Tibull und seine Fortsetzer: Zweisprachige Gesamtausgabe. Lateinisch und deutsch 9783534266920, 9783534737154, 9783534737161, 3534266927

Albius Tibullus (55-19/18 v.Chr.), kurz Tibull, ist neben Properz und Ovid einer der wichtigsten Liebesdichter augusteis

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German Pages 247 Year 2015

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Tibull und seine Fortsetzer: Zweisprachige Gesamtausgabe. Lateinisch und deutsch
 9783534266920, 9783534737154, 9783534737161, 3534266927

Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Vorbemerkungen zu Text, Übersetzung und Kommentar
Tibull im Spiegel seiner Umwelt
Tibull im Vergleich mit Properz
Tibull und die Fortsetzer
Lygdamus
Panegyrikus auf Messalla
Sulpicia
Namenloser Tibullnachfolger im Würgegriff eines Knebelvertrags
Epigramm
Text und Übersetzung
Sigla
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Kommentar
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Bibliographie
Quellen
Schrifttum
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TIBULL UND SEINE FORTSETZER Zweisprachige Gesamtausgabe

Lateinisch und deutsch mit Einleitung und Kommentar, herausgegeben und übersetzt von DIETER FLACH

Meinen Freunden Dr. Friederike Langebartels und Dr. Detlev Stupperich gewidmet

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Erhard Hilbig, Paderborn Umschlaggestaltung: Neil McBeath, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-26692-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73715-4 eBook (epub): 978-3-534-73716-1

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Inhalt Vorwort ...................................................................................................... VII Einleitung Vorbemerkungen zu Text, Übersetzung und Kommentar ........................... 3 Tibull im Spiegel seiner Umwelt .............................................................. 11 Tibull im Vergleich mit Properz .............................................................. 15 Tibull und die Fortsetzer.......................................................................... 28 Lygdamus ................................................................................................. 28 Panegyrikus auf Messalla ........................................................................ 32 Sulpicia .................................................................................................... 35 Namenloser Tibullnachfolger im Würgegriff eines Knebelvertrags ........ 40 Epigramm ................................................................................................ 41 Text und Übersetzung Sigla ......................................................................................................... 44 Erstes Buch .............................................................................................. 46 Zweites Buch ............................................................................................ 98 Drittes Buch ........................................................................................... 128 Kommentar Erstes Buch ............................................................................................ 177 Zweites Buch .......................................................................................... 199 Drittes Buch ........................................................................................... 213 Bibliographie Quellen................................................................................................... 241 Schrifttum............................................................................................... 244

Vorwort Tibull und seine Fortsetzer legt dieser Band der Reihe ›Texte zur Forschung‹ erstmals als zweisprachige Gesamtausgabe vor, in der die handschriftliche Überlieferung ihrer drei Bücher bis auf drei Lücken im Gesamtumfang von kaum mehr als vier Versen nach den bewährten Grundregeln behutsamer Textkritik wiederinstandgesetzt ist. In der Einleitung werden die Dichter im Spiegel ihrer Schöpfungen vorgestellt und nach den Eigenheiten ihres Stils eingestuft. In dem Textteil geht es darum, den Grundgeboten der Textkritik, soweit sie verkümmerte oder in die Irre führte, wieder Geltung zu verschaffen. In die Übersetzung fließen die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit ebenso ein wie in den Kommentar. Beide Teile verklammert und verschränkt der Leitgedanke, in allen Zweifelsfragen Farbe zu bekennen und, soweit Irrtümer oder Versäumnisse bis heute den Zugang zu voraussetzungsreichen Anspielungen oder sprachlichen Feinheiten verbauen, die Fehler zu berichtigen und Mängel zu beheben. Erstmals in rhythmisierter Prosa ist der lateinische Wortlaut sämtlicher Gedichte in dem Bestreben verdeutscht, die größtmögliche Werktreue zu erzielen. Mit der nötigen Umsicht befolgt, verspricht diese Richtschnur, zu sichtbaren Fortschritten zu verhelfen. Je besser es glückt, die goldene Mitte zwischen gebundener und ungebundener Rede einzuhalten, desto deutlicher schlägt sich der Weg, den sie vorzeichnet, in dem doppelten Vorteil nieder, dass die Übersetzung den Satzbau getreuer widerspiegelt und die dichterische Note der Wortfolge markanter hervorkehrt. Von philologischer Seite wirkte Prof. Dr. Klaus Bringmann, von technischer Erhard Hilbig an dieser zweisprachigen Gesamtausgabe mit. Beiden treuen Freunden und langjährigen Weggefährten danke ich für ihre selbstlose Mitarbeit und ihren sachkundigen Rat. Frau Dr. Friederike Langebartels und Herrn Dr. Detlev Stupperich widme ich den Band zum Dank für die Anteilnahme, mit der sie meine Bemühungen um ein genaues Textverständnis begleiteten. Marburg, im September 2014

Dieter Flach

EINLEITUNG

Text Die geschliffene und geschmackssichere Sprache, die Quintilian an Tibull am höchsten schätzte1, trug gewiss dazu bei, dass die sechzehn Elegien, die er in zwei Büchern vorlegte, mit guten Aussichten, den Wortlaut der Urfassung zu treffen, nahezu vollständig wiederherzustellen sind. Das Gesamtbild trüben lediglich vier Lücken im Gesamtumfang von kaum mehr als fünf Versen. Von diesen vier braucht die erste nicht länger mitgerechnet zu werden, da der Vers 1,2,26 zwar ausgefallen ist, sein Umfeld aber hinlänglich absichert, aus den drei Bauteilen Prop. 3,16,20, Lygd. 6,10 und Ov. ars 1,127 das passende Verbindungsstück nec mihi se comitem denegat ipsa Venus zusammenzusetzen. Alle Versuche, die zweite, dritte und vierte Lücke wortgetreu zu füllen, müssen indessen scheitern. Zu groß sind die Spielräume, als dass die Mühe sich lohnen könnte, die verschollenen Verse 1,10,26, 1,10,27, 2,3,16 und 2,3,79 wiederherstellen zu wollen. Wohl aber erlaubt der Sinnzusammenhang, in dem sie jeweils stehen, ihren Inhalt ziemlich sicher zu erschließen. In V. 1,10,26 muss Tibull darin fortgefahren sein, die Hausgötter um ihre Hilfe zu bitten, in V. 1,10,27 ihnen gelobt haben, zum Dank für ihren Beistand Kostproben seiner Ernte darzubringen, in V. 2,3,16 in abhängiger Rede zu der Sage übergeleitet haben, Apollon habe als Stallknecht und Hirte des schönen Königssohns Admetos Kühe gemolken, um aus ihrer Milch Käse herzustellen, und in V. 2,3,79 sich die Szene ausgemalt haben, dass verliebte Männer, ohne vor verschlossener Tür zu sitzen, in kalten Nächten ausharren. Die übrigen Mängel halten sich in Grenzen und sind, soweit sie nicht schon längst erkannt und behoben sind, mit behutsamen Texteingriffen leicht auszumerzen. So sehr auch grundsätzlich zu begrüßen ist, dass Friedrich Walter Lenz in seiner großen Textausgabe jüngere Lesarten humanistischer Herkunft und Konjekturen neuzeitlicher Gelehrter verzeichnete, so deutlich schält sich doch heraus, wie oft die Fehler nicht den Schreibern, sondern Herausgebern anzulasten sind, die richtige Fassungen vorschnell verwarfen oder vermeintliche Verbesserungen ungeprüft übernahmen. Diese Irrtümer und Versäumnisse wirken zu einem nicht geringen Teil bis heute fort und haben sich verschiedentlich vermehrt. Deshalb sei in aller Kürze aufgelistet, wo es nach den Grundregeln der Textkritik und Eigengesetzen der Verskunst geboten scheint, von Wortlaut oder Zeichensetzung seiner noch immer unentbehrlichen Editio maior abzuweichen.

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Quint. inst. 10,1,93: elegia quoque Graecos provocamus, cuius mihi tersus atque elegans maxime videtur auctor Tibullus ...

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Einleitung

Nach diesen Maßstäben ist in V. 1,4,44 amiciat zu halten, statt zu anticipet abzuändern, sind in V. 1,5,47 hinter mihi statt eines Kommas ein Doppelpunkt und hinter amator statt eines Semikolons ein Komma zu setzen, in V. 1,5,61 pauper erit praesto tibi praesto, pauper adibit statt pauper erit praesto semper, te pauper adibit zu lesen, in V. 1,6,42 stet procul zu belassen statt anzuzweifeln, in V. 1,6,72 inmerito in die Präposition in und das Adverb merito aufzuspalten, in V. 1,7,49 eher centum ludos als Genium ludis aufzugreifen, in V. 1,8,50 die Satzzeichen vor und hinter puella besser zu streichen, in V. 1,8,53 vae miser statt vel miser und in V. 1,9,40 sic statt sed voranzustellen, in V. 1,9,44 besser sed zu halten als durch et zu ersetzen, in V. 1,10,23 ipsa zu verteidigen statt von jüngeren Handschriften ipse zu übernehmen, in V. 1,10,38 puppis stehen zu lassen, statt auf turpis auszuweichen, in V. 1,10,57 nach Joseph Justus Scaliger subfusa statt nach der Überlieferung subtusa zu lesen, in V. 2,1,58 auxerat zu halten, statt nach jüngeren Handschriften zu duxerat abzuändern, in V. 2,2,5 hinter honores ein Doppelpunkt statt eines Kommas und in V. 2,2,6 hinter comas ein Komma statt eines Punkts zu setzen, in V. 2,2,22 aus den älteren Handschriften et statt aus den jüngeren ut abzudrucken, in V. 2,3,47 aus dem Florilegium Tibullianum mihi statt aus den gängigen Codices tibi zu verwerten, in V. 2,4,10 die farbigere Lectio difficilior vitrei der blasseren Lesart vasti vorzuziehen, am Ende von V. 2,5,70 ein Doppelpunkt statt eines Kommas und Gedankenstrichs zu setzen und in V. 2,5,71 hinter signa ein Doppelpunkt statt hinter cometen ein Beistrich einzufügen. Von dieser Ausgangslage der Textüberlieferung hebt sich in drei Punkten ab, wie es um die Handschriften und Druckwerke bestellt ist, in denen neunzehn Elegien und ein Panegyrikus, die durchweg von Fortsetzern stammen, zu einer Gedichtsammlung gebündelt sind. Der erste: Soweit es sich überblicken lässt, ist von diesem – mittlerweile gemeinhin als drittes Buch gezählten – Anhang kein einziger Vers verlorengegangen. Der zweite: Von V. 3,4,65 ab kann auf Lesarten des Rests einer zuverlässigeren Handschrift zurückgegriffen werden, die nicht selten von den Auskünften aller übrigen Codices abstechen. Mittlerweile ist dieses Bruchstück, das nach dem Zwischenstand, dass der große Rechtsgelehrte Jaques Cujat es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts besessen hatte, den Namen Fragmentum Cuiacianum trägt, zwar längst verschollen. Zum Glück aber hat es sein weltläufiger Schüler Joseph Justus Scaliger eingesehen und die Abweichungen, die er feststellte, in sein Exemplar jener Tibullausgabe eingetragen, die das Antwerpener Druck- und Verlagshaus Christoph Plantin im Jahr 1569 herausbrachte. In den Grenzen, die ihm der Umfang dieses Funds setzte, erwarb er sich mit seinem Textvergleich ähnliche Verdienste wie der Humanist Angelo Ambrogini Poliziano, als er 1482 in seinem Exemplar der Erstausgabe römischer Agrarschriftsteller, die Giorgio Merlani zehn Jahre zuvor in

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Venedig herausgebracht hatte, Zeile für Zeile vermerkte, wo und worin sie von dem im Kloster San Marco seiner Heimatstadt Florenz verwahrten, spätesten aber seit dem 18. Jahrhundert verschollenen Codex Marcianus abwich.2 Der dritte: Öfter als Tibull im ersten und zweiten Buch müssen seine Fortsetzer im dritten vor Missverständnissen bewahrt werden, die ihre Verskunst in ein schlechteres Licht rücken, als sie es verdienen. Verschiedentlich hat die Textkritik Blüten getrieben, deren Auswüchse dichterisch durchaus ansprechende Verse wie Unkraut überwuchern. In vier hartnäckigen Verdachtsfällen genügt es nicht, sich auf den handschriftlichen Befund oder neuzeitliche Heilungsversuche zu verlassen, sondern muss zur Wiederherstellung des ursprünglichen Wortlauts behutsamer als bisher eingegriffen werden. Wie sich diese Vorgehensweise auswirkt und in welchen Ergebnissen sie sich niederschlägt, ist am leichtesten zu ermessen, wenn die Abweichungen vom Wortlaut der beiden Ausgaben, die zwei so erfahrene Kenner römischer Liebesdichtung wie Friedrich Walter Lenz und Hermann Tränkle im Abstand von knapp zwanzig Jahren vorlegten, Vers für Vers verzeichnet werden. Zu diesem Zweck angestellt, schlägt der durchgängige Vergleich mit ihren beiden Druckfassungen der Gedichtsammlung wie folgt zu Buche: In 3,1,8 lese ich wie Lenz tuis, in 3,1,10 wie Tränkle pumex et, in 3,1,11 wie Lenz chartae, in 3,1,12 wie Lenz facta, in 3,1,19 wie Lenz referet, si nostri und cura est, in 3,2,15 anders als beide rogalem, in 3,2,19 wie Lenz spargent, in 3,2,20 anders als beide ut iam, in 3,2,23 wie Lenz illic, in 3,3,36 wie Lenz neunt, in 3,3,38 anders als beide Ditis, in 3,4,3 wie Lenz vani, in 3,4,4 anders als beide vobis, in 3,4,9 wie Lenz natum in curas, in 3,4,11 wie Lenz illi, in 3,4,12 wie Lenz volent, in 3,4,26 wie Lenz nec videt illud opus, in 3,4,28 anders als beide Tyrio und wie Lenz myrtea, in 3,4,42 wie Tränkle dulci tristia, in 3,4,49 wie Lenz dico, in 3,4,50 wie Lenz quodque, in 3,4,59 wie Lenz suas, in 3,4,66 anders als beide verbera saeva, in 3,5,3 anders als beide maxima, in 3,5,7 anders als beide deorum, in 3,5,8 wie Lenz docere, in 3,5,11 wie Lenz sacrilegi … amovimus aegros, in 3,6,2 anders als beide geras, in 3,6,3 anders als beide pariter – sc. hedera – medicante, in 3,6,21 wie Lenz convenit … severos, in 3,6,41 wie Lenz sic, in 3,6,44 wie Lenz tuo, in 3,6,46 wie Lenz sordida … fide, in 3,6,47 wie Lenz iuravit, in 3,6,55 wie Lenz inimica merenti, in 3,6,62 anders als beide in liquidum, in 3,6,63 anders als beide Tyrio, in 3,7,1 wie Lenz me, in 3,7,2 wie Lenz nequeant, in 3,7,3 wie Lenz at meritas, in 3,7,13 anders als beide terris, in 3,7,21 wie Lenz et … qua, in 3,7,37 wie Tränkle potior, in 3,7,55 wie Tränkle captos, in 3,7,63 wie Lenz aptaque, in 3,7,82 wie Lenz nam, in 3,7,88 wie Lenz et, in 3,7,91 wie Lenz celeremve, in 3,7,97 wie Lenz amplior, in 3,7,98 anders als beide venient, in 3,7,112a anders als beide saecula famae, in 3,7,113 anders als beide renovaverat, in 3,7,116 2

Das eine dieser beiden einmaligen Exemplare kann in Leiden in der Staatsbibliothek seiner Universität, das andere in Paris in der Nouvelle Bibliothèque Nationale eingesehen werden.

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anders als beide Domator, in 3,7,129 anders als beide sint muta silentia, in 3,7,142 anders als beide aret Arectaeis aut unda perhospita, in 3,7,144 wie Lenz nec, in 3,7,164 wie Lenz nulla, in 3,7,169 wie Lenz vertitur, in 3,7,173 wie Tränkle confinditur, in 3,7,181 wie Lenz non, in 3,7,185 wie Tränkle messes, in 3,7,196 wie Lenz parvum, in 3,8,23 anders als beide haec sumet, in 3,9,21 anders als beide at, in 3,10,6 wie Lenz pallida, in 3,10,25 wie Tränkle tunc, in 3,11,9 wie Lenz mane, in 3,12,3 wie Lenz tota, in 3,12,15 anders als beide quod optet, in 3,12,19 wie Lenz sis iuveni grata, im selben Vers anders als beide ut veniet, in 3,12,20 wie Lenz votis iam vetus extet, in 3,13,1 wie Lenz pudori, in 3,14,6 anders als beide neu tempestivae saeve propinque viae, in 3,14,8 wie Tränkle quoniam, in 3,15,2 wie Lenz suo, in 3,15,3 wie Lenz natalis, in 3,15,4 wie Lenz nec opinanti, in 3,17,1 anders als beide placiture, in 3,19,16 anders als beide tibi und in 3,20,3 wie Lenz facta. Allein in diesen 83 Textfragen stellt der Befund den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schreibern gemeinhin ein besseres Zeugnis aus als den Herausgebern. In nicht weniger als 72 ist die jeweils beste Lesart durchaus zu vertreten, und in den übrigen elf können leicht erklärbare Textverderbnisse schonend geheilt werden. In 3,1,8 kehrte schon Marc Antoine Muret meis zu tuis um, in 3,2,15 braucht rogate nur zu rogalem, in 3,2,20 etiam lediglich zu ut iam verbessert zu werden. In 3,4,4 stellte bereits Joseph Justus Scaliger vobis aus votis her. In 3,6,3 genügt es, medicando zu medicante sc. hedera abzuändern, um die zu Unrecht verdächtigte Lesart pariter zu retten. In 3,6,21 berichtigte bereits Carl Lachmann die beiden Verschreibungen non venit und severus zu convenit und severos. In 3,6,62 ist der Fehler erkannt und behoben, wenn der Buchstabe -i mit einem Dach oder Balken in der Vorlage stand und entweder schon ein Vorgänger oder erst Joseph Justus Scaliger es versäumte, diese gängige Abkürzung zu der Präposition in aufzulösen. In 3,7,142 tilgte bereits Carl Lachmann den Buchstaben -d, um ardet zu aret zu verbessern. In 3,12,19 fügte schon Anton Eberz die Konjunktion ut vor veniet ein, und in 3,12,20 ersetzte bereits Emil Baehrens die Lesart esset durch die seltenere Wortform extet. In einem Abstand von mehr als vier Jahrzehnten glückte es ihnen so mit vereinten Kräften, den Schachtelsatz sis iuveni grata ut, veniet cum proximus annus, hic idem votis, iam vetus, exstet amor instandzusetzen. In 3,14,6 tauschte schon Karl Mras das sinnwidrige Adverb saepe gegen den Vokativ saeve aus. In allen diesen elf Streitfällen lassen sich nicht nur die Fehler ohne tiefe Einschnitte ausmerzen, sondern auch ihre Ursachen klar erkennen. Im ersten wurde tuis schon im Grundstock der sich im Mittelalter verzweigenden Textüberlieferung von meis verdrängt, weil ein Schreiber übersehen hatte, dass von V. 7 an die Musen sich äußern. Im zweiten rührte die Verschreibung rogate von den beiden Stolpersteinen her, dass selbst die Dichter das von rogus, »Scheiterhaufen«, abgeleitete Eigenschaftswort rogalis nur selten wählten und die Endsilbe -lem seines Akkusativs vollends verwirrte, wenn sie

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zu -lê abgekürzt war. Im dritten war in dem endlos langen Satzgefüge, in dem der Vers mox ut iam niveo fundere lacte parent stand, leicht zu übersehen, dass das Adverb mox, wurde es der Konjunktion ut vorangestellt, einen Absichtssatz einleitete. Im vierten lesen die Herausgeber noch immer mit François Guyet in nobis statt mit Joseph Justus Scaliger in vobis, weil sie nach wie vor verkennen, dass Lygdamus die Träume in dem gleichen ungehaltenen Ton, in dem er sie mit dem Vokativ vani als »windige Gesellen« anredet, mit der Zurechtweisung »Hört auf, bei euresgleichen Glauben zu vermissen!« anzuherrschen fortfährt. Im fünften schleppte ein Schreiber den zählebigen Fehler ein, das Partizip medicante gegen das Gerundium medicando auszuwechseln. Nur deswegen zertrümmerten die Herausgeber den heil gebliebenen Baustein pariter, obwohl der Ablativ hedera vom vorherigen bis in diesen Vers hinein fortwirkt, um das Adverb pariter gemeinsam mit dem Partizip medicante zu umrahmen. Im sechsten verleitete zu dem Trugschluss, convenit … severos müsse zu non venit … severus berichtigt werden, die Hürde, dass das Verb convenire in der Sprache der Dichter seltener als in der des Volkes den Akkusativ nach sich zieht, wenn von Menschen die Rede ist, mit denen jemand verkehrt. Im siebten hätte Joseph Justus Scaliger die Präposition in mit dem Imperativ i verwechselt, sollte er erst, wie er in 3,7,193 ausi zu ausim aufzulösen versäumte, übersehen haben, dass sie zu î abgekürzt war. Im achten verführte ein in der Liebesdichtung so verbreitetes Verb wie ardere, »(vor Leidenschaft) brennen«, dazu, aret zu der nahezu gleichlautenden Wortform ardet zu verschreiben. Im neunten konnte ein Schreiber leicht darüber stolpern, dass aus dem Nebensatz veniet cum proximus annus das Prädikat herausgerückt ist, im zehnten einer, der iam vetus nicht prädikativ auffasste, schon allein durch die Wortstellung versucht sein, exstet zu esset zu glätten. Im elften überfordert Sulpicia Leser, denen entgeht, dass sie ihren mit der unpünktlichen Reise seiner Nichte hadernden Onkel Messalla hintersinnig mit Achill, dem Priamos und Agamemnon grollenden Helden der Ilias, vergleicht. In ihrer Wortwahl, ihn mit neu tempestivae saeve propinque viae im Vokativ anzureden, klingt eher verschmitzt als tiefernst nach, wie Vergil, Aeneis 1,458, mit saevom ambobus Achillem kurz und bündig die Gemütsverfassung dieses Halbgotts schilderte. Im dritten Buch, so stellt sich kurzum heraus, bleibt keine einzige Textverderbnis zurück, die nicht nach den bewährten Grundsätzen verantwortungsbewusster Textkritik zu heilen wäre. Während sich im ersten und zweiten drei von vier Lücken nicht mehr sicher schließen lassen, können im dritten sämtliche Gedichte von Anfang bis Ende lückenlos wiederinstandgesetzt werden. Auf den ersten Blick mag dieser Befund überraschen, da sich die Fortsetzer, so stark auch das Niveau ihrer Gedichte schwankte, im Durchschnitt nicht so geschliffen ausdrückten wie Tibull. Auf den zweiten aber zeigt sich, wie viel dem Glücksfall zu verdanken ist, dass der große Rechtsgelehrte Jacques Cujat

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Einleitung

seinem Meisterschüler Joseph Justus Scaliger die Aufgabe übertragen hatte, den Rest einer verstümmelten Handschrift auszuwerten, die zahlreiche Lesarten der übrigen Codices als unnötige Eingriffe oder zu tiefe Einschnitte in heiles Fleisch entlarvt. Wäre dieser Schatz in die falschen Hände geraten und, ohne Spuren zu hinterlassen, abhandengekommen, hätte aller Scharfsinn so überzeugende Lesarten wie saeva in 3,4,66, hoc sc. viro in 3,4,80, succincta in 3,4,89, trita in 3,5,10, qualis quantusque in 3,6,23, in in 3,6,62, nequeant in 3,7,2, at in 3,7,3, quaque index in 3,7,30, nam quis te in 3,7,39, lothos in 3,7,55, inter geminae in 3,7,70, arupinis in 3,7,110, perhospita in 3,7,142, igitur in 3,7,161, ierint in 3,7,175, fecundas ad deficienda in 3,7,185, ante actos in 3,7,189, vincere in 3,7,200, celerem in 3,7,205, quandocumque in 3,7,210, pr(o)elia in 3,9,3, qui mihi in 3,11,1, neu quis in 3,12,7, iam licet in 3,15,2 oder lento in 3,17,6 schwerlich erschließen können. In der Gesamtschau bestätigt sich somit wie so oft, dass die mittelalterliche Überlieferung antiker Texte besser ist als ihr Ruf. Bis auf drei Lücken im Umfang von kaum mehr als vier Versen kann das ehrgeizige Ziel, den Wortlaut der Urfassung nach den bewährten Grundregeln behutsamer Textkritik so getreu wie möglich wiederherzustellen, bei Tibull und seinen Fortsetzern so zuversichtlich verfolgt werden wie bei Properz.3 Bei den vier Gedichtbüchern, die er hinterlassen hat, wiegt dieses Gesamtergebnis um so schwerer, als sich in einem ›Thesaurus criticus ad Sexti Propertii textum‹ vom Jahr 1970 auf nicht weniger als 166 Seiten niedergeschlagen hat, welche Tücken seine anspruchsvolle Dichtersprache birgt. Mit überdurchschnittlichen Erfolgsaussichten zu erzielen war es nur auf dem Fundament der älteren Textüberlieferung, wie sie der Codex Neapolitanus, nunc Guelferbytanus Gudianus aus der Zeit um 1200 n. Chr. verkörpert.

Übersetzung In einer zweisprachigen Gesamtausgabe, die sich um Werktreue bemüht, müssen Text und Übersetzung so eng wie möglich miteinander verzahnt sein. Je besser es gelingt, einem so ehrgeizigen Ziel nahezukommen, desto merklicher schmilzt der Wissensvorsprung, den der antike Leser dem heutigen von Natur aus voraushatte. Von diesem Leitgedanken war die Richtung vorgezeichnet, in der lateinischen Fassung zwischen Editio maior und minor, in der deutschen zwischen gebundener und ungebundener Rede einen Mittelweg 3 Zu der Werktreue dieses Bestands mittelalterlicher Textüberlieferung vgl. Flach, Properz, Elegien, 17: »Der Gesamtbestand an einschlägigen Handschriften reicht dazu aus, das Werk, das Properz der Nachwelt hinterlassen hat, ohne massive Eingriffe oder umfängliche Ergänzungen zur Gänze wiederherzustellen. Weder enthält er Lücken, die nicht sorgsam zu schließen, noch Textverderbnisse, die nicht schonend zu heilen wären.«

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einzuschlagen. Je zielstrebiger er beschritten wird, desto klarer treten die beiden Vorteile hervor, dass die Wortstellung genauer gewahrt und ihre dichterische Note getreuer bewahrt bleibt. Welche Feinheiten zum Vorschein kommen, wenn er entschlossen verfolgt wird, erhellen sprechende Beispiele besser als allgemeingültige Aussagen über den richtigen Weg. Drum seien wenigstens einige der zahllosen Belege angeführt, die es schlagend beweisen. In 1,2,93 ist, nach dem vergleichbaren Satzbau der Distichen 1,2,19–20 und 1,2,41–42 zu urteilen, velle auf componere mitzubeziehen, obwohl es erst im nächsten Vers hinter fingere nachfolgt. In 1,5,6 verwehrt die Wortstellung so sicher wie der Gedankengang, post haec dem vorhergehenden Satz zuzuschlagen. In 1,5,47 begründet der Nebensatz quod adest huic dives amator die nachfolgende, nicht die vorhergehende Aussage. In 1,5,61 hält der handschriftliche Befund mit der Zeichensetzung pauper erit praesto tibi praesto, pauper adibit schon deshalb der Nachprüfung stand, weil sonst an der Anapher pauper … pauper gerüttelt werden müsste. In 1,6,72 gebieten Satzbau und Kontext, inmerito als in merito zu lesen und mit pronas … vias zu verknüpfen. In 1,10,70 gibt die Wortstellung den Fingerzeig, candidus ante sinus mit »vorher weißer Bausch« zu übersetzen und daraus zu schließen, dass die Toga sauber war, bis Obst ihren Faltenwurf verfleckte. In 2,5,84 schildert plena Ceres als prall, nicht die Scheunen, die sie in fetten Jahren bersten lässt, als voll. Wie alle römischen Dichter und Schriftsteller wandte Tibull sich an gebildete Leser, die seine Muttersprache so weit beherrschten und seine Welt gut genug kannten, um Anklänge heraushören und Anspielungen verstehen zu können. Diesen Wissensvorsprung vermag kein Übersetzer aufzuheben, mag er sich auch noch sehr bemühen, ihn so weit wie möglich auszugleichen. Wohl aber kann er anstreben, bildhafte Redewendungen so getreu wie möglich in seiner Muttersprache wiederzugeben. Vor allem die deutsche Volkssprache ermutigt dazu auffällig oft. In welchem Maße sie von Rückübersetzungen zehrt, spiegelt sich etwa darin wider, dass so gängige Ausdrücke wie »Hand anlegen«, »den Daumen auflegen«, »nicht von der Seite weichen«, »das hohe Lied singen«, »sich eine Blöße geben« oder »weggehen« im Sinne von »verschwinden« letztlich in der lateinischen wurzelten und dass das Grundwort texere, je nachdem, ob in oder sub als Vorsilbe davorgesetzt ist, von »verweben« zu »vertexten« oder von »weben« zu »texten« hinübergleitet.4 Vom Altertum zur Neuzeit durchläuft eine bildhafte Wortwahl mitunter freilich einen Bedeutungswandel, der ihren Sinn auf eine andere Ebene verschiebt. Davon zeugt etwa, dass ein römischer Liebesdichter nicht an eine wilde, sondern eine stürmische Ehe dachte, wenn er von einem coniugium

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Beidemal im Panegyrikus auf Messalla, zunächst am Anfang, in 3,7,5, dann am Ende, in 3,7,211.

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ferum sprach5, oder dass fovere, »warmhalten«, in seinem Wortschatz erotisch eingefärbt war6, während sein deutsches Gegenstück zu der Redewendung »sich jemanden warmhalten« verblasste. Wie sehr sich die Mühe lohnt, die Verwandtschaft beider Sprachen auszuloten, veranschaulicht kein Beispielfall klarer als die Versreihe 2,4,7–10. »O wieviel lieber wollte ich«, klagt Tibull im Ton tiefster Verzweiflung sein Liebesleid, »um nicht verspüren zu können solche Qualen, auf eiskalten Bergen Felsgestein sein oder standhalten als tobenden Winden trotzendes Riff, an das schiffbrecherisch hämmerten die Wogen des gläsernen Meeres.« In dem zweiten dieser beiden Distichen erfordert die Bildkraft seiner Sprache einen wachen Sinn für Feinheiten. Dazu, das Eigenschaftswort naufragus zu wählen, regte ihn an, dass bereits Horaz seinen Inhalt von »schiffbrüchig« zu »schiffbrecherisch« verschob, als er in V. 10 der Ode 1,16 von einem mare naufragum sprach. Die Wortbildung »schiffbrecherisch« kennt der deutsche Sprachschatz zwar nicht, wohl aber eine so gängige wie »halsbrecherisch«, die sie hinlänglich nachempfinden hilft. Keiner sprachschöpferischen Lösung bedarf es, um das Zeitwort tundere so genau wie möglich zu verdeutschen. Das kräftige Bild, dass die Wogen des sturmgepeitschten Meeres mit der Wucht eines Hammers an Felswände schlagen, ist so geläufig wie eh und je geblieben. Weshalb aber sollte Tibull das Meer gläsern genannt haben? Mit dieser Wortwahl überforderte er schon den Mönch, der vitrei zu vasti glätten zu müssen meinte. Nicht von ungefähr bewahrten den ursprünglichen Wortlaut nur die beiden ältesten und zuverlässigsten aller verfügbaren Handschriften, der Codex Ambrosianus vom Jahr 1374 und der Codex Vaticanus Latinus 3270 aus der Zeit um 1425. Alle anderen vererbten und verfestigten den Fehler, die leichtere Lesart vasti der schwierigeren Lesart vitrei vorzuziehen. Nicht genug damit, versäumten es die Herausgeber durchweg, ihn zu berichtigen, obwohl ihre Entscheidung gegen die wichtigste Grundregel einfühlsamer Textkritik verstieß und auf den Widersinn hinauslief, dass sich der Schreiber des Codex Ambrosianus dichterischer ausgedrückt haben müsste als der Dichter. Wiederum ist es Horaz, der das Rätsel lösen hilft. Im Vers 2,3,222 seiner Satiren verwandte er das gleiche Sprachbild, als er die Eigenschaft, leicht zu zerspringen, vom Glas auf den Ruhm übertrug. Nicht etwa als gleißnerisch, sondern als zerbrechlich wie Glas schätzte er den vergänglichen Ruhm ein, wenn er ihn zur vitrea fama erklärte. Darin bestärken so schlagende Beweise wie die vergleichbaren Beispielfälle, dass der Kirchenvater Augustinus in De civitate dei 4,3. p. 149,7 Dombart/Kalb den vergänglichen Jubel aus dem gleichen Grund gläsern nennt wie Publilius Syrus sent. 189 das vergängliche 5 6

So Lygdamus in 3,4,74. So etwa Tibull in 1,6,6 und 1,8,30 oder Properz in 2,18,9 und 2,22,37.

Kommentar

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Glück. In dem deutschen Reim »Glück und Glas, wie leicht bricht das« lebt das lateinische Sprichwort fortuna vitrea est: tum, cum splendet, frangitur zeitlos gültig fort. Als gläsern betrachtete Tibull das Meer kurzum deshalb, weil es sich leicht wie Glas an der Felswand brach, wenn ein Sturm es so heftig peitschte, dass sein Wellengang an das Riff eines Kaps hämmerte. Ärmer als der deutsche Sprachschatz, bringt der lateinische vergleichsweise oft die Qual der Wahl mit sich, in einer großen Bandbreite von Möglichkeiten zu entscheiden, welche Wortbedeutung den Sinn am ehesten trifft. Je zielstrebiger und beharrlicher die Fingerzeige des Dichters, die Eigenheiten seiner Verskunst und die Merkmale des Satzbaus zum Gradmesser genommen werden, desto sicherer können zwar die Spielräume eingeengt werden. Mitunter verbleiben aber gleichwohl noch Geschmacks- und Ermessensfragen, die keine eindeutige Antwort zulassen. In diesen Zweifelsfällen gebietet es die Redlichkeit, die Wahlmöglichkeiten zu benennen. Soweit sie nicht näher begründet werden müssen, sind sie bereits in der Übersetzung vermerkt. Die übrigen Zweifelsfragen werden jeweils im Kommentar erörtert.

Kommentar Den Kommentar verklammert mit der Übersetzung das Ziel, den Wissensvorsprung des römischen Lesers so weit wie möglich und so oft wie nötig wettzumachen. Darauf ist er nach seinen Gesetzen abgestimmt wie sie nach ihren. Von gelehrtem Beiwerk entlastet, das von diesem Ziel abführt, kann er in dem Maße knapper gehalten werden, in dem er es ohne Umschweife verfolgt. Davon ist geprägt, wie die Gewichte verteilt sind. Während die Sacherklärungen nur dort breiteren Raum einnehmen, wo Schwierigkeiten zu klären und Missverständnisse auszuräumen sind, müssen die Worterklärungen weitaus häufiger näher begründet werden. Auf diesem Gebiet waren schwerer wiegende Versäumnisse festzustellen und größere Mängel zu beheben, da die Textkritik in vielen Streitfällen zur Nachbeterei verkümmerte oder zur Besserwisserei ausartete.

Tibull im Spiegel seiner Umwelt Als Tibull um das Jahr 18 v. Chr. starb7, widmete ihm der zeitgenössische Dichter Domitius Marsus den Nachruf: 7

Zu dem – letztlich fruchtlosen – Meinungsstreit über das Jahr seines Todes, vgl. Avery, CJ 55, 1960, 205–209, Buchheit, Philologus 109, 1965, 119, Gerressen, Tibulls Elegie 2,5 und

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Te quoque Vergilio comitem non aequa, Tibulle, Mors iuvenem campos misit ad Elysios, ne foret aut elegis molles qui fleret amores aut caneret forti regia bella pede. »Dich auch, Tibull, sandte als Vergils Leidensgefährten ein nicht recht und billiger Tod im frühen Mannesalter zu den elysischen Gefilden, damit es niemanden gebe, der entweder in Elegien zarte Liebesklagen anstimmte oder von Königskriegen sänge im Heldenliedversfuß.« In dem Versmaß der Elegie, dem Distichon, dichtete Tibull seine Liebeslieder, in dem des Heldenepos, dem Hexameter, Vergil die Aeneis. In so dichtem Abstand sah Domitius Marsus mit dem Tod ihrer namhaftesten Vertreter beide Gedichtgattungen verwaisen. Nüchterner fiel der fast ebenso kurze Lebenslauf aus, dessen letzter Satz sich auf diesen Nachruf bezog: Albius Tibullus, eques Romanus, insignis forma cultuque corporis observabilis, ante alios Corvinum Messalam originem dilexit, cuius etiam contubernalis Aquitanico bello militaribus donis donatus est. hic multorum iudicio principem inter elegiographos obtinet locum. epistolae quoque eius amatoriae, quamquam breves, omnino utiles sunt. obiit adolescens, ut indicat epigramma supra scriptum. »Albius Tibullus, ein durch sein gutes Aussehen auffallender und sein gepflegtes Äußere die Blicke auf sich ziehender römischer Ritter, schätzte Corvinus Messalla vor allen Anderen als Born – in dessen Stab auf dem Feldzug sein Begleiter, wurde er im Aquitanienkrieg sogar mit militärischen Ehrengaben beschenkt. Dieser nimmt nach dem Urteil Vieler den Spitzenplatz unter den Elegienschreibern ein. Auch seine Liebesbriefe sind, obwohl nur kurz, alles in allem brauchbar. Gestorben ist er als junger Mann, wie das oben angeführte Epigramm anzeigt.« Inniger als Domitius Macer hätte Horaz von Tibull Abschied nehmen können, doch widmete er seinem jüngeren Freund nur zwei Gedichte, die er in den zwanziger Jahren verfasste. In dem einen, dem Brief 1,4, redete er ihn als aufrichtigen Beurteiler seiner Satiren an, dem die Götter so hohe Gaben und Vorzüge wie edle Gesinnung, gutes Aussehen, die Kunst, die Segnungen des Wohlstands zu genießen, Liebenswürdigkeit, Unbescholtenheit und Gesundheit verliehen, in dem anderen, der Ode 1,33, sucht er ihn mit dem Rüstzeug seiner Lebenserfahrung zu trösten. Selber mittlerweile abgeklärt, rät er ihm davon ab, in Liebesliedern allzu sehr sein Leid über die Schmach zu klagen, Vergils Aeneis, 35. 50–72, McGann, Latomus 29, 1970, 774–780, Della Corte, Maia III.36, 1984, 247–248, und Dettmer, in: ANRW II 30.3, 1983, 1968.

Tibull im Spiegel seiner Umwelt

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dass seine Glykera sich einem Jüngeren zugewandt habe. Mit diesem Kosenamen, dem der Maler Pausias nach Plin. nat. 35,125 zu Weltruhm verhalf, redet Tibull allerdings weder im ersten noch im zweiten Buch irgendein weibliches Wesen an. Doch mag er ihn, um eine Schönheit als lieblich zu preisen, in Liebesgedichten gewählt haben, die er nicht veröffentlichte, nachdem ein so sachkundiger Dichter wie Horaz sie gelesen und beurteilt hatte. Doch ist genauso gut denkbar, dass Horaz der Geliebten, von der Tibull enttäuscht ist, aus freien Stücken denselben Kosenamen wie der verführerischen Schönen beilegt, die er nach seiner Schilderung in den Oden 1,19 und 1,30 selber mit wechselndem Glück umwarb. Verfuhr er so, hätte die Namensgleichheit um so nachdrücklicher unterstrichen, dass er auf diesem Gebiet mitreden kann. Nach Lage der Dinge kann darüber nur gerätselt werden. Schon eher lohnt sich da die Mühe, der Frage nachzugehen, in welchem Sinne Tibull, wie es in dem kurzen Lebenslauf zu lesen ist, seinen Gönner Messalla als origo schätzte. Soweit die Gelehrten den jüngeren Handschriften darin folgten, originem gegen oratorem auszuwechseln, wichen sie dieser Frage glücklos aus. Was hätte einen Schreiber dazu verleiten können, ein so geläufiges Wort wie orator im Akkusativ zu dem gewählteren Ausdruck origo abzuändern? Gewiss wird Tibull es zu schätzen gewusst haben, dass er mit einem Puristen wie Messalla vertraut genug verkehrte, um sich mit ihm über Geschmacksfragen des Stils austauschen zu können.8 Doch weist der Lebenslauf in eine andere Richtung, hebt er doch im Nachsatz hervor, dass Tibull im Stab seines Gönners an dem Feldzug gegen die Aquitanier teilnahm und mit militärischen Ehrengaben beschenkt wurde. Sicherlich wird seinem Verfasser dabei nicht vorgeschwebt haben, dass Tibull ihn als Einnahmequelle schätzte. Weitaus eher spielte er vielmehr auf die Anregungen und Einblicke an, die er seinem Nahverhältnis zu dem erfolgreichen Heerführer und Staatsmann verdankte. Die Rolle, die er im Aquitanischen Krieg spielte, spiegelt als eines von mehreren Beispielen wider, mit welchem Recht Tibull seinen Freund und Gönner als »Born« seiner Dichtkunst betrachten konnte. In der 7. Elegie des ersten Buchs rühmte er sich nicht etwa, zum Sieg maßgeblich beigetragen zu haben, sondern dankte er dem Befehlshaber, den er 28/27 v. Chr. als junger Mann auf seinem Feldzug begleitete, als Zeitzeuge für die hohe Ehre, dass er als contubernalis das Zelt oder Quartier mit ihm teilen durfte, um gemeinsam mit Altersgenossen gleicher Herkunft Einblick in den gehobenen Heeresdienst zu gewinnen. Zu den Kriegsschauplätzen im Süden Frankreichs schweift er nur ab, um den Hintergrund auszuleuchten, vor dem er den Triumph begeistert

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Zu dieser Geistesverwandtschaft vgl. die Zeugnisse, die ihm die Ciceronianer Seneca contr. 2,4,8 und Quintilian inst. 10,1,113 ausstellen.

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mitgefeiert haben wird, den Messalla am 25. September des Jahres 27 v. Chr. vor einer jubelnden Menschenmenge hielt.9 Im selben Gedicht streift Tibull, ohne ihn nochmals mit Namen zu nennen, bloß im Vorübergehen, in welche Gebiete Messalla einrückte, um von Kilikien über Palästina bis nach Ägypten vorzustoßen. Auf diesen Feldzug, an dem er selber nicht teilnahm, spielt er nur an, um von den Schauplätzen des Bürgerkriegs mit Marcus Antonius und Kleopatra zu den Fortschritten überzuleiten, die Ägypten seiner Allgottheit Osiris verdankte.10 Von den Wirren der Bürgerkriege lenkt Tibull schließlich den Blick auf die Anfänge des Zeitalters, dem Augustus den Stempel aufdrücken sollte. Nun, da Friede eingekehrt war, bestritt Messalla von seiner Kriegsbeute die hohen Kosten für das wichtige Projekt, die Via Latina von der Porta Capena bis zu den Ausläufern der Albanerberge zu einer dauerhaft gut begeh- und befahrbaren Überlandstraße auszubauen.11 Als Liebesdichter von Natur aus unkriegerisch, begrüßte Tibull die Segnungen der augusteischen Friedensordnung von ganzem Herzen. Je weiter er sich dem neuen Zeitgeist öffnete, desto enger band er Messalla in die friedliche Welt seines Dichtertums ein. In der Elegie, mit der er sein zweites Gedichtbuch einleitet, weist er der Landbevölkerung die Rolle zu, ihn zur Feier ihres Grenzgangfests hochleben zu lassen, und bittet er ihn, ihm Eingebungen einzuhauchen, wenn er den Schutzgottheiten des Landbaus in Wort und Ton dankt.12 In der fünften Elegie seines zweiten Gedichtbuchs schimmert die augusteische Friedensordnung in dem Festakt durch, dass Marcus Valerius Messalla Messallinus, der 36 v. Chr. geborene älteste Sohn seines Gönners, um das Jahr 21 v. Chr. in das Priesterkollegium der XVviri sacris faciundis berufen wurde.13 Dieses Ereignis nimmt Tibull zum Anlass, in den Bahnen, die Vergils Aeneis im achten Buch vorzeichnete, von der Urzeit an aufzurollen, welchen verschlungenen Weg Rom im Verlauf seiner wechselvollen Geschichte nahm, bis sich seine höhere Bestimmung in der Pax Augusta erfüllte. Auf dem Land in der behaglichen Abgeschiedenheit seines überschaubaren Anwesens den Frieden zu genießen, der nach den Gräueln der Bürgerkriege eingekehrt war, malt er sich in der 5. Elegie seines ersten Gedichtbuchs als Idylle aus, in der seine geliebte Delia Messalla als hohen Gast ehrerbietig begrüßt und ihm ein Mahl auftischt, das sie selbst zubereitet hat.14 So inbrünstig bekennt er sich durchweg zu dem Zeitgeist, die Segnungen des Friedens nach Jahrzehnten blutiger Bürgerkriege freudig zu begrüßen. Vor 9

Tib. 1,7,5–12. Tib. 1,7,13–36. 11 Tib. 1,7,57–62. 12 Tib. 2,1,31–36. 13 Tib. 2,5,1–8 und 113–122. 14 Tib. 1,5,31–34. 10

Tibull im Vergleich mit Properz

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Augustus verneigt er sich in all seinen Bekundungen der Friedensliebe indessen nur stillschweigend. Mit Namen redet er ihn weder im ersten noch im zweiten Buch jemals als Staatsoberhaupt oder Friedensstifter an.

Tibull im Vergleich mit Properz Während die römischen Leser Horaz in der Lyrik und Vergil in der Epik einhellig zum Maß aller Dinge erklärten, verteilten sie in der Liebeselegie ihre Gunst ungleich auf Tibull und Properz. Die meisten stuften Tibull höher ein, einige aber zogen Properz ihm vor.15 Quintilian pflichtete in seinem Leitfaden über die Rednerausbildung der Mehrheit bei, weil er nach den beiden Stilmerkmalen urteilte, wie geschliffen die Sprache und geschmackssicher die Wortwahl wirkte. Nur nach den Feinheiten der Form, nicht nach der Vielfalt der Stoffe fragte er kurzum. Hätte er beide Messlatten angelegt, forderte schon eher zum Widerspruch heraus, mit welchem Ergebnis er ein Gesamtwerk von nicht einmal 1250 Versen mit einem von 4010 verglich. Von Anbeginn gabelte sich der Werdegang der beiden nahezu gleichaltrigen Liebesdichter. Der eine wie der andere stammte zwar aus gutem Hause, verlor schon in jungen Jahren den Vater und büßte als Halbwaise einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Erbeigentums ein16; aber Properz musste sich mit noch schmerzlicheren Einbußen an Hofland, Vieh und Hausbesitz abfinden17, da Octavian 41 v. Chr. im umbrischen Assisi wie in vielen Gemeinden von Brixia im Norden bis Benevent im Süden wehrlose Grundeigentümer enteignete, um auf ihren Ländereien die 50–60000 Veteranen aus der Schlacht von Philippi anzusiedeln. Vor dem gleichen Schicksal blieb Tibull entweder völlig oder so weit verschont, dass er auf dem Land ein behagliches Leben führen konnte.18 Beiden verschaffte ihr herausragendes Können die ausgleichende Gerechtigkeit, dass hochrangige Gönner sie bereits im frühen Mannesalter zu fördern begannen. Tibull, den Sohn eines römischen Ritters, entdeckte Messalla, der nachgewählte Konsul vom Jahr 31 v. Chr., schon, bevor er die 1., 3., 5. und 7. Elegie seines ersten Buchs dichtete. Properz, den auf seine Elternhaus stolzen Sohn der umbrischen Kleinstadt Assisi19, nahm Maecenas, der Freund und Ratgeber des Staatsoberhaupts Augustus, erst nach dem Erfolg seines ersten Buchs in denselben Kreis wie Horaz und Vergil auf. Nach Aussage des Verses

15 16 17 18 19

Quint. inst. 10,1,93. Prop. 4,1,121 und 127–128; Tib. 1,1,3. 19–22. 33–34. 37–38 und 1,3,5–8. Prop. 4,1,128–130. Tib. 1,1,41–48. Prop. 4,1,121–126.

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2,1,73 sah er nun, da er so hoch aufgestiegen war, die neidvoll gehegte Hoffnung seiner Jugend erfüllt. Mit seinem ersten Buch, der Monobiblos, fand Properz großen Anklang, ohne auf Schritt und Tritt in Neuland vorgestoßen zu sein. Die meisten seiner 22 Gedichte beschäftigen sich in wechselvollen Rollen mit Cynthia. Bald beglückt sie ihn als ebenso schöne wie kunstsinnige Geliebte, bald enttäuscht sie ihn mit ihren Launen und Schlichen oder leidet er unter der Fron, sich wie ein Sklave ihrem Willen beugen zu müssen. Je länger er in diesen von seinen römischen Vorläufern vorgezeichneten Bahnen fortgefahren wäre, desto eher drohte er sich zu wiederholen. Musste er da nicht fürchten, dass sich der Vorrat an Motiven über kurz oder lang erschöpfte? Davor bewahrte ihn schon allein sein brennender Ehrgeiz, vor Maecenas und Augustus zu bestehen. Nur musste er nach Wegen suchen, um ihn mit anspruchsvoller Verskunst zu stillen. Die Gedichtgattung zu wechseln, um beide im Versmaß der Heldendichtung zu preisen, schloss er in der Einsicht aus, dass ihn eine so hohe Messlatte überfordert hätte. In dieser Erkenntnis näherte er sich nur zaghaft nach Inhalt und Umfang der großen Form. Das weitschweifige Programmgedicht, mit dem er sein zweites Buch einleitet, gibt davon einen Vorgeschmack. Im zweiten Block, V. 17–42, vereint er Praeteritio und Recusatio zu einem Streifzug durch die griechischen Götterund Heldensagen und einem Rückblick auf römische Kriege und Bürgerkriege bis hin zu den jüngsten Triumphen des Augustus. In den übrigen singt er das Lied von Freud und Leid der Liebe bis hin zum bitteren Ende. Seinen Gönner musste Properz auf andere Weise ehren. Einen Schöngeist wie Maecenas hätte er beim besten Willen nicht als siegreichen Feldherrn feiern können. Ihm rühmt er nach, Augustus als treuer Freund und erfolgreicher Friedensvermittler zur Seite gestanden zu haben, und widmet er als krönenden Abschluss die acht Verse: »Wann immer also die Schicksalsmächte von mir das Leben zurückfordern werden und ich nur ein kurzer Name auf einem kleinen Marmorbruchstück werde sein, halte, Maecenas, du neidvoll gehegte Hoffnung meiner Jugend und mir im Leben wie im Tod gebührender Ruhm, wenn dein Reiseweg dich zufällig dicht vorbeiführen sollte an meiner Grabstätte, deinen zweirädrigen Einspänner, das britannische Gig mit dem gedrechselten Kummet, an und lasse, während du auf meine stumme Asche Tränen vergießt, solche Worte fallen wie: Diesem Armen ist ein hartherziges Mädchen zum Verhängnis gewesen.«20

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Prop. 2,1,71–78.

Tibull im Vergleich mit Properz

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So nahe stand Properz seinem Gönner noch nicht, dass er mit ihm im gleichen Ton wie Tibull mit Messalla hätte verkehren können. In dem Ehrgeiz, mit den anderen Dichtern seines Kreises zu wetteifern, veröffentlichte er sein zweiten Buch ohnehin zu rasch, um sämtliche Elegien so durchdacht aufzubauen und so sorgsam zu durchfeilen, wie Tibull es meisterhaft verstand. Doch seien als Kleinode, die noch heller strahlen, wenn sie von sinnwidrigen Texteingriffen verschont bleiben, zwei so augenfällige Gegenbeispiele wie die 29. und 31. Elegie seines zweiten Gedichtbuchs herausgegriffen. In der 29. Elegie schildert Properz, wie ihn die Eroten, die Cynthia wutentbrannt losschickte, als Nachtschwärmer aufgreifen, um ihn zu ihr nach Hause zu geleiten. Den Hergang erzählt er in einem Ton, zu dem der versöhnliche Ausklang passt: »Als ich, mein Augenstern, in der gestrigen Nacht betrunken umherzog, ohne dass mich eine Dienerschar geleitete, war mir ein kleines Häuflein von ich weiß nicht wie vielen jungen Burschen entgegen gekommen – sie zu zählen verbot mir die Angst –, von denen, schien mir, einige Fackelchen, andere Pfeile mitführten und ein Teil sogar Fesseln bereithielt. Doch waren nackt sie gewesen. Von ihnen rief einer, der hemmungslosere: ›Nehmt ihn fest! Denn genau wiedererkannt habt ihr ihn ja. Er war’s. Ihn zu ergreifen hat uns die Frau wutentbrannt beauftragt.‹ Sprach’s, und schon hatte um meinen Hals sich die Schlinge gelegt. Dieser eine von beiden befiehlt, mich in die Mitte zu stoßen. Doch entgegnet der andere von beiden: ›Zum Teufel schere sich, wer nicht meint, dass wir Götter sind! Sie wartet, ohne dass du es verdientest, schon ganze Stunden auf dich. Doch suchst du, Dummkopf, ich weiß nicht welche Tür. Wenn sie die Bänder ihrer Nachthaube aus Sidon löst und bewegt ihre vom Schlaf schweren Augen, werden dir entgegenwehen nicht Düfte von Spezerei der Araber, sondern Düfte, die Amor persönlich herstellte mit seinen eigenen Händen. Lasst ihn schon in Ruhe, Mitbrüder! Schon gelobt er ja, einen verlässlichen Liebhaber abzugeben, und schon sind wir doch, seht her, an dem Haus angekommen, zu dem ihn zu bringen beauftragt wir wurden.‹ Und mit dieser Weisung geleiteten sie mich, nachdem sie mir wieder übergeworfen hatten den Mantel, zur Tür: ›Geh’ nun, und lerne, die Nächte über zu Hause zu bleiben!‹ Früher Morgen war’s, und ich wollte nachsehen, ob sie allein schlafe. Doch im Bett lag Cynthia wirklich allein. Verblüfft starrte ich sie an: Noch nie war sie mir schöner vorgekommen, auch nicht, als ich in einer scharlachroten Tunika sie antraf

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und sie von hier fortging, um der keuschen Vesta von ihren Träumen zu erzählen, da sie befürchtete, ihr oder mir könnten sie Unheil verheißen. So kam sie mir vor, vom Schlaf frisch entlassen, die sie war. Ach, wie stark wirkt schon von allein ein blendendes Aussehen! ›Wozu spielst du dich‹, fragte sie, ›als frühmorgendlichen Bespitzeler deiner Freundin auf? Glaubst du etwa, ich führte einen ähnlichen Lebenswandel wie euresgleichen? Ich bin so leichtlebig nicht. Genügen wird mir, bewährt er sich als Liebhaber, einer, entweder du oder sonst einer, wenn jemand es ehrlicher meinen kann als du. Zu sehen sind keinerlei Spuren, die von einem zerdrückten Kopfkissen hinterlassen wären, und auch keine Anzeichen dafür, dass zwei hier gelegen und sich herumgewälzt hätten. Schau, wie mir im ganzen Körper unhörbar hochsteigt der Atem, der mich doch verraten hätte, hätte mit einem anderen Mann ich mich eingelassen.‹ Sprach’s, wehrte ab mit vorgehaltener Rechten meine Küsse und sprang, ohne die Sandalen zu schnüren, in die sie geschlüpft war, vom Bett. So werde ich bloßgestellt als Wächter über eine so unantastbare Liebe. Seitdem aber hat nicht ungnädig sie mir sich gezeigt.« So überraschend, wie die Leser wähnten, die non gegen nox auswechseln zu müssen meinten, endete dieses Gedicht keineswegs. Die Eroten hatte Cynthia ja nur angewiesen, den Nachtschwärmer einzufangen und zu ihr nach Hause zu geleiten. Diesen Auftrag hatte der besonnere ihrer beiden Wortführer in dem Geist erledigt, ihr als Schutzengel zu ihrem Glück zu verhelfen. Weshalb sollte ihr Zorn nicht verflogen sein, als Properz zerknirscht an ihr Bett trat und sie mit bewundernden Blicken anschaute? Diese Wende fiele fort, würde non, die zuverlässigere Lesart aller älteren Handschriften, vorschnell verworfen. In der 31. Elegie leitet Properz glatter von Cynthia zu Augustus über als im beinahe fünfmal so langen Einleitungsgedicht seines zweiten Buchs. In diesem Gelegenheitsgedicht würdigt er das Ereignis, dass der Stifter, der nach der Ermordung des Diktators Gaius Iulius Caesar seinen Namen angenommen hatte, am 9. Oktober des Jahres 28 v. Chr. den von drei Säulenhallen umstandenen Tempel einweihte, den er seinem Lieblingsgott Apollon auf dem Palatin erbaute: »Du fragst, warum ich später als sonst zu dir komme: Die goldene Wandelhalle zu Ehren des Phoibos ward vom großen Caesar eröffnet. So ausgiebig zu betrachten war sie, wohlgegliedert durch punische Säulen, zwischen denen die weibliche Schar des greisen Danaos Platz fand.

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Schöner als der echte Phoibos, öffnete dieser marmorne, so kam er mir jedenfalls vor, den Mund, um zur stummen Leier zu singen, und um den Altar herum gestanden hatten Rinder des Bildhauers Myron, vier wie des Künstlers lebensechte Standbilder gestaltete Kühe. Dann erhob sich in der Mitte des Innenhofs der Tempel aus hellem Marmor, Phoibos teurer noch als seine Heimatinsel Ortygia, und woraus über dem Giebel der Wagen des Sonnengottes war, waren auch die Türflügel, das edle Kunstwerk aus libyschem Elfenbein, dem Stoßzahn des Elefanten: Der eine von beiden zeigt das traurige Ende der vom Gipfel des Parnass hinuntergestoßenen Gallier, der andere die Trauer der Tochter des Tantalos um den Tod ihrer Kinder. Danach lässt zwischen der Mutter und zwischen der Schwester der pythische Gott höchstselbst in wallendem Gewand Lieder erklingen.« Mit elegischer Liebespoesie vertrug sich dieser Ausflug in die Baukunst schon deswegen, weil der Besucher des Heiligtums Apollon in seiner Doppelrolle als Schlachtengott und Leierspieler bewundern konnte. Zur Gänze verstanden hat der Leser die Beschreibung des Tempels freilich erst, wenn er durchschaut, dass im 11. Vers die jüngere Lesart in quo mit ihrer unsinnigen Einfügung der Präposition in in die Irre führt. »Auf« dem Tempel, seinem Dach, stand zwar der Vierspänner des Sonnengotts, nicht aber die Eingangstür mit ihren beiden Flügeln. Sein weißer Schwanenwagen war vielmehr aus dem Werkstoff gefertigt, aus dem auch ihre Flügel gefertigt waren, sprich: aus Elfenbein, das eigens aus Nordafrika eingeführt werden musste. Sein Gefährt war kurzum ein ebenso »edles Kunstwerk« wie die Flügeltür, zu deren halberhabenen Bilddarstellungen die Stoßzähne libyscher Elefanten verarbeitet wurden. Wie sehr äußere Anstöße den dichterischen Ehrgeiz beflügelten, den Properz von Jugend auf verspürte, trat verstärkt zutage, als Horaz 23 v. Chr. seine gesammelten Oden in drei Büchern veröffentlichte. Dieses literarische Ereignis hinterließ in seinem dritten Buch noch tiefere Spuren als in seinem zweiten die Berufung in den Maecenaskreis.21 Horaz regte ihn nicht nur an, Lebensweisheiten wie die Einsicht, dass der Tod Arm und Reich oder Hoch und Niedrig gleichmache, in wechselnde Fassungen einzukleiden, sondern spornte ihn vor allen Dingen an, sein Selbstverständnis als Dichter neu zu bestimmen. Vernehmbarer noch als in dem Bekenntnis zur paupertas und der Absage an die avaritia äußert sich in seinem Anspruch, Bahnbrecher zu sein, wie stark ihn Horaz mit seiner Lyrik prägte.22 Der Zyklus der Römeroden sprach ihn so sehr an, dass er das dritte Buch mit einer vergleichbaren Folge von fünf programmatischen Elegien eröffnete. Noch merklicher aber fachte die Sphragis, mit der Horaz das dritte Buch seiner Oden abgeschlossen hatte, das eigene, aus 21 22

Darüber eingehender Flach, Horaz und Properz, passim. Dazu Flach, Horaz und Properz, 36–40. 70–80.

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seiner Verskunst erwachsene Selbstgefühl an. Die Botschaft, die sein älterer Zeitgenosse in der Ode 3,30 verkündet hatte, flößte ihm die Zuversicht ein, in der kleinen Form Erfolge von bleibendem Wert erringen zu können, die den Vergleich mit den Schöpfungen der großen nicht zu scheuen brauchten. Im zweiten Buch gab Properz sich noch damit zufrieden, an römischen Vorläufern wie Varro Atacinus, Catull, Calvus oder Gallus gemessen zu werden.23 Sich als alleiniger Nachlassverwalter zu verstehen, der den Koer Philetas und den Kyrener Kallimachos wiederentdeckte, um in ihre Fußstapfen zu treten, muss ihm vorerst ferngelegen haben. Sonst hätte er dem Freund, dem er das letzte Gedicht des zweiten Buchs widmete, schwerlich geraten, sich »besser den sich den Musen erkenntlich zeigenden Philetas und den ›Traum‹ des nicht schwülstigen Kallimachos« zum Vorbild zu nehmen.24 Im dritten aber eiferte er Horaz darin nach, als Neuerer vor seine Leser zu treten, dem der unsterbliche Ruhm eines Bahnbrechers winkt. Jetzt erst, da seinen Ehrgeiz entfachte, dass Horaz die aiolischen Rhythmen des Alkaios in Rom eingeführt zu haben sich rühmte25, brüstete er sich damit, als Erster italische Mysterien in die griechischen Rhythmen der Vorreiter Philetas und Kallimachos gekleidet zu haben.26 Horaz bereicherte die römische Lyrik in der Tat um ein neues Versmaß. Mit welchem Recht aber pochte Properz darauf, sich in ihrer Nachbargattung, der Liebeselegie, das gleiche Verdienst erworben zu haben? Zeigte er sich wenigstens vom kallimacheischen Geist tiefer als noch im zweiten Buch durchdrungen, wenn er schon kein neues Versmaß in Rom einbürgerte? In der Liebespoesie, von der er sich unvergänglichen Ruhm versprach, zeichnen sich im dritten Buch noch keine neuen Züge ab, die es gerechtfertigt hätten, ihn als römischen Kallimachos zu sehen. In Ton und Stil bleibt er sich treu, wenn er mit dem Stolz des erfolgsverwöhnten Dichters verkündet27: »Glücklich preise sich eine, wenn sie gefeiert wurde in meinem Gedichtbändchen! So viele Denkmäler deiner Schönheit wie Lieder werden das Ergebnis sein. Denn weder die mit großem Aufwand zu den Sternen hochgezogenen Pyramiden noch das dem Himmelsgewölbe nachgebildete Haus des Zeus von Elis noch die reiche Pracht des für Mausolos erbauten Grabmals sind von dem schließlichen Los des Untergangs ausgenommen.

23 24 25 26 27

Prop. 2,34,85–94. Prop. 2,34,31–32. Hor. c. 3,30,10–14. Prop. 3,1,1–4. Prop. 3,2,17–26.

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Ihnen werden Feuersbrünste oder Regengüsse ihr ehrwürdiges Aussehen stehlen, oder sie werden, von der Bürde der Jahre bezwungen, durch einen Blitzschlag einstürzen. Doch der durch die Dichtergabe erworbene Name wird nicht vor Alter in Vergessenheit geraten. Der Dichtergabe bleibt unvergänglich erhalten ihr Glanz.« Kürzer und schlichter hatte Horaz im Schlussgedicht seines dritten Buchs, V. 1–5, sein Werk zu einem Denkmal erklärt, das den Naturgewalten und dem Zahn der Zeit trotzt: »Vollendet habe ich ein Denkmal langlebiger als Erz und erhabener als der königliche Bau der Pyramiden; ein Werk, das nicht der zerfressende Regen, nicht der ungestüme Nord könnte zerstören oder der Jahre unzählbare Reihe und das Verfliegen der Zeiten.« Um den Anspruch zu untermauern, ein langlebigeres Werk als Bildhauer oder Baumeister geschaffen zu haben, überbot der Elegiker den Lyriker. Während Horaz von den Sieben Weltwundern nur die ägyptischen Königspyramiden zum Vergleich nahm, führt Properz mit dem Zeustempel in Olympia und dem Mausolosgrabmal in Halikarnass zwei weitere als Beispiele an, um die endliche Dauerhaftigkeit von Bauwerken zu verbildlichen. Nicht genug damit, steigert er die schlichtere Wortwahl, bloß von einem regalis situs pyramidum zu sprechen, zu kühneren Sprachbildern und Wortballungen wie pyramidum sumptus ad sidera ducti, Iovis Elei caelum imitata domus oder Mausolei dives fortuna sepulcri. Je nach Stilgeschmack mochte der Leser diese Gebilde als eindrucksvoll oder überladen empfinden. Doch setzt sich Properz spätestens von V. 23 an feinfühliger und sinniger mit der Ode 3,30 auseinander. Während Horaz dem Regen und dem Wind die Sprengkraft zuschreibt, Kunstwerke aus Erz und Bauwerke aus Stein »einreißen« oder »zerstören« zu können, schwächt Properz diese Aussage so ab, als wolle er Horaz berichtigen. Jedenfalls lässt er es nicht dabei bewenden, von den beiden Naturgewalten »Schauer« und »Sturm« die zweite herauszunehmen und die erste, den Regenguss, mit einer dritten, dem Feuer, zu einem Gegensatzpaar zusammenzustellen, sondern vermeidet er es unübersehbar, Wolkenbrüchen oder Feuersbrünsten die Sprengkraft zuzuschreiben, Bauwerke wie die Pyramiden zerstören zu können. Diesen beiden Naturgewalten sagt er vielmehr lediglich die Wirkung nach, ihnen ihre Ansehnlichkeit oder Würde zu stehlen. Die Gefahr, dass sie nicht bloß verwittern, sondern einstürzen, sieht er erst gekommen, wenn ein Blitz, lateinisch ictus, in sie einschlägt, und auch nur dann, wenn sie von der Bürde der Jahre, dem pondus annorum, bereits »überwunden«, sprich: baufällig geworden sind. Diese Deutung läuft zwar der herrschenden Meinung zuwider, lässt sich aber mehrfach absichern. Dafür ins Feld geführt werden können die Belege, dass Ovid, Metamorphosen 9,437–438, das Sprachbild von den »Bürden des

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Greisenalters«, den senectae pondera, wählt, Cicero, De officiis 3,94, Lukrez, De rerum natura 6,386, und Julian, Digesten 14,2,6, den Blitzschlag mit ictus fulminis bezeichnen und Ovid, Metamorphosen 15,871, den Blitz – mit Iovis ira dichterisch als Iuppiters Wutausbruch umschrieben – gemeinsam mit dem Feuer als zerstörerische Naturgewalt aufführt. In einem lockereren Ton als im zweiten Buch verkehrt Properz im dritten mit Maecenas. Von der elegischen zur epischen Gedichtgattung überzuwechseln weigert er sich in der Elegie 3,9 geschmeidiger und verschmitzter als in dem unförmigen Programmgedicht 2,1. Dazu, ihn gleich zu Beginn mit Maecenas, eques Etrusco de sanguine regum anzureden, gab ihm Horaz zwar die Stichwörter eques und regum. In keiner der Anreden, die er in den Oden 1,1, 1,20, 3,16 und 3,29 wählte, war aber angelegt, Maecenas mit den eigenen Waffen zu schlagen. Mit diesem Hintergedanken zieht erst Properz die Herkunftsmerkmale »Ritter von etruskischem Königsgeblüt« aus den vier Versen Maecenas, atavis edite regibus (1,1,1), clare Maecenas eques (1,20,5), Maecenas equitum decus (3,16,20) und Tyrrhena regum progenies (3,29,1) heraus, um sie mit dem Namen Maecenas zu einem sechsfüßigen Vers zu verknüpfen. Weshalb, fragt er sich und seinen Gönner, sollte ich den Kurs verlassen, den mir meine Begabung vorzeichnet, und mich auf das entsetzlich weite Meer der Heldendichtung hinauswagen, wo du mir doch das Gegenteil vorlebst? 28 »Denn obwohl es dir freistünde«, hält er ihm entgegen, »in Ausübung eines römischen Staatsamtes hoheitliche Beile und mitten auf dem Forum Rechtsregeln aufzustellen« 29 , »verzichtest du und engst dich bescheiden auf ein schlichtes Schattendasein ein. Die prall gebauschten Segel reffst du von dir aus.«30 Daraus schöpft er das Grundvertrauen, dass ihm Maecenas als feinfühliger Förderer der Anfänge seines Mannesalters den richtigen Weg weisen wird.31 In den Fehler zu verfallen, zu dem ihn bereits die Berufung in den Maecenaskreis verleitete, vermied Properz allerdings nicht, so großen Gewinn er auch aus den vielfältigen Denkanstößen zog, die Horaz ihm mit seiner reichhaltigen Neuerscheinung gab. Wie schon im zweiten Buch trieb ihn sein Ehrgeiz dazu, sein dichterisches Schaffen übereilt zu veröffentlichen. Auf welch verschlungenen Wegen er in den Liebesgedichten 2,16 und 3,11 dazu vorstößt, über Mark Anton und Kleopatra Gericht zu halten, legt davon beredtes Zeugnis ab. In der Elegie 2,16 warnt er Cynthia davor, sich an einen grobschlächtigen Praetor zu verkaufen. Von den schändlichen Geschenken, mit denen dieser neureiche Nebenbuhler sich ihre Gunst erkauft, springt er zu dem Allgemein28 29 30 31

Prop. 3,9,2–4. Prop. 3,9,23–24. Prop. 3,9,29–30. Prop. 3,9,57–58.

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platz über, dass schändliche Liebe nach dem Volksmund auf beiden Ohren taub ist.32 Über diese Notbrücke schlägt er, ohne ihre Namen zu nennen, den Bogen zu Mark Anton und Kleopatra. Vergebens fragt sich der Leser, welche Lehren Cynthia aus einem Skandal von dieser weltgeschichtlichen Tragweite ziehen soll, wenn er ihr aus heiterem Himmel anrät33: »Halte dir den Heerführer vor Augen, der mit nichtigem Kriegsgetöse kürzlich erfüllte Aktiums Meer, als dem Tod er geweiht hatte seine Soldaten! Ihm gebot eine schmachvolle Liebschaft, dem Feind auf Schiffen, die er hatte wenden lassen, den Rücken zu kehren und am Ende der Welt sein Heil zu suchen in der Flucht.« In der Elegie 3,11 nimmt er einen zweiten Anlauf, über Mark Anton und Kleopatra Gericht zu halten, ohne den Rahmen der Liebespoesie zu sprengen. In diesem Gedicht wehrt er sich gegen den Vorwurf, ein Feigling zu sein, weil er sich der Macht seiner Geliebten beuge. Von ihr unterjocht zu sein, bestreitet er zwar nicht, führt aber, um sein Verhalten zu rechtfertigen, aus Sage und Geschichte eine Reihe von Beispielen an, die beweisen sollen, dass von einer Frau beherrscht zu werden keine Schande sei. Davon schwenkt er jäh ab, wenn er sich, ohne ihren Namen zu nennen, empört darüber ereifert, dass Kleopatra sich erdreistet habe, über ein so stolzes Volk wie die Römer die Oberhand gewinnen zu wollen34: »Kaum zu glauben, die Dirnenkönigin des unzüchtigen Kanopos hat sich, unverwechselbares, von der Blutsverwandtschaft mit Philipp eingebranntes Schandmal, tatsächlich zugetraut, unserem Iuppiter entgegenzustellen den kläffenden Anubis und den Tiber zu zwingen, des Niles Drohungen zu ertragen, die römische Tuba mit dem rasselnden Sistron zu vertreiben, mit den Bootshaken einer ägyptischen Barke den Schiffsschnäbeln der Liburnerflotte nachzujagen, scheußliche Mückennetze auf dem Tarpeischen Felsen aufzuspannen und Recht zu sprechen zwischen den Standbildern und Beutewaffen eines Marius!« Den Schönheitsfehler im Gedichtaufbau, im zweiten Anlauf wie schon im ersten die Richtung des Gedankengangs verwinkelt zu wechseln, hätte Properz leicht vermeiden können, hätte er sich etwa davon leiten lassen, wie Horaz sich in der Ode 1,37 zu Kleopatra äußert. Horaz verhehlt zwar nicht, dass er sie für 32 33 34

Prop. 2,16,36. Prop. 2,16,37–40. Prop. 3,11,39–46.

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verkommen, vermessen und verblendet hält, versagt ihr aber nicht die Achtung vor dem mutigen Entschluss, sich mit heiterer Miene den Tod zu geben, um der Schmach römischer Gefangenschaft zu entgehen. Doch drängte es Properz zu sehr, sein drittes Buch vorzulegen, um sich die Zeit zu nehmen, sämtliche Gedichte gründlich zu überarbeiten. Wie überhastet er Horaz nacheiferte, verrät kein Nachhall so deutlich wie seine Kehrtwendung, von Cynthia und der Liebespoesie, die ihr und ihm zu Ruhm verholfen hatte, brüsk Abschied zu nehmen. Mit der 24. Elegie schloss er sein drittes Gedichtbuch nur ab, um mit den drei Büchern römischer Lyrik Schritt zu halten, mit denen Horaz als Bahnbrecher Triumphe feierte. Auf dieser Stufe seines Werdegangs dichtete Properz noch zu unausgewogen, um einen so geschmackssicheren Elegiker wie Tibull nach Form und Inhalt zu überflügeln. Da er im zweiten Buch genauso feinfühlig an seinen Elegien feilte wie im ersten, behauptete Tibull in der Gunst der Leser seinen Spitzenplatz bis zu seinem Tod. Doch reifte Properz, als er entdeckte, welche Chancen ihm Vergil mit dem achten Buch seiner Aeneis eröffnete, sich von einem voreilig selbsternannten zu einem wahren römischen Kallimachos fortzuentwickeln. Mit seinen fünf Aitien über die Ursprünge römischer Sagen, Kulte und Feste – den Elegien 4,2, 4,4, 4,6, 4,9 und 4,10 – wurde er im vierten Buch doch noch dem Anspruch gerecht, den er im dritten vorschnell erhoben hatte. Diesmal verfiel er nicht wieder in den Fehler, zu zeitig vor den Leser zu treten, sondern ließ er mindestens sechs Jahre vorübergehen, bis er sein nächstes und letztes veröffentlichte. Diese Spanne nutzte er zugleich zu der Kehrtwende, seinen überhasteten Abschied von Cynthia und der Liebespoesie zu widerrufen. Nun nimmt er nicht mehr ein Zerwürfnis mit ihr zum Vorwand seiner Abkehr, sondern ihren Tod zum Anlass einer einfühlsamen Totenklage, die er ihr selbst in den Mund legt.35 Welcher der elf Elegien seines vierten Buchs der Rang einer Königin gebührt, ist schwer zu entscheiden. Von der elften sah Joseph Justus Scaliger, von der achten Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff das vielgestaltige Schaffen des späten Properz gekrönt. So hoch konnten sie zwei nach Inhalt und Tonlage so grundverschiedene Gedichte nur einstufen, wenn der eine den Ernst, der andere den Unernst zum Gradmesser nahm. Nach diesen beiden Maßstäben urteilte jeder von beiden aus seinem Blickwinkel mit feinem Gespür. In der letzten Elegie des vierten Buchs, in der Cornelia, die Stieftochter des Augustus, in der Unterwelt die Grabrede auf sich selbst hält, schimmert seine weitgespannte Belesenheit durch36, in der letzten, in der Cynthia, wie sie leibt und lebt, nach einem Vorspiel die Bühne betritt, blitzt sein hintergründiger Humor auf. Mit Selbstironie gewürzt schildert er als reuiger Sünder, wie 35 36

Prop. 4,7. Becker, Hermes 99, 1971, 454–455.

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es ihm erging, als sie unerwartet von ihrem nächtlichen Ausflug zurückkehrte und ihn im Garten seines Stadthauses auf frischer Tat ertappte. Je besser es gelingt, diesen Ton einzufangen, desto genauer ist herauszuhören, wie vergnüglich er das altvertraute Rollenspiel zwischen Herrin und Sklave auflockert. Wie im zweiten Buch die 29. klingt diese letzte, die er ihr widmete, versöhnlich aus, so dramatisch er sie auch einleitet: »Vernimm, was den Esquilin, das mit Wasser wohlversorgte Stadtviertel, in dieser Nacht aufgescheucht hat, als die Anwohner in Scharen gerannt kamen über des Neulands Gärten! Lanuvium ist der alte Hort eines bejahrten Drachens, der Ort, wo man die Stunde nicht vergeudet, die man zu einem so außergewöhnlichen Halt nutzt, wo der heilige Bergpfad eines Steilhangs abreißt mit einem finsteren Schlund, wo vordringt – Jungfrau, nimm vor einem solchen Weg dich von Anfang bis Ende in Acht! – bis zu der hungrigen Schlange das ihr zu Ehren gestiftete Opfer, wenn sie das Futter fordert für ihren Jahresbedarf und Zischlaute kringelt aus der Tiefe des Erdbodens. Zur Darbringung solcher Opfer hinabgelassen, erbleichen vor Angst die Mädchen, wenn blind auf das Schlangenmaul sich verlässt ihre Hand. Er schnappt sich von der Jungfrau die ihm hingehaltenen Bissen; in der Jungfrau Handflächen zittert selbst das Körbchen. Wenn sie sich als keusch erwiesen haben, kehren sie, um ihnen um den Hals zu fallen, zu ihren Eltern zurück, und rufen die Bauern: ›Ein ertragreiches Jahr wird es geben.‹ Hierher fuhr meine Cynthia mit kurzgeschorenen Ponys davon. Ihre Begründung war Iuno, doch ihr Grund eher Venus. Appiusstraße, sag’ mir bitte, welch großen Triumph hat mit dir als Augenzeugin sie gehalten, als über dein holpriges Pflaster ratterten die Räder und hässlicher Wortstreit erschallte in einer Hinterhofkneipe, zwar ohne mein Beisein, aber nicht ohne Beeinträchtigung meines Rufs. Ein Spektakel – selber auf dem Bock sitzend, hing sie über die Spitze der Deichsel gebeugt, als sie es wagte, die Zügel durch die dreckige Gegend zu lenken. Dabei verschweige ich ja noch die seidebeschlagene Kutsche des Jüngelchens mit ausgerupftem Barthaar und seine Molosserhunde mit spangenumhängtem Hals, das dreingeben wird seine käuflichen Lebensziele für schmutzigen Gladiatorenfraß, sobald ein Bartwuchs, dessen es sich zu schämen hat, die Oberhand gewinnen wird über seine glattgeschabten Wangen.

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Da so viele Male Unbill widerfuhr meinem Bett, wollte ich mich in Marsch setzen mit meinem übel zugerichteten Lager. Die eine, eine gewisse Phyllis, ist Nachbarin der Diana vom Aventin – nüchtern nicht sonderlich anziehend, wenn sie trinkt, gefällt aber alles an ihr. Die andere, eine Teia, wohnt in der Senke ZWISCHEN DEN TARPEISCHEN WALDUNGEN – ein gutherziges Menschenkind, doch wird ihr, ist sie betrunken, ein Mann allein nicht genügen. Diese beiden beschloss ich zu mir zu laden, um mit ihnen mir die Nacht zu versüßen und mit bis dahin nicht gekannter Liebeslust um neue zu bereichern meine Bettgeheimnisse. Das eine Bettchen für uns Drei fanden wir auf lauschigem Gras. Du fragst nach der Regelung des Beischlafs? Zwischen beiden habe ich gelegen. Lygdamus stand zum Einschank bei den Schöpfkellen, aus Glas war das Sommergeschirr, und das griechische Bukett stammte von methymnischem Wein. Nil, dein Sohn war der Pfeifer, die Kastagnettentänzerin eine Thrakerin vom Volke der Königin Phyllis und gerne bereit, adrett ohne Schminke sich besprühen zu lassen mit Rosenwasser. Ein Zwerg, der auch noch zusammengeschrumpft war bis zu seinen eigenen Rippen, schwang zum Klang des zur Flöte ausgehöhlten Buchsbaumholzes die verkrüppelten Hände. Doch flackerte das Flammenlicht, obwohl nachgefüllt worden waren die Öllampen, und fiel auf den Rücken der Tisch mit den Beinen nach oben. Als auch ich eine ›Venus‹ zu würfeln versuchte durch einen Glückswurf, sprangen immer hoch die verfluchten ›Hunde‹. Sie sangen ihre Lieder für einen Tauben, entblößten ihre Brüste für einen Blinden. Bei Lanuviums Toren war ich, weh mir, ausschließlich mit meinen Gedanken, als plötzlich heiser klangen vom Quietschen ihres Zapfens die Türpfosten und leichtes Murren und Knurren aufkam am Eingang des Hauses. Doch als, ohne zu zögern, Cynthia wie eine Freistilringerin voll auf den Rücken legte die Flügel der Tür, nicht sorgsam gekämmt, aber rasend vor Wut hübsch anzuschauen, da fiel mir der Becher zwischen den unachtsamen Händen zu Boden und erbleichten meine vom Wein schon erschlafften Lippen. Blitze sprüht sie aus funkelnden Augen und tobt, wie eine Frau es nur kann – der Schauplatz sah nicht weniger schlimm aus als eine eroberte Stadt.

