Schutz und Vorsorge: Strukturen der Risikoerkenntnis, Risikozurechnung und Risikosteuerung der Grundpflichten im Bundes-Immissionsschutzgesetz [1 ed.] 9783428476268, 9783428076260

157 82 35MB

German Pages 379 Year 1993

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Schutz und Vorsorge: Strukturen der Risikoerkenntnis, Risikozurechnung und Risikosteuerung der Grundpflichten im Bundes-Immissionsschutzgesetz [1 ed.]
 9783428476268, 9783428076260

Citation preview

FRANK PETERSEN .

Schutz und Vorsorge

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r, Trier

Band 30

Schutz und Vorsorge Strukturen der Risikoerkenntnis, Risikozurechnung und Risikosteuerung der Grundpflichten im Bundes-Immissionsschutzgesetz

Von

Frank Petersen

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Petersen, Frank:

Schutz und Vorsorge : Strukturen der Risikoerkenntnis, Risikozurechnung und Risikosteuerung der Grundpflichten im Bundes-Immissionsschutzgesetz / von Frank Petersen. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 30) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 1991/92 ISBN 3-428-07626-5 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin 49 Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-07626-5

Für Susanne

Inhaltsverzeichnis 23

Einleitung Problemstellung Die Grundpflichten als System - Klärung der Systembegriffe Zum Gang der Untersuchung

Erster Teil Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG - Herleitung des Risikoerkenntnis-, Risikozurechnungs- und Risikosteuerungstatbestandes

A. ZUr Bedeutung der Grundpflichten I.

11.

11.

27

27

Die Grundpflichten im Regelungssystem der §§ 4 ff. BImSchG

27

1.

Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

28

2.

Sicherungsinstrumente zur Einhaltung der Grundpflichten .................. a) Genehmigungsverfahren als präventives Sicherungsinstrument

29 29

b) Nachträgliche SichersteIlung der Grundpflichten durch repressive Sicherungsinstrumente . .. .... .. . . . .. . . . . . . . . . . . .. . .. . . . .. . . . . . . . ...... . .. . . . . . .

30

Unmittelbare Geltung der Grundpflichten

B. ZUr Struktur der Grundpflichten I.

23 25 25

30 32

Der Risikoerkenntnistatbestand - Der Begriff "schädliche Umwelteinwirkungen"

33

Der Tatbestand der Risikozurechnung

34

1.

Verursachungsbeziehung . . . . ...... . . . .. . . . . . . . . .. . .. . .. . . ... .. . . . .. ...... . . . . . . . . . a) Anknüpfungspunkt der Verursachungsbeziehung - Gegenstand der Grundpflicht .. . . . . . ... .. . . . . .. .. .. ... ... .... .. .... ... .. ... .. ... .. ... .. . . . . . . .. .. . . aa) Errichtung und Betrieb der Anlage

34

bb) Normalbetrieb und Störfall ............................................. b) Die Struktur der Verursachungsbeziehung ................................ aa) Erste Zurechnungsebene: Anlage - Emission ....................... bb) Zweite Zurechnungsebene: Emission - Immission

35 36 37 37

Der Verursachungsbegriff im Rahmen der Grundpflichten

38

2.

34 34

8

Inhaltsverzeichnis 3. III.

Wahrscheinlichkeitsaussage über die Verursachungsbeziehung - Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit ..... . . . . . . .. . . ....... . .. . . .

Der Tatbestand der Risikosteuerung

39 40

Zweiter Teil Der Begriff der "schädlichen UmweIteinwirkungen" nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

42

A. Definitionsrahmen

42

B. Der Begriff der Immissionen nach § 3 Abs. 2 BlmSchG

42

I. 11.

Immissionsarten

43

Das Element der "Einwirkung"

44

1.

Der Begriff der "Einwirkung"

45

Die Einwirkungsobjekte

45

2.

a) Begriffe

...........................................................................

III.

Strukturprinzipien des Imrnissionsbegriffes

49

1.

Das Prinzip der Quellenunabhängigkeit

49

2.

Das Prinzip der Mitverursachung

50

3.

Sonderfall: Geräuschimmissionen

51

IV. Funktionen des Immissionsbegriffes für die Grundpflichten 1.

2.

C.

53

Funktionen für den Risikoerkenntnistatbestand

53

a) Der Immissionsbegriff als Funktionselement des Wirkungsstandards

53

b) Grenzen der Steuerung durch Wirkungsstandards

.......................

54

Funktionen für den Tatbestand der Risikozurechnung - Störerauswahl und .... . .... ... .. . . . . ... ....... ..... .. .. . . .. . . . . . ............ . .......... Prioritätsprinzip

. 56

"Schädlichkeit" - Störqualität der Immissionen I.

45

47

b) Normsystematische Stellung der Einwirkungsobjekte

58

Beeinträchtigungsobjekte - Allgemeinheit und Nachbarschaft

58

1.

Nachbarschaft

58

2.

Allgemeinheit

59

3.

Normsystematische Stellung der Beeinträchtigungsobjekte

60

11.

Inhaltsverzeichnis

9

Beeinträchtigungsintensität - Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen . . . . .. . . ... . .. . .. ..... . . . .... .. . . . . .. . ....... ..... ....... ... ......... .......

60

I.

2.

B~ri~

~

a) Gefahr b) Nachteil

61 61

c) Belästigung ...................................................................... d) Systematische Korrektur der Begriffskombination

62 63

Das Merkmal der "Erheblichkeit" a) Inhalt des Begriffes "erheblich" aa) Meinungsstand .. . . . ..... . ... . ... .. ... .. . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . .. .. . aaa) Die herrschende Auffassung.......................................... bbb) Die Auffassung Murswiek ............................................ ccc) Die Auffassung Ziegler

64 65 65 65 66 66

............................................................ bb) Stellungnahme cc) Eigener Lösungsansatz: Die gebietsspezifische Abwägung b) Kriterien der Erheblichkeitsbewertung .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. ........... aa) Belange der betroffenen Allgemeinheit und Nachbarschaft aaa) Der differenziert-objektive Beurteilungsmaßstab bbb) Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums und der körperlichen Unversehrtheit ..................................... ccc) Konkretisierung der Situationsbindung ........................ (I) Bebauungsrechtliche Prägung der Situation (2) Tatsächliche Vorbelastung des Gebietes (3) Plangegebene Vorbelastung des Gebietes bb) Belange des Anlagenbetreibers

67 69 72 72 73

aaa) Berücksichtigung im Rahmen des differenziert-objektiven Beurteilungsmaßstabes ... .. ... . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . .. ... ... . . bbb) Unzulässigkeit einer darüber hinausgehenden Berücksichti........ .... .. .. .. .. . gung der Belange des Anlagenbetreibers (1) Bestandsschutz der Anlage (2) Sonstige Belange cc) Gemeinwohlbelange ..................................................... .................................. dd) Sonderfall: Geräuschimmissionen ? aaa) Die "quellenbezogene Betrachtungsweise" der Erheblichkeit bbb) Stellungnahme ...................................................... 111.

73 77 77 79 81 82 82 85 85

87 89 91 91 92

Das Beinträchtigungsmerkmal der "Eignung"

94

1.

Beschreibung eines Kausalverlaufes

95

2.

Bewertung des Kausalverlaufes a) Meinungsstand . . . .. ..... . . . ...... .. . . . . . .. ... ....... ................... . . ... . . . . aa) Eignung als konkrete Gefahr bb) Eignung als abstrakte Gefahr

95 95 95 97

10

Inhaltsverzeichnis

3.

4.

cc) Eignung als Aussage über die dispositionelle Gefährlichkeit b) Stellungnahme .................................................................. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab des Begriffes der Eignung a) Der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit b) Berücksichtigung'der Schutzgüter ........................................... c) Keine Berücksichtigung der Eingriffsgüter aa) Belange des Anlagenbetreibers aaa) Meinungsstand bbb) Stellungnahme bb) Gemeinwohlbelange

98 99 105 105 106 107 107 107 108 111

Der Gefährlichkeitsverdacht

112

Dritter Teil Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

116

A. Bedeutung und Struktur der SchutZPJlicht

116

B. Struktur und Inhalt der SchutzpJlicht im Rahmen der Risikoerkenntnis

117

I.

Schädliche Umwelteinwirkungen und "sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen" .. . . . . .. . .... . . . . . . . .. .... .. . . . . . . ..... .. . . . . . . . . . . . . . ...

117

11.

Abgrenzung und Folgerungen

118

C. Struktur und Inhalt der SchutzpJlicht im Rahmen der Risikozurechnung

I.

Verursachungsbeziehung 1.

2.

121 121

Der Verursachungsbegriff der Schutzpflicht . . . . . . . ..... . . . . . . . . ... .. .. . . . . . .. . a) Grundlage des Verursachungsbegriffes: Die Äquivalenztheorie b) Bestimmung der rechtlich relevanten Bedingung aa) Meinungsstand ........................................................... aaa) Naturwissenschaftlicher Verursachungsbegriff bbb) Rechtlich-wertender Verursachungsbegriff bb) Stellungnahme ............................................................ aaa) Zur Notwendigkeit eines rechtlich-wertenden Verursachungsbegriffes ........ . . . . . ......... . .. . ...... . .. . . . ....... .. . .. . . . .. ... ... bbb) Der Verursachungsbegriff des BImSchG

121 121 122 122 122 124 124

Fallgruppen eines rechtlich-wertenden Verursachungsbegriffes a) Fallgruppe des "latenten Störers" ........ ............ ....................... aa) Problemsituation

127 128 128

124 126

11

Inhaltsverzeichnis bb) Lösungsansatz im BImSchG

129

b) Fallgruppe der Irrelevanz minimaler Immissionsbeiträge

130

.......................................... . bb) Lösungsansatz im BImSchG c) Fallgruppe der Zurechnung von Eingriffen Unbefugter

131

aa) Problemsituation bb) Meinungsstand .......................................................... .. cc) Stellungnahme dd) Zur Rechtswidrigkeit des § 3 Abs. 2 Nr. 3 der 12. BImSchV 11.

130

........................................................ .

aa) Problemsituation

133 133 134 136 137

Wahrscheinlichkeitsaussage über die Verursachungsbeziehung - Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit .. ...... .... ........ .. .. .. .. .......... .. .. .. .. .. .... ..

138

I.

Die Interpretation der herrschenden Meinung

139

2.

Stellungnahme

...... ........ ...... ................. ............ ... ........ ...........

a) Zur Herleitung des Gefahrenbegriffes

140

......................................

140

...... .. .. .. .............. .....

141

c) Strenge des Sicherheitsmaßstabes bei negativer Formulierung des Tat......................................................................... bestandes

142

d) Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Störfällen

144

3.

Der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Eintritts schädlicher Umwelteinwirkungen

146

4.

Der Gefahrenverdacht

148

5.

Der Prognosevorgang bei der Ermittlung der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit .........................................................................

150

b) Eintritts- und Ausschlußwahrscheinlichkeit

6.

a) Der Prognosevorgang beim Normalbetrieb der Anlage

150

b) Der Prognosevorgang im Bereich der Störfallsicherheit

152

Räumlicher und zeitlicher Aspekt der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit ............................................................................. a) Räumlicher Aspekt

153 154

............................................................... b) Zeitlicher Aspekt aa) Die zeitliche Grenze der Prognose

155 157

aaa) Inbetriebnahme der Anlage

157

bbb) Betriebsdauer der Anlage

157

bb) Stellungnahme D. Struktur und Inhalt der SchutlPflicht im Rahmen der Risikosteuerung

158 160

I.

Herleitung des relativen Vermeidungsstandards

160

11.

Begrenzung der Schutzpflicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

162

12

Inhaltsverzeichnis 1.

Systematischer Standort des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

163

2.

Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beim Normalbetriebsrisiko und bei der Störfallsicherheit .. .. .. ........ .. .. ........ .. .. .. .. .. a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Normalbetriebsrisiko aal Emissionswerte bb) Immissionswerte b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Störfallsicherheit

166 166 166 167 168

3.

Inhaltliche Ausgestaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit a) Beriicksichtigung der Belange des Anlagenbetreibers ...... ............. b) Beriicksichtigung der Belange der Allgemeinheit

169 169 172

E. Maßnahmen der Schutzpflicht I.

Anlagenbezogene Maßnahmen

174

1.

174 174 175 175 177

Maßnahmen der Emissionsbegrenzung a) Steuerung durch Immissionswerte .......................................... aal Grenzen des Immissionswertkonzeptes aaa) Probleme der Wirkungsabschätzung bbb) Probleme der Rechtsfolgen .... .... .. .... .. .. .. ...... .. .. .. .. .. .. bb) Immissionswerte der TA Luft im Bereich nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen . . . . ..... . . . . ...... . . .. ..... .. . . . . . . ....... . . .. . . . . . . cc) Sonderproblem: Immissionswerte im Bereich von Geräuschimmissionen aaa) Anlagenbezogene Immissionsrichtwerte der TA Lärm bbb) Gesetzeskonforme Interpretation der Immissionsrichtwerte ccc) Zur Problematik der Festsetzung -von Immissionswertanteilen ....................................... - "Lärmkontingentierung" ddd) Immissionswertanteil und vorbeugender Immissionsschutz b) Steuerung durch direkte emissionsbegrenzende Anforderungen

178 179 179 179 180 181 184

Sonstige Maßnahmen

185

Akzeptorbezogene Maßnahmen

186

2. 11.

174

1.

Der "zweckgebundene Ausgleichsanspruch"

186

2.

Stellungnahme

187

F. Schutzpflicht und Drittschutz

189

13

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil Die Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG

A. Zur Bedeutung der Vorsorgepjlicht I.

191

191

Der Begriff der Vorsorge

191

1.

Risikovorsorge und Gefahrenabwehr

192

2.

Vorsorgepflicht und Zweckbestimmung des § 1 BImSchG

193

11.

Entstehungsgeschichte

194

III.

Funktion der Vorsorgepflicht

197

1.

Meinungsstand

. . . . ..... . . ...... . . ..... . ... .. . .. . . . ... .. . . . . . . . .. .... ... .. . . ... . .. . . . .

a) Risikosteuerungsfunktion der Vorsorgepflicht

2.

197 198

b) Planungs- und Verteilungsfunktion der Vorsorgepflicht

199

c) Verbindung beider Funktionen

201

Stellungnahme

.......................................................................

a) Zur Risikosteuerungsfunktion der Vorsorgepflicht

3.

............................

........ ... . . .. . .. ....

203 203

b) Zur Planungs- und Verteilungsfunktion der Vorsorgepflicht

205

c) Zur Verbindung beider Funktionen

206

Eigener Lösungsansatz: Erweiterung der Risikosteuerungsfunktion als ......................... Begrundung der Planungs- und Verteilungsfunktion

207

a) Parallelität beider Funktionen .. . . ........ . . . . ... ....... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallelität der inhaltlichen Ausgestaltung beider Funktionen

208 209

IV. Zwischenergebnis

B. Struktur und Anwendungsbereich der Vorsorgepjlicht

211 212

I.

Struktur der Vorsorgepflicht

212

11.

Anwendungsbereich der Vorsorgepflicht

213

1.

Begriffliche Grundlagen: Gefahr - Risiko - Restrisiko

213

2.

Vorsorge und Gefahrenverdacht

216

3.

Vorsorge als Entscheidung unter Ungewißheit

218

4.

Die Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit bei Unsicherheit der Prognosegrundlage ......................................................................... ,. . .

220

C. Struktur und Inhalt der Vorsorgepjlicht im Rahmen der Risikoerkenntnis

221

14

Inhaltsverzeichnis I.

11.

Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen als Risikoerkenntnistatbestand der Vorsorgepflicht ....................................................................... 1.

Meinungsstand ........... ........... ......... ............... ............. ............ a) Schädliche Umwelteinwirkungen als Zielbestimmung der Vorsorge b) Schädliche Umwelteinwirkungen als Risikoerkenntnistatbestand

221 222 222

2.

Stellungnahme

223

3.

Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen als variabler Risikoerkenntnistatbestand . . . . . . . ....... . . . ..... . . . . .. ..... .. . . . . . ..... . . . . . . . . . . .. . ... .. .

225

Die Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit

226

1.

Meinungsstand . . . . ......... . . ....... .. ........ . .. ........... . . ........ . .. . .. . . . .. . ... a) Risikovorsorge unterhalb der Schädlichkeitsschwelle b) Dispositionelle Gefährlichkeit einer Immission c) Potentielle Schadenseignung einer Immission ............................ d) Generelle Schadenseignung einer Emission in Anlehnung an § 3 Abs. 3 ChemG .... .. ........ .. ...... .. .. .......... .. .. .............. .. .. ...

227 227 227 228

Stellungnahme

229

Eigener Lösungsansatz

233

1.

Problembereich: Ungewißheit über die Wirkungsprognose

233

2.

Emissionsbezogene Schädlichkeitsbewertung

235

a) b) c) d)

236 237 237 238

2. III.

221

Eigenschaften der Emission ...... .. .. .. .. ........ .. ........ .. .. .. .. .......... Zeitliche Dimension der Emission Ausmaß der Emission .......... ............ .............. ..................... Folge: Verzicht lfuf die Immissionsprognose

229

D. Struktur und Inhalt der Vorsorgepjlicht im Rahmen der Risikozurechnung

239

Anwendungsbereich: Ungewißheit über die Verursachungsbeziehung

239

Die Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit

240

1.

240

I.

11.

2. III.

Meinungsstand .... ... ....... ... ....... . .. ........ .. . ......... . . . . ............ . .. . . . . . a) Risikovorsorge unterhalb der Schwelle praktischer VorsteIlbarkeit eines ........ .. .. .. .... ...... .. .... .. .. .. theoretisch möglichen Schadenseintritts b) Vorsorge gegen die dispositionelle Anlagengefährlichkeit

240 241

Stellungnahme

241

Eigener Lösungsansatz: Differenzierende, problemspezifische Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit ....................................................................

243

1.

243

Erste Zurechnungsebene: Anlage - Emission

15

Inhaltsverzeichnis a) Problembereich: Ungewißheit über die Störfallsicherheit .............. aa) Zur "Störfallvorsorge" im Sinne der Störfall-Verordnung (12. BlmSchV) ....................................................... .... bb) Zur Bundesratsinitiative über die gesetzliche Verankerung einer Störfallvorsorge in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG ....................

244

...............................

247

aa) Ausgangspunkt: Deterministische und probabilistische Risikobeurteilung der immanenten Anlagensicherheit ....................

247

bb) Gesamtbetrachtung des Risikos und anlagenimmanenter Risikovergleich . .. .... . . . . .... . . .. .. ........ .. .. . ..... .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. . .. ..

248

b) Die Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit

2.

Zweite Zurechnungsebene: Emission - Immission a) Räumlicher Aspekt der Immissionsprognose

245 246

. . . . . . . . . . . .... . . . . . . . . . . . .. . .

251 252

aa) Problembereich: Ferntransport von Luftschadstoffen ........................ bb) Die Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit

252 253

aaa) Ungewißheit der Risikozurechnung und immissionsbezogene Schädlichkeitsbewertung . . . . .. . .. . . . .. .. . .. . ....... .. ... .. ... .. . .

253

bbb) Emissionsbezogene Schädlichkeitsbewertung

255

................................ b) Zeitlicher Aspekt der Immissionsprognose aa) Problembereich: Vorsorge gegen Geräuschimmissionen

257 257

bb) Regelungsbedarf bei gesetzeskonformer Immissionsbewertung durch die TA Lärm . . . . ... . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . .. . . .. . cc) Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit

258 260

aaa) Zur Problematik der emissionsbezogenen Schädlichkeitsbewertung von Geräuschen ... . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. ...

260

..............

261

bbb) Zeitliche Erweiterung der Immissionsprognose

ccc) Zeitliche Verlagerung der Schädlichkeitsbeurteilung

262

ddd) Gebietsbezogene Vorsorge-Immissionswerte

264

eee) Verteilung der Immissionswerte c) Sonderfall: Kausaler Aspekt der Immissionsprognose

266 ... . . .. . . . . .. .. . ..

267

aa) Problembereich: Vorsorge gegen rechtlich irrelevante Immissionsbeiträge . . . .... .. .. . . .. ..... . . . .. . . . . . . .. .. ... ....... ..... ... .. ... ... .. ... ..

267

bb) Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit

268

E. Der Verursachungsbegrijf der Vorsorgepjlicht

270

I.

Zur Problematik der individuellen Zurechnung von Risiken

270

11.

Modell der generellen Zurechnung von Risiken

272

1.

Das Erfordernis der generellen Kausalität

272

2.

Die Bestimmung der rechtlich relevanten Bedingung ........................ ................. a) Das Kriterium der "Überschreitung der Risikogrenze"

274 275

b) Die Zurechnung bei verursacherbezogener und wirkungsbezogener Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit ................................ ....

276

16

Inhaltsverzeichnis c) Verursacherbezogene und wirkungsbezogene Zurechnungskriterien

F. Struktur und Inhalt der Vorsorgepflicht im Rahmen der Risikosteuerung I.

11.

279

Begrenzung der Vorsorgepflicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

280

I.

Zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Vorsorgepflicht

280

2.

Systematischer Standort des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit a) Meinungsstand .. .... . . . . . . .. ..... .. . . . . . .. ...... . .. . . . . . . .. . ...... . . . . . . . .. . . . . . b) Stellungnahme

282 282 283

3.

Kriterien der Abwägung ........................................................... a) Zur "kleinen" und "großen" Verhältnismäßigkeitspriifung ............. b) Das Risikopotential - die problemspezifische Bestimmung der Vorsorgebedürftigkeit .. ....... . . .. .......... . . . . . ....... .. . . . . . . . ......... . . . . . . . . ..... .. .

285 286

Die Abwägung im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

G. Maßnahmen der Vorsorgepflicht I.

278

Emissionsbegrenzung nach dem Stand der Technik

287 288 291 291

1.

Bedeutung des Regelbeispiels

291

2.

Emissionsbegrenzung .............................................................. a) Zum strategischen Aspekt der Emissionsbegrenzung b) Zum Aspekt der Rechtssicherheit ...........................................

293 293 294

3.

Der Stand der Technik a) Funktion der Verweisung auf den ~Stand der Technik" b) Inhalt des Begriffes "Stand der Technik" ........ .. .. .. ...... .... .. .... .. .. aal Die Wirksamkeit der Emissionsbegrenzung . . . . . ...... . .. . . . . . . . . . . bb) Die wirtschaftliche Vernünftigkeit des Standes der Technik aaa) Meinungsstand bbb) Stellungnahme cc) Eigener Lösungsansatz: Die implizite Beriicksichtigung wirtschaftlicher Belange .. .......... ................. .. ............ .... . aaa) Faktoren der wirtschaftlichen Vernünftigkeit (1) Kriterien der Besorgnis (2) Kriterien des Aufwands bbb) Abgrenzung der wirtschaftlichen Vernünftigkeit des Standes der Technik zur Verhältnismäßigkeit der Vorsorgepflicht

295 295 297 298 300 300 301

Arten von Maßnahmen

308

4.

11. Sonstige Vorsorgemaßnahmen

303 304 304 305 306

309

Inhaltsverzeichnis I.

2.

