche in der sichtbaren „repräsentieren“.127 Luther hatte in „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) sieben Erkennungsmerkmale aufgeführt, zuletzt das Kreuz.128 Was dabei zur Entfaltung kommt, ergibt sich aus dem erwähnten „Gestaltetwerden“ bzw. „Gleichförmigwerden“129 – und zwar als eine äußerlich wahrnehmbare Lebensweise derer, die sich von Christus und seinem Wort bestimmen lassen. Schon die textlichen Rückverweise legen es mit M. Beintker zu sagen nahe, dass damit nicht nur ein Erkennungsmerkmal neben anderen, sondern das die Struktur aller bildende benannt sein sollte.130 Das Kreuz als gestaltbildendes Merkmal der Kirche anzuerkennen hat aber, recht besehen, eine weitreichende Bedeutung für die institutionelle Fassung von Kirche, Amt und Sakramentshandlungen – letztlich eine ökumenische Bedeutung: Diese institutionelle Fassungen sind so zu pflegen bzw. zu reformieren, dass sie nicht zur Spiegelung menschlicher Selbstherrlichkeit aufgeladen werden, sondern – auch in ihrer wahrnehmbaren Gestalt! – wegweisen von sich selbst auf Christus und die in ihm offenbare Gottesliebe. Mit solchen Folgerungen hat man allerdings bereits die gängige Aufteilung überschritten, in den notae ecclesiae die unveränderlichen Handlungsvollzüge der Kirche zu erblicken, alle weitere Gestaltung aber dem freien Ermessen (und das heißt meist: der Tradition) zu überlassen.131 Auch der von Luther beschrittene Weg, die institutionelle Ordnung der Kirche auf dem Weg eines landesherrlichen Kirchenregiments dem Einfluss weltlicher Instanzen auszusetzen, wird dann – gerade auf der Grundlage seiner eigenen Ekklesiologie – kritisch zu bewerten sein. Die äußere Gestalt kann kein Adiaphoron sein, wenn gelten soll, dass die am Kreuz offenbare Liebe Gottes der kritische Maßstab für eine sachgemäße Gestaltung von Strukturen bildet.132 126 127 128 129 130

Zu dieser Sechszahl und der Aufteilung vgl. CG2 § 127.3 (II, 283f.). Ebd., § 148.2 (II, 387). WA 50, 641,35-642,30. Vgl. ebd., 642,4: „Christo gleich werde“. M. BEINTKER, Wort vom Kreuz, 153: „Das Wort vom Kreuz bildet die Achse aller für das Kirchesein konstitutiven Lebensäußerungen. Es wirkt strukturbildend, indem es diejenigen Grundformen kirchlichen Handelns freisetzt, die nach reformatorischem Kirchenverständnis als ebenso hinreichende wie notwendige Bedingungen kirchlichen Lebens in Betracht kommen.“ Luther redet nicht ohne Grund von „Ecclesiae crucifixae“: WA 5, 552,10f. (Operationes in Psalmos). 131 Vgl. zu diesem Spannungsfeld D. LANGE, Glaubenslehre II, 338-356. 132 Vgl. dazu auch H.U. VON BALTHASAR, Cordula, 37.

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Von hier aus ließen sich vielmehr einige Fragen und Leitlinien hinsichtlich gegenwärtiger kirchlicher Praxis formulieren: Die diakonische Akzeptanz der Kirchen in der Gesellschaft führt weithin dazu, die Solidarität mit Bedürftigen zu prinzipialisieren. Man mag sich hierzu sogar auf eine ‚Kreuzestheologie’ berufen. Nicht nur in diesem Fall hat man aber zu beachten, dass die Akzeptanz als diakonische Institution schal und leer wird, wenn sie die Kirchen das Skandalon verdecken lässt, welches Bedingung der Möglichkeit christlicher Liebe zu den Bedürftigen darstellt, mehr noch: überhaupt erst erhellt, was ‚Bedürftigkeit’ ist. – Oder: Es ist ein bekanntes, aber nicht immer als solches anerkanntes Problem, dass die protestantische Volkskirche in Deutschland zum Teil gerade dadurch, dass sie ihre Ordnungen der Tradition überließ, weitgehend auf das alltagsästhetische Schema der Hochkultur (G. Schulze) ausgerichtet ist. Die Theologie, die sich vornehmlich den „Gebildeten unter den Verächtern“ zuwandte, kann sich hiervon nicht ausnehmen.133 Auf diesem Hintergrund ist die seitens der Volkskirchen häufig vollzogene Abgrenzung von Freiwilligkeitskirchen oder (neu entstandenen) christlichen Bewegungen immer wieder auf ihre theologische Begründung zu befragen.134 Sollte es der Fall sein, dass es in ihnen Menschen aus anderen, in den Volkskirchen unterrepräsentierten gesellschaftlichen Milieus möglich ist, sich vom Wort vom Kreuz bestimmen zu lassen und dies auch tatsächlich in der Welt Gestalt zu gewinnen vermag, dann sollte die Auseinandersetzung mit solchen Kirchen oder christlichen Bewegungen mindestens auch als Anlass zur Selbstkritik und zur Umkehr aufgenommen werden.135 Mit der Fokussierung auf eine „Institution der Freiheit“ droht, jedenfalls solange diese Freiheit lediglich negativ begriffen wird, der Sachverhalt aus dem Blick zu geraten, dass ein „Gestaltetwerden“ ohne wahrnehmbare Exemplarität und Sozialität nicht möglich ist.136 Insofern um der Wahrnehmbarkeit 133 Vgl. auch M. BEINTKER, Der gesellschaftliche Neuaufbau, 247. 134 Die Reflexion der Zuordnung von Individualität, Intersubjektivität und Institutionalität, wie sie exemplarisch bei Troeltsch oder Bonhoeffer vorliegt, bietet dazu ein heuristisches Mittel, um etwaiger Einseitigkeiten gewahr werden zu können (vgl. oben, 1.2.3.). 135 Dass das Wort vom Kreuz ein Maßstab gerade zur Beurteilung einer charismatischen Erlebnisfrömmigkeit sein kann und muss, vor allem wenn sich diese ungebrochen alttestamtlichen Machtmetaphern bedient, liegt auf der Hand. 136 Wenn an dieser Stelle wie auch sonst auf das „Gestaltetwerden“ abgehoben wird, so nicht, um in der spätestens seit CH. TAYLOR (vgl. ders., Unbehagen der Moderne; ders., Negative Freiheit?) intensiv diskutierten Dialektik von positiver und negativer Freiheit einseitig auf die positive zu setzen. Meines Erachtens kommt es für die Theologie darauf an, die Dialektik von Befreitwerden und Bindung bzw. Einbindung, wie sie letztlich schon im Freiheitsbegriff des Paulus zum Ausdruck kommt, aufzunehmen und einen Weg zwischen Liberalismus und Kommunitarismus zu ver-

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und Erfahrbarkeit willen einer am Kreuz ausgerichteten spezifischen Sozialgestalt erhebliche Bedeutung zuzumessen ist, lohnt es sich, Denkanstösse etwa eines S. Hauerwas positiv aufzunehmen.137 14. Im Blick auf die Theologie erfordert das Wort vom Kreuz als Maßstab für ihre Gestalt eine Unterscheidungen ermöglichende kritische Theoriebildungsfähigkeit, um sowohl kirchlicher Lehre hinsichtlich ihres Bestimmungsanspruchs kritisch gegenübertreten als auch sich selbstkritisch gegenüber eigenen Denkbewegungen verhalten zu können. Diese These ergibt sich aus dem in Thesen 6 und 8 ins Auge gefassten Sachverhalt, dass das Kreuz entsprechend dem, was als Selbstapplikationsgrundsatz namhaft gemacht wurde, den formalen Vollzug der Theologie bestimmt. Es markiert also nicht nur als Charakteristikum den Gegenstandsbereich der Theologie, so dass, wie Luther ebenfalls konsequent vorgeführt hat, vom Menschen nur als dem bedürftigen Sünder, von Gott nur als dem rettenden und rechtfertigenden die Rede sein kann.138 Zu Luthers Rede von der ‚gekreuzigten Kirche’ tritt gewissermaßen eine ‚gekreuzigte Theologie’. So jedenfalls hat dann zu Recht auch K. Rahner die Bedeutung der theologia crucis für die katholische Theologie und die Ökumene aufgefasst: „Die Theologie ist selber gefolgen. M. SEEL, Sich bestimmen lassen, hat dazu einen revidierten Begriff von Selbstbestimmung stark gemacht: Selbstbestimmung ist das Vermögen, sich bestimmen zu lassen (ebd., 285). Man könnte sagen: Der Glaubende bestimmt sich zwar dazu, sich von Christus bestimmen zu lassen – doch dies nicht anders als so, dass er diesen Vollzug, also sein Bestimmen, sich bestimmen zu lassen, als bestimmt bekennt. Das Ineinander von Aktivität und Passivität im Prozess des Sich-bestimmenLassens ruht theologisch darum auf dem grundlegenden Moment des passiven Bestimmtseins auf. Wir leben nur, weil uns das Leben gegeben wird. Wir können uns bestimmen lassen, weil und insofern uns das Vermögen, uns bestimmen zu lassen, gegeben ist. 137 Dabei muss man weder auf die Differenz von Gemeinschaft der Glaubenden und sichtbarer Gemeinschaft verzichten noch die gemeinschaftsartige Struktur einer kleinen Gruppe gegen die gesellschaftsartige Struktur einer kirchlichen Institution ausspielen, wie D. LANGE, Glaubenslehre II, 348f., unter kritischer Aufnahme der Polarität von F. Tönnies insinuiert. Das in der skizzierten These in Anspruch genommene Kriterium für die Sozialgestalt der Kirche ist vielmehr in beide Strukturen hinein geltend zu machen. Im Übrigen ist angesichts der beliebten Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche darauf zu bestehen, dass es ohne sichtbare Sozialgestalt auch keine verborgene Gemeinschaft der Glaubenden geben kann und Erstere Letzterer zu entsprechen hat. Zu verweisen ist auf die hinsichtlich der reformatorischen Unterscheidung oben in 1.2.3. aufgenommenen Klarstellungen von W. Härle, G. Neebe u.a. Schließlich sei bereits darauf hingewiesen, dass der christliche Bildungsauftrag (vgl. These 17) eine gesellschaftsartige Struktur der Kirche zu würdigen verhilft. 138 WA 40/II, 327,11-328,3.

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kreuzigte Theologie u. redet nicht nur vom Kreuz. Zunächst einmal, weil die Theorie der Theologie selbst eine Praxis ist u. darum wie aller christl. Daseinsvollzug durch das Kreuz Christi bestimmt ist. Der habitus fidei u. theologiae ist von der Gnade des Gekreuzigten getragen u. gibt von daher der Theologie eine bestimmte Gestalt, solange der Mensch noch auf dem heilsgeschichtl. Weg auch seiner Erkenntnis ist.“139 Wenn das Wort vom Kreuz als Maßstab für die Gestalt der Theologie gelten soll, bedeutet dies zunächst rein äußerlich, sie in ihrer jeweiligen Lehrgestalt nicht zu verabsolutieren, sondern als prinzipiell revidierbar zu begreifen. Der Grund dafür ist nicht allein in dem zu suchen, was als ihre kulturelle und gesellschaftliche Kontextualität namhaft gemacht werden könnte, sondern in der ihr auferlegten kritischen Offenheit gegenüber dem, welchem kriteriologisch-bestimmende Kraft zuzumessen ist und welches als Bedingung der Möglichkeit einer theologischen Theologie zu gelten hat. Wie bereits deutlich wurde und noch zu vertiefen sein wird, schließt dies die Theologia crucis selbst ein, insofern die den Gekreuzigten erschließenden theologischen Sätze im Gekreuzigten den Widerpart ihrer Erschließung haben (vgl. These 19). Der erkenntnistheoretischen Struktur nach geht es darum, dass mit dem Wort vom Kreuz etwas kriteriologisch-bestimmende Kraft zugemessen wird, was theologischen Sätzen als Bedingung ihrer Möglichkeit gewissermaßen extern und doch nie anders als in menschlichworthaften Sätzen gegeben ist. Theologie beansprucht, sich von etwas bestimmen zu lassen, auf das sie konstitutiv angewiesen bleibt, das sie aber immer nur vorläufig positivieren kann. In dieser Angewiesenheit trifft sie sich mit der Kirche, die auf dieselbe Bedingung ihrer Möglichkeit, das Evangelium als Wort vom Kreuz, angewiesen ist: In ihr kommt der Bestimmungsanspruch allerdings vornehmlich in der Selbstbindung an kirchliche Lehre zum Ausdruck.140 Man könnte diese Angewiesenheit im Anschluss an J. Schniewind auch die bleibende Armut von Theologie und Kirche bezeichnen.141 Zu 139 K. RAHNER, „Theologia crucis. II“, 61 (Hervorheb. gestrichen); vgl. W. SCHRAGE, Der gekreuzigte und auferstandene Herr, 31: „Kreuzestheologie hat ihren Ort selbst unter dem Kreuz.“; auch M. VOLF, Theologie, Sinn und Macht, 140. 140 Eine zumindest implizite Form der Selbstbindung ist auch unter den Bedingungen einer in sich plural verfassten Volkskirche gegeben. Das gilt unter der Bedingung, dass die in einer weitgehenden Pluralität und Heterogenität vorliegenden Positionen immer auch Lehrgestalt haben und ihnen der Anspruch innewohnt, dem Evangelium gemäß zu sein. 141 J. SCHNIEWIND, Verkündigungscharakter, 167; vgl. zum Folgenden auch G. SAUTER, Zugänge zur Dogmatik, 103.

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unterscheiden wäre dann dahingehend, dass gesagt wird: In der Theologie drückt sich die Armut darin aus, dass ihr aufgrund der geforderten kritischen Offenheit keine securitas im Blick auf ihre Lehrgestalt möglich ist; in der Kirche drückt sie sich darin aus, dass diese die universale Reichweite des Evangeliums, welchem sie sich selbst verdankt, nur durch die Selbstbindung an eine Lehrgestalt und das heißt nur durch Partikularität und Selbstbegrenzung zur Erscheinung bringen kann. Aus der genannten Angewiesenheit bzw. Armut der Theologie ergibt sich nun, recht besehen, die kritische Kraft der Theologie: Als kritische Unterscheidungsdisziplin vertritt sie – gegenüber und zugleich in der Kirche – die kritische Offenheit des Glaubens für seinen Grund im Evangelium als dem Wort vom Kreuz und kann so nach der Begründungsfähigkeit von kirchlichen Lehren und Verlautbarungen fragen. Als eine notwendige Bedingung macht sie dabei geltend, dass der am Kreuz offenbare paradoxe Umgang Gottes mit den Menschen offen gehalten wird (These 10). Die Unterscheidungen, welche die Theologie in kritischer und konstruktiver Hinsicht einbringt, können zur gewissermaßen grammatischen Explikation kirchlicher Lehre dienen, sie können aber auch, mit Schleiermacher gesprochen, gegenüber kirchlicher Lehre heterodoxen Charakter haben.142 Einen Lehrkonsens in irgendeiner Weise herzustellen bzw. neu herbeizuführen, dies bleibt ihr entzogen. Das entbindet sie nicht davon, bei allem, was sie einbringt, die Bedingungen der Konsensfähigkeit zu beachten.143 E. Schlink hat mit Recht darauf hingewiesen, dass es der Herkunft dogmatischer Aussagen entspricht, dass sie wieder in Grundformen der von den Partizipanten vollzogenen Glaubenskommunikation, etwa in Doxologie oder Bekenntnis, Eingang müssen finden können.144 Der Sachverhalt, dass der Theologie die Herstellung von kirchlichen Lehrkonsensen entzogen ist, ließe sich ebenfalls als eine Äußerung ihrer Armut auffassen. Er markiert aber zugleich die Untauglichkeit der Theologie, diesbezüglich nach Art einer kirchlichen Hoftheologie funktionalisiert zu werden. Die hiermit skizzierten Ausführungen ließen sich weiter vertiefen. Eine entscheidende Grundlinie dürfte in formaler Hinsicht jedenfalls deutlich sein: Ihre Funktion kann Theologie auch für die Kirche dann sachgemäß erfüllen, wenn keine unmittelbare Zweckbeziehung, son142 F. SCHLEIERMACHER, KD §§ 203-208. 143 Vgl. E. HERMS, Lehre im Leben der Kirche, 154-156. An dieser Stelle wäre die Übereinstimmung mit Schrift und Bekenntnis zu thematisieren. 144 Vgl. E. SCHLINK, Ökumenische Dogmatik, 33-47.

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dern die in Bestimmungsansprüchen jeweils sich artikulierende Beziehung beider zu einem Dritten zugrunde gelegt wird. Dann gilt aber sehr wohl: Theologie nimmt die Kirche als Kirche des Evangeliums gerade darin ernst, dass sie in ihr den Bestimmungsanspruch vorfindet, der mit dem Evangelium als dem Wort vom Kreuz gegeben ist. Vermöge dieser Voraussetzung ist der Theologie die Beziehung zu der Kirche, die in ihrer institutionellen Gestalt beansprucht, Kirche des Evangeliums zu sein, doch auch immanent. Die reflexive Distanzierung von deren Kommunikationsvollzügen erfolgt also unter Gesichtspunkten, die diesen selbst entnommen sind (These 5). Vermöge ihrer Distanzierungsfähigkeit vermag sie aber über den partikularen Geltungsraum kirchlicher Lehrgestalt(en) hinauszugreifen. Sie übt damit dann nicht nur eine kirchliche Funktion aus, sondern zugleich eine Weltfunktion. Sie zielt nämlich darauf, die mit dem Wort vom Kreuz gesetzte universale Reichweite auch vor anderen gesellschaftlichen Instanzen zu verantworten – unbeschadet dessen, dass das Gestaltetwerden seinen Erfahrungsort nur dort haben kann, wo Menschen sich dazu bekennen, sich von der Gestalt Christi bestimmen zu lassen. Das Wort vom Kreuz als Maßstab einer theologischen Phänomendistanzierung anzuerkennen, ermöglicht es, unangemessene Denkwege als gewissermaßen am Kreuz gerichtet zu begreifen. In dieser Hinsicht hatte H.J. Iwand Luthers Kreuzestheologie gegenüber ungeprüften Importen außertheologischer erkenntnistheoretischer Modeerscheinungen kritisch ins Feld geführt.145 In der Tat legt die paulinische und lutherische Zentrierung des epistemischen Zugangs zur Wirklichkeit Gottes auf das Wort vom Kreuz es nahe, beide Extreme zurückzuweisen: sowohl einen radikalen Konstruktivismus, welcher das religiöse Bewusstsein zum Schöpfer seiner Gehalte erhebt, als auch einen starken Realismus, welcher übersieht, dass es theologisch Erkenntnis – im vollen Sinn verstanden – ohne die praktische Seite der Anerkenntnis nicht gibt (vgl. These 19).146

145 Vgl. H.J. IWAND, Luthers Theologie, 38; außerdem oben, 1.1.7.1. 146 Zum zuletzt Genannten in Anlehnung an R. Bultmann pointiert W. SCHRAGE, Brief an die Korinther, 178: „Wer Gott aber nicht anerkennt, der erkennt ihn auch nicht.“ Diese durch einen theologischen Erkenntnisbegriff bedingte pointierte Fassung muss einer intrinsezistischen Verantwortung des Glaubens nicht widersprechen, welche auch Nichtglaubenden verstehbar zu erschließen vermag, wer der Gott ist, den die Christen anrufen.

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15. Die in ihrer Wissenschaftlichkeit sich äußernde Selbständigkeit und Freiheit der Theologie gegenüber der Kirche und deren Lehre steht der Kirchlichkeit der Theologie, verstanden als Verwurzelung in einem geschichtlich gegebenen Praxisfeld und als Sich-bestimmen-Lassen von demselben Bestimmungsgrund, nicht entgegen, sondern setzt sie voraus und ermöglicht ein Verhältnis wechselseitiger Kritik. In zweierlei Hinsicht ist die Theologie, wie aus dem Vorangegangenen ersichtlich sein dürfte, keine von der Kirche losgelöste Theologie: Zum einen bezieht sie sich auf kirchliche Lehre, Verlautbarungen und Praktiken,147 die bereits gegeben sind und der kritischen Urteilsbildung bedürfen; zum anderen ist ihr kritischer Maßstab kein anderer als der, welcher bei allen kirchlichen Vollzügen als Bestimmungsgrund in Anspruch genommen wird. Hinsichtlich ihres kritischen Maßstabs begegnen sich Kirche und Theologie gegenseitig sozusagen als „Gedächtnisstütze“. In zweierlei Hinsicht ist eine gegenüber der Kirche selbständige Theologie notwendig: Zum einen muss sie um ihrer kirchlichen Funktion willen, also um der Erfüllung ihrer konstruktiv-kritischen Aufgabe willen, der Kirche und ihrer Lehre gegenübertreten können, zum anderen muss sie um ihrer gesellschaftlichen Funktion willen die universale Reichweite des Evangeliums gegenüber anderen gesellschaftlichen Instanzen selbst verantworten können.148 Mit dem Dienst an der regelhaften Selbststeuerung der Kirche hat sie ihre Aufgabe in einer ausdifferenzierten Gesellschaft noch nicht getan. Denn diese Aufgabe zeichnet sich dadurch aus, die Verantwortung über die Diskursgrenzen hinaus und auch die Vergleichbarkeit der Diskurse über ein gemeinsames Streben nach Wissenschaftlichkeit zu gewährleisten. Wissenschaftlich147 An dieser Stelle wäre zwischen Verkündigung, sonstigen kirchlichen Verlautbarungen und Praktiken, kirchlicher Lehre und theologischer Lehre weiter zu differenzieren; vgl. dazu v.a. die analysierten Vorschläge von E. Herms und I.U. Dalferth. Unumgänglich ist dies, wenn man der Genese ansichtig werden will, also beispielsweise der Frage, wie aus theologischer Lehrbildung oder sich einstellenden kirchlichen Praktiken kirchliche Lehre werden kann. Vorerst mag die schon in Anspruch genommene Definition der kirchlichen Lehre als das, was sich eine bestimmte Kirche zu einer bestimmten Zeit gesagt sein lassen will, also als das, was ihre Praxis (Verkündigung wie Seelsorge wie Kirchenleitung) zu bestimmen eingeräumt wird, genügen. Dass die theologische Lehre demgegenüber umfassender ist, weil sie die Grammatik der Unterscheidungen rekonstruiert und außerdem nicht nur die Differenz von christlichem und nichtchristlichem Diskurs, sondern auch die eigenen Reflexion mitreflektiert, ist ebenfalls dem bisher Gesagten zu entnehmen. Ausführlicher, insbesondere zur Veränderlichkeit von Lehre: H.-M. RIEGER, Theologische Wissenschaft und kirchliche Lehre, in: P. Gemeinhardt / B. Oberdorfer (Hg.), Gebundene Freiheit? (im Erscheinen) 148 Vgl. dazu die Position G. Sauters, 1.1.7.4.

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keit kann dabei vorläufig (vgl. These 5) als eine an der Wahrheit von Aussagen orientierte Reflexionstätigkeit des Gebens und Forderns von Gründen verstanden werden.149 Für den kontroverstheologischen Streit, ob die Kirche die Theologie oder umgekehrt die Theologie die Kirche zu ihrer Sache zu rufen habe, ist es bedeutsam, dass sich von einer als kriteriologische Metatheorie gefassten theologia crucis ausgehend ein Verhältnis wechselseitiger Kritik nahe legt. Das Diktum von Herms, die wissenschaftliche Theologie sei „die lebendige Alternative zum Heiligen Offizium bzw. seinen Nachfolgerin“,150 ist dann zumindest einseitig. Eine Kirche, die ihres Ursprungs und der Bedingung ihrer Möglichkeit im Wort vom Kreuz gewahr ist, vermag sehr wohl auch eine wissenschaftliche Theologie daran zu erinnern, dass sie nur zu ihrem eigenen Schaden das anstößige scandalum des Christus crucifixus in ihrer Mitte missachten kann. Die Wissenschaftlichkeit der Theologie müsste also, wollte man das bisher Thematisierte zusammenfassen, über folgende Fähigkeiten charakterisiert werden: - die reflexive Distanzierungsfähigkeit, welche sie zum kritischen Gegenüber kirchlicher Kommunikationsvollzüge macht; - die Reflexions- und Kommunikationsfähigkeit auf der gemeinsamen Reflexionsebene wissenschaftlicher Diskurse, auf welcher sie als bestimmte Form eines geordneten und unterscheidenden Denkens in Erscheinung tritt (vgl. dazu weiter These 22); - die Fähigkeit der kritischen Aufnahme von Anstößen durch die Reflexionsbildungen anderer Wissenschaftsbereiche; - die Fähigkeit zur Transpartikularisierung, d.h. zur intrinsezistischen Verantwortung von im Glauben gesetzten Ansprüchen mit universaler Reichweite; - die Fähigkeit zur Selbstkritik aufgrund der Offenheit gegenüber der kriteriologisch-bestimmenden Kraft des Gekreuzigten und damit gegenüber dem Grund des christlichen Glaubens. Die Umrisse ihrer Kirchlichkeit gewinnt sie daraus, - dass die reflexive Distanzierung unter Gesichtspunkten erfolgt, die kirchlichen Kommunikationsvollzügen als Anspruch des Sich-bestimmen-Lassens innewohnt; 149 Die hier geltende prinzipielle Fallibilität von Aussagen schlägt sich reflexionstheoretisch in der Differenz von Wahrheit und Rechtfertigung nieder, vgl. J. HABERMAS, Wahrheit und Rechtfertigung, 50-54. 151-153, sowie die weiteren Ausführungen zur diskursübergreifenden Kommunikationsfähigkeit unten, These 22. 150 E. HERMS, Lehre im Leben der Kirche, 156.

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dass sie sich anders als die Kirche nicht im Modus einer (freien) Selbstbindung auf kirchliche Lehre bezieht. Als Kondensat dessen, was eine Kirche zu einer bestimmten Zeit als das sie Bestimmende verbindlich anerkannte, setzt Theologie kirchliche Lehre zwar voraus, doch zum Zweck einer Geltungsprüfung und einer möglichen Veränderung;151 dass theologische Sätze im Blick auf eine christliche Kirche so formuliert sind, dass in sie einzustimmen dieser nicht unmöglich ist; dass sie die Kirche an die Bedingung ihrer Möglichkeit erinnert und den paradoxen Umgang Gottes mit den Menschen offen hält. Diese Erinnerungsfunktion gilt allerdings auch umgekehrt; dass die Zugänglichkeit zum christlichen Wirklichkeitsverständnis praktisch ist und eine fundamentale Änderung des menschlichen Selbstverständnisses einschließt. Die erforderliche Wahrheits- und Geltungsprüfung ist ohne Beteiligtsein der Theologietreibenden, ohne das Sich-bestimmen-Lassen durch das Erkannte nicht möglich (vgl. These 19).152 Dieses Erfordernis ist jedoch vom Erfordernis äußerer Kirchenmitgliedschaft unterschieden. Kultur und Religion in der Perspektive des Kreuzes

3.5. Kultur und Religion in der Perspektive des Kreuzes 16. Vom Wort vom Kreuz her sind die Begriffe von Kultur und Religion so zu explizieren, dass die Verantwortung des christlichen Glaubens nicht nur vor, sondern auch für Kultur und Religion deutlich zu werden vermag: Insofern das Wort vom Kreuz als „Letztes“ die „vorletzten“ Gegebenheiten des Menschen zu erschließen erlaubt, ist ein konstruktiv-kritisches Verhältnis des christlichen Glaubens zu Kultur und Religion zu denken möglich, das ihn nicht im ausschließlichen Gegensatz zu diesen, auch nicht in einer bloßen Zuständigkeit für die Grenzen, sondern inmitten von Kultur und Religion wahrnimmt.