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Phyllis fährt sie vor Zorn ins Gesicht mit ihren Fingernägeln; vor Schreck ruft Teia die Nachbarn nach Löschwasser um Hilfe. Die Fackeln, die man hinaustrug, stören im Schlaf die Bürger, und von Anfang bis Ende hallt die Gasse wider vom Lärm der verrückten Nacht. Jene beiden nimmt mit zerzaustem Haar und zerrissener Tunika die erstbeste Taverne einer dunklen Straße auf. Cynthia freut sich beim Anblick der Beute, die sie vom Leib ihnen riss, eilt siegreich zurück und verletzt mein Gesicht mit der flachen Hand. Auch prägt ein Mal meinem Hals sie als Denkzettel auf und blutet er von dem Biss, und schlägt vornehmlich auf meine Augen, die es verdienten, sie ein. Und in dem Augenblick, wo schon ermüdet sie hat ihre Arme von den Schlägen, die mir sie versetzte, wird Lygdamus, der sich verborgen hält an des Kopfendes linkem Pfosten, aufgestöbert und fleht, als sie ihn aus seinem Versteck hervorzerrt, meinen Schutzgeist an. Lygdamus, nichts habe ich tun können; mit dir zusammen war ich gefangengesetzt. Mit flehentlich erhobenen Handflächen bin ich dann erst zu einem Abkommen gelangt, als sie mir die Gnade gewährte, gerade einmal berühren zu dürfen ihre Füße, und sprach: ›Wenn du willst, dass ich dir verzeihe die Verfehlung, die du dir zuschulden kommen hast lassen, vernimm, wie der Text meines Gesetzes lauten wird! Du wirst weder herausgeputzt lustwandeln in der Schatten spendenden Säulenhalle des Pompeius noch dich, wenn Sand seinen Boden überstreut, auf dem lüsternen Forum ergehen. Hüte dich, dir den Hals schief zu biegen zu den obersten Rängen des Theaters, oder darauf zu lauern, dass Sänftenträger sich abschwitzen, die offen sind für eine dir gelegen kommende Verschnaufpause! Lygdamus vor allem, der mir allen Grund zur Beschwerde gibt, soll verkauft werden und an seinen Füßen jeweils zwei Ketten hinter sich herschleifen.‹ Verkündet hat sie ihr Gesetz. Erwidert habe ich: ›Seine Bestimmungen will ich befolgen.‹ Gelacht hatte sie da vor Stolz über die Verleihung des Oberbefehls. Dann räucherte all die Räume sie aus, die betreten haben die auswärtigen Mädchen. Doch nicht genug damit, schrubbt sie die Schwelle zum Schlafgemach mit sauberem Wasser und befiehlt mir, von Kopf bis Fuß zwei Mal zu wechseln die Schlafmäntel, und umnebelte drei Mal mit brennendem Schwefel mein Haupt.

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Und nachdem ich so Mantel für Mantel meine Bettkleidung gewechselt hatte, beglich ich meine Schuld und entledigten wir uns der Rüstung übers ganze Lager verstreut.« Mit dem Genuss gelesen, den sie verdient, schlägt diese Königin der Liebeselegien in dem alten Meinungsstreit, ob der ehrgeizigere Properz mit all den Ecken und Kanten seines Stils dem ausgeglicheneren Tibull vorzuziehen ist, von Anfang bis Ende zu Buche.

Tibull und die Fortsetzer Zu den beiden Büchern, die Tibull hinterlassen hat, ist ein Anhang von zwanzig Gedichten mitüberliefert, der mittlerweile gemeinhin als drittes Buch gezählt wird. Doch stammt von diesen zwanzig kein einziges von ihm oder Vorgängern, sondern wurden sie alle erst nach seinem Tod verfasst. Je nachdem, ob sie für sich stehen oder ein gemeinsamer Name bzw. Deckname sie vereint, erfordern sie, einzeln oder als Gruppe erfasst und eingeordnet zu werden.

Lygdamus Der Fortsetzer, der sich selbst nur einmal, im Vers 3,2,29, Lygdamus nennt, die große Liebe seines Lebens aber neun Mal als Neaera anredet37, träumte davon, mit ihr, die er mit Engelsgeduld umwarb, eine bürgerliche Ehe zu führen. Doch offenbarte ihm Apollon in seiner Eigenschaft als göttlicher Warner die bittere Wahrheit, dass sie sich in der Rolle einer umschwärmten Schönheit wohler fühle als in der einer züchtigen Hausfrau und Mutter.38 In der gleichen Eigenschaft riss Apollon den Liebesdichter Properz aus dem Traum, sich zum Dichter von Heldenliedern aufzuschwingen.39 Den Namen, den Properz dem Haussklaven seines Vertrauens beilegte40, wählte er kurzum nicht etwa deshalb als Decknamen, weil er von unfreier Herkunft gewesen wäre, sondern wird er sich aus dem Grund zugelegt haben, dass er sich wie ein Sklave dem Willen seiner Herrin Neaera beugte. Kleidete Lygdamus in die Worte des Distichons 3,5,17–18, dass seine Eltern im selben Jahr, in dem die beiden Konsuln Hirtius und Pansa im Bürgerkrieg ihren schweren Verletzungen erlagen, den Tag, an dem er geboren 37

Lygd. 1,6, 1,23, 2,12, 2,29, 3,1, 3,23, 4,57, 4,60 und 6,29. Lygd. 4,43–60. Prop. 3,2,15–24. 40 Prop. 3,6,2. 11. 19. 24. 31. 36. 42, 4,7,35 und 4,8,70. 79. 38 39

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wurde, zum ersten Mal als Geburtstag erlebten41, muss er etliche Jahre nach Tibull und Properz zur Welt gekommen sein und geraume Zeit später als beide zu dichten begonnen haben. Wie er den Altersunterschied nutzte, hat sich in zahlreichen Lesefrüchten niedergeschlagen. Soweit sie auf Properz zurückgehen, reichen sie von seinem zweiten bis zu seinem vierten Gedichtbuch. Das zweite regte ihn dazu an, dass er keinem Menschen »zerstoßene Giftkräuter«, trita venena, verabreicht zu haben beteuerte. 42 Dem dritten entlehnte er, Besitztümer wie ein Herrenhaus mit marmornen Säulen vom Tainaron und vergoldete Deckenbalken geringzuschätzen.43 Im vierten las er, dass Cynthia an einer verkehrsreichen Überlandstraße bestattet zu werden wünschte und die Priesterin der Göttin Bona Dea selbst Göttern den Zutritt zu ihrem Heiligtum verwehrte.44 Im gleichen Geist wünscht er sich, auf der belebten Stirnseite seines Grabmals weise eine Inschrift auf die traurige Ursache seines Todes hin, und mit Nachdruck bestätigt er, dass den Geheimkult der Bona Dea nicht einmal Götter ungestraft entweihen dürfen.45 Nach diesen Anhaltspunkten zu schließen, kann nicht Tibull, sondern muss ein Fortsetzer sich den Decknamen Lygdamus zugelegt haben, der noch dichtete, als Properz sein viertes Buch bereits vollendet hatte. Wann er die letzte der sechs Elegien verfasste, die in den Anhang zu Tibulls beiden Gedichtbüchern Eingang fanden, steht zwar dahin. Je weiter aber dieser Zeitpunkt vom Todesjahr der beiden Konsuln Hirtius und Pansa abgerückt wird, desto schwerer sind Einflüsse sicher und lückenlos nachzuweisen. Schon deswegen weckt es grundsätzliche Bedenken, Lygdamus und seine sechs Elegien in die flavische Zeit zu versetzen.46 So dicht folgte Lygdamus freilich keinem seiner Vorläufer auf dem Fuße, dass er sich nicht bemüht hätte, aus ihrem Schatten hervorzutreten. Mit den Zügen, die er sich und Neaera verleiht, nimmt er sich eher als männlicher Gegenentwurf zu Sulpicia aus. Geduldig fleht er Neaera an, ihn zu erhören47, und selbst als Apollon ihn vor Selbsttäuschungen warnt48, hofft er noch immer, 41 So nach gängiger Meinung Enk, Mnemosyne IV.3, 1950, 72–73, Skutsch, Philologus 103, 1959, 152–153, Bickel, RhM 103, 1960, 102. 106, und Büchner, Hermes 93, 1965, 90. 93, während Kraus, WSt 70, 1957, 198–199, keineswegs schlüssig verneinte, dass Lygdamus nach der römischen Berechnungsweise von Kalendertagen bereits den Tag seiner Geburt als ersten Geburtstag zählte. 42 Lygd. 5,10; vgl. Prop. 2,17,14. 43 Lygd. 3,13–16; vgl. Prop. 3,2,11–12. 44 So Properz 4,7,83–86 und 4,9,53–60. 45 So Lygdamus 2,27–30 und 5,7–8. 46 Schon deswegen Enk, Mnemosyne IV.3, 1950, 70–75, Kraus, WS 70, 1957, 197–204, und Büchner, Hermes 93, 1965, 65–66. 85. 89–111. 503–508, überzeugender als Hagen, Lygdamus-Gedichte, passim, Lee, PCPhS N.S. 5, 1958–59, 15–23, Axelson, Eranos 58, 1960, 92–111. 281–297, und Tränkle, Appendix Tibulliana, 57–63. 47 Lygd. 1,27–28. 48 Lygd. 4,51–60.

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sie mit göttlichem Beistand umstimmen und heiraten zu können.49 Doch muss er sich am Ende eingestehen, dass die Selbstachtung es ihm gebietet, ihr edelmütig Lebewohl zu sagen. So sehr es ihn auch schmerzt, dass sie seine Gefühle nicht mehr erwidert, wünscht er ihr gleichwohl eine ungetrübte Zukunft.50 Zur Ehe hält Neaera von weiblicher Seite aus dem gleichen Beweggrund Abstand wie Cerinthus von männlicher. Beide suchen nicht die Geborgenheit, sondern möchten die Freiheiten eines ungebundenen Lebens genießen. Nur drückt Lygdamus seine Gefühle holpriger aus als die sprachgewandtere und geschmackssicherere Sulpicia ihre. Im Verspaar 3,1,11–12 verlagert er das gemeinsame Subjekt ohne Not vom Haupt- in den Nebensatz. Im Distichon 3,1,15–16 dehnt er das Hyperbaton per … lacus ungelenk vom Anfang des Hexameters bis zum Ende des Pentameters aus. In den beiden Verszeilen 3,4,25–26 mutet er seinen Lesern ein Zeugma zu, das ihnen die geistige Leistung abverlangt, sich aus dem Prädikat videt des nachfolgenden Satzes vorausahnend das des vorhergehenden im Perfekt hinzuzudenken. In der Versfolge 3,4,65–66 zeiht er Amor nicht weniger als drei Mal der Unbarmherzigkeit, ohne die dichterische Wirkung unbestritten zu steigern. Mittlerweile haben sich die Herausgeber vielmehr darauf geeinigt, saeva gegen posse auszuwechseln, obwohl diese jüngere Lesart alle Merkmale eines plumpen Texteingriffs auf sich vereint. Erstens hat es sich bei so großen Abweichungen durchweg bewährt, der Fassung des Fragmentum Cuiacianum größeres Vertrauen als allen anderen Lesarten zu schenken, zweitens verleitete der Stein des Anstoßes, dass Lygdamus das Eigenschaftswort saevus in kurzem Abstand zwei Mal auf Amor und ein Mal auf seine Peitschenhiebe münzt, leicht zu dem Trugschluss, saeva müsse verbessert werden, und drittens behebt ein so entbehrliches Füllsel wie posse den Schönheitsfehler nur scheinbar. Wortwiederholungen, Hyperbata und Zeugmata streute Tibull zwar gleichfalls ein, aber durchweg so durchdacht, dass sie den Sprachfluss nicht hemmen. Wie weit Lygdamus mitunter hinter der Dichtkunst seines großen Vorgängers zurückbleibt, verrät sich im Versbau denn auch merklicher als in der Aussagekraft seiner sechs Elegien. Von der Form auf den Inhalt zu schließen birgt von vornherein die Gefahr, ihm nur bedingt gerecht zu werden. Verschiedentlich wird er nur deswegen unterschätzt, weil sinnwidrige Texteingriffe oder gedankenlose Übersetzungen den Zugang zu Wortlaut und Sinn der Urfassung verschütten. Im Vers 3,2,15 drückte Lygdamus sich zu gewählt aus, um verstanden zu werden. Zu der sinnlosen Lesart rogate wurde eher rogalem als precatae, vocatam oder recentem verschrieben. Über so geläufige Wortformen wie precatae oder recentem wäre ein Mönch, der in der Schreiberwerkstatt seines 49 50

Lygd. 4,95–96. Lygd. 6,29–30.

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Klosters arbeitete, wohl kaum gestolpert, und selbst wenn ihn eine der drei überfordert hätte, wäre er wohl kaum auf den Gedanken verfallen, sie zu rogate zu verballhornen. Im Vers 3,3,37–38 spricht Lygdamus nicht von einem »reichen Orkus«, einem dives … Orcus, sondern wünscht er sich, die Toteninsel Orkus des Unterweltgottes Dis, der Ditis … Orcus, berufe ihn zu seinen entsetzlichen Strömen und seinem nachtschwarzen Morast ab, sollte Neaere vor ihm sterben. Mit seinem römischen Namen Dis führte er Pluto, den Gemahl der Proserpina, schon im letzten Vers seiner ersten Elegie ein, als er beteuerte, die Hoffnung auf eine Ehe mit Neaera werde ihm erst Dis’ bleiches Gewässer, die pallida Ditis aqua, wegnehmen. Im Vers 3,4,38 vergleicht Lygdamus weder mit dem Geplapper eines Kindes noch mit dem Zwitschern einer Schwalbe oder einer Rohrpfeife, wie die Leier klingt, wenn sie mit einem Griffel oder Stäbchen, dem Plektron, angeschlagen wird.51 Treffender gebrauchte er das lautmalende Eigenschaftswort garrulus, wenn er sich von ihrem perlenden Ton an das Geplätscher rinnender Bäche oder sprudelnder Quellen erinnert fühlte.52 Im Vers 3,6,3 verlangte Lygdamus seinen Lesern ab, vom vorhergehenden den Ablativ hedera aufzugreifen, um ihn gedanklich an pariter medicante anzukoppeln. Wie sehr er sie mit dieser Brachylogie überforderte, ist schon allein daraus zu ersehen, dass die Herausgeber noch immer den von Theodor Birt eingeschlagenen Irrweg festtreten, das einhellig überlieferte Adverb pariter durch patera zu ersetzen. So entging ihnen, dass Lygdamus den Efeu nicht nur als Kopfschmuck, sondern auch als Heilpflanze pries. Im Vers 3,6,62 fordert Lygdamus den jungen Haussklaven, den er im Distichon 3,6,57–58 anwies, seinen Gästen Wasser im richtigen Mischungsverhältnis mit Wein einzuschenken, in den verdünnten, in liquidum, beherzter reinen Wein, merum, hinzuzugeben auf. Mit der ersten ist die zweite Anweisung freilich nur zu vereinbaren, wenn in dem Ast des Stammbaums, an dem Jacques Cujats verstümmelter und später verschollener Codex F hing, die Präposition in zu î abgekürzt war. Sonst müsste sich der Dichter binnen weniger Verse widersprochen haben. Zusammengefasst ermöglichen diese Ergebnisse, abgewogener über seine Stärken und Schwächen zu urteilen. Nicht zu leugnen ist, dass im Versbau ärgerliche Klippen den Sprachfluss hemmen. Doch hellt sich das Bild, das der Inhalt seiner sechs Elegien vermittelt, merklich auf, wenn die Fehler abgezogen werden, die nicht ihr Verfasser zu verantworten hat.

51 Zu der ersten dieser drei Verwendungsweisen von garrulus s. Tib. 1,5,26, zu der zweiten Verg. georg. 4,397, zu der dritten Tib. 2,5,30. 52 Zu diesem Wortgebrauch vgl. Ovid fast. 2,316, Calpurnius ecl. 4,2 und Seneca Oed. 493.

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Panegyrikus auf Messalla Der Verfasser dieses Loblieds wetteiferte weder metrisch noch stofflich mit Tibull, sondern wich in der Form auf das Versmaß der Heldendichtung und im Inhalt auf Ereignisse und Kriegsschauplätze aus, mit denen sich sein großer Vorgänger nicht befasst hatte. So hoch er auch Messalla schätzte, vergaß Tibull doch nie, dass er als Elegiker eine unkriegerische Gedichtgattung vertrat. Aus dieser Überzeugung fühlte er sich berufen, der Göttin des Friedens zu huldigen.53 Die Schlachtensiege, die sein Gönner 28/27 v. Chr. als Prokonsul der Provinz Aquitanien über südgallische Stammesverbände errang, würdigte er als Zeitzeuge, ohne sich einen Anteil an diesen Erfolgen zuzuschreiben. Obwohl ihn Messalla als Mitglied seines Stabs an der Kriegsbeute beteiligte, legte er größeren Wert darauf, über das Schauspiel zu jubeln, wie Messalla am 25. September des Jahres 27 v. Chr. als Triumphator zum Kapitol hinaufzog.54 Im gleichen Geist äußerte sich Tibull zu Feldzügen, auf denen er Messalla nicht begleitet hatte, entweder gar nicht oder nur, um so geschwind wie möglich zu seiner Welt des Friedens überzuschwenken. Wo und in welcher Eigenschaft Messalla an dem Krieg teilnahm, den Octavian von 35 bis 33 v. Chr. in Illyrien führte, berührte er überhaupt nicht, und den Feldzug, auf dem Messalla von Kilikien über Phönikien und Palästina nach Ägypten vorstieß, nur im Vorübergehen, um von dem segensreichen Wirken des Vaters Nil zu dem der ägyptischen Allgottheit Osiris überzuleiten. Von diesen beiden Freiräumen nutzte der Verfasser des Panegyrikus nur den ersten dazu, aus dem Schatten seines großen Vorgängers herauszutreten. Von V. 106 bis 117 verherrlicht er Messalla, als habe er, nicht Octavian, am 13. August des Jahres 29 v. Chr. den Triumph über die Dalmater gehalten. »Doch durchschweifen meine Lobgesänge«, hob er an, »keine zweifelhaften Ruhmestaten; denn ich preise darin durch Kriege erwiesene Erfolge. Zum Zeugen habe ich des besiegten Japydiens tapferes Fußvolk, zum Zeugen auch den hinterhältigen Pannonier, der überall verstreut war auf die eisigen Alpen, und zum Zeugen den armen, auf dem Boden von Arupiums Fluren geborenen Bauernsohn: Wenn jemand sähe, wie wenig ihn schwächte sein hohes Alter, würde er weniger staunen über die Lebenszeit von drei Menschenaltern der Sage von Nestor, dem Pylier. Denn während der Greis durchläuft die Menschenalter einer lange zurückliegenden Sage – hundert fruchtbare Jahre hatte Helios, der Titan, wiederkehren lassen –, wagt er, selber flink, gleichwohl sich zu schwingen auf sein schnelles Pferd und sitzt als Lenker hoch zu Ross mit festen Zügeln. Als du aber die Truppe führtest, beugte der ›Bändiger‹ Domator, der sonst nie seinen Rücken zur Flucht gekehrt hatte, seinen, den Hals 53 54

1,10,47–50 und 69–70. 1,7,5–12.

Panegyrikus auf Messalla

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eines freien Mannes römischen Ketten.« So blumig schmückte er aus, dass Messalla als Truppenführer den Erfolg verbuchen konnte, einen alten Haudegen, der sich den Ehrennamen Domator redlich verdient hatte, gefangengenommen zu haben. Bei welchen Gelegenheiten sich Messalla sonst noch als tüchtiger Befehlshaber bewährte, lässt der Panegyrikus in der Schwebe. Verdächtig oft erliegt sein Verfasser der Versuchung, den Mangel an greifbaren Heldentaten mit Abschweifungen und Übertreibungen zu überdecken. Langatmig weicht er darauf aus, ihn als Meister des Kriegshandwerks zu preisen55 und von Siegen zu träumen, die auf beiden Hälften des Erdkreises zu erringen er ihm zutraut.56 Weitschweifig vergleicht er den Mut, den er auf dem Forum als Redner und als Heerführer im Felde bewies, mit den Mutproben, die Odysseus auf seiner Irrfahrt zu bestehen hatte.57 Unbeholfen versucht er, Homers Welt mit der seiner Zeit zu verzahnen.58 Wie abrupt er von der Mühsal des Sagenhelden Odysseus zu der Redegabe des Politikers Messalla überspringt, um von ihr, seiner facundia, zu seiner Beherrschung des Kriegshandwerks, den belli … artes, überzuleiten, hätte er wenigstens verschleiern können, wenn er an die Stelle des engeren den weiteren, die Befähigung zum Redner und Heerführer umschließenden Begriff facultas gesetzt hätte. Mit diesen Mängeln versöhnt wenigstens bis zu einem gewissen Grad, dass der Verfasser des Panegyrikus seine hohe Allgemeinbildung und beachtliche Belesenheit verschiedentlich besser zu nutzen wusste, als es ihm die herrschende Meinung zubilligt. In der Beispielreihe, in der er die Länder und Flusstäler aufzählt, die einen Messalla nicht aufhalten würden, wenn er mit römischen Truppen einrückte, führt er die Landschaft an, wo »der reißende Gyndes, Opfer des Wahnwitzes eines Kyros, versiegt ist oder vielmehr sein sich Arektas Ebenen höchst gastlich zeigender Wellengang es ist.«59 So gewählt umschreibt er in Ton und Sprache der Heldendichtung, dass dieser Nebenfluss, seitdem Kyros ihn auf seinem rechten und linken Ufer in jeweils 180 Kanäle ableitete, sein Tal nicht länger im Frühjahr überschwemmte. Dem Jähzorn des persischen Großkönigs schreibt er diesen massiven Eingriff in die Natur nach Herodot 1,189–190 zu; mit einem Gastgeber vergleicht er den Wellengang eines Flusses, der die Ebenen seines Tals bewässert, nach Vergil, Georgika 3,362. Herodot verbreitete die Mär, Kyros habe das Flussbett des Gyndes trockengelegt, um an ihm zu rächen, dass seine Strömung einen seiner Schimmel in den Tod gerissen habe; Vergil schilderte den Wellengang eines schiffbaren Flusses als gastlich. 55 56 57 58 59

3,7,82–105. 3,7,135–176. 3,7,33–81. 3,7,81–82. 3,7,141–142.

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So kleine Gaben wie seine Gedichte nicht zurückzuweisen bittet der Verfasser des Panegyrikus Messalla, den Freund der Dichtkunst, in der Zuversicht, dass er sich wie Apollon über kleine Geschenke freue. In dem Vertrauen, sich auf Apollon berufen zu können, bestärkt ihn, dass »selbst einem Phoibos hochwillkommene Geschenke der Kreter überbrachte«.60 Baute er aber darauf seine Zuversicht, muss ihm vorgeschwebt haben, dass der als Bogenschütze hochgeschätzte Kreter dem Schlachtengott Apollon Köcher, Pfeil und Bogen überreichte. Mit diesen drei Stücken meisterlicher Handwerkskunst war Phoibos in der Heldendichtung genauso bewaffnet wie in der Liebesdichtung der geflügelte Amor.61 Von dem Plan, Messalla in Ton und Versmaß des Epos zu verherrlichen, war vorgezeichnet, dass der Verfasser des Panegyrikus, wo es sich anbot, aus Vergils Aeneis schöpfte. Bis in den Wortlaut hinein wirkten diese Einflüsse in Nachklängen wie certamina Martis in V. 98, ultima … tenet arva in V. 145, quid moror in V. 147, se accingere rebus in V. 179 oder Fortuna … fatiget in V. 182 fort.62 Nur verherrlichte Vergil das Staatsoberhaupt weitaus stilvoller als der Verfasser des Paneyrikus den Konsul vom Jahr 31 v. Chr. Während Vergil durch den Kunstgriff der Schildbeschreibung Caesars an Kindes statt angenommenen Sohn, den Imperator Caesar Augustus, als Vollender des Werks feierte, zu dem der Stammvater Aeneas der Sage nach den Grundstein gelegt hatte63, schwärmt er von Siegen, die Messalla mit besten Aussichten auf glänzende Erfolge über Völker des Ostens und Westens zu erringen hoffen kann.64 Wenngleich Augustus als Imperator den Oberbefehl über die gesamte römische Streitmacht ausübte, stand es den Dichtern seiner Zeit frei, Triumphe anderer Heerführer zu feiern, ohne ihn wenigstens zu erwähnen. Darauf konnte sich der Verfasser des Panegyrikus ebenso verlassen wie Tibull, obwohl er weder über das Mindestvermögen eines römischen Ritters verfügte65 noch mit Messalla auf vertrautem Fuß stand.66 Nicht genug damit, sagte er ihm weitere Triumphe in fernen Grenzkriegen voraus67, als sich schon abzeichnete, dass das Vorrecht, Siege über die Bevölkerung von Grenzgebieten zum Anlass von Festzügen und -spielen zu nehmen, Augustus sich und seinem Haus vorbe-

60

3,7,7–9. Zu Apollon als Bogenschützen s. Vergil, Aeneis 8,704, zu Amor als Bogenschützen vgl. Properz 2,12,9–10: »Auch ist aus gutem Grund seine Hand mit widerhakenbestückten Pfeilen bewaffnet und hängt von beiden Schultern ein kretischer Köcher herab.« 62 Zum ersten dieser fünf Anklänge an Vergils Aeneis vgl. V. 12,73 und 12,790, zum zweiten V. 6,477–478, zum dritten V. 6,528, zum vierten V. 1,210 und zum fünften V. 6,533. 63 Verg. Aen. 8,678–731. 64 3,7,135–150. 65 3,7,181–189. 197–200. 66 3,7,1–8. 16–17. 24–27. 32–38. 67 3,7,135–146. 175–176. 61

Sulpicia

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hielt.68 19 v. Chr. gestattete er zum letzten Mal dem Prokonsul einer senatorischen Provinz, zur Feier eines Sieges einen Triumph zu halten, und als Vergil am 21. September des selben oder nächsten Jahres starb, gab sein Freund, der Dichter Lucius Varius Rufus, aus seinem Nachlass die Aeneis heraus. Frühestens in dem Jahr, in dem Varius sie nach Rücksprache mit Augustus nahezu vollendet veröffentlichte, konnte der Verfasser des Panegyrikus unter diesen Umständen aus ihrem ersten, sechsten und zwölften Buch die fünf Wendungen herausgreifen, die ihm sprachlich zusagten. Tibulls feinsinnigen Gönner und Geistesverwandten würdigt dieser Lobgesang als eine Gestalt der Zeitgeschichte, die noch ehrgeizigere Ziele zu verfolgen verspricht, um ihre glanzvolle Laufbahn zu krönen. Wählte Messalla, da er in den letzten beiden Jahren seines Lebens an Gedächtnisschwund litt, nicht erst 13 n. Chr., sondern schon 8 n. Chr. den Hungertod69, verfasste ihn der zeitgenössische Dichter, der ihn so überschwänglich preist, spätestens rund zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Tibulls zweitem Gedichtbuch. Nach Quintilians Urteil bemühte sich Messalla als Redner um lichtvolle Eleganz und legte er auf Noblesse größeren Wert als auf Wortgewalt.70 Seinen Stilgeschmack traf der weitschweifige Verfasser des Panegyrikus zweifellos von keiner der beiden Seiten.

Sulpicia Von Leid und Leidenschaft erzählen die Elegiker selten so bündig, dass sich Jubel und Klage zu einer stimmig fortlaufenden Liebesgeschichte zusammenreimen. Je nachdem, welchen Typus von Liebhaber glaubhaft zu verkörpern ihnen vorschwebte, schwanken ihre Bekenntnisse nicht nur von Buch zu Buch, sondern auch von Gedicht zu Gedicht, oder schlagen die Äußerungen ihrer Gefühle gar mittendrin um.71 Schon allein darin hebt sich Sulpicia von ihren Vorgängern als eine Ausnahme ab, die nach den gemeinsamen Merkmalen, die ihre Schöpfungen prägt, die Regel bestätigt. Wenngleich sie in drei ihrer Elegien, der ersten, dritten und fünften, nicht in der 1., sondern der 3. Person von sich spricht, verknüpft der Handlungsstrang, der sie durchzieht, doch alle elf zu einem Zyklus. Sprachlich verklammert ihre Liebeselegien schon allein, dass sie, die standesbewusste Tochter hochadliger Eltern, ein so

68 Schon zu beobachten, bevor er 19 v. Chr. letztmalig dem Prokonul einer senatorischen Provinz einen Triumph zu halten erlaubte; s. Bringmann, Augustus, 130–131 und 197. 69 Schlüssig nachgewiesen von Syme, Augustan Aristocracy, 217–219. 70 Quint. inst. 10,1,113. 71 Glänzend beobachtet von Allen, in: Critical Essays 1, 111–118.

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beredtes Eigenschaftswort wie dignus, »würdig«, nicht weniger als fünf Mal im Munde führt.72 In der ersten Elegie wählt Sulpicia das Fest als Rahmen, das verheiratete Römerinnen, die auf ihren guten Ruf achteten, alljährlich am 1. März feierten, um ihre Schutzgöttin Iuno mit dem Beinamen Lucina zu ehren. An diesem Fest, den Matronalia, nimmt sie im heiratsfähigen Alter teil, weil ihre Mutter in den besseren Kreisen der römischen Gesellschaft verkehrt und ihre Tochter standesgemäß erzieht. Doch stellt sie von vornherein klar, dass sie, früh erblüht und hochgebildet, wie sie ist, sich zu den Schutzgottheiten der Liebe und der Dichtkunst stärker hingezogen fühlt als zu der von Müttern und Kindern. So nachdrücklich sie sich zu Venus, Amor und Apollon bekennt, so beredt schweigt sie im selben Gedicht von Iuno. Wie belesen sie ist, kündigt sich in der Elegie, mit der sie den Zyklus eröffnet, bereits von mehreren Seiten an. In ihrem äußeren Erscheinungsbild je nach Haartracht oder Kleidung berückend wandlungsfähig zu sein rühmt sie sich in den vier Versen 3,8,9–12 so stolz, wie es Properz in den vier Versen 2,1,5–8 seiner Cynthia begeistert nachsagte. Den Inhalt der Versreihe 3,8,17– 20 schöpft sie aus den beiden Distichen 2,2,3–4 und 2,2,15–16 ihres Vorgängers Tibull; nur schilderte Tibull den arabischen Gewürzhändler als weichlich und sein Land als reich. Im Verspaar 3,8,13–14 greift sie auf, dass Properz den Stadtgott Vertumnus in der 2. Elegie seines vierten Gedichtbuchs als einen Verkleidungskünstler würdigte, der seinen Namen, wie er als Schöpfer römischer Aitien klarstellte73, seiner Wandlungsfähigkeit verdanke. Mit diesem Gott vergleicht sie sich auf der Sprachebene, dass sie im Vers 3,8,14 wie ihr Vorläufer im Vers 4,2,45 die Stilhöhe von apte, »schick«, zu decenter, »kleidsam«, anhebt. So voraussetzungsreich dichtete sie, nach seinen Zeitanspielungen auf den Rückzug der Sygambrer74 und die Feier des dritten Jahrfünfts seit der Seeschlacht von Aktium zu schließen75, frühestens um das Jahr 15 v. Chr. In der zweiten Elegie enthüllt Sulpicia, weshalb sie Amor in der ersten als heißblütigen Gott begrüßte. Nunmehr lüftet sie ihr Geheimnis, dass ein junger Mann, den sie nach dem griechischen Namen des bittersüßen Bienenbrots Sandarach als Cerinthus anredet76, sie entflammte. Gern sähe sie ihn von Amor beschirmt und gefesselt. Doch hat ihn die Jagdleidenschaft gepackt.77 Welche Gottheit in dem Machtkampf um ihn siegen wird, ob Amor, der heißblütige Gott der Liebe, oder Diana, die keusche Göttin der Jagd, muss sie vorerst abwarten. Zwar hofft sie sehnlich, er werde so bald wie möglich in ihre Arme 72 73 74 75 76 77

Je einmal in den Versen 3,8,15, 3,8,24 und 3,12,10, zweimal im Vers 3,13,10. Prop. 4,2,19–22. Prop. 4,6,77. Prop. 4,6,69–74. Zu seinen Eigenschaften s. Plin. nat. 11,17. 3,9,5–10.

Sulpicia

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zurückkehren. Einstweilen aber sorgt sie sich, einer Nebenbuhlerin könnte es gelingen, ihn ihr zu entfremden.78 In der dritten Elegie gibt Sulpicia ihrem Geliebten Gelegenheit, sich zu Wort zu melden, um seine Gefühle zu äußern. Als er hört, sie sei mit hohem Fieber erkrankt, besteht er seine Bewährungsprobe als Liebhaber nach allen Regeln elegischer Dichtkunst. Tränen vergießt, Dankopfer gelobt und mit den Göttern hadert er, bis ihm Apollon, den er in seiner Not zu Hilfe ruft, als wohlgesinnter Heilbringer versichert, er werde sie in Rom genesen vorfinden. In der vierten Elegie verspricht Sulpicia, den Tag stets heilig zu halten, an dem ihr heißgeliebter Cerinthus geboren wurde. Doch verhehlt sie sich nicht, dass sie sich in einen Schwarm heranwachsender Römerinnen verliebt hat, der noch zögert, sich so fest zu binden, wie sie es sich innigst wünscht. In dieser Lage klammert sie sich an die Hoffnung, dass er zwar genauso empfindet wie sie, sich aber schämt, es so offen wie sie auszusprechen.79 – Wie weit sie sich in Selbsttäuschungen flüchtet, muss die Zukunft zeigen. In der fünften Elegie begrüßt Sulpicia ihren Geburtstag als Gelegenheit, Iuno in aller Stille als Schutzgöttin ehelicher Treue um ihren Segen zu bitten. So weit denkt sie voraus, ohne ihre Mutter, Messallas Schwester Valeria, in ihr Geheimnis einzuweihen. Davon sieht sie wohlweislich ab, weil ihr bewusst ist, dass die Witwe eines Mannes von so altem Adel wie Servius Sulpicius Rufus andere Heiratspläne schmiedet.80 Da ihr Vater, der gleichnamige Sohn des Konsuls vom Jahr 51 v. Chr., bereits verstorben ist, muss seine Gattin, um die Lücke zu schließen, als besorgte Mutter den besorgten Vater ersetzen, dem nach den aus Lebenserfahrung gesprochenen Worten, mit denen Properz einen Nebenbuhler verwünscht81, kein Schwiegersohn gut genug sein kann. Nach diesem Maßstab empfiehlt sich ein junger Mann vom Schlage eines Cerinthus nur bedingt als Wunschkandidat, der mit einer höheren Tochter eine lebenslange Musterehe zu führen verheißt. So noble Passionen wie die Jagdleidenschaft kann er zwar nur mit einem Vater geteilt haben, der den besseren Kreisen der römischen Gesellschaft angehörte. 82 Als Don Juan, dem die Herzen junger Römerinnen zufliegen, zögert er aber noch immer, sich von seinem unbeschwerten Leben als begehrter Junggeselle loszusagen. Nicht er, sondern Sulpicia ist es, die Venus wechselseitig bindende Fesseln huldvoll breitzuhalten bittet und den Bund mit ihm, ganz gleich, wer von ihnen beiden die Oberhand gewinnen wird, Jahr um Jahr verlängern zu wollen versichert.83

78

3,9,21–24. 3,11,17–20. 80 3,12,15–16. 81 Prop. 3,8,37–38: at tibi, qui nostro tendisti retia lecto, sit socer aeternum nec sine matre domus! 82 Soviel zu V. 3,9,23, dem einzigen Hinweis auf seine Herkunft. 83 3,12,7–10 und 19–20. 79

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Einleitung

Nie ist es er, der für sie, sondern stets sie, die für ihn mitspricht. Wie weit sie sich Selbsttäuschungen hingibt, bleibt nach wie vor in der Schwebe. In der sechsten Elegie dankt Sulpicia Venus, der römischen Aphrodite Urania, dafür, dass sie ihr Cerinthus zuführte, um ihr den Herzenswunsch zu erfüllen, ihn wie einen kostbaren Schatz in ihrer Obhut zu verwahren.84 Nun, da ihr die Göttin beisteht, die sie in ihren Gedichten inständig um Hilfe anflehte, scheut sie sich nicht länger, die Maske der Ehrbarkeit abzulegen.85 Ohne zu zögern, ihr Geheimnis zu lüften, bekräftigt sie in dem Schlussvers »Zusammengewesen sei ich mit einem, der mich genauso verdient, wie ich ihn verdiene, werde über mich verbreitet«, dass sie sich im vorhergehenden Gedicht mit den Worten »Keinem anderen Mädchen zu Diensten zu stehen ist er würdiger oder umgekehrt sie keinem anderen Mann« aus tiefer Zuneigung zu Cerinthus bekannte. Wer von ihnen beiden, ob sie oder er, die Oberhand gewinnt, wird sich nach diesem Zwischenstand erst im Laufe ihres Zusammenlebens herausstellen. In der siebten Elegie nimmt Sulpicia die Vorgefechte um ihren nahenden Geburtstag zum Anlass, ihren Onkel Marcus Valerius Messalla Corvinus in ihren Gedichtzyklus einzubeziehen. Mit ihm wechselt sie in dieser Angelegenheit Briefe, da er sie als ihr nächster männlicher Verwandter einlud, ihren Festtag auf seinem umbrischen Landsitz in der Gemarkung Arezzo zu feiern. Seit dem Tod ihres Vaters Servius Sulpicius Rufus Halbwaise, durchschaut sie zwar, dass er sie zu gängeln versucht, weil er sich als ihr Vormund verpflichtet fühlt, auf ihren guten Ruf zu achten. Um ihn aber nicht zu brüskieren, bemüht sie sich, seine Pläne so sacht wie möglich zu unterlaufen. Doch als er sich über die Verzögerungen ihrer Abreise ungehalten äußert, spürt sie, auf welch schmalen Grat sie sich bewegt, wenn sie sich auf so durchsichtige Ausflüchte wie die Ausrede verlegt, dass an seinem Landgut der eiskalte Arno vorbeifließe.86 »Nun beruhige dich schon, Messalla, mein allzu sehr um mich besorgter und mit meiner nicht pünktlichen Reise hadernder Verwandter« schreibt sie ihm daraufhin, um ihn wenigstens zu beschwichtigen, wenn sie ihn schon nicht davon abbringen kann, auf seiner Einladung zu bestehen.87 So gewählt redet sie ihn an, um ihn schelmisch zu einem römischen Achill zu überhöhen, der seiner Nichte wegen der Verschiebungen des Antritts ihrer Reise so fürchterlich grollt, wie nach Vergils Aeneis der Achill der griechischen Sagenwelt den Königen Agamemnon, Menelaos und Priamos zürnte. Las ihr hochgebildeter Onkel die Zeile neu tempestivae saeve propinque viae, konnte sie darauf vertrauen, dass er sich an den Vers Atridas Priamumque et saevum ambobus Achillem des Dichters erinnert fühlte, dessen Nationalepos 84 85 86 87

3,13,3–6. 3,13,7–10. 3,14,4. 3,14,5–6.

Sulpicia

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mittlerweile zum Gemeingut geworden war.88 In der gehobenen Wortwahl und Tonlage ihrer Anrede klang deutlich genug die sprachliche Neuerung nach, die Vergil einführte, als er im Vers 1,458 seiner Aeneis das Eigenschaftswort saevus mit dem Dativ verknüpfte. In der achten Elegie teilt Sulpicia ihrem Geliebten erleichtert mit, ihr Onkel habe ihr wider Erwarten abgesagt. Als glückliche Fügung schildert sie ihm diese überraschende Wende, weil sie nach dem Stand, auf dem das vorhergehende Gedicht schloss, nicht mehr gehofft hatte, ihren Geburtstag mit ihm und anderen Gästen der Jeunesse dorée in der Hauptstadt feiern zu können. Weshalb ihr Onkel von seiner Einladung abrückte, verrät sie nicht. Doch hätte sie schwerlich von einer glücklichen Fügung gesprochen, wenn er sie aus Verärgerung ausgeladen hätte. Die ungetrübte Freude, mit der sie über seine Absage jubelte, deutet eher darauf hin, dass er aus beruflichen Gründen verhindert war oder am Ende als der Klügere nachgab. In der neunten Elegie gewährt Sulpicia einen tiefen Einblick in das Standesdenken der Gesellschaftsschicht, in die sie als Tochter beidseits hochadliger Eltern hineingeboren wurde. Bisher war es ihr geglückt, die Einmischungsversuche ihrer Mutter Valeria und ihres Onkels Messalla geschmeidig genug abzuwehren, um nicht mit ihnen zu brechen. Doch hütete sie sich wohlweislich, die Erziehung zu verleugnen, die sie als höhere Tochter genossen hatte. So rebellisch gebärdete sie sich nicht, wenn sie einen umschwärmten Junggesellen wie Cerinthus zu heiraten gedachte, der mit seinem Vater die Jagdleidenschaft teilte, ohne seine zarten Hände abzuscheuern oder seine Arme und Beine der prallen Sonne auszusetzen.89 Noblen Passionen wie dieser frönte eher jemand, der zu Roms Jeunesse dorée gehörte. So hohe Ansprüche an Herkunft und Aussehen stellte sie, ohne zu hadern, dass sie dafür einen hohen Preis zu zahlen hatte. Obwohl ihr nicht entgeht, dass er sich mit Dirnen vergnügt, preist sie sich bis zur Selbstaufgabe glücklich, wenigstens nicht mit einer ernsthaften Nebenbuhlerin um seine Liebe kämpfen zu müssen. Mit entwaffnender Offenheit begrüßt sie vielmehr, dass er sie gut genug kenne, um zu wissen, so tief, sich mit Fehltritten zu rächen, werde sie niemals sinken. Dagegen glaubt sie sich hinlänglich gefeit, weil sie ihre Erziehung von dem tiefverwurzelten Standesdenken besorgter Verwandter geprägt sieht, die sie nur dann bitter enttäuschen würde, wenn sie sich einer Bettgefährtin unbekannter Herkunft geschlagen gäbe. Unverblümter hätte sie nicht aussprechen können, dass adelsstolze Römer nichts so arg schmerzte wie die Schmach, in dem Streben, mit dem Ruhm der Ahnen zu wetteifern, einen empfindlichen Rückschlag erlitten zu haben.

88 89

3,14,6. 3,9,5–10 und 23–24.

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Einleitung

In der zehnten Elegie erniedrigt sich Sulpicia dazu, Cerinthus und sich selbst bang zu fragen, ob es ihm nahe gehe, dass hohes Fieber sie plage.90 Wie erschreckend sie ihr Selbstbewusstsein schwinden fühlt, ist daran abzulesen, dass sie lieber sterben möchte als erleben zu müssen, dass er ihre Leiden mit Gleichmut hinnimmt.91 Während sie sich in der ersten Elegie ihres Gedichtzyklus als hinreißende Schönheit einführte, deren Liebreiz selbst einen Mars verzaubern könnte, ergibt sie sich nun in das Schicksal, dass Cerinthus ihr zu gefallen bestimmt sei.92 So vielsagend kehrt sie das Muster um, das sie zu ihrer Wortwahl anregte. Tibull vergab die Rolle, vom Schicksal zu gefallen ausersehen zu sein, an junge Schönheiten, die sich nicht unter Wert verkauften. Im 5. Gedicht seines zweiten Buchs verkörperten sie die Vestalin Ilia, die den Kriegsgott Mars, und ein Bauernmädchen, das einen reichen Viehhalter entflammt.93 In der elften Elegie deutet Sulpicia an, dass sie aus den Demütigungen, die Cerinthus ihr zumutete, die Lehre zog, ihre Verhaltensweise von nun an zu ändern. Statt sich ihm wie bisher hemmungslos hinzugeben, verlässt sie ihn, um ihre Liebesglut vor ihm zu verbergen, noch in der Nacht, in der sie ihn entflammte. Doch bereut sie zutiefst, Gefühlskälte vorgetäuscht zu haben, als sie sich darauf zurückbesinnt, dass er ihr zu gefallen vom Schicksal ausersehen ist. So endet zwar das letzte Gedicht ihres Zyklus, wohl kaum aber die Liebesgeschichte, die ihn wie ein roter Faden durchzieht. Wie sie ausging, lässt die Dichterin offen. Ob sie Cerinthus, einen Anderen oder überhaupt nicht heiratete, verschweigt sie. Nicht einmal, wieweit sie Dichtung in die Wahrheit einkreuzte, ist sicher auszumachen.

Namenloser Tibullnachfolger im Würgegriff eines Knebelvertrags Im 19. Gedicht des dritten Buch klagt ein Tibulljünger sein Leid, der bitter bereut, einer krankhaft eifersüchtigen Römerin überstürzt ewige Treue geschworen zu haben. Kaum hat er mit ihr dieses Abkommen getroffen, merkt er, dass er das Faustpfand aus der Hand gegeben hat, ihre Angst vor Nebenbuhlerinnen als Trumpfkarte auszuspielen.94 Je hartnäckiger sie darauf pocht, dass er seinen Treueid vor Iuno, der Schutzgöttin ehelicher Treue, geleistet habe, desto ärger fühlt er sich von dem Vertrag geknebelt, den er mit ihr im Rausch 90

3,17,1–2. 3,17,5–6. 92 3,17,1 nach der fraglos richtigen Lesart Cerinthe tuae placiture puellae. 93 Zu diesen beiden wörtlichen Anklängen vgl. Tib. 2,5,35–36 (... saepe gregis diti placitura magistro ad iuvenem festa est vecta puella die) und 2,5,51–52 (te quoque iam video, Marti placitura sacerdos Ilia, Vestales deseruisse focos). 94 3,19,17–20. 91

Epigramm

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seiner Leidenschaft blindlings schloss. Selbst wenn Venus, die Schutzgöttin der Liebe, ihm eine Tibullfreundin, eine amica Tibullo, vom Himmel sendete, würde sie scheitern. 95 Nicht einmal ihr verlockendes Angebot, ihm eine Traumfrau zu bescheren, die ihn als kunstsinnige Leserin zu lebensechter und stilvoller Liebespoesie anzuregen verspräche, könnte ihn in Versuchung führen, seinen Knebelvertrag zu brechen, um nicht länger von seiner herrschsüchtigen Vertragspartnerin unterdrückt zu werden. In seiner ausweglosen Lage verbleibt ihm nur, die Schutzgöttin der Liebe demütig zu bitten, ihm doch wenigstens zu verzeihen, sich bedingungslos der Schutzgöttin der Ehe unterworfen zu haben.96 Das Geheimnis, wer diese Elegie verfasste, hat ihr Dichter gewahrt. Preisgegeben hat er lediglich, dass er Tibull als den Vorgänger bewunderte, der in der Gedichtgattung, die er vertrat, die Maßstäbe setzte. So hoch muss er ihn geschätzt haben, wenn ihm eine Tibullfreundin als die Traumfrau eines jeden Liebesdichters vorschwebte. Darin klingt die gleiche Hochachtung durch, wie sie in unserem Kulturkreis mitschwingt, wenn wir die einfühlsame Kennerin und begeisterte Leserin deutscher Liebeslyrik zur Goethefreundin erklärten.

Epigramm Das Epigramm, mit dem die Reihe von zwanzig Gedichten endet, stammt genauso wenig wie die übrigen des dritten Buchs von Tibull. Weder in der Form noch im Inhalt bestechend oder eigenwillig, verfasste es ein gebildeter Römer, der Properz gelesen und geschätzt haben muss. Im Hexameter wie im Pentameter des Distichons, mit dem er sein kurzes Allerweltsgedicht eröffnet, greift er allein auf ihn zurück. In der ersten Zeile entlehnt er ihm aus V. 4,4,47 den Eingangssatz rumor ait, in der zweiten aus V. 2,16,36 die Redewendung surdis auribus esse. Nach diesem Befund kann er das Epigramm frühestens im Jahr 16 v. Chr. gedichtet haben.

95 96

3,19,13–14. 3,19,23–24.

TEXT UND ÜBERSETZUNG

Sigla F

Lectiones vetusti, nunc deperditi fragmenti Cuiaciani Codices

A Ambrosianus R. 26 sup., scriptus anno 1374 B Parisinus Bibl. Nat. Lat. 7989, scriptus anno 1423 Ber. Genovensis Berianus D bis – 11-6-51, scriptus saeculo XV C Consensus codicum c d e G Guelferbytanus MS. Aug. 82,6, scriptus saeculo XV H Hamburgensis, Bibl. Publ. et Univ. scrin. 139, scriptus saeculo XV M Monacensis Lat. 14486, scriptus saeculo XV P Vaticanus Palat. Lat. 910, scriptus anno 1467 Q Brixianus Quirinianus A. VII. 7, ff. 116–151v, scriptus saeculo XV V Vaticanus Lat. 3270, scriptus ca. annum 1425 Vo Leidensis, Bibl. Univ. Voss. Lat. O 13, scriptus saeculo XV Y Eboracensis, codex deperditus, scriptus anno 1425, inspectus a Heinsio c Wittianus, Broukhusii codex deperditus, scriptus saeculo XV d Datanus Berol. Diez. B. Sant. 39 b, scriptus saeculo XV e Askewianus Berol. Diez. B. Sant. 21, scriptus saeculo XV h Londinensis, Bibl. Brit. Harl. 2574, scriptus saeculo XV Berol. Berol. Ms. Lat. Quart. 309, scriptus anno 1451 Bg. Bergomanensis, Bibl. Civ. Angelo Mai Δ. V. 10, scriptus saeculo XV Cu. Scaligeri codex Cuiacianus recentior, nunc Londinensis Bibl. Brit. Egerton, scriptus anno 1476 Es. Escurialensis S. III. 22, scriptus saeculo XV/XVI O Consensus codicum A Ber. V Ω Consensus codicum vetustiorum ς Consensus codicum recentiorum Excerpta Fris. Excerpta Frisingensia in codice Lat. Monacensi 6292, ff. 117r-118r, saeculo XI ineunte scripta Flor. Florilegium Tibullianum Ven. Venetus Marcianus Latinus Z. 497 (1811), saeculo XI exeuntis scriptus a Arras. 64, olim 65, ff. 23r-24r, saeculo XIII/XIV scriptus n Paris. Bibl. Nat. Lat. 17903, scriptus saeculo XIII p Paris. Bibl. Nat. Lat. 7647, ff. 66v-67v, scriptus saeculo XII exeunte Exc. Excerpta Tibulliana Berol. Berol. theol. Lat. fol. 381, saeculo XV scriptus

Sigla

Bodl. Buxh. Harl. Paris. Reg. Ver.

Oxon, Bibl. Bodl. Add. 208 (29224), saeculo XIII scriptus Monacensis Latinus 29110a, fol. 3r, saeculo XIII scriptus Londinensis Mus. Brit. Harl. 2745, f. 76v, saeculo XIV/XV scriptus Parisinus Bibl. Nat. Lat. 13582, f. 166r, saeculo XIII scriptus Vaticanus Regin. Lat. 2120, ff. 11-12v, saeculo XIII scriptus Veron. Bibl. Cap. CLXVIII (155), anno 1329 scriptus Editiones

Ald. Plant. Reg. Rom. Venet. Vic.

Aldina I 1502. II 1515. III 1567 Plantiana, Antversiae 1569 Regiensis 1481 Romana 1475 Veneta 1475 Vicentina 1481

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Tibulli liber primus I [1–2] Divitias alius fulvo sibi congerat auro et teneat culti iugera multa soli, [3–4] quem labor adsiduus vicino terreat hoste, Martia cui somnos classica pulsa fugent: [5–6] me mea paupertas vitae traducat inerti, dum meus adsiduo luceat igne focus. [7–8] ipse seram teneras maturo tempore vites rusticus et facili grandia poma manu; [9–10] nec Spes destituat, sed frugum semper acervos praebeat et pleno pinguia musta lacu. [11–12] nam veneror, seu stipes habet desertus in agris seu vetus in trivio florida serta lapis, [13–14] et quodcumque mihi pomum novus educat annus, libatum agricolae ponitur ante deo. [15–16] flava Ceres, tibi sit nostro de rure corona spicea, quae templi pendeat ante fores, [17–18] pomosisque ruber custos ponatur in hortis, terreat ut saeva falce Priapus aves. [19–20] vos quoque, felicis quondam, nunc pauperis agri custodes, fertis munera vestra, Lares. [21–22] tunc vitula innumeros lustrabat caesa iuvencos, nunc agna exigui est hostia parva soli. [23–24] agna cadet vobis, quam circum rustica pubes clamet ‘io messes et bona vina date’. [25–26] iam modo iam possim contentus vivere parvo nec semper longae deditus esse viae, [27–28] sed Canis aestivos ortus vitare sub umbra arboris ad rivos praetereuntis aquae. [29–30] nec tamen interdum pudeat tenuisse bidentem aut stimulo tardos increpuisse boves,

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I 2 multa Diomed. Fris. Flor. Vinc. magna Ω, sed cf. Lygd. 3,5 5 uit(a)e Berol. O B P Q d e uita Fris. Flor. Vinc. Es. G 14 deo recc., Muret deum O B M Q Y C deos P 19 felicis G C Vat. 2794 felices O B P Q Y 25 iam possim Fris. iam possum Flor. non possum O P Q Es. Vat. 2794 nunc possum c e 27 (a)estus P 29 bidentem Flor. Es. G Q2 ed. Reg. bidentes Ber. P Q Y Vat. 2794 et in marg. V2 ludentes A V

Tibulls erstes Buch 1 [1–2] Schätze häufe ein Anderer sich an mit gelbrotem Gold und halte viele Morgen bestellten Boden um den Preis [auf die Gefahr hin] in seinem Besitz, [3–4] dass Ungemach ihn ständig schreckt, steht in der Nähe der Feind, und ihm den Schlaf die Fanfarenstöße von Kriegstrompeten vertreiben – [5–6] mich leite mein spärliches Auskommen zu einem beschaulichen Leben an, solange nur von ständig brennendem Feuer leuchtet mein Herd. [7–8] Selber pflanzen will zur rechten Zeit ich als Landmann zarte Reben und prächtige Obstbäume mit behänder Hand. [9–10] Dabei lasse mich die Göttin der Hoffnung nicht im Stich, sondern gewähre mir allzeit Feldfrüchte in Mengen und schweren [dickflüssigen] Traubenmost in randvollem Bottich. [11–12] Denn ich huldige ihr, sei es, ein einsamer Baumstumpf bekommt auf Feldern, sei es, auf einer Weggabelung ein alter Stein meine Blumengebinde; [13–14] und von allem Obst, das mir großzieht ein neues Jahr, wird eine Kostprobe als Erstlingsgabe zu Füßen gelegt der ländlichen Gottheit. [15–16] Goldgelbe Ceres, dir sei bestimmt von meinem Land ein Ährenkranz, der hänge vor deines Tempels Flügeltür, [17–18] und ein rot angestrichener Wächter werde aufgestellt in obstreichen Gärten, um mit scharfem Krummmesser als Priap zu verscheuchen die Vögel. [19–20] Ihr auch, Wächter eines einst gesegneten, jetzt kärglichen Ackerlands, nehmt eure Gaben entgegen, ihr Laren! [21–22] Damals entsühnte ein geschlachtetes Kalb unzählige Jungbullen; jetzt ist ein Lamm das bescheidene Schlachtopfer knapp bemessenen Grund und Bodens. [23–24] Ein Lamm wird euch geschlachtet werden, um das sich scharend die Landbevölkerung rufe: »Juchhe [Hurra], beschert uns gute Ernten und Weine!« [25–26] Könnte ich doch nur wenigstens jetzt zufrieden leben mit Wenigem und nicht immer liebäugeln mit einer weiten Reise, [27–28] sondern des Hundssterns Sommeraufgänge meiden im Schatten eines Baums an den Rinnsalen eines vorbeifließenden Gewässers! [29–30] Und doch würde ich mich nicht schämen, zuweilen in Händen zu halten den zweizinkigen Karst und mit dem Treibstachel zurechtzuweisen langsame Ochsen.

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Liber I

[31–32] non agnamve sinu pigeat fetumve capellae desertum oblita matre referre domum. [33–34] at vos exiguo pecori, furesque lupique, parcite: de magno est praeda petenda grege. [35–36] hic ego pastoremque meum lustrare quotannis et placidam soleo spargere lacte Palem. [37–38] adsitis, divi, neu vos e paupere mensa dona nec e puris spernite fictilibus. – [39–40] fictilia antiquus primum sibi fecit agrestis pocula, de facili composuitque luto. – [41–42] non ego divitias patrum fructusque requiro, quos tulit antiquo condita messis avo: [43–44] parva seges satis est, satis est requiescere lecto si licet et solito membra levare toro. [45–46] quam iuvat immites ventos audire cubantem et dominam tenero continuisse sinu [47–48] aut, gelidas hibernus aquas cum fuderit Auster, securum somnos igne iuvante sequi! [49–50] hoc mihi contingat, sit dives iure, furorem qui maris et tristes ferre potest pluvias. [51–52] o quantum est auri pereat potiusque smaragdi, quam fleat ob nostras ulla puella vias. [53–54] te bellare decet terra, Messalla, marique, ut domus hostiles praeferat exuvias; [55–56] me retinent vinctum formosae vincla puellae, et sedeo duras ianitor ante fores. [57–58] non ego laudari curo, mea Delia; tecum dum modo sim, quaeso segnis inersque vocer. [59–60] te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam moriens deficiente manu. [61–62] flebis et arsuro positum me, Delia, lecto, tristibus et lacrimis oscula mixta dabis. [63–64] flebis: non tua sunt duro praecordia ferro vincta, neque in tenero stat tibi corde silex.

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34 de magno est n Vinc. Exc. O B P Q c e de magno Fris. a p 37 nec Flor. C ♦ e Flor. B G P Q V2 Es. de C et O 41 fructusue Flor. 43 satis est satis est A B Ber. Es. G P b e satis est et satis est superscr. V satis est uno Flor. satis est paruo Q 44 si licet Muret et Scaliger ex Plant. scilicet Flor. Ω Y 46 detinuisse uel continuisse Y detinuisse Q 48 imbre Flor. G2 49 sit Flor. B G H Q C Es. si O P ♦ rure a n p inire c 54 hostiles Q C Es. ostiles G et in marg, V2 exiles uel hostiles Y exiles O H exilles P 55 uictum Itali 57 cupio G H 59 te B d Es. et O H P Q Y c e 60 te B d et O H P Q Es. Y c e 63 dura A V, corr. V2 64 uincta Fris. H P Q Es. iuncta O B G d, corr. G1 et in marg. V2 cincta Della Corte ♦ neque Fris. nec Ω

Buch 1

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[31–32] Nicht würde es mich verdrießen, ein Lamm oder das Junge einer Geiß, ward es verlassen, weil seine Mutter es vergaß, im Arm zurückzubringen zum Haus. [33–34] Doch ihr, Diebe und Wölfe, verschont meinen knappen Viehbestand! Von einer großen Herde müsst die Beute ihr euch zu holen suchen. [35–36] Hier [auf der Weide, auf der mein Vieh grast] pflege ich auch meinen Hirten alljährlich zu entsühnen und zum Dank mit Milch zu besprengen eine wohlgefällige Pales. [37–38] Steht mir bei, ihr Götter, und verschmäht ihr mir nicht die Gaben von einem kärglichen Tisch und sauberen Tongeschirr! [39–40] – Aus Ton stellte sich der Ackersmann der Vorzeit erstmals Becher her, formte sie aus dem leicht zu verarbeitenden Lehm. – [41–42] Nicht vermisse ich den Reichtum der Väter und die Erträge, die vormals die eingelagerte Ernte erbrachte dem Ahn. [43–44] Ein kleines Saatfeld genügt mir, es genügt mir, wenn es mir vergönnt ist, mich auszuruhen auf dem Bett und meinen Körper zu entspannen auf seinem gewohnten Polster. [45–46] Wie sehr behagt es, heftige Winde im Bett liegend zu hören und die Herrin umschlungen zu halten in zärtlicher Umarmung [47–48] oder, wenn im Winter eiskalte Regenschauer der Südwind vergießt, unbesorgt den Schlaf bei behaglichem Feuer zu suchen. [49–50] Dies sei mir vergönnt, mag auch reich sein mit Recht, wer das Toben des Meeres und die schaurigen Regenfälle ertragen kann! [51–52] Oh, ginge doch alles an Gold und Smaragden, das es auf der Welt gibt, eher zum Teufel, als dass irgendein Mädchen weinte ob [wegen] meiner Reisen! [53–54] Dir ziemt es, Krieg zu führen, Messalla, zu Lande und zur See, dass dein Herrenhaus vorzeige die vom Feind erbeutete Rüstung. [55–56] Mich aber halten gefesselt die Bande einer wohlgestalteten Geliebten, und ich sitze als Pförtner vor den unnachgiebigen Flügeln ihrer Tür. [57–58] Keinen Wert lege ich darauf, gepriesen zu werden, meine Delia; solange nur mit dir zusammen ich bin, lasse ich mich gerne schlaff und untauglich schimpfen [schimpfe man mich doch bitte träge und unnütz]. [59–60] Dich möchte ich schauen, wenn gekommen ist meine letzte Stunde, dich sterbend im Arm halten mit erlahmender Hand. [61–62] Weinen wirst du um mich, Delia, wenn ich aufgebahrt liege auf der zur Einäscherung bestimmten Bahre, und mit bitteren Tränen [Tränen der Trauer] vermischt Küsse mir geben. [63–64] Weinen wirst du. Nicht ist deine Brust mit stahlhartem Eisen gepanzert, und nicht steckt im zartfühlenden Herz dir Granit.

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Liber I

[65–66] illo non iuvenis poterit de funere quisquam lumina, non virgo, sicca referre domum. [67–68] tu manes ne laede meos, sed parce solutis crinibus et teneris, Delia, parce genis. [69–70] interea, dum fata sinunt, iungamus amores: iam veniet tenebris Mors adoperta caput, [71–72] iam subrepet iners aetas, nec amare decebit, dicere nec cano blanditias capite. [73–74] nunc levis est tractanda venus, dum frangere postes non pudet et rixas inseruisse iuvat. [75–76] hic ego dux milesque bonus: vos, signa tubaeque, ite procul, cupidis vulnera ferte viris, [77–78] ferte et opes: ego composito securus acervo dites despiciam despiciamque famem.

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II [1–2] Adde merum vinoque novos compesce dolores, occupet ut fessi lumina victa sopor, [3–4] neu quisquam multo percussum tempora baccho excitet, infelix dum requiescit amor. [5–6] nam posita est nostrae custodia saeva puellae; clauditur et dura ianua firma sera. [7–8] ianua difficilis domini, te verberet imber, te Iovis imperio fulmina missa petant. [9–10] ianua, iam pateas uni mihi, victa querelis, neu furtim verso cardine aperta sones; [11–12] et mala siqua tibi dixit dementia nostra, ignoscas: capiti sint precor illa meo. [13–14] te meminisse decet, quae plurima voce peregi supplice, cum posti florida serta darem. [15–16] tu quoque ne timide custodes, Delia, falle. audendum est: fortes adiuvat ipsa Venus.

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71 nec Fris. Flor. Es. neque O H P Y c 78 dites despiciam O H P Q Y C despiciam dites Flor. B G II 3 perfusum Q Es. ς 4 amans P Q d e amaris al’ amor Vo 7 domin(a)e Q H d e, corr. Q1

Buch 1

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[65–66] Von jenem Begräbnis wird kein junger Mann, keine junge Frau mit trockenen Augen nach Hause zurückkehren können. [67–68] Du aber verletze nicht meine Manen, sondern schone deine aufgelösten Haare und schone, Delia, deine zarten Wangen. [69–70] Unterdessen lasst uns, solange die Schicksalsmächte es gestatten, in Liebe vereint leben. Bald schon wird kommen der Tod mit von Finsternis umhülltem Haupt. [71–72] Bald schon wird mit dem Alter sich einschleichen die Schlaffheit. Weder zu lieben noch Schmeicheleien zu säuseln wird sich schicken, ist alt und grau der Schopf. [73–74] Jetzt fällt das Liebesleben noch leicht, solange Türpfosten zu zertrümmern man sich nicht schämt und in Streitereien sich zu verstricken sogar behagt. [75–76] Auf diesem Feld bin ich ein guter Heerführer und Soldat. Ihr aber, Banner [Fahnen] und Trompeten, geht von hinnen, tragt Wunden habgierigen Männern [77–78] und tragt Wohlstand ihnen ein! Ich aber werde, sorgenfrei dank meiner zuhauf eingelagerten Vorräte, auf Reiche herabsehen und herabsehen auf Hungersnot. 2 [1–2] Schenke reinen Wein nach, und zügle mit Wein neue Liebesqualen, dass eines Erschöpften Augen, sind sie bezwungen, überkomme tiefer Schlaf [3–4] und niemand, sind durchdrungen seine Schläfen vom vielen Wein, der Gabe des Bacchus, ihn wachrüttele, solange sich ausruht seine unglückliche Liebe. [5–6] Denn aufgestellt ist eine grimmige Wache für meine Geliebte, und verschlossen wird die massive Haustür mit einem unnachgiebigen Riegel. [7–8] Tür eines griesgrämigen [unwirschen] Hausherrn, dich peitsche ein Platzregen, dich mögen, auf Iuppiters Geheiß gesandt, sich Blitze nehmen zum Ziel. [9–10] Tür, stündest du doch nunmehr, überwältigt [erweicht] von meinen Klagen, ausschließlich mir offen und knarrtest du nicht, verstohlen geöffnet, durch die Drehung deiner Angel; [11–12] und wenn ich dir irgendwelche Bosheiten gesagt habe in meiner Vernarrtheit, verzeih es! An den Kopf bitte ich mir sie zu werfen. [13–14] Dir steht es gut zu Gesicht, daran dich zu erinnern, was ich auf das ausgiebigste vortrug mit demütig flehender Stimme, als ich dem Türpfosten Blumengebinde darreichte. [15–16] Du täusche auch unverzagt die Wächter, Delia! Gewagt werden muss es: Den Mutigen hilft Venus persönlich.

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Liber I

[17–18] illa favet, seu quis iuvenis nova limina temptat, seu reserat fixo dente puella fores; [19–20] illa docet molli furtim derepere lecto, illa pedem nullo ponere posse sono, [21–22] illa viro coram nutus conferre loquaces blandaque compositis abdere verba notis. [23–24] nec docet hoc omnes, sed quos nec inertia tardat nec vetat obscura surgere nocte timor. [25–26] en ego cum tenebris tota vagor anxius urbe, , [27–28] nec sinit occurrat quisquam, qui corpora ferro vulneret aut rapta praemia veste petat. [29–30] quisquis amore tenetur, eat tutusque sacerque qualibet: insidias non timuisse decet. [31–32] non mihi pigra nocent hibernae frigora noctis, non mihi, cum multa decidit imber aqua. [33–34] non labor hic laedit, reseret modo Delia postes et vocet ad digiti me taciturna sonum. [35–36] parcite luminibus, seu vir seu femina fiat obvia: celari vult sua furta Venus. [37–38] neu strepitu terrete pedum neu quaerite nomen neu prope fulgenti lumina ferte face. [39–40] siquis et imprudens aspexerit, occulat ille perque deos omnes se meminisse neget; [41–42] nam fuerit quicumque loquax, is sanguine natam, is Venerem e rapido sentiet esse mari. [43–44] nec tamen huic credet coniunx tuus, ut mihi verax pollicita est magico saga ministerio. [45–46] hanc ego de caelo ducentem sidera vidi, fluminis haec rapidi carmine vertit iter, [47–48] haec cantu finditque solum Manesque sepulcris elicit et tepido devocat ossa rogo; [49–50] iam tenet infernas magico stridore catervas, iam iubet adspersas lacte referre pedem.

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19 molli furtim Fris. furtim molli Ω ♦ derepere Fris., cf. obrepere in v. 1,8,59 decedere O B P Q c discedere e deducere H 22 addere H P Y d 23 docet Es. P e G1 et fortasse Q1 ed. Reg. decet O B G H Q Y c d 26 inter versus 25 et 27, qui sine intervallo sunt coniuncti in codicibus A et V, securum in tenebris me facit esse venus inseruerunt librarii codicum Ber. H M P Q Vo et in calce V2, sed nec mihi se oomitem denegat ipsa Venus ex vv. Prop. 3,16,20 (… exclusis comes fit ipsa Venus), Lygd. 6,10 (neve neget quisquam … se comitem) et Ov. ars 1,127 (… comitemque – sc. se viro – negabat) supplevit Flach 35 fiat O B H P Y c fias M Q V2 d e, sed cf. vv. 1,6,39 et 2,3,33–34 37 neu … neu Ber. G H Q ne … neu A B P V c heu … neu d e 42 rapido Ω rabido Itali, sed cf. Ov. met. 6,399 et epist. 7,142 ♦ sentiat C 46 sistit H, sed cf. Prop. 1,1,23–24 47 scinditque P 49 ciet H Q c ♦ catenas P

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[17–18] Sie ist ihnen hold, ob nun irgendein junger Mann sein Glück mit einer neuen Schwelle versucht oder ein Mädchen mit einem Nachschlüssel, dessen Bart es ins Schloss steckt, entriegelt die Tür. [19–20] Sie lehrt, verstohlen vom weich gepolsterten Bett hinunterkriechen, sie auch, den Fuß lautlos auf den Boden aufsetzen zu können, [21–22] sie auch, im Beisein des Ehemanns sich zunickend beredte [vielsagende] Winke auszutauschen und Koseworte zu verstecken in einer verabredeten Geheimschrift. [23–24] Doch lehrt sie dies nicht alle, sondern nur solche, die weder Trägheit hemmt noch Angst hindert, aufzustehen in finsterer Nacht. [25–26] Sieh nur, wenn ich im Dunkeln bangen Herzens umherstreife in der ganzen Stadt, , [27–28] noch lässt sie zu, dass mir jemand den Weg vertritt, der den Körper von Menschen mit der Klinge verletzt oder ihnen die Kleidung vom Leib reißt, um ihnen Lösegeld abzuverlangen. [29–30] Wer immer von der Liebe in Bann gehalten wird, gehe ungefährdet und unantastbar, wo es ihm beliebt. Sich vor einem Hinterhalt zu fürchten steht ihm nicht gut zu Gesicht. [31–32] Mir schadet nicht der lähmende Frost der Winternacht, mir es nicht, wenn ein Gewitterregen niederfällt in Strömen. [33–34] Nicht tut die Mühsal dann mir weh, sofern nur Delia entriegelt die Tür und mich heimlich, still und leise hereinruft auf eines Fingers Klopfton hin. [35–36] Hütet eure Augen, einerlei, ob ein Mann oder eine Frau mir auf der Straße begegnen sollte! Verhehlt wissen will Venus ihre Geheimnisse, die Stelldicheins. [37–38] Erschreckt mich weder mit Getrappel der Füße, noch fragt mich nach dem Namen, noch bringt nahe heran das Licht vom Flammenschein einer leuchtenden Fackel. [39–40] Wenn jemand mich auch nichtsahnend angeblickt haben sollte, verheimliche er es und beteure bei allen Göttern, sich nicht zu entsinnen. [41–42] Wer auch immer geschwätzig gewesen ist, er wird, dass Venus von Blut gezeugt ist, er wird, dass sie vom ungestümen Meer stammt, zu spüren bekommen. [43–44] Nicht wird gleichwohl ihm Glauben schenken dein Gatte, wie es mir wahrsagerisch versprach eine Zauberin mit Zuhilfenahme der Magie. [45–46] Sie habe vom Himmel Sterne ich herabziehen sehen; sie kehrt mit einem Zauberspruch eines reißenden Flusses Lauf um. [47–48] Sie spaltet mit Zaubergesang den Boden, lockt Manen aus Gräbern hervor und ruft Gebeine vom verglimmenden Scheiterhaufen herab. [49–50] Bald hält mit dem Schwirren eines Zauberkreisels Unterweltsscharen sie in Bann, bald befiehlt sie ihnen, mit Milch besprengt vor ihr zurückzuweichen.

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Liber I

[51–52] cum libet, haec tristi depellit nubila caelo, cum libet, aestivo convocat orbe nives. [53–54] sola tenere malas Medeae dicitur herbas, sola feros Hecates perdomuisse canes. [55–56] haec mihi composuit cantus, quis fallere posses ter cane, ter dictis despue carminibus. [57–58] ille nihil poterit de nobis credere cuiquam, non sibi, si in molli viderit ipse toro. [59–60] tu tamen abstineas aliis: nam cetera cernet omnia; de me uno sentiet ipse nihil. [61–62] quid credam? nempe haec eadem se dixit amores cantibus aut herbis solvere posse meos, [63–64] et me lustravit taedis, et nocte serena concidit ad magicos hostia pulla deos. [65–66] non ego, totus abesset amor, sed mutuus esset, orabam, nec te posse carere velim. [67–68] ferreus ille fuit, qui, te cum posset habere, maluerit praedas stultus et arma sequi. [69–70] ille licet Cilicum victas agat ante catervas, ponat et in capto Martia castra solo, [71–72] totus et argento contextus, totus et auro, insideat celeri conspiciendus equo, [73–74] ipse boves mea si tecum modo Delia possim iungere et in solito pascere monte pecus, [75–76] et te, dum liceat, teneris retinere lacertis, mollis et inculta sit mihi somnus humo. [77–78] quid Tyrio recubare toro sine amore secundo prodest, cum fletu nox vigilanda venit? [79–80] nam neque tum plumae nec stragula picta soporem nec sonitus placidae ducere posset aquae. [81–82] num Veneris magnae violavi numina verbo, et mea nunc poenas impia lingua luit? [83–84] num feror incestus sedes adiisse deorum sertaque de sanctis deripuisse focis? [85–86] non ego, si merui, dubitem procumbere templis et dare sacratis oscula liminibus,

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54 hecates Y(?) G ed. Reg. echates Q hecat(a)e A B Ber. H P C echatae V, sed cf. Semeles in Lygd. 4,45 55 possem Q Vo 56 ex(s)pue H Y 59 noscet H 60 ipse O H P Q d e ille c ς 61 quid, credam? interpunx. Vretska, WS 68, 1955, 30 quid? credam? Luck 67 posset B G Q d e possit O H P 71 totus contextus Q totus contectus B Q1 73 modo … mea B, sed cf. vv. 1,1,57–58 ♦ possum Y possem Q Vo 74 in solito Q2 Y insolito O M P Q solito H in solo Muret 75 detinere P 79 tum C H tunc O P Q 80 possit H c 82 nunc A Ber. H P d e num B G Q V c et Acorr 84 deripuisse Itali diripuisse O B H P Y(?) C dirripuisse Q

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[51–52] Wenn es ihr behagt, treibt Gewölk sie vom trüben Himmel herab; wenn es ihr behagt, ballt zur Sommerszeit Schneemassen sie zusammen. [53–54] Ihr allein wird nachgesagt, Medeas schlimm wirkende Kräuter zu beherrschen, ihr allein, völlig gebändigt zu haben Hekates wilde Hunde. [55–56] Sie hat für mich Zaubersprüche verfasst, mit deren Hilfe du den Ehemann betrügen könntest. Singe sie dreimal, spucke dreimal aus, hast hergesagt du die Zaubersprüche. [57–58] Er wird kein Wort über uns jemandem glauben, nicht einmal seinen eigenen Augen trauen können, wenn er selber uns sieht auf des Ehebetts weichem Polster. [59–60] Du jedoch halte dich von Anderen fern; denn alles Übrige wird er wahrnehmen, von mir nur wird merken von alleine er nichts. [61–62] Was soll ich glauben, behauptete doch diese Selbe, sie könne mit Zauberformeln oder Kräutern meine Liebesbande lösen. [63–64] Und tatsächlich entsühnte sie mich mit Hilfe von Kienspanfackeln und sank in einer sternenklaren Nacht ein schwärzliches Opfertier vor den Hexengottheiten zusammen. [65–66] Nicht darum, dass ganz fort sei die Liebe, sondern dass sie erwidert werde, bat ich; dich entbehren können möchte ich nicht gern. [67–68] Eisenhart ist jener gewesen, der, obwohl er dich hätte haben können, so dumm war, lieber Beutestücken und Waffen nachjagen zu wollen. [69–70] Jener mag vor sich hertreiben der Kiliker besiegte Truppen und ein Kriegslager errichten auf erobertem Boden, [71–72] mag auch, ganz in Silber und ganz in Gold gewandet, um die Blicke auf sich zu ziehen, hoch zu Ross sitzen auf einem schnellen Pferd. [73–74] Wenn ich selber nur mit dir, meine Delia, Ochsen anschirren und auf heimischem Hügel Vieh weiden [75–76] und dich, solange es mir vergönnt ist, in zärtlichen Armen halten könnte, empfände als angenehm ich den Schlaf sogar auf unwirtlichem Boden. [77–78] Was nützt es, ohne beglückende Liebe mit dem Rücken auf einem mit tyrischer Seide bespannten Polster im Bett zu liegen, wenn eine Nacht kommt, die mit Weinen durchwacht werden muss? [79–80] Denn tiefen Schlaf herbeiführen könnten dann weder Federkissen noch gestickte Decken noch das Plätschern eines ruhigen Gewässers. [81–82] Habe ich etwa die Hoheit der hehren Venus auch nur mit einem Wort verletzt, und zahlt meine gottlose Zunge jetzt dafür die Strafe? [83–84] Wird mir etwa nachgesagt, mich unrein Stätten der Götter genähert und Blumengebinde herabgerissen zu haben von heiligen Feuerstätten? [85–86] Wenn zu büßen ich verdient habe, würde ich nicht zaudern, mich niederzuwerfen vor euren Tempeln und Küsse zu geben euren geweihten Schwellen,

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Liber I

[87–88] non ego tellurem genibus perrepere supplex et miserum sancto tundere poste caput. [89–90] at tu, qui laetus rides mala nostra, caveto mox tibi: non uni saeviet usque deus. [91–92] vidi ego, qui iuvenum miseros lusisset amores, post Veneris vinclis subdere colla senem [93–94] et sibi blanditias tremula componere voce et manibus canas fingere velle comas; [95–96] stare nec ante fores puduit caraeve puellae ancillam medio detinuisse foro. [97–98] hunc puer, hunc iuvenis turba circumterit arta, despuit in molles et sibi quisque sinus. [99–100] at mihi parce, Venus: semper tibi dedita servit mens mea: quid messes uris acerba tuas?

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III [1–2] Ibitis Aegaeas sine me, Messalla, per undas, o utinam memores ipse cohorsque mei! [3–4] me tenet ignotis aegrum Phaeacia terris, abstineas avidas, Mors, modo, nigra, manus. [5–6] abstineas, Mors atra, precor: non hic mihi mater, quae legat in maestos ossa perusta sinus, [7–8] non soror, Assyrios cineri quae dedat odores et fleat effusis ante sepulcra comis, [9–10] Delia non usquam; quae me cum mitteret urbe, dicitur ante omnes consuluisse deos. [11–12] illa sacras pueri sortes ter sustulit: illi rettulit e trinis omina certa puer. [13–14] cuncta dabant reditus; tamen est deterrita numquam, quin fleret nostras respiceretque vias. [15–16] ipse ego solator, cum iam mandata dedissem, quaerebam tardas anxius usque moras.