Kategorien sonstiger Maßnahmen ..... .. . .. .. ... . .. .. . .. ... . . .. . .. ... . .. . .. .. . .. . a) Nicht emissionsbegrenzende Maßnahmen ................................. b) Emissionsbegrenzende Maßnahmen, die nicht durch den Stand der Technik gesteuert werden . . ............ ..... . ... ... .. .. . . . . .. .. . ...... . . . . ... . aal Vorsorge-Immissionswerte bb) Funktionen und Disfunktionen c) Sonstige Maßnahmen im Bereich der Störfall-Vorsorge

310 310

Voraussetzungen für den Erlaß sonstiger Maßnahmen

315

H. Konkretisierung der Vorsorgepflicht - Das Konzeptierungsgebot I.

11.

312 314

316 316

Das Konzeptierungsgebot

318

2.

Das Konzeptierungsgebot der Vorsorgepflicht im Bereich der Ferntransportproblematik ...... .. . . .. ......... . . . . ........ ......... . .... . ..... ........ ... . . . . . . . . . . . a) Die Entwicklung des Konzeptierungsgebotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . b) Fonnale und inhaltliche Elemente des Konzeptes - 13. BlmSchV und TA Luft .......................................................................... aal Konkretisierung auf untergesetzlicher Ebene bb) Die umfassende Anlage des Konzeptes .............................. cc) Einheitliche, gleichmäßige Durchführung des Konzeptes dd) Die langfristige Perspektive des Konzeptes ................. ........ ee) Die Verhältnismäßigkeit des Konzeptes Das Konzeptierungsgebot der Vorsorgepflicht in den übrigen Fallgruppen a) Fallgruppe der Ungewißheit über die Wirkungsprognose b) Fallgruppe der Ungewißheit über die Störfallsicherheit c) Fallgruppe der Vorsorge gegen Geräuschimmissionen ... .............. aal Zur Notwendigkeit eines Vorsorgekonzeptes bei Geräuschimmissionen bb) Ausgestaltung eines immissionsbezogenen Konzeptes aaa) Vorsorge-Immissionswert bbb) Verteilungskonzept ccc) Alt- und Neuanlagen ddd) Verbindung mit einem Sanierungskonzept auf Basis der Schutzpflicht ....................................................... . eee) Nonnative Grundlage des Konzepts (1) Bauplanungsrecht ............................................ . (2) Lännminderungsplanung § 47 a BImSchG (3)TALänn ....................................................... .

Vorsorgepflicht und Drittschutz

2 Petcrsen

311 311

Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Vorsorgepflicht

I.

I.

17

319 319 321 321 324 324 325 326 329 331 333 335 335 337 337 337 339 340

341 341 342 344 344

18

Inhaltsverzeichnis I.

Meinungsstand

345

11.

Stellungnahme

346

Drittschutz über § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSehG?

347

111.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Literaturverzeichnis

350

360

Abkürzungsverzeichnis a. A.

a. a. O. a. F. ALR Anm. AöR Art. AtG Beschl. v. BauR BayVBI. BB BBI. Bd. BGB BGH BGHZ BImSchG BImSchV

BR-Drs. BT-Drs. BVetfGE BVetfGE BVerwG BVerwGE B-W ChemG DB DIN DJT

DÖV DVBI. DWW

anderer Ansicht an angegebenem Ort alte(r) Fassung Allgemeines Preußisches Landrecht Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Atomgesetz Beschluß vorn Baurecht Bayerische Verwaltungsblätter Betriebsberater Bundesblatt Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundes-Irnrnissionsschutzgesetz Verordnung zur Durchführung des BundesIrnrnissionsschutzgesetzes (Bundes-Irnrnissionsschutzverordnung) Drucksache des Bundesrates Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesvetfassungsgericht Entscheidungen des Bundesvetfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg Chemikaliengesetz Der Betrieb Deutsches Institut für Normung Deutscher luristentag Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft

20 E

Abkürzungsverzeichnis amtliche Sammlung der Entscheidungen des (jeweils) vorstehend genannten Gerichts

EG

Europäische Gemeinschaften

Einl.

Einleitung

ESVGH

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des hessischen und des baden-württembergischen VGH

ET

Energiewirtschaftliche Tagesfragen

f.

folgende Seite

ff.

folgende Seiten

Fn.

Fußnote

FStrG

Bundesfernstraßengesetz

GastG

Gaststättengesetz

GBl. GewA

Gesetzblatt Gewerbearchiv

GewO

Gewerbeordnung

GG

Grundgesetz

GMBl.

Gemeinsames Ministerialblatt

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

Hess.

Hessen, hessisch

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben

i. d. F.

in der Fassung

i. V.m. JR JuS JZ KG

in Verbindung mit Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht

KKW

Kernkraftwerk

LAI

Länderausschuß für Immissionsschutz

LG

Landgericht

LMBG

Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakserzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel und Bedarfsgegenständegesetz)

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n. F. NJW NuR NVwZ NW

neue(r) Fassung Neue Juristische Wochenschrift Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen

Abkürzungsverzeichnis NWVBI.

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen der OVGe Lüneburg

und Münster PrALR

Preußisches Allgemeines Landrecht

PrOVG

Preußisches Oberverwaltungsgericht

PrOVGE

Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts

Rn.

Randnummer

RG

Reichsgericht

Rspr.

Rechtsprechung

StGB

Strafgesetzbuch

TA Lärm

Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm

TA Luft

Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft

Tz.

Textziffer

UMK

Umweltministerkonferenz

UPR

Umwelt- und Planungsrecht

UTR

Schriftenreihe (der Forschungsstelle) des Instituts für

Urt. v.

Urteil vom

Umwelt- und Technikrecht (an) der Universität Trier

VDI

Verein Deutscher Ingenieure

VBIBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

VerwArch

Verwaltungsarchiv

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

VO

Verordnung

Vor.

Vorbemerkung

VR

Verwaltungsrundschau

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WHG

Waserhaushaltsgesetz

WiVerw

Wirtschaft und Verwaltung, Beilage zum Gewerbearchiv

zru

Zeitschrift für Umweltschutz

ZffiR

Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

Im übrigen wird auf die Abkürzungsverzeichnisse in der NJW und bei Kirchner, Hildebert I Kastner, Franz, Abkürzungsverzeichnisse der deutschen Rechtssprache, 1983 verwiesen.

21

Einleitung Problemstelluug

Das am 1. 4. 1974 in Kraft getretene Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) normiert für den Bereich der genehmigungsbedürftigen Anlagen mit der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sogenannte Grundpflichten, die den Betreiber unmittelbar verpflichten, die von der Errichtung und dem Betrieb seiner Anlage ausgehenden schädlichen Umwelteinwirkungen zu vermeiden. Die herausragende Bedeutung beider Pflichten für das BImSchG wird durch die Zweckbestimmung des § 1 BImSchG betont, nach der Menschen, Tiere und Pflanzen, der Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen sind und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen ist. Beide Pflichten stellen im Rahmen des Rechts der genehmigungsbedürftigen Anlagen des BImSchG die Hauptinstrumente dar, mit denen in umfassender Weise der Schutz und die Vorsorge des Menschen und der Umwelt vor den Risiken der Industriegesellschaft gewährleistet werden soll. Die inhaltliche Ausgestaltung dieser Pflichten und ihre Abgrenzung voneinander ist trotz einer Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen und Literaturveröffentlichungen immer noch nicht als geklärt anzusehen. Dies liegt zum einen an der Vielzahl der von den Pflichten verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe wie etwa "schädliche Umwelteinwirkungen ", "nicht hervorrufen können", "Vorsorge", "Stand der Technik", deren Sinngehalt nicht eindeutig bestimmt ist. Ein weiterer Grund besteht in der komplexen Verwobenheit beider Pflichten miteinander. So knüpfen sowohl die Schutzpflicht als auch die Vorsorgepflicht an den Begriff der "schädlichen Umwelteinwirkungen " an und werfen hierdurch eine Vielzahl von Fragen nach ihrem spezifischen Inhalt und ihrer Reichweite, ihrer Abgrenzung voneinander und ihrem funktionalen Zusammenwirken auf. Die Brisanz der aufgeworfenen Zweifelsfragen hat sich insbesondere an der vor einigen Jahren in Literatur und Rechtsprechung mit ungewöhnlicher Heftigkeit geführten Kontroverse um Inhalt, Reichweite und Begrenzung der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG gezeigt. Zwar scheint die praktische Bedeutung der dogmatischen Kontroverse im Bereich der weit-

24

Einleitung

räumig verteilten Luftverunreinigungen (Ferntransportproblematik) durch das "Heidelberg-Urteil" des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. 2. 1984 1 sowie die untergesetzliche Konkretisierung durch Rechtsverordnung und allgemeine Verwaltungsvorschriften etwas entschärft worden zu sein. Die grundsätzlichen Probleme haben hierdurch jedoch keine abschließende Klärung erfahren. Denn einerseits wirft die sich nunmehr abzeichnende herrschende Meinung in der Rechtsprechung und Literatur ihrerseits eine Reihe dogmatischer Zweifelsfragen auf und läßt andererseits weitere Konstellationen der Vorsorgepflicht gegen schädliche Umwelteinwirkungen unberücksichtigt. Auch die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImschG ist hinsichtlich ihrer inhaltlichen Ausgestaltung bislang nicht als eindeutig geklärt anzusehen. Zwar hat der Gesetzgeber mit dieser Grundpflicht nicht in gleicher Weise wie mit der Vorsorgepflicht Neuland betreten, so daß der Inhalt dieser Pflicht bislang in der Literatur eher wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Auch ist die Schutzpflicht sehr umfassend durch untergesetzliche Vorschriften konkretisiert worden, so daß es in vielen Fällen ihrer unmittelbaren Anwendung im Einzelfall nicht bedarf. Gleichwohl zeigen sich in Bereichen, in denen keine Konkretisierungen bestehen oder nunmehr Konkretisierungen novelliert werden sollen, wie insbesondere im Bereich der Geräuschimmissionen, die Auslegungsprobleme unterdessen mit großer Deutlichkeit. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf die Entwicklung der Rechtsprechung zur Auslegung des - bislang als unproblematisch empfundenen Begriffes der schädlichen Umwelteinwirkungen im Bereich von Geräuschimmissionen durch das "Kirchenglockenurteil "2 und "Feueralarmsirenenurteil "3 des Bundesverwaltungsgerichts. Nach dieser Rechtsprechung muß auch bei der Schutzpflicht die Frage nach dem funktionalen Zusammenhang zwischen dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen und der Grundpflicht neu gestellt werden. Die Auslegungsprobleme werden schließlich durch die Tatsache verstärkt, daß der Inhalt der Schutzpflicht und der Vorsorgepflicht auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Arten schädlicher Umwelteinwirkungen und sonstiger Gefahren uneinheitlich ausgelegt wird. Die Untersuchung unternimmt daher den Versuch, die Grundpflichten nicht nur für den Bereich der Luftverunreinigungen, sondern auch für den Bereich der Geräuschimmissionen und Stärfallrisiken auf eine einheitliche Struktur und damit auf ein universelles Begründungsmodell für den Bereich schädlicher Umwelteinwirkungen zurückzuführen. 1 BVerwGE 69, 37. 2 BVerwGE 68, 62.

3 BVerwGE 79, 254.

Grundpflichten als System

25

Die Grundpflichten als System - Klärung der Systembegriffe Will man die eingangs aufgeworfenen Probleme umfassend klären, so müssen beide Grundpflichten mit einem einheitlichen logisch-systematischen Ansatz untersucht werden. Nur so kann ihr funktionales Zusammenwirken, insbesondere ihre Verknüpfung mit dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen transparent gemacht und ausgedeutet werden. Zu diesem Zweck sollen die Grundpflichten jeweils als System verstanden werden, mit denen das Gesetz zum Schutz und zur Vorsorge von Mensch und Umwelt das von einer emittierenden Anlage verursachte Risiko steuert; die im Rahmen der Grundpflichten normierten Tatbestände sind folglich als Funktionselemente der Risikosteuerung zu begreifen. Ein System der Risikosteuerung muß notwendig drei Funktionselemente aufweisen: das Element der Risikoerkenntnis , das der Risikozurechnung und das der Risikosteuerung (im engeren Sinne). Die genannten Begriffe sind nicht im strengen Wortsinne zu verstehen, sondern beschreiben in idealtypischer Weise die prinzipiellen Funktionen der einzelnen Steuerungselemente: - Der gemeinsame Begriff "Risiko" soll - unter Einschluß des Begriffes der Gefahr - hier deskriptiv als Möglichkeit des Eintritts eines Schadens, bezogen auf ein bestimmtes Geschehen verstanden werden.

- "Risikoerkenntnis " wird demzufolge interpretiert als Element, mit dem im Rahmen eines Systems ein bestimmter Sachverhalt als Risiko erkannt und bewertet wird. - "Risikozurechnung " kennzeichnet das Funktionselement, mit dem der als Risiko erkannte Sachverhalt einem bestimmten Subjekt zugeordnet wird, von dem der Ausschluß oder die Minimierung des Risikos verlangt werden kann. - "Risikosteuerung " kennzeichnet das Element, mit welchem bestimmt wird, inwieweit das erkannte und zugerechnete Risiko auszuschließen oder zu minimieren ist. Zum Gang der Untersuchung Um den einheitlichen Untersuchungsansatz für beide Pflichten zu verdeutlichen, sollen im ersten Teil die Elemente des Risikosteuerungsystems anband der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Schutz- und Vorsorgepflicht hergeleitet werden. Hieran anknüpfend werden in den weiteren Teilen die Systembestandteile der einzelnen Grundpflichten näher untersucht: Der zweite Teil der Untersuchung beschäftigt sich mit dem Kernbegriff der "schädlichen Umweltein-

26

Einleitung

wirkungen" nach § 3 Abs. 1 BImSchG, der sowohl von der Schutzpflicht als auch von der Vorsorgepflicht in Bezug genommen wird. Dieser Begriff stellt nicht nur inhaltlich, sondern auch im Hinblick auf seine systematische Stellung zu den Grundpflichten des Anlagenbetreibers das Element der "Risikoerkenntnis" dar. Schwerpunkt der Untersuchung bildet dabei sowohl der dem Terminus schädliche Umwelteinwirkungen zugrundeliegende Begriff der Immission als auch der umfangreiche Komplex der Schädlichkeitsbewertung. Im dritten Teil wird die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG untersucht. Schwerpunkt der Interpretation von Risikoerkenntnis-, Risikozurechnungs- und Risikosteuerungstatbestand bildet dabei die Klärung der der Schutzpflicht zugrunde liegenden Verursachungsbeziehung, der Verursachungsbegriff, die einzelnen Prognosetatbestände und die von ihnen vorausgesetzte Wahrscheinlichkeits aussage. Der vierte Teil der Untersuchung beschäftigt sich mit dem Inhalt der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Ausgehend vom einheitlichen systematischen Ansatzpunkt der Untersuchung wird diese Grundpflicht vor dem Hintergrund der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse über Struktur, Inhalt und Reichweite des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen einerseits und der Schutzpflicht andererseits ausgelegt. Durch diese Vorgehensweise kann dargelegt werden, daß die Vorsorgepflicht sich als sehr viel variabler und leistungsfähiger darstellt, als bislang vor dem Hintergrund des "Heidelbergurteils"4 über die Ferntransportproblematik im Bereich von Luftverunreinigungen angenommen. Schwerpunkt der Untersuchung des Risikoerkenntnistatbestandes ist insbesondere die Klärung der Frage, in welcher Funktion der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Rahmen der Vorsorgepflicht verwandt wird und was dieser Begriff als Risikoerkenntnistatbestand leistet. Weiterhin wird der Risikozurechnungstatbestand der Vorsorgepflicht ausgeleuchtet. Hierbei wird aufgezeigt, daß sich eine Vielzahl vorsorgebedürftiger Sachverhalte als Problem der Risikozurechnung darstellt und nur durch eine präzise Bestimmung des Risikozurechnungstatbestandes einer sachgerechten Lösung zugeführt werden kann. Schließlich soll auf das von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes entwickelte Konzeptierungsgebot eingegangen und erörtert werden, ob und in welcher Form dieses Gebot auf die erschlossenen vorsorgebedürftigen Sachverhalte außerhalb der Ferntransportproblematik ebenfalls anzuwenden ist. Im letzten Teil der Arbeit werden die im einzelnen gewonnenen Ergebnisse thesenartig zusammengefaßt.

4 BVerwGE69, 37.

Erster Teil

Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG - Herleitung des Risikoerkenntnis-, Risikozurechnungs- und Risikosteuerungstatbestandes Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß "schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können" (Nr. 1)

und "Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung" (Nr. 2).

Die als Schutz- bzw. Abwehrpflicht 1 und Vorsorgepflicht bezeichneten Grundpflichten bestimmen, inwieweit die Errichtung und der Betrieb einer Anlage auszugestalten ist, daß u. a. schädliche Umwelteinwirkungen vermieden werden. Die Grundpflichten statuieren gegenüber schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen daher spezifische Vermeidungspflichten2 .

A. Zur Bedeutung der Grundpflichten I. Die Gmndpflichten im Regelungssystem der §§ 4 ff. BImSchG Die Grundpflichten des § 5 BImSchG gelten nur für genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des § 4 BImSchG. Hierbei handelt es sich

1 Vgl. zu der Tenninologie Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 4 ff. 2 Vgl. neuerdings auch die Pflicht zum Schutz vor schädlichen UmweIteinwirkungen nach Einstellung des Betriebes der Anlage in § 5 Abs. 3 Nr. 1 BlmSchG; s. dazu Salzwedel, in: MURL (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Umweltrecht, S. 55 ff.; Sellner, NVwZ 1991, 305, 307; Vallendar, UPR 1991, 91,93 ff.; Schlabach, UPR 1990,250. Auf diese Grundpflicht soll im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher eingegangen werden.

28

Teil 1. Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BlmSchG

um Anlagen 3 , die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebes in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht auf die im Einzelfall zu erwartende tatsächliche Gefährlichkeit, sondern lediglich auf ein bei Anlagen der beschriebenen Art allgemein erwartetes oder vermutetes Beeinträchtigungspotential an4 . Der Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen ist in der 4. BlmSchV, die aufgrund der Ermächtigung des § 4 Abs. 1 S. 3 BlmSchG erlassen worden ist, abschließend definiert5 . 1. Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt § 4 BlmSchG normiert in Anlehnung an § 16 GewO a. F., daß die erfaßten Anlagen erst nach wirksamer Erteilung einer Genehmigung errichtet und betrieben werden dürfen. Das Gesetz verbietet im Hinblick auf die Gewerbefreiheit diese Betätigung jedoch nicht, weil sie generell unterbleiben soll, sondern um für Anlagen mit einem besonderen Beeinträchtigungspotential eine wirksame Präventivkontrolle der jeweils einzuhaltenden materiellrechtlichen Vorschriften zu gewährleisten (formelles Errichtungs- und Betriebsverbot). Verläuft diese Prüfung positiv, so ist die Genehmigung zu erteilen, andernfalls zu versagen. Es handelt sich daher um eine gebundene Erlaubnis, die bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erteilt werden muß und auf die ein subjektiver Rechtsanspruch besteht6 . Das Verbot steht daher von vornherein unter dem Vorbehalt, durch eine Genehmigung durchbrochen zu werden; lediglich, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorliegen, erweist sich das formelle Verbot auch als materielles Verbot; insoweit spricht man von einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt7 . 3 Vgl. die Definition des Anlagenbegriffes in § 3 Abs. 5 BlmSchG; s. dazu eingehend Ziegler, UPR 1986, 170 ff.; Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 11 ff.; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 49 ff. 4 Sel/ner, Immissionsschutzrecht, Rn. 16; Jarass, BlmSchG, § 4 Rn. 4; Feldhaus, BImSchG,

§ 4 Anm. 8.

5 Die 4. BIrnSchV regelt aufgrund der Ermächtigung des § 19 Abs. 1 S. 1 BImSchG daIiiber hinaus, in welchen Fällen ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nach § 19 BlmSchG durchzuführen ist. 6 Vgl. BT-Drs. 7 I 179, S. 31; Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 6; Feldhaus, BImSchG, § 6 Anm. 2; Ule / Laubinger, BImSchG, § 6 Anm. 2. 7 So etwa Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 45; ebenso Maurer, Allg. VerwR., § 9 Rn. 51; vgl. zu diesem Institut Schwabe, JUS 1973,833 ff.; Gusy, JA 1981, 80 ff.; Wahl, DVBI. 1982, 51, 52; vgl. zur Unterscheidung vom "repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt" BVerfGE 8, 71,76; 20, 150, 154; 20,365,372; 41, 378, 399; 50, 256,263; aus der verfassungsrechtIichen Herleitung resultiert beim präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in der Regel die materielle

A. Bedeutung der Grundpflichten

29

2. Sicherungsinstrumente zur Einhaltung der Grundpflichten a) Genehmigungsverfahren als präventives Sicherungsinstrument Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens 8 wird insbesondere geprüft, ob die Anlage, d. h. ihre Errichtung und ihr Betrieb, die materiellen Grundpflichten einhält. AnknüpfungstatbestäDde eines Genehmigungsverfahrens sind außer der Errichtung und dem Betrieb einer Anlage (§ 4 BImSchG) auch ihre wesentliche Änderung (§ 15 BlmSchG). Durch die Genehmigung9 wird das präventive Errichtungs- und Betriebsverbot für die Anlage beseitigt. Sie gestattet dem Anlagenbetreiber, die Anlage entsprechend dem Regelungsinhalt der Genehmigung zu errichten und zu betreiben lO . Die Erteilung der Genehmigung setzt voraus, daß die Errichtung und der Betrieb der Anlage rechtmäßig ist. Damit enthält der Regelungsgegenstand der Genehmigung insbesondere auch die verbindliche Feststellung, daß sowohl die Schutz- als auch die Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG eingehalten wird. Die Genehmigung kann nach § 12 BlmSchG mit Nebenbestimmungen versehen werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Erteilung der Genehmigung unter Bedingungen oder deren Verbindung mit Auflagen, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen und damit die Einhaltung der Grundpflichten sicherzustellen.

Beweislast der Behörde für das Vorliegen der Versagungsvoraussetzungen; so etwa Maurer, Allg. VerwR., § 9 Rn. 51; Peschau, Schriften zum Öffentlichen Recht 443 (1983), 108 ff.; a. A. Gusy, JA 181, 80. 8 Das Genehmigungsverfahren ist in § 10 BImSchG und in der 9. BImSchV geregelt; vgl. dazu auch § 19 BImSchG, der in bestimmten Fällen die Durchführung eines vereinfachten Genehmigungsverfahrens zuläßt. 9 Neben der hier erörterten Vollgenehmigung sind im BImSchG auch der Vorbescheid (§ 9 BImSchG) und die Teilgenehmigung (§ 8 BImSchG) geregelt; während im Vorbescheid über gedankliche Teilfragen der Genehmigung (einzelne Genehmigungsvoraussetzungen, Standort etc.) entschieden wird, hat die Teilgenehmigung die Errichtung eines realen Teils der Anlage oder dessen Betrieb, bzw. real abgrenzbare Realisierungsphasen von Errichtung und Betrieb der Gesamtanlage zum Gegenstand; vgl. demgegenüber das neue Institut der "vorläufigen Zulassung" der Errichtung einer Anlage (§ 15 a BImSchG) bei Änderungsgenehmigungsverfahren des § 15 BImSchG (keine Bindungswirkung im Hinblick auf die später erforderliche Genehmigung). 10 SeUner, Immissionsschutzrecht, Rn. 203; Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 18; Feldhaus, BImSchG, § 4 Anrn. 26; siehe zum Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung BVerwG, DVBI. 1990, 371, 372 ff.