151 Vgl. dazu die Diskussion um die Voraussetzungslosigkeit der Theologie in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung, v.a. die Kritik Troeltschs an einer „freien Selbstbindung“. 152 Dieses Moment weist auf noch zu Erörterndes voraus. Einsichtig ist es aber schon, wenn man sich den Zusammenhang von Erkenntnisweg und Lebensform sowohl in der paulinischen als auch in der lutherischen Kreuzestheologie vor Augen hält.

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In dieser These werden Anliegen Bonhoeffers und Iwands aufgenommen,153 welche bereits grundlegende Implikationen für ein theologisches Wirklichkeitsverständnis besitzen. Allerdings wird dabei von einem offeneren Begriff von Kultur und Religion Gebrauch gemacht. Wenn dies umso mehr auch gegenüber dem systematisch-theologisch konstruierten Religionsbegriff Barths gilt, so ist damit noch keinesfalls der mittels des Begriffs zum Ausdruck gebrachte theologische Sachverhalt übergangen. Es findet aber Berücksichtigung, dass von diesem zu begreifen intendierten Sachverhalt die jeweilige Fassung der Religionskritik abhängig ist. Der Sachverhalt des geistesgeschichtlich konstruierten und der Religionskritik Bonhoeffers zugrunde liegenden Religionsbegriffs ist jedenfalls bereits in der Formulierung der These sichtbar, wenn der Gedanke zurückgewiesen wird, der christliche Glaube fände seinen Zuständigkeitsbereich lediglich an den Grenzen von Welt und Mensch – etwa in seiner Funktion der Kontingenzbewältigung.154 Letztlich geht es darum, den folgenden Leitsatz Bonhoeffers nicht nur auf den Kulturbegriff, sondern auch auf den Religionsbegriff anzuwenden: „So muß also der Begriff des Natürlichen vom Evangelium her wiedergewonnen werden.“155 Dazu verhilft die Unterscheidung von Letztem und Vorletztem. Bevor dies näherer Erörterung zugeführt wird, ist ebenso auf die grundsätzliche Verortung der religiösen und kulturellen Funktion des christlichen Glaubens hinzuweisen. Entschieden wird nicht nur von einer Verantwortung vor, sondern einer Verantwortung für Kultur und Religion geredet. Damit ist bereits im Blick, dass es sich nicht nur um eine Glaubensverantwortung vor einem externen Forum handelt, sondern auch um eine Verantwortung für einen Bereich, dem man selbst zugehört. Genau dies wiederum lässt sich mit der Differenz von Letztem und Vorletztem explizieren – und zwar in solcher Weise, dass Kultur bzw. Religion nicht als das jeweils Andere des Eigenen prinzipiell negativ kategorisiert werden. Die Bonhoeffersche Differenzbildung von Letztem und Vorletztem156 kann als Reformulierung von Grundanliegen der paulinischen 153 Vgl. 1.1.6. u. 1.1.7.1. Zu H.J. IWANDS Kulturbegriff: ders., „Kultur, Christliche“, 622ff. 154 Bekanntlich wird die Bonhoeffersche These von der Religionslosigkeit der mündigen Welt missverstanden, wenn man den ihr zugrunde liegenden Religionsbegriff missachtet. Seine Beachtung ist aber die Voraussetzung, um der regelmäßig wiederkehrenden Meinung, Bonhoeffer habe sich gründlich geirrt, Gewicht zu verleihen. Dazu grundsätzlich: E. FEIL, Theologie Dietrich Bonhoeffers, 341ff. 155 D. BONHOEFFER, Ethik, 165. 156 Bonhoeffer hatte sich bereits als Student mit dieser Differenz in der Auseinandersetzung mit K. Barth beschäftigt, vgl. den Hinweis in ders., Ethik, 149, Anm. 9.

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und lutherischen Kreuzestheologie verstanden werden: Weil die letzte Wirklichkeit des Lebens durch das Wort vom Kreuz konstituiert wird, kann es „echte“, nämlich soteriologisch entlastete Weltlichkeit geben.157 Die schon bei Paulus erkennbare Umkehrung der Interpretationsrichtung findet hier ihr Korrelat, insofern sich durch das die Rechtfertigung des Sünders bewirkende Wort vom Kreuz erschließt, was christlich Selbst, Welt und Gott genannt zu werden vermag. Die Begriffe „Letztes“ und „Vorletztes“ stellen Reflexionskategorien dar, die in einem Verweiszusammenhang zueinander stehen. Letztes und Vorletztes gibt es nicht in einem An-Sich, sondern nur in der Zuordnung, die mittels dieser Differenz markiert ist. Erkenntnistheoretisch und kulturtheoretisch bedeutsam ist dabei, dass Bonhoeffer auf diese Weise Felder menschlichen Lebens erschließen und sie so dem eigenen christlichen Diskursfeld zuzuordnen vermag – einem Diskursfeld, das selbst von der Differenz von Letztem und Vorletztem geprägt ist. Und mindestens ebenso bedeutsam ist es, dass ihre Andersheit nicht nur bewahrt, sondern auch konstruktiv ins Spiel gebracht werden kann. Bonhoeffers Durchführung hinsichtlich der Begriffe von Natur und Welt hat diesbezüglich typologisch-grundsätzlichen Charakter. Sie trägt der Einsicht Rechnung, dass wir nicht in der Natur oder der Welt leben, sondern immer schon in einem symbolisch vermittelten Verhältnis zu dem, was wir als Natur und Welt begreifen.158 Anders als durch diese symbolische Vermittlung und der ihr eingelagerten Differenzen gibt es keinen Natur- oder Weltbezug. Unter solchen Voraussetzungen das Natürliche als Vorletztes aufzufassen, seine nicht-absolute Selbstständigkeit gerade in seiner Relation zum Letzten zu erblicken, dies impliziert eine doppelseitige Beziehung für Bonhoeffer dann schon insofern, als ein Vergehen am Vorletzten sich immer auch am Letzten vergeht.159 Etwas als Vor-letztes zu erkennen, schließt deshalb die For-

157 Ebd., 405; vgl. 265 mit Bezug auf Luther. Dazu M. TROWITZSCH, Freigabe der Welt, 155f. 158 Vgl. dazu auch M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt, 279. Hinsichtlich des Natürlichen ist dabei eine weitere Differenzierung Bonhoeffers zu beachten, die Differenz von formaler und inhaltlicher Bestimmung: Die formale ist christlich bestimmt durch die Erhaltung Gottes, während die materiale auch einer gefallenen Vernunft, die Bonhoeffer im Sinne einer vernehmenden Vernunft auffasst, zugänglich ist. Diese Differenz ist für Bonhoeffer deshalb nicht unerheblich, weil sie es ihm erlaubt, die nationalsozialistischen Setzungen dessen, was artgemäß bzw. entartet sei, nicht sich selbst zu überlassen, sondern als Vergehen am Natürlichen haftbar machen zu können. Vgl. Ethik, 166-168. 159 Vgl. ebd., 161; vgl. dazu A. SCHLATTER, Dogma, 165: „Der Mensch bleibt uns Mensch und die Natur Natur, solange uns Gott Gott ist. Ist aber Gottlosigkeit entstanden, dann sind auch die Unmenschlichkeit und die Unnatur da.“

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derung ein, es um des Letzten willen als solches – und nicht lediglich als Vorstufe – zu achten und zu bewahren.160 Wie immer man das Letzte weiter bestimmt – Bonhoeffer selbst hatte es im Blick auf das natürliche Leben, das Gute, die Geschichte, im Zusammenhang seiner Mandatenlehre auch für die Kultur ausgeführt161 – entscheidend ist für ihn jedenfalls, sich die letzte Wirklichkeit personal vorstellig zu machen: „Alles Faktische erfährt von dem Wirklichen, dessen Name Jesus Christus heißt, seine letzte Begründung und seine letzte Aufhebung, seine Rechtfertigung und seinen letzten Widerspruch, sein letztes Ja und sein letztes Nein. Die Wirklichkeit ohne den Wirklichen verstehen zu wollen, bedeutet in einer Abstraktion leben [...]“162 Die hier zum Ausdruck kommende Spannung, die Bonhoeffer auch unter der Begriffsbildung „polemische Einheit“ zu explizieren unternimmt, ist von grundlegender Bedeutung in mindestens zweierlei Hinsicht: Zum einen gibt es keinen „Weg vom Vorletzten zum Letzten“.163 Das schließt ein, sich mit Luthers theologia crucis einen von einem nichtchristlichen Horizont der Wirklichkeitsthematisierung ausgehenden Denkweg versagt sein zu lassen. Zu einem christlichen Selbst-, Welt-, oder Gottesverständnis kann man daher auch nicht durch eine modifizierende Fortbestimmung eines nichtchristlich religiösen oder kulturellen Verständnisses gelangen, sondern durch einen Wechsel des gesamten Horizonts, der mit nichts weniger einhergeht als mit einem existentiellen Wechsel der Lebensform. – Zum anderen aber ermöglicht für Bonhoeffer ein Ausgehen von der „letzten“ Wirklichkeit Christi ein wirklichkeitsgemäßes Handeln, „weil es die Welt Welt sein lässt.“164 Dies kann nur einsichtig werden, wenn man den Hintergrund der für Bonhoeffer charakteristischen reziproken Denkbewegung, wie sie oben (1.1.6.) bereits skizziert wurde, beachtet. Ein christonomes Wirklichkeitsverständnis sieht den christlichen Glauben zu „echter Weltlichkeit“ befreit, so dass weder der diesseitig-mündige Charakter der Welt religiös angereichert (heteronome Gefährdung) noch deren Eigenständigkeit sanktioniert bzw. einer Eigengesetzlichkeit preisgegeben wird (autonome Gefährdung).165 Das heißt dann auch: Für die „echte Welt160 Vgl. D. BONHOEFFER, Ethik, 158. 166, auch schon: ders., Dein Reich komme, 272: Dadurch, dass Gott den Fluch der Erde durchbricht, ist ein wirkliches Ernstnehmen und Bejahen der Erde möglich. 161 Vgl. ders., Ethik, 394. 406. 162 Ebd., 261 (Hervorheb. im Orig.). 163 Ebd., 159. 164 Ebd., 263. 165 Ebd., 404. 406: Der universale Herrschaftsanspruch Christi befreit Familie, Kultur etc. zu einem „eigenen – in Christus begründeten – Wesen.“

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lichkeit“ ist der kritische Maßstab der theologia crucis nicht außer Kraft gesetzt: „Die Weltlichkeit der Welt hat ihre Signatur ein für allemal durch das Kreuz Christi empfangen. [...] Das Kreuz der Versöhnung ist die Befreiung zum Leben vor Gott mitten in der Gott-losen Welt“.166 Es führt also nicht nur zur Erkenntnis der Gott-losigkeit der Welt, auch nicht nur zu Erkenntnis dessen, dass Gott sie auch und gerade in ihrer Gott-losigkeit erhält, sondern ermöglicht es auch, ihrer bloßen und ganzen Weltlichkeit ins Gesicht zu schauen, wie dies ihr selbst nicht möglich ist. Denn in ihr ruht das Streben, nicht nur Welt sein zu wollen, das Streben nach Vergöttlichung.167 Bonhoeffer stilisiert die Fehlformen von „Hinterweltertum“ und „Säkularismus“ bzw. von „Mönchtum“ und „Kulturprotestantismus“ auf der Folie der skizzierten Zuordnung von Letztem und Vorletztem: Beiden Fehlformen gleich ist das Verkennen der in der Christuswirklichkeit des Glaubens gegebenen „polemischen Einheit“ von Christlichem und Weltlichem. Als zwei Räume aufgefasst treten Vorletztes und Letztes in „ausschließenden Gegensatz zueinander“, um sie dann nachträglich „unter dem Begriff eines Prinzips kommensurabel zu machen“:168 Das Mönchtum steht für die radikale Lösung, die in Christus das Nein und die Zerstörung des Vorletzten gesetzt sieht und darum die Verantwortung für die Welt missachtet. Der Kulturprotestantismus steht für eine Kompromisslösung, die das Letzte vom Bereich des Vorletzten ausschließt, die darum also zu einem kritisch-polemischen Verhältnis des Letzten zum Vorletzten gar nicht kommt. Die Rechtfertigung des Sünders ver-kommt zur Rechtfertigung der bestehenden religiösen und kulturellen Gegebenheiten.169 Bonhoeffer beharrt darauf: Der christliche Beruf hat den Ort seiner Verantwortung in dieser Welt als Verantwortung für die Welt und ihre Kultur – zugleich ist gerade dieser Ort der Ort, an dem kritischpolemisch Stellung gegen sie bezogen werden kann.170 Zu beachten ist allerdings bei der Ortsbestimmung des Christlichen in der Welt, insbesondere dann, wenn dabei Ausdrücke wie „inmitten“ oder „Mitte“ Verwendung finden, dass es einen erheblichen Unterschied darstellt, ob sie vom nichtchristlichen oder christlichen Symbolzusammenhang her entworfen, ob sie vom Vorletzten oder Letzten her bestimmt wird. Was der christliche Glaube und die christliche Kirche als Anweisung ihres Ortes inmitten der Kultur zu begreifen haben, ist mit einer kultu166 167 168 169 170

Ebd., 404. Ebd., 405. Ebd., 45. 145. 263. Vgl. ebd., 144-148. 263. 265. Vgl. ebd., 291.

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rell-gesellschaftlichen Ortsanweisung und der damit einhergehenden Funktionserwartung nicht ohne weiteres identisch. In der Auseinandersetzung mit O. Dibelius machte Bonhoeffer so beispielhaft deutlich, dass die propagierte Selbstpositionierung einer selbständigen und zugleich kulturell-gesellschaftlich leistungsfähigen Kirche, ihre Einordnung inmitten eines harmonischen Kulturzusammenhangs kritisch nach dem Verhältnis zum „eigentlichen Ort“ der Kirche zu befragen ist. Christlicher Glaube und christliche Kirche können nämlich nur in der Weise mitten in der kulturellen Welt verstanden werden, dass sie sich der „kritische[n] Mitte“ als einer „verborgene[n] Mitte“ der Welt gewahr sind und darum auch um ihre „eigentliche Ortlosigkeit“ wissen.171 Wird die Rede vom kulturell-gesellschaftlichen Ort bzw. von der kulturell-gesellschaftlichen Mitte kriteriologisch am Gekreuzigten ausgerichtet, lässt sich der paradoxale Sachverhalt verständlich machen, dass die Beanspruchung einer kritischen Mitte der kulturell-gesellschaftlichen Welt einer Ortlosigkeit bzw. einer Existenz am Rande dieser Welt nicht prinzipiell entgegensteht: Ihre gesellschaftsverändernde Kraft bezieht die Kirche daraus, dass sie den vor den Toren Jerusalems Gekreuzigten als den Messias der Welt und die verborgene Mitte der Schöpfung bekennt. Eine straurozentrische Orientierung hat an dieser Stelle eine weitreichende kulturtheoretische Bedeutung. Formal lässt sich sagen: Hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von christlichem Glauben und kulturell-gesellschaftlicher Welt impliziert der Selbstapplikationsgrundsatz, dass diese Verhältnisbestimmung mit dem Ereignis des Kreuzes eine andere sein muss, als sie es ohne dieses wäre.172 17. Im Blick auf die Kultur erfordert es das kritisch-konstruktive Verhältnis des Glaubens zur Welt, Kulturarbeit im umfassenden Sinn als Bildungsarbeit zu begreifen. Zum Spezifikum des christlichen Bildungsauftrags gehört es, die Selbstverständlichkeiten des Alltags bzw. der Lebenswelt ins Licht des Letzten zu rücken. Wird in dieser Weise die Verantwortung von Theologie und Kirche für die Kultur konkretisiert, so bedingt dies eine semantische Klärung des vorausgesetzten Kulturbegriffs. Auch er ist bekanntlich ein Reflexions-

171 Vgl. die beiden Gedankengänge in: D. BONHOEFFER, Wesen der Kirche, 246-249; ders., Vorlesung „Christologie“, 306-309. Daneben die Rede vom „geistigen Vakuum“ bei Tillich (oben, 1.1.7.2.), die Auseinandersetzung mit dem Verweiszusammenhang bei Gräb (oben, 2.1.5.), anregend auch: R. RORTY, Kultur ohne Zentrum. 172 Als Schüler M. Kählers hat B. STEFFEN, Dogma vom Kreuz, 128-195, versucht, diese formale Regel in die Gotteslehre, die Pneumatologie, die Ekklesiologie etc. hinein geltend zu machen.

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begriff, welcher über Differenzen – höchst unterschiedlich – bestimmt werden kann. Das betrifft nicht nur die Rede von Kultur im Singular oder Plural, die Differenz von einer Totalität menschlicher Lebenswelt und einem Teilbereich einer ausdifferenzierten Gesellschaft, sondern vor allem auch die weit verbreitete Orientierung des Begriffs an der Dichotomie von Kultur und Natur, welche dann häufig eine Fokussierung des Kulturellen auf einen Aspekt aktiver Weltgestaltung zur Folge hat.173 Weiterführend erwies sich E. Cassirers Begriff der symbolischen Formen, insofern er als spezifische Zuordnung dreier Bedeutungsaspekte verstanden werden konnte bzw. kann: dem Handlungsaspekt des Prägens und Formens, dem konstitutiven Aspekt eines vorgängigen Geformt- und Geprägtseins von sinnlicher Wahrnehmung und dem Aspekt von symbolischen Formen als unhintergehbaren Erkenntnis- und Kommunikationsmedien.174 Auf dem Hintergrund einer derartigen Auffassung, welche Kultur als Konstitutionsmerkmal menschlichen Daseins (als durch symbolische Formen strukturierte Lebenswelt) aufzufassen heißt, erklären sich die gegenwärtigen Versuche, Kultur von vorbegrifflichen Alltags- und Lebensweltstrukturen aus zu erhellen. Setzt man einen solchen offenen und weiten Kulturbegriff voraus, kann sich auch eine theologische Auseinandersetzung mit Kultur nicht mehr allein an der Thematik aktiver kultureller Praxis ausrichten, deren Vollzug durch eine sich selbst bestimmende Freiheit ausgezeichnet ist.175 Wie J. Assmanns Auffassung der Kultur als das „kollektive Gedächtnis“ darüber hinaus zeigt, kann ein allgemeiner Reflexionsbegriff, der allen kulturellen Ausprägungen zugrunde gelegt wird (hier: die konnexive Struktur eines gemeinsamen Erfahrungs- und 173 Vgl. die Differenzbestimmungen bei H. SCHNÄDELBACH, Kultur, 508-548, zur Begriffsgeschichte und zu Positionen W. PERPEET, „Kultur, Kulturphilosophie“, 13091324; F. RODI, „Kultur. I. Philosophisch“, 176-187; C.-F. GEYER, Einführung, 6-102. 174 Vgl. E. CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen I, 8ff. In der Anknüpfung an Cassirer definiert Orth Kultur als „Welt des Menschen“, verstanden als „konkrete Orientierungsform“, welche aktive Orientierung und passives Orientiertsein in sich schließt. Auf der Linie Cassirers liegt es auch, sie als „Platzhalterin der Wirklichkeit“ zu begreifen: E.W. ORTH, Was ist und was heißt „Kultur“?, 31. 44. 208-213. Grundsätzlich bedeutet Cassirers Fassung von symbolischer Form bzw. von symbolischer Prägnanz aufgrund der unauflösbaren Zusammenschau der drei Aspekte die Verabschiedung eines symbolischen bzw. begrifflichen Hylemorphismus, der Sinnlichkeit als reine materia, Sinn bzw. Begrifflichkeit als reine forma zu fassen versucht. Jedes sinnliche Erlebnis ist immer schon „symbolisch prägnant“ und von einem Horizont symbolischer Formen abhängig; vgl. J.M. KROIS, Problematik, 15-44; E. PAETZOLD, Ernst Cassirer, 35-49. 175 Von daher wäre auch Barths Umgang mit der Kultur (vgl. K. BARTH, Kirche und die Kultur, 10-40), aber auch Bonhoeffers Einordnung in die Mandatenlehre noch einmal in einen weiteren Kontext zu stellen, insofern sie lediglich einen Modus kultureller Praxis vor Augen haben bzw. theologisch integrieren.

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Handlungsraums), dazu dienen, der Identitätsformierung verschiedener Kulturen auf die Spur zu kommen und sie vergleichen zu können.176 Der hohe Abstraktionsgrad genereller Begriffsbildung muss also nicht zum Nivellieren der pluralen Ausprägungen führen. Im Gegenteil, er vermag – und das ist aus kulturwissenschaftlicher Sicht geradezu ein Erfordernis – die Abhängigkeit und die Kontingenz verschiedener kultureller Praktiken zu erhellen verhelfen.177 Operiert man zur Erfassung des Kulturellen als einem konstitutiven Merkmal menschlichen Daseins mit dem Begriff „Alltag“ bzw. dem Begriff „Lebenswelt“,178 lässt sich Kultur als vorausgesetzter, vorbegrifflicher, aber lebensweltlich imprägnierter Hintergrund oder Horizont definieren, in den die kulturelle Praxis und die Differenzbildungen der Vernunft eingebettet sind.179 Bezeichnet man dementsprechend den Bereich von präreflexiven Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten als Alltag oder Alltagswirklichkeit, so ist also durchweg eine in der Pluralität von Wahrnehmungshorizonten vorliegende kulturell-lebensweltliche Imprägnierung in Anschlag zu bringen. Das bedeutet, dass mit ihm zwar ein gegenüber wissenschaftlicher Reflexion basaler und auch widerständiger Bereich angesprochen ist, dieser aber weder als verallgemeinerbares und horizontübergreifendes Fundament noch als von reflexiver Kritik ausgenommene basale Instanz in Anspruch genommen werden kann.180 Umgekehrt gilt: Durch die Reflexionsleistung von Symbolsystemen, wie sie die moderne Medien- und Wissenschaftsgesellschaft in erhöhtem Maße bereitstellt, rücken Selbstverständlichkeiten ins Zwielicht, sie werden „entselbstverständlicht“. Zugleich erlauben es die bereitgestellten Symbolsysteme sie in einen 176 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 16-25. 177 Vgl. A. RECKWITZ, Brennpunkte, 2f. 8. 178 Vgl. H. BLUMENBERG, Lebenswelt, 21ff.; B. WALDENFELS, In den Netzen der Lebenswelt; M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt. 179 Vgl. ebd., 5. 281. 297. 309; zur Einbettung der Vernunft in die Lebenswelt: B. WALDENFELS, In den Netzen der Lebenswelt, 27-32. Dem entspricht es, dass das kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm darauf abzielt, „die impliziten, in der Regel nicht bewußten symbolischen Ordnungen, kulturellen Codes und Sinnhorizonte zu explizieren, die in unterschiedlichen menschlichen Praktiken – verschiedener Zeiten und Räume – zum Ausdruck kommen und diese ermöglichen.“ (A. RECKWITZ, Brennpunkte, 2) 180 Vgl. B. WALDENFELS, Im Labyrinth des Alltags, 153-157; zur Lebenswelt als dem immer schon in Anspruch genommenen Geltungsboden des Selbstverständlichen E. HUSSERL, Krisis, 124. 126. 144 u.ö. Th. Erne hat unter der Aufnahme des Lebensweltmodells von H. Blumenberg und B. Waldenfels (sowie in Anlehnung an die Studie von M. Moxter) das Programm „Alltag als Lebenswelt“ für den Bereich der Praktischen Theologie untersucht und dabei auch die neueren Theoriebildungen von H. Luther und W.-E. Failing / H.-G. Heimbrock bearbeitet; vgl. für den vorliegenden Zusammenhang v.a. TH. ERNE, Rhetorik und Religion, 20-25. 42f. 50-52. 62-73.

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Thematisierungshorizont einzurücken, der Differenzen und damit Orientierung ermöglicht.181 Dies geschieht freilich nicht anders als so, dass einer neuer Horizont von Selbstverständlichkeiten mitgegeben ist. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist das Evangelium alles andere als neutral, denn es führt – um an dieser Stelle den Gedankengang Bonhoeffers modifizierend aufzunehmen – einen „entselbstverständlichenden“ Thematisierungshorizont mit sich, der sich an der Frage nach dem Letzten orientiert, insofern den Horizont der Selbstverständlichkeiten unterbrechen, aber auch Neues selbstverständlich werden lassen kann. Zur Unterbrechung der Selbstverständlichkeiten des Alltags tritt also auch hier ein neuer Horizont von Selbstverständlichkeiten, von Vertrautheit. In diesem Sinne ließe sich auch das aufnehmen, was innerhalb der EKD im Zusammenhang des Impulspapiers „Gestaltung und Kritik“ als Unterscheidungen ermöglichendes Orientierungswissen für einen kritisch-gestaltenden Umgang mit der Kultur gefordert wurde.182 Mittels eines lebensweltlich verstandenen Kulturbegriffs kann einsichtig werden, dass der christliche Glaube immer auch eine kulturelle Gestalt annimmt.183 Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang allerdings, dass die (Wieder-) Gewinnung einer prägenden kulturellen Gestalt und deren Geprägtwerden durch die Orientierung am Letzten zusammengehalten werden. Kulturtheoretisch betrachtet bezieht sich die Aufgabe der Theologie dementsprechend auf den Sachverhalt, dass das Neue des kontingenten Christusereignisses nicht nur die Ordnung(en) alltäglicher Vertrautheit durchbricht, sondern selbst wieder die Gestalt einer alltäglichen Ordnung annimmt, die Kontingenz reduziert. Theologie käme dann als Anwalt in zweifacher Weise zu stehen: Sie expliziert und vertritt die kontingente Ordnung, also die kulturell-lebensweltliche Gestalt des Glaubens als eines am Letzten (dem Gekreuzigten und Auferstandenen) ausgerichteten Horizonts von Vertrautheit. Sie hat aber auch eine prüfende und kritische Aufgabe an dieser Ordnung bzw. diesem Horizont, insofern sie die Kontingenz des Kreuzes gegenüber den selbstverständlich gewordenen christlichen Ordnungsgestalten und

181 M. MOXTER, Kultur als Lebenswelt, 362f., demonstriert den Prozess der Kulturarbeit, die als Transformation symbolischer Formen Zeichen durch andere Zeichen ersetzt, im Anschluss an M. Douglas durch die Überführung von danger in risk. Vgl. zur theologischen Adaption des Sachverhalts v.a. 388f. 182 Vgl. Kirchenamt der EKD / Geschäftsstelle der VEF (Hg.), Gestaltung und Kritik, 45f. 64. 183 Vgl. ebd., 19. 61. 67.