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87 perripere V, corr. V2 prorepere G proterrere P 89 at tu qui Ω aut tu qui P qui nimium Flor. Vinc. ♦ l(a)etus Flor. Vinc. Ω letis P lentus Préaux, Latomus 25, 1966, 589 90 non uni Itali non unus O B G H1 P Q Y c e non uanus H et iratus Flor. Vinc. 91 miseros iuuenum dampnasset Flor. Vinc. 97 circumstetit e et in marg. V2 circumstitit d circumdedit Flor. 99 debita pro dedita G V, sed cf. debitus A B Q V d e pro deditus in v. 2,5,11 III 4 mors modo nigra O Bg H M P mors precor atra G Q2 Y d mors uiolenta Q c mors uiolanda e 9 cum me G 12 trinis Muret, Broekhuyzen triuiis A V Ber. ς tenuijs Q ♦ omina A2 V1 omnia Ber. P omma V 13 numquam A B Ber. P c nusquam G Q V c d nusquam uel quicquam Y quicquam H e 14 quin Ald. (1502) quom vel cum Ω ♦ respiceretque A H M V recc. despiceretque Ber. P Q, sed cf. Caes. civ. 1,5,2, Sen. Herc. Oet. 656 et Tac. ann. 1,31,5 respueretque Itali despueretque Haupt

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[87–88] ich nicht zögern, auf Knien demütig um Gnade flehend den Boden entlang zu rutschen und an einen heiligen Türpfosten zu stoßen meinen elenden Kopf. [89–90] Doch du, der du fröhlich lachst über meine Nöte, gib alsbald auf dich Acht! Nicht ausschließlich Einem grollen wird in einem fort eine Gottheit. [91–92] Ich sah, wie einer, der gespottet hatte über die unglückliche Liebe von jungen Leuten, später den Fesseln der Venus seinen Nacken beugte als Greis, [93–94] sich Koseworte formen wollte mit zittriger Stimme und mit den Händen schniegeln sein Haar; [95–96] ja, nicht einmal auszuharren vor der Tür oder das Hausmädchen der teuren Geliebten mitten auf dem Marktplatz angehalten zu haben schämte er sich. [97–98] Ihn umdrängt der junge Bursche, ihn der junge Mann in dichtem Gewühl, und es spuckt sich ein jeder in den weichen Bausch seines Gewandes. [99–100] Doch mich schone, Venus! Stets dient dir ergeben meine Gesinnung. Was verbrennst du mitleidlos die Ernte deiner Saat? 3 [1–2] Ihr werdet ohne mich, Messalla, durch des Aigaiischen Meeres Wogen fahren – hoffentlich denkt ihr, du selbst und dein Stab, dabei an mich. [3–4] Mich hält krank fest das Land der Phaiaken in einer mir fremden Welt. Halte fern nur von mir, finsterer Tod, die gierigen Hände! [5–6] Halte fern sie von mir, düsterer Tod, bitte ich dich. Nicht kann helfen hier mir eine Mutter, die meine verbrannten Gebeine sammelte in ihres Trauergewandes Bausch, [7–8] nicht eine Schwester, die meiner Asche spendete assyrische Spezereien und vor meinem Grab weinte mit lose fallenden Haar, [9–10] Delia aber nirgends – sie soll, als sie mich von Rom fortgehen ließ, zuvor um Rat gefragt haben alle Götter. [11–12] Sie hob Losorakel, die heilig sind einem Knaben, drei Mal vom Stapel auf; ihr teilte von jedem der drei Male eindeutige Vorzeichen der Knabe mit. [13–14] Allesamt gaben sie Rückkehr zur Antwort; gleichwohl ließ sie sich nie davon abbringen, zu weinen und grübeln über meine Reise. [15–16] Selber ihr Tröster, suchte ich, als ich schon meine Weisungen erteilt hatte, angstvoll in einem fort nach Vorwänden für lang sich hinziehende Verzögerungen,

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[17–18] aut ego sum causatus aves aut omina dira, Saturni sacram me tenuisse diem. [19–20] o quotiens ingressus iter mihi tristia dixi offensum in porta signa dedisse pedem! [21–22] audeat invito ne quis discedere Amore, aut sciat egressum se prohibente deo. [23–24] quid tua nunc Isis mihi, Delia, quid mihi prosunt illa tua totiens aera repulsa manu, [25–26] quidve, pie dum sacra colis, pureque lavari te memini et puro secubuisse toro? [27–28] nunc, dea, nunc succurre mihi – nam posse mederi picta docet templis multa tabella tuis –, [29–30] ut mea votivas persolvens Delia voces ante sacras lino tecta fores sedeat [31–32] bisque die resoluta comas tibi dicere laudes, insignis turba debeat in Pharia. [33–34] at mihi contingat patrios celebrare Penates reddereque antiquo menstrua tura Lari. [35–36] quam bene Saturno vivebant rege, priusquam tellus in longas est patefacta vias! [37–38] nondum caeruleas pinus contempserat undas, effusum ventis praebueratque sinum, [39–40] nec vagus ignotis repetens compendia terris presserat externa navita merce ratem. [41–42] illo non validus subiit iuga tempore taurus, non domito frenos ore momordit equus, [43–44] non domus ulla fores habuit, non fixus in agris, qui regeret certis finibus arva, lapis. [45–46] ipsae mella dabant quercus, ultroque ferebant obvia securis ubera lactis oves. [47–48] non acies, non ira fuit, non bella, nec ensem immiti saevus duxerat arte faber. [49–50] nunc Iove sub domino caedes et vulnera semper, nunc mare, nunc leti mille repertae viae.

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17 aues aut Itali, Scaliger aues dant Ω Y 18 Saturni Ω Saturni aut G2 ed. Reg. 21 ne P Reg. neu Ω Y 29 et G Q Y C in marg. V2 et Vat. 11425 ♦ persoluat Vat. 2794 et in marg. V2 persoluet H persoluam P ♦ uoces Ω noctes Scaliger 33 aut Q 34 reddere et B ♦ mascula B d 36 sit Q Vo 37 conspexerat B conscenderat G2 ς 40 extrema P 43 aruis P 47 nec bella Vat. 2794. 11425 ♦ enses B H Y2 50 repert(a)e A1 M H P Q V d et in ras. Bg.1 repent(a)e A B Ber. G e Vat. 2794. 11425 et in marg. V2 ♦ multa reperta uia Vo

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[17–18] Das eine Mal schützte ich vor, mich hätten Vogelschauen oder grässliche Vorzeichen gehindert, das andere Mal, festgehalten habe mich Saturns heiliger Tag. [19–20] O wie viele Male sagte ich, als ich schon angetreten hatte die Reise, mir habe es düstere Fingerzeige gegeben, an die Tür gestoßen zu sein mit dem Fuß. [21–22] Es wage niemand, abzureisen gegen Amors Willen, oder er merke, dass er aufbrach, obwohl ihm verbot es der Gott. [23–24] Was hilft deine Isis jetzt mir, Delia, was nützen mir die berüchtigten Bronzerasseln, die so viele Male hin und her bewegt [gerüttelt] wurden von deiner Hand, [25–26] oder was, dass du, während du gottesfürchtig heilige Gebräuche befolgtest, dich, erinnere ich mich, säuberlich wuschst und allein schlafen legtest in einem sauberen Bett? [27–28] Jetzt, Göttin, jetzt eile mir zu Hilfe – denn dass du heilen kannst, lehrt die Vielzahl bemalter Holztäfelchen in deinem Tempel –, [29–30] damit meine Delia, wenn sie die gelobten Huldigungen erweist, in Linnen gehüllt vor deiner heiligen Pforte sitzt [31–32] und zweimal am Tag mit wieder aufgelöstem Haar dein Lob zu singen hat, ein Blickfang in der Schar deiner pharischen Anhängerinnen. [33–34] Doch mir sei es vergönnt, zu feiern unserer Väter Penaten und zum Dank allmonatlich Weihrauch zu spenden dem altehrwürdigen Lar. [35–36] Wie gut lebten die Menschen mit Saturn als Herrscher, bevor die Erde erschlossen wurde für weite Reisen! [37–38] Noch hatte kein aus Fichtenholz gezimmertes Schiff den himmelblauen Meereswogen getrotzt und entrollt den Winden dargeboten den Bausch seines Segels, [39–40] noch kein unsteter Reeder, der in unbekannten Landen Gewinn zu erzielen suchte, mit ausländischer Ware befrachtet sein Schiff. [41–42] Zu jener Zeit ging unter Joche kein starker Stier, kaute mit gezähmtem Maul Riemen von Zaumzeug [Zügel von Trensen] kein Pferd. [43–44] hatte kein Haus Türen, war eingeschlagen in Äckern, um mit festen Grenzen zu normen die Fluren, kein Stein. [45–46] Von alleine spendeten Honig die Eichen, und freiwillig boten Menschen, die sich um Milch keine Sorgen zu machen brauchten, ihr Euter die Schafe an. [47–48] Kein zur Schlacht aufgestelltes Heer gab es, keine Vergeltungswut, keine Kriege, und ein Schwert mit mitleidloser Meisterschaft kampfwütig geschmiedet hatte kein Handwerker. [49–50] Jetzt aber, unter Iuppiter als Herrn und Gebieter, gibt Gemetzel und Wunden es ständig, jetzt hat man das Meer, jetzt tausend Wege zu einem plötzlichen Tod man entdeckt.

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[51–52] parce, pater! timidum non me periuria terrent, non dicta in sanctos impia verba deos. [53–54] quodsi fatales iam nunc explevimus annos fac lapis inscriptis stet super ossa notis: [55–56] ‘hic iacet immiti consumptus morte Tibullus, Messallam terra dum sequiturque mari.’ [57–58] sed me, quod facilis tenero sum semper Amori, ipsa Venus campos ducet in Elysios. [59–60] hic choreae cantusque vigent, passimque vagantes dulce sonant tenui gutture carmen aves, [61–62] fert casiam non culta seges, totosque per agros floret odoratis terra benigna rosis; [63–64] ac iuvenum series teneris immixta puellis ludit, et adsidue proelia miscet Amor. [65–66] illic est, cuicumque rapax Mors venit amanti, et gerit insigni myrtea serta coma. [67–68] at scelerata iacet sedes in nocte profunda abdita, quam circum flumina nigra sonant [69–70] Tisiphoneque impexa feros pro crinibus angues saevit et huc illuc impia turba fugit. [71–72] tum niger in porta serpentum Cerberus ore stridet et aeratas excubat ante fores. [73–74] illic Iunonem temptare Ixionis ausi versantur celeri noxia membra rota, [75–76] porrectusque novem Tityos per iugera terrae adsiduas atro viscere pascit aves. [77–78] Tantalus est illic, et circum stagna, sed acrem iam iam poturi deserit unda sitim, [79–80] et Danai proles, Veneris quod numina laesit, in cava Lethaeas dolia portat aquas. [81–82] illic sit, quicumque meos violavit amores, optavit lentas et mihi militias. [83–84] at tu casta precor maneas, sanctique pudoris adsideat custos sedula semper anus. [85–86] haec tibi fabellas referat positaque lucerna deducat plena stamina longa colu,

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51 precor pro pater d Markland ♦ tenent P 54 sit pro stet Y ♦ uotis P 55 amore Q Vo d e 58 ad H Y 60 sonat … auis P 63 ac O G Q hac B P c at H Y d e hic Itali 67 ac e hac c 69 tisiphoneque recc. thisiphoneque Ber.2 G2 tesiphoneque Flor. Q tesiphonequae P thesiphoneque Ber. G H p tesyphoneque A V ♦ ferox Ber. Q 71 tum Flor. G H V tunc Ω ♦ in porta Ω intorto Heins 75 Tityos edd. titios Y tycios V ticios A Ber. tityus d e titius G H P ticius Q 82 lentus A V, corr. V2 86 pleno H Q … colo Flor. Ω, fortasse recte, cf. Neue/Wagener, Formenlehre 31, 771 ♦ colu Fris. collo P

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[51–52] Schone mich, Göttervater! Vorsichtig [ängstlich], der ich bin, schrecken mich nicht Meineide, die ich geschworen, nicht frevelhafte Worte, die ich geäußert hätte gegen die unantastbaren Götter. [53–54] Wenn aber schon jetzt ich erreicht habe die Anzahl der mir vom Schicksal bestimmten Jahre, veranlasse, dass ein Grabstein stehe über meinen Gebeinen mit einer Inschrift, die da lautet: [55–56] »Hier ruht Tibull, der hinweggerafft wurde von einem gnadenlosen Tod, während er Messalla folgte zu Lande und zur See.« [57–58] Doch wird, weil bereitwillig ich stets mich hingebe dem einfühlsamen Liebesgott, persönlich Venus mich hinführen zu den elysischen Gefilden. [59–60] Hier blühen und gedeihen Reigentänze und Lieder und zwitschern, überall umherschwirrend, aus zarter Kehle lieblichen Gesang die Vögel, [61–62] trägt Wilden Zimt [Majoran], ohne bestellt zu sein, das Saatfeld, und blüht ganze Äcker weit [über ganze Felder hin] eine von duftenden Rosen gesegnete Landschaft, [63–64] und vergnügt sich der Jünglinge Reihe, hat zum Tanz unter zarte Mädchen sie sich gemischt, und verwickelt ständig in Liebesgeplänkel sie Amor. [65–66] Dort befindet sich ein jeder, den der raffgierige Tod ereilte als Liebenden, und trägt Myrtengirlanden auf seinem die Blicke auf sich ziehenden Haar. [67–68] Doch der Frevlerwohnsitz liegt in stockdunkler Nacht verborgen, ein Ort, um den herum schwärzliche [düstere] Flüsse rauschen, [69–70] Tisiphone ungekämmt mit wilden Schlangen statt Haaren wütet und bald hierhin, bald dorthin die gottlose Schar flieht. [71–72] Dann aber zischt im Tor zur Unterwelt der schwarze Zerberus mit seinem Schlangenmaul und wacht vor der bronzebeschlagenen Pforte. [73–74] Dort drehen sich, weil er an Iuno zu vergreifen sich erdreistete, Ixions schuldbeladenen Arme und Beine auf einem schnell kreisenden Rad [75–76] und füttert Tityos, über neun Morgen Land hingestreckt, mit seiner schwarzen Leber hartnäckige Raubvögel. [77–78] Tantalos befindet sich dort und ringsum stehendes Gewässer; doch just in dem Augenblick, in dem er trinken will, lässt Wellengang seinen heftigen Durst im Stich, [79–80] und Danaos’ Nachkommenschaft trägt, weil sie Venus’ Hoheit verletzte, von Lethes Fluss in löchrige Fässer Wasser über Wasser. [81–82] Dort hause, einerlei, wer meine Liebesgefühle verletzte und langwierige Kriegseinsätze mir wünschte. [83–84] Doch du, bitte ich dich, bleibe züchtig, und bei dir sitze als Hüterin unantastbarer Ehrbarkeit eine stets geschäftige [emsige] Alte. [85–86] Sie erzähle dir Geschichtchen und spinne, hat sie eine Öllampe hingestellt, in ihrem Schein lange Fäden von vollem Rocken ab.

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[87–88] at circa gravibus pensis adfixa puella paulatim somno fessa remittat opus. [89–90] tunc veniam subito, nec quisquam nuntiet ante, sed videar caelo missus adesse tibi. [91–92] tunc mihi, qualis eris, longos turbata capillos, obvia nudato, Delia, curre pede. [93–94] hoc precor, hunc illum nobis Aurora nitentem Luciferum roseis candida portet equis.

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IV [1–2] ‘Sic umbrosa tibi contingant tecta, Priape, ne capiti soles, ne noceantque nives: [3–4] quae tua formosos cepit sollertia? certe non tibi barba nitet, non tibi culta coma est, [5–6] nudus et hibernae producis frigora brumae, nudus et aestivi tempora sicca Canis.’ [7–8] sic ego; tum Bacchi respondit rustica proles armatus curva sic mihi falce deus: [9–10] ‘o fuge te tenerae puerorum credere turbae; nam causam iusti semper amoris habent. [11–12] hic placet, angustis quod equum compescit habenis, hic placidam niveo pectore pellit aquam, [13–14] hic, quia fortis adest audacia, cepit; at illi virgineus teneras stat pudor ante genas. [15–16] sed ne te capiant, primo si forte negabit, taedia; paulatim sub iuga colla dabit. [17–18] longa dies homini docuit parere leones, longa dies molli saxa peredit aqua; [19–20] annus in apricis maturat collibus uvas, annus agit certa lucida signa vice. [21–22] nec iurare time: Veneris periuria venti inrita per terras et freta summa ferunt.

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87 at Flor. Q ac O H P c 89 tunc Ω tum P e ♦ ne Y e 91 tunc G H P Q V2 nunc O 93 tunc pro hoc Y IV 2 noceantue G2 ς 4 non … nec C 7 tunc B C 8 sic B G c d et in marg. V2 sit O H P Q e 9 o fugite Fris. 15 ne te Ω te ne B H ♦ negabit Ω recuset H 22 freta summa A B Ber. H P V1 d e summa freta V Q ς freta longa Y

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[87–88] Doch an ihrer Seite lasse, über schwere Tagesmengen gebeugt, das Hausmädchen, allmählich vom Schlaf überwältigt, die Wollarbeit fahren. [89–90] Dann will überraschend ich kommen und soll niemand es mitteilen im Voraus, sondern es aussehen, als erscheine vom Himmel gesandt ich dir. [91–92] Dann laufe mir, wie du bist, Delia, die langen Haare zerzaust, entgegen mit bloßen Füßen! [93–94] Darum bitte und bete ich, dass uns Aurora, die Göttin der Morgenröte, diesen so herrlich gleißenden Tag heraufführe, heiter, wie sie strahlt vom Widerschein ihrer rosenrot schimmernden Rosse. 4 [1–2] »So wahr dir ein schattenreiches Dach zugutekommt, Priap, damit deinem Kopf keine Sonnenstrahlen und damit keine Schneegestöber ihm schaden, [3–4] sag mir, womit hast du in deiner Gerissenheit schöne Knaben erobert? Gewiss zeichnet dich nicht aus, dass dein Bart prangt oder dass gepflegt ist dein Haar. [5–6] Nackt spürst du länger [verlängerst du dir] die Fröste des Winterwetters, nackt auch die trockenen Zeiten der hochsommerlichen Hundstage.« [7–8] So ich. Darauf antwortete Bacchus’ bäurischer Spross so mir in Gestalt eines mit krummem Winzermesser bewaffneten Gottes: [9–10] »O vermeide es, zu trauen der zarten Knabenschar! Denn einen triftigen Grund verliebt zu sein [einen Grund zu berechtigter Liebe] liefern sie stets. [11–12] Der hier gefällt, weil er ein Pferd im Zaum hält mit straff angezogenen Zügeln, der hier setzt mit schneeweißer Brust in Wellenbewegung ein ruhiges Gewässer. [13–14] Der hier nimmt für sich ein, weil ihm mannhafter Wagemut hilft, während jenem jungfräuliche Schamhaftigkeit geschrieben steht im zarten Gesicht. [15–16] Doch packe dich nicht, wenn einer beim ersten Mal vielleicht Nein gesagt haben sollte, der Widerwille gegen weitere Versuche; nach und nach wird unters Joch seinen Nacken er begeben. [17–18] Die lange Zeit hat dem Menschen zu gehorchen schon immer gelehrt die Löwen, die lange Zeit schon immer Felsen zerfressen mit sanft plätscherndem Wasser. [19–20] Das Jahr lässt auf sonnigen Hügeln reifen die Trauben, das Jahr leuchtende Sternbilder umlaufen in bestimmtem Turnus. [21–22] Und zu schwören fürchte [scheue] dich nicht! Bei Liebesschwüren fegen Meineide die Winde wirkungslos über Länder und noch so hoch brandende Meere hinweg.

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[23–24] gratia magna Iovi: vetuit pater ipse valere, iurasset cupide quidquid ineptus amor, [25–26] perque suas impune sinit Dictynna sagittas adfirmes crines perque Minerva suos. [27–28] at si tardus eris, errabis. transiet aetas quam cito! non segnis stat remeatque dies. [29–30] quam cito purpureos deperdit terra colores, quam cito formosas populus alta comas! [31–32] quam iacet, infirmae venere ubi fata senectae, qui prior Eleo est carcere missus equus! [33–34] vidi iam iuvenem, premeret cum serior aetas, maerentem stultos praeteriisse dies. [35–36] crudeles divi! serpens novus exuit annos; formae non ullam fata dedere moram. [37–38] solis aeterna est Baccho Phoeboque iuventas; nam decet intonsus crinis utrumque deum. [39–40] tu, puero quodcumque tuo temptare libebit, cedas: obsequio plurima vincet amor. [41–42] neu comes ire neges, quamvis via longa paretur et Canis arenti torreat arva siti, [43–44] quamvis praetexens picta ferrugine caelum venturam amiciat imbrifer arcus aquam. [45–46] vel si caeruleas puppi volet ire per undas, ipse levem remo per freta pelle ratem. [47–48] nec te paeniteat duros subiisse labores aut opera insuetas adteruisse manus, [49–50] nec, velit insidiis altas si claudere valles, dum placeas, umeri retia ferre negent. [51–52] si volet arma, levi temptabis ludere dextra: saepe dabis nudum, vincat ut ille, latus. [53–54] tum tibi mitis erit, rapias tum cara licebit oscula: pugnabit, sed tamen apta dabit.

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27 transiet Ω, cf. Sen. nat. 3,10,4, Lact. inst. 4,18,32, Ps. Apul. Ascl. 28 et Tert. resurr. 37,2 Kroymann transit et Itali et Pcorr transiit Broekhuyzen transilit Heins 28 remeatue recc., Heins 29 deperdit Flor. Ber.2 G H P d e te perdit A Ber. V, corr. V2 disperdit Q Vo 30 alba Q d2 31 facta H P 33 uidi ego G c ♦ cum premeret Ber. ♦ serior A1 Ber. H P Q V senior A B d ferior Fris. segnior l’senior in marg. d 36 formae non ullam G Q sed form(a)e nullam Flor. formae non illam O B P d e formam non ullam H 37 ph(o)ebo bac(c)hoque H Q C ♦ iuuentas O Q2 iuuenta P ed. Reg. iuuentus H Q Vo Y, sed cf. 1,8,41 39 licebit G H Q Y 40 cedas ed. Venet. (1475) caedas H credas O B P Q c ♦ uincit H M P 44 amiciat A B Ber. P Q c et in marg. V2 amitiat M annutiat G annuciat V annutet G2 annuntiet ς admittat H Y d e anticipet Lenz ♦ nimbifer Itali nubifer ς 48 oper(a)e Ber.2 P Q e, sed cf. Tac. ann. 2,52,2 operi d ς 53 tum ς tunc Ω ♦ tibi G H Q et in marg. V2 mihi O P C ♦ rapiat P ♦ tum Ber.2 H V2 tunc P Q ς cum O

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[23–24] Großer Dank gebührt Iuppiter: Entschieden hat er, der Göttervater, höchstselbst, dass nicht gelte, was immer inbrünstig geschworen habe alberne Liebe, [25–26] und ungestraft lässt Diktynna sie (die alberne Liebe) bei ihren Pfeilen beteuern und Minerva bei ihren Haaren. [27–28] Doch wenn du langsam [saumselig] bist, wirst du fehlgehen. Wie rasch vorübergehen wird die Jugend! Nicht bleibt gemächlich stehen und wandert zurück die Zeit. [29–30] Wie rasch verliert die Erde die purpurnen Farben, wie rasch die hohe Pappel ihr schönes Haarkleid, das Laubwerk. [31–32] Wie hilflos liegt, sobald das Schicksal der Altersschwäche ihn ereilte, danieder ein Hengst, der früher aus einer elischen Box zu olympischen Wagenrennen losgeschickt wurde! [33–34] Erlebt habe ich schon, wie jemand, als ihn niederdrückte das vorgerücktere Alter, den Tagen nachtrauerte, die er als junger Mann ohne Sinn und Verstand habe verstreichen lassen. [35–36] Grausame Götter! Die Schlange streift mit neuer Haut Jahre ab. Der Schönheit aber gewährten die Schicksalsmächte noch nie irgendeine Gnadenfrist. [37–38] Allein Bacchus und Phoibos besitzen ewige Jugend; denn gut zu Gesicht steht ihr lockiges [ungeschorenes] Haar beiden Göttern. [39–40] Du aber gib deinem Knaben in allem nach, womit sein Glück zu versuchen ihm behagt; durch Gefügigkeit wird die meisten Hindernisse überwinden die Liebe. [41–42] Weigere dich nicht, als Wegbegleiter mitzugehen, mag auch eine noch so weite Reise vorbereitet werden und der Hundsstern die Fluren ausdörren vor sengender Hitze [43–44] oder mag auch, den Himmel mit malerischem Rostfarbenspiel umsäumend, ein Regen bringender Bogen ein nahendes Unwetter ummanteln. [45–46] Oder wenn er gar mit dem Boot fahren wird wollen durch himmelblaue Wogen, treibe du selbst mit dem Ruder durch Sunde einen leichten Kahn. [47–48] Weder ärgere es dich, beschwerlichen Mühen dich zu unterziehen oder auch nur dir wund zu scheuern an Arbeit nicht gewöhnte Hände, [49–50] noch weigere dich, wenn er, um Fallen zu stellen, tiefe Täler sollte absperren wollen, auf deinen Schultern, nur um ihm zu gefallen, Fangnetze zu tragen. [51–52] Wenn er Kämpfe sich wünscht, wirst du den Fechter zu spielen versuchen mit plänkelnder Rechten [leichter Hand]. Oft wirst du, damit er siege, eine Blöße dir geben. [53–54] Dann wird er dir nachgiebig sich zeigen, rauben wirst du dann ihm dürfen die begehrten Küsse. Kämpfen wird er zwar mit dir, aber dennoch zu deinem Verhalten passende dir geben.

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[55–56] rapta dabit primo, post adferet ipse roganti, post etiam collo se implicuisse velit. [57–58] heu male nunc artes miseras haec saecula tractant: iam tener adsuevit munera velle puer. [59–60] at tu, qui venerem docuisti vendere primus, quisquis es, infelix urgeat ossa lapis. [61–62] Pieridas, pueri, doctos et amate poetas, aurea nec superent munera Pieridas. [63–64] carmine purpurea est Nisi coma: carmina ni sint, ex umero Pelopis non nituisset ebur. [65–66] quem referent Musae, vivet, dum robora tellus, dum caelum stellas, dum vehet amnis aquas. [67–68] at qui non audit Musas, qui vendit amorem, Idaeae currus ille sequatur Opis [69–70] et tercentenas erroribus expleat urbes et secet ad Phrygios vilia membra modos. [71–72] blanditiis vult esse locum Venus ipsa: querelis supplicibus, miseris fletibus illa favet.’ [73–74] haec mihi, quae canerem Titio, deus edidit ore, sed Titium coniunx haec meminisse vetat. [75–76] pareat ille suae; vos me celebrate magistrum, quos male habet multa callidus arte puer. [77–78] gloria cuique sua est; me, qui spernentur, amantes consultent: cunctis ianua nostra patet. [79–80] tempus erit, cum me Veneris praecepta ferentem deducat iuvenum sedula turba senem. [81–82] heu heu, quam Marathus lento me torquet amore! deficiunt artes, deficiuntque doli. [83–84] parce, puer, quaeso, ne turpis fabula fiam, cum mea ridebunt vana magisteria.

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V [1–2] Asper eram et bene discidium me ferre loquebar, at mihi nunc longe gloria fortis abest.

55 post O B H P Q d e mox G Y c ♦ ad(f)feret O B P Q Y C offeret H ς ♦ ipsa A Ber., corr. A1 ille d e ♦ uolenti Q d e 56 uelit O H uolet B in marg. Ber.2 G P V2 d e 59 at ς iam O B H M P Q C ♦ tua Q d, sed cf. 1,2,89, 1,5,69 et 2,3,33 62 ne A Ber. H, corr. A2 ♦ pierides H 72 fletibus Estaço flentibus Ω 73 titio H P ticio O Q2 tacio B d tyrio Q 77 spernuntur H 79 canentem d e 80 deducat Ber.2 c diducat O H P Y seducat Q e 84 ministeria Q V 1 discidium H c dissidium O B M P Q d e 2 fortis G H V d e sortis A Ber. P Q ς

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[55–56] Geraubte wird er dir geben zuerst, bald darauf sie von sich aus dir liefern, wenn du ihn darum bittest, danach aber könnte er sogar dir um den Hals fallen wollen. [57–58] Ach, zum Unheil betreiben jetzt erbärmliche Gewerbe die Menschen der heutigen Zeit. Schon in zartem Alter gewöhnte Geschenke zu verlangen der Lustknabe sich an. [59–60] Doch du, der du Liebe zu verkaufen lehrtest als Erster, dir wünsche ich, einerlei wer du bist, zu deinem Unglück lastete schwer auf deinen Gebeinen der Grabstein. [61–62] Liebt, ihr Knaben, Pieros’ Töchter und kunstsinnige Dichter, und lasst Geschenke aus Gold nicht die Oberhand gewinnen über Pieros’ Töchter! [63–64] Durch die Dichtung purpurn ist Nisos’ Haar. Wenn Gedichte es nicht gäbe, hätte nicht aus der Schulter des Pelops Elfenbein hervorgeschimmert. [65–66] Einer, von dem die Musen erzählen, wird fortleben, solange Eichenholz die Erde, solange der Himmel Sterne, solange ein Fluss Wasser führt. [67–68] Doch wer nicht hört auf die Musen, wer vielmehr feilbietet die Liebe, so einer folge dem Wagen der Göttin Ops vom Idagebirge, [69–70] erreiche auf Landstreicherwegen die Zahl von dreihundert Städten und schneide als wertlos sein Glied zu phrygischen Rhythmen ab. [71–72] Schmeicheleien Raum lassen will Venus höchstselbst; demütigen Klagen, Mitleid erregenden Tränen ist sie gewogen.« [73–74] Dies, tat kund mir der Gott, solle ich Titius verkünden, doch verbietet Titius die Gattin, sich daran zu erinnern. [75–76] Gehorchen mag er seiner lieben Frau. Ihr aber, denen mit viel Geschick übel mitspielt ein durchtriebener Knabe, feiert mich als euren Lehrmeister! [77–78] Ruhm genießt ein jeder auf seinem Gebiet. Mich mögen Liebende, die künftig verschmäht werden, um Rat fragen; sämtlichen steht meine Tür offen. [79–80] Die Zeit wird eintreten, da mich, verbreitete ich die Lehren der Venus, eine aufmerksame Anhängerschar von jungen Leuten nach Hause geleitete als Greis. [81–82] O weh, o weh, wie martert mich Marathus mit zäh sich anbahnender Liebe! Es versagen meine Kniffe und versagen meine Listen. [83–84] Schone mich, Knabe, bitte ich dich, damit ich nicht zu einem schimpflichen Stadtgespräch werde, wenn man als unnütz [gehaltlos] verlachen wird meinen Unterricht. 5 [1–2] Trotzig war ich, und die Entzweiung gut zu ertragen rühmte ständig ich mich. Doch bin ich jetzt weit von mutiger Ruhmredigkeit entfernt.

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[3–4] namque agor ut per plana citus sola verbere turben, quem celer adsueta versat ab arte puer. [5–6] ure ferum et torque, libeat ne dicere quicquam magnificum; post haec horrida verba doma! [7–8] parce tamen, per te furtivi foedera lecti, per Venerem quaeso compositumque caput. [9–10] ille ego, cum tristi morbo defessa iaceres, te dicor votis eripuisse meis, [11–12] ipseque te circum lustravi sulphure puro, carmine cum magico praecinuisset anus; [13–14] ipse procuravi, ne possent saeva nocere somnia, ter sancta deveneranda mola; [15–16] ipse ego velatus filo tunicisque solutis vota novem Triviae nocte silente dedi. [17–18] omnia persolvi: fruitur nunc alter amore, et precibus felix utitur ille meis. [19–20] at mihi felicem vitam, si salva fuisses, fingebam demens, sed renuente deo: [21–22] ‛rura colam, frugumque aderit mea Delia custos, area dum messes sole calente teret, [23–24] aut mihi servabit plenis in lintribus uvas pressaque veloci candida musta pede; [25–26] consuescet numerare pecus, consuescet amantis garrulus in dominae ludere verna sinu. [27–28] illa deo sciet agricolae pro vitibus uvam, pro segete spicas, pro grege ferre dapem. [29–30] illa regat cunctos, illi sint omnia curae; at iuvet in tota me nihil esse domo. [31–32] huc veniet Messalla meus, cui dulcia poma Delia selectis detrahat arboribus, [33–34] et tantum venerata virum hunc sedula curet, huic paret atque epulas ipsa ministra gerat.

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3 turben Charis. gramm. p. 145,9 Keil turbo Ω 4 tener H 5 nec P Y 6 posthac d e 7 per te G c et in marg. V2 te per G2 et Ald. (1502) parce O H P Q Y d et in ras. e 11 ipseque et P ipse ego ς 14 omina ς ♦ ter sancta deuenerata Guyet de sancta ter ueneranda P de ueneranda Ber. V 16 uoca A B ♦ triui(a)e H Q d e creme A Ber. chreme V circum G Y c et in marg. V2 tota P 19 fuisset Q 27 uitibus A Ber. H P Q Y C et in marg. V2 fructibus G V ♦ uuas H 28 segete spicas G d segete et spicas O B P Q Y c e cerere et spicas H 30 at iuuet Itali adiuuet Ω et iuuet in marg. V2 ac iuuet ς audiat H 32 detrahet B G Q, sed cf. agna cadet …, quam circum rustica pubes clamet in vv. 1,1.23– 24 33 nunc … currat H

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[3–4] Denn umhergewirbelt werde ich wie ein über ebene Böden mit der Peitsche getriebener Kreisel, den flink mit gewohnheitsmäßigem Geschick dreht ein Knabe. [5–6] Verbrenne dem Ungebärdigen die Haut und verrenke ihm die Glieder, dass es ihn nicht gelüste, irgendetwas Großsprecherisches zu äußern! Nach diesen aber bändige seine harschen [ruppigen] Worte! [7–8] Schone mich gleichwohl, bitte ich dich bei den Abmachungen [dem Bund] unserer heimlichen Ehe, bei Venus und meinem an deinen geschmiegten Kopf. [9–10] Der bin ich immerhin, dem nachgerühmt wird, dich, als du von einer ernsten Krankheit erschöpft daniederlagst, ihren Klauen entrissen zu haben mit seinen Gelübden; [11–12] und selbst entsühnte rundum ich dich mit reinigendem Schwefel, als mit ihrem Zaubergesang angehoben hatte eine alte Hexe. [13–14] Selber habe ich vorgesorgt, dass dir nicht können schaden schreckliche Träume, die es in drei Gängen zu entzaubern gilt mit geweihtem Schrotmehl. [15–16] Selber habe ich, umhüllt von einem wollenen Stirnband und einer ungegürteten Tunika, neun Gelübde der Straßenkreuzungsgöttin in stiller Nacht geleistet. [17–18] Alle habe ich sie eingelöst. Es genießt jetzt aber ein Anderer deine Liebe, und beglückt zieht der Kerl Nutzen aus meinen Gebeten. [19–20] Hingegen malte ich mir ein glückliches Leben, wenn du genesen sein würdest, in meiner Vernarrtheit aus, doch winkte der Gott ab. [21–22] »Felder«, (redete ich mir ein), »werde ich bestellen, und beistehen wird mir meine Delia als Wächterin über das Getreide, während die Tenne in glühender Sonne die Mahden drischt, [23–24] oder sie wird mir verwahren in randvollen Bottichen die Weintrauben und den weißen Rebenmost, der gepresst wurde von schnell stampfenden Füßen. [25–26] Daran gewöhnen wird sie sich, das Vieh zu zählen, daran gewöhnen wird sich das plappernde Kind eines im Hause aufgewachsenen Knechts, auf seiner liebenden Herrin Schoß zu spielen. [27–28] Sie wird einer Schutzgottheit des Landwirts darzubringen wissen zum Dank für die Reben eine Traube, für das Saatfeld Ähren und für die Viehherde ein Festmahl. [29–30] Sie gebiete samt und sonders allen, ihr sei alles überantwortet, während mir es behage, nichts zu gelten im ganzen Haus. [31–32] Hierher zu Besuch kommen wird mein Messalla, dass süßes Obst Delia ihm pflücke von erlesenen Bäumen [33–34] und, hat ehrerbietig sie begrüßt den so bedeutenden Mann [hohen Gast], sich beflissen um ihn kümmere, ihm Speisen zubereite und ihm sie persönlich als Dienerin auftrage.«

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[35–36] haec mihi fingebam, quae nunc Eurusque Notusque iactat odoratos vota per Armenios. [37–38] saepe ego temptavi curas depellere vino; at dolor in lacrimas verterat omne merum. [39–40] saepe aliam tenui, sed iam cum gaudia adirem, admonuit dominae deseruitque Venus. [41–42] tunc me discedens devotum femina dixit et pudet et narrat scire nefanda meam. [43–44] non facit hoc verbis, facie tenerisque lacertis devovet et flavis nostra puella comis. [45–46] talis ad Haemonium Nereis Pelea quondam vecta est frenato caerula pisce Thetis. [47–48] haec nocuere mihi: quod adest huic dives amator, venit in exitium callida lena meum. [49–50] sanguineas edat illa dapes atque ore cruento tristia cum multo pocula felle bibat; [51–52] hanc volitent animae circum sua fata querentes semper et e tectis strix violenta canat; [53–54] ipsa fame stimulante furens herbasque sepulcris quaerat et a saevis ossa relicta lupis, [55–56] currat et inguinibus nudis ululetque per urbes, post agat e triviis aspera turba canum. [57–58] eveniet: dat signa deus; sunt numina amanti, saevit et iniusta lege relicta Venus. [59–60] at tu quam primum sagae praecepta rapacis desere; nam donis vincitur omnis amor. [61–62] pauper erit praesto tibi praesto, pauper adibit primus et in tenero fixus erit latere, [63–64] pauper in angusto fidus comes agmine turbae subicietque manus efficietque viam, [65–66] pauper ad occultos furtim deducet amicos vinclaque de niveo detrahet ipse pede.

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40 admonui domini P ♦ destituitque Q d e 41 descendens ed. Venet. (1475) 42 meam Nodell mea Ω 43 faciat P ♦ h(a)ec d e ♦ herbis Itali ♦ niueisque Q d e 45 qualis H ♦ nereis Itali nereisque vel nereis quae Ω 46 ueste P 55 per umbras H 57 euenient Heins et uenient B et ueniet d 60 amans Exc. d e 61 pr(a)esto tibi pr(a)esto O B H P Y d e pr(a)esto pr(a)esto tibi Q Vo praesto semper tibi Muret semper praesto tibi Rigler praesto, praesto te Francken pr(a)esto semper te Flor. Bodl. 62 in duro limine fixus erit Flor. 63 augusto a n p P, corr. a1 ♦ turmae P

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[35–36] Dies malte ich mir aus, Wunschvorstellungen, die jetzt der Ost wie auch der Süd hinwegwirbelt [hinwegfegt] über das wohlriechende, nach Spezereien duftende Land der Armenier. [37–38] Oft habe ich versucht, den Kummer zu vertreiben mit Wein; doch hatte der Schmerz in Tränen verwandelt allen unverdünnten. [39–40] Oft habe ich eine Andere in den Armen gehalten, aber schon, als ich mich Liebesfreuden nur näherte, gemahnte mich Venus an meine Herrin und ließ mich im Stich. [41–42] Damals erklärte mich beim Abschied die Frau für verhext – und schämt sich zugleich ihres Misserfolgs und erzählt, es verstehe auf unsägliche Zaubertricks [ruchlose Künste] sich die Meine. [43–44] Nicht schafft sie dies mit Worten, mit ihrem Antlitz und ihren zarten Armen und ihrem blonden Haar verzaubert vielmehr mich meine Geliebte. [45–46] So zauberhaft sah Nereus’ meerblaue Tochter Thetis aus, als zu dem Haimonier [Thessaler] Peleus sie einst ritt auf einem aufgezäumten Fisch. [47–48] Die folgenden Gründe aber haben mir geschadet: Da zur Hand ihr ist ein reicher Liebhaber, geriet mir eine schlaue Kupplerin zum Verhängnis. [49–50] Blutige Fleischspeisen esse sie, und mit ihrem blutdürstigen Mund trinke sie zusammen mit viel Galle in Bechern ihr widerlich schmeckendes Gebräu. [51–52] Ihr wünsche ich, es umflatterten sie ständig die Seelen ihr eigenes Los beklagender Verstorbener und allzeit von den Dächern kreischte angriffslustig die Schleiereule. [53–54] Sie selbst suche, rasend vor peinigendem Hunger, Kräuter und von wütigen Wölfen zurückgelassene Knochen auf Gräbern zu finden, [55–56] und laufe mit nacktem Unterleib – und heule dabei – von Stadt zu Stadt; hernach vertreibe sie von den Straßenkreuzungen eine Meute bissiger Hunde. [57–58] In Erfüllung gehen wird es. Es gibt Fingerzeige mir eine Gottheit. Es walten höhere Mächte über dem Liebenden, und Venus rast, wurde durch ein unrechtmäßiges Abkommen sie missachtet. [59–60] Doch du sage so bald wie möglich dich von den Anleitungen der raffgierigen Hexe los; denn mit Geschenken besiegen lässt sich jede Liebe. [61–62] Ein Armer wird zu Diensten, wird d i r zu Diensten sein, ein Armer dich besuchen kommen als Erster und nicht von der Seite weichen deinem zarten Leib. [63–64] Ein Armer wird als treuer Begleiter im dichten Gedränge einer Menschenmenge dir leihen die Hände und bahnen den Weg. [65–66] Ein Armer wird verstohlen dich geleiten zu geheimen Tischgesellschaften mit Freunden und dir die Riemen deiner Sandalen selber abstreifen vom schneeweißen Fuß.

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Liber I

[67–68] heu canimus frustra, nec verbis victa patescit ianua, sed plena est percutienda manu. [69–70] at tu, qui potior nunc es, mea furta timeto: versatur celeri Fors levis orbe rotae. [71–72] non frustra quidam iam nunc in limine perstat sedulus ac crebro prospicit ac refugit, [73–74] et simulat transire domum, mox deinde recurrit solus et ante ipsas excreat usque fores. [75–76] nescio quid furtivus amor parat. utere quaeso, dum licet: in liquida nat tibi linter aqua.

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VI [1–2] Semper, ut inducar, blandos offers mihi vultus, post tamen es misero tristis et asper, Amor. [3–4] quid tibi saevitiae mecum est? an gloria magna est insidias homini composuisse deum? [5–6] nam mihi tenduntur casses: iam Delia furtim nescio quem tacita callida nocte fovet. [7–8] illa quidem tam multa negat, sed credere durum est: sic etiam de me pernegat usque viro. [9–10] ipse miser docui, quo posset ludere pacto custodes: heu heu nunc premor arte mea. [11–12] fingere nunc didicit causas, ut sola cubaret, cardine nunc tacito vertere posse fores. [13–14] tunc sucos herbasque dedi, quis livor abiret, quem facit impresso mutua dente venus. [15–16] at tu, fallacis coniunx incaute puellae, me quoque servato, peccet ut illa nihil, [17–18] neu iuvenes celebret multo sermone, caveto, neve cubet laxo pectus aperta sinu,

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67 uicta G Q C et in marg. V2 iuncta A P V uincta Ber. H 69 furta Ω fata Muret ♦ timeto uel caueto Y 70 sors n Vinc. d e ♦ orbe rot(a)e Ω Fris. Exc. orbe rota P orbe cito n Vinc. ore cibo a p 71 nam ς 72 ac O H P Q C et recc. aut Y ♦ cito H 74 exereat Y excubat e ♦ usque G H ed. Reg. ipse O B P Q Y C 76 nat Bg. G Q Y et in marg. V2 nam O B H P C VI 5 iam … iam G Q nam .. mea H 9 possent quo P 10 iam pro nunc H 11 nunc O H P Q Y C tunc B 12 nunc G P Q V c tunc A B Ber. tum H d e 13 tum H d e 18 laxo in marg. Ber.2 in ras. G2 H Q e2 lasso O B G P Y c e lassa d

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[67–68] Oh weh, ich singe meine Serenade vergeblich; nicht von Worten erweicht öffnet sich die Tür, sondern geklopft werden muss an sie mit einer Hand voll Geld. [69–70] Doch du, der du erfolgreicher jetzt bist, fürchte meine Bettgeheimnisse [Stelldicheins] mit ihr! Es dreht sich das unbeständige Glück mit der Geschwindigkeit eines kreisenden Rads. [71–72] Nicht grundlos bleibt einer schon jetzt auf der Schwelle unverdrossen stehen, hält häufig Ausschau und zieht fluchtartig sich zurück, [73–74] spiegelt vor, vorüberzugehen am Haus, läuft bald darauf aber auf menschenleerer Straße wieder zurück und räuspert sich in einem fort unmittelbar vor der Eingangstür. [75–76] Wer weiß was führt verstohlen die Liebe im Schilde. Genieße sie, bitte, solange es dir vergönnt ist! In dahinfließendem Gewässer schwimmt dir der Kahn. 6 [1–2] Stets bringst du, um mich zu verleiten, mir einschmeichelndes Mienenspiel entgegen, danach jedoch zeigst du dich mir Armem unwirsch und schroff, Amor. [3–4] Was liegt dir an Grausamkeit im Umgang mit mir? Ist es etwa eine so große Ruhmestat, dass Fallen einem Menschen zu legen ausgeheckt hat ein Gott? [5–6] Schon werden mir gespannt die Fangnetze, schon hält Delia verstohlen in stiller Nacht an ihrer Brust wer weiß wen aus schlauer Berechnung warm. [7–8] Sie leugnet es zwar so wortreich, aber ihr zu glauben kommt mich hart an. So hartnäckig leugnet sie sogar ihr Verhältnis mit mir, stellt immerzu sie zur Rede ihr Mann. [9–10] Selbst habe ich Armer ihr beigebracht, auf welche Weise sie überlisten könne die Wächter. O weh, o weh, jetzt werde in Bedrängnis ich gebracht von meiner eigenen Meisterschaft. [11–12] Je nach Bedarf lernte sie, bald sich Ausflüchte auszudenken, um alleine zu schlafen, bald, dass in der Angel lautlos sich drehen können die Flügel einer Tür. [13–14] Damals habe Säfte und Kräuter ich ihr gegeben, durch die blaue Flecke weggehen würden, die hervorruft durch den Abdruck der Zähne wechselseitige Liebeslust. [15–16] Doch du, unvorsichtiger Gatte einer heuchlerischen [hinterhältigen] Geliebten, passe auch auf mich auf, damit überhaupt nicht sie sündigt! [17–18] Gib acht, dass sie nicht jungen Männern Gesellschaft leistet mit viel Geplauder oder zu Tische sie liegt mit entblößter Brust durch ihres Gewandes freizügigen Faltenwurf

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[19–20] neu te decipiat nutu, digitoque liquorem ne trahat et mensae ducat in orbe notas. [21–22] exibit quam saepe, time, seu visere dicet sacra Bonae maribus non adeunda Deae. [23–24] at mihi si credas, illam sequar unus ad aras; tunc mihi non oculis sit timuisse meis. [25–26] saepe, velut gemmas eius signumque probarem, per causam memini me tetigisse manum; [27–28] saepe mero somnum peperi tibi, at ipse bibebam sobria supposita pocula victor aqua. [29–30] non ego te laesi prudens: ignosce fatenti; iussit Amor. contra quis ferat arma deos? [31–32] ille ego sum, nec me iam dicere vera pudebit, instabat tota cui tua nocte canis. [33–34] quid tenera tibi coniuge opus? tua si bona nescis servare, frustra clavis inest foribus. [35–36] te tenet, absentes alios suspirat amores et simulat subito condoluisse caput. [37–38] at mihi servandam credas: non saeva recuso verbera, detrecto non ego vincla pedum. [39–40] tum procul absitis, quisquis colit arte capillos, et fluit effuso cui toga laxa sinu; [41–42] quisquis et occurret, ne possit crimen habere, stet procul aut alia stet procul ante via. [43–44] sic fieri iubet ipse deus, sic magna sacerdos est mihi divino vaticinata sono. [45–46] haec ubi Bellonae motu est agitata, nec acrem flammam, non amens verbera torta timet; [47–48] ipsa bipenne suos caedit violenta lacertos sanguineque effuso spargit inulta deam, [49–50] statque latus praefixa veru, stat saucia pectus, et canit eventus, quos dea magna monet:

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21 quom Francken quum dubitanter Postgate cum Itali ♦ uiscere H P 25 signumue Itali 27 ast H ac P 34 seruare frustra recte, cf. Lenz ad locum 38 detracto B ed. Reg. 40 et fluit H Q d e effluit O P ♦ lassa V 42 sic recte O H P Q C ς, alii aliter 45 motu G C et in marg. V2 mota O P Q monitu H 46 amens Bg.2 Muret et amens Bg. et amans O B H P Q Y d 47 uiolenta G d e et in marg. V2 uolenta H uiolata O B P c uiata Q 48 sanguineque recte O G H P Q C, cf. 1,3,34 sanguine et B 50 inuitus Y ♦ mouet P d e Q, corr. Q1

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[19–20] oder dich hintergeht durch einen Wink, den ihr Kopfnicken gibt, und mit dem Finger Flüssigkeit aus einem Trinkgefäß zieht, um auf des Tisches Rund Chiffren zu malen! [21–22] Wie oft sie ausgeht, ängstige dich, selbst wenn sie das Heiligtum der ›Guten Göttin‹ aufzusuchen behauptet, das doch von Männern nicht betreten werden dürfe! [23–24] Doch wenn du sie mir anvertrautest, würde ich ihr bloß bis zum Altar folgen. Dann brauchte ich nicht zu fürchten um meine Augen. [25–26] Oft habe ich, erinnere ich mich, mit einer vorgeschobenen Begründung wie dem Vorwand, ihre Edelsteine und ihren Siegelring zu begutachten, berührt ihre Hand, [27–28] oft ich mit unverdünntem Wein zu Schlaf dir verholfen, während ich selbst siegreich nüchtern haltende Becher trank, hatte ich doch den Wein durch Wasser ersetzt. [29–30] Nicht habe ich dich vorsätzlich in deiner Ehre verletzt – verzeih einem Geständigen; befohlen hat Amor es mir. Wer könnte Waffen tragen gegen Götter? [31–32] So einer bin ich, und nicht länger werde die Wahrheit zu sagen ich mich schämen, dem nächtelang zusetzte deine Hündin. [33–34] Wozu hast eine jugendlich zarte Gattin du nötig? Wenn du auf dein Hab und Gut nicht aufzupassen weißt, steckt umsonst ein Schlüssel in der Tür. [35–36] Dich hält er zwar im Arm, nach einer anderen, der Liebschaft mit einem Abwesenden, schmachtet sie aber und gibt vor, plötzlich Kopfschmerzen bekommen zu haben. [37–38] Doch vertraue sie mir getrost zur Obhut an. Weder verweigere hemmungslosen Peitschenhieben ich mich, noch sträube ich mich gegen Fesseln um meine Füße. [39–40] Dann aber haltet euch gefälligst von uns fern, einerlei, wer sich kunstvoll herrichtet die Haare oder wem die Toga schlaff herabwallt mit bauschigem Faltenwurf; [41–42] und wer immer uns entgegenlaufen wird, bleibe, um sich nicht einen Vorwurf zuziehen zu können, fernab von uns stehen oder bleibe besser zuvor schon fernab von uns stehen auf einer anderen Straße. [43–44] Dass so es geschehe, gebietet persönlich eine Gottheit; so hat es ihre hohe Priesterin mir kundgetan in einer Göttin Ton. [45–46] Sobald sie von Bellonas Verzückung ist angesteckt, fürchtet sie weder sengende Flammen noch in ihrer Raserei die Hiebe von Peitschen. [47–48] Selbst haut sie mit einer Doppelaxt ungestüm auf ihre Arme ein und bespritzt mit dem vergossenen Blut, ohne dass es sich rächt, die Göttin, [49–50] und bleibt unbeirrt stehen, ist auch ihre Seite durchstoßen von einem Speer, bleibt unbeirrt stehen, ist auch wund ihre Brust, und verkündet Vorkommnisse, vor denen die große Göttin warnt.

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[51–52] ‘parcite, quam custodit Amor, violare puellam, ne pigeat magno post didicisse malo. [53–54] attigerit, labentur opes, ut vulnere nostro sanguis, ut hic ventis diripiturque cinis.’ [55–56] et tibi nescio quas dixit, mea Delia, poenas; si tamen admittas, sit precor illa levis. [57–58] non ego te propter parco tibi, sed tua mater me movet atque iras aurea vincit anus. [59–60] haec mihi te adducit tenebris multoque timore coniungit nostras clam taciturna manus, [61–62] haec foribusque manet noctu me adfixa proculque cognoscit strepitus me veniente pedum. [63–64] vive diu mihi, dulcis anus: proprios ego tecum, sit modo fas, annos contribuisse velim. [65–66] te semper natamque tuam te propter amabo: quidquid agit, sanguis est tamen illa tuus. [67–68] sit modo casta, doce, quamvis non vitta ligatos impediat crines nec stola longa pedes. [69–70] et mihi sint durae leges, laudare nec ullam possim ego, quin oculos appetat illa meos, [71–72] et si quid peccasse putet, ducarque capillis in merito pronas proripiarque vias. [73–74] non ego te pulsare velim, sed, venerit iste si furor, optarim non habuisse manus; [75–76] nec saevo sis casta metu, sed mente fideli, mutuus absenti te mihi servet amor. [77–78] at quae fida fuit nulli, post victa senecta ducit inops tremula stamina torta manu [79–80] firmaque conductis adnectit licia telis tractaque de niveo vellere ducta putat. [81–82] hanc animo gaudente vident iuvenumque catervae commemorant merito tot mala ferre senem, [83–84] hanc Venus ex alto flentem sublimis Olympo spectat et infidis quam sit acerba monet.

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52 nec Y 53 attingerit H attigeris Vo ς 55 mihi Q ♦ quam … poenam Baehrens 56 admictas A 58 monet Y d e 59 mihi te adducit Ω me deducit B ed Reg. mihi te adhunc H 66 ille P 67 uicta O 70 possim G2 H possum Ω Y 71 putet Q ς putat O B P Y c puter Itali putor d e putem H ♦ ducarque Ber.2 H Q e ducorque O B P Y c d 72 in merito legit Flach u ♦ pronas G2 ς proprias O B H Q C propria P properans G ♦ proripiarque Ber.2 H proripiorque O B c d proprior atque P proripiatque Q proripiasque e 73 ipse G P Q 75 ne Flor. Vinc. non H 77 ast G V Y c d atque pro at quae H 78 ducat e c, corr. e1 84 quam in marg. V2 quod O B H P Q Y2 C ♦ mouet P canit H

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[51–52] »Hüte dich«, (mahnt sie an), »eine junge Frau, die Amor beschirmt, zu entehren, dass es nicht später dir leidtut, Lehrgeld gezahlt zu haben mit großem Leid! [53–54] Hat jemand sie angerührt, wird verrinnen sein Vermögen wie durch eine Wunde, die ich mir schlug, das Blut oder wie dann von Winden verweht wird die Asche.« [55–56] Und dir, meine Delia, drohte sie wer weiß welche Strafen an. Wenn du dir gleichwohl etwas zuschulden kommen lassen solltest, nehme sie, bitte und bete ich, es leicht. [57–58] Nicht deinetwegen schone ich dich, sondern deine Mutter bewegt mich dazu, und meine Wutausbrüche bändigt die goldige alte Dame. [59–60] Sie führt mir dich zu im Dunkeln und vereinigt vor großer Angst heimlich, still und leise unsere Hände. [61–62] Sie wartet, an die Tür geschmiedet [geschmiegt], des Nachts auf mich und erkennt mich von weitem, wenn ich komme, am Geräusch meiner Füße. [63–64] Lebe lange mir zuliebe, alte Dame; eigene Jahre wollte ich, wäre es nur mit den Gesetzen der Natur vereinbar, gern dir beisteuern. [65–66] Dich und deinetwegen deine Tochter werde immer ich lieben. Einerlei, was sie treibt, ist gleichwohl sie dein Fleisch und Blut. [67–68] Ist nur sie züchtig, unterrichte sie (wie eine höhere Tochter), obschon weder eine Kopfbinde ihre geflochtenen Haare noch ein langes Gewand ihre Füße umschlingt. [69–70] Und mir mag harte Bedingungen sie stellen, und ich nicht irgendeine Andere preisen können, ohne dass sie losginge auf meine Augen; [71–72] und wenn sie glauben sollte, sie (meine Augen) hätten sich irgendwie versündigt, mag sie mich an den Haaren ziehen und fortzerren auf verdientermaßen abschüssige Straßen. [73–74] Nicht möchte ich dich gern schlagen, doch wenn mich diese verfluchte Tobsucht überkommen sollte, wünschte ich, keine Hände zu haben. [75–76] Auch sei züchtig nicht aus schrecklicher Angst, sondern aus ehrlicher Zuneigung; von meiner Seite erwidert, bleibe in meiner Abwesenheit mir deine Liebe erhalten. [77–78] Doch eine, die treu war noch keinem, spinnt später, niedergebeugt vom Greisenalter, mittellos Fäden, die sie dreht mit zittriger Hand, [79–80] bindet haltbare Kettfäden an gemieteten Webstühlen fest und putzt, von einem schneeweißen Vlies gezupft, die von ihrer Hand gesponnene Wolle. [81–82] Sie sehen mit Schadenfreude [frohen Herzens] Scharen von jungen Leuten und rufen ihr ins Gedächtnis, dass verdientermaßen die Bürde so vieler Enttäuschungen sie trägt als Greisin. [83–84] Ihr schaut vom hohen Olymp die hehre Venus dabei zu, wie sie weint, und gibt sie zu verstehen, wie sehr Treulosen sie gram ist.

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[85–86] haec aliis maledicta cadant; nos, Delia, amoris exemplum cana simus uterque coma.

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VII [1–2] Hunc cecinere diem Parcae fatalia nentes stamina, non ulli dissolvenda deo; [3–4] hunc fore, Aquitanas posset qui fundere gentes, quem tremeret forti milite victus Atax. [5–6] evenere: novos pubes Romana triumphos vidit et evinctos bracchia capta duces; [7–8] at te victrices lauros, Messalla, gerentem portabat nitidis currus eburnus equis. [9–10] non sine me est tibi partus honos: Tarbella Pyrene testis et Oceani litora Santonici, [11–12] testis Arar Rhodanusque celer magnusque Garunna, Carnutis et flavi caerula lympha Liger. [13–14] an te, Cydne, canam, tacitis qui leniter undis caeruleus placidis per vada serpis aquis, [15–16] quantus et aetherio contingens vertice nubes frigidus intonsos Taurus alat Cilicas? [17–18] quid referam, ut volitet crebras intacta per urbes alba Palaestino sancta columba Syro, [19–20] utque maris vastum prospectet turribus aequor prima ratem ventis credere docta Tyros, [21–22] qualis et, arentes cum findit Sirius agros, fertilis aestiva Nilus abundet aqua? [23–24] Nile pater, quanam possim te dicere causa aut quibus in terris occuluisse caput? [25–26] te propter nullos tellus tua postulat imbres, arida nec pluvio supplicat herba Iovi. [27–28] te canit atque suum pubes miratur Osirim barbara, Memphiten plangere docta bovem.

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86 stemus Y2 d VII 1 hanc B nunc H 3 nunc c d ♦ aquitanas Fris. O H P Q equitanas Y c quitanas B ♦ possit P ♦ fudere H fondere P frangere G spargere c 4 atax uel arabs Y Atur Scaliger 5 et uenere d 6 euinctos Ber. Bg. G Q V2 d e euictos V H P Y c inuinctos A2 B2 inuictos A B 8 portabit d, Scaliger ♦ niueis Q d e 9 Tarbella M Scaliger tua bella Ω 10 santonici P santhonici V1 sanctonici A Ber. V H Y d 11 arar Y e1 arax P Q c e atax d Atur Scaliger ♦ garunna A Ber. M d garumna V geronna Fris. garumnam H garinia P 12 carnutis Fris. carnoti O H P Q Y V 13 an Itali at Ω ♦ tacitus d ♦ leuiter P lenior G2 14 rapidis Q ♦ uaga Q 16 alat Itali arat Ω 23 possum G C ♦ ducere P 28 memphiten G1 Ald. (1502) memphitem A Ber. H Q menfitem P menphitem V

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[85–86] Diese Verwünschungen mögen Andere treffen. Uns aber, Delia, lasst ein Musterbeispiel von Liebe auch noch sein, wenn wir beide grauhaarig sind. 7 [1–2] Diesen Tag sagten voraus die Parzen, Schicksalsfäden spinnend, die nicht aufzulösen sind von irgendeinem Gott. [3–4] Dieser werde einer sein, der aquitanische Stammesverbände könnte versprengen, einer, vor dem zitterte, von einer tapferen Fußtruppe bezwungen, die Aude. [5–6] Eingetroffen sind ihre Voraussagen: Neue Triumphe hat die römische Bevölkerung gesehen und an Armen als Kriegsgefangene eng gefesselte Häuptlinge, [7–8] während dich, Messalla, der du den Siegeslorbeer trugst, fuhr ein elfenbeinerner Wagen mit hell glänzenden Pferden. [9–10] Nicht ohne mein Beisein hast du dir erworben die Auszeichnung: die Tarbeller Berge der Pyrenäen sind Zeuge und die Gestade des Santonischen Ozeans, [11–12] Zeuge die Saône, die schnell fließende Rhone, die große Garonne sowie des blonden Carnuten himmelblaues Gewässer, die Loire. [13–14] Soll ich etwa dich, Kydnos, lobsingen, der du dich in leisen Wellen himmelblau über Sandbänke schlängelst mit deinem ruhigen Wasserlauf, [15–16] und rühmen, wie der so kalte, mit seinem luftigen Gipfel an die Wolken stoßende Tauros nährt die ungeschorenen [bärtigen, langhaarigen] Kiliker? [17–18] Wozu soll ich erzählen, wie von einer bevölkerten Stadt zur anderen unbehelligt [unangetastet] fliegt die weiße, dem palästinensischen Syrer heilige Taube [19–20] und wie auf des Meeres weite Fläche von turmhohen Bauten hinausschaut Tyros, die Stadt, die als erste ein Schiff den Winden anzuvertrauen lernte, [21–22] und wie, wenn der Sirius zerbröckelt [spaltet] die ausgetrockneten [dürren] Ackerböden, zu ihrem Segen im Sommer der Nil strotzt von Wasser. [23–24] Vater Nil, könnte ich doch nur sagen, aus welchem Grund denn und in welchen Landen du versteckt hast dein Haupt! [25–26] Deinetwegen erfordert deine Landschaft keinerlei Regenfälle und fleht kein verdorrtes Gras den Regenspender Iuppiter um Hilfe an. [27–28] Dich verherrlicht und bewundert als ihren Osiris eine fremdländische Bevölkerung, die, an die Brust sich schlagend, zu trauern gelernt hat um Memphis’ Stier.

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[29–30] primus aratra manu sollerti fecit Osiris et teneram ferro sollicitavit humum, [31–32] primus inexpertae commisit semina terrae pomaque non notis legit ab arboribus. [33–34] hic docuit teneram palis adiungere vitem, hic viridem dura caedere falce comam; [35–36] illi iucundos primum matura sapores expressa incultis uva dedit pedibus. [37–38] ille liquor docuit voces inflectere cantu, movit et ad certos nescia membra modos, [39–40] Bacchus et agricolae magno confecta labore pectora tristitiae dissolvenda dedit. [41–42] Bacchus et adflictis requiem mortalibus adfert, crura licet dura compede pulsa sonent. [43–44] non tibi sunt tristes curae nec luctus, Osiri, sed chorus et cantus et levis aptus amor, [45–46] sed varii flores et frons redimita corymbis, fusa sed ad teneros lutea palla pedes [47–48] et Tyriae vestes et dulcis tibia cantu et levis occultis conscia cista sacris. [49–50] huc ades et centum ludos geniumque choreis concelebra et multo tempora funde mero; [51–52] illius et nitido stillent unguenta capillo, et capite et collo mollia serta gerat. [53–54] sic venias hodierne: tibi dem turis honores, liba et Mopsopio dulcia melle feram. [55–56] at tibi succrescat proles, quae facta parentis augeat et circa stet veneranda senem. [57–58] nec taceat monumenta viae, quem Tuscula tellus candidaque antiquo detinet Alba Lare. [59–60] namque opibus congesta tuis hic glarea dura sternitur, hic apta iungitur arte silex. [61–62] te canit agricola, a magna cum venerit urbe serus inoffensum rettuleritque pedem.

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31 gramina H 35 sopores P Y d e 36 et pressa P 40 tristitia Pucci, sed cf. operum solutis in Hor. carm. 3,17,16 41 offert B 42 compede G Y d e cuspide O H P Q V Y c 43 sint P d e ♦ non B ♦ osiris c 46 luctea P 47 dulci G 48 crista P 49 centum ludos O H M P Q centum ludis ς genium ludis Y2 recc. ♦ geniumque c(h)oreis Ω centumque choreis Ramsay 53 dent P 54 libaque ς libem et G2 ♦ mopsopio H mosopio O Bg. P Q messopia M ♦ melle H e mella O G M P Q Y c d 56 uenerata C uenerande L. Müller 57 nec G H P Q Y c ne O M d et in marg. e ♦ monimenta P ♦ quem Itali Reg. qu(a)e O B G M P Q C quam H 61 canet H canat M ♦ magna Baehrens, Housman magna Itali

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[29–30] Als Erster fertigte mit geschickter Hand Pflüge Osiris und wühlte mit dem Eisen ihrer Schar das jungfräuliche Erdreich auf. [31–32] Als Erster vertraute er Samen unerprobtem Boden an und las Obst von bis dahin nicht bekannten Bäumen. [33–34] Er lehrte es, an Pfähle zu binden die biegsame Rebe, er es, mit scharfem Krummmesser zu stutzen ihr grünendes Haarkleid, das Laub. [35–36] Ihm spendete erstmals ihren lieblichen Geschmack die reife Traube, ward sie auch ausgepresst von ungepflegten Füßen. [37–38] Jener Most lehrte die Menschen, den Klang ihrer Stimme abzuwandeln mit Gesang, und bewegte ungeschulte Glieder nach bestimmten Rhythmen, [39–40] und Bacchus gab dem Landwirt ein Herz, das, von großer Mühsal zermürbt, von Trübsinn sich lässt erlösen, [41–42] und Bacchus verhilft zu Ruhe niedergeschlagenen Sterblichen, mögen auch ihre Unterschenkel, von harten Fußfesseln angestoßen, klirren. [43–44] Nicht passen zu dir trübselige Sorgen und Trauer, Osiris, sondern Rundtanz, Gesang und unbeschwerte Liebe, [45–46] sondern verschiedenfarbige Blumen und eine Stirn, die umschlungen ist von Efeublütentrauben, sondern eine safrangelbe Robe, herabwallend zu den zarten Füßen, [47–48] sowie purpurne Gewänder aus Seide von Tyros, eine lieblich klingende Rohrflöte und eine leichte Truhe, die eingeweiht ist in den Geheimkult. [49–50] Hierzu erscheine und feiere gemeinsam mit uns hundert Spiele und den Genius mit Reigen und übergieße ihm die Schläfen mit viel reinem Wein! [51–52] Von seinem glänzenden Haar tropfe das Salböl, und auf Kopf und Nacken trage er schmiegsame Girlanden. [53–54] So komme du an deinem, dem heutigen Tag. Dir möchte ich mit Weihrauch die Ehre erweisen und als Gaben Fladenbrote mit Mopsopiens attischem Honig gesüßt darbringen. [55–56] Doch dir wachse Nachwuchs heran, der die Erfolge des Vaters mehre und sich ehrfurchtsvoll um ihn schare als Greis. [57–58] Und es verschweige nicht das Denkmal, das eine Straße dir setzt, wen das tuskulanische Land und das strahlend helle Alba an sich bindet mit einem uralten Haus und Herd. [59–60] Denn aus deinen eigenen Mitteln aufgeschüttet, wird hier harter Kies zu einem Bett ausgebreitet, hier mit fachgerechter Handwerkskunst zu einem Pflaster verfugt der Basalt. [61–62] Dich preisen wird der Landwirt, wenn er kommt von dem großstädtischen Rom und, ohne zu stolpern, spät heimkehrt.

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[63–64] at tu, Natalis multos celebrande per annos, candidior semper candidiorque veni. VIII [1–2] Non ego celari possum, quid nutus amantis quidve ferant miti lenia verba sono. [3–4] nec mihi sunt sortes nec conscia fibra deorum, praecinit eventus nec mihi cantus avis: [5–6] ipsa Venus magico religatum bracchia nodo perdocuit multis non sine verberibus. [7–8] desine dissimulare: deus crudelius urit, quos videt invitos succubuisse sibi. [9–10] quid tibi nunc molles prodest coluisse capillos saepeque mutatas disposuisse comas, [11–12] quid fuco splendente genas ornare, quid ungues artificis docta subsecuisse manu? [13–14] frustra iam vestes, frustra mutantur amictus, ansaque compressos colligat arta pedes. [15–16] illa placet, quamvis inculto venerit ore nec nitidum tarda compserit arte caput. [17–18] num te carminibus, num te pallentibus herbis devovit tacito tempore noctis anus? [19–20] cantus vicinis fruges traducit ab agris, cantus et iratae detinet anguis iter, [21–22] cantus et e curru Lunam deducere temptat et faceret, si non aera repulsa sonent. [23–24] quid queror heu misero carmen nocuisse, quid herbas? forma nihil magicis utitur auxiliis; [25–26] sed corpus tetigisse nocet, sed longa dedisse oscula, sed femini conseruisse femur. [27–28] nec tu difficilis puero tamen esse memento; persequitur poenis tristia facta Venus.

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VIII 1 celari G2 ed. Reg. celare O G H P C cellare Q celarim Ald. (1502) ♦ amoris C 2 ferant G H P Q V2 d e ferat O ♦ lenia B G H V leuia A Ber. P Q Y c laeuia G 4 carmen Q 6 uulneribus C 8 subcubuisse Bodl. succubuisse Ω supposuisse Q 9 prodest molles Flor. Berol. Vinc. G 10 s(a)epe et Flor. Vinc. G 11 fuco A Ber.1 H P Q V n suco a p1 Ber. c succo p G ♦ genas Itali comas O H P Q Y C ♦ ornasse Itali 14 comprensos H ♦ colligat Flor. A1 Ber. Bg. G H P colligit A2 G2 Q V Y C ♦ arta H Q arcta Flor. A G1 arte P V Y C 17 non … non P Q ♦ pollentibus G ς 18 tacit(a)e V2 19 aruis P 26 femini Estaço ex Charis. gramm. p. 87,5 vel 131,1 Keil femori Ω

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[63–64] Doch du, Geburtstag, der zu feiern du bist über viele Jahre hin, komme von Jahr zu Jahr strahlender und immer strahlender! 8 [1–2] Nicht verheimlicht werden kann mir, was das Kopfnicken eines Liebenden oder was seine geflüsterten Worte mitteilen in zärtlichem [sanftem] Ton. [3–4] Weder verfüge ich über Losorakel oder einen Leberlappen, der eingeweiht ist in den Willen der Götter, noch sagt Ereignisse mir voraus der Gesang eines Vogels. [5–6] Selber hat Venus mir die Arme mit einem Zauberknoten auf den Rücken gebunden und mich – nicht ohne viele Peitschenhiebe – gründlich unterrichtet. [7–8] Höre auf, dich zu verstellen! Der Liebesgott entflammt grausamer, wen er nur widerwillig sich ihm zu Füßen werfen sieht. [9–10] Was nützt es dir jetzt, gepflegt zu haben dein weich fallendes Haar und zu Frisuren, die oft wechselten, dir hergerichtet zu haben die Haare, [11–12] was, mit grellem Purpurrot die Wangen geschminkt zu haben, was, dass die Nägel du dir hast schneiden lassen von eines Meisters [Barbiers] fachkundiger Hand? [13–14] Umsonst ist’s nunmehr, dass die Kleider, umsonst, dass die Umhänge du wechselst und die stramm sitzende Schlaufe deiner Sandale dir einzwängt und einschnürt die Füße. [15–16] Jene gefällt, obschon mit ungeschminktem Gesicht sie sich einfand und nicht mit langwieriger Schönheitspflege gleißend sich zurechtmachte den Kopf. [17–18] Hat dich etwa mit Zauberliedern, hat dich etwa mit fahl bleichenden Kräutern in der Stille der Nachtzeit verhext eine Alte? [19–20] Zaubergesang zieht Feldfrüchte von den Nachbaräckern herüber, Zaubergesang hemmt einer gereizten Schlange Lauf, [21–22] Zaubergesang versucht sogar, die Mondgöttin von ihrem Wagen herabzuholen, und würde es schaffen, wenn nicht das Rasseln hin und her bewegter Bronzeinstrumente [gerüttelter Sistren] ertönte. [23–24] Was klage ich, ach, dass mir Armen Zaubergesang habe geschadet, was, dass Hexenkräuter schuld gewesen seien? Eine Schönheit bedient sich mitnichten zauberkräftiger Hilfsmittel, [25–26] sondern ihren Leib berührt, sondern ihr lange Küsse gegeben, sondern den Schenkel an ihren Schenkel geschmiegt zu haben – das schadet. [27–28] Du aber denke daran, dich dem Burschen gleichwohl nicht griesgrämig zu zeigen – es verfolgt Venus mit Strafen Anwandlungen von Missmut.

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[29–30] munera ne poscas: det munera canus amator, ut foveat molli frigida membra sinu. [31–32] carior est auro iuvenis, cui levia fulgent ora nec amplexus aspera barba terit. [33–34] huic tu candentes umero suppone lacertos, et regum magnae despiciantur opes. [35–36] at Venus invenit puero concumbere furtim, dum tumet et teneros conserit usque sinus, [37–38] et dare anhelanti pugnantibus umida linguis oscula et in collo figere dente notas. [39–40] non lapis hanc gemmaeque iuvant, quae frigore sola dormiat et nulli sit cupienda viro. [41–42] heu sero revocatur amor seroque iuventas, cum vetus infecit cana senecta caput. [43–44] tum studium formae est: coma tum mutatur, ut annos dissimulet viridi cortice tincta nucis; [45–46] tollere tum cura est albos a stirpe capillos et faciem dempta pelle referre novam. [47–48] at tu, dum primi floret tibi temporis aetas, utere: non tardo labitur illa pede. [49–50] neu Marathum torque: puero quae gloria victo est? in veteres esto dura puella senes. [51–52] parce precor tenero! non illi sontica causa est, sed nimius luto corpora tingit amor. [53–54] vae miser absenti maestas quam saepe querelas conicit, et lacrimis omnia plena madent! [55–56] ‘quid me spernis?’ ait. ‘poterat custodia vinci: ipse dedit cupidis fallere posse deus. [57–58] nota venus furtiva mihi est, ut lenis agatur spiritus, ut nec dent oscula rapta sonum; [59–60] et possum media quamvis obrepere nocte et strepitu nullo clam reserare fores.

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29 nec P C 30 foueas Y ς ♦ tristia H 31 leuia A B Ber. G H P Q V2 lenia Ber.2 V mollia C 32 tenet P 35 inuenit Ω inveniet Scaliger, sed cf. docuit et peredit in vv. 1,4,17 et 18 36 tumet Scaliger timet Ω ♦ conseret P conserere Heyne ♦ teneras … manus Q Vo 39 iuuant quae Ber. H P V iuuantque A Q 41 iuuentas A Ber. G V2 iuuenta Exc. A2 V iuuentus Q C 42 tarda H 43 tum O H P Q nunc Flor. Vinc. G ♦ tum H Q Y ς tunc O nunc Flor. Berol. Vinc. G, om. P 44 dissimilet Flor. Vinc. O 45 tum H Q ς tunc O nunc Flor. Vinc. G P 49 neu G H V2 seu O B P Q C 51 sontica Fris. Bg.2 G Y2 ed. Reg. A2, om. Bg. sentica A B V sentita Ber. Cu. C scutica H P rustica Q Y 52 luto H1 Itali luteo A G H Q V C lucteo P ♦ corpore G d e et in marg. V2, corr. G2 e2 pectora H 53 vae Itali uel Ω, sed cf. vae mihi misero (Plaut. Merc. 217), vae misero mihi (Ter. Ad. 301) et vae misero mi (Haut. 250) ut d e 55 spernit H P ♦ uincit H falli Q 57 lenis A2 B G H P V2 leuis A Q V 58 ne Y 59 ut Q ♦ possim Q ed. Reg. 60 sonitu G

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[29–30] Geschenke verlange du nicht! Es überreiche Geschenke der altersgraue Liebhaber, dass er wärme seine eiskalten Glieder an einem weichen Busen. [31–32] Kostbarer als Gold ist ein Jüngling, bei dem hell glänzt das glatte Gesicht und bei Umarmungen kein stachliger Bart die Wangen kratzt. [33–34] Ihm lege du unter die Schulter deine strahlend weißen Arme, und verächtlich herabgeblickt werde auf der Könige große Schätze. [35–36] Doch hat Venus schon [noch] immer Wege dafür gefunden, mit einem Knaben verstohlen zu schlafen, sofern nur er von Wollust strotzt und seine Brust unentwegt sich schmiegt an ihren zarten Busen, [37–38] und ihm, wenn er keucht und ihrer beider Zungen miteinander kämpfen, feuchte Küsse zu geben und auf seinem Hals Male einzuprägen mit den Zähnen. [39–40] Nicht verhelfen Edelsteine und Juwelen [Gemmen] der zu ihrem Glück, die in eisiger Kälte allein schlafe und begehrenswert erscheine keinem Mann. [41–42] Ach, zu spät besinnt man sich auf die Liebe und zu spät auf die Jugend zurück, wenn das Greisentum grau gefärbt hat den bejahrten Schopf. [43–44] Dann bemüht man sich um gutes Aussehen; das Haar wird dann verändert, dass die Lebensjahre es verhehle, gefärbt mit der noch grünen Walnuss. [45–46] Darum kümmert man sich dann, mit der Wurzel zu entfernen die weißen Haare und durch Schälung der Haut zurückzugewinnen ein junges Gesicht. [47–48] Doch genieße du das Leben, solange du stehst in dem blühenden Alter seines Frühlings! Nicht gleitet langsamen Schrittes es dahin. [49–50] Foltere Marathus nicht! Was für eine Ruhmestat ist’s, einen Knaben bezwungen zu haben? Zu bejahrten Greisen sei hart ein Mädchen! [51–52] Schone bitte den zarten Knaben! Er leidet nicht an einer ernsten Krankheit, sondern allzu große Liebe färbt in gelblichem Ton seinen Körper. [53–54] Ach, der Arme! Wie oft überschüttet er dich, bist du weg, mit traurigen Klagen und trieft alles voller Tränen! [55–56] »Weshalb verschmähst du mich?«, fragt er. »Es hätte die Wache überlistet werden können. Selber hat die Gabe, täuschen zu können, den Liebeshungrigen verliehen ihr Gott. [57–58] Ich kenne mich aus mit verstohlenem Liebesgenuss, weiß, wie man den Atem sacht ausstößt und wie man Küsse raubt, ohne dass von sich sie geben einen Laut, [59–60] und ich kann, obschon mitten in der Nacht, unbemerkt mich anschleichen und ohne irgendein Geräusch heimlich entriegeln die Flügel einer Tür.

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[61–62] quid prosunt artes, miserum si spernit amantem et fugit ex ipso saeva puella toro, [63–64] vel cum promittit, subito sed perfida fallit, est mihi nox multis evigilanda malis? [65–66] dum mihi venturam fingo, quodcumque movetur, illius credo tunc sonuisse pedes.’ [67–68] desistas lacrimare, puer: non frangitur illa, et tua iam fletu lumina fessa tument. [69–70] oderunt, Pholoe, moneo, fastidia divi, nec prodest sanctis tura dedisse focis. [71–72] hic Marathus quondam miseros ludebat amantes, nescius ultorem post caput esse deum; [73–74] saepe etiam lacrimas fertur risisse dolentis et cupidum ficta detinuisse mora: [75–76] nunc omnes odit fastus, nunc displicet illi quaecumque opposita est ianua dura sera. [77–78] at te poena manet, ni desinis esse superba. quam cupies votis hunc revocare diem!

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IX [1–2] Quid mihi, si fueras miseros laesurus amores, foedera per divos, clam violanda, dabas? [3–4] a miser, et si quis primo periuria celat, sera tamen tacitis Poena venit pedibus. [5–6] parcite, caelestes: aequum est impune licere numina formosis laedere vestra semel. [7–8] lucra petens habili tauros adiungit aratro et durum terrae rusticus urget opus, [9–10] lucra petituras freta per parentia ventis ducunt instabiles sidera certa rates: [11–12] muneribus meus est captus puer; at deus illa in cinerem et liquidas munera vertat aquas. [13–14] iam mihi persolvet poenas, pulvisque decorem detrahet et ventis horrida facta coma;

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61 prosunt Exc. A2 B Bg. G H possunt A Q V C, in marg. corr. V2 posuit P 64 modis P 67 desistat H desiste P 73 lacrimis Y ♦ fertur lacrimas H 76 firma Q ς IX 2 dabis P 3 miser est Flor. H Y 6 formosos P 9 petituras Flor. B G H V2 c e petituros A Q V petiturus P 10 ducant Y 11 ast H 12 uertet ς 13 persoluat H persolues P

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[61–62] Was aber nützen die Kniffe, wenn mich armen Liebenden verschmäht die Geliebte und sich wutentbrannt geradewegs flüchtet aus dem Bett [63–64] oder ich, wenn sie sich einzufinden verspricht, plötzlich aber mich treulos versetzt, die Nacht zu durchwachen habe vor Kummer über die vielen Enttäuschungen? [65–66] Solange ich mir einbilde, sie werde kommen, glaube ich fest, ganz gleich, was sich bewegt, in diesem Augenblick nahen zu hören ihre Schritte.« [67–68] Höre zu weinen auf, Knabe! Nicht erweichen lässt sie sich, und deine Augen sind schon, vom Weinen müde, geschwollen, [69–70] Es hassen, Pholoe, warne ich dich, Hochmut die Götter, und es nützt dir nichts, Weihrauch gespendet zu haben ihren heiligen Feuerstätten. [71–72] Dieser Marathus pflegte einst zu verspotten die armen Liebenden, ohne zu wissen, dass als Rächer im Nacken ihm saß ein Gott. [73–74] Oft habe sogar, wird erzählt, er gelacht über die Tränen eines sich Härmenden und einen Liebeshungrigen hingehalten mit der Lüge, verhindert zu sein. [75–76] Jetzt hasst er alle Sprödigkeit, jetzt missfällt ihm jegliche Tür, die hart bleibt mit vorgeschobenem Riegel. [77–78] Doch auf dich wartet Strafe, wenn du nicht aufhörst, überheblich zu sein. Wie sehr wirst du dir wünschen, mit Gelübden rückgängig zu machen diese Zeit! 9 [1–2] Weshalb pflegtest du mir, wenn du von jeher meine leidvollen Liebesgefühle zu verletzen gedachtest, Bündnistreue [Treue] bei den Göttern zu geloben [schwören], nur um Verträge heimlich zu brechen? [3–4] Ach, Unseliger, selbst wenn jemand zunächst seine Meineide verhehlt, kommt, spät zwar, dennoch die Strafe auf leisen Sohlen. [5–6] Schont ihn, ihr himmlischen Gottheiten! Recht und billig ist’s, dass es den Schönen vergönnt ist, eurem Willen zuwiderzuhandeln wenigstens einmal im Leben. [7–8] Nach Gewinn strebend, spannt Stiere vor den handlichen Pflug und bürdet der Bauer ihnen harte Feldarbeit auf. [9–10] Um Gewinn mit ihnen zu erzielen, lotsen durch stürmischen Winden gefügige Meerengen Fixsterne die schwankenden Schiffe. [11–12] Von Geschenken hat sich einnehmen lassen mein geliebter Knabe. Doch verwandle ein Gott jene Geschenke in Asche und fließendes Wasser. [13–14] Bald schon wird er mir entrichten die gebührenden Strafen: Straßenstaub wird seine Schönheit ebenso schmälern wie von Winden struppig gewordenes Haar.

