Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen: (§§ 46 Abs. 3, 50 StGB) [1 ed.] 9783428450824, 9783428050826

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Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen: (§§ 46 Abs. 3, 50 StGB) [1 ed.]
 9783428450824, 9783428050826

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MICHAEL HETTINGER

Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen

Schriften zum Strafrecht Band 45

Das Doppelverwertungsverhot bei strafrahmenbildenden Umständen (§§ 46 Abs. 3, 50 StG B)

Von

Dr. Michael ßettinger

DUNCKER

&

ßUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berl1n 65 Printed in Germany

© 1982 Duncker

ISBN 3 428 05082 '1

Meinem Vater zum Gedächtnis

Vorwort Die vorliegende Schrift ist die leicht überarbeitete Fassung eines Ende 1980 abgeschlossenen Manuskripts, das im Sommer 1981 der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation vorgelegen hat. Für den Druck konnten Rechtsprechung und Literatur bis Oktober 1981 noch berücksichtigt werden. Herrn Professor Dr. Wilfried Küper, von dem die Anregung zu dieser Arbeit stammt, bin ich für seine Fürsorge und sein Wohlwollen von Herzen verbunden. Dank schulde ich der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses sowie dem Verlag Duncker & Humblot für die reibungslose Zusammenarbeit. Heidelberg, im November 1981 Michael Hettinger

Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................

17

Zur Terminologie ...................... . ..............................

23

Erster Teil Die Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3 I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot i. S. d. § 46 Abs.3 30 1. Zum Standort des Problems ...................................

30

2. Die Gesetzgebung .............................................

34

3. Die Rechtsprechung ........................................ '" a) Das Reichsgericht ............................. . ............ b) Der Bundesgerichtshof .....................................

42 42 43

4. Stellungnahmen der Literatur ................................

46

a) Zur Begründung des Verbots ................ . .............. b) Kritische Stimmen .........................................

46 48

5. Resümee .................... . . ...............................

51

II. Zur Vorarbeit des Gesetzgebers für die Strafzumessung. . . . . . . . ..

52

III. Zur Vorgehensweise bei der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

55

1. Die Grundprinzipien ........................................ . .

55

2. Zur Bedeutung des § 46 für die Strafzumessung ................

58

IV. Die Ausgestaltung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber . ..

60

1. DIe Bedeutung des Art. 103 Abs. 2 GG für die Bildung von Straf-

tatbeständen ..................................................

60

2. Die Gesetzgebungsmethode bei der Tatbestandsformulierung auf der Grundlage des Art. 103 Abs. 2 GG ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

6~

3. Die Interdependenz von Tatbestandsformulierung und Strafrahmenbildung ................................................... 66 4. Strafrahmen und Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

71

10

Inhaltsverzeichnis 5. Zur Bedeutung der Strafrahmen des geltenden Rechts .. . . . . . . ..

77

a) Zum Begriff der Strafrahmen ..............................

77

b) Folgerungen aus der Gesetzgebungsmethode ................

78

c) Die Strafrahmen als Wertmaßstab des Gesetzes ........... "

82

d) Fazit ......................................................

83

V. Die "Umstände" i. S. d. § 46 Abs.3 ...............................

84

1. Belings Differenzierung nach Begriff und Tatsache ............

84

2. Die Weiterführung des Ansatzes von Beling durch Spendel .....

86

3. Die Bedeutung des Tatbestandes und seiner Merkmale für die Strafzumessung ............................................... 88 a) Der Tatbestand und seine Merkmale als Strafbarkeitsvoraussetzung .................................................... 88 b) Der Tatbestand und seine Merkmale ·als Strafzumessungsgrund ..................................................... aa) Steig'erungsfähige Tatbestandsmerkmale .. . . . . . . . . . . . . .. bb) Konkretisierungsfähige Tatbestandsmerkmale .......... ce) Zusammenfassung .....................................

90 91 94 98

4. Hassemers Strafzumessungsmodell ............................ 101 5. Zur Doppelfunktion der Tatbestandsmerkmale ...... . . . . . . . . . .. 103 6. Die Bedeutung des § 46 Abs. 2 ......... . ....................... 108 VI. Die Steigerungsfähigkeit (Quantifizierbarkeit) von Unrecht und Schuld ...................................................... · ... 111 1. Die Steigerungs fähigkeit des Unrechts ......................... 111

2. Die Steigerungsfähigkeit der Schuld ......................... ,. 117 a) Schuld als Strafbarkeitsvoraussetzung ...................... 117 b) Schuld als Steigerungsbegriff .............................. 119 c) Schuld als Strafmaß- oder Strafzumessungsschuld .......... 119 3. Folgerungen für die Strafzumessung i. S. d. § 46 Abs. 1 und 2 . . .. 121 4. Folgerungen für das Doppelverwertungsverbot i. S. d. § 46 Abs. 3 123 5. Die Deutung des Doppelverwertungsverbots durch Zipf .. . . . . . .. 127 VII. Die Strafzumessung und die Theorie der Schwereskala ........ . .. 128 1. Die Theorie der Schwereskala ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129

2. "Kontinuierliche" oder "ungefähre" Schwereskala .............. 131 3. Mögliche Konsequen~en für das Verständnis der T.atbestandsmerkmale in der Strafzumessung .............................. 134

Inhaltsverzeichnis

11

VIII. Die Vorstellung vom Straftatbestand als "vertyptem Normalfall" 135 1. Die Bedeutung der Begriffe Durchschnittsfall -

Regelfall - erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommender Fall .............. 137

2. Schwereskala und theoretischer Durchschnittsfall .............. 139 ,al Befürworter des Denkmodells des "theoretischen Durchschnittsfalls" ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139 b) Kritiker des Denkmodells des "theoretischen Durchschnittsfalls" ...................................................... 142 c) Stellungnahme ... , ....... ,................ . ............... 143 3. Der sogen. "Regelfall" ........................................ 147 a) Die Begründung der Existenz des "Regelfalls" .............. 147 b) Kritische Stellungnahme ................................... 149 IX. Schlußbetrachtung ....................................... . . . .... 153

Zweiter Teil

Die Bedeutung des Doppelverwertungsverbotes bei Strafrahmenmilderungsgründen i. S. d. § 49 Abs. 1 und bei unbenannten Strafrahmenänderungen Vorbemerkung ...................................... . ......... . . . . . . .. 164 A. Die besonderen gesetzlichen StrafrahmenmHderungsgründe i. S. d. § 49 Abs.l ............................................................. 165

r.

Die Bedeutung der Strafrahmenvorschriften des § 49 Abs. 1. . . . . .. 165

II. Die Milderungsgründe i. S. d. § 49 Abs. 1 im einzelnen ............ 166 1. Die obligatorischen Rahmenmilderungsgründe ................. 166

a) b) c) d) e)

§ 27 ........................................................ 166 § 28 Abs. 1 ................................................. 168 § 30

............................ . .......................... 168

§ 35 Abs. 2 ................................................. 169 § 111 Abs.2 ................................................ 169

2. Der abstrakte Wertmaßstab bei den obligatorisch.en Rahmenmilderungsgründen i. S. d. § 49 und die Konsequenzen für das Doppelverwertungsverbot ............................................ 170 3. Zwischenergebnis ............................................. 173 4. Die fakultativen Rahmenmilderungsgründe .................... 174 a) Zur Bedeutung der Regelungen ............................ 174 b) Zur Strafrahmenwahl und dem Einwand des Doppelverwertungsverbotes .......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 177

12

Inhaltsverzeichnis c) Das Vorgehen der Rechtsprechung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Beim Versuch ......................................... bb) Bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit ............. d) Das von Dreher vorgeschlagene Modell ..................... e) Die Auffassung Buschs ....................................

178 178 180 181 183

5. Stellungnahme ................................................ 184 6. Zur Bedeutung des Doppelverwertungsverbotes bei der Entscheidungsfindung ................................................. 187 7. Geltung des Doppelverwertungsverbotes bzgl. strafrahmenbildender Umstände ............................................. 190 8. Das Gesamtrahmenmodell Zipfs nach altem Recht . . . . . . . . . . . . .. 198 9. Die übernahme des Modells für das neue Recht durch Horn .... 200 10. Stellungnahme ........... " ................................... 201 B. Die Strajrahmentechnik der minder schweren Fälle und der besonders

schweren Fälle .................................................... 202

I. Zur Entwicklung der Gesetzgebungstechnik der unbenannten Straf-

rahmenänderungsgrÜDde ........................................ 203

II. Zur Verfassungsmäßigkeit der unbenannten Strafrahmenänderungen ............................................................. 205 III. Die Bedeutung der unbenannten Strafrahmenänderungen ........ 207 IV. Der Geltungsbereich des Doppelverwertungsverbots bei den unbenannten besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen nach der h. M ........................... , .................... 211 V. Eigene Würdigung .............................................. 212 VI. Doppelverwertungsverbot und Regelbeispiele .................... 215 VII. Exkurs: Kritik der Handhabung der besonders schweren Fälle und minder schweren Fälle durch die h. M ........................... 217 1. Zur Methode der Wertgruppenbildung ........................ 217

2. Zum Einwand des Doppelverwertungsverbots .................. 221 Dritter Teil

Das Zusammentreffen von Rabmenmilderungsgründen I. Die Regelung des § 50 als Ausgangspunkt ....................... 224 1. Die Rechtsprechung zu § 50 .................................... 226

2. Folgerungen für das Verfahren bei Konstellationen i. S. d. § 50 .. 232

Inhaltsverzeichnis 3. Kritische Würdigung der Rechtsprechung zu § 50

13 233

4. Die Auslegung des § 50 in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 240 a) übereinstimmungen mit der Rechtsprechung ............. . .. 240 b) Zum Verhältnis der Rahmenmilderungsgriinde i. S. d. § 49 Abs. 1 zur Wertgruppe der minder schweren Fälle. . . . . . . . . .. 241 c) Die Exklusivitätsthese Horns ............................... 245 d) Kriterien der Strafrahmenwahl ............................ 245 e) Zur Mehrfachverwertung strafrahmenbildender Umstände i. 8. d. § 50 ................................................. 251 f) Die Bedeutung des § 50 für die Endstrafzumessung . . . . . . . . .. 252 5. Zwischenergebnis ............................................. 253 11. Die Behandlung des "Zusammentreffens von Milderungsgründen" in der Gesetzgebung und in den Reformentwürfen ............... 255 1. Das Verhältnis benannter und 'Unbenannter Rahmenmilderungen

im 8tGB von 1871 und den Entwürfen bis zum E 1936 ..... . . . .. 255

2. Die Regelung des Zusammentreffens mehrerer besonderer gesetzlicher Rahmenmilderungsgriinde in den Entwürfen ......... 262 3. Fazit ......................................................... 263

4. Die Regelungen über das "Zusammentreffen von Milderungsgründen" in den Entwürfen und Beratungen 'seit 1954 .......... 263 5. Fazit ......................................................... 271 IH. Eigene Lösung ........................................ . . . . . ..... 273 1. Die Prämissen des § 50 ........................................ 273

2. Zur "freien" Rahmenwahl .................................... 285

a) Obligatorische Rahmenmilderungsgründe ................... 285 b) Fakultative Rahmenmilderungsgründe ...................... 286 3. Die Folgenregelung ........................................... 290

Literatur- und Quellenverzeichnis ..................................... 292

Abkürzungsverzeichnis a.A.

Abs. AE a.E. a.F. ALR Anm. Art. AT Auf!. BayObLG BayObLGSt BayRechtspfl.Z Begr. BetMG BGBI B.GH BGHSt BGHZ BMJ BR BR-Dr. b.s.F. BT BT-Dr. BVerfG BVerfGE bzg!. bzw. DAR ders. d.h. Diss. DJT DJZ DRiZ DV DVV E Ein!. f.

ff.

FN FS

anderer Auffassung Absatz Alternativ-Entwurf am Ende alte Fassung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern Begründung Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz Bundesrat Bundesratsdrucksache besonders schwerer Fall oder besonders schwere Fälle Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise Deutsches Autorecht derselbe das heißt Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Richterzeitung Doppelverwertung Doppelverwertungsverbot Entwurf Einleitung folgende Seite folgende Seiten Fußnote Festschrift

Abkürzungsverzeichnis

G

15

Gesetz Goltdammers Archiv für Strafrecht (ab 1953 zitiert nach Jahr und Seite, vorher nach Band und Seite) Gegenentwurf GE gem. gemäß Grundgesetz GG ggflls. gegebenenfalls grds. grundsätzlich GS Der Gerichtssaal (zitiert nach Band und Seite) h.L. herrschende Lehre h.M. herrschende Meinung HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung i. d. F. in der Fassung i.d.R. in der Regel i. e. S. im engeren Sinne incl. inclusive insbes. insbesondere i. S. im Sinne i. S. d. im Sinne des (der) i. ü. im übrigen i. V.m. in Verbindung mit i. w. S. im weiteren Sinne JA Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz JGG JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ J uristenzei tung KE Kommissionsentwurf LG Landgericht LK Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch LM Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Nachschlagewerk von LindenmaierjMöhring m.a. W. mit anderen Worten MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MonKrimBiol. Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform MSchrKrimPsych. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform m.s.F. minder schwerer Fall oder minder schwere Fälle mit weiteren Nachweisen m.w.N. Niederschriften Ndschr. n.F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ o. oben OLG Oberlandesgericht Prot. Protokolle Radbruch-GS Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch Rdnr. Randnummer Reichsgericht RG RGBI Reichsgesetzblatt RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen GA

16

RStGB s.

S.

SchwZStr. Seuff.Bl.

SJZ SK s. o. sogen. StGB StPO StR StrRG StrZ s.u.

u.

u.a. Urt. usw. u.U.

VD

VE

Verf. vgl. VO Vorbem. VRS VZ WStG ZAkDR z.B. Ziff. zit. ZRP ZStW z.T. zust. zutr.

Abkürzungsverzeichnis Reichsstrafgesetzbuch siehe Seite Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (zitiert nach Band und Seite) Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch siehe oben sogenannt(e) Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafrecht Gesetz zur Reform des Strafrechts Strafzumessung(s-) siehe unten unten unter anderem oder und andere Urteil und so weiter unter Umständen Vergleichende Darstellung des Strafrechts Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch Verfasser vergleiche Verordnung Vorbemerkung Verkehrsrechtssammlung (zitiert nach Band und Seite) vorläufige Zusammenstellung Wehrstrafgesetz Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Ziffer zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band, Jahr und Seite) zum Teil zustimmend zutreffend

Einleitung "Das Doppelverwertungsverbot (DVV) ist mit seinem Grund und mit seinen Grenzen dogmatisch noch völlig ungeklärt"l. Daß dies richtig ist, zeigt ein Blick in die gängigen Kommentare, die sich bei diesem Problem weitgehend in der Erörterung von Entscheidungen der Rechtsprechung erschöpfen. Eine etwas eingehendere Auseinandersetzung mit diesem Fragenbereich findet sich lediglich bei Bruns2 und Zipr. Im übrigen gibt es zwar eine große Zahl von Stellungnahmen zu dieser Problematik; die vorgetragenen Gedanken erleiden aber dadurch Einbußen an überzeugungskraft, daß der Raum, der ihnen gewidmet wird, jeweils zu beschränkt ist, als daß wesentlich mehr als die Wiederholung bekannter Argumente oder aber eine letztlich nicht zureichende Fundierung neuer Postulate erwartet werden könnte. Es mag dies wiederum damit zusammenhängen, daß man das DVV "nicht zu den erstrangigen Problemen der Strafzumessung" (StrZ)4 rechnet, wenngleich seine praktische Bedeutung ganz unumstritten ist 5 , wie im übrigen auch die häufigen Entscheidungen der Obergerichte nur allzu deutlich zeigen6 • Seine gesetzliche Ausprägung hat das Prinzip des DVV erstmals in den §§ 46 Abs. 37 und 50 gefunden. Unstreitig reicht aber die Bedeutung des Prinzips über den Regelungsgehalt dieser Vorschriften hinaus. Doch endet die übereinstimmung bei dieser recht allgemeinen Aussage. über die inhaltliche Bedeutung des Prinzips im einzelnen gehen die Meinungen erheblich auseinander. So ist schon umstritten8 , was das DVV von Tatbestandsmerkmalen nach § 46 Abs. 3 bedeutet9 , ist zweifelhaft, ob das DVV 1. S. d. § 46 Abs. 3 Puppe, S. 20. Bruns, StrZ-Recht, S. 361 ff.; ders., Leitfaden, S. 108 ff. S Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 96 ff. 4 So Dreher, JZ 1968, 212. 5 Vgl. Dreher, JZ 1968,212; Bruns, StrZ-Recht, S. 361. e DaZlU Bruns, StrZ-Recht, S. 363 ff.; ders., Leitfaden, S. 109 ff.; vgl. auch Seebald, GA 1975, 230 ff.; Mösl, DRiZ 1979, 168 f.; ders., NStZ 1981, 131 ff. 1

2

Paragraphen ohne nähere Bezeichnung sind solche des StGB. Die von Puppe, S.20 angenommene Einigkeit besteht also nicht einmal hier! o Vgl. nur die Kritik von Bruns, Leitfaden, S. 108 an Seebald, GA 1975, 230: "... neueste Äußerungen im Schrifttum lassen merkwürdige Vorstellungen über Sinn und Grenzen des DVV erkennen". 7

8

2 Hettinger

18

Einleitung

"in den Zusammenhang der umfassenderen Problematik der DV von StrZ-Tatsachen (gehört), die in Rechtsprechung und Lehre noch nicht abschließend geklärt ist"lO. Einigkeit besteht dagegen darin, "daß das DVV auf sämtliche Erwägungen angewandt werden muß, die den Gesetzgeber bereits bei der Normierung des Tatbestandes geleitet haben, namentlich auf solche, die der Strafvorschrift unausgesprochen zugrunde liegen"l1. Und doch wirkt es "wie eine Ironie, daß gerade j·etzt, als es ins Gesetz aufgenommen wurde, seine Konturen unscharf zu werden beginnen und neue Fragen und Zweifel sich melden"12. Der Ausgangspunkt des DVV i. S. d. § 46 Abs. 3 ist klar: Ein Tatbestandsmerkmal darf bei Findung der Strafe im festgestellten Strafrahmen nicht nochmals zur Begründung der Endstrafe (mit-)herangezogen werden. So darf z. B. im Rahmen der StrZ aus § 222 nicht schärfend der Umstand verwertet werden, daß ein Mensch getötet wurde; denn dieser Umstand ist an jeder Stelle des Strafrahmens des § 222 dessen notwendige Voraussetzung und vermag deshalb zur Findung der Strafe nichts (mehr) beizutragen. Er trifft "unterschiedslos auf alle tatbestandsmäßigen Handlungen dieser Straftat in gleicher Weise ZU"13. Dieses Prinzip erscheint "logisch unanfechtbar"l\ hat aber gleichwohl immer wieder Zweifler gefunden15. Nicht gelten soll das DVV von Tatbestandsmerkmalen "bei Modalitäten, also Steigerungen oder Abschwächungen in der graduellen Verwirklichung des Tatbestandes"H', weil es sich hierbei "um besondere Ausprägungen der Straftat, um Abstufungen innerhalb ihrer quantitativen Schwere handelt. Denn das Verbot findet dort seine Grenze, wo Erfolg oder Begiehungsart über die "Normalfälle" hinausgehen, die die gesetzliche Vertypung im Auge hat"17. Doch stellt sich alsbald die Frage ein, wann das generelle Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes im konkreten Sachverhalt durch die besondere Art seiner Verwirklichung so individuelles Gepräge gewinnt, daß die Berücksichtigung bei der StrZ zulässig wird18. Hierin wird ein "wunder Punkt dieser Lehre"19 gesehen. 10 So Lackner, StGB, § 46 Anm. 4 c. Gegen die Ausdehnung des DVV auf strafrahmenbildende Faktoren, die Dreher, JZ 1957, 155 ff. eingeleitet hat, Bruns, StrZ-Recht, S. 375 ff.; ders., Leitfaden, S.108, 113 ff. 11 So Bruns, Leitfaden, S. 110. 12 Zipf, Die Strafmaßrevision, S.97. 13 Bruns, StrZ-Recht, S. 363; Hervorhebung von Bruns. 14 So Bruns, StrZ-Recht, S. 361. 15 Vgl. die Nachweise bei Bruns, StrZ-Recht, S.362 FN 6. 18 Bruns, Leitfaden, S. 112. 17 So Bruns, Leitfaden, S. 112; Hervorhebung von Bruns. 18 So die Fragestellung Drehers in JZ 1957, 155. 19 So Jagusch, LK, 8. Aufl., S. 103.

Einleitung

19

Eine Rolle spielt das DVV auch nach der Auswahl eines Sonderstrafrahmens; vielfach steht nämlich der anwendbare Strafrahmen nicht von vornherein fest, muß vielmehr vom Tatrichter in einer der "eigentlichen" (End-)StrZ vorgeschalteten Stufe erst ermittelt werden. Das ist immer dann der Fall, wenn das Gesetz besondere Strafrahmen für minder schwere Fälle (m. s. F.) bzw. besonders schwere Fälle (b. s. F.) neben den "Regelstrafrahmen" vorsieht. Darf bei einem Diebstahl, in dem der Richter u. a. wegen der besonders großen Beute einen b. s. F. 'erblickt hat20, der Umstand, daß die Beute besonders groß war, bei der Zumessung aus dem Strafrahmen des § 243 nochmals straferhöhend berücksichtigt werden, oder ist dieser Umstand, weil er die Heranziehung des Sonderstrafrahmens mitbegründet hat, für die End-StrZ "verbraucht"? Was muß gelten, wenn der Richter aufgrund eines Regelbeispiels einen b. s. F. bejaht hat? Ähnlich liegt es bei Konstellationen,in denen das Gesetz fakultativ eine Strafrahmenmilderung i. S. d. § 49 Abs. 1 vorsieht. Hier stellt sich jeweils die - umstrittene - Frage, ob der Richter Umstände, die er schon bei Ermittlung des dann zur Anwendung gebrachten Strafrahmens berücksichtigt hat, nochmals verwerten darf, oder ob das DVV ihm hier Grenzen setzt. So meinte Drehern, bei der Strafrahmenwahl i. S. d. §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 dürften nur "versuchsbezogene" Umstände als Entscheidungskriterien herangezogen werden, also z. B. die Nähe des Versuchs zur Vorbereitungshandlung oder aber zur Vollendung, zum Wahndelikt, die geringe Tauglichkeit des Mittels oder auch die Gründe des Fehlschlagens der Tat. Die Gründe, die für die Wahl des milderen Rahmens bestimmend waren, dürfen nach Dreher bei der End-StrZ nicht mehr verwertet werden, während umgekehrt nicht-versuchsbezogene Umstände zwar nicht bei der Rahmenwahl, wohl aber bei der End-StrZ berücksichtigt werden dürfen. Für die Stringenz dieser Lösung berief sich Dreher auf das D~. Hingegen ist der BGH23 grundsätzlich anderer Meinung als Dreher. Nach seiner Auffassung verbietet das DVV hier lediglich, den bei der Wahl des milderen Strafrahmens verwerteten Umstand i. S. d. § 49 Abs. 1 als solchen bei der End-StrZ innerhalb des gewählten Rahmens nochmals zu berücksichtigen. "In innerem Zusammenhang mit dem Verwertungsverbot des § 46 Abs.3 steht das Verbot der DV des § 50"24. Diese "wenig transparente"25 20 Wobei hier mit der h. M. zunächst unterstellt werden soll, daß ein derartiger Umstand überhaupt den Strafrahmen des b. s. F. mitbegründen kann. Zu diesem Fragenkreis s. u. 2. Teil B.

21 22 23

Dreher, JZ 1956, 682; ders., JZ 1957, 156.

S. dazu u. 2. Teil A. H. 4. d. V gl. u. 2. Teil A. H. 4. c.

Einleitung

20

Vorschrift, die nach Auffassung vieler "nicht alle Zweifelsfragen beseitigt"26 hat, "sieht wie eine einfache technische Regel aus"27, ist aber "nicht immer problemlos"28, wirft vielmehr "erhebliche Auslegungsschwierigkeiten"29 auf, betrifft "weiter reichende Probleme der StrZLehre, zumal des DVV"30. Die Vorschrift will der Tatsache gerecht werden, daß das Gesetz im Bereich milderer Strafrahmen durch Verwendung der m. s. F. einerseits und der Milderungsmöglichkeiten i. S. d. § 49 Abs. 1 andererseits Regelungen vorsieht, die in Ansehung einer Tat konkurrieren können; angesichts dieser denkbaren Konstellation soll die Vorschrift ihrem Wortlaut nach sachlich ungerechtfertigte mehrfache Milderungen aufgrund eines Umstandes verhindern. Die Vorschrift hat in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlichste Auslegungen erfahren. Gesichert erscheint bisher nur, daß die Regelung eine besondere Ausprägung des Gedankens des DVV enthält. Die Frage des DVV tritt weiterhin auf und ist umstritten bei der Gesamtstrafenbildung, wohl;i es hier darum geht, ob StrZ-Tatsachen sowohl bei Festsetzung der Einzelstrafe als auch bei der Bildung der Gesamtstrafe berücksichtigt werden dürfen31 • Sie kann sich aber auch bei der Idealkonkurrenz32 und der Gesetzeskonkurrenz33 stellen. Doppelverwertungen sind ferner möglich bei "Folgeentscheidungen"34, so z. B. im Verhältnis zwischen StrZ und Strafaussetzung35• Allen diesen Fällen ist gemeinsam, daß bestimmte Faktoren (Tatsachen) bei der Entscheidungsfindung mehrfach herangezogen werden, 24

25 28 27 28 20

30

Mösl, DRiZ 1979, 169. Maurach, AT, S.834. Schönke/Schröder/Stree, § 50 Rdnr.1. Horstkotte, Dreher-FS, S.265. Mösl, DRiZ 1979, 169. Bruns, JR 1980, 226. Horstkotte, Dreher-FS, S. 265.