30

Teil 1. Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG

b) Nachträgliche Sicherstellung der Grundpflichten durch repressive Sicherungsinstrumente Auch nach der Durchführung des Genehmigungsverfahrens und der Genehmigungserteilung werden die Grundpflichten instrumentell abgesichert. Damit wird zunächst dem Umstand Rechnung getragen, daß die Grundpflichten als Dauerpflichten ausgestaltet sind, deren Inhalt sich mit wechselnden Umweltbedingungen und fortschreitenden technischen Standards oder wissenschaftlichen Erkenntnissen im Lauf der Zeit verändern kann 11 . Darüber hinaus bestehen weitere Gründe in der Möglichkeit der Fehlerkorrektur von bereits erteilten Genehmigungen, der Sicherstellung von Auflagen und der Anpassung an veränderte Rechtslagen 12 . Als repressive Sicherungsinstrumente kommen im wesentlichen - nachträgliche Anordnungen (§ 17 BImSehG), - Untersagung, Stillegung und Beseitigung von Anlagen (§ 20 BImSehG), - Widerruf der Anlagengenehmigung (§ 21 BImSehG) in Betracht. ll. Unmittelbare Geltung der Grundpflichten

Die Grundpflichten des § 5 BImSchG sind in Abweichung von der Rechtslage aufgrund der GewO nicht nur Maßstabsnormen für die Genehmigungserteilung oder nachträgliche Anordnungen, sondern bilden unmittelbar geltende Pflichten für den Anlagenbetreiber 13 . Durch ihre unmittelbare Geltung ist eine Einschränkung der durch die Genehmigung verliehenen Rechtsposition gegenüber der früheren gewerberechtlichen Genehmigung nach § 16 GewO verbunden. Aufgrund der alten Rechtslage erhielt der Betreiber mit der Genehmigung ein materielles subjektiv-öffentliches Recht, das in der Genehmigung mit Auflagen und Bedingungen eine abschließende Regelung erfuhr. Eine darüber hinausgehende selbständige gesetzliche Betreiberpflicht existierte nicht. Die Behörde konnte jedoch in der Genehmigung nach § 16 GewO, bei wesentlichen Änderungen nach § 25 Abs. 1 GewO und im Rahmen von nachträglichen Anordnungen nach Maßgabe des

11 Vgl. Jarass, DVBI. 1985, 193 ff. 12 Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 1; SeUner, Immissionsschutzrecht, Rn. 422 ff. 13 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 1; SeUner., Immissionsschutzrecht, Rn. 422 ff.; Hammann, S. 118 ff.; einschränkend aber, insbesondere im Hinblick auf die vor Inkrafttreten des BlmSchG bereits genehmigten Altanlagen, von Mutius, Rechtsgutachten, S. 32 ff.

A. Bedeutung der Grundpflichten

31

§ 25 Abs. 3 GewO Verpflichtungen zum gefahrfreien Betrieb gegenüber dem Betreiber festsetzen 14.

Allerdings bedürfen auch die Grundpflichten des § 5 BlmSchG stets der Konkretisierung durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsakt, um ihre Einhaltung gegenüber dem Betreiber formell zu erzwingen. So bleibt ein Verstoß des Betreibers gegen die Grundpflicht sanktionslos, so lange sich der Betreiber im Rahmen der Genehmigung und sonstiger konkretisierender Bestimmungen hält. Die Grundpflichten sind jedoch insoweit bedeutsam, als diese den Betrieb der Anlage von vornherein unter ihren Vorbehalt stellen. Da die Anlage auch nach Erteilung der Genehmigung stets grundpflichtenbelastet bleibt, werden nachträgliche Konkretisierungen dieser Pflicht durch Verfügungen und Rechtsverordnungen erheblich erleichtert. So signalisiert die Grundpflichtenbelastung, daß auch die genehmigte Anlage unter einem latenten Einschränkungsvorbehalt steht und relativiert damit von vornherein die Eingriffsbeschränkung des § 17 Abs. 2 BlmSchGl5. Unter diesem Aspekt entsprechen die Grundpflichten des § 5 BImSchG jedenfalls konstruktiv der allgemeinen Polizeipflichtigkeit ("Nichtstörungspflicht ") 16; es ist sogar anzunehmen, daß die dynamische 17 Grundpflichtenbindung aufgrund des BlmSchG der ursprünglichen polizei- und ordnungsrechtlichen Pflichtenkonstruktion näher kommt, als die aufgrund der GewO getroffenen Regelungen. Auch die allgemeine Polizei- und Ordnungspflicht ist von den konkreten Umständen abhängig - insofern also dynamisch - und bedarf der Aktualisierung und Konkretisierung durch den Erlaß von Verfügungen 18. Allerdings wirkt sich die Dynamisierung von Nichtstörungspflichten im repressiven Kontrollsystem nicht aus; der Erlaß einer Verfügung ist stets allein anband der konkreten Umstände zu beurteilen und wird durch einen per Genehmigung vermittelten Bestandsschutz des Pflichtigen nicht beeinflußt. Bedeutung erlangt die Dynamisierungswirkung in der Regel nur im System des präventiven Verbotes mit Erlaubnisvorhalts, da hier die an eine 14 Vgl. hierzu Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 21; umfassend ders., in: Festgabe BVerwG, S. 603 ff.; Feldhaus, BImSchG, § 5 Anm. 2. 15 Vgl. dazu Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 22; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 1, 42; Feldhaus, BImSchG, § 5 Anm. 2; ders., WiVerw 1986,67,71; Sendler, UPR 1983, 33; Dolde, in: Festschrift für Bachof, S. 191 ff; ders., NVwZ 1986, 873, 879; Hoppe, Wirtschaftliche Vertretbarkeit, S. 31, 146. 16 Zur Generalklausel als immanente Bestimmung der Polizeipflichtigkeit ("Nichtstörungspflicht") vgl. Wolf! / Bachof, VerwR. III, § 127 I a; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 293; Götz, S. 98; Pietzcker, DVBI. 1984,457,459 m. w. N. auf Ganmer, S. 10, 129; Beye, S. 93; zustimmend Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 435, 436. 17 Vgl. Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 1; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 22; prägnant Hammann, S. 119 f. 18 Manens, DVBI. 1981,597,598.

32

Teil 1. Die Grundpflichten nach § 5 Abs. I Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG

Anlage zu stellenden veränderten Anforderungen stets mit dem durch die Genehmigung vermittelten Bestandsschutz konfligieren l9 . Soweit im System des präventiven Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt der Bestandsschutz eines Pflichtigen zu berücksichtigen ist, kann dies sogar zu einer Divergenz zwischen der Konkretisierung der speziellen Grundpflicht und der allgemeinen Polizei-und Ordnungspflicht führen, mit dem Ergebnis, daß das Sonderordnungsrecht (BImSchG oder GewO) tendenziell durch das allgemeine Gefahrenabwehrrecht "überholt" werden kann20 .

B. Zur Struktur der Grundpflichten Die Struktur der Grundpflichten kann logisch in drei Grundelemente differenziert werden:

1. die Bestimmung, welches Risiko durch die Grundpflichten erfaßt werden soll (Tatbestand der Risikoerkenntnis), 2. die Bestimmung, inwieweit der Anlage die schädlichen Umwelteinwirkungen überhaupt zugerechnet werden können (Tatbestand der

Risikozurechnung),

3. die Bestimmung, ob und inwieweit die Anlage die ihr zugerechneten schädlichen Umwelteinwirkungen zu vermeiden hat (Tatbestand der

Risikosteuerung).

Im Gegensatz zum Tatbestand der Risikoerkenntnis, der jedenfalls nach dem Wortlaut beider Pflichten mit dem Begriff schädliche Umwelteinwirkungen definiert ist, werden die Elemente der Risikozurechnung und des Risikoausschlusses teilweise lediglich mittelbar angedeutet21 : 19 Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gilt ähnliches auch für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen der §§ 22 ff. BImSchG, wenn etwa die Betreiberpflicht konkretisierende Rechtsverordnungen fortentwickelt werden. 20 Soweit man das Sonderordnungsrecht nicht als abschließende Spezialregelung bewertet, stellt sich dann die Frage, wie im Rahmen der Polizei-und Ordnungspflichtigkeit die Wertungen des Sonderordnungsrechts Berücksichtigung finden können. Vgl. hienu das Problem der Legalisierungswirkung von Genehmigungen (BVerwGE 55, 118; Manens, DVBI. 1981,597,603 f.; Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, 1, 11 f.; umfassend Peine, JZ 1990, 201 ff.) welches insbesondere im Zusammenhang mit der "Altlastenproblematik" neu diskutiert wird; vgl. nur Papier, Altlasten, S. 35 ff.; ders., DVBI. 1985, 873, 876; Fluck, VerwArch 79 (1986), 406; Breuer, JUS 1986,359, 362; Kloepfer, NuR 1987, 7, 13; Schink, DVBI. 1985, 1155 f.; ders., DVBI. 1986, 161, 166 f.; Brandt / Lange, UPR 1987,11,15. 21 Anders jedoch bei der hier nicht näher zu untersuchenden Grundpflicht des § 22 Abs. 1 BImSchG, wo die Risikoausschlußelemente im Sinne einer abgestuften Ptlichtigkeit klar genannt werden: schädliche Umwelteinwirkungen sind zu verhindern, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (Nr. 1), nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen sind auf ein Mindestmaß zu beschränken (Nr. 2).

B. Struktur der Grundpflichten

33

Im Rahmen der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG läßt sich das Element der Risikozurechnung dem Merkmal "hervorrufen (können) " entnehmen, während das Element der Risikosteuerung lediglich durch dessen Negation "nicht (hervorrufen können)" ausgedrückt wird. Demgegenüber kennzeichnet die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sehr deutlich das Risikosteuerungselement "Vorsorge gegen" und unterstreicht dessen Bedeutung mit dem Zusatz "insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen der Emissionsbegrenzung "; der Wortlaut enthält demgegenüber keinen expliziten Hinweis auf das Element der Risikozurechnung; daß ein derartiges Element auch der Vorsorgepflicht zu Grunde liegt, ergibt sich notwendigerweise daraus, daß Vorsorgemaßnahmen gegen schädliche Umwelteinwirkungen nur dann von einer Anlage gefordert werden können, wenn diese der Anlage auch zugerechnet werden können. I. Der Risikoerkenntnistatbestand Der Begriff "schädliche Umwelteinwirkungen" Gegenüber dem im Polizei- und Ordnungsrecht22 verwandten Begriff der Gefahr23 stellt sich der Risikoerkenntnistatbestand der schädlichen Umwelteinwirkungen als wesentlich komplexer und differenzierter dar. Besonders zu berücksichtigen ist, daß der zu bewertende Kausalverlauf am Begriff der Immissionen ansetzt und im Hinblick auf unterschiedliche Beeinträchtigungsarten (Gefahr, Nachteil, Belästigung) zu untersuchen ist. Zu beachten ist weiter, daß der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nicht nur von der Schutzpflicht, sondern auch von der Vorsorgepflicht in Bezug genommen wird, was für die Abgrenzbarkeit beider Pflichten Probleme bereitet24 .

22 Vgl. zur prägenden Wirkung der Rege!ungen des allgemeinen Polizeirechts für das BlmSchG Martens, DVBI. 1981,597,598 f. 23 Die "Gefahr" wird definiert als eine Lage, in der bei einem ungehinderten Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen würde; vgl. zur Definition BVerwGE 28,310, 315; 45,51,57; BVerwG, NJW 1970, 1890, 1892; grundlegend: Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 220, 220; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 187; Götz, S. 65; Scholler / Broß, S. 118; Scholz, VerwArch 27 (1919), 1, 35; Wolff / Bachof, VerwR. III, § 125 III a; vgl. bereits PrOVGE77, 333; 77, 341; 87, 301, 310. 24 Siehe dazu Teil 4. A. 1. 2. und C. 1. 3 Pelersen

34

Teil 1. Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG

11. Der Tatbestand der Risikozurechnung

Der Tatbestand der Risikozurechnung weist für die Grundpflichten folgende Struktur auf: 1. Verursachungsbeziehung Der Risikozurechnungstatbestand betrifft die Frage, ob und inwieweit die schädlichen Umwelteinwirkungen der Anlage zugerechnet werden können. Die Risikozurechnung setzt daher als Grundlage das Bestehen einer Verursachungsbeziehung zwischen der Anlage und den schädlichen Umwelteinwirkungen, präziser: den Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG), voraus. a) Anknüpfungspunkt der Verursachungsbeziehung Gegenstand der Grundpflicht aa) Errichtung und Betrieb der Anlage Als Gegenstand der Grundpflichten normiert § 5 Abs. 1 BImSchG die Errichtung und den Betrieb der Anlage2 5 . Hierdurch wird nicht nur der Anknüpfungspunkt der Verursachungsbeziehung zwischen Anlage und schädlicher Umwelteinwirkungen normiert26 , sondern zugleich festgelegt, daß zur Erfüllung der Grundpflicht lediglich Maßnahmen gefordert werden dürfen, die sich auf die Errichtung und den Betrieb der Anlage beziehen27 . Mit Jarass ist allerdings davon auszugehen, daß der Tatbestand der Errichtung 25 Immissionsschutzrechtlich Verantwortlicher nach dem BImSchG ist daher der Errichter oder Betreiber einer Anlage. Dies ist diejenige natürliche oder juristische Person, die den bestimmenden Einfluß auf die Errichtung oder den Betrieb der Anlage ausübt, also das Unternehmen, zu dem die Anlage gehört, selbständig, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung führt; vgl. nur Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 55, 56. 26 Vgl. Martens, in: Festschrift für Ipsen, S. 449, 460; nur Erfassung der "spezifisch anlagenbedingten Verursachung"; zur Problematik der Einbeziehung "äußerer Störfälle" siehe unten Teil 1. B. H. a) bb). 27 Vgl. dazu Martens, DVBI. 1981. 597, 605, der lediglich betriebsbezogene Maßnahmen für zulässig hält und hinsichtlich sonstiger Maßnahmen auf das allgemeine Polizei-und Ordnungsrecht zurückgreifen will; kritisch hierzu Fluck, VerwArch 79 (1988), 418; vgl. zur Ausdehnung des Bereiches betriebsbezogener Maßnahmen beim Lärm den "Anspruch auf einen für Maßnahmen des passiven Immissionsschutzes zweckgebundenen Geldausgleich" BVerwG, JZ 1989, 239 m. Anm. Murswiek; fortgeführt durch BVerwG, NJW 1989, 467; siehe unten Teil 3. E. H. 1.

B. Struktur der Grundpflichten

35

allein im Hinblick auf seine Auswirkung auf den späteren Betrieb der Anlage zum Gegenstand der Grundpflicht normiert worden ist. Die Anlage ist so zu errichten, daß ein Betrieb grundpflichtenkonform möglich ist28 . Dabei wird der Betrieb einer Anlage in umfassender Weise verstanden; er erfaßt nicht nur die Produktion i. e. S., sondern die gesamte Betriebsweise einschließlich Wartung und Unterhaltung29 . Der Betrieb beginnt mit der Inbetriebnahme zu Produktionszwecken, wozu auch der Probelauf der Anlage zählen kann30 . Zu den Faktoren, die den Betrieb auch hinsichtlich seiner Gefahrenbeurteilung bestimmen, zählen insbesondere das Produktionsverfahren, die Einsatz-, Zwischen-, Neben- und Endprodukte sowie die einzelnen Arbeitsabläufe und Betriebszeiten31 . bb) Normalbetrieb und Stör/all

Nach wohl allgemeiner Auffassung wird als Anknüpfungspunkt der Verursachung sowohl der "Normalbetrieb" als auch der "Störfall" dem Betrieb der Anlage zugerechnet32 . Der Begriff des Störfalles im immissionsschutzrechtlichen Sinne erfaßt sämtliche Fälle eines technischen Versagens der Anlage mit jedenfalls vorübergehend stärkeren Emissionen, Brand und Explosionsfolgen sowie Fälle äußerer Störungen, etwa durch Flugzeugabsturz, Sabotage- oder Terrorakte oder durch Kriegsereignisse 33 . In diesem Zusammenhang ist 28 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 2; a. A. Feldhaus, BImSchG, § 5 Anm. 2; § 5 regelt daher nicht die durch die Errichtung der Anlage verursachten schädlichen Umwelteinwirkungen, etwa Baulärm. 29 BT-Drs. 7 I 179, S. 31; Jarass, BImSchG, § 4 Rn. 25; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 4 Rn. 38. 30 Feldhaus, BImSchG, § 4 Anm. 4. 31 Jarass, BImSchG, § 4 Rn. 25. 32 Vgl. nur Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 7; Ule / Laubinger, BImSchG, § 5 Rn. 4; HansenDix, S. 98; Marburger, WiVerw 1981, 241, 242; Rehbinder, BB 1976, 1; Manens, DVBI. 1981, 597, 599; Hansmann, DVBI. 1981, 898; Breuer, WiVerw 1981, 219, 232; Schmatz / Nöthlichs, Immissionsschutz, § 5 Anm. 4.1.1; Feldhaus, WiVerw 1981, 191, der Störfälle zwar ebenfalls zum Betrieb zählt, die hierdurch ausgelösten Folgen ohne nähere Begründung aber nich( als schädliche Umwelteinwirkungen, sondern als "sonstige Gefahren" i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt BImSchG qualifiziert; ähnlich Schäfer, WiVerw 1981,208,209. Diese Auslegung führt zum Ergebnis, daß gegenüber Störfällen keine Vorsorgepflicht gern. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG besteht. 33 Vgl. Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 26; Rehbinder, BB 1976, 1; Breuer, NJW 1977, 1025,1028; OVGLüneburg, GewA 1975, 303; DVBI. 1977,347; demgegenüber hatte der § 2 Abs. 1 der 12. BImSchV (Störfall-VO) bislang einen eingeschränkten Störfallbegriff verwendet, der insbesondere erforderte, daß durch den Störfall eine "Gemeingefahr" hervorgerufen werden mußte. Als Gemeingefahr wurde nach § 2 Abs. 2 der 12. BImSchV eine Gefahr für Leben oder schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen von Menschen, für die Gesundheit einer großen 3"

36

Teil 1. Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG

umstritten, ob und inwieweit der durch äußere Eingriffe verursachte Störfall ("äußerer Störfall") in die Bewertung der Vermeidungspflicht des Anlagenbetreibers einzubeziehen ist 34 . Diese Streitfrage kann nur vor dem Hintergrund der in Bezug genommenen Grundpflicht geklärt werden. Entscheidend ist dabei nicht nur die von der Grundpflicht vorgegebene Eintrittswahrscheinlichkeit der Herbeiführung schädlicher Umwelteinwirkungen (oder sonstiger Gefahren), sondern auch der der Grundpflicht zugrunde liegende Verursachungsbegriff35 . b) Die Struktur der Verursachungsbeziehung Bei genauerer Betrachtung läßt sich die in den Grundpflichten angelegte Verursachungsbeziehung in zwei Ebenen differenzieren, für die der Begriff der Emission nach § 3 Abs. 3 BImSchG und der Immission nach § 3 Abs. 2 BImSchG kennzeichnend sind: Nach § 3 Abs. 3 BImSchG sind Emissionen die von der Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Erscheinungen; nach § 3 Abs. 2 BImSchG werden die Effekte als Immissionen bezeichnet, wenn sie auf die in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter einwirken36 . Die Differenzierung in die unterschiedlichen Zurechnungsebenen ist vor allem für die Behandlung des Störfall- und Normalbetriebsrisikos von Bedeutung:

Zahl von Menschen oder für Sachen "von hohem Wert" angesehen. Neuerdings ist durch die Novellierung der 12. BImSchV vom 28.8.1991 der Begriff der "Gemeingefahr" durch den der "ernsten Gefahr" ersetzt worden (BGBI. I 1991, S. 1838). Inhaltlich ist der Sachgüterschutz entsprechend der novellierten Ziel bestimmung des § 1 BImSchG erheblich erweitert und verbessert worden. Als "ernste Gefahr" kommt nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 der 12. BImSchV auch eine Gefahr in Betracht, bei der die Umwelt, insbesondere Tiere und Pflanzen, der Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- oder sonstige Sachgüter geschädigt werden kann, soweit hierdurch das Gemeinwohl beeinträchtigt würde. 34 Kritisch: Manens, DVBI. 1981,597,599; ders., in: Festschrift für Ipsen, S. 449 ff., 460 f.; vgl. dazu Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 26; Breuer, NJW 1977, 1025, 1028 f.; Rehbinder, BB 1976, 1; OVG Lüneburg, OVGE 32, 456 ff.; DVBI. 1984, 890; vgl. auch § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der 12. BImSchV und Feldhaus, WiVerw 1981, 191,200. 35 Der letztgenannte Aspekt ist - soweit ersichtlich - für den Bereich des Immissionsschutzrechts bisher noch nicht erkannt worden; er ist unter dem Schlagwort "Eigensicherung für gefährdete Anlagen" vor allem für Flughäfen in jüngerer Zeit kontrovers diskutiert worden. Vgl. dazu insbesondere den Streit um die Sicherung des Flughafens Stuttgart: BVerwG, DVBI. 1986, 360 m. Anm. Schenke; VGH B-W, JZ 1983, 102 m. Anm. Karpen; Götz, NVwZ 1984, 214; Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 435; grundlegend: Ossenbühl, Eigensicherung und hoheitliche Gefahrenabwehr (1981); Schiller / Drettmann, DVBI. 1977, 956; Krüger, DÖV 1977,263. 36 S. o. bei der Definition der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1 BImSchG.