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[15–16] uretur facies, urentur sole capilli, deteret invalidos et via longa pedes. [17–18] admonui quotiens: ‘auro ne pollue formam: saepe solent auro multa subesse mala. [19–20] divitiis captus siquis violavit amorem, asperaque est illi difficilisque Venus. [21–22] ure meum potius flamma caput et pete ferro corpus et intorto verbere terga seca. [23–24] nec tibi celandi spes sit peccare paranti: scit deus, occultos qui vetat esse dolos. [25–26] ipse deus tacito permisit lene ministro, ederet ut multo libera verba mero; [27–28] ipse deus somno domitos emittere vocem iussit et invitos facta tegenda loqui.’ [29–30] haec ego dicebam: nunc me flevisse loquentem, nunc pudet ad teneros procubuisse pedes. [31–32] tunc mihi iurabas nullo te divitis auri pondere, non gemmis, vendere velle fidem, [33–34] non tibi si pretium Campania terra daretur, non tibi si, Bacchi cura, Falernus ager. [35–36] illis eriperes verbis mihi sidera caeli lucere et puras fulminis esse vias. [37–38] quin etiam flebas; at non ego fallere doctus tergebam umentes credulus usque genas. [39–40] quid faciam, nisi et ipse fores in amore puellae? sic precor exemplo sit levis illa tuo. [41–42] o quotiens, verbis ne quisquam conscius esset, ipse comes multa lumina nocte tuli! [43–44] saepe insperanti venit tibi munere nostro, sed latuit clausas post adoperta fores. [45–46] tum miser interii, stulte confisus amari; nam poteram ad laqueos cautior esse tuos.

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17 admonuit … et polue P 19 ouicijs A V, in marg. corr. V2 o uitijs P 22 in torto … sera P 23 ne tibi Flor. Exc. Vinc. ♦ celandi spes Flor. Exc. Vinc. H peccandi spes Berol. celanti fas O G P C cellanti fas Q ♦ est P ♦ parenti H 24 scit ς sit O P Q C est Flor. Exc. Vinc. H Buxh. Harl. ♦ uetat Flor. Exc. Vinc. H uetet O P Q C Buxh. Harl. ς 25 de H ♦ lene Ber.2 H Q V2 Vo d et in marg. e2 laene G leue O P laeua Y c e lena vel sa(e)ua recc. 28 cogit Flor. Exc. H ♦ inuictos n mutos p, corr. p1 31 tum H ♦ nullo te G H V2 Ald. (1502) nullo tibi O B P Q C nullius uel nullo tibi Y 33 terra Ω tota G 35 eriperes G H Q C eriperet O P 36 puras Ω pronas Heyne ♦ fulminis Bg. d e G2 fluminis O B G H P Q 37 ast H 38 crudelis H 39 faciam O c e facerem Cu. H P faceres B G Q Vo d et in marg. V2 40 sic precor G sit precor A Ber. H P Q V sed precor Y C ♦ exemplo sit A2 Ber.2 V2 G Y C exemplo sed Ber. H P Q V ♦ ipsa P 41 nuntius P 44 sed O B H P Q C et Itali ♦ clausos O H, corr. Ber.2 45 tum O H P Q C tunc Bürger O Fris. ♦ confixus Fris. Bg. ♦ amori Y

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[15–16] Verbrannt werden wird ihm das Gesicht, verbrannt werden von der Sonne ihm das Haar, und abscheuern wird der lange Reiseweg ihm die schwächlichen Füße. [17–18] Wie viele Male habe ich es ihm eingeschärft: »Für Gold ziehe nicht deine Anmut in den Schmutz! Oft pflegen unter dem Gold viele schlimme Gefahren zu lauern. [19–20] Wenn jemand, von Reichtum betört, mit Füßen getreten hat die Liebe, zeigt harsch und unwirsch Venus sich ihm. [21–22] Verbrenne lieber mit lodernder Flamme meinen Kopf und greife mit der Klinge meinen Körper an oder zerschlitze mit wirbelnder Peitsche meinen Rücken! [23–24] Auch hege nicht die Hoffnung, geheimzuhalten deine Absicht, wenn einen Fehltritt zu begehen du planst. Es weiß es ein Gott, der unterbindet, dass verborgen bleiben deine Schliche. [25–26] Höchstselbst hat der Gott es gnädig erlaubt einem verschwiegenen Diener, dass er sich freimütig äußere vom vielen Wein. [27–28] Höchstselbst fordert der Gott vom Schlaf Übermannte auf, ihre Stimme zu erheben und Vorfälle, die hätten vertuscht werden müssen, gegen ihren Willen auszuplaudern.« [29–30] Solches Zeug redete ich. Jetzt aber schäme ich mich, geweint zu haben, während ich sprach, jetzt mich, niedergebeugt mich zu haben zu deinen zarten Füßen. [31–32] Damals schworst du mir, für keinen Klumpen kostbaren Goldes, nicht für Perlen verkaufen zu wollen die Treue, [33–34] nicht, wenn dir kampanisches Land, nicht, wenn dir Bacchus’ Herzensanliegen, falernischer Boden, als Preis geboten würde. [35–36] Mit jenen Worten hätte er mir ausreden können, dass die Sterne des Himmels leuchten und blitzblank vom Gewitter gesäubert sind des Blitzes Bahnen. [37–38] Ja, du weintest sogar dabei. Doch ich, der ich Gefühle vorzutäuschen nicht gelernt hatte, wischte dir gutgläubig in einem fort die tränenfeuchten Wangen ab. [39–40] Was soll ich tun, es sei denn, du wärest deinerseits verliebt in ein Mädchen? Dann allerdings bitte und bete ich, es möge leichtlebig die Betreffende sein nach deinem Beispiel. [41–42] O, wie viele Male habe ich, damit euren Worten niemand lauschte, persönlich als Begleiter tief in der Nacht die Lichter getragen! [43–44] Oft kam unverhofft sie zu dir von meinen Gnaden; doch hielt sie vor mir sich verborgen, da versteckt sie sich hatte hinter verschlossener Tür. [45–46] Damals bin ich Armer am Ende gewesen, hatte ich doch blind darauf vertraut, geliebt zu werden; denn ich hätte besser auf der Hut sein können vor deinen Fallstricken.

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[47–48] quin etiam attonita laudes tibi mente canebam, et me nunc nostri Pieridumque pudet. [49–50] illa velim rapida Vulcanus carmina flamma torreat et liquida deleat amnis aqua. [51–52] tu procul hinc absis, cui formam vendere cura est et pretium plena grande referre manu. [53–54] at te, qui puerum donis corrumpere es ausus, rideat adsiduis uxor inulta dolis, [55–56] et cum furtivo iuvenem lassaverit usu, tecum interposita languida veste cubet. [57–58] semper sint externa tuo vestigia lecto, et pateat cupidis semper aperta domus; [59–60] nec lasciva soror dicatur plura bibisse pocula vel plures emeruisse viros. [61–62] illam saepe ferunt convivia ducere Baccho, dum rota Luciferi provocet orta diem. [63–64] illa nulla queat melius consumere noctem aut operum varias disposuisse vices. [65–66] at tua perdidicit, nec tu, stultissime, sentis, cum tibi non solita corpus ab arte movet. [67–68] tune putas illam pro te disponere crines aut tenues denso pectere dente comas? [69–70] ista haec persuadet facies, auroque lacertos vinciat et Tyrio prodeat apta sinu? [71–72] non tibi, sed iuveni cuidam vult bella videri, devoveat pro quo remque domumque tuam. [73–74] nec facit hoc vitio, sed corpora foeda podagra et senis amplexus culta puella fugit. [75–76] huic tamen accubuit noster puer: hunc ego credam cum trucibus venerem iungere posse feris. [77–78] blanditiasne meas aliis tu vendere es ausus? tune aliis demens oscula ferre mea? [79–80] tum flebis, cum me vinctum puer alter habebit et geret in regno regna superba tuo. [81–82] at tua tum me poena iuvet, Venerique merenti fixa notet casus aurea palma meos:

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62 prouocat P 63 queat nullam H Q 65 aut P V haec in marg. V2 68 et G H ♦ pectore A V, corr. V2 pectine c 69 ista h(a)ec Ber. G H P Q c et in marg. V2 ista A V 71 sibi P 73 nec G H Q et in marg. V2 non C hoc P h(a)ec O, sed cf. 1,5,43 non facit hoc verbis 74 amplexum H 75 huic Q Y hunc O B H P c e 77 alii H 78 alii H 79 tum ς tunc O H P tu Q ♦ te H ♦ uictum Y 80 suo d e, corr. e2 meo P 81 tua tum G2 ς tua dum O H Q C dum tua P ♦ p(o)ena me H P 82 parma Scaliger, sed cf. Iuv. 7,118 figantur virides, scalarum gloria, palmae

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[47–48] Ja, ich sang sogar in meiner Blindheit Loblieder auf dich und schäme mich jetzt meiner und der Musen. [49–50] Jene Lieder, wollte ich, verkohlte Vulcanus mit versengender Flamme und tilgte ein Strom mit fließendem Wasser. [51–52] Du bleibe fern von hier, dem daran liegt, sein schönes Äußere zu verkaufen und den hohen Erlös nach Hause zu tragen mit voller Hand. [53–54] Doch dich, der du den Knaben mit Geschenken zu bestechen wagtest, mache deine Gattin ungestraft lächerlich mit ständigen Seitensprüngen, [55–56] und wenn einen Jüngling sie ermattet hat vom verstohlenen Verkehr, liege mit dir sie lustlos, mit der Decke dazwischen, im Bett. [57–58] Immer trage dein Bett die Spuren von Fremden, und immer stehe Lüsternen sperrangelweit offen dein Haus. [59–60] Nicht einmal ihrer wollüstigen Schwester sage man nach, mehr Becher als sie geleert oder mehr Männer als sie befriedigt zu haben. [61–62] Sie dehne oft, verbreiten sie, Gelage so lange mit der Gabe des Bacchus aus, bis der Wagen des Morgensterns mit seinem Start heraufführe den Tag. [63–64] Besser als sie könnte keine auskosten die Nacht oder eingeteilt haben ihrer Dienste mannigfaltigen Wechsel. [65–66] Doch hat die Deinige es gründlich gelernt, und du, größter Dummkopf, merkst es nicht einmal, wenn sie mit dir nicht geläufiger Geschicklichkeit ihren Körper bewegt. [67–68] Glaubst du, dass sie für dich herrichtet ihr Haar oder die feinen Strähnen strählt mit dicht gezähntem [gezacktem] Kamm? [69–70] Überredet dieser dein Anblick sie dazu, dass sie mit Goldschmuck ihre Arme umreift und kleidsam ausgeht mit einem Purpurgewand aus tyrischer Seide? [71–72] Nicht dir, sondern einem gewissen Jüngling will hübsch sie erscheinen, einem, für den sie bereitwillig hingäbe dein Vermögen und Haus. [73–74] Auch tut sie dies nicht aus Schlechtigkeit, sondern aus dem Grund, dass von Gicht entstellte Körper und eines Greises Umarmungen ein adrettes Mädchen meidet. [75–76] Ihm hat dennoch beigeschlafen unser Knabe. Er könnte, will ich gern glauben, Liebesbande knüpfen mit ungebärdigen Barbaren. [77–78] Hast Liebkosungen, die mir geschuldet werden, Anderen du zu verkaufen gewagt, du Anderen wahnwitzig Küsse zu geben dich getraut, die mir geschuldet werden? [79–80] Dann wirst du weinen, wenn ein anderer Knabe mich gefangen halten und als König meines Herzens stolz die Krone tragen wird in deinem Königreich. [81–82] Doch freue deine Strafe dann mich, und Venus zu Ehren, die es verdient, mache, angebracht an ihrem Tempel, eine goldene Siegespalme meine Enttäuschungen bekannt:

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Liber I

[83–84] ‘hanc tibi fallaci resolutus amore Tibullus dedicat et grata sis, dea, mente rogat.’ X [1–2] Quis fuit, horrendos primus qui protulit enses? quam ferus et vere ferreus ille fuit! [3–4] tum caedes hominum generi, tum proelia nata, tum brevior dirae mortis aperta via est. [5–6] an nihil ille miser meruit, nos ad mala nostra vertimus, in saevas quod dedit ille feras? [7–8] divitis hoc vitium est auri, nec bella fuerunt, faginus adstabat cum scyphus ante dapes. [9–10] non arces, non vallus erat, somnumque petebat securus varias dux gregis inter oves. [11–12] tunc mihi vita foret vulgi nec tristia nossem arma nec audissem corde micante tubam; [13–14] nunc ad bella trahor, et iam quis forsitan hostis haesura in nostro tela gerit latere. [15–16] sed patrii servate Lares: aluistis et idem, cursarem vestros cum tener ante pedes. [17–18] neu pudeat prisco vos esse e stipite factos: sic veteris sedes incoluistis avi. [19–20] tunc melius tenuere fidem, cum paupere cultu stabat in exigua ligneus aede deus. [21–22] hic placatus erat, seu quis libaverat uvam, seu dederat sanctae spicea serta comae, [23–24] atque aliquis voti compos liba ipsa ferebat postque comes purum filia parva favum. [25–26] at nobis aerata, Lares, depellite tela, < * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *> [27–28] hostiaque e plena rustica porcus hara.

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X 3 tum caedes Flor. H C tunc caedes O P Q ♦ tunc proelia G P ed. Reg. 4 tum O H P Q C tunc G et Flor. 5 an O Q Y c e at G P d et in marg. V2 ha H 8 aptabat Flor. ♦ scyphus H d e sciphus Fris. a p ciphus n O P siphus Q ♦ dapes Ω pedes P merum Flor. 10 uarias Ω sparsas recc., sed cf. Varro rust. 2,2,4 11 uulgi Ω Valgi Heyne dulcis Vo 12 tremente C, superscr. V2 17 heu pudet P ♦ ex H Y a d e 18 ueteris Itali ueteres Ω Y 19 tunc Ω tum ς 21 uuam Ber. G H d e et V2 uua A B Q unam V1 P una V 23 aut P ♦ ipsa Ω ipse G2 ς 25 errata P 26–27 post v. 25 lacunam indicant Ber.2 et V2 28 hostiaque Ω hostia de G2 hostia erit Vo nostraque Q ♦ my(i)stica G Q Muret

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[83–84] »Diese Siegespalme weiht dir ein von trügerischer Liebe erlöster Tibull und bittet dich, Göttin, du möchtest ihm dankbaren Herzens zugetan sein.« 10 [1–2] Wer ist’s gewesen, der als Erster hervorbrachte die schaurigen Schwerter? Wie barbarisch und wahrhaft eisenhart ist jener gewesen! [3–4] Damals sind Gemetzel der Menschheit, damals ihr Schlachten erstanden und hat sich ein kürzerer Weg zu einem grausigen [grässlichen] Tod ihr eröffnet. [5–6] Oder hat etwa jener Unselige nichts verschuldet, das Strafe verdiente, sondern haben wir zu unserem Unheil ins Gegenteil verkehrt, was als Waffe er uns gab gegen kampfwütige Tiere der Wildnis? [7–8] Dem kostbaren Gold anzulasten ist dieser Fehler! Keine Kriege hat es gegeben, als zum Festmahl ein Becher aus Buchenholz dastand vor den Speisen. [9–10] Keine Bergfesten, keine Palisade gab es, und den Schlaf suchte unbesorgt das Leittier der Herde inmitten scheckiger Schafe. [11–12] Hätte ich damals das einfache Leben des Volkes geführt, hätte ich weder traurige Waffengänge kennengelernt noch schmettern hören mit pochendem [flatterndem, klopfendem] Herzen eine Tuba. [13–14] Jetzt aber werde ich zu Kriegen gezerrt, und vielleicht trägt schon irgendein Feind Speere und Pfeile, die stecken zu bleiben bestimmt sind in meines Körpers offener Flanke. [15–16] Doch wacht über mich, meiner Väter Laren! Ihr habt mich ja auch großgezogen, als im zarten Kindesalter ich umherrannte vor euren Füßen. [17–18] Und schämt euch nicht, aus dem Strunk eines alten Baumstamms hergestellt worden zu sein. So gewohnt habt ihr auf dem Landsitz [Anwesen] eines bejahrten Ahns. [19–20] Damals hielten die Menschen euch besser die Treue, als ärmlich, wie der Kult war, noch aus Holz in einem knapp bemessenen Schrein stand ihr Hausgott. [21–22] Dieser war versöhnt gewesen, wenn jemand entweder als Erstlingsgabe eine Weintraube ihm zu kosten gegeben hatte oder wenn einen Ährenkranz er verliehen hatte seinem heiligen Haar; [23–24] und erfüllte sich jemandem ein Wunsch, brachte selbstgemachte Fladenbrote er dar und hinter ihm als Begleiterin seine kleine Tochter naturreinen Wabenhonig. [25–26] Doch wehrt mir die bronzebeschlagenen Speere ab . [27–28] und als ländliches Opfertier ein Ferkel aus vollem Koben.

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[29–30] hanc pura cum veste sequar myrtoque canistra vincta geram, myrto vinctus et ipse caput. [31–32] sic placeam vobis: alius sit fortis in armis sternat et adversos Marte favente duces, [33–34] ut mihi potanti possit sua dicere facta miles et in mensa pingere castra mero. [35–36] quis furor est atram bellis accersere mortem? imminet et tacito clam venit illa pede. [37–38] non seges est infra, non vinea culta, sed audax Cerberus et Stygiae navita puppis aquae; [39–40] illic percussisque genis ustoque capillo errat ad obscuros pallida turba lacus. [41–42] quam potius laudandus hic est, quem prole parata occupat in parva pigra senecta casa! [43–44] ipse suas sectatur oves, at filius agnos, et calidam fesso comparat uxor aquam. [45–46] sic ego sim, liceatque caput candescere canis, temporis et prisci facta referre senem. [47–48] interea Pax arva colat. Pax candida primum duxit araturos sub iuga curva boves, [49–50] Pax aluit vites et sucos condidit uvae, funderet ut nato testa paterna merum, [51–52] pace bidens vomerque nitent, at tristia duri militis in tenebris occupat arma situs [53–54] rusticus e lucoque vehit, male sobrius, ipse uxorem plaustro progeniemque domum. [55–56] sed veneris tunc bella calent, scissosque capillos femina perfractas conqueriturque fores. [57–58] flet teneras subfusa genas, sed victor et ipse flet sibi dementes tam valuisse manus, [59–60] at lascivus Amor rixae mala verba ministrat, inter et iratum lentus utrumque sedet.

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29 hunc ς Ald. (1502) ♦ sequor Q ♦ myrtisque G 32 aduersos G H P Q V2 C aduerso O 35 arcessere Ven. Flor. Vinc. G et in marg. V2 arcescere Y 37 ultra Y 38 pup(p)is Flor. Ω Y paupis n turpis Itali, sed cf. 1,4,45 et 2,5,45 vel Prop. 1,6,15 et 4,1,40 39 percussisque O H P Q C perscissisque Flor. Vinc. perculsisque recc. 41 quam Flor. A G H P Q V2 C quin B Ber. A2 42 occulit Flor. Vinc. 43 tuas P ♦ at Flor. A Ber. P Q d e ast H ac B aut G ut V Y c 45 canescere G Q, corr. G2 claudescere P 48 aratores ς ♦ curua O H P Q C panda Flor. B G 51 bidens n Ber. G H Q V2 c uidens A bibens a p P nitens A1 B V ♦ uomerque Ber.2 G H P V2 uomer O nomenque a n ♦ nitent Guyet nitet a n uitet p uident Ber. uigent G H P Q et in marg. V2 uirent Ber.2 uiderit A B V iugent d 52 occupet G H 53 e luc(h h)oque G H Q V1 e lutoque Ber. elutoque A Ber.2 P V ♦ ipse Y ς ipso O H P Q Y 55 tunc Ω tum H ♦ canent P 57 suffusa Scaliger subtusa Ω subscisa P

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[29–30] Ihm will mit sauberem Gewand ich folgen und von Myrtenzweigen umwundene Körbe tragen – von Myrtenzweigen umwunden aber gleichfalls den Kopf. [31–32] So gefallen möchte ich euch; ein Anderer sei tüchtig in Waffengängen und strecke im Bunde mit einem ihm gewogenen Mars gegnerische Heerführer nieder, [33–34] damit mir, während ich zeche, ein Krieger von seinen Heldentaten erzählen und auf dem Tisch das Feldlager aufmalen kann mit reinem Wein. [35–36] Welch ein Wahnwitz ist’s, mit Kriegen herbeizuholen den finsteren Tod! Er droht und naht uns heimlich auf leisen Sohlen. [37–38] Kein Saatfeld gibt es drunten, kein Rebland, das bestellt wäre, sondern den angriffslustigen Zerberus und den Fährmann des Bootes für den Styx, das unterweltliche Gewässer. [39–40] Dort irrt mit durchstoßenen Augenhöhlen und verbranntem Haar eine totenbleiche Schar an finsteren Seen umher. [41–42] Wieviel eher ist der glücklich zu preisen, von dem, mit Nachkommen dafür gerüstet, das schwerfällige Greisenalter Besitz ergreift in einer bescheidenen Hütte! [43–44] Er selbst folgt ständig auf dem Fuße den Schafen, doch der Sohn den Lämmern, und ist er müde, stellt seine Frau warmes Wasser für ihn bereit. [45–46] So möchte ich leben, und vergönnt sei mir, dass mein Haupt sich hell färbe von weißgrauem Haar und ich von Geschehnissen einer vergangenen Zeit berichte als Greis. [47–48] Unterdessen bestelle der Friede die Fluren. Der weiß gekleidete Friede führte erstmals unter gekrümmte Joche sie zu pflügen bestimmte Ochsen. [49–50] Der Friede zog Rebstöcke groß und bewahrte den Traubenmost auf, auf dass Vaters Tonkrug seinem Sohn ihn ausschenke als Wein. [51–52] Im Frieden blinken zweizinkiger Karst und Pflugschar, während die unseligen Waffen des mitleidlosen Kriegers in einer dunklen Ecke befällt der Rost, [53–54] und fährt der Bauer vom Festplatz, dem Hain, obwohl nur schlecht und recht nüchtern, selber auf seinem Karren Weib und Nachwuchs nach Hause. [55–56] Doch entbrennen dann Liebeskämpfe und beklagt sich seine Frau über zerzauste Haare und zertrümmerte Türflügel. [57–58] Sie weint von Tränen überströmt, die über die zarten Wangen ihr rinnen; doch weint der Sieger umgekehrt darüber, dass an ihr so unsinnig sich vergriffen seine Hände, [59–60] während der lose Amor dem Zank böse Worte leiht und ungerührt zwischen dem wutentbrannten Paar hockt.

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[61–62] a, lapis est ferrumque, suam quicumque puellam verberat: e caelo deripit ille deos. [63–64] sit satis e membris tenuem rescindere vestem, sit satis ornatus dissolvisse comae, [65–66] sit lacrimas movisse satis: quater ille beatus, quo tenera irato flere puella potest. [67–68] sed manibus qui saevus erit, scutumque sudemque is gerat et miti sit procul a Venere. [69–70] at nobis, Pax alma, veni spicamque teneto, perfluat et pomis candidus ante sinus.

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61 ah V ha A H P nam Q at G 62 deripit Itali diripit Ω 63 rescindere ς perscindere O P Q pr(a)escindere G H 64 comis P 70 perfluat Ber.2 H C per fluat P pr(a)efluat A Q V perfimat Ber. profluat G

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[61–62] Ach, Stein und Eisen ist ein jeder, der seine Geliebte verprügelt; vom Himmel zerrt herab er die Götter. [63–64] Es genüge, ihr vom Leib zu reißen das dünne Gewand, es genüge, ihr durcheinandergebracht zu haben die Haartracht, [65–66] kurzum, ihr Tränen hervorgetrieben zu haben genüge. Viermal gesegnet ist der Glückliche, dem eine feinfühlige Geliebte, ist er erbost, noch nachweinen kann. [67–68] Doch wer mit den Händen kampfwütig ist, der trage Schild und Pike [Spitzpfahl] und halte sich fern von der gütigen Venus. [69–70] Doch komme zu uns, holder Friede, halte ein Ährenbündel in der Hand und lasse überquellen von Obst den vorher weißen Bausch deines Gewandes.

Tibulli liber secundus I [1–2] Quisquis adest, faveat: fruges lustramus et agros, ritus ut a prisco traditus extat avo. [3–4] Bacche, veni, dulcisque tuis e cornibus uva pendeat, et spicis tempora cinge, Ceres. [5–6] luce sacra requiescat humus, requiescat arator, et grave suspenso vomere cesset opus. [7–8] solvite vincla iugis: nunc ad praesepia debent plena coronato stare boves capite. [9–10] omnia sint operata deo: non audeat ulla lanificam pensis imposuisse manum. [11–12] vos quoque abesse procul iubeo, discedat ab aris, cui tulit hesterna gaudia nocte Venus. [13–14] casta placent superis: pura cum veste venite et manibus puris sumite fontis aquam. [15–16] cernite, fulgentes ut eat sacer agnus ad aras vinctaque post olea candida turba comas. [17–18] di patrii, purgamus agros, purgamus agrestes: vos mala de nostris pellite limitibus, [19–20] neu seges eludat messem fallacibus herbis, neu timeat celeres tardior agna lupos. [21–22] tunc nitidus plenis confisus rusticus agris ingeret ardenti grandia ligna foco, [23–24] turbaque vernarum, saturi bona signa coloni, ludet et ex virgis extruet arte casas. [25–26] eventura precor: viden ut felicibus extis significet placidos nuntia fibra deos?

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I 1 faueat ς ualeat Ω Y, sed cf. 2,2,2 et Prop. 4,6,1 8 stare boues capite Ω uertice stare boues Flor. Berol. Vinc. 9 sint G H P Q V2 sunt Flor. Berol. Vinc. O ς 11 discedite Vo c d 13 ueste Ω mente Flor. 22 ingeret A Ber. H P Q ingerat G V Y C ♦ ligna Ω lingua A, corr. A2 longa P 23 saturi G Q Reg. satyri H V Y satiri A Ber. P C sacri B 24 arte G H P Q ante ceteri, sed cf. 1,4,76, 1,5,4 et 1,6,39 25 et uentura P ♦ uiden A et in marg. V2 uides B rudem c ♦ felicibus Ω caelestibus V, corr. V2

Tibulls zweites Buch 1 [1–2] Ein jeder, der erscheint, schweige andächtig! Feldfrüchte entsühnen wir und Äcker, wie die Gottesdienstordnung es vorsieht, die, aus Urahns Zeiten überliefert, noch immer fortbesteht. [3–4] Bacchus, komme hinzu und lasse von deinen Hörnern süße Trauben herabhängen – und umwinde mit Ähren dir die Schläfen, Ceres! [5–6] Am helllichten Feiertag raste die Erde, raste der Pflüger, und hat aufgehängt er seinen Pflug an der Schar, ruhe die schwere Arbeit. [7–8] Bindet die Riemen los von den Jochen! Jetzt haben vor vollen Krippen mit bekränztem Kopf stehenzubleiben die Ochsen. [9–10] Alles sei in Dienst gestellt dem Gott! Keine Magd wage es, als Wollarbeiterin an ihre Tagesmengen Hand anzulegen. [11–12] Euch auch fordere weiten Abstand zu halten ich auf: Es entferne sich vom Altar, wem Freuden brachte in der gestrigen Nacht die Göttin der Liebe. [13–14] Reinheitsanforderungen gefallen den Himmelsbewohnern: Kommt mit sauberer Gewandung und nehmt mit sauberen Händen von einer Quelle das Wasser! [15–16] Schaut, dass zu einem blitzblanken Altar geht das geweihte Lamm und dahinter die weiß gekleidete Festgemeinde mit von Ölzweigen umwundenem Haar. [17–18] Götter unserer Väter, wir reinigen von Sündenschuld die Äcker, wir reinigen von Sündenschuld ihre Bauern. Ihr aber vertreibt Unheil von unserer Fluren Grenzen, [19–20] damit weder das Saatland die Hoffnung auf Ernte enttäuscht durch tückisches Unkraut noch zu fürchten hat das zu langsame [langsamere] Lamm die schnellen Wölfe. [21–22] Dann wird geschniegelt [festlich gekleidet] der Bauer im Vertrauen auf voll bestandene Felder mächtige Holzklötze einwerfen in den brennenden Herd [23–24] und die Kinderschar in seinem Hause geborener Knechte – gute Merkmale eines auskömmlich haushaltenden Landwirts – vergnügt sich tummeln und aus Weidenruten mit Geschick ihre Spielzeughütten sich bauen. [25–26] Um Ereignisse, denen einzutreten es bestimmt ist, bitte und bete ich. Siehst du, wie von Glück verheißenden Eingeweiden aus ihr Bote, der Leberlappen, wohlgesinnte Götter anzeigt?

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Liber II

[27–28] nunc mihi fumosos veteris proferte Falernos consulis et Chio solvite vincla cado. [29–30] vina diem celebrent: non festa luce madere est rubor, errantes et male ferre pedes. [31–32] sed ‘bene Messallam’ sua quisque ad pocula dicat, nomen et absentis singula verba sonent. [33–34] gentis Aquitanae celeber Messalla triumphis et magna intonsis gloria victor avis, [35–36] huc ades adspiraque mihi, dum carmine nostro redditur agricolis gratia caelitibus. [37–38] rura cano rurisque deos. his vita magistris desuevit querna pellere glande famem: [39–40] illi compositis primum docuere tigillis exiguam viridi fronde operire domum; [41–42] illi etiam tauros primi docuisse feruntur servitium et plaustro subposuisse rotam. [43–44] tum victus abiere feri, tum consita pomus, tum bibit inriguas fertilis hortus aquas, [45–46] aurea tum pressos pedibus dedit uva liquores mixtaque securo est sobria lympha mero. [47–48] rura ferunt messes, calidi cum sideris aestu deponit flavas annua terra comas. [49–50] rure levis verno flores apis ingerit alveo, compleat ut dulci sedula melle favos. [51–52] agricola adsiduo primum satiatus aratro cantavit certo rustica verba pede [53–54] et satur arenti primum est modulatus avena carmen, ut ornatos duceret ante deos, [55–56] agricola et minio subfusus, Bacche, rubenti primus inexperta duxit ab arte choros. [57–58] huic datus a pleno memorabile munus ovili dux pecoris hircus; auxerat hircus oves.

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27 formosos Y 29 celebrant Flor. Vinc. G, corr. G2 ♦ nec Flor. 33 triumphis Ω triumpho ed. Venet. (1475), sed cf. 1,7,5 34 auis Scaliger ades Ω 36 c(a)elitibus Ber. H P Q et in marg. V2 celicibus A cilibus V 38 desiuit H destituat P ♦ grande A V, corr. V2 45 aurea Flor. G d antea O H P Q c e aurea uel annua Y ♦ tum Flor. G tunc O P ς nunc Reg. 49 ingerit Flor. G H P Q ed. 1472 ingerat O G Q2 Y C 50 ut Flor. H P V2 C et O B Q 54 duceret O H P Q Y C diceret G V2, sed cf. 2,1,56

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[27–28] Nun holt mir rauchige Falerner eines alten Jahrgangs hervor und bindet los die Verschlüsse vom chiischen Tonkrug! [29–30] Der Wein lasse hochleben den Tag: Am helllichten Festtag betrunken zu sein und torkelnd mühsam fortzubewegen seine Füße ist kein Grund, vor Scham zu erröten. [31–32] Vielmehr rufe »Auf dein Wohl, Messalla« ein jeder, vor sich den Becher, aus, und erklinge der Name des Abwesenden Trinkspruch für Trinkspruch. [33–34] Der gefeiert, Messalla, du bist durch deine über Aquitaniens Bevölkerung errungenen Triumphe und deinen bärtigen Ahnen zu großem Ruhm als Sieger verhilfst, [35–36] erscheine hierzu und hauche mir Eingebungen ein, wenn mit meinem Lied Dank abgestattet wird des Landbaus himmlischen Schutzherrn. [37–38] Von Fluren singe ich und Flurgöttern. Mit ihnen als Lehrmeistern hat unsere Lebensweise es sich abgewöhnt, mit Eicheln zu vertreiben den Hunger. [39–40] Sie haben ihr erstmals beigebracht, Latten zu einem Dachstuhl zusammenzufügen und mit grünendem Laub zu bedecken ihre knapp bemessene Behausung. [41–42] Sie hätten auch als Erste, wird erzählt, den Stieren Gespanndienst zu leisten beigebracht und unter den Wagen gesetzt das Rad. [43–44] Damals verschwanden die wildwachsenden Lebensmittel, damals wurde angepflanzt der Obstbaum, damals trank ein ertragreicher Garten aus bewässernden Bächen. [45–46] Goldgelbe Weintrauben gaben damals, ausgepresst mit den Füßen, Moste her, und gemischt wurde das vor Trunkenheit bewahrende Wasser mit dem Sorgen vertreibenden Wein. [47–48] Die Felder erbringen Ernten, wenn durch des heißen Gestirnes sengende Glut alljährlich ablegt der Boden das blonde Haarkleid reifen Getreides. [49–50] Auf dem Land trägt die flinke Biene im Frühling Blütenstaub in den Stock, um mit süßem Honig emsig zu füllen die Waben. [51–52] Ein Landwirt, der satt hatte den ständigen Gebrauch des Pfluges, sang erstmals ländliche Lieder in einem bestimmten Versfuß [53–54] und vertonte gesättigt erstmals mit dürrem Halm ein Gedicht, um als Sänger aufzutreten vor festlich geschmückten Göttern. [55–56] Ein Landwirt führte auch, Bacchus, mit zinnoberrotem Mennige übertüncht [geschminkt], als Erster ohne Erfahrung in der Tanzkunst Reigen an. [57–58] Ihm gegeben wurde als denkwürdiges Geschenk aus vollem Schafpferch der Leithammel der Herde – vermehrt hatte der Hammel ja bereits die Schafe.

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Liber II

[59–60] rure puer verno primum de flore coronam fecit et antiquis imposuit Laribus. [61–62] rure etiam teneris curam exhibitura puellis molle gerit tergo lucida vellus ovis. [63–64] hinc et femineus labor est, hinc pensa colusque, fusus et adposito pollice versat opus; [65–66] atque aliqua adsidue textrix operata Minervam cantat, et applauso tela sonat latere. [67–68] ipse quoque inter agros interque armenta Cupido natus et indomitas dicitur inter equas. [69–70] illic indocto primum se exercuit arcu: ei mihi, quam doctas nunc habet ille manus! [71–72] nec pecudes, velut ante, petit: fixisse puellas gestit et audaces perdomuisse viros. [73–74] hic iuveni detraxit opes, hic dicere iussit limen ad iratae verba pudenda senem: [75–76] hoc duce custodes furtim transgressa iacentes ad iuvenem tenebris sola puella venit [77–78] et pedibus praetemptat iter suspensa timore, explorat caecas cui manus ante vias. [79–80] ah miseri, quos hic graviter deus urget! at ille felix, cui placidus leniter adflat Amor. [81–82] sancte, veni dapibus festis, sed pone sagittas et procul ardentes hinc precor abde faces. [83–84] vos celebrem cantate deum pecorique vocate voce: palam pecori, clam sibi quisque vocet; [85–86] aut etiam sibi quisque palam: nam turba iocosa obstrepit et Phrygio tibia curva sono. [87–88] ludite! iam Nox iungit equos, currumque sequuntur matris lascivo sidera fulva choro,

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65 assidue … mineruam O H P Q C assidu(a)e … minerv(a)e ς ♦ operosa Q, sed cf. 2,1,9 et 2,5,95 66 applauso Reg. appulso Ω apulso P a plauso Rigler a pulso Muret 67 agros A B Ber. H P Q C greges V G 73 opes H P Q G2 e2 opus O B e 76 in tenebris G recc., sed cf. 1,2,25 et 1,6,59 87 nam Q C 88 choro Q G V2 Reg. (1481) thoro O H P C toro Y

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[59–60] Auf dem Land hat ein Knabe erstmals aus Frühlingsblumen einen Kranz gemacht und aufgesetzt den altehrwürdigen Laren. [61–62] Auf dem Land trägt auch, dazu bestimmt, zarten Mägden Mühe zu bereiten, auf dem Rücken ein weiches Vlies das hell schimmernde Schaf. [63–64] Hiervon rührt her auch die Frauenarbeit, hiervon her die tägliche Zuteilung von Wolle und der Rocken; und hat die Spinnerin darauf den Daumen gelegt, dreht die Spindel ihr Erzeugnis, das Garn. [65–66] Und irgendwo singt immer eine unermüdlich tätige Weberin ihr hohes Lied auf Minerva, und es rattert der Webstuhl, klatscht an seinen Rahmen das Schiffchen. [67–68] Selbst auch ein Cupido, wird gesagt, wurde geboren inmitten von Feldern, inmitten von Großviehherden und inmitten von ungezähmten Stuten. [69–70] Dort übte er sich erstmals darin, ungeschult umzugehen mit dem Bogen. Weh mir, welch geschulte Hände hat er jetzt! [71–72] Nicht Herdentiere, wie zuvor, nimmt er sich zum Ziel; Mädchen mit seinen Pfeilen zu treffen und wagemutige Männer völlig zu bändigen gelüstet es ihn. [73–74] Er hat von jeher dem Jüngling geschmälert sein Hab und Gut, er von jeher dazu getrieben den Greis, vor der Schwelle einer Erbosten Worte zu sagen, deren zu schämen er sich hat. [75–76] Weist er den Weg, kommt, ist verstohlen über schlafende Wächter sie hinweggestiegen, zu ihrem jungen Mann in finsterer Nacht einsam und allein hin die Geliebte [77–78] und tastet mit den Füßen sich vor zu ihrem Weg – so lange in Angst schwebend, wie zu erkunden ihn sucht ihre Hand vor dem Verlauf stockdunkler Straßen. [79–80] Ach ihr Armen, auf denen dieser Gott so schwer lastet! Wohl aber darf jener glücklich sich schätzen, den sanft anhaucht ein wohlgesinnter Amor. [81–82] Schutzheiliger, komme zu dem festlichen Schmaus, doch lege ab die Pfeile und verstecke fern von hier, bitte ich dich, die brennenden Fackeln verzehrender Liebe! [83–84] Ihr aber singet ein Loblied auf den gefeierten Gott und rufet dem Vieh ihn mit vernehmlicher Stimme zu Hilfe! Vor aller Augen und Ohren dem Vieh, heimlich aber sich selbst rufe ihn ein jeder zu Hilfe – [85–86] oder auch sich selbst ein jeder vor aller Augen und Ohren; denn die lustige Schar übertönt es und ebenso die geschwungene [gekrümmte, gebogene] Rohrflöte mit dem phrygischen Klang. [87–88] Vergnügt euch! Schon spannt die Nacht die Pferde an und folgen dem Wagen der Mutter die güldenen [rotgoldenen] Sterne in ausgelassenem Reigen,

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[89–90] postque venit tacitus furvis circumdatus alis Somnus et incerto Somnia nigra pede.

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II [1–2] Dicamus bona verba; venit Natalis ad aras: quisquis ades, lingua, vir mulierque, fave. [3–4] urantur pia tura, focis urantur odores, quos tener e terra divite mittit Arabs. [5–6] ipse suos Genius adsit visurus honores: cui decorent sanctas mollia serta comas, [7–8] illius puro destillent tempora nardo, atque satur libo sit madeatque mero; [9–10] adnuat et, Cornute, tibi, quodcumque rogabis. en age, quid cessas? adnuit ille: roga. [11–12] auguror, uxoris fidos optabis amores: iam reor hoc ipsos edidicisse deos. [13–14] nec tibi malueris, totum quaecumque per orbem fortis arat valido rusticus arva bove, [15–16] nec tibi, gemmarum quidquid felicibus Indis nascitur, Eoi qua maris unda rubet. [17–18] vota cadunt: utinam strepitantibus advolet alis flavaque coniugio vincula portet Amor, [19–20] vincula quae maneant semper, dum tarda senectus inducat rugas inficiatque comas. [21–22] hic veniat Natalis avis prolemque ministret, ludat et ante tuos turba novella pedes.

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III [1–2] Rura meam, Cornute, tenent villaeque puellam: ferreus est, heu heu, quisquis in urbe manet. [3–4] ipsa Venus latos iam nunc migravit in agros verbaque aratoris rustica discit Amor.

89 tacitis G Q C, corr. G2 ♦ furuis G H Heins fuluis Flor. O Bg. P Q C fuscis Itali 90 uana Q Y II 4 a terra Bg. H P Y 5 adsit genius G2 d e 6 decorant Y 7 destillent Itali distillent Ω 15 indis Flor. V2 undis O G H P Q C 19 uincula qu(a)e Ber. H P Q uinculaque A Bg. uincula qu(a)e et G V C uinculaque et A2 21 hic ueniat A B Ber. H P Q e hic ueniet d huc ueniat c h(a)ec ueniat G h(a)ec ueniet V2 ♦ anus Y ales P ♦ ministret Ω ministrat V2 ministres Heins 22 et Ω ut recc., Heyne, Baehrens, sed cf. Bacche, veni, dulcisque … uva pendeat in vv. 2,1,3–4 III 1 c(h)e(o)rint(h)e c e recc. comitem P 2 heu heu Ω heu A2 eheu H ς 3 l(a)etos G V2

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[89–90] und danach kommt, von rabenschwarzen Schwingen umspannt, lautlos der Schlaf, und nahen seine nachtschwarzen Träume mit schwankendem Schritt. 2 [1–2] Lasst uns dir Glück wünschen: An deinem Geburtstag kommt Natalis, dein Schutzheiliger, zum Altar. Wer auch immer du bist, der zur Feier des Tages erscheint, hüte, ob Mann oder Frau, deine Zunge in andächtigem Schweigen! [3–4] Verbrannt werde gottgefälliger Weihrauch, auf Herden verbrannt wohlriechende Spezerei, deren Gewürze aus seinem reichen Land ausführt der unkriegerische [verzärtelte] Araber. [5–6] Persönlich erscheine der Genius, dein Schutzgott, um sich anzuschauen deine ihm zugedachten Ehren: Ihm schmücken sollen schmiegsame [weiche] Girlanden das heilige Haar, [7–8] seine Schläfen triefen von reinem Nardenöl, und gesättigt von Fladenbrot soll er sein wie auch trunken von Wein; [9–10] und er nicke, Cornutus, freundlich dir zu, einerlei, worum du ihn wirst bitten. Nur zu! Was zögerst du? Es nickt er doch freundlich dir zu. Bitte ihn nur! [11–12] Ich ahne es, wünschen wirst du dir die Liebe einer treuen Gemahlin – schon, glaube ich, haben dies von alleine herausgehört die Götter. [13–14] Ihr vorgezogen haben wirst du weder all die Fluren auf dem ganzen Erdenrund, die der tüchtige Bauer pflügt mit kräftigem [starkem] Ochsen, [15–16] noch an Perlen all das, was den vom Glück begünstigten Indern erwächst, wo des morgenländischen Meeres Wogen sich röten. [17–18] Deine Gebete fallen auf fruchtbaren Boden. Hoffentlich fliegt mit rauschenden Schwingen Amor herbei und bringt für den Ehebund mit einer Blondinen die passenden Fesseln er mit, [19–20] Fesseln, die erhalten bleiben mögen allzeit, bis das schwerfällige Greisenalter Runzeln einzeichnet und bleich färbt das Haar. [21–22] Dann aber komme zur Hochzeit Natalis, dein Schutzheiliger seit dem Tag deiner Geburt, und verhelfe deinen Ahnen zu Nachwuchs, und lasse spielen die Kinderschar vor deinen Füßen. 3 [1–2] Ländereien, Cornutus, und Gutshöfe halten fest mein geliebtes Mädchen. Aus Eisen ist, o weh, o weh, wer auch immer in der Stadt noch verharrt. [3–4] Selbst Venus ist eben gerade abgewandert auf ausgedehnte Ländereien, und des Pflügers bäurische Ausdrucksweise eignet Amor sich an.

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[5–6] o ego, cum aspicerem dominam, quam fortiter illic versarem valido pingue bidente solum [7–8] agricolaeque modo curvum sectarer aratrum, dum subigunt steriles arva serenda boves, [9–10] nec quererer quod sol graciles exureret artus laederet et teneras pussula rupta manus. [11–12] pavit et Admeti tauros formosus Apollo, nec cithara intonsae profueruntve comae, [13–14] nec potuit curas sanare salubribus herbis: quidquid erat medicae vicerat artis amor. [15–16] ipse deus solitus stabulis expellere vaccas

[17–18] et miscere novo docuisse coagula lacte, lacteus et mixtus obriguisse liquor. [19–20] tunc fiscella levi detexta est vimine iunci, raraque per nexus est via facta sero. [21–22] o quotiens illo vitulum gestante per agros dicitur occurrens erubuisse soror! [23–24] o quotiens ausae, caneret dum valle sub alta, rumpere mugitu carmina docta boves! [25–26] saepe duces trepidis petiere oracula rebus, venit et a templis inrita turba domum. [27–28] saepe horrere sacros doluit Latona capillos, quos admirata est ipsa noverca prius. [29–30] quisquis inornatumque caput crinesque solutos aspiceret, Phoebi quaereret ille comam. [31–32] Delos ubi nunc, Phoebe, tua est, ubi Delphica Pytho? nempe Amor in parva te iubet esse casa. [33–34] felices olim, Veneri cum fertur aperte servire aeternos non puduisse deos! [35–36] fabula nunc ille est: sed cui sua cura puella est, fabula sit mavult quam sine amore deus. [37–38] at tu, quisquis is est, cui tristi fronte Cupido imperat ut nostra sint tua castra domo:

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5 dum Heyne 9 quam G V2 10 pussula Fris. pustula Ω 11 admeti G H Q V2 ad meti P armenti A B Ber. e 12 cithara Acorr G cythara Ber.2 V cithera A Ber. P cythera V2 16 lacunam indicant A2 Ber.2 V2, suppleverunt G2 H M P Q Y ς et alii aliter 18 mixtus A Ber. H Q Y mistus V2 myxtus P mixtis Muret 19 tunc Ω tum P c 31 pytho ς python L. Müller phyton G phito A B Ber. H P C phiton Q V2 Y 35 cara H 37 est A B Ber. H Q c es P V2, sed cf. 1,2,35–36 et 1,6,39

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[5–6] O, wie beherzt würde ich, wenn zu sehen ich bekäme meine Herrin, dort umwenden mit einem robusten Karst den fetten Boden [7–8] und nach Bauernart auf dem Fuße folgen dem gekrümmten Pflug, während unfruchtbare Rinder zur Aussaat durchfurchen die Fluren. [9–10] Nicht würde darüber ich klagen, dass die Sonne mir verbrennte die schmächtigen Glieder und Blasen, platzten sie auf, mir schädigten die zarten Hände. [11–12] Es weidete nicht nur Admets Stiere der wohlgestaltete Apollon, sondern es nützten ihm auch weder seine Kithara oder sein ungeschorenes [lockiges] Haar, [13–14] noch konnte seine Liebesqualen er lindern mit heilkräftigen Kräutern. Über alles, was zu Gebote ihm stand an ärztlicher Kunst, hatte vielmehr gesiegt die Liebe. [15–16] Selbst als Gott es gewöhnt, aus ihren Ställen auf die Weide zu treiben die Kühe, [17–18] und gelehrt haben, mit frischer Milch zu verrühren das Lab, und, war sie verrührt, gerinnen haben lassen die milchige Flüssigkeit. [19–20] Sodann wurde ein dichtes Körbchen geflochten aus den biegsamen Ruten der Binse und nur vereinzelt durch seine Windungen hindurch ein Weg geschaffen für die Molke. [21–22] O wie viele Male soll, trug er ein Kälbchen über die Felder, jedesmal, wenn sie ihm begegnete, seine Schwester vor Scham errötet sein! [23–24] O wie viele Male sollen, während er sang tief unten im Tal, mit ihrem Muhen seine kunstsinnigen Gesänge zu unterbrechen gewagt haben die Kühe! [25–26] Oft haben Heerführer ihn um Orakelsprüche ersucht in Besorgnis erregenden Lagen und kam von seinem Tempel die Besucherschar unverrichteter Dinge nach Hause. [27–28] Oft schmerzte es Latona, dass starrte vor Schmutz sein heiliges Haar, welches doch selbst seine Stiefmutter früher bewunderte. [29–30] Einerlei, wer ungepflegt seinen Kopf und seine Haare zottelig [strähnig] zu sehen bekäme, vermissen würde er eines Phoibos Haar. [31–32] Wo ist jetzt dein Delos, Phoibos, wo die delphische Pytho? Sicherlich [natürlich] gebietet dir Amor, zu hausen in einer bescheidenen Hütte. [33–34] Glücklich lebten einst die Menschen, als der Liebe unverhohlen zu frönen sich nicht geschämt haben sollen die ewigen Götter. [35–36] Gesprächsstoff ist heutzutage einer vom alten Schlag, aber einer, dem am Herzen liegt seine Geliebte, möchte Gesprächsstoff lieber sein als ohne Liebe ein Gott. [37–38] Doch du, einerlei, wer es ist, dem mit unwirsch gerunzelter Stirn Cupido befiehlt, dass dein Feldlager du aufschlägst in meinem Haus, (wisse) [merke dir]:

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[39–40] ferrea non venerem, sed praedam saecula laudant; praeda tamen multis est operata malis. [41–42] praeda feras acies cinxit discordibus armis: hinc cruor, hinc caedes mors propiorque venit. [43–44] praeda vago iussit geminare pericula ponto, bellica cum dubiis rostra dedit ratibus. [45–46] praedator cupit immensos obsidere campos, ut multa innumera iugera pascat ove: [47–48] cui lapis externus curae est, urbisque tumultu portatur validis mille columna iugis, [49–50] claudit et indomitum moles mare, lentus ut intra neglegat hibernas piscis adesse minas. [51–52] at mihi laeta trahant Samiae convivia testae fictaque Cumana lubrica terra rota. [53–54] heu heu, divitibus video gaudere puellas: iam veniant praedae, si Venus optat opes, [55–56] ut mea luxuria Nemesis fluat utque per urbem incedat donis conspicienda meis. [57–58] illa gerat vestes tenues, quas femina Coa texuit, auratas disposuitque vias: [59–60] illi sint comites fusci, quos India torret Solis et admotis inficit ignis equis; [61–62] illi selectos certent praebere colores Africa puniceum purpureumque Tyros. [63–64] nota loquor: regnum ipse tenet, quem saepe coegit barbara gypsatos ferre catasta pedes. [65–66] at tibi dura, seges, Nemesim qui abducis ab urbe! persolvat nulla semina terra fide. [67–68] et tu, Bacche tener, iucundae consitor uvae, tu quoque devotos, Bacche, relinque lacus! [69–70] haud impune licet formosas tristibus agris abdere: non tanti sunt tua musta, pater. [71–72] o valeant fruges, ne sint modo rure puellae: glans alat et prisco more bibantur aquae.

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42 mors propriorque Ber. H P V2, sed corr. Ber.1 morsque propinqua Flor. 45 obsidere Flor. G H Q V2 obsistere A Ber. P Y C 46 ut Flor. Ber. G H P Q V2 et A B c ♦ ouem H P Q ς 47 tunultu H P Q V2 tumulti A Ber. tumultus Y ς 49 claudat Flor. plaudat n 51 mihi Flor., Scaliger tibi A Ber. H P Q V2 C 55 atque Q ♦ orbem Y 57 ille Q Y ♦ gerat recc., Ald. (1502) gerit Ω 59 sunt H Q Y ♦ terret Ber. P, sed corr. Ber.2 63 loquor B Ber. G H Q C liquor A P V ♦ ipse O H P iste Heyne ille Guyet ipsa Q d e ♦ quem ς quem uel que Y que O H P Q 64 tartara Ber. ♦ gipsatos Fris. G2 Q H1 gispsatos H gypsatos uel luxatos Y bipsatos A G V bissatos c e bipsata Ber. lassatos P 65 nemesim qui abducis B G H Q V2 d e nemesis qui abducis O nemesis qui abducit P nemesim qu(a)e abducis ς nemesimque abducis Bg. 66 resoluat Y ♦ terra Ω certa recc. 71 modo ne sint Q

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[39–40] Die Menschen des Eisernen Zeitalters preisen nicht die Liebe, sondern die Beutegier; die Beutegier ist jedoch beschäftigt mit vielen Gräueln. [41–42] Die Beutegier umgürtete wild entschlossene Heere mit Waffen der Zwietracht: Hiervon rührte Blutvergießen, hiervon Gemetzel und vorzeitiger Tod her. [43–44] Die Beutegier gebot, die Gefahren zu verdoppeln auf dem wogenden Meer, als sie Seekriegsschnäbel verlieh den schaukelnden Schiffen. [45–46] Der Beutemacher wünscht unermessliche Ebenen in seinen Besitz zu bringen, um viele Morgen abweiden zu lassen von unzähligen Schafen. [47–48] Ihm liegt ausländisches Gestein am Herzen und wird im Großstadtlärm eine Säule befördert von tausend kräftigen Gespannen [49–50] und schließt ein Damm das unbezähmbare Meer ab, damit gleichgültig drinnen außer Acht lässt der Fisch, dass gekommen ist die Zeit im Winter drohender Unwetter. [51–52] Doch mir mögen fröhliche Tischgesellschaften in die Länge ziehen Terrakottakrüge aus Samos und glitschiger Ton, vom Töpfer aus Cumae zu Geschirr geformt auf der Scheibe. [53–54] O weh, o weh, an Reichen sehe Vergnügen ich finden die Mädchen. Schon eintreffen mögen ruhig die Beutestücke, wenn Venus es absieht auf das Vermögen, [55–56] dass im Luxus meine Nemesis schwimme und dass durch die Stadt sie schreite, um Aufsehen zu erregen mit meinen Geschenken. [57–58] Sie trage hauchdünne Gewänder, die eine Frau aus Kos gewebt und auf die sie verteilt hat die golddurchwirkten Bahnen ihres Stoffs. [59–60] Ihr seien dunkelhäutige Begleiter als Pagen zu Diensten, die Indien röstet und des Sonnengottes Gluthitze bräunt, hat heranbewegt er seine Rosse. [61–62] Ihr biete in dem Wettbewerb, erlesene Farben für ihre Kleidung zu liefern, Nordafrika Scharlachrot und Purpurrot Tyros an. [63–64] Von Allbekanntem rede ich: Als König in deiner Gunst herrscht gerade der Kerl, den oft ein für Barbaren vorgesehenes Schaugerüst zwang, mit gipsgeweißten Beinen zu laufen. [65–66] Doch dir zur Strafe verhärte dich, Saatland, der du Nemesis abziehst von der Stadt! Seine Verbindlichkeiten für die Saaten löse der Boden mit keinerlei Verlässlichkeit ab. [67–68] Und du, zarter Bacchus, Pflanzer der köstlichen Rebe, verlasse du auch, Bacchus, die verfluchten Bottiche! [69–70] Nicht ungestraft darf man Schönheiten auf trostlosen Feldern verstecken. So viel ist mir dein Most nicht wert, Vater Bacchus. [71–72] O, wie gern sagte Lebewohl ich den Feldfrüchten, wenn es nur nicht auf dem Land die Mädchen gäbe! Die Eichel diene als Nahrung, und nach althergebrachter Sitte trinke man Wasser.

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[73–74] glans aluit veteres, et passim semper amarunt: quid nocuit sulcos non habuisse satos? [75–76] tunc, quibus adspirabat Amor, praebebat aperte mitis in umbrosa gaudia valle Venus. [77–78] nullus erat custos, nulla exclusura dolentes ianua: si fas est, mos precor ille redi. [79–80] horrida villosa corpora veste tegant. [81–82] nunc si clausa mea est, si copia rara videndi, heu miserum laxam quid iuvat esse togam? [83–84] ducite: ad imperium dominae sulcabimus agros: non ego me vinclis verberibusque nego.

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IV [1–2] Sic mihi servitium video dominamque paratam: iam mihi, libertas illa paterna, vale. [3–4] servitium sed triste datur, teneorque catenis, et numquam misero vincla remittit Amor, [5–6] et seu quid merui seu quid peccavimus, urit. uror, io, remove, saeva puella, faces! [7–8] o ego ne possim tales sentire dolores, quam mallem in gelidis montibus esse lapis, [9–10] stare vel insanis cautes obnoxia ventis, naufraga quam vitrei tunderet unda maris! [11–12] nunc et amara dies et noctis amarior umbra est: omnia iam tristi tempora felle madent. [13–14] nec prosunt elegi nec carminis auctor Apollo: illa cava pretium flagitat usque manu. [15–16] ite procul, Musae, si non prodestis amanti: non ego vos, ut sint bella canenda, colo, [17–18] nec refero Solisque vias et qualis, ubi orbem complevit, versis Luna recurrit equis. [19–20] ad dominam faciles aditus per carmina quaero: ite procul, Musae, si nihil ista valent.

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75 tum H P 80 tegat d e et ex tegant V1 tegam M et in marg. e 82 lassam c lapsam d e ♦ iuuat B G H Q V d e iuuet A Ber. P Y 84 negem M IV 1 hic Ber. M ς 2 paterna G H Q C et in marg. V2 Y2 paterne P paterue O 4 remittit H Q c remittet O B Y d e remitit P 5 seu quid … seu nil Heins 7 possem P Q d e 10 uitrei V, om. A, sed superscr. A2 uasti Ber. G H P Q V2 C 12 iam P nam Ω, sed cf. codd. ad 2,1,87 vel Prop. 2,23,5, 2,29,8 et 3,21,14 nunc Flor. Vinc. 17 et qualis G H Reg. (a)equalis Ω nec qualis Y ♦ urbem A V(?) c

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[73–74] Die Eichel ernährte in alter Zeit die Menschen, und überall haben sie stets sie geschätzt. Was hat es ihnen geschadet, keine eingesäten Furchen gekannt zu haben? [75–76] Damals gewährte Menschen, denen Rückenwind Amor zuwehte, in einem schattigen Tal unverhohlen Liebesfreuden eine gütige Venus. [77–78] Keinen Tugendwächter gab es, keine Tür, die Schmachtende aussperren würde. Wenn es den Göttern recht ist, kehre bitte jene Lebensart zurück, [79–80] , mögen sie ihre vor Kälte starren Körper mit zottiger Fellkleidung bedecken. [81–82] Wenn jetzt aber eingeschlossen ist meine Geliebte oder wenn eine Gelegenheit, sie zu sehen, nur selten sich findet, was hilft es da ach mir Armem, dass statt eines Fells eine lose fallende Toga es ist? [83–84] Führt mich als Sträfling zur Feldarbeit ab! Auf Befehl meiner Herrin werde ich furchen die Äcker; so einer bin ich nicht, der sich Fesseln und Peitschenhieben verweigert. 4 [1–2] Soweit sehe ich vor mir die Knechtschaft und die Herrin zum Machtkampf gerüstet: Nun sage mir schon, gute alte Freiheit der Väter, Lebewohl! [3–4] Eine trostlose Knechtschaft wird vielmehr mir beschert, gefangengehalten werde ich in Ketten, und niemals erlässt mir Armem Amor die Fesseln, [5–6] sondern lässt mich, sei es, ich habe eine Strafe verdient, sei es einen Fehltritt begangen, vor glühender Leidenschaft brennen. Ich brenne. O ziehe doch, grausame Geliebte, die Fackeln zurück! [7–8] O wieviel lieber wollte ich, um nicht verspüren zu können solche Qualen, auf eiskalten Bergen Felsgestein sein [9–10] oder standhalten als tobenden Winden trotzendes Riff, an das schiffbrecherisch [Schiffe zertrümmernd] hämmerten die Wogen des leicht wie Glas zerspringenden Meeres! [11–12] So aber ist schon bitter der Tag und noch bitterer die Nachtfinsternis. Alle Augenblicke triefen nunmehr von herber [ätzender] Galle. [13–14] Weder helfen Elegien noch des Kunstlieds Urheber Apollon. Jene fordert ihren Preis ständig mit hohler Hand. [15–16] Geht weit fort, ihr Musen, wenn ihr nicht nützt einem Liebenden! Nicht dazu, von Kriegen singen zu müssen, halte ich euch in Ehren. [17–18] Auch schildere ich nicht des Sonnengotts Bahnen und in welcher Gestalt, sobald sie ihren Umlauf vollendet hat, die Mondgöttin zurückeilt, haben gewendet ihre Rosse. [19–20] Zur Herrin suche ich vielmehr leichten Zugang durch Lieder. Geht weit fort, ihr Musen, wenn nichts diese eure ausrichten!

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[21–22] at mihi per caedem et facinus sunt dona paranda, ne iaceam clausam flebilis ante domum, [23–24] aut rapiam suspensa sacris insignia fanis. sed Venus ante alios est violanda mihi: [25–26] illa malum facinus suadet dominamque rapacem dat mihi; sacrilegas sentiat illa manus. [27–28] o pereat quicumque legit viridesque smaragdos et niveam Tyrio murice tingit ovem. [29–30] hic dat avaritiae causas et Coa puellis vestis et e Rubro lucida concha mari. [31–32] haec fecere malas: hinc clavim ianua sensit et coepit custos liminis esse canis. [33–34] sed pretium si grande feras, custodia victa est nec prohibent claves et canis ipse tacet. [35–36] heu quicumque dedit formam caelestis avarae, quale bonum multis adtulit ipse malis! [37–38] hinc fletus rixaeque sonant, haec denique causa fecit ut infamis hic deus esset Amor. [39–40] at tibi, quae pretio victos excludis amantes, eripiant partas ventus et ignis opes. [41–42] quin tua tunc iuvenes spectent incendia laeti, nec quisquam flammae sedulus addat aquam. [43–44] seu veniet tibi mors, nec erit qui lugeat ullus nec qui det maestas munus in exsequias. [45–46] at bona quae nec avara fuit, centum licet annos vixerit, ardentem flebitur ante rogum: [47–48] atque aliquis senior veteres veneratus amores annua constructo serta dabit tumulo [49–50] et ‘bene’ discedens dicet ‘placideque quiescas, terraque securae sit super ossa levis.’ [51–52] vera quidem moneo, sed prosunt quid mihi vera? illius est nobis lege colendus Amor.

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23 sacris … donis H Y focis … sacris C 29 hic dat O H P Q Y hinc dat ς pr(a)ebet Flor. Bodl. Reg, Vinc. 31 clauim Charis. gramm. p. 126,4 Keil sive p. 160,9 Barwick clauem Ω clauum P 33 uicta G P Q C et in marg. V2 uia H incerta O coeca B 36 abdidit vel addidit Itali ♦ ipse O H P Q C ille G 38 esset Ω exstet Cartault erret Broekhuyzen 40 partas B Ber.2 G H P Q V2 C portas O 41 qui P ♦ tum c 43 ueniat G H V C 44 exequias G H Q V2 C obsequias O P

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[21–22] Doch muss ich mir durch Mord und Totschlag Geschenke verschaffen, um nicht weinerlich auf dem Boden zu liegen vor verschlossenem Haus, [23–24] oder werde ich wenigstens Weihgaben rauben, die aufgehängt sind an heiligen Weihestätten. Aber Venus muss vor allen Anderen ich entweihen: [25–26] Sie rät zu einem schlimmen Vergehen und beschert mir eine raffgierige Herrin; zu Tempelraub fähig verspüre sie meine Hände. [27–28] O, gehe zum Teufel ein jeder, der sammelt die grünen Smaragde und mit dem Purpur der tyrischen Schnecke färbt eines Schafes schneeweiße Wolle! [29–30] Auf diesem Feld liefert Beweggründe zur Habgier den Mädchen die Kleidung aus Kos wie auch die funkelnde Perle vom Arabischen, dem Roten Meer. [31–32] Diese Anreize haben sie verdorben. Von da an bekam einen Schlüssel ihre Tür zu spüren und begann Wächter ihrer Schwelle zu sein ein Hund. [33–34] Doch wenn du das Geld für ihren hohen Preis mitbringen solltest, ist die Wache bezwungen und halten keine Schlüssel dich von ihr fern, sondern schweigt selbst der Hund. [35–36] O weh, welcher Himmelsbewohner auch immer Schönheit verlieh einer Habgierigen, welch gute Eigenschaft steuerte von seiner Seite er bei zu den vielen schlechten! [37–38] Hiervon rührt her der Lärm von Geheul und Gezänk. Diese Ursache hat letztlich bewirkt, dass hier auf Erden nur noch ein verrufener Gott Amor war. [39–40] Doch dir, die du ausschließt vom Preis überforderte Liebende, wünsche ich, es entrissen dir Wind und Feuer das erworbene Vermögen. [41–42] Ja, ich wollte, es schauten sich die Jünglinge die Brände fröhlich an und schüttete niemand, um sie zu löschen, auf die Flammen unverdrossen Eimer Wasser. [43–44] Selbst wenn ereilen dich wird der Tod, wird weder sich irgendeiner finden, der um dich trauerte, noch einer, der eine Gabe spendete für den Trauerzug des letzten Geleits. [45–46] Doch eine, die gut und nicht habgierig gewesen ist, wird, mag sie auch hundert Jahre gelebt haben, beweint werden vor brennendem Scheiterhaufen, [47–48] und irgendein Betagterer, der hochgehalten hat seine alte Zuneigung, wird alljährlich am Todestag Blumengebinde darbringen dem zum Hügel aufgeschütteten Grab [49–50] und zum Abschied sagen: »Gut und friedvoll mögest du ruhen und unbesorgt sein, dass die Erde über deinen Gebeinen leicht ist.« [51–52] Wahrheiten gebe ich zwar zu bedenken, aber was nützen mir die Wahrheiten? Nach ihrem Gesetz zu huldigen habe ich Amor.

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[53–54] quin etiam sedes iubeat si vendere avitas, ite sub imperium sub titulumque, Lares. [55–56] quidquid habet Circe, quidquid Medea veneni, quidquid et herbarum Thessala terra gerit, [57–58] et quod, ubi indomitis gregibus Venus adflat amores, hippomanes cupidae stillat ab inguine equae: [59–60] si modo me placido videat Nemesis mea vultu, mille alias herbas misceat illa, bibam.

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V [1–2] Phoebe, fave: novus ingreditur tua templa sacerdos; huc age cum cithara carminibusque veni. [3–4] nunc te vocales impellere pollice chordas, nunc precor ad laudes flectere verba meas. [5–6] ipse triumphali devinctus tempora lauro, dum cumulant aras, ad tua sacra veni. [7–8] sed nitidus pulcherque veni: nunc indue vestem sepositam, longas nunc bene pecte comas, [9–10] qualem te memorant Saturno rege fugato victori laudes concinuisse Iovi. [11–12] tu procul eventura vides, tibi deditus augur scit bene quid fati provida cantet avis; [13–14] tuque regis sortes, per te praesentit haruspex, lubrica signavit cum deus exta notis; [15–16] te duce Romanos numquam est frustrata Sibylla, abdita quae senis fata canit pedibus. [17–18] Phoebe, sacras Messalinum sine tangere chartas vatis, et ipse precor quid canat illa doce. [19–20] haec dedit Aeneae sortes, postquam ille parentem dicitur et captos sustinuisse Lares. –

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55 quidquam A ♦ curae P 59 modo Ber. G H P Q C et in marg. V2 non A G2 V V 4 laudis … modos Itali ♦ tuas B Vo 6 ad … templa Q 11 deditus H c e2 debitus A B Q V d e, sed cf. codd. ad 1,2,99 15 numquam est Ald. (1515) numquam Ω ♦ sibylla H P Y sibylla est ceteri 18 quid Q quos A V quod H P C 20 captos A G H P Q V C raptos Y, Scaliger ♦ deos Ω lares H

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[53–54] Ja, selbst wenn sie anordnete, zum Verkauf anzubieten den Landsitz [das Anwesen] meiner Vorväter, beugt euch [findet euch ab mit] dem Auftrag und dem Preisschild, ihr Laren! [55–56] Alles, was Kirke, alles, was Medea an Drogen kennt, und alles, was an Kräutern thessalische Erde trägt [57–58] und was in dem Augenblick, wo unbezähmbaren Herden Venus zuweht die Gelüste der Liebe, die Brunst träufelt aus der Scheide der rossigen Stute, (rufe als Zeugen ich an): [59–60] Wenn bloß meine geliebte Nemesis mich anschaute mit freundlicher [wohlgefälliger] Miene, könnte tausend andere Kräuter sie mischen zu einem Gebräu – ich würde es trinken. 5 [1–2] Phoibos, gib deinen Segen! Es betritt deinen Tempel ein neuer Priester. Hierher komme geradewegs mit Kithara und Liedern! [3–4] Nun schlage du bitte mit dem Daumen die klingenden Saiten an, nun vertone, bitte ich dich, den Wortlaut meines Gedichts zu Lobgesängen auf dich! [5–6] Persönlich komme, hast du dir fest um die Schläfen geschlungen den Lorbeer des Triumphators, während Gaben man häuft auf den Altar, zu deinem Festgottesdienst hin! [7–8] Doch komme festlich gekleidet und schön anzuschauen! Lege dir jetzt das Gewand für besondere Anlässe an! Kämme dir jetzt sorgsam die langen Haare, [9–10] wie du der Sage nach, als König Saturn in die Flucht geschlagen ward, Lobgesänge anstimmtest auf den siegreichen Iuppiter. [11–12] Du siehst Ereignisse kommen, die in ferner Zukunft eintreten werden. Der dir ergebene Augur weiß genau, was mit seinem Gesang verkündet der schicksalsseherische Vogel, [13–14] und du lenkst die Losorakel, durch dich ahnt der Haruspex den Sinn voraus, wenn des Schlachtopfers glitschige Eingeweide mit Merkmalen gekennzeichnet hat ein Gott. [15–16] Mit dir als Wegweiser hat die Römer niemals irregeführt die Sibylle, die den verborgenen Willen der Schicksalsmächte verkündet in sechsfüßigen Versen. [17–18] Phoibos, lasse Messallas Sohn berühren die heiligen Schriftrollen der Seherin und vermittle ihm persönlich, bitte ich dich, was sie verkündet! [19–20] Sie gab Aeneas die Antwort der Losorakel, nachdem er, wird ihm nachgerühmt, den Vater geschultert hatte und, mit den Händen gepackt, seine Hausgötter, die Laren. –

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[21–22] nec fore credebat Romam, cum maestus ab alto Ilion ardentes respiceretque deos. [23–24] Romulus aeternae nondum formaverat urbis moenia, consorti non habitanda Remo; [25–26] sed tunc pascebant herbosa Palatia vaccae et stabant humiles in Iovis arce casae. [27–28] lacte madens illic suberat Pan ilicis umbrae et facta agresti lignea falce Pales, [29–30] pendebatque vagi pastoris in arbore votum, garrula silvestri fistula sacra deo, [31–32] fistula cui semper decrescit harundinis ordo; nam calamus cera iungitur usque minor. [33–34] at qua Velabri regio patet, ire solebat exiguus pulsa per vada linter aqua. [35–36] illa saepe gregis diti placitura magistro ad iuvenem festa est vecta puella die, [37–38] cum qua fecundi redierunt munera ruris, caseus et niveae candidus agnus ovis. – [39–40] ‘Impiger Aenea, volitantis frater Amoris, Troica qui profugis sacra vehis ratibus, [41–42] iam tibi Laurentes adsignat Iuppiter agros, iam vocat errantes hospita terra Lares. [43–44] illic sanctus eris, cum te veneranda Numici unda deum caelo miserit indigetem. [45–46] ecce super fessas volitat Victoria puppes; tandem ad Troianos diva superba venit. [47–48] ecce mihi lucent Rutulis incendia castris: iam tibi praedico, barbare Turne, necem. [49–50] ante oculos Laurens castrum murusque Lavini est Albaque ab Ascanio condita Longa duce. [51–52] te quoque iam video, Marti placitura sacerdos Ilia, Vestales deseruisse focos,

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23 fundauerat Bg. Y firmauerat B 27 umbram P Q H, corr. H1 umbra Y 34 pulsa Ven. Itali pulla Ω, sed cf. 1,4,12 hic placidam niveo pectore pellit aquam 35 illaque A B V, corr. V2 ♦ diti Muret ditis Ω dictis P 42 lares Ω deos H Q Vo, in marg. corr. Q2 47 rutulis H Q ς rutilis A B P V e 49 laurens castrum H C castrum laurens Q laurens castris A B V laurens murus castrumque P ♦ est om. H P

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[21–22] Dabei glaubte er nicht, dass erstehen werde ein Rom, als er traurig von hoher See aus auf Ilion zurückschaute und die brennenden Bildnisse seiner Götter. [23–24] Romulus hatte noch nicht geformt die Mauern der ewigen Stadt, hinter deren Schutzwall zu wohnen nicht beschieden sein sollte seinem Schicksalsgenossen Remus, [25–26] sondern es weideten damals einen grasbewachsenen Palatin Kühe ab und standen auf Iuppiters Burgberg noch niedrige Hütten. [27–28] Von Milch triefend lag dort ein Pan in einer Steineiche Schatten [unter dem Schatten spendenden Blattwerk einer Eiche] und aus Holz mit klobiger Hippe geschnitzt eine Pales, [29–30] und am Baum hing als eines wandernden Hirten eingelöstes Gelübde die wie eine Schwalbe zwitschernde, dem Waldgott geweihte Schalmei, [31–32] eine Schalmei, bei der nach oben sich verjüngend stetig schrumpft die aus Schilfrohr gebildete Reihe; denn durch Wachs mit dem vorherigen verklebt wird fort und fort ein kleinerer Halm. [33–34] Doch wo sich heute der Stadtbezirk Velabrum erstreckt, pflegte ein enger Einbaum Untiefen mit der Stange zu durchqueren auf wellenbewegtem Wasser. [35–36] Auf jenem Wasserweg ist oft, dazu ausersehen, einem reichen Viehhalter zu gefallen, zu dem jungen Mann an einem Festtag hingefahren ein Mädchen, [37–38] mit dem zurückgekehrt sind als ergiebigen Bodens Gaben Käse und das strahlend weiße Lamm eines schneeweißen Schafs. – [39–40] »Rastloser [nimmermüder] Aeneas«, (sprach die Seherin), »Bruder des ständig umherfliegenden [geflügelten] Amor, der du troische Weihgeschenke mitführst auf Flüchtlingsschiffen, [41–42] schon weist dir Iuppiter laurentinische Felder zu, schon lädt ein gastliches Land die heimatlos umherirrenden Hausgötter [Laren] zu sich ein. [43–44] Dort wirst heilig du sein, wenn dich der verehrungswürdige Wellengang des Numicius zum Himmel entrückt haben wird als eingeborenen Gott. [45–46] Sieh nur, ständig fliegt die Sieg verheißende Viktoria über erschöpften Schiffsbesatzungen. Endlich kommt zu den Trojanern eine Göttin hin, die stolz auf sie ist. [47–48] Sieh nur, vor meinem Auge leuchten Feuersbrünste von Feldlagern der Rutuler. Schon sage ich dir, barbarischer Turnus, einen gewaltsamen Tod voraus. [49–50] Vor Augen stehen mir Laurentums Feldlager, Laviniums Verteidigungsmauer und Alba Longa, von Ascanius gegründet als Heerführer. [51–52] Dir auch sehe ich schon an, Mars zu gefallen ausersehene Priesterin Ilia, dass du verlassen hast den vestalischen Herd,

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[53–54] concubitusque tuos furtim vittasque iacentes et cupidi ad ripas arma relicta dei. [55–56] carpite nunc, tauri, de septem montibus herbas dum licet: hic magnae iam locus urbis erit. [57–58] Roma, tuum nomen terris fatale regendis, qua sua de caelo prospicit arva Ceres, [59–60] quaque patent ortus et qua fluitantibus undis Solis anhelantes abluit amnis equos. [61–62] Troia quidem tunc se mirabitur et sibi dicet vos bene tam longa consuluisse via. [63–64] vera cano: sic usque sacras innoxia laurus vescar, et aeternum sit mihi virginitas.’ [65–66] haec cecinit vates et te sibi, Phoebe, vocavit, iactavit fusas et caput ante comas. [67–68] quidquid Amalthea, quidquid Marpesia dixit Herophile, Phoeto Graia quod admonuit, [69–70] quasque Aniena sacras Tiburs per flumina sortes portarit sicco pertuleritque sinu: [71–72] haec fore dixerunt belli mala signa: cometen multus ut in terras deplueretque lapis. [73–74] atque tubas atque arma ferunt strepitantia caelo audita et lucos praecinuisse fugam: [75–76] ipsum etiam Solem defectum lumine vidit iungere pallentes nubilus annus equos [77–78] et simulacra deum lacrimas fudisse tepentes fataque vocales praemonuisse boves. [79–80] haec fuerant olim: sed tu, iam mitis Apollo, prodigia indomitis merge sub aequoribus, [81–82] et succensa sacris crepitet bene laurea flammis, omine quo felix et sacer annus erit.

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53 uictasque A V 62 longa … uia ς Scaliger longam … uiam Ω 63 canam d e, sed o superscr. e1 64 uescar H P Q c e et in marg. V2 noscar A B d noscat G V 68 herophile ς heri(y)phi(y)le A B H P Q V C ♦ Phoeto Lachmann, defendit Cardauns Phyto Huschke ph(o)ebo Ω phleo P ♦ Graia Lachmann grata Ω, sed cf. codd. ad Prop. 3,8,29 et 4,8,38 ♦ quod admonuit A V C ς quodque quod monuit H Y ς quodque quod mouit P 69 quasque Bg. Gcorr H P Q quodque A B V c e quosque d ♦ aniena Itali albana A H Q V Bg. P C ♦ tiburs Itali ti(y)bris Bg. P ti(y)beris A H Q V C 70 portarat Postgate ♦ pertuleritque C ς pertuleratque Postgate perlueritque A H P Q V recc. pr(a)etuleritque recc. ♦ pede pro sinu H 71 h(a)ec A H P Q V Y C recc. hae Itali ♦ cometen G cometem A B H P Q V C 72 ut Q et A H P V Y C ♦ deplueretque ς deplueritque A B G H Q d e1 depuleritque P V c e 74 praetimuisse Y pertimuisse e pertinuisse c d concinuisse H 75 phoebum H 76 nubibus P Q V Vo c e, corr. V1 vel V2 ♦ annus G H V2 amnus P amnis A Q V annis recc. 79 fuerant Ω fuerunt d fuerint M G 81 et G H Q C et in marg. V2 ut A P V ♦ crepitat G2 ς 82 sacer Ω satur Cornelissen ♦ eat G H Q

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[53–54] sehe es an den Spuren deines heimlichen Beischlafs [Beilagers], den auf dem Boden liegenden Stirnbändern und der am Ufer zurückgelassenen Rüstung des lüsternen Gottes. [55–56] Weidet jetzt, ihr Stiere, von den sieben Hügeln das Gras ab, solange es euch noch vergönnt ist! Dies wird schon bald Gelände [Terrain] einer großen Stadt sein. [57–58] Rom, der Stamm, der deinen Namen trägt, ist vom Schicksal dazu ausersehen, über Länder zu herrschen, wo auf die Fluren seines Hoheitsgebiets vom Himmel Ceres herabblickt [59–60] und wo sich erstreckt der Osten und wo mit seinen wogenden Wellen des Sonnengotts schnaufenden Rosse abwäscht der Meeresstrom. [61–62] Troja wird gewiss dann über sich selbst staunen und sich sagen, dass ihr gut beraten gewesen seid [beratschlagt habt] auf eurem so langen Weg. [63–64] Die Wahrheit verkünde ich, so wahr ich immerfort, ohne Schaden zu nehmen, heilige Lorbeerblätter verzehre und mir auf ewig vergönnt ist die Jungfräulichkeit.« [65–66] Dies verkündete die Seherin und rief dich, Phoibos, sich zu Hilfe und schüttelte sich ins Antlitz ihr wallendes Haar. [67–68] Alles, was Amalthea, alles, was die Marpesserin Herophile vorhergesagt oder was die Griechin Phoito eingeschärft hat, [69–70] und was für heilige Losorakel die Tiburterin durch des Anio Fluten getragen und überbracht haben mag im trockenen Bausch ihres Gewandes, (rufe als Zeugen ich an): [71–72] Dies würden, sagten sie voraus, die Vorzeichen von Kriegsgräueln sein: ein Komet und seine Folge, dass auf die Erde ein Steinhagel herniederregne. [73–74] Ja, Trompeten und Waffengeklirr, behaupten die Leute, seien vom Himmel zu hören gewesen und heilige Haine hätten vorangekündigt die Flucht geschlagener Heere; [75–76] selbst gar den Sonnengott sah, in der Sicht behindert, wie er war, das umwölkte Jahr nur noch fahle Rosse anspannen [77–78] sowie Bildnisse von Göttern warme Tränen vergießen und vor den Schicksalsmächten Rinder mit der Stimme von Menschen warnen. [79–80] Dies alles war einmal gewesen, doch du, nunmehr gnädiger Apollon, versenke die Unheil verkündenden Vorzeichen tief unten im unbezähmbaren Meer! [81–82] Und angezündet knistere der Lorbeer gehörig vom Feuer heiliger Flammen, ein Vorzeichen dafür, dass gesegnet und den Göttern heilig das Jahr wird sein.