31 BGHSt 8, 205, 210 geht hiervon aus; vgI. auch BGHSt 24, 268; ebenso G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 108; s. auch Bruns, StrZ-Recht, S. 379 f., 470 ff.; ders., Leitfaden, S.115; a. A. z. B. Dreher, JZ 1957, 156 ff.; ders., JZ 1968, 213; vgI. auch Schweling, GA 1955, 289 ff.; Jeschek, AT, S.597, 707; Schönke/Schröder/ Stree, § 54 Rdnr. 15. 32 VgI. dazu Puppe, S. 20 f., die das DVV zum Ausgangspunkt eines neuen Konkurrenzmodells nimmt. Die "Ausprägung des DVV", die Puppe interessiert, bezieht sich allerdings auf Probleme der Mehrfachverwertung eines StrZ-Faktors bei idealkonkurrierenden Taten. 33 Dazu G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr.114. 34 Hierunter sind vor allem die Strafaussetzung zur Bewährung und der bedingte Erlaß des Strafrestes zu verstehen, einschließlich der Erteilung von Auflagen und Weisungen, aber auch die Entscheidungen nach den §§ 47, 59; vgI. Bruns, Leitfaden, S.5. 35 Dazu G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 110; Bruns, Leitfaden, S. 114.

Einleitung

21

was nach Puppe 36 "weder gegen Regeln der Logik noch gegen allgemeine Rechtsgrundsätze verstößt". Wenn dies richtig ist, so muß der Grund für das DVV in der spezifischen Eigenart der Rechtsfolge "Strafe" liegen37 • Die Ermittlung dieses Zusammenhangs zwischen Tatbestand und Rechtsfolge ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit, die den Versuch unternimmt, die Bedeutung des DVV über die bisherigen Deutungsansätze hinaus zu klären; denn wie schon deutlich geworden ist, sind Grund und Grenzen des DVV umstritten, besteht Übereinstimmung nur an der Oberfläche. Wie gezeigt, treten Fragen der DV in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auf. Es würde den Rahmen einer Dissertation bei weitem übersteigen, diesen Fragen in allen denkbaren Konstellationen nachzuspüren und sie einer sachgemäßen Entscheidung zuführen zu wollen. Die Arbeit beschränkt sich daher auf den Versuch, die Bedeutung des DVV bei der Einzeltat-StrZ zu klären, klammert also zum einen die Erörterung von ("echten" und "unechten") Konkurrenzsituationen bei Vorliegen mehrerer Straftaten aus, verzichtet zum anderen aber auch auf die Erörterung des Verhältnisses zwischen StrZ und allen "Folgeentscheidungen". Gleiches gilt für den Bereich revisionsrechtlicher überprüfungsmöglichkeiten. Was bleibt und was im folgenden untersucht werden soll, ist der Geltungsbereich des DVV i. S. d. § 46 Abs. 3, die Bedeutung des Prinzips bei den Rahmenmilderungsgründen i. S. d. § 49 Abs. 1, seine möglichen Auswirkungen bei den m. s. F. und b. s. F. sowie der Sinn des § 50. Ausgangspunkt und Grundlage der Untersuchung ist das geltende Recht, ihr Ziel der Versuch einer Klärung des Prinzips, die Überprüfung seiner Berechtigung und seiner praktischen Auswirkungen. Das Thema macht es unvermeidlich, daß viele nicht das DVV selbst betreffende, aber bei dessen Erörterung auftauchende Fragen unterschiedlichster Art im Text lediglich relativ kurz oder aber überhaupt nur in den Anmerkungen behandelt werden können; doch ist dies unausweichlich, denn es wird sich zeigen, daß die Komplexität des Themas eine Beschränkung auf das wirklich Wesentliche erfordert. Etwas mehr Augenmerk wurde den Problemen der Gesetzgebungstechnik und der Strafrahmenbildung gewidmet, deren Erörterung teilweise auch über den unmittelbaren Bezug zum DVV hinaus erfolgt. Der Verfasser ist sich bewußt, daß seine diesbezüglichen inhaltlichen Beiträge die Problematik nicht ausschöpfen können, glaubt aber gleichwohl, auf diese Partien nicht gänzlich verzichten zu sollen. Einer vielfach zu "pragmatischen" Lösungen neigenden Gesetzgebung sollten insoweit 38 37

Puppe, S. 20. So zutr. Puppe, S.20.

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Einleitung

Aspekte gegenübergestellt werden, die sich in ihren kritischen Teilen als Vorschläge zur Verbesserung einer Situation verstehen, der mit dem Ruf nach einer Verbesserung der Ausbildung der Strafrichter allein nicht beizukommen ist.

Zur Terminologie Eine Verständigung, ja schon eine Diskussion über Rechtsprobleme, setzt eine übereinkunft über die grundlegenden Begriffe voraus, mit deren Hilfe ein Sachgebiet erarbeitet werden soll. Eine uneinheitliche und unscharfe Begriffsbildung schon in diesem Bereich birgt die Gefahr von Mißverständnissen und Fehlinterpretationen. Die Begriffe auf dem Gebiet der Strafbarkeitsvoraussetzungen haben im Lauf der Jahrzehnte deutliche Konturen erlangt. Ganz anders ist die Lage aber bei denjenigen auf der Rechtsfolgenseite. Hier gilt noch immer, was Mezger1 schon im Jahre 1949 konstatierte: "Der Sprachgebrauch ist leider ein sehr verworrener". Ein Blick in das Standardwerk des Rechtsgebiets, in dem das Thema dieser Arbeit angesiedelt ist, zeigt, daß dieser Eindruck auch für die neuere Zeit zutrifft2 • Angesichts dieser Sachlage erscheint es angeraien, vorweg zu klären, in welchem Sinn die im Rahmen der Arbeit verwandten Begriffe gebraucht werden. Ausgangspunkt ist hierbei der Wortlaut des Gesetzes. In den Tatbeständen formuliert das Gesetz Voraussetzungen der Strafbarkeit überhaupt. An diese Eingriffsvoraussetzungen der staatlichen Strafgewalt schließen sich - regelmäßig unmittelbar - die Rechtsfolgenanordnungen an. Vorgesehen sind insoweit Freiheits- und Geldstrafe (§§ 38 ff.) als Hauptstrafen sowie das Fahrverbot gern. § 44 als Nebenstrafe 3 • Abschließend bestimmt ist die Rechtsfolgenanordnung nur in den §§ 211 und 220 a Abs. 1 NI'. 1. Liegen deren Voraussetzungen vor, so muß der Richter - von Fällen des Eingreifens eines besonderen gesetzlichen Milderungsgrundes i. S. d. § 49 Abs. 1 abgesehen - die lebenslange Freiheitsstrafe verhängen, weshalb diese Strafen auch als "absolute" bezeichnet werden4 • In allen übrigen Fällen sind die StrafMezger, Lehrbuch, S.494 FN 18. Vgl. die ausführliche Darstellung bei Bruns, StrZ-Recht, S. 36 ff. s § 45 bezeichnet demgegenüber eine Nebenfolge, wenn auch bzgl. § 45 Abs.2 mit strafähnlichem Charakter; vgl. Schönke/Schröder/Stree, § 45 Rdnr.4. Zum Strafensystem allgemein vgl. Schönke/Schröder/Stree, Vorbem. §§ 38 ff. Rdnr. 26 ff., zu den Strafdrohungen Rdnr. 38 ff. 4 Vgl. nur SchönkelSchröderlStree, Vorbem. §§ 38 ff. Rdnr.39; vgl. auch Eser/Koch, zstw 92 (1980), 501, die die absolute als "nicht strafrahmenoffene Strafe" bezeichnen; s. auch Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, S.416. Neuestens hat der Große Senat - jedenfalls für die Modalität der Heimtücke - bei § 211 1

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drohungen hingegen relative, d. h. grundsätzlich als Strafrahmen ausgestaltet, mit der Folge, daß dem Tatrichter bei Vorliegen der jeweiligen Strafbarkeitsvoraussetzungen i. d. R. mehrere Strafarten und innerhalb dieser Arten eine ganze Skala verschiedener Strafquanten zur Verfügung stehen. Es sind Bewertungs- und Maßfragen, die den Gesetzgeber bei Aufstellung solcher Strafrahmen leiten; Maßfragen sind es aber auch, die den Tatrichter beschäftigen, wenn er die endgültige Strafe aus der vom Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgenanordnung zumißt. Ohne hier weiter darauf einzugehen, ob Gesetzgeber und Richter in der Sache letztlich identische Aufgaben - nur an verschiedener Stelle - zu bewältigen habens oder nicht6 und ob diesggflls. nach den gleichen Grundsätzen geschieht, kann jedenfalls gesagt werden, daß sowohl Gesetzgeber als auch Richter das Maß der Strafe bestimmen: der Gesetzgeber, indem er, von den absoluten Strafen abgesehen, die überhaupt zulässigen Strafarten und -quanten bestimmt, der Richter, indem er eine bestimmte Endstrafe innerhalb dieses ihm vorgegebenen Rahmens festsetzt. Entsprechend ihrer jeweiligen Funktion werden sie aber auf verschiedenen Ebenen tätig. Die Strafmaßbestimmung durch den Gesetzgeber, die sich (fast ausschließlich) in der Bildung von Strafrahmen ausdrückt, wird hier als "Strafbemessung"7 bezeichnet; sie reicht so weit, wie der Gesetzgeber allgemein geltende Aussagen treffen kann. Sie ist Grundlage und Voraussetzung der Tätigkeit des Richters, welche, soweit sie das "Wie" bzw. "Wieviel" der Strafe betrifft, hier mit dem Begriff "StrZ" gekennzeichnet wird8 • Strafbemessungsnormen sind nach diesem Verständnis also einmal die Straftatbestände selbst, insofern und wenn sie relative Strafdrohundie absolute Strafdrohung relativiert; vgl. BGH, JZ 1981, 544 ff. = MDR 1981, 771 ff. = NJW 1981, 1965 ff. = NStZ 1981, 344 ff. mit Stellungnahme des Generalbundesanwalts, NStZ 1981, 347 und Anm. Lackner, NStZ 1981, 348 ff. S So Schröder, Mezger-FS, S.415; Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, s. 168 ff.; ders., Rittler-FS, S. 50; Bruns, StrZ-Recht, S. 100 ff.; Stree, Deliktsfolgen, S. 7; Frisch, Probleme der StrZ, S. 131 ff., insbes. 136. e So Lange, Gutachten, S.86; ders., ZStW 68 (1956), 635 f.; Hassemer, ZStW 90 (1978), 74. 7 Ebenso z. B. Mezger, Gutachten, S. 1; s. auch Lange, zstw 68 (1956), 634; Jescheck, AT, S. 697 f. Anders z. B. BGHSt 1,115; BGHSt 17,266. 8 Demgegenüber war z. B. Gleispach, S. 189 der Auffa,ssung, der Gebrauch der Begriffe Strafbemessung und StrZ deute einen Unterschied an, der sich aus dem Gesetz nicht herauslesen lasse. Schwalm, Prot. IV, S.517 verstand unter "StrZ im technischen Sinn" nur die Bestimmung der Strafe im Einzelfall, bezeichnete hingegen die dem Richter teilweise aufgetragene Bestimmung des Strafrahmens noch als "Strafbemessung"; vgl. auch Schwalm, MDR 1959, 966. Als Oberbegriff verwendet Bockelmann, AT, S.228 "Strafbemessung"; vgl. auch Lackner, StGB, § 46 Anm.3.

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gen aufweisen, aber auch die Modifizierungen der dort angedrohten Strafen, wie sie in den auf § 49 verweisenden Vorschriften, aber z. B. auch in § 48, vorgesehen sind. Vom Gesetzgeber her gesehen lassen sich aber z. B. auch die von ihm normierten Vorschriften über die StrZ-Tätigkeit des Richters gern. § 46 insofern als Strafbemessungsnormen verstehen, als auch diese Vorschriften den Rahmen für die konkretisierende, die Besonderheit des Einzelfalles berücksichtigende StrZ-Tätigkeit des Richters bilden. Unter dieser Prämisse rechtfertigt sich die Eingliederung jener Vorschriften in den Abschnitt "Strafbemessung" des StGB; sie grenzen den Aktionsspielraum des Richters ein. Der Richter ist auch innerhalb der Strafrahmen nicht frei, nach eigenem Gusto zu schalten und zu walten, sondern rechtlich gebunden. StrZ ist mithin die Tätigkeit des Richters, die der Ausfüllung des Rahmens dient, den der Gesetzgeber durch Formulierung von Strafbemessungsvorschriften aufgestellt hat. Anders gesagt: Der Gesetzgeber schuf nicht nur mit den Strafrahmen, sondern z. B. auch mit § 46 eine Strafbemessungsvorschrift; die Tätigkeit des Richters in Durchführung des § 46 ist dagegen StrZ9 • In einem weiteren Sinne gehören auch die Entscheidungen gern. §§ 56 ff. und 59 ff. sowie das Absehen von Strafe gern. § 60 zur StrZ; diese Fragen werden jedoch im weiteren aufgrund der ThemensteIlung der Arbeit einer Untersuchung nicht unterzogen. Entsprechend läßt sich auch zwischen gesetzlichen Strafbemessungsund richterlichen StrZ-Gründen eine Unterscheidung treffen, wobei es sich, wie gesagt, bei ersteren meist um Strafrahmenbestimmungsgründe handelt. Deren Schaffung unterliegt der Kompetenz des Gesetzgebers. So wird der Strafrahmen des § 223 bestimmt durch das Vorhandensein seiner tatbestandlichen Voraussetzungen. Sind sie gegeben, so begründen siE:' den ihnen zugeordneten, für sie "bestimmten" Strafrahmen. Da den Tatbeständen in aller Regel10 eigene Strafrahmen zugeordnet sind, kann man die Merkmale eines Tatbestandes auch als strafrahmenbegründende (bzw. strafrahmenbildende) Merkmale bezeichnenl l . In diesem Sinn sind auch qualifizierende und privilegierende Tatbestandsmerkmale strafrahmenbildend, denn für den bei ihrem Vorliegen anwendbaren, von dem Rahmen des Grundtatbestandes abgehobenen Strafrahmen sind sie konstitutiv, mit der gleichen Wirkung ausgestattet wie die Merkmale • Womit nicht gesagt sein soll, § 46 sei konstitutiv für die 8trZ-Tätigkeit des Richters; dazu s. u. 1. Teil V. 3.-6. 10 Von den §§ 211, 220 a Abs. 1 Nr. 1, die keine 8trafquantenskala kennen, soll im folgenden abgesehen werden; zur Anwendung der Milderungsregelung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 trotz Fehlens eines auf sie verweisenden Umstandes s. BGH, JZ 1981, 544 ff. 11 Die Frage, ob sich ihre Bedeutung darin erschöpft, ist ein Gegenstand dieser Arbeit.

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des Grundtatbestandes für dessen Strafrahmen. Um jene von diesen Merkmalen abzuheben, werden sie oft auch Strafänderungsgründe genannt12 ; von der Technik und Bewertung der Gesetzgebung her gesehen bezeichnet man sie aber besser als Strafrahmenänderungsgründe, denn eine abschließende Bewertung, wie sie z. B. bei den Merkmalen des § 211 vorliegt13 , nimmt der Gesetzgeber auch bei ihnen nicht vor14. In Anlehnung an § 28 Abs. 2 werden den Grundtatbestand qualifizierende Merkmale wie z. B. die des § 244 als strafrahmenschärfende bezeichnet, privilegierende, wie z. B. § 313 Abs. 2, als strafrahmenmildernde. Entsprechendes gilt für § 48 und die besonderen gesetzlichen Gründe, die eine Milderung nach § 49 Abs.l vorschreiben15 . Diese Bezeichnungen werden im folgenden aber auch dort verwendet, wo das Vorliegen eines Merkmals notwendig, wenn auch nach der Wertung des Gesetzes nicht hinreichend ist, um einen bestimmten, vom Regelstrafrahmen abgehobenen Strafrahmen auszulösen. Dies ist bei den nur fakultativen Milderungsgründen 1. S. d. § 49 Abs. 1 der Fall, aber auch bei den im Rahmen von b. s. F. verwendeten Regelbeispielen. Zwar sind hier die Voraussetzungen für das Eingreifen des besonderen Strafrahmens nicht in der Weise abschließend geregelt, daß der Richter beim Vorhandensein eines entsprechenden Merkmals gezwungen wäre, immer von diesem Strafrahmen auszugehen; soweit er aber von ihm ausgeht, steht fest, daß das jeweilige Merkmal im konkreten Fall rahmenbildend wirkt. Hinsichtlich der fakultativ wirkenden Umstände findet diese Begriffsbildung auch Unterstützung im Gesetz, das in diesen Fällen von "mildern"16 und von "Milderungsgründen"17 spricht18 . Die im BT häufig vorgesehenen "m. s. F." - z. B. die §§ 177 Abs.2, 249 Abs. 2,250 Abs. 2-und "b. s. F." -z. B. die §§ 212 Abs. 2, 263 Abs. 3, 267 Abs. 3 - werden allgemein als "unbenannte Straf änderungen " bezeichnet. Plastischer erscheint auch hier die Bezeichnung unbenannte Strafrahmenänderungen19. Unbenannt sind sie insofern,als sie im Ge12 Für alle Bruns, StrZ-Recht, S. 103 ff. 13 Zum übergang in einen "offenen Strafrahmen" trotz Vorliegens von Heimtücke BGH, JZ 1981, 544 ff. 14 Vom Richter her gesehen wirken sie natürlich auchstrafändernd, indem sich bei ihrem Vorliegen auch die Endstrafe gegenüber einem ansonsten identisch gedachten Fall nach oben oder unten verschieben muß. Die hier verwandte Terminologie geht jedoch von der Ebene des Gesetzes aus, an der sich ja auch der Richter zu orientieren hat. 15 Für den Sonderfall des § 49 Abs. 1 Nr. 1 trifft diese Bezeichnung, soweit die §§ 211 bzw. 220 a Abs. 1 Nr. 1 in Rede stehen, allerddngs nicht zu. le Vgl. die §§ 13 Abs.2, 17 Satz 2, 21, 23 Abs.2. 17 So die überschrift des § 49. 18 Vgl. auch § 12 Abs. 3. 19 Wobei freilich § 212 Abs.2 nicht zu einer Schärfung des Strafrahmens des § 212 Abs. 1 führt, sondern zu dessen Aufhebung.

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gensatz zu den "benannten" Strafrahmenänderungsgründen die Voraussetzungen (Grunde) nicht näher bezeichnen, d. h. "bestimmt beschreiben"20, deren Hinzutreten den für sie vorgesehenen Strafrahmen auslösen soll. Hiervon sind begrifflich die Umstände zu trennen, die den Richter bei der StrZ innerhalb eines ermittelten Strafrahmens zu einer bestimmten Endstrafe maß-gebend bestimmen. Diese sind entweder Straferhöhungs-(Straferschwerungs-)Gründe oder Strafminderungsgrunde. Sie wirken sich nur innerhalb des schon gefundenen Strafrahmen:s aus. So heißt es in § 323 a Abs. 2, die Strafe dürfe nicht "schwerer" sein als die für die im Rausch begangene Tat angedrohte. Gemeint ist hier die konkrete Endstrafe, die der Richter im Wege der StrZ festsetzt, und nicht der Strafrahmen. Die obige Bezeichnung findet also auch im Gesetz eine Stütze. Die Bezeichnung Strafminderungsgründe wird gewählt, um derartige Gründe von den mit einer anderen (weitergehenden) Bedeutung ausgestatteten Strafmilderungsgründen auch sprachlich zu unterscheiden. Ist also z. B. die Schuldfähigkeiteines Täters vermindert, so kann dies als Strafminderungsgrund zu berücksichtigen sein21 . Handelt es sich hingegen um eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit i. S. d. § 21, so stellt dies einen Strafmilderungsgrund dar. Hier kann der Richter die Strafe nicht nur mindern, sondern darüber hinausgehend einen milderen Strafrahmen anwenden. Die hier vorgeschlagene Terminologie erscheint zunächst anfechtbar; ein Blick in den Sprachgebrauch der Rechtsprechung und Literatur zeigt denn auch sehr schnell, daß sie als zwingend offenbar nicht empfunden wird. So nennen zwar viele die Grunde, die den Richter innerhalb eines Strafrahmens zu einer Anhebung der Strafe bestimmen, "Straferhöhungsgründe"22, andere hingegen ordnen solche Umstände dem Begriff "Strafschärfungsgründe"23 zu. Bruns24 konstatiert zutreffend in diesem Bereich eine "Verwirrung der Begriffe", meint jedoch, diesen Mißstand mit der Erwägung überspielen zu können, daß es hierbei "weniger um eine Frage der Richtigkeit, als vielmehr der Verständlichkeit, der rhetorischen Praktikabilität" gehe, so daß gegen den überwiegenden Sprachgebrauch, innerhalb der richterlichen StrZ seien die strafschärfenden und strafmildernden Faktoren zu unterscheiden, "terSo Lackner, StGB, § 46 Anm. 2 a. Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1974, 544. 22 So z. B. Meyerl AHfeld, S.348, 350; von Lisztl Schmidt, S.420; R. Frank, StGB, S.22; Spendel, NJW 1964, 1763; ebenso aus der Rechtsprechung z. B. BGHSt 8, 205, 210. 23 So Beting, Methodik, S.270; ders., Grundzüge, S.74, 95; Mezger, Lehrbuch, S.494 FN 18; Bruns, StrZ-Recht, S.38. %4 Bruns, StrZ-Recht, S.38; vgl. auchebenda, S.36: "Die Diskussion leidet zur Zeit noch unter einer uneinheitlichen und unscharfen Begriffsbildung". 20

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minologisch nichts Grundsätzliches einzuwenden" sei. Dem von ihm selbst25 zitierten alten Satz "bene iudicat, qui bene distinguit" wird ein solches Vorgehen aber wohl nicht gerecht. Ähnlich resignierend äußert sich zur Terminologiefrage Engisch26 , wenn er feststellt, "daß ein terminus, der einmal in Mode gekommen ist, seine natürliche Lebenskraft und unbezähmbare Wachstumstendenz besitzt, auch wenn es dabei ohne Ausartungen nicht abgeht". Die Methodenlehre müsse schon zufrieden sein, wenn es gelinge, überhaupt noch ein Prinzip des Sprachgebrauchs zu entdecken und einigermaßen festhalten zu können27 • Eine derartige Verfestigung der Begriffsbildung kann aber derzeit weder in der Rechtsprechung noch in der Rechtslehre festgestellt werden. Dann ist jedoch auch nicht einzusehen, daß man sich einer Terminologie unterwirft, die in Ansehung der Funktion der Begriffe und des Gesetzeswortlauts als willkürlich erscheint. Mit Engisch28 gesprochen haben die hier verworfenen Termini noch nicht eine solche "natürliche Lebenskraft" entfaltet, daß sie aus Gründen der Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs akzeptiert werden könnten oder müßten. Die vorgeschlagene Terminologie hat den Vorzug, der Bedeutung der jeweiligen Umstände gerade auch in Ansehung ihrer verschiedenen Funktionen, die sich aus der Aufgabenteilung zwischen Gesetzgeber und Richter ergeben, besser gerecht zu werden. Sie verwischt vor allem nicht den Unterschied zwischen strafrahmenbildenden Faktoren und solchen, die das Strafmaß in concreto bestimmen. Im Verlauf der weiteren Untersuchung wird sich zudem zeigen, daß sich die Ungenauigkeit der Begriffsbildung bei der Lösung konkreter Sachprobleme hemmend bemerkbar macht. Freilich ist zuzugeben, daß die unterschiedlichen Bezeichnungen teilweise durch den Sprachgebrauch des Gesetzes gefördert werden. Dieses differenziert nämlich nicht zwischen Strafrahmen und Strafe i. S. d. konkreten Endstrafe, die der Richter verhängt. Vielmehr gebraucht es den Begriff "Strafe" auch dort, wo es inhaltlich den Strafrahmen meint; so z. B. in den §§ 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 21, 28 Abs. 1. Hier ergibt sich erst aus dem Zusammenhang mit § 49, daß das Gesetz den Strafrahmen mein~9. Auch bei den Strafrahmenbestimmungen für m. s. F. bzw. b. s. F. spricht das Gesetz von "Strafe". Es regelt aber hier nicht die Strafe, sondern den Strafrahmen, innerhalb dessen die Strafe Bruns, StrZ-Recht. S.36. Engisch, Konkretisierung, S. 289, bezogen auf die Bedeutung des Begriffs "Typus". !7 Engisch, Konkretisierung, S.289. 28 Engisch, Konkretisierung, S. 289. !I Dies setzt aber wiederum voraus, daß man den Begriff "Milderung" wie hier versteht. 11

!8

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zuzwnessen istao. So heißt es z. B. in § 249 Abs. 2: In m. s. F. ist die Strafe Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren. Die sprachliche Verknappung spricht zwar von Strafe, meint insoweit auch die konkrete Endstrafe; angeordnet wird 'aber in § 249 Abs. 2 nicht eine bestimmte Endstrafe, sondern eben nur der Strafrahmen, innerhalb dessen sie sich zu bewegen hat. Zwingend ist die hier vorgeschlagene Terminologie sicher nicht31 • Doch hat sie den Vorzug größerer Klarheit und Anschaulichkeit und kann sich zudem - was die Verwendung insbes. der Begriffe Schärfung und Milderung anbelangt -auf den Gesetzeswortlaut stützen. Darüber hinaus dient sie der Entlastung der Arbeit von der Erörterung bloßer (Streit-)Fragen des Sprachgebrauchs. Gerade der letzte Aspekt läßt die eingeschlagene Vorgehensweise legitim erscheinen, steht doch so von Beginn an fest, welcher Gehalt diesen Begriffen in der vorliegenden Arbeit zukommen soll.

ao Anders aber § 212 Abs. 2.