B. Struktur der Grundpflichten

37

aa) Erste Zurechnungsebene: Anlage - Emission Im Rahmen der ersten Zurechnungsebene ist zu untersuchen, ob es aufgrund des Betriebes der Anlage zu Emissionen kommen kann. Der Normalbetrieb ist im Rahmen der ersten Zurechnungsebene unproblematisch. Daß durch den Normalbetrieb Emissionen vom Betrieb der Anlage ausgehen ist sicher und wird - als eine notwendige Nebenfolge der Produktion - sogar bewußt in Kauf genommen. Unsicher ist hingegen, ob die Emissionen zu immissionsbedingten negativen Effekten führen 37 . Demgegenüber ist im Rahmen des Störfallrisikos einer Anlage zu prüfen, ob es überhaupt zu Emissionen (und sonstigen Gefahren etc.) außerhalb des Normalbetriebs kommen kann, und ob diese zu immissionsbedingten negativen Effekten führen. Bei gewöhnlichen Störungen des Normalbetriebs dürften beide Tatsachen ungewiß sein38 . Bei schwerwiegenden Störfällen wirkt sich die Ungewißheit jedoch nahezu ausschließlich im Rahmen der ersten Zurechnungsebene aus. Hier besteht in der Regel keine Ungewißheit darüber, daß es zu negativen Effekten kommen kann, unklar ist nur, ob es zu einer störfallbedingten Emission kommt. Für die Risikoabschätzung des Anlagenbetriebs ist allerdings unerheblich, auf welcher Seite der Kausalkette die Ungewißheit liegt, oder ob mehrere Glieder der Kausalkette mit einer Ungewißheit versehen sind. Entscheidend ist allein das Gesamtrisiko des Anlagenbetriebs, allerdings muß bei einer aus der doppelten Ungewißheit resultierenden Eintrittswahrscheinlichkeit der Umfang des prognostizierten Schadens höher sein39 .

bb) Zweite Zurechnungsebene: Emission - Immission Im Rahmen der zweiten Zurechnungsebene ist zu untersuchen, ob die von einer Anlage ausgehende Emission zu einer Immission führen kann, bzw. ob und inwieweit Immissionen einer von der Anlage ausgehenden Emission zuzurechnen sind. Wie bereits erörtert, liegt im Rahmen dieser Zurechnungsebene die Hauptproblematik des Normalbetriebsrisikos. Die Zuordnung der von einer Anlage ausgehenden Emission zu der quellenunabhängigen Immission erfordert lediglich die Mitverursachung der Anlage im Sinne eines Immissionsbeitrages. Vor- und Fremdbelastungen, also Immissionen, die durch Emissionen anderer Quellen verursacht sind, 37 Murswiek, S. 189, spricht insoweit von einem Ingerenzfolgenrisiko. 38 Murswiek, S. 189, geht hier davon aus, daß dem Ingerenzfolgenrisiko ein Ingerenzverur-

sachungsrisiko vorgelagert ist.

39 Murswiek, S. 189.

38

Teil 1. Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BlmSchG

synergistische Effekte, die durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Immissionen verursacht werden, stehen einer Zurechnung nicht entgegen40 .

2. Der Verursachungsbegriff im Rahmen der Grundpflichten Im Rahmen des repressiven Instrumentariums - etwa bei einer Eingriffsverfügung im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht - läßt sich die Eigenständigkeit einer Verursachungsbeziehung zwischen der Gefahr und dem Verantwortlichen unproblematisch veranschaulichen: Der der prognostizierten Gefahr4 1 zugrundeliegende Kausalverlauf wird diagnostisch42 zu den Verursachern zurückverfolgt und dem polizeirechtlich "Verantwortlichen" zugerechnet. Dabei kommt es nicht allein auf eine naturwissenschaftliche Kausalität an; entscheidend ist vielmehr, wer die polizeirechtlich relevante Ursache gesetzt hat43 . Soweit auch im System des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt repressive Instrumentarien - vor allem in Gestalt von nachträglichen Anordnungen des § 17 BImSchG - zur Anwendung kommen, liegt ihnen prozedural das gleiche Prüfungs- und Kausalschema zugrunde44 . Demgegenüber gibt das präventive Instrument des Genehmigungsverfahrens ein anderes Prüfungsschema vor: Das Genehmigungsverfahren geht von einern bereits identifizierten potentiellen "Störer" aus, der im konkreten Fall darauf untersucht wird, ob und inwieweit von ihm tatsächlich schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen können. Zu diesem Zweck muß ihm die zu vermeidende schädliche Umwelteinwirkung prognostisch zugeordnet werden. Die Störer40 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 40; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 20; Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 5; OVGLüneburg, GewA 1975, 305; OVGE 32,453. 41 "gI. dazu Hansen-Dix S. 31 f.; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 224; Götz S. 71 f.; Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen 11, S. 116.

42 Zu diesem Begriff für die Störerbestimmung vgl. Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen 11, S. 133; HojJmann-Riem, in: Festschrift für Wacke, S. 332, 335. 43 Vgl. zu den einzelnen Verursachungstheorien: von Mutius, Jura 1983, 298, 304 f.; Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 439; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 312; Vieth, S. 60 ff.; Spießhofer, S. 28 ff.; zur Adäquanztheorie: vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, Vorb. v. § 249 Anm. 5 B) aa); BGHZ 3,261; zur Theorie der Sozialadäquanz: vgl. Hurst, AöR 83 (1958), 43, 61 ff.; zur Theorie der rechtswidrigen Verursachung: Schnur, DVBI. 1962, 1; vgl. auch Vollmuth, VerwArch 68 (1977), 45, 51; Wolf! / Bachof, VerwR. III, § 127 I b; Erichsen, VVDStRL 35 (1977), 171,201,205 f.; Pietzcker, DVBI. 1984,457 ff. m. w. N. in Fn. 3; zur Theorie der unmittelbaren Verursachung: vgl. etwa OVG Lüneburg, OVGE 14, 397; OVG NRW, OVGE 5, 185; 14, 265; DVBI. 1964, 683; DVBI. 1973, 924; VGH B-W, VR 20, 426; Hess. VGH, MDR 1970, 791; OVG Hamburg, DÖV 1983, 1016; OVG NRW, UPR 1984,279; Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 212 ff.; Götz, S. 103 ff.; Wolf! / Bachof, VerwR. III, § 127 I c; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 313 j. m. w. N. 44 Lediglich der Kreis der Verantwortlichen ist auf den Kreis (der Betreiber) genehmigungsbedürftiger Anlagen beschränkt.

B. Struktur der Grundpflichten

39

bestimmung erfolgt daher nicht logisch und zeitlich nach der Gefahrenbeurteilung, sondern stellt sich als deren Grundlage dar. Das eigentliche Kausalschema ist jedoch identisch. Das BlmSchG normiert mit dem Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen nach § 4 BlmSchG i.V.m. der 4. BlmSchV allein die potentielle Verantwortlichkeit des Betreibers der Anlage. Die entscheidende Frage, ob der Betreiber der Anlage auch tatsächlich verantwortlich ist, wird hierdurch nicht beantwortet. Die tatsächliche Verantwortlichkeit hängt davon ab, ob die von ihm (d. h. dem Betrieb seiner Anlage) hinreichend wahrscheinlich hervorgerufenen, d. h. als kausal prognostizierten schädlichen Umwelteinwirkungen ihm auch rechtlich zugerechnet werden können. Die lediglich durch die verfahrensmäßige Situation bestimmte Prüfungsweise hat keinen Einfluß auf den Inhalt der Verursachungsbeziehung und deren Anforderungen45 . Dies liegt bereits in der Konstruktion begründet, daß die Risikozurechnung Bestandteil der Grundpflicht selbst und nicht der angewandten - repressiven oder präventiven - Instrumente ist.

3. Wahrscheinlichkeitsaussage über die Verursachungsbeziehung Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit Bereits aus dem Wortlaut der Schutz- und Vorsorgepflicht ("hervorrufen können", "Vorsorge gegen") ergibt sich, daß die Darlegung der Verursachungsbeziehung zwischen Anlage und schädlichen Umwelteinwirkungen von Wahrscheinlichkeitsaussagen abhängig ist. Dabei ist unerheblich, ob die Beurteilung der Verursachungsbeziehung im Rahmen präventiver oder repressiver Maßnahmen erfolgt. Die Verursachungsbeziehung und die sie betreffende Wahrscheinlichkeitsaussage sind Bestandteil der Grundpflichten; diese werden durch die jeweils anknüpfenden Sicherungsinstrumente nur in Bezug genommen, nicht jedoch inhaltlich modifiziert46 . 45 Zweifelhaft daher Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 16, der behauptet, angesichts des Maßstabes der hinreichenden Wahrscheinlichkeit stelle sich "die Frage der Kausalität .. .im Genehmigungsverfahren daher nicht in voller Schärfe"; vgl. zu dem Kausalitätsnachweis im VerwaltungsrechtDiederichsen / Scholz, WiVerw 1984, 23, 25 f. 46 Dies läßt sich insbesondere an der Eingriffsnorm des § 17 BImSchG veranschaulichen: So normiert der Tatbestand des § 17 BImSchG keine eigenständigen Eingriffsvoraussetzungen, sondern verweist primär entweder auf die Grundpflichten des Anlagenbetreibers (Satz 1) oder gibt deren Inhalt umschreibend wieder (Satz 2: "nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren ... geschützt"). Ob und inwieweit der Anlage die schädlichen Umwelteinwirkungen zugerechnet werden und welche Maßnahmen zu deren Vermeidung zu ergreifen sind, bestimmt daher nicht die Eingriffsnorm selbst, sondern die in Bezug genommene Grundpflicht. Die lediglich in Absatz 2 normierten Kriterien für eine Verhältnismäßigkeit von nachträglichen Anordnungen bestimmen nicht, sondern begrenzen lediglich den Inhalt und die Reichweite der Vermeidungspflicht und tragen dem sich aus der

40

Teil 1. Die Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG

Soweit eine Wahrscheinlichkeitsaussage erforderlich ist, stellt sich die Frage des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes. Dieser kann dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nicht entnommen werden47 , da hier allein die Wirkungsebene der Immissionen angesprochen wird ("Wirkungsprognose"). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist daher allein aus dem Sinngehalt der jeweiligen Grundpflicht zu ermitteln und kann im Rahmen der Schutz- und Vorsorgepflicht unterschiedlich ausgestaltet sein. Entsprechend der vorstehend skizzierten differenzierten Zurechnungsebenen innerhalb der Verursachungsbeziehung läßt sich auch die Wahrscheinlichkeitsaussage über die Verursachungsbeziehung in die "Emissionsprognose" (erste Zurechnungsebene: Anlage - Emission) und "Immissionsprognose" (zweite Zurechnungsebene: Emission - Immission) unterscheiden48 . 111. Der Tatbestand der Risikosteuerung

Daß im Rahmen der Grundpflichten als Vermeidungspflichten ein relativer Vermeidungsstandard zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen soweit diese der Anlage zugerechnet werden - angelegt ist, ist bislang nur vereinzelt erkannt worden49 . Bereits für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrechts ist anerkannt, daß aus dem Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung allein noch nicht auf die Notwendigkeit ihrer Abwehr geschlossen werden kann. Im Polizei- und Ordnungsrecht wird die Nichtstörungspflicht durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ihrer Reichweite begrenzt. Die zu ihrer Erfüllung erforderlichen Maßnahmen stehen im Ermessen der zuständigen Behörde, die auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur auswählen kann, gegen wen und mit welchen Maßnahmen sie vorgeht, sondern auch, ob sie überhaupt eingreifen soll 50 .

spezifischen verfahrensmäßigen Situation resultierenden Bestandsschutzinteresse des betroffenen Anlagenbetreibers Rechnung. 47 A. A. Jarass, DVBI. 1983,725,729. 48 Da es hierfür auf anlagenbezogene Umstände ankommt, kann man im Hinblick auf die Prognosen - in Abgrenzung zum Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen, der eine immissionsbezogene Wirkungsprognose erfordert - von einer "anlagenbezogenen Risikoerkenntnis " sprechen. 49 Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 24, 25. 50 Entscheidend ist dabei der Rang des betroffenen Rechtsgutes und der drohende Schaden sowie die durch die beabsichtigte Maßnahme ausgelösten Folgen für den Betroffenen und Dritter; vgl. BVerwGE 59, 104, 109 f.; NVwZ 1983, 227; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 390 m. w. N.; Götz, S. 127 f.

B. Struktur der Grundpflichten

41

Ein entsprechend angelegter relativer Vermeidungsstandard wird im BImSchG durch die Grundpflichten teilweise selbst ausdrücklich normiert: Im Rahmen der hier nicht näher zu untersuchenden Grundpflicht des § 22 Abs. 1 BImSchG wird der Vermeidungs standard differenziert geregelt. Soweit von der Anlage verursachte schädliche Umwelteinwirkungen nicht nach dem Stand der Technik vermieden werden können, sind sie lediglich auf ein Mindestmaß zu beschränken. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird daher im Bereich der nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen ein Restmaß von schädlichen Umwelteinwirkungen für zulässig erachtet51 . Demgegenüber normiert der Wortlaut der Schutzpflicht in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG den Vermeidungsstandard im Hinblick auf schädliche Umwelteinwirkungen sehr strikt: "nicht (hervorrufen können)". Ob damit tatsächlich eine Verpflichtung des Anlagenbetreibers zum absoluten Ausschluß jedweden anlagenbedingten Risikos normiert worden ist, bedarf näherer Prüfung52 . Der Vermeidungsmaßstab der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG bereitet trotz der Vorgabe eines Regelbeispiels insoweit Schwierigkeiten, als er vom gedanklich strikten Vermeidungsmaßstab der Schutzpflicht kaum abzugrenzen ist. Möglich erschiene eine Abgrenzung entweder in der Form, daß bei gleichen Anforderungen an die Risikoerkenntnis und Risikozurechnung der Vermeidungsmaßstab noch weiter angezogen würde, oder - naheliegender - daß bei einem anderen und weitergehenden Risikoerkenntnis- und Zurechnungsmaßstab die Vermeidungspflichten gesondert zu ermitteln sind.

51 Vgl. hierzu Kutscheidt, NVwZ 1983,65; Sellner / Löwer, WiVerw 1980,221. 52 Ein absoluter Risikoausschluß wird vom "Voerde-Urteil" des BVerwG in erheblicher Weise relativiert, wenn es ausführt, daß erkannte Risiken lediglich "nach hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein (müssen)"; BVerwGE 55,250,254 f.

Zweiter Teil

Der Begriff der "schädlichen Umwelteinwirkungen " nach § 3 Abs. 1 BImSchG Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen ist der Zentralbegriff des BImSchG. Er wird nicht nur von den hier zu untersuchenden Grundpflichten der genehmigungsbedürftigen Anlagen, der Schutz- und Vorsorgepflicht, sondern auch von einer Vielzahl anderer Regelungen dieses Gesetzes sowie der darauf gestützten Rechtsverordnungen in Bezug genommen; darüber hinaus wird dieser Begriff auch in vielen anderen Gesetzen verwandt 1 •

A. Definitionsrahmen Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG

"Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". Entsprechend dieser Legaldefinition besteht dieser Begriff aus zwei Elementen: Zum einen muß es sich um Immissionen handeln, zum anderen müssen die Immissionen eine gewisse Störqualität haben2 , nämlich geeignet sein, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen herbeizuführen.

B. Der Begriff der Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG Der Begriff der Immissionen wird nach § 3 Abs. 2 BImSchG definiert als

"auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wänne, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen ".

1 Jarass, DVBI. 1983,725 m. w. N. 2 Jarass, DVBI. 1983,725; Feldhaus, BImSehG, § 3 Anm. 6.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

43

Die oben zitierte Legaldefinition macht deutlich, daß das in § 3 Abs. 1 BImSchG genannte Element der "Umwelteinwirkung" mit dem Begriff der Immission identisch ist. So spricht § 3 Abs. 2 BImSchG neben den definierten Immissionsarten auch von "ähnlichen Umwelteinwirkungen"; entsprechend verwendet die in § 3 Abs. 3 BImSchG normierte Legaldefinition des Begriffes der Emissionen den Begriff der "ähnlichen Erscheinungen" 3 .

I. Immissionsarten Die Immissionsarten werden in § 3 Abs. 2 BImSchG in einer nicht abschließenden Aufzählung genannt. An erster Stelle wird der Begriff der Luftverunreinigung aufgeführt, der in § 3 Abs. 4 BImSchG als einzige Immissionsart auch legal definiert wird4 . Die Hervorhebung des Begriffes der Luftverunreinigung an zentraler Stelle macht deutlich, daß die Regelungen des BImSchG primär auf die Problematik der Luftverunreinigungen zugeschnitten sind. Die ebenfalls im Rahmen dieser Untersuchung zu betrachtenden Geräusche sind gesetzlich nicht definiert worden. Geräusche im Rahmen des Immissionsbegriffes sind in Form von Schallwellen hörbare Einwirkungen5 . Die Hörbarkeit orientiert sich dabei am menschlichen Gehör, so daß lediglich Schallwellen im Schwingungsbereich zwischen 16 und 20 000 Hz erfaßt werden6 . Neben den ebenfalls in der Aufzählung enthaltenen Erschütterungen, Licht, Wärme und Strahlen werden als Auffangtatbestand die "ähnlichen Umwelteinwirkungen" genannt. Anerkanntermaßen werden damit nur Vorgänge erfaßt, bei denen am Einwirkungsort physische Veränderungen auftreten können, also keine immateriellen Einwirkungen, wie etwa die Störung des Ortsbildes. In Anlehnung an § 906 Abs. 1 BGB muß es sich um physische Einwirkungen durch unwägbare Stoffe handeln. Dies machen auch

3 Jarass, DVBI. 1983, 725. 4 Dieser Begriff wird in § 3 Abs. 4 BImSchG definiert als "Veränderung der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe"; vgl. zu der Defmition der einzelnen Teilbegriffe und der Bestimmung der natürlichen Zusammensetzung der Luft die VDI-Richtlinie 2104; s. dazu Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 2. 5 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 4. 6 Vgl. Bethge / Meurers, TA Lärm, Nr. 2.11 Rn. 1; Jarass, DVBI. 1983,725; ferner Rid / Hammann, NVwZ 1989, 200, 201 j. m. w. N.; soweit sich diese WeIlen jedoch im U1traschaIlbereich bewegen, können sie als Strahlen zu beurteilen sein; vgl. dazu Schmatz / Nöthlichs, Immissionsschutz, § 3 Anm. 2; Jarass, DVBI. 1983,725, 726.

44

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

die Regelbeispiele, deutlich7 .

insbesondere der Begriff der Luftverunreinigung,

"Negative" Immissionen, wie etwa die Behinderung des Zutritts von Luft und Licht werden vom Immissionsbegriff nicht erfaßt8 . Zwar ist in der Legaldefinition des § 3 Abs. 2 BImSchG im Gegensatz zu § 906 BGB der Begriff "zuführen" nicht enthalten. Für das erforderliche positive Wirkungselement des Immissionsbegriffs spricht jedoch nicht nur die Legaldefinition des Begriffes der Emission in § 3 Abs. 3 BImSchG ("von der Anlage ausgehenden"), sondern vor allem auch das in § 3 Abs. 3 BImSchG enthaltene Tatbestandsmerkmal der "Umwelteinwirkung" selbst. Der Begriff der Immission ist durch Verwendung des Begriffes der ähnlichen Umwelteinwirkung nicht statisch, sondern dynamisch ausgestaltet worden, um sich dem Fortschritt der technischen Entwicklung und der wissenschaftlichen Erkenntnis anpassen zu können. Es muß sich jedoch stets um Einwirkungen handeln, die in ihrem Wesen und ihrer Wirkungsweise den genannten Regelbeispielen ähneln9 .

11. Das Element der "Einwirkung" Zentrales Definitionselement des Immissionsbegriffes ist der Begriff der "Einwirkung" .

7 Jarass, DVBI. 1983, 725, 726; Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 5 m. w. N. Physische Einwirkungen durch wägbare Stoffe wie Steine, Sand, Flüssigkeiten etc. sind daher nicht als Immission und daher auch nicht als schädliche Umwelteinwirkung zu betrachten. Die von ihnen ausgehenden negativen Effekte können als "sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile oder erheblichen Belästigungen" nach § 5 Abs. 1, 2. Alt. BImSchG berücksichtigt werden. 8 So auch Schmatz / Nöthlichs, Immissionsschutz, § 1 Anm. 4; a. A. Jarass, DVBI. 1983, 726; ders., BImSchG, § 3 Rn. 48. 9 Vgl. Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 5; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 20, unter Hinweis auf die Amt!. Begr. zu § 3. Damit dürften auch gentechnisch veränderte Mikroorganismen unter den Begriff der Immission fallen; daß es sich bei Mikroorganismen im Gegensatz zu den genannten Regelbeispielen um lebende Materie handelt, steht dieser Bewertung nicht entgegen, da anerkanntermaßen auch Krankheitserreger unter den Begriff der Immission fallen; so: Schmatz / Nöthlichs, Immissionsschutz, § 3 Anm. 2; Jarass, DVBI. 1983, 725, 726 m. w. N.; vgl. dazu Nr. 4.11 der 4. BImSchV, aufgehoben durch das Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz); offen: VG Frankfurt, Beschl. v. 3. 2. 1989, Az: 11 /2 H 3022 / 88 und Hess. VGH, Beschl. v. 6. 11. 1989, Az: 8 TH 685/89, zu der nach Nr. 4.11 der 4. BImSchV genehmigungsbedürftigen Insulin-Anlage der Hoechst AG; vgl. auch Kloepfer / Delbrück, UPR 1989, 281, 284; vgl. auch Pohlmann, BB 1989, 1205 ff.; Schwab, NVwZ 1989, 1012 ff.; Rose, DVBI. 1990, 279. Zur Frage des spezialgesetzlichen Regelungsbedürfnisses aufgrund des GeseUesvorbehaltes vgl. Hess. VGH, NJW 1990, 336; dazu Rose, DVBI. 1990,279; Sendler, NVwZ 1990,231; Fluck, UPR 1990, 81.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

45

1. Der Begriff der "Einwirkung"

Mit dem Definitionselement "Einwirken" wird entgegen dem Wortlaut nicht vorausgesetzt, daß Wirkungen am Einwirkungsobjekt erzielt werden; es genügt vielmehr das Auftreffen am Einwirkungsobjekt oder in dessen Umgebung. Die Frage, ob und inwieweit durch den Vorgang Wirkungen erzielt werden, wird systematisch dem Element der Schädlichkeitseignung zugeordnet 10. Dabei wird nicht gefordert, daß die genannten Vorgänge tatsächlich auf die genannten Einwirkungsobjekte einwirken müssen, sondern es genügt, daß sie unter normalen Umsatänden einwirken, d. h. auftreten können 11. Bereits der Begriff der Immission enthält somit ein prognostisches Element, wobei allerdings lediglich eine Aussage über die bloße Möglichkeit des Einwirkens zu treffen ist 12 . 2. Die Einwirkungsobjekte

Als Einwirkungsobjekte werden durch die Legaldefinition des § 3 Abs. 2 BImSchG in Übereinstimmung mit der Zweckbestimmung des § 1 BImSchG "Menschen, Tiere und Pflanzen, der Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter" aufgezählt. a) Begriffe Als Einwirkungsobjekt und Schutzgut wird an erster Stelle der Mensch genannt. Dabei soll der Mensch nicht nur vor einer Gefährdung seiner Gesundheit geschützt werden, vielmehr wird dessen physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden durch die Erhaltung und Schaffung erträglicher Umweltbedingungen angestrebt 13 . Als weitere Einwirkungsobjekte und Schutzgüter werden Tiere und Pflanzen, der Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter genannt. Gegenüber der bisherigen Aufzählung "Tiere, Pflanzen und andere Sachen" 14 ist der Kreis der Einwirkungsobjekte nunmehr erheb10 Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 5.