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[83–84] laurus ubi bona signa dedit, gaudete, coloni; distendet spicis horrea plena Ceres, [85–86] oblitus et musto feriet pede rusticus uvas, dolia dum magni deficiantque lacus: [87–88] ac madidus Baccho sua festa Palilia pastor concinet: a stabulis tunc procul este, lupi. [89–90] ille levis stipulae sollemnes potus acervos accendet, flammas transilietque sacras. [91–92] et fetus matrona dabit, natusque parenti oscula comprensis auribus eripiet, [93–94] nec taedebit avum parvo advigilare nepoti balbaque cum puero dicere verba senem. [95–96] tunc operata deo pubes discumbet in herba, arboris antiquae qua levis umbra cadit, [97–98] aut e veste sua tendent umbracula sertis vincta, coronatus stabit et ipse calix. [99–100] at sibi quisque dapes et festas extruet alte caespitibus mensas caespitibusque torum. [101–102] ingeret hic potus iuvenis maledicta puellae, postmodo quae votis inrita facta velit: [103–104] nam ferus ille suae plorabit sobrius idem et se iurabit mente fuisse mala. [105–106] pace tua pereant arcus pereantque sagittae, Phoebe, modo in terris erret inermis Amor. [107–108] ars bona: sed postquam sumpsit sibi tela Cupido, heu heu, quam multis ars dedit ista malum! [109–110] et mihi praecipue: iaceo cum saucius annum et faveo morbo, cum iuvat ipse dolor, [111–112] usque cano Nemesim, sine qua versus mihi nullus verba potest iustos aut reperire pedes. [113–114] at tu – nam divum servat tutela poetas – praemoneo, vati parce, puella, sacro,

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84 distentet Y d e descendet P 86 deficientque Q Reg. (1481) 87 at H P Q 89 solemnis P sole/nis ex solemnis A solennis H V 92 comprensis G ς compressis A P Q V Y Ven. 94 puro A 95 operata G P Q C et in marg. V2 operta A et operta V A1 ♦ in umbra H 96 lenis P 99 extruet G2 H P Q extruat A B V c d 108 eheu ς ♦ illa ς 109 iaceo ς taceo O B H P Q C ♦ dum Estaço 110 foueo morbum Y ♦ cum Ω dum Estaço, Heyne ♦ iuuet ς

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[83–84] Sobald der Lorbeer günstige Vorzeichen gegeben hat, freut euch, Bauern! Dann wird bersten lassen vor Ähren die Scheunen eine pralle [wohlbeleibte] Ceres [85–86] und, besudelt von Most, der Landmann mit den Füßen zertrampeln die Trauben, bis an Fässern es ihm mangelt und an großen Bottichen [die Fässer ihm ausgehen und die großen Bottiche], [87–88] und berauscht von der Gabe des Bacchus, wird der Hirte sein Fest, die Palilien, in Gesellschaft feiern mit Gesang – von den Ställen haltet dann euch fern, ihr Wölfe! [89–90] Jener aber wird betrunken zur Feier des jährlich wiederkehrenden Festtags das leichte Stroh in Ballen anzünden und die heiligen Flammen überspringen; [91–92] und seine Frau wird einen Sprössling ihm schenken, und der Sohn seinen Vater an den Ohren fassen, um Küsse ihm zu entreißen; [93–94] auch wird den Großvater es nicht verdrießen, an der Seite seines kleinen Enkels zu wachen und mit dem Kind zu lallen als Greis. [95–96] Dann wird, hat es dem Gott geopfert, das Landvolk sich lagern auf Gras, wo eines alten Baumes luftiger Schatten hinfällt, [97–98] oder werden von ihrer Kleidung Sonnensegel sie aufspannen, um die Girlanden geschlungen sind, und wird umkränzt auf dem Tisch stehen selbst der Kelch. [99–100] Doch wird sich ein jeder sein Gericht und aus Rasenstücken seine Festtafel hoch auftürmen und ebenso aus Rasenstücken sein Sitzpolster. [101–1ß2] An den Kopf werfen wird hier ein betrunkener junger Mann Schimpfwörter seinem Mädchen, die er nachher mit Gelübden gern ungeschehen gemacht sähe. [103–104] Denn jener selbe, der eben noch grob sich seiner Geliebten zeigte, wird, ist er nüchtern, weinen und schwören, er sei nicht recht bei Verstand gewesen. [105–106] Mit deinem freundlichen Einverständnis mögen zum Teufel gehen die Bogen und zum Teufel gehen die Pfeile, wenn Amor nur unbewaffnet auf Erden umherstreifte. [107–108] Geschicklichkeit gut und schön, doch seitdem Cupido zu Pfeil und Bogen gegriffen hat, o weh, o weh, wie Vielen bescherte diese Geschicklichkeit nur Unheil! [109–110] Und mir vornehmlich: Wenn ich wund daniederliege schon ein Jahr und zur Krankheit hinneige [mich mit der Krankheit anfreunde], wenn mir von alleine hilft der Schmerz, [111–112] besinge ich in einem fort Nemesis, ohne die kein Vers von mir den richtigen Wortlaut oder Versfuß finden kann. [113–114] Doch du – warne ich dich, denn der Götter Obhut beschirmt die Dichter – schone, Mädchen, einen heiligen Seher und Sänger,

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[115–116] ut Messalinum celebrem, cum praemia belli ante suos currus oppida victa feret, [117–118] ipse gerens laurus; lauro devinctus agresti miles ‘io’ magna voce ‘triumphe’ canet. [119–120] tunc Messalla meus pia det spectacula turbae et plaudat curru praetereunte pater. [121–122] adnue, sic tibi sint intonsi, Phoebe, capilli, sic tua perpetuo sit tibi casta soror.

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VI [1–2] Castra Macer sequitur: tenero quid fiet Amori? sit comes et collo fortiter arma gerat? [3–4] et seu longa virum terrae via seu vaga ducent aequora, cum telis ad latus ire volet? [5–6] ure, puer, quaeso, tua qui ferus otia liquit, atque iterum erronem sub tua signa voca. [7–8] quod si militibus parces, erit hic quoque miles, ipse levem galea qui sibi portet aquam. [9–10] castra peto, valeatque Venus valeantque puellae: et mihi sunt vires et mihi facta tuba est. [11–12] magna loquor, sed magnifice mihi magna locuto excutiunt clausae fortia verba fores. [13–14] iuravi quotiens rediturum ad limina numquam! cum bene iuravi, pes tamen ipse redit. [15–16] acer Amor, fractas utinam tua tela sagittas, si licet, extinctas aspiciamque faces! [17–18] tu miserum torques, tu me mihi dira precari cogis et insana mente nefanda loqui. [19–20] iam mala finissem leto, sed credula vitam Spes fovet et fore cras semper ait melius.

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116 feret G ferent A B Ber. P Q V2 Y d forent V c e geret H et in marg e1 117 lauros G P Q ς 119 tunc Ω tum P Q 120 parens G 122 perpetuo Ber.2 G H P V2 C perpetua O B Q VI 2 si P Q Y ♦ ferat Q C 5 linquit Q 8 leui G ♦ portat P V G2 c e 10 facta Ω laeta Postgate, sed cf. facta in 3,1,12 11 loquenti C 16 si licet Y ς Muret scilicet O B H P Q C, sed cf. codd. ad 1,1,44 17 dura H Y C

Buch 2

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[115–116] damit ich Messallas Sohn feiere, wenn er als Kriegstrophäen vor seinem Wagen Fluchtburgen, die er bezwang, (auf Schaubildern) mitführen wird, [117–118] der selber er trägt den Siegeslorbeer; von ländlich schlichtem Lorbeer umkränzt, wird der Soldat mit lauter Stimme »Juchhei, Triumph!« singen. [119–120] Dann biete Messalla, mein Freund, zum Zeichen seiner Verbundenheit mit dem Sohn der Menschenmenge das Schauspiel eines Festzugs und klatsche, wenn der Wagen vorbeifährt, Beifall als Vater. [121–122] Nicke freundlich zu, so wahr dir, Phoibos, ungeschoren das Haar, so wahr dir stets keusch bleibt deine Schwester. 6 [1–2] Zum Kriegsdienst rückt Macer aus. Was aber wird mit dem zarten Amor geschehen? Soll er sein Begleiter sein und auf den Hals tapfer Waffen sich laden? [3–4] Und wird er dem Kriegshelden, einerlei, ob ihn ein langer Landweg oder unbeständige Meere zum Ziel führen werden, mit Pfeil und Bogen zur Seite gehen wollen? [5–6] Lasse ihn brennen, Bube, bitte ich dich, der wild entschlossen deine geliebten Orte der Muße verließ, und rufe abermals den Herumtreiber unter deine Fahnen! [7–8] Wenn du aber deine Soldaten schonen wirst, wird der auch Soldat sein, der selber leicht mit dem Helm sich zuführen würde das Wasser. [9–10] Zum Kriegsdienst mache ich mich auf den Weg. Lebe wohl, Venus, und lebt wohl, ihr Mädchen! Zum einen verfüge ich über Kräfte, zum anderen über eine kunstvoll gearbeitete Trompete. [11–12] Von großen Plänen rede ich, doch treiben mir, redete großspurig ich von großen Plänen, die mutigen Worte die geschlossenen Flügel einer Tür aus. [13–14] Wie viele Male habe ich geschworen, zurückkehren zu ihrer Schwelle würde ich niemals! Jedesmal, wenn ich fest es mir schwor, kehrt der Fuß gleichwohl von alleine zurück. [15–16] Angriffslustiger Amor, könnte ich doch mit Verlaub zerbrochen deine Fernkampfwaffen, die Pfeile, und gelöscht mir anschauen die Fackeln! [17–18] Du folterst mich Armen, du nötigst mich, mich zu verwünschen und aus heilloser Unbeherrschtheit unsäglich zu fluchen. [19–20] Schon hätte ich meinen Leiden ein Ende gesetzt mit dem Tod, doch hält die Hoffnung, leichtgläubig, wie sie ist, mich am Leben und sagt immerzu, morgen werde es besser.

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Liber II

[21–22] Spes alit agricolas, Spes sulcis credit aratis semina quae magno faenore reddat ager: [23–24] haec laqueo volucres, haec captat harundine pisces, cum tenues hamos abdidit ante cibus. [25–26] Spes etiam valida solatur compede vinctum: crura sonant ferro, sed canit inter opus. [27–28] Spes facilem Nemesim spondet mihi, sed negat illa. ei mihi, ne vincas, dura puella, deam. [29–30] parce, per immatura tuae precor ossa sororis: sic bene sub tenera parva quiescat humo. [31–32] illa mihi sancta est, illius dona sepulcro et madefacta meis serta feram lacrimis, [33–34] illius ad tumulum fugiam supplexque sedebo et mea cum muto fata querar cinere. [35–36] non feret usque suum te propter flere clientem: illius ut verbis, sis mihi lenta veto, [37–38] ne tibi neglecti mittant mala somnia Manes, maestaque sopitae stet soror ante torum, [39–40] qualis ab excelsa praeceps delapsa fenestra venit ad infernos sanguinolenta lacus. [41–42] desino, ne dominae luctus renoventur acerbi: non ego sum tanti, ploret ut illa semel. [43–44] nec lacrimis oculos digna est foedare loquaces: lena nocet nobis, ipsa puella bona est. [45–46] lena vetat miserum Phryne furtimque tabellas occulto portans itque reditque sinu. [47–48] saepe, ego cum dominae dulces a limine duro agnosco voces, haec negat esse domi; [49–50] saepe, ubi nox mihi promissa est, languere puellam nuntiat aut aliquas extimuisse minas.

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22 reddit Fris. Q Vo reddet B 32 malefacta A V, corr. A1 ♦ feram Ber.2 G Q V2 C ferram P ferant O B geram H 39 excelso Q 45 uetat Ω necat ex uetat in ras. G2 ueta Q ♦ phryne Muret ph(f)y(i)rne Ω Y recipi recc. 46 itque reditque G H P Q V2 itque redditque H tuncque reditque O B d e 47 duro Q Y diro O B H P c e, sed cf. duras … fores in 1,1,56, dura … sera in 1,2,6 et ianua dura in 1,8,76 dire d 49 mihi promissa est O H Y C promissa mihi est B Ber.2 G P Q V2 50 pertimuisse Q d e

Buch 2

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[21–22] Die Hoffnung nährt die Ackerbauern, die Hoffnung vertraut den gepflügten Furchen das Saatgut an, dass mit hohem Zins es zurückerstatte der Acker. [23–24] Sie sucht mit der Schlinge Vögel, mit der Angelrute Fische zu fangen, wenn ihre feinen Haken vor ihnen verborgen hat ein Köder. [25–26] Die Hoffnung tröstet sogar den mit einer starken Fußfessel Festgeketteten. Seine Unterschenkel klirren vom Eisen, doch singt er während der Arbeit. [27–28] Die Hoffnung sichert mir eine zugängliche Nemesis zu, doch sagt Nein sie wie eh und je. Weh mir, hoffentlich siegst du nicht, hartherzige Geliebte, über die Göttin! [29–30] Schone mich, flehe ich dich an bei den Gebeinen deiner vorzeitig verstorbenen Schwester, so wahr die Kleine gut ruht unter weicher Erde! [31–32] Sie ist mir heilig. Ihrem Grab werde Gaben und Blumengebinde ich darbringen, die getränkt sind von meinen Tränen. [33–34] Zu ihrem Grabhügel werde ich mich flüchten, davor demütig flehend ich sitzen und über mein Schicksal klagen mitsamt ihrer stummen Asche. [35–36] Nicht wird sie hinnehmen, dass immerfort deinetwegen weint ihr Schützling. Wie mit ihren Worten verbiete ich dir, dass du dich mir gleichgültig zeigst, [37–38] damit dir nicht, weil sie missachtet wurden, böse Träume senden die Manen und traurig, bist du eingeschlafen, die Schwester steht vor dem Bett, [39–40] wie sie, aus großer Höhe kopfüber vom Fenster abgerutscht, blutüberströmt kam zu den unterweltlichen Seen. [41–42] Ich höre auf, damit nicht wiedererweckt werden meiner Herrin bitteren Gefühle der Trauer. Nicht bin ich so viel wert, dass wehklagt sie durch meine Schuld auch nur ein einziges Mal. [43–44] Genauso wenig hat sie es verdient, mit Tränen zu entstellen ihre Bände sprechenden Augen. Eine Kupplerin schadet uns. Sie selbst ist ein anständiges Mädchen. [45–46] Die Kupplerin Phryne verwehrt mir Armem den Umgang. Verstohlen Schreibtäfelchen tragend, geht hin und her sie mit den Geheimnissen, die sie verborgen hält im Bausch ihres Gewandes. [47–48] Oft behauptet sie, wenn von der unnachgiebigen [fühllosen] Schwelle aus meine Herrin ich erkenne an ihrer lieblichen Stimme, sie sei nicht zu Hause. [49–50] Oft teilt sie, wenn die Nacht mir versprochen wurde, mir umgehend mit, matt fühle sich die Geliebte oder verschreckt hätten sie irgendwelche drohenden Gefahren.

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Liber II

[51–52] tunc morior curis, tunc mens mihi perdita fingit, quisve meam teneat, quot teneatve modis. [53–54] tunc tibi, lena, precor diras: satis anxia vivas, moverit e votis pars quotacumque deos.

51 tum … tum P Q ♦ mea pro mihi ς ♦ reddita Ber. 53 tum P Q

Buch 2

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[51–52] Dann sterbe ich vor Kummer, dann male in meiner Verzweiflung ich mir aus, wer meine Geliebte in Armen hält oder auf wie viele Arten er sie in Armen hält. [53–54] Dann verwünsche, Kupplerin, ich dich: Sattsam angstvoll lebtest du, bewegte von meinen Gebeten ein noch so kleiner Bruchteil die Götter.

Liber tertius Lygdami aliorumque elegiae et panegyricus Messallae I [1–2] Martis Romani festae venere kalendae – exoriens nostris hic fuit annus avis – [3–4] et vaga nunc certa discurrunt undique pompa perque vias urbis munera perque domos. [5–6] dicite, Pierides, quonam donetur honore seu mea, seu fallor, cara Neaera tamen. [7–8] ‘carmine formosae, pretio capiuntur avarae: gaudeat, ut digna est, versibus illa tuis. [9–10] lutea sed niveum involvat membrana libellum, pumex et canas tondeat ante comas, [11–12] summaque praetexat tenuis fastigia chartae indicet ut nomen littera facta tuum, [13–14] atque inter geminas pingantur cornua frontes: sic etenim comptum mittere oportet opus.’ [15–16] per vos, auctores huius mihi carminis, oro Castaliamque umbram Pieriosque lacus, [17–18] ite domum cultumque illi donate libellum, sicut erit: nullus defluat inde color. [19–20] illa mihi referet, si nostri mutua cura est, an minor, an toto pectore deciderim. [21–22] sed primum meritam larga donate salute atque haec submisso dicite verba sono: [23–24] ‘haec tibi vir quondam, nunc frater, casta Neaera, mittit et accipias munera parva rogat, [25–26] teque suis iurat caram magis esse medullis, sive sibi coniunx sive futura soror, [27–28] sed potius coniunx: huius spem nominis illi auferet extincto pallida Ditis aqua.’

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I 2 hinc Cu. 7 auari Flor. Exc. 8 tuis Muret meis Ω 10 pumex et G2 pumicet et Ω G Y ♦ arte Q c 11 pr(a)etexat G H Q C protexat Ber. V2 protexit A B P V Y 15 per uos Ber. G H P Q B2 V2 C paruos A B V 16 umbram Ven. G V2 umbrosam A B V ♦ pieridosque Q Vo 19 referet Ω referat ς, Tränkle, dubitanter Lenz refert P ♦ si nostri Ω nostri si C sit nostri A. G. Lee nostri sit J. H. Voß 21 meritam G V2 meritum A B H V Y c myrtum in marg. e nuncium Ber. P nympham Bg. Q et edd. vett. 26 tibi O, in marg. corr. V2

Drittes Buch Gesammelte Gedichte von Fortsetzern Lygdamus 1 [1–2] Der 1. März ist gekommen, der Festtag von Roms Schutzgott Mars – der, mit dem anbricht das Jahr, ist er gewesen für unsere Ahnen –, [3–4] und wanderlustig eilen jetzt von überallher in den festen Bahnen eines Umzugs Geschenke in verschiedene Richtungen von Straße zu Straße der Stadt und jeweils von Haus zu Haus. [5–6] Sagt mir, ihr Musen, Töchter des Pieros, mit welcher Ehrengabe denn beschenkt werden soll entweder meine, oder wenn ich mich in ihr täusche, die mir gleichwohl teure Neaera! [7–8] »Mit Dichtung erobert man die Schönen, mit Geld die Habgierigen. Vergnügen finde sie, wie sie es verdient, an deinen Versen. [9–10] Gelbliches Pergament aber wickle ein das schneeweiße Büchlein, und der Bimsstein schere zuvor der Tierhaut weißgrauen Haare, [11–12] und es verbräme den oberen Rand des feinen Pergaments, um anzugeben deinen Namen, eine kunstvoll gearbeitete Aufschrift, [13–14] und angemalt werde das Paar Hirschhornknaufe in den doppelten Enden der Schriftrolle: So nämlich gehört es sich, gefällig zu übersenden das Werk.« [15–16] Euch, die ihr mir eingebt diese Dichtung, bitte ich bei Kastaliens Baumschatten und Pieriens Seen: [17–18] Geht zu ihr nach Hause und schenkt ihr das schmucke Büchlein so, wie es sein wird; keine Farbe fließe hiervon herab. [19–20] Sie wird mir antworten, ganz gleich, ob meine Liebe sie erwidert oder ob kleiner ist ihre zu mir oder ob vollständig aus ihrem Herzen sie ist verschwunden. [21–22] Doch beschenkt sie zunächst, wie sie es verdient, mit einem ausgiebigen Gruß, und sprecht die folgenden Worte in gedämpftem Ton: [23–24] »Diese Zeilen sendet dir dein Mann dereinst, jetzt noch dein Bruder, züchtige Neaera, und bittet dich, anzunehmen sein kleines Geschenk, [25–26] und schwört, dass teurer du ihm bist als sein eigenes Mark und Bein, ob als seine zukünftige Gemahlin oder Schwester. [27–28] Doch lieber als seine Gemahlin: Die Hoffnung auf diesen Titel wird ihm erst, ist erloschen sein Lebenslicht, wegnehmen Dis’ fahles Gewässer.«

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Liber III

II [1–2] Qui primus caram iuveni carumque puellae eripuit iuvenem, ferreus ille fuit. [3–4] durus et ille fuit, qui tantum ferre dolorem, vivere et erepta coniuge qui potuit. [5–6] non ego firmus in hoc, non haec patientia nostro ingenio: frangit fortia corda dolor. [7–8] nec mihi vera loqui pudor est vitaeque fateri, tot mala perpessae taedia nata meae. [9–10] ergo cum tenuem fuero mutatus in umbram candidaque ossa super nigra favilla teget, [11–12] ante meum veniat longos incompta capillos et fleat ante meum maesta Neaera rogum. [13–14] sed veniat carae matris comitata dolore: maereat haec genero, maereat illa viro. [15–16] praefatae ante meos manes animamque rogalem perfusaeque pias ante liquore manus, [17–18] pars quae sola mei superabit corporis, ossa incinctae nigra candida veste legent [19–20] et primum annoso spargent collecta Lyaeo, mox ut iam niveo fundere lacte parent, [21–22] post haec carbaseis umorem tollere velis atque in marmorea ponere sicca domo. [23–24] illic quas mittit dives Panchaia merces Eoique Arabes, dives et Assyria, [25–26] et nostri memores lacrimae fundantur eodem: sic ego componi versus in ossa velim. [27–28] sed tristem mortis demonstret littera causam atque haec in celebri carmina fronte notet: [29–30] ‘Lygdamus hic situs est: dolor huic et cura Neaerae coniugis ereptae, causa perire fuit.’

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II 1 carumue H C 5 nostra Ber. 7 uerba P Q Vo 8 nota G Q Leid. Voss. O 81 et in marg. V2 9 ergo ego cum G et in marg. V2 10 super B Ber.1 G supra O H Q 15 rogalem Flach, cf. flammae … rogales in Ov. am. 3,9,41 et igne rogali in Stat. Theb. 1,112 rogat(a)e O B G2 H P Q Y C togatae G rogatam vel vocatam Cartault recentem Bach, Postgate 18 legent Ω legant H ς lugent P 19 spargent Ω spargant ς 20 ut iam Flach etiam Ω 21 uelis Ber.2 ς uentis O H P Q uittis Itali 23 illic Ω illuc Passerat ♦ diues Ω Y pinguis Q c 27 casum G 29 cura ς causa Ω cara G et in marg. V2 ♦ ne(a)erae Muret ne(a)era Ω

Buch 3

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2 [1–2] Wer als Erster sein geliebtes Mädchen einem Jüngling und einem Mädchen seinen geliebten Jüngling entriss, aus Eisen ist jener gewesen. [3–4] Hart ist aber auch jener gewesen, der so großen Schmerz ertragen und, obwohl [als] ihm entrissen worden war seine Gemahlin, noch leben hat können. [5–6] Nicht bin stark ich darin, nicht liegt diese Leidensfähigkeit in meiner Natur. Es bricht tapfere Herzen der Schmerz. [7–8] Nicht schäme ich mich, die Wahrheit auszusprechen und den Überdruss zu gestehen, der mir, nachdem so viel Schlimmes es hatte durchlitten, erwachsen war an meinem Leben. [9–10] Also finde, wenn verwandelt ich mich habe in einen hauchdünnen Schatten und meine weißen Gebeine schwarze Asche überdeckt, [11–12] ohne ihre langes Haar gekämmt zu haben, vor meinem (Scheiterhaufen) sie (Neaerea) sich ein und weine traurig Neaera vor meinem Scheiterhaufen. [13–14] Doch finde begleitet vom Gram ihrer mir teuren Mutter sie sich ein; es trauere die eine um ihren Schwiegersohn, es trauere die andere um ihren Mann. [15–16] Haben im einleitenden Gebet sie zuvor angerufen meine Manen und meine dem Scheiterhaufen überantwortete Seele und sich übergossen zuvor pietätvoll mit Wasser die Hände, [17–18] werden den Teil meines Körpers, der allein von mir übrig bleibt, als weiße Gebeine, eingehüllt in ihr schwarzes Trauergewand, sie auflesen [19–20] und sie, sind sie zusammengelesen, zunächst besprengen mit Wein eines alten Jahrgangs des Sorgenlösers, um sich bald darauf schon anzuschicken, sie zu begießen mit schneeweißer Milch, [21–22] danach aber die Feuchtigkeit zu entfernen mit musselinenen Tüchern und sie (die weißen Gebeine), sind sie trocken, beizusetzen in einer marmornen Grabkammer. [23–24] Dort sollen Waren, die ausführen das reiche Panchaia, die morgenländischen Araber und das reiche Assyrien, [25–26] und meiner gedenkende Tränen vereint hinströmen: So beigesetzt werden möchte, habe verwandelt ich mich in Gebeine, ich gern. [27–28] Doch auf die traurige Ursache meines Todes weise eine Inschrift hin und mache auf der belebten Stirnseite des Grabmals die folgenden Verse bekannt: [29–30] »Lygdamus ist hier bestattet. Schmerz und Kummer über den Verlust, dass ihm Neaera, seine Gemahlin, wurde entrissen, ist die Ursache gewesen, dass er dahinging.«

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Liber III

III [1–2] Quid prodest caelum votis implesse, Neaera, blandaque cum multa tura dedisse prece, [3–4] non ut marmorei prodirem e limine tecti, insignis clara conspicuusque domo, [5–6] aut ut multa mei renovarent iugera tauri et magnas messes terra benigna daret, [7–8] sed tecum ut longae sociarem gaudia vitae inque tuo caderet nostra senecta sinu, [9–10] tum cum permenso defunctus tempore lucis nudus Lethaea cogerer ire rate? [11–12] nam grave quid prodest pondus mihi divitis auri, arvaque si findant pinguia mille boves? [13–14] quidve domus prodest Phrygiis innixa columnis, Taenare sive tuis, sive Caryste tuis, [15–16] et nemora in domibus sacros imitantia lucos aurataeque trabes marmoreumque solum? [17–18] quidve in Erythraeo legitur quae litore concha tinctaque Sidonio murice lana iuvat, [19–20] et quae praeterea populus miratur? in illis invidia est: falso plurima vulgus amat. [21–22] non opibus mentes hominum curaeque levantur; nam Fortuna sua tempora lege regit. [23–24] sit mihi paupertas tecum iucunda, Neaera; at sine te regum munera nulla volo, [25–26] o niveam quae te poterit mihi reddere lucem, o mihi felicem terque quaterque diem! [27–28] at si, pro dulci reditu quaecumque voventur, audiat aversa non meus aure deus, [29–30] nec me regna iuvant nec Lydius aurifer amnis nec quas terrarum sustinet orbis opes. [31–32] haec alii cupiant; liceat mihi paupere cultu securo cara coniuge posse frui. [33–34] adsis et timidis faveas, Saturnia, votis, et faveas concha, Cypria, vecta tua.

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III 1 complesse P 2 multaque cum blanda Bergk ♦ tulisse B 7 sociarem Ber.2 G H sociarent A B Ber. P V C sociarent et Q 9 tunc cum P tunc quom H 12 fundant n Vinc. e scindant P 14 caryste ς c(h)ariste G Q V2 C thariste O B H P 20 inuidia est Flor. G2 inuidia que P inuida qu(a)e A B Ber. Bg. Q V C 21 hominum Fris. Flor. G H Q d e et in marg. V2 homini O G2 P ♦ curaeue Q 22 nec Fris. ♦ regit Flor. G gerit Fris. O Bg. H P Q Y C 23 sed Y 24 at Ber. G P Q V2 Ven. et A B H V Y 28 auersa H Q c aduersa A B Ber. P V Y d e, corr. V2 29 nec Ω Ven. Berol. non Flor. Vinc. G H ♦ iuuent B G d e ♦ non Vinc. 32 curua coniuge P uit(a)e munere Flor. Vinc. Berol.

Buch 3

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3 [1–2] Was nützt es, den Himmel mit Gelübden angefüllt zu haben, Neaera, und schmeichlerischen Weihrauch ihm gespendet zu haben mitsamt einer Vielzahl von Gebeten, [3–4] nicht etwa, um auf die Straße zu treten von der Schwelle eines Marmorbaus aus als bedeutender und durch sein glanzvolles Haus hervorstechender Mann [5–6] oder um zu erreichen, dass viele Morgen wiedererneuern meine Stiere und große Ernten der Boden großzügig hergibt, [7–8] sondern um mit dir zu teilen die Freuden eines langen Lebens und im hohen Alter dann erst tot hinzusinken in deinem Arm, [9–10] wenn, habe ich durchmessen die Zeit der Helle, hingeschieden gezwungen ich bin, nackt zu fahren auf Lethes Barke? [11–12] Denn was nützt mir ein schwerer Brocken kostbaren Goldes und was mir, wenn fette Fluren spalten [durchfurchen] tausend Rinder? [13–14] Oder was nützt ein Herrenhaus, das sich stützte auf Säulen aus phrygischem Marmor oder, Tainaros, auf deine, oder, Karystos, auf deine Säulen, [15–16] und was Baumgruppen im Innenhof von Herrenhäusern, die nachahmten heilige Haine, oder vergoldete Deckenbalken und ein marmorner Fußboden? [17–18] Oder was hilft eine Perle, die aufgelesen wird auf dem Strand des Erythraiischen Meeres, oder Wolle, die gefärbt wurde mit Purpur aus Sidon, [19–20] und was sonst noch das Volk bewundert? In jenen Dingen wohnt nur Neid: Fälschlich liebt die meisten davon die breite Masse. [21–22] Nicht vom Wohlstand werden Stimmungen und Kümmernisse der Menschen gehoben oder behoben. Denn Fortuna lenkt die Zeitläufte nach ihrem eigenen Gesetz. [23–24] Beschieden sei mir, mit dir eine angenehme Armut zu teilen, Neaera. Doch ohne dich wünsche ich mir keinerlei Geschenke von Königen, [25–26] o schneeweiß strahlendes Sonnenlicht, das dich mir wird wiedergeben können, o mir dreimal und viermal Glück verheißender Tag! [27–28] Doch wenn, einerlei, was ich für eine annehmliche Rückkehr gelobe, mit abgeneigtem Ohr es anhören sollte ein mir nicht gewogener Gott, [29–30] machen mir weder Königreiche noch Lydiens goldhaltiger Strom noch Schätze Freude, die der Erdkreis im Boden bewahrt. [31–32] Dies alles mögen Andere begehren. Vergönnt sei es mir, in bescheidenem Lebensstil frei von Sorgen eine mir teure Gemahlin genießen zu können. [33–34] Stehe mir bei und erhöre, Tochter des Saturn, huldvoll meine bangen Bitten, und erhöre auch du mich huldvoll, Zyprerin, die geritten du kommst auf deiner Muschel,

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Liber III

[35–36] aut si fata negant reditum tristesque sorores, stamina quae ducunt quaeque futura neunt, [37–38] me vocet in vastos amnes nigramque paludem Ditis in ignava luridus Orcus aqua.

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IV [1–2] Di meliora ferant, nec sint mihi somnia vera, quae tulit hesterna pessima nocte quies. [3–4] ite procul, vani, falsumque avertite visum! desinite in vobis quaerere velle fidem! [5–6] divi vera monent, venturae nuntia sortis vera monent Tuscis exta probata viris. [7–8] somnia fallaci ludunt temeraria nocte et pavidas mentes falsa timere iubent, [9–10] et natum in curas hominum genus omina noctis farre pio placant et saliente sale. [11–12] et tamen, utcumque est, sive illi vera moneri, mendaci somno credere sive volent, [13–14] efficiat vanos noctis Lucina timores et frustra inmeritum pertimuisse velit, [15–16] si mea nec turpi mens est obnoxia facto nec laesit magnos impia lingua deos. [17–18] iam Nox Aetherium nigris emensa quadrigis mundum caeruleo laverat amne rotas, [19–20] nec me sopierat menti deus utilis aegrae: Somnus sollicitas deficit ante domos. [21–22] tandem, cum summo Phoebus prospexit ab ortu, pressit languentis lumina sera quies. [23–24] hic iuvenis casta redimitus tempora lauro est visus nostra ponere sede pedem. [25–26] non illo quicquam formosius ulla priorum aetas humanum nec videt illud opus.

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35 at G2 P ♦ facta H 36 neunt Ω canunt M, Heins 38 Ditis Heins, L. Müller ditis ς diues Ω IV 2 externa P c d extrema Cu. ♦ proxima P 3 uani sc. somni O G P Q uanum H Y C et in marg. V2 4 in uobis sc. uanis Scaliger in uotis vel inuotis O B H P Q C in nobis Guyet in uanis Muret in somnis Itali 9 at G ♦ natum A B Ber. Q V uatum Ber.2 c uanum G Q2 Vo Y2 et in marg. V2 uarium Y H P d ♦ in curas in marg. V2 et Vo in curam Q maturas A B V naturas Ber. natura Ber.2 uentura H P G Q2 Vo Y2 c2 et in marg. V2 uentura uel metuens Y metuens G2 d ♦ hominis Q V2 Vo, corr. Q2 ♦ omnia uel omina Y omnia G V P 11 illi Ω illis Dissen ♦ moneri A B H P V d e moueri Ber. c monenti Bg. G Q e2 12 mendacis Ber. ♦ uolent Ω uelint ς solent Postgate 15 sic B Q d dij P 17 emensa Ber.2 d e et in marg. V2 emersa O Bg. H P Q dimensa G 21 summo … ab Oeta Markland summa … ab ortu L. Müller

Buch 3

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[35–36] oder wenn die Rückkehr dir versagen die Schicksalsmächte und düsteren Schwestern, die Schicksalsfäden spinnen und die Zukunftsverläufe weben, [37–38] berufe mich ab zu seinen entsetzlichen Strömen und seinem nachtschwarzen Morast Dis’ totenbleicher Orkus in trägem Gewässer. 4 [1–2] Hoffentlich überbringen die Götter mir bessere Voraussagen und bewahrheiten sich nicht die Träume, die mir eintrug in der gestrigen Nacht eine denkbar schlechte Ruhe. [3–4] Geht von hinnen, ihr windigen Gesellen, und wendet von mir ab euer trügerisches Gesicht! Hört auf, bei euresgleichen vermissen zu wollen den Glauben! [5–6] Die Götter warnen wahrheitsgemäß; das zukünftige Los verkündigend, warnen wahrheitsgemäß die Eingeweide, geprüft von etruskischen Männern. [7–8] Die Träume aber treiben wahllos ihr Spiel in trügerischer Nacht und bewegen ängstliche Gemüter dazu, sich vor falschen Warnungen zu fürchten, [9–10] und es beschwichtigt das zu Kummer und Sorge geschaffene Menschengeschlecht die bösen Vorzeichen der Nacht mit gottgefälligem Schrot und hüpfendem Salz. [11–12] Und doch – einerlei, wie es sich verhält, ob jene vor wirklichen Bedrohungen gewarnt werden oder Trugbildern des Schlafs Glauben schenken wollen – [13–14] erweise Lucina als gegenstandslos die Schrecken der Nacht und wolle sie, dass jemand wie ich, der sie nicht verdient hat, grundlos sich ängstigte, [15–16] wenn weder meine Denkweise empfänglich ist für schändliches Tun noch meine Zunge ehrfurchtslos verletzt hat die mächtigen Götter. [17–18] Schon hatte die Nacht mit den Rappen ihres Vierspänners durchmessen Aithers Welt und im himmelblauen Meeresstrom gebadet die Räder, [19–20] ohne dass mich eingeschläfert hatte der einer kranken Seele nützliche Gott – der Schlaf versagt vor kummergeplagten Häusern. [21–22] Schließlich, als Phoibos hervorblickte vom Horizont des Morgenlands, drückte eines Matten Augen die späte Ruhe mir zu. [23–24] Da setzte, schien es mir, ein Jüngling, die Schläfen mit heiligem Efeu umwunden, auf meinen Wohnsitz den Fuß. [25–26] Nichts Ansehnlicheres als jenen hat irgendeine Zeit vergangener Tage jemals gesehen, noch sieht es jenes Menschenwerk.

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Liber III

[27–28] intonsi crines longa cervice fluebant; stillabat Tyrio myrtea rore coma. [29–30] candor erat, qualem praefert Latonia Luna, et color in niveo corpore purpureus, [31–32] ut iuveni primum virgo deducta marito inficitur teneras ore rubente genas, [33–34] et cum contexunt amarantis alba puellae lilia et autumno candida mala rubent. [35–36] ima videbatur talis inludere palla; namque haec in nitido corpore vestis erat. [37–38] artis opus rarae, fulgens testudine et auro, pendebat laeva garrula parte lyra. [39–40] hanc primum veniens plectro modulatus eburno felices cantus ore sonante dedit. [41–42] sed postquam fuerant digiti cum voce locuti, edidit haec dulci tristia verba modo: [43–44] ‘salve, cura deum; casto nam rite poetae Phoebusque et Bacchus Pieridesque favent. [45–46] sed proles Semeles Bacchus doctaeque sorores dicere non norunt, quid ferat hora sequens. [47–48] at mihi fatorum leges aevique futuri eventura pater posse videre dedit. [49–50] quare ego quae dico non fallax, accipe, vates quodque deus vero Cynthius ore feram. [51–52] tantum cara tibi, quantum nec filia matri, quantum nec cupido bella puella viro, [53–54] pro qua sollicitas caelestia numina votis, quae tibi securos non sinit ire dies [55–56] et, cum te fusco Somnus velavit amictu, vanum nocturnis fallit imaginibus, [57–58] carminibus celebrata tuis formosa Neaera alterius mavult esse puella viri, [59–60] diversasque suas agitat mens impia curas, nec gaudet casta nupta Neaera domo.

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28 tyrio O B P Q C tyro H syrio Itali, sed cf. Itali ad 3,6,63 ♦ mirtea A G V myrrea G2 myrrhea Némethy 33 ut c aut Itali 42 dulci tristia M ς, Broekhuyzen tristi dulcia Ω, sed cf. 3,6,38: odit Lenaeus tristia verba pater 45 semeles H P Q d e semelis G semel(a)e O c 47 cuique B V cuiusque G V2 48 dedit … pater Q Vo 50 quodque G P Q quidque O B H C ♦ feram Broekhuyzen ferat A Ber.2 H P Q V feret Ber. 59 suas Ω tuis Lips suis Muret 60 neera Ber. P H nerea A V

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[27–28] Ungeschoren wallten seine Haare von seinem langgestreckten Hals auf die Schultern herab; es troff von tyrischem Duftwasser sein myrtenöldurchtränktes Haar. [29–30] Das strahlende Weiß seiner Haut glich dem, das vorzuweisen hat Latonas Tochter Luna, und die Purpurröte auf seinem schneeweißen Körper erinnerte daran, [31–32] wie eine zum ersten Mal ihrem jungen Ehemann zugeführte Jungfrau sich färbt, röten sich schamhaft ihre zarten Wangen, [33–34] und weiße Lilien sich färben, wenn Blumenmädchen sie mit der Samtblume Amarant zu Girlanden verflechten oder im Herbst helle Äpfel sich röten. [35–36] Der Saum seiner Robe schien seine Knöchel zu umspielen; denn dieses Gewand trug er auf seinem schimmernden Körper. [37–38] Ein Werk von seltener Kunst, strahlend von Schildpatt und Gold, hing herab auf seiner linken Seite die Leier mit dem perlenden Ton. [39–40] Sie ließ er, kaum, dass er gekommen war, mit seinem elfenbeinernem Stäbchen, dem Plektron, im Takt der Melodie erklingen und stimmte aus volltönendem Mund Glück verheißende Gesänge dazu an. [41–42] Doch nachdem seine Finger gemeinsam mit seiner Stimme hatten gesprochen, äußerte er die folgenden bitteren Worte in liebevoller Form: [43–44] »Heil dir, Liebling der Götter! Denn einem heiligen Dichter schenken mit Fug und Recht Phoibos, Bacchus und Pieros’ Töchter, die Musen, ihre Gunst. [45–46] Doch Semeles Spross Bacchus und die kunstsinnigen Schwestern wissen nicht vorauszusagen, was die nächste Stunde bringt. [47–48] Wohl aber hat mir die Gabe, die Gesetze der Schicksalsmächte und vorherbestimmten Ereignisse der zukünftigen Zeit schauen zu können, mein Vater verliehen. [49–50] Drum vernimm, welche Ereignisse ich weissage als untrüglicher Seher und was ich, der cynthische Gott, mit wahr sprechendem Mund werde verkünden! [51–52] Die so teuer dir ist wie weder eine Tochter ihrer Mutter noch eine hübsche junge Frau ihrem sie begehrenden Mann, [53–54] für die du behelligst die himmlischen Mächte mit deinen Gebeten, die nicht zulässt, dass dir sorgenfrei vergehen die Tage, [55–56] und dir, wenn der Schlaf dich umhüllt hat mit seinem schwärzlichen Mantel, Windiges vortäuscht mit nächtlichen Trugbildern, [57–58] sie will, obschon in deinen Gedichten verherrlicht als schöne Neaera, lieber die Geliebte eines anderen Mannes sein, [59–60] hält in ihrer ruchlosen Denkweise ihre verschiedenen Lieblinge in Atem und findet kein Vergnügen an der Rolle, die verheiratete Neaera in einem sittenstrengen Haus zu sein.

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Liber III

[61–62] a crudele genus nec fidum femina nomen! a pereat, didicit fallere si qua virum! [63–64] sed flecti poterit – mens est mutabilis illis: tu modo cum multa bracchia tende fide. [65–66] saevus Amor docuit validos temptare labores, saevus Amor docuit verbera saeva pati. [67–68] me quondam Admeti niveas pavisse iuvencas non est in vanum fabula ficta iocum. [69–70] tunc ego nec cithara poteram gaudere sonora nec similes chordis reddere voce sonos, [71–72] sed perlucenti cantum meditabar avena ille ego Latonae filius atque Iovis. [73–74] nescis quid sit amor, iuvenis, si ferre recusas immitem dominam coniugiumque ferum. [75–76] ergo ne dubita blandas adhibere querellas: vincuntur molli pectora dura prece. [77–78] quod si vera canunt sacris oracula templis, haec illi nostro nomine dicta refer. [79–80] hoc tibi coniugium promittit Delius ipse: felix hoc alium desine velle virum.’ [81–82] dixit, et ignavus defluxit corpore somnus. a ego ne possim tanta videre mala! [83–84] nec tibi crediderim votis contraria vota nec tantum crimen pectore inesse tuo; [85–86] nam te nec vasti genuerunt aequora ponti nec flammam volvens ore Chimaera fero [87–88] nec canis anguinea redimitus terga caterva, cui tres sunt linguae tergeminumque caput, [89–90] Scyllaque virgineam canibus succincta figuram, nec te conceptam saeva leaena tulit, [91–92] barbara nec Scythiae tellus horrendave Syrtis, sed culta et duris non habitanda domus [93–94] et longe ante alias omnes mitissima mater isque pater quo non alter amabilior.

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61 ah H P Q V ha A Ber. 63 illi/ G illi B 64 fide O B Q C prece G H P et in marg. V2 66 saeua F posse Fris. Ω 67 niueos … iuuencos Q c 71 cantum O B H d e cantus Q c Plant. et ex cantu Cu. carmen P 80 hoc sc. uiro F, Scaliger et Plant. ac Ω ast Ber.2 ergo ς 82 ah H V ha A G Ber. haec Q Vo huc P 87 canis anguinea Bg. Cu. G Q C Plant. et in marg. V2 consanguinea O B H Y cum sanguinea P 89 succincta F, cf. Verg. ecl. 6,75 submixta Ω comitata d e subnixa vel subtexta Cartault 93 omnes alias H Q Vo

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[61–62] Ach, du grausames Geschlecht und Inbegriff der Untreue in Gestalt einer Frau! Ach, gehe doch eine zum Teufel, wenn sie zu betrügen gelernt hat den Mann. [63–64] Doch wird sie umgestimmt werden können. Eine wandelbare Denkweise zu eigen ist Frauen von diesem Schlag. Strecke du nur, gepaart mit viel Vertrauen, zur Versöhnung die Arme aus! [65–66] Der unbarmherzige Amor hat uns gelehrt, gewaltige Kraftanstrengungen zu erproben, der unbarmherzige Amor uns gelehrt, unbarmherzige Geißelhiebe auszuhalten. [67–68] Dass ich einst Admets schneeweiße Färsen geweidet habe, ist keine zu einem windigen Scherz erfundene Geschichte. [69–70] Damals konnte ich weder an der klangvollen Kithara Vergnügen finden noch ähnliche Töne wie mit ihren Saiten wiedergeben mit meiner Stimme, [71–72] sondern suchte mir Flötenspiel auszudenken mit einem lichtdurchlässigen [durchlöcherten] Rohr – ich der hochgeborene Sohn einer Latona und eines Iuppiter! [73–74] Du weißt nicht, was Liebe ist, Jüngling, wenn zu ertragen du dich weigerst eine ungnädige Herrin und stürmische Ehe. [75–76] Drum zögere nicht, einschmeichelnde Klagen anzuwenden; besiegen lassen sich harte Herzen von einer sanften Bitte. [77–78] Wenn aber die Orakel die Wahrheit verkünden in dem mir geweihten Tempel, übermittle ihr in meinem Namen die folgenden Worte: [79–80] Diese Ehe sichert dir der Delier Apollon persönlich zu. Glücklich mit diesem, höre auf, einen anderen Mann zu wollen!« [81–82] Sprach’s, und es fiel ab von meinem Körper die Schlafmüdigkeit. Ach, könnte ich doch nicht so große Enttäuschungen erleben! [83–84] Weder mochte ich glauben, deine Wünsche stünden in Widerspruch zu meinen Wünschen, noch dir zutrauen, der Gedanke an ein so schweres Vergehen habe sich eingenistet in deinem Herzen. [85–86] Denn weder haben dich hervorgebracht die Schaumkronen eines entsetzlichen Meeres noch die züngelnde Flammen aus grimmigem Maul speiende Chimäre [87–88] noch der Hund mit dem von Schlangengewimmel umringelten Rücken, der drei Zungen besitzt und einen dreigesichtigen Kopf, [89–90] und ebenso wenig hat Skylla in Gestalt einer von Hunden umringten Jungfrau oder eine kampfwütige Löwin dich empfangen und getragen, [91–92] und ebenso wenig Skythiens fremdländische Erde oder die schreckliche Syrte, sondern großgezogen hat dich ein gepflegtes Elternhaus, in dem gefühllose Menschen nicht zu wohnen haben, [93–94] sowie eine Mutter, die vor allen anderen weitaus am gütigsten ist, und der Vater, der so liebenswürdig ist wie kein Zweiter.

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Liber III

[95–96] haec deus in melius crudelia somnia vertat et iubeat tepidos irrita ferre Notos.

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V [1–2] Vos tenet, Etruscis manat quae fontibus unda, unda sub aestivum non adeunda Canem, [3–4] nunc autem sacris Baiarum maxima lymphis, cum se purpureo vere remittit humus. [5–6] at mihi Persephone nigram denuntiat horam: immerito iuveni parce nocere, dea. [7–8] non ego temptavi nulli temeranda deorum audax laudandae sacra docere deae, [9–10] nec mea mortiferis infecit pocula sucis dextera nec cuiquam trita venena dedit, [11–12] nec nos sacrilegi templis amovimus aegros, nec cor sollicitant facta nefanda meum, [13–14] nec nos insanae meditantes iurgia mentis impia in adversos solvimus ora deos. [15–16] et nondum cani nigros laesere capillos, nec venit tardo curva senecta pede: [17–18] natalem primo nostrum videre parentes, cum cecidit fato consul uterque pari. [19–20] quid fraudare iuvat vitem crescentibus uvis et modo nata mala vellere poma manu? [21–22] parcite, pallentes undas quicumque tenetis duraque sortiti tertia regna dei. [23–24] Elysios olim liceat cognoscere campos Lethaeamque ratem Cimmeriosque lacus, [25–26] cum mea rugosa pallebunt ora senecta et referam pueris tempora prisca senex. [27–28] atque utinam vano nequiquam terrear aestu! languent ter quinos sed mea membra dies.

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96 irrita M Leid. Voss. O 42 et 81, superscr. Q1 irritas Vo impia O B Cu. P Q C Leid. Voss. O 59 et 76, sed. cf. 3,6,50 V 1 uos B G2 V2 Plant. nos A Ber. G H Q P V 3 maxima Ω maxime P proxima Schoppe 5 thesiphone P d thissiphone e 7 deorum O B G H P Q d e uirorum Vo et ex deor Cu., sed cf. Prop. 4,9,59–60. 10 trita F, cf. trita venena in Prop. 2,17,14 certa Ω G Y, cf. certa … medicina in Plin. nat. 30,95 et certiores … medicinas in Plin. nat. 27,146 11 sacrilegi Cu. H sacrilegis O P d e sacrilegos B Bg. G Q Y e2 Plant. ♦ amouimus O G H P admouimus Bg. G2 Q Y ♦ (a)egros Bg. O G P Q Y agros H ignes G2 Plant. 12 nec cor sollicitant Ω sollicitant pectus Flor. Exc. Vinc. 13 meditantes Bg. G ς meditantis O B H P Q C ♦ lingu(a)e Q Vo c et in marg. Bg., sed mentis Bg. Q2 V2 c2 16 tardo Ven. Ω tacito Flor. Vinc. 17 nostri d 21 umbras H Q edd. Rom. (1475) et Venet. (1491) 22 diraque Housman 27 nequicquam P necquicquam A Ber.2 H Q e nec quicquam Ber. V ♦ torrear H

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[95–96] Diese grausamen Träume wende der Gott zum Besseren und fordere, wirkungslos sie zu verwehen, die lauen Südwinde auf. 5 [1–2] Euch hält sprudelndes Wasser, das strömt von etruskischen Quellen, sprudelndes Wasser, dem nicht sich zu nähern es gilt in der Sommerhitze des Hundssterns, [3–4] das jetzt aber durch seine heiligen Nymphen Baiaes wichtigstes ist, wenn sich erholt im purpurn blühenden Lenz der Erdboden. [5–6] Doch kündigt mir Persephone die dunkle Stunde des Todes an: Verzichte, Göttin, darauf, einem noch jungen Mann, ohne dass er es verdient hätte, zu schaden! [7–8] Weder versuchte ich unverfroren die einer lobenswerten Göttin heiligen Geheimnisse zu verraten, die entweiht werden dürfen von keinem der Götter, [9–10] noch vergiftete meine Rechte Becher mit todbringenden Säften oder verabreichte sie jemandem zerstoßene Hexenkräuter, [11–12] noch vertrieb ich frevlerisch aus Tempeln die Kranken oder regen unsägliche Taten auf mein Herz, [13–14] noch habe ich, auf Zank und Streit sinnend, der von Unvernunft zeugt, freien Lauf gelassen dem Mund zu lästerlichen Reden gegen ungnädige Götter, [15–16] und noch nicht haben graue entstellt meine schwarzen Haare, und ebenso wenig gekommen ist das den Rücken krümmende Alter mit schleppendem [langsamem] Schritt. [17–18] Meinen Geburtstag erlebten zum ersten Mal die Eltern, als beide Konsuln gefallen sind durch das gleiche Los. [19–20] Was hilft es, die Rebe zu betrügen um noch wachsende Trauben und Obstfrüchte, die gerade erst sind entstanden, abzurupfen mit böswilliger Hand? [21–22] Schont mich, ihr Götter alle, die ihr über die Wogen fahler Gewässer herrscht und über das gnadenlose Totenreich, das als drittes ihr ausgelost habt! [23–24] Möge es mir dereinst vergönnt sein, kennenzulernen die Elysischen Gefilde sowie Lethes Barke und die kimmerischen Seen, [25–26] wenn fahl sein wird mein Gesicht vom runzligen Greisenalter und ich erzählen werde den Knaben von alten Zeiten als Greis. [27–28] Ja, würde ich doch grundlos von einer vermeintlichen Fieberhitze in Schrecken gesetzt! Matt aber ist mein Körper schon dreimal fünf Tage.

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Liber III

[29–30] at vobis Tuscae celebrantur numina lymphae et facilis lenta pellitur unda manu. [31–32] vivite felices, memores et vivite nostri, sive erimus seu nos fata fuisse velint. [33–34] interea nigras pecudes promittite Diti et nivei lactis pocula mixta mero.

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VI [1–2] Candide Liber, ades – sic sit tibi mystica vitis semper, sic hedera tempora vincta geras – [3–4] aufer et ipse meum pariter medicante dolorem; saepe tuo cecidit munere victus amor. [5–6] care puer, madeant generoso pocula baccho, et nobis prona funde Falerna manu. [7–8] ite procul durum curae genus, ite labores; fulserit hic niveis Delius alitibus. [9–10] vos modo proposito dulces faveatis amici, neve neget quisquam me duce se comitem, [11–12] aut si quis vini certamen mite recusat, fallat eum tecto cara puella dolo. [13–14] ille facit dites animos deus, ille ferocem contudit et dominae misit in arbitrium, [15–16] Armenias tigres et fulvas ille leaenas vicit et indomitis mollia corda dedit. [17–18] haec Amor et maiora valet; sed poscite Bacchi munera: quem vestrum pocula sicca iuvant? [19–20] convenit ex aequo nec torvus Liber in illis, qui se quique una vina iocosa colunt, [21–22] convenit iratus nimium nimiumque severos: qui timet irati numina magna, bibat. [23–24] quales his poenas qualis quantusque minetur, Cadmeae matris praeda cruenta docet.

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29 at G Q V2 Y C atque O B P et H ♦ uobis G P et in marg. V2 nobis O H Y d e 32 facta Ber. H ♦ uolent H VI 1 uictis A Ber. V, corr. Ber.1 V1 2 sic (h)edera semper H P Q ♦ geras G H Plant. feras ceteri, sed cf. 1,3,66, 1,10,30 et 2,5,117 3 pariter medicante sc. hedera Flach pariter medicando O Bg. G H P Q Plant. pariter medicande ς Estaço pariter medicate Huschke patera medicare Birt patera medicante Waardenburg 7 cur(a)e durum Flor. Berol. Vinc. dirum curae G 8 fulserit Cu. G2 H Q V2 Plant. fulxerit G P pulserit O B d pulserat e 11 at H Itali Plant. ♦ recuset H P Q Y ς 13 dites Flor. Ω dices P mites ς, Lips ♦ feroces Flor. G 14 contudit A B G H P Q V2 e2 contundit Ber. contulit V d e 15 armenias G H P C armenas O B armeniasque Q Vo 17 ualet ς Estaço, Broekhuyzen uolet Ω nollet Bg. 18 nostrum Ber. 21 conuenit M Lachmann quom uenit H non uenit O B Bg. Q Y d e ♦ severos Lachmann seuerus O B Bg. Q H Y d e severis Lievens securus P 23 qualis quantusque F deus hic quantumque O B H P Q e deus hic qu(a)ecumque G et in marg. V2♦ minatur H 24 turba Bg. Q Vo et ed. princeps 1472, sed aliter praeda in marg. Bg. mea H

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[29–30] Doch ihr huldigt den Gottheiten des etruskischen Gewässers und setzt den leichten Wellengang in Bewegung mit gemächlicher Hand. [31–32] Lebt glücklich und lebt meiner gedenkend, einerlei, ob es mich noch geben wird oder die Schicksalsmächte beschließen sollten, dass es mich gegeben hat! [33–34] Derweil gelobt schwarze Schafe dem Unterweltsgott Dis und Becher schneeweiße Milch, vermischt mit reinem Wein! 6 [1–2] Weiß gekleideter Liber, erscheine, so wahr zur Verfügung dir steht die mystische Rebe allzeit, so wahr von Efeu umwunden die Schläfen du trägst, [3–4] und nimm selber mit ihm, dem gleichermaßen heilenden Efeu, mir weg meinen Schmerz! Oft ist, von deiner Gabe überwunden, geschwunden die Liebe. [5–6] Lieb und werter Junge, lasse triefen die Becher von edlem Wein und gieße uns Falerner ein mit dazu geneigter Hand! [7–8] Geht von hinnen, ihr lästige Art von Sorge, geht, ihr Mühsale! Es schimmere hier der Delier Apollon vom Widerschein schneeweißer Vögel. [9–10] Ihr aber zeigt euch der mir vorschwebenden Verfahrensweise gewogen als reizende [liebenswerte] Freunde, und keiner von euch versage sich mir, gehe ich voran, als Gefolgsmann, [11–12] oder wenn jemand sich dem friedlichen Weingenusswettkampf verweigert, hintergehe ihn sein geliebtes Mädchen mit einer verdeckten List. [13–14] Jener Gott bereichert die Gedanken und Gefühle. Jener hat schon immer den Trotzigen zermürbt und entlassen in einer Herrin freies Ermessen, [15–16] armenische Tigerinnen und falbe Löwinnen jener schon immer bezwungen und Unbezähmbaren ein feinfühliges Herz verliehen. [17–18] All dies und noch mehr vermag Amor. Doch fordert des Bacchus Gaben! Wem von euch sagen etwa leere Becher zu? [19–20] Er verkehrt auf gleichem Fuß und nicht als griesgrämiger Liber im Kreise jener, die ihm und die zugleich lustigen Weingelagen huldigen. [21–22] Er verkehrt in gereiztem Ton mit den über und über Strengen. Wer Angst hat vor eines gereizten Gottes großer Macht, trinke! [23–24] Welche Art von Strafen ihnen ein so veranlagter und so mächtiger wie er androht, zeigt die blutige Beute einer Mutter, der Tochter des Kadmos.

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[25–26] sed procul a nobis hic sit timor, illaque, si qua est, quid valeat laesi sentiat ira dei. [27–28] quid precor a demens? venti temeraria vota aeriae et nubes diripienda ferant. [29–30] quamvis nulla mei superest tibi cura, Neaera, sis felix et sint candida fata tua. [31–32] at nos securae reddamus tempora mensae: venit post multas una serena dies. [33–34] ei mihi, difficile est imitari gaudia falsa, difficile est tristi fingere mente iocum, [35–36] nec bene mendaci risus componitur ore, nec bene sollicitis ebria verba sonant. [37–38] quid queror infelix? turpes discedite curae: odit Lenaeus tristia verba pater. [39–40] Cnosia, Theseae quondam periuria linguae flevisti ignoto sola relicta mari: [41–42] sic cecinit pro te doctus, Minoi, Catullus ingrati referens impia facta viri. [43–44] vos ego nunc moneo: felix, quicumque dolore alterius disces posse cavere tuo. [45–46] nec vos aut capiant pendentia bracchia collo aut fallat blanda sordida lingua fide; [47–48] etsi perque suos fallax iuravit ocellos Iunonemque suam perque suam Venerem, [49–50] nulla fides inerit: periuria ridet amantum Iuppiter et ventos irrita ferre iubet. [51–52] ergo quid totiens fallacis verba puellae conqueror? ite a me, seria verba, precor. [53–54] quam vellem tecum longas requiescere noctes et tecum longos pervigilare dies, [55–56] perfida nec merito nobis inimica merenti, perfida, sed, quamvis perfida, cara tamen!

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27 ha Ber. H d 30 facta Ber. P Q Y d e, sed cf. H P ad 1,4,31 et Ber. H ad 3,5,32 uota H 32 multas O P d e multos H Q V2, sed cf. 1,3,18 33 (h)ei mihi M P G2 Q C Plant. et mihi Fris. heu quam Flor. Exc. Vinc. si mihi A B Ber. H V 35 non Flor. Paris. Vinc. 36 non Flor. Paris. Vinc. 41 sic Ω sed ς 44 disces Fris. O B H P d e discis G Q didicit Flor. Exc. Vinc. ♦ cauere F Fris. Flor. Exc. Vinc. carere O B G H P Q d e ♦ tuo Fris. O B H P Q d e tuos F suum Flor. Exc. Vinc. tuum Itali 45 ne Flor. Exc. Vinc., sed cf. Flor. Vinc. ad 1,6,75 ♦ aut capiant Ω decipiant Flor. Exc. Vinc. 46 aut fallat Ω nec capiat Flor. Exc. ne capiat Berol. ♦ subdola Heins ♦ fide O B G H P Q d e prece Flor. Exc., sed cf. codd. ad 3,4,64 47 iurabit H Q iurarit ς 51 quid M Itali Plant. qui O B H P Q d e, sed cf. quid queror in vv. 1,8,23 et 3,6,37 55 nec amica ς Reg.

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[25–26] Doch fern von mir sei diese Furcht, sondern jene bekomme, wenn überhaupt eine es trifft, zu spüren, was vermag sein Zorn, wurde in seiner Ehre verletzt der Gott. [27–28] Wozu bitte und bete ich, ach ich Verblendeter! Die Winde und der Himmelslüfte Wolken mögen unüberlegte Wünsche forttragen, um sie, wie sie es verdienen, zu verstreuen. [29–30] Obschon du zu mir keine Zuneigung mehr verspürst, Neaera, wünsche ich dir Glück und ungetrübte Schicksalsaussichten. [31–32] Doch lasst uns die Zeit dem sorgenfreien Tafeln widmen. Gekommen ist nach vielen anderen noch immer ein heiterer Tag. [33–34] Weh mir, schwierig ist’s, Liebesfreuden vorzuspiegeln, wenn sie unecht sind; schwierig ist’s, in trübseliger Stimmung Spaßigkeit vorzutäuschen. [35–36] Weder wird Lachen gut geheuchelt mit verlogenem Mund, noch klingen, ist man bekümmert, weinselige Worte gut. [37–38] Was klage ich Unglücklicher? Verschwindet, widerwärtige Sorgen! Es hasst trübselige Worte der Schirmherr des Kelterfestes. [39–40] Kreterin aus Knossos, einst klagtest du die Meineide aus dem Munde des Theseus, einsam und allein zurückgelassen, einem fremden Meer. [41–42] So sang es stellvertretend für dich, Tochter des Minos, der kunstsinnige Catull, als er erzählte von dem ruchlosen Verhalten deines undankbaren Mannes. [43–44] Euch warne ich jetzt: Glücklich schätze dich, der du, einerlei, wer du bist, von dem Liebesschmerz eines Anderen lernen wirst, achtgeben zu können auf deinen. [45–46] Weder lasst euch gefangen nehmen von Armen, die an den Hals sich euch hängen, noch täuschen von einer Zunge, die besudelt ist von schmeichlerisch gelobter Treue. [47–48] Selbst wenn eine heuchlerisch bei ihren Äuglein und ihrer Iuno geschworen hat und bei ihrer Venus, [49–50] wird auf ihre Beteuerungen keinerlei Verlass sein [ihren Beteuerungen keinerlei Glaubhaftigkeit innewohnen]. Über die Meineide von Liebenden lacht Iuppiter nur und fordert die Winde auf, wirkungslos sie zu verwehen. [51–52] Was also beklage ich mich so viele Male über die Worte einer lügnerischen Geliebten? Geht von mir weg, aufrichtige Worte, bitte ich euch! [53–54] Wie gern wollte ich mit dir lange Nächte schlafen und mit dir lange Tage durchwachen, [55–56] du treulose und unsereinem, ohne dass durch meine Schuld ich es verdiene, abgeneigte Geliebte – treulos zwar, aber, obschon treulos, mir dennoch teuer.

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[57–58] Naida Bacchus amat: cessas, o lente minister? temperet annosum Marcia lympha merum. [59–60] non ego, si fugit nostrae convivia mensae ignotum cupiens vana puella torum, [61–62] sollicitus repetam tota suspiria nocte. tu, puer, in liquidum fortius adde merum. [63–64] iam dudum Tyrio madefactus tempora nardo debueram sertis implicuisse comas.

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VII (= IV 1) [1–6] Te, Messalla, canam, quamquam me cognita virtus terret. ut infirmae nequeant subsistere vires, incipiam tamen. at meritas si carmina laudes deficiant, humilis tantis sim conditor actis, nec tua praeter te chartis intexere quisquam facta queat, dictis ut non maiora supersint. [7–11] est nobis voluisse satis, nec munera parva respueris: etiam Phoebo gratissima dona Cres tulit, et cunctis Baccho iucundior hospes Icarus, ut puro testantur sidera caelo Erigoneque Canisque, neget ne longior aetas. [12–15] quin etiam Alcides, deus ascensurus Olympum, laeta Molorcheis posuit vestigia terris, parvaque caelestis placavit mica, nec illis semper inaurato taurus cadit hostia cornu. [16–23] hic quoque sit gratus parvus labor, ut tibi possim inde alios aliosque memor componere versus. alter dicat opus magni mirabile mundi, qualis in immenso desederit aere tellus, qualis et in curvum pontus confluxerit orbem, et vagus e terris qua surgere nititur aer, huic et contextus passim fluat igneus aether, pendentique super claudantur ut omnia caelo.

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58 temperat P Y ♦ martia O, sed cf. codd. ad Prop. 3,2,14 et 3,22,24 59 fugit Ber. A V1 fugiet A2 B V fugiat H P Q Vo Plant. 62 in Flach i F Vo et pauci recc. et O G P Q d e ast H, at his lectionibus contrarii sunt vv. 57–58 63 tyrio O G H P Q c e Plant. tyria B d syrio Itali, sed cf. Itali ad 3,4,28 VII 1 me Cu., superscr. G1 mea O H P Q C tua G ς 2 nequeant F ualeant Ω 3 at F ac G2 Plant. a O B Bg. H P Q Y C ♦ meritas G Plant. meritis O B H P Q Y C meritae Tränkle metris Bg. 10 puro Ber.2 H Q V2 C pura O P 11 ne Cu. G H Plant., om. O B P Q d ni superscr. Ber.2 13 terris Ω Y tectis Plant. et Muret, sed cf. Stat. silv. 3,1,29 14 placauit G2 ς pacauit A H Q V Ber.1 Plant. paccauit Ber. P 18 dicat A2 B V d e dictat A Ber. H Q Y dictet Ber.2 distat P 19 desederit F O G c e2 descenderit B Bg. H Q Y d e, sed cf. Aetna 104 20 defluxerit H d e 21 et Ω ut Lievens et Heins ♦ ex P a Barth ♦ qua Ω qui Rigler et Heyne 22 huic Cu. G H Q Plant. hinc O P

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[57–58] Bacchus liebt die Naiade (die Schutzgöttin der Quellen und Flüsse). Machst du Pause, ach du langsamer Diener? Die richtige Mischung verleihe Quellwasser aus Marcius’ Leitung dem an Jahren reichen Wein. [59–60] Nicht will ich, wenn die Tischgesellschaft meiner Tafel geflohen hat ein flatterhaftes Mädchen, das sich sehnt nach einem fremden Bett, [61–62] ruhelos Seufzer wiederholen in der ganzen Nacht. Du, Junge, gib zu dem verdünnten beherzter reinen Wein hinzu! [63–64] Schon längst hätte ich, die Schläfen befeuchtet mit tyrischer Narde, die Haare mit Girlanden verflochten haben sollen. Lobgesang auf Messalla 7 (= 4,1) [1–6] Dich, Messalla, will ich besingen, obschon deine wohlbekannte Tüchtigkeit mich schreckt. Wiewohl den Anforderungen nicht standhalten können meine schwachen Kräfte, will ich dennoch beginnen. Doch wenn meine Verse die Lobpreisungen, die du verdient hast, verfehlen sollten, möchte ich wenigstens als schlichter Schilderer so großen Leistungen dienen. Ohnehin vermöchte außer dir kein Mensch zu vertexten auf Blatt Papier deine Taten, ohne dass den Worten größere Taten den Rang abliefen. [7–11] Es genügt mir, es gewollt zu haben – und weise meine kleinen Gaben nicht zurück! Selbst einem Phoibos hat hochwillkommene Geschenke der Kreter überbracht, und einem Bacchus war Ikaros als Gastfreund genehmer als alle miteinander, wie es bei klarem Himmel die Gestirne Erigone und ›Hund‹ bezeugen, damit es nicht leugne eine zu weit vom Geschehen entfernte Nachwelt. [12–15] Ja, sogar der Alkide, dem es bestimmt war, als Gott hinaufzusteigen zum Olymp, setzte seine Füße freudig auf Melochorchs Boden, und des Himmels Götter hat noch immer versöhnt eine winzige Prise Salz, und ihnen zu Ehren sinkt nicht allzeit ein Stier mit vergoldetem Gehörn als Schlachtopfer zu Boden. [16–23] Auch diese kleine Arbeit sei genehm, dass ich fortan, dir erkenntlich, kann verfassen einen um den anderen Vers. Ein Anderer schildere das wunderbare Werk des gewaltigen Weltalls, wie in einer unermesslichen Luftschicht, der Atmosphäre, sich niedersetzte die Erde, und wie das Weltmeer, der Okeanos, zusammenströmte zu einem Kreisbogen und auf welchem Weg von den Ländern der Erde sich wandernd zu erheben strebt die Luft und, mit ihr verwoben, überallhin strömt der feurige Aether, und wie alles abgeschlossen wird von dem sich darüber wölbenden Himmel.

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[24–27] at quodcumque meae poterunt audere Camenae, seu tibi par poterunt seu, quod spes abnuit, ultra sive minus – certeque canent minus –, omne vovemus hoc tibi, nec tanto careat mihi carmine charta. [28–32] nam quamquam antiquae gentis superant tibi laudes, non tua maiorum contenta est gloria fama, nec quaeris quid quaque index sub imagine dicat, sed generis priscos contendis vincere honores, quam tibi maiores maius decus ipse futuris. [33–39] at tua non titulus capiet sub nomine facta, aeterno sed erunt tibi magna volumina versu, convenientque tuas cupidi componere laudes undique quique canent vincto pede quique soluto. quis potior, certamen erit: sim victor in illis, ut nostrum tantis inscribam nomen in actis. nam quis te maiora gerit castrisve forove? [40–44] nec tamen hic aut hic tibi laus maiorve minorve; iusta pari premitur veluti cum pondere libra, prona nec hac plus parte sedet nec surgit ab illa, qualis, inaequatum si quando onus urget utrimque, instabilis natat alterno depressior orbe. [45–47] nam seu diversi fremat inconstantia vulgi, non alius sedare queat; seu iudicis ira sit placanda, tuis poterit mitescere verbis. [48–53] non Pylos aut Ithace tantos genuisse feruntur Nestora vel parvae magnum decus urbis Vlixem, vixerit ille senex quamvis, dum terna per orbem saecula fertilibus Titan decurreret horis, ille per ignotas audax erraverit urbes, qua maris extremis tellus includitur undis.

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24 at G Plant. et O B H P Q Y ♦ quocumque P Y ♦ audire Ber. 25 sed quod Ber. P d e ♦ ultro P 26 uouemus F Ω mouemus B mouemur P 27 ne d e Plant. ♦ carmine F Ω Y nomine G Ald. (1502) 28 quamuis antiqu(a)e superent pr(a)econia gentis Flor. 30 quid quaque index F quid qua iudex Ω quid quam iudex H quicquam iudex P 31 uincere sed priscos generis contendis honores Flor. 32 futurus Bg. H P Q Y 36 iuncto O H c, sed cf. codd. ad 1,1,64 et 1,5,67 37 qui Cu. ♦ potior Q C potius O B Bg. H P Plant. 39 nam quis te F nam quique tibi Acorr V namque tibi H Y quisque tibi Ber. Bg. P Q quis tibi nam C nec quisquam Flor. G ♦ castrisue foroue Flor. Y Plant. cart(h)isue foroue Ber. H cartisue foroque Q chartisue foroue G cartisne foroue A V Ber.2 cartis ue foro eu P 40 vers. om. Ber. H Y ♦ hic aut hic tibi F Bg. G P Q V2 hic aut tibi A V h(a)ec aut h(a)ec tibi Flor. hinc aut hinc tibi Itali 43 qualis in(a)equatum Ω sed magis (a)equatum Flor. ♦ surget P d e 46 non alius Ω nemo magis Flor.

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[24–27] Doch einerlei, was wagen werden können meine Kamenen, die Musen, sei es, sie werden es dir ebenbürtig können, sei es – was die Hoffnung versagt – darüber hinauskommen oder aber darunter bleiben, und gewiss wird ihr Gesang darunter bleiben: All dies weihe ich dir, und an so hoher Liedkunst mangele mir nicht das Gedichtblatt. [28–32] Denn obwohl überkommen dir ist eines alten Geschlechtes Berühmtheit, gibt sich dein Ehrgeiz nicht zufrieden mit dem Ruf der Ahnen und fragst du nicht danach, was die Aufschrift unter einer jeden Büste aussagt, sondern strengst dich an, zu übertreffen deines Geschlechtes vormaligen Ämter und Würden, selber eine größere Zierde für die Nachkommen als die Ahnen für dich. [33–39] Doch wird nicht die Ehreninschrift unter dem Namen all deine Taten fassen, sondern umfängliche Schriftrollen mit unvergänglicher Verskunst werden gewidmet dir sein, und es werden Leute zusammenkommen von überall, die darauf erpicht sind, Lobreden auf dich zu verfassen – solche, die in der gebundenen Sprache des Versfußes wie auch solche, die in ungebundener dich verherrlichen werden. Wer erfolgreicher ist, wird Gegenstand eines Wettstreits sein. Wäre ich doch nur siegreich im Kreis seiner Teilnehmer, um meinen Buchtitel auf die Würdigung so großer Leistungen zu setzen! Denn wer vollbringt bedeutendere als du, ob im Felde oder auf dem Forum? [40–44] Und doch genießt du weder hier noch dort größere oder kleinere Anerkennung – wie eine richtig anzeigende Waage, wenn ihre Schalen von gleichen Gewichten herabgedrückt werden, weder sich mehr zu dieser Seite neigend senkt noch sich hebt auf jener, wie, falls einmal ungleiche Last beidseits auf sie einwirkt, sie unbeständig in dem Wechsel schwankt, in dem die eine ihrer beiden Schalen niedriger steht als die andere. [45–47] Denn wenn auseinandertriftend tobte die wankelmütige Menge, vermöchte kein Anderer sie zu beschwichtigen, oder wenn eines Richters Zorn es zu besänftigen gelten sollte, wird er milde gestimmt werden können durch deine Worte. [48–53] Nicht Pylos oder Ithaka wird nachgesagt, so große Männer hervorgebracht zu haben mit einem Nestor oder – einer kleinen Stadt große Zierde – einem Odysseus, obschon der eine jener beiden lebte als Greis, bis Hyperions Sohn Helios, der Titan, drei Menschenalter im Kreis durchlief in fruchtbaren Jahreszeiten, der andere aber verwegen von einer unbekannten Stadt zur anderen irrte, wo die Erde am Ende der Welt umschlossen wird von Meereswogen.

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[54–81] nam Ciconumque manus adversis reppulit armis, nec valuit lotos captos avertere cursus, cessit et Aetnaeae Neptunius incola rupis victa Maroneo foedatus lumina baccho, vexit et Aeolios placidum per Nerea ventos, incultos adiit Laestrygonas Antiphatenque, nobilis Artacie gelida quos irrigat unda, solum nec doctae verterunt pocula Circes, quamvis illa foret Solis genus, apta vel herbis aptaque vel cantu veteres mutare figuras; Cimmerion etiam obscuras accessit ad arces, quis numquam candente dies apparuit ortu, seu supra terras Phoebus seu curreret infra; vidit, ut inferno Plutonis subdita regno magna deum proles levibus discurreret umbris, praeteriitque cita Sirenum litora puppi. illum inter geminae nantem confinia mortis nec Scyllae saevo conterruit impetus ore, cum canibus rabidas inter fera serperet undas, nec violenta suo consumpsit more Charybdis, vel si sublimis fluctu consurgeret imo, vel si interrupto nudaret gurgite pontum. non violata vagi sileantur pascua Solis, non amor et fecunda Atlantidos arva Calypsus, finis et erroris miseri Phaeacia tellus. atque haec seu nostras inter sunt cognita terras, fabula sive novum dedit his erroribus orbem, sit labor illius, tua dum facundia, maior.

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55 nec Q e non O H P ♦ lotos Scaliger lothos F cy(i)clops A2 B Ber. G H P Q V C ciclyps A ♦ captos F c(o)eptos Ber. H P Q, sed cf. Acc. praetext. 37 Ribbeck et Plaut. Bacch. 325 tempus A V ♦ auertere Ber. P Q Plant. euertere Cu. aduertere B, corr. B1 conuertere G H V uertere A d 56 et Ber. G H P Q Plant. et superscr. V2, om. A V 60 artacie V recc. Ald. Plant. atracie Q artacre A Ber. P Y et in marg. add. V2 arcadiae H ♦ gelida Broekhuyzen gelidos Ω ♦ irrigat Ω erigit F 68 umbris G2 H ς Ald. Plant. undis O P Q C 70 inter geminae F tergemin(a)e Bg. G H Q A1 Ber.2 V2 C ter geminem P tibi geminae Ber. termin(a)e A V ♦ nautem A Bg. V, corr. V1 71 ore F orbe Ω orbe ex orbem P 72 rapidas B d e Plant. ♦ fera G freta Ω 73 more Bg. P Q in ore O d e 77 calipsus G2 ς caly(i)psos O H P Q 78 erroris F errorum Ω ♦ miseri F Ω misero Ald. (1515) 79 hoc Ber. P ♦ inter sint P intersint Q

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[54–81] Denn der Kikonen Scharen warf er zurück mit gegen sie gekehrten Waffen, und der Lotos vermochte ihn nicht von dem eingeschlagenen Kurs abzulenken, sondern es unterlag ihm Neptuns in einer Felsgrotte des Aetna hausender Sohn, ward doch scheußlich zugerichtet sein von Marons Wein übermanntes Auge, und er verschiffte Aiolos’ Winde über die friedliche See des Meergottes Nereus, landete bei den ungeschlachten Laistrygonen und Antiphates, deren Land die berühmte Artakia bewässert mit dem eiskalten Wasser ihrer sprudelnden Quelle, und es verwandelten einzig und allein ihn nicht die Becher mit dem Zaubertrank der darin bewanderten Kirke, obschon sie des Sonnengottes Spross war, fähig, bald mit Kräutern, und fähig, bald mit Gesang das alte Aussehen von Menschengestalten zu verändern. Sogar zu der Kimmerier finsteren Feste ist er hingegangen, denen noch niemals der Tag sich gezeigt hat mit strahlend aufgehender Sonne, einerlei, ob Phoibos über der Erde oder darunter seine Bahn abliefe. Er sah, wie, Plutos Unterweltsherrschaft unterworfen, die große Nachkommenschaft von Göttern durcheinanderlief in Gestalt von luftigen Schatten, und fuhr an der Sirenen Gestade vorbei mit schnell bewegtem Schiff. Ihn hat, während er zwischen den Grenzscheiden eines doppelten Todes schwamm, weder Skyllas Angriff mit dem grimmigen Maul eingeschüchtert, als sie mit ihren Hunden sich wildwütig inmitten tobender Wogen an ihn heranschlängelte, noch gnadenlos auf ihre Weise Charybdis vertilgt, einerlei, ob sie hoch sich erhob vom Boden der Strömung oder ob sie durch die Spaltung des Strudels entblößte den Meeresgrund. Nicht verschwiegen werde die Entweihung der Weidegründe des wandernden Sonnengottes, nicht die Liebe und die fruchtbaren Felder Kalypsos, der Tochter des Atlas, und das Ende der leidvollen Irrfahrt, das Land der Phaiaken. Und einerlei, ob dies wohlbekannte Schauplätze sind inmitten unserer Länder oder die Sage diesen Irrfahrten eine neue Welt gegeben hat – die Mühsal jenes Helden mag getrost, solange nur deine Redegabe größer als seine ist, größer als deine sein.

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[82–97] nam te non alius belli tenet aptius artes: qua deceat tutam castris praeducere fossam, qualiter adversos hosti defigere cervos, quemve locum ducto melius sit claudere vallo, fontibus ut dulces erumpat terra liquores, ut facilisque tuis aditus sit et arduus hosti, laudis et adsiduo vigeat certamine miles, quis tardamve sudem melius celeremve sagittam iecerit aut lento perfregerit obvia pilo, aut quis equum celeremve arto compescere freno possit et effusas tardo permittere habenas inque vicem modo derecto contendere passu, seu libeat, curvo brevius convertere gyro, quis parma, seu dextra velit seu laeva, tueri, sive hac sive illac veniat gravis impetus hastae, amplior aut signata cita loca tangere funda. [98–105] iam simul audacis venient certamina Martis adversisque parent acies concurrere signis, tum tibi non desit faciem componere pugnae, seu sit opus quadratum acies consistat in agmen, rectus ut aequatis decurrat frontibus ordo, seu libeat duplicem seiunctim cernere Martem, dexter uti laevum teneat dextrumque sinister miles sitque duplex gemini victoria casus.