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selbstkritisch auch gegenüber den eigenen Lehrgestalten wahrt.184 Denn die Differenz von Letztem und Vorletztem gilt für die Theologie selbst. Eine solche kulturtheoretisch ausgeführte Funktionsbestimmung vermag dem christlichen Auftrag an der Kultur, wie er in der vorliegenden These angesprochen ist, zu entsprechen. Die kritische und konstruktive Aufgabe des Christlichen an der Kultur äußert sich in einem christlichen Bildungsauftrag, der angesichts der Tatsache, dass in einer ausdifferenzierten Gesellschaft die christliche Imprägnierung der Gesamtkultur keinesfalls mehr vorausgesetzt werden kann, von erheblicher Bedeutung, zugleich aber von eigener Problematik ist. Bereits bei H.J. Iwand floss – auf dem Hintergrund dessen, was er als Versagen des Protestantismus in der Zeit des Nationalsozialismus empfand – die Gewinnung eines konstruktiv-kritischen Verhältnisses des Christentums zur Kultur in ein verstärktes Engagement für die Wahrnehmung einer christlichen Verantwortung für die Bildung. Iwand konnte noch weitgehend einen an Überlieferungen orientierten Bildungsbegriff voraussetzen. Ein solcher ist allerdings unter dem Eindruck einer verstärkten Individualisierung und einer Tradierungskrise in den letzten Jahrzehnten in Misskredit geraten und bedarf einer kritischen Reflexion. Den vorliegenden Überlegungen entspricht ein Bildungsbegriff, welcher die Vermittlung eines symbolisch verstehbaren Thematisierungshorizonts für den Umgang des Menschen mit seiner Lebenswelt für konstitutiv hält. Ein christlicher Bildungsbegriff kann sich dabei auf Einsichten berufen, welche sich aus dem Evangelium als dem Wort vom Kreuz selbst ergeben. Der Begriff der Bildung hat in jüngster Zeit erhebliches Interesse auf sich gezogen. Unabhängig davon, im welchem Maße dabei den klassisch gewordenen Auffassungen eines W. v. Humboldt oder eines F. Schleiermacher Beachtung geschenkt wird, die in diesen zur Geltung kommenden Konfigurationen der verschiedenen Momente des Bildungsbegriffs können zur Evaluation gegenwärtiger Programme nützlich sein. Das betrifft insbesondere die in ihnen vollzogene Zuordnung der vier Momente von Selbstbildung, Sich-bilden-lassen, von Ein-bilden und Aus-bilden.185 Eine heuristi-

184 Es sei vorläufig darauf hingewiesen, dass der Kontingenzbegriff nicht nur in klassischer Weise auf Ereignisse bezogen wird (primäres Kontingenzbewusstsein), sondern auf die lebensweltlichen Ordnungen, die Ereignishorizonte selbst (modernes Kontingenzbewusstsein). Vgl. dazu die weiteren kulturtheoretischen Ausführungen zur genannten Doppelfunktion in These 22. 185 Vgl. W. v. HUMBOLDT, Theorie der Bildung, 234-240; ders., Ueber die innere und äussere Organisation, 255-266; dazu zusammenfassend: C. MENZE, Grundzüge der Bildungsphilosophie, 5-27; ders., Wilhelm von Humboldt, 111-129; D. BENNER, Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie, 77-147; zu F. Schleiermacher vgl. G. EBELING, Frömmigkeit und Bildung, 60-95; E. HERMS, Schleiermachers Bildungsbegriff, 227-

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sche bildungstheoretische Typologie kann sich zunächst an der Frage orientieren, welchem Moment Priorität zukommt.186 Auch die Zuwendung zum Thema Bildung seitens der Systematischen oder der Praktischen Theologie (Religionspädagogik) lässt sich auf diesem Hintergrund erhellen – und zwar gerade auch dann, wenn wie in der Systematischen Theologie eine Bildungstheorie aus der christlichen Religion heraus entwickelt und dabei z.B. an den Gedanken der Gottesebenbildlichkeit (Meister Eckhart) oder an die Rechtfertigungslehre angeknüpft wird. In der Systematischen Theologie verbindet sich die neuere Zuwendung zum Thema Bildung mit den Namen von E. Herms, W. Härle, D. Korsch u.a.187 Der Schnittpunkt mit dem Bildungsideal der Humboldtzeit kann in der Bildung eines handlungsfähigen und sozialverantwortlichen Selbst gesehen werden, während das Gebildetwerden im Modus der Herzensbildung dem Evangelium zugeschrieben wird. Herms etwa begreift dementsprechend die erfahrbare Kirche „von ihrem Kern her – nämlich von Institutionen der Evangeliumsverkündigung her – als Bildungsinstitution mit gesamtgesellschaftlicher Funktion“.188 In der Praktischen Theologie bzw. der Religionspädagogik verbindet sich die Zuwendung zum Thema Bildung vor allem mit dem Namen von K.E. Nipkow, aber auch mit den Namen von R. Preul, H.-J. Fraas und P. Biehl.189 Nipkow bemüht sich dabei nachdrücklich um eine ausgewogene Zuordnung der oben genannten Momente, in diesem Fall insbesondere von Freiheit und Tradition, von Entwicklung der Subjektivität und Fähigkeit zur Verständigung, von ästhetischer und begrifflicher Bildung.190 Auch er bleibt dem sprachlich-theologischen Ursprung des Wortes treu, wenn er Bildung als Erneuerung begreift. Parallel dazu hat P. Biehl seine religiöse Bildungstheorie mit der Entwicklung einer Symboldidaktik verbunden. Dabei soll dem Sachverhalt Rechnung getragen werden, dass christliche Handlungskompetenz von einer veränderten Wirklichkeitssicht abhängig

186 187 188

189

190

249. Zur Geschichte des Bildungsbegriffs den Abriss bei H.-J. FRAAS, Bildung und Menschenbild, 42-105. Vgl. auch die bildungstheoretische Typologie von K.E. NIPKOW, Zur Bildungspolitik, 196f. Vgl. den Literaturbericht von P. BIEHL, Wiederentdeckung der Bildung, 111-152. E. HERMS, Bildung und Ausbildung, 214. D. KORSCH, Religion mit Stil, 135-140, will auch die religiöse Bildung auf „Selbstbildung“ eingestellt wissen und fundiert diese in einem ihr selbst entzogenen Grund (Moment des Gebildetwerdens). Ähnlich auch H. DEUSER, Protestantismus und Bildung, 70-76. Vgl. auch die in F. SCHWEITZER (Hg.), Bildungsauftrag des Protestantismus (2002), versammelten Aufsätze sowie die von CH. ALBRECHT, Bildung, v.a. 96-98, vorgeschlagene Fokussierung der Bildungsarbeit auf die Kulturgeschichte des Christentums. So vor allem in K.E. NIPKOW, Bildung als Lebensbegleitung, 37-61. Dass Nipkow diese Zuordnung gelungen sei, bestreitet J. KUNSTMANN, Religion und Bildung, 6677. Dessen Ästhetisierung des Bildungsbegriffs leidet aber unter Einseitigkeiten, die Nipkow gerade zu verhindert trachtete, vgl. die Antikritik von P. BIEHL, Wiederentdeckung, 142-147, auch die Klarstellungen von K.E. NIPKOW, Zur Bildungspolitik, 233-236.

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ist. Im weitesten Sinn verstandene religiöse Tradition bietet als religiöser Symbolhorizont dem Subjekt eine Welt an, die Erfahrung und Selbstbildung überhaupt erst ermöglicht, dabei aber immer schon auf eine besetzte Symbolwelt trifft. Aufgrund der unhintergehbaren Medialität im Prozess der Selbstbildung muss religiöse Symbolkunde daher immer kritische Symbolkunde sein.191 Grundsätzlich gehen Nipkow und Biehl davon aus, dass im protestantischen Bildungsbegriff die unauflösbare Verbindung beider Momente zu denken ist: „Bildung als Selbstbildung im Sinne kritisch-reflexiver individueller Bildung und Bildung als Gebildetwerden durch die bildende Kraft überindividueller Gegebenheiten (Lebensformen).“192 Nipkow konnte darum auch an die Story-Konzeption narrativer Theologie anknüpfen. I. Schoberth hat einen solchen Ansatz zur Grundlegung einer „katechetischen Theologie“ des Glauben-lernens erweitert.193 Es entspräche dem Duktus des vorliegenden Entwurfs, auch Bildung als pädagogische Norm und Kreuzestheologie in ein kritisch-konstruktives Verhältnis zu setzen, um so eine Bildungstheorie vom Evangelium her zu explizieren. Hinsichtlich des Moments des Sich-bilden-lassens kann dabei vom bildenden und gestaltenden Bestimmungsgrund im gekreuzigten und auferstandenen Christus nicht abgesehen werden. Soteriologisch ist Bildung daher an Wort und Sakrament gewiesen; pädagogisch wäre an dieser Stelle die Rolle eines tradierten Symbolhorizonts bzw. von tradierten Lebensformen (Ritualen) zu erörtern.194 Auch religiöse Symbole können wie alle in unserer Lebenswelt wirksamen Symbole, seien sie gesellschaftlich oder massenmedial vermittelt, ihr Bedingtsein bzw. ihre Kontingenz verschleiern. Das Wort vom Kreuz steht für einen solchen symbolisch verstehbaren Thematisierungshorizont, welcher sich gerade durch die Einsicht in die eigene Bedingtheit kritisch auf bereits in der Lebenswelt wirksame (religiöse wie nichtreligiöse) Symbole beziehen kann. Bildung kann so auch die Entmächtigung von Symbolhorizonten einschließen, in denen wir leben. Ihrer Entselbstverständlichung muss dabei eine elementare Funktion im Bildungsprozess beigemessen werden. Auf dieser Ebene wäre, wie bereits skizziert, auch die Diskussion mit der Konzeption von W. Gräb aufzunehmen. Bildung setzt eine Didaktik voraus, die sich auf die Verstehensvoraussetzungen des Gegenübers im Sinne eines wechselseitigen Erschließungsprozesses einlässt. Andererseits ist dieser Prozess auf die Ermöglichung angelegt, dass die bisherige Le191 192 193 194

P. BIEHL, Gottesebenbildlichkeit, 60-64. Ders., Wiederentdeckung, 137. I. SCHOBERTH, Glauben-lernen. Die Zuordnung dieser beiden Ebenen markiert ein eigenes Problemfeld: Wird die sakramentale Analogie eng gefasst, d.h. im Sinne der Realpräsenzvorstellung von einer ontologischen Partizipation des Symbols ausgegangen, gerät man in die Nähe eines zweistelligen Symbolbegriffs, welcher den bedeutungszuschreibenden Gebrauch des Rezipienten zu gering veranschlagt. Auf diesen Punkt konzentriert M. MEYER-BLANCK, Vom Symbol zum Zeichen, 93-147, seine Kritik an der Symboldidaktik von P. Biehl.

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benswelt in einem neuen Licht gesehen werden kann. Und in diesem Zusammenhang muss dann sehr wohl gefragt werden, ob und wie entsubstantialisierten Symbolen noch die kritische Kraft des Entmächtigens eigen ist. Zu beachten gefordert wäre außerdem, dass die Kritik an traditionellen Symbolbeständen immer schon einen Traditionszusammenhang als Ermöglichungsgrund voraussetzt. Der dialektische Zusammenhang von Tradition und Autonomie, von Autorität und Kritik ist für jedes Bildungsideal konstitutiv. Genau daraus schöpft aber auch eine katechetische Religionspädagogik ihr Recht, wenn sie in der Anknüpfung an angelsächsische kommunitaristische Positionen den Prozess des Glauben-lernens mit der Wahrnehmung der elementaren Geschichte Gottes beginnen lässt und sich der Möglichkeit eines „Heimischwerden“ (M. Polanyi) in der christlichen Lebensform nicht schämt.195 Eine solche Bildungskonzeption muss keinesfalls im Projekt kirchlicher Erziehung bzw. kirchlicher Sozialisation enden196 – vorausgesetzt es gelingt, die Zielbestimmung einer selbstbestimmten persönlichen Bildung festzuhalten. Eine christliche Bildung der Urteilsfähigkeit kann es jedenfalls ohne die Vermittlung der Geschichte des Christus und ohne eine Wahrnehmungsweise, die sich von der Wahrnehmung des Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmen lässt, nicht geben. Das heißt aber: Das Evangelium als das Wort vom Kreuz qualifiziert den Bildungsprozess nicht nur dahingehend, dass der Selbstbildung eine Begründungsstruktur verliehen, sie also in einem Gebildetwerden fundiert wird. Sie wird vielmehr auch nach ihrer teleologischen Struktur qualifiziert: Es bestimmt nämlich auch das, was individueller Selbstbestimmung als gutes und gelingendes Leben zugrunde gelegt wird und unter anderem das Moment der Ausbildung individueller Fähigkeiten nachhaltig bestimmt. Diese christliche Bestimmungsweise kann in ihrer Unterschiedenheit beispielsweise beim Umgang mit Leiden zutage treten oder beim Umgang mit dem, was in anderen Symbolsystemen als „nichtig“, „wertlos“ erscheint.

Einige konkrete Beispiele, welche den kritisch-gestaltenden Umgang des christlichen Glaubens mit Kultur veranschaulichen können, seien genannt:197 Das Wort vom Kreuz erschließt einen Symbolisierungshorizont, der es als Unbildung entlarvt, wenn eine Gesellschaft die Frage nach dem Letzten meint umgehen zu können. Der kritische Beitrag christlicher Bildung besteht dann auch darin, das Menschenbild eines

195 Vgl. I. SCHOBERTH, Glauben-lernen, 89-97. 263-313. 196 So der Vorwurf von J. KUNSTMANN, Religion und Bildung, 99f., gegenüber dem Entwurf von K.E. Nipkow. 197 Die folgenden Beispiele sind H.J. Iwand entlehnt; ihnen allen gemeinsam ist die strikte Ablehnung der Meinung, die formative Kraft gesellschaftlicher Kommunikationsagenten sei ihren eigenen Gesetzen zu überlassen (Eigengesetzlichkeitsthese). Vgl. H.J. IWAND, „Kultur, Christliche“, 622-624; ders., Evangelium und Bildung, 272f. 277; ders., Die christliche Verantwortung für die Bildung, 298f.; dazu: M. HOFFMANN, Kreuzestheologie, 146-151.

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homo faber, der die Welt als Material seiner Gestaltung ansieht, ebenso wenig als selbstverständlich hinzunehmen, wie eine Uniformierung der gesellschaftlichen Teilsysteme und ihrer Aufgaben unter Nützlichkeitserwägungen.198 Eine christliche Verantwortung für die Bildung und eine dementsprechend exemplarische Rolle der Theologie äußert sich auch darin, in einer sich ihrer Voraussetzungen bewussten Rationalität dem Sachverhalt Rechnung zu tragen, dass die Vernunft keine autonome Größe darstellt, sondern in eine Lebenswelt von Selbstverständlichkeiten eingebettet ist. Von daher wäre auch von einer christlichen Verantwortung für die Vernunft zu reden. In kulturwissenschaftlicher Betrachtung schlägt sich diese zuvörderst in der Ausbildung eines Kontingenzbewusstseins im Blick auf alle kulturellen Vollzüge des Menschen nieder (vgl. These 22). Insgesamt wird man sagen dürfen, dass die konstruktive Aufgabe darin besteht, die heilsamen Umkehrungen, die mit dem Wort vom Kreuz und der Rechtfertigung des Gottlosen gesetzt sind, für die Reflexion über individuelle und gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten erschließbar zu machen. Dass Menschen sich dann auf den sich neu erschließenden Horizont einlassen, ist dabei der Verfügbarkeit entzogen, kann aber zugleich durch das christliche Vermögen, Vorletztes zu achten, in seiner Offenheit respektiert werden.199 Vollzieht sich eine solche Explikation als kommunizierbare und differenzsensible Darstellung mit Wenn-Dann-Struktur,200 kann sich auch für Nichtglaubende verstehbar erschließen: Die Weltlichkeit der Welt ist nur gewährleistet, wenn Gott Gott bleibt. Diese Beispiele dürfen allerdings die Rückkopplung des kulturellen Kontexts auf die Theologie nicht übersehen lassen. Der skizzierte Sachverhalt, dass das Verständnis des Evangeliums untrennbar mit einem vorausgesetzten und von ihm symbolisch transformierten kulturell imprägnierten Horizont verwoben ist, hat Bedeutung für die wissenschaftliche Theologie selbst. Von daher darf eine Bemerkung zur kulturellen Kontextualität der Theologie und der von ihr in Anspruch genommenen Vernunft nicht fehlen. Bestimmt man Vernunft primär als das Vermögen, Differenzen zu bilden und Differenzen festzuhalten, und so als Vermögen denkenden Orientierens,201 kann die Vernunft einer Theologie als Kunst des Unterscheidens in den Blick kommen. Es handelt sich um eine Vernunft, der 198 199 200 201

Vgl. dazu nachdrücklich: H. SCHMOLL, Bildungsauftrag, 530-544. Zur Bitte als „Autoritätsform des Evangeliums“ E. JÜNGEL, Autorität, 187f. Dazu E. JÜNGEL, Glauben und Verstehen, 75f., Anm. 264. Vgl. J. MITTELSTRASS, Forschung, Begründung, 117-140; H. SCHNÄDELBACH, Kultur, 545.

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wie aller Vernunft ein positionaler Charakter eigen ist. Ihre Einbettung in den „Netzen der Lebenswelt“ (B. Waldenfels) bedingt eine kulturelle Kontextualität von Wissenschaft. Die Theologie bleibt von dieser kulturellen Kontextualität ebenso wenig unberührt wie von ihrer gesellschaftlichen Kontextualität, die sich in der Auseinandersetzung mit anderen Diskurs- bzw. Symbolsystemen der Gesellschaft artikuliert. In diesem Sinne kann die Bedeutung des Vorletzten für die Erfassung des Letzten bei Bonhoeffer dechiffriert werden.202 Und in diesem Sinne müsste schließlich gesagt werden, dass nicht erst der Bildungsauftrag, sondern schon die unhintergehbare kulturelle und gesellschaftliche Kontextualität – so sie der reflexiven und diskursiven Bearbeitung aufgeben ist – für einen Ort der Theologie an der Universität spräche. Auf dem Hintergrund des bisher Skizzierten ergibt sich eine rückwirkende Funktion des Kontextes fast von selbst: Es ist die kulturelle und gesellschaftliche Kontextualität, die, wie These 10 nahe legt, ein treibendes Moment darstellt, Positivierungen von Differenzen kritisch zu hinterfragen, zu Dialogregeln gewordene Differenzen vom Wort vom Kreuz her zu rekonstruieren bzw. Folgedifferenzen zu konstruieren.203 So ist dem dogmengeschichtlichen Sachverhalt zu entsprechen, dass nicht wenige Dogmen ihre Entstehung im weitesten Sinne verstandenen kulturellen Einflüssen zumindest mit-verdanken, solche Einflüsse aber auch zu Selbstverständlichkeiten gewordene Überzeugungen infrage stellen und neue Reflexionsgänge induzieren können.

202 Vgl. D. BONHOEFFER, Ethik, 152. 154. 203 Ein schönes Beispiel dafür, welches zugleich zeigt, dass das hier mit „Theologie“ in Anspruch Genommene in der Tat alle Disziplinen einbezieht, betrifft die lutherische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium: Der jüdisch-christliche Dialog und die Erfahrungen des Versagens eines bestimmten neulutherischen Theoriemodells im Nationalsozialismus führte zu kritischen Auseinandersetzungen mit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Während ein Teil der Theologen eher einer Verabschiedung dieser Unterscheidung das Wort redete, kam es insbesondere durch Diskussionsanregungen aus dem Bereich der alttestamentlichen Wissenschaft und der Judaistik, welche über die neutestamentliche Wissenschaft auf eine Sensibilisierung der Dogmatik hinwirkten, zu Differenzierungen im Blick auf die genannte Differenz – etwa dadurch, dass zwischen Gesetz und Tora stärker differenziert wurde, und dies wiederum dadurch, dass Tora und Bund näher aneinander rückten und die Rede vom Alten und Neuen Bund kritisch reflektiert wurde. Vgl. für eine solche fächerübergreifende Auseinandersetzung F. AVEMARIE / H. LICHTENBERGER (Hg.), Bund und Tora.

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18. Im Blick auf die Religion ist es zu deren Thematisierung von grundlegender Bedeutung, die christliche Religion als ein am Letzten ausgerichtetes kritisches Bewusstsein begreifen zu können, welches zur Selbstrelativierung seiner dem Vorletzten zugehörigen kulturellen Gestalt fähig ist und welches einer normativen Fortbestimmung als Mittel zum Zweck eines Vorletzten entgegensteht. Was in der Religion des Kreuzes als bedeutsamer Wesenszug festzustellen ist, findet sich dementsprechend auch in der Perspektive wieder, in welcher religiöse Phänomene überhaupt wahrgenommen und beurteilt werden und in welcher der Theologie ein konstruktiv-kritischer Beitrag zum religiös-weltanschaulichen Pluralismus zu erbringen möglich ist. Semantische Klärungsversuche des Religionsbegriffs haben bekanntlich eine Fülle an Literatur und eine nicht unbedeutende Anzahl an verschiedenen Definitionen hervorgebracht. In gewisser Ähnlichkeit zum Kunst- oder Kulturbegriff besteht das Problem schon darin, dass zur Erfassung eines komplexen Phänomens ein Allgemeinbegriff von erheblichem Umfang erforderlich ist, der damit aber unweigerlich ein Minimum an inhaltlicher Bestimmtheit mit sich führt. Wollte man indes auf Definitionsversuche prinzipiell verzichten, so würde nur dem unkontrollierten Gebrauch des Religionsbegriffs Vorschub geleistet und auch der Möglichkeit von funktionalen Fremdbestimmungen Tür und Tor geöffnet.204 So kommt es also in der Regel zu solchen Differenzbestimmungen, die eine Abgrenzung des Religiösen vom NichtReligiösen erlauben und dabei ihre Leistungskraft durch die Kombination von Innen- und Außenbeschreibungen gewinnen. Die dazu notwendige reflexive Distanzierung von den bestimmten Formen des Vollzugs darf jedoch nicht dazu führen, das Selbstverständnis bzw. die Eigenperspektive der Partizipanten zu ignorieren.205 Mit diesem wichtigen Erfordernis ist, wie schon sichtbar wurde, auch das Grundproblem funktionaler Definitionen benannt.206

204 Vgl. zum Problemfeld des Religionsbegriffs oben, 1.2.1.; dazu in diesem Zusammenhang: W. PFÜLLER, Die „Religion“ ist tot! – Es lebe die Religion!, 107-112; D. POLLACK, Was ist Religion?, 163-190; F.-X. KAUFMANN, Religion, v.a. 65f. 235; F. WAGNER, Religion der Moderne, 12-44; G. WENZ, Graf Feuerbach und der Tod, 157-189. 205 Vgl. R. SCHAEFFLER, Religionsphilosophie, 197-204; für den Religionssoziologen F.H. TENBRUCK, Religion im Maelstrom der Reflexion, 31ff., bringt dies, wie bereits erwähnt (vgl. 1.2.1.), prinzipiell die Aporie des produktiven Beobachters mit sich. Die genannte Forderung ist ebenso wie die von Tenbruck markierte Aporie auch zu bedenken aufgegeben, wenn eine modernitätstheoretische Beschreibung von Religion die kirchlich-theologischen Lehrgehalte auf den Aufbau einer religiösen Individualität hin funktionalisiert. 206 Vgl. v.a. R. SPAEMANN, Funktionale Religionsbegründung, 9-25; J. WERBICK, Den Glauben verantworten, 42-74; N. LUHMANN, Religion der Gesellschaft, 118f.

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Wenn bereits oben die christliche Religion als kritisches Bewusstsein bestimmt wurde, so ist damit kein religionswissenschaftlich hinreichender Definitionsversuch unternommen; es ist ja kein Abgrenzungskriterium zu anderen Formen kritischen Bewusstseins erhoben.207 Vielmehr handelt es sich um einen Wesenzug religiösen Bewusstseins in der Abgrenzung zu unkritischen Formen bzw. zu Formen, denen die Kritik äußerlich ist. Sie werden damit freilich als Depravation des Religiösen gekennzeichnet. Das kritische Bewusstsein gründet nun darin, dass die Sache bzw. der Gegenstand der Religion als das ganz Andere, Transzendente etc. für die Partizipanten in kritischer Differenz zu den Erscheinungen der Welt (und damit zu den religiösen Vollzügen und Symbolen selbst) steht. Für eine religionswissenschaftliche Definition würde dieser Sachverhalt eine sogenannte substantielle Dimension voraussetzen; es ist aber relativ unerheblich, ob man sich zunächst am Binom ‚Unendlich / Endlich’, ‚Gott / Welt’, ‚Transzendent / Immanent’ etc. orientiert. Für einen theologischen Religionsbegriff ist eine solche Fassung der Grunddifferenz, wie gleich zu sehen sein wird, ohnehin noch unterbestimmt.208 Entscheidend ist es für den vorliegenden Zusammenhang vielmehr, dass Religion die Fähigkeit zur Religionskritik und damit zur Selbstrelativierung innewohnt. Eine kritische Religion ist fähig, sich selbst in die Krise zu führen, wenn sie sich dessen gewahr ist, dass die Erscheinung Gottes zugleich die Krisis der Religion ist.209 Geht es nun um die kulturelle und religiöse Aufgabe des christlichen Glaubens, so ist es von erheblicher Bedeutung, wenn gesagt werden kann: Christliche Religion ist – zunächst und unter anderem jedenfalls – eine kritische Form des Bewusstseins, die, bevor sie Objekt einer Kritik werden kann, selbst Ausdruck von kritischem Bewusstsein ist.

207 Eine religionswissenschaftliche Thematisierung bedarf einer Definition von Religion, welche die (noch so dehnbare) Abgrenzung des Phänomenbereiches zu andersartigen Kulturbereichen ermöglicht und so das empirische Forschungsfeld konstituiert. Eine theologische Thematisierung von Religion muss sich mit dem religionswissenschaftlich definierten Phänomenbereich nicht decken. Sie vermag – wie etwa ihre Fassung als Lebensorientierung an Unbedingtem bzw. am Absoluten zeigt – über sie hinausgreifen, kann dann aber religionswissenschaftlich nicht unbesehen als Definition übernommen werden, vgl. D. POLLACK, Was ist Religion?, 170f.; M. SECKLER, Der theologische Begriff von Religion, 134f. 208 Vgl. ebd., 138: Insofern nämlich für einen theologischen Religionsbegriff nicht nur eine kritische Differenz, sondern eine erlösend-heilsame Beziehung grundlegend ist. Dazu erhellend auch der theologische Religionsbegriff von B. PASCAL (vgl. z.B. ders., Pensées, Fragment 449/556, dt. Gedanken, 253-258): Pascal kritisiert die deistische Grunddifferenz als dafür nicht ausreichend und vertritt die Notwendigkeit einer Kombination der Differenz von Gott / Mensch mit der Differenz von Elend / Erlösung. 209 R. SCHAEFFLER, Kritik der Religion, 85f.; vgl. CH. SCHWÖBEL, „Religion“, 282f.