31 Sie muß wie oben gezeigt nahmen ausklammern.

die §§ 211, 220 a Abs. 1 Nr. 1 als Aus-

Erster Teil

Die Bedeutung des Doppelverwertungsverhots i. S. d. § 46 Ahs. 3 I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot i. S. d. § 46 Abs. 3 1. Zum Standort des Problems

Das DVV kann nur dort Bedeutung erlangen, wo dem Richter durch das Gesetz eine eigene StrZ-Tätigkeit übertragen worden ist, wo m. a. W. die angedrohte Rechtsfolge in einem Strafrahmen besteht, also verschiedene Strafgrößen zugelassen sind1 • Denn nur dann ist der Richter zu einer eigenen Bewertung der Tat aufgerufen. Wo hingegen die Rechtsfolge in einer absolut bestimmten Strafe besteht, wie z. B. heute in § 211 2 , findet eine strafzumessende Tätigkeit des Richters nicht statt. Steht z. B. fest, daß ein Täter sein Opfer aus Habgier getötet hat, so 1 Vgl. Rosenfeld, VD, AT, III. Band, S. 95; Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S.162. 2 Kritisch zu solchen "absoluten" Strafen Heinitz, Individualisierung, S.I; Baumann, Summum ius, S.134; Hassemer, Radbruch-GS, S. 287 f.; ders., Strafrechtsdogmatik, S. 205 f.; MaurachIGössel!Zipf, AT 2, S.412, 416; vgl. auch Schmidhäuser, JR 1978, 265 ff., insbes. 268 f. Bejahend dagegen Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 161 f. Zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe vgl. BVerfGE 45, 187 = NJW 1977, 1525; BVerfG, JR 1979, 28 (zu § 212 Abs.2) mit Anm. Bruns. Die Problematik ist alt; vgl. nur die ablehnende Stellungnahme von Merkel, Lehrbuch, S. 254 f.; s. auch die Diskussionen im RT, Stenographische Berichte, Band 1, S. 243 f., wo der Abgeordnete Lasker ausführte: "... ein guter Gesetzgeber bestimmt die Strafmaße und Strafarten nicht lediglich nach dem allgemeinen Eindruck, sondern er forscht tiefer in die innere Natur der Sache, und wenn er über ganze Gattungen entscheidet, so stellt er s·ioch nicht einzelne schwere Beispiele vor, sondern als die Regel stellt er fest, daß den Gattungen gemäß entschieden werde". Vgl. auch ebenda, S. 366 f., Band 2, S.657, 1172. Diese Auffassung war jedoch nicht ohne Widerspruch geblieben. So meinte der Abgeordnete Friedenthal, ebenda, S. 339: " . .. wir machen Gesetze für Regeln und nicht für besondere Ausnahmefälle ... ", und äußerte Staatsminister Leonhardt, ebenda, S. 352: " ... die Strafen müssen angedroht werden entsprechend der Natur des Verbrechens im Allgemeinen ... ; ... der Gesetzgeber kann nur auf die allgemeine Regel sehen und hat danach seine Strafdrohungen zu treffen". Die Frage des Verhältnisses des Tatbestandes zur Rechtsfolge und die weitere, auf welche Fälle die Strafdrohungen der Tatbestände zugeschnitten $ind, wird sich noch mehrfach stellen; vgl. dazu 1. Teil IV. 5., VII. und 2. Teil B L-IV.

I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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ergibt sich die Rechtsfolge grds. zwingend aus § 211 3 • Hier ist dem Richter eine eigene, den abstrakten Maßstab der gesetzlich angedrohten Rechtsfolge konkretisierende Tätigkeit nicht aufgegeben, so daß es schon deshalb zu keinen Doppelverwertungen kommen kann4 • In aller Regel sieht das StGB für die in einem Tatbestand beschriebenen Taten als Rechtsfolge aber nicht eine absolut bestimmte Strafe vor, sondern einen Strafrahmen, der eine ganze Skala von Strafquanten umfaßt (eine "relativ" bestimmte Strafdrohung). Hieraus ergibt sich, daß Taten, die einem solchen, mit nur relativ bestimmter Strafdrohung ausgestatteten Delikt unterfallen, die unterschiedlichsten Schweregrade haben können, was der Richter bei der StrZ zu beachten haj;5. In diesem Bereich, der StrZ des Richters nach Bejahung der Strafbarkeitsvoraussetzungen, hat das DVV seinen Standort. § 46 Abs. 3 verbietet dem Richter, bei der StrZ Tatbestandsmerkmale zu berücksichtigen, was eben voraussetzt, daß der Gesetzgeber die Rechtsfolge nicht abschließend ("absolut") geregelt hat. Besteht die Rechtsfolgenregelung in einem Strafrahmen, so stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien der Richter die Strafe im Einzelfall zu bestimmen hat. Die Entscheidung hängt davon ab, welcher Sinn dem staatlichen Strafen zukommt. Sieht man den "gerechten Schuldausgleich" (Schuld-Sühne-Prinzip) als das Ziel der StrZ an, so ist klar, daß die berücksichtigungsfähigen Umstände Bezug zu der im Tatbestand beschriebenen Tat haben müssen; denn dann geht es um die Bestimmung dessen, was die (schuldhafte) Tat in concreto "wert" ist6 • In dieser Sicht zöge § 46 Abs.3 hinsichtlich der bei der StrZ verwertbaren Umstände eine Grenze. Nimmt man die Spezialprävention (Abschreckung des Täters, Resozialisierung des kriminell infizierten Täters - positive Spezialprävention - ; Sicherung der Gesellschaft vor dem gefährlichen Täter - negative Spezialprävention -) zum alleinigen Ausgangspunkt, so ist die strafbare Tat zwar Anlaß der StrZ, bestimmt jedoch nicht deren Inhalt. So wäre dem unverbesserlichen Kaufhausdieb ganz unabhängig von der Bedeutung seiner Tat(en) solange die Freiheit zu entziehen, bis die Rückfallgefahr beseitigt ist; der sozial angepaßte NS-Täter hingegen wäre nicht zu bestrafen7 • Dem DVV i. S. d. § 46 Abs. 3 käme hier keine Funktion zu8 • 3 Unter der Voraussetzung, daß keine Umstände vorLiegen, die zur Milderung nach § 49 Abs. 1 führen können oder müssen. Zur heimtückischen Tötung vgl. neuerdings BGH, JZ 1981, 544 ff. 4 Vgl. z. B. BGH, NJW 1978, 1336. 5 Näher dazu u. 1. Teil V. 3. G Vgl. dazu nur G. Hirsch,LK, § 46 Rdnr.6, 9, 12; der Schu1dvorwurf richtet sich gegen den Täter wegen seiner Tat. S. auch u. 1. Teil V.3.

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs.3

Aber auch in einem ausschließlich generalpräventiv orientierten StrZRecht hätte das DVV von Tatbestandsmerkmalen keinen Platz. Denn wäre die StrZ auf die sozialpädagogische Einwirkung auf die Allgemeinheit (Normstabilisierung, Stärkung der rechtstreuen Gesinnung in der Bevölkerung, sogen. "allgemeine" Generalprävention9 ) und die Abschreckung potentieller Täter (sogen. "spezielle" Generalprävention9 ) ausgerichtet, so wären die für die StrZ entscheidenden Kriterien wiederum nicht an der Tat selbst incl. ihrer Schwere orientiert1o• Eine rein präventiv orientierte StrZ entspräche jedoch nicht dem geltenden Recht. Besonders deutlich wird das in § 46. Schon das Verhältnis von § 46 Abs. 1 Satz 1 zu Satz 2 macht deutlich, daß der Spezialprävention kein Vorrang (und schon gar nicht eine absolute Priorität) zukommen kann. Auch § 46 Abs. 2 steht einer solchen Vorstellung entgegen. Schließlich wäre § 46 Abs. 3 zumindest überflüssig, denn die Tat wäre ohnehin nur Anlaß einer nach spezialpräventiven Kriterien zu bestimmenden Strafe. überhaupt wäre das ganze differenzierte Straftatsystem des StGB nur als geschichtliches Relikt erklärbar. Die Generalprävention schließlich hat in dem für die StrZ grundlegenden § 46 nicht einmal andeutungsweise Ausdruck gefunden. Daß die generalpräventive Zielsetzung der "Verteidigung der Rechtsordnung", 7

Vgl. hierzu und zur Systemwidrigkeit einer so durchgeführten StrZ

Bockelmann, Gutachten, S. 32 ff., 37 f. und schon Gallas, Kriminalpolitik, S. 17 f., 22; s. ferner Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 112 ff.; Bruns, StrZ-Recht, S. 193 ff., 320 ff., 384 ff.; G. Hirsch, LK, Vor § 46 Rdnr.9; vgl. auch Dreher, Bruns-FS, S. 146. 8 Zutr. weist Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 113, darauf hin, daß bei kon-

sequenter Durchführung die gesamte Tatbestandstechndk des heutigen StGB geändert werden müßte. In dieser Richtung vgl. auch die Kritik Naglers, GS 94, 83 ff. an der präventiv orientierten StrZ-Vorschrift in § 67 E 1925 und schon von Birkmeyer, Studien, S. 65 ff. Einen ausführlichen überblick über den Streit zwischen "klassischer" und "moderner" Schule während der ersten dreißig Jahre unseres Jahrhunderts gibt Bruns, StrZ-Recht, 1. Aufl., S. 104 ff. a Vgl. hierzu Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 105 ff.; Bruns, StrZ-Recht, S. 324 ff.; G. Hirsch, LK, Vor § 46 Rdnr. 10 f.; kritisch zur Generalprävention als Kriterium bei der StrZ Naucke, Generalprävention, S. 9 ff.; Hassemer, Generalprävention, S. 29 ff. Vgl. aber auch Jakobs, nach dem Schuld "durch Generalprävention ... begründet und nach dieser Prävention bemessen" wird, S. 9; s. auch Jakobs, S.32. 10 Sicher wäre ein gros. generalpräventiv orientiertes strZ-System denkbar, in dem die Tat selbst und ihre Schwere im Verhältnis zu anderen, demselben Tatbestand unterfallenden Taten berücksichtigungsfähige Faktoren darstellten, ein notwendiger Zusammenhang bestünde jedoch nicht. Zwar kommt es auch bei der Generalprävention auf eine "quantitative Betrachtungsweise" - so Krümpelmann, Die Bagatell-Delikte, S.24 - an, doch handelt es sich hier um Quantitäten anderer Qualität als diejenigen, von denen man im Schuldstrafrecht zu reden gewohnt ist. Hiervon ist jedenfalls auszugehen, wenn (und solange) man den verschiedenen Strafzwecken auch einen unterschiedlichen Inhalt zuordnet.

I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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geregelt in den §§ 47 Abs. 1,56 Abs. 3 und 59 Abs. 1 Nr. 3, in besonderen Fällen von Bedeutung sein kannl l , vermag an dem Ausgangspunkt des § 46 Abs. 1 Satz 1 nichts zu ändern, sondern kann allenfalls zu Modifizierungen bei speziellen Konstellationen führen12• Auf der Grundlage des geltenden Rechts werden heute ganz überwiegend sogen. "Vereinigungstheorien" vertreten, die "in der Strafe eine vielschichtige Rechtsfolge (sehen), die zwar aus Gründen der Gerechtigkeit und zum Schutz des Bürgers durch die Schuld begrenzt wird, innerhalb dieser Grenzen aber eine ganze Anzahl einander z. T. widerstreitender präventiver Zwecke verfolgt"13. Umstritten ist auf dieser Grundlage, ob das Schuld-Sühne-Prinzip14 für die StrZ konstitutiv ist15 oder ob die Schuld lediglich als Maßprinzip mit die Strafe nach oben hin limitierender Funktion festgelegt ist16 • Der Streitpunkt hat vor ,allem Bedeutung für die Frage, ob die schuldangemessene Strafe aus präventiven Gründen üher- oder unterschritten werden darf l7 • Welcher der auf der Grundlage des geltenden Rechts vertretenen Theorien der Vorzug zukommt, kann hier dahinstehen18• Auch die An11 Kritisch zu derartigen "Floskeln" wie überhaupt zur Qualität der Gesetzgebung Naucke, Tendenzen, S. 24, 50 ff. 12 Eine hiervon zu trennende Frage ist, ob im Rahmen der Schuldangemessenheit zusätzlich generalpräventive Erwägungen 7JUlässig sind, wovon der BGH in ständiger Rechtsprechung ausgeht - z. B. BGH bei Dallinger, MDR 1971, 720; BGHSt 28, 318, 326; BGH bei Hotiz, MDR 1980, 813 - oder ob dies nicht der Fall ist, was (wohl noch) h. L. ist; vgl. nur G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 20 ff. m. w. N. pro und contra. 13 So Lackner, StGB, § 46 Anm.1 m. w. N. zum Streitstand; vgl. auch Bockelmann, Gutachten, S. 38 ff.; einen überblick gibt MüHer-Dietz, S. 1 ff., insbes. 28 ff.; s. ferner u. 1. Teil IV. 4. bei FN 68. Die Bedeutung des kriminalpolitischen Ausgangspunktes für die hiervon abhängige Systematik zeigt GaHas, Kriminalpolitik. 14 Der BGH verwendet in neuerer Zeit zunehmend den Terminus "gerechter Schuldausgleich" ; vgl. z. B. BGHSt 24, 132, 133 f.; BGH bei Holtz, MDR 1978, 109 f.; BGHSt 29, 319, 320. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden; vgl. Bruns, StrZ-Recht, S.311 mit FN 7. 15 So der BGH in ständiger Rechtsprechung; vgl. BGHSt 23, 176, 192; BGHSt 24, 132, 133 f.; BGHSt 29, 319, 320 f. mit Anm. Bruns, JR 1981, 335 ff. Ebenso die wohl h. L.; vgl. hierzu G. Hirsch, LK, Vor § 46 Rdnr.13, 19 m. w. N. 18 So § 59 AE; Roxin, JuS 1969, 384 ff.; ders., Pönometrie, S. 66 ff.; ders., Bockelmann-FS, S. 306 f. Kritisch hierzu Art. Kaufmann, JZ 1967, 555; Jakobs, S. 4 ff. n Für die Zulässigkeit einer Abweichung von der schuldangemessenen Strafe nach oben E 1962, Begr., S.181; Horstkotte, JZ 1970, 124; Dreher/ Tröndle, StGB, § 46 Rdnr.12; a. A. aber die h. M.; vgl. nur G. Hirsch, LK, Vor § 46 Rdnr.14 m. w. N. Für eine Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe aus spezialpräventiven Gründen Horstkotte, JZ 1970, 124; Dreher/ Tröndle, StGB, § 46 Rdnr. 12. Ebenso vor allem diejenigen, die der Schuld nur nach oben limitierende Funktion zusprechen; vgl. nur Roxin, Pönometrie, S. 66 ff.; ders., Bockelmann-FS, S. 304 ff., insbes. 307; ders., JA 1980, 225.

3 Hettlnger

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

hänger einer nur limitierenden Funktion der Schuld auf dem Gebiet der StrZ gehen davon aus, daß die schuldangemessene Strafe grundsätzlich auch die gerechte Strafe ist; sie wollen eine schuldunterschreitende Strafe nur dort zulassen, wo der Gefahr einer weiteren Entsozialisierung entgegengewirkt werden muß. Auch sie erkennen aber an, daß sich der Schuldvorwurf gegen den Täter wegen seiner Tat richtet und daß die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe ist. Die Schwere der Schuld ist wiederum das Ergebnis der Bewertung einer Vielzahl schuldrelevanter einzelner Umstände in der Person des Täters und der Tat, deren i. d. R. wichtigste in § 46 Abs.2 beispielhaft aufgeführt sind. Dahinstehen mag auch, ob dem Tatrichter bei seiner StrZ-Tätigkeit ein "freies" Ermessen zuzubilligen ist oder lediglich ein pflichtgemäßes (weil vielfältig determiniertes) oder gar überhaupt keines mit der Folge voller Revisibilität seiner StrZ-Entscheidung auch hinsichtlich des Strafmaßes. Denn, welche Position man auch einnimmt, feststeht jedenfalls, daß § 46 Abs. 3 hinsichtlich der bei der StrZ verwertbaren Umstände eine Grenze zieht, deren Überschreitung die Aufhebung des Urteils ZUr Folge hätte. 2. Die Gesetzgebung

Die Geschichte des Prinzips des DVV reicht bis in die Zeit der Aufklärung zurück. Die Reformvorschläge dieser Epoche, insbes. Feuerbachs, wollten dem damals üblichen arbiträren Richten durch die Einführung möglichst lückenloser gesetzlicher Bindung einen (rechtsstaatlich gemeinten) Riegel vorschieben19 • Dem Richter sollte es fortan - so die Intention - unmöglich sein, den Willen des Gesetzes zu umgehen und ein eigenes außergesetzliches Richterrecht an dessen Stelle zu setzen, was im Gemeinen Deutschen Strafrecht die Praxis waro. Dies setzte freilich umfassende, aber auch - von der Rechtsfolgenanordnung her gesehen - abschließende Gesetze voraus, bei deren Anwendung dem Richter nur noch eine subsumierende (nachvollziehende) Tätigkeit zukommen konnte. Doch erkannte man bald, daß diese Forderungen weder erfüllbar noch wünschenswert waren21 • So sah sich Feuerbach selbst, der die richterliche Ermessensfreiheit weitmöglichst aus dem Gesetz verbannen wollte, gezwungen, seine eigene Schöpfung, das bayerische StGB von 1813, in 18 Auch der Gesetzgeber hat die Frage nicht entscheiden wollen, sondern bewußt offen gelassen; vgl. dazu Horstkotte, JZ 1970, 122 ff. 1. Vgl. dazu Eb. Schmidt, Strafrechtspfiege, S. 222 ff., 238 f., 264 ff.; Küper, Richteridee, S. 104 ff., 143 ff.; Drost, Das Ermessen des Strafrichters, S. 88 ff. iIII Hierzu z. B. MeyerlAllfeld, S.52 und insbes. Schmid, Bruns-FS, S. 107 ff. 21 Vgl. dazu Küper, Richteridee, S. 145 f.

I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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dem er die weitgehende Gesetzesbindung auch hinsichtlich der Rechtsfolgenbestimmung mit doktrinärer Folgerichtigkeit durchgeführt hatte, einer gründlichen Revision zu unterziehen22 • "Das richterliche Ermessen", so schrieb er nunmehr (1824), "wird einen angemessenen Spielraum erhalten, ohne daß demselben erlaubt oder möglich werden sollte, sich in Willkür aufzulösen"23. Besonders deutlich wird diese Wendung in den neuen Vorschriften über das richterliche Milderungsrecht in seinem Entwurf des revidierten Strafgesetzbuches für Bayern. Hier wird wohl zum ersten Mal ausdrücklich der Gedanke ausgesprochen, daß der Richter bei der StrZ24 nicht einfach auf gesetzliche Wertungen zurückgreifen darf. Die betreffenden Vorschriften lauteten25 : Art. 7. Das Gericht ist ermächtiget, die gesetzliche Strafe eines Verbrechens zu mildern,!.) wenn der eine oder andere der in den Art. 13 und 14, Hauptstück IV, bezeichneten Ursachen oder Zustände (nämlich die Grunde aufgehobener Zurechnung) zwar nicht vollkommen, um alle Zurechnung auszuschließen, jedoch in hohem Grade vorhanden gewesen ist, oder I!.) wenn in einem ungewöhnlichen Falle so viele und starke schuldmindernde Umstände zusammentreffen, daß die gesetzliche Strafe mit der Schuld des Täters 'außer allem Verhältnis erscheint. Art.8. Unter solchen Voraussetzungen darf nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände 1.) die den Verbrecher treffende Todes- oder Kettenstrafe oder das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit, allenfalls bis auf zwölfjähriges Zuchthaus gemiLdert und I!.) bei andern Strafen unter den gesetzlichen angedrohten niedrigsten Grad, nach Umständen bis zur Hälfte, herabgegangen werden, vorausgesetzt, daß nicht in den be-

sonderen Strafbestimmungen über das Verbrechen selbst auf jene schuldmindernden Umstände bereits ausdrücklich Rücksicht genommen worden isf6.

Vgl. auch Schmid, Bruns-FS, S. 128 ff. Zit. nach Radbruch, Feuerbach, S.165; vgl. auch Feuerbach, Lehrbuch, S. 80 f.: "Droht aber das Gesetz ein Uebel, ohne dieses selbst schlechthin in jeder Beziehung (absolut) zu bestimmen (unbestimmtes Strafgesetz), so ist der Richter berechtiget und verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Schranken, die Strafe nach eignern Ermessen selbst zu bestimmen; jedoch, da jedes Rechtsurtheil durch Rechtsgründe bestimmt seyn muß, nur nach dem Verhältnise des Grades der eigenthümHchen Strafbarkeit des besondern Verbrechens, welches unter dem unbestimmten Strafgesetze überhaupt begriffen ist". 24 Zum Begriff s. o. "Zur Terminologie". 25 Zit. nach Radbruch, Feuerbach, S. 166 f. 28 Hervorhebung vom Verf. 22 2S

3'

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

Eine größere Strafmilderung ist dem Gericht nicht gestattet, sondern bleibt allein der königlichen Gnade vorbehalten. Hier kommt zum Ausdruck, daß dem Richter zur Bestimmung der Rechtsfolgen ein Aktionsspielraum eingeräumt wird. Die Tendenz der Folgezeit war die Abkehr von der Vorstellung eines aller richterlichen Individualisierung unzugänglichen Gesetzesmechanismus, verbunden mit der zunehmenden Verwendung zeitiger Freiheitsstrafen2'/' und unter Zurückdrängung der absoluten Strafdrohungen28 • In den beiden großen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts, dem StGB für die Preußischen Staaten von 185129 und dem StGB für den Norddeutschen Bund von 1870, das am 15. Mai 1871 mit einigen den neuen staatsrechtlichen Verhältnissen entsprechenden Änderungen als "StGB für das Deutsche Reich" verkündet wurde30 , war dem System der zeitigen Freiheitsstrafen endgültig zum Durchbruch verholfen. Damit war dem Richter eine recht weitgehende Freiheit bei der Straffestsetzung eingeräumt. Andererseits - dies zeigt sich schon anhand der eben zitierten Feuerbachschen Vorschriften - sollte der Richter bei der als notwendig erkannten StrZTätigkeit nicht völlig frei sein, sondern an das Gesetz gebunden. Wie der Richter aber bei der StrZ im Einzelfall verfahren sollte, wurde im StGB für die Preußischen Staaten nicht geregelt. Auch das StGB von 1871 hatte sich einer Aussage darüber enthalten, welche Umstände der Tat strafzumessungsrelevant sein sollten, ja sogar die vorrangige Frage nach den Zwecken ausgespartl l , an denen die StrZ auszurichten sei. Das Gesetz enthielt "nur wenige Vorschriften allgemeiner Natur"32 und sie "so selten und verstreut ... 33, daß ein Prinzip daraus nicht zu entnehmen" warM. Dem Richter bot sich "nirgends ein gesetzlicher Anhalt für die Ausübung der ihm gewährten, großen Freiheit bei Abmessung der Strafe"35. Dieses Schweigen des Gesetzes wurde in weiten Teilen der Strafrechtswissenschaft als äußerst unbefriedigend empfunden. Die richterliche Tätigkeit bei der StrZ durch gesetzliche Regeln !7 VgI. dazu Rohert von Hippel, ZStW 18 (1898), 429 ff., insbes. 449, 608 ff.; Eh. Schmidt, Strafrechtspflege, S. 185 H., insbes. 190 ff. 28 Dazu Schmid, Bruns-FS, S. 132. !D ZU dessen Vorgeschichte vgI. Hälschner, Das Preußische Strafrecht, S. 264 ff.; Goltdammer, Einleitung, S. VII ff., 77 ff. ao Dazu Eh. Schmidt, Strafrechtspflege, S. 343 f. 31 Dazu s. o. 1. Teil I. 1. 32 Vgl. VE 1909, Begr., S.313. Einen Überblick über die Vorkriegsentwürfe gibt die Diss. von Karl Horn. 33 So z. B. zur Auslandsstrafe in § 7, zur Wahl zwischen Zuchthaus und Festungshaft in § 20, zum Versuch in § 44, zur Jugend in § 57, zu den Konkurrenzen in den §§ 73 ff. Zur historischen Entwicklung vgI. auch G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 1 a. 34 VE 1909, Begr., S. 313. 115 VE 1909, Begr., S. 313.

I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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in die vom Gesetzgeber gewünschten Bahnen zu lenken, war in der Folgezeit ein wichtiges Ziel der Bemühungen um eine Reform des StGB von 1871. Alle amtlichen und nichtamtlichen Entwürfe seit dem VE 1909 legen hiervon Zeugnis ab. So waren im 8. Abschnitt des VE 1909 in den §§ 81 bis 89 Regeln zur "Strafbemessung" vorgesehen. § 81 VE 1909 enthielt eine Regelung, die weitgehend der des § 46 Abs. 2 n. F. entsprach. §§ 82, 83 führten Begriffsbestimmungen für "mildernde Umstände,,:re und "besonders leichte Fälle"37 ein, § 84 die für die "besonders schweren Fälle"38; des weiteren waren in den §§ 85-89 des Abschnittes über die "Strafbemessung" Vorschriften über die Wahl zwischen Zuchthaus und anderen Freiheitsstrafen, die Anrechnung der Untersuchungshaft, den Rückfall und den gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Verbrecher enthalten. Der VE 1909 bemängelte39 , daß das StGB von 1871 auf die Frage, welche Umstände oder Erwägungen für den Richter bei der "Strafbemessung"40 im Einzelfall ausschlaggebend sein sollten, keine prinzipielle Antwort gebe. Hierdurch entstehe die Gefahr, daß der Richter nicht immer die insoweit erforderliche Sorgfalt walten lasse. Außerdem könne dies in der Öffentlichkeit zu der Meinung führen, die Entscheidungen beruhten weniger auf wohlerwogenen Gründen als auf Stimmungen und allgemeinen Eindrücken. Entsprechende Abschnitte über die "Strafbemessung" kannten auch der Gegenentwurf zum VE 1909 von 1911 (§§ 81 ff.), der KE von 1913 (§§ 110 ff.), der E von 1919 (§§ 106 ff.), der E-Radbruch von 1922 (§§ 67 ff.), der E von 1925 (§§ 67 ff.), der E von 1927 (§§ 69 ff.), der E-Kahl von 1930 (§§ 69 ff.) und der E-Günner von 1936 {§§ 48 ff.)41. Für erforderlich hielt man derartige Regelungen vor allem auch deshalb, weil die weitaus größte Zahl der Strafdrohungen einen - meist recht weiten - Strafrahmen als Rechtsfolge vorsah. Freilich waren Berechtigung und Bedeutung derartiger StrZ-Vorschriften immer um88 § 82 Abs. 2: Mildernde Umstände liegen vor, wenn die für Milderung der Strafe sprechenden Grunde überwiegen. 31 § 83 Abs. 2: Ein besonders leichter Fall liegt vor, wenn die rechtswidrigen Folgen der '1'at unbedeutend sind und der verbrecherische Wille des Täters nur gering und nach den Umständen entschuldbar erscheint, so daß die Anwendung der ordentlichen Strafe des Gesetzes eine unbillige Härte enthalten würde. 38 § 84 Abs. 2: Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn die rechtswidrigen Folgen der Tat ungewöhnlich bedeutend sind und der verbrecherische Wille des Täters ungewöhnlich stark und verwerflich erscheint. 89 Vgl. VE 1909, Begr., S. 313 f. 40 StrZ i. S. d. hier verwandten Terminologie. 41 Vgl. dazu auch Mezger, Gutachten, S. 3.