11 Feldhaus, BImSchG,. § 3 Anm. 5.; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Anm. 20. 12 Vgl. dazu die Vorschriften über das Immissionsmeßverfahren in Nm. 2.6.2.2 bis 2.6.2.6 TA Luft sowie in Nr. 2.421.1 TA Lärm. 13 Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 1 Anm. 4; Feldhaus, BImSchG, § 1 Anm. 2; Stich / Porger, BImSchG, § 1 Rn. 4, unter Hinweis auf die Amtl. Begr. zu § 1. 14 Zu diesem Zusammenhang vgl. Reich, S. 39 ff.

46

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

lich erweitert worden l5 . Insbesondere wird durch die Aufnahme des Bodens, des Wassers und der Atmosphäre als eigenständige Einwirkungsobjekte der Schutz dieser Umweltmedien selbständig normiert und insoweit vom - in seiner Reichweite zweifelhaften - Sachbegriff gelöst. Unter der bisherigen und wohl auch nach der neuen - Rechtslage wird der Sachbegriff in Anlehnung an § 90 BGB definiert. Sachen sind danach nur körperliche Gegenstände, also Grundstücke und bewegliche Sachen, darunter auch Tiere und Pflanzen, nicht aber Rechte I 6. Materien wie etwa die Luft, der Boden, das Meer und fließendes Wasser werden mangels eigener körperlicher Abgrenzbarkeit vom Sachbegriff des BGB nicht oder nur eingeschränkt erfaßt 17. Nach dieser zivil rechtlich vorgeprägten Interpretation des Sachbegriffes wird die Umwelt in ihrer Gesamtheit und ökologischen Wechselbeziehungen nicht ausdrücklich geschützt. Vor dem Hintergrund des Schutzzweckes des BImSchG, der sich von der Zielrichtung des BGB, das allein an einer Gestaltung von rechtlichen Beziehungen zwischen Personen und Sachen orientiert ist, grundlegend unterscheidet, erscheint eine vorbehaltlose Übernahme der zivilrechtlichen Deutung des Sachbegriffes durchaus nicht als zwingend l8 . Dies vor allem deshalb, weil nach der alten Rechtslage die Übernahme der zivilrechtlichen Definition des Sachbegriffes auch umweltrechtlich zu unbefriedigenden Konsequenzen geführt hat l9 . Durch die im Rahmen der Novellierung des BImSchG erfolgte Abkoppelung der ökologisch bedeutsamen Schutzgüter vom Sachbegriff ist das Schutzdefizit beseitigt worden20 .

15 Drittes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 11. Mai 1990 (BGB\. I 1990, S. 870); vg\. dazu Sellner, NVwZ, 1991,305,306. 16 Landrrumn / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § I Rn. 4 m. w. N. 17 Das Merkmal der Abgrenzbarkeit soll die Möglichkeit einer besitz- oder eigentumsähnlichen Zuordnung sicherstellen; vg\. dazu Palandt - Heinrichs, BGB, § 90 Anm. I a). 18 Zur weiteren Kritik an der Formulierung des Schutzzwecks vg\. Reich, S. 39 ff. m. w. N. 19 Zur Problematik, nach alter Rechtslage den Boden als Schutzgut des BImSchG zu interpretieren: OVG NRW, Urt. v. 10. 11. 1988, Feldhaus, ES BImSehG, § 5 - 27 (Schutzgut nur als Bestandteil des Grundstücks); Lübbe-Wolff, NVwZ 1986, 178, 179; sehr weitgehend Seltner, NVwZ 1991, 305, 306; vg\. ferner Nr. 2.2.1.3 Abs. 5 TA Luft. 20 Es ist insoweit fragwürdig, die NovelIierung der Schutzgüter lediglich als "KlarsteIlung" zu bezeichnen; so aber der Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß) BT-Drs. 11 16633, S. 43; zustimmend Seltner, NVwZ 1991, 305, 306; Feldhaus; BImSehG, § 1 Anm. 2, geht demgegenüber von einer Erweiterung des Schutzbereiches aus.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

47

b) Normsystematische Stellung der Einwirkungsobjekte Die oben genannte Objekte werden nicht nur als Einwirkungsobjekte in § 3 Abs. 2 BImSehG, sondern im Rahmen der Zweckbestimmung des § I BlmSchG auch als Schutzgüter21 genannt. Bei einem Vergleich beider Normen mit der Legaldefinition der "schädlichen Umwelteinwirkungen" fällt jedoch auf, daß im Rahmen der Schädlichkeitsbewertung des § 3 Abs. I BlmSchG nicht die Einwirkungsobjekte bzw. Schutzgüter, sondern die "Allgemeinheit" und die "Nachbarschaft" als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden. Diese Beurteilungsbeziehung steht im Spannungsverhältnis zu § 1 BlmSchG, welcher schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen unmittelbar mit den Einwirkungsobjekten bzw. Schutzgütern in Relation setzt und daher diese Objekte zum Maßstab der Schädlichkeitsbeurteilung zu machen scheint. Andererseits nimmt § 1 BlmSchG durch die Verwendung des Begriffes schädliche Umwelteinwirkungen jedenfalls für diesen Bereich wiederum die Begriffe Allgemeinheit und Nachbarschaft mittelbar in Bezug. Es ist insoweit nicht ganz deutlich, welches die eigentlichen Schutzgüter im Sinne des BlmSchG sind22 . Diese unbestimmte Ausgestaltung des BlmSchG hat zur Frage geführt, ob das Gesetz einen am Wohl des Menschen orientierten anthropozentrischen oder einen ökologisch orientierten unmittelbaren Schutz der Umwelt verfolgt. Überwiegend wird aus der Zweckbestimmung des § 1 BlmSchG gefolgert, daß das BlmSchG einen rein anthropozentrischen - also allein am Schutzgut Mensch orientierten Umweltschutz ablehne; der in der Zweckbestimmung jedoch ebenfalls enthaltene Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung deute demgegenüber darauf hin, daß eine Beeinträchtigung von Menschen, Tieren, Pflanzen und anderen Sachen nur relevant sei, wenn sie zu Lasten der Nachbarschaft oder Allgemeinheit gehe23 . 21 So ausdlÜcklich Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § I Rn. 2. 22 Vgl. dazu Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 18, der Allgemeinheit und Nachbarschaft als "Belastungsobjekte " bezeichnet. 23 So etwa Jarass, BImSchG, § I Rn. 4 m. w. N.; Landmann! Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 1 Rn. 2, Rid, S. 54; a. A.: Reich, S. 41, der insbesondere darauf abstellt, daß der in § 1 BImSchG ebenfalls aufgeführte Schutz vor Gefahren, erheblichen Belästigungen und erheblichen Nachteilen im Gegensatz zu § 5 Abs. I Nr. 1 keinen Bezug zu den Begriffen Allgemeinheit und Nachbarschaft herstellt. Diese Herleitung wird durch die Erweiterung des Schutzgüterkreises in § 1 BImSchG nicht belÜhrt. Zwar mag die eigenständige Normierung bestimmter Umweltmedien zu einer verstärkten Akzentuierung des ökologischen Schutzansatzes des BImSchG führen; die grundlegende Systematik des Gesetzes - insbesondere das Verhältnis zwischen § 1 und § 3 Abs. 1 BImSchG - ist jedoch nicht verändert worden.

48

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Diese Herleitung bedarf der Präzisierung: Zunächst ist zu beachten, daß es auf eine "Beeinträchtigung" der Einwirkungsobjekte im Rahmen des Immissionsbegriffes nicht ankommt, sondern lediglich darauf, ob die genannte Vorgänge in der Umgebung der Objekte auftreten können. Die Objekte erscheinen insoweit lediglich als eine Art Medium, an dem sich die Gefährdung der Allgemeinheit oder der Nachbarschaft erweist24 . Gleichwohl kann die Schädlichkeitseignung für die Nachbarschaft oder die Allgemeinheit nur dann festgestellt werden, wenn auch ein Urteil über die Schädlichkeit der Vorgänge bei den Einwirkungsobjekten selbst getroffen worden ist. Um die Einwirkungsebene mit der Schädlichkeitseignungsebene zu verknüpfen, wird man die Einwirkungsobjekte nicht nur als Immissions-Rezeptoren, sondern wie bereits § 1 BImSchG nahelegt - zugleich als echte Schutzgüter verstehen müssen. Nach dieser Betrachtungsweise stellen die Einwirkungsobjekte bzw. Schutzgüter einen Teil der Nachbarschaft und Allgemeinheit dar und sind in diesem Kontext schützenswert25 . So ist einerseits die Bewertung dieser Schutzgüter von dem Interesse der Nachbarschaft und Allgemeinheit abhängig 26 . Andererseits hat jedoch die im Rahmen der Zweckbestimmung des § 1 BImSchG unrelativierte Aufzählung der Schutzgüter Einfluß auf die Definition der Nachbar- und Allgemeininteressen. Tiere, Pflanzen, Umweltmedien, Kultur- und Sachgüter werden daher nicht nur als Gegenstand von Rechten der Nachbarschaft und der Allgemeinheit geschützt, sondern auch, soweit sie - was regelmäßig der Fall sein dürfte - die äußeren Lebensbedingungen der Menschen beeinflussen und ihre Unversehrtheit zu deren Wohlbefinden beiträgt, als eigenständige Schutzgüter. Ihr Rang verstärkt sich durch ihre Förderungsfunktion für das Schutzgut Mensch. Im Rahmen dieser Wechselbeziehung ist über einen anthropozentrisch orientierten Schutz der in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter hinaus auch ein

24 Rid, S. 83. 25 So Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 1 Rn. 4; a. A. Reich, S. 41; vgl. dazu die Nr. 2.2.1.3 der TA Luft 1986: Es wird im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung nicht davon ausgegangen, daß Immissionen in der Nähe der Schutzgüter Mensch, Tiere, Pflanzen und anderer Sachen "auftreten", sondern daß "Gefahren" eingetreten sind; dabei werden jedoch unterschiedliche Schädlichkeitskategorien verwendet: So erreichen "Gefahren" für Tiere, Pflanzen und andere Sachen lediglich den Grad einer "erheblichen Belästigung" oder eines "erheblichen Nachteils" für die Nachbarschaft oder die Allgemeinheit; bei "Gefahren für die menschliche Gesundheit" bleibt die Regelung unklar: Zwar sind sie "stets erheblich", jedoch wird nicht deutlich, ob als "erhebliche" Gefahr, Belästigung oder Nachteil für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft. 26 Vgl. dazu Rid, S. 55, der jedoch umgekehrt betont, daß die Erwähnung von Nachbarschaft und Allgemeinheit nur verdeutlichen soll, daß der Immissionsschutz sowohl im öffentlichen wi:: auch im privaten Interesse stehe.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

49

ressourcenökonomischer bzw. ökologisch orientierter unmittelbarer Schutz der Umwelt im Rahmen des § 3 Abs. I BImSchG angelegt27 . Die Schutzgüter können einerseits als Rechte der Nachbarschaft, andererseits als Objekt von Integritätsinteressen der Allgemeinheit in Betracht kommen. Dies kann im Falle gleichlautender Interessen zu einer Verstärkung des Schutzgutes, im Falle konkurrierender Anforderungen jedoch auch zu einem Bewertungskonflikt führen. So kann einerseits der Eigentümer über die ihm gehörenden Sachen I:lnbeschränkt verfügen und z. B. auf deren Schutz verzichten; andererseits kann ein Schutz von Tieren, Pflanzen und anderen Sachen jedoch auch im Interesse der Allgemeinheit liegen, so daß er in diesem Fall nicht der Dispositionsbefugnis des Eigentümers unterliegt28 . IH. Strukturprinzipien des Immissionsbegriffes Die Strukturprinzipien des Immissionsbegriffs lassen sich anhand der Abgrenzung zu dem Begriff der Emissionen nach § 3 Abs. 3 BImSchG darstellen. Der Begriff der Emissionen wird nach § 3 Abs. 3 BImSchG definiert als "die von einer Anlage ausgehenden Lujtverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Erscheinungen".

Die von der Legaldefinition genannten Vorgänge sind mit den im Immissionsbegriff genannten substantiell identisch. Im Gegensatz zu den Immissionen, welchen durch das Definitionselement der "Einwirkung" ein Wirkungsbezug zwischen Stoff und Einwirkungsobjekten zugrunde liegt, weisen die Emissionen einen Anlagenbezug ("von der Anlage ausgehenden") auf. In Abgrenzung zu diesem Merkmal wird der Begriff der Immission durch folgende Prinzipien gekennzeichnet: 1. Das Prinzip der Quellenunabhängigkeit

Immissionen müssen auf Menschen, Tiere, Pflanzen, Umweltmedien sowie Kultur- und sonstige Sachgüter "einwirken". Durch diesen Begriff wird der Betrachtungszeitpunkt und der Betrachtungsort abweichend vom

27 So im Ergebnis Jarass, BImSchG, § 1 Rn. 4; Landmann / Rahmer / Kutscheidt, BImSchG, § 1 Rn. 4; Stich / Parger, BImSchG, § 1 Rn. 7; Engelhardt, BImSchG, § 1 Rn. 3; OVG

Lüneburg, GewA 1975, 303. 28 Vgl. dazu Jarass, BImSchG, § 1 Rn. 4 m. w. N. 4 Pclersen

50

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Emissionsbegriff definiert 29 . Während die Vorgänge als Emission betrachtet werden, wenn sie die Quelle verlassen, werden sie als Immission gewertet, sobald sie am Einwirkungsobjekt auftreffen. Die unterschiedliche Betrachtungsweise führt regelmäßig zu einer veränderten Bewertung der substantiell an sich identischen Vorgänge: Durch den Verbreitungsvorgang werden Luftverunreinigungen und Geräusche, aber auch andere Vorgänge, nicht selten verändert, indem sie entweder schwächer werden, sich mit anderen Vorgängen überlagern oder zu neuen Vorgängen verbinden 30 . Darüber hinaus führt die quellenunabhängige Betrachtungsweise zu einer Erfassung der Gesamtbelastung am Einwirkungsort. Bei der Beurteilung von Immissionen sind insoweit Vorbelastungen am Einwirkungsort oder Fremdbelastungen durch Immissionen anderer Quellen miteinzubeziehen31 . Dabei ist es prinzipiell unerheblich, aus weIcher Art von Quelle die Vor- oder Fremdbelastung stammt; die Gesamtbelastung ist grundsätzlich nicht nur für gleichartige, sondern auch für verschiedenartige Immissionen, wie etwa Luftverunreinigungen und Geräusche, zu berücksichtigen32 . 2. Das Prinzip der Mitverursachung

Da im Rahmen des Immissionsbegriffes die Gesamtbelastung am Einwirkungsort zu berücksichtigen ist, kommt es für die Frage, ob von einer Anlage schädliche Umwelteinwirkungen verursacht werden, lediglich auf die Mitverursachung der Anlage an. Vor- und Fremdbelastungen der Immissionssituation werden der mitursächlich beteiligten Anlage prinzipiell voll zugerechnet 33 .

29 Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 5; Jarass, DVBI. 1983,725, 726. 30 Jarass, DVBI. 1983,725,726; Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 5.

31 Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 5; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 20; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 40 32 Für eine zusammenfassende Bewertung unterschiedlicher Immissionsarten z.B Geräusche und Luftverunreinigungen fehlt es allerdings bislang an untergesetzlichen Regelwerken. Selbst im Rahmen der TA Luft können synergistische Wirkungen der einzelnen Luftschadstoffe nur bei den in Nr. 2.5.1 und 2.5.2 genannten Immissionswerten erfaßt werden, vgl. dazu Nr. 2.5 Satz 3 TA Luft. 33 Zu den unterschiedllichen Formen der Mitverursachung im Zivilrecht, insbesondere Nachbarrecht und Haftungsrecht vgl. Brüggemeier, UTR 12(1990),261,268; Kleindienst, S. 56 ff.; Diederichsen / Scholz, WiVerw 1984, 23, 36 ff.; Diederichsen, in: Festschrift für Reimer Schmidt, S. I, 15 ff.; Köndgen, UPR 1983, 345, 350 f.; Kormann, UPR 1983, 281 f.; Bullinger, VersR 1972, 599. Zur Kausalitätsproblematik des Umweltstrafrechts vgl. Möhrenschlager, WiVerw 1984,47,49 ff.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

51

Die Frage der Mitverursachung, d. h. des relevanten Immissionsbeitrages der zu betrachtenden Anlage wird anhand der von ihr allein verursachten Emission beurteilt. Von einer Mitverursachung der Anlage ist regelmäßig dann auszugehen, wenn diese entsprechende Emissionen auslöst; umgekehrt wird die Gesamtbelastung einer Anlage nicht zugerechnet, wenn von ihr für eine Mitverursachung relevante Emissionen nicht ausgehen 34 . Im Rahmen der Mitverursachung sind auch Verbesserungen der Vor- oder Fremdbelastung relevant. Die von einer Anlage ausgehenden Immissionen können trotz konstanter Emission und daraus resultierenden Verursachungsbeitrages einer Anlage sinken, wenn etwa an einer Nachbaranlage die Emissionen reduziert werden 35 . 3. Sonderfall: Geräuschimmissionen Die oben dargestellten Prinzipien werden für Geräuschimmissionen durch die Regelungen der TA Lärm nicht beachtet. Nach Nr. 2.12 ist eine Immission eine Einwirkung eines von einer Anlage ausgehenden Geräusches auf Nachbarn oder Dritte. Entsprechend bestimmt Nr. 2.213, daß für die Durchführung von Lärmschutzmaßnahmen eine Frist gewährt werden kann, wenn durch den Betrieb einer Anlage wegen ständig einwirkender Fremdgeräusche keine zusätzlichen Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen auftreten. Darüber hinaus regelt Nr. 2.422.4 die Modalitäten der Ausblendung von Fremdgeräuschen im Beurteilungsverfahren. Die in Nr. 2.12 der TA Lärm definierte Immission ist mit dem in § 3 Abs. 2 BImSchG definierten Begriff nicht identisch, sondern stellt eine Kombination zwischen Emission und Immission dar. Die für diese Sonderegelung häufig angeführte Begründung, ein Zusammenwirken mehrerer Schallquellen führe nicht in gleichem Maße zu einer Erhöhung des Immissionspegels wie ein Zusammenwirken mehrer Luftverunreinigungsquellen36 , vermag nicht zu überzeugen. Selbst wenn Geräusche sich häufig wegen ihrer unterschiedlichen Charakteristik und ihrem unterschiedlichen zeitlichen Auftreten einer einfachen Addition entziehen, oder gar 34 Jarass, DVBJ. 1983,725,727; OVGLüneburg, GewA 1981, 344. 35 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 16 f.; BVerwGE 55, 267 ff.; a. A. OVG NRW, DVBJ. 1976, 797. 36 Der Schalldruckpegel ist ein logarithmisches Maß, so daß etwa zwei gleich starke Geräuschquellen von 50 dB (A) zu 53 dB (A) addieren. Als eine Verdoppelung der Lautstärke wird erst eine Verzehnfachung der Schallintensität mit Pegelerhöhungen um 10 dB (A) empfunden; vgJ. Bethge I Meurers, TA Lärm, 2.12 Rn. 2. 4'

52

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

von Vor- und Fremdbelastungen im Einzelfall überdeckt werden können37 , spricht dies nicht gegen die Anwendung des gesetzlichen Immissionsbegriffes. Die besondere Charakteristik von Immissionen ist vielmehr im Rahmen der Schädlichkeitsbeurteilung zu berücksichtigen; bei Geräuschen wäre daher zu untersuchen, ob und inwieweit sie in ihrer Wirkung kumulieren können38 . Demgegenüber führt eine Ausblendung der Vor- und Fremdbelastung schlechthin zu rechtlich und umweltpolitisch bedenklichen Schutzlücken39 . Diesem Defizit Rechnung tragend, werden in der Verwaltungspraxis der Länder die anlagenbezogenen Immissionswerte der TA Lärm (Nr. 2.321) denn auch im Sinne des § 3 Abs. 2 BlmSchG ausgelegt40 . Sonderregelungen gelten auch im Bereich der Verkehrsgeräusche. Die ständige Rechtsprechung des BVerwG stellt für die Schädlichkeitsbewertung einer Immission nicht darauf ab, ob die vorgegebene Schädlichkeitsschwelle für Geräusche durch hinzukommende Verkehrsgeräusche überhaupt überschritten wird, sondern fordert, daß die Belastung allein durch die Erhöhung des vorhandenen Geräuschniveaus bedingt sein muß; dies soll nur dann der Fall sein, wenn die Erhöhung "spürbar" ist, nämlich wenigstens 3 dB (A) beträgt41 . Diese Rechtsprechung ist inzwischen von der 16. BlmSchV (Verkehrslärmschutz-Verordnung) für die Definition der wesentlichen Änderung i. S. d. § 41 BlmSchG übernommen worden42 . Auch diese Sonderregelung erscheint rechtlich und umweltpolitisch bedenklich. Soweit nämlich eine vorgegebene Schädlichkeitsschwelle erreicht 37 Eine Verdeckung einer Geräuschquelle kann angenommen werden, wenn der Fremdgeräuschpegel mindestens 3 dB (A) über dem der Anlage liegt und für beide Geräuschanteile die Frequenzzusammensetzung und der zeitliche Verlauf zumindest ähnlich sind; vgl. Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 20; Jarass, DVBI. 1983,725,727. 38 Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 20. 39 So im Ergebnis auch Jarass, DVBI. 1983, 725, 727; kritisch ebenso Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 36; auch Bethge / Meurers, TA Lärm, 2.12 Rn. 2 halten "für den Zweck des Umweltschutzes das Zusammenwirken aller Immissionen" für ein wesentliches Kriterium. 40 Vgl. zur Auslegung der TA Lärm den Beschluß des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 2.13. Juni 1977 (abgedr. in Bethge / Meurers, TA Lärm, D 5.l); vgl. bereits zur jedenfalls betriebsbezogenen Immissionssummenbetrachtung VG Köln, Urt. v. 10. 1. 1974, Feldhaus, ES GewO, § 16 - 17, S. 9 ff. Demgegenüber bezieht die 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung) nach § 2 Abs. 1 jedenfalls die Geräusche aller dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfallenden Anlagen in die Immissionsbetrachtung ein. 41 So etwa BVerwGE 51, 32; 59,253; OVG NRW, Urt. v. 13.7. 1983 - 9 A 992 I 81; Urt. v. 17. 5. 1985 - 9 A 2537 I 83; vgl. bereits die Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes (RLS) vom 6. Juli 1983 - VkBl. 1983, 306; vgl. dazu Kuschnerus, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 93, 97 unter dem Aspekt der anlagenbedingten, tatsächlichen Vorbelastung. 42 Siehe § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV; vgl. dazu Alexander, NVwZ 1991, 318, 319; Hölder, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 171, 180; zur wechselvollen Vorgeschichte der 16. BImSchV ausführlich Stich, UPR 1985, 265; 1988,281.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

53

ist, sind selbst isoliert nicht "spürbare"43 Erhöhungen unzulässig; im übrigen führt diese Regelung zur Zulässigkeit einer stetig steigenden Immissionsbelastung, soweit die hinzukommende Immissionsbelastung weniger als 3 dB (A) beträgt44 . IV. Funktionen des Immissionsbegriffes für die Grundpflichten 1. Funktionen für den Risikoerkenntnistatbestand

a) Der Immissionsbegriff als Funktionselement des Wirkungsstandards Durch das dem Immissionsbegriff immanente Prinzip der Quellenunabhängigkeit und der Mitverursachung sind Immissionsstandards, d. h. Festlegungen über das zulässige Ausmaß der Gesamtimmission, als reine Wirkungsstandards45 anzusehen. Sie gehen nicht von der Beurteilung der von einer bestimmten Immissionsquelle ausgehenden Immissionsbelastung aus, sondern orientieren sich an der auf die geschützten Rechtsgüter einwirkenden Gesamtimmissionsbelastung. Ein Wirkungs standard stellt allein auf die Sicherheit des jeweils geschützten Rechtsgutes ab und stellt den Schutz vor beeinträchtigenden Wirkungen sicher, egal aus welcher Quelle sie stammen. Erst durch einen Wirkungs standard kann ein optimaler Rechtsgüterschutz gewährleistet werden. Dies zeigt sich besonders im Vergleich zu den reinen Verursacherstandards46 , die sich nicht an den Verhältnissen der Gesamtsituation, sondern allein an der Gefährlichkeit der Beitragsursache orientieren. Verursacherstandards können eine Überlastung der Gesamtsituation nicht verhindern, wenn sie durch jeweils ungefährliche Beiträge einzelner Verursacher herbeigeführt wird. So hätte eine Anlage auch dann, wenn die Gesamtbelastung die Schädlichkeitsgrenze überschreitet, einen Anspruch auf Genehmigung, wenn sie nur die Grenzen ihres Verursachungsbeitrages einhielte. Auch ein Einschreiten gegen vorhandene Anlagen, die an der

43 Zunächst ist eine Erhöhung des Geräuschpegels um 3 dB (A) erst bei einer Verdoppelung der Geräuschereignisse, dh. des Verkehrsaufkommens erreicht; vgl. dazu Bethge / Meurers, TA Lärm, 2.13 Rn. 2; im direkten Vergleich sind jedoch bereits Pegelunterschiede von 1 dB (A) wahrnehmbar; vgl. Kürer in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 22. 44 So auch Jarass, DVBI. 1983, 725, 727; eine Obergrenze, bei der Geräuschimmissionen auch unterhalb von Erhöhungen von 3 dB (A) als relevant a!lerkannt werden, soll erst ab 70 dB (A) bestehen, vgl. BVerwGE 59,253; vgl. auch BGHZ 97, 114: "Enteignungsschwelle" . 45 Vgl. dazu Murswiek, S. 297; Feldhaus, UPR 1982, 137 ff.; Jarass, NJW 1987, 1225 ff.; siehe auch die anderen Differenzierungen bei Salzwedel, NVwZ 1987, 276, 277. 46 Vgl. dazu Murswiek, S. 299 ff.; Feldhaus, UPR 1982, 137 ff.; Jarass, NJW 1987, 1225 ff.