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Wie immer man ihre Grunddifferenz präzise bestimmt, es handelt sich um eine kritische Differenz zu den Erscheinungen der Welt, zu dem, was nicht Gott ist.210 Sie ist damit weltkritisch und kulturkritisch, zugleich aber auch selbstkritisch, denn die kritische Differenz impliziert auch eine Differenz zwischen den eigenen religiösen und sprachlichen Vollzügen und dem, worauf diese Vollzüge gründen bzw. verweisen. Es ist für die Konfiguration einer Religionstheorie nicht unerheblich, in welcher Weise sie zu einer solchen Auffassung gelangt: Religion nämlich als kritisches Bewusstsein zu begreifen, dies stellt sich nämlich als Verallgemeinerung eines Charakteristikums eines theologischen Religionsbegriffs dar. Die Erschließung erfolgt in diesem Fall immer schon in der Perspektive der christlichen Religion, für welche das Bestimmtsein durch das Kreuz fundamental ist.211 Einem theologischen Religionsbegriff ist es zu beachten aufgegeben, dass sich aus wie immer gearteten Wesens- oder Grundzügen von Religion weder die kontingente Tatsächlichkeit des Kreuzes noch seine religiöse Bedeutung, nämlich Manifestation des Heiligen zu sein, erklären lässt.212 Vielmehr gilt: Erst das – durch die Auferweckung – in seiner Heilsbedeutung enthüllte und den christlichen Glauben begründende Kreuz vermag die Paradoxien des christlichen Glaubens bzw. der christlichen Religionspraxis aufzuschlüsseln. Nur von ihm her ist es kein Widerspruch, dass der christliche Glaube sich auf den rettenden und richtenden Gott bezieht. Für einen theologischen Religionsbegriff heißt dies wiederum, dass die kritische Differenz nicht alles ist, was zum religiösen Bewusstsein zu sagen ist. Ebenso kennzeichnend ist für seine spezifisch christliche Form die erneute Annahme und Bejahung des Weltlichen. In der christlichen Religion „verbinden sich aufs engste Freiheit von der Welt und Freiheit zur Welt.“213

Aus ihrer Orientierung am Wort vom Kreuz ergibt sich für die christliche Religion, in welcher spezifischen Form sie als kritisches Bewusstsein aufgefasst werden muss. Das prägt dann nicht nur die Perspektive, in der religiöse Phänomene überhaupt wahrgenommen werden, es prägt auch die konkreten Differenzbildungen, mit denen die erwähnte kritische Grunddifferenz in der theologischen Reflexion begrifflich eingeholt wird. Hierzu kann ebenfalls die Differenz von Letztem und Vorletztem bei Bonhoeffer, aber auch die Differenz von Unbedingtem und Bedingtem bei Tillich als beispielhaft gelten. 210 Vgl. nochmals M. SECKLER, Theologie als Glaubenswissenschaft, 174f. 211 Für eine Wesensbestimmung der christlichen Religion vom Kreuz her hat sich nachdrücklich G. HEINZELMANN, Wesen der Religion, 797-824, eingesetzt. Seine Wesensbestimmung geht dabei nicht nur von einer empirisch-geschichtlichen Betrachtung aus (Kreuz als das spezifische Symbol in der Christentumsgeschichte), sondern fordert eine im Sinne Schleiermachers kritische Wesensbestimmung dessen, was Mittelpunkt des christlichen Glaubens ist. 212 Vgl. M. KÄHLER, Kreuz, 296f.; G. EBELING, Religionslose Welt?, 51. 213 Ebd.

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Tillich hat den hier interessierenden Zusammenhang sogar explizit ausgeführt: Das Wort vom Kreuz wird eine Gestalt von Religion, welche selbst wiederum als eine Gestalt von Kultur aufzufassen ist. Seine Unbedingtheit erweist das Wort vom Kreuz darin, dass es diese beiden Gestalten, in denen es selbst in Erscheinung tritt, zu kritisieren und zu relativieren vermag.214 Von Bonhoeffers Differenzbildung ausgehend ergäbe sich Ähnliches. So wie er sie angelegt hat, vermag sie zur Geltung zu bringen, dass eine am Wort vom Kreuz orientierte Religion sich von selbst dagegen sperrt, nur Mittel zum Zweck von Vorletztem zu sein. Sie kann dieses Vorletzte vom Letzten her vielmehr kritisch infrage stellen – nicht um es weltflüchtig zu verlassen, sondern um es in „echter Weltlichkeit“ wiederzugewinnen und ihre Verantwortung für es wahrzunehmen. Diese Einsicht eignet sich wiederum, ins Gespräch mit dem Ansatz von W. Gräb gebracht zu werden: Systematisch-theologisch verantwortlich kann die von ihm kriteriologisch aufgeladene Frage des Menschen nach individueller Sinngewissheit nicht ohne die allem Vorletzten zugedachte Dialektik von Kritik und Bejahung aufgenommen werden. Mit Bonhoeffer gesprochen wäre also zu beachten, dass im Gekreuzigten und Auferstandenen das Letzte wirklich wurde und unsere menschliche Wirklichkeit, all unser Fragen nach Sinn und Lebensorientierung zu einem Vorletzten macht, das als solches (!) ernstgenommen werden muss, aber keinesfalls zum theologischen Ausgangspunkt oder zum Kriterium zu erheben ist. Die skizzierten Ausführungen vermögen anzuzeigen, inwiefern es von Bedeutung sein kann, über Barths und Bonhoeffers eigene Religionskritik hinaus den selbstkritischen Aspekt des Wesens von Religion zur Geltung zu bringen. Denn dann würde Religion im Unterschied zu ihren depravierten Formen als ein solches Bewusstsein betrachtet, dem das Potential zur Selbstkritik wesenhaft zugehört, ein Bewusstsein also, dem die Widerständigkeit gegenüber der Vergötzung des eigenen Vollzugs und der eigenen Formen sowie gegenüber ihrem bloßen Funktionieren selbst entnommen werden kann.215 Bei der Religion, die 214 So an der bereits zitierten Stelle, P. TILLICH, Kirche und Kultur, 42. Dieser Sachverhalt ließe sich auf dem Hintergrund der Konzeptionen von Schleiermacher und Cassirer weiter diskutieren, vgl. C. RICHTER, Religion in der Sprache der Kultur, v.a. 28f. 288f.: Religion ist eine kulturelle Gestalt neben anderen; sie eignet sich nicht, begründungstheoretisch als privilegierte Stütze oder Voraussetzung der Kultur eingesetzt zu werden. 215 So gesehen bieten Barth und Bonhoeffer ein kritisches theologisches Verständnis von Religion gegen bestimmte Modi von Religion auf, welche durch phänomenale Zweideutigkeit, Weg des Menschen zu Gott, Innerlichkeit oder Partialität bestimmt sind. Auch wenn man dieser Durchführung nicht folgt, bleibt die Notwendigkeit ei-

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auf dem Wort vom Kreuz gründet, ist das in ausgezeichneter Weise der Fall.216 Theologie als Wirklichkeitswissenschaft

3.6. Theologie als Wirklichkeitswissenschaft 19. Die Paradoxien des Glaubens erfordern die Ausarbeitung eines theologischen Wirklichkeitsverständnisses, das dem Streit um die Wirklichkeit ausgesetzt bleibt: Bestimmt von der Wahrnehmung des gekreuzigten Christus erschließt sich Gott als rettender, der Mensch und seine Welt als bedürftige. Diese Wirklichkeit erschließt sich in der Weise, dass sie denjenigen, dem sie sich erschließt, in diese Wirklichkeit hineinstellt, zugleich ihn mit der Ambivalenz seiner Lebenswelt leben lässt. Wie bereits erwähnt, hatte schon E. Troeltsch Theologie als Wirklichkeitswissenschaft aufgefasst und sie auf die religiöse Lebenswelt bezogen gedacht. Der Begriff der Wirklichkeitswissenschaft ist dann über M. Weber und H. Freyer in das Selbstverständnis der Sozialwissenschaften eingegangen und so schließlich auch zum Bezugspunkt des theologischen Ansatzes von T. Rendtorff geworden (1.1.7.3.) – in scharfer Abgrenzung zum eschatologischen Wirklichkeitsverständnis K. Barths. Seit den 70er Jahren wurde Wirklichkeit weniger als soziologische, vielmehr als erkenntnistheoretische Kategorie („Realität“) zu einem zentralen Punkt in der Debatte der analytischen Philosophie. Diese Debatte hält, zusätzlich angeregt durch pragmatische Sprachtheorien und durch verschiedene Spielarten des Konstruktivismus bzw. des Antirealismus an.217

ner theologischen Bestimmung des Religionsbegriffs bestehen, will man religionswissenschaftliche Definitionen nicht unkritisch übernehmen. 216 Das damit Anvisierte ließe sich auch noch einmal an 1 Kor des Paulus erhellen. Paulus käme als Anwalt des kritischen Potentials des Evangelium zu stehen, das er gegen Missbräuche in Stellung bringt. Seine Kreuzestheologie, die für ihn bis in ethische Folgerungen hinein Gültigkeit hat, kann also als Zuspitzung des der christlichen Religion eingelagerten Kritikpotentials verstanden werden. Bemerkenswert und nun seinerseits mit kritischem Potential im Blick auf eine metatheoretische Adaption seiner Kreuzestheologie erscheint der Sachverhalt, dass bei Paulus das Verständnis von Kritik, wie es sich innerhalb eines breiten Wortfeldes von krínein erheben lässt, mit dem Gedanken des eschatologischen Gerichts verbunden ist und damit auch seinen ganzen Ernst erhält. Im Blick auf eine Theologie als Kunst des Unterscheidens wäre so auch das Wortspiel in 1 Kor 11,31f. bedenkenswert. 217 Vgl. die in 2.2.4.1. angesprochenen Positionen, v.a. die Zusammenstellung von M. WILLASCHEK (Hg.), Realismus; außerdem: E. RUNGGALDIER / C. KANZIAN, Grundprobleme.

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So sah sich die Religionsphilosophie, dann aber auch die Theologie vor die Aufgabe gestellt, den propositionalen Gehalt und die ontologische Relevanz religiöser Sätze etwa im Verhältnis zu ihren performativen Funktionen zu klären. Der Ansatzpunkt für die ontologische Fragestellung konnte sich – der analytischen Methode entsprechend – aus den sprachlichen Strukturen religiöser Kommunikation selbst ergeben. Dieser Ansatzpunkt entsprach dem, was W.v.O. Quine „ontological commitments“ genannt hatte: Wenn Sprecher etwas als wahr behaupten, gehen sie eine ontologische Verpflichtung ein, indem sie das als existent annehmen müssen, was diese Behauptungen wahr macht.218 I.U. Dalferths Arbeiten können in gewisser Hinsicht als grundsätzliche Auseinandersetzung mit der ontologischen Verpflichtung christlichen Redens von Gott angesehen werden – ohne dass er dem Naturalismus Quines auf der einen oder dem extremen Realismus R. Chisholms219 auf der anderen Seite folgte. Ganz anders W. Gräb, welcher den Progressionsgedanken E. Cassirers dazu verwendet, die Dialektik von Bildzeichen und Sinnzeichen zugunsten des Letzteren aufzulösen, so dass Religion in ihrem Reflexivwerden dazu drängt, realistische Vorstellungen (Stufe des Mythos) hinter sich zu lassen (Stufe der Kunst). Daraus resultiert eine grundsätzliche Polemik gegen ontologische Fragestellungen.220 Den hier vorgelegten Vorschlägen zufolge kann die Herausforderung zur Reflexion auf den Wirklichkeitsbezug221 des Glaubens nicht als an die Theologie von außen herangetragene betrachtet werden, sie entspringt dem Innersten des Glaubens selbst.222 Darauf verwies bereits die Struktur der hermeneutischen Umkehrung bei Paulus; für Luther wurde sie geradezu zum basalen Kennzeichen seiner Kreuzestheologie:

218 Vgl. W.v.O. QUINE, Von einem logischen Standpunkt, 9-25. 219 Vgl. R. CHISHOLM, A realistic theory of Categories, 3f. 220 Die Progression umgekehrt ganz zugunsten einer grundsätzlichen Mehrdimensionalität von Wirklichkeit zurückgedrängt hat K. HÜBNER, Glaube und Denken, 1-8; vgl. schon ders., Wahrheit des Mythos, 239ff. 221 Bei der Rede von „Wirklichkeit“ hat man sich der Unterscheidung zwischen Realität, lat. realitas, und Wirk-lich-keit, als aristotelisch dynamisch (nämlich als energeia) verstandene actualitas, eingedenk zu sein. Das bedeutet zunächst, Wirklichkeit nicht – wie der alltägliche Sprachgebrauch gegen die Herkunft des Wortes suggeriert – auf das, was es gibt, einzuschränken, sondern das Wirken im Vollzug, die Wirksamkeit der Wirklichkeit mitzubedenken. Luther war dieser Sachverhalt präsent. 222 Vgl. I.U. DALFERTH, Existenz Gottes, 16; schon F. TRAUB, Kirchliche und unkirchliche Theologie, 46. Außerdem zum Folgenden: W. KRÖTKE, Was ist ‚wirklich’?, 3-17; W. HÄRLE, Dogmatik, 195-208. 218-225; CH. SCHWÖBEL, Unverzichtbarkeit, 102-118. Zur Kritik an der von Härle, Herms und Schwöbel zur Explikation eines christlichen Wirklichkeitsverständnisses aufgebotenen Begründungsfigur: J. DIERKEN, Selbstbewußtsein, 126-132.

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„Theologus crucis dicit, id quod res est“ (Th. 21).223 Sachlich ergibt sich diese Aufgabe schon aus der Wahrnehmung des Rechtfertigungsgeschehens, insofern dieses als Konstituierung einer neuen Wirklichkeit gedacht werden muss, welche sich kontrafaktisch zur menschlichen Wirklichkeitswahrnehmung verhält und welche sich in paradoxalen Glaubensaussagen Ausdruck verschafft. Seine „letzte“ Wirklichkeit findet der Glaubende im Zuspruch des Evangeliums. Von der Wahrnehmung des Rechtfertigungsgeschehens ausgehend muss so gesagt werden, dass nicht nur die Paradoxalität von Glaubensaussagen, sondern auch der Streit um die Wirklichkeit (G. Ebeling) dem christlichen Glauben wesensmäßig zugehört. Von einem „Streit“ zu reden, schließt dabei die Entschiedenheit ein, andere Wirklichkeitskonstitutionen als wirklichkeitsfremd beurteilen zu können – was freilich immer nur von dem je eigenen Wirklichkeitsverständnis aus und darum positional vollzogen werden kann (vgl. schon These 9).224 Auf dem Hintergrund des Rechtfertigungsglaubens gewinnt so auch das theologische Explikationsmodell von Luthers Kreuzestheologie seine sachliche Berechtigung. Denn im Blick auf das, was beanspruchen kann, letzte Wirklichkeit zu sein, gilt: Menschliche Wirklichkeitskonstitution, welche sich selbsttätig auf Seiendes bezieht, ist mit dem Wort vom Kreuz zu konfrontieren und in ihrem Anspruch, letzte Wirklichkeit zu sein, zu entmächtigen – und zwar durch die neue Wirklichkeitskonstitution göttlicher Liebe, ohne die es nichts, auch Erstere nicht gäbe. In der Kreuzestheologie kann so gesehen seine präzise Reflexionsform finden, was für den christlichen Glauben als Kritik und Konstitution von Wirklichkeit zur Entscheidung steht. Ob und wie sie sich der Differenz ihrer Wirklichkeitsbezugnahmen bewusst ist, ist für die Kirche in der Ausübung ihres Auftrags alles andere als unerheblich. Eine reziproke Denkform, wie sie in Bonhoeffers Differenz von Letztem und Vorletztem vorliegt, legt es dabei nahe, dass gerade in der Zuwendung zur göttlichen Wirklichkeitskonstitution die Befreiung liegt, sich der vorfindlichen menschlichen Wirklichkeitskonstitution in ihrer ganzen Weltlichkeit offen stellen und sich ihr als vorletzter Wirklichkeit kritisch zuwenden zu können. So betrachtet muss gesagt werden, dass eine Theologie, welche zur Ausbildung eines

223 StA I, 208,20f. 224 Vgl. G. EBELING, Glaube und Unglaube im Streit um die Wirklichkeit, 401: „Der Unglaube behauptet, der Glaube sei wirklichkeitsfremd und wirklichkeitsfeindlich. Es ist nicht ein Zeichen von Glauben, dies schlechten Gewissens halb und halb zuzugeben und zu entschuldigen. Sondern der Glaube sagt dazu entschieden: ‚Nein! Der Unglaube ist wirklichkeitsfremd und wirklichkeitsfeindlich.’ So allein gewinnt der Streit zwischen Glauben und Unglauben an Schärfe.“

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christlichen Wirklichkeitsverständnisses nicht fähig ist, in gewissermaßen doppeltem Maße als dysfunktional zu gelten hat. Sie versagt auch im Umgang mit menschlicher Wirklichkeitskonstitution. Zur intrinsezistischen Verantwortung des Glaubens im Wissenschaftskontext verlangt der Streit um die Wirklichkeit von der Theologie die Fähigkeit des Konflikts bzw. der kritischen Dialogs – je nach Position des Gegenübers. Auch wenn Luther sich bekanntlich mit einer Aristoteles-Rezeption in der Theologie konfrontiert sah, welche den Zugang zu den Paradoxien des Glaubens verstellte, ließ er sich nicht auf ein kontradiktorisches Verhältnis zu Philosophie festlegen.225 Für die Gegenwart ließe sich sagen: Das Verhältnis kann die Form eines konstruktiv-kritischen Dialogs annehmen, wenn die Einsicht in die positional-geschichtliche Einbettung jeder Wirklichkeitsthematisierung Anerkennung findet und nicht zur Relativierung der universalen Geltungsansprüche dieser Thematisierungen missbraucht wird – etwa durch Partialisierungs- bzw. Privatisierungsstrategien.226 Insgesamt wird es entscheidend sein, Ausgangspunkt und Grundstruktur eines theologischen Wirklichkeitsverständnisses vor Augen zu haben. Drei Momente werden in der These angesprochen: die Bedeutung des gekreuzigten Christus für das christliche Verständnis von Wirklichkeit, deren praktische Zugänglichkeit und deren Verhältnis zur Lebenswelt. Zum Ersten:227 Luthers theologische Gegenstandsbestimmung in seiner Definition von Theologie (homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator)228 ergibt sich direkt aus seiner Kreuzestheologie und kann sich als konsequente Fortführung von 1 Kor 1 verstehen: Im gekreuzigten Christus als Real- und Erkenntnisgrund erweist sich Gott als ret225 Vgl. TH. DIETER, Luther und Aristoteles, v.a. 627ff. 226 Als Beispiel für eine regionale Einschränkung des Pluralismus vgl. W. WELSCH, Haus mit vielen Wohnungen, 476-479. Ein solche Relativierung würde aber einen externen Standpunkt voraussetzen, deshalb muss es mit TH. GRUNDMANN, Analytische Transzendentalphilosophie, 219f., heißen: „Wir können also gar nicht konsistent denken, was wir denken können müßten, um die ‚objektive Gültigkeit’ eines für uns verbindlichen Begriffsrahmens in Frage stellen zu können: daß die Bedingungen nur für uns verbindlich sind.“ In dieser Hinsicht ist m.E. auch die Sprachspieltheorie Wittgensteins zu interpretieren: Relativistisch zu sagen, etwas sei nur in unserem Sprachspiel wahr, erweist sich als inkohärent – weshalb auch Wittgenstein von einem Streit der Sprachspiele ausgeht („bekämpfen“) und ihre gegenseitige Einflussnahme als „Überredung“ kennzeichnet, vgl. L. WITTGENSTEIN, Über Gewissheit, § 609. 611f. 227 Vgl. dazu v.a. H.J. IWAND, Theologia crucis, 388ff.; E. JÜNGEL, Die Welt als Wirklichkeit und Möglichkeit, 219ff.; M. PLATHOW, Wirklichkeit, 180-202. 228 WA 40/II, 327,22-328,3 (Enarratio Psalmi LI, 1532).

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tender, welcher seine schöpferische Liebe dem Bedürftigen zuwendet. Die weitreichende Bedeutung für ein Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens ist bereits gegeben, wenn von diesem Erschließungspunkt aus letztlich die ganze natürliche Wirklichkeit in ihrer Bedürftigkeit, in ihrer radikalen Seinsbedürftigkeit (vgl. 1 Kor 8,6)229 und zugleich ganz unter den Möglichkeiten von Gottes schöpferischer Liebe wahrgenommen wird.230 Dieser Grundstruktur in ihrem konstitutiven Sinn gewahr zu werden, schließt es aus, bei der Formulierung „Gott als rettender, der Mensch und seine Welt als bedürftige“ das ‚als’ als Hinweis auf eine lediglich sekundäre Deutekategorie aufzufassen. Es handelt sich vielmehr um eine basale Wirklichkeitsbestimmung (und in dieser Hinsicht auch um eine Deutung), welche sich an andere Wirklichkeitsbestimmungen von Deus, homo etc. nicht lediglich durch die Hinzufügung eines Prädikats anschließt. Zum Zweiten:231 Wirklichkeit erschließt sich als Wirk-lich-keit nur im erkennenden Vollzug, so dass dem Erkennenden der Standpunkt des Beteiligtseins nie äußerlich ist. So ist auch das glaubende Erkennen „ein sich Bestimmenlassen durch das Erkannte, ein Sein im Erkannten“.232 Die Erkenntnis des Glaubens hat gleichursprünglich mit dem Status einer theoretischen Erkenntnis den Status einer praktischen Erkenntnis, welche den Erkennenden an dem von ihm als Wirklichkeit zu Erkennenden teilhaben lässt, ihn in dieser Wirklichkeit lokalisiert („in Christo“, „im Geist“).233 Das heißt aber: Wenn Gott sich erschließt, dann so, dass dies eine fundamentale Änderung menschlichen Selbstver229 Vgl. die Differenzierung von W. JOEST, Ontologie der Person, 274 (Hervorheb. im Orig.): „Die radikale Seinsabhängigkeit, die Exzentrik des Hängens am göttlichen Mit-sein und Tun ist also wesenhaft von der Schöpfung her. Nicht wesenhaft gesetzt, aber faktisch eingebrochen ist dies, daß der Mensch sich geistlichen Eigenstand anmaßt und damit in Seinsverlorenheit geraten muß.“ 230 Vgl. E. JÜNGEL, Die Welt als Wirklichkeit und Möglichkeit, 220ff. Jüngel wendet letztlich die ontologische Inversion von Sein / Nichts auf das Binom von Wirklichkeit / Möglichkeit an und führt so einen zentralen Gedanken Luthers weiter – mit dem erklärten Ziel, die aristotelische Priorität der Wirklichkeit (im Sinne von energeia) zu destruieren. 231 Vgl. dazu v.a. J. FISCHER, Glaube als Erkennen, 98-101; E. JÜNGEL, Glauben und Verstehen, 66-77; ders., Nihil divinitatis, 234f.; E. THAIDIGSMANN, Gottes schöpferisches Sehen, 19-38; auch W. WEISCHEDEL, Was heißt Wirklichkeit?, 338f. 232 R. BULTMANN, Theologie, 431. 233 Vgl. E. JÜNGEL, Nihil divinitatis, 234, gegen eine einseitige Bevorzugung des theoretischen Wissens, wie er es bei W. Pannenberg vorliegen sieht; in: ders., Glauben und Verstehen, 76f., gegen eine einseitige Bevorzugung des praktischen Wissens, wie er es bei R. Bultmann angelegt sieht. Die Bedeutung eines teilhabenden Erkennens für die Theologie des Paulus lässt sich aus der als Fortführung seiner Kreuzestheologie formulierten geistlichen Erkenntnistheorie 1 Kor 2,6-11 entnehmen.

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ständnisses einschließt. Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis sind zwei Seiten einer Medaille, die man nur zusammen haben kann.234 I.U. Dalferth hat dies als Horizontwechsel auch religionsphilosophisch zu explizieren versucht. Das Bestimmenlassen durch das Erkannte ist im Rahmen einer theologischen Erkenntnistheorie näherhin so zu denken, dass der Theologe in der Bestimmung „quod res est“ sich von einem Urteil bestimmen lässt, für das wiederum die Wahrnehmung einer „res“, nämlich der gekreuzigte Christus bestimmend bleibt.235 Man kann über sie bzw. über ihn freilich anders, eben nicht im Rahmen des „Wortes vom Kreuz“, urteilen, sei es in dem Sinn, dass die Rettung durch einen Gekreuzigten als Torheit erscheint, sei es in dem Sinn, dass ein vor zwei Jahrtausenden Gekreuzigter für gegenwärtiges Leben schlicht belanglos erscheint – auch dies bestimmt das weitere Erkennen. Wozu wir uns in unserem Urteil bestimmen, bestimmt unser weiteres Wahrnehmen; es bestimmt, von was wir uns bestimmen bzw. nicht bestimmen lassen. Dieser Sachverhalt ist nicht nur diachron, sondern auch extensiv zu fassen: Dass die Bestimmung durch den gekreuzigten Christus die Natur des Menschen als bedürftige Schöpfung wahrnimmt und so auch Handeln bzw. Nichthandeln bestimmt, dies mag lediglich ein Beispiel für die Weite einer staurologisch orientierten Urteilsweise sein – das überdies noch einmal deutlich macht, dass ein kreuzestheologischer Ansatz einer Theologie der Schöpfung nicht zuwiderläuft, sondern sie entscheidend qualifiziert. Was sich in dem hier skizzierten Zusammenhang ebenfalls noch einmal zu zeigen vermag, ist der Sachverhalt, dass die Orientierung am gekreuzigten Christus die konstitutive Bedeutung der Auferstehung nicht schmälert, sie vielmehr voraussetzt. Denn in der Auferstehung tritt das schöpferische Urteil als Urteil des Vaters selbst ans Licht – als eines Urteils, ohne das der menschliche Streit des Urteilens über Jesus das letzte Wort behalten würde. Das glaubende Erkennen in seiner Orientierung am Gekreuzigten ist deshalb von der Überzeugung getragen, sich an Gottes Urteilsweise zu orientieren. Es setzt deshalb – darauf wurde schon verwiesen – den Glauben an den Auferweckten voraus. Dem „Wort vom Kreuz“ entspricht es daher, dass die Kirche den gekreuzigten und auferweckten Herrn als Evangelium verkündigt. In der Kreuzestheologie bildet sich dieser Zusammenhang darin ab, dass ihr die theologische Wahrnehmung des Ge234 Vgl. H.J. IWAND, Christentum, 119f. 235 Vgl. E. THAIDIGSMANN, Gottes schöpferisches Sehen, 30-32, v.a. 32: „Der Realismus des ‚Theologus crucis’ [...] besteht darin, daß sein Urteilen die ‚Welt’ ‚in Christo crucifixo’ wahrnimmt und beurteilt: im Horizont der Negation ihrer Selbstkonstitution und ihrer Neukonstitution durch Gottes Kraft.“

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kreuzigten nur unter der Voraussetzung einer Enthüllung der heilsamen Bedeutung des „Wortes vom Kreuz“ urteilsbestimmend sein kann. Wenn für die Urteilsweise der Theologie, mithin für ihr Wirklichkeitsverständnis die Wahrnehmung des Gekreuzigten in jenem vorausgesetzten Rahmen konstitutive Bedeutung besitzt, so impliziert dies, in ihm nicht nur den medialen Erschließungspunkt zu sehen, sondern diejenige Realität, die sich als Widerpart der Erschließung darstellt – durch welche also die Infragestellung auch einer kreuzestheologisch orientierten Wirklichkeitskonzeption jederzeit möglich sein können muss. Denn so sehr das Kreuz als historisches Faktum stumm und zweideutig bleibt, Paulus nicht lediglich von historischen bruta facta, sondern vom „Wort vom Kreuz“ ausgeht, so sehr bleibt das „Wort vom Kreuz“ ohne den Gekreuzigten leer wie es ohne das Wort wirkungslos bleibt.236 Zum Dritten:237 Bereits oben (These 17) wurde darauf verwiesen, dass das Verständnis des Evangeliums untrennbar mit einem vorausgesetzten und von ihm symbolisch transformierten Horizont von ‚Lebenswelt’ verwoben ist. Das bedeutet, dass ein theologisches Wirklichkeitsverständnis auch von dieser Seite her – nicht erst vom Wort vom Kreuz her – problematisierbar ist.238 Bonhoeffers Differenzbildung von Letztem und Vorletztem lässt das noch einmal erhellen: Für die Differenzerfahrung von Letztem und Vorletztem ist es konstitutiv, dass der Glaube auf dem Boden der alltäglichen Wirklichkeit samt der Unsicherheit und dem Leiden an ihr gelebt wird. Ohne das alltägliche Leben im Vorletzten gäbe es die Differenzerfahrung auch nicht.239 Oder um es auf dem Hintergrund des in These 17 Skizzierten zu sagen: Ein christliches Wirklichkeitsverständnis bringt wie alle Symbolisierungs-