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1. Teil:

Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

stritten. Diese Frage wurde jeweils in engem Zusammenhang mit derjenigen diskutiert, ob der Richter innerhalb des Strafrahmens die im Einzelfall verwirkte Strafe nach freiem Ermessen zu bestimmen habe42 - mit den sich hieraus ergebenden Einschränkungen der Revisionsmöglichkeiten - , oder ob eine StrZ-Vorschrift bindende Wirkung haben müsse43 , 44. Umstritten war aber - wie gesagt - schon, ob derartige Regeln überhaupt Berechtigung besäßen. So sprach sich W. Mittermaier45 gegen § 81 VE 1909 aus. Er meinte, die Vorschrift (die funktionell dem § 46 Abs. 2 n. F. entsprach), besage nur Selbstverständliches, sofern sie die Berücksichtigung aller Umstände bei der StrZ vorschreibe, und sei zum Teil sogar bedenklich, denn die nur beispielhafte Aufzählung möglicher StrZ-Gründe begünstige einen fragwürdigen Schematismus. Eine Reihe von Zumessungsgründen werde gar nicht genannt, so z. B. die Gemeinschaftlichkeit der Begehung, die Verführung anderer, die Vorhersehbarkeit der Folgen. Auch von Lippmann46 vermißte einen klaren Grundgedanken für die "Strafbemessung". Er empfahl, statt beispielhafter Aufzählung einzelner StrZ-Gründe, besser einen Grundsatz aufzustellen, der die Anschauungen des Gesetzgebers über die Grundlagen der "Strafbemessung" klar und unzweideutig zum Ausdruck bringe und aus dem sich insbesondere die Frage entscheiden lasse, inwieweit außerhalb der Tat und der Persönlichkeit des Täters liegende Umstände - z. B. Abschreckung anderer - für die StrZ maßgebend sein dürften. Kritisch äußerte sich u a. auch KantoTowicz47 • fI! So z. B. VE 1909, Begr., S. 313 f., der in § 81 nur eine ",instruktionelle" Vorschrift sah, -die gegenüber dem bisherigen Recht "sachlich nichts Neues" biete. n Dies nahmen für § 81 VE 1909 A. KöhZer, Studien, S.16 und Wach, DJZ 1910, 112 an. 44 Das Verständnis des § 81 VE 1909 als "instruktioneller" Vorschrift heißt aber nicht, einem "freien" Ermessen des Richters das Wort reden; denn jedenfalls reicht die Bindung des Richters durch die "ratio legis" erheblich weiter, als es auf den ersten Blick scheinen mag, bedarf es von daher "eigentlich" einer entsprechenden Norm nicht. Da aber das StGB von 1871 zur Frage der Bindung des Richters schwieg und viele hieraus ein freies Ermessen des Richters ableiten wollten, war es nur zu verständlich, daß die Befürworter einer engeren Einbindung des Richters der Vorschrift bindende Wirkung zusprachen. Doch wurde hierdurch die Bedeutung des § 81 VE 1909 überfrachtet, denn das ihm Angesonnene vermag er nicht zu (gewähr-) lei,sten. Es ist (und bleibt) auf einer vorherigen Stufe zu entscheiden. Zum entsprechenden Verständnis des § 46 Abs.2 n. F. vgI. u. 1. Teil V.6. 45 BayRechtspfl. Z 6, 148 f.; vgl. auch KahZ, DJZ 1906, 898, nach dem eine gesetzliche StrZ-Theorie ebenso verwerflich ist wie eine gesetzliche Beweistheorie; ebenso später z. B. M. E. Mayer, Lehrbuch, S.486. 48 von Lippmann, Seuff. BI. 75, 444 f. 47 Kantorowicz, MSchrKrimPsych., 7. Jahrgang, 1911,313.

1. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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Hingegen befürworteten eine Vorschrift i. S. d. § 81 VE 1909 Rosen-

feZd48 und

Wach49 •

Die Grundsatzfrage wurde angesichts der entsprechenden Vorschriften der Vorkriegsentwürfe jeweils neu aufgeworfen und kontrovers diskutiert. Auch § 46 (§ 13 a. F.) ist nicht ohne Gegenstimmen geblieben''io. Hier genügt es festzustellen, daß § 46 - und dies gilt auch für die Funktion seiner Vorläufer>1 - von Gegnern und Befürwortern als Vorschrift gesehen wurde, die der Aufhellung bzw. Erleichterung des StrZVorgangs dienen sollte52 • Obwohl das DVV unzweifelhaft in Zusammenhang mit der Frage steht, welche Umstände bei der StrZ (überhaupt) beri:cksichtigt werden dürfen bzw. müssen, war in keinem der Entwürfe in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg eine Regelung i. S. d. § 46 Abs. 3 vorgesehen. Der Gedanke, das DVV von Tatbestandsmerkmalen gesetzlich zu regeln, taucht erstmals in den Gesetzesvorschlägen der Großen Strafrechtskommission auf, die 1954 ihre Reformarbeit aufgenommen hatte 53 • Die beauftragte Unterkommission54 schlug einen Leitsatz vor, in dem es hieß: "Bei der Zumessung der Strafe wägt der Richter ab, welche Umstände, die nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehören, gegen und für den Täter sprechen". Die Große Strafrechtskommission übernahm diesen Leitsatz55 • In dieser Fassung gelangte der Vorschlag dann in § 62 E 1959 (I). Die Diskussion in der Großen Strafrechtskommission hat den Problemen des DVV keine Beachtung geschenkt. 48 Rosenfeld, VD, AT, III. Band, S.150; er befürwortete darüber hinaus eine "oberste generelle Norm für den Strafmaßstab" im AT. 4D Wach, VD, AT, VI. Band, S.82. Für die Zeit nach 1950 vgl. auch die positiven Stellungnahmen von Mezger, Gutachten, S. 6 f.; Lange, Gutachten, S. 87; Eb. Schmidt, Gutachten, S. 24 ff. m. w. N. zu pro und contra. 50 Stratenwerth, Tatschuld, S.4, 13; Schaffstein, GaIIas-FS, S. 102; Hassemer, ZStW 90 (1978), 84 f.; gegen Stratenwerth Lackner, Gallas-FS, S.123, 128 ff. Kritisch zum Katalog von StrZ-Gründen in § 60 Abs. 2 E 1962, dem Vorläufer von § 46 Abs. 2 n. F., auch der AE, AT, 2. Aufl., Begr. zu § 59, S.115; zust. hingegen z. B. Schöch, StrZ-Praxis, S. 2; vgl. auch Horst katte, JZ 1970, 125. 51 Nicht für deren Inhalt, der weitgehend davon abhängig war, ob man der Tatvergeltung (Sühne) zuneigte - so die Entwürfe bis E 1919 - oder den Standpunkt eines in erster Linie täterorientierten Strafrechts einnahm so E 1922 (Radbruch) und E 1925, eingeschränkt auch E 1927. 52 Zur Entwicklungsgeschichte der Strafrechtsreformbemühungen allgemein vgl. E 1962, Begr., S. 93 ff.; Bruns, StrZ-Recht, AT, S. 87 ff.; zu den Vorläufern des § 46 s. auch Mezger, Gutachten, S. 3. 53 Zur Strafrechtsreformbewegung der Nachkriegszeit vgl. Dreher/Tröndle, StGB, Einl.; Rdnr. 4 ff. 54 Ndschr., Band 1, Anhang B Nr. 5, S. 342. 55 Ndschr., Band 1, Anhang B Nr.6, S.342; vgl. dazu Dreher, ZStW 66 (1954), 568 ff.

1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

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Für die zweite Lesung des Entwurfs schlugen die Sachbearbeiter des BMJ folgende Fassung des DVV in einem § 62 Abs.2 vot'6: "Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die gegen und für den Täter sprechen, gegeneinander ab, soweit sie nicht schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind". Hierzu führten sie aUs"7, daß mehrere Landesjustizverwaltungen in ihren Stellungnahmen zu § 62 E 1959 (I) sich für die Streichung ausgesprochen hatten, weil dessen Satz 1 (s.o.) Selbstverständliches sage und Keine neuen Anhaltspunkte bringe58 . So hielt Hessen die Einschiebung in Satz 1 "die nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehören" für überflüssig, Niedersachsen für unrichtig, da die Art der Verwirklichung dieser Umstände sehr wohl zu berücksichtigen sei511 • Das BMJ befürwortete hingegen eine Regelung auch weiterhin, bzgl. des DVV mit der Bemerkung, der Hinweis erscheine wichtig, weil in der Praxis der Grundsatz oft verletzt werde60. Entsprechend der Kritik Niedersachsens faßten die Sachbearbeiter diesen Passus neu, um klarzustellen, "daß es nur verboten ist, die Umstände zu verwerten, die schon Umstände des gesetzlichen Tatbestandes sind, während es erlaubt ist, die besondere Art, in der diese Umstände im Einzelfall verwirklicht worden sind, zu berücksichtigen"61. Die Unterkommission62 machte sich die Formulierung der Sachbearbeiter zu eigen. Dreher63 begründete zu Beginn der Diskussion nochmals ausführlich, warum das BMJ an der - nur in der Formulierung geänderten - Regelung des E 1959 (I) festhalten wollte. KoffkaM bezweifelte die Nützlichkeit der Regelung. Sie befürchtete, der Satz könne dahin mißverstanden werden, daß auch die besonderen Modalitäten der Tatbestandsverwirklichung nicht verwertet werden dürften. Zudem sei eine Abgrenzung dieser Umstände von denen, die eine reine Wiederholung des gesetzlichen Tatbestandes seien, im Einzelfall nicht immer leicht. Die Große Strafrechtskommission65 beschloß gleichwohl § 62 Abs. 2 Satz 1 in der schon vom BMJ vorgeschlagenen Fassung. Die Vorschrift ging dann in dieser Form in § 60 Abs. 2 Satz 1 des E 1959 (II) ein. § 60 Abs. 2 des E 1960 übernahm sie. Zur Begründung Ndschr., Band 12, Anhang A, Umdruck: II .J 1 Nr. 19, S.465. Ndschr., Band 12, S. 469 f. , 58 So die Landesjustizverwaltungen von Berlin, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. 58 Ndschr., Band 12, S. 469. tIO Ndschr., Band 12, S. 470. 81 Ndschr., Band 12, S. 470. 6! Ndschr., Band 12, Umdruck: II U 8 Nr. 20, S. 471. 63 Ndschr., Band 12, S. 43 ff. 84 Ndschr., Band 12, S. 59. 85 Ndschr., Band 12, Umdruck: II K 8 Nr. 21, S. 472. S8

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I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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hieß es66 : "Allerdings sind Umstände, die bereits Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, als solche ausgenommen. Denn sie sind es, die den Gesetzgeber bei der Aufstellung des Strafrahmens geleitet haben und daher auf der gesamten Breite dieses Rahmens bereits berücksichtigt sind und vorausgesetzt werden. Sie können daher nicht helfen, die für die einzelne Tat gerechte Strafe innerhalb dieses Rahmens zu bestimmen". Sowohl die Regelung (nunmehr § 60 Abs.2 E 1962) als auch die Begründung67 wurden in den E 1962 übernommen. Die Verfasser des 1966 veröffentlichten Alternativentwurfs (AE) formulierten in § 59 Abs. 1 Satz 2 ihres Entwurfs: "Gesetzliche Tatumstände dürfen nicht mehrfach verwertet ... werden". In der Begründung68 führten sie aus, der AE beschränke sich insoweit darauf, ein unabdingbares Prinzip der StrZ klarzustellen, daß zugleich einen echten, revisiblen Rechtssatz enthalte. Auch das eigens vom Bundestag als "Sonderausschuß für die Strafrechtsreform " eingesetzte Gremium befaßte sich im Verlauf seiner Beratungen auf der Grundlage des E 1962 und des erst später vorgelegten AE mit der Problematik des DVV. Auf Anregung der Länder, deren Vertreter § 60 E 1962 diskutiert hatten, schlug HOTstkotte69 als Vertreter des BMJ Änderungen in der Formulierung des § 60 E 1962 vor, die aber keine sachlichen Änderungen der Beschlüsse des Ausschusses zum Gegenstand haben sollten. Danach bildete das DVV in einem § 13, der inhaltlich § 60 E 1962 entsprach, einen eigenen Abs. 370. Diese räumliche Absetzung diente nach Auffassung HOTstkottes der KlarsteIlung, daß der Katalog von Zumessungsgesichtspunkten (i. S. d. heutigen § 46 Abs. 2) keine Ausnahme vom DVV sein sollte. Der Ausschuß billigte den Vorschlag ohne Debatte71 • In dieser Fassung wurde er als § 13 des 1. StrRG verabschiedetT..!. In der Begründung dazu73 hieß es insoweit, man habe den zweiten Teilsatz (des § 60 Abs.2 Satz 1 E 1962) im neuen § 13 als selbständigen Absatz 3 ausgestaltet. Die praktische Bedeutung des § 13 bestehe darin, dem Richter wichtige Hinweise für die StrZ an die Hand zu geben. Die Vorschrift trat am 1. 4.1970 in Kraft74 • E 1960, Begr., S.171. Vgl. E 1962, Begr., S. 181. 88 AE, AT, 1. Aufl., S.109; vgl. auch AE, AT, 2. Aufl., S.115. 81 Prot. V, S. 2792. 70 S. die Formulierungshilfe vom 25.2. 1969, Prot. V, S.2823. 71 Vgl. Prot. V, S.2796. 7t Die 2. Auf!. des AE, AT erschien erst danach, brachte insoweit aber keine Änderung des schon in AE, AT, 1. Aufl., S.109 eingenommenen Standpunktes; vgl. AE, AT, 2. Aufl., S.115. 73 BT-Dr. V/4094, S. 4. 88 67

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs.3

3. Die Rechtsprechung

a) Das Reichsgericht

In der - soweit ersichtlich'T5 - ersten veröffentlichten Entscheidung76 , die zu § 284 a. F.77 ergangen war, hat das RG festgestellt: Gewinnsucht als Motiv oder Endzweck des Spielers wird zum Tatbestand des gewerbsmäßigen Glücksspiels nicht erfordert (RGSt 33, 238); es ist deshalb nicht rechtsirrig, dieses Moment als straferschwerend zu berücksichtigen. In einer kurz darauf ergangenen Entscheidung zu § 227 78 urteilte das RG, der Tod eines Menschen dürfe bei der StrZ in Betracht gezogen werden, "weil dieses Tatbestandsmerkmal hier kein unbedingtes" sei, vielmehr schon die Verursachung einer schweren Körperverletzung i. S. d. § 224 ausreiche 79 • Im Falle einer fahrlässigen Tötung i. S. d. § 222 rügte das RG 80 eine Strafkammer, die zum Nachteil des Angeklagten erwogen hatte, seine Handlungsweise habe den Tod eines Menschen zur Folge gehabt. Die Strafkammer habe "damit ein Tatbestandsmerkmal, das bereits bei Aufstellung des gesetzlichen Strafrahmens berücksichtigt ist, als Straferhöhungsgrund verwertet. Daß dies unzulässig ist, hat das RG schon wiederholt hervorgehoben "81. Warum ein Tatbestandsmerkmal nicht als StrZ-Grund verwertet werden dürfe, begründete das RG82 in einer Entscheidung zu § 292 näher. Hier hatte das LG "strafschärfend" berücksichtigt, daß das SchlingenArt. 105 Nr.2 des 1. StrRG vom 25.6. 1969, BGBl I 1969, S. 645. RGSt 57, 379 nennt sie jedenfalls als früheste Entscheidung. 78 RG, Urt. vom 20. 10. 1908, in: GA 56, 73. 77 § 284 Abs.l lautete seinerzeit: Wer aus dem Glücksspiele ein Gewerbe macht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, neben welchem auf Geldstrafe von 300,- bis 6000,- Mark, sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. 78 RG, Urt. vom 19.1.1919, in: GA 56, 96. Zust. z. B. Bruns, StrZ-Recht, S.80, 368; G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 101; doch ist diese Argumentation zweifelhaft; aus dem Schu1dprinzip wäre zu folgern, daß objektive Strafbarkeitsbedingungen bei der StrZ außer Betracht zu bleiben haben; vgl. dazu Stree, JuS 1965, 473 f; Mylonopoulos, S.67. Sieht man mit Jeschek, AT, S. 451 f. in § 227 eine Einschränkung des Schuldprinzips aus kriminalpolitischen Gründen, einen verkappten Strafschärfungsgrund, so besagt das für die StrZ nicht, daß aus dieser Besonderheit noch weitergehendere Folgerungen gezogen werden dürften. 78 Vgl. aber auch RG, JW 1926, 818, wo ein Verstoß bejaht wurde; weitere Fälle bei Peters, Strafrichter, S. 99 ff. 80 RGSt 57, 379. 81 Es folgen Hinweise auf die schon erwähnten Entscheidungen sowie auf Urt. vom 17.3.1911, in: SächsArch. Band 6, 225 und Urt. vom 21. 11. 1912, in: DJZ 1913, 412. 82 RGSt 70, 220, 223. 74

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I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

43

stellen eine besonders rohe und hinterhältige Art der Wilderei darstelle. Das RG meinte, gerade deshalb habe der Gesetzgeber diese Begehungsart unter die besonders schweren Fälle des § 292 Abs. 2 eingereiht und mit einer erhöhten Mindeststrafe bedroht. Es sei nicht angängig, ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes nochmals bei der Strafzumessung "strafschärfend" zu berücksichtigen. Schon in einer früheren Entscheidung hatte das RG83 diese Rechtsprechung bekräftigt und sie zugleich ausgedehnt. Dort hatte das LG eine Angeklagte wegen eines Verbrechens der Lohnabtreibung nach § 219 a. F. verurteilt und zu deren Ungunsten hauptsächlich verwertet, daß ihre Handlung "weil die Sittlichkeit und Kraft des Volkes verderbend, gemeingefährlich gewesen sei". Das verstieß, wie das RG feststellte, "gegen den von dem RG in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz, daß es unzulässig ist, Tatbestandsmerkmale, die zur Bildung des verbotenen Tatbestandes selbst dienen und demgemäß bereits bei der Aufstellung des gesetzlichen Strafrahmens berücksichtigt sind, bei der Bemessung der Strafe als strafschärfend zu verwerten. Zum Wesen der Abtreibung gehört, daß sie eine zerstörende Wirkung auf die Sittlichkeit und Kraft des Volkes ausübt und aus diesem Grunde eine gemeine Gefahr für das Volk bedeutet. Erwägungen dieser Art haben den Gesetzgeber bestimmt, den Tatbestand der Abtreibung mit Strafe zu bedrohen. Der angeführte StrZ-Grund trifft daher gleichermaßen auf alle 84 Abtreibungshandlungen, nicht nur auf die vorliegende zu; er kann daher in einem Einzelfall kein besonderes Merkmal bilden, das eine Erhöhung der Strafe rechtfertigen könnte"85.

b) Der Bundesgerichtshof Der BGH hat diese Rechtsprechung des RG fortgeführt und weiter verfeinert. Hiernach ist es verboten, Tatbestandsmerkmale nochmals als StrZ-Gründe zu verwerten86 , denn "wie aus der Verwirklichung des der StrZ zugrundeliegenden strafbaren Tatbestandes kein Strafschärfungsgrund hergeleitet werden darf, kann und darf aus ihr auch kein Strafmilderungsgrund hergeleitet werden"87. Nicht die Erfüllung des Tatbestandes, sondern nur die Art seiner Verwirklichung darf auf die Strafhöhe von Einfluß sein88 . So darf die Erfüllung mehrerer Tatmodalitäten RGSt 59, 423, 426. Hervorhebung des RG. 85 Zu weiteren Entscheidungen des RG in dieser Richtung vgl. die eingehende Darstellung bei Bruns, StrZ-Recht, S. 366. 86 BGH, VRS 24, 50 zur Auslöschung eines Menschenlebens bei Tötungsdelikten; BGH, VRS 4, 359 zum Davonfahren nach einem Verkehrsunfall. Vgl. ferner BGH bei Holtz, MDR 1977, 808; OLG Hamm, VRS 60, 32. 87 BGHSt 19, 113, 116. 83 84

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbotsi. S. d. § 46 Abs.3

strafschärfend berücksichtigt werden89 • Zulässig soll es auch sein, bei Tatbestandsvarianten unterschiedlichen Schweregrades die Verwirklichung der schwereren Tatbestandsvariante belastend zu verwerten90 ; ebenso die Verursachung des Todes mehrerer Menschen bei Tötungsdelikten 91 . Hingegen darf ein Umstand, der Rechtswidrigkeit oder Schuld mitbegründet, nicht schärfend verwertet werden92 • Nach dem BGH ist dies "ebensowenig zulässig, wie die Verwertung eines Tatbestandsmerkmals"93. Des weiteren meint der BGH94 , daß auch Umstände, die zwar nicht notwendigerweise, aber doch im Regelfall der Tatbestandsverwirklichung vorliegen, nicht strafschärfend verwertet werden dürfen; denn in ihnen könne "kein gesteigertes Unrecht gesehen werden"95. So könne die Benutzung eines typischen Tötungswerkzeugs das Tötungsdelikt über den Tatbestand hinaus nicht in einem besonderen den Täter belastenden Maße charakterisieren96 • Schon die bisher angeführten Entscheidungen zeigen, daß der BGH dem DVV Bedeutung nicht nur hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale im engeren Sinne zumißt, sondern es als ein übergreifendes Prinzip auffaßt. Besonders deutlich wird dies in weiteren Entscheidungen des Gerichts: "Den Gesichtspunkt der allgemeinen Abschreckung hat der Gesetzgeber bereits bei der Aufstellung eines bestimmten Strafrahmens berücksichtigt. Er darf daher innerhalb dieses Strafrahmens nicht lediglich durch Heranziehung der Tatbestandsmerkmale strafschärfend verwertet werden"97. "Die besondere Gefährlichkeit der gewerbsmäßigen Hehlerei hat den Gesetzgeber gerade zu einer erhöhten Strafandrohung bestimmt. Sie 88 BGH 1 StR 583/60; BGH bei Dallinger, MDR 1967, 898; BGH 5 StR 30/68; BGH 4 StR 445/68; BGH 2 StR 415/76; in diese Richtung auch OLG Koblenz, VRS 55, 281. 81 BGH bei Dallinger, MDR 1971, 363. 10 BGH, NJW 1980, 1344. 91 BGH, VRS 23, 231; zu weiteren "echten Variationen der Tatbestandsverwirklichung" vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Bruns, StrZ-Recht, S. 370 f.; s. auch Bruns, Leitfaden, S. 112 f. Dt BGH bei Dallinger, MDR 1972, 750; ebenso OLG Stuttgart, MDR 1976, 690. va BGH bei Dallinger, MDR 1975, 195. " BGH bei Dallinger, MDR 1971, 362. es BGH bei Dallinger, MDR 1971, 362; BGH bei Holtz, MDR 1978, 985; zum Begriff des "Regelfalles" s. u. 1. Teil VIII. 98 BGH bei Dallinger, MDR 1972, 922, wo es um die Benutzung einer Schußwaffeging. 17 BGHSt 17,321,324.