54

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Überlastung der Gesamtsituation mitursächlich beteiligt sind, wäre nicht möglich, soweit sie sich an ihre individuellen Verursachergrenzen halten würden. Konstruktiv ließe sich ein wirksamer Rechtsgüterschutz durch Verursacherstandards allenfalls dann erreichen, wenn die Gefährlichkeitsbeurteilung der einzelnen Beiträge auch im Hinblick auf ihre Gesamtwirkung erfolgen würde. Dies würde aber voraussetzen, daß zumindest die Zahl der mitverursachenden Emittenten und das Ausmaß der von ihnen ausgehenden Emissionen und Immissionen abschätzbar wäre, was wegen der weiträumigen Verteilung der Luftverunreinigungen jedoch problematisch erscheint. Auf der anderen Seite könnte diese Konstruktion jedoch auch dazu führen, daß - wenn etwa weniger Mitverursacher oder diese in geringerem Maße als erwartet zu der Gesamtbelastung beitragen - Verursacherstandards sogar über das für einen optimalen Rechtsgüterschutz erforderliche Maß hinaus gingen. Je nach Konstellation können Verursacherstandards daher entweder zu Schutzlücken oder zu übermäßigen Härten für die Betreiber von Anlagen führen. Da Verursacherstandards die relevanten Belastungs- oder Wirkungsgrenzen nur mittelbar reflektieren können, ist ihre Steuerungs funktion gegenüber Wirkungsstandards stark eingeschränkt. b) Grenzen der Steuerung durch Wirkungsstandards Allerdings können Wirkungsstandards nicht in allen Bereichen, in denen es um den Schutz vor unzulässigen Immissionsbelastungen geht, Verwendung finden. Da sich ihre Aussage - im Gegensatz zu denen der Verursacherstandards - unmittelbar an den Belastungsgrenzen der Gesamtimmission orientiert, können Wirkungs standards die Zulässigkeit des von der konkreten Anlage mitverursachten Immissionsbeitrages lediglich indirekt steuern. Diese indirekte Steuerung setzt voraus47 , 1. daß sich aus der Gesamtimmission überhaupt Rückschlüsse auf die Zulässigkeit des Immissionsbeitrages ziehen lassen, 2. daß der Umfang des Immissionsbeitrages seinerseits durch den Anlagenbetreiber gesteuert werden kann48 . Die Erfüllung der ersten Bedingung ist problematisch, wenn die Gesamtimmission nicht oder nicht zuverlässig dem Immissionsbeitrag einer Anlage zugeordnet werden kann. Hier kann aus der Immissionsbelastung an 47 Zur Problematik der wirkungsbezogenen Schädlichkeitsbetrachtung als Grundvoraussetzung für die FestIegung von Wirkungs standards siehe unten Teil 3. E. I. I. a) aa) aaa). 48 Vgl. dazu Murswiek, S. 300, der jedoch den tragenden Gedanken der indirekten Steuerung nicht erkennt.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

55

sich kein relevantes Datum für die Steuerung der emittierenden Anlage gewonnen werden. Beispielhaft für diese Problemlage ist der sogenannte Femtransport weiträumig verteilter Luftverunreinigungen49 . Die Erfüllung der zweiten Bedingung ist für den Bereich der durch Störfälle verursachten Immissionen problematisch. Eine Steuerungsmöglichkeit der Immissionsbeiträge anband der Gesamtimmissionssituation besteht nur für planmäßig emittierte Immissionen im Rahmen des Normalbetriebes; für den Bereich der durch Störfälle verursachten Immissionsbeiträge besteht diese Steuerungsmöglichkeit gerade nicht. Weder kann aus der Nichtüberschreitung der zulässigen Gesamtimmissionsmenge auf die Störfallsicherheit der betreffenden Anlage geschlossen werden, noch lassen sich störfallbedingte Immissionen planmäßig auf ein bestimmtes zulässiges Maß begrenzen. Daher können in diesem Bereich Betriebspflichten einer Anlage nur durch unmittelbar wirkende Verursacherstandards gesteuert werden50 . Aus der mangelnden Steuerbarkeit der unterschiedlich verursachten Immissionsbeiträge durch Wirkungsstandards kann indes nicht gefolgert werden, daß für die Beurteilung der durch sie (mit)verursachten Gesamtimmissionen der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen keine Anwendung finden könnte. Sowohl für den Femtransport weiträumiger Luftverunreinigungen als auch für Störfallrisiken - soweit man sie unter dem Aspekt der schädlichen Umwelteinwirkungen behandelte51 - gelten selbstverständlich auch die am umfassenden Schutz der einzelnen Rechtsgüter orientierten Wirkungsstandards; für den Schutz der einzelnen Rechtsgüter ist es unbeachtlich, ob die einwirkenden Immissionen durch Nah- oder Femtransport von Immissionen oder durch einen Störfall verursacht werden. Soweit Wirkungsstandards nicht in Betracht kommen, müssen die Immissionsbeiträge der betreffenden Anlage zwar direkt durch Verursacherstandards (s.o.) gesteuert werden, bei der Festlegung dieser Verursacherstandards sind die Wirkungsstandards aber insoweit zu berücksichtigen, als die Summe der nach den Verursacherstandards festgelegten Immissionsbeiträge den jeweiligen Wirkungsstandard möglichst nicht überschreiten darf. 49 So bereits BVerwGE 69,37,43 f. ("Heidelberg-Urteil"); vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen im Rahmen der Vorsorgepflicht § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG in Teil 4. D. III. 2. a). 50 So auch Murswiek, S. 298 ff. m. w. N. zur Kasuistik zur Steuerung der Betriebspflichten durch Wirkungs- oder Verursacherstandards. 51 So OVG Lüneburg, OVGE 32, 444; Breuer, WiVerw 1981, 219, 232; Schmatz / Nöthlichs, Immissionsschutz. § 3 Anrn. 4.1.1; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 7; a. A. Feldhaus, WiVerw 1981, 191. der insoweit eine "sonstige Gefahr" i. S. d. 5 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt annimmt; ähnlich wohl auch Schäfer, WiVerw 1981, 208, 209; von diesem Verständnis geht offensichtlich auch die 12. BImSchV aus. Soweit man das Störfallrisiko dem Bereich der sonstigen Gefahr zuordnet, kommt bereits aufgrund der direkten Anknüpfung an die Anlage allein ein Verursacherstandard in Betracht.

56

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

2. Funktionen für den Tatbestand der Risikozurechnung Störerauswahl und Prioritätsprinzip Vor dem Hintergrund des Prinzips der Quellenunabhängigkeit und der Mitverursachung übernimmt der Immissionsbegriff - unter bestimmten Voraussetzungen - auch Funktionen für die Störerauswahl im Rahmen des BImSchG52. Dem Betreiber einer Anlage werden Vor- und Fremdbelastungen bei der Beurteilung der Schädlichkeit der von seiner Anlage ausgehenden Immission prinzipiell mit zugerechnet. So hat der Betreiber die Verursachung zusätzlicher Immissionsbeiträge zu unterlassen, wenn schon ohne seinen Beitrag die bereits vorhandene, aus anderen Quellen stammende Immissionsbelastung zu erheblichen Beeinträchtigungen führen kann, das zulässige Immissionsvolumen also ausgeschöpft ist. Diese Vermeidungspflicht trifft ihn auch dann, wenn sein Immissionsbeitrag - isoliert betrachtet - völlig ungeeignet wäre, schädliche Wirkungen hervorzurufen53 . Zwar wären bei einer Überschreitung der zulässigen Immissionsbelastung grundsätzlich alle mitverursachenden Anlagen für die beeinträchtigende Wirkung der Gesamtimmission mitverantwortlich54 ; hinsichtlich seiner grundsätzlichen Verantwortlichkeit könnte sich insoweit weder ein Altverursacher darauf berufen, daß die schädlichen Umwelteinwirkungen erst durch den Newcomer verursacht worden sind, noch der Newcomer darauf, daß die Altverursacher den Immissionswert bereits ausgeschöpft haben. Im Verhältnis beider Verursacher zueinander hat die Anwendung des Immissionsbegriffes jedoch zur Folge, daß allein die neu hinzukommende Anlage mit Vermeidungspflichten belastet und als "Störer" ausgewählt wird 52 In diesem Zusammenhang geht es jedoch nicht um die Frage, ob der Anlage die Gesamtimmission auch zugerechnet werden kann. Dies ist eine Frage der Störerbestimmung, d. h. des Verursachungsbegriffes des BImSchG. Der Verursachungsbegriff ist nicht Gegenstand des Immissionsbegriffes, sondern Gegenstand der in § 5 BImSchG normierten Grundpflichten; siehe oben Teil 1. B. H. 2. 53 Vgl. dazu Murswiek, S. 299; die Ausführungen beziehen sich dabei nur auf Luftverunreinigungen und treffen - nach der geltenden TA Lärm und der darauf aufbauenden Rechtsprechung - für Geräusche nicht zu; bei Geräuschen werden Vor- und Fremdbelastungen gerade nicht summiert, sondern können bei überdeckender Fremdgeräuschbelastung zu einer Suspendierung der Vermeidungspflichten führen (Nr. 2.422.4 TA Lärm). 54 Die Unmittelbarkeitstheorie bewertet bei zeitlich gestaffelten Verursacherbeiträgen nicht notwendig denjenigen als Störer, der die zeitlich letzte Bedingung zum Entstehen der Gefahr gesetzt hat. Grundsätzlich setzt jeder Immissionsbeitrag eine unmittelbare Ursache für die schädliche Umwelteinwirkung; vgl. Manens, in: Festschrift für Ipsen S. 449, 459; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 313, 315 m. w. N.; Giesler, S. 144 ff.; kritisch zur polizeirechtlichen Konstruktion der Mitverantwortung Murswiek, S. 299 f.; a. A. Ule / Rasch, § 19 PVG Rn. 14 m. w. N. auf PrOVGE 63, 279; vgl. im hier vertretenen Sinne die "Irrelevanzklausel" in Nr. 2.2.1.1 b) TA Luft.

B. Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG

57

(IPrioritätsprinzip "55). So darf eine neu hinzukonunende Anlage nicht genehmigt werden, wenn der von ihr verursachte Inunissionsbeitrag zur Überschreitung der zulässigen Inunissionskonzentration führen würde, selbst wenn dieser Beitrag erheblich geringer wäre, als der bereits vorhandener Anlagen. Demgegenüber können den bereits vorhandenen Anlagen in diesem Fall keine Vermeidungspflichten auferlegt werden, weil ihre Inunissionsbeiträge - im Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung, d. h. ohne die neu hinzukommende Anlage betrachtet - das zulässige Maß der Inunissionsbelastung noch einhalten56 . Entscheidend ist, daß die zeitliche Reihenfolge der Verursachungsbeiträge zum Zeitpunkt der Überschreitung der Inunissionsgrenze auch festgestellt werden kann. Dies wird regelmäßig nur im Rahmen präventiver Genehmigungsverfahren57 der Fall sein, bei denen die bestehende Vorbelastung, die Zusatzbelastung durch den Newcomer und die daraus resultierende Gesamtbelastung zu ermitteln ist58 . Für den Fall, daß das zulässige Inunissionsniveau durch bereits vorhandene Anlagen überschritten wird, kann der Inunissionsbegriff nicht zur Störerauswahl herangezogen werden. In diesem Fall können die Vermeidungspflichten nach pflichtgemäßen Ermessen von allen Mitverursachern - etwa nach dem Maß ihrer Verursacherbeiträge verlangt werden.

55 Vgl. dazu Giesler S. 145, 148 f., 153 m. w. N.; zum Prioritätsprinzip im Verhältrjs emittierender und immissionsbetroffener Nutzung (insbes. der Fall heranrückender Wohnbebauung und tatsächliche Vorbelastung der Situation) vgl. C. D. 2. b) aa) ccc) (2) sowie bb) aaa); siehe dazu im einzelnen Dolde, NVwZ 1986, 882; ders., DVBI. 1983,737 f.; Sendler, WiVerw 1977,98 ff.; von Holleben, DVBI. 1981,904; Giesler, S. 154 ff., 169 ff. m. w. N. 56 Vgl. dazu Murswiek, S. 300, der eine Mitverantwortung der bereits vorhandenen Anlagen lediglich aus Bestandsschutzgründen (§ 17 Abs. 2 BImSchG) ausschließen will; fraglich ist indes, ob bereits die Anordnungsvoraussetzungen des § 17 BImSchG vorliegen. Entscheidend dürfte sein, ob man den "vorbeugenden" Immissionsschutz im Rahmen der Schutzpflicht auch über nachträgliche Anordnungen umsetzen kann (ablehnend: OVG NRW, DVBI. 1984, 473, 475). In diesem Fall könnten bereits Vermeidungspflichten bestehen, wenn aktuell zwar noch keine schädlichen Umwelteinwirkungen vorliegen, aber hiermit durch einen Newcomer hinreichend wahrscheinlich zu rechnen ist. Die Strenge des Prioritätsprinzips bei der Störerauswahl wäre dann gemildert. 57 Hier kommt nicht nur das immissionsschutzrechtIiche Genehmigungsverfahren, sondern für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen nach §§ 22 ff. BImSchG - auch das Baugenehmigungsverfahren in Betracht. 58 Vgl. dazu Nr. 2.6.1.1, 2.6.2, 2.6.3, 2.6.4 und 2.6.5 TA Luft.

58

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

c.

Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

Als zweites Begriffselement der schädlichen Umwelteinwirkungen wird die Schädlichkeit bzw. Störqualität der Immissionen vorausgesetzt. Immissionen müssen "nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet (sein), Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen" .

I. Beeinträchtigungsobjekte - Allgemeinheit und Nachbarschaft Als Beeinträchtigungsobjekte nennt § 3 Abs. 1 BImSchG die Nachbarschaft und die Allgemeinheit.

1. Nachbarschaft Zur Nachbarschaft zählen - allgemein formuliert - die Personen, die sich regelmäßig im Einwirkungsbereich der zu beurteilenden Anlage aufhalten oder Rechte an dort befindlichen Sachen haben59 . Räumlich entspricht die Nachbarschaft dem Einwirkungsbereich der Anlage60 , d. h. dem Bereich, in dem die von der Anlage ausgehenden Immissionen bei Normalbetrieb oder Störfällen noch in nennenswertem Umfang festgestellt werden können61 . Damit können insbesondere im Hinblick auf bestimmte Luftverunreinigungen auch noch sehr weit entfernt lebende Personen Nachbarn im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG sein. Funktional dient der Begriff der Nachbarschaft der Abgrenzung des Personenkreises, der die Verletzung von Vorschriften des BImSchG rügen kann, soweit diese dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind62 . Als Nachbarn sind - auch innerhalb des Einwirkungsbereiches - daher nur die 59 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 18; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 6; Feldhaus, BImSchG, § 4 Anm. 12; Ule / Laubinger, BImSchG, § 3 Rn. 5; vgl. zur "qualifizierten Betroffenheit" des Nachbarn BVenvG, DVBI. 1983, 183; OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357. 60 So auch die Amtl. Begr. (BT-Drs. 7 I 179, S. 29); hierbei wird häufig auf das Beurteilungsgebiet nach Nr. 2.6.2.2 TA Luft abgestellt; vgl. Jarass, NJW 1983, 2844, 2847; kritisch: OVGNRW, GewA 1981,341. 61 Vgl. dazu näher Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 57 m. w. N.; ders., NJW 1983, 2844, 2857; Kloepfer, VerwArch 76 (1985),371,381 ff.; OVGLüneburg, GewA 1980, 203, 206. 62 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 58; vgl. dazu die Ausführungen zum Drittschutz der Schutzpflicht in Teil 3. F. und der Vorsorgepflicht in Teil 4. 1.; zur Schutznormtheorie vgl. nur BVenvGE 1, 83; 27, 293, 307; 55.280,285; 66, 307, 308 ff.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

59

Personen anzusehen, die - aufgrund ihrer besonderen persönlichen oder sachlichen Bindungen zu einem Ort im Einwirkungsbereich63 - nachhaltig und auf Dauer den von einer Anlage ausgehenden Immissionen ausgesetzt sind64 . Der Kreis der Nachbarschaft läßt sich insoweit nicht generell bestimmen, sondern hängt maßgeblich von Art, Ausmaß und Dauer der Immissionen und Schutzzweck der jeweiligen Norm ab65 . So kann sich die Nachbareigenschaft im Hinblick auf Geräuschimmissionen von der im Hinblick auf Luftverunreinigungen nicht nur räumlich, sondern auch bezüglich der erforderlichen Dauer unterscheiden66 , Im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm ist trotz faktischer Betroffenheit ein in der zu beurteilenden Anlage beschäftigter Arbeitnehmer nicht als Nachbar im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG anzusehen, da er er im Hinblick auf die Immissionsbelastung durch Arbeitsschutzvorschriften geschützt wird67 .

2. Allgemeinheit Unter Zugrundelegung einer Negativabgrenzung vom Begriff der Nachbarschaft zählen zur Allgemeinheit die sonstigen von der Anlage betroffenen Personen68 . Positiv definiert ist die Allgemeinheit im Sinne des BImSchG eine unbestimmte Mehrheit von Personen69 . Dabei beschränkt sich der Schutz dieses Personenkreises nicht nur auf das körperliche Wohlbefinden der Menschen, sondern umfaßt auch den Schutz von Sachgütern, insbesondere

63 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 58; Schmatz / Nöthlichs, Immissionsschutz, § 3 Anm. 7; BVenvG, UPR 1983, 70.

64 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 59 f.; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 6; vgl. zur qualifizierten Betroffenheit des Nachbarn nur BVenvG, OVBI. 1983, 183; OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357. Ob auch die in ihrem Freiraum durch die Immissionsbelastung beeinträchtigten Unternehmen im Einwirkungsbereich der Anlage als Nachbarn anzusehen sind, ist fraglich: dagegen: Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 60; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 5 jeweils ohne nähere Begründung; der Hinweis von Jarass auf die lediglich "mittelbare" Betroffenheit des benachbarten Anlagenbetreibers überzeugt nicht, denn dies gilt in gleichem Maße für die sonstigen Grundstückseigentümer; auch enthält das Gesetz keinen Hinweis dafür, daß Freiräume nur im Hinblick auf ihren ökologischen Nutzen zu schützen sind; dafür: VGH B-W, ESVGH 24, 152 f. 65 Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 6; Martens, OÖV 76, 457; SeUner, Immissionsschutz, Rn. 357; vgl. BVenvG, OVBI. 1983, 183; OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357. 66 Vgl. dazu Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 6. 67 Vgl. dazu Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 18; BVenvG, UPR 1983, 70. 68 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 18. 69 Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 5; Ule / Laubinger, BImSchG, § 3 Rn. 5; Martens, OÖV 76, 457, 459.

60

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Tieren und Pflanzen, soweit diese Gegenstand von Rechten sind oder deren Unversehrtheit zum sozialen Wohlbefinden der Allgemeinheit gehört70 . 3. Normsystematische Stellung der Beeinträchtigungsobjekte

Die Auswahl der Beeinträchtigungsobjekte als Maßstab der Schädlichkeitsbewertung erscheint in normsystematischer Hinsicht fraglich. Der Begriff Nachbarschaft und - soweit er hiervon negativ abgegrenzt wird - auch der Begriff der Allgemeinheit ist an den Begriff der Anlage und deren Einwirkungsbereich gekoppelt und daher nur quellenbezogen festzustellen. Dies steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu dem Begriff der Immission, welcher gerade die verursachende Quelle ausblendet. Indes können und sollen durch die Verwendung des Begriffes der Nachbarschaft die Grundprinzipien des Immissionsbegriffes nicht in Frage gestellt werden; die Einbeziehung der Nachbarschaft eröffnet dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen eine potentiell drittschützende Funktion; zwar folgt daraus nicht, daß jede Norm, die diesen Begriff in Bezug nimmt, auch drittschützenden Charakter hat; vielmehr muß auch der jeweiligen Vorschrift selbst eine drittschützende Wirkung beigemessen werden71 . 11. Beeinträchtigungsintensität - Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen 1. Begriffe

Die im Rahmen der Schädlichkeitsbewertung der Immissionen geforderte Beeinträchtigungsintensität wird von § 3 Abs. 1 BImSchG als "Gefahren, erhebliche Belästigungen und erhebliche Nachteile" gekennzeichnet. Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber an die Regelung des § 18 GewO angeknüpft. Im Gegensatz zu dieser Vorschrift hat er in § 3 Abs. 1 BImSchG dem Begriff der Gefahr auf den Zusatz "erheblich" nicht vorangestellt; damit ist aber eine Änderung der materiellen Rechtslage nicht verbunden, da dem 70 Landmann / Rahmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 5; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 18 j. m. w. N.; Kutscheidt, in: Salzwedel, UmweltR., S. 249. 71 So BGHZ 64, 224; Landmann / Rahmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 6; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 19; Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 6; a. A. Stich / Parger, BlmSchG, § 3 Rn. 14, der jeder bezugnehmenden Norm drittschützenden Charakter beimißt. Vgl. demgegenüber bejahend für die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG: BVerwGE 55, 250; verneinend für die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG: BVerwGE 65, 313, 320; 68, 58, 59; vgl. dazu die Ausführungen zum Drittschutz der Schutzpflicht in Teil 3. F. und der Vorsorgepflicht in Teil 4. I.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

61

Begriff der Gefahr, präziser: dem Element des Schadens, die Erheblichkeit immanent ist72 . a) Gefahr Unter Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verstehen73. Der Begriff der Gefahr enthält damit sowohl das Element des Schadens74 als auch das Element der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des zum Schaden führenden Geschehensablaufes75 . Als Schaden ist jede erhebliche Beeinträchtigung eines Rechtsgutes anzusehen76 . b) Nachteil Als Nachteil wird die Beeinträchtigung von Interessen verstanden, mit der keine Verletzung eines Rechtsgutes verbunden ist77 .