236 Insofern also das Wort für die wirkmächtige Teilhabe an der durch Christus geschaffenen Wirklichkeit steht, ließe sich gerade am „Wort vom Kreuz“ das Beieinander von theoretischer und praktischer Erkenntnis demonstrieren. Zum Kritikpotential des „Wortes vom Kreuz“ schon bei Paulus treffend U. LUZ, Theologia crucis, 124: „Verstehen wir Theologie als einen menschlichen Denkversuch, so ist das Wort vom Kreuz ihre ständige Infragestellung, obwohl es selbst nicht anders denn als menschlich gesprochenes und theologisch verantwortetes Wort denkbar ist.“ 237 Vgl. H.-G. HEIMBROCK, Welches Interesse hat Theologie an der Wirklichkeit ?, 11-35. 238 Mit P. Tillich gesprochen: sowohl von der Seite der Botschaft her als auch von der Seite der Situation her. 239 Vgl. die Zuspitzung von D. BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung, 226: Ȉ[N]ur wenn man das Leben und die Erde so liebt, dass mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben [...] Man kann und darf das letzte Wort nicht vor dem vorletzten sprechen. Wir leben im Vorletzten und glauben das Letzte, ist es nicht so?“

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systeme für die Alltagswirklichkeit der Lebenswelt240 eine Funktion der Entselbstverständlichung und eine Funktion der Etablierung von (neuer) Vertrautheit mit sich. Es führt dabei aber nicht dazu, dass die Fraglichkeit und die Ambivalenz der Lebenswelt beseitigt wird, vielmehr werden Mittel bereitgestellt, die es ermöglichen, mit ihnen in dieser leben zu können. Auf diese Weise bewährt sich das Letzte im Bereich des alltäglichen Lebens. Das gilt ganz unbeschadet dessen, dass sich die Bewährung durchaus auch anders vollziehen kann. Denn der christliche Glaube bezieht sich nicht nur auf lebensweltlich vorhandene Fraglichkeiten und den Umgang mit ihnen, er vermag ebenso auch neue Fragen aufzuwerfen wie er auf bestimmte Fragen durchaus auch Antworten geben kann. Es geht grundsätzlich immer um beides, um einen neuen Horizont von Selbstverständlichkeiten und um neue Fraglichkeit, neues Kontingenzbewusstsein. Theologisch gesprochen hat man sich dessen gewahr zu sein, dass ein christliches Wirklichkeitsverständnis das Lebensweltverhältnis des Glaubenden nicht ohne das zu explizieren vermag, was Luther ‚Anfechtung’ (tentatio) nannte. Diese Kategorie ist entgegen ihres landläufigen Verständnisses insofern von konstruktiver Bedeutung, als sie auf die Art von Erfahrung hinweist, in welcher das Letzte im Vorletzten sinnlich in Erscheinung tritt. Für Luther war bekanntlich tentatio der „Prüfstein“ für das Wort Gottes, zugleich aber diejenige Erfahrung, die zu ihm hintreibt.241 Auch hier geht es um beides: Anfechtung resultiert nicht lediglich aus der Ambivalenz und der Fraglichkeit der Lebenswelt, sondern vor allem aus dem christlichen Glauben an das Wort vom Kreuz selbst. 20. Die kreuzestheologische Differenz von menschlicher und göttlicher Wirklichkeitskonstitution kann einer solchen Fassung des theologischen Gegenstandsbezugs zugeführt werden, welche im Wissen um die unterscheidende Erscheinungsform der letzten Wirklichkeit im Bereich des welthaft-geschöpflich Seienden sich auf diesen gesamten Bereich des weltlich-geschöpflich Seienden auch tatsächlich zu beziehen vermag. Die mit der vorigen These eingenommene Position zum Gegenstandsbezug der Theologie (vgl. auch 1.2.1.) trägt bereits einige Grundentscheidungen in sich. Angedeutet sei, wie sich von hier aus fundamen-

240 Vgl. die Differenzierung von Alltag und Lebenswelt bei B. WALDENFELS, Lebenswelt zwischen Alltäglichem und Unalltäglichem, 107. 241 Vgl. WA 50, 660,1-16 (Vorrede zum ersten Band der deutschen Schriften, 1539); dazu O. BAYER, Theologie, 96-105.

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taltheologische Zusammenhänge zwar nicht darstellen lassen müssen, aber darstellen lassen können:242 Grundsätzlich kann, insofern alles Seiende in der Beziehung zu Gott und insofern also auch das in seiner deformitas erscheinende Seiende als zum Bereich seiner Wirksamkeit gehörend zu denken ist, alles zum Thema und zum Gegenstand der Theologie werden. Vom Gegenstand ist insofern zu reden, als sich an ihm Gottes bestimmende Kraft mehr oder weniger deutlich zeigen kann. In dieser Hinsicht erwiese sich eine Einschränkung auf den christlichen Glauben oder die heilige Schrift ebenso als vorschnelle Begrenzung wie eine Einschränkung auf eine wie immer bestimmte Religion oder eine wie immer bestimmte Kultur. Gerade im Blick auf die Gotteserkenntnis lässt sich also kein Bereich des welthaft-geschöpflich Seienden als möglicher Bereich mittelbarer Gegenständlichkeit – und das heißt: als Bereich, in dem Gott sich gegenständlich macht im Zeichen welthaft-geschöpflicher Gegenstände – ausschließen. Kreuzestheologie reflektiert darauf, warum dem Menschen dennoch nur ein falsches Gottes-, Selbst- und Welterkennen möglich ist: Es liegt am zeichen-gebrauchenden (sündigen) Menschen und der von ihm als Zeichen in Anspruch genommenen mittelbaren (und immer schon in lebensweltlicher Imprägnierung vorliegenden) Gegenständlichkeit, dass menschliche Wirklichkeitskonstitution die göttliche Wirklichkeitskonstitution verfehlt. Im Blick auf die Gotteserkenntnis enthüllt die glaubende Wahrnehmung des Gekreuzigten, dass das, was der Mensch so als Gott zu erkennen meint und was sich unhintergehbar im Medium und in den Grenzen von Selbst- und Welterkenntnis vollzieht, nicht nur in tiefster Differenz zu dem steht, wie Gott hier bestimmt gegenständlich wird, sie schließt auch das Urteil ein, sich unter Absehung der Gottesgegenwart im Gekreuzigten auf nichts anderes als einen selbstkonstituierten Götzen bezogen zu haben. Die an Luthers Theoriebildung orientierte Differenz von Gott und Götze vermag so den für eine theologische Erkenntnistheorie wichtigen Sachverhalt zu bezeichnen, dass eine cognitio Dei naturalis aufgrund des zerrütteten, vom abusus gekennzeichneten Selbst-, Welt- und Gottesverhältnisses des Menschen nie den „rechten Gott“ trifft.243 Dieses Problem 242 Zur Profilierung vgl. zum Folgenden insbesondere A. SCHLATTER, Kreuz, 7-14; M. TROWITZSCH, Subjektivität und Objektivität Gottes, 185-189, sowie die bereits genannte Stellen in Luthers Jonavorlesung (WA 19, 206f.) und W. PANNENBERG, Systematische Theologie I, 83-93. 121-126. Vgl. auch schon die Ausführungen des frühen Luther zu Röm 1,20: WA 56, 177,14-33. 243 Es hängt demnach von der begrifflichen Fassung ab, wenn die Möglichkeit einer cognitio Dei naturalis vorausgesetzt und zugleich eine natürliche Theologie abgewiesen wird.

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besteht näherhin also gerade aufgrund der funktionalen Beziehung, in welcher das menschliche Gottesbild zu jenem zerrütteten Selbst- und Weltverhältnis steht. Hinsichtlich einer theologischen Zuwendung zur religiösen Fraglichkeit des Menschen und einer theologischen Beurteilung des Phänomens, dass Gott als Erfüllungsgehilfe menschlichen Verlangens (etwa nach Lebensdeutung) konstruiert wird, bleibt dieser Problemzusammenhang unhintergehbar.244 Die menschliche Wirklichkeitskonstitution wird in der Wahrnehmung des gekreuzigten Christus durchkreuzt und zerbricht. Was dem Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus dann zur Erscheinung kommt, enthält eine paradoxale Aussagestruktur: In einer ganz bestimmten Gegenständlichkeit, die dem Menschen als nichtgöttlich bestimmte deformitas erscheint, hat sich Gott dazu bestimmt, sichtbar zur Erscheinung zu kommen. Kreuzestheologie ist metatheoretisch betrachtet nichts anderes als das Einstehen für den Sachverhalt, dass diese bestimmte raumzeitliche Gegenständlichkeit, die „res“ des Gekreuzigten, das weitere theologische Bestimmen von Wirklichkeit („quod res est“) bestimmt. Theologie bekommt so die Wirklichkeitskonstitution göttlicher Liebe zu Gesicht, ohne die jedes Wirklichkeitsverständnis fehlgeht. Von daher hat es auch, wie erwähnt, seine Folgerichtigkeit, dass Luther unter der Zugrundelegung der bestimmten Gegenständlichkeit des gekreuzigten Christus das „subiectum theologiae“ allein im Verhältnis des sündigen Menschen und des rechtfertigenden Gottes erblickt. Zu beachten ist lediglich, dass dieses subiectum zum Angelpunkt eines universalen Wirklichkeitsverständnisses wird, das kein Außen kennt und sich nicht regional einschränken lässt. Es gewinnt dadurch aber auch selbst wieder Gestalt in einem neuen lebensweltlichen Horizont von Vertrautheiten, der sich als bedingter vom Gekreuzigten infrage stellen lassen können muss. Die im Gekreuzigten sichtbar werdende letzte Wirklichkeit wird zum Ausgangspunkt theologischer Differenzbildungen in der ganzen Weite theologischer Wirklichkeitsthematisierung. Das heißt: Bei der Thematisierung alles Seienden ist es von kriteriologischer Bedeutung, von der unterscheidenden Erscheinungsform des Göttlichen im Bereich seiner mittelbaren Gegenständlichkeit zu wissen.

244 Damit ist auch das Problem des Imports von Subjektivitätstheorien benannt: Sie können nicht selbst den Rahmen abgeben, in welchen die Symbolgehalte des Glaubens an den Gekreuzigten und Auferstandenen eingezeichnet werden, sondern können theologisch gesehen nicht anders als innerhalb eines Rahmens thematisiert werden, der durch die Grunddifferenz von menschlicher und göttlicher Wirklichkeitskonstitution bestimmt ist. Vgl. auch die Kritik von I.U. DALFERTH, Subjektivität und Glaube, 40f.

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21. Einer theologischen Erkenntnislehre ist es aufgegeben, die Grundprobleme eines theologischen Realismus so zu bearbeiten, dass es der wirklichkeitserschließenden Kraft des Glaubens angemessen ist. Auch in dieser Hinsicht geht eine kreuzestheologische Orientierung der Theologie mit Differenzbildungen einher, die sich immer schon in der Auseinandersetzung mit philosophischer Erkenntnistheorie vollzogen. Dazu gehört Differenz und Zuordnung von Konstruktivität des Bestimmens und Konstruiertheit des Bestimmten, von Wahrheitsbedingungen und Rechtfertigungsbedingungen oder von theoretischer und praktischer Erkenntnis.245 Wenn sich philosophische Erkenntnistheorie, gegenwärtig vor allem in der analytischen Philosophie, an der Differenz von Sprache und Wirklichkeit abarbeitet, so bewegt sie sich in einem Problemfeld, das der Theologie nicht unbekannt ist. Diese wird allerdings der Tendenz widerstehen, in der Sprache lediglich oder vor allem das zu sehen, das die Erkenntnis der Wirklichkeit verstellt, Sprache also gewissermaßen als unüberwindbares Hindernis zwischen dem Erkennenden und dem Gegenstand des Erkennens aufzufassen. Denn tatsächlich ist anders als im Medium der Sprache wie die Wirklichkeit so auch die Differenz von Sprache und Wirklichkeit nicht gegeben. Zu beachten auferlegt ist der Theologie dabei, dass für sie Sprache durch die theologische Kategorie des Wortes konnotiert ist. Dieses Wort macht Sprache nun in keiner Weise als Hindernis vorstellig, sondern steht für einen unabdingbaren Modus der Zugänglichkeit zur Wirklichkeit. Es steht dafür, dass an der Wirksamkeit der Wirklichkeit partizipieren, in sie hineingestellt sein muss, wer sie erkennen will. In dieser Hinsicht gibt die soteriologische Differenzbildung Luthers von meritum und distributio meriti eine hilfreiche Folgedifferenz ab. Sie vermag eine am „Wort vom Kreuz“ orientierte Theologie davor bewahren, das Wort gegen das Kreuz oder das Kreuz gegen das Wort auszuspielen.246 Zugleich kann sie bereits strukturell andeuten, auf was man sich einlässt, wenn man den ‚ontological commitments’ von christlichen Glaubensaussagen in theologisch verantwortlicher Weise Rechnung tragen will. Das damit Angedeutete sei wenigstens in einigen Grundlinien skizziert: Die lutherische Unterscheidung von Erwerb (meritum) und Austeilung des Heils (distributio meriti) markiert eine spezifische Form der 245 Das hier Angedeutete kann nur in einigen Grundlinien skizziert werden; es handelt sich aber um Grundlinien, die ich für die vorliegenden „Umrisse“ als unverzichtbare erkenntnistheoretische Einsichten betrachte; vgl. dazu außerdem den Exkurs 2.2.4.1. und die Studie von H.-P. GROßHANS, Theologischer Realismus. 246 Vgl. R. BULTMANN, Theologie, 301f.; E. KÄSEMANN, Heilsbedeutung des Todes Jesu, 92f.

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Unterscheidung und Zuordnung von Wirklichkeit und Wirksamkeit und ist so auch von erheblicher erkenntnistheoretischer Bedeutung.247 Sie kann zunächst dazu verhelfen, Einseitigkeiten zu vermeiden: So verfehlt die Meinung ist, wir könnten ohne den für ihre Bestimmung konstitutiven Zugangsmodus Wirklichkeit bestimmen, so verfehlt ist die Meinung, die Wirklichkeit gehe in dem so Bestimmten, in ihrer wirksamen Erschlossenheit auf. Dem entspricht ein Grundsatz, der allgemeiner erkenntnistheoretischer Plausibilisierung fähig ist: Wir können Wirklichkeit nur von den Bedingungen ihrer Zugänglichkeit, von ihrer der praktischen Erkenntnis gegebenen Wirksamkeit her thematisieren, Wirklichkeit kann aber keinesfalls mit dem so Zugänglichen und Erkannten identifiziert und so reduziert werden. In dieser Hinsicht lässt sich die Begriffsverbindung „Wort vom Kreuz“ erkenntnistheoretisch rekonstruieren. Theologische Wirklichkeitsthematisierung ist daher schlecht beraten, wenn sie zwischen der Konstruktivität ihrer Thematisierungen und der Konstruiertheit des Thematisierten nicht unterscheidet. Eine solche Unterscheidungsfähigkeit wird vielmehr auch in ihren Umgang mit außertheologischen Positionen eingehen müssen. Bezogen auf die Urteilsweise einer Theologie, die sich, wie hier empfohlen, dazu bestimmt, sich in ihrem Urteil bleibend von der Wahrnehmung des Gekreuzigten in theoretischer und praktischer Hinsicht bestimmen zu lassen, legt es sich nahe, im Blick auf die bestimmende Kraft des Urteils erkenntnistheoretisch zu differenzieren: In unserem Erkennen bestimmt zwar unser Urteil die Bestimmtheit des Erkannten, es bestimmt aber nicht Wirken und Wirklichkeit des Erkannten. Damit ist wiederum implizit gesagt: Auf den konstruktiv-praktischen Aspekt des Erkennens abzuheben, kann nicht bedeuten, dass das Wirkliche in der jeweiligen Zugänglichkeit bzw. der aktuellen Bestimmtheit aufgeht – auch wenn es nur in und mit dieser gegeben ist. Eine Theologie, welche der wirklichkeitskonstitutiven Bedeutung göttlicher Liebe Rechnung tragen will, hat allen Grund zur Annahme, dass die Wirklichkeit unsere Erkenntnisfähigkeit übersteigt. Schon die Existenz des Glaubens ist ihr ein Indiz dafür. Wie stark das Unabhängigkeitstheorem gefasst wird, muss weiterführender Erörterung vorbehalten sein – auf philosophischem Gebiet

247 WA 18, 203,30-204,4 (Wider die himmlischen Propheten, 1525); WA 26, 294,5-18 (Vom Abendmahl Christi, 1528). Die am Kreuz erworbene universale Heilswirklichkeit wird durch den subjektiven Zugangsmodus (der Glaube findet die Wirklichkeit nur in Wort und Sakrament) nicht erst konstituiert, wohl aber allein durch sie wirksam. Wort und Sakrament sind „brucken, steg und weg“ (WA 18, 137,13), durch die sich Gottes Wirklichkeit mitteilt.

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vertritt Th. Nagel eine starke Version,248 M. Seel eine schwächere, um der Einsicht Kants Rechnung zu tragen, dass der Begriff von Realität von demjenigen ihres möglichen Zugänglichseins als Realität nicht zu trennen ist.249 Wie immer man sich entscheidet, die Nichtkongruenz von Wirklichkeit und Wirklichkeitsthematisierung bedeutet für den Wahrheitsbegriff, ihn als nicht-epistemischen Begriff zu fassen (vgl. 2.2.4.1.). Ohne einen solchen könnte eine Theologie als Wirklichkeitswissenschaft ihre Thematisierungen nicht wirksam von der Wirklichkeit her infrage stellen. Als Wirklichkeitswissenschaft bleibt sie „theologia viatorum“. Im Gegensatz zu einem epistemischen Wahrheitsbegriff lässt es der nicht-epistemische möglich erscheinen, dass unsere Wirklichkeitsthematisierungen, so begründet und gerechtfertigt sie sein mögen, falsch sein können – weil es eben Aspekte von Realität gibt, welche dasjenige, was dem Menschen epistemisch zugänglich ist, überschreiten. Ihre Wahrheitsbedingungen sind daher mit den Bedingungen ihrer epistemischen Rechtfertigung (wie bedingter Argumentation oder Kohärenz) nicht identisch.250 Dass dieser Sachverhalt auch für den christlichen Glauben gilt, hält die Kreuzestheologie dadurch fest, dass sie den Gedanken der wirklichkeitskonstitutiven Liebe Gottes mit dem Gedanken der göttlichen Verborgenheit verbindet. Sie wird daher Versuche abschlägig bescheiden, welche Gottes Wirklichkeit und seine Wirksamkeit extensiv zu beschreiben suchen. Auch wenn sich, wie bereits erwähnt, kein Bereich des welthaft-geschöpflich Seienden als Bereich ausschließen lässt, der von Gott als seine mittelbare Gegenständlichkeit in Anspruch genommen wird, so ist Gott nur im gekreuzigten Christus in präziser Verborgenheit offenbar. Auf ihn als die unterscheidende Erscheinungsform des Göttlichen im Bereich des welthaft-geschöpflich 248 Vgl. TH. NAGEL, Begriff und Realität, 53-66 (übers. aus ders., The view from Nowhere, Oxford 1986, 90-99). Nagel versucht hier zu demonstrieren, dass die Wirklichkeit von etwas für uns Undenkbarem möglich ist. Das Fazit (ebd., 64): „Wesen, welche die Schranken ihrer eigenen Natur und ihr Eingebundensein in die Welt begreifen, müssen gleichermaßen einsehen, daß die Wirklichkeit über ihre je eigene begriffliche Reichweite hinausgeht und es daher Begriffe geben kann, die sie unmöglich verstünden. Diese Bedingung wird von einem allgemeinen Realitätsbegriff erfüllt, dem unser tatsächliches Weltbild und alle möglichen Fortsetzungen unserer Weltbeschreibungen als Spezialfälle subsumierbar sind.“ Allerdings ist gerade im Blick auf Nagels Position zu beachten, dass eine starke ontologische Unabhängigkeit zu behaupten, die epistemologische Zugänglichkeit problematisiert und so skeptische Konsequenzen mit sich führt; dazu: TH. GRUNDMANN / K. STÜBER (Hg.), Philosophie der Skepsis, 22f. 249 Vgl. M. SEEL, Konstruktivismus, 120; ders., Medien der Realität, 128f. 250 Vgl. R. SCHANTZ, Warum Wahrheit kein epistemischer Begriff ist, 363; TH. GRUNDMANN / K. STÜBER (Hg.), Philosophie der Skepsis, 21.

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Seienden beziehen sich deshalb auch die sakramentalen Vollzüge, deren Wirksamkeit sich der Glaube verdankt. In ihnen liegen Wirklichkeit und Wirksamkeit gewissermaßen koextensiv ineinander: Glaubst du, so hast du!251 Erwägungen zur Bedeutung der Theologie an der Universität

3.7. Erwägungen zur Bedeutung der Theologie an der Universität 22. In kulturtheoretischer Betrachtung kann die beschriebene Aufgabenstellung der Theologie auf eine Doppelaufgabe fokussiert werden: Sie expliziert und vertritt die kontingente Ordnung, also die kulturell-lebensweltliche Gestalt des Glaubens als eines am Letzten ausgerichteten Horizonts von Vertrautheit. Sie hat aber auch eine prüfende und kritische Aufgabe an dieser Ordnung bzw. diesem Horizont, insofern sie die Kontingenz des Kreuzes gegenüber den selbstverständlich gewordenen christlichen Ordnungsgestalten und selbstkritisch auch gegenüber den eigenen Lehrgestalten wahrt. Um die wissenschaftsbezogene Funktionsweise der Theologie demonstrieren und ihren Ort an der Universität diskutieren zu können, empfiehlt es sich, das Aufgabenprofil kulturtheoretisch zu reformulieren. Die doppelte Aufgabenstellung wurde im Duktus der theologischen Entfaltung bereits sichtbar, ähnlich wie bei den eben skizzierten erkenntnistheoretischen Implikationen einer Theologie als Wirklichkeitswissenschaft geht es allerdings nun grundsätzlich darum, dieses theologisch begründete Aufgabenprofil für andere Perspektiven aufzuschließen und ins Verhältnis zu setzen. Zu diesem Zweck legt es sich zunächst nahe, die schon in Anspruch genommene Rede der Kontingenz von symbolischen Ordnungen bzw. Orientierungshorizonten aufzunehmen und zu präzisieren (1). Sodann ist vor allem die kultur- und wissenschaftstheoretische Bedeutung des ersten Aufgabenmoments zu bedenken (2). Denn das zweite, spezifisch theologische Moment wurde von der kirchenbezogenen Funktionsweise der Theologie ausgehend bereits ausführlicher erschlossen und bis zur Grundlegung einer spezifisch theologischen Wirklichkeitswissenschaft verfolgt. Dazu kommt, dass die Erörterung des Ortes der Theologie an der Universität insbesondere von dem mit dem ersten Aufgabenmoment verbundenen Eintreten für ein Kontingenzbewusstsein im Blick auf jede Vernunftpraxis und für die soteriologisch entlastete Weltlichkeit menschlich-falliblen Wissens abhängig 251 M. LUTHER, WA 7, 24,13 (Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520).

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ist. Dabei speist Theologie gewissermaßen selbst eine kontingente Ordnung in einen Diskurs ein und übernimmt diskursive Verantwortung. Dies setzt eine Kommunikationsfähigkeit voraus, welche auf einer gemeinsamen Reflexionsebene ein wechselseitiges Verstehen möglich macht. Und es setzt näherhin voraus, dass bereits das Explizitmachen der lebensweltlichen Gestalt des christlichen Glaubens als rationale Aufgabe eines wissenschaftlichen Diskurses angesehen werden kann. – R. Brandoms Modell von diskursiver Praxis eignet sich, solche Sachverhalte zu beleuchten. Wenn im zweiten Teil der Erläuterung dieser These Anregungen des Modells von Brandom aufgenommen werden, so zeigt dies den Vorschlagscharakter des hier vorgenommenen Versuchs einer Reformulierung. Sie gestatten es aber, die Luhmannsche Rede von der Anschlussfähigkeit der Reflexionstheorien (These 5) sowie die oben in Anspruch genommene Artikulations- und Kommunikationsfähigkeit der Theologie (These 15) präzisieren zu können. Zu 1: Der Begriff der Kontingenz252 ist trotz seiner langen Geschichte in der abendländischen Theologie und Philosophie erst in der Neuzeit zu einer fundamentalen Reflexionskategorie geworden, welche in das Selbstverständnis europäischer Kulturen einzugehen begann. Lange vor H. Blumenberg hatte sich bereits E. Troeltsch dieser Entwicklung zugewandt – in der Überzeugung ein philosophisches Grundproblem vor sich zu haben, das „in nuce alle philosophischen Probleme“ enthalte.253 Was sich ursprünglich als Modalkategorie neben den Kategorien von Notwendigkeit und Möglichkeit herausschälte, bezog sich klassischerweise zunächst auf Ereignisse, die relativ zu einer feststehenden Ordnung zu bestimmen sind (primäres bzw. klassisches Kontingenzbewusstsein): Kontingent ist das, was auch anders möglich ist; es ist das, was weder unmöglich noch notwendig ist. Man kann es als ein Resultat der neuzeitlichen Modernisierung ansehen, dass sich in ihrem Verlauf der Reflexionsschub zu einer Kontingenzreflexion verdichtet hatte, welche die lebensweltlichen Ordnungen bzw. die Ereignishorizonte selbst als wandelbar und kontingent begreift (modernes Kontingenz-

252 Vgl. dazu v.a. E. TROELTSCH, Bedeutung des Begriffs der Kontingenz; H. BLUMENBERG, Art. „Kontingenz“; E. SCHEIBE, Zunahme des Kontingenten; W. PANNENBERG, Kontingenz; B. WALDENFELS, Das Geregelte; M. MAKROPOULOS, Modernität und Kontingenz; außerdem den Band G. v. GRAEVENITZ / O. MARQUARDT (Hg.), Kontingenz; I.U. DALFERTH / P. STOELLGER, Einleitung: Religion als Kontingenzkultur. 253 E. TROELTSCH, Bedeutung des Begriffs der Kontingenz, 777. Das Grundproblem besteht schon für Troeltsch letztlich darin, wie sich Kontingenz und Ordnung zueinander verhalten. Keines der beiden Momente ist für die Thematisierung von Religion zu entbehren, keines kann auf Kosten des anderen gesteigert bzw. übersteigert werden (ebd., 778). Als Beispiel für eine radikale Kontingenztheorie vgl. R. RORTY, Kontingenz, Ironie und Solidarität, v.a. 50f. 84-86.