I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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darf daher nicht strafschärfend verwertet werden, weil sonst ein Umstand verwertet würde, der auf jede Straftat dieser Art zutrifft"98. "Das Interesse der Bevölkerung an Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist bei § 249 mit Grund der schweren Strafe. Seine allgemeine Berücksichtigung bei der Strafzumessung ist daher unzulässig. Unbedenklich ist es aber, wegen des Anstiegs nächtlicher Raubüberfälle in einer Innenstadt ein besonderes Interesse anzuerkennen"99. Einen Grenzfall scheint eine vieldiskutierte Entscheidung des BGH100 darzustellen, nach der es kein Fehler ist, wenn. der Tatrichter zum Ausdruck bringt, daß er bei den Erwägungen ü~r die StrZ den Grundgedanken der verletzten Strafvorschrift nicht aus den Augen verloren hat. Der Tatrichter hatte ausgeführt, das öffentliche Interesse verlange zum Schutze der Allgemeinheit schwerste Bestrafung von Gewaltverbrechern. Auf den ersten Blick scheint es der BGH demnach für zulässig zu halten, die gesetzgeberische Intention, den Grundgedanken der verletzten Vorschrift, bei der StrZ nochmals zu verwerten. Daß eine derartige Einschränkung der Reichweite des DVV jedoch nicht beabsichtigt war, hat der BGH101 später klargestellt: "Nicht die Erfüllung des Tatbestandes, sondern die Art seiner Verwirklichung darf für die Strafhöhe von Einfluß sein (BGH 4 StR 680/52), wenn auch der Richter sich bei der StrZ die Grundgedanken der verletzten Rechtsvorschriften vor Augen halten darf (BGH MDR 1953, 148)". Es wäre also auch nach BGH, MDR 1953, 148 rechtsfehlerhaft, wenn der Richter die Tatsache, daß der Täter ein Kapitalverbrechen begangen hat, als Straferhöhungsgrund verwerten wollte. Anders wäre die Situation aber, wenn der Tatrichter von vornherein deshalb von einer relativ (d. h. im Verhältnis zu Strafen bei anderen Delikten) hohen Strafe ausginge, weil die Tat ein schweres Delikt ist. Hierin kann kein Verstoß gegen das DVV zu sehen sein, weil der Richter hier lediglich seiner Pflicht nachkommt, die Wertung des Gesetzgebers zum Ausgangspunkt seiner StrZ zu nehmen. Was die Frage der Verwertung der Tatbestandsmerkmale bei der Strafzumessung anlangt, besteht - bis in die Formulierungen hinein übereinstimmung zwischen der Rechtsprechung und den Begründungen des Gesetzgebers, die zu § 46 Abs. 3 führten. BGH bei Dallinger, MDR 1966, 381; BGH, NJW 1967, 2416. BGH bei Dallinger, MDR 1966,26; zu weiteren Entscheidungen des BGH vgl. auch H. W. Schmidt, MDR 1978, 5 f.; ders., MDR 1979, 884 f.; Mösl, DRiZ 1979, 165, 168 f.; ders., NStZ 1981, 134 f.; Dreher/Tröndle, StGB, § 46 Rdnr.37. 100 BGH 1 StR 646/52 - bei Dallinger, MDR 1953, 148; vgl. hierzu die eingehende Besprechung bei Bruns, StrZ-Recht, S. 371 ff.; s. auch Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 98 ff. 101 BGH 1 StR 583/60. V8

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

Wie gezeigt, hat aber die höchstrichterliche Rechtsprechung das Verbot der DV schon lange vor Inkrafttreten des § 46 Abs. 3 auf die regelmäßigen Begleitumstände, die der jeweiligen Strafvorschrift unausgesprochen zugrundeliegende gesetzgeberische Intention, ihren kriminalpolitischen Grundgedanken sowie den abstrakten generalpräventiven Strafzweck erstreckt. Auf einen allgemeinen Nenner gebracht hat diese Rechtsprechung das BayObLG102 : "Ein auf jede Straftat derselben Art zutreffender Gesichtspunkt rechtfertigt ebensowenig wie ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal eine Erhöhung der Strafe". Daß der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung das DVV gleichwohl nur im Hinblick auf die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes selbst explizit ausgesprochen hat, wird man indessen nicht als Ablehnung der weitergehenden Rechtsprechung verstehen dürfen. Jedenfalls ist diese über den Wortlaut des § 46 Abs.3 hinausgehende Rechtsprechung weder in den Beratungen des § 46 Abs. 3 noch nach Inkrafttreten der Vorschrüt im Grundsatz in Frage gestellt worden103 • Ob diese von der Rechtsprechung vorgenommene Erweiterung des Geltungsbereichs des DVV i. S. d. § 46 Abs.3 über den Wortlaut der Vorschrift hinaus sachlich begründet ist und ggflls. wie weit, wird noch zu untersuchen sein. Hier festgehalten zu werden verdient aber zumindest, daß der BGH dem DVV einen weiteren Geltungsbereich zumißt, als es der Wortlaut des § 46 Abs. 3 ,selbst unmittelbar nahelegt. 4. Stellungnahmen der Literatur

a) Zur Begründung des Verbots

Schon früh wurde auch in der Literatur die Problematik der DV von Tatbestandsmerkmalen aufgegriffen. So wies Hoegel104 darauf hin, daß der Richter innerhalb des Strafrahmens die Gesichtspunkte berücksichtigen solle, die den Gesetzgeber bei Aufstellung des jeweiligen Strafrahmens geleitet hätten105• Die fortschreitende Kasuistik erhebe immer mehr StrZ-Gründe zum Rang von Tatbestandsmerkmalen. Im Rahmen der StrZ sei aber die Gefahr nochmaliger Verwertung von vom Gesetzgeber schon berücksichtigten Strafwürdigkeitsgründen naheliegend.

Beling106 begründete das DVV von Tatbestandsmerkmalen damit, daß ein derartiges Merkmal unterschiedslos alle Strafgrößen beherrsche. Es BayObLG, NJW 1951, 574. Ein "vorsichtig abwägendes Neuüberdenken des Komplexes" hält Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 98 für erforderlich. Auch er hält jedoch den Ausgangspunkt, wie ihn das BayObLG formuliert hat, für überzeugend. lOt Hoegel, S. 241. 105 Hierfür beruft sich Hoegel auf von Liszt, ZStW 3 (1883), 29. 102

lOS

I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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umspanne alle individuellen Tatgestaltungen in gleichmäßiger Weise, so daß es nicht im Hinblick auf die Eigenart des Falles zur Geltung gebracht werden könne. Auch Beling betonte aber, daß innerhalb eines Tatbestandes Abstufungen nach der quantitativen Schwere möglich seien107 • Nach Sauer108 muß jeder Strafbemessungsgrund (i. S. v. StrZ-Grund) in den Strafvoraussetzungen verankert sein. Letztere sieht Sauer als "typisierte Strafbemessungsgründe"lo9 an. Strafbemessungsgründe sind für ihn "konkretisierte Unrechts- und Schuldtypen"l1o. In konkreter Hinsicht müsse natürlich die richterliche Strafbemessung gegenüber den gesetzlichen Bemessungsregeln (noch) Neues bringen111 • Dreher112 meint, der Grundsatz des DVV von Tatbestandsmerkmalen sei eine Binsenwahrheit, die keiner Rechtfertigung bedürfe. Von daher verwundert es kaum, daß die Stellungnahmen der h. L. weitgehend aus der Argumentation der Rechtsprechung abgeleitet und an ihr orientiert sind113 • Darüber hinaus wird in der Rechtslehre, die auch insoweit der Rechtsprechung folgt, das DVV auf die regelmäßigen Begleitumstände eines Deliktes erstreckt114 ; des weiteren gilt es nach h. M. auch für die Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention eines Tatbestandes insgesamt, soweit die Vorabwertung durch das Gesetz reicht115 • Zur Begründung dieser Ergebnisse wird zumeist auf das arbeitsteilige Zusammenwirken von Gesetzgeber und Richter abgestellt. "Den Teil der Strafbemessung, den bereits der Gesetzgeber in genereller Weise gelöst hat, die Vertatbestandlichung von Umständen, die sonst als StrZ-Faktoren erscheinen müßten, darf der Richter nicht mehr für sich in Anspruch nehmen "116. Beling, JW 1924, 1721. Vgl. schon L. v. V., S. 245 ff., 321 ff., wo Beting die konkrete Art der Tatbestandsverwirklichung als "Spezialisierung von Tatbestandselementen" bezeichnet; s. auch u. 1. Teil V. 3. b. 108 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 20. 109 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 21. 110 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 255. 111 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 255. 112 Dreher, JZ 1957, 155. 113 Vgl. z. B. Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rdnr. 45, wo im wesentlichen die Ergebnisse der Rechtsprechung wiedergegeben werden; Dreher/Tröndle, StGB, § 46 Rdnr.37; G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr.99; SK-Horn, § 46 Rdnr.84; Lackner, StGB, § 46 Anm. 4 c; Jescheck, AT, S.706 m. w. N. in FN 48; Baumann, AT, S.668; vgl. auch Warda, Dogmatische Grundlagen, S.152, der meint, was durch die Subsumtion unter einen Tatbestand verwertet sei, dürfe nicht nochmals verwertet werden. 114 Vgl. nur Schönke/Schröder, 17. Aufl., § 13 Rdnr. 42 ff.; Schönke/Schröder! Stree, § 46 Rdnr. 45; Lackner, StGB, § 46 Anm.4 c. 115 G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 100; SK-Horn, § 46 Rdnr. 84; Schönke!Schröder! Stree, § 46 Rdnr.46. 108 107

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

Über diese Erläuterungen hinausgehend sieht Zipf117 in der DV eines Umstandes i. S. d. § 46 Abs.3 einen Verstoß gegen die Notwendigkeit individueller Tatschuldwertung. Wo einem Tatbestandsmerkmal über die generelle Aufnahme in den Strafrahmen hinaus kein konkreter Aussagewert zukomme, dürfe es nicht als StrZ-Faktor herangezogen werden118 • Einig ist sich die h. L. auch darin, daß über die generelle Vorabwertung des Gesetzes hinaus die konkrete Ausgestaltung eines Tatbestandsmerkmals oder der konkrete Umfang der Gefährdung durch das Täterverhalten das Maß der Strafe bestimmen, so z. B. beim Betrug ein über den tatbestandlich erfaßten hinausgehender Vermögensschaden1l9 oder eine besonders raffinierte Täuschung120. Daß derartige "Modalitäten der Tatbestandsverwirklichung"121 bei der StrZ verwertet werden dürfen, begründen Rechtsprechung und h. M. der Literatur damit, daß es sich insoweit um Abstufungen innerhalb der quantitativen Schwere handelel22 • Das DVV findet danach dort seine Grenzen, wo Erfolg und Begehungsart über die "Normalfälle" hinausgehen, die die gesetzliche Vertypung im Auge hatl23 • Trägt der StrZGrund zur besonderen Kennzeichnung der Einzeltat innerhalb der Deliktsgruppe wesentlich bei, so wird seine Verwertung als zulässig erachtetl24 • Hierin wird die Gegenposition zu § 46 Abs. 3 gesehen125• b) Kritische Stimmen

So klar und "unanfechtbar"126 der Grundsatz des DVV im bisher skizzierten Umfang auch erscheint, ist er doch gelegentlich auf Kritik gestoßen. Nach Exner 27 ist Aufgabe des DVV die Verhinderung echter Wertungswidersprüche. Der Richter soll nicht den Grund des Tatbestandes 118 117

Zipf, Die Strafmaßrevision, s. 97 f. Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 98; Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, S.439.

Dazu vgl. u. 1. Teil VI. 5. m Schönke/Schröder/Stree, § 46 Rdnr.48. 120 SK-Horn, § 46 Rdnr. 85; vgl. auch Dreher/Tröndle, StGB, § 46 Rdnr.37; G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 35; Lackner, StGB, § 46 Anm. 4 c. 121 Gemeint sind damit die besondere Art, in der Umstände des Tatbestandes im Einzelfall gegeben oder verwirklicht worden sind, Steigerungen oder Abschwächungen in der graduellen Verwirklichung des Tatbestandes; vgl. Bruns, StrZ-Recht, S. 369. 121 So schon Beting, JW 1924, 1721. 123 Maurach, AT, S. 845; näher dazu u. 1. Teil VIII. 124 Bruns, StrZ-Recht, S. 369. 125 § 60 Abs. 2 E 1962 wollte dem durch die Formulierung "soweit sie nicht schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind" Rechnung tragen. 128 SQ Dreher, JZ 1957, 155. 127 Exner, StrZ-Praxis, S. 100 f. 118

I. Die Entwicklung zum Doppelverwertungsverbot

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(den Typus selbst) nochmals mitverwerten, sondern die Handlung innerhalb des Typus. Daher ist die DV von Umständen, die bereits bei Aufstellung des Strafrahmens berücksichtigt sind, ungesetzlich. Im Anschluß an diese Feststellung128 bezweifelt Exner aber, ob eine dem "formellen Gesetz" zuwiderlaufende Praxis dem Sinn des Rechts insoweit widerspreche, als sie nicht nur die einzelnen Handlungen, sondern auch die gesetzlichen Handlungstypen selbst gemäß dem "Grade ihrer Moralwidrigkeit" abwäge, womit Exner auf die Berücksichtigung auch des Strafgrundes bei der StrZ abhebt. Damit stellt er sich in Gegensatz zu der oben zitierten Entscheidung des RG129, nach der es gerade verboten ist, Erwägungen zu berücksichtigen, die ihrerseits schon den Gesetzgeber dazu veranlaßt haben, einen bestimmten Sachverhalt allgemein mit Strafe zu bedrohen. Auch Peters130 meinte, der Gedanke, daß bei der "Strafbemessung" nicht der Gesetzeszweck und Gesetzessinn in Rechnung gestellt werden dürfe, könne nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Er stützte sich insoweit auf Freisler 3 t, der es als unrichtig bezeichnet hatte, daß der Richter bei der StrZ wegen Rassenschande nicht die der Rassenschutzgesetzgebung zugrundeliegenden Gedanken verwerten dürfe, weil sie schon bei Aufstellung des gesetzlichen Strafrahmens berücksichtigt seien. Inwieweit dieser Grundsatz nicht gelten solle, ließ Peters allerdings offen. Auf das DVV von Tatbestandsmerkmalen gemünzt hält Sauer132 es für "irreführend, wenn nicht unrichtig", die DYeines Tatbestandsmerkmals für die Strafzumessung nicht zuzulassen. H. M. und Rechtsprechung setzten "die gesetzlichen Tatbestände nicht in unmittelbare Beziehung zum materialen Unrecht (Sozialschädlichkeit), während erstere nur als typische Ausprägungen von letztgenanntem allgemeinen und zugleich soziologischen Verbrechensmerkmal sinnvoll (soziologisch!) aufzufassen sind"133. Sauer faßt die StrZ als Fortsetzung und individuelle Ausgestaltung der "materialen Begriffe Unrecht und Schuld" auf. Diese bestimmten das "Ob" der Bestrafung, die StrZ hingegen das "Wie" und den Grad der Strafe. Wenn er allerdings fortfährt, daß die StrZ das Unrecht und die Schuld, die in den gesetzlichen Tatbeständen abstrakt geprägt sind, graduell konkretisieren soll, so zeigt sich, daß - jedenfalls im Ergebnis - ein Widerspruch zur h. M. und Rechtsprechung nicht bestehen muß, denn diese bestreiten ja nicht, daß "Modalitäten der Tat-

Exner, StrZ-Praxis, S. 101. In ROSt 59, 423, 426. 130 PeteTs, zstw 57 (1938), 78. 131 PeteTs, ZStw 57 (1938), 78 FN 55; vgl. auch NebTich, S. 93. 132 SaueT, GA 1957, 134. 128

133

Hervorhebungen von Sauer.

4 Hettlnger

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs.3

bestandsverwirklichung" berücksichtigt (d. h. verwertet) werden dürfenl34 • Die von PeteTs geltend gemachten Vorbehalte finden sich auch in einer Äußerung Koffkas l35 , die der Auffassung ist, man müsse sich, um das Unrecht einer Tat beurteilen zu können, den Grund der Strafbarkeit bei jedem einzelnen Tatbestand klarmachen; bei der StrZ sei es deshalb häufig erforderlich, auf den Zweck des Gesetzes zurückzugehen. Der Grundsatz des DVV bedürfe daher einer "elastischen Handhabung"136, 137. Jagusch138 gibt zu bedenken, daß eine scharfe Abgrenzung zwischen

verbotener DV von Tatbestandsmerkmalen und zulässiger Beriicksichtigung der besonderen Ausprägung eines Tatbestandsmerkmals oft kaum möglich sei, "ein wunder Punkt dieser Lehre". Dasselbe gelte hinsichtlich der Strafwürdigkeit des Vorgangs überhaupt. In einem anderen Zusammenhang betonte er auch später, daß er dem Prinzip des DVV "noch nie richtig getraut habe"139. Das Prinzip sei zwar logisch kaum anfechtbar, versage aber in der Praxis und verdiene keine Befolgung, wenn sich auch schwer aufweisen lasse, wo der Denkfehler liege. Zur Grenzziehung zwischen DVV und erlaubter Verwertung bei der StrZ 1SC Eine· andere, noch zu erörternde Frage ist es allerdings, ob die Tatbestandsmerkmale entgegen der h. M. nicht nur in einer "besonderen Art der Verwirklichung" berücksichtigt werden können, sondern regelmäßig - und ggflls. wie - berücksichtigt werden müssen; dazu s. u. 1. Teil VI. 4. und IX. 135 Koffka, JR 1955, 323. 138 Koffka, JR 1955, 323 FN 6; hier weist Koffka darauf hin, daß aus dem Satz, der eine Strafnorm rechtfertigende Grund oder die Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals könnten als solche nicht als Straferschwerungsgründe verwehaet werden, nicht gefolgert werden dürfe, daß dasselbe auch für Grad und Umfang der Normverletzung gelte. 137 Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 99 und Bruns, StrZ-Recht, S. 371 ff. haben sich der Betrachtungsweise Koffkas angeschlossen. Anlaß hierzu war die schon o. 1. Teil I. 3. b. erwähnte Entscheidung BGH bei Dallinger, MDR 1953, 148. Mit Recht geht aber Eb. Schmidt, Lehrkommentar, § 337 Rdnr.56 davon aus, daß sich dieses Urteil nicht von der vorherigen Rechtsprechung des BGH löse. Das Urteil wollte nur hervorheben, daß der Richter sich den Grundgedanken der verletzten Strafvorschrift vor Augen halten darf, daß er m. a. W. den generell hohen Unwertgehalt eines Straftatbestandes, der in einem hohen Strafrahmen zum Ausdruck kommt, zum Ausgangspunkt seiner StrZ nehmen darf, um so einer ungerechtfertigten Milde entgegenzuwirken. Wenn Eb. Schmidt, Nachträge I, § 337 Rdnr.17 die Richtigkeit der Entscheidungzusätzlich mit der Erwägung begründen will, das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit sei ein Gesichtspunkt außerhalb des gesetzlichen Tatbestandes, weshalb eine Berücksichtigung bei der konkreten Strafschwere zulässig sei, so kann dem angesichts der Rechtsprechung des BGH nicht gefolgt werden. Nach dieser ist nämlich die Verwertung eines derartigen Gesichtspunktes bei der StrZ unzulässig, weil der Gedanke des DVV nicht nur bei Tatbestandsmerkmalen, sondern auch hier Anwendung finden soll. 13S Jagusch, LK, 8. Aufl., S. 103. 138 Jagusch, LM § 44 8tGB Nr. 10.

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formuliert Jaguschl40 : "Trägt der StrZ-Grund zur besonderen Kennzeichnung der Einzeltat innerhalb der Tatgruppe wesentlich bei,so muß er zulässig sein". Unproblematisch scheint ihm das bei "Steigerungen und Abschwächungen in der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen, die vom Durchschnitt erheblich abweichen und zur gesicherten richterlichen Überzeugung feststehen, etwa bei besonderer Rohheit des Widerstandes im § 113, bei der als besonders schwer empfundenen Beleidigung (größerer Schaden) ... "141. Mit den letzten Bemerkungen bewegt sich Jagusch nun durchaus auf der Ebene der h. M., die ja das Abgrenzungsproblem ebenfalls sieht142. Freilich erscheint schon für diesen Teilbereich des DVV die richtige Bestimmung der Grenze problematisch, "an der das generelle Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes im konkreten Sachverhalt durch die besondere Art der Verwirklichung so individuelles Gepräge gewinnt, daß Berücksichtigung bei der Strafzumessung zulässig wird "143. 5. Resümee

Überblickt man den bisher wiedergegebenen Meinungsstand in Theorie und Praxis, so muß man die Vermutung Seebalds144 als euphemistisch bezeichnen, die 1970 in Kraft getretene gesetzliche Regelung des DVV scheine die letzten Zweifel an Inhalt und Grenzen dieses Prinzips behoben zu haben. Denn zum einen erfaßt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur einen Teilbereich dessen, was nach h. M. dem Prinzip des DVV zu unterstellen ist145, zum anderen ist die Regelung bis in die Begründungen hinein an der vorherigen Rechtsprechung der Obergerichte orientiert, hat also den bisherigen Fundus an Argumenten nicht erweitert. Auch das Verstummen der kritischen Stimmen, das Seebald konstatieren zu können glaubt, dürfte weniger auf den Wortlaut des § 46 Abs.3 zurückzuführen sein, der "an Klarheit nichts zu wünschen übrig läßt"146, als vielmehr darauf, daß er zum einen zur Beantwortung der Frage nach dem Geltungsbereich des DVV, soweit es über die Berücksichtigung der Tatbestandsmerkmale hinaus anwendbar sein soll, nichts beiträgt, zum anderen aber die sowohl im Gesetzgebungsverfahren als auch in der Literatur geäußerte Kritik durch Wiederholung an Plausibilität ebensoHO 141

142 143 1U

Jagusch, LK, 8. Aufl., S. 103. Jagusch, LK, 8. Aufl., S. 103. Vgl. aus neuester Zeit G. Hirsch, LK, § 46 Rdnr. 103. So Dreher, JZ 1957, 155. Seebald, GA 1975, 230; Bruns, Leitfaden, S.108 wirft Seebald "merk-

würdige Vorstellungen über Sinn und Grenzen des DVV" vor. 145 Daß hierin allerdings kein grundsätzlicher Einwand zu sehen ist, wurde o. 1. Teil I. 3. b. schon gesagt; s. aber auch die Bedenken Zipfs o. Einleitung bei FN 12 und u. 1. Teil IX. bei FN 41. 148 Seebald, GA 1975, 230 .

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S; d. § 46 Abs. 3

wenig dazugewönne, wie dies gleichermaßen für den Standpunkt der h. M. und Rechtsprechung festzustellen ist. Es besteht eher Anlaß zu der Vermutung, daß die Erörterung der Problematik schlicht zum Erliegen gekommen ist, man sich also mit dem zuletzt von Jagusch formulierten "Dilemma" abgefunden hat147 . Die bis heute häufigen Entscheidungen der Obergerichte zu § 46 Abs. 3148 mögen zwar den Standpunkt der Rechtsprechung immer mehr verfestigen, sind aber auf der anderen Seite ein Indiz dafür, daß die Praxis trotz des "Wortlaut(s) des ziemlich eindeutigen Gesetzes"149 mit dessen Handhabung auch weiterhin große Schwierigkeiten hat. Im folgenden soll daher versucht werden, das Prinzip des DVV i. S. des § 46 Abs. 3, das "schon bisher einen gesicherten Bestandteil der StrZLehre"150 gebildet hat, "obwohl die Theorie sich nicht besonders um eine dogmatische Vertiefung seiner Rechtfertigung bemüht"15\ über den bisher erreichten Begründungsstand hinaus deutlich zu machen und auf dieser Grundlage seine Handhabung in der StrZ-Praxis zu erleichtern. 11. Zur Vorarbeit des Gesetzgebers für die Strafzumessung Wie oben1 schon gezeigt, können DV-Probleme nur auftauchen, wo der Richter nach Feststellung des Vorliegens der Strafbarkeitsvoraussetzungen zu einer eigenen StrZ aufgerufen ist, weil das Gesetz als Rechtsfolge ein ganzes Bündel verschiedener Strafdrohungen vorsieht2. Hat der Richter z. B. die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Diebstahls i. S. d. § 242 bejaht, so steht abschließend nur fest, welcher Strafrahmen zur Anwendung kommen muß 3 • Bei so formulierten Strafgesetzen ist dann StrZ notwendig, denn die Strafbemessungsnorm des § 242· steckt nur den Rahmen ab, innerhalb dessen die konkret verhängte Strafe zu liegen hat. S. o. 1. Teil I. 4. b. bei FN 138. Vgl. aus neuerer Zeit: Möst, DRiZ 1979, 168 f.; H. W. Schmidt, MDR 1978, 7; ders., MDR 1979, 884 f.; Körner, NStZ 1981, 18; Möst, NStZ 1981, 134 f.;BGH bei Hottz, MDR 1978, 985; BGH, MDR 1980, 240. "Verstöße gegen das DVV sind auch heute noch häufig, kommen geradezu am laufenden Bande vor", wie Bruns, Leitfaden, S. 108 formuliert; in der Sache ebenso Gribbohm, NJW 1980, 1440. 140 So Bruns, StrZ-Recht, S.362. 150 So Bruns, StrZ-Recht, S. 361. 151 Bruns, StrZ-Recht, S. 361; s. auch Bruns, JR 1980, 228. 1 1. Teil I. 1. ! Probleme der Geldstrafe incl. ihres Verhältnisses zur Freiheitsstrafe bleiben im folgenden außer Betracht. a Die Problematik der strafrahmenändernden Umstände i. S. d.§ 49 Abs. 1 sowie diejenige der "unbenannten" Strafrahmenänderungen werden hier noch vernachlässigt; dazu s. u. 2. Teil. 1~7

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II. Zur Vorarbeit des Gesetzgebers für die Strafzumessung

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Dies bedeutet freilich nicht, daß jedes denkbare Quantum so lange als angemessen zu betrachten ist, als es im vorgeschriebenen Rahmen liegt. Zur Ermittlung der angemessenen Strafe bedarf es weiterer Arbeit des Tatrichters, der sich hierbei an den Grundsätzen der §§ 46 ff. zu orientieren hat. Einer dieser Grundsätze ist das DVV, das also - der Sache nach völlig zutreffend in § 46 geregelt - bei der StrZ immer zu beachten ist. Die Frage ist nur, was den Gesetzgeber veranlaßt hat, die Verwer.;. tung der "Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes" bei der End-StrZ zu verbieten, den Richter also auf andere, zusätzliche "Umstände" zu verweisen, die nicht Tatbestandsmerkmale sind. Das Verwertungsverbot versteht sich jedenfalls nicht von selbst, denn immerhin sind die Tatbestandsmerkmale konstitutiv für den durch sie beschriebenen Tatbestand und dessen Rechtsfolge. Hieraus könnte man folgern, daß eigentlich gerade die Tatbestandsmerkmale bei der StrZ von besonderer Bedeutung sein müssen. Doch gilt es eine Eigenart der Gesetzgebungsmethode zu berücksichtigen, die das DVV von Tatbestandsmerkmalen hinreichend zu erklären vermag. Sie und ihre Konsequenzen hinsichtlich der Verwertung von Tatbestandsmerkmalen sollen hier thesenartig umrissen werden, die Begründung im einzelnen bleibt dem folgenden Text vorbehalten4 • Der Gesetzgeber beschreibt in den Straftatbeständen nicht einzelne (konkrete) Taten, sondern mit Hilfe abstrakter Merkmale ganze "Gattungen" verbotener Verhaltensweisen. In den Tatbeständen sind also die unterschiedlichsten Arten der Deliktsverwirklichung (mit je verschiedener Strafwürdigkeit) umschrieben; aber nicht so, daß ihre spezifischen Charakteristika genannt wären, sondern durch Umschreibung der allen diesen Arten wesentlichen Grundmerkmale, in denen sie abstrakt betrachtet "identisch" sind. Dementsprechend ordnet das Gesetz so formulierten Tatbeständen in aller Regel5 einen Strafrahmen bei und macht dadurch kenntlich, was zu den Aufgaben des Richters bei der StrZ gehört. Aus dieser Gesetzgebungsmethode folgt aber mit Notwendigkeit, daß die Tatbestandsmerkmale selbst in ihrer abstrakten Bedeutung bei der StrZ im Einzelfall nicht weiterhelfen können. Denn die den Strafrahmen (jeweils mit-)konstituierenden abstrakten Umstände sind Gattungsmerkmale und als solche "nur" Voraussetzungen der Strafbarkeit, nicht aber Inhalt der StrZ-Tätigkeit. In dieser (strafbarkeitsbegründenden) Funktion können sie zur Bewertung einer konkreten Tat - einer besonderen Art der Verwirklichung des in den Strafvoraussetzungen nur gattungsmäßig umschriebenen Delikts-

, s. u. 1. Teil IV. 2., 5. b. und V. 3. I

Ausnahmen stellen nur die §§ 211,220 aAbs. 1 Nr.l daT.