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82 nam Flor. Ω iam Itali ♦ artes Ber. G H P Q artem Bg. arces Flor. artos A arthos V 83 perducere Bg. producere ed. princ. (1472) pr(a)edicere n 84 ceruos Itali neruos Flor. B Ber. G H Q d e uernos A P V nernos V2 86 montibus n, sed cf. codd. ad Prop. 3,19,6 fortibus a p 87 ut Flor. B Ber. P Q C et A G H V Y ♦ stabilisque n stabulisque Flor. 88 et Ω ut Flor. 89 melius tardamue sudem Flor. 90 miserit Flor. 91 aut quis Flor. P Q Ald. Plant. haut quis n at quis Ber. C et quis A H V ecquis G ♦ celeremue Flor. A B H V P d e celeremque Ayrmann celeremne Ber. G ♦ arcto P 93 derecto Baehrens directo Flor. A Ber. H P Q V2 direpto V 94 convertere Chr. Crusius contendere Flor. Ω 95 parma Fris. Flor. F H Y et superscr. Vo perma A V parua n peruia Ber. P ς permia Q Vo 96 ueniat grauis F Flor. grandis uenit Cu. O B G H P Q Vo d e 97 amplior F Flor. Ω amplius H aptior Francken ♦ aut Flor. Ω ut F P seu Q 98 aduersi Flor. ♦ uenient O B H P Y ueniant Flor. ueniunt Q Plant. 99 parent F Flor. Ω parant n Ald., in marg. corr. n2 100 tum Flor. Q d e tunc O B G H P 102 ut (a)equatis F Flor. in(a)equatis vel in (a)equatis Ω ♦ concurrat Q d e 103 seiunctim Claude de Saumaise seiunctum ς seu iunctum O Q Plant. ceu iunctum H seu uinctum Flor. seu uictum P 104 dexter uti F Flor. dexteraque ut O B H dextraque ut P dextraque et Q ♦ sinister F Flor. Ω Ber. sinistra Q ς sinistera Ber.2

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[82–97] Denn kein Anderer als du kennt genauer das Kriegshandwerk: wie vor einem Heerlager zu seinem Schutz einen Graben zu ziehen, auf welche Art zur Abwehr des Feindes Spanische Reiter einzuschlagen sich gut ausnimmt oder welcher Platz besser von einem um ihn gezogenen Schutzwall umschlossen wird, wenn es darum geht, dass aus Quellen erquickendes Brunnenwasser ausstößt die Erde und dass ebenso leicht der Zugang für deine Leute ist wie zu schwer für den Feind und der Soldat aufblüht vom ständigen Wettstreit um Anerkennung, wer besser entweder die langsame Pike oder den schnellen Pfeil durch die Luft wirbelt oder mit dem widerstandsfähigen Wurfspieß Hindernisse durchbricht oder wer sich darauf versteht, ein schnelles Pferd mit straffem Zügel im Zaum zu halten oder auch verhängt einem langsamen die Zügel schießen zu lassen und abwechselnd bald im gestreckten Galopp geradeaus zu rennen oder, wenn es beliebt, kürzer im Kreisbogen zu wenden, wer mit dem Schild, einerlei, ob er die rechte oder die linke Seite wählt, sich zu schützen weiß, wenn hier oder dort naht der wuchtige Stoß einer Lanze, oder aus weiterem Abstand mit wirbelnder Schleuder markierte Ziele zu treffen vermag. [98–105] Just in dem Augenblick aber, in dem kommen werden die Kämpfe eines kühnen Krieges und sich rüsten sollen die Truppen, zusammenzuprallen mit den gegnerischen Fähnlein, da gehe dir nicht die Fähigkeit ab, zu entwerfen das Aussehen der Schlacht, einerlei, ob nötig es sein sollte, dass das Heer so im Viereck sich aufstellt zur Marschordnung, dass geradewegs mit gleichmäßig verteilten Frontkämpfern herabstürmt die Kolonne, oder es sich anbietet, in der Weise getrennt zu entscheiden eine Doppelschlacht, dass der rechte Flügel den linken des Feindes im Zaun hält und den rechten des Feindes der linke und ein doppelter Sieg entspringt dem zweifachen Risiko.

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[106–117] at non per dubias errant mea carmina laudes; nam bellis experta cano. testis mihi victae fortis Iapydiae miles, testis quoque fallax Pannonius, gelidas passim disiectus in Alpes, testis Arupinis et pauper natus in arvis, quem si quis videat vetus ut non fregerit aetas, terna minus Pyliae miretur saecula famae. namque senex longae peragit dum saecula famae – centum fecundos Titan renovaverat annos –, ipse tamen velox celerem super edere corpus audet equum validisque sedet moderator habenis. te duce non alias conversus terga Domator libera Romanae subiecit colla catenae. [118–134] nec tamen his contentus eris: maiora peractis instant, compertum est veracibus ut mihi signis, quis Amythaonius nequeat certare Melampus. nam modo fulgentem Tyrio subtegmine vestem indueras oriente die duce fertilis anni, splendidior liquidis cum Sol caput extulit undis et fera discordes tenuerunt flamina venti, curva nec adsuetos egerunt flumina cursus, quin rapidum placidis etiam mare constitit undis, nulla nec aerias volucris perlabitur auras nec quadrupes densas depascitur aspera silvas, quin largita tuis sint muta silentia votis. Iuppiter ipse levi vectus per inania curru adfuit et caelo vicinum liquit Olympum intentaque tuis precibus se praebuit aure cunctaque veraci capite adnuit: additus aris laetior eluxit structos super ignis acervos.

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108 iapy(i)di(a)e man. rec. A G d e iapy(i)gi(a)e O B H Q e2 iapegie P hyapigiae Bg.2, om. Bg. 110 arupinis F et arpinis A P Q V Y1 et alpinis Ber. G H et hirpinis d e ♦ aruis Itali armis O B Bg. H P Q d e 112a namque senex longae peragit dum saecula famae O G P Y c Plant., om. Bg. H Q d e ♦ s(a)ecula Ω tempora J. H. Voß, sed cf. 3,7,51 et 3,7,112 ♦ famae O P uitae c J. H. Voß 113 renouauerat Ber. H P Q Y1 C d e renouauerit ς Ald. Plant. renouerat A V 115 gaudet ς 116 domator Ω recte, cf. Schulze, Eigennamen, 33 121 subtemine Estaço, Scaliger 127 nulla Ber.1 Q d e ulla A H P V Plant. nullas Ber. ♦ nec A H P V Q d e Plant. h(a)ec Ber. 129 sint Leid. Voss. O 81 et ς sunt Ω sit Huschke ♦ muta G2 ς multa Ω, sed cf. muta silentia in Ov. met. 4,433. 7,184. 10,53 et Silentia … muta in Stat. Theb. 10,91–92 131 affluit Q Vo d 133 aditus Ber. P d e, corr. Ber.2 134 purior G2 Q Vo d e l(a)etior superscr. Q2

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[106–117] Doch durchschweifen meine Lobgesänge keine zweifelhaften Ruhmestaten; denn ich preise darin durch Kriege erwiesene Erfolge. Zum Zeugen habe ich des besiegten Japydiens tapferes Fußvolk, zum Zeugen auch den hinterhältigen Pannonier, der überall verstreut war auf die eisigen Alpen, und zum Zeugen den armen, auf dem Boden von Arupiums Fluren geborenen Bauernsohn: Wenn jemand sähe, wie wenig ihn schwächte sein hohes Alter, würde er weniger staunen über die Lebenszeit von drei Menschenaltern der Sage von Nestor, dem Pylier. Denn während der Greis durchläuft die Menschenalter einer lange zurückliegenden Sage – hundert fruchtbare Jahre hatte Helios, der Titan, wiederkehren lassen –, wagt er, selber flink, gleichwohl sich zu schwingen auf sein schnelles Pferd und sitzt als Lenker hoch zu Ross mit festen Zügeln. Als du aber die Truppe führtest, beugte der »Bändiger« Domator, der sonst nie seinen Rücken zur Flucht gekehrt hatte, seinen, den Hals eines freien Mannes römischen Ketten. [118–134] Nicht jedoch wirst du dich mit diesen Erfolgen zufriedengeben. Größere als die errungenen stehen nahe bevor, wie ich es deutlich ersah aus untrüglichen Zeichen, mit denen sich nicht messen könnte Amythaons Sohn Melampus. Denn eben erst hattest du das von tyrischem Zwirn [Garn] leuchtende Gewand angelegt, als heraufdämmerte der ein gesegnetes Jahr einleitende Tag, als, strahlender noch als sonst, der Sonnengott sein Haupt erhob aus klaren Meereswogen, ihr stürmisches Wehen im Zaum hielten die zwieträchtigen Winde und die kurvigen Flüsse nicht einschlugen ihre gewohnten Bahnen, ja, sogar die ungestüme See zum Stillstand kam durch friedliche Wogen und weder irgendein Vogel durch die Himmelslüfte schwebt noch irgendein struppiger Vierfüßler abfrisst das Dickicht von Wäldern, ohne stummes Schweigen gespendet zu haben deinen Gebeten. Iuppiter persönlich ist durch der Lüfte leeren Räume angefahren gekommen mit seinem leichten Wagen, verließ den dem Himmel benachbarten Olymp, zeigte sich deinen Gebeten aufgeschlossen mit aufmerksamem Ohr und sagte alles mit einem Nicken seines wahrheitsliebenden Hauptes zu: Angefacht für den Altar, loderte herrlicher das Feuer empor noch über die aufgeschichteten Haufen von Gaben hinaus.

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[135–146] quin hortante deo magnis insistere rebus incipe; non idem tibi sint aliisque triumphi: non te vicino remorabitur obvia Marte Gallia nec latis audax Hispania terris nec fera Theraeo tellus obsessa colono, nec qua vel Nilus vel regia lympha Choaspes profluit aut rapidus, Cyri dementia, Gyndes, aret Arectaeis aut unda perhospita campis, nec qua regna vago Tamyris finivit Araxe, impia nec saevis celebrans convivia mensis ultima vicinus Phoebo tenet arva Padaeus, quaque Hebrus Tanaisque Getas rigat atque Magynos. [147–150] quid moror? Oceanus ponto qua continet orbem, nulla tibi adversis regio sese offeret armis. te manet invictus Romano Marte Britannus teque interiecto mundi pars altera sole. [151–157] nam circumfuso consistit in aere tellus et quinque in partes toto disponitur orbe. atque duae gelido vastantur frigore semper: illic et densa tellus absconditur umbra, et nulla incepto perlabitur unda liquore, sed durata riget densam in glaciemque nivemque, quippe ubi non umquam Titan super egerit ortus.

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136 non Itali Ald. (1502) Plant. nunc O H P Y ♦ sint P erunt Lachmann sunt O B H Q d e 139 t(h)er(a)eo ς teraeo Y2 te tereo A tetereo Ber. H Q V Y c threicio G tenero P tartareo d e r(h)eteo ς Ald. Plant. 140 choaspes G Itali dy(i)aspes F O H diaspos P dryaspes Q ς 141 gyndes Itali Ald. cy(i)dnus F O B Q Y c d cindus H cirus P 142 aret Lachmann, arectaeis Scaliger ardet arectais F creteis ardet O H P chretheis ardens Q ♦ perhospita F cari(y)stia O H P Q 144 nec Ω uel ς 146 magynos F maginos O B G P Q Y c magistros d e molosos H 155 incepto Ω incerto Guyet inriguo Shackleton Bailey in tecto Q, corr. Q2

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[135–146] Ja, da sogar der Gott dich dazu anspornt, beginne auf große Erfolge zu dringen! Nicht dieselben Triumphe seien dir und den Anderen beschieden. Nicht wird dich, stellt es sich dir mit einem Grenzkrieg in den Weg, Gallien aufhalten, so wenig wie das mit Rückendeckung seiner weiten Landschaften wagemutige Spanien, so wenig wie das von Theras Siedlern besetzte wilde Land, so wenig wie die Landschaften, wo der Nil oder der Königsfluss Choaspes entströmt oder der reißende Gyndes, Opfer des blinden Jähzorns eines Kyros, versiegt ist oder vielmehr sein sich Arektas Ebenen überaus gastlich zeigender Wellengang es ist, und so wenig wie die Landschaften, wo Tamyris ihr Königreich abgrenzte mit dem vagabundierenden Araxes oder, an wüsten Tischen frevlerische Festessen veranstaltend, die fernöstlichsten Fluren in Besitz hält der Phoibos benachbarte Padaier und wo der Hebrus und der Tanaïs bewässern die Böden der Geten und Magynen. [147–150] Doch was halte ich mich dabei auf? Wo Okeanos mit seinem Weltmeer umfängt den Erdkreis, wird keine Gegend sich dir anbieten mit einer feindlichen Streitmacht. Auf dich wartet der vom Römer im Krieg noch unbesiegte Britannier und auf dich – durch die dazwischen verlaufende Bahn der Sonne bedingt – des Weltalls andere Hälfte. [151–157] Denn es ruht in Luft, die sie umströmt, die Erde und gliedert sich in fünf Zonen mit dem ganzen Rund ihrer Fläche, und davon sind zwei von eisiger Kälte verödet allzeit. Dort hüllt sich die Erde in undurchdringliche Finsternis und gleitet kein Wasserlauf von seinem Beginn bis ans Ende, sondern erstarrt er, verhärtet zu einer dichten Eisschicht und Schneedecke, hat doch dort noch nie der Titan darüber hinaus fortgeführt seinen Aufgang.

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[158–176] at media est Phoebi semper subiecta calori, seu propior terris aestivum fertur in orbem seu celer hibernas properat decurrere luces; non igitur presso tellus exsurgit aratro, nec frugem segetes praebent neque pabula terrae; non illic colit arva deus, Bacchusve Ceresve, nulla nec exustas habitant animalia partes. fertilis hanc inter posita est interque rigentes nostraque et huic adversa solo pars altera nostro, quas similis utrimque tenens vicinia caeli temperat, alter et alterius vires necat aer; hinc placidus nobis per tempora vertitur annus, hinc et colla iugo didicit submittere taurus et lenta excelsos vitis conscendere ramos, tondeturque seges maturos annua partus, et ferro tellus, pontus confinditur aere, quin etiam structis exsurgunt oppida muris. ergo ubi per claros ierint tua facta triumphos, solus utroque idem diceris magnus in orbe. [177–180] non ego sum satis ad tantae praeconia laudis, ipse mihi non si praescribat carmina Phoebus. est tibi, qui possit magnis se accingere rebus, Valgius: aeterno propior non alter Homero. [181–189] languida non noster peragit labor otia, quamvis Fortuna, ut mos est illi, me adversa fatiget. nam mihi, cum magnis opibus domus alta niteret, cui fuerant flavi ditantes ordine sulci horrea fecundas ad deficientia messes, cuique pecus denso pascebant agmine colles, et domino satis et nimium furique lupoque, nunc desiderium superest; nam cura novatur, cum memor ante actos semper dolor admonet annos.

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159 proprior B Ber. P d 161 igitur F ergo Ω 164 nulla O P1 nullas P ulla H Q ς 165 rigentes A1 Ber. Q Plant. rigentem A2 B H P V d e 167 utrim(n)que Cu. G2 H Q Plant. utrique O G uterque P 168 alter Ω alteram F ♦ necat Itali negat Ω 169 uertitur H V, om. A, sed man. rec. suppl. A1 uertiter B labitur Ber. P Q d e Plant. 170 hinc Ber. H P Q G V d e huic A hic B c 171 lenta Ω l(a)eta G H V, sed cf. Verg. georg. 1,265 173 confinditur G Ald. Plant. confunditur Ω 174 ex(s)urgunt G H Q e exurgitat O B c exurgitant P 175 per claros Leid. Voss. O 76 Scaliger pr(a)eclaros F Ω ♦ ierint F poscent Ω 176 magnus in Ω maximus Q Vo c 178 ipsa P 181 non Ω nec Heyne 185 fecundas ad deficientia F fecundis indeficientia Ω ♦ messes F messis Scaliger mensis Ω 189 ante actos F accitos B G H Q d e accitus O c acitus P ♦ admouet H c e, sed. cf. codd. ad 1,6,50, 1,6,84, 2,5,68 et 3,4,11

Buch 3

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[158–176] Doch die mittlere Zone ist immer ausgeliefert der Gluthitze des Phoibos, sei es, dass er, den Ländern der Erde näher, sich in den Sommerkreislauf stürzt, sei es, dass er geschwind sich beeilt, die Bahn der Wintertage abzulaufen. Nicht erhebt folglich zu Schollen, den Kämmen von Furchen, sich die Erde vom Druck eines Pflugs; weder liefern Korn die Saaten noch Grünfutter die Böden. Nicht bestellt dort die Fluren eine Gottheit, ob Bacchus oder Ceres, und keinerlei Lebewesen bewohnen die verdorrten Zonen. Eine fruchtbare ist zwischen diese und die kältestarrenden gesetzt, nämlich unsere, und diesem unseren Erdboden gegenüberliegend eine zweite Zone – zwei ähnliche, die beidseits die beherrschende nachbarschaftliche Nähe des Himmels mäßigt, und dabei vernichtet die eine von beiden Lufthüllen die Kräfte der anderen. Hiervon rührt her, dass freundlich uns durch seine Zeiten kreist das Jahr, und hiervon her, dass seinen Nacken dem Joch zu beugen lernte der Stier und hochzuklettern an hochragenden Ästen die biegsame Rebe, und dass abgemäht wird alljährlich das Saatland, wenn reif dafür sind seine Erzeugnisse, und vom Eisen der Pflugschar die Erde, das Meer aber vom Erz des Rammbugs gespalten wird, ja sogar Städte sich erheben durch den Bau von Mauern. Also wirst, sobald deine Erfolge fortgeschritten sind von einem glänzenden Triumph zum anderen, du allein in einer Person als groß gerühmt werden auf beiden Hälften des Erdkreises. [177–180] Nicht genügte ich den Anforderungen, als dein Herold zu verkünden so hohes Lob, wenn Phoibos mir nicht persönlich vorzeichnete die Lieder. Du aber hast einen, der sich gürten könnte für so große Aufgaben, in Valgius; kein Zweiter kommt näher dem unsterblichen Homer. [181–189] Zeiten schlaffen Müßiggangs durchläuft mein emsiges Bemühen aber nicht, obschon Fortuna, wie es ihre Gewohnheit ist, mich feindselig zermürbt. Denn während mir, als mein Haus noch hochherrschaftlich im Glanze großen Wohlstands erstrahlte, goldgelbe Äcker hatten gehört, deren Furchen der Reihe nach so reichlich ergiebige Ernten abwarfen, dass es den Scheunen an Platz dafür mangelte, und Herdenvieh in so dichtem Gedränge Hügel abweidete [abgraste], dass ich als sein Eigentümer genug und zuviel hatten Dieb und Wolf, verbleibt mir jetzt nur noch die Sehnsucht; denn der Kummer überkommt mich jedesmal von neuem, wenn mich die Wehmut, mit der ich daran zurückdenke, stets erinnert an die zuvor verbrachten Jahre.

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[190–196] sed licet asperiora cadant spolierque relictis, non te deficient nostrae memorare Camenae. nec solum tibi Pierii tribuentur honores: pro te vel rapidas ausim maris ire per undas, adversis hiberna licet tumeant freta ventis, pro te vel densis solus subsistere turmis vel parvum Aetnaeae corpus committere flammae. [197–200] sum quodcumque, tuum est. nostri si parvula cura sit tibi, quanta libet, si sit modo, non mihi regna Lydia, non magni potior sit fama Gylippi, posse Meleteas nec mallem vincere chartas. [201–211] quod tibi si versus noster, totusve minusve, vel bene sit notus, summo vel inerret in ore, nulla mihi statuent finem te fata canendi. quin etiam mea tunc tumulus cum texerit ossa, seu matura dies celerem properat mihi mortem, longa manet seu vita, tamen, mutata figura seu me finget equum rigidos percurrere campos doctum seu tardi pecoris sim gloria taurus sive ego per liquidum volucris vehar aera pennis, quandocumque hominem me longa receperit aetas, inceptis de te subtexam carmina chartis.

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VIII (= IV 2) [1–2] Sulpicia est tibi culta tuis, Mars magne, kalendis; spectatum e caelo, si sapis, ipse veni! [3–4] hoc Venus ignoscet; at tu, violente, caveto ne tibi miranti turpiter arma cadant. [5–6] illius ex oculis, cum vult exurere divos, accendit geminas lampadas acer Amor; [7–8] illam, quidquid agit, quoquo vestigia movit, componit furtim subsequiturque Decor. [9–10] seu solvit crines, fusis decet esse capillis; seu compsit, comptis est veneranda comis.

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190 relictis H Ald. Plant. relictus O B P Q e 192 non P 193 rabidas c Baehrens ♦ ausim Ω ausi F 195 subsistere F Ω susistere H obsistere Q d e 196 paruum Ω parum Ber., corr. Ber.2 pronum Burman vivum Shackleton Bailey 197 quodcumque G H Ald. Plant. quidcumque O Q quicumque P 198 sit Ω sint F d e 200 nec om. A V, sed add. V2 ♦ uincere F mittere Ω ♦ chartas H cartas F Ber. Q P V carthas A 202 in erret in ore H inh(a)eret in ore Y d e inhaeret in orbe Q inhereat orbe ς ineret in ore P 203 statuent Ber. G1 H Q Plant. statuunt A B P V Y 205 celerem F fato Ω 210 quandocumque F in quem(n)cum(n)que O B P Q in qu(a)ecumque H in quodcumque d e VIII 3 h(a)ec P sed Y 6 lampades Cu. G H Q C ♦ mouit Ω flectit H

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[190–196] Doch mag noch Bittereres mich treffen und ich beraubt werden des mir Verbliebenen, so werden doch dich zu würdigen nicht aufhören meine Musen, die Kamenen. Und nicht nur werden dir erwiesen werden dichterische Ehren. Für dich würde ich es sogar wagen, reißende Meeresfluten zu durchschreiten, mag auch winterbedingt anschwellen die Brandung durch widrige Winde, oder für dich mich sogar trauen, auf mich allein gestellt Widerstand zu leisten dicht gestaffelten Schwadronen, oder meinen schmächtigen Körper auszusetzen den lodernden Flammen des Aetna. [197–200] Einerlei, was ich bin, es ist dein. Wenn du um mich nur ein klein wenig dich kümmertest, schätzte ich höher als deine Anteilnahme, gleichviel, wie groß sie ist, nicht das Königreich Lydien, nicht den Ruf des großen Gylippos, und wollte ich nicht lieber übertreffen können die Werke des Melesstädters Homer [201–211] Drum werden, wenn dir meine Verskunst, ob gänzlich oder teilweise, sich gut eingeprägt haben oder auf deinen Lippen verlaufen sollte, keinerlei Schicksalsschläge ein Ende setzen dem dich preisenden Gesang. Ja, sogar dann, wenn ein Grabhügel bedeckt haben wird meine Gebeine, werde ich, sei es, mich ereilt vor der Zeit ein schneller Tod, sei es, mir verbleibt ein langes Leben, dennoch, einerlei, ob eine Verwandlung meiner Gestalt mich zu einem Pferd umformen wird, das über brettharte Ebenen zu rennen geschult ist, oder einer langsamen Viehherde Berühmtheit ich bin als Stier oder ich als Vogel durch klare Lüfte fliege mit Schwingen, wann immer als Menschen mich wiederaufgenommen haben wird ein langes Nachleben, Verse texten, um unten sie anzufügen den dir zum Lob begonnenen Blättern. Sulpicia 8 (= 4,2) [1–2] Sulpicia wurde für dich zurechtgemacht an deinen Kalenden, großer Mars. Komme, um sie dir anzuschauen, wenn bei Verstand du bist, persönlich vom Himmel! [3–4] Dies wird Venus verzeihen. Doch du, ungestümer Gott, gib acht, dass dir nicht vor Bewunderung zu deiner Schande die Waffen zu Boden fallen! [5–6] An ihren Augen entzündet, wenn heftig entflammen er will die Götter, ein Paar Fackeln der heißblütige [hitzige] Amor. [7–8] Sie gestaltet und geleitet, was sie auch treibt, wohin sie auch ihre Füße bewegte, verstohlen der Liebreiz. [9–10] Sei es, sie hat gelöst ihre Haare, steht ihr gut, eine mit wallendem Haar zu sein, sei es, sie hat sie gekämmt, ist sie anbetungswürdig mit gekämmtem Haar.

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[11–12] urit, seu Tyria voluit procedere palla; urit, seu nivea candida veste venit. [13–14] talis in aeterno felix Vertumnus Olympo mille habet ornatus, mille decenter habet. [15–16] sola puellarum digna est, cui mollia caris vellera det sucis bis madefacta Tyros, [17–18] possideatque, metit quidquid bene olentibus arvis cultor odoratae dives Arabs segetis, [19–20] et quascumque niger rubro de litore gemmas proximus Eois colligit Indus aquis. [21–22] hanc vos, Pierides, festis cantate kalendis, et testudinea Phoebe superbe lyra. [23–24] hoc sollemne sacrum multos haec sumet in annos: dignior est vestro nulla puella choro.

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IX (= IV 3) [1–2] Parce meo iuveni, seu quis bona pascua campi seu colis umbrosi devia montis aper, [3–4] nec tibi sit duros acuisse in proelia dentes; incolumem custos hunc mihi servet Amor. [5–6] sed procul abducit venandi Delia cura: o pereant silvae deficiantque canes! [7–8] quis furor est, quae mens densos indagine colles claudentem teneras laedere velle manus? [9–10] quidve iuvat furtim latebras intrare ferarum candidaque hamatis crura notare rubis? [11–12] sed tamen, ut tecum liceat, Cerinthe, vagari, ipsa ego per montes retia torta feram, [13–14] ipsa ego velocis quaeram vestigia cervi et demam celeri ferrea vincla cani. [15–16] tunc mihi, tunc placeant silvae, si, lux mea, tecum arguar ante ipsas concubuisse plagas: [17–18] tunc veniat licet ad casses, inlaesus abibit, ne veneris cupidae gaudia turbet, aper.

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14 mille habet Q C Plant. mille hunc O B G H P, corr. G2 mille hic in marg. Ber.2 ♦ decentior Ber., corr. Ber.2 decentus Q Vo, sed cf. decenter in Prop. 4,2,45 23 haec sumet F H et superscr. V2 hoc sumet A B Cu. P V V1 Y hoc summet Ber. V2 hoc sumat ς consummet Scaliger hoc fumet Bg. Leid. Voss. O 81 d e celebretur Q Vo 24 nostro B Ber. Bg. ♦ c(h)oro H t(h)oro O B P Q Y IX 1 campis M P Q Vo 3 pr(o)elia F pectore O B G H P Q C pectora ς 5 adducit V, corr. V2 obducit Q Vo abdicit P 12 ipse H P ♦ geram G 18 ne B Bg. Cu. G H Q d e Plant. et in marg. V2 da O P

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[11–12] Sie entflammt, wollte sie ausgehen in einer purpurnen Robe aus tyrischem Stoff; sie entflammt, kommt in einem schneeweißen Gewand blendend aussehend sie daher. [13–14] So wie sie trägt der segensreiche Vertumnus auf dem ewigen Olymp tausend Trachten, trägt die tausend er kleidsam. [15–16] Als einziges von allen Mädchen verdient sie es, dass Tyros ihr weiche Schafwolle schenkt, die zweimal durchtränkt wurde von den kostspieligen Purpursäften tyrischer Schnecken, [17–18] und besitzt sie, was alles erntet der reiche Araber auf herrlich duftenden Gefilden als Bewirtschafter wohlriechenden Saatlands [19–20] und welche Perlen alle der dunkelhäutige Inder von des Roten Meeres Gestade aufsammelt in nächster Nähe morgenländischer Gewässer. [21–22] Sie lobpreiset zur Feier des Festtags an den Kalenden ihr, Töchter des Pieros, und du, auf deine schildpattfurnierte Leier stolzer Phoibos. [23–24] Die Gelegenheit ergreifen, die alljährlich dieser festliche Anlass gibt, wird sie auf viele Jahre. Würdiger ist kein Mädchen eures Chores. 9 (= 4,3) [1–2] Schone meinen jungen Liebsten, Eber, sei es, du bist einer, der die vortrefflichen Weiden der Ebene, sei es einer, der die abgelegenen des schattigen Berges aufsucht. [3–4] Und fern liege es dir, zu Kämpfen zu wetzen deine harten Hauer; unversehrt erhalte als sein Beschützer ihn mir Amor, der Liebesgott. [5–6] Doch weit von mir fort führt ihn Dianas, der Delierin, Jagdleidenschaft. Oh, gingen doch nur zum Teufel die Wälder, und verschwänden doch nur die Hunde! [7–8] Welch ein Wahnwitz ist’s, welch ein Irrsinn, damit beschäftigt, dicht bewachsene Hügel mit dem Fanggarn abzusperren, sich verletzen zu wollen die zarten Hände! [9–10] Oder welche Befriedigung verschafft es, verstohlen einzudringen in die Schlupfwinkel wildlebender Tiere und die weißen Unterschenkel sich blutig zu ritzen an stachligem Brombeergestrüpp? [11–12] Doch will gleichwohl, um gemeinsam mit dir, Cerinthus, umherstreifen zu können, selber ich von Berg zu Berg die zur Treibjagd gedrehten Netze tragen. [13–14] Selber will aufzuspüren ich suchen die Fährte des flinken Hirschen und abnehmen das eiserne Halsband dem hurtigen Jagdhund. [15–16] Dann, ja dann könnten mir gefallen die Wälder, wenn ich, mein Augenstern, überführt würde, mit dir geschlafen zu haben unmittelbar vor den Netzen der Treibjagd. [17–18] Dann wird, mag er auch kommen bis hin zu dem Netz, unverletzt abziehen der Eber, um nicht die Wonnen leidenschaftlicher Liebe zu stören.

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[19–20] nunc sine me sit nulla Venus, sed lege Dianae, caste puer, casta retia tange manu: [21–22] at quaecumque meo furtim subrepit amori, incidat in saevas diripienda feras. [23–24] at tu venandi studium concede parenti, et celer in nostros ipse recurre sinus.

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X (= IV 4) [1–2] ‘Huc ades et tenerae morbos expelle puellae, huc ades, intonsa Phoebe superbe coma! [3–4] crede mihi, propera, nec te iam, Phoebe, pigebit formosae medicas applicuisse manus. [5–6] effice ne macies pallentes occupet artus neu notet informis pallida membra color, [7–8] et quodcumque mali est et quidquid triste timemus, in pelagus rapidis evehat amnis aquis. [9–10] sancte, veni, tecumque feras, quicumque sapores, quicumque et cantus corpora fessa levant, [11–12] neu iuvenem torque, metuit qui fata puellae votaque pro domina vix numeranda facit. [13–14] interdum vovet, interdum, quod langueat illa, dicit in aeternos aspera verba deos.’ [15–16] ‘pone metum, Cerinthe! deus non laedit amantes; tu modo semper ama: salva puella tibi est. [21–22] nil opus est fletu: lacrimis erit aptius uti, si quando fuerit tristior illa tibi. [17–18] at nunc tota tua est, te solum candida secum cogitat, et frustra credula turba sedet.’ [19–20] ‘Phoebe, fave: laus magna tibi tribuetur in uno corpore servato restituisse duos. [23–24] iam celeber, iam laetus eris, cum debita reddet certatim sanctis laetus uterque focis. [25–26] tunc te felicem dicet pia turba deorum, optabunt artes et sibi quisque tuas.’

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19 nunc c tunc O B Bg. H P Q d e 20 tange F Ω tende B G 21 at F et Ω ♦ subrepit O P Q C subiecit uel surrepit Y sub(r)repet Cu. V2 X 1 depelle Q Vo 3 iam te H P Q Vo 6 pallida Ω tabida Guyet 8 rabidis A Ber. 13 interdum quod Ω interdumque H P 21–22 post v. 16 transposuerunt Bg. et Ald. (1515) 17 ac A Ber. P 20 sanato H 25 tunc Ω tum P

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[19–20] So aber sei ohne mich dir keinerlei Liebe vergönnt, sondern rühre nach Dianas Gesetz, keuscher Geliebter, die Netze mit keuscher Hand nur an! [21–22] Doch wenn eine Andere, einerlei wer, sich verstohlen einschleicht in das Herz meines Liebsten, gerate sie, um in Stücke gerissen zu werden, in die Fänge kampfwütiger Tiere der Wildnis. [23–24] Indes überlasse du die Jagdbegeisterung deinem Vater und laufe rasch von alleine in meine Arme zurück! 10 (= 4,4) [1–2] (Cerinthus:) »Hierzu erscheine und vertreibe die Krankheit meiner zarten Geliebten, hierzu erscheine, auf dein lockiges Haar stolzer Phoibos! [3–4] Glaube mir, beeile dich, und es wird dich fortan, Phoibos, nicht reuen, der Schönen aufgelegt zu haben deine heilenden Hände. [5–6] Sorge dafür, dass Abmagerung nicht befällt ihre bleichen Glieder und dass nicht entstellt ihre blassen Arme und Beine ein hässlicher Farbton, [7–8] sondern dass alles, was es an Leid gibt, und alles Traurige, das wir befürchten, ins Meer hinausschwemmt ein Strom mit seinen reißenden Fluten. [9–10] Heilbringer, komme und bringe bitte mit dir alle Wohlgerüche und alle Zaubersprüche, die entkräfteten Körpern aufhelfen [erschöpfte Körper aufrichten], [11–12] und martere nicht einen Jüngling, der bangt um das Schicksal seiner Geliebten und für seine Herrin kaum zählbare Gelübde tut. [13–14] Bisweilen gelobt er Dankopfer, bisweilen aber erhebt er, weil sie von ihrer Krankheit ermattet sei, bittere Vorwürfe gegen die unsterblichen Götter.« [15–16] (Apollon:) »Lege ab deine Angst, Cerinthus! Ein Gott tut Liebenden nicht weh! Liebe du nur allzeit! Genesen findest deine Geliebte du vor. [21–22] Mitnichten brauchst du zu weinen. Der Tränen dich zu bedienen wird passender sein, wenn irgendwann einmal missmutiger sie sich dir zeigt. [17–18] Doch im Augenblick ist sie ganz dein. An dich allein denkt aufrichtig sie im Stillen, und vergeblich hockt eine leichtgläubige Verehrerschar vor ihrer Tür.« [19–20] (Cerinthus:) »Phoibos, gib dazu deinen Segen! Großes Lob wird dir dafür gezollt werden, bei der Rettung des einen Leibs zwei Menschen wiederhergestellt zu haben. [23–24] Fortan wirst gefeiert, fortan froh du sein, wenn den schuldigen Dank um die Wette beide freudig abstatten werden an den dir geweihten Feuerstätten. [25–26] Dann wird dich glücklich preisen die holde Schar der Götter und sich ein jeder von ihnen deine Fähigkeiten wünschen.«

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XI (= IV 5) [1–2] Qui mihi te, Cerinthe, dies dedit, hic mihi sanctus atque inter festos semper habendus erit: [3–4] te nascente novum Parcae cecinere puellis servitium et dederunt regna superba tibi. [5–6] uror ego ante alias: iuvat hoc, Cerinthe, quod uror, si tibi de nobis mutuus ignis adest. [7–8] mutuus adsit amor, per te dulcissima furta perque tuos oculos per Geniumque rogo. [9–10] mane Geni, cape tura libens votisque faveto, si modo, cum de me cogitat, ille calet. [11–12] quod si forte alios iam nunc suspiret amores, tunc precor infidos, sancte, relinque focos. [13–14] nec tu sis iniusta, Venus: vel serviat aeque vinctus uterque tibi vel mea vincla leva; [15–16] sed potius valida teneamur uterque catena, nulla queat posthac quam solvisse dies. [17–18] optat idem iuvenis quod nos, sed tectius optat; nam pudet haec illum dicere verba palam. [19–20] at tu, Natalis, quoniam deus omnia sentis, adnue: quid refert, clamne palamne roget?

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XII (= IV 6) [1–2] Natalis Iuno, sanctos cape turis acervos, quos tibi dat tenera docta puella manu; [3–4] tota tibi est hodie, tibi se laetissima compsit, staret ut ante tuos conspicienda focos. [5–6] illa quidem ornandi causas tibi, diva, relegat; est tamen, occulte cui placuisse velit. [7–8] at tu, sancta, fave, neu quis divellat amantes, sed iuveni, quaeso, mutua vincla para. [9–10] sic bene compones: ullae non ille puellae servire aut cuiquam dignior illa viro.

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XI 1 qui mihi F est qui Ω 3 puell(a)e d e 4 dederunt G2 et Plant. dederant Ω Y, sed cf. profueruntve in 2,3,12 et contulerunt in Prop. 2,3,25 dederat Q 6 ne de O, sed ne del. Ber.2 V1 7 per te F O B H P Q C te per Bg. G ed. Reg. 9 mane Ω Plant. magne vel alme Itali 10 calet Itali ualet Ω Y uallet P uolet F 12 tunc Ω tum ς tu Itali 13 nec sis nunc Q Vo nec sis P nec tuscis Bg. 16 quam Plant. et in marg. Ber.2, om. A B qu(a)e Ber. P nos Bg. G H Q Y C et sup. ras. V2 ♦ exsoluisse B 17 tectius Itali tutius Ω Y Plant., sed cf. tectius in Ov. ars 1,276 18 h(a)ec Ber. G H Q V2 Plant. hoc A B P V hic Brux. 14638 20 refert Ber.2 G Q V1 referet A V refer Ber. defert P ♦ clamne palamne Itali Plant. clamne palamue Ber. clamue palamue A G P Q V Y XII 3 tota Ω toga P lota in marg. Plant. (1569) 5 ornandi G1 et Plant. orandi O Bg. H P Q C 7 neu quis F ne nos Ω Y neue id ς 9 ullae F Ω 10 cuidam O B H P C

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11 (= 4,5) [1–2] Der Tag, der dich, Cerinthus, mir beschert hat, er wird von mir immer heilig zu halten und zu den Festtagen zu zählen sein. [3–4] Als du geboren wurdest, sagten die Parzen den Mädchen ungekannte Fron voraus und verliehen eine stolze Herrschaftsgewalt sie dir. [5–6] Entbrannt bin ich heftiger als alle anderen; es behagt aber dies mir, Cerinthus, dass ich entflammt bin, wenn bei dir, von meiner Seite erwidert, das Feuer leidenschaftlicher Liebe sich einstellt. [7–8] Auf Gegenseitigkeit beruhend, möge sich einstellen die Liebe, beschwöre ich dich bei unseren allersüßesten Geheimnissen und bei deinen Augen und bei deinem Schutzgeist, dem Genius. [9–10] Gütiger Genius, nimm gern meinen Weihrauch entgegen und sei meinen Gebeten hold, wenn er nur, sooft er über mich nachsinnt, in leidenschaftlicher Liebe erglüht! [11–12] Wenn er aber etwa schon jetzt schmachten sollte nach einer anderen Liebschaft, dann verlasse, bitte ich dich, Heilbringer, die unzuverlässige [kein Vertrauen verdienende] Feuerstätte! [13–14] Sei auch du nicht ungerecht, Venus! Entweder diene dir jeder von uns beiden gleichermaßen gefesselt, oder nimm hinweg meine Fesseln. [15–16] Doch lieber wäre es mir, wir würden beide festgehalten von einer starken Kette, die späterhin zu lösen vermöchte kein Tag [keine Zeit]. [17–18] Es wünscht sich der Jüngling dasselbe wie ich, doch wünscht verdeckter er es sich; denn er schämt sich, diese Worte offen auszusprechen. [19–20] Doch du, Geburtstagsschutzgeist, gib seinen Wünschen, da als Gott ja alles du merkst, beifällig nickend deinen Segen! Was macht es aus, ob er heimlich oder offen darum bittet? 12 (= 4,6) [1–2] Geburtsgöttin Iuno, nimm entgegen den geweihten Weihrauch in Mengen, den dir ein kunstsinniges Mädchen spendet mit zarter Hand! [3–4] Ganz gehört dir sie am heutigen Tag. Für dich hat sie sich freudigst zurechtgemacht, um ansehnlich zu stehen vor deinem Altar. [5–6] Sie schiebt zwar ihre Beweggründe, sich zu schmücken, dir, Göttin, zu; es gibt aber einen, dem sie insgeheim gern gefallen möchte. [7–8] Doch wirke du, unantastbare Göttin, huldvoll darauf hin, dass niemand auseinanderreißt zwei Liebende, und stelle für den Jüngling, bitte ich dich, wechselseitig bindende Fesseln bereit! [9–10] So wirst du geglückt sie vereinen: Keinem anderen Mädchen zu Diensten zu stehen ist er würdiger oder umgekehrt sie keinem anderen Mann.

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[11–12] nec possit cupidos vigilans deprendere custos fallendique vias mille ministret Amor. [13–14] adnue purpureaque veni perlucida palla: ter tibi fit libo, ter, dea casta, mero; [15–16] praecipit et natae mater studiosa, quod optet: illa aliud tacita, iam sua, mente rogat; [17–18] uritur, ut celeres urunt altaria flammae, nec, liceat quamvis, sana fuisse velit. [19–20] sis iuveni grata ut, veniet cum proximus annus, hic idem votis, iam vetus, exstet amor.

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XIII (= IV 7) [1–2] Tandem venit amor, qualem texisse pudori quam nudasse alicui sit mihi fama magis. [3–4] exorata meis illum Cytherea Camenis attulit in nostrum deposuitque sinum. [5–6] exsolvit promissa Venus: mea gaudia narret, dicetur si quis non habuisse sua. [7–8] non ego signatis quicquam mandare tabellis, ne legat id nemo quam meus ante, velim, [9–10] sed peccasse iuvat, vultus componere famae taedet: cum digno digna fuisse ferar.

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XIV (= IV 8) [1–2] Invisus natalis adest, qui rure molesto et sine Cerintho tristis agendus erit. [3–4] dulcius urbe quid est? an villa sit apta puellae atque Arretino frigidus amnis agro? [5–6] iam, nimium Messalla mei studiose, quiescas, neu tempestivae saeve propinque viae. [7–8] hic animum sensusque meos abducta relinquo, arbitrio quoniam non sinis esse meo.

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11 uigilans cupidos Q Vo 12 ministrat Q Vo 13 purpurea O B P 14 fit Itali sit G2 H P Q C Plant. sic O B G 15 pr(a)ecepit Ber. ♦ quod optet H Muret quid optet Ber.2 quod optat O P Q Y Plant. 16 sua F Ω 19 sis F si Ω Y sic B e2 sit G2 ♦ ut, veniet Eberz ueniet Ω adueniet G2 Y Plant. et ueniet ς 20 extet Baehrens esset A B G H V ad(s)sit Ber. P Q Plant. ut sit superscr. G2 XIII 1 pudori A Ber. H P Q c e pudore A1 B G V d 6 sua F G2 suam Ω 8 ne G2 Plant. me O B H P Q C ♦ nemo Ber.2 Es. G2 Q c e2 uenio O B G H P d e ♦ quam meus Ber. Es. Gcorr quoniam meus A mens quoniam H V XIV 3 nulla P ♦ puellis H Q d e 6 neu A B G Q V heu H V2 non Ber. Es. P d e ♦ saeve Unger et Mras, Zeitschrift für die Österreichischen Gymnasien 1915, 946 s(a)epe Ω 8 quoniam G quam(n)uis Ω ♦ sinit Estaço

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[11–12] Auch soll als leidenschaftlich sich liebendes Paar sie nicht ertappen können ein wachsamer Hüter, sondern tausend Wege, ihn zu überlisten, ihnen Amor besorgen. [13–14] Nicke dazu beifällig, und komme funkelnd in einem purpurnen Mantel! Dreimal wird dir zu Ehren geopfert mit Fladenbrot, dreimal, makellose Göttin, mit Wein. [15–16] Es schreibt eine besorgte Mutter ihrer Tochter zwar vor, was sie wählen soll. Die aber bittet, nunmehr selbständig, um Anderes in stiller Hoffnung. [17–18] Entflammt ist sie so rasch, wie Flammen Altäre entzünden, und wollte doch nicht, obschon es ihr freistünde, gefeit gewesen sein. [19–20] Sei dem Jüngling hold, auf dass, wenn kommen wird das nächste Jahr, dann durch Gebete, nunmehr alt, unverändert fortbesteht die Liebe! 13 (= 4,7) [1–2] Endlich überkam mich eine solche Liebe, dass sie verheimlicht zu haben mir in höherem Grade Scham bereitet als das Gerede, sie irgendeinem enthüllt zu haben. [3–4] Erweicht von den inständigen Bitten meiner Gedichte, hat die Göttin von Kythera ihn zu mir hingebracht und zur Obhut gelegt in meinen Schoß. [5–6] Eingelöst hat Venus ihre Versprechungen. Von meinen Wonnen erzähle, wem nachgesagt werden wird, eigene nicht erlebt zu haben. [7–8] Nicht möchte ich irgendetwas gern Schreibtäfelchen anvertrauen, die versiegelt sind in der Absicht, dass niemand es eher lese als mein Geliebter, [9–10] sondern gesündigt zu haben behagt mir, die Miene der Ehrbarkeit aufzusetzen widert mich an. Zusammengewesen sei ich mit einem, der mich genauso verdient, wie ich ihn verdiene, werde über mich verbreitet. 14 (= 4,8) [1–2] Ein verhasster Geburtstag naht, der auf dem leidigen Land und ohne Cerinthus trübselig zu verleben sein wird. [3–4] Was ist angenehmer als die Stadt? Sollte etwa ein Landhaus passend für ein Mädchen sein und der eiskalte Strom in der Gemarkung Arezzo? [5–6] Nun beruhige dich schon, Messalla, mein allzu sehr um mich besorgter und mit meiner nicht pünktlichen Reise hadernder Verwandter! [7–8] Hier lasse ich, bin ich fortgezogen, mein Herz und meine Gefühle zurück, da du ja mich nicht leben lässt nach meinem eigenen Ermessen.

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XV (= IV 9) [1–2] Scis iter ex animo sublatum triste puellae? natali Romae iam licet esse suo. [3–4] omnibus ille dies nobis natalis agatur, qui nec opinanti nunc tibi forte venit. XVI (= IV 10) [1–2] Gratum est, securus multum quod iam tibi de me permittis, subito ne male inepta cadam. [3–4] sit tibi cura togae potior pressumque quasillo scortum quam Servi filia Sulpicia: [5–6] solliciti sunt pro nobis, quibus illa dolori est ne cedam ignoto – maxima causa – toro.

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XVII (= IV 11) [1–2] Estne tibi, Cerinthe tuae placiture puellae, quod mea nunc vexat corpora fessa calor? [3–4] a ego non aliter tristes evincere morbos optarim, quam te si quoque velle putem. [5–6] at mihi quid prosit morbos evincere, si tu nostra potes lento pectore ferre mala?

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XVIII (= IV 12) [1–2] Ne tibi sim, mea lux, aeque iam fervida cura ac videor paucos ante fuisse dies, [3–4] si quicquam tota commisi stulta iuventa, cuius me fatear paenituisse magis, [5–6] hesterna quam te solum quod nocte reliqui, ardorem cupiens dissimulare meum.

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XV 2 iam licet F non sinet O B M P Q c e non sinit Es. H d ♦ suo Ald. (1502 et 1515) tuo F O Es. H M P Q tuae ς 3 natalis Ω totalis M genialis Itali 4 opinati V opinata Heyne, Housman XVI 1 tibi H Y mihi O B G P Q C Plant. 2 permittas Es. promittis Vo promittas P 6 ne Q ς nec O B Es. H P Q Plant. ♦ cedam Estaço credam Ω, sed. cf. codd. ad 1,4,40 ♦ causa F Ω cura G2 Ald. (1502) XVII 1 placiture B Es. V2 Plant. placitura O H P Q d pia cura Itali, sed cf. placitura in vv. 2,5,35 et 2,5,51 2 qui B Es. P c Plant. 5 at F Y ah Ber.2 Es. H Q V ha A Ber. nam Ald. (1502 et 1515) ♦ si Es. V2, superscr. Ber.2 quid Ber. O H Q Y c e quod Ber.2 quam d cum ς 6 lento F l(a)eto A B Ber. Es. G P Q d lecto V lateo H XVIII 1–2 vv. post 3,6,64 vel post 3,6,64 et 3,17,6 adiuncti 1 ne A Ber. H Q V c e2 nec A B H P V d e ♦ sim A B Ber. H Q V c sit A B H P Q V d e ♦ iam A B Ber. H P Q V tam A B H P Q V d e tum Ber. 2 ac F Y A B Ber. H P V d e at P Q ut Q Vo ♦ uideor F Y A Ber. H Q V d e Vo uidear B uideas A Ber. P V d e uideo P Q Vo V2 e2

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15 (= 4,9) [1–2] Du weißt, dass die trostlose Reise gestrichen wurde ganz im Sinne deiner Geliebten? An meinem Geburtstag in Rom zu sein steht nunmehr mir frei. [3–4] Von uns allen werde jener denkwürdige Geburtstag begangen, in dessen Genuss wider Erwarten durch einen glücklichen Zufall du jetzt kommst. 16 (= 4,10) [1–2] Zu begrüßen ist, dass viel nunmehr du dir erlaubst, weil sicher du dich von meiner Seite davor fühlst, ich könnte, plötzlich mich ungehörig benehmend, tief sinken. [3–4] Richte du nur dein Augenmerk auf die Toga einer Hure und lege du nur größeren Wert auf eine vom Körbchen einer Wollspinnerin gebeugte Dirne als auf eines Servius Tochter Sulpicia. [5–6] Besorgt sind Menschen um mich, denen so eine Kummer bereitet, befürchten sie doch, geschlagen geben könnte ich mich – so ihr wichtigster Grund – einer Bettgefährtin unbekannter Herkunft. 17 (= 4,10) [1–2] Geht es dir nahe, deiner Geliebten zu gefallen bestimmter Cerinthus, dass meinen geschwächten Körper jetzt plagt hohes Fieber? [3–4] Ach, ich wünschte die bittere Krankheit nur dann zu überwinden, wenn ich, dass auch du es willst, könnte glauben. [5–6] Doch was nützte es mir, Krankheiten zu überwinden, wenn du es fertig bringst, mit Gleichmut hinzunehmen meine Leiden? 18 (= 4,11) [1–2] Nie mehr möchte ich für dich, mein Augenstern, in gleicher Weise die Ursache glühender Zuneigung sein, wie ich es, dünkt es mich, gewesen bin vor wenigen Tagen, [3–4] so wahr ich keinen Fehler aus Dummheit beging in meiner ganzen Jugend, den ärger bereut zu haben ich gestehen könnte [5–6] als den, dass ich dich in der gestrigen Nacht allein zurückließ, da vor dir zu verhehlen ich wünschte meine Liebesglut.

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XIX (= IV 13) [1–2] Nulla tuum nobis subducet femina lectum. hoc primum iuncta est foedere nostra venus: [3–4] tu mihi sola places, nec iam te praeter in urbe formosa est oculis ulla puella meis. [5–6] atque utinam posses uni mihi bella videri! displiceas aliis: sic ego tutus ero. [7–8] nil opus invidia est, procul absit gloria vulgi: qui sapit, in tacito gaudeat ille sinu. [9–10] sic ego secretis possum bene vivere silvis, qua nulla humano sit via trita pede, [11–12] tu mihi curarum requies, tu nocte vel atra lumen, et in solis tu mihi turba locis. [13–14] nunc licet e caelo mittatur amica Tibullo, mittetur frustra deficietque Venus; [15–16] hoc tibi sancta tuae Iunonis numina iuro, quae sola ante alios est tibi magna deos. [17–18] quid facio demens? heu heu, mea pignora cedo. iuravi stulte: proderat iste timor. [19–20] nunc tu fortis eris, nunc tu me audacius ures: hoc peperit misero garrula lingua malum. [21–22] iam faciam quodcumque voles, tuus usque manebo, nec fugiam notae servitium dominae, [23–24] sed Veneris sanctae considam vinctus ad aras: haec notat iniustos supplicibusque favet.

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XX (= IV 14) [1–2] Rumor ait crebro nostram peccare puellam nunc ego me surdis auribus esse velim. [3–4] crimina non haec sunt nostro sine facta dolore: quid miserum torques, rumor acerbe? tace.

XIX 3 mihi B Plant. et in marg. V2 modo O H P Q Y C, om. M ♦ te iam Es. Y d 8 ille C Ald. Plant. ipse O H P Q Y, sed cf. codd. ad 1,9,40 et Prop. 2,16,53 9 possim Es., sed. cf. Kühner/Stegmann, Lateinische Grammatik 1, 171 15 hoc A B Ber. P C h(a)ec Es. H M Q V et ex Cuiacio adscr. Scaliger nec Y 16 tibi O H M P Q Plant. mihi Es. 17 heu heu F Ω ♦ cedo F Ber. M C caedo Es. credo A B G V Ald., sed cf. codd. ad 1,4,40 et 3,16,6 cede Q Vo celo P prodo H 18 proderat F prodeat Ω 23 considam G H Vat. 2794 Plant. confidam O Es. M P Q ♦ iunctus A H P V, sed cf. codd. ad 1,1,64 et Prop. 1,8,22, 1,13,15, 2,15,27, 4,2,44 24 h(a)ec Es. G H P Q V2 Vat. 2794 nec Ber. A V, corr. Ber.1 XX 2 me Ω te Fris. 3 carmina P Y1 ♦ facta Ω iacta Pontano, Heins

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Namenloser Tibullnachfolger im Würgegriff eines Knebelvertrags 19 (= 4,12) [1–2] Keine Frau der Welt wird mir stehlen die Nächte in deinem Bett. Durch das folgende Abkommen wurden fürs erste geknüpft die Bande unserer Liebe: [3–4] Du allein gefällst mir, und es gibt fortan außer dir in Rom kein Mädchen, das schön ist in meinen Augen. [5–6] Ja, könntest du doch einzig und allein mir bildhübsch erscheinen! Missfalle du doch den Anderen. So werde ich sicher vor ihnen sein. [7–8] Mitnichten habe ich Bedarf an Neid auf meinen Erfolg. Fern liege mir der Ehrgeiz, von der breiten Masse beneidet zu werden! Wer bei Verstand ist, im Stillen freue er sich selber von Herzen! [9–10] So könnte ich gut leben in abgeschiedenen Wäldern, wo kein Pfad getrampelt wäre von eines Menschen Fuß. [11–12] Du wärest für mich Erholung von Sorgen, du selbst in dunkler Nacht Licht und du für mich Trubel in einsamen Gegenden. [13–14] Mag jetzt auch vom Himmel gesandt werden eine Tibullfreundin – gesandt werden wird sie vergebens, und scheitern wird Venus. [15–16] Dies schwöre ich bei der unantastbaren Hoheit deiner Iuno, die du für mächtiger hältst als alle anderen Gottheiten zusammen. [17–18] Was tue ich Wahnsinniger? O weh, o weh, meine Faustpfänder gebe ich preis. Treue schwor ich dir kopflos; zu nützen pflegte mir diese deine Angst. [19–20] Jetzt wirst beherzt du sein, jetzt wagemutiger du mich entflammen. Dieses Unheil zog mir Armem mein Plappermaul zu. [21–22] Nunmehr werde ich tun, was immer du willst. Dein werde ich immerfort bleiben und nicht zu entrinnen suchen der Fron einer mir vertrauten Herrin, [23–24] sondern mich geknebelt niedersetzen vor der hehren Venus Altar. Sie brandmarkt Unredliche und schenkt Demütigen ihre Gunst. Epigramm 20 (= 4,13) [1–2] Der Klatsch behauptet, häufig begehe Fehltritte mein geliebtes Mädchen. Jetzt wollte ich, meine Ohren wären taub. [3–4] Zum Vorwurf wurde ihr dies gemacht, nicht ohne mich zu schmerzen. Was quälst du mich Armen, bitterböser Klatsch? Schweig still!

KOMMENTAR

Tibulls erstes Buch 1 1,2 Das iugerum, wie nach Plinius nat. 18,9 die Fläche genannt wurde, die »mit einem Ochsengespann«, uno iugo boum, »umgepflügt werden könnte«, maß in der Länge 240, in der Breite 120 römische Fuß zu 29,57 cm oder umgerechnet 2518,23 m2, also kaum mehr als der Morgen zu 25 a. 1,3–4 Die Angst vor Einfällen des Feindes ist der Preis, den zu zahlen hat, wer in einer nicht befriedeten Provinz riesige Ländereien zusammengerafft hat. Vor dieser Gefahr warnte bereits Cicero in seiner Rede über den Oberbefehl des Gnaeus Pompeius – pro lege Manilia 15 – mit der eindringlichen Mahnung: »Denn in allen anderen Fällen erleidet man den Verlust erst, wenn der Schaden eingetreten ist. Doch bei den Steuereinnahmen führt nicht erst der Eintritt des Unheils, sondern allein schon die Angst den Schaden herbei. Denn wenn die Truppen der Feinde nicht weit weg sind, werden, selbst wenn kein Einfall gemacht worden ist, dennoch die Weiden verlassen, der Ackerbau aufgegeben und die Handelsschifffahrt eingestellt. So können weder aus dem Hafenzoll noch aus dem Zehnten noch aus dem Triftgeld die Einnahmen aufrechterhalten [in der alten Höhe erzielt] werden. Darum geht oft der Ertrag eines ganzen Jahres bloß durch das Gerücht von einer Gefahr und bloß durch die Schreckensnachricht von einem Krieg verloren.« 1,5 Trifft die nahezu durchgängig überlieferte Lesart vit(a)e zu, steht der Dativ für ad vitam. 1,9–10 Die Hoffnung verehrten die Römer in einem eigens ihr geweihten Tempel als ihre Stadt- und Staatsgöttin Spes. 1,11–12 Durch den Chiasmus ist der Satz so verschachtelt, dass die Wortfolge nur mit Einschränkungen nachgebildet werden kann. Das Weggabelungsfest, die Compitalia, feierte die Landbevölkerung vom 3. bis 5. Januar, das Grenzsteinfest, die Terminalia, am 23. Februar; Scullard, Römische Feste, 86 und 123. 1,13–14 Ursprünglich verehrten die Römer Ceres in schlichten Formen als Schutzgöttin des Ackerbaus. Zum Dank für die Ernte, die sie dem Ackerbau verdankten, opferten sie ihr ein Ferkel, die porca praecidanea, und brachten sie ihr eine Erstlingsgabe, das praemetium, dar (Festus, s.v. porca praecidanea und praemetium, Pauli exc., p. 243 und 267 Lindsay). Seit 493 v. Chr. aber, als sie ihr neben Liber und Libera einen Tempel auf dem Aventin weihten, begannen sie den einfachen Gottesdienst der Anfänge dem aufwändigeren Geheimkult der eleusinischen Gottheiten Demeter, Kore und Iacchus anzugleichen. Darüber ausführlicher Scullard, Römische Feste, 27–28. 102. 142. 159– 160.

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1,15–16 Ceres, der römischen Demeter, richteten die Bauern am 19. April die Cerialia aus. 1,17–18 Aus Holz geschnitzt und zum Schutz vor der Witterung mit Mennige angestrichen, wurde die Vogelscheuche nach Priap, dem Schutzgott der Bauern, gestaltet; sein mächtiger Phallos versinnbildlichte Fruchtbarkeit und Ertragskraft üppig gedeihender Obstgärten. 1,18 Mit der falx, einem Messer mit geschwungener Klinge, putzten die Gärtner Bäume und die Winzer Rebstöcke aus. 1,19–20 Die Laren wachten als Schutzgottheiten über Haus, Herd und Nutzland der Hofbesitzer. Um sie gnädig zu stimmen, feierten die Grundstücksnachbarn in ihrem Ortsviertel vor Beginn der Feldbestellung an Weggabelungen ein Straßenfest, die sogenannten Kompitalien, in dessen Rahmen sie ihnen je nach wirtschaftlicher Lage ein Kalb oder ein Lamm opferten. Vergleichbar schildert Properz im Vers 4,1,23 mit den Worten parva saginati lustrabant compita porci, zu Deutsch: »Kleine Weggabelungen entsühnten gemästete Ferkel«, wie es die Bauern im frühen Rom an den Kompitalien hielten. Ihre schlichte Lebenswelt spiegelt wider, dass sie den Laren noch keine Suovitaurilien darbrachten, sondern ihnen statt eines Ebers, Widders oder Stiers nur ein Ferkel schlachteten. 1,21 Ein Kalb schlachteten die Bauern an den Ambarvalien, einem Grenzgangsfest, das sie veranstalteten, um vor Missernten bewahrt zu werden. 1,24 Je nachdem, ob er messis im weiteren oder engeren Wortsinn gebrauchte, verstand Tibull darunter die Getreidemahd und Obsternte oder wie im Vers 1,5,22 nur die Getreidemahd. 1,35–36 An den Palilien oder Parilien, einem ländlichen Fest, das die Römer alljährlich am 21. April feierten, um die geheimnisumwitterte Hirtengottheit Pales gnädig zu stimmen, tischten die Bauern ihr zu Ehren Hirsekuchen, Schmäuse und Eimer voll Milch auf. Wie es ablief, schildert Scullard, Römische Feste, 164–165, nach Ovids Fasten, 4,735–782. Die Nachwelt sagte diesem Fest ein hohes Alter nach. Nach der Darstellung, der Plutarch in seiner Lebensbeschreibung des Romulus, c. 12,1–2, folgt, wurde es schon vor dem Tag eingeführt, an dem Romulus die nach ihm benannte Stadt gegründet haben soll. 1,49 In dem Nachsatz sit dives iure drückt der Konjunktiv aus, dass eine Möglichkeit eingeräumt oder zugestanden wird; zum Beleg für diesen seinen Gebrauch führen Kühner/Stegmann, Lateinische Grammatik 1, 189–190, eine Reihe einschlägiger Beispiele an. 1,53 Marcus Valerius Messalla Corvinus hieß mit vollem Namen Tibulls 64 v. Chr. geborener und – nach Syme, Augustan Aristocracy, 217–219 – eher 8 als 13 n. Chr. verstorbener Gönner. 1,54 Die Waffenrüstung, die er von dem geschlagenen Feind erbeutet hatte, hängte der siegreiche Heeresbefehlshaber wie Ausstellungsstücke eines Museums an den Türpfosten oder den Wänden des Vorraums seines Hauses auf.

2. Gedicht

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1,56 »Widerspenstig«, durus, schilt der Dichter die Tür, weil sie sich nicht erweichen lässt, mag er sie auch in seiner Serenade noch so flehentlich um den Gefallen bitten, zu seiner Geliebten vorgelassen zu werden. Um den verschmähten Liebhaber, den seine »Herrin«, domina, dazu verurteilt, »ausgesperrt«, exclusus, vor dem Eingang ihres Hauses auszuharren, rankte sich ein verbreitetes Klagelied der einschlägigen Dichtung, das Paraklausithyron. Properz bettete es in die 16. Elegie des ersten Buchs ein. Nur beschwert sich in seiner Fassung nicht bloß der Liebhaber über eine Tür, die ihm kein Gehör schenkt, sondern die Tür auch über eine Herrin, die ein Lotterleben führt, und über Liebhaber, die mit ihrem Gejohle die Nachtruhe stören. 1,57 Den Decknamen Delia verlieh Tibull nach Apuleius, Apologia 10,3, einer Plania, über deren Herkunft keines seiner Gedichte nähere Auskünfte gibt. Nirgendwo als Plania, sondern durchweg als Delia redet er sie nach derselben Kunstregel an, nach der Catull Clodia in Lesbia, Gallus Volumnia in Lykoris und Properz Hostia in Cynthia umbenannten. Zu einer Delia erhob er eine Plania wie Properz eine Hostia zu einer Cynthia, um einen Bezug zu Apollon, dem Gott der Dichtkunst und Schutzherrn der Dichter, herzustellen. Der Sage nach trug Leto, die schwangere Geliebte des Göttervaters Zeus, Apollon und seine Zwillingsschwester Artemis auf Delos aus und kam sie mit ihnen auf dem Kynthos, seiner höchsten Erhebung, nieder. 1,67–68 Am Grab sollte Delia ihr Haar weder zerzausen noch hochgesteckt tragen, sondern es in Strähnen wallen lassen. Sonst hätte sie sich entweder als herzlos entlarvt oder gegen den Geist des alten Römertums verstoßen, in dem die Väter des Zwölftafelgesetzes die Auswüchse zur Schau getragener Trauer gekappt hatten. Darüber eingehender Flach, Zwölftafelgesetz, 147–154 und 220–222. 1,68 Zerkratzte sich die römische Witwe ihre Wangen, missachtete sie nach Cicero, De legibus 2,59, ein Verbot der Zwölf Tafeln. 1,76–77 Den Wohlstand, den ihnen die Kriegsbeute einbringt, erkaufen sich habgierige Kriegsteilnehmer mit Verwundungen. 1,78 Nach der verbreiteteren Fassung der Handschriften endete die erste Elegie des ersten Gedichtbuchs mit einem Chiasmus. 2 2,1–4 Wein nachzugießen, ohne ihm in einem Mischkrug, dem Krater, Wasser beizugeben, fordert der Dichter den Mundschenk auf, weil schwere Dessertweine, wie sie die Römer aus den namhaftesten Anbaugebieten bezogen, den Liebeskummer am wirkungsvollsten betäubten. Zu Mahlzeiten tranken sie so süffige Weine nur verdünnt. 2,9–10 Wiederum vergegenwärtigt sich der Dichter die Szenerie des Paraklausithyrons. Diesmal fleht er die Eingangstür an, ihm nicht länger den Zutritt zu seinem geliebten Mädchen zu erschweren.

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2,16 Das Sprichwort fortes Fortuna adiuvat, »Den Mutigen hilft das Glück«, überträgt Tibull wortwörtlich von der Göttin des Glücks auf die der Liebe. Wie verbreitet es war, belegen die Fundstellen in: Bartels, Veni vidi vici, 80–81. 2,26 Endete die Zeile wie zuvor der Vers 1,2,16 mit ipsa Venus, erklärt sich am schlüssigsten, weshalb sie schon im Grundstock der mittelalterlichen Handschriften ausgefallen ist. Dafür, dass zwischen der vorhergehenden und der nachfolgenden der Pentameter nec mihi se comitem denegat ipsa Venus nachzutragen ist, gibt es drei Fingerzeige: Lautete er so, deckte sich der Inhalt mit der Rolle, in der Properz 3,16,20 Venus als Beschützerin verschmähter Liebhaber feiert, und kam die Wortwahl den Anklängen nahe, zu denen er Lygdamus in dem Distichon 3,6,9–10 und Ovid in dem Distichon Ars amatoria 1,127–128 anregte. »… und keiner von euch versage sich mir, gehe ich voran, als Gefolgsmann«, neve neget quisquam me duce se comitem, bittet Lygdamus seine in Baiae weilenden Freunde. »Wenn eine (Sabinerin) sich zu sehr gewehrt hatte und sich (einem Römer) als Gefährtin zu versagen suchte, hob der Mann sie hoch und trug geradewegs an seine begehrliche Brust sie gedrückt«, si qua repugnarat nimium comitemque negabat, sublatam cupido vir tulit ipse sinu, dichtet Ovid. 2,27–28 Mit diesen Worten umschreibt der Dichter, auf welche Art und Weise der Wegelagerer, insidiator viae, als Straßenräuber, latro, und Lösegeldjäger, praemiator, sein Unwesen treibt. 2,34 Mit dem Finger schnippt nicht Delia, sondern klopft der Dichter an ihre Tür, ehe sich sein Wunsch erfüllt, dass sie ihn, um weder den Ehemann noch den Wächter zu wecken, »heimlich, still und leise«, taciturna, hereinruft. 2,36 Zu ihren Geheimnissen erklärt und zählt Venus die verstohlenen Treffen von Liebespaaren, weil sie sich für das Wohl ihrer Schützlinge zuständig und verantwortlich fühlt. 2,41–42 Blutentsprossen zu sein, sagt Tibull der schaumgeborenen Göttin, zu der Venus mit Aphrodite verschmolz, nach Hesiod, Theogonie 176–200, nach. Nach dieser Sage über ihre Herkunft entsprang Aphrodite dem Blut, das vom Himmel ins Meer tropfte, als Kronos seinen Vater Uranos entmannte, um ihn an der Paarung mit Gaia, der Erdgottheit, zu hindern. 2,47–48 Aus Gräbern beschwört die Wahrsagerin die Totengeister zur Nekromantie herauf, zu der sie die Seelen der Verstorbenen befragt, um sich auf ihre Auskünfte zu berufen. Diese und die anderen Hexereien der Wahrsagerin erläutert eingehender Smith, Elegies of Albius Tibullus, 216–218. 2,49 Mit dem Wort stridor spielt Tibull auf das Schwirren von Zauberkreiseln an. Um sie, die Rhomben, wie sie nach der Rautenform ihrer Mantelflächen hießen, schwirren zu lassen, schwangen die Hexen die Peitschen, mit denen sie diese stumpfen Kegel oder Doppelkegel herumwirbelten, so lange, bis sie die Schnur von der Spule, auf die sie aufgewickelt war, abgerollt hatten.

3. Gedicht

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2,50 Mit der Milch, mit der sie die Verstorbenen oder ihre Seelen besprengt, behauptet die Hexe böse Geister vertreiben zu können. 2,53 Medea, die Tochter des Königs Aietes von Kolchis, verstand sich wie kaum eine zweite Zauberin der griechischen Sage auf Kräuter, die Menschen verhexten. 2,54 Von Hunden umkläfft, wie sie schon Apollonios Rhodios, Argonautika 3,1216–17, einführte, stellte sich Tibull die Allgottheit Hekate vor, weil die Griechen sie mit Artemis und die Römer sie mit Diana zu einer Göttin der Jagd gekreuzt hatten. 2,63 Um den Dichter zu reinigen, umnebelte sie seinen Kopf mit dem schwefelgelben Blütenstaubqualm von Kienspanfackeln. Zum gleichen Zweck verwendet Cynthia nach Properz 4,8,86 brennenden Schwefel. 2,63–64 Das dunkle Fell des Opfertiers steht in scharfem Gegensatz zu der sternenklaren Nacht. 2,69–70 In Kilikien, ein Bergland in Kleinasien, war Messalla eingerückt, bevor er mit seinem Heer nach Syrien, Phönizien und Ägypten weiterzog. 2,80 Seiner Wortwahl nach zu schließen, dachte der Dichter eher an einen Bach als an einen Springbrunnen. 2,83 Nicht castus, sondern incastus hätte Tibull sich Stätten der Götter genähert, wenn er gegen solche Reinheitsgebote verstoßen hätte, wie er sie in den Versen 2,1,13–16 anführt. 2,93–94 Wie hilflos der Greis geworden ist, tritt deutlicher hervor, wenn velle nicht bloß auf fingere, sondern auch auf componere bezogen wird. In diese Richtung weist nicht zuletzt der vergleichbare Satzbau der Verspaare 1,2,19–20 und 1,2,41–42. 2,98 In den Faltenwurf seiner Toga spie ein jeder, um Unheil abzuwehren; vgl. Theophrast, Charaktere 16 Ende, und Plinius, Naturalis historia 28,35. 3 3,3 Die Phaiaken bewohnten die Insel Korkyra, heute Korfu, im Ionischen Meer. 3,9 Delia kann ihm weder auf Korfu noch sonstwo helfen, weil – nach V. 15 – er selbst sie trösten muss. 3,11–12 Drei Mal holte nicht der Knabe, der sonst dieses Amt versah, sondern Delia selber Losorakel aus der Kiste, in der er diese mit Weissagungen beschrifteten Holztäfelchen, weil sie ihm heilig waren. sorgsam verwahrte. So ungeduldig und beharrlich sicherte sie sich dreifach ab, um sich zu vergewissern, dass ihr Geliebter unter göttlichem Schutz stehe. In V. 12 verbesserte Marc Antoine Muret kurzum aus gutem Grund die Lesart triuiis zu trinis. Die Fassung der Handschriften zu verteidigen besticht nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten stellt sich heraus, dass Properz ihr mit den Versen 2,32,3 und 2,32,9–10 den Boden entzieht. Nach ihrem Wortlaut suchte eine Römerin, um

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Losorakel zu befragen, Praeneste, heute Palestrina, auf. In dem Tempel dieses Gebirgsorts konnte sie aber nur den Rat der Glücksgöttin Fortuna Primigenia einholen. Der Schutzgöttin von Straßenplätzen huldigte sie, wenn sie Diana, die römische Hekate, in Aricia am Nemisee als Trivia feierte. 3,15–16 Weisungen erteilte Tibull für die Zeit seiner Abwesenheit, zu Ausreden nahm er Zuflucht, um seine Abreise so lange wie möglich aufzuschieben. 3,17 Am Vogelflug lasen die Auguren den Willen der Götter ab. Unheilvolle Vorzeichen weissagten die Haruspizes aus den Eingeweiden von Opfertieren. 3,18 Iuppiters Vater Saturn verehrten die Römer als Schutzgott des Acker-, Obst- und Weinbaus. Sein Fest, die Saturnalien, feierten sie vor der Wintersonnenwende vom 17. Dezember an, den nach ihm benannten Wochentag aber nur die wenigsten von ihnen wie die Juden den Sabbath. Die disjunktive Konjunktion aut hat der Herausgeber der Editio Regiensis vom Jahr 1481 voreilig hinter dem Genitiv Saturni eingefügt. Das adversative Asyndeton, mit dem der Vers beginnt, hebt den Vorwand, den ein so willkommener Anlass wie »Saturns heiliger Tag« hergibt, scharf genug von den beiden vorhergehenden, den Warnungen der Auguren und Haruspizes vor drohendem Unheil, ab. 3,23 Der fremdländischen Isis huldigt Delia so hingebungsvoll wie Cynthia. Nur beschwert sich Properz in der Elegie 2,33 über die Nachtwachen, die seine Geliebte im Dienst dieser ägyptischen Fruchtbarkeitsgöttin hält, während Tibull zu genesen hofft, wenn Delia als ihre Dienerin ihre Keuschheits- und Reinheitsgelübde tagsüber einlöst. 3,24 Die Priesterinnen der geheimnisumwitterten Gottheit Isis rasselten mit dem Sistron, dem ungefähr wie ein Miniaturtennisschläger geformten Lieblingsinstrument der alten Ägypter. Zu diesem Zweck fassten sie es am Stiel und rüttelten es so schwungvoll, dass die locker in seinem ovalen Rahmen sitzenden Metallstäbe im Rhythmus ihrer Bewegungen anschlugen. Erfunden haben soll es Harpokrates, der nach dem Tod seines Vaters geborene Sohn der Geschwister Isis und Osiris, die ägyptische Falkengottheit Hor. 3,25–26 Wusch sie sich säuberlich und legte sie sich in einem sauberen Bett schlafen, befolgte Delia die Reinheitsgebote des ägyptischen Kultes so gewissenhaft, wie es von einer Anhängerin dieser Sekte erwartet werden durfte. 3,31 Ihr Haar »wieder auflösen«, resolvere, musste Delia, da sie ihren Dienst in zwei Schichten, vor Sonnenaufgang und am Nachmittag, verrichtete. 3,32 Von einer »pharischen Anhängerschar« spricht Tibull, weil die Seefahrer auf der dem westlichsten Nilarm vorgelagerten Insel Pharos einen ihrer Schutzgöttin Isis geweihten Tempel errichtet hatten. Auf den weltberühmten Leuchtturm, den 279 v. Chr. der Baumeister Sostratos von Knidos auf ihre Ostspitze gesetzt hatte, könnte sich seine Herkunftsangabe nur beziehen, wenn er »pharisch« mit »ägyptisch« gleichgesetzt hätte.

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3,33–34 Die Penaten wachten über die Familien, der Lar über Haus, Herd und Hof. 3,45 Tibull teilte den Volksglauben, der Honig falle mit dem Tau vom Himmel und setze sich mit Vorliebe auf den Blättern von Eichen ab; so war es bei Vergil ecl. 4,30 sowie georg. 1,127–128, 1,131 und 4,1 zu lesen. 3,50 Seitdem das Meer entdeckt ist, kommen Reeder, Seeleute, Galeerensklaven und Fahrgäste unter tausenderlei Umständen zur See um. Dazu Properz 3,7,29–32: »Nur zu, zimmert bauchige Schiffe und Todesfallen! Dieser Tod kommt herbeigeführt von Menschenhand. Das Festland hatte uns nicht genügt; den Schicksalsmächten fügten wir die Meereswellen hinzu. Fortunas klägliche Wege vermehrten wir künstlich.« 3,57–58 Nach der griechischen Sage fährt Charon die Toten, die zeit ihres Lebens die Götter in Ehren gehalten haben, über den Styx zu dem Eiland der Seligen, dem Elysion, hinüber. 3,67–68 Die Frevler sind dazu verdammt, im Tartaros ihr Dasein zu fristen. Diesen Teil der Unterwelt umfließt mit seinen beiden Armen der Phlegethon. 3,69–70 Tisiphone zählt wie Allekto und Megaira zu den Rachegöttinnen der Unterwelt, die dem Totenrichter Hades und seiner Gemahlin Persephone die Verbrechen von Frevlern zu ahnden helfen. 3,71–72 In welche Richtung die gottlose Schar der Verdammten auch fliehen mag, dem Totenreich kann keiner von ihnen entrinnen, weil im Tor zur Unterwelt der nachtschwarze Höllenhund Zerberus darauf lauert, mit seinem Schlangenmaul nach ihm zu schnappen. 3,73–74 Ixion, der König des thessalischen Stammes der Lapithen, wird auf ein Flammenrad geflochten und durch die Lüfte gewirbelt, weil er sich damit gebrüstet hatte, Hera, die Gemahlin des Göttervaters Zeus, umarmt zu haben. 3,75–76 Der Riese Tityos hat im Hades dafür zu büßen, dass er sich an Leto, der Mutter der Zwillinge Artemis und Apollon, vergreifen wollte. Zur Strafe zerhackt ihm ein Geierpaar den Sitz der Begierde, die in regelmäßigen Abständen wieder nachwachsende Leber. 3,77–78 Tantalos büßt den Frevel, den Göttern Nektar und Ambrosia gestohlen zu haben, mit dem Los, seinen brennenden Durst nicht stillen zu können, da der Styx nicht nahe genug oder in zu hohen Wellen an ihm vorbeifließt. 3,79–80 Danaos, der König von Argos, verlobt seine 50 Töchter an die 50 Söhne seines Zwillingsbruders Aigyptos, gibt ihnen aber Dolche mit, mit denen sie ihre Vettern in der Hochzeitsnacht ermorden sollen. Von ihnen gehorchen bis auf Hypermestra, die ihrem Bräutigam zu entkommen hilft, alle ihrem Vater und haben in der Unterwelt auf ewig zu büßen, dass sie vor einem so schweren Verbrechen nicht zurückscheuten. Zur Strafe müssen sie immerfort Krüge schleppen, um Wasser, das sie schöpften, in lecke Fässer zu schütten.

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3,80 Lethe hieß nach der gleichnamigen Göttin der Vergessenheit der Strom des Totenreichs, aus dem die Seelen der Verstorbenen tranken, um jede Erinnerung an die Mühsale des Erdenlebens zu löschen. 3,87–88 Bei der puella kann es sich schon deswegen nicht um Delia gehandelt haben, weil sie als Herrin an keine festen Tagesmengen gebunden war. Allmählich vom Schlaf überwältigt muss vielmehr ihr Hausmädchen die Wollarbeit haben fahren lassen. 3,93–94 Aurora, die mit Eos, der Tochter der Titanen Hyperion und Theia, wesensgleiche Göttin der Morgenröte, fährt, wenn der Tag anbricht, mit ihrem Pferdegespann vom Okeanos zum Himmel empor, um bis zum Abend vor Helios, dem Sonnengott der griechischen Sagenwelt, ihre Bahn zu ziehen. Rot funkeln die Rosse, die sie lenkt, in dem Farbton, den der Himmel bei Sonnenaufgang annimmt. 4 4,1–2 Den Vorteil, sich im Sommer mit reichlich Schatten spendenden Dächern vor Sonnenstrahlen schützen zu können, verschaffte dem nackten Priap das Laubwerk von Bäumen. 4,6 Mit den Hundstagen beginnt die heißeste Zeit des Sommers; der Morgenaufgang des Sternbilds, nach dem sie benannt sind, fällt auf den 21. Juli. 4,7–8 Priap tritt in die Fußstapfen seines Vaters Bacchus, den Römer wie Griechen als Schutzgott des Weinbaus verehren. Vor diesem Hintergrund wird der Oberbegriff »Krummmesser«, lateinisch falx, auf das Winzermesser, die falx vinitoria, einzuengen sein. 4,18 Zum Inhalt vergleiche man das geflügelte Wort gutta cavat lapidem, zu Deutsch: »Steter Tropfen höhlt den Stein«, oder Properz 4,5,20, zur Wahl der Zeitform die lange Beispielreihe, mit der Kühner/Stegmann, Lateinische Grammatik 1, 130–131, untermauern, dass das historische Perfekt »sehr häufig« dazu diene, »allgemeine Sätze als Ergebnisse fremder oder eigner Erfahrung vorzuführen.« 4,25–26 Diktynna, eine Nymphe, deren Name sich von Dikte, einem im Osten der Insel Kreta gelegenen Gebirge, herleitet, stürzt sich, als Minos, dessen Liebe sie nicht erwidert, sie verfolgt, aus Verzweiflung ins Meer, ertrinkt aber nicht, sondern wird von Fischernetzen aufgefangen und zu einer Berghöhengöttin der Jagd erhoben. 4,26 Wer »bei ihren Haaren« schwört, muss sich Minerva, die Schutzgöttin des Handwerks und der schönen Künste, wie die Meduse Gorgo mit einem Haupt vorgestellt haben, das von Schlangen im Haar oder Schlangen statt Haaren starrte. 4,31–32 Die Bevölkerung der Küstenlandschaft Elis im Nordwesten der Peloponnes lebte vorwiegend von der Pferdezucht, bis sie um 570 v. Chr. den kleinen Gau Pisa mit der Kult- und Sportstätte Olympia eroberte. Seit dieser

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Zeit verdankte ihr Stadtstaat seinen Ruhm und Reichtum vor allem dem Vorsitz über die Olympischen Spiele, deren Wettkämpfe er im Abstand von vier Jahren als Gastgeber ausrichtete. Zu den Wagenrennen starteten die Pferdegespanne von Boxen aus. Den Start gab der Rennleiter mit einem weißen Tuch frei, das er in die Bahn warf. Bis zu diesem Augenblick sperrte ein quer vorgespanntes Tau die schwenkbaren Flügeltüren der von Gattern abgeteilten Startplätze; vgl. Friedländer, Sittengeschichte 2, 46. 48. 4,35 Der dichterischen Sprache entkleidet sagt der Satz aus, dass sich die Schlange, wenn sie sich häutet, um Jahre verjüngt. 4,37 Den Beinamen Phoibos, zu Deutsch: »der Klare«, »der Strahlende«, trug Apollon als Gott des Lichts. 4,43–44 Die Versuche, die bestens verbürgte Lesart amiciat mit Texteingriffen wie annuntiet oder anticipet zu verbessern, verwässern das anschaulichere und anspruchsvollere Sprachbild, dass der niederschlagsträchtige Regenbogen nahendes Unwetter wie ein Mantel umkleidet. 4,45–46 Um seinen Mut zu beweisen, soll der Liebhaber eines abenteuerlustigen Knaben es wagen, durch Meerengen oder Brandungen nicht etwa mit einem Schiff zu segeln, sondern mit einem leichten Kahn zu rudern. 4,49–50 Der Grundbedeutung von insidiae kommt näher, insidiis nicht als Ablativ, sondern als Dativ zu deuten. 4,61–62 Piero, der König des makedonischen Kernlands Emathia, gab seinen neun Töchtern die Namen der neun Musen. Obwohl sie kläglich gescheitert sein sollen, als sie die echten zu einem Sängerinnenwettstreit herausfordern, stellt Tibull sie mit Erato, Euterpe, Kalliope, Klio, Melpomene, Polyhymnia, Terpsichore, Thalia und Urania auf eine Stufe. 4,63 Als der Kreterkönig Minos Megara belagert, verliebt sich Skylla, die Tochter des Königs Nisos, so leidenschaftlich in den Feind ihrer Geburtsstadt, dass sie ihrem schlafenden Vater die purpurne Locke abschneidet, von der sein Leben und der Fortbestand seines Reichs abhängen. Minos aber erwidert nicht ihre Liebe, sondern schleift sie, um ihren Vater zu rächen, am Heck seines Schiffes zu Tode. So jedenfalls Properz 3,19,23–26. 4,64 Als Tantalos seinen Sohn Pelops geschlachtet und gebraten den Göttern auftischt, verzehrt Demeter nichtsahnend ein Stück seiner Schulter. Doch erwecken ihn die achtsamen Götter, deren Allwissenheit der Vater prüfen wollte, wieder zum Leben und ersetzen den fehlenden Körperteil durch Elfenbein. 4,65–66 Eichenholz brauchten die Werftarbeiter zum Schiffbau, Sterne die Seeleute zur Orientierung, Flüsse die Boote zur Schifffahrt. 4,67–68 Die römische Fruchtbarkeitsgöttin Ops setzt Tibull hier mit der Kybele oder Großen Mutter vom Berg Ida gleich, die ihre Anhänger mit den Rhythmen ihrer Musik so sehr verzückt, dass sie sich hemmungslos ausleben. 4,69 Die Anhänger der phrygischen Berggöttin Kybele zogen als Vagabunden und Derwische von Stadt zu Stadt.