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bewusstsein).254 Von einer Zunahme des Kontingenzbewusstseins ist deshalb nicht nur in quantitativer Hinsicht zu reden, es handelt sich um einen Überschritt qualitativ unterscheidbarer Ebenen. Verstärkte Kontingenzerfahrung ist so das Ergebnis ‚entselbstverständlichender’ Reflexionsprozesse – mit der Kehrseite, dass sich Ordnungserwartungen auf naturwissenschaftliche Weltvergewisserung und auf selbstmächtige Ordnungsherstellung durch Technisierung richten können.255 Die kontingenzgeschichtliche Entwicklung ist verschiedentlich diskutiert und unterschiedlich bewertet worden – etwa als Schwächung der Notwendigkeit auf Kosten Gottes und auf Kosten der Vernunft. Zwingend ist ein solches limitatives Verständnis aber nicht. Im Gegenteil: Gegenwärtige Theologie kann ein elementares Interesse an einer Kultivierung der Kontingenz haben und sich selbst gegenüber Ordnungserwartungen bzw. gegenüber Versuchen, Kontingenz zu verdecken, kritisch verhalten – und zwar gerade aus dem Interesse heraus, von Gott und Mensch theologisch angemessen zu denken und zu reden. In gewisser Hinsicht ist die Funktion der Theologie so der Funktion des erwähnten kulturwissenschaftlichen Forschungsprogramms, das auf ein Explizitmachen kontingenter Symbolordnungen zielt, analog. Entscheidend ist allerdings, dass sich dieser Sachverhalt aus der beschriebenen Anlage der Theologie selbst ergibt: Das Wort vom Kreuz nimmt die kulurell-lebensweltliche Gestalt eines Symbol- und Orientierungshorizonts an, dessen Kontingenz nicht verschleiert zu werden braucht. Sie darf es auch nicht, denn im Selbstverständlichwerden dieses Horizonts liegt immer auch die Gefahr einer Kontingenzimmunisierung. Die kritische und die konstruktive Aufgabe einer auf ihn bezogenen Theologie stehen dementsprechend in engem Zusammenhang. Beide Aufgaben gewinnt Theologie daraus, dass sie die Unbedingtheit des kontingent-faktizitären Kreuzes gegenüber jenen kulturell-lebensweltlichen Gestalten wie gegenüber ihren eigenen Lehrgestalten geltend macht. Die christliche Religion wurde so als fallible Glaubenspraxis

254 Vgl. B. WALDENFELS, Das Geregelte, 80-85; M. MAKROPOULOS, Modernität und Kontingenz, 18-32. 255 Wobei hinsichtlich der Naturwissenschaften sowohl von einer Kontingenzreduktion als auch von einer Kontingenzzunahme auszugehen ist: In der Theoriendynamik stellt sich eine alte Ordnung (Gesetzmäßigkeit) aus dem Blickwinkel einer neuen als kontingent dar. Jede Ordnung wird sich gegenüber kontingent auftretenden Störfaktoren zunächst kontingenzreduzierend verhalten. Vgl. E. SCHEIBE, Zunahme des Kontingenten, 8f.; E. STRÖKER, Kontingenz und Faktizität, 113f. – Das Ordnungsverlangen kann im politisch-gesellschaftlichen Bereich als Verlangen nach Sicherheitsoder Disziplinstiftung (im schlimmsten Fall als politische Totalitätsstiftung) auftreten und sich mit einer Modernitätskritik verbinden, welche selbst als Reaktion auf forcierte Kontingenzerfahrung zu begreifen wäre.

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dargestellt, welche zur Verantwortung für eine soteriologisch entlastete Weltlichkeit befähigt. Christliche Lehrbildung wurde als von bereits anerkannter kirchlicher Lehre ausgehende fallible Differenzprüfung und Differenzbildung beschrieben. Das Zueinander beider Ebenen des Kontingenten ist also für die vorgeschlagene Reformulierung der theologischen Aufgabe wesentlich. Das der kulturwissenschaftlichen Explikationsaufgabe analoge Moment bezieht sich auf die Ebene einer kontingenten Ordnungsgestalt, während das spezifisch kritisch-theologische Moment sein Kriterium gegenüber jener Ordnungsgestalt auf der Ebene des kontingent Ereignishaften gewinnt. Eine Reduktion der theologischen Aufgabe auf die erste Ebene bzw. das erste Moment würde sich zwar in den Trend fügen, ordnende Apriori lebensweltlich entweder zu reifizieren oder zu relativieren – die dazu erforderliche kontingente Positionalität wäre dann aber im Dunkeln geblieben.256 Zur Reflexion dieser Positionalität gehört es zu klären, welche Art von Kontingenz als „Störfaktor“ der eigenen Ordnungsgestalt soll gelten können.257 Als erkenntnistheoretische Mindestbedingung kann dabei in Anspruch genommen werden, dass es etwas ist, dessen Existenz sich nicht der Ordnung selbst verdankt. Diese Mindestbedingung bedeutet die Ablehnung einer Reifizierung der lebensweltlichen Ordnung, trägt also ihrem Unterschiedensein von einer lebensweltexternen und in ontologischer Hinsicht von ihr unabhängigen Realität Rechnung. Das gilt ganz unbeschadet dessen, dass die Referenz auf diese Realität immer schon durch den lebensweltlichen Ordnungshorizont imprägniert und also inferentiell bedingt ist. Die Erörterung des Zusammenhangs lässt so letztlich ersichtlich werden, dass Differenz und Zuordnung der beiden Ebenen (Kontingenz der Ordnung bzw. des Ereignishorizonts – Kontingenz des Ereignishaften) immer auch das Grundproblem der erkenntnistheoretischen Zuordnung von Inferenz und Referenz berührt. Es stand, wie erkennbar, bei der Verhältnisbestimmung des „Wortes vom Kreuz“ zum faktizitären Kreuz bereits im Hintergrund. Bevor das Aufgabenmoment der ersten Ebene weiter erörtert wird, ist für das zweite lediglich in Erinnerung zu rufen, dass die kritischkonstruktive Aufgabe der Theologie, gegenüber den kulturell-lebens-

256 Vgl. H. SCHNÄDELBACH, Was ist eigentlich ein relatives Apriori?, 187-203; J. HABERMAS, Wahrheit und Rechtfertigung, 41. 257 An dieser Stelle kommt ins Spiel, das Kontingenz nicht pure Unbestimmtheit ist, sondern bestimmte Unbestimmtheit. Vgl. E. STRÖKER, Kontingenz und Faktizität, 115f. Diese Bestimmungsfähigkeit geht auf ein Bestimmtwerden von vorausgehenden Ereignissen, Wahrnehmungen, Festlegungen zurück. Die Fähigkeit der Rezeptivität hat immer schon ihre mehr oder weniger entwickelte Geschichte.

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weltlichen Ordnungsgestalten des Glaubens die Kontingenz der Kreuzes zu wahren und so dem Wort vom Kreuz bestimmenden Charakter einzuräumen, nicht die Einschränkung, sondern die Voraussetzung dafür ist, dass die Theologie in rechter Weise für die Kontingenz alles Wirklichen offen ist (vgl. These 20). Die Kontingenz alles Wirklichen hat ihren Grund im Schöpfer, so dass die Symbolordnung des christlichen Glaubens dazu anleitet, nicht nur die negativen Kontingenzen, sondern auch die positiven, glücklichen Kontingenzen als Widerfahrnis bzw. als Gabe aus seiner Hand zu empfangen. Christlicher Glaube ist deshalb Kultivierung von Kontingenz, nicht lediglich Kontingenzbewältigung.258 Für den Umgang mit kontingenten Widerfahrnissen ist es aber auch hier von kriteriologischer Bedeutung, die unterscheidende kontingente Erscheinungsform von Gottes schöpferischer, seinskonstitutiver Liebe anzuerkennen und von ihr her die Paradoxalität von Kontingenzerfahrungen zu erschließen. In 1 Kor 12,9f. wird Paulus in Schwachheit, Krankheit und Ängsten daher nicht lediglich negativer Kontingenzen ansichtig, er nimmt in ihnen positive Kontingenzen wahr (Offenbarung der Kraft Christi). Etwas vergröbernd gesagt muss auch an dieser Stelle gelten: Ein christlicher Glaube, der sich vom Gekreuzigten bestimmen lässt, nimmt die Kontingenzen des Lebens anders auf, als er es ohne dieses Bestimmtsein täte.259 Zu 2: Von erheblicher Bedeutung für die Erörterung des Ortes der Theologie an der Universität ist es nun also, sich über ihre wissenschaftsbezogene Funktionsweise am ersten Aufgabenmoment klar werden zu können. Diesem Moment zufolge kommt Theologie schon selbst durch das Explizitmachen der kontingenten kulturell-lebensweltlichen Ordnung des Glaubens der intrinsezistischen Verantwortungsaufgabe nach (vgl. These 14). Anders als bei ihrer kirchenbezogenen Funktionsweise, in deren Rahmen dies indirekt geschieht (etwa durch die

258 So unter Aufnahme der Untersuchung von R. ESTERBAUER, Kontingenz und Religion, 138ff., mit Nachdruck I.U. DALFERTH / P. STOELLGER, Einleitung: Religion als Kontingenzkultur, 17-22. H. LÜBBE, Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung, 35-47, hat sein Verständnis der Kontingenzbewältigung von verkürzten Vorstellungen nochmals freizuhalten versucht. 259 Das Feld möglicher positiver wie negativer Kontingenzen wird von der Versöhnungstat Christi her dabei keineswegs verkleinert, wie sich auch an Röm 8,38f. demonstrieren ließe. „Bewältigt“ wird dieses Feld nicht durch eine Stabilisierungsoder Reduktionsstrategie, offen bleibt auch das Verhalten im praktischen Glaubensvollzug (Lob? Ergebung? Klage? Zweifel? Versagen?) – allein in Gottes seinskonstitutiver Liebe wird die Gewissheitsbegründung gesucht. In allen Widerfahrnissen aber so Gott Gott sein zu lassen, kann als Konkretion des sola fide aufgefasst werden.

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Prüfung der Verkündigung), übt sie hier direkt eine Weltfunktion aus.260 Der Blick ist nun, wie angekündigt, darauf zu richten, dass dies im diskursiven Vollzug bei allen Differenzen des Bestimmtseins der Gesprächsteilnehmer durch unterschiedliche lebensweltlich-kontingente Horizonte tatsächlich auch gelingen kann. Entgegen dem, was die Rede von der „Anschlussfähigkeit“ insinuieren mag, muss das Artikulieren einer kontingenten Ordnung, wie sie der christliche Glaube darstellt, und ihr Einbringen in einen gemeinsamen (wissenschaftlichen) Diskurs mitnichten auf das Aufgeben der eigenen Positionalität hinauslaufen. Umgekehrt hat aber ein gemeinsamer Diskurs auch Rückwirkungen auf den Prozess des Artikulierens und die Art und Weise, wie diskursive Verantwortung übernommen wird. Dies soll im Folgenden am sprachanalytischen Verstehensmodell, das R. Brandom dem Programm seiner „expressiven Vernunft“ zugrunde gelegt hat, zu demonstrieren versucht werden. In ihm wird wechselseitiges Verstehen an die reflexive Fähigkeit (einer spezifischen Form von Rationalität) gekoppelt, das Implizite einer lebensweltlichen Ordnung bzw. Praxis in ein explizites Begründungswissen zu überführen, das an einen gemeinsamen Raum des Gebens und Einforderns von Gründen anschließbar wird. Als Teilnehmer einer rationalen Kommunikationsform geht man durch Behauptungen Festlegungen ein und übernimmt inferentielle Verantwortung für jenes Implizite – tritt damit aber zugleich in ein ‚Spiel’ um epistemische Rechtfertigung und Anerkennung ein. Das sprachanalytische Verstehensmodell von R. Brandom261 geht pragmatisch von der intersubjektiven Praxis des Verständigens aus, es versucht also, das, was eine Behauptung ist, vom Akt des Behauptens her zu erhellen. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Struktur die Praxis wechselseitigen Verstehens hat – vor allem angesichts dessen, dass in ihr unterschiedliche Perspektiven zu überbrücken sind. Diese Praxis ist 1. implizit normativ strukturiert: Brandoms Verständnis einer diskursiven Praxis operiert zunächst mit den beiden Grundbegriffen Festlegung (commitment) und Berechtigung (entitlement). Die diskursive Praxis besteht darin, dass Teilnehmer Wissensansprüche austauschen, welche ihren Gehalt daraus beziehen, inferentiell bedeutsam zu sein, soll heißen: potentiell in einem Begründungszusammenhang als Prämissen oder Folgerungen 260 Zur weiteren Erläuterung der Differenz von kirchen- und weltbezogener Funktionsweise vgl. die folgende These. 261 Das Modell lässt sich aus Brandoms Hauptwerk „Making It Explicit“ (1994), noch klarer aus „Articulating Reasons“ (2000) entnehmen. Im Folgenden werden die deutschen Übersetzungen benutzt: „Expressive Vernunft“ (2000), „Begründen und Begreifen“ (2000).

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dienen zu können. Es geht – um gleich zwei weitere Begrifflichkeiten einzuführen – um ihre inferentielle Rolle, die diese Ansprüche im Raum des Gebens und Einforderns von Gründen spielen.262 Wer sagt: „Raphael arbeitet an der Universität“ legt sich auf eine Behauptung fest und übernimmt implizit eine diskursive Verpflichtung, die es Gesprächsteilnehmern erlaubt, Berechtigungen zu weiteren Festlegungen zuzuschreiben oder zu bestreiten. Sie werden etwa die erwähnte Behauptung mit hoher Wahrscheinlichkeit inkompatibel halten mit der Behauptung, dass Raphael dort Abenteuerspiele macht; sie werden sie hingegen als weiteren Grund für die Behauptung ansehen können, dass Raphael studiert (sie könnten sich in ihrer Zuschreibung allerdings auch täuschen). Damit ist bereits ersichtlich, dass Zuschreibungen der Berechtigungen von einem inferentiellen Netz von Behauptungen und deren Beurteilung abhängig sind. Brandom veranschaulicht dies am Modell einer Kontoführung des Punktestands bei einem Baseballspiel: Die Gesprächsteilnehmer führen stillschweigend ein Konto über den Haushalt der Festlegung und Berechtigung anderer. Argumentation erscheint gewissermaßen als Veränderung des Spielstands. An welcher Stelle dieser Struktur die Referenzfunktion von Behauptungen bzw. die Frage der Objektivität auftaucht, lässt sich schon andeuten: Die Behauptung „Ich arbeite an der Universität“ ist mit der Behauptung anderer Gesprächsteilnehmer „Ich arbeite nicht an der Universität“ kompatibel. Anders verhält es sich mit Behauptungen wie „Schnee ist weiß“ und deren Verneinung. Objektivität muss ein Merkmal sein, dass sich nicht der inferentiellen Praxis verdankt und von allen Teilnehmern an ihr als sie Begrenzendes anerkannt wird. Das mehrfach diskutierte Problem ist damit freilich erst aufgeworfen. Entscheidender ist es zunächst, sich die Reichweite dieses inferentialistischen Ansatzes zu vergegenwärtigen: Brandom bestimmt begriffliche Gehalte von ihrer inferentiellen Rolle in einem Aussagezusammenhang her. Das bedeutet, dass ein Papagei, der verlässlich auf rote Dinge reagieren kann, damit noch keine begrifflich explizierbare Klassifikation vollzogen hat. Dafür müsste er um ein begriffliches Wissen-wie seiner Reaktion besitzen, was wiederum voraussetzt, sie als (potentiellen) Spielzug in jenem Inferenzzusammenhang zu erkennen: „Dies ist rot“ kann einen Grund für „Dies ist farbig“ abgeben, es kann als inkompatibel mit „Dies ist grün“ erkannt werden etc.263 Kurzum: Inferentialistisch heißt Verstehen nichts anderes als Begriffe, als Inferenzrelationen beherrschen. 2. explizit inferentiell gegliedert: Diskursive Praktiken unterscheiden sich von anderen lebensweltlichen Praktiken darin, dass sie die in diesen mitlaufenden inferentiellen Festlegungen als bestimmte, nämlich explizite Festlegungen (Behauptungen) ausdrücken. Und nicht nur das: Als explizite werden diese ins Spiel des Gebens und Forderns von Gründen eingebracht, für sie wird Verantwortung übernommen.264 Die zuvor gegebenen Beispie-

262 Vgl. v.a. Expressive Vernunft, 296ff.; Begründen und Begreifen, 56. 210f. 263 Vgl. Expressive Vernunft, 150-152; Begründen und Begreifen, 30. 70f. 211. 264 Vgl. Expressive Vernunft, 22; Begründen und Begreifen, 22. 81. Dort, 86, auch die Definition, die expressive Vernunft bestehe darin, „implizite gehaltstiftende inferen-

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le setzten dieses Explizitsein voraus, reichen so aber nicht zu, den zentralen Grundsatz zu demonstrieren, der Brandoms Hauptwerk „Making It Explicit“ den Titel gab: Die Möglichkeit des inferentiellen Verstehens und Argumentierens hängt von der Möglichkeit einer reflexiven Selbsteinholung ab, in der das präkonzeptuelle Wissen, wie etwas zu tun ist (das implizite Wissen-wie) in ein explizites Wissen-was überführt wird. „Wissen, wie etwas zu tun ist, ist eine Sache praktischer Fähigkeit. Wissen heißt nichts anderes als verläßlich fähig sein. So weiß man, wie man Fahrrad fährt, einen Begriff anwendet, einen Schluß zieht usw. genau dann, wenn man in der eigenen Praxis [...] richtige und falsche Weisen, diese Dinge zu tun, unterscheiden kann. Das explizite Wissen-daß, das einem solchen impliziten Wissen-wie entspricht, ist eine theoretische Formulierung oder ein theoretischer Ausdruck dieser praktischen Fähigkeit, und zwar in einer Regel oder einem Grundsatz, der sagt, was richtig ist und was nicht.“265 Brandom kann auch von einer Verbegrifflichung reden und seine Position (nicht ganz unmissverständlich) als „rationalistischen Expressivismus“ bezeichnen. Nur inferentiell Signifikantes, das in einer begrifflichen Form explizit ist, kann eine Rolle im Spiel des Begründens spielen. Es wird dann allerdings in dieses „Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen als etwas hineingeworfen, dessen Rechtfertigung, mittels anderer Festlegungen und Berechtigungen, hinterfragt werden kann.“266 Es sind letztlich zwei Punkte, die den rationalistischen Expressivismus – zum einen hinsichtlich des Rationalen, zum anderen hinsichtlich des Expressiven – vor Überdehnung schützen: Zunächst anerkennt Brandom auch Überzeugungen, für die wir keine Gründe vorgeben können, als konstitutiv für Wissen an. Überzeugungen, die nicht inferentiell angeeignet sind, sind vor allem beim Aufbau oder beim Wechsel von Diskursordnungen von Bedeutung. Es ist dann die Kategorie der Verlässlichkeit in Anschlag zu bringen. Diese kann aber nicht in der Weise prinzipialisiert werden, dass eine Diskursgemeinschaft prinzipiell als vom Gründegeben für Überzeugungen ausgeschlossen betrachtet wird.267 Zum anderen bezieht sich die aufklärende Rationalität nach Brandom nicht lediglich auf implizite Festlegungen, sondern auf die explizit-verbegrifflichten selbst. Denn diese bringen einen Folgezusammenhang von weiteren implizit enthaltenen inferentiellen Festlegungen mit sich. Auch wer nur einen Sachverhalt zu thematisieren sich anschickt, wartet mit einem ganzen Begriffsnetz auf.268 Und wer nur eine Behauptung billigt, billigt damit weitere aus ihr folgenden.

265 266 267 268

tielle Festlegungen als die Gehalte behauptbarer Festlegungen explizit zu machen. Auf diese Weise werden die materialen inferentiellen Praktiken, die das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen leiten und ermöglichen, in ebendieses Spiel, und somit ins (Sich-) Bewußtsein, als explizite Gegenstände von Diskussion und Rechtfertigung eingebracht.“ Expressive Vernunft, 62f. (Hervorheb. im Orig.). Begründen und Begreifen, 103. Ebd., 139ff. Ebd., 31. 97. 103.

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3. holistisch strukturiert: Die von Brandom selbst holistisch genannte Konsequenz für eine inferentielle Auffassung des Begrifflichen ist es also, „daß man viele Begriffe haben muß, um überhaupt welche zu haben.“269 Auch hier sind mindestens zwei Punkte zur Abgrenzung der Position zu erwähnen erforderlich: Zum einen sind nichtinferentielle Berichte, die sich auf Wahrnehmungen von Gegenständen, Ereignissen etc. oder auf prototypische Erfahrungen beziehen, nicht ausgeschlossen. Sie haben sogar einen gewissen Vorrang bei der Rechtfertigung empirischer Behauptungen. Die Pointe ist aber, dass es ohne inferentielle Signifikanz und damit ohne ein Begriffsnetz kein Verstehen geben kann. Eine Erfahrung bzw. eine Wahrnehmung von einem Gegenstand oder einem Ereignis kann ein Grund dafür sein, dass eine Begründungsreihe unterbrochen und eine neue provoziert wird, doch ihr sprachlicher Ausdruck bleibt ohne den im skizzierten Sinn inferentiellen Gebrauch semantisch stumm.270 Das bedeutet zum anderen aber, dass die holistisch-inferentielle Struktur von Kommunikation nicht als Verhinderung von referentieller Bezugnahme auf einzelne Gegenstände, Ereignisse etc. angesehen werden soll – sondern vielmehr als Möglichkeitsbedingung, die es Gesprächspartnern mit unterschiedlichen Bedeutungshorizonten gestattet, gemeinsame Referenz zu thematisieren. Die inferentielle Bedeutung variiert zwar mit dem jeweiligen Hintergrund an Festlegungen, die Sprache kennt aber Überführungsmechanismen, die es erlauben, darüber zu reden, dass wir über das Gleiche reden (etwa ein mythisch geprägter und ein physikalisch geprägter Mensch über die Sonne, etwa eine dem Evangelium Glaubende und eine Nichtglaubende über das Kreuz).271 Für Gesprächspartner hängt die praktisch-inferentielle Signifikanz vom sonstigen Überzeugungshorizont ab, nicht aber die Referenz. Auch an dieser Stelle steuert das Kommunikationsmodell zwangsläufig auf das erkenntnistheoretische Problem der Objektivität zu. 4. partizipatorisch-forensisch: Das partizipatorische und das forensische Moment ist in unterschiedlicher Weise sowohl beim Sprecher als auch beim Rezipienten anzusetzen. Beim Sprecher insofern, als jedes explizite Sagen und Denken auf dazugehöriges implizites praktisches Wissen-wie zurückgeht – und damit auf die Fähigkeit, sich an Praktiken zu beteiligen. Mit dem Explizitmachen dieses Beteiligtenwissens als Behauptung geht ein Sprecher eine Festlegung ein und nimmt eine diskursive Verantwortung auf sich. Das heißt: Er tritt vor das Forum der anderen, von denen das Spiel des Begründens und Rechtfertigens abhängt. Damit kommt aber der Perspektive von Stellung nehmenden Rezipienten eine große Bedeutung zu. Zum einen müssen sie den Sprecher trotz aller Perspektivendifferenz verstehen können. In dieser Hinsicht besteht ein Grundzug der soeben genannten Überführungsmechanismen darin, soge-

269 Expressive Vernunft, 152. 270 Vgl. ebd., 154. 225. Der damit angesprochene Sachverhalt wird unter dem Problem der singulären Termini von Brandom ausführlich diskutiert: ebd., 521ff.; Begründen und Begreifen, 162ff. 271 Ebd., 217f.

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nannte de dicto-Zuschreibungen in de re-Zuschreibungen zu transformieren. Wenn ich einem Schamanen zuschreibe: „Er glaubt, gegen Malaria könne man sich schützen, indem man den aus dieser Baumrinde gewonnenen Trank zu sich nimmt,“ so ist damit für mich noch kein Verstehen möglich, das der inferentiellen Signifikanz der Aussage in meinem Festlegungshorizont überhaupt ansichtig werden könnte. Dazu müsste ich dieser de dictoZuschreibung einen solchen Ausdruck geben können, der sie in meinem modernen inferentiellen Horizont – zumindest hypothetisch – inferentiell nachvollziehen lässt. Das ist möglich, wenn ich denselben Gehalt de re aus meiner Perspektive spezifiziere: „Er glaubt von Chinin, dass es gegen Malaria schützt.“ Denn Chinin besitzt in meiner modernen biologischen Perspektive genügend inferentielle Verbindungen zu anderen Ausdrücken, deren Anwendung ich kenne.272 Damit ist die Grundvoraussetzung des Verstehens in der Rezipientenperspektive umrissen, einer anderen Perspektiven überhaupt Informationen entnehmen zu können.273 Zum anderen wird – das berührt nun einen der interessantesten, aber auch problematischten Punkte des Modells – die Zuschreibung von Wissensansprüchen letztlich vom Rezipienten abhängig gemacht.274 Brandom folgt zunächst der dreigliedrigen Standarddefinition von Wissen als gerechtfertigter wahrer Überzeugung (vgl. oben, 2.2.4.1.). In seinem Modell stellt sich die Überzeugungsbedingung für Wissen so dar, dass der Rezipient dem Wissenden eine inferentiell signifikante Festlegung zuweist – die Rechtfertigungsbedingung stellt sich so dar, dass ihm eine Berechtigung zu dieser Festlegung zugewiesen wird. Entscheidend ist nun die dritte Bedingung, die Wahrheitsbedingung. Denn es könnte ja sein, dass einem Sprecher sowohl die Festlegung zuzuweisen ist, dass ein Gegenstand rot ist, als auch die Berechtigung zu dieser Festlegung – er sich aber irrt. Brandom findet die Wahrheitsbedingung nicht in einer weiteren Zuschreibung, sondern darin, dass der Rezipient sich selbst auf die Behauptung des Sprechers festlegt, er sie eingeht!275 Entgegen den zwei ersten Fremdzuschreibungen kommt es zu einer Selbstzuschreibung; der forensische Kontoführer wird selbst zum Partizipanten der Überzeugung des Sprechers – um so

272 Das Beispiel findet sich bei Brandom ebd., 233. Deutlich ist hier vorausgesetzt, dass in der Sprache ein Unterschied gemacht wird zwischen sprachlicher Welt und tatsächlich beschaffener Welt. Vgl. weiter: Expressive Vernunft, 825-829. 273 Die inferentielle Signifikanz lässt sich so nicht übermitteln, da sie ja von einem Gesamtzusammenhang von Überzeugungen abhängig ist, vgl. ebd., 668-671. 274 In diesem Zusammenhang wird Brandoms Modell und das Objektivitätsproblem im deutschsprachigen Raum seit dem Aufsatz von J. HABERMAS, Von Kant zu Hegel, 138-185, diskutiert. Dazu: L. WINGERT, Genealogie der Objektivität, 738-761; G.W. BERTRAM / J. LIPTOW, Zu einer antidualistischen Rekonstruktion, 272-300; C. LAFONT, Ist Objektivität perspektivisch?, 192-216. Die Anfragen von Habermas betreffen außerdem den Begriffsrealismus bei Brandom, welcher eine nominalistisch begriffene Objektivität der Welt, die sich durch Kontingenzen bezeugt, nicht mehr denken lasse. Weitere Anfragen beziehen sich auf den Erfahrungsbegriff (J. MCDOWELL, Geist und Welt) und auf die Sprachabhängigkeit intentionaler Zustände (S. KNELL, Propositionaler Gehalt). 275 Vgl. Expressive Vernunft, 429f.; Begründen und Begreifen, 156f. 218f.