72 Vgl. dazu bereits die Terminologie im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 221 f.; Götz, S. 65 f. j. m. w. N.; Scholz, VerwArch 27 (1919), 1, 7; Hansen-Dix, S. 24 ff.; Murswiek, S. 304; vgl. zum BImSehG, Feldhaus, DVBI. 1979, 301, 304; ders., BImSehG, § 3 Anm. 7; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 10; Sellner, in: Festgabe BVerwG, S. 605 f.; ders., Immissionsschutzrecht, Rn. 42; Jarass, DVBI. 1983, 725, 728. 73 BT-Drs. 7 I 179, S. 28; Feldhaus, BImSehG, § 3 Anm. 7; Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 15; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 10; vgl. dazu bereits die Terminologie im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht etwa bei Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 220; Friau/, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 187; Götz, S. 65; Scholler / Broß, S. 118; Scholz, VerwArch 27 (1919), I, 35; Wolf! / Bachof, VerwR. III, § 125 III a; grundlegend: Damstädt, S. 19 ff.; Dröge, S. 3 ff.; BVerwGE 28, 310, 315; 45, 51, 57; BVerwG, NJW 1970, 1890, 1892. 74 S. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martem, S. 221 "Gefahrenabwehr als Schadensabwendung"; Hansen-Dix, S. 21 m. w. N.; BVerwG, NJW 1975, 130, 132; PrOVGE 98, 86; 87,301,310; VGH B-W, VerwRspr4, 440, 444; OVGLüneburg, OVGE 10, 342,343. 75 S. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 223 ff.; Götz, S. 66; Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 215; Hansen-Dix, S. 35 ff.; Scholler / Broß, S. 121; HojJmann-Riem, in: Festschrift für Wacke, S. 327 f.; grundlegend: Damstädt, S. 35 ff. 76 Vgl. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 221; Götz, S. 65; Hansen-Dix, S. 23 ff.; Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 15; problematisch ist insoweit die Reglung Nr. 2.2.1.3 TA Luft, die Pflanzen- und andere Sachschäden lediglich als "Nachteil" wertet; vgl. auch die Kritik von Lübbe-Wolf!, Schriften zum öffentlichen Recht 512 (1985), 167, 177 ff. 77 So etwa Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 16; vgl. dagegen Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 12, der unter Hinweis auf die Amtl. Begr. den Begriff des "mittelbaren Schadens" andeutet: " Vermögenseinbußen, hervorgerufen durch physische Einwirkungen, die nicht zu einem unmittelbaren Schaden führen"; siehe die Übersicht über den Streitstand bei Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 42.

62

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

Der Bereich der unter dem Begriff Nachteil subsumierten Beeinträchtigungen ist denkbar weit. Genannt werden etwa Vermögenseinbußen78, die insbesondere durch die Notwendigkeit erhöhter Aufwendungen veraniaßt sind79 . Als weitere Beispiele werden die bei Dritten ausgelösten mittelbar verursachten Schäden80 , die Minderung sozialen Wohlbefindens 81 , die Störung von Ökosystemen und sogar ungeklärte Langzeiteffekte82 genannt; Einzelfälle sind umstritten, wie etwa Wertminderungen eines Grundstücks83 und Eingriffe in das Planungs recht der Gemeinde84 . Die Weite des Nachteilbegriffs wird begründet mit seiner Funktion als Auffangtatbestand für Sachverhalte, die mangels Schaden oder der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des zum Schadenseintritt führenden Geschehensablaufes oder der "Unmittelbarkeit" des Schadenseintritts noch nicht als Gefahr qualifiziert werden sollen85 . c) Belästigung Als Belästigung werden alle Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens verstanden86 . Die Abgrenzung sowohl von den Gefahren als auch von den Nachteilen ist problematisch. Belästigungen werden von Gefahren dadurch abgegrenzt, daß sie nicht die Intensität von Gesundheitsschäden, also Krankheiten, erreichen87 ; sie unterscheiden sich

78 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 8; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 42; Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 8. 79 Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 8; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 12; BGHZ 62, 186. 80 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 16. 81 Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 12. 82 Vgl. Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 16 m. w. N. 83 Für Nachteil: Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 10; für Schaden: Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 16. 84 Für Nachteil: Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 8; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 10; VGR B-W, GewA 1972, 324 j. m. w. N.; für Schaden: Jarass, BlmSchG, Rn. 16.; zweifelnd Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 42, Fn. 157. 85 Vgl. Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 42; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 17. 86 Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 9; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 13; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 17; a. A. Ule / Laubinger, BlmSchG, § 3 Rn. 4, der diese Art der Beeinträchtigung als "Nachteil" ansieht. 87 Vgl. dazu bereits Murswiek, S. 304; Ransen-Dix, S. 26 ff. m. w. N. aus der Rspr.; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 17; Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 9.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

63

nach überwiegender Ansicht von Nachteilen dadurch, daß sie unmittelbar ein Rechtsgut und kein bloßes Interesse beeinträchtigen88 . d) Systematische Korrektur der Begriffskombination Die gleichstufige Verwendung der Begriffe Gefahr, Belästigungen und Nachteile bedarf der systematischen Korrektur; während die Begriffe Nachteil und Belästigung lediglich als (gegenwärtige) Zustände zu betrachten sind, stellt sich der Begriff der Gefahr als eine Kombination aus zu prognostizierendem Geschehensablauf (hinreichend wahrscheinlich) und prognostiziertem (zukünftigen) Zustand (Schaden) dar8 9 . Systematisch korrekt müßte statt des Begriffes "Gefahr" der Begriff "Schaden" genannt werden90 . Diese systematische Korrektur führt zunächst91 zu einer einfacheren Abgrenzung zwischen den Begriffen Gefahr, Nachteil und Belästigung; so sind Abgrenzungskriterien, die am Element des Geschehensablaufes ansetzen, wie etwa die mangelnde hinreichende Wahrscheinlichkeit (ungeklärte Langzeitwirkungen) oder eine fehlende "Unmittelbarkeit" des Eintritts einer Beeinträchtigung (Drittschäden) systematisch nicht zu rechtfertigen. Entscheidend für die Differenzierung ist daher allein die Bewertung des Zustandes 92 .

88 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 17; a. A. Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 13, der als Abgrenzungskriterium ausschließlich die für Belästigungen erforderliche "Unmittelbarkeit" der Beeinträchtigung ansieht. 89 BT-Drs. 7 / 179, S. 28; Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 7; Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 15; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 10; vgl. dazu bereits die Terminologie im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht etwa bei Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 220; FriauJ, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 187; Götz, S. 65; Scholler / Broß, S. 118; Scholz, VerwArch 27 (1919), 1, 35; Wolff / Bachof, VerwR. 111, § 125 111 a; BVerwGE 28, 310, 315; 45,51,57; BVerwG, NJW 1970, 1890, 1892. 90 So auch Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 12; Hansen-Dix, S. 85 f; Darnstädt, S. 185; Schröder, S. 113; wohl auch Reich, S. 58; s. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 221 "Gefahrenabwehr als Schadensabwendung"; Hansen-Dix, S. 21 m. w. N.; BVerwG, NJW 1975, 130, 132; PrOVGE 98, 86; 87, 301, 310; VGH B-W, VerwRspr 4, 440, 444; OVG liineburg, OVGE 10, 342, 343. 91 Zur hierdurch aufgeworfenen Frage, welche Anforderungen der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen an die für den Eintritt der Beeinträchtigungsanen erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit (Geschehensablauf) stellt, siehe die Ausführungen unter 111. 92 So für das Polizei- und Ordnungsrecht auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 222; Götz, S. 66 j. m. w. N.; Scholz, VerwArch 27 (1919), 1,7; Murswiek, S. 304; Hansen-Dix, S. 26. Nachteile und Belästigungen unterscheiden sich vom "Schaden" (!) - also nicht von der "Gefahr" - in gradueller Hinsicht.

64

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

2. Das Merkmal der "Erheblichkeit" Durch das Merkmal der Erheblichkeit, welches allein im Zusammenhang mit Nachteilen und Belästigungen genannt ist, dem Begriff Schaden indessen bereits immanent ist, soll bestimmt werden, daß die Beeinträchtigung eine bestimmte Intensität erreichen muß93 , wenn sie als schädliche Umwelteinwirkung bewertet werden soll. Die eigenständige Bedeutung des Erheblichkeitsmerkmals ist unterschiedlich: Gesundheitsschäden sind stets erheblich, dagegen soll bei Sachschäden, Nachteilen und Belästigungen die Erheblichkeit stets eigenständig geprüft werden94 . Der Grund für die Vorgabe der Beeinträchtigungsintensität wird zum einen in dem Befund gesehen, daß viele geringfügige Beeinträchtigungen, wie sie in einer modemen Industriegesellschaft üblich sind, als tolerabel angesehen werden95 , zum anderen darin, daß die Einschränkung dem Interessenausgleich des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses diene und damit Ausfluß des Gebotes zur gegenseitigen Rücksichtnahme sei96 . So soll die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung entscheidend davon abhängen, was dem Betroffenen oder der Allgemeinheit zumutbar sei97 . Unzumutbare Beeinträchtigungen sind daher stets erheblich98 . Mit dem Begriff der Erheblichkeit wird auf die im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelte Unterscheidung zwischen Schaden und

93 Vgl. bereits zum Polizei- und Ordnungsrecht Hansen-Dix, S. 26 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung; Murswiek, S. 304; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 222; Götz, S. 66; Scholz, VerwArch 27 (1919), 1,7. 94 Vgl. Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 26 m. w. N.; gerade für Sachschäden ist dies nicht mehr vom Wortlaut der Regelung des BlmSchG gedeckt, da an sich das Erheblichkeitsmerkmal dem Schadensbegriff generell immanent ist. Allein die TA Luft (Nr. 2.2.1.3) ordnet den Begriff der Sachschäden dem Komplex der erheblichen Nachteile und Belästigungen zu; kritisch hierzu Lübbe-Woljf, Schriften zum öffentlichen Recht 512 (1985), 167, 177 ff. 95 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 12,23, § 3 Rn. 26; vgl. Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anrn. 10. 96 Kutscheidt, in: Salzwedel, UmweltR., S. 237, 247 f. 97 Zu der problematischen Abgrenzung zwischen der Duldungsgrenze des § 3 Abs. BlmSchG ("Erheblichkeit") und der des § 906 BGB ("Wesentlichkeit" bzw. "Ortsüblichkeit") vgl. etwa BVerwGE 79, 254,258 f.; 81, 197; neuerdings auch BGH, DVBI. 1990, 771, 772; Erman - Hagen, BGB, § 906, Rn. 15; bereits Gaentzsch, NVwZ 1986, 601, 604; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 66 ff., 76 ff; ders., JZ 1988, 161, 162, 168 ff., 171 ff.; Johlen, BauR 1984, 134; J.F. Baur, Gedächtnisschrift für Martens, S. 545 ff; Marburger, 56. DJT., C. 102 ff.; Diederichsen, 56. DJT., L. 58 ff. 98 Sel/ner, Immissionsschutzrecht, Rn. 27; Engelhardt, BImSchG, § 3 Rn. 12; Feldhaus, DVBI. 1979, 301, 305; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 14; Stich / Porger, BlmSchG, § 3 Rn. 12; Ule / Laubinger, BlmSchG, § 3 Rn. 4; Hansen-Dix, S. 120 ff.; Kraft, S. 79; Schröder, S. 133; Markou, S. 74 ff.; BVerwG, DVBI. 1978, 591, 593 f.; GewA 1977, 168; DVBI. 1976,779,782; DVBI. 1976,214.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

65

Belästigung zurückgegriffen99 . Anders als in diesem Rechtsgebiet geht es im Immissionsschutzrecht nicht mehr um die bloße Abgrenzung zwischen diesen beiden Beeinträchtigungsarten, sondern um die Frage der Abgrenzung zwischen erheblichen und nicht erheblichen Beeinträchtigungen lOO • a) Inhalt des Begriffes "erheblich" aa) Meinungsstand

Es ist umstritten, wie das Merkmal der Erheblichkeit auszulegen ist. Dieser Streit hat wiederum Konsequenzen für die Frage, welche Belange im einzelnen als Kriterien der Erheblichkeit in Betracht kommen. aaa) Die herrschende Auffassung Nach nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur wird der Begriff der "Erheblichkeit" mit dem der "Unzumutbarkeit" gleichgesetzt lO1 . Danach sind diejenigen Beeinträchtigungen erheblich, die den Nachbarn oder der Allgemeinheit nicht zumutbar sind. Die genannte Zumutbarkeitsgrenze ist dabei aber weder mit der im Rahmen des Art. 14 GG verwandten Zumutbarkeitsschwelle, noch mit der Zumutbarkeitsschwelle des Polizeirechts gleichzusetzen, die der Normgeber beide bewußt unterschritten hat 102 . Die Grenze wird vielmehr danach bestimmt, was dem einzelnen, der Allgemeinheit oder der Umgebung billigerweise noch zuzumuten ist l03 . Im Ergebnis wird die Erheblichkeit als kollisionslösendes Tatbestandsmerkmal interpretiert, welches gewährleisten soll, daß eine Einschränkung des Schutzes der Nachbarn und der Allgemeinheit um anderer Güter willen erfolgen kann, sofern sie in Widerspruch zueinander stehen. Dem Begriff der Erheblichkeit

99 Murswiek, S. 304; Hansen-Dix, S. 26 ff. m. w. N. aus der Rspr. 100 Hansen-Dix, S. 121; Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 10 "Vorfeld des Gefahrenschutzes". 101 Vgl. BVerwGE 50,49, 55; 51, 15, 34; 68, 58, 60; 69, 37, 43 f.; 77, 285, 289; OVG NRW, UPR 1982,273,274; NVwZ 1983, 356; GewA 1984, 172; Feldhaus, DVBI. 1979, 301, 304 f.; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 27; Hansen-Dix, S. 121 f., 205 ff.; Manens, DVBI. 1981, 597, 598; Jarass, DVBI. 1983, 725, 729; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 14; Markou, S. 74 ff.; Kraft, S. 79 ff.; von Mettenheim, BB 1980, 1777, 1780; neuerdings Send/er, UPR 1991, 241, 245; ebenso bereits Feuchte, Die Verwaltung 10 (1977), 291, 301 ff.; vgl. auch TA Luft Nr. 2.2.1.3. 102 Jarass, DVBI. 1983, 725, 729: BVerwGE 51, 29; 52, 127; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 14; vgl. auch ausführlich Hansen-Dix, S. 121. 103 Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 14. 5 Petersen

66

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

wird daher in umfassender Weise konfligierenden Interessen zugewiesen 104.

eine

Optimierungsaufgabe

bei

bbb) Die Auffassung Murswiek Im Gegensatz zur von der herrschenden Meinung unterstellten Begriffsidentität zwischen Erheblichkeit und Unzumutbarkeit, konstruiert Murswiek ein Modell, welches auf der partiellen Inkongruenz dieser Begriffe aufbaut 105 . Ausgehend vom kontradiktorischen Verhältnis zwischen Schutz(§ 1 BImSchG) und Förderungszweck des Gesetzes, welcher im Gegensatz zu § 1 Nr. 1 AtG zwar nicht ausdrücklich normiert ist, sich jedoch aus den den Betreibern zustehenden Grundrechten und dem Interesse an einer entwicklungsfähigen Industrie herleiten läßt, vertritt er die These, daß sich eine optimale Realisierung beider Zwecke im Sinne einer "praktischen Konkordanz" mangels Homogenität der Inhalte und Betrachtungsweisen nicht in einem Punkt oder in einer Linie verwirklichen lasse lO6 . Beide Begriffe stellten sich daher als zwei voneinander unabhängige Beurteilungsmaßstäbe mit inkongruenten Grenzen dar. Es seien daher konstruktiv drei unterschiedliche Fallkonstellationen denkbar: "unerhebliche / zumutbare", "erhebliche / zumutbare" und "erhebliche / unzumutbare" Beeinträchtigungen, welche unterschiedliche Rechtsfolgen auslösten. Während im ersten Fall ein Genehmigungsanspruch für den Betreiber bestehe. im letzteren Fall die Genehmigung zu versagen sei, bestehe für die Behörde im zweiten Fall ein echtes Ermessen lO7 . Aufbauend auf dieser Differenzierung entwickelt Murswiek dann das Modell eines Bewirtschaftungsermessens für die immer knapper werdende Ressource "saubere Luft" 108 . ccc) Die Auffassung Ziegler Eher von einer semantischen Auslegung ausgehend, wird auch von Ziegler die Gleichsetzung von erheblich und unzumutbar als falsche Begriffsbildung abgelehnt 109. So sei eine Gleichstellung bereits deshalb nicht sinnvoll, weil die Rechtsordnung auch erhebliche Belästigungen für zumutbar erklären 104 So vor allem Fe/dhaus, DVBl. 1979, 301, 305; noch weitgehender Markou, S. 76 f.; neuerdings Sendler, UPR 1991, 241, 245. 105 Murswiek, S. 310 ff., 318, 344 ff., 357 ff. 106 Murswiek, S. 357 ff. 107 Murswiek, S. 355 ff. 108 Murswiek, S. 355 ff. 109 Ziegler, BayVBl. 1986, 692, 693.

c.

Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

67

könne, wenn diese zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter gerechtfertigt erschienen. Speziell das BImSchG enthalte im übrigen gerade nicht die behauptete Gleichsetzung von unerheblich und zumutbar. Ein Verbot erheblicher Belästigungen ergebe sich lediglich bei der Neuerrichtung und wesentlicher Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen; bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen seien schädliche Umwelteinwirkungen in Form erheblicher Belästigungen indes zugelassen, wenn Maßnahmen nach § 22 Abs. 1 BImSchG nicht ergriffen werden könnten, weil sie weder nach dem Stand der Technik reduziert (Nr. 1), noch sonst auf ein Mindestmaß beschränkt (Nr. 2) werden könnten 110 . bb) Stellungnahme

Für die herrschende Auffassung spricht zunächst der Wortsinn des Begriffes "erheblich". Dabei vermag das Wortlautargument nicht völlig zu überzeugen, denn umgangsprachlich ließe sich "erheblich" wohl eher mit "beträchtlich", "ins Gewicht fallend" oder "bedeutend", nicht notwendig aber mit dem die Überschreitung der Grenze des Zulässigen skizzierenden Begriff der "Unzumutbarkeit" gleichsetzen 11 I. Allerdings läßt sich diese Auslegung auf die Interpretation des Polizei- und Ordnungsrechts zurückführen, nach der nicht lediglich irrelevante Beeinträchtigungen dann als erheblich angesehen werden, wenn sie für den Betroffenen "nicht mehr zumutbar" sind l12 . Für die Gleichstellung von erheblich und zumutbar spricht weiter, daß der Erheblichkeitsbegriff auch nach der Gesetzesbegründung als "Ergebnis einer Güterabwägung "113 verstanden wird. Unter dieser Prämisse könnte die Bewertung einer Immission als unerheblich in der Tat ihre Zumutbarkeit für den Betroffenen zur Folge haben, wie im umgekehrten Fall ihre Erheblichkeit die Unzumutbarkeit für den Betroffenen. Gegen die von der herrschenden Meinung vorgegebene Gleichstellung von Erheblichkeit und Unzumutbarkeit spricht andererseits jedoch, wie von Ziegler und Murswiek herausgearbeitet, die normative Situation der 110 Vgl. zu dem Revisionsurteil des BVerwG auch die Kritik von Murswiek, JZ 1989,241, der eine Gleichstellung von "unzumutbar" und "erheblich", nicht jedoch auch in der umgekehrten Weise für möglich hält. Demgegenüber hält Ziegler, BayVBI. 1986, 692, 693 die Gleichstellung von "unerheblich" und "zumutbar" für vertretbar. 111 Vgl. auch die Kritik von Murswiek, S. 302 ff. 112 Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 221 f.; Götz, S. 65 f.; Scholz, VerwArch 27 (1919), 1,7; Hansen-Dix, S. 24 ff.; Murswiek, S. 304 j. m. w. N. 113 BT-Drs. 7 /179, S. 29.

68

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. I BImSchG

Grundpflichten für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen des § 22 BImSchG. Wenngleich das "Schädigungsrecht bei technisch unvermeidbaren Immissionen"114 nur für unvermeidbare Belästigungen und Nachteile unterhalb der Gefahrenschwelle gelten soll - das uneingeschränkte Gefährdungsverbot ergibt sich demgegenüber nicht nur aus dem polizeirechtlichen Prinzip der Gefahrenabwehr, sondern auch speziell aus § 25 Abs. 2 BImSchG115 - könnte daraus gleichwohl eine Inkongruenz der Begriffe erheblich und unzumutbar folgen; andernfalls würde das BImSchG im Widerspruch zu seinem eigenen Ansatz eine Duldungspflicht für unzumutbare Beeinträchtigungen statuieren 116 . Demgegenüber weist der Ansatz von Murswiek in seiner Herleitung letzlich den kritisierten normsystematischen Bruch selbst auf. So erscheint zweifelhaft, daß Murswiek jedenfalls in bestimmten Fallgruppen den Begriff der Erheblichkeit mit dem der Zumutbarkeit gleichsetzt und insoweit die Erheblichkeitsprüfung - genau wie die herrschende Auffassung - als eine Station der umfassenden Güterabwägung interpretiert. Problematisch ist weiterhin, daß Murswiek den Begriff der Zumutbarkeit je nach Art der Perspektive des Begünstigten oder des Betroffenen inhaltlich divergierend auslegt 117 . Eine derartige Vorgehensweise dürfte den Rahmen semantischer Interpretation sprengen118. Die gegenläufige Ausrichtung der Grundpflichten nach §§ 5, 22 BImSchG, einerseits Gestattung, andererseits Duldungspflicht, rechtfertigt keine perspektivbedingten divergierenden Maßstäbe, . sondern erfordert gerade durch die korrelative Beziehung der spiegelbildlichen Normwirkungen zueinander die Verwendung inhaltlich identischer Maßstäbe. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die gesetzlich vorgegebene gebundene Verwaltungsentscheidung über die Erteilung einer Genehmigung de lege lata nicht in eine Ermessensentscheidung uminterpretiert werden kann 119 .