1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

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nichts mehr beitragen. Allenfalls die Tatsachen, die diesen Umständen i. S. d. § 46 Abs. 3 unterfallen, können auch für die StrZ Aussagekraft besitzen. An einem Beispiel sei das eben Gesagte verdeutlicht: Ob ein Täter A sein Opfer B vier Stunden einsperrt oder vier Tage, ist für die Frage der Tatbestandsmäßigkeit seines Tuns ohne Belang. In beiden Fällen ist § 239 Abs. 1 verwirklicht, denn beide erfüllen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Einsperrens eines Menschen. Weil diese Umstände aber als abstrakte (Gattungs-)Merkmale auf alle Arten konkreter Verwirklichung in gleicher Weise zutreffen, können und dürfen aus ihnen für die konkrete StrZ keine Folgerungen gezogen werden. Das Vorliegen der abstrakten Merkmale eines Tatbestandes ist für alle denkbaren Strafquanten des ihm zugeordneten Strafrahmens notwendige Voraussetzung. Hierin erschöpft sich jedoch aufgrund ihrer Beschaffenheit ihre Bedeutung. In Anbetracht dieses Befundes verwundert es kaum, daß schon im Laufe der Beratungen der Großen Strafrechtskommission Stimmen laut geworden waren, die sich für die Streichung des Vorläufers des heutigen § 46 Abs. 3 aussprachen, weil eine solche Vorschrift nur Selbstverständliches sage6 • Welche Endstrafe ein Täter erhalten soll, hängt also von der Berücksichtigung anderer, zusätzlicher "Umstände" ab, die nicht "Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes" sind. Damit bleibt die Frage aktuell, welches die Kriterien sind, die den Richter bei der StrZ innerhalb des ermittelten Strafrahmens leiten sollen. Trifft das Gesetz hierzu abschließende und eindeutige Entscheidungen, oder ist in weiterem Umfang auf "die Natur der Sache" zurückzugreifen, wie sich die Begründung zu E 19627 einließ? Läßt sich überhaupt eine überzeugende Systematik der richterlichen StrZ-Gründe entwickeln? Diesen Fragen ist ihr Zusammenhang mit Grund und Grenzen des DVV gemeinsam, denn was zulässiger StrZ-Grund (Umstand i. S. d. § 46 Abs. 2) ist, kann nicht zugleich durch dieses DVV untersagt seins. Nun macht es die Problemstellung der Arbeit nicht erforderlich, auf diese weitergehenden Fragen eine erschöpfende Antwort zu· geben; es reicht vielmehr aus, sich mit solchen StrZ-Gründen zu beschäftigen, durch die der Bereich des DVV i. S. d. § 46 Abs. 3 überhaupt berührt sein kann. In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht, den StrZ-Vorgang vorab wenigstens grob zu strukturieren, um so die Stelle zu ermitteln, an der das Verbot seinen Platz hat. e S. o. 1. Teil 1. 2. bei FN 57.

E 1962, Begr., S. 180. Das hatte man seinerzeit auch in den Beratungen erkannt und deshalb das DVV in einen eigenen Abs. 3 verwiesen; dazu s. o. 1. Teil 1. 2. 7

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III. Zur Vorgehensweise bei der Strafzumessung

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Einhellige Meinung ist es jedenfalls heute, daß der Richter bei der StrZ rechtsgebunden ist, vielfach "determiniert" durch die "verpflichtenden Grundsätze der StrZ", durch die gesetzlichen StrZ-Regeln selbst9 • Auch in diesem Bereich, dessen Fortentwicklung lange Jahre durch die verfehlte - teilweise aber auch mißverstandene - Lehre vom freien Ermessen des Tatrichters bei der StrZ verhindert wurde1o , gibt es bildlich gesprochen zumindest ein Korsett von Rationalität, was freilich nicht Mathematisierungl l bedeuten kann und auch nicht im Sinne der Punktstrafentheoretiker12 zu verstehen ist. Hiervon soll nun, wenn auch nur skizzenhaft, die Rede sein. 111. Zur Vorgehensweise bei der Strafzumessung 1. Die Grundprinzipien

Die Erkenntnis, daß der StrZ-Vorgang insgesamt "verschiedene Problemschichten"l aufweist, geht vor allem auf die Arbeiten von Peters2 zurück, der für die StrZ ein Ordnungsschema erstellte, indem er zwischen "Bewertungsgrundlagen", "Bewertungsgesichtspunkten" und "Bewertungsmaßstäben" unterschied. Unter ersteren versteht Peters die Strafzwecke. Diese entscheiden auch darüber, welche realen Vorgänge (StrZ-Tatsachen) das sachliche StrZ-Material ausmachen. Die sich aus den einzelnen Strafzwecken ergebenden Anhaltspunkte zur Auffindung der StrZ-Tatsachen bilden die Bewertungsgesichtspunkte. Die Bewertungsmaßstäbe schließlich entscheiden über Richtung und Wertigkeit der festgestellten Tatsachen. Im Anschluß an Wimmer 3 unterteilt SpendeZ4 den "StrZ-Grund" in finale (Strafzwecke), reale (StrZ-Tatsachen) und logische (Strz-Erwägungen) StrZ-GrÜnde. Diese Nomenklatur ist der etwas kompliziert erscheinenden Terminologie Peters' vorzuziehen. Ein Unterschied im sachVgl. hierzu nur Grasnick, S. 9. Eingehend Bruns, StrZ-Recht, S. 87 ff.; vgl. aber auch Peters, Handwörterbuch, S.137, der die Sachbindung des Richters zwar für "notwendig und wichtig" hält, ihr jedoch "nur begrenzte Wirkung" mmißt. 11 Zu entsprechenden Versuchen vgl. Bruns, StrZ-Recht, S. 62 ff. m. w. N.; ders., ZStW 92 (1980), 736 ff.; vgl. auch Schreiber, NStZ 1981, 340 f. S. ferner u. 1. Teil VIII. 3. b. FN 88 und 1. Tedl IX. FN 3. I! Dazu s. u. 1. Teil VII. mit FN 33-36. 1 So Bruns, StrZ-Recht, S.50. I Peters, Strafrichter, S. 57 ff., 74 ff.; ders., Strafprozeß, 1. Aufl., S. 519 ff.; 2. Aufl., S. 569 ff.; ders., Kriminalpädagogik, 8.169 FN 343; vgl. aber auch schon FTiedrich, S. 249 f.; Mannheim, ZStW 42 (1921), 40 ff. S Wimmer, NJW 1947/1948, 316. 4 SpendeI, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 191 ff.; ders., NJW 1964, 1759. 8

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs.3

liChen Gehalt ist mit ihr jedoCh niCht verbunden5 • In der SaChe folgt auCh Bruns6 dieser Dreiteilung, spaltet aber die "logisChen" StrZGründe noCh in "BewertungsriChtung" und "Gesamtabwägung" auf7 • Dieses OrdnungssChema enthält drei wiChtige "Grundprinzipien"s der StrZ-Lehre, die dazu beitragen, den StrZ-Vorgang insgesamt aufzuhellen und rational besser naChvollziehbar zu maChen. Diese Kategorien sind "allgemeingültig, gleiCh, welChem StrafreChtssystem man anhängt, ob einem Tat- und RepressivstrafreCht oder einem Täter- und PräventivstrafreCht"9. "Der StrZ-Vorgang insgesamt wird von den Strafzwecken gesteuert"10; denn ihr Inhalt ist Zielvorgabe der StrZ-Tätigkeit, ergibt das Prinzip, aus dem die StrZ-TatsaChen abzuleiten sind, wie auCh die Bewertungsmaßstäbe, anhand derer die Bedeutung der ermittelten StrZ-TatsaChen zu bestimmen ist. Diese Prinzipien stehen in einer "logischen Reihenfolge", sind "einander vor- oder nachgeordnet"l1. Anknüpfungspunkt für das DVV i. S. d. § 46 Abs. 3 sind die StrZTatsaChen, denn es sind - wenn auCh verallgemeinert gedaCht - Tatsachen, die als generell strafwürdig in den Straftatbeständen besChrieben sind. Was aber als StrZ-TatsaChe relevant sein kann und wie die jeweilige TatsaChe zu gewiChten (bewerten) ist, hängt wiederum von der Entscheidung ab, welche Strafzwecke zulässigerweise verfolgt werden dürfen. Wenn gleiChwohl auf eine Klärung der hochstreitigen Frage verziChtet wird, welChe Strafzwecke den RiChter bei der StrZ leiten dürfen und in welChem Verhältnis diese Zwecke ggflls. zueinander stehen, so reChtfertigt siCh dies aus folgenden Gründen: I So auch Bruns, strZ-Recht, S. 50 f. Auch aus der von Spendet abweichennen ~eschreibung der "Bewertungsgesichtspunkte" läßt sich letztlich nichts Gegenteiliges folgern. Bei Spendet kommt nur deutlicher zum Ausdruck, was der Sache nach auch schon in Peters' Modell angelegt ist, daß es nämlich bei dieser zweiten Funktion des "StrZ-Grundes" um die Erfassung des Realen, des "Was" geht. Auch nach Peters, Strafrichter, S.97 würde es eine Gesetzesverletzung sein, "wenn das Gericht glaubt, in der Auswahl der zu bewertenden Umstände frei zu sein"; es sind "lediglich die Tatsachen ... , die für die Strafbemessung maßgeblich sind", Strafrichter, S; 98. Ein Unterschied besteht also lediglich insoweit, als Petersversucht, aus den Bewertungsgrundlagen in einem Zwischenschritt die überhaupt zulässigen Tatsachen zu ermitteln, während Spendet die jeweild,gen Tatsachen des Einzelfalls auf ihren Bezug zu den Strafzwecken untersuchen würde. e Bruns, StrZ-Recht, AT, S. 34 ff.; ders., Henket-FS, S. 289 ff.; ders., StrZRecht, S. 46 ff. 7 Bruns, StrZ-Recht, S. 48 f., 613, 617ff.; ebenso Frisch, Probleme der StrZ, S. 21; zu dem dreistuftgen Modell vgl. auch Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 22. In JR 1980, 336 teilt Bruns den StrZ-Vorgang in fünf Phasen auf: Strafzwecke, StrZ-Tatsachen, Bewertungsrichtung, Abwägung und Umwertung. S Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 22. • Spendet, NJW 1964, 1760. 10 Dazu Bruns, StrZ-Recht, S. 50, 193 ff. tt So Bruns, StrZ-Recht, S. 52 unter Hinweis auf BayObLG, NJW 1956, 921.

II!. Zur Vorgehensweise bei der Strafzumessung

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Der Reformgesetzgeber des E 1962 war davon ausgegangen, daß das neue Strafrecht ein Schuldstrafrecht zu sein habe, dessen Grundsätze nicht nur aus § 60 Abs. 1 E 1962 (jetzt § 46 Abs. 1 Satz 1), sondern auch aus dem "Gesamtzusammenhang" des Gesetzes "deutlich genug (zu) erkennen"12 seien. Auf diesem Prinzip sei "der gesamte Entwurf aufgebaut"13. Schuld sei Vorwerfbarkeit, Gegenstand des Vorwurfs "die von dem bestimmten Täter begangene bestimmte Tat"14. Unter dem Einfluß des AE wurde zu einem sehr späten Zeitpunkt (nämlich in der letzten Beratung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform) der spezialpräventive Vorbehalt des § 46 Abs. 1 Satz 2 in das Strafgesetzbuch aufgenommen15. Eine Festlegung und Definition der Strafzwecke wurde -bewußt - vermieden18 . Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 ist also ein "Kompromiß"1'l'. In einem Punkt aber besteht - bei allen Streitigkeiten über die Strafzwecke im einzelnen - Einigkeit: Ausgangspunkt jeglicher StrZ ist die Tat des Täters, wie sie in den gesetzlichen Tatbeständen beschrieben ist18. Hier finden sich die Sachverhalte vorgeformt, von denen die StrZ auszugehen hat. Verschärft z. B. § 223 a beim Vorliegen bestimmter dort beschriebener Umstände die staatliche Sanktion gegenüber den in § 223 beschriebenen Fällen, so zeigt schon dies, daß es mit der Tat selbst zusammenhängende Umstände sind, die der Richter zu beachten hat19. Noch deutlicher wird dies in § 46 Abs. 2, der - nicht ·abschließend, wie die Verwendung des Wortes "namentlich" zeigt - die zusätzlichen Faktoren zu umschreiben sucht, die in erster Linie und regelmäßig für die StrZ-Entscheidung erheblich sind bzw. sein sollen20 • Es sind dies sämtlich Umstände, die sich auf die Schuld des Täters auswirken2 t, "sei es, daß sie den Grad des E 1962, Begr., S. 97. E 1962, Begr., S. 180. u E 1962, Begr., S. 180. 11 VgI. dazu Stratenwerth, Tatschuld, S. 9; Roxin, Pönometrie, S.56; s. auch BT-Dr. V/4094, S.4. 18 VgI. BT-Dr. V/4094, S. 4 f. Kritisch Drost, NJW 1955, 1258 aufgrund der Erwägung, es handle sich "im letzten nicht um Fragen der Erkenntnis, sondern des Wollens". 17 So Lackner, StGB, § 46 Anm. 3 a; v,gI. auch Lackner) Gallas-FS, S,117; kritisch Stratenwerth, Tatschuld, S. 13. Zu den Strafzwecken Peters, Randwörterbuch, S. 135; ausführlich Bruns, StrZ-Recht, S. 193 ff.; G. Hirsch, Vor § 46 Rdnr. 5 ff.; Roxin, JA 1980, 221 ff. Unter dem Aspekt des Art. 80 Abs.l Satz 2 GG hält Frisch, Probleme der StrZ, S. 151 FN 160 die Generalprävention als Strafzweck für problematisch. 18 VgI. nur Bruns, StrZ-Recht, S. 311 ff.; BGRSt 29, 319, 320. 11 Die Tatbestände beschreiben Unrecht, aber Unrecht jeweils verschiedenen Inhalts. 10 VgI. nur E 1962, Begr., S. 181. "Schuld" hier nicht verstanden als Teilaspekt der Tatbestandslehre oder als "Vorwerfbarkeit des begangenen Unrechts", sondern als Gesamturteil über die Tat; zu den verschiedenen Bedeutungen des Begrüfs "Schuld" s. u. 1. Teil VI. 2. 11 13

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots LS. d. § 46 Abs. 3

Unrechts und damit zugleich in der Regel auch das Maß der Schuld mitbestimmen, sei es, daß sie die Schwere des Schuldvorwurfs allein beeinfiussen"22. Als StrZ-Faktor ist eine Tatsache mithin nur verwertbar, wenn sie Schuldbezug hat. Welchen Umständen ein solcher Bezug zukommen kann, ergibt sich wiederum aus dem Gesetz in vielfältiger Weise selbst23 , hängt darüber hinaus aber auch davon ab, ob man den Schuld- oder aber den Tatbegriff der Tatbestandslehre auf die StrZ überträgt oder ob man dort einen weitergehenden Begriff zugrunde legen willZ4 • Soviel läßt sich sagen: die Funktion des DVV i. S. d. § 46 Abs. 3 wird durch die verschiedenen Auffassungen über die Strafzwecke, die auf der Grundlage des geltenden § 46 Abs. 1 vertreten werden, nicht präjudiziert. Und hiervon ausgehend: das DVV nach § 46 Abs.3 hängt mit den tatbestandlichen Beschreibungen der Delikte zusammen und deren Bedeutung für die StrZ innerhalb der jeweils angeordneten Strafrahmen. 2. Zur Bedeutung des § 46 für die Strafzumessung

Was aber ist mit den Umständen gemeint, "die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind"? Eine unbefangene Betrachtung des § 46 insgesamt ergäbe folgendes Bild: § 46 Abs. 1 Satz 1 macht die Schuld zur Grundlage der StrZ. Strafe ohne Schuld darf es nicht geben, und die verhängte Strafe muß schuldangemessen sein, d. h.: nicht nur die Strafe überhaupt wird von der Schuld des Täters abhängig gemacht, sondern auch Art und Höhe der Strafe25 • Die (auch) präventive Schutz aufgabe des Strafrechts betont § 46 Abs. 1 Satz 226 • Daß die Tat selbst nicht nur Anlaß der - nach anderen Gesichtspunkten zu bemessenden - Strafe ist, sondern den Ausgangspunkt der ~n­ haltlichen StrZ selbst darstellt, zeigt § 46 Abs. 2, der als strafzumessungsrelevant bestimmte Umstände hervorhebt, die bei der Bewertung der Tat zu beachten sind. Hierbei handelt es sich zum einen um UmE 1962, Begr., S. 182. Vgl. hierzu z. B. Spendel, NJW 1964, 1762 f. !t Vgl. E 1962, Begr., S. 180 f.; Lang-Hinrichsen, Engisch-FS, S. 353 ff.; Lackner, StGB, § 46 Anm.4. !S Vgl. dazu Lackner, StGB, § 46 Anm.l m. w. N.; s. auch u. 1. Teil IV. 4. FN68. 28 Vgl. dazu BGHSt 24, 40; daß der Strafe aber auch weiterhin schuldausgleichende Funktion zukommt, betont BGHSt 24, 132; s. auch BGHSt 29, 319, 320; dagegen Roxin, JA 1980,.547. Zur PrädQminanz des Schuld-SühnePrinzips nach Rechtsprechung und h. L. Vgl. G. Hirsch, LK, Vor § 46 Rdnr.19; s. auch Schäch, StrZ-Praxis, S. 62 ff.; Dreher, Pönometrie, S.40; Peters, Handwörterbuch, S.135. Zur Gliederung des StrZ-Vorgangs vgl. Jescheck, AT, S. 701 ff.; Bockelmann, AT, S. 235 fI. ZI 23

III. Zur Vorgehensweise bei der Strafzumessung

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stände, die mit dem äußeren Erscheinungsbild der Tat27 , zum anderen um solche, die mit den "unmittelbaren seelischen Wurzeln der Tat" zusammenhängen28 • Da § 46 Abs.2 die bei der StrZ verwertbaren Umstände nicht abschließend umschreibt, also auch andere als die dort genannten in Betracht kommen, stellt § 46 Abs. 3 - negativ - klar, daß jedenfalls Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes nicht StrZ-Faktoren (Umstände i. S. d. § 46 Abs. 2) sein können. Es ist deshalb richtig, wenn Bruns29 sagt: "Tatbestandsmerkmale sind eben keine StrZ-Gründe für den Richter!" Diese Erkenntnis führt nun aber über den schon vom Wortlaut nahegelegten Sinn nicht hinaus, verhilft folglich auch nicht zur richtigen Bestimmung der Grenze, jenseits derer das generelle Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes berücksichtigt werden darf30 • Was aber gehört "noch" zur tatbestandlichen Beschreibung und was ist - vom Tatbestand aus betrachtet - "schon" verwertbare StrZ-Tatsache? Was ist unter den "Umständen" i. S. d. § 46 Abs. 3 zu verstehen? Sind damit die konkreten Tatsachen gemeint, aufgrund deren der Richter ein Tatbestandsmerkmal als gegeben betrachtet? Dies scheint Zipf! zu meinen, wenn er von der "Vertatbestandlichung von Umständen" spricht, "die sonst als StrZ-Faktoren erscheinen müßten" und deren nochmalige Verwertung er wegen § 46 Abs. 3 als verboten erachtet. Aber das würde bedeuten, daß die verwertbaren StrZ-Tatsachen immer außerhalb des Bereichs zu suchen wären, der durch die Tatbestands merkmale allgemein beschrieben ist. Doch wird diese Folgerung von niemandem gezogen, soll vielmehr nach einhelliger Meinung zwar nicht die Erfüllung des Tatbestandes, wohl aber die konkrete Art seiner Verwirklichung strafzumessungsrelevant sein, denn - so heißt es -: "Modalitäten, -also Steigerungen oder Abschwächungen in der graduellen Verwirklichung des Tatbestandes (dürfen) als StrZ-Gründe benutzt werden"32. Das Verbot finde dort seine Grenze, wo Erfolg und Begehungsart über die "Normalfälle" hinausgingen, die die gesetzliche Vertypung im Auge habe33 • Dieser Deutung liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Tatbestände "Normalfälle" beschreiben, und für den Geltungsbereich des DVV wird hieraus der Schluß gezogen, daß ein Umstand, der Tatbestandsmerkmal Dazu Lackner, StGB, § 46 Anm.4 a. E 1962, Begr., S. 181. 29 Bruns, StrZ-Recht, S. 364; ders., Leitfaden, S. 109. 30 S. schon o. 1. Teil 1. 2. und 4. 31 Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 97 f. 32 Bruns, StrZ-Recht, S. 369. 33 Bruns, StrZ-Recht, S.369 unter Berufung auf Maurach, AT, S. 845; vgI. auch Bruns, Leitfaden, S. 112. 27

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

ist, immer dann verwertet werden darf, wenn er über das dem Tatbestand zuvor unterlegte "normale Maß" hinausgeht. Die verwertbare "Modalität" würde sich alsdann vom Umstand i. S. d. § 46 Abs. 3 nicht qualitativ, sondern nur quantitativ unterscheiden. Ob dieses Verständnis zutrifft, was unter anderem auch vOn der Richtigkeit seiner Prämisse (der in den Tatbeständen beschriebenen "Normalfälle") abhängt, wird noch eingehend zu prüfen sein34 • Vorab soll aber die Aufmerksamkeit einer anderen These gewidmet werden, die sich in allen wesentlichen Stellungnahmen zur Bedeutung des DVV i. S. d. § 46 Abs.3 findet, nämlich die Begründung des Verbotes mit dem "arbeitsteiligen Zusammenwirken und der Aufteilung der Verantwortung für die richtige Strafe zwischen Gesetzgeber und Richter"35. Wie sieht nun diese Arbeitsteilung aus? Von der Beantwortung dieser Frage ist offensichtlich auch Inhaltliches im Hinblick auf die Bedeutung des DVV zu erwarten, denn "den Teil der Strafbemessung, den bereits der Gesetzgeber in genereller Weise gelöst hat, ... darf der Richter nicht mehr für sich bei der konkreten Strafbemessung in Anspruch nehmen"36. Was also ist unter diesem vom Gesetzgeber schon vorab generell gelösten "Teilbereich der Strafbemessung" zu verstehen? Was ist durch das Gesetz schon gelöst oder, anders gefragt, welche Methode liegt der Bildung der Straftatbestände zugrunde und auf welcher Vorstellung basiert wiederum diese Methode? IV. Die Ausgestaltung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber 1. Die Bedeutung des Art. 103 Abs. 2 GG für die BOdung von straftatbeständen

Art. 103 Abs.2 GG (§ 1 wiederholt die Norm) bestimmt, daß nur ein Verhalten bestraft werden kann, das bereits zur Tatzeit durch das Gesetz mit Strafe bedroht war. Das sich aus Art. 103 Abs.2 GG ergebende Bestimmtheitsgebot dient der Gewährleistung gleicher Rechtsanwendung, ist aber auch ein Gebot der Vorausberechenbarkeit des Rechts~

Dazu s. u. 1. Teil VIII. Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 97; Bruns, Leitfaden, S.109. ae Zipf, Die Strafma.ßrevision, S. 97 f.; ders., Die Strafzumessung, S.40. 1 Vgl. im einzelnen SchönkelSchröderlEser, § 1 Rdnr. 1 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung Kohlmann, Bestimmtheitsgebot, S. 149 ff., 215 ff.; Schreiber, Gesetz und Richter, S. 32 ff.; Jescheck, AT, S. 103 ff. m. W. N. I BVerfGE 14, 245, 252; BVerfGE 26, 41, 42; BVerfGE 25, 269, 285; BVerfGE 37, 201, 207. U

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IV. Die Ausgestaltung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber

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sowie Voraussetzung des Schuldstrafrecht~. Der einzelne als Adressat der Strafnormen kann sein Verhalten an diesen Normen nur ausrichten, wenn er weiß oder zumindest wissen kann, was unter Strafdrohung verboten ist4 • Des weiteren soll hierdurch gewährleistet werden, daß der Rechtswille der Volksvertretung im Text so deutlichen Ausdruck findet, daß eine subjektiv eigenmächtige Entscheidung des Richters ausgeschlossen ist (Grundsatz der Nachprüfbarkeit5 ). Das heißt aber nicht, daß ein Strafgesetz so eindeutig gefaßt sein müßte, daß es zur Ermittlung seines Sinnes seitens des Richters nur noch der logischen Deduktion bedürfte6 • Der Gesetzgeber muß vielfach auch im Strafrecht mit Generalklauseln und wertausfüllungsbedürftigen (unbestimmten) Begriffen arbeiten 7 ; sie sind ""unentbehrlich", weil "ohne derartige Begriffe ... der Gesetzgeber der Vielgestaltigkeit des Lebens nicht Rechnung tragen (könnte)"s. Zudem hat gerade die moderne Methodenlehre gezeigt, daß selbst bei scheinbar deskriptiven Begriffen ohne Wertung nicht auszukommen ist9 • Heute besteht Einigkeit, daß die Vorstellung der Aufklärung, es sei möglich, inhaltlich vollständige Strafgesetze zu formulieren, welche jegliche auslegende oder wertende Tätigkeit des Richters überflüssig machten, nicht haltbar ist, noch jemals war. So ist auch der Richter nicht eine Subsumtionsmaschine, "la bouche qui prononce les paroles de la loi", wie Montesquieu10 glaubte l1 • Dies gilt auch für die Tätigkeit des Richters bei der StrZ, wie schon mehrfach deutlich geworden ist. BVerfGE 20, 323, 331; BVerfGE 27, 18,29; BVerfGE 45, 187, 259 f. , BVerfGE 28, 175, 183; BVerfGE 33, 206, 219; BVerfGE 37, 201, 207; vgl. auch Grünwald, ZStW 76 (1964), 9 ff.; Lenckner, JuS 1968, 304; SK-Schreiber, § 1 Rdnr. 10. Kritisch Lemmel, S. 75 ff., 156 f. S Dazu Jescheck, AT, S.108; SK-Schreiber, § 1 Rdnr.I-3, 10 ff.; Schönke! Schröder!Eser, § 1 Rdnr.1, 8, 20 ff. e So aber Drost, NJW 1955, 1256 f.; Claß, Eb. Schmidt-FS, S. 124; vgl. auch Baumann, Summum ius, S. 127 FN 37. Gegen die Annahme, der Rechtsfindung liege ein rein deduktives Verfahren zugrunde, auch Art. Kaufmann, Analogie, S.8ff. 1 BVerfGE 37, 201, 208 m. w. N.; Lenckner, JuS 1968, 304 ff. 8 BVerfGE 4, 352, 358; BVerfGE 26, 41. 8 Hassemer, Tatbestand, S. 65 ff., 84 ff., 96 ff.; ders., Strafrechtsdogmatik, S. 29 ff.; Esser, S.62; Gössel, Peters-FS, S. 44 ff.; Engisch, zstW 90 (1978), 664 ff. Zur "Wertfrage" vgl. auch Noll, Gesetzgebungslehre, S. 125 ff., 134ff. 10 Montesquieu, De l'Esprit des lois, livre 11, chapitre 6, S. 149; vgl. auch den deutschen Text "Vom Geist der Gesetze", S.225. Dagegen Isay, S. 20 ff. Zu den Kommentierungsverboten der Gesetze in der Zeit der Aufklärung vgl. Küper, Richteridee, S. 34 ff., insbes. 44 ff. Gegen das Postulat vollkommener und eindeutiger Gesetze vgl. auch Lenckner, JuS 1968, 256; Art. Kaufmann, Analogie, S. 6 f.; ferner Heinitz, Individualisierung, S. 1 ff. U Vgl. Schönke!Schröder!Eser, § 1 Rdnr. 20 ff.; Jescheck, AT, S. 119 ff.; Hassemer, Strafrechtsdogmatik, S. 29 ff.; ders., ZStW 90 (1978), 74 f.; Engisch, ZStW 90 (1978), 665 ff.; ders., Einführung, S. 55 ff.; Schünemann, S. 10 f. I

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

Ob ein Verhalten einem Straftatbestand unterfällt, kann der Richter nur durch Interpretation seiner Begriffe ermitteln12. Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Normen nicht so bilden kann, daß ihr Sinn durch logische Deduktion allein geklärt werden könnte, ist nun aber nicht zu folgern, daß der Gesetzgeber die W eTtentscheidungen nic.~t grundsätzlich selbst zu treffen hätte. Vielmehr bleibt es trotz dieser Erkenntnis dabei, daß das Parlament die sozialethischen Maßstäbe vorentscheiden muß13. "Der Gesetzgeber hat den Unwerttypus einzufangen"14. Das Schwergewicht der Ausformung der Gesetze muß beim Gesetzgeber liegen15. Das Gesetz muß also einen festen Rahmen bildenl6 • 2. Die Gesetzgebungsmethode bei der Tatbestandsformulierung auf der Grundlage des Art. 103 Abs. 2 GG

Dem Gesetzgeber stellen sich bei Erfüllung dieser Anforderungen mehrere Fragen: Was soll- qualitativ - überhaupt strafbar sein? Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, welche Aufgaben man dem Strafrecht zumißt. Im deutschen Strafrecht bedeutet das: Welches sind die "elementaren Grundwerte des Gemeinschaftslebens" , die es zu schützen gilt. Im Anschluß daran ist vom Gesetzgeber zu entscheiden, welche Bedeutung dem je zu schützenden Grundwert im Verhältnis zu anderen zukommt; an dieser Stelle ist also seine (quantitative) Wertigkeit zu bestimmen17 • Der zweite Schritt setzt voraus, daß man die Grundwerte insoweit einer unterschiedlichen Bewertung für zugänglich hält, was sich dem Strafgesetzbuch angesichts der unterschiedlichen Strafdrohungen unmittelbar entnehmen läßt. Oft ist aber nicht jegliche denkbare Beeinträchtigung eines "Grundwertes" als solche unter Strafe gestellt, sondern diversifiziert das Gesetz nach zusätzlichen Gesichtspunkten18. Es beschreibt dann nicht nur 12 Daß der Anteil der Rechtsprechung an der Gestaltung der Rechtswirklichkeit des strafbaren Unrechts groß ist, betont auch Baumann, Summum ius, S.127. 13 Maiwald, Gallas-FS, S. 148 f. 14 Maiwald, Gallas-FS, S. 149. 15 Lemmel, S. 172. 16 Lemmel, S. 172. 17 An der Spitze einer so erstellten Rangordnung der Werte steht das Leben als das höchste Gut. Zu dieser Rangordnung vgI. auch Wahle, Rechtsnatur, S.33 m. w. N. Daß Strafrecht Schutzrecht ist, ist heute h. M.; vgI. Roxin, JuS 1966, 381; Rudolphi, Honig-FS, S.151, 154 ff.; MaTx, S.8, 24, 60 f., 70 ff.; Maiwald, MauTach-FS, S. 22; Otto, S.l; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 2; DTeheT, BTuns-FS, S. 148 m. w. N. 18 Sie können aber die Strafbarkeit auch "begrenzen". So kennt das StGB kein generelles Delikt der Verletzung fremden Eigentums, sondern stellt nur Ausschnitte hieraus unter Strafe. Von einem solchen gedachten generellen

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die "Verbotsmaterie"19, also das Verhalten, welches von einem abstrakten Normbefehl ("du sollst nicht töten", "du sollst nicht andere verletzen") verboten ist, sondern es enthält zusätzlich weitere Merkmale und bildet so neue (speziellere) TyPen heraug2ll. Die Vielfalt der tatbestandlichen Beschreibungen zeigt, daß nicht nur der Wert des geschützten Rechtsgutes als solcher selbständiger Gradmesser ist, sondern z. B. auch das Ausmaß deI' Beeinträchtigung (Gefährdung oder Verletzung), die (potentielle) Gefährlichkeit der eingesetzten Mittel, aber auch der Grad der Verwerflichkeit der inneren Beziehung des Täters zu seiner Tat (Beweggründe, Vorsatz, Fahrlässigkeit) von Bedeutung sein können. Ausgehend von den Anforderungen, die dem Gedanken des Art. 103 Abs. 2 zugrunde liegen, bedient sich der Gesetzgeber bei Formulierung der Straftatbestände der Abstraktion20 ; d. h. er beschreibt nicht die Lebenswirklichkeit(-en) in concreto, sondern er verwendet Begriffe, die losgelöst vom Einzelfall die Voraussetzungen der Strafbarkeit beschreiben. Seine Methode besteht - kurz gesagt - darin, Lebenssachverhalte, die einen gemeinsamen, gleichartigen (begrifflichen) Kern aufweisen, so weit zu verallgemeinern, daß von den Begriffen, die diesen Kern ausmachen, alle konkreten denkbaren Fälle erfaßt werden. Hierbei ist natürlich darauf zu achten, daß den gefundenen Begriffen auch nur die Fälle unterfallen, die mit Strafe bedroht sein sollen21 , daß sie m. a. W. nicht zu weit sind. Erfaßt ein Begriff umgekehrt nicht alle Fälle, die in die Norm einbezogen sein sollen, so ist er zu eng22 • Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Ein Gesetz, das alle vorsätzlichen Tötungen erfassen soll, wäre zu eng gefaßt, wenn es sich darauf beschränkte, nur bestimmte Handlungen allgemein zu beschreiben, z. B. das Erstechen, Erschießen und Ertränken. Viele andere Verhaltensweisen - z. B. Vergiften, Erwürgen usw. - wären durch diese Begriffe nicht erfaßt. So beschriebe zwar "Erschießen" alle denkbaren Arten dieser Handlung, und es ließe sich auch im Wege der Auslegung herausarbeiten, welche Tatmittel durch diesen Begriff erfaßt wären, eine Ausweitung dieser "relativ konkreEigentumsdelikt her gesehen wirken die Voraussetzungen z. B. der §§ 242, 248 b, 303 strafbarkeitsbegrenzend; de lege lata sind sie strafbarkeitsbegrundend. 18 Zum Begriff Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S.49. 2G Vgl. dazu schon Wahlberg, S. 11 ff.; Beling, Methodik, S.63. S. auch Wahle, Rechtsnatur, S. 27 ff.; Puppe, S. 22 ff.; ausführlich dazu u. 1. Teil IV.

5. b.

21 Beling, Methodik, S. 17 ff., 80 ff.; dazu auch Hassemer, Radbruch-GS, S. 288 f., der aber meint, ein "idealer" Strafrahmen sei utopisch. Allgemein zur Gesetzgebungstechnik NoH, Gesetzgebungslehre, S. 255 ff., 264 ff. 22 Vgl. dazu Hassemer, Tatbestand, S.91.

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L Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

ten" Handlungsbeschreibungen auf z. B. "Erwürgen" wäre jedoch nicht möglich. Will nun aber der Gesetzgeber alle denkbaren vorsätzlichen Handlungen erfassen, die den Tod eines Menschen herbeüühren kön:" nen, .so ist er genötigt, einen Begriff zu suchen, der so abstrakt ist, daß er alle denkbaren· Handlungsweisen erfaßt. Der Begriff, der diesen Anforderungen gerecht wird, ist der des "Tötens". Er umfaßt - da er (lediglich) den verpönten Erfolg umschreibt - auch alle speziellen Modalitäten, die den Tod eines Menschen herbeizuführen geeignet sind. Alle diese Modalitäten weisen also diese Eigenschaft auf. "Töten" stellt sich als ihr gemeinsamer Oberbegriff dar. Er ist "weiter" als jene. In dieser exemplarisch dargestellten Art geht der Gesetzgeber immer vor; er "reduziert" die Lebensphänomene auf die ihnen im Hinblick auf die strafrechtlichen Bedürfnisse gemeinsamen Kerne (Begriffe) und setzt sie als Tatbestandsmerkmale in die Norm ein. Er macht sich die Möglichkeit der Abstraktion zunutze; diese versetzt ihn zugleich in den Stand, die Zahl der Straftatbestände relativ gering zu halten23 • Die Abstraktionshöhe eines Begriffs bestimmt sich hierbei nach den jeweiligen Bedürfnissen. Je mehr Verhaltensweisen erfaßt werden sollen - je größer also das Anwendungsfeld des Begriffes sein soll - , desto abstrakter muß. er sein. Jedes Strafgesetz besteht mithin aus je nach Bedürfnisverschieden weit verallgemeinerten Begriffen, die dann in ihrer Gesamtheit den Tatbestand (i. e. S,) bilden24• So gesehen ist der Tatbestand des § 212 der Inbegriff der für den "Totschlag" als solchen (also allgemein gesehen) charakteristischen Merkmale2/;. Er umfaßt alles für den Verbotssinn des Totschlags "Typische"~. Er beschreibt das insoweit Notwendige, die "Mindesterfordernisse" der Strafbarkeit unter dem Aspekt des (jeweiligen) Tatbestandes als Strafbarkeitsvoraussetzung27 • Mit Hilfe dieser Methode ist es dem Gesetzgeber !S Vgl. hierzu Wach, VD, AT, VI. Band, S. 1 ff.; Beting, L. v. V., S.325; ders., Methodik, S. 63; Puppe, S. 53 ff., 77 ff. z, Diese Methode liegt auch der Bildung von Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründen zugrunde. !5 Entsprechendes gälte für die "Körperverletzung" gern. § 223, die "Nötigung" gern. § 240, den "Raub" gern § 249; freilich ist zu beachten, daß diese Tatbestände schon mehrere "Typen" enthalten. 28 Dazu Jescheck, AT, S. 101 f., 196; s. auch Wahle, GA 1969, 170: "Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck strafrechtlicher Tatbestände, aus menschlichen Verhaltensweisen das Typische und Gemeinsame zu abstrahieren ..."; Hub, S.45: ("Typisieren" bedeutet "Generalisieren" oder Abstrahieren von Gemeinsamkeiten). Zum (verschieden gebrauchten) Begriff des Typus allgemein Hassemer, Tatbestand, S. 111 ff.; s. auch u. 1. Teil V. 5. 17 Diese Technik der Gesetzgebung unterliegt ihrerseits wieder den SchrF-nken des Art. 103 Abs. 2 GG. Die Grenze zulässiger Abstraktion wäre überschritten, wenn der Gesetzgeber z. B. anstatt oder neben den im StGB vorgesehenen Straftatbeständen folgende "Norm" einführte: "Jeder Schurke wird bestraft. Schurke ist, wer elementare Grundwerte der Gemeinschaft

IV. Die Ausgestaltung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber

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also möglich, einerseits den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG hinsichtlich der Tatbestandsbestimmtheit gerecht zu werden, andererseits alle Verhaltensweisen sachgemäß zu erfassen, die nach seinem Willen mit Strafe bedroht sein sollen. Der Normanwender seinerseits hat, wenn es um die Frage der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens geht, unter Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden zu fragen, ob dieses Verhalten von den abstrakten Gesetzesbegriffen erfaßt ist, ob diese den konkreten Sachverhalt mit "meinen". Im Einzelfall kann es sehr problematisch sein, ob eine Tatsache einem abstrakten Begriff noch unterfällt, ob sie noch - dessen konkrete Erscheinungsform darstellt oder nicht. Auch in derartigen Grenzfällen kann es aber immer nur ein "richtiges" Ergebnis geben; entweder sind die Anforderungen des Begriffs erfüllt oder sie sind es nicht. Die Entscheidung hängt davon ab, ob man die konkrete Tatsache "auf den (allgemeinen) Begriff bringen" kann. Zu beachten ist also immer: die Tatbestandsmerkmale sind abstrakte Begriffe, die Straftatbestände als Summe bestimmter funktional zusammenhängender Tatbestandsmerkmale abstrakte Befehle28 . Sie beschreiben das "Wesentliche", nicht aber sind sie die beschriebene Tat selbst. Wenn A die dem B gehörende Uhr vernichtet, so ist das "eine" Sachbeschädigung i. S. d. § 303, nicht aber ist die Tat "Sachbeschädigung schlechthin"29; denn die Tatbestände sind hicht die einzelnen Taten (Verbrechen) selbst, sondern sie beschreiben die Verbrechensarten3o •

oder Einzelner verletzt. Die Strafe ist lebenslange Freiheitsstrafe, zeitige Freiheitsstrafe oder Geldstrafe". Vgl. dazu schon Beling, L. v. V., S. 21 f.; ders., Methodik, S. 59 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S.49. Zur "Bedeutungsd4chte" der Tatbestandsumschreibungen vgl. Baumann, Stummum ius, S. 125 ff., insbes. FN 26. Zutreffend weist H. Mayer, Gutachten, S. 260 f., 271 darauf hin, daß die eigentliche Gefahr für den Grundsatz "nulla poena sine lege" von seiten des unbestimmten Strafgesetzes droht. Vgl. auch Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 49 f.; Schünemann, S. 6, 29 ff. 28 Zum funktionalen Zusammenhang Hassemer, Tatbestand, S.14. 19 Nur im Ergebnis wie hier Hassemer, Tatbestand, S. 110: "Die Tatbestände sind durch ihre Funktion von der Wirklichkeit in einer bestimmten Weise abgesetzt, dies weil sie die Wirklichkeit nicht beschreiben, sondern bewertend "richten" sollen. Sie vermitteln eine bestimmte "Sicht" von Wirklichkeit. Sie sind zwar nicht das Allgemeine, die Gattung, aber auch nicht das Einzelding, die Wirklichkeit als Faktum". Das hier Gemeinte findet sich schon bei Aristoteles, Nikomachische Ethik, Nr.1135 a: "Jede Rechts- und Gesetzesbestimmung steht zum Einzelfall im selben Verhältnis wie das Allgemeine zum Einzelnen: die Formen des HandeIns sind mannigfach, die Bestimmung aber ist jeweils nur eine, da sie ~die Einzelfälle) als Allgemeines umfaßt". Vgl. hit:rzu auch Engisch, Konkretisierung, S.178 und schon Beling, Methodik, S.63. 30 S. auch Art. Kaufmann, Analogie, S.9, 33 ff.; Hassemer, Tatbestand, S. 66 ff.; aus sprach theoretischer Sicht Puppe, S. 18 ff. 5 Hettlnger

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1. Teil: Bedeutung des Doppelverwertungsverbots i. S. d. § 46 Abs. 3

3. Die Interdependenz von Tatbestandsformulierung und Strafrahmenbildung

Diese Konzeption muß nun Konsequenzen auch für die Strafrahmen auf der Rechtsfolgenseite haben, aber nicht nur für den Gesetzgeber, der sie schafft, sondern auch für den Richter, dem sie für die Strafzumessung an die Hand gegeben werden. Auf ihre Bedeutung ist nunmehr einzugehen, denn "die Strafrahmen ... sind in mehrfacher Hinsicht präjudiziell für die Methode und das Ergebnis des Strafzumessungsvorgangs"31. So führt denn auch Bruns32 die Unzulässigkeit der DV "letzten Endes auf die Bedeutung des Strafrahmens33 für den gesetzlichen Tatbestand" zurück34• Es wäre denkbar, daß der Gesetzgeber für den Schutz eines Rechtsguts nur eine Strafnorm vorsieht, also z. B. für alle vorsätzlichen Tötungen einen Straftatbestand in Form des heutigen § 212 Abs. 1 formuliert35 • Hierdurch wären - wie schon gezeigt - auf seiten der StrafSo Bruns, StrZ-Recht, S. 73; s. auch Zipf, Die Strafmaßrevision, S.40. Bruns, StrZ-Recht, S. 368. 83 Hervorhebung von Bruns. 84 Wie ja auch die Begründungen des E 1960, S. 171 und des E 1962, S. 181 betonen, daß die Tatbestandsmerkmale den Gesetzgeber bei Aufstellung der Strafrahmen geleitet hätten, weshalb sie auf der gesamten Breite dieses Rahmens bereits berücksichti,gt seien. 85 In diesem Sinn will Schröder, SJZ 1950, 560 ff. in den §§ 211 ff. nur graduelle Differenzierungen sehen. Vgl. auch Schröder, NJW 1952, 649 f. Schröder folgert, daß es nur StrZ-Gründe seien, die die Tatbestände der Tötungsdelikte voneinander trennten. Deshalb sei die Schaffung eines generellen Tatbestandes mit weitem Strafrahmen möglich. Angesichts der erheblichen wertmäßigen Unterschiede der einzelnen Fälle könne aber eine gesetzliche Abstufung wünschenswert sein. Wenn der Gesetzgeber tatbestandlich in irgendeiner Form Stellung nehme, so könne dies nur eine gesetzliche Fixierung von StrZ-Gründen sein und keine begriffliche Unterscheidung zum Ziel haben. Es gehe hier nur um die Bestimmung graduell verschiedenen Unrechts, nicht um die Schaffung von Deliktstypen mit eigenem Unrechtsgehalt. Gäbe es nur derartige (Grund-)Tatbestände ("Urtypen"), so wäre Schröders Argumentation zutreffend. Soweit das Gesetz aber speziellere Delikte mit eigenen Strafrahmen kennt, kann dies nicht gelten. So sind z. B. alle qualifizierenden Tatbestände zwar "nur" Unterarten (Untertypen) des jeweiligen (weiteren) Grundtatbestandes, gleichwohl sind sie "begrifflich" und nicht lediglich vertypte StrZ-Gründe, denn alle ihnen unterfallenden Taten haben in Form des jeweils angeordneten, vom Grundstrafrahmen abgehobenen Sonderstrafrahmens eine eigene generelle Bewertung erfahren. Im übrigen kann der Gesetzgeber durchaus und jederzeit "quantitative" Gesichtspunkte zum Anlaß nehmen, ein neues, abgehobenes Delikt zu schaffen und damit eine neue "Qualität"; vgl. dazu schon Claß, Diss., S. 59 ff. Was begrifflich und was "nur" StrZ-Grund ist, bestimmt sich also nicht unabhängig von der Strafgesetzgebung - nach Urtypen und ihren Ableitungen -, sondern anhand der Gesetzgebung selbst. Wo diese generalisierte qualitative Unterscheidungen aufweist, handelt es sich um Tatbestandsbildung, um Begriffliches und nicht nur um StrZ-Gründe; vgl. hierzu auch Marx, S. 74 ff., der zutr. der Schröderschen Kategorisierung insoweit eine geringe materiale Aussagekraft zumißt, als "in gewisser Weise" alle Deliktsmerkmale benannte StrZ-GrüIllde seien; das Verbrechen sei im Grunde ein einheitliches Phänomen, "ganz Handliung, ganz 31

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IV. Die Ausgestaltung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber

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barkeitsvoraussetzungen alle denkbaren, überhaupt für strafwürdig erachteten Taten erfaßt, denn § 212 ist als "Grundtatbestand" begrifflich die Basis aller denkbaren vorsätzlichen Tötungsdelikte36 • Gleiches gilt z. B. für die §§ 223, 242 des geltenden Rechts. Hier wird jeweils das beschrieben, was "die Körperverletzung", "den Diebstahl" ausmachen soll. So greifen §§ 223 a ff. den § 223 immer wieder auf, werden neue Tatbestände gebildet, spezielle Ausschnitte aus dem einen Delikt der Körperverletzung 3T • Für die Rechtsfolgenseite einer so gestalteten, das ganze Feld möglicher Erscheinungsformen abdeckenden Norm hätte das - wenn man die de lege lata vorgesehenen Strafdrohungen als Bewertungsmaßstäbe berücksichtigt - sehr weite Strafrahmen zur Folge, nämlich z. B. für vorsätzliche Tötungen von 6 Monaten bis zu 15 Jahren bzw. lebenslanger Freiheitsstrafe38 • Eine den Richter leitende Vorwertung des Gesetzgebers wäre aber einem solchen Delikt nicht mehr zu entnehmen, zumal, verführe man mit anderen Deliktsgruppen ebenso, auch diese auf ihren gemeinsamen Nenner reduzierten Straftatbestände ähnlich weite Strafrahmen zur Folge hätten (für Diebstahl z. B. von 1 Monat bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe). Der Gesetzgeber würde bei einem solchen Vorgehen eine Arbeit auf den Richter abwälzen, zu der er - wie das geltende Recht zeigt - jedenfalls grundsätzlich selbst in der Lage ist. Der Richter wiederum wäre gezwungen, mangels gesetzlicher Anhaltspunkte selbst eine Abschichtung der Erscheinungsformen einschlägiger Taten vorzunehmen, mit der praktischen Folge, daß die Strafmaßbestimmung noch ungleichUnrecht, ganz Schuld". Tatbestandsmerkmal sei "das, was als Merkmal in einen Tatbestand aufgenommen ist". 36 Hiervon soll mit der h. L. zu § 212 ausgegangen werden. Natürlich kann man gleichwohl - mit dem BGH - zwischen § 212 und § 211 einen auch qualitativen Unterschied postuHeren; diese "Qualitätsdifferenz" vermag aber nicht abzuleugnen, daß auch ein Mord eine vorsätzliche Tötung ist. Sie liegt auf einer ganz anderen Ebene als derjenigen, auf welcher sich die Argumentation hier bewegt, kann die insoweit bestehende Verwandtschaft der §§ 212 und 211 nicht bestreiten, sondern höchstens für irrelevant "erklären", weil andere - neu eingeführte, die Tat bewertende - Gesichtspunkte den Ausschlag geben sollen. 17 Die innere Verwandtschaft, aufgrund derer diese spezielleren Tatbestände aus dem Grundtatbestand hervorgehen, wird auf der Konkurrenzebene bestätigt; infolge Spezialität besteht gar keine echte Konkurrenz, denn der Grundtatbestand ist mit logischer Notwendigkeit im speziellen Delikt enthalten. Es Hegt dieselbe Verbotsnorm zugrunde. S8 Dies meint auch Schröder, Mezger-FS, S. 426, wenn er feststellt, daß etwa ein bestimmtes Merkmal, das zur Abschichtung eines Qualifikationstatbestandes vom Grundtatbestand führt, mit gleichem Recht vom Richter bei der StrZ verwendet werden könnte, wenn nur der Strafrahmen des Grunddeliktes bis zur Grenze des Rahmens der Qualifikation erweitert würde; vgl. dazu Schröder, SJZ 1950, 560 ff. und eben FN 35; s. ferner Schröder, Gutachten, S. 81 ff.; Peters, Gutachten, S. 11 ff. und schon John, S. 163 ff.