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den Wissensanspruch dieses Sprechers aus seiner Perspektive zu rechtfertigen.276 Für Brandom ist der Wechsel zur Teilnehmerperspektive folgerichtig: Denn es ist inkompatibel, zu urteilen, dass jemand weiß, dass p, aber nicht selbst auf die Behauptung festgelegt zu sein, dass p.277 Doch so anregend diese Position an dieser Stelle sein mag, mit ihr tun sich Schwierigkeiten auf: Die Selbstzuschreibung nämlich nicht nur als problematisierbare Konsequenz (der Sprecher könnte sich irren), sondern als Bedingung der Wahrheit aufzufassen, schreibt den Rezipienten zu viel (auch sie können, wie Brandom weiß, irren), einer in jedem Wissensanspruch bereits von Anfang an mitgesetzten nichtperspektivischen Wahrheitsbedingung zu wenig zu. Wer einen Wissensanspruch in der Form erhebt: „Ich weiß, dass Gott existiert“, behauptet damit, dass die Wahrheit der Existenz Gottes sowohl davon unabhängig ist, wer diesen Anspruch erhebt, als auch davon, wer ihn anerkennt oder bestreitet. Damit ist gut verträglich, dass die Zugänglichkeit dieser Wahrheit an einen praktischen Vollzug von Anerkennung gebunden ist und eine Veränderung des Selbstverständnisses einschließt. Der Differenz von Wirklichkeit und Zugänglichkeit der Wirklichkeit in der Verständigungspraxis hat man dementsprechend nicht Rechnung getragen, wenn man die reflexiv-distanzierte Frage nach der Wirklichkeit des Behaupteten zur Sache der intersubjektiv-perspektivischen Praxis erklärt. Für die Theologie ist deshalb – das spiegelt die in der These genannte Doppelaufgabe wider – mit guten Gründen die gewissermaßen horizontale Blickrichtung einer intersubjektiv-verständlichen Explikation der kulturelllebensweltlichen Gestalt des Glaubens (die Frage der Inferenz) mit der gewissermaßen vertikalen Blickrichtung einer sich an der Kontingenz des Kreuzes orientierten Wirklichkeitswissenschaft (die Frage der Referenz) verschränkt.

Auf dem Hintergrund eines solchen Verstehensmodells lassen sich Struktur und Anforderungen einer theologischen Kommunikationsfähigkeit erörtern und die erwähnte theologische Explikationsaufgabe kulturtheoretisch verdeutlichen. Voraussetzung einer theologischen Kommunikationsfähigkeit wäre dann die Fähigkeit einer reflexiven Selbsteinholung, in Brandoms Modell: die Fähigkeit, das in der kulturell-lebensweltlichen Gestalt des Glaubens mitgegebene implizite Glaubenswissen in ein explizites theologisches Wissen zu überführen.278 Sie ist wiederum zurückgebunden an ein praktisches Wissen, wie man etwas macht, mithin die Fähigkeit, sich an christlicher Praxis zu beteiligen. Auch von diesem Kommunikationsmodell her ließe sich sagen: Eine Theologie, die sich der Glau276 Im Anschluss an die Unterscheidungen in 2.2.4.1. müsste man von einer externalistisch gedehnten Position eines Rechtfertigungsinternalismus sprechen. 277 Vgl. C. LAFONT, Ist Objektivität perspektivisch?, 212. 278 Damit hätte man das Verständnis von Expressivität, das Lindbeck meinte Schleiermacher vorwerfen zu müssen (vgl. 1.1.7.5.), erheblich modifiziert.

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benspraxis schämt, hätte ihre Voraussetzung verleugnet. In den vorliegenden Umrissen wurde dieser Praxisbezug im Sich-bestimmen-Lassen von demselben Bestimmungsgrund kriteriologisch gefasst und dem Status einer praktischen Erkenntnis hoher Stellenwert eingeräumt. Brandoms Modell gewährleistet es, Differenz und Zuordnung von (implizitem) Glaubenswissen und (explizit) theologischem Wissen formal erhellen zu können. Allerdings ist darauf zu achten, dass das Explizitmachen bzw. die reflexive Transformationsaufgabe sich nicht lediglich auf eine lebensweltliche Praxis bezieht, die bar jedes thematisch-reflexiven Wissens gedacht wird. Damit würde man ein naives Lebensweltverständnis befördern und man bekäme den Reflexionsschub der Moderne nur als einen dieser Lebenswelt äußerlichen zu Gesicht – anstatt zu sehen, dass Reflexionswissen auch in die lebensweltliche Praxis selbst bereits eingegangen ist und eine gewissermaßen sedimentierte Reflexivität darstellt. Im Blick auf die christliche Religion wurde dieser Sachverhalt mehrmals angesprochen. Indem implizites Glaubenswissen explizit gemacht wird, wird es in den Raum des Gebens und Einforderns von Gründen eingebracht; es wird der Verständigung und der diskursiven Auseinandersetzung zugänglich gemacht. Das bedeutet zunächst, sich auf propositionale Behauptungen festzulegen und diskursive Verantwortung für sie zu übernehmen. Die Positionalität dieser Denkarbeit besteht darin, dass die dem Glauben eigenen implizit-inferentiellen Festlegungen die explizit-inferentiellen Spielzüge im Spiel des Gebens und Einforderns von Gründen bestimmen. Theologie würde also wie andere Reflexionstheorien von einer Begründungsrationalität mit einer ihr eigenen inferentiellen Bestimmtheit Gebrauch machen. – Man könnte eine derartige Artikulationsarbeit beim metaphysischen Ausbau der Christologie in der Alten Kirche zu erhellen versuchen. Sie würde sich dann als aus den Implikationen des Christusbekenntnisses hervorgehende Explikation mittels metaphysischer Kategorien darstellen, welche bei aller Aufnahme von Gedanken anderer Diskurshorizonte doch einem eigenen inferentiellen Begründungzusammenhang folgt. Sie würde sich als Wahrnehmung diskursiver Verantwortung der Glaubenspraxis darstellen – und nicht als Akt ihrer Verfremdung. Damit erst gelangte sie zu Regeln, die explizit zu sagen vermochten, was richtig ist und was nicht; sie machte sich selbst aber durch den Eintritt in das Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen diskursiv anfechtbar. Was nun insbesondere die Verständigung mit nichttheologischen Verstehenshorizonten betrifft, so schärft das skizzierte Modell den Blick für die Beachtung inferentiell-gegliederter Gesamtzusammenhänge. Wenn die inferentielle Signifikanz einer Überzeugung immer

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von anderen abhängt, dann können Versuche, nur einzelne Sachverhalte zu thematisieren und zu kommunizieren, nur begrenzt erfolgreich sein. Brandom legt nahe, zwei Stufen zu unterscheiden: Es ist zwar möglich, die Überzeugung anderer in den eigenen Horizont von Festlegungen zu überführen, sie in ihm hypothetisch als Gründe zu verwenden und von diesem eigenen Horizont her inferentielle Signifikanz festzustellen und zu beurteilen. Übermittelt aber wurde in diesem Fall nur der rein extensive Gehalt der Behauptung, nicht ihre inferentielle Signifikanz selbst. Diese Möglichkeit kann man als Gegenargument gegen die mit holistisch-inferentiellen Ansätzen häufig verbundene Inkommensurabilitätsthese auffassen. Da eine Diskurspraxis eine normative Praxis des Ausweisens und Zuweisens darstellt, ist ein diskursives Verstehen dann aber tatsächlich an ein Beherrschen von Inferenzrelationen gebunden. Ich muss den inferentiellen Gesamtzusammenhang des Diskurspartners nachvollziehen können. Das bedeutet umgekehrt für denjenigen, der eine Behauptung aufstellt: Um die inferentielle Bedeutung von Überzeugungen vor anderen Diskursen zu verantworten und sie für das Geben und Einfordern von Gründen aufzuschließen, muss es dem Programm der expressiven Vernunft folgend auch Aufgabe einer wissenschaftlichen Reflexionstheorie sein, inferentielle Gesamtzusammenhänge und implizite Folgezusammenhänge zu explizieren. Das kann auch als theologisch einsichtig gelten. Denn wer ‚Gott’, wer ‚Sünde’ etc. sagt, verpflichtet sich mit solchen Begriffen auf nicht unerhebliche weitere Festlegungen, die zu explizieren möglich sein können muss. Und umkehrt: Wer ‚Gott’, wer ‚Sünde’ etc. sagt, kann dies begrifflich nie ohne einen Hintergrund eines weiteren Festlegungshorizonts tun. Kurzum: Referentiell kann man zwar vom Gleichen reden und diesen extensiven Gehalt auch horizontübergreifend kommunikativ übermitteln, die inferentielle Bedeutung jedoch ist von einem ganzen Festlegungshorizont abhängig und kann nur mit diesem übermittelt werden. Im Licht des skizzierten Kommunikationsmodells lassen sich dementsprechend auch wichtige Grundzüge des hier vorgeschlagenen staurologisch orientierten Theologieverständnisses erhellen: Es zeichnet die kritische Kraft des Kreuzes als eines kontingenten Ereignisses aus, inferentielle Begründungszusammenhänge zu durchbrechen. Doch ohne solche Zusammenhänge bleibt es selbst semantisch stumm, bedeutungslos. Erst aufgrund des Wortes vom Kreuz ist es in einem inferentiellen (Heils-) Zusammenhang zu begreifen; das Kreuz wird zum Schlüssel nicht nur des Christusverständnisses, sondern eines Gottes-, Welt-

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und Selbstverständnisses. In diesem Sinne gilt Luthers Programm: „Crux sola est nostra theologia“. Das referentielle Worüber als das, wovon der christlich-theologische Diskurs beim Wort vom Kreuz und damit bei der Thematisierung seines Bestimmungsgrundes spricht, ist dabei auch anderen Perspektiven zu vermitteln. Der kriteriologisch-signifikante Haftpunkt, an dem sich das inferentielle Symbolsystem orientiert, ist als referentieller Bezugspunkt diskursiv zugänglich. Damit ist aber bis zu seinem bestimmten Grad auch ein hypothetisch nachvollziehendes Verständnis des inferentiellen Symbolsystems selbst und aufgrund dessen auch ein kulturtheoretisch explizierbares Verständnis der darauf bezogenen Aufgabe der Theologie möglich. Die kritische Auffassung der christlichen Religion als einer Religion des Kreuzes279 erlaubt es, Theologie als eine an implizit-praktisches Wissen-wie rückgebundene Arbeit am inferentiellen und in einer bestimmten Weise auf das Kreuz bezogenen Orientierungsrahmen des christlichen Glaubens bzw. des christlichen Symbolsystems begreifen zu können. Insofern könnte dann auch die Aufgabe einer Fundamentaltheologie bzw. einer Religionsphilosophie verständlich zu machen sein – zwar nicht im Sinne einer Grundlegungsdisziplin, aber im Sinne einer Disziplin zur diskursfähigen Ortsbestimmung.280 Ihr Ziel ist es – mit diskursfähig-expliziten (religionsphilosophischen) Mitteln und durch die Rückwirkung anderer Diskurse herausgefordert – den inferentiellen Orientierungsrahmen des Glaubens intrinsezistisch so zu entfalten, dass auch für Nichtglaubende sich beides verstehbar zu erschließen vermag: Wer ist der Gott, den

279 Von einer kritischen Auffassung ist, das lässt sich von Schleiermachers Mittelpunktsbestimmung der christlichen Religion lernen, deshalb auszugehen, weil die empirisch-geschichtliche Betrachtung nicht unbedingt nahe legen mag, vom christlichen Glauben als einer Religion des Kreuzes zu reden. Gleichwohl ist es für die diskursive Verständigung nicht gering zu schätzen, dass die christliche Religion weithin noch als Religion des Kreuzes wahrgenommen wird. Das Kreuz gilt – sowohl in den alten auch in den neuen Bundesländern – als zentrales christliches Symbol; vgl. H. BARZ, Postmoderne Religion, 190; ders., Postsozialistische Religion, 153. 280 Ob man eher zu einer Fundamentaltheologie neigt oder zu einer Religionsphilosophie, dies hängt von der konkreten Fassung der Aufgabe und dem Vorverständnis ab, das man diesen Begriffen unterlegt. Es sei hierzu noch einmal an F. Schleiermachers ‚Philosophische Theologie’ erinnert, die eine spezifische religionsphilosophische Aufgabe in sich aufgenommen hat und selbst als Fundamentaltheologie konzipiert ist (vgl. 1.1.1.). W. Pannenberg verbindet mit Fundamentaltheologie die Grundlegungsaufgabe im Sinn seiner Theologie der Religion (vgl. 1.1.7.4.). I.U. Dalferth geht von diesem Vorverständnis aus und projektiert an der Stelle einer Fundamentaltheologie deshalb eine orientierungsphilosophisch entworfene Religionsphilosophie, der er allerdings eine normative, sprich: kritisch-rationale Aufgabe, nicht vorenthält (vgl. 2.2.3.).

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Christen anrufen? und: Wer sind wir, wenn wir Gott anrufen?281 Diesen Orientierungsrahmen als inferentiellen Gesamtzusammenhang allerdings selbst zu beherrschen, würde Erkennen als praktisches Erkennen bzw. als Anerkenntnis und darum einen Perspektivwechsel erforderlich machen. Die eigentliche, oben beschriebene Aufgabe der Theologie erscheint als auf das Symbolsystem der kulturell-lebensweltlichen Gestalt des Glaubens rückgebundene Artikulationssuche und Artikulationskritik von Lehrgestalten, als differenzbildende fallible Explikation, welche sich im Raum der Gründe auch Rückkopplungen aussetzt.282 23. Wissenschaftliche Theologie nimmt nicht nur in ihrer kirchlichen Funktion eine Verantwortung für die gesamte Kultur und die gesamte Gesellschaft wahr, sondern auch in ihrer Funktion an der Universität. Sie ist in ihrer Existenz, welche sich durch die Angewiesenheit auf eine geschichtlich bedingte Bestimmungsgröße und durch ein reflektiertes Kontingenzbewusstsein auszeichnet, auch eine kulturelle Anamnese für die Angewiesenheitsstruktur der Vernunft. Das Gewahrwerden dieser Angewiesenheit ist Bedingung für den rechten Gebrauch des Reichtums endlichen Wissens. Nicht anders als durch die Explikation eines geschichtlich-partikularen Symbolzusammenhangs vermag theologische Arbeit an der Universität universal dafür einzustehen, dass menschliches Wissen und menschliche Erkenntniserfolge weltlich bleiben, und so auch der formativen Gedankenmacht einzelner gesellschaftlicher Funktionsträger entgegenzutreten, welche die Kontingenz ihrer Orientierungshorizonte zu verschleiern drohen. Die Entfaltung der vorliegenden ‚Umrisse’ diente, beginnend mit dem Erheben einer kriteriologischen Metatheorie, dem Klärungsprozess hinsichtlich des sachlichen Spezifikums einer theologischen Wissenschaft. Auf diesem Wege kann die Stellung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten zunächst auch juristisch legitimiert werden, insofern eine der Theologie eigene Sachgesetzlichkeit notwendige Voraussetzung verfassungsrechtlicher Bestands- und Funktionsgarantien darstellt. Darauf haben Kirchenrechtler wie M. Heckel und E.-L. Solte

281 Vgl. G. SAUTER, Charakter der Theologie, 143ff.; E. JÜNGEL, Glauben und Verstehen, 75f., Anm. 264. 282 Vgl. oben, These 18. Hinzuzufügen ist lediglich, dass die Glaubenspraxis und das ihr implizite Glaubenswissen sich ebenfalls Rückwirkungen aussetzt, insofern das reflexive Wissen und die Frage nach dessen Rechtfertigungsmöglichkeit auch verunsichernd in das lebensweltliche Selbstverständnis eingeht. Vgl. auch J. HABERMAS, Wahrheit und Rechtfertigung, 52.

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immer wieder hingewiesen.283 Und sie haben ebenfalls – das ist hinsichtlich gesunkener Studierendenzahlen zu beachten – darauf hingewiesen, dass sich die Bestands- und Funktionsgarantien nicht allein aus der Ausbildungsfunktion für eine (kirchliche) Profession ergeben, sondern auch aus einem umfassenderen Kulturstaatsinteresse an einer theologischen Wissenschaft.284 Aus dem vorliegenden theologischen Begründungszusammenhang ergibt sich ebenfalls eine doppelte Argumentation: eine kirchenbezogene und eine wissenschaftsbezogene. Unter Abschnitt 3.4. wurde dazu die kirchliche Funktion der Theologie reflektiert und von hier aus erörtert, inwiefern diese eine näher zu bestimmende Wissenschaftlichkeit der Theologie voraussetzt (These 15). In dieser ihrer Wissenschaftlichkeit dient die Theologie der intrinsezistischen Verantwortung von im Glauben gesetzten Ansprüchen vor anderen gesellschaftlichen Bezugsfeldern; sie nimmt implizit dabei selbst eine Verantwortung für die Welt und die Kultur wahr.285 Dies wurde an zwei Aufgabenfeldern verdeutlicht, an der Achtung vor dem Letzten und Vorletzten und an der Ausbildung eines Kontingenzbewusstseins. Von der Kirchenbezogenheit der Theologie ausgehend legte sich schon aufgrund des Erfordernisses einer reflexiven Distanzierungsfähigkeit die Verankerung wenn nicht im universitären System, aber dann doch zumindest in einer geeigneten institutionellen Form nahe. Das wurde durch weitere miteinander verbundene Aspekte verstärkt, durch denjenigen einer lebensweltlich-kontextuellen Einbettung der Theologie und denjenigen, dass Wissenschaften einander Anstöße wechselseitig vermitteln. Der vorliegende Gedankengang war also darauf angelegt, beide Fragen zu klären, die Frage der Wissenschaftlichkeit der Theologie als auch die Frage, wozu Theologie anderer Wissenschaften zur kritischen Auseinandersetzung bedarf. Doch eine gesellschaftlich-kulturelle Funktion nimmt wissenschaftliche Theologie nicht nur in und vermittelst ihrer kirchenbezogenen 283 Diese Garantien resultieren letztlich aus der Verbindung des Kulturstaatsauftrags mit einer verfassungsrechtlichen „Rahmensäkularisierung“, vgl. M. HECKEL, Die theologischen Fakultäten, 17-23. 41-44. 125 u.ö.; ders., Rechtsstatus, 48-58; ders., Grundfragen, 234-237; E.-L. SOLTE, Aktuelle Rechtsfragen, 352-360. Letzterer insbesondere zu den Bestands- und Funktionsgarantien als Grenze für vom Staat als notwendig erachteten Sparmaßnahmen; dazu auch neuerdings H. DE WALL, Die Evangelisch-theologischen Fakultäten, 222-224. 284 Auch dies schützt theologische Fakultäten nicht vor Kapazitätsreduzierungen, aber vor vorschnellen proportionalisierenden Vergleichen (Stichwort: Kuschelfakultäten), vgl. P. GLOTZ, Zur Rolle theologischer Forschung und Lehre, 16. 285 Dieses und das Folgende kann im Blick auf die pragmatischen Bezüge der Theologie als Stellungnahme zum Problem der Implikationsmechanismen verstanden werden, vgl. oben, 1.2.3.

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Funktionsweise wahr, sondern auch in und vermittelst ihrer wissenschaftsbezogenen Funktionsweise an der Universität.286 Insofern ist es von nicht geringer Bedeutung, die Fragerichtung auch umzukehren und zu fragen: Wozu brauchen die Wissenschaften Theologie? So formuliert ist die Frage allerdings mindestens zweideutig. Man kann sie nach ihrer stärkeren Variante d.h. auf der Ebene einer Existenznotwendigkeit der Theologie innerhalb der Universität (abgesehen von verfassungsrechtlichen Bestandsgarantien) zu erörtern trachten. Man kann aber auch – dies wäre die schwächere Variante – vom realen Ort an der Universität ausgehen und nach guten (theologischen wie nichttheologischen) Gründen für diesen Ort fragen. Solche Gründe muss es geben, wenn Theologie diesen gegebenen Ort nicht von sich aus verlassen wird. Allein in diesem zweiten Sinn wollen die folgenden Gedanken verstanden werden. Denn Theologie kann auch außerhalb der Universität existieren und sie hat es, das dürfte hiesige Theologie nicht vergessen, in der Zeit der DDR auch getan. Ihre Inanspruchnahme einer Wissenschaftsfreiheitsgarantie nach Art. 5 Abs. 3 GG ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zu fragen ist letztlich also, was die Universität verlöre, wenn sie die Theologie und ihren Dienst verlöre. Es muss als nicht ausreichend angesehen werden, diesbezüglich mit der Gründungsidee der Universität und dem bleibenden Universalismus der Theologie zu argumentieren.287 Und es muss als eine Überschätzung eingeschätzt werden, mit einer unverzichtbaren gesellschafts- und kulturkonstitutiven Rolle der Religion zu argumentieren, wie dies das hochstufige Integrationsmodell von E. Herms voraussetzt. Nicht nur, dass im Unterschied zum 19. Jahrhundert Religion nicht mehr als konstitutiver und privilegierter Teil der Kultur eingeschätzt wird, sondern als ein Kulturfaktor unter vielen anderen. Eine kreuzestheologisch orientierte Ortsbestimmung müsste ohnehin fragen, ob christlicher Glaube einen Ort im Zentrum von Kultur oder Gesellschaft als unverzichtbar beanspruchen soll, wenn er selbst an deren Rändern geboren wurde. Auch die gesellschaftliche Marginalität kann der Ort sein, von dem aus Kirche und Theologie ihren Dienst an der Gesellschaft versehen.288

286 So mit Nachdruck E. HERMS, Herausforderungen, 58. 71f. Herms legt Wert darauf, dass sich beide Funktionsweisen gegenseitig bedingen und optimieren. Hinsichtlich gegenwärtiger Herausforderungen bieten seine Ausführungen eine wertvolle Heuristik. Das gilt auch dann, wenn man sein in der Fortsetzung von Schleiermachers Güterlehre der spekulativen Ethik entworfenes gesamtgesellschaftliches Integrationsmodell für nicht mehr zeitgemäß hält. 287 Vgl. den Versuch von J.B. METZ, Die letzten Universalisten, 25-29. Denn die Philosophie könnte sich ja doch wieder der verloren geglaubten Universalität annehmen; vgl. H.M. BAUMGARTNER, Endliche Vernunft, 68f. 288 Vgl. die Anregungen von M. VOLF, Theologie, Sinn und Macht, 142, sowie die Bemerkungen zur kulturellen Mitte in den Erläuterungen zu These 16; daneben aber auch K. BARTH, KD IV/3, 850f.

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Wenn sich kirchenbezogene und wissenschaftsbezogene Funktionsweise nicht widersprechen, muss die Verantwortung für Gesellschaft und Kultur, wie sie sich von der kirchenbezogenen Funktionsweise ausgehend in der Achtung vor dem Letzten und Vorletzten und in der Ausbildung eines Kontingenzbewusstseins fassen ließ, auch von der wissenschaftsbezogenen Funktionsweise aus dargelegt werden können. Allgemein gesprochen besteht der Beitrag der wissenschaftlichen Theologie zum Wissenschaftsbetrieb an der Universität dementsprechend einerseits darin, im Blick auf jede Vernunftpraxis das Kontingenzbewusstsein als das Bewusstsein einer Angewiesenheit auf geschichtliche Symbolhorizonte wach zu halten und den Mechanismen einer Invisibilisierung von Kontingenz entgegenzutreten. Er besteht andererseits darin, in der Anwendung des kategorialen Sachverhalts, welcher mit der Differenz von Letztem und Vorletztem zum Ausdruck gebracht werden kann, für die soteriologisch entlastete Weltlichkeit menschlichfalliblen Wissens und menschlich-fallibler Erkenntniserfolge einzutreten. Theologie wird von daher schließlich jeden Versuch universaler Wirklichkeitskonstitution unter Absehung des Letzten als Abstraktion beurteilen und epistemische Wahrheitskonzeptionen infrage stellen müssen. Auch diese wissenschaftsbezogene Funktionsweise ergibt sich aus der beschriebenen Anlage der Theologie selbst: Denn das Kontingenzbewusstsein hinsichtlich der kulturell-lebensweltlichen Ordnungsgestalten und die Angewiesenheit auf durch sie vermittelte geschichtlich bedingte Bestimmungsgrößen kann Theologie nicht nur im Akt einer reflexiven Selbsteinholung vor sich selbst zur Geltung bringen. Bereits der Schöpfungsgedanke – als dessen philosophischer Ausdruck der Kontingenzgedanke aufgefasst werden kann – steht dafür, dass Theologie mit einer partikularen Kontingenzreflexion ihrer Verantwortungsaufgabe noch nicht entsprochen hat. Ihrer Aufgabe, einen begrifflichen Folgezusammenhang explizit zu machen und diskursiv zu verantworten, ist sie vielmehr erst dann nachgekommen, wenn sie die im Schöpfungsglauben implizit gesetzten Ansprüche in transpartikularer Weise so vertritt, dass nichts weniger als die Kontingenz alles Geschehens und die Kontingenz jeder kulturell-lebensweltlichen Ordnung deutlich wird. Das kreuzestheologische Verständnis von Gottes wirlichkeitskonstitutiver Liebe bietet die Voraussetzung, dies im Rahmen eines spezifischen Wirklichkeitsverständnisses explizieren zu können. Es ist stets im Auge zu behalten – und bewahrt die transpartikulare Argumentation der Theologie vor Überheblichkeit –, dass sich ihr Eintreten für ein solchermaßen umfassendes Kontingenzbewusstsein und eine allgemeine Angewiesenheitsstruktur nicht anders als kraft eigener

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Angewiesenheit auf einen bestimmt kontingenten und in geschichtlicher Überlieferung vorliegenden Bestimmungsanspruch vollziehen kann. Insofern ließe sich für die Theologie sagen, dass sich in ihrer Existenz ein Zusammenhang institutionalisiert hat, demzufolge das Bewusstsein eigener Angewiesenheit und das Bewusstsein einer allgemeinen Angewiesenheitsstruktur vernünftigen Denkens und Handelns zusammen kommen. Nicht durch die Selbstkritik der von lebensweltlichen Ordnungskontingenzen abstrahierenden Vernunft wird hier die Vernunft zur Vernunft gebracht, sondern durch die anamnetische Vergegenwärtigung dessen, was im christlichen Symbolzusammenhang als partikular-geschichtsgebundenes Wissen um Ursprung und Ziel des Menschen aufbewahrt ist und in der Kreuzestheologie als Strukturkern des christlichen Gedächtnisses expliziert wird.289 Damit ist man nun auch am Punkt angelangt, hinsichtlich der wissenschaftsbezogenen Funktionsweise der Theologie an der Universität die Frage klären zu können, inwiefern von einem singulären und inwiefern von einem funktional-äquivalenten Beitrag zu reden ist. Formuliert man den Beitrag der Theologie zum universitären System der Wissenschaften wie oben allgemein, also mit Kategorien wie Kontingenz, Angewiesenheit, lebensweltlich-geschichtlicher Einbettung der Vernunft etc., so sind funktionale Äquivalente denkbar und teilweise auch tatsächlich vorhanden. Zu denken ist an eine Philosophie, welche der Angewiesenheitsstruktur der Vernunft als deren Endlichkeit ansichtig wird,290 oder an eine Kulturwissenschaft, welche Abhängigkeit und Kontingenz menschlicher Vernunftpraxis zu enthüllen unternimmt.291 An diesen Stellen ist interdisziplinäre Verständigung möglich (geworden), ganz unbeschadet dessen, dass der nicht selten behauptete funktionale Vorrang der jeweils eigenen Disziplin den Streit mit anderen provoziert. So sehr es sich nahe legen mag, zum Zweck einer Profilierung der eigenen Disziplin sich von funktionalen Äquivalenzen abzugrenzen, es ist an dieser Stelle mit Nachdruck daran festzuhalten, dass es im universitären System der Wissenschaften grundsätzlich solcher auch funktional äquivalenter Beiträge bedarf. Denn es stellt eine Gefahr für die 289 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis; M. PLATHOW, Wirklichkeit, 182; auch J.B. METZ, Anamnetische Vernunft, 733-738; J. REIKERSTORFER, Chancen und Verpflichtungen, 103-125; und die in religionspädagogischer Absicht vorgenommene Aufnahme der Gedächtnistheorie bei M. WERMKE, Verantwortung, 245-255. Es sei darauf hingewiesen, dass Luthers Disputatio de homine als präzise Umsetzung eines solchen Programms gelesen werden kann. 290 Beispielhaft H.M. BAUMGARTNER, Endliche Vernunft. Ebd., 210-213, auch zum Verhältnis von Philosophie und Theologie. 291 Vgl. A. RECKWITZ, Brennpunkte, 1-20.