114 Breuer, in: 115 Vgl. dazu

von Münch, Bes. VerwR., S.

678.

Kutscheidt, NVwZ 1983, 65, 67 und Kloepjer, Umweltrecht, S. 438; im Hinblick auf die in § 25 Abs. 2 BImSchG genannten Gefahren für die bedeutsamen Schutzgüter wie Leben, Gesundheit und bedeutende Sachwerte wird dieser Grundsatz durch die eingeschränkte Ermessensvorschrift ("soll") noch betont; vgl. Jarass, BImSchG, § 25 Rn. I, 9. 116 Vgl. aber Kutscheidt, NVwZ 1983, 65, 68, der diesen Wertungswiderspruch durch eine IdentifIzierung der Erheblichkeitsschwelle des 3 Abs. 1 BImSchG mit dem Minimierungsgebot des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ausräumen will. 117 Murswiek, S. 356.

118 Zutreffend Kraft, S. 80. 119 So auch Kraft, S. 81.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

69

ce) Eigener Lösungsansatz: Die gebietsspezijische Abwägung Fraglich ist jedoch, ob der von Ziegler und Murswiek beanstandete nortnsystematische Bruch in der Auslegung des Erheblichkeits- bzw. Zumutbarkeitsbegriffes nicht durch eine systematische Auslegung gerade vermieden werden kann. Bei genauer Betrachtung folgt aus dem gesetzessystematischen Zusammenhang des § 3 Abs. I BImSchG und des § 22 Abs. 1 BImSchG zunächst lediglich, daß der Erheblichkeitsmaßstab des § 3 Abs. 1 BImSchG auf anderen Kriterien beruhen muß als der Minimierungsmaßstab des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Soll nämlich bereits im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung eine umfassende Abwägungsentscheidung der konfligierenden Nutzungen erfolgen, liefe die Abwägung im Rahmen des Minimierungsgebotes leer. Wenn die Minimierungspflicht des § 22 Abs. 1 BImSchG aus einer Abwägung der konfligierenden Nutzungen des Anlagenbetreibers und des Immissionsbetroffenen erfolgen soll 120 , dann müssen die Kriterien der Erheblichkeit notwendig auf einer anderen Abwägungsebene liegen l21 . Ansatzpunkt für die Bestimmung der Reichweite des Erheblichkeitsbegriffes ist der Immissionsbegriff des § 3 Abs. 2 BImSchG. Die "Güterabwägung" im Sinne des Erheblichkeitsbegriffes erfaßt jedwede Immission - unabhängig von der emittierenden Quelle (Prinzip der Quellenunabhängigkeit) und von der Höhe des individuellen Immissionsbeitrags einer Anlage (Prinzip der Mitverursachung) 122. Entscheidend ist daher die Erheblichkeit der Gesamtimmissionen, nicht jedoch die Erheblichkeit des von der betreffenden Anlage ausgehenden Immissionsbeitrages. Daher kann die Erheblichkeit der Gesamtimmission nur vor dem Hintergrund der von ihr betroffenen Schutzgüter , nicht aber auch im Hinblick auf die emittierende Anlage bestimmt werden. Der direkte Abwägungszusammenhang zwischen konkret gestörter und konkret störender Nutzung wird im System des BImSchG mithin durchbrochen, da das Gesetz mit dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung eine von der konkreten Anlage abstrakte, wirkungsbezogene Erheblichkeitsprüfung der Immission vorgibt.

120 So die h. M., vgl. nur Feldhaus, BImSchG, § 22 Rn. 5; Jarass, BImSchG, § 22 Rn. 7; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 27; Martens, DVBI. 1981,597,598 m. w. N. 121 In diesem Sinne neuerdings auch Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Länn, S. 41, 49 f.; a. A. Kutscheidt, NVwZ 1983, 65, 68, der diesen Wertungswiderspruch durch eine Identifizierung der Erheblichkeitsschwelle des 3 Abs. 1 BlmSchG mit dem Minimierungsgebot des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ausräumen will. 122 Dazu unten Teil 2. B. III. 1. und 2.

70

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

Dementsprechend können die Belange der emittierenden Anlage gerade nicht auf der Grundlage des Immissionsbegriffes, sondern nur innerhalb der bezugnehmenden Grundpflicht berücksichtigt werden. Erst die Grundpflicht bestimmt durch ihren Risikozurechnungstatbestand, inwieweit die Gesamtimmission der Anlage zugeordnet werden kann und durch den Risikosteuerungstatbestand, inwieweit die von der Anlage verursachten Immissionsbeiträge vermieden werden müssen l23 . Die im Rahmen des Risikosteuerungstatbestandes der Grundpflichten - insbesondere auch des Minimierungsgebotes nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG - vorzunehmende Güterabwägung geht über die des Erheblichkeitsbegriffes daher weit hinaus. Die von der herrschenden Meinung konstruierte "Unzumutbarkeit" der Immission beinhaltet insofern kein abschließendes Urteil über eine etwaige Duldungspflicht des Betroffenen. Ob schädliche Umwelteinwirkungen vom Betroffenen zu dulden, d. h. aus rechtlichen Gründen hinzunehmen sind, hängt nicht allein von ihrem Vorliegen, sondern auch von der Reichweite der in Betracht kommenden Vermeidungspflicht (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG im Gegensatz zu § 22 Abs. 1 BImSchG) sowie von der konkret vorgesehenen normativen Umsetzungsermächtigung (vgl. etwa §§ 6, 17, 24, 25 BImSchG) ab 124 . Die von der herrschenden Auffassung apostrophierte "Zumutbarkeitsgrenze" ist daher einschränkend dahin auszulegen, daß sie als erste Stufe der differenzierten Güterabwägung ein bestimmtes - zwischen Umweltschutz- und Industrieförderungszweck des BImSchG125 abgewogenes Immissionsniveau vorgeben will. Diese Grenze kann aus gesetzessystematischen Gründen zunächst lediglich in Abwägung des allgemeinen Industrieförderungszwecks mit den konkret betroffenen Schutzgütern - nicht jedoch unter Berücksichtigung der Belange der konkreten Emittenten - festgelegt werden.

123 Gleiches gilt im Rahmen der allgemeinen Generalermächtigung für den Begriff der Gefahr bzw. des Schadens als Risikoerkenntnistatbestand: Für die Bestimmung der Erheblichkeit bzw. Zumutbarkeit einer Beeinträchtigung kommt es zwar auf Rang sowie Zeit und Ort der Beeinträchtigung der Schutzgüter an, nicht aber auf die Belange des "Störers"; vgl. nur Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 222. Die Belange des Störers, der im übrigen zum Zeitpunkt der Gefahrenprognose noch nicht identifiziert ist, sind eigenständig im Rahmen der Entscheidung über das Entschließungs- und Auswahlermessen nach dem Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit, d. h. bei der Bestimmung der Reichweite seiner Vermeidungspflicht, zu berücksichtigen; so etwa BVerwGE 59, 104, 109 f.; BVerwG, NVwZ 1983,227; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 390 f. m. w. N.; Götz, S. 127 f. 124 Demgegenüber folgert Kutscheidt aus dem normativen Befund, daß der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung wertfrei, d. h. ohne Rücksicht auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit ihrer Erzeugung zu bestimmen sei und das Gesetz an mehreren Stellen von der Zulässigkeit schädlicher Umwelteinwirkungen ausgehe; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 15. 125 Vgl. dazu ausführlich Murswiek, S. 306 ff.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

71

Aufgrund des unterschiedlichen Ranges und der Schutzwürdigkeit der Schutzgüter ergibt sich im Rahmen dieser Abwägung ein räumlich differenziertes Schutzniveau. Koch spricht in diesem Zusammenhang treffend von einer lediglich "gebietsspezifischen Erheblichkeit bzw. Unzumutbarkeit" 126 des § 3 Abs. 1 BImSchG. Nach seiner Auffassung legt bereits die ratio des BImSchG - insbesondere auch § 50 BImSchG - nahe, einen Komprorniß zwischen Umweltschutz und Industrialisierung u. a. durch eine räumliche Trennung konfligierender Nutzungen und ein dementsprechend räumlich differenziertes Zumutbarkeitsniveau zu fixieren. Danach könnten ein und dieselben Störungen in einem räumlichen Kontext als zumutbar, in einer andeten Situation als unzumutbar einzustufen sein" 127. Eine Stütze findet diese Betrac~tungsweise in der BauNVO, der TA Lärm sowie in den Regelungen der Sonderfallprüfung der Nr. 2.1.3 TA Luft. Die Baugebiete der BauNVO bilden unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Wohnruhe sowie der Ermöglichung gewerblicher und sogar industrieller Tätigkeit ein Spektrum zulässiger Nutzungen, das zwischen den Extremen "Schutz des Wohnens" (Reine Wohngebiete) und "Schutz industrieller Tätigkeit" (Industriegebiete) eine abgestufte Güterabwägung konfligierender Nutzungen instrumentalisiert. Weitgehend in Übereinstimmung damit bestimmt die Nr. 2.321 der TA Lärm das zulässige Belastungsniveau l28 . Überträgt man diesen Gedanken auf das Minimierungsgebot des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, wäre die dort anzusiedelnde Zumutbarkeitsgrenze folglich als "anlagenspezifische Zumutbarkeit" zu interpretieren und stände mit der "gebietsspezifischen Zumutbarkeitsgrenze" des § 3 Abs. 1 BImSchG nicht länger in einem systematischen Widerspruch. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß das Merkmal der Erheblichkeit zwar dem Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Sinne einer schutzgutorientierten und damit gebietsspezifischen Abwägung dient, einen umfassenden Optimierungsauftrag jedoch aus inhaltlichen und systematischen Gründen nicht erfüllen kann und daher auch keine abschließende Aussage über die Duldungspflicht einer Beeinträchtigung für den Betroffenen trifft.

126 Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 42 ff.; ders., Immissionsschutz durch Baurecht, S. 15 ff., 35 ff., 51 ff. 127 Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 42. 128 Vgl. Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 42 f., der aus der Tatsache, daß dem Gesetzgeber die TA Lärm 1968 bekannt war und er mit der Regelung des § 66 Abs. 2 BImSchG deren Fortgeltung normiert hat, folgert, daß der Gesetzgeber mit dem Begriff der Güterabwägung die Vorstellung von gebietsspezifischen Immissionsniveaus verbunden hatte; ders., Immissionsschutz durch Baurecht, S. 43 ff.

72

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. I BImSchG

b) Kriterien der Erheblichkeitsbewertung Geht man davon aus, daß mit dem Merkmal der Erheblichkeit ein schutzgutorientierter bzw. gebietsspezifischer Ausgleich der widerstreitenden Interessen gewährleistet werden soll, ist fraglich, welche Kriterien und Belange im einzelnen in die Erheblichkeitsbewertung einzustellen sind. aa) Belange der betroffenen Allgemeinheit und Nachbarschaft

Unproblematisch ist zunächst, daß die Belange der durch die Immission betroffenen Allgemeinheit und Nachbarschaft in die Abwägung einzubeziehen sind. Dies setzt der wirkungsbezogene Immissionsbegriff geradezu voraus und wird auch durch die von der herrschenden Meinung vertretene inhaltliche Gleichstellung der Begriffe erheblich und unzumutbar in den Vordergrund gestellt. Angelpunkt der Betrachtung des Schutzgutes ist dabei sowohl dessen Schutzbedürftigkeit als auch dessen SChutzwürdigkeit l29 . Insoweit erscheint es konsequent, den Inhalt des Erheblichkeitsbegriffes zunächst in Abhängigkeit vom Rang des jeweils betroffenen Schutzgutes auszulegen. So wird bei Gesundheitsschäden nach allgemeiner Auffassung im Hinblick auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG stets das Vorliegen der Erheblichkeit angenommen l30 . Demgegenüber soll bei Sachschäden l31 , Nachteilen und Belästigungen die Erheblichkeit stets eigenständig zu prüfen sein 132 . Im Folgenden wird untersucht, welcher Maßstab der Erheblichkeitsbeurteilung zugrunde gelegt werden muß, welche Kriterien die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Schutzgutes steuern und welche konkretisierenden Vorgaben zu beachten sind.

129 Vgl. nur BVenvGE 51, 15, 31; 59, 253; 71, 166; 77, 285; BVenvG, GewA 1977, 168; BVenvG, UPR 1983,27 f. 130 Feldhaus, BImSchG, § 3 Rn. 7; Sel/ner, Immissionsschutzrecht, Rn. 27; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 26 m. w. N.; vgl. auch Nr. 2.2.1.3 TA Luft. 131 Vgl. Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 26 m. w. N.; demgegenüber ordnet die TA Luft (Nr. 2.2.1.3) den Begriff der Sachschäden dem Komplex der erheblichen Nachteile und Belästigungen zu; dies steht im Gegensatz zum allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr, vgl. dazu Hansen-Dix, S. 128 ff.; kritisch hierzu Lübbe-Wolff, Schriften zum öffentlichen Recht 512 (1985), 167, 177 ff. 132 Vgl. Jarass, DVBI. 1983, 725, 729; Kutscheidt, in: Salzwedel, UmweltR., S. 246 f.; siehe auch Nr. 2.2.1.3 TA Luft, sowie die Immissionswerte der Nr. 2.5.1 i. V. m. 2.2.1.1 und Nr. 2.5.2 i. V. m. 2.2.1.2 TA Luft.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

73

aaa) Der differenziert-objektive Beurteilungsmaßstab Für die Beurteilung der Erheblichkeit ist nach allgemeiner Auffassung ein differenziert-objektiver Maßstab zugrunde zu legen l33 . Daher ist zunächst auf die Betroffenheit eines normalen Durchschnittsmenschen abzustellen, so daß es auf das subjektive Empfinden oder eine besondere Sensitivität der konkret betroffenen Person grundsätzlich nicht ankommt l34 . Bei der Frage der Empfindlichkeit eines normalen Durchschnittsmenschen ist jedoch nicht von einem von den gegebenen Verhältnissen losgelösten Typus, sondern von einem Durchschnittsbenutzer eines Grundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit auszugehen 135. Daher kann eine überdurchschnittliche Sensitivität des Betroffenen dann zu berücksichtigen sein, wenn durch sie das Grundstück in seiner konkreten Beschaffenheit geprägt ist l36 . Folglich ist für die Beurteilung der Erheblichkeit nach der Art des im Einwirkungsbereich der Immissionen liegenden Gebietes zu differenzieren. Je nach der unterschiedlichen Natur und Zweckbestimmung des Gebietes können Immissionen erheblich sein oder nicht. Entscheidendes Gewicht kommt dabei der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation zu137; dieses normativ abzuleitende Kriterium ist jedoch durch eine differenzierte Beurteilung der tatsächlichen und planerischen Vorbelastung des Gebietes zu ergänzen l38 . bbb) Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums und der körperlichen Unversehrtheit Die Tatsache, daß zur Bestimmung der Erheblichkeit - unabhängig von dem konkret betroffenen Schutzgut Gesundheit 139 und Eigentum - stets die 133 Vgl. bereits BGH, NJW 1958, 1393; BVerwGE 28, 131; Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 29; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 15; Feh/haus, BImSehG, § 3 Anm. 10 m. w. N. aus der Rspr.

134 Jarass,

DVBI. 1983,729; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 15. 135 Feldhaus, BImSehG, § 3 Anm. 10 m. w. N. zu Rspr. und Literatur zu § 906 BGB. 136 Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 29; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 15; vgl. auch Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2.1.3 Rn. 25. 137 Vgl. Nr. 2.2.1.3 TA Luft; BVerwG, UPR 1983, 28; Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 29; ders., NJW 1981,721,727; ders., DVBI. 1983,725,729 f.; vgl. auch Hansmann, TA Luft, Nr.

2.2.1.3 Rn. 23.

138 BVerwG, GewA 1977, 171; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 15; Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 29; zum Verhältnis zwischen Plan und tatsächlicher Nutzung vgl. nur BVerwGE 54, 5, 7 ff.; BVerwG, NVwZ 1983, 155; NJW 1987, 1713, 1716; Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 44 f., 177 f.: Die planerischen Festsetzungen sind solange verbindlich, bis sie wegen Funktionslosigkeit außer Kraft treten.

139 Vgl. dazu insbesondere Seewald, S. 9 ff., 43 ff.; ders., NuR 1988, 161, 163 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 208 ff.; Hermes, S. 223 ff.

74

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

grundstücksrechtliche Situation das Maß der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit steuern soll, bedarf der Begründung. Der Hinweis auf die Zivil rechtsprechung zu § 906 BGB und der Gedanke des Interessenausgleiches innerhalb eines nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses 140 führt nicht weiter, da auch § 906 BGB gerade nur den Ausgleich konfligierender Eigentumsnutzungen im Auge hat. Soweit ersichtlich, wird von der Rechtsprechung des BVerwG im Rahmen der Erheblichkeitsbeurteilung stets allein das Grundrecht aus Art. 14 GG als Rechtsposition des Betroffenen in die Abwägung miteinbezogen l41 . Dies bedeutet indes nicht, daß im Rahmen der Abwägung andere Rechtspositionen des Betroffenen wie etwa Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit nicht berücksichtigt werden l42 . Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG beruht die Ausrichtung der Abwägung auf das Grundeigentum auf der Konstruktion, daß der Schutz des Grundeigentums den Schutz der anderen Rechtsgüter mitumfaßt, weil mit der Gewährleistung einer durch schädliche Umwelteinwirkungen nicht beeinträchtigten Grundstücksnutzung auch die Beeinträchtigung der personenbezogenen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 GG ausgeschlossen ist l43 . Indes vermag die strenge Verknüpfung der beiden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen im Hinblick auf deren Schutzbereich und Einschränkungsmöglichkeit nicht restlos zu überzeugen, wenn man mit dem BVerwG davon ausgeht, daß die Gesundheit gegenüber dem Eigentum nicht nur das höherwertige sondern auch das noch stärker umgebungsabhängige Rechtsgut darstellt 144. Im übrigen führt das Gericht aus, daß der Schutz des Eigentums dem der Gesundheit ohne weiteres gleichgestellt werden könnte 145 , dies aber

140 So etwa Landmann / Rahmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 14. 141 Vgl. nur BVerwGE 71, 150, 155; 59, 253, 261; 51, 15,29; 50, 49, 55; 56, 110, 129; zu dem Befund und den Ursachen s. insbesondere BVerwGE 54,211,221. 142 Dies wäre im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates im Hinblick auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG auch unzulässig, vgl. BVerfGE 49,89, 141; 51,324,347; 53, 30, 57;56,54, 73. 143 So BVerwGE 59, 253, 262 zur Erheblichkeitsschwelle bei Verkehrslärm im Zusammenhang mit dem bundesbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahren; die Ausführungen zur planungsrechtlichen Ausgleichsregelung nehmen jedoch BVerwGE 51, 15, 29 in Bezug, welche erstmals Ausführungen zur immissionsschutzrechtlichen Erheblichkeitsschwelle enthielt. Die Konstruktion des BVerwG gilt also generell für die Auslegung des Erheblichkeitsbegriffes; vgl. auch BVerwGE 48,56,68; 54, 211, 221. 144 BVerwGE 48,211,221: "Es verbietet sich von selbst anzunehmen, daß zwar das Eigentum verfassungsrechtlich gegen bestimmte Vorgänge "in seiner Umgebung" geschützt sei, dagegen die als Rechtsgut höherwertige und in gewisser Weise auch stärker umgebungsabhängige körperliche Unversehrtheit (Gesundheit) einen vergleichbaren Schutz nicht genieße." 145 Hinweis auf BVerwGE 51, 15,28 ff.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

75

"nicht damit getan" sei, die eigentumsrechtliche Rechtsprechung "für auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG entsprechend anwendbar zu erklären" 146. Gleichwohl sprechen für die situationsbezogene Interpretation des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit sowohl sachliche Gesichtspunkte als auch Praktikabilitätserwägungen, wenngleich die Wertungsschwellen aufgrund der unterschiedlichen Empfindlichkeit und Qualität der Rechtsgüter wohl nur in den seltensten Fällen identisch sein dürften l47 . Einerseits ergeben sich immissionsbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen - genau wie Eigentumsbeeinträchtigungen - stets vor dem Hintergrund einer bestimmten räumlichen Belastungssituation l48 . Andererseits erfordert die durch Änderungen der Intensität und Zeitdauer der Belastung sowie der physischen und psychischen Konstitution des Betroffenen bedingte hohe Variabilität der Belastungssituation eine komplexe Bewertung der Beeinträchtigung, die aus Gründen der Praktikabilität einer gewissen Typisierung bedarfl49 . Die erforderliche Typisierung wird nicht allein dadurch erreicht, daß die Beeinträchtigung nicht anhand der konkreten Wirkungsbeziehung, sondern anhand generalisierender Erfahrungen über die Schädlichkeit der Immission hergeleitet wird l50 , sondern vor allem durch die situationsbezogene Auslegung der Beeinträchtigungsschwelle. So hängt die Erheblichkeitsschwelle "von der räumlichen Situation, von ihren Vorbelastungen oder ihren besonderen Vorzügen ab, in die der einzelne mit seiner Person gestellt ist"151.

146 Kritisch zu den Überlegungen von BVerwGE 54, 211 äußert sich Battis, DVBI. 1978, 577, 583, der pauschal die Weite des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs für eine ausreichende Begründung für die Ausrichtung auf Art. 14 GG hält. 147 In diesem Sinne Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 214; zur Schutzgutbestimmung des Art. 2 Abs. 2 GG vgl. von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 129 ff.; Dürig, in: Maunz I Dürig I Herzog, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 29 ff.; Seewald, S. 9 ff., 43 ff.; SchrnidtAßmann, AöR 106 (1981), 205, 208 ff.; Herrnes, S. 223 ff. 148 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 213. 149 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 213. 150 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 213; vgl. dazu auch die Ausführungen zum

Begriff der Eignung als Aussage einer abstrakten Gefahr im Rahmen einer konkreten Entscheidung im Einzelfall, die die rechtliche Grundlage für die "generalisierende Betrachtungsweise" der Schädlichkeit einer Immission darstellt: nach Schrnidt-Aßmann kann der generalisierenden Betrachtungsweise nicht der Einwand der konkreten Gefährlichkeit (!) - und wohl erst recht der konkreten Ungefährlichkeit entgegengesetzt werden. 151 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 214; ähnlich Ramsauer, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 107, 118 f.; Peine, DÖV 1988, 937, 944; vgl. dazu Battis, DVBI. 1978, 577, 582, der - ohne nähere Begründung - das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme auch aus Art. 2 Abs. 2 GG herleitet.

76

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Unbeschadet dieser rechtlich-praktikablen