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mäßiger wäre, als sie es heute schon ist39 • Auch die Rechtsprechung der Obergerichte wäre wohl kaum in der Lage, eine wenigstens dem heutigen Zustand annähernd gleichwertige StrZ zu gewährleisten. Eine Bin"'; dung der Richter an vorgängige Wertentscheidungen des Gesetzgebers bestünde letztlich nur noch bezüglich der Strafbarkeitsvoraussetzungen, wohingegen die Rechtsfolgebestimmung de facto ganz auf die Rechtsprechung verlagert wäre. Es liegt auf der Hand, daß, je mehr Wertungen der Gesetzgeber (auch in quantitativer Hinsicht) vorwegnimmt, desto enger die Bindung des Richters an den Willen des Gesetzes und desto gleichmäßiger die StrZ ist40 . Andererseits besteht bei weitgehender Vorwegnahme der Wertungen in Form einer Fülle mit verschiedenen Strafdrohungen versehener speziellerer Straftatbestände die Gefahr der Unübersichtlichkeit des Strafgesetzes. Es wäre im übrigen aber auch eine Illusion, zu glauben, man könnte der "Vielfalt des Lebens" durch eine entsprechende Vielfalt der Straftatbestände gerecht werden, die aufgrund ihrer Spezialität mit einem recht engen Strafrahmen auskommen könnten41 . Auch diese Methode müßte - konsequent durchgeführt - "zur Ungleichmäßigkeit der StrZ, letzten Endes zur Willkür"4~ führen43 • Die "Vielfalt des Lebens" läßt sich zwar auf Begriffe bringen, bei den Wertungen in Form der Strafrahmen wird aber immer deutlich werden müssen, daß unterschiedlichste Sachverhaltskonstellationen erfaßt sind, die entsprechend unterschiedliche Strafwürdigkeitsgrade aufweisen, so daß der gesetzgeberische Willensakt einer "radikalen Verengung Vgl. auch Baumann, Peters-FS, S.l1; Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, S. 419 f. Freilich muß der Gesetzgeber seinerseits darauf achten, daß ihm bei der Strafrahmenbildung keine widersprüchlichen Bewertungen unterlaufen; vgl. dazu allgemein Beling, Methodik, S. 19 f.; s. auch kritisch hinsichtlich der Sorgfalt und systematischen Folgerichtigkeit Bruns, StrZ-Recht, S. 75 f.; Zipf, JR 1976, 25; U. Frank, NJW 1977, 686; Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, S.420; Dreher, Bruns-FS, S. 150 ff. 41 Etwa durch einen Katalog von Tatbestandstypen der Art, wie Frisch, Probleme der StrZ, S. 191 ff. sie als Typenbildung innerhalb des StrZ-Vorgangs postuliert. Diese fallvergleichende Methode, die den Strafrahmen eines Tatbestandes anhand "typischer" Leitfälle jeweils auf engere Ausschnitte begrenzen will, ist zwar theoretisch denkbar, aber in der Praxis nicht durchführbar, worauf unter revisionsrechtloichen Aspekten schon Koffka, ZStW 84 (1972),689 hingewiesen hat; dazu s. auch 1. Teil VIII. 2. a. FN 35. n Zur Problematik vgl. Radbruch, VD, AT, 111. Band, S.189; Geerds, Engisch-FS, S. 406 ff.; Bruns, StrZ-Recht, S. 74 f. Letztlich handelt es sich hier um den Konflikt zwischen der formellen und der materiellen Komponente der Rechtsstaatlichkeit, zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit im Einzelfall; vgl. dazu Art. Kaufmann, Analogie, S. 39 f.; Lenckner, JuS 1968,305 ff. n Die Frage ist streng von der rechtspolitischen zu trennen, ob die Strafrahmen des geltenden Rechts generell - vor allem nach oben - zu weit gespannt sind, also die generalisierte Bewertung des Gesetzes nicht mehr mit den heutigen Wertvorstellungen übereinstimmt. 3D

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der Strafrahmen", wie sie vor allem Sarstedt44 gefordert hat, zwar der Forderung nach Gleichmäßigkeit der Strafen Rechnung trüge, dabei aber die Einzelfallgerechtigkeit aus den Augen verlöre45 • Das Extrem an Ausblendung der Vielgestaltigkeit des Lebens ist die starre gesetzliche Wertentscheidung in Form einer absolut bestimmten Strafe, wie sie de lege lata § 211 darstellt. Alle denkbaren Verwirklichungen des Tatbestandes hat der Gesetzgeber hier der gleichen Strafe für würdig erachtet, was den mit der Lebenswirklichkeit befaßten Richter leicht dazu verführt, zur Erzielung eines als "gerecht" empfundenen Ergebnisses ein an sich (begrifflich) vorliegendes Mordmerkmal hinwegzudiskutieren, weil dies der einzige Weg ist, der Pflicht zur Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe zu entgehen, die im konkreten Fall als 7JU hart empfunden wird46 , 47. In dieser Richtung beispielhaft ist auch die " Sarstedt, Referat, D 29 ff.; ders., zStW 69 (1957), 133 ff.; ebenso Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 3. U Vgl. hierzu nur Radbruch, VD, AT, III. Band, S. 189 ff.; wie hier Rolinski, S.93. 18 Vgl. dazu Hartung, JZ 1954, 430 f., der offen zugibt, daß man vom gewünschten Ergebnis her die Dogmatik zurechtrückte; s. auch Rasehorn, NJW 1972, 83; Ostermeyer, Strafunrecht, S. 85 ff.; Hassemer, Strafrechtsdogmatik, S. 206; ders., JuS 1971, 630; ders., ZStW 90 (1978), 85 f. Deutl:ich auch Bertram, S.170: "Wenngleich der Tatrichter im Konfliktfall der revisionsgerichtlichen Interpl'Tetation des Gesetzes unterworfen ist, sitzt er andererseits doch insofern am längeren Hebel, als er es ist, der den Sachverhalt ermittelt und zu Feststellungen gelangt, die den Tatbestand des Gesetzes zur Anwendung kommen lassen oder eben nicht. Nun wird der Richter nur in Ausnahmefällen kraft aktiver Ermittlung (Hauptverhandlung) und in freier Würdigung (Beratung) Dinge feststellen, deren Folgen seinem Rechtsgefühl gröblich zuwiderlaufen. . .. ; jedenfalls gibt es viele Gründe dafür, daß manche Ungereimtheiten und Härten, die vom theoretischen Standpunkt aus wohl häuflger zu erwarten wären. in der Praxis in erstaunLichem Maße aufgefangen und abgefedert werden". Vgl. in dieser Richtung auch Staiger, S. 186 f.; Geilen, JR 1980,313 bezeichnet ein derartiges Vorgehen der Gerichte als "Krypto-Typenkorrektur". S. auch Woesner, NJW 1980, 1137: "Die Kriterien für die unerläßliche Korrektur (bei § 211) gewinnt der BGH durch einengende Auslegung der Tatbestandsmerkmale. Wo die Lehrmeinungen rum Rettungsanker der besonderen Verwerflichkeit greifen, bemüht sich die Rechtsprechung, an den Tatbestandsmerkmalen selbst zu arbeiten und sie so zurechtzustutzen, daß am Ende Ergebni·sse stehen, die mit dem Gerechtigkeitsempfinden und dem VerhältnismäßigkeitSlgrundsatz noch in Einklang zu bringen sind". Zu entsprechenden "Vermeidungsstrategien" vgl. auch Eser, Gutachten, D 53 ff.; s. auch die Kritik bei Beckmann, GA 1981, 340. Daß "die Tatgerichte hin und wieder bei bestimmten Grenzfällen zu Mitteln greifen, die den legalen Rahmen überschreiten", räumt auch Fuhrmann, M 15 f. ein. 47 Für die Tatmodalität der heimtückischen Begehungsweise hat der BGH, JZ 1981, 544 ff. nunmehr "im Wege richterlicher Rechtsschöpfung" eine Ergänzung der Rechtsfolgenseite des § 211 vorgenommen. Damit bleibt im Streit um das Verhältnis von More und Totschlag zueinander alles beim alten, denn den von Eser, JR 1981, 177 ff. vorgesclJ.lagenen Weg mit den - ebenda, S. 184 - aufgezeigten Konsequenzen geht der BGH gerade nicht. Der Begriff bleibt starr, die Strafe wird flexibel. Intendiert ist damit eine gegenüber der Typenkorrektur schon auf der Tatbestandsebene stärkere Bindung des Richters an den Willen des Gesetzes. Ob sich damit aber "Talfahrten" ähnlich der

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Kritik, die § 243 a. F. gefunden hat, dessen verfehlte Kasuistik allgemein als unbefriedigend empfunden wurde48 • Es ist das ein vieldiskutiertes Grundproblem der Strafgesetzgebung, welches unter den verschiedensten Aspekten und Etiketten Gegenstand zahlreicher Erörterungen war und ist. Schlagwortartig seien hier genannt: das Problem "weiter oder enger" Strafrahmen49 , enge Bindung des Richters an die Wertungen des Gesetzgebers oder weiter "Ermessensspielraum"50 und im Zusammenvon Geilen, JR 1981, 341, 342 gerügten wirklich verhindern lassen, bleibt abzuwarten. So vermutet auch Lackner, NStZ 1981, 350, daß "die Praxis der Tatgerichte sich nicht mehr mit der gleichen Intensität wie bisher um rechtlich unbedenkliche, schon am Tatbestand ansetzende MögHchkeiten restriktiver Auslegung bemühen, sondern den bequemeren Weg einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter gehen wird". Immerhin fällt auf, daß die Lösung des BGH über § 49 Abs. 1 Nr. 1 einen Strafrahmen eröffnet, der milder ist als derjenige des § 212 und der - jedenfalls formal - Strafen zuläßt, die im Bereich des § 213 liegen. Es werden daher noch Kriterien zu finden sein, die den Anwendungsbereich des Strafrahmens auf dessen oberstes Teilstück beschränken. C8 Vgl. schon Wach, VD, AT, VI. Band, S.l, 38 sowie die Kommentierungen zum alten Recht. Ob demgegenüber die vor allem in neueren Reformgesetzen favorisierte Regelbeispieltechnik incl. der unbenannten Strafrahmenänderungen unter dogmatischen Gesichtspunkten vorzugswürdig ist, ist allerdings eine andere Frage. Kritikwürdig an § 243 a. F. und Anlaß seiner Änderung war ja nicht die Tatsache, daß die Regelung kasuistisch formuliert war, sondern daß ihre Gruppenbildung nicht gelungen war. Man erstreckte diese insoweit berechtigte - Kritik nun aber auch auf die Gesetzgebungsmethode und führte die Regelbeispieltechnik ein, hielt zugleich aber auch weiterhin an der hergebrachten kasuistischen Methode fest - selbst im Bereich des Diebstahls, wie § 244 zeigt -, so daß nunmehr zwei Gesetzgebungsmethoden nebeneinander herlaufen. Zur Rechtfertigung der Regelbeispieltechnik vgl. Schröder, Mezger-FS, S. 415 ff.; Dreher, ZStW 77 (1965), 234 ff.; speziell zu § 243 n. F. Arzt, JuS 1972, 385 ff., 515 ff.; Wessels, Maurach-FS, S. 295 ff.; kritisch Maiwald, GaUas-FS, S. 137 ff.; Callies, JZ 1975, 112 ff.; s. auch u. 2. Teil B. VII. ca Vgl. dazu z. B. Sarstedt, Referat, D 29 ff.; ders., ZStW 69 (1957), 133 ff.; Baumann, Summum ius, S.138; Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 2 f. 50 Wobei insoweit inzwischen unumstritten Ist, daß aus der Anordnung eines Strafrahmens nicht gefolgert werden kann, daß ein echtes "autonomes" Ermessen i. S. d. Verwaltungsrechts bestünde. Die heute feststellbare Tendenz zielt in die Richtung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs mit Beurteilungsspielraum", ein Erklärungsmodell, das dem Wesen der StrZ-Tätigkeit sicher adäquater ist. Der Richter ist in vielerlei Hinsicht durch das Recht gebunden, also "fremdbestimmt" Handelnder; er ist das aber nicht in dem Sinn, daß seine Entscheidung in wissenschaftstheoretischem Sinn "verifizierbar" wäre, worauf Grasnick, S. 3 ff. m. w. N. zrutr. hinweist; deshalb ist Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 211 zu widersprechen, wenn er behauptet, die Schuldadäquanz der Strafe sei ein "grundsätzlich objektiv verifizierbares Urteil"; denn was das BVerfG, JZ 1979, 226 für die Strafrahmen bildung durch den Gesetzgeber festgestellt hat, gilt gleichermaßen für die StrZ-Tätigkeit des Richters: Sie ist ein nur in Grenzen rational begründbarer Akt, denn sie ist auch ein Werturteil, führt also letztlich zur Frage der "Gerechtigkeit", von der, wie Dreher, Bockelmann-FS, S.60 meint, niemand sagen kann, was sie ist. Folgt man dem von Popper begründeten "kritischen Rationalismus", so bedeutet dies den Verzicht auf sogen. "Letztbegründungen" aus der Erkenntnis, daß es derartige Begründungen im klassischen Sinn - und damit objektive Sicher-

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hang damit die Frage, ob zur Vermeidung unangemessen weiter Strafrahmen abschließende "benannte Straf(rahmen)änderungen" oder aber sogen. "unbenannteStraf(rahmen)änderungen"51 zu bilden seien52 .Letztlich handelt es sich bei diesen Problemen und ihren Weiterungen nicht nur um - vor allem rechtspolitisch orientierte - Fragen der sinnvollen Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Richter; betroffen ist immer auch die Grundfrage des Verhältnisses von (formaler) Rechtssicherheit und (materialer) Gerechtigkeit zueinander, Begriffe, die teilweise antinomisch wirken 53 • Damit ist ein Dilemma angesprochen, in dem es eine reine Lösung nicht geben kann 54 • 4. Strafrahmen und Schuldprinzip

Daß Strafrahmen "kein Essentiale jeden Strafrechts, sondern ein rechtshistorisches Phänomen" sind55, ist ohne Zweifel richtig. Denn es sind Strafrechtssysteme denkbar, die keine Begrenzungen der Rechtsheit - nicht gibt; dazu vgl. vor allem Albert, S. 11 ff., 183 ff., insbes. 185. Preisgegeben wird damit aber nur das Ideal sicherer Erkenntnis von Tatsachen und absoluter Gültigkeit von Wertungen. Die Kehrseite ist jedoch nicht Irrationalität, denn Rationalität bedeutet nicht Verifizierbarkeit. Deshalb folgt daraus auch nicht, daß man die StrZ als einen schöpferischen sozialen Gestaltungsakt des Richters in dem Sinn auffassen müßte, daß dieser weniger ein Ergebnis des "Intellekts" als vielmehr eine Emanation des "Willens" darstelle, der weitgehend auf Erfahrung, und zwar auf "Fremderfahrung" aus sogen. Präzedenzfällen beruhe, woraus schließlich der Vorrang des Irrationalen resultiere; so aber Württenberger, Kriminalpolitik, S. 157, 161 f. Treffend gegen ihn Bruns, StrZ-Recht, S.17. In der Tat, um das Irrationale in der StrZ braucht man sich nicht zu sorgen, wie Dreher, JZ 1957, 158 bemerkt. Zum Ganzen außer den bereits Zitierten Grünwald, MDR 1959, 808 f.; Frisch, Probleme der StrZ, S. 75 ff., 209 ff.; ders., NJW 1973, 1345 ff.; Schmid, ZStW 85 (1973), 360 ff , insbes. 392 ff.; Bruns, Henkel-FS, S. 294 f.; ders., StrZRecht, S. 87 ff., 645 ff. Zur Frage einer rationalen Erkenntnistheorie Art. Kaufmann, Schuldprinzip, S. 60 ff. Zum Begriff der "rationalen" StrZ Hassemer, ZStW 90 (1978), 72 ff., 99. Vgl. auch Engisch, Peters-FS, S. 31 ff.; Welzel, Heinitz-FS, S. 35. 61 Zu diesen Begriffen Lackner, StGB, § 46 Anm. 2 a und schon o. "Zur Terminologie" . 61 Zu den unbenannten Strafrahmenänderungen s. u. 2. Teil B; das Gesetz verwendet diese Gesetzgebungstechnik immer dann, wenn "bei einem Tatbestand mit weitgespannten Schweregraden entsprechend weite Strafrahmen" nicht zu vermeiden sind, wie E 1962, Begr., S. 97 bemerkt, und eine kasuistische Unterteilung nicht in befriedigender Weise möglich erscheint; hierzu und zu den weiteren Kriterien der Begriffe "b. s. F." und "m. s. F." vgl. E 1962, Begr., S. 183 ff. 53 Vgl. Art. Kaufmann, Analogie, S. 39 f.; Lenckner, JUS 1968, 305, 310; vgl. ferner Rudolphi, ZStW 83 (1971), 775 f.; s. aber auch Art. Kaufmann, Schuldprinzip, S. 44, der in ihnen polare, aufeinander bezogene Kräfte sieht, die "in einem fruchtbaren Wechselverhältnis stehen". 64 "Hier hat man sich deshalb mit der alten Wahrheit abzufinden, daß auch die Verwirklichung des Rechts nur die Kunst des Möglichen ist", so Lenckner, JuS 1968, 310. ss So Dreher, Bruns-FS, S. 141.

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folgen kennen, also alle überhaupt für zulässig erachteten Straffolgen androhen, oder auch Systeme, in denen die Strafdrohungen derart weit sind, daß von einem Rahmen nicht mehr die Rede sein kann 58 • Aus dieser Feststellung läßt sich jedoch für unser Strafrecht nichts folgern. Denn der Begriff des Strafrechts steht in Aufgabe und Inhalt nicht unwandelbar fest 57 , sondern leitet sich ab aus den - ihrerseits Wandlungen unterworfenen - Wertvorstellungen der Gemeinschaft. Die Aufgabe, die dem Strafrecht innerhalb der gesamten Rechtsordnung nach der geltenden Rechtsauffassung zugewiesen wird, präjudiziert also die Mittel zur Verwirklichung ihrer Ziele. Grob und ungenau gesprochen dient unser Strafrecht der Verhinderung von sozial unerwünschten Taten und der Ahndung von begangenen Rechtsbrüchen oder, wie das BVerfG58 formuliert: "Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Grundwerte des Gemeinschaftslebens zu sichern", den Rechtsfrieden im Rahmen der sozialen Ordnung zu gewährleisten und das Recht im Konfliktfall gegen das Unrecht durchzusetzen. Dieser Aufgabe dient das Strafrecht durch den Schutz von Rechtsgütern59• Die Realisierung dieser Aufgabe ist aber eingebettet in das Menschenbild des GG, an dem sie sich zu orientieren hat. Deshalb beruht das deutsche Strafrecht auf dem Schuld- und Verantwortungsprinzip, das aus diesem Menschenbild abzuleiten ist. Strafe setzt Schuld voraus - "nulla poena sine culpa"60. In dieser Bedeutung begründet die Schuld erst die Strafbarkeit, geht es "um die innere Rechtfertigung des in der Strafe liegenden staatlichen Eingriffs, um die Legitimität des Schuldstrafrechts überhaupt"61. Das Schuldprinzip hat den Rang eines Verfassungsrechtssatzes62. Im Bereich der Rechtsanwendurig kommt dem Begriff der Schuld eine andere - zweifache - Bedeutung zu. Auf das strafrechtsdogmatische System bezogen, ist mit "Schuld" die "Summe der Voraussetzungen" gemeint, "unter denen dem Täter die von ihm begangene rechtswidrige Tat als eine vorwerfbare zugerechnet wird (Strafbegründungsschuld)"83. "In diesem Sinne bedeuEbenso Dreher, Bruns-FS, S. 141. Wie z. B. Feuerbach glaubte; dazu Eb. Schmidt, Strafrechtspftege, S. 232 ff., insbes. 237 f. 58 BVerfGE 27, 18. 59 Zu Bedeutung und Begriff des Rechtsguts Jescheck, AT, S. 5 ff., 205 ff.; Rudolphi, Honig-FS, S. 152 ff.; vgl. aber auch Otto, S. 1 ff. 80 BVerfGE 20, 323, 331; BVerfGE 25, 269, 285; BGHSt 2, 194, 200; Art. Kaufmann, Lange-FS, S. 27; ders., Unrechtsbewußtsein, S. 33 f.: "Schuldidee"; diesen Begriff übernimmt Achenbach, S.5: "Hier geht es um das "Warum" und inwieweit überhaupt Strafe?"; ferner Jescheck, AT, S. 328 ff.; vgl. auch Schwalm, JZ 1970, 489. se

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81 e! 83

Achenbach, S. 3.

Vgl. BVerfGE 20, 323, 331. So Lackner, StGB, Vor § 13 Anm.4 im Anschluß an Achenbach, S.4, der

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tet Schuld vor allem Vorwerfbarkeit"64. "Gegenstand des Schuldvorwurfs ist die in der rechtswidrigen Tat zum Ausdruck kommende fehlerhafte Einstellung des Täters zu den Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung"65. Damit ist aber die Bedeutung des Schuldprinzips für die Rechtsanwendung nicht erschöpft. Ihm kommt noch eine weitere Funktion zu: die der Strafmaßbegrenzung - "nulla poena extra culpam"66. Diese Funktion ist faktisch die wichtigere, denn aus "nulla poena sine culpa" ergibt sich ein Schutz nur bei fehlender Schuld, nämlich das Ausscheiden von Strafe. Das Schuldprinzip verlangt aber nicht nur Schuld als V oraussetzung der Strafe, sondern setzt der Strafe auch bei bestehender Schuld Grenzen. Die Strafe muß schuldangemessen sein6 ? In diesem Sinn ist "Schuld" in § 46 Abs. 1 Satz 1 gemeint68 • Dieser Begriff der die Schuld hier als "Inbegriff der Momente" bezeichnet, "die die Verhängung der Strafe gegen den individuellen Täter entweder rechtfertigen oder verhindern"; vgl. auch Achenbach, S. 4 FN 21, wo zutr. darauf hingewiesen wird, daß dieser Formel "nur heuristischer Wert" zukommt. Auf dieser Stufe gehe es um die einzelnen Merkmale der Schuld im strafrechtlichen System; S. 220 f. meint Achenbach, zur Bezeichnung dieses Komplexes der "Sttafbegründungsschuld" erscheine der Begriff "Schuld" völlig ungeeignet. Er leiste nicht, was von ihm erwartet werden müsse: "die nüchterne Kennzeichnung eines Ausschnitts aus den Voraussetzungen der Strafbarkeit". Als Ersatz schlägt er den Begriff der "individuellen Zurechnung" bzw. "Zurechenbarkeit" vor, je nachdem, ob man den richterlichen Akt oder den objektiv-geistigen Status des Verhaltens in den Vordergrund stelle. e. So Lackner, StGB, Vor § 13 Anm. 4 a unter Hinweis auf BGHSt 2, 194, 200; Dreher/Tröndle, StGB, Vor § 1 Rdnr.28; kritisch zum Terminus "Vorwerfbarkeit" Art. Kaufmann, Schuldprinzip, S. 174 ff. es So z. B. Wessels, AT, S. 84. 88 Zu dieser "Doppelfunktion" des Schuldprinzips Begründung und Begrenzung - vgl. Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 43 ff., der der Strafbegr~n­ dungsschuld (noch) keine eigene Bedeutung zumißt; vgl. auch Bockelmann, AT, S. 58 f.: "Von der Schuld, verstanden als Schuldhaftigkeit der tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Handlung ist zu unterscheiden die Schuld, verstanden als Inbegriff derjenigen Umstände, die für die Zumessung der Strafe maßgebend sind". 87 Grundsatz der Schuldproportionalitätals "innerstrafrechtliches Prinzip", So Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 43. 88 "Ob damit die Schuld als Maßprinzip mit die Strafe nach oben hin limitierender Funktion festgelegt ist oder auch das Schuld-Sühne-Prinzip als Strafzweck, ist umstritten", so G. Hirsch, LK, Vor § 46 Rdnr.13, 19 m. w. N. zum Streitstand. Vgl. hierzu auch Art. Kaufmann, Lange-FS, S. 27 ff.; Jescheck, AT, S.701; Bruns, StrZ-Recht, S. 193 ff., 311 ff. Die Frage kann in Ansehung des DVV offen bleiben, denn beide Seite rekurrieren für die Aufgaben der StrZ auf die T,at als Ausgangspunkt, weisen zudem der Schuld auch hier eine inhaltliche Funktion zu; dies stellt Roxin, Bockelmann-FS, S. 307 f. klar; s. auch Burkhardt, GA 1976, 321 ff., insbes. 341; s. schon o. 1. Teil 1. 1. bei FN 14-18. Eine Absage ist auf der Grundlage des geltenden Rechts hingegen denjenigen zu erteilen, die, wie Ellscheid/Hassemer, S. 266 ff., insbes. 281 ff. und Callies, Theorie der Strafe, S.187, die Schuld auf eine bloße Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes reduzieren wollen. Vgl. hierzu die Kritik von Art. Kaufmann, Lange-FS, S. 27 ff., insbes. 31 ff.; Jakobs,

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Schuld meint "den Anknüpfungstatbestand für die richterliche Strafzumessung. Er wird verstanden als Inbegriff der Momente, die für die Strafhöhe im konkreten Fall von Bedeutung sind"69. Achenbach70 bezeichnet ihn als "Strafmaßschuld"71. Für diesen Begriff von "Schuld" sind nun die Strafrahmen von Bedeutung. Von daher läßt sich nämlich sagen, daß die vom Gesetzgeber angeordneten Strafrahmen (incl. ihrer Abwandlungen, z. B. nach § 49) für die den jeweiligen Deliktsvoraussetzungen unterfallenden Taten, aber auch für den Tattypus selbst, eine vorweggenommene allgemeine Schuldrnaßbestimmung (aber auch -begrenzung) darstellen. Beschreibt der abstrakte Tatbestand den Strafgrund, so zieht der zugeordnete Strafrahmen die Strafgrenzen72 • In dieser Sicht sind die Strafrahmen Ausdruck. des Schuld prinzips in seiner zweiten Funktion; mit den Worten des BVerfG73 formuliert: "Die Idee der Gerechtigkeit fordert, daß Tatbestand und Rechtsfolge in einem sachgerechten Verhältnis zueinander stehen"74. Dies führt zur Frage nach der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Strafrahmenschaffung. Schranken setzen insoweit nach der Rechtsprechung des BVerfG der Gleichheitssatz und der VerfassungsS. 6 f.; Stratenwerth, Schuldprinzip, S. 36 ff.; Schöneborn, zstW 92 (1980), 697; Roxin, JA 1980, 548. Weitere Nachweise zu Befürwortern der Abschaffung des Schuldprinzips bei Streng, ZStW 92 (1980), 638 FN 4. ß9 Achenbach, S. 4. 70 S. 221 f. tritt Achenbach dafür ein, den Begriff der Schuld auch bei der

Strz selbst zu eliminieren; "sein irrationaler Charakter (habe) schon viel zu lange verschleiert, daß im Rechtsstaat auch die StrZ prinzipiell Recht.