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Wissenschaftsfreiheit dar, sollte durch die reifizierende Überdeterminierung von gesellschaftlich bestimmenden Ordnungsgestalten dem kulturellen Gedächtnis das Bewusstsein von Kontingenz und Angewiesenheit, die Achtung des Letzten und Vorletzten abhanden kommen. Wenn sich die formative Gedankenmacht gesellschaftlicher, also beispielsweise politischer, religiöser, ökonomischer oder massenmedialer Funktionsträger zu einer kontingenzvergessenen Überdeterminierung der jeweiligen Eigenperspektive verfestigt, geht dies zugleich mit der Gefahr einher, dem Menschen seine innere Selbstständigkeit gegenüber diesen Ordnungsgestalten zu rauben. Ein Aspekt des Gebildetwerdens müsste es dann sein, Distanz und innere Selbstständigkeit zu gewinnen. Das kann durch eine Visibilisierung von Kontingenz und damit durch eine Relativierung geschehen, welche kritisch aufmerken lässt, wenn massenmediale Inszenierungen als Ansprüche letzter Wirklichkeit aufgefasst oder wenn letzte Bestimmungsansprüche für eine Gesellschaft aus ökonomischen Effizienzerwägungen abgeleitet werden. Das betrifft freilich auch eine Religion, welche selbst unkritisch geworden, das Bewusstsein der Differenz zwischen den eigenen Vollzügen und dem, worauf diese Vollzüge verweisen, nicht mehr in sich trägt. Über diesen also schon an sich wichtigen Beitrag hinaus ist nun allerdings auf den singulären Beitrag der Theologie zurückzugehen, kraft dessen der allgemein formulierte allein Bestand haben kann. Theologie bleibt kriteriologisch auf einen geschichtlich vorliegenden und nur vorläufig positivierbaren Bestimmungsanspruch angewiesen. Diesen Bestimmungsanspruch, der mit dem Evangelium als dem Wort vom Kreuz gegeben ist, teilt sie mit der Kirche und setzt sich schon damit in eine Beziehung zu ihrer institutionellen Gestalt (These 14). Ihre Angewiesenheit auf den so bestimmten kontingenten und in geschichtlicher Überlieferung vorliegenden Bestimmungsanspruch impliziert dabei, ein Konstitutions- und Wirklichkeitsbewusstsein zu vertreten, das zur konflikthaften Auseinandersetzung herausfordert. Denn nicht anders als durch einen konkret-inhaltlichen und zugleich geschichtlich-partikularen Symbol- und Überlieferungszusammenhang, welcher sich selbst dem Bereich des Vorletzten und damit des falliblen menschlichen Wissens zugehörig weiß, tritt Theologie dazu an, menschliches Wissen und menschliche Erkenntniserfolge im Bereich des Letzten infrage zu stellen, im Bereich des Vorletzten jedoch zu achten, zu bewerten und womöglich zu befördern. Durch Verdrängung oder Minimierung konkret-inhaltlicher und geschichtlich-partikularer Positionalität würde die Theologie sich selbst von dem zu befreien suchen, was endlicher Vernunft zugehört, sie würde ihre kulturelle und wissenschaftliche Bedeutung verspielen.

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Durch Anerkenntnis hingegen der eigenen spezifischen Angewiesenheit und Positionalität, wie sie im Rückbezug auf einen geschichtlichpartikularen Symbolzusammenhang zum Ausdruck kommen, nimmt Theologie ihre Verantwortung für die gesamte Kultur und für die gesamte Gesellschaft wahr. Zu dieser Anerkenntnis gehört, wie bereits dargelegt, das Anerkenntnis ihrer Kirchlichkeit, verstanden als spannungsreiche Bezugnahme auf kirchliche Kommunikationsvollzüge und als Sich-bestimmen-Lassen von demselben Bestimmungsgrund (These 15). Und dazu gehört ebenso die reflexionstheoretische Voraussetzung, dass die Wahrheit des Evangeliums von der Wahrheit der theologischen Sätze über es unterschieden wird, dass diese sich daher durch das Evangelium als dem Wort vom Kreuz durch-kreuzen können lassen müssen. Systematisch-theologisch erhält dies seine Pointe dadurch, dass die Wahrheit des Evangeliums im Gekreuzigten gegenständlich wird, dass sie dort als Subjekt auftritt, wo sie als Mensch in einer grausamen Weise objektiviert wird (vgl. These 20). Allerdings: Es gehört zwar zur diskursiven Verantwortung der Theologie, Begründungszusammenhänge so zu explizieren, dass sie von anderen Diskurspartnern nachvollzogen werden können. Es gehört aber auch zur Offenheit eines perspektivenübergreifenden Diskurses, dass Kontingenz und Angewiesenheit, wie sie von der Theologie für sich selbst als einer partikular-geschichtsgebundenen Wissenschaft anzuerkennen ist, nicht auch von anderen Diskurspartnern anerkannt werden müssen. Andererseits kann gerade das Anerkennen der beschriebenen Kontingenz und Abhängigkeit auch Diskurspartner verbinden und zum fruchtbaren Boden von Interdisziplinarität werden. Grundsätzlich wird seitens der gesellschaftlichen Öffentlichkeit jenes Anerkennen immer davon abhängen, wie sie sich prinzipiell zu einer kulturellen Erinnerungsfunktion mittels partikularer Geschichte verhält – insbesondere dann, wenn diese es aufgibt, Kontingenz und Angewiesenheit in transpartikularer Weise zu kultivieren und zu thematisieren. Einer solchen Erinnerungsfunktion die Anerkennung zu versagen, fällt nicht schwer, erscheint ihre Begründungsrationalität aufgrund der geschichtlichen Bedingtheit doch außerordentlich schwach. Theologie wird sich dieser Schwachheit nicht entziehen können, wenn sie die Widerständigkeit der Geschichte des gekreuzigten und auferstandenen Christus bewahren will. Es entspricht ganz der kreuzestheologischen Paradoxie von 2 Kor 12,9f., dass in dieser ihrer Schwachheit die Kraft liegt, die Angewiesenheit alles menschlichen Denkens und Handelns von der seinskonstitutiven Liebe Gottes so explizieren zu können, dass der Horizont der letzten Wahrheit aufgerissen ist, in welchem menschliches Wissen und

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menschliche Erkenntniserfolge weltlich bleiben, gerade so aber unter der Verheißung der letzten Wahrheit stehen.292

292 Von ähnlichen Grundgedanken ist auch H. Vogel in seiner 1957 gehaltenen Vorlesung „Die Stellung der Theologie im Raume der Universität“ ausgegangen. Er hat so darzulegen unternommen, was die Orientierung am Wort vom Kreuz, auf die Theologie selbst angewandt, für ihre Existenzform (ihre „Armut“) und dann auch für ihren Dienst an der Universität bedeutet. Vgl. H. VOGEL, Stellung, 726: „Gerade in der Theologie bricht exemplarisch die Erkenntnis auf, über der die Verheißung einer Wahrheit leuchtet, die denn freilich nicht mit irgendeiner unserer Wahrheiten verwechselbar ist.“ Das Kennzeichen dieser Wahrheit ist es, „dass die Wahrheit in unserer Existenz uns aufgesucht hat, daß sie uns in unserer Geschichte, auf unserem Wege begegnete.“ (ebd., 727f.). Für die Stellung der Theologie im Rahmen der Universität bedeute die Anerkenntnis der letzten Wahrheit: „Dann wird der Theologe aber jede menschliche Erkenntnisbemühung, die das Gegenüber der Wahrheit und ihr Herrenrecht respektiert, nicht nur achten, sondern unter Verheißung sehen.“ (ebd., 728)

Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Die in diesem Verzeichnis aufgeführten Titel werden in den Anmerkungen der vorliegenden Untersuchung mit dem kursiv gedruckten Kurzbeleg bzw. den angegebenen Abkürzungen zitiert. Die Abkürzungen des Verzeichnisses selbst richten sich nach S. Schwertner, TRE Abkürzungsverzeichnis, 2., überarb. und erw. Aufl., Berlin / New York 1994.

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Personenregister Abromeit, H.-J. 140, 143 Albrecht, Ch. 20, 30, 37-40, 73, 453 Althaus, P. 39, 225, 416, 418 Amelung, E. 155 Apfelbacher, K.-E. 72. 84f. Assmann, J. 449f., 493 Austad, T. 222 Austin, J.L. 314 Avemarie, F. 457 Baader, F. v. 140 Baier, K. A. 114 Balthasar, H. U. v. 95, 435 Barth, K. 2, 4, 13, 18, 70, 72, 85, 92-125, 132, 135, 145, 147f., 158, 161, 165f., 169, 177f., 200-205, 208, 215, 218, 222, 237, 241, 252-254, 268, 295, 309, 217f., 322, 324, 328, 330, 335, 339, 348, 374, 399f., 404, 419-421, 425, 427, 444, 449, 461, 491 Barth, U. 20, 23, 35, 206f., 266, 280, 293, 298 Barz, H. 488 Baumann, R. 410 Baumgartner, H. M. 308, 491, 493 Bayer, O. 112, 139, 154, 252, 374, 421, 427, 469 Becker, G. 74, 76, 78, 85 Beintker, M. 5, 94, 132, 223, 403, 433, 435f. Bendel, K. 407 Benner, D. 452 Berger, P. 183

Bernoulli, C.A. 9, 81 Bertram, G.W. 484 Biehl, P. 453f. Birkner, H.-J. 24, 27f., 33f., 3638, 73, 79, 82, 259 Blaumeiser, H. 416-418, 423, 432 Blumenberg, H. 358, 450, 476 Bonhoeffer, D. 4f., 124-144, 191, 194f., 200f., 204, 206, 208, 213, 217f., 222, 225f., 257, 263, 373, 403, 423, 431, 433f., 444-448, 451, 457, 460f., 464, 468 BonJour, L. 378 Boomgaarden, J. 132, 136 Brachtendorf, J. 282 Brandom, R.B. 380, 403, 476, 480-487 Brandt, S. 196 Braungart, Ch. 23 Brendel, E. 378 Bühler, P. 410, 417-419 Bultmann, R. 137, 209f., 331, 414, 423, 440, 466, 472 Busek, E. 408 Buß, H. 226 Cassirer, E. 242, 262, 264f., 268, 275, 292, 297f., 308, 449, 463 Chisholm, R.M. 463 Christe, W. 32f. Claussen, J. H. 74-76, 78, 83f. Clayton, J. P. 156 Cloeren, H.J. 427 Coakley, S. 84 Cremer, H. 421

Personenregister

Dabrock, P. 187, 335, 431 Dahm, K.-W. 220 Daiber, K.-F. 220-223 Dalferth, I. U. 6, 16, 109, 174, 241, 312-399, 405, 424f., 429, 431, 441, 463, 467, 471, 476, 479, 488 Dallmann, H.-U. 231, 236, 405 Danz, Ch. 83 Davidson, D. 349, 379f., 384f. Deuser, H. 453 Devitt, M. 380 Dibelius, O. 105, 128, 146 Diem, H. 14, 145-147 Dierken, J. 207, 212f., 348, 428, 463 Dierse, U. 24 Dieter, Th. 417, 426, 465 Dinkel, Ch. 24f., 30 Drehsen, V. 6, 34, 37, 87f., 90f., 209, 211, 215, 221, 409 Drescher, H.-G. 9, 75, 78, 83, 85 Drewes, H.-A. 93 Ebeling, G. 62, 112, 166, 216, 326, 416, 418, 423, 427, 431, 452, 460, 464 Eco, U. 271, 387f. Eckerstorfer, A. 180-182, 184, 186, 204 Erne, Th. 450 Esterbauer, R. 479 Failing, W.-E. 216, 450 Fechtner, K. 87f., 90 Feil, E. 124, 141f., 211 Fetzer, A. 123f., 224 Feyerabend, P. 236f. Fischer, H. 21. 154, 194, 422 Fischer, J. 15, 210, 466 Fleinert-Jensen, F. 427 Fraas, H.-J. 453 Früchtl, J. 205, 384 Gehring, P. 205

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Geisler, R. 56 Geisthardt, G. 39, 41, 160, 163 Gettier, E.L. 378f. Geyer, C.-F. 449 Geyer, H.-G. 221 Gill, B. 409 Glotz, P. 490 Gloy, K. 280 Goebel, H. Th. 221 Göll, H.-P. 62, 65, 69 Gollwitzer, H. 147 Gottschick, J. 8 Gräb, W. 6f., 16, 22, 24, 27, 114, 120, 180, 187, 241-311, 313, 354, 368, 398f., 424f., 448, 454, 462 Graevenitz, G. v. 476 Graf, F.W. 6, 33f., 71f., 74, 85, 131, 214, 224, 433 Grane, L. 429 Greive, W. 93, 95, 98, 114 Grewel, H. 53, 57 Grözinger, A. 120-122, 216, 220 Groll, W. 93 Großhans, H.-P. 205, 297, 424, 429, 472 Grube, D.-M. 156 Grundmann, Th. 378f., 382, 465, 474 Gundlach, Th. 98f., 104, 119, 123, 224 Gutmann, H.-M. 301f. Haack, E. 43 Haas, A.M. 421 Habermas, J. 281, 442, 478, 484, 489 Härle, W. 104, 193, 221, 420, 437, 453, 463 Hafstad, K. 93 Hagenbüchle, R. 421 Haldimann, K. 410

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Personenregister

Harnack, A. v. 74-77, 269, 288, 421 Hassiepen, W. 192 Hauerwas, S. 180, 183, 187-190, 212, 217, 437 Hauschildt, E. 209 Hausrath, A. 34, 39f. Heckel, M. 489f. Heesch, M. 34-36 Heidegger, M. 229f. Heider, P.B. 280 Heimbrock, H. G. 216, 450, 468 Heinrich, R. 149, 151 Heinzelmann, G. 460 Henrich, D. 242, 280-284, 293 Herlyn, O. 112 Herms, E. 5, 13, 15, 23, 55, 156, 180, 190-200, 214, 218, 221f., 224, 237, 239, 334, 386, 397, 399, 430, 439, 441f., 452f., 463, 491 Hertog, G. d. 150 Heussi, K. 71 Hick, J. 316, 323, 393, 395 Hinske, N. 19 Hintikka, M.B. 383 Hirsch, E. 1, 3, 34, 152, 194, 247, 252f., 288, 301 Hölscher, L. 211 Hoffmann, M. 149, 151, 455 Hoffmann-Axthelm, D. 37, 39 Hofmann, F. 50, 54 Hofmann, J.N. 229 Hogrebe, W. 281 Homann, H.-Th. 227f. Honecker, M. 91, 114f., 121, 131 Hornig, G. 20, 29 Huber, W. 5f., 126f., 129, 144, 220, 222, 224, 226 Hübner, E. 13, 91, 114, 117, 122, 220, 224 Hübner, I. 24

Hübner, K. 204, 230, 236, 308, 463 Hütter, R. 2, 95, 180, 184, 186f., 190 Humboldt, W. v. 452 Hummel, G. 154 Husserl, E. 1, 358, 387, 395, 406, 450 Iwand, H.J. 4, 112, 147-151, 200, 402, 416, 440, 444, 452, 455, 465, 467 Jaeschke, W. 279 Jahr, H. 152f. Joest, W. 420f., 423, 466 Josuttis, M. 109 Jüngel, E. 14, 24, 95, 97f., 146, 169, 171, 209, 230, 304, 315, 322, 327, 355, 408, 456, 465f., 489 Jung, M. 293, 296, 298 Junker, M. 30 Kähler, M. 34, 48, 58-72, 84, 94, 102, 137, 147f., 152, 165, 202f., 206, 214f., 263, 414, 426, 460 Käsemann, E. 410, 413f., 472 Kambartel, F. 362 Kammler, H.-Ch. 411f. Kant, I. 19, 41, 54f., 148, 191, 201, 207f., 227, 261, 275, 280, 309, 355, 364f., 380f., 387, 389-396, 420, 474 Katongole, E. 187f., 190 Kaufmann, F.-X. 215, 291, 305, 458 Kaulbach, F. 205, 309, 355, 424 Kehnscherper, G. 46 Kern, A. 298 Kern, U. 413f., 427 Kierkegaard, S. 420-422 Kieserling, A. 405, 407, 409 Kim, K. 378

Personenregister

Kinder, E. 221f. Kirchenamt der EKD 451 Klemm, H. 83 Kliefoth, Th. 13, 33, 41-49, 219 Knebel, S.K. 427 Kneer, G. 231 Knell, S. 484 Knoblauch, H. 261 Knorr Cetina, K. 407 Kober, M. 383 Kobusch, Th. 422 Kodalle, K.-M. 130, 227, 236 König, Gert 424 König, Gisbert 72, 82 Koepp, W. 421 Körtner, U. 106 Korsch, D. 95, 98, 109, 217, 222, 287, 294, 301, 453 Korthaus, M. 153 Koselleck, R. 1, 71 Koslowski, P. 230 Kraft, H. 421 Krause, D. 231 Kreck, W. 110 Kretzschmar, G. 226 Krötke, W. 114, 120f., 220, 463 Krois, J.M. 449 Kroß, M. 322, 378 Krüger, G. 9f., 11f. Kühn, U. 222, 226 Kuhlmann, H. 49 Kuhn, Th. 100, 236f., 319, 379, 384 Kunstmann, J. 2, 15, 453, 455 Kutschera, F. v. 297f., 380f. Lafont, C. 484f. Lagarde, P. d. 8 Lämmermann, G. 121 Lämmlin, G. 22 Lang, F. 410, 412 Lange, A. 171

553

Lange, D. 51, 204, 214, 216, 226, 341, 435, 437 Laube, M. 233, 313, 322f., 378, 405 Leiner, M. 156 Lenk, H. 384 Leppin, V. 427 Lessing, E. 72, 97, 105, 220 Lindbeck, G. 180-187, 204, 212, 217, 300f., 348, 431, 485 Link, Ch. 163 Link, H.-G. 58f., 62, 69 Loewenich, W. v. 149, 416 Luckmann, Th. 249f., 261, 263, 299 Lübbe, H. 355, 387, 479 Lütz, D. 114 Luhmann, N. 2f., 180, 189, 208, 227, 231-238, 275, 290, 363, 366f., 405-408, 412, 420, 428, 430, 458, 476 Luther, M. 19, 55, 57, 80, 112, 149, 185, 193, 287, 321, 324, 326f., 328, 332, 338, 400, 413, 415-427, 429-435, 437, 446, 463-470, 472f., 475 Luz, U. 301, 403, 410, 413, 468 Makropoulos, M. 476f. Maurer, E. 103, 107 Mayer, R. 124, 130, 139 McCormack, B.L. 94, 208 McDowell, J. 380, 484 Meckenstock, G. 21 Mellor, D.H. 387 Mencke, M. 64, 68 Menze, C. 452 Merklein, H. 415 Metz, J.B. 491, 493 Meyer-Blanck, M. 375, 454 Miege, F. 154 Mildenberger, F. 216 Mittelstraß, J. 386, 456

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Personenregister

Molendijk, A.L. 84, 87, 97 Moltmann, J. 5, 222, 225f., 289, 403, 427 Moxter, M. 20, 124, 293, 299, 304, 396, 445, 450f. Mühlen, K.-H. v. 416, 418 Müller, G.L. 130, 142 Müller, H. 125, 142, 143 Murrmann-Kahl, M. 8, 71, 93, 216 Nagel, Th. 474 Neebe, G. 221f., 437 Nichtweiß, B. 95 Nida-Rümelin, J. 297 Nielsen, B.F. 109 Nietzsche, F. 120, 228f., 284, 309 Nipkow, K.E. 453-455 Nipperdey, Th. 71 Nowak, K. 21, 71 Nüssel, F. 211 Oelmüller, W. 387 Offermann, D. 30 Ohst, M. 22f., 32, 42, 44 Orth, E.W. 449 Paetzold, H. 449 Pangritz, A. 143 Pannenberg, W. 8, 15, 19, 21, 25, 35, 62, 163-173, 176f., 201f., 299, 399, 412, 470, 476, 488 Pascal, B. 421, 459 Perpeet, W. 299, 449 Pfleiderer, G. 71, 85, 97-100, 125, 202, 216, 218, 220, 296, 401 Pfüller, W. 211, 458 Phillips, D.Z. 321f., 351 Peirce, C.S. 387f. Plasger, G. 123 Plathow, M. 423, 465, 493 Plantinga, A. 322, 354, 377, 389

Pollack, D. 5, 7, 160, 211, 231, 290, 458f. Popper, K.R. 240, 384 Prenter, R. 404 Preul, R. 220, 453 Probst, P. 419 Pundel, L.B. 382 Putnam, H. 204, 297, 314, 322, 379-382, 385 Quine, W.v.O. 387, 463 Raddatz, W. 20 Rahner, K. 427, 437f. Ramsey, I.T. 316 Ratzinger, J. 239 Reckwitz, A. 450, 493 Reikerstorfer, J. 493 Rendtorff, T. 3, 20, 30-32, 34, 98f., 121, 123, 157-163, 180, 202, 211, 217, 220, 224, 226, 401, 405, 425, 430, 462 Rescher, N. 166, 384 Reuter, H.-R. 222 Richmond, J. 50 Richter, C. 461 Ringleben, J. 156f. Ritschl, A. 7, 49-58, 69f., 72, 84, 93, 125, 129, 147f., 202f., 214, 222, 224, 322 Ritz, J. 119, 122, 223 Rodi, F. 299, 449 Rössler, D. 209, 211, 216f., 263, 279 Rössler, M. 23f., 26-28, 30, 81 Rohls, J. 313, 346 Rombach, H. 228 Rommel, B. 188, 190 Rorty, R. 448, 476 Rosenstock-Huessy, E. 396 Rosenzweig, F. 396 Rothe, R. 13, 30, 33-42, 48, 53, 58, 90, 159, 161, 202, 221, 247, 405

Personenregister

Ruddies, H. 71f., 74, 79, 82, 93 Rudolph, E. 265 Runggaldier, E. 346, 462 Sänger, P.-P. 151 Sandkühler, H.J. 380 Sauter, G. 2, 19, 51, 59, 148, 163f., 166, 173-180, 200, 202, 215, 219, 401, 405, 427, 429, 438, 441, 489 Schäfer, R. 49f., 52, 56, Schaeffler, R. 354, 420, 428, 458f. Schantz, R. 474 Scheibe, E. 476f. Scheliha, A. v. 55, 57 Scherle, P. 95 Schilder, K. 421 Schlatter, A. 137, 395, 411-413, 445, 470 Schleiermacher, F.D.E. 2f., 7, 13, 18-34, 42, 45, 49-51, 53, 58, 61, 65, 70f., 77-79, 81-83, 101, 105, 114, 117, 123, 125, 129, 131, 137, 145, 148f., 155, 158, 164, 180, 182, 191f., 195, 197, 201f., 205f., 209f., 212, 218, 225, 237, 241-255, 258, 260, 264f., 280, 283, 287f., 297, 305f., 309, 317f., 335, 338f., 390, 392f., 404, 426, 428, 430, 434f., 439, 452, 485, 488 Schlink, E. 403, 416f., 439 Schmid, J.H. 62, 65 Schmidt, J.F.K. 407 Schmoll, H. 15, 408, 456 Schnädelbach, H. 204, 384, 387, 449, 456, 478 Schniewind, J. 14, 146, 438 Schoberth, I. 454f. Scholz, H. 25, 296, 400 Schrage, W. 410-413, 438, 440

555

Schröder, M. 21, 24, 28, 30, 306 Schröer, H. 419-422 Schrofner, E. 24 Schüßler, W. 155f., 420 Schulthess, P. 227 Schulz, H. 205 Schweitzer, F. 453 Schwöbel, Ch. 209, 225f., 459, 463 Seckler, M. 209, 428, 459f. Seel, M. 298, 349, 380, 437, 474 Seils, M. 179, 433 Seim, J. 148, 150 Simon, J. 309, 420 Skirbekk, G. 382 Söding, Th. 410, 413, 415 Solte, E.-L. 489f. Soosten, J. v. 126-128, 139 Spaemann, R. 227, 230f., 412, 458 Sparn, W. 239 Spieckermann, I. 94 Steck, W. 224 Steffen, B. 448 Stegmaier, W. 6, 355, 387 Steinacker, P. 163, 223 Steiner, H.G. 227 Stelzner, W. 261 Strecker, G. 410 Ströker, E. 477f. Stoellger, Ph. 349, 385, 396, 476, 479 Stuhlmacher, P. 216, 410f. Sturm, E. 152, 420 Süskind, H. 23, 81 Tanner, K. 1, 3 Taylor, Ch. 299, 436 Theißen, G. 306f. Tenbruck, F.H. 207, 294, 458 Thaidigsmann, E. 149, 423f., 427, 466f. Thiel, Ch. 27, 236

556

Personenregister

Thielicke, H. 37 Thomas, G. 180 Thomassen, B. 99 Tiefensee, E. 5 Tietz-Steiding, Ch. 125, 132, 134, 137 Tillich, P. 151-157, 208, 225f., 309f., 397, 399f., 402, 420f., 448, 460f., 468 Track, J. 153f. Tracy, D. 214 Traub, F. 10f., 397, 463 Trigg, R. 377 Trillhaas, W. 209, 211, 213f. Troeltsch, E. 4, 6, 9f., 18, 30, 7093, 125, 129, 149, 158, 183, 203, 205, 209, 215, 221, 225, 237, 241f., 255-260, 278, 288f., 399, 443, 462, 476 Trowitzsch, M. 20, 112, 309, 415, 445, 470 Ullmann, W. 109f. Ulrich, H.G. 204 Vercruysse, J.E. 416 Vogel, H. 421, 496 Volf, M. 187, 438, 491 Vollenweider, S. 410f. Vollmer, G. 420f. Voss, F. 410-412, 415 Wagner, F. 2, 12, 29, 34, 37, 39, 98, 207, 253, 273, 313, 338, 392, 458 Waldenfels, B. 204f., 240, 299, 372, 395f., 431, 450, 469, 476f.

Wall, H. d. 490 Wallmann, J. 19 Walther, Ch. 54 Wannenwetsch, B. 433 Weirich, A. 30 Weischedel, W. 466 Welsch, W. 15, 384, 465 Wenz, G. 51, 62, 153, 221f., 225, 458 Werbick, J. 206, 458 Wermke, M. 493 Weyer-Menkhoff, S. 50, 52, 54 Wiebering, J. 226 Wiedenhofer, S. 213 Wilckens, U. 411 Willaschek, M. 380, 462 Wingert, L. 484 Wirsching, J. 25, 62, 66, 147 Witsch, N. 75, 83, 92 Wittgenstein, L. 314, 319, 321f., 329, 332, 337, 346, 363, 378, 382-385, 387, 465 Wobbermin, G. 11, 296 Woiwode, M. 231, 233 Wuchterl, K. 421 Wüstehube, A. 204 Wyller, T. 387 Wyman, W.E. 79 Zeindler, M. 180, 183, 213 Zelger, M. 50 Zumstein, J. 403, 414f. Zwanepol, K. 427