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4,70 Scheitert ein Lustknabe an seiner Geldgier, soll er sich, so verwünscht ihn Tibull, als Eunuche durchs Leben schlagen müssen. 4,73–74 Einen Titius erwähnt Tibull nirgendwo sonst, die zur Eifersucht neigende Frau, mit der er verheiratet ist, nicht einmal mit Namen. Preis gibt er nur, dass dieses Mitglied der Gens Titia sich kürzlich mit ihr vermählte und sich schon allein deswegen davor hüten muss, mit Rückblenden in seine Junggesellenzeit ihren Argwohn zu erregen. 4,81–82 Marathus verkörpert einen Buhlknaben, der von Natur aus dazu neigt, mit den Gefühlen von Männern zu spielen, die sein Äußeres entflammte. Im Vers 1,8,71 schildert ihn der Dichter als Spötter, der glücklos Liebende verhöhnt. 5 5,5–6 Soweit die Herausgeber post haec dem vorhergehenden Satz zuschlugen, verkannten sie, dass sich der Leser verba zu post haec hinzuzudenken hat. Ihre Zeichensetzung muss schon deswegen den Sinn verfehlen, weil sie gegen die Wortstellung verstößt. 5,7 Geschont zu werden glaubt Tibull hoffen zu dürfen, weil er mittlerweile schon weit davon entfernt ist, ungebärdig zu sein. 5,11–12 Wie die Bauern an den Ambarvalien um die Fluren, so zieht Tibull, als Delia krank daniederliegt, um ihr Bett den magischen Zirkel, der von schädlichen Einflüssen gesäubert werden soll. 5,15 Eine Wollbinde, infula, mit Bändern, vittae, die rechts und links herabhingen, schlangen sich Priester und Vestalinnen um den Kopf, wenn sie ihren Gottesdienst verrichteten. 5,16 Dreimal drei Gelübde leistet der Dichter Trivia, der mit Hekate wesensgleichen Schutzgöttin belebter Tummelplätze, in die drei Verkehrsstraßen münden. 5,21–22 Wie die Römer Dreschplätze anlegten und das Getreide auf der festgestampften Erde droschen, schildert Varro im ersten Buch seiner Schrift über die Landwirtschaft, c. 51 und 52. Worauf der Bauer zu achten hat, kleidet Vergil georg. 1,178–192 in die Verse: »Den Dreschplatz gilt es zuerst zu ebnen mit einer gewaltigen Walze und mit Handwerkszeug umzugraben und mit zäher Tonerde zu verdichten, damit nicht Unkraut aus ihm hervorsprießt oder er, von Staub bezwungen, Risse bekommt. Sonst ist zu befürchten, dass dann verschiedene Plagen ihr böses Spiel treiben. Oft schon hat eine winzige Maus unter der Erde Häuser errichtet und Speicher gebaut oder gruben sich sehbehinderte Maulwürfe ihr Lager und entdeckte man in Hohlräumen eine Kröte oder was sonst für Scheusale die Erde massenhaft hervorbringt; und es plündert einen riesigen Haufen von Emmer der Kornkäfer und aus Angst, im Alter zu darben, die Ameise.«

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5,27–28 Die drei Sparten der Landwirtschaft, die Tibull auf seinem Gut unterhielt, standen unter dem Schutz zweier Götter und einer Göttin. Über den Weinbau wachte Bacchus, über den Getreideanbau Ceres, über die Viehhaltung Silvanus. 5,33–34 Mit anderen Worten malt sich der Dichter aus, Delia würde es als hohe Ehre betrachten, seinen Gönner als beflissene Gastgeberin verwöhnen zu dürfen. 5,35–36 Der Euros weht genauer gesagt von Ostsüdost, der Notos wie sein römisches Gegenstück, der Auster, als Schirokko von Süd. 5,36 Wie sonst Assyrien und Arabien, so vertritt diesmal Armenien Syrien oder den Nahen Osten, obwohl seine Bevölkerung nicht in dem Ruf stand, kostbare Gewürze auszuführen. 5,37–38 Um seinen Liebeskummer wirkungsvoller zu betäuben, trinkt Tibull den Wein, in dem er ihn zu ersäufen sucht, ohne ihn wie bei Tisch mit Wasser zu verdünnen. 5,43–44 Schon im Altertum schätzten die Südländer blondes Haar wegen seines Seltenheitswerts höher als dunkles. Murgatroyd, Tibullus I, 174–175, führt zum Beleg eine Reihe weiterer Fundstellen an. 5,45–46 Gleichsam hoch zu Ross ritt Thetis, die namhafteste Nymphe der 50 Töchter des Meergottes Nereus, auf dem Rücken eines Delphins zu Peleus, ihrem verstorbenen Gemahl, um ihn auf der Insel der Seligen wiederzusehen. 5,47–48 Der Kausalsatz quod adest huic dives amator begründet den nachfolgenden, nicht den vorhergehenden Satz. 5,48 Die schlaue Kupplerin schärfte seiner Delia ein, lieber reiche Liebhaber auszubeuten, als sich mit einem armen Dichter wie ihm abzugeben. Dazu riet sie ihrer Kundin so unverblümt wie die Alte, der Properz 4,5,53–54 die Lebensweisheit in den Mund legt: »Auf das Gold schaue, nicht auf die Hand, die zu dir mitbringe das Gold. Lauschst du Versen, was außer Geschwätz wird es dir einbringen?« 5,49–50 Im wahrsten Sinne des Wortes »blutdürstig« zu sein, sagt Tibull der Kupplerin nach, weil sie, nach Properz 4,5,17 zu urteilen, in dem Ruf stand, Schleiereulen wie Vampire dazu abzurichten, ihren Opfern den Lebenssaft abzuzapfen. 5,51–52 Die erste Verwünschung sollte ebenso ständig gelten wie die zweite, nur dass im Hexameter die Verstärkung des Grundworts volare, im Pentameter das Umstandswort semper die Dauer ausdrückt. 5,53–54 Verfiel die Kupplerin in die Wahnvorstellung, sich in einen Werwolf verwandelt zu haben, litt sie unter Lykanthropie. 5,59–60 Befolgt Delia die Lehren der raffgierigen Kupplerin, läuft sie Gefahr, dass der reiche Liebhaber, den sie ausbeutet, sich irgendwann die Liebe einer Anderen mit Geschenken erkauft. Nur ein armer Dichter wie er bietet die Gewähr, ihr in allen Lebenslagen treu zu bleiben. Der vermögende Nebenbuhler droht nach dem Gesetz zu handeln, das Properz kurz und bündig in die

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Worte des Verses 2,26,28 fasst: »Wer vielerlei geben kann, kann auch vielerlei lieben.« 5,61 An dem Befund, dass alle maßgeblichen Handschriften das Adverb praesto kurz hintereinander zweimal ausweisen, haben die Herausgeber vorschnell Anstoß genommen. Soweit sie den vermeintlichen Schönheitsfehler ausmerzen zu müssen glaubten, opferten sie die Anapher pauper … pauper, weil sie übersahen, dass Tibull – nach Doppelungen wie heu heu in 1,4,81 und 1,6,10 oder iam … iam und iam iam in 1,1,25 und 1,3,78 oder stet procul … stet procul in 1,6,42 und satis est satis est in 1,1,43 zu schließen – solche Wortwiederholungen wie praesto … praesto gern dazu verwandte, seiner Aussage größeren Nachdruck zu verleihen. Davon abgesehen verdürbe ein te statt eines tibi die Anapher pauper … pauper. 5,62 Ihr »an die Seite geschmiedet«, in latere fixus, zu bleiben, verbürgt der in bescheidenen Verhältnissen lebende Dichter so sicher wie kein Zweiter, wenn er die Geliebte besuchen kommt, weil sie erkrankt ist. Diese Bewährungsprobe zu bestehen, rühmt er sich ebenso wie Properz in der Elegie 2,28. 5,63–64 Wer zwar nicht reich, dives, aber auch nicht mittellos, inops, sondern pauper ist, das heißt, wenig besitzt, überantwortet in einem Menschenauflauf seine Hände der Geliebten, um ihr mit eben den Händen, die er ihr als ihr Begleiter leiht, den Weg durch das dichte Gewühl freizumachen. 5,65 So selbstlos, seine Geliebte zu Nebenbuhlern zu geleiten, wird kein Römer mit spärlichem Auskommen sein, der sein Mädchen von Herzen liebt. Bereit erklären wird er sich vielmehr, sie im Dunkel der Nacht zu Tischgesellschaften von Freunden zu begleiten, die vor ihrem Mann zu verbergen sind. Vor der Gefahr, sie könnte sich zu solchen Vergnügungen ins Nachtleben stürzen, warnt ihn Tibull im nächsten Gedicht, V. 17–18, ausdrücklich. 5,70 So umschreibt der Dichter die Lebensweisheit, dass sich das Glück so schnell dreht wie das Glücksrad. 5,71–74 Solange der Verehrer an dem Haus vorübergeht, in dem seine Angebetete wohnt, braucht er nicht auf Fußgänger zu achten, die Verdacht schöpfen könnten. Läuft er aber zurück, muss er sich vergewissern, dass die Straße menschenleer ist, weil er sonst zu befürchten hätte, von Zeugen seines Treibens beobachtet zu werden. 5,76 Der erfolgreiche Liebhaber täuscht sich, wenn er sich in dem Kahn, in dem er sitzt, sicher fühlt. Weht ein Gegenwind, kann er jederzeit von einem reicheren Nebenbuhler ausgebootet werden. 6 6,5–6 Im Deutschen ist »wärmen«, wie es die Liebesdichter verstehen, zu der Wendung »jemandem das Herz wärmen« und zu dem volkssprachlichen Ausdruck »sich jemanden warmhalten« verblasst.

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6,11–12 Je nachdem, ob sie einen Verehrer verschmähte oder einließ, lernte Delia, Gründe vorzuschieben, um alleine zu schlafen, oder umgekehrt die Eingangstür lautlos zu öffnen, um weder den Ehemann noch den Pförtner zu wecken. 6,13–14 Die blauen Flecke, die durch die Behandlung mit Tinkturen und Heilkräutern »weggehen«, sprich: verschwinden sollten, finden sich in der deutschen Umgangssprache als Knutschflecke wieder. 6,23–24 Die Göttin Bona Dea schirmten unerbittlich wachsame Priesterinnen gegen Frevel ab, die den Geheimkult ihrer Gebieterin entweiht hätten. Versuchte ein Mann, in ihr Allerheiligstes einzudringen, drohte er, um mit Properz 4,9,53–58 zu sprechen, wie der Seher Teiresias geblendet zu werden. 6,39–40 Mit diesen Worten warnt Tibull Dandys, sich seiner geliebten Delia zu nähern, wenn er sie behütet. 6,42 Wie schon im Vers 1,3,10 gebraucht Tibull ante auch diesmal als Umstandswort der Zeit. Dass die maßgeblichen Handschriften richtig wiedergeben, wie eindringlich er die Männerwelt davor warnte, Delia verführen zu wollen, haben die Herausgeber grundlos angezweifelt; wiederum tritt vielmehr seine Vorliebe für Wortwiederholungen zutage. 6,45–46 Seitdem die Römer ihre ureigene Kriegsgöttin Bellona mit der kappadokischen Göttin Mâ ineinssetzten, tanzten ihre Anhänger so lange zu heißen Rhythmen, bis sie ihre Ekstase dazu gesteigert hatten, sich Speere in die Seite zu stoßen und mit geweihter Doppelaxt auf Arme und Schenkel einzuhauen. 6,47–48 Schlägt sich die hohe Priesterin der Göttin Bona Dea mit der Doppelaxt Wunden, blutet sie, ohne zu verbluten. 6,53–54 Nicht als Demonstrativpronomen, sondern als Adverb zur Bestimmung der Zeitfolge ist hic dem Zusammenhang nach zu verstehen. 6,61 Im selben übertragenen Sinne gebrauchte Tibull das bildkräftige Wort adfigere schon im Vers 1,3,87. 6,63–64 So sehr liebt der Dichter Delias Mutter, dass er sich wünscht, er könnte ihr Leben mit Jahren verlängern, die er ihr von seinen eigenen beisteuert. 6,67–68 Hochgesteckt und zu sechs Zöpfen geflochten trugen römische Bräute ihr Haar. Mit Kopfbinde und langem Gewand zeigten sich Mütter aus gutem Hause in der Öffentlichkeit. Obwohl Delia diesen Kreisen nicht angehört, soll ihr ihre reizende Mutter Bildung und Benehmen einer Dame vermitteln; denn nur wenn es ihr gelingt, sie wie eine höhere Tochter zu erziehen, kann Delia hoffen, auf dem Weg, dass sie in eine angesehene Familie einheiratet, zur besseren Gesellschaft aufzusteigen. 6,71–72 So sind diese beiden Verse zu übersetzen, wenn sie wie folgt lauteten und gelesen werden: et si quid – sc. meos oculos – peccasse putet, ducarque capillis in merito pronas proripiarque vias. Nicht unverdient auf abschüssige Straßen, sondern auf verdientermaßen abschüssige Straßen ver-

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spricht der Dichter sich ohne Gegenwehr fortzerren zu lassen, sollte Delia seine Augen verdächtigen, zu möglichen Nebenbuhlerinnen geschweift zu sein. 6,77–80 In diesen beiden Distichen spielt Tibull auf Arbeitsgänge an, die zu erledigen waren, um Schafwolle zu Garn zu spinnen und Garn zu Stoffen zu weben; vgl. dazu Blümner, Technologie 1, 107–157, und Forbes, Ancient Technology 4, 151–170. 175–221. Zunächst hatten die Mägde die Wolle, lana, zu waschen und zu krempeln. Hatten sie die Faserbüschel auseinandergezogen, bis die Schmutzteile herausgefallen und die Fasern geordnet waren, spießten sie eines nach dem anderen auf den Rocken auf. Diesen Rohr- oder Holzstock, die colus, nahmen sie in die eine Hand, um mit den Fingern ihrer anderen jeweils einige Fasern aus dem Büschel herauszuziehen und miteinander zu einem fortlaufenden Faden, dem filum oder stamen, zu verdrillen. Seinen Anfang wickelten sie mehrfach um einen runden Holzstab, ehe sie diese Spindel, den fusus, mit dem Daumen und Zeigefinger ihrer freien Hand in Drehung versetzten. Durch die Schwungkraft eines Wirtels, des turbo, den sie auf eines der beiden Enden aufgesteckt hatten, drehte sie sich von alleine weiter, bis der Faden, den sie stetig aus dem Rocken herauszupften, aufgewickelt war. War der Faden vom Rocken auf die Spindel überspult, rissen sie ihn ab, streiften den Garnknäuel, das glomus, von der Spindel ab und legten ihn in ein Weidenruten- oder Binsenkörbchen, einen quasillus oder calathus. Das Garn trugen die Weberinnen in den Körbchen zu einem Hochwebstuhl, der tela. Seine beiden Ständer waren in Sockeln verankert oder in Pfostenlöcher, foramina, eingesteckt. Sein Jochbalken, das iugum, war links und rechts in Halterungen auf beiden Ständern drehbar gelagert. An diesem Querbalken, dem Tuch- oder Warenbaum, befestigten die Weberinnen die Kettfäden, tramae. Um sie zu spannen, knoteten sie diese Gewebefäden, die Zetteln oder Aufzüge, an einem Querstab fest oder hängten sie an ihre Enden Gewichte. Je nachdem, ob sie leichtere oder schwerere Stoffe zu weben hatten, nahmen sie eine größere oder kleinere Anzahl von Kettfäden und banden sie in größeren oder kleineren Abständen an dem Tuchbaum fest. Hatten sie alle dicht nebeneinander im gleichen Abstand gespannt, hoben sie jeden zweiten mit einem Litzenstab, der harundo, an, um vor und hinter ihnen einen durchlaufenden Gewebefaden so lange als Einschlag, subtemen, in der Querrichtung einzufädeln, bis sie sämtliche Zetteln mit dem Einschuss verwebt hatten. 7 7,1–2 Ursprünglich Geburtsgöttinnen, später mit den drei Moiren Klotho, Lachesis und Atropos gleichgesetzt, spinnen vom Beginn bis zum Ende des Lebens der Menschen die drei Parzen Nona, Decuma und Morta die Schicksalsfäden.

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7,5–6 Seinen Sieg über die Aquitanier feierte Messalla am 25. September des Jahres 27 v. Chr. In der Mehrzahl spielt er im gleichen Sinne wie im Vers 2,1,31 auf dieses Ereignis an. 7,7–8 Der Triumphator fuhr auf einem mit Gold und Elfenbein verzierten Wagen, den vier Schimmel zogen. 7,9–10 Die Tarbeller hatten sich im Südwesten Aquitaniens, die Santonen in der Küstenlandschaft zwischen Garonne und Charente angesiedelt. 7,12 Die Carnuten bevölkerten das Gebiet zwischen Seine und Loire mit den als Orléans und Chartres fortlebenden Städten Cenabum und Autricum. 7,13–14 Der Kydnos durchfloss an seinem Unterlauf ruhiger als in den Bergen Tarsos, den Amtssitz des Statthalters der römischen Provinz Kilikien, und mündete zu einem Delta verzweigt im Mittelmeer. 7,15–16 Das Merkmal, »ungeschoren«, sprich: ›bärtig‹ oder ›langhaarig‹ zu sein, schreibt Tibull den in Kleinasien ansässigen Kilikern zu, um sie zu einem wilden Naturvolk der Berge zu stempeln. Gegen sie zu Felde zog sein Gönner Messalla nach der Seeschlacht von Aktium, also frühestens im Herbst des Jahres 31 v. Chr. 7,17–18 Dem Syrer heilig war die weiße Taube, weil sie der phönizisch-syrischen Gottheit Astarte geweiht war. Die nähere Herkunftsbezeichnung »palästinensisch« spielt darauf an, dass Messalla zwischen 31 und 29 v. Chr. von Kilikien über das syrische Kernland Palästina zu der phönizischen Handelsstadt Tyros gezogen war, um sich, wählte er den Seeweg, in ihrem Hafen nach Ägypten einzuschiffen. 7,19–20 Der Ruhm, den Segelschiffbau erfunden und die Seefahrt entdeckt zu haben, gebührte eher den alten Ägyptern als der phönizischen Hafen- und Handelsstadt Tyros. 7,21 Sirius hieß der hellste Fixstern am Maul des Hundes; nach seinem Morgenaufgang, mit dem die Nilüberschwemmungen einsetzten, bestimmten die Ägypter schon früh die Länge ihres Kalenderjahres. 7,22 Die Felder seines Tals zu überschwemmen begann der Nil Jahr für Jahr kurz nach der Sommersonnenwende. Aus diesem Grund waren die Ägypter schon lange dazu übergegangen, die Jahre nach dem Frühaufgang des Hundssterns zu zählen und in 12 Monate mit 30 Tagen und 5 Ergänzungstagen zu unterteilen. 7,23–24 Mit der Frage, wo der Nil entspringt, beschäftigte sich das Altertum schon, als sich die Geschichtsschreibung noch nicht von der Erdkunde abgespalten hatte. Auf diesem Stand der Forschung, griechisch ἱστορία, erörterte sie Herodot im zweiten Buch seines Geschichtswerks, c. 28–34. 7,26 Statt Iuppiter wie sonst üblich als imbricitor, »Regenverursacher«, zu preisen, übersetzt Tibull den Beinamen Hyetios, »Regenbringer«, den die Griechen ihrem Göttervater verliehen, mit pluvius, um ihn wortwörtlich von Zeus auf sein römisches Ebenbild zu übertragen.

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7,27–28 In Osiris, dem Bruder und Gemahl der Isis, geht der Nil ebenso auf, wie ihn Apis, der in Memphis begrabene Heilige Stier, verkörpert; um ihn trauerten seine Anhänger im Tempel der Reichsgottheit Serapis, zu der Osiris und Apis in ihrem Nachleben verschmolzen. 7,29–30 Der Zusammenfluss griechischer und ägyptischer Religionen verlief in den Bahnen, dass Osiris Züge von Schutzgottheiten des Acker-, Obstund Weinbaus wie Demeter oder Bakchos annahm. 7,31–32 Bevor genießbares Obst gepflückt und verzehrt werden konnte, mussten bis dahin unbekannte Bäume angepflanzt und gepfropft werden. Varro rust. 1,31,5 verstieg sich gar zu der abwegigen Vermutung, poma seien sie nach potus, dem Trank, genannt worden, weil sie, wenn sie gepfropft würden, täglich gewässert werden müssten. 7,39–40 Dieser Eigenschaft verdankte Bacchus den Beinamen Lyaeus, der Sorgenlöser. 7,41–42 An Beinschellen gekettet wurden im Weinbau Sträflingssklaven, servi compediti; so Cato agr. 56. 7,47 Mit seinem zweizüngigen Mundstück aus Horn oder Bronze bildete der Aulos, die griechische Ausführung der Tibia, die älteste Vorform der Oboe. 7,48 Leicht war die Lade, in der die Priester ihre Ausrüstung verwahrten, weil Deckel, Boden und Wände aus Weiden oder Binsen geflochten waren. 7,49–50 Die eindeutigen Aussagen aller älteren Handschriften anzuzweifeln fehlt hier wie so oft jeglicher Grund. Das Wort concelebrare auf Spiele und einen Schutzgeist anzuwenden erlaubt der lateinische Sprachgebrauch ebenso sicher, wie der deutsche es gestattet, es beide Mal mit »gemeinsam feiern« zu übersetzen, und die dichterische Freiheit, in seinen Zahlenangaben zu übertreiben, nimmt sich Tibull im Vers 1,4,69 bereits mit dreihundert, im Vers 2,4,45 schon einmal mit hundert und in den Versen 1,3,48 und 1,4,60 sogar mit tausend. 7,53 Der Vokativ hodierne, so stellten Wackernagel, Syntax 1, 308, und Löfstedt, Syntactica 1, 103, klar, vertritt den Nominativ und ist dem Subjekt nur aus dem äußerlichen Grund zugeordnet, dass Cornutus im Konjunktiv der 2. Person angesprochen wird. In der Sache, um die es geht, steht er dem Prädikat venias genauso nahe wie ein prädikatives Attribut. 7,54 »Mopsopisch« nennt Tibull Attikas begehrten Honig vom Hymettos, weil der Sage nach ein König Mopsopos über die Halbinsel herrschte und sie nach ihm ursprünglich Mopsopien hieß. 7,55–56 Seine männlichen Nachkommen schlugen wie ihr Vater die senatorische Laufbahn ein: M. Valerius Messalinus, sein um 36 v. Chr. geborener Sohn aus erster Ehe, wurde im Alter von etwa 15 Jahren zum XVvir sacris faciundis berufen, stieg 3 v. Chr. zum eponymen Konsul auf und wurde 6 n. Chr. Statthalter der Provinz Illyricum, Marcus Aurelius Cotta Maximus, sein jüngerer Sohn aus zweiter Ehe, stieg 20 n. Chr. zum eponymen Konsul auf

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und wurde 25/26 n. Chr. Prokonsul der Provinz Asia; so jedenfalls Syme, Augustan Aristocracy, 49. 230. 232 und 236–238. 7,57–58 Von seiner Kriegsbeute bestritt Messalla die Kosten für das Projekt, die Via Latina von der Porta Capena bis zu den Ausläufern der Albanerberge zu einer dauerhaft gut begeh- und befahrbaren Überlandstraße auszubauen. 8 8,3–4 Zu Weissagungen die Eingeweide zu beschauen oblag den Haruspizes, zum gleichen Zweck den Vogelgesang der aves oscines zu beobachten den Auspizes. 8,11–12 Fuß- und Fingernägel zu schneiden gehörte zum Beruf des Barbiers. 8,19 Über Bauern, die Feldfrüchte vom Acker eines Nachbarn zu ihrem herüberhexten, verhängte das Zwöltafelgesetz die Höchststrafe, sie wie räudige Hunde totzuprügeln; zu Wortlaut und Hintergrund dieses Verbots s. Flach, Zwölftafelgesetz, 120–121. 126–128 und 210–212. 8,22 Sistren muss der Dichter gemeint haben, da er im Vers 1,3,24 die Musikinstrumente aus Bronze, die Priesterinnen der altägyptischen Gottheit Isis rütteln und schütteln, wortgleich als aera repulsa umschreibt. 8,31–32 Dazu, einen bartlosen Jüngling mit Gold zu vergleichen, lädt ein, dass sein Gesicht wie Gold prangt. 8,33–34 Auf die großen Vermögen von Königen mit Verachtung herabzusehen schuldete Pholoe ihrem Liebesglück, war es ihr vergönnt, sich über einen hellhäutigen bartlosen Jüngling zu beugen, um ihre Arme um seine Schulter zu legen. 8,35 Dem historischen Perfekt invenit gleicht im Griechischen der sogenannte gnomische Aorist. Zu dem Futur inveniet glaubte Joseph Justus Scaliger es nur deswegen verbessern zu müssen, weil er verkannte, dass Tibull diese Zeitform wählte, um wie in den Versen 1,4,17, 1,4,18 oder 2,1,73 eine allgemeingültige Erfahrung als Lebensweisheit mitzuteilen. 8,39–40 Mit diesen Worten verflucht und verwünscht der Dichter die Kupplerin, die sich, solange ihr Kundendienst als Dirne, Vermittlerin und Puffmutter gefragt war, über großzügige Geschenke freuen konnte. 8,43–44 Mit Walnüsschen, die gerade aus der Knospe hervorzusprießen beginnen, färbte sich die Römerin nach Plin. nat. 15,87 ihr Haar rötlich. 8,46 Zu Schälkuren, mit denen sie Runzeln bekämpfte, trug sie, nach Plin. nat. 24,43 zu schließen, pflanzliche Extrakte auf die faltige Haut auf. 8,50 Der Gegensatz zwischen betagten Greisen und einem jungen Mädchen tritt schärfer hervor, wenn die Wortform esto als Imperativ der 3. Person aufgefasst wird.

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8,51 Das Eigenschaftswort sonticus gebraucht Tibull hier im gleichen Sinne, wie es nach Gellius 20,1,24–30 und Festus, s. v. sonticum morbum, p. 372 Lindsay die Väter der Zwölf Tafeln verwandten. 8,53 Nicht ohne Grund vermuteten schon die älteren Herausgeber, dass der Ausruf vae in dem Handschriften zu der nichtssagenden Partikel vel verformt sein muss; darin bestärken so schlagende Belege wie Plautus, Mercator 217, oder Terenz, Adelphoe 301 und Heautontimorumenos 250. 8,55 Der Indikativ poterat kommt hier wie im Vers 3,9,46 dem Konjunktiv possem gleich; zu dieser Wahlfreiheit vgl. Kühner/Stegmann Lateinische Grammatik 1, 170–171. 8,65–66 In ihrem Haus bewegt haben könnte sich etwa ein Haus- oder Nagetier. 8,78 Im gleichen Sinne verwendet Tibull in den Versen 1,4,17 und 18 den Zeitbegriff dies und gebraucht Cicero ad Quint. fr. 1,2,12 wie auch Ovid met. 9, 618 das Zeitwort revocare. Cicero spricht in der Entschuldigung quas sc. litteras … iracundius scripseram et revocare cupiebam von einem Brief, Ovid in dem Bedingungssatz si facta mihi revocare liceret von einen Schritt, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. 9 9,1–2 Sobald Marathus mit Tibull ein foedus einging, verpflichtete er sich wie in einem Bündnisabkommen zu unverbrüchlicher Vertragstreue. 9,7–8 Tibull rechnet mit Lesern, die sich tauris zu urget opus hinzudenken. 9,9–10 Die Schiffe von Reedern, die Seehandel trieben, mussten durch sturmgepeitschte Meerengen wie die Dardanellen gelotst werden. 9,33–34 Dem Falerner kamen seine von der Sonne verwöhnten Hanglagen zugute, die er dem 811 m hohen Mons Massicus im Norden Kampaniens verdankte; Plin. nat. 14,62–63. 9,35–36 Die von Gewittern gereinigten hellen Zickzackbahnen des Blitzes vergleicht der Dichter mit blitzblank geputzten sauberen Straßen. 9,40 Die sinnlose Lesart sed drang am ehesten über die zwei Vorstufen in die Textüberlieferung ein, dass das – dem Zusammenhang nach mit »unter dieser Voraussetzung« zu übersetzende – Adverb sic zu der Wortform sit und sie wiederum zu der Konjunktion set, der Nebenform von sed, abgewandelt wurde. 9,41–42 Auf dunklen Häuserstraßen Fackeln voranzutragen wäre Sache eines Sklaven gewesen, doch übernimmt der Dichter diese Aufgabe aus reiner Gefälligkeit. 9,44 Die bestens verbürgte Lesart sed haben die Herausgeber nur deshalb verworfen, weil ihnen entging, dass der Dichter betont, wie deutlich sich sein Verhalten von dem der Person abhob, die seinen heißgeliebten Marathus öfters überraschend besuchen kam: Während er sie in seinem Haus stets willkommen

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hieß, missbrauchte sie seine Gastfreundschaft dazu, sich hinter verschlossener Tür mit seinem Knaben zu vergnügen. 9,47 Mit der bildhaften Ausdrucksweise, von einer attonita mens zu sprechen, beschreibt Tibull seine Geistesverfassung, wie vom Donner benommen »behämmert« oder – um es in die Hochsprache zu übersetzen – wie vom Blitz getroffen mit Blindheit geschlagen gewesen zu sein. 9,61–62 Wie hemmungslos die Schwester die Nächte auskostete, konnten zuallererst die Männer verbreiten, mit denen sie zechte und schlief. 9,62 Wie Aurora, die Morgenröte, stellt Tibull sich ihren Sohn, den Morgenstern, als eine Gottheit vor, die mit einem Gespann zum Himmel hinauffährt. 9,68 Je feiner das Haar war, desto dichter mussten die Kämme gezähnt sein; je nach Bedarf oder Anspruch des Kunden schnitt der Hersteller ihre Zacken aus Horn, Buchsbaum, Elfenbein oder Schildpatt aus. 9,71–72 Bei einer Scheidung würde die junge Gemahlin eines wohlhabenden Ehemannes aus gutem Hause nicht nur auf ein Vermögen, sondern auch auf das Haus verzichten, aus dem er stammt. 9,75–76 Die Beifügung trux, »trotzig«, gibt den Fingerzeig, die Eigenschaft, ferus, »wild«, zu sein, nicht auf Tiere, sondern wie in den Versen 1,5,5, 1,10,2 und 2,5,103 auf Menschen zu beziehen. Zur Sodomie neigte kein Lustknabe der griechischen und römischen Liebesdichtung. 10 10,8 Mit »vor« übersetzt kommt die Präposition ad in Verbindung mit Speisen ebenso zu ihrem Recht wie im Vers 2,1,7 in Verbindung mit Krippen. 10,9–10 Die Herde anzuführen hatte der Leithammel, nicht der Hirte. Der Hirte musste vielmehr, wie V. 43 klärt, hinter den Schafen herlaufen, wollte er verhüten, dass sich welche verirrten. 10,10 Scheckig sind die Schafe, weil Rom in seiner Urzeit noch keine Viehzucht kannte. Nach welchen Grundregeln sie gezüchtet werden sollten, fasst Varro rust. 2,2,4 in die Worte: »Zu achten ist auch darauf, dass ihre Zunge nicht schwarz oder scheckig ist, weil Böcke, die diese Merkmale haben, in der Regel schwarze oder scheckige Lämmer hervorbringen.« 10,23 Nach Aussage sämtlicher älteren Handschriften betonte Tibull nicht etwa, dass der Bauer selbst, ipse, Fladenbrote darbrachte, sondern vielmehr, dass er selbstgemachte, ipsa, darbrachte. Dass er selbst sie zum Altar brachte, brauchte an der ländlichen Welt der Frühzeit nicht eigens hervorgehoben zu werden. 10,24 Wie Vergil georg 1,344 überträgt Tibull das Wort favus von der Wabe auf ihren Inhalt, den Honig. 10,27–28 Von diesem Distichon ist der Hexameter, vom vorhergehenden der Pentameter ausgefallen. Im 26. Vers des Gedichts wird Tibull darin fort-

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gefahren sein, die Laren um Hilfe zu bitten, im 27. ihnen zum Dank für ihren Beistand Gaben in Aussicht gestellt haben. Wechselte er von der Pflanzen- zur Tierwelt, versprach er ihnen nicht nur ein Ferkel, sondern auch Gaben wie Ährenkränze oder Kostproben von Obst darzubringen. 10,29–30 Wie gerere im Lateinischen passt »tragen« im Deutschen auf den myrtenumkränzten Kopf genauso gut wie auf die myrtenumkränzten Körbe. 10,37 Schon die Wortstellung legt nahe, die Beifügung culta, »bestellt«, nicht nur auf das Rebland, sondern auch auf das Saatfeld zu beziehen. Dazu passt, dass Tibull im Vers 1,3,61 davon spricht, im Elysion habe unbestelltes Saatland Wilden Zimt oder Majoran getragen. 10,38 Dem ebenso unwirschen oder garstigen wie hässlichen Charon eilte der Ruf voraus, sein Fährgeld, das Portorium, gnadenlos einzufordern. Doch schimpft Tibull ihn nicht turpis, sondern überträgt er wie zuvor schon im Vers 1,4,45 oder Properz in den Versen 1,6,15 und 4,1,40 das Wort puppis nach Dichterart als Pars pro toto vom Heck oder Hinterdeck auf das Schiff. 10,43 Den Schafen auf den Fersen bleiben muss der Vater, um der Gefahr vorzubeugen, dass sie sich verlaufen. Die Herde anzuführen überlässt er dem Leithammel. Der Sohn ist zwar schon alt genug, um Lämmer, aber noch zu jung, um Schafe zu hüten. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit spätrepublikanischer Viehwirtschaft rät Varro rust. 2,10,1, die Aufgaben wie folgt zu verteilen: »Für die größeren Herdentiere braucht man Leute, die im Alter fortgeschritten sind, während für die kleineren auch Knaben genügen; in dem einen wie dem anderen dieser beiden Fälle müssen aber die, die auf Bergtriften umherziehen, kräftiger sein als die, die auf einem Gut täglich zum Hofgebäude zurückkehren. So kann man denn auch auf den Weidegründen junge Männer sehen … , während auf den Gütern nicht nur Knaben, sondern auch Mädchen das Vieh hüten.« 10,45 Mit dem Naturgesetz, dass der Mensch im Alter ergraut, beschäftigte sich Tibull schon in den Versen 1,1,71–72, 1,6,85–86, 1,8,29–30 und 1,8,41– 42. Diesmal gießt er es in die Form, dass sich der Kopf durch weißliches Haar helle. 10,53–54 Selber fährt der Bauer nach Hause, obwohl er, angetrunken, wie er ist, besser daran getan hätte, den Wagen nicht zu lenken. 10,57 Zu subfusa bzw. suffusa verbesserte Joseph Justus Scaliger die nahezu einhellig überlieferte Lesart subtusa aus gutem Grund. Nicht genug damit, dass die Vorsilbe sub im anderen Fall keinen erkennbaren Sinn ergäbe und sich nirgendwo sonst mit dem Grundwort tundere zusammengesetzt findet, ginge auch die Aussage an der Sache vorbei: Wie sollte der angeheiterte Bauer die Wangen seiner Frau »von unten« (!) grün und blau geschlagen haben, wenn sie sich nur darüber beschwerte, dass er ihr die Haare zerzauste und, als sie sich einschloss, die Tür zertrümmerte? 10,67–68 Mit zunächst im Feuer gehärteter, später aus Eisen gefertigter Spitze diente der Pfahl als Wurf- und Stoßwaffe; vgl. Verg. Aen. 7,524 und

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11,894 sowie Prop. 4,1,28. An einen Schanzpfahl kann Tibull schon deswegen nicht gedacht haben, weil er dem Schild eine Angriffswaffe gegenüberstellt, die der Krieger in seiner Rechten hält. 10,70 Pax, die Schutzgöttin des Friedens, ruft der Dichter nicht etwa mit der Bitte an, vor ihr, vor ihren Anhängern oder vorher fließe der weiße Bausch ihres Gewandes von Obst über. Schon allein der Satzbau stellt vielmehr klar, dass er sich gewünscht haben muss, der »vorher weiße Bausch« ihres Gewandes, der candidus ante sinus, quelle von Obst über. Nur vorher, später nicht mehr war er weiß, weil dann Obst ihn verfleckte.

Tibulls zweites Buch 1 1,1 Mit dem Anklang faveat, zu dem die Gebetsformel favete linguis verkürzt ist, wurden die Festteilnehmer dazu aufgerufen, den Verlauf des Gottesdienstes mit andächtigem Schweigen zu begünstigen. 1,3–4 Mit Hörnern verkörperte Bacchus die Manneskraft eines Fruchtbarkeitsgottes. 1,5–6 Am Tag soll der Pflüger seine Tätigkeit so lange unterbrechen, wie der Festgottesdienst dauert, am Abend aber die schwere Feldarbeit einstellen, um wie der Bauer des Verspaars 1,10,53–54 bis tief in die Nacht zu feiern. 1,15 Mit ut verbindet Tibull den Imperativ cernite nach dem Muster von Verben wie observare, contemplare oder aspicere. Zum Altar ging das gottgeweihte Lamm nicht von alleine, sondern am Seil. 1,16 In Weiß und mit Ölzweigen um den Kopf erschienen die Festteilnehmer, um ihre Ehrfurcht vor der weiß gekleideten Göttin des Friedens zu bekunden. 1,17–18 Ihr Grenzgangsfest, die Ambarvalien, feierten die Römer am 29. Mai. 1,27–28 Im Rauchfang reiften die hochwertigen Falerner über dem Weinlager, der apotheca, in Tonfässern, um länger haltbar zu bleiben; dem Jahr, in dem sie abgefüllt wurden, gaben die eponymen Konsuln den Namen. 1,28 In Rom war der von der griechischen Insel Chios eingeführte süffige Wein so hoch geschätzt wie der zwar herbere, aber würzigere Falerner aus dem Weinbaugebiet zwischen Mons Massicus und Volturnus im Norden Kampaniens. Um so edle Weine luftdicht zu verschließen, wurden die 10 Congii oder knapp 33 l fassenden Tonkrüge, in denen sie eingelagert waren, zugestöpselt und rings um den Hals verpicht. 1,33 Wie im Vers 1,7,5 nimmt sich der Dichter die Freiheit, in der Mehrzahl von Triumphen zu reden, weil er in dem, den Messalla am 25. September des Jahres 27 v. Chr. in Rom hielt, den gebührenden Widerhall mehrerer Schlachtensiege gebündelt sieht. 1,41–42 Als Erfindung von großer Tragweite würdigt Tibull den Fortschritt, den Kasten des Wagens, seinen Aufbau, mit Achsen und Rädern, seinem Unterbau, zu einem Fuhrwerk zusammengesetzt zu haben. 1,53–54 Ihr Urheberrecht auf die Satire, das Quintilian inst. 10,1,93 mit dem kurzen Satz satura … tota nostra est geradezu in Stein meißelte, leiteten die Römer fälschlich davon her, dass sie ihr Allerlei, die satura, als lanx in Schüsseln auftischten. 1,57–58 Mit hircus übersetzt Tibull in seine Muttersprache, dass die Griechen den Gattungsbegriff »Tragödie« auf τράγος, den Bock, zurückführ-

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ten. Den Nachsatz auxerat hircus oves fügt er bloß an, um zu erläutern, weshalb er den Leithammel als bemerkenswertes Geschenk ansieht. In der Zeitform der Vorvergangenheit trägt er ihn nach, um klarzustellen, dass der Hammel als Bock schon seine Schuldigkeit getan hatte. Zum Leittier war er ja erst aufgestiegen, als er zu alt geworden war, um Schafe zu bespringen. 1,65–66 Minerva verehren und preisen die Weberinnen als Schutzgöttin des Handwerks. Auf sie singt immer irgendwo eine von ihnen ihr hohes Lied, weil ein verantwortungsbewusster Bauer die Gewähr bietet, dass sein Haus von dem fröhlichen Gesang glücklicher Mägde widerhallt. So ist Tibull freilich nur zu verstehen, wenn cantare als Intensivum des Grundworts canere zu seinem Recht kommt und aliqua nicht als Nominativ Singular, sondern als zum Adverb erstarrter Ablativ des Pronomens aliquis aufgefasst wird. 1,66 Die Einschläge, subtemina, schossen die Weberinnen mit einem Weberschiffchen, dem radius, ein. Dieses beidseits spitz zulaufende Gehäuse mit drehbar gelagerter Spule führten sie quer zu den Kettfäden, den tramae, von dem einem zu dem anderen Pfosten des Hochwebstuhls, der tela. 1,73–74 Beidemal den gnomischen Aorist wählte Tibull, weil die Fehler und Rückschläge, in der Jugend ein Vermögen zu verprassen oder im Alter vor verschlossener Tür zu hadern, zu den allgemeinen Lebenserfahrungen eines geprellten oder enttäuschten Liebhabers gehörten. Die erboste Jüngere hatte sich über sein Benehmen geärgert, der grollende Ältere sie aus dem Grund wüst beschimpft, dass sie ihn wutentbrannt ausgesperrt hatte. 1,75–78 Verlässt eine behütete Tochter oder verheiratete junge Frau ihr Haus, um sich mit ihrem jungen Liebhaber zu treffen, muss sie zuvor unbemerkt über vor der Tür liegende Wachen hinübersteigen, die zu später Stunde vor Müdigkeit eingeschlafen sind, und sich durch unwegsames Gelände zu den dunklen Straßen vortasten, die sie zu ihm führen. So weit kann der Leser die Schilderung ihres mühsamen Wegs freilich nur dann durchblicken, wenn er praetemptat iter dazu fortspinnt, im nachfolgenden Vers sich iter als Akkusativobjekt zu dem Prädikat explorat hinzuzudenken. 1,85–86 Wie bei den Griechen der Aulos glich bei den Römern die aus Buchsbaumholz geschnitzte Tibia mit ihrem geschwungenen Rohrblatt, dem doppelten Mundstück aus Horn oder Bronze, eher einer Oboe als einer Flöte. Zu den Klängen des Aulos tanzten die Anhängerinnen der phrygischen Göttermutter Kybele, bis sie erschöpft zu Boden sanken. 1,89–90 Torkelnd nahen die nachtschwarzen Träume, weil die Festteilnehmer bis tief in die Nacht gezecht haben. 2 2,1 Spät erst, im neunten Vers, trägt der Dichter nach, dass es Cornutus ist, dem er sein Gedicht widmet. Von den Glückwünschen zum Geburtstag seines Freundes zu den Segenswünschen zu seinen Heiratsplänen schreitet es in drei

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Stufen fort. Die erste, von Vers 1 bis 4: Zum Festakt sollen seine Teilnehmer andächtiges Schweigen wahren und seinem Schutzheiligen so kostbare Weihgaben wie Weihrauch und Gewürze auf dem Brandaltar darbringen. Die zweite, von Vers 5 bis 20: Zum Dank für die Ehren, die er ihm mit den vier Aufmerksamkeiten erweist, ihm zum Festmahl Girlanden, Nardenöl, Fladenbrot und Wein zu spenden, wird er ihm seinen sehnlichsten Geburtagswunsch erfüllen, mit einer treuen Schönheit eine bis ins hohe Alter fortdauernde Ehe einzugehen. Die dritte, von Vers 21 bis 22: Heiratet er, kann er darauf hoffen, dass derselbe Schutzgott, den er zu seinem Geburtstag einlud, zu seiner Hochzeit kommt und aus seiner Ehe eine fröhliche Kinderschar hervorgeht. 2,3–4 Friedsam oder weichlich nennt Tibull den Araber, weil er in ihm den Händler sieht, der Luxusgüter wie Gewürze und Parfüme liefert. 2,6–8 Die Zeichensetzung hat darauf Rücksicht zu nehmen, dass Tibull vom sechsten bis zum achten Vers des Gedichts aufzählt, welche Ehren Cornutus seinem Schutzheiligen, dem Genius, erweisen möge: Hinter dem fünften statt eines Doppelpunkts ein Komma und hinter dem sechsten statt eines Kommas ein Semikolon oder gar einen Punkt vorzusehen verbietet sich aus diesem Grund. 2,9 Mit dem Beinamen Cornutus redet Tibull am ehesten Marcus Caecilius Cornutus an, der nach Ausweis der Ehreninschrift CIL VI 323338 wie Marcus Valerius Messalla Corvinus um 21/20 v. Chr. zum Mitglied der Bruderschaft Fratres Arvales berufen wurde. In dieser Eigenschaft hatten sie gemeinsam mit zehn weiteren Standesgenossen im heiligen Hain der Göttin Dea Dia ein mit den Ambarvalien vergleichbares Grenzgangsfest, die Feriae conceptivae, auszurichten. Wo sich ihre Lebenswege sonst noch gekreuzt haben könnten, erörtern ausgiebig Scheid, Frères arvales, 34–40, und Cairns, PLLS 10, 1998, 228–231. 2,15–16 Das Beiwort Eous, zu Deutsch: »morgenländisch«, legt Tibull dem Meer, an dem die Inder wohnen, aus dem gleichen Grund bei wie Properz 3,13,15–16 den Indern. Überschwänglich, wie er ihr »Bestattungsgesetz« der Witwenverbrennung lobt, preist Properz ihre Ehemänner mit dem Gefühlsausbruch glücklich: »Segensreich ist ein einmaliges Bestattungsgesetz für morgenländische Ehemänner, die Aurora bräunt, wenn glutrot sie aufsteigt mit ihren Rossen.« Die Inder zu bräunen, wenn sie mit den Rossen ihres Gespanns »glutrot« ihre Himmelsbahn zieht, schreibt er Aurora, der Göttin der Morgenröte, nach der geläufigen, durch Herodot 3,104,2 verbreiteten Vorstellung zu, dass die Sonne in den Ländern des ferneren Ostens bereits am Morgen eine größere Kraft entfalte als im Westen am Mittag. 2,17–18 Dass die Gebete in Erfüllung gehen, zieht der Dichter nicht in Zweifel. Nur hofft er, dass Amor sich beeilt, den Auftrag, den ihm der Genius des Geburtstagskinds gibt, so zügig und getreu wie möglich auszuführen. Aus dem einen Grund soll er, der für alle Liebesbeziehungen zuständige Gott, mit

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rauschenden Schwingen herbeifliegen, aus dem anderen die passenden Fesseln für die Ehe mit einer Blondinen mitbringen. 2,21 Zur Hochzeit kommen und für Nachwuchs sorgen soll Natalis, sein von Geburt an über ihm schwebender Schutzgeist, wenn er nach dem Schönheitsideal des Südländers eine Blondine heiratet, die sich nach Herkunft und Erziehung in einer standesgemäßen Ehe als treue Gemahlin zu bewähren verspricht. 2,21–22 Von veniat Natalis zu ludat et … turba wechselt das Subjekt so abrupt wie in dem Distichon 2,1,3–4 von Bacche, veni zu dulcisque … uva pendeat oder in dem Versblock 2,3,15–18 von deus … … miscere docuisse coagula lacte zu lacteus et mixtus obriguisse liquor. 3 3,11 Admetos, dem jungen Herrscher von Pherai, hat Apollon ein Jahr lang als Hirte zu dienen, weil er die Kyklopen aus dem Grund tötete, dass sie den Donnerkeil fertigten, mit dem sein Sohn Asklepios von Zeus erschlagen wurde. Zu dem wohlgestalteten König in Liebe entbrannt zu sein, sagt Kallimachos ihm im zweiten Hymnos, V. 48, nach eigenem Gutdünken nach. 3,12 Apollon zupfte eine Sonderanfertigung der Leier, die aufwändigere und anspruchsvollere Kithara, auf der Berufssänger, die Kitharöden, ihre Lieder begleiteten. 3,16 Die Lücke findet sich in den Handschriften teils angezeigt, teils mehr oder weniger willkürlich gefüllt. Zwei Fingerzeige weisen aber immerhin die Richtung, in der zu suchen ist, wie der Vers, der verlorenging, gelautet haben könnte. Der erste Anhaltpunkt: Mit obriguisse konnte der Dichter nur fortfahren, wenn er in dem verschollenen Vers wie in 1,2,53, 1,3,10, 2,1,53, 2,1,68, 2,3,22 und 2,5,20 dicitur oder wie in 1,8,73 und 2,3,33 fertur vorausgeschickt hatte. Der zweite: Nach Inhalt und Wortlaut der beiden nachfolgenden Distichen zu schließen, schwenkte Tibull in diesem Vers zu der ländlichen Szene über, dass Apollon die Kühe, die er von den Ställen auf die Weide trieb, selber molk, um erstmals aus Kuhmilch Käse herzustellen. 3,17–18 Zu dem milchigen Gemisch, das zu Quark gerinnen sollte, versetzten die Hirten frische Kuhmilch mit Lab. 3,19 Die verstärkende Vorsilbe de- des Grundworts texere zeigt an, dass Tibull das dichte Flechtwerk des Körbchens, in dem der Quark abtropfen sollte, mit einem engmaschigen Gewebe verglich. 3,21–22 Seiner schämt sich seine Zwillingsschwester Artemis, mit lateinischem Namen Diana. 3,27 Latona hieß mit ihrem lateinischen Namen Apollons Mutter Leto, die Iuppiter, der römische Zeus, verführt hatte.

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3,28 Sein lockiges Haar bewundert hat Iuno, die römische Hera, so sehr sie auch geradezu sprichwörtlich zur Eifersucht neigte, weil ihr Gemahl sie unentwegt betrog. 3,31 Das »Wachtelland« Ortygia soll eine schwimmende Insel gewesen sein, bis Apollon es auf vier Säulen verankerte und in Delos, »die Sichtbare«, umbenannte. So dankte er ihr dafür, dass sie Leto, seiner von Zeus geschwängerten Mutter, in ihrer Not gestattete, mit ihm und seiner Zwillingsschwester Artemis am Kynthos niederzukommen. 3,37–38 Zwischen diesem und dem nächsten Distichon klafft keineswegs eine Lücke. Wie Properz 2,25,21 oder 4,11,30 rechnet Tibull vielmehr mit Lesern, die sich ein Scharnier wie scito hinzudenken. 3,39–40 Die Gräuel des Eisernen Zeitalters stellt Tibull der zur Idylle verklärten Welt des Goldenen gegenüber. 3,41 Zwietracht fochten die Römer namentlich in Bürgerkriegen aus. 3,43–44 Die Gefahren der ohnehin riskanten Handelsschifffahrt verdoppelte der Seekrieg. 3,47–48 Seitdem Korinth im Jahr 146 v. Chr. geplündert wurde, nahm der Kunstraub der Siegermacht seinen Lauf. Mit Säulen aus einem so kostbaren Werkstoff wie dem bläulichen Marmor vom Hymettos werteten reiche Römer die Vorhallen und Innenhöfe ihrer Stadthäuser auf. 3,49–50 Über das Gebaren der »Fischteichler« oder »Fischteichtritonen«, wie Cicero sie in mehreren Briefen an seinen Freund Atticus – 1,18,6; 1,19,6; 1,20,3; 2,1,7; 2,9,1 – genüsslich betitelte, spottete Varro rust. 3,17,5–6 kopfschüttelnd mit den Seitenhieben: »Wenngleich unser gemeinsamer Freund Quintus Hortensius bei Bauli mit hohen Kosten gebaute Fischteiche hielt, bin ich doch oft genug mit ihm auf seinem Landsitz zusammengewesen, um zu wissen, dass es seine Gewohnheit war, stets Leute nach Puteoli zu schicken, um sie für die Hauptmahlzeit Fische kaufen zu lassen. Ja, es genügte ihm nicht, dass er sich nicht mit Fischen aus seinen Teichen füttern ließ, sondern er fütterte sie obendrein sogar selbst und verwandte größere Sorgfalt darauf, dass seine Seebarben nicht Hunger litten, als ich sie darauf verwende, dass meine Esel in Rosea nicht Hunger leiden …«. 3,51 Der Gedankengang verläuft glatter, wenn nach der Fassung des Florilegium Tibullianum mihi statt tibi gelesen wird. Sonst müsste Tibull zu dem Distichon 33–34 zurückgesprungen sein, obwohl er schon längst davon abgekommen war, über die Neureichen in der 2. Person zu schimpfen. Mittlerweile verweilte er vielmehr schon so lange bei seiner Zeitkritik, dass es sich nunmehr anbot, den Auswüchsen zeitgenössischer Verschwendungssucht die eigene Lebensform gegenüberzustellen. 3,53 Mit dem Wehruf heu, heu leitet Tibull die Wende ein, sich dem Zeitgeist wenigstens so weit zu öffnen, dass er noch hoffen kann, seine Geliebte mit kostbaren Geschenken nach Rom zu locken.

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3,57–58 Von einer »Frau aus Kos« spricht Tibull, um zu betonen, dass es sich bei ihr um eine gebürtige oder alteingesessene Einwohnerin mit großer Berufserfahrung handelt. Die Bahnen, die sie auf die dünnen Gewänder ihrer Kundin verteilte, nahm die koische Weber- und Schneiderin von Stoffen, die von Goldfäden durchwirkt waren. 3,61–62 Das sogenannte Punischrot der Karthager gewann Nordafrika aus der Scharlachbeere, das Dunkelviolett der Phönizier Karthagos Mutterstadt Tyros aus der Purpurschnecke. 3,63–64 Fremdländischen Kriegsgefangenen, die er auf dem Sklavenmarkt wie eine Ware feilbot, weißte der Händler zum Zeichen ihrer Herkunft Arme oder Beine. Nicht genug damit, mussten sie zum Beweis, dass sie sich dafür eigneten, zu schwerer Sklavenarbeit herangezogen oder zu Gladiatoren ausgebildet zu werden, auf der Drehbühne herumhüpfen, auf der er sie mit einem Preisschild um den Hals anpries. Cicero brandmarkte einen Ausländer, der so tief gesunken war, in De officiis 2,25 als »tätowiert«, Properz in 4,5,52 als »ziseliert« oder »graviert«. 3,65 Die meisten Gelehrten, die sich mit diesem Vers beschäftigten, verwechselten dura, den Imperativ des Zeitworts durare, mit dem gleichlautenden Nominativ Singular der weiblichen Form des Eigenschaftsworts durus. Nur deswegen wird er noch immer der eindeutigen Handschriftenlage zum Trotz mit sinnwidriger Zeichensetzung anders gelesen und übersetzt. 3,66 Verlässlich zeigt sich ein Getreidefeld, wenn es als Gegenleistung für die Saat einen ordentlichen Ertrag abwirft. Vertrocknet es, bleibt es ihr den Dank schuldig, den sie verdient. In dieser Hoffnung verwünscht der Dichter den verhassten neureichen Nebenbuhler. 3,79–80 Mit einer Felldecke schützte sich der Liebhaber vor der Nachtkälte, als er weder ein Toga trug noch seine Geliebte vor einer verriegelten Tür anflehte, ihn heimlich, still und leise einzulassen. 3,82 Bis dahin knapper und kürzer geschnitten, fiel die Toga seit den Anfängen des Prinzipats länger und weiter. 3,83 Zu schwerer Feldarbeit verurteilte Sträflinge hatten zu gewärtigen, tagsüber als servi vincti oder compediti von Aufsehern gezüchtigt und nachts als servi adligati von Wärtern in Verliesen, ergastula, angekettet zu werden. So wurden flüchtige Sklaven, servi fugitivi, die berufsmäßigen Sklavenfängern, den berüchtigten fugitivarii, ins Netz gegangen waren, Tag und Nacht von Beinschellen daran gehindert, von neuem zu entlaufen. 4 4,5 Strafe hätte der Dichter schon verdient, wenn er seine Geliebte sträflich vernachlässigt oder grundlos verdächtigt hätte. Das schlimmste Vergehen aber hätte er begangen, wenn er sie betrogen hätte.

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4,10 Aus unerfindlichen Gründen ziehen die Herausgeber die blassere »leichtere« Lesart vasti noch immer der bildhafteren »schwierigeren« vitrei vor. Mit Glas vergleicht der Dichter das Meer, weil es sich wie zerspringendes Glas an dem tobenden Stürmen trotzenden Riff bricht, wenn seine Wogen an das harte Felsgestein mit voller Wucht »hämmern«. In diesem Machtkampf ist das Meer Opfer, nicht Ursache der Stürme. Schon deswegen wird Tibull schwerlich von einem »schrecklichen« oder »entsetzlich weiten« Meer gesprochen haben. Übertrug er aber die Eigenschaft, zerbrechlich zu sein, vom Glas aufs Meer, verwandte er das gleiche Sprachbild wie Horaz, wenn er im Vers 2,3,222 seiner Satiren den vergänglichen Ruhm, Augustinus, wenn er in De civitate dei 4,3 p. 149,7 Dombart/Kalb den vergänglichen Jubel, oder Publilius Syrus, wenn er sent. 189 in dem Sprichwort »Glück ist wie Glas; dann, wenn es strahlt, bricht es« das vergängliche Glück gläsern nennt. In dem Reim »Glück und Glas, wie leicht bricht das« lebt diese Lebensweisheit bis heute fort. 4,17–18 Die Gestalt, in der die Mondgöttin ihre Bahn durchläuft, wandelt sich im Verlauf eines Monats vom Neumond bis zum Vollmond. 4,21 »Mord« im Munde zu führen ist in diesem Zusammenhang so wenig wörtlich zu nehmen wie in der Redewendung »Mord und Totschlag«. 4,29–30 In der Glitzerwelt, in der sich bewegt, wer Smaragde sammelt oder schneeweiße Schafwolle violett färben lässt, verführen und verderben Anreize zur Habgier wie Kleider aus Kos oder Perlen vom Persischen Golf die Mädchen. Rotes Meer nannten die Römer die See vor Arabiens Küsten, weil sich darin die Sonne in kräftigem Morgenrot spiegelt. 4,41–42 So inbrünstig verwünscht der Dichter die habgierige Nemesis, dass er sehnlichst hofft, ihre jungen Liebhaber würden aus Schadenfreude frohlocken, wenn sie das Haus, das sie von ihrem Geld erwarb oder erbaute, in Flammen aufgehen sähen. 4,53–54 Wollte ein Römer sein Haus verkaufen, bot er bzw. ein Makler es mit einem Aushang oder Anschlag an. 4,55–56 Kirke und Medea hießen die beiden namhaftesten Zauberinnen der griechischen Sage. Die eine verwandelte, um Odysseus von der Rückkehr zu Penelope abzuhalten, seine Gefährten mit einem Trank in Schweine, die andere entleerte über ihre Heimat Thessalien eine Kiste mit Kräutern, als sie mit einem von geflügelten Drachen gezogenen Gespann nach Korinth flog. In der Kunst, in der beide sich hervortaten, bewegte sich der Oberbegriff venenum wie im Deutschen das Wort »Droge« zwischen Arznei und Gift. Wollte der Römer von vornherein klarstellen, dass er Gift meinte, sprach er – wie nach Dig. 50,16,236 pr. die Väter der Zwölf Tafeln – von einer schlimmen oder schädlichen Droge, einem venenum malum. 4,57–58 Hippomanie, zu Deutsch: Hengsttollheit, beobachtete der Grieche an der rossigen Stute, wenn ihre Scheide Schleim absonderte. Diesen klebrigen Ausfluss sammelten Hexen und Kupplerinnen, um ein Hausmittel zu brauen,

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von dem sich ihre Kunden versprachen, dass es ihren Geschlechtstrieb anregen werde. Properz griff im Vers 5,18 seines vierten Gedichtbuchs auf dasselbe Fremdwort zurück, weil seine Muttersprache über keine eigene Wortbildung verfügte, die dazu eingeladen hätte, »rossig« mit »mannstoll« zu vergleichen. Wie schon Vergil georg. 3,280–281 leitet Tibull den zweiten seiner beiden Bestandteile fälschlich von manare, dem lateinischen Wort für »triefen«, ab. 4,59–60 Das Gebräu, das sie aus tausend anderen Hexenkräutern braut, schwört Tibull zu trinken, sollte Nemesis sich mit wohlgefälligem Gesichtsausdruck zu ihm bekennen. 5 5,1 Zum Anlass seines Gedichts nimmt Tibull, dass Marcus Valerius Messalla Messallinus, der 36 v. Chr. geborene älteste Sohn seines Gönners Marcus Valerius Messalla Corvinus, um das Jahr 21 v. Chr. in das Priesterkollegium der XVviri sacris faciundis berufen wurde. Den Tempel, in dem die Sibyllinischen Schriftrollen verwahrt waren, stiftete der spätere Augustus seinem Lieblingsgott Apollon aus Anlass der Siege, die er 36 v. Chr. in den Seeschlachten von Mylai und Naulochos über Sextus Pompeius errungen hatte, und weihte er am 9. Oktober des Jahres 28 v. Chr. ein. 5,5 Die Vorsilbe de- des Grundworts vincere stellt klar, dass Apollon den Lorbeer des siegreichen Feldherrn nicht lose, sondern zu einem Kranz gewunden trägt. Den Siegeslorbeer des Triumphators zu tragen hatte er aus zeitgenössischer Sicht vor allem deshalb verdient, weil er dem späteren Augustus am 2. September des Jahres 31 v. Chr. in der Seeschlacht von Aktium zu seinem Sieg über Mark Anton und Kleopatra verhalf; vgl. Prop. 4,6,25–58. Zum Dank stiftete er ihm unweit vom Schauplatz seines Sieges in der Gemarkung der 30 v. Chr. eigens gegründeten »Siegesstadt« Nikopolis einen Freilufttempel. 5,9–10 Saturn, der römische Kronos, lebte in der Sage als der Weltherrscher fort, mit dem das Goldene Zeitalter endete, als sein Sohn Iuppiter, der römische Zeus, ihn stürzte. In der Landbevölkerung genoss er nach wie vor eine so hohe Wertschätzung, dass sie ihn als Schutzgott ihres Acker-, Obst- und Weinbaus verehrte. 5,13–14 Namentlich aus den Besonderheiten der Leber des Schlachtopfers las der Haruspex Ratschläge oder Warnungen des Gottes heraus, den er als Priester zu Rate zog. 5,15–16 Sibylle hießen die sich in rauschhafte Verzückung hineinsteigernden Seherinnen, denen Apollon die Weissagungen eingab, die sie in griechischen Hexametern verkündeten. Die Sibylle von Erythrai, die Aeneas zu Rate zog, wanderte später nach Cumae aus und verkaufte ihre Orakel an Tarquinius Superbus.

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5,17–18 Zogen die Quindecimviri sacris faciundis die Libri Sibyllini zu Rate, streiften sie sich Handschuhe, lateinisch manicae, über, ehe sie diese Schriftrollen aufwickelten; Hist. Aug. Aurelian. 19,6. Die libri Sibyllini, aus denen die Mitglieder der Priesterschaft schöpften und vorlasen, der Messallas ältester Sohn fortan angehörte, hatten mit Weissagungen nichts zu tun. Mittlerweile auf dem Palatin in dem Tempel aufbewahrt, den Augustus seinem Lieblingsgott Apollon gestiftet und am 9. Oktober 28 v. Chr. eingeweiht hatte, bargen diese Schriftrollen vielmehr gesammelte Kultvorschriften. 5,19–20 Seinen Vater Anchises schulterte Aeneas im eigentlichen Sinne des Wortes, die Hausgötter aber, die er aus dem Flammenmeer des brennenden Troja heraustragen musste, nur bildlich gesprochen. Jedenfalls verschiffte er nicht »geraubte« Laren, sondern Laren, deren Häuser die Griechen eingenommen und gebrandschatzt hatten. Gleichwohl verleitet der mittlerweile verschollene Codex Eboracensis vom Jahr 1425 die Herausgeber noch immer dazu, allen einschlägigen Handschriften zum Trotz captos gegen raptos auszutauschen. 5,23–24 Mit Romulus verband Remus das Schicksal, in ihrer Wiege ausgesetzt worden zu sein. 5,25 Schafe grasten auf dem Palatin in der Welt von Sprachwissenschaftlern, die seinen Namen von pascere, »weiden«, Pales, der Schutzgottheit des Hirten, oder balare, »blöken«, herleiteten. Mit keinem dieser drei Ansätze drangen die Stimmen, auf die sich Festus nach Paul. Fest. p. 245 Lindsay und Solinus 1,15 beriefen, bis zu Walde/Hofmann, Etymologisches Wörterbuch 2,237, oder Ernout/Meillet, Dictionnaire étymologique, 475–476, vor. 5,26 In Rom konnten sich die Touristen auf dem Kapitol und auf dem Palatin eine casa Romuli anschauen. Wie die strohgedeckten Lehmhütten der Frühzeit ausgesehen haben werden, veranschaulichen am besten die etruskischen Hausurnen; s. dazu Flach, Römische Agrargeschichte, 124 mit Taf. 10 und 11. 5,27–28 Pales hieß die geheimnisumwitterte Hirtengottheit, nach der die Römer ihr ältestes Fest, das sie Jahr für Jahr am 21. April, dem Gründungstag ihrer Stadt, feierten, bald Palilien, bald Parilien nannten. 5,29–30 Wandern musste der Hirte von morgens bis abends, um die Schafe an Bächen zu tränken und ihren empfindlichen Kopf im Schatten von Bäumen oder Felsen vor der Sonne zu schützen; Varro rust. 2,2,10–11. Als Weihgabe an einen Baum hängte er die römische Nachbildung der griechischen Syrinx, die seinem Schutzgott Pan geweihte fistula. Wie die garrula hirundo, von der Vergil Georgika 4,307 spricht, zu zwitschern, sagt er ihr, der hell tönenden Rohrpfeife, gewiss eher nach, als wie ein Kind zu plappern. 5,38 Sein makellos weißes Fell hat das Lamm dem Glück zu verdanken, dass sich die Farbe des Fells von der Mutter auf ihr Junges vererbte. Dem Glück mit der Züchtung reinrassiger Schafe nachzuhelfen kam erst später auf.

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5,41 Auf Laurentum stieß Aeneas, nachdem er zwischen den Mündungen der Flüsse Tiber und Numicius an der Küste des Tyrrhenischen Meeres gelandet war. Diesen Ortsnamen behielt es, bis er es nach dem seiner Gemahlin, der Tochter des Königs von Latium, in Lavinium umbenannte. 5,43–44 Verehrungswürdig zu sein rühmt Tibull dem Numicius nach, weil Venus, die römische Aphrodite, ihren im Kampf mit den Rutulern gefallenen Sohn in diesem Küstenfluss, dem Rio Torto, in einen Gott verwandelt und zum Heros der Urbevölkerung seiner neuen Heimat erhoben haben soll. 5,48 Turnus, der Heerführer der Rutuler, fällt in dem Zweikampf, in dem er sich mit Aeneas misst, um Lavinia zurückzuerobern. In welchem Sinne ihn Tibull »barbarisch« schimpft, ist nicht sicher zu entscheiden. Je nachdem, ob der Ton auf der Herkunft oder der Wesensart liegt, pendelt dieses griechische Lehnwort zwischen den Bedeutungen »fremdländisch« und »brutal«. 5,49 Lavinium, heute Pratica di Mare, nannte Aeneas die Stadt, die er nördlich von Ardea gründete, nach Lavinia, der Tochter des Königs Latinus. 5,50 Von Lavinium aus, das sein Vater Aeneas mit einem Schutzwall umgab, gründet sein Sohn Ascanius nach der gängigsten Vermutung dort, wo heute Castel Gandolfo liegt, Alba, »die Weiße«, als rasch aufblühende Tochterstadt, die ihre Mutterstadt schon bald überflügeln sollte. Den Namen, den es trug, führt eine der Sagen über seine Herkunft darauf zurück, dass Aeneas 30 Tochterstädte zu gründen beschlossen habe, als er eine weiße Sau oder Bache 30 Ferkel oder Frischlinge werfen sah. 5,51–52 Mit ihrem weniger geläufigen Namen Ilia redet Tibull Rhea Silvia, die Mutter der Zwillinge Romulus und Remus an, um über ihre trojanische Herkunft die Brücke zu dem Trojaner Aeneas, dem Stammvater des Herrscherhauses, zu schlagen. 5,53–54 Von den beiden verräterischen Spuren des Beischlafs hinterließ Ilia die Kopfbinde der Priesterin, Mars die Rüstung des Kriegsgotts. 5,57 Den Namen der Hauptstadt des Römischen Reichs leiteten Festus p. 328,10–13 Lindsay, Solinus 1,1 und Plutarch Rom. 1,1 von ῥώμη, dem griechischen Wort für »Stärke«, lateinisch valentia, ab. 5,63–64 Lorbeerblätter kaute schon die Pythia von Delphi, bevor sie auf den Dreifuß stieg, um die Weissagungen zu verkünden, die Apollon ihr eingab. Ihr tat es die Sibylle von Cumae wie alle Seherinnen nach, die in seinem Namen diesen Dienst versahen. 5,67–70 Wie schon in der Versreihe 2,4,55–58 leitet Tibull in dem nicht minder langen Satzgefüge 2,5,67–70 mit quidquid zu einer Verkündung über. Vor diesem Hintergrund erledigen sich die beiden Notbehelfe, im darauf folgenden Vers haec zu hae zu verbessern oder zur weiblichen Form der Mehrzahl des Demonstrativpronomens hic zu erklären. Von der Regel, haec entweder im Singular als Femininum oder im Plural als Neutrum zu verwenden, ist der Dichter in Wahrheit nirgendwo abgewichen.

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Die vier Sibyllen, die er in der Versreihe 67–70 aufzählt, lebten und wirkten zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Stätten: Almathea vermutlich in Cumae, Herophile am Fuße des Idagebirges in Marpessos, Phyto auf Samos und Albunea – nach Varro bei Laktanz, Divinae Institutiones 1,6,12 – in Tibur. Der selteneren Schreibweise Phoeto, die er für den Namen der dritten dieser vier Sibyllen wählt, verhalf Cardauns, Hermes 89, 1961, 357–358, zu ihrem Recht. 5,71–72 Weitaus ausführlicher klagte schon Vergil in der Versreihe 1,466– 488 seiner Georgika über die Unheil verkündenden Naturgewalten, die Rom und sein Staatsvolk in den Wirren der Bürgerkriege erschütterten. »Er bemitleidete«, so schilderte er sie aus der Sicht des römischen Sonnengotts Sol, »aus Anlass von Caesars Ermordung auch Rom, als sein Haupt er verhüllte mit dunklem Grau und das gottlose Zeitalter ewige Nacht befürchtete. Zu jener Zeit gaben indessen auch die Erde und die Wasserspiegel des Meeres sowie ekelhafte Hunde und lästige Vögel sichtbare Zeichen. Wie oft sahen wir den Aetna auf der Kyklopen Feldern überkochen, wenn er anschwoll von geborstenen Essen, oder Flammenbälle und geschmolzene Felsbrocken kollern! Der Waffen Schall hat Germanien am ganzen Himmel gehört, und die Alpen zitterten von ungewohnten Beben. Ein gewaltiger Wehruf war allenthalben zu hören in den schweigenden Hainen, und bleiche Gespenster sah man auf wundersame Weise im Dunkel der Nacht und Herdentiere, die Unsägliches redeten. Es stocken Ströme und bersten Böden. Es spülte fort, in rasendem Strudel wirbelnd, die Wälder der König der Flüsse Eridanus und riss über alle Ebenen hinweg samt den Ställen das Großvieh; und weder blieb zur selben Zeit es aus, dass in nichts Gutes verheißenden Eingeweiden unheildrohende Fasern zum Vorschein kamen oder in Brunnen Blut rann und hochgelegene Städte über Nacht widerhallten von heulenden Wölfen, noch zuckten sonst in größerer Zahl von heiterem Himmel Blitze herab und glühten so viele grauenhafte Kometen.« 5,79 Die Zeitform des Vorvergangenheit wählt Tibull, weil die Bürgerkriege, deren Gräuel sich in den Unheil verkündenden Vorzeichen widerspiegeln, aus dem Blickwinkel der zwanziger Jahre des letzten vorchristlichen Jahrhunderts ein für allemal der Vergangenheit angehörten; vgl. Kühner/Stegmann, Lateinische Grammatik 1, 140–141, Platnauer, Elegiac Verse, 112–113, und Murgatroyd, Tibullus II, 217. 5,81–82 Das günstige Vorzeichen, das der knisternde Lorbeer gibt, verheißt, dass keine Geringere als Ceres das Land vor Missernten schützt. Daraus schöpfen die Bauern die Zuversicht, dass sie wohlbeleibt, plena, die Scheunen bersten lässt. 5,84 Wie eine Schwangere »prall«, plena, ist Ceres, die Göttin der Fruchtbarkeit, in fetten Jahren, die reiche Erträge abwerfen. An »volle Scheunen«, horrea plena, zu denken, die bersten, verwehrt schon der Satzbau,

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aber auch die Logik. Bevor die Scheunen bersten konnten, mussten sie zunächst einmal die Vorräte aufgenommen haben, die sie fassen konnten. 5,87–88 Feiern die Festteilnehmer in fröhlicher Runde durch, können sie nur hoffen, dass die Wölfe ihre Abwesenheit nicht dazu ausnutzen, Schafe ihrer Herde zu reißen. 5,89–90 Eigens von leichtem Stroh spricht Tibull vor dem Hintergrund, dass das Feuer so hoch emporlodert, wie das Stroh leicht brennt. 5,93–94 Um von dem Enkel verstanden zu werden, redet sein Großvater mit ihm in der Kindersprache. 5,97–98 Den Weg, von der Einzahl zur Mehrzahl überzuwechseln, gibt das Kollektivum pubes frei. Um mit Kühner/Stegmann, Lateinische Grammatik 1, 21 zu sprechen, siegt dabei wieder einmal die Logik über die Grammatik. 5,99–100 Saßen die Festteilnehmer mit aufgestütztem Ellbogen halb liegend zu Tisch, ersetzten Rasenstücke das Sitzpolster, die culcita. 5,107–108 Der Kunst, geschickt mit Pfeil und Bogen umzugehen, versagt der Dichter seine Anerkennung nicht; wohl aber verurteilt er, wie rücksichtslos der Liebesgott Cupido von dieser seiner Meisterschaft Gebrauch macht. 5,119–120 Als siegreicher Feldherr einen Triumph zu halten sollte M. Valerius Messalla Messallinus, dem älteren der beiden Söhne seines Gönners, zwar nicht beschieden sein, da Augustus dieses Vorrecht sich und seinem Haus vorbehielt. Doch wurde er 3 v. Chr. im Mindestalter von 33 Jahren Konsul und 6 n. Chr. Statthalter der Provinz Illyricum. 5,122 Apollos Zwillingsschwester, die Geburtshelferin Artemis, trug wie Diana, ihr römisches Gegenbild, die männlichen Züge einer Jägerin und Göttin der Jagd. 6 6,1 Wen Tibull mit dem Beinamen Macer anredet, steht dahin. Widmete er die letzte Elegie seines zweiten Buchs Vergils und Ovids Freund Aemilius Macer oder Ovids Freund Pomperius Macer oder einem Dritten? Auf diese Fragen gibt sie keine schlüssige Antwort, da er nirgendwo andeutet, dass der Macer, dessen Plan, an einem Feldzug teilzunehmen, er missbilligt, in seiner Freizeit ein Epos über den Trojanischen Krieg oder Lehrgedichte über naturwissenschaftliche Sachgebiete wie Tierwelt, Entstehung und Entwicklung der Vogelarten oder Heilkräuter verfasste. 6,7 Seine Soldaten schont Amor, solange er sie nur in Liebesgeplänkel verstrickt, die den Kreislauf anregen, ohne das Herz zu belasten. Nur unter dieser Bedingung erklärt er sich bereit, als sein Soldat in den Geschlechterkrieg zu ziehen. Doch wird ihm schmerzlich bewusst, dass Nemesis sich weigert, sie zu erfüllen. 6,8 Wer im Sommer in ein Einsatzgebiet des Mittleren Ostens einrückt, hat zu gewärtigen, mit dem Helm aus einem Fluss frisches Wasser schöpfen zu

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müssen, um seinen brennenden Durst zu stillen. Davor warnt Properz den Freund, dem er mit den Versen 3,12,7–8 ins Gewissen redet. Tibull aber würde sich nicht schwer damit tun, sich selber das Wasser zu holen, statt sich von einem Untergebenen bedienen zu lassen. 6,25–26 Beinschellen legten die Aufseher versklavten Kriegsgefangenen oder Sträflingen an, die – wie etwa auf Rebfeldern die vinitores – Knochenarbeit zu leisten hatten; dazu Flach, Agrargeschichte, 170 und 174. 6,27 Das Pronomen illa setzt Tibull betont ans Ende, um hervorzuheben, dass ihn die Nemesis abweist, die er aus leidiger Erfahrung kennt. 6,28 Spes, die Hoffnung, verehrten die Römer vor den Mauern ihrer Stadt schon lange als Staatsgöttin, ehe sie ihr im Ersten Punischen Krieg an ihrem Gemüsemarkt, dem Forum Holitorium, einen weiteren Tempel errichteten. 6,33 Zum Grabmal der Schwester flüchtet sich der Dichter, um als cliens den Schutz zu suchen, den nur sie als seine patrona ihm in seiner verzweifelten Lage noch bieten kann. 6,45 Den Namen Phryne gibt die Kupplerin sich oder der Dichter ihr nach der in Thespiai geborenen Hetäre, die in Athen ihre Gunst so teuer verkaufte, dass ihr Vermögen – so brüstete sie sich nach Athenaios 591 d – sie in die Lage versetzt hätte, das in Trümmern liegende Theben auf ihre Kosten wiederaufzubauen.

Drittes Buch Gesammelte Gedichte von Fortsetzern Lygdamus 1 1,1–4 Am 1. März wünschten die Römer zur Feier der Matronalia ihren Frauen Gesundheit und überreichten ihnen Geschenke. Mit dem 1. Januar begannen sie erst seit 153 v. Chr. die Tage des Jahres zu zählen. Davor eröffnete der Monat Martius ein Mondjahr von 10 Monaten. Von diesen zehn umfassten jeweils 31 Tage die vier Monate Martius, Maius, Quintilis, October, jeweils 29 die sieben Monate Ianuarius, Aprilis, Iunius, Sextilis, September, November, December und nur 28 der Monat Februarius. 1,8 Von tuis zu meis kehrte schon der Archetyp der verzweigten Textüberlieferung den Wortlaut um, weil sein Schreiber bereits verkannt hatte, dass von V. 7 an die Musen den Dichter anreden. 1,10 Der Fehler, pumex et zu pumicet et abzuändern, wird am ehesten über die Zwischenstufe in den Stammbaum eingedrungen sein, dass ein Schreiber pumex zu pumice verbessern zu müssen glaubte. 1,11–12 In diesem verschachtelten Satzgefüge ist littera, das gemeinsame Subjekt von Haupt- und Nebensatz, in den Absichtssatz eingebettet. Zu der Wortverbindung nomen praetexere vergleiche man Plinius, Naturalis historia, praefatio 21: … auctorum nomina praetexui. 1,13 Wurden in ihr oberes und unteres Ende paarige Hirschhornknaufe eingerollt, konnte die Schriftrolle bequemer auf- und zugerollt werden. 1,15–16 Am Satzbau fällt auf, dass Lygdamus mit seinem Hyperbaton die Präposition per von den beiden zugehörigen Akkusativen umbram und lacus denkbar weit getrennt hat. Mit Kastiliens Baumschatten ruft er den Parnass an, mit Pieriens Seen den See, der die Hippukrene speiste. »Pferdsquelle« hieß sie nach der Sage, nach der Pegasus, das geflügelte Wunderross, sie mit seinem Huf geschlagen hatte. 1,18 Farbe drohte etwa von dem Büchlein zu triefen, wenn unterwegs ein Regenguss die Verpackung durchnässte. 1,19 Die Zuversicht, dass Neaera ihm auf jeden Fall antworten wird, schöpft Lygdamus aus der seinen Musen abgelauschten Lebensweisheit: »Mit Dichtung erobert man die Schönen, mit Geld die Habgierigen«. 1,27–28 Dis hieß der Menschenräuber, der auf Erden nach östlicher Lesart in Kyzikos, nach westlicher in Enna Proserpina entführte und in der Unterwelt

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mit Pluto zu der Gottheit verschmolz, die über die Seelen der Verstorbenen Gericht hielt. 2 2,15 Statt rogate nach dem Wortlaut einiger weniger, durchweg jüngerer, Handschriften precatae oder nach dem Vorschlag Augustin Cartaults rogatam zu lesen endet aus verschiedenen Gründen in einer Sackgasse. Der eine Heilungsversuch scheitert daran, dass er sich erstens zu weit von der mittelalterlichen Textüberlieferung entfernt und zweitens nichts bietet, das über praefatae hinausginge, der andere ergibt keinen rechten Sinn. Auf keinen dieser drei Einwände trifft hingegen der Vorstoß, rogate durch rogalem zu ersetzen. War rogalem in der Vorlage mit einem Dach oder Balken über dem -e geschrieben, verleitete es um so leichter dazu, zu der geläufigeren Wortform rogate geglättet zu werden. Inhaltliche Hindernisse verwehren diese Annahme so wenig wie sprachliche Bedenken. Daran zu zweifeln, dass Lygdamus die Seele seines auf dem Scheiterhaufen eingeäscherten Leichnams zu einer anima rogalis erklärt haben könnte, fehlt von der Sache her jeglicher Anlass. 2,16 Nicht bloß von Frömmigkeit, sondern auch von der Verwandtenliebe einer Ehefrau und einer Schwiegermutter zeugten die Hände, die sie, seine nächsten Hinterbliebenen, sich wuschen, um die Reinheitsgebote des Totenkults zu befolgen. 2,19–20 Den Pentameter leitete eher mox ut iam als mox etiam ein. Weshalb sollte der Dichter sich ausgemalt haben, dass die beiden engsten Angehörigen seine Gebeine »sogar«, etiam, mit Milch zu übergießen sich anschickten, wo sie doch gerade erst mit dem kostbaren Wein eines alten Jahrgangs seinen Leichnam besprengten? 2,23–25 Zu einer Panchaia, einem schlechthin vollkommenen Märchenland, verklärte Euhemeros – frg. 32A, 32C, 32D, 41A, 41C und 43A Winiarczyk – in seinem Reiseroman eine sagenumwobene Gewürzinsel des Arabischen Meeres. 2,27–30 An der Vorderseite des Grabmals führte eine verkehrsreiche Überlandstraße vorbei. Der Straßenlärm schreckte den Dichter so wenig wie Cynthia nach den Worten, die ihr Properz mit den Versen 4,7,83–86 in den Mund legt. 3 3,5 Von »erneuern« sprechen nicht nur die Dichter im Ackerbau; mit demselben Wort umschreibt schon Varro rust. 1,29,1 den Arbeitsgang, Saatland mit einem Ochsengespann umzupflügen. 3,13–14 Auf Säulen vom Tainaron, dem südlichsten Kap der Peloponnes, konnten nur die wohlhabendsten Römer ihre Herrenhäuser stützen. Der dunkelrote Marmor seiner Steinbrüche, als Rosso Antico noch heute ein Begriff,

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genoss im Altertum ebenso Weltruf wie der alabasterne Pavonazetto, der in Großphrygien nördlich von Synnada, oder der grün-weiß gestreifte Cipollino, der bei Karystos an der Südwestspitze der Insel Euboia abgebaut wurde. 3,13–16 Das hohe Lied des bescheidenen Dichterdaseins in solchen Tönen zu singen, führte Horaz mit der Ode 2,18, V. 1–10, in die römische Lyrik ein und übertrug Properz mit der Elegie 3,2, V. 11–16, in die römische Liebesdichtung. »Weder Elfenbein noch eine goldgetäfelte Decke«, so bekannte Horaz sich zu seiner Lebensform eines pauper poeta, »schimmern in meinem Haus, noch drücken Balken vom Hymettos auf Säulen, die im fernsten Afrika gehauen sind, noch habe ich als eines Attalos unbekannter Erbe seine Königsburg in Besitz genommen, noch spinnen mir angesehene Angestellte lakonische Purpurgewänder. Doch ist Glaubwürdigkeit mir zu eigen und eine ergiebige Ader Dichtergabe.« »Zwar gehört mir kein Haus«, preist Properz sich nach diesem Muster glücklich, »das gestützt ist auf Säulen vom Tainaron, und kein elfenbeingetäfeltes Deckengewölbe zwischen vergoldeten Balken, und kommen meine Obstgärten nicht den Wäldern der Phaiaken gleich und berieselt mir kein Wasser aus Marcius’ Leitung künstliche Grotten; doch habe ich Musen, die mich geleiten, Gedichte, die dem Leser gefallen, und eine Kalliope, die erschöpft ist von meinen Reigen.« 3,17 Erythra thalatta, zu Deutsch: »Rotes Meer«, nannten die Griechen das Arabische Meer. 3,21 In diesem Zeugma bezieht sich »gehoben« auf die Stimmungen und »behoben« auf die Kümmernisse. 3,25–26 Beide Ausrufe hängt der Dichter an den vorhergehenden Vers an, in den Akkusativ setzt er sie nach einem geläufigen Muster; vgl. Kühner/Stegmann, Lateinische Grammatik 1, 273. 3,29 Lydien verdankte seinen märchenhaften Reichtum dem silber- und goldhaltigen Sand, den der Paktolos von der Höhe des Tmolos ins Tal schwemmte. 3,33–34 Als Saturns Tochter ruft Lygdamus Iuno und als Zyprerin Venus an. Die eine bittet er als Schutzgöttin der Ehe, die andere als Schutzherrin der Liebe um ihren Segen. Auf ihrer eigenen Muschel ritt Venus nach der Sage, nach der sie einer entsprang. 3,37–38 Den Orkus stellt Lygdamus sich nicht als »reich«, dives, sondern als Toteninsel des mit Pluto wesensgleichen Unterweltsgottes Dis vor. Als Dis führte er ihn bereits im letzten Vers des ersten Gedichts ein, als er von seinem bleichen Gewässer, der pallida Ditis aqua, redete.

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4 4,4 Mit seinem vorschnell verworfenen Vorschlag, die sinnlose Lesart uotis zu uobis zu verbessern, kommt Joseph Justus Scaliger nicht nur der Textüberlieferung am nächsten, sondern trifft er auch am ehesten den Sinn. 4,5–6 Im Mannesalter mussten die Haruspizes stehen, um zur Ausübung ihres Amts die nötige Erfahrung mitzubringen. 4,11–12 In dem Nominativ Plural illi wirkt hominum genus deutlich genug fort, dass es sich aufdrängt, davon homines mitzunehmen. 4,13–14 Lucina hieß diese Gottheit nach dem Licht, das sie in die Finsternis der Nacht hineinstrahlt, aber auch nach dem Licht, das zur Welt gebrachte Kinder erblicken. Nur in ihrer ersten Eigenschaft ruft der Dichter sie hier an. 4,17–18 In der Himmelswelt herrschte Aither, der Sohn des Erebos und der Nyx. In einem himmelblauen Meeresstrom badete sie, die Göttin der Nacht, die Räder ihres Vierspänners, als sie am Ende ihrer Bahn mit ihrem Gefährt in dem Weltmeer Okeanos versank. In einem Vierspänner statt wie sonst in einem Zweispänner fährt sie wie Aurora, die Göttin der Morgenröte, von der sie mit Anbruch des Tages abgelöst wird. 4,21 Mit dem lateinischen Ausdruck für den äußersten Rand umschreibt der Dichter den Horizont, um das der Dichtersprache fremde griechische Fremdwort horizon zu vermeiden. 4,25–26 Aus dem Präsens videt herauszuziehen, um die Brücke zu dem Subjekt aetas zu schlagen, hat der Leser als Prädikat das Perfekt vidit. Als der ewig junge Apollon gibt sich der Jüngling mit dem lockigen Haar dem träumenden Dichter erst zu erkennen, als er sich ihm in V. 50 als Gott von Kynthos, dem 113 m hohen Berg auf der Insel Delos, vorstellt. »Menschenwerk«, humanum opus, ist er, solange er nur das Wunschbild menschlicher Vorstellungskraft widerspiegelt. Schlechthin vollkommen, wie es ist, braucht es keinen Schönheitswettbewerb zu scheuen. 4,28 Duftwasser wurde in Tyros vielleicht nicht hergestellt, aber gewiss umgeschlagen, um von seinem Hafen nach Italien verschifft zu werden. 4,35–36 Nach Zuschnitt und Verwendungszweck glich die römische Palla dem griechischen Peplos. Mit ihrem fließenden Faltenwurf eignete sich diese Gewandung wie keine zweite für öffentliche Auftritte und festliche Anlässe. 4,37–38 Wie eine Schwalbe zu zwitschern, sagte Tibull 2,5,30 zwar der hell tönenden Panflöte nach. Der Leier, die nicht geblasen, sondern gezupft wurde, rühmte Lygdamus aber eher nach, dass ihr Ton wie ein plätschernder Bach perlte. Dem Wasser von Bächen schreiben diese Eigenschaft jedenfalls Ovid fast. 2,316, Calpurnius ecl. 4,2 und Seneca Oed. 493 mit eben dem Adjektiv garrulus zu. 4,45–46 Bacchus, den römischen Dionysos, zeugte Iuppiter, der römische Zeus, mit Semele, der Tochter des Königs Kadmos von Theben.

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4,47–48 Voller Stolz auf seine Abkunft beruft Apollon sich darauf, dass kein Geringerer als der Göttervater Zeus ihm stellvertretend die Sehergabe verliehen habe. 4,49–50 Von Zeus geschwängert und nach Delos verschlagen, kam Leto an seiner höchsten Erhebung, dem Kynthos, mit den Zwillingen Apollon und Artemis nieder. Mit diesem Hinweis auf seinen Geburtsort lüftet Apollon endgültig das Geheimnis, dass er dem Liebesdichter Lygdamus als Schutzgott der schönen Künste im Namen seines leiblichen Vaters die Zukunft voraussagt. 4,59 Statt sich für einen zu entscheiden, spielt Neaera ihre verschiedenen Lieblinge gegeneinander aus. 4,71–72 Nichts könnte Apollons Niedergeschlagenheit und Verzweiflung deutlicher widerspiegeln als der künstlerische Abstieg, von der Lyra des Kitharöden zu der Syrinx des Hirten überzuwechseln. 4,73–74 Von einer »wilden Ehe«, einem coniugium ferum, spricht der Dichter nicht vom Standpunkt des römischen Rechts, sondern aus dem Blickwinkel ihres stürmischen Verlaufs. 4,85–86 Als schaumgeborene Göttin verehrten die Römer Venus, die Griechen Aphrodite. Als feuerspeiendes Ungeheuer mit Schlangen-, Ziegenund Löwenkopf trieb Typhaons und Echidnas Tochter Chimaira an Lykiens Westküste ihr Unwesen. 4,87–88 Einen Kopf, der dem miteinander verwachsener Drillinge glich, verlieh die Sage dem Höllenhund Zerberus. 4,89 Skylla, mit ihren sechs langen Hälsen und Köpfen und ihren zwölf Stummelfüßen ein ebenso gefräßiges wie schnelles Ungetüm, bellte wie ein Hund und schnappte aus der Höhle eines Steilfelsens nach Seefahrern. 4,91 Die mit den Sarmaten und Persern verwandten Skythen waren als Bogenschützen, die Kleine und Große Syrte als Küsten mit jäh wechselnden Strömungen und rasch wandernden Sandbänken gefürchtet. 5 5,1 Zum Bleiben bewegt die Freunde der reizvolle Badeort Baiae. Das sprudelnde Wasser seiner Bäder strömte von dem zwischen Misenum und Cumae gelegenen See Lacus Acherusius, heute: Lago della Colluccia, zur Küste herab. Zu etruskischen Quellen erklärt ihn Lygdamus kurzum nicht nach seinem Ursprung, sondern nach dem Namen Acherontici libri, den die Etrusker nach Arnob. nat. 2,62 ihrem Handbuch des Totenkults gaben. 5,3 Den Ruf, sich zu Badekuren zu eignen, verdankten Baiaes heilkräftige Quellen ihrem warmen und schwefelhaltigen Wasser; vgl. Livius 41,16,3, Lukrez 6,747–748, Horaz, Episteln 1,15,6–7, Ovid, Metamorphosen 15,712– 713, Florus 1,11,4 und Plinius, Naturalis historia 31,5.

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5,3–4 Der Badeort Baiae war der alte Hafen von Cumae, der ältesten griechischen Tochterstadt in Italien. In der Sommerhitze hatte der Gast das weltberühmte Wasser seiner Heilquellen zu meiden, weil er sonst Gefahr lief, wie Octavias früh verstorbener Sohn Marcellus vom Fieber hinweggerafft zu werden. Wählte er aber den farbenfrohen Frühsommer, konnte er Baiaes wichtigste Quelle – und Einnahmequelle – unbedenklich zu Badeurlaub und Schwitzkuren gegen Rheuma aufsuchen. 5,5 Proserpina, die griechische Persephone, herrschte und richtete gemeinsam mit Dis, ihrem Gemahl, in der Unterwelt über die Toten. 5,7–8 Im wahrsten Sinne des Wortes als löblich zu preisen ist Bona Dea, die »Gute Göttin«. Heilig sind ihr die Geheimnisse ihres Kults so sehr, dass ein Eindringling, der ihr Heiligtum entweiht, zu gewärtigen hat, zur Strafe geblendet zu werden. Den Zutritt zu ihrem Allerheiligsten verbot sie als Frauengöttin den Männern der Götterwelt ebenso strikt wie denen der Menschenwelt; kein Geringerer als Herakles musste es nach Properz 4,8,23–60 leidvoll erfahren. 5,9–10 Nach der älteren Lesart, die nur der im 16. Jahrhundert bereits verstümmelte und später verschollene Codex F bewahrte, verabreichte der Dichter noch nie im Mörser zerstoßenen Hexenkräuter, nach der jüngeren, zu der sie abgeschliffen wurde, noch nie sicher wirkenden Gifte. Der jüngeren ist sie aus den beiden Gründen vorzuziehen, dass er sich zu wiederholen vermied, wenn er zwischen den Darreichungsformen Gifttrank und Giftpulver unterschied, und dass Properz ihn mit dem Vers 2,17,14 zu dem wörtlichen Anklang trita venena angeregt haben muss. 5,17–18 Die beiden Konsuln Hirtius und Pansa waren im April des Jahres 43 v. Chr. im Abstand von zwei Tagen dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen, als sie Mutina zu entsetzen versuchten. Wurde Lygdamus in diesem Jahr geboren, war er etwa sieben Jahre jünger als Tibull. 5,21–22 Mit diesen Andeutungen spielt Lygdamus auf die Sage an, nach der der Göttervater Iuppiter, der Meergott Neptun und der mit Pluto wesensgleiche Dis ihre Hoheitsgebiete auslosten. 5,24 Auf einer Barke setzte Lethe, die Göttin des Vergessens, die Toten über. Die Kimmerier wohnten nach Homers Schilderung, Odyssee 11,13–19, am Ende der Welt in der ewigen Finsternis der Vorhölle. 5,31–32 Einerlei, ob seine Freunde ihn nach ihrer Rückkehr lebend oder tot antreffen sollten, würde es der Dichter begrüßen, wenn sie so oder so an ihn dächten. 6 6,1 Mit seinem römischen Namen Liber redet Lygdamus hier wie in V. 19 Bacchus, den Schutzgott des Weinbaus, an.

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6,2 Den Efeu, den er sich um die Schläfen windet, trägt Bacchus als Kopfschmuck, nicht als Bürde. Schon deswegen ist die verbreitetere Lesart zu verwerfen, nach der Lygdamus feras an das Ende des Verses setzte. Stand aber das nahezu gleichlautende geras in der Urfassung, wahrte er genau die Wortwahl, die Tibull in den Versen 1,3,66, 1,10,30 und 2,5,17 eingehalten hatte. 6,3 Bacchus soll den Efeu nicht bloß auf dem Kopf tragen, sondern auch sein Holz, sein Harz, seine Blätter oder seine Früchte als Arznei verwenden. Bei Husten, Verschleimungen, Krämpfen, Schwellungen und Kreislaufstörungen wird er noch heute in verschiedenen Darreichungsformen als Heilmittel eingesetzt. 6,8 Den Delier Apollon trugen weiße Schwäne, die seit seiner Geburt über ihn wachten. 6,10 Ähnlich muss der Vers gelautet haben, der hinter 1,2,25 ausgefallen ist; nur erklärte Tibull dort Venus, die Schutzgöttin der Liebe, zu seiner Wegbegleiterin. 6,14–16 In kurzen Abständen gehäuft, bestätigen die vier historischen Perfekte contudit, misit, vicit und dedit, dass Lygdamus die Vorliebe für den gnomischen Aorist mit Tibull teilt. 6,18 »Trockene Becher«, pocula sicca, kennt die deutsche Sprache im gleichen Wortsinn zwar nicht, wohl aber die Redewendung, dass jemand »auf dem Trockenen sitzt«, wenn er vor einem leeren Glas sitzt. 6,23–24 Pentheus, der König von Theben, hatte bitter dafür zu büßen, dass er in dem Machtkampf um den Rang eines Schutzgotts des Weinbaus Bacchus, den römischen Dionysos, in Gewahrsam nahm. Kaum hatte er sich aus seiner Haft befreit, stiftete er seinen Gegenspieler aus Rachsucht zu dem Frevel an, sich als Frau zu verkleiden, um im Kithairongebirge vom Hochsitz einer Fichte aus das Treiben des Maenadenschwarms zu beobachten, den seine Mutter Agave, die Tochter des Kadmos, anführte. Als sie ihren Sohn dabei ertappte, zerriss sie ihn in Stücke, weil sie ihn im Rausch ihrer Verzückung mit Wild verwechselte, und brachte seinen Leichnam mit dem Stolz einer Jägerin als Beute nach Hause. 6,32 Wie schon vier Mal in den Versen 14–16 kleidet Lygdamus eine Lebensweisheit in die Form des gnomischen Aorists. 6,39–40 Die im Palast von Knossos aufgewachsene Königstochter Ariadne verriet ihren Vater Minos von Kreta, weil sie sich in Theseus, den Sohn des Königs Aigeus von Athen, verliebt hatte. Dank des Wollknäuels, das sie ihm auf Anraten seines athenischen Gefährten Daidalos mitgab, fand er, nachdem er ihren Halbbruder, die Menschen fressende Missgeburt Minotauros, erlegt hatte, den Weg aus dem Labyrinth und holte sie auf sein Schiff. Doch nahm er sie nicht bis nach Athen mit, sondern setzte sie, ohne von ihr Abschied zu nehmen, auf Naxos aus.

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6,41–42 Ihr Klagelied über das Los, von Theseus auf Naxos allein zurückgelassen zu sein, singt Ariadne, die Tochter des Kreterkönigs Minos, in Catulls 64. Gedicht, V. 132–201. 6,55 Von der Dichtersprache gleitet Lygdamus zwar zur Volkssprache ab, wenn er von der Mehrzahl nobis unversehens zu der Einzahl merenti überwechselt; doch wird der Leser, an den er sich wandte, diesen Stilbruch verziehen haben, wenn er »unsereinem« aus nobis heraushörte. 6,58 Von 144 bis 140 v. Chr. führte der Stadtpraetor Quintus Marcius Rex den Senatsauftrag aus, die zwei bestehenden Wasserleitungen Aqua Appia und Anio novus instandzusetzen und eine dritte, die Aqua Marcia, wie sie nach ihm benannt wurde, vom oberen Aniotal teils unter-, teils oberirdisch bis zum Kapitol zu verlegen. Über ein Aquädukt geführt, das er 140 v. Chr. vollendete, versorgte ihr Netz seit 33 v. Chr. nicht nur öffentliche Brunnen, sondern auch die Häuser wohlhabenderer Bürger mit Trinkwasser. In diesem Jahr schloss es Agrippa als Curator aquarum zwar an die Anwesen privater Grundeigentümer an, aber nur in den jahreszeitlich bedingten Grenzen, die der Pegelstand seiner Zuflüsse zog. Sein Wasser zeichnete aus, das es in ihren Haushalten erst ankam, nachdem es in Türmen seines Verteilernetzes gereinigt worden war. Nicht von ungefähr stellte Plinius nat. 31,41 ihm das Zeugnis aus, in Rom als »hervorragendstes aller Wässer auf dem ganzen Erdenrund und Ruhmesblatt an Frische und Bekömmlichkeit« angepriesen zu werden. 6,62 Von den drei Lesarten i, et und ast führt keine zu dem Ziel, dem Vers einen Sinn abzugewinnen, der mit dem Inhalt des Distichons Naida Bacchus amat: cessas, o lente minister? temperet annosum Marcia lympha merum im Einklang steht. Wenn Bacchus die Quellnymphe liebt und den Diener auffordert, Wasser mit Wein im richtigen Verhältnis zu mischen, kann der Dichter diesen jungen Burschen nur angewiesen haben, reinen Wein in ein Gemisch aus Wein und Wasser, ein liquidum, nachzuschenken. Nicht i, liquidum, sondern in liquidum ist folglich zu lesen. Ob der Fehler sich schon in dem kargen Rest der Handschrift F eingeschlichen hatte oder Joseph Justus Scaliger ihn erst in die Editio Plantiana einschleppte, muss auf sich beruhen. So oder so erklärt er sich am leichtesten, wenn eine so geläufige Abkürzung wie ein Dach oder Balken über dem Buchstaben -i übersehen wurde. Jedenfalls unterlief er wieder im Vers 3,7,193, in dem dieselbe Fundgrube ausim als ausi ausweist. 6,63 Wie schon im Vers 3,4,28 bestimmt Lygdamus die Herkunft des Lavendelwassers nach der Hafenstadt, von der es nach Rom ausgeführt wurde. Lobgesang auf Messalla 7 (= 4,1) 7,5 Wie im letzten Vers des Panegyrikus zu subtexere das zusammengesetzte Wort »untertexten«, so fehlt in diesem der deutschen Sprache das zu-

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sammengesetzte Wort »eintexten« zu intexere. Aus dem gleichen Grund wie dort muss darum auf einen Behelf ausgewichen werden, der wenigstens den Sinn so genau wie möglich erfasst. 7,5–6 Wenn überhaupt, beherrscht nur Messalla die hohe Kunst, seine Heldentaten so bildhaft zu schildern, dass die Worte nicht hinter seinen Erfolgen zurückbleiben. In der Geschichtsschreibung war dieses Ziel nach der peripatetischen Stillehre schon deswegen nicht zu erreichen, weil von gleichzeitigen Vorgängen hintereinander berichtet werden musste; darüber eingehender Flach, Römische Geschichtsschreibung, 43–45. 7,8–9 »Hochwillkommene Geschenke«, gratissima dona, überbrachten die Kreter dem Schlachtengott Apollon mit Köcher, Pfeil und Bogen, weil sie als Bogenschützen von Weltruf in dieser Waffengattung ihr Handwerk so gut wie kein zweites Kriegsvolk verstanden. Auf den homerischen Apollohymnos spielt der Dichter so wenig an wie auf kretische Kaufleute. Weiter hilft vielmehr der Vergleich, dass Properz sich 2,12,9–10 den geflügelten Liebesgott Amor mit widerhakenbestückten Pfeilen und einem kretischen Köcher ausgerüstet ausmalte. 7,9–11 Zum Dank, dass er ihn in seinem Haus freundlich willkommen hieß, schenkte Bacchus, der römische Dionysos, dem armen Bauern Ikaros, Ikarios oder Ikarion Rebstöcke und vermittelte er ihm die Sachkenntnis, aus ihren Trauben Wein zu erzeugen. Doch als er seine Nachbarn von dem Wein kosten ließ, den er als Erster in Attika angebaut hatte, erschlugen sie ihn im Rausch, weil sie das Getränk, das ihnen die Sinne raubte, für vergiftet hielten. Daraufhin führte Maira, sein Hund, Erigone, seine Tochter, zu der Stelle, an der sie ihn verscharrt hatten, und erhängte sie sich vor Entsetzen, als sie seinen Leichnam vor ihren Augen freigelegt fand. Zeus aber versetzte alle Drei unter die Gestirne. Ikarios verstirnte er, je nachdem, ob die Himmelsbeobachter sein Sternbild als Großen und Kleinen Bären oder als Großen und Kleinen Wagen deuteten, nach dem hellsten Stern zu dem »Bärenhüter« Arkturos oder dem »Ochsentreiber« Bootes, seine Tochter Erigone zur Parthenos und seinen Hund Maira zum Seirios. 7,12–13 Herakles, den Enkel des Heroen Alkeus oder Alkaios, wie er mit seinem verbreiteteren Namen hieß, bewirtete und beherbergte Molorchos, ein armer Bauer aus Kleonai, vor und nach dem Kampf mit dem nemeischen Löwen in seiner Hütte. Auf ihr Dach setzte er seinen Fuß freilich nicht, sondern auf den Boden seines Ackerlands. Schon daran scheitert der Vorstoß, terris der eindeutigen Handschriftenlage zum Trotz gegen tectis auszuwechseln. Soweit sich die Herausgeber darauf berufen, Statius spreche doch in dem Vers 4,6,51 seiner ›Silvae‹ von einem »Haus des kärglich lebenden Molorchos«, einer parci domus Molorchi, haben sie nur halbherzig gewichtet, dass er im Vers 3,1,29 desselben Werks auf die »Fluren« seines Bauernhofs, die arva seines bescheidenen Besitzes, verweist. Von diesen Feldern sagt er zwar, seitdem Herakles zum Himmel und Gott aufgestiegen sei, erforderten sie

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ihn so wenig wie der nemeische Löwe, aber in der Sache gleichen die arva, von denen er redet, den Böden in der geläufigsten Bedeutung des Oberbegriffs terra. Den Ausschlag gibt letztlich, wie der Römer die Wendung pedem ponere gebrauchte. Um auszudrücken, dass Molorchos seinen hohen Gast in seinem schlichten Haus willkommen hieß, hätte der Verfasser des Panegyrikus unweigerlich die Präposition sub vor den Ablativ tectis setzen müssen. 7,16–17 Mit dem Dativ in der Bedeutung von »erkenntlich« verbunden findet sich memor unter anderem in dem Vers Prop. 2,34,31, in dem Apollon dem Dichter mit den Worten tu satius memorem Musis imitere Philitan anrät, sich besser den in seinem Prolog sich den Musen erkenntlich zeigenden Philetas zum Vorbild zu nehmen. 7,18 Ein Lehrgedicht über die Schöpfung zu verfassen, überlässt der Dichter Anderen, während Properz 3,5,23–46 die Beschäftigung mit naturphilosophischen Fragen auf das hohe Alter verschiebt. 7,30 Die Nachkommen von Vätern, die ein kurulisches Amt bekleidet hatten, genossen das Vorrecht, in ihren Häusern Wachsmasken ihrer Vorfahren als Büsten aufzustellen, auf deren Sockel nach dem Eigennamen ihre Ämter und Würden verzeichnet waren. 7,39 Auf dem Forum feierte der große Redner Messalla vor Gericht als Anwalt und in der Volksversammlung als Politiker Triumphe. 7,45–46 In verschiedene Lager zerfiel die Volksversammlung etwa, wenn sie über Gesetzesvorlagen abzustimmen hatte und die Meinungen zwischen den beiden Parteiungen Optimaten und Popularen schwankten. 7,48–49 Von den beiden Helden der griechischen Sage, mit denen er Messalla vergleicht, zollt der Verfasser des Panegyrikus Nestor, dem Herrscher von Pylos an der Westküste Messeniens, nur zwei Verse, während er in nicht weniger als 26 würdigt, welche Schicksalsschläge und Mutproben Ulixes, wie die Römer Odysseus nach der attischen, boiotischen und korinthischen Form seines Namens nannten, in den zehn Jahren seiner Irrfahrten zu meistern hatte. 7,50–51 An Nestor hebt der Dichter lediglich hervor, dass er hochbetagt im dritten Menschenalter stand, als er vor Troja kämpfte. Von den Verdiensten, die er sich vor und in diesem Krieg als Berater und Heerführer erwarb, schweigt er. 7,52–53 Anders als Properz in den Versen 3,12,25–36 reiht der Verfasser des Panegyrikus die Abenteuer des von Schauplatz zu Schauplatz verschlagenen Heimkehrers Odysseus in der Abfolge auf, in der Homer sie vom neunten bis zwölften Buch seines Epos schildert und Odysseus sie als Gast am Hofe des Phaiakenkönigs Alkinoos von V. 244 bis 297 des siebten aufzählt. 7,54 Die erste der vielen Prüfungen, die ihm das Schicksal in den zehn Jahren nach Trojas Fall aufbürdete, hatte Odysseus zu bestehen, als ihn der Seewind nach Südthrakien zu dem Land der Kikonen verschlug.

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7,55 Als Odysseus an ihrer Küste landete, versuchten die Lotophagen vergeblich, ihn mit dem Lotos, den sie seinen Gefährten zu kosten gaben, von seinem Fahrtziel abzubringen. Die Wirkung, seinen Leuten die Sehnsucht nach der Heimat zu nehmen, verfehlte der Lotos zwar nicht, doch trieb Odysseus sie mit Gewalt ins Schiff zurück und segelte in Richtung Ithaka ab. Wenn nicht alles täuscht, bewahrt das Fragmentum Cuianum F in dem fraglichen Vers mit seinen Lesarten lothos und captos beidemal einzig und allein den Wortlaut der Urfassung. Im ersten Fall steht es ohnehin außer Zweifel, während im zweiten zum Beleg angeführt werden kann, dass Accius Brut. 671 Dangel = praetext. 37 Ribbeck cepit cursum zu bieten und Plautus Bacch. 325 capiundumst iter vorzuweisen hat. 7,56–57 Einen Schlauch voll Wein vom südthrakischen Anbaugebiet Ismaros gab der Priester Maron Odysseus zum Dank auf die Reise mit, weil er ihn aus Ehrfurcht vor Apollon geschont hatte. Von diesem schweren Wein gab er wiederum Poseidons Sohn, dem einäugigen Riesen Polyphem, so lange zu trinken, bis er ihn hinlänglich betäubt fand, um ihm in seiner Höhle ungefährdet einen glühenden Pfahl in sein Rundauge bohren zu können. An den Aetna verlegte den Schauplatz dieses Geschehens erstmals Euripides in seinem ›Kyklops‹, und dort verorteten ihn fortan auch durchweg die Römer. 7,58 Aiolos, den Sohn des Hippotes, hatte Zeus zum Verwalter der Winde ernannt. Er lebte mit Frau und 12 Kindern glückselig auf dem schwimmenden Felseiland Aiolia und beherbergte Odysseus mitsamt seinen Gefährten einen Monat lang. Zum Abschied schenkte er seinem Gast in einem Ledersack verpackte Winde. 7,59–60 Als die Laistrygonen sahen, dass Odysseus in ihrer Bucht gelandet war, zertrümmerten sie nach Homer, Odyssee 10,81–134, bis auf sein eigenes sämtliche Schiffe seiner Flotte mit Felsblöcken und verspeisten roh ihre Besatzungen. Den Weg zu dem König dieser hünenhaften Menschenfresser, ihrem Vater Antiphates, wies den drei Kundschaftern, die er vorausgeschickt hatte, seine Tochter. Ihr begegneten sie, als sie zum Brunnen ging, um aus der sprudelnden Quelle der Nymphe Artakia Wasser zu schöpfen. 7,61–63 Menschen mit ihrem Gesang verwandeln zu können, sagte Homer Kirke, der Herrscherin über die Insel Aiaia, noch nicht nach; wohl aber rühmte er in den Versen 136, 221 und 254 des zehnten Buchs bereits ihrer Stimme nach, betörend geklungen zu haben. 7,64–66 Von seiner Vorlage – Homer, Odyssee 11,13–22 – weicht der Verfasser des Panegyrikus darin ab, dass er von der stoischen Weltanschauung ausgeht, nach der die Sonne die Erde umkreist und ihre beiden Hälften im Wechsel anstrahlt. 7,69 Um den betörenden Klängen der Sirenen widerstehen zu können, verstopfte sich Odysseus die Ohren mit Wachs und ließ er sich am Mast seines Segelschiffes festbinden. Nur so konnte es ihm gelingen, unbehelligt an ihrer Bucht vorüberzufahren.

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7,73–75 Nach dem Wortlaut der Verse Hom. Od. 12,104–106 pflegte die Menschenfresserin Charybdis das Wasser der Meerenge, an der sie vorbeifahrenden Seeleuten auflauerte, dreimal am Tag einzuschlürfen und auszuspeien. 7,76 Obwohl Odysseus seine Gefährten eindringlich vor dem Frevel warnte, sich auf Sizilien an den Herden zu vergreifen, die Lampetië gemeinsam mit ihrer Schwester Phasiphaë hütete, stahlen sie ihrem leiblichen Vater, dem Sonnengott Helios, während Odysseus schlief, die besten seiner heiligen Rinder, um sie zu schlachten und am Spieß zu braten. Doch meldete Lampatië den Viehdiebstahl, zu dem seine Gefährten der Hunger getrieben hatte, ihrem Vater, und verlangte er, zutiefst entrüstet, beharrlich Vergeltung, bis Zeus sich bereitfand, ihnen einen Seesturm zu schicken, den keiner von ihnen überlebte. 7,77 Die Seenymphe Kalypso rettete den schiffbrüchigen Odysseus und brachte ihn in ihrer prächtigen Grotte unter, hielt ihn aber, da sie sich in ihn verliebt hatte, gegen seinen Willen sieben Jahre lang auf der Insel Ogygia fest, bis Zeus ihr befahl, ihn nach Ithaka heimkehren zu lassen. Schweren Herzens fügte sie sich dem Machtwort, das der Götterbote Hermes ihr übermittelte, half ihrem Gast, ein großes Floß zu bauen, und sandte ihm einen günstigen Fahrwind nach. 7,78 So sehr es sie auch schmerzt, von Odysseus Abschied nehmen zu müssen, hilft Kalypso ihm gleichwohl, sich ein Floß mit Mast und Segel zu bauen, und sendet sie zur Abfahrt ein laues Lüftchen. Doch zertrümmert Poseidon, der ihm grollt, seitdem er Polyphemos, seinen leiblichen Sohn, blendete, 17 Tage später sein Floß, und kann er sich nur retten, weil ihm die Göttin Leukothea einen Schleier reicht, den er sich wie eine Schwimmweste um die Brust binden soll. Ohne sich an Schiffstrümmern festklammern zu müssen, trotzt er so zwei Tage und zwei Nächte lang der stürmischen See und durchschwimmt am Morgen des dritten Tages die Brandung der Felsenküste des Eilands Scheria, auf dem ihn das gastfreundliche Seefahrervolk der Phaiaken willkommen heißt. 7,79 So ist der Wortlaut zu verstehen, wenn cognita wie im ersten Vers des Panegyrikus mit »wohlbekannt« zu übersetzen ist. 7,80 Über die Märchenwelt, die sich die Sage schuf, witzelte Eratosthenes nach Strabo 1,2,15 p. 24, dann werde jemand wohl herausgefunden haben, wo Odysseus umhergeirrt sei, wenn er den Schuster gefunden habe, der Aiolos, dem Verwalter der Winde, den Ledersack mit den Winden genäht hatte. 7,81–82 Von der Redegabe springt der Verfasser des Panegyrikus auf die Feldherrngabe über, die er Messalla zuspricht. In der langen Satzfolge von V. 83 bis 97 zählt er Schanzarbeiten und Manöver auf, mit denen sich die Soldaten auf den Ernstfall vorzubereiten haben. Glatter hätte er dazu übergeleitet, wenn er in V. 81 statt facundia den weiteren Begriff facultas gewählt hätte, da er anders als das Wort facundia die Feldherrngabe mitumfasst hätte.

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7,85–86 Quellen mit einem Schutzwall zu sichern gehörte von jeher zu den Aufgaben des Heerführers. Von der Quelle, die der Sabiner Tatius als Feldherr vor feindlichen Übergriffen schützte, sagt Properz 4,4,7–8: »Diese Quelle umzäunt Tatius mit Ahornholzpfählen und umkränzt, um es zu sichern, sein Heerlager mit zum Ringwall aufgeworfener Erde.« Soweit die Quelle erst erschlossen werden musste, hatten seine Soldaten einen Brunnen zu graben. 7,89–90 Die sudes der Legionäre glich der Pike der Landsknechte darin, dass auf ihren Holzschaft eine Eisenspitze aufgesteckt war. 7,100–105 Umständlicher als von V. 101 bis 102 die gerade umschreibt der Dichter von V. 103 bis 105 die schiefe Schlachtordnung, mit der Epameinondas eine neue Epoche der Kriegführung eingeleitet hatte. Vegetius mil. 3,20,6–9 schildert sie in seiner Anleitung weitaus verständlicher. »Wenn zur Schlacht aufgestellt die Heere zum Zusammenprall heranrücken«, rät er in seiner hölzernen Fachsprache, »dann wirst du deinen linken Flügel vom rechten des Gegners in größerem Abstand halten, damit weder Wurfgeschosse noch Pfeile zu ihm hingelangen. Deinen rechten Flügel aber wirst du zu dem linken Flügel des betreffenden Gegners vorrücken lassen, und dort beginne zunächst das Gefecht so, dass du mit deinen besten Reitern und bewährtesten Fußkämpfern die linke Flanke des betreffenden Gegners, auf die du dich zubewegt hast, angreifst und umgehst und so durch Fortstoßen und Überrennen zum Rücken der Feinde hingelangst. Wenn du nämlich einmal von dort die Gegner zu vertreiben begonnen hast, wirst du, rücken deine eigenen Leute an, einen unzweifelhaften Sieg erringen und wird der Teil deines Heeres, den du vom Feind ferngehalten hast, ungefährdet in seiner Ausgangsstellung verbleiben. Zu einer Schlachtordnung, die wie der Buchstabe A oder eine Handwerkerwaage aussieht, werden kurzum die Heere bei dieser Kampfesweise aufgestellt.« 7,107–108 Über die Iapyder oder Iapoder, wie dieses venetisch-illyrisch-keltische Mischvolk mit seinem geläufigeren Namen hieß, siegte Octavian 35 v. Chr. und hielt er den Triumph sechs Jahre später. In welcher Eigenschaft Messalla an dem Feldzug teilnahm, der das Vorfeld des Einfallstors nach Norditalien sichern sollte, deutet der Fingerzeig an, dass er sich mit einem uralten Haudegen und Stammeshäuptling aus Arupium als Befehlshaber einer Einheit maß. In welchem Rang, welcher Heeresabteilung und welcher Schlacht er den Sieg errang, bleibt indessen im Dunkeln. 7,108–109 Nachdem er den hartnäckigen Widerstand der Iapoder gebrochen hatte, drang Octavian mit seinen bewährten Truppenführern Agrippa und Statilius Taurus bis zu den pannonischen Stämmen an der Save vor, eroberte Siscia, heute Sziszek, und ließ es zu einem Standort ausbauen, von dem aus die Bevölkerung des Hinterlands überwacht werden sollte. »Tückisch«, fallax, schimpft sie der Dichter, weil sie die Wirren der römischen Bürgerkriege dazu ausgenutzt hatten, sich ihrer Tributpflicht zu entziehen. »Weit und breit auf die eisigen Alpen verstreut« hatten sie sich indessen zu keiner Zeit.

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7,110 Die Arupiner, nach Appian Ill. 3,16,48 »die meisten und kriegerischsten« der alpenländischen Iapoder, hatte Octavian zwar geschlagen, die Bevölkerung der Stadt gleichen Namens aber geschont. 7,112a Noch immer folgen die Herausgeber Johann Heinrich Voß darin, in diesem Vers saecula gegen tempora und famae gegen vitae auszutauschen, obwohl er beidemal weder naheliegend noch einfühlsam in die ältere Textüberlieferung eingriff. In Wahrheit ist ihr Wortlaut aus eben dem Grund zu verteidigen, aus dem der Vers in fünf Handschriften fehlt. Übersprungen haben ihn Schreiber, die sich daran stießen, dass sich der Verfasser des Panegyrikus am Ende dieses Verses wiederholte. Nur übersahen sie, dass er diesmal nicht von drei Menschenaltern der Pyliersage, sondern von Menschenaltern einer von der Gegenwart weit entfernten Sage redet. 7,113 Mit Titan gemeint ist wie schon im Vers 51 und wieder im Vers 158 Helios, der Sohn des Titanen Hyperion, den die Römer mit dem Sonnengott Sol ineinssetzten. Mit der Zeitform renovaverat in das Verhältnis der Vorvergangenheit gesetzt ist der Zwischensatz centum fecundos Titan renovaverat annos nach dem gleichen Muster wie in Tibulls zweiten Buch, V. 1,58, der Nachsatz auxerat hircus oves. 7,116–117 Den Namen Domator, den Schulze, Eigennamen, 33, und Havet, REA 15, 1913, 267, auf der – mittlerweile verschollenen – Grabinschrift CIL V 449, fanden, hat der Stammeshäuptling entweder getragen oder der Verfasser des Panegyrikus ihm beigelegt. Im ersten Fall schmückte der Dichter aus, wie der verwegene Haudegen als Bändiger seines Schlachtrosses seinem Namen alle Ehre machte, im zweiten verlieh er ihm diesen Namen, um seine Reitkünste zu würdigen. Bis zu einem gewissen Grad könnte mit einem Wortspiel wie diesem verglichen werden, dass Varro rust. 2,4,13 sich ausdachte, für die Ferkelhaltung aus porcus den Begriff porculatio zu entwickeln, und Seneca apol. 2 darauf verfiel, für die Gewährsleute, auf die sich die Zunft der Geschichtsschreiber mehr oder weniger wahllos als Kronzeugen beruft, aus iurare die Bezeichnung iuratores, »Beeider«, zu bilden. Mit Eigennamen spielte gerade Varro mit Vorliebe. Nur findet sich unter den zahlreichen Beispielen, die sich dafür anführen lassen, kein Wortspiel, das wie domator gegen die lateinische Wortbildungslehre verstoßen hätte. Die Freiheit, domator statt domitor von domare, »bändigen«, herzuleiten, müsste sich der Dichter entweder mit Rücksicht auf das epische Versmaß oder die heimische Mundart genommen haben. 7,118–120 Der Seher Melampus, zu Deutsch: »Schwarzfuß«, verstand, seitdem ihm in seiner Kindheit Schlangen mit ihren Zungen beide Ohren gesäubert hatten, die Stimmen der Vögel und konnte dank dieser Gabe die Zukunft sprichwörtlich sicher voraussagen. Gezeugt hatte ihn Amythaon, der Gründer von Pylos.

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7,121–122 Die purpurverbrämte Robe römischer Hoheitsträger, die sogenannte Toga praetexta, legte Messalla sich an, als er am 1. Januar des Jahres 31 v. Chr. als sein Amt antretender Konsul zum Kapitol hinaufging. 7,123–129 Andächtiges Schweigen wahrte die Umgebung, um den Festakt der votorum nuncupatio nicht zu stören. Ohne gegen die lateinische Sprachlehre zu verstoßen, konnte der Dichter mit V. 127 vom Perfekt zum Praesens und mit V. 129 vom Praesens zum Perfekt nur dann überwechseln, wenn er in dieser Satzfolge nicht mit sunt, sondern mit sint fortfuhr. 7,137–138 Dachte der Verfasser des Panegyrikus nur an das sogenannte »Behaarte Gallien«, die Gallia Comata, von der noch der Kaiser Claudius in seiner Rede vom Jahr 48 n. Chr. (CIL XIII 1668, col. II, 20–41) sprach, stellte er nicht in Frage, dass Messalla 28/27 v. Chr. Aquitanien mit seinem Sieg über dessen Bevölkerung dauerhaft befriedet hatte. Mit Galliern in Grenzkriege verwickelt zu werden hatte ein römischer Feldherr eher zu gewärtigen, wenn er nach Nordwesten durchstieß, um über die Straße von Dover nach Britannien überzusetzen. 7,138 Durch die weite Ausdehnung der Iberischen Halbinsel wagemutig ist Spanien, weil seine Bevölkerung sich leichter von Schlachtfeldern ins Bergland zurückziehen kann, wenn sie in Bedrängnis gerät. Nicht von ungefähr heißen die sprichwörtlichen Kleinkriege, die ihren Gegnern von jeher zu schaffen machten, noch heute Guerillas. 7,139 Um dem wachsenden Druck der Überbevölkerung auszuweichen, setzten verarmte Bauern von Thera, der südlichsten Insel der Kykladen, zum nordafrikanischen Festland über und gründeten im Jahr 631 v. Chr. die Tochterstadt Kyrene. »Wild«, fera, blieb die Erde ihrer neuen Heimat freilich nicht. Kyrene entwickelte sich im Gegenteil zu einer so blühenden und friedlichen Stadt, dass Augustus den Amtssitz des Statthalters ihr beließ und die Doppelprovinz, die er nach ihr und Kreta benannte, als befriedet einstufte. 7,140–141 Choaspes, mit seinem heutigen Namen Karkheh, hieß der von Vorderasien in den Tigris einmündende Nebenfluss, der Susa, die alte Hauptstadt des Persischen Reiches, mit so wohlschmeckendem Wasser versorgte, dass der Großkönig nach Herodot 1,188 kein anderes trank und es auf seinen Feldzügen stets abgekocht in silbernen Fässern mitführte. 7,141–142 Den Gyndes, einen weiteren Nebenfluss des Tigris, leitete nach Herodot 1,189–190 der Großkönig Kyros beidseits in je 180 Kanäle ab, um zu vergelten, dass einen seiner Schimmel die Strömung verschlungen hatte. Durch diesen massiven Eingriff in die Natur fiel nicht nur der Strom seinem Wahnwitz zum Opfer, sondern verlor das Tal, das er durchfloss, noch dazu den Wasserlauf, der es bis dahin wie ein aufmerksamer Gastgeber mit Wasser versorgte. Mit den bildhaften Worten des Dichters gesprochen versiegte der Gyndes als »Gegenstand des Jähzorns eines Kyros« oder versiegte damit vielmehr »ein Wellengang, der sich durch und durch gastfreundlich zeigte den arektaeischen Ebenen«. Den Wortlaut der Urfassung bewahren bis auf zwei

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Abweichungen, einem überschüssigen und einem fehlenden Buchstaben, allein jene Lesarten, die Joseph Justus Scaliger dem Bruchstück entnommen hat, das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch dem großen Rechtsgelehrten Jacques Cujat zur Verfügung stand, dann aber irgendwann verlorenging. Am Anfang von V. 142 ist ardet, wie schon Carl Lachmann erkannte, lediglich zu aret zu berichtigen und in der Wiedergabe des Ortsnamens der Ebenen des Flusstals zwischen den Silben arecta und der Silbe is bloß der Buchstabe -e nachzutragen. Daran zweifeln kann nur, wer den Sinn des voraussetzungsreichen Verses aret Arectaeis aut unda perhospita campis gründlich missversteht. Mit dem Dativ campis endete er nach einhelliger Aussage sämtlicher Handschriften, und mit perhospita verknüpft der Verfasser des Panegyrikus das Wort unda genauso sinnvoll, wie Vergil es in dem Vers 3,362 seiner Georgika mit hospita verband. Zu perhospita, zu Deutsch: »überaus gastlich«, verstärkt er hospita, um zu betonen, wie schmerzlich es die arectaeischen, sprich: babylonischen Ebenen des Flusstals traf, im Frühjahr nicht mehr vom Gyndes überschwemmt zu werden. 7,143 Der Großkönig Kyros verlor Schlacht und Leben, als er den Grenzfluss überschritt, dessen Name Araxes als Arax bis heute fortlebt. In dieser Schlacht siegte Tamyris oder Tomyris, die Königin der Massageten. 7,144 Nach nec im vorhergehenden Vers mit nec statt vel fortzufahren, lässt die lateinische Satzlehre zumindest in der Dichtung ebenso zu, wie sie gestattet, qua erst im übernächsten zu wiederholen. 7,144–145 Die Padaier lebten zwar nicht im äußersten Osten von Asien, an der Ostküste des Pazifiks, aber immerhin im äußersten Osten von Indien. Nach Herodot 3,99 stand dieses Nomadenvolk in dem üblen Ruf, vor allem alte oder kranke Männer und Frauen zu verspeisen, die ihre Verwandten dafür freigegeben hatten. Der griechischen Gottheit Phoibos benachbart wähnte der Römer die Inder, weil er glaubte, dort gehe die Sonne am frühesten auf. 7,146 Nach Dio 67,6,2 wohnten die Geten weder am Hebrus, heute Maritza, noch am Tanais, heute Don, sondern nördlich des Balkangebirges am Unterlauf der Donau. Wo der Stamm sich angesiedelt hatte, den die meisten Handschriften als magini ausweisen, wissen wir nicht. 7,150 Mit der dazwischen verlaufenden Bahn der Sonne meint der Verfasser des Paneyrikus die Eklipse, mit dem anderen Teil des Weltalls die translunare Sphäre. Den Antipoden muss er nach diesem Weltbild die Zone südlich vom Wendekreis des Steinbocks zugedacht haben. Auf welche Vorlagen er in seiner Darstellung der Lehre von den fünf Erdzonen zurückgreifen konnte, erörtert eingehend Tränkle, Appendix Tibulliana, 235–239. 7,158–160 Im warmem Sommer stürzt sich Phoibos, der Sonnengott, mit Freuden in seinen Tageslauf, während er im kalten Winter sich beeilt, ihn so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. 7,171 Die sogenannte vitis arbustiva zählte zu den sechs Verfahren, Rebstöcke zu ziehen; darüber ausgiebiger Flach, Agrargeschichte, 278–280. Dicht

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an Ulmen, Eschen oder Pappeln gesetzt, kletterten sie bis zu den sonnenbeschienenen Enden der Äste hinauf. »Biegsam«, lentus, nannte sie bereits Vergil in dem Vers georg. 1,265. 7,172 In der Dichtersprache zwar verbreiteter, hier aber dennoch auffällig, beleuchtet der Accusativus Graecus maturos … partus, aus welchem Blickwinkel die Saatfelder »geschoren«, sprich: abgemäht werden. 7,175–176 Von den beiden weit auseinanderklaffenden Lesarten ierint und poscent kann nur die erste zutreffen. Wieder einmal ist es allein der zunächst verstümmelte und später verschollene Codex F, der den Wortlaut der Urfassung bewahrt. Der Aussage aller anderen Handschriften, nach der Messalla in dem Augenblick auf beiden Halbkreisen des Erdenrunds als strahlender Held gepriesen werden wird, wo seine Erfolge »herrliche Triumphe erfordern werden«, steht der Befund entgegen, dass dem Dichter nicht etwa Festzüge zur Feier von Siegen, sondern die in Schlachten errungenen Erfolge siegreicher Feldherrn vorschwebten, wenn er in der Mehrzahl von Triumphen redete. 7,179–180 Gaius Valgius Rufus gehörte wie Lucius Varius Rufus, Vergil, Horaz und Properz dem Kreis um Maecenas an, beschränkte sich aber nicht auf die Dichtung von Elegien, Epigrammen und Bukolika, sondern verfasste auch natur- und sprachwissenschaftliche Werke. Wie Varro verstand er diese breit gefächerte Betätigung als Dichter und Schriftsteller mit dem Lebensweg zu vereinbaren, die senatorische Laufbahn einzuschlagen. Im Jahr 12 v. Chr. krönte er sie als Suffektkonsul mit dem Aufstieg zum höchsten Staatsamt. 7,198–199 Kroisos, der König von Lydien, verdankte seinen märchenhaften Reichtum der glücklichen Fügung, dass der gold- und silberhaltige Paktolos in den Hermos einmündete und dieser Strom Sardeis, die Hauptstadt des Landes, durchfloss. 7,199 Dem Spartiaten Gylippos war es gelungen, im Kampf um Syrakus die athenischen Heerführer vernichtend zu schlagen. Die Feldherren Demosthenes und Nikias mussten sich ihm ergeben und wurden 413 v. Chr. hingerichtet, während die restlichen siebentausend Mann ihres Truppenaufgebots ihre Kriegsgefangenschaft nördlich von Syrakus in Steinbrüchen verbüßten. 7,200 Die Herkunftsangabe Meleteus spielt auf Homers meistgenannten Geburtsort an. Der Meles entsprang in der Nähe von Smyrna, und Smyrna zählte zu den Städten, die darauf pochten, dass der Dichter von ›Ilias‹ und ›Odyssee‹ ihr entstamme. 7,201–203 Auf den Lippen verirrten sich die Loblieder, wenn Messalla sich ihren Text zwar nicht merkte, aber immerhin halblaut las oder ihre Begleitmusik nachsang. Mit diesem Sprachbild drückt der Verfasser die Hoffnung aus, dass seine Verskunst, wenn sie schon nicht ihr höchstes Ziel erreiche, bis zu seinem Innersten vorzudringen, wenigstens auf halber Strecke zur Kenntnis genommen werde. 7,206–208 Die pythagoreisch-platonische Lehre von der Seelenwanderung war römischen Lesern mittlerweile so geläufig, dass sie Anklänge wie diese

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mühelos erfassten. Vorangegangen war Ennius mit dem Vorwort seiner Annalen, fr. 2–11 Skutsch; träumte er doch, kein Geringerer als Homer habe ihm kundgetan, sich in einen Pfau verwandelt zu haben, bevor er in ihm wiedererstanden sei. 7,211 Da die deutsche Sprache »untertexten« für subtexere so wenig kennt wie »eintexten« für intexere, kann die gehobene Wortwahl carmina subtexere nur mit einer Notlösung halbwegs getreu übersetzt werden. Weniger das Grundwort als seine Vorsilbe nötigt hier wie dort dazu, auf einen Behelf auszuweichen. Sulpicia 8 (= 4,2) 8,1–2 Am 1. März, dem Stiftungstag des Tempels, der 375 v. Chr. ihrer Schutzgöttin Iuno zu Ehren auf dem Esquilin errichtet wurde, feierten verheiratete Römerinnen, die auf ihren Ruf achteten, die Matronalia. Mit dem Beinamen Lucina riefen sie, um sie gnädig zu stimmen, sie an, weil sie ihnen dazu verhalf, dass Kinder, die sie erwarteten, mit der Geburt das Licht, in ihrer Sprache die lux, erblickten. Gleichwohl vermeidet es die Dichterin, sie zu erwähnen, und redet sie Mars nur deswegen an, weil der Monat, auf dessen Kalenden ihr Feiertag fiel, nach ihm Martius mensis genannt wurde. Von seiner Mutter, der Schutzherrin der Ehe, schweigt sie nicht von ungefähr. Hat sie auch nach den Begriffen ihrer Gesellschaftsschicht das heiratsfähige Alter erreicht, so fühlt eine umschwärmte Schönheit und begabte Dichterin wie sie sich doch stärker zu Venus, Amor und Apollon, den Schutzgottheiten der Liebe und Dichtkunst, hingezogen. 8,3 Wenngleich mit Vulcanus, dem römischen Hephaistos, verheiratet, verkehrte Venus, die römische Aphrodite, mit Mars, dem römischen Ares, in einer außerehelichen Dauerbeziehung. Deshalb neigte sie ebenso zur Eifersucht wie die Göttin Iuno Iuga oder Cinxia, die römische Hera Zygia. Anlass genug zu dem Argwohn, dass er seinem leiblichen Vater, dem berüchtigten Schürzenjäger Zeus, nacheiferte, gab ihr schon allein, dass er die Vestalin Ilia schwängerte. 8,3–4 Erblickte er die bildschöne Sulpicia, drohte Mars so heftig auf weibliche Anziehungskraft anzusprechen, wie nach Properz 4,4,21–22 die Vestalin Tarpeia auf männliche ansprach, als sie Tatius, den schmucken Heerführer der Sabiner, sein Schlachtross tummeln sah. »Es erstarrte sie«, schildert Properz diese Szene, »beim Anblick des Königs und der königlichen Rüstung, und es fiel zu Boden der Krug zwischen ihren pflichtvergessenen Händen.« 8,11–12 Nicht weniger überschwänglich schwärmt Properz von der bezaubernden Wandlungsfähigkeit seiner Cynthia, wenn er ihr 2,1,5–8 nachrühmt: »Drängst du sie, in koischen Seidenstoffen schimmernd einherzuschreiten, wird dies eine ganze Buchrolle aus koischer Kleidung hergeben. Sah

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ich Löckchen verstreut sich verirren auf ihre Stirn, freut sie sich daran, stolz auf das Lob ihrer Haare einherzugehen.« 8,13–14 Mit dem wandlungsfähigen Vertumnus, dessen Namen Properz in der Elegie 4,2 auf das Grundwort vertere, »verwandeln«, zurückführt, vergleicht sich die Dichterin bis in den Wortlaut hinein. »Auch öffnet sich«, schildern die Verse 45–46 dieses Aitions seine farbenfrohe Aufmachung als Gärtner, »keine Blume auf den Wiesen, ohne, kleidsam meiner Stirn aufgesetzt, vorher zu verwelken.« Mit decenter, dem seltener als apte gebrauchten Adverb für »schick«, wählte er bereits genau dasselbe Wort. 8,15–16 Zu der seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts v. Chr. sich einbürgernden Mode, Gewänder zu tragen, deren aus Tyros angelieferten Stoffe, die dibaphae Tyriae, zweifach mit Purpur eingefärbt waren, führt Plinius nat. 9,137 Cornelius Nepos wie folgt als Zeitzeugen an: »In meiner Jugend war der tyrische Purpur, von dem das Pfund für hundert Denare verkauft wurde, im Schwange und nicht viel später das tarentinische Rot. Darauf folgte der zweimal eingefärbte tyrische, der nicht einmal für tausend Denare je Pfund gekauft werden konnte. Dafür, diesen in seiner Eigenschaft als kurulischer Aedil erstmals bei der purpurverbrämten Toga verwandt zu haben, wurde P. Lentulus Spinther noch getadelt.« »Wer«, fragte er ungehalten, »stattet mit diesem Purpur noch nicht Esszimmer aus?« – So krasse Auswüchse an Prunk und Verschwendung konnte Cornelius Nepos mittlerweile in den Stadthäusern vermögender Römer beobachten. 8,17–20 Zu dieser Versfolge bündelt die Dichterin den Inhalt, den sie aus den beiden Distichen herauszieht, auf die Tibull ihn in den Verspaaren 3–4 und 15–16 der 2. Elegie seines zweiten Buchs verteilte. Nur schilderte Tibull den Araber, der als unkriegerischer Geschäftsmann mit Gewürzen handelt, als weichlich und das Land, aus dem er sie ausführt, als reich. 8,19–20 Die Leser, mit denen die Dichterin rechnete, verstanden unter den Gestaden des Roten die Küsten des Arabischen Meeres und teilten das Weltbild, nach dem, wie es Herodot 3,104,2 schon in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Griechenland verbreitete, die Sonne sich in Indien zu röten beginnt und seine Bevölkerung schon in den Morgenstunden so stark bräunt wie sonst in der Mittagszeit. 8,22 Mit »prangend« ist das Eigenschaftswort superbus hier so wenig zu übersetzen wie in den Versen 2,5,46 und 3,10,2 oder Prop. 2,1,8 und 4,10,48. Weshalb sollte Apollon auf seine edle Leier nicht ebenso stolz gewesen sein wie auf sein lockiges Haar? Seiner Haarpracht rühmte er sich vor dem Hintergrund, dass die heidnische Welt des Altertums an das Heil glaubte, das in der christlichen des Mittelalters als Königsheil fortlebte. Nach diesem zählebigen Aberglauben hatte ein Herrscher es verwirkt, sobald ihm die Haare geschoren wurden. 8,23 Der Auskunft nahezu sämtlicher Handschriften zum Trotz die Lesart sumet anzutasten fehlt jeglicher Anlass. Im gleichen Sinne verwenden Cicero

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off. 3,2 und Livius 22,51,1 sowie Tacitus hist. 4,65,1 und ann. 2,82,3 das weit gefächerte Wort sumere. 9 (= 4,3) 9,7–8 Der Wortgebrauch, mit indago nicht den Vorgang der Umzingelung, sondern das zur Absperrung nötige Fanggarn zu bezeichnen, geht auf Vergil, Aeneis 4,121, zurück. 9,9–10 Brombeergestrüpp zerkratzte der Vestalin Tarpeia zwar nicht die Beine, aber die Arme, wenn sie, um nicht bemerkt zu werden, erst bei Einbruch der Dunkelheit zum Kapitol hinaufstieg. So leitet Properz 4,4,27–29 zu der Schlüsselszene über, dass sie sich niedersetzt, um von ihrem Burgberg aus ihr Liebesleid zu klagen. 9,11–12 Die retia zu schultern, wenn der Knabe, den er umwirbt, auf die Jagd gehen will, empfiehlt der Priap, den Tibull um Rat fragt, als sein erster Annäherungsversuch scheitert. »Weigere dich nicht«, ermutigt ihn in der 4. Elegie des ersten Buchs, V. 49–50, ausgerechnet dieser Waldschratt, »wenn er, um Fallen zu stellen, tiefe Täler sollte absperren wollen, auf deinen Schultern, nur um ihm zu gefallen, Fangnetze zu tragen.« 10 (= 4,4) 10,3–4 Als Arzt, der Menschen von Leiden erlösen kann, ruft Cerinthus denselben Gott an wie Lygdamus. Der liebeskranke Dichter beschwört im Vers 3,6,3 die Heilkraft des Efeus, der Liebhaber der fieberkranken Dichterin Sulpicia im Verspaar 9–10 die Wunderwirkung wohlriechender Essenzen und zauberkräftiger Gesänge. 10,9–10 Zum Heilbringer erklärt Cerinthus mit Apollon den Gott, der sich seines ungeschorenen Haares rühmte. Genauso redete Properz in V. 4,9,71 den zum Gott erhobenen Sagenhelden Herakles mit der selbsterdachten Begründung an, die Menschheit schulde ihm Dank für die Lebensleistung, sie von der Banditenplage erlöst zu haben. 10,21–22 Weshalb dieses Distichon im Verlauf der Textüberlieferung hinter V. 20 rutschte, kann nur vermutet werden. Den Fehler verursacht oder mitverschuldet haben könnte die Klippe, dass der Sprecher von V. 14 zu V. 15 unversehens so jäh wechselt wie von V. 18 zu V. 19. 10,17–18 Nur der Liebhaber, der es in allen Lebenslagen ehrlich meint mit der Geliebten, weicht, wenn sie erkrankt, nicht von ihrer Seite. Nach diesem Verhaltensmuster, zu dem Tibull sich mit dem Nachdruck des Verses 1,5,62 bekennt, sitzt die vertrauensselige Schar ihrer Anbeter eher vor der Tür als am Krankenbett.

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11 (= 4,5) 11,4 Von dem Perfekt dederunt zu dem Plusquamperfekt dederant wandelte schon der Schreiber des Archetyps die Zeitform ab, um dem Versmaß Rechnung zu tragen. Doch griff er hier vorschnell ein, da er außer Acht gelassen hatte, dass die Endung -erunt mitunter, wie ursprünglich üblich, ohne Dehnung zu lesen ist. 11,5 Den Wortgebrauch, alii wie ceteri anzuwenden, haben bereits, wie Krebs/Schmalz, Antibarbarus 1, 144, beobachteten, Cicero und Livius von der Umgangssprache übernommen. 11,11 Die Wendung alios amores suspirare, »seufzend sich nach einer anderen Liebschaft sehnen«, hat die Dichterin aus Tibull 1,6,35 geschöpft. 12 (= 4,6) 12,2 Mit docta puella führt Sulpicia sich als kunstsinnige Verfasserin – nicht bloß Leserin und Kennerin – von Liebesgedichten ein. 12,7–8 Die Aufgabe, über verliebte Paare zu wachen, fällt sonst Venus, nicht Iuno, zu; doch wendet sich Sulpicia an die Schutzgöttin der Ehe, weil sie sich nunmehr fest zu binden gedenkt. 12,9–10 Wer von ihnen beiden, ob Sulpicia oder Cerinthus, die Oberhand gewinnt, wird sich erst im Laufe ihres Zusammenlebens herausstellen. 12,15–16 Die Verehrer ihrer Tochter schaut sich die ebenso standesbewusste wie wachsame Mutter aus dem Blickwinkel einer Schwiegermutter an, die sich statt eines lebenslustigen Liebhabers einen verlässlichen Junggesellen, der zeitlebens treu zu bleiben verspricht, als Schwiegersohn wünscht; doch fühlt sich Sulpicia mittlerweile erwachsen genug, um nur ihr Herz sprechen zu lassen. Properz spielt 3,8,37–38 gleichfalls darauf an, dass Eltern in dem Ruf stehen, sich in die Herzensangelegenheiten ihrer Kinder einzumischen. Nur sieht er die Rollen anders verteilt, weil er von dem Regelfall ausgeht, dass hüben wie drüben Vater und Mutter noch leben. Wenn er den Nebenbuhler, der seine Cynthia zu umgarnen versucht, mit den Worten sit socer aeternum nec sine matre domus verwünscht, muss ihm die Lebenserfahrung gesagt haben, dass Vätern kein Schwiegersohn und Müttern keine Schwiegertochter gut genug sein können. Sulpicia war jedoch Halbwaise, seitdem ihr Vater Servius Sulpicius Rufus verstorben war. Deshalb musste die Mutter in die Rolle schlüpfen, die sonst ihrem Mann zugefallen wäre. 12,17–18 Brennen Haus und Herd, suchen sich die Bewohner verzweifelt zu retten. Brennt aber die Dichterin vor Leidenschaft, möchte sie gar nicht heil davonkommen, obwohl sie dem Flammenmeer der Liebe eher entrinnen könnte als einer Feuersbrunst. 12,19–20 Die Urfassung des Distichons, mit dem das Gedicht endet, stellten am ehesten die beiden behutsamen Eingriffe wieder her, in V. 19 vor veniet

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die Konjunktion ut einzufügen und in V. 20 esset zu dem Konjunktiv exstet oder extet zu verbessern. Klang es kurzum so aus, wie es Anton Eberz und Emil Baehrens vorschwebte, verschachtelte Sulpicia den Temporalsatz veniet cum proximus annus mit dem Finalsatz ut … hic idem votis, iam vetus, ex(s)tet amor und gebrauchte sie das Wort ex(s)tare im gleichen Sinne wie Tibull im Vers 2,1,2. Nach diesem Befund verwandte sie hic weder als Demonstrativpronomen noch als Adverb des Ortes, sondern wie Tibull in den drei Versen 1,2,33, 1,6,54 und 2,2,21 zur Bestimmung der Zeitfolge, und verpackte sie verschnörkelt den sehnlichen Wunsch, mit Cerinthus unverändert zusammenzuleben, wenn ihre Liebesbeziehung, nach einer Probezeit von einem Jahr »schon alt«, iam vetus, mit Iunos Segen ihren ersten Geburtstag feiert. 13 (= 4,7) 13,3 Auf der felsigen, der Südostspitze der Peloponnes vorgelagerten Insel Kythera wurde Aphrodite als Urania verehrt. 13,3–4 Um dem Gerede entgegenzutreten, ihr Geheimnis vor der Zeit oder gegen den Willen ihres Geliebten preisgegeben zu haben, verschweigt Sulpicia seinen Namen zwar beharrlich. Darüber, mit ihm endlich vereint zu sein, frohlockt sie aber mit so deutlichen Anklängen an frühere Aussagen, dass ihr kein anderer als Cerinthus vorgeschwebt haben kann. 13,10 In dem Schlussvers … cum digno digna fuisse ferar hallt die Voraussage bene compones: ullae non ille puellae servire aut cuiquam dignior illa viro des Distichons 3,12,9–10 nach. 14 (= 4,8) 14,1–2 Wiederum fühlt sich Sulpicia von einem besorgten Menschen, einem homo studiosus, gegängelt, der ihr nahe genug steht, um sich aus Verantwortungsbewusstsein über ihre Zukunft Gedanken zu machen. Nur vertritt diesmal nicht wie im fünften Gedicht des Zyklus ihre Mutter Valeria, sondern ihr Onkel Marcus Valerius Corvinus den leiblichen Vater in der Rolle des Vormunds. Wie aus dem nächsten Kurzgedicht hervorgeht, trägt sie, seine Nichte, diesen Generationenkonflikt so listig mit ihm aus, dass sie am Ende, ohne mit ihm zu brechen, seine Pläne durchkreuzt. 14,3–4 Nach Arretium, heute Arezzo, lud Messalla die unsterblich verliebte Sulpicia ein, um ihren Geburtstag fern von Rom im ländlichen Umbrien mit ihr zu feiern. Doch durchschaut sie seine Absicht, ihren Plan zu vereiteln, diesen Tag mit Cerinthus und anderen Gästen der Jeunesse dorée im großstädtischen Rom zu verbringen. Zu einem »eiskalten« Strom erklärt sie den nördlich von Arezzo in einer langen Schleife abbiegenden Arno, um die Einladung, in einer so unwirtlichen Gegend ihren Geburtstag zu begehen, als unzumutbar hinzustellen.

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14,5–6 Über die seinen Zeitplan durchkreuzenden Verzögerungen ihrer Abreise ärgerte sich Messalla aus gutem Grund, sollte Sulpicia so durchsichtige Ausflüchte, wie Tibull 1,3,17–20 sie sich ausdachte, unablässig gesucht und gefunden haben, um den Tag, an dem sie aufbrach, stets aufs neue zu verschieben. Zu dem sprachlichen Wagnis, den Vokativ saeve mit dem Dativ tempestivae … viae zu verknüpfen, um den Anlass seines Grolls zu benennen, konnte sie Vergil Aen. 1,458 mit der vergleichbaren Wortwahl saevum ambobus Achillem ermutigen. 14,7–8 Je ungehaltener Messalla sich äußert, desto merklicher sieht Sulpicia ihre Hoffnung schwinden, in Rom ungestört mit Cerinthus zusammen leben und feiern zu können. 15 (= 4,9) 15,1–4 Die Ausreden, zu denen Sulpicia Zuflucht nahm, um ihre Abreise hinauszuzögern, haben sich ausgezahlt. Wider Erwarten sagte Messalla ab. Dazu werden ihn eher dringende Staatsgeschäfte oder unaufschiebbare Gerichtstermine als eine ernste Krankheit oder ein verheerender Witterungsumschwung genötigt haben. Sonst hätte seine Nichte schwerlich von einem glücklichen Zufall gesprochen, der es ihr nunmehr erlaubt, ihren Geburtstag in Rom gemeinsam mit Cerinthus und anderen Gästen der Jeunesse dorée zu feiern. 16 (= 4,10) 16,1–6 Mit jeder der sechs Zeilen dieses Kurzgedichts gibt Sulpicia tiefe Einblicke in das Standesdenken der römischen Oberschicht. Solange sich der Mann nur mit wechselnden Dirnen vergnügt, kann er sich darauf verlassen, dass seine Frau es stillschweigend duldet. Hätte sie sich mit Fehltritten rächen wollen, wäre sie nach seiner wie ihrer Einschätzung Gefahr gelaufen, von der Gesellschaft, in der sie verkehrte, ausgestoßen zu werden. Zutiefst geschmerzt hätte ihre nächsten Verwandten nur die Schmach, mitansehen zu müssen, dass sie, die Tochter eines Sulpicius, einer Nebenbuhlerin niedriger Herkunft wich. So schimpfliche Niederlagen verziehen sie ihren Angehörigen so wenig wie sich selbst. Diesem Geist hatten sich schon ihre Ahnen verschrieben und der Erfolg ihnen Recht gegeben; zu dieser tief verwurzelten Denkweise äußerte sich treffend Bringmann, Kulturgeschichte, 171–176. 16,5–6 Sich einer Dirne dunkler Herkunft wie einer Dienstmagd geschlagen zu geben, deren Rücken von den Körbchen gebeugt war, in denen sie Schafwollgarn von der Spindel, dem fusus, zu dem Hochwebstuhl, der tela, getragen hatte, hätten ihr namentlich so standesbewusste Verwandte wie ihr Onkel Marcus Valerius Corvinus und seine Schwester, ihre verwitwete Mutter Valeria, verübelt.

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17 (= 4,10) 17,1 Mit Cerinthe tuae placiture puellae, zu Deutsch: »deiner Geliebten zu gefallen bestimmter Cerinth«, redet Sulpicia den Mann an, dem sie unrettbar verfallen ist. So schildert sie die Rolle, mit der sie in den Kreisen, in denen ihr Vater Servius Sulpicius Rufus verkehrte, aus der Rolle fiel. Zwar spielt sie mit wörtlichen Anklängen auf die heile Welt an, von der Tibull im 5. Gedicht des zweiten Buchs schwärmte. In dieser Welt ist es aber die puella, die vom Schicksal dazu ausersehen ist, ihrem Liebhaber zu gefallen. Keine der beiden, denen er in den Versen 35 und 51 diese Eigenschaft mit dem Partizip Futur placitura zuschreibt, verkaufte sich unter Wert. Die eine, eine Bauernmädchen vom Überschwemmungsgebiet Velabrum, bezauberte einen reichen Viehhalter, die andere, die Vestalin Rhea Silvia, den Kriegsgott Mars. Dazu steht in krassem Gegensatz, dass Sulpicia den Mann ihrer Träume schicksalsergeben fragt, ob es für ihn von Belang sei, dass hohes Fieber sie plage. Den Zugang zu diesen Feinheiten verschütten all die Herausgeber, die noch immer eine so eingängige Lesart wie placiture verwerfen, um sie gegen eine so holprige und sperrige Konjektur wie pia cura einzutauschen. Wie so oft rächt es sich auch diesmal, dem Herdentrieb zu folgen. 19 (= 4,12) 19,1–2 Den Inhalt seines einem Ehevertrag nachempfundenen Abkommens verkündet der Dichter kurz und bündig mit den Worten des zweiten Distichons. Diesen Vertrag »fürs erste«, primum, geschlossen zu haben glaubte er, als er noch nicht übersah, dass seine Vertragspartnerin darauf bestehen könnte, dessen Grundbedingung, die Treue, bis zum Lebensende uneingeschränkt zu erfüllen. 19,3–4 Genauso entschieden, nur genauer als die krankhaft eifersüchtige Jüngerin der Göttin Iuno diktiert Cynthia die Bedingungen des Hausgesetzes, das Properz nach dem Wortlaut der Verse 4,8,75–78 zu befolgen hat. »Du wirst«, schärft sie ihm ein, »weder herausgeputzt lustwandeln in der Schatten spendenden Säulenhalle des Pompeius noch dich, wenn Sand seinen Boden überstreut, auf dem lüsternen Forum ergehen. Hüte dich, dir den Hals schief zu biegen zu den obersten Rängen des Theaters oder darauf zu lauern, dass Sänftenträger sich abschwitzen, die offen sind für eine dir gelegen kommende Verschnaufpause!« 19,9–10 Wie possim ist die Wortform possum nach der Regel zu übersetzen, dass im Lateinischen – so Kühner/Stegmann, Lateinische Grammatik 1, 171 – »bei den Ausdrücken des Sollens, Müssens, Könnens« der Indikativ den Konjunktiv vertritt. So ist sie schon deswegen aufzufassen, weil im nächsten Vers der Konjunktiv sit den Gedankengang fortführt und, ohne wiederholt werden zu müssen, im übernächsten fortwirkt.

19. Gedicht

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19,11–12 Vergleichbar überschwänglich verherrlicht Properz 1,11,23–24 seine Geliebte in der Wirklichkeitsform. »Du bist für mich«, preist er sie, »allein das Zuhause, du, Cynthia, allein die Eltern, du alle Augenblicke meiner Glückseligkeit! Ob ich traurig oder ob ich im Gegenteil fröhlich begegne den Freunden, werde ich, ganz gleich, in welcher Verfassung ich bin, stets sagen: ›Cynthia ist dafür der Grund gewesen‹.« 19,13–14 Im 3. Gedicht seines ersten Buchs, V. 89–90, malte sich Tibull das Wiedersehen aus, wie »vom Himmel gesandt«, caelo missus, seiner geliebten Delia zu erscheinen, wenn er, unangekündigt von der Insel der Seligen zurückgekehrt, sie mitten in der Nacht in seine Arme schließe. Auf diese Szene spielt sein Fortsetzer unverkennbar an, vertauscht aber die Rollen zu der Parodie, Venus werde selbst dann scheitern, wenn sie ihm eine »Tibullfreundin«, eine amica Tibullo, vom Himmel schickte. Schlägt er ein so verlockendes Angebot aus, verschmäht er kopflos im wahrsten Sinn des Wortes eine Traumfrau, die mit dem Urteilsvermögen einer docta puella die Gedichtgattung hoch schätzt, die Tibull als ihr namhaftester Vertreter verkörpert. So blind kann er nur sein, weil er in die Falle tappte, sich vertraglich zu ewiger Treue zu verpflichten. Aus keinem anderen Grund vertut er die Chance, als zweiter Tibull eine zweite Delia zu finden, die von seiner Verskunst angetan ist und ihn zu Liebesliedern anregt. So verstanden beweist gerade der Vers, an dessen Ende er in der 3. Person von Tibull redet, dass er nicht in Tibull aufgeht, sondern nur in seine Fußstapfen tritt. Je begeisterter er ihm nacheifert, desto schmerzlicher muss er die Traumfrau vermissen, die eine Tibullfreundin dargestellt hätte. In seiner Hochachtung vor einer Leserin, die so genannt zu werden verdient, schwingt kurzum der Beiklang mit, dass sie, würde sie ihm vom Himmel gesandt, über römische Liebesdichtung so kenntnisreich mitreden könnte wie in unserem Sprachraum etwa eine Goethefreundin über deutsche Liebeslyrik. 19,15–16 Auf die Präposition per verzichtet Tibull nirgendwo, wenn er bei Göttern oder Menschen schwört, wohl aber greifen etwa Cicero fam. 7,12,2, Properz 1,15,35 oder Vergil Aen. 6,351 und 12,197 darauf zurück, dass sich die Römer in vergleichbaren Fällen ursprünglich mit dem reinen Akkusativ begnügt hatten. Zurückverfolgen lässt sich dieser Sprachgebrauch bis zu der Duenos-Inschrift, auf der iovescat deivos, »er schwört bei den Göttern«, zu lesen ist. 19,17 »O weh, o weh!«, heu heu, ruft der Verfasser des Gedichts nach dem Muster der Tibullverse 1,4,81, 1,6,10, 2,3,2, 2,3,53 und 2,6,108 aus. Seine Faustpfänder gibt er in dem Augenblick preis, in dem er seiner Geliebten ewige Treue schwört; nimmt er ihr doch mit seinem Eid jeglichen Grund zur Eifersucht. 19,18 Die Angst vor Untreue teilt die Geliebte, der ewige Treue geschworen zu haben der Dichter bereut, mit der sprichwörtlich eifersüchtigen Iuno, die sie für mächtiger als alle anderen Gottheiten zusammen hält. Der Erfolg

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gibt ihr Recht. In dem Machtkampf, den sie mit ihrem Vertragspartner austrägt, siegt Iuno, die Schutzgöttin der Ehe, über Venus, die Schutzgöttin der Liebe. Auf diese Ebene erhebt er den geläufigen Machtkampf der Geschlechter, in dem Tibull 2,4,1–2 sich mit dem Eingeständnis geschlagen gegeben hatte: »Soweit sehe ich vor mir die Knechtschaft und die Herrin zum Machtkampf gerüstet: Nun sage mir schon, gute alte Freiheit der Väter, Lebewohl!« 19,21–22 Mit der gleichen Einstellung fügt Properz sich in sein Schicksal, wenn er 1,4,3–4 einem Freund auf seine Vorhaltungen erwidert: »Warum nimmst du nicht hin, dass ich den Rest meines Lebens lieber in der jetzigen Knechtschaft verbringe, an die gewöhnt ich doch bin?« 19,23 Durch seinen voreilig geleisteten Eid zu ewiger Treue verpflichtet, sitzt der Dichter nicht von Venus gefesselt, sondern von diesem Vertrag geknebelt vor ihrem Altar. 19,24 Nun, da er sich gezwungen sieht, sich der allmächtigen Schutzgöttin der Ehe zu fügen, bittet er zerknirscht die Schutzgöttin der Liebe für die Dummheit um Vergebung, dass er selbst ein so verlockendes Angebot ausgeschlagen hätte, ihm vom Himmel eine kunstsinnige Traumfrau zu senden. Dazu verpflichtete ihn zwar der Knebelvertrag, den er mit seiner zu krankhafter Eifersucht neigenden Gefährtin geschlossen hatte. In seiner verzweifelten Lage hofft er aber, Venus wenigstens versöhnen zu können. Epigramm 20 (=4,13) 20,1–4 Dieses letzte der zwanzig Gedichte, die im Altertum gesammelt und Tibull zugeordnet wurden, ist zu kurz, um sicher verortet werden können. Von Tibull kann es jedenfalls nicht stammen. Nach den wörtlichen Anklängen in seinen beiden ersten Versen zu schließen, muss sein Verfasser vielmehr das zweite und vierte Buch des frühestens 15 und spätestens 2 v. Chr. verstorbenen Liebesdichters Properz gekannt und ausgewertet haben. 20,1–2 In beiden Versen stand nicht Tibull, sondern Properz bei der Wortwahl Pate. Im ersten ist rumor ait aus V. 4,4,47, im zweiten surdis auribus esse aus V. 2,16,36 geschöpft. Nach diesem eindeutigen Befund kann der Vierzeiler frühestens im Jahr 16 v. Chr. verfasst worden sein. Dass Properz aus einem Kurzgedicht von vier Versen zwei wörtliche Anklänge herauszog, um sie auf das zweite und vierte Buch seines Gesamtwerks zu verteilen, ist mit Sicherheit auszuschließen.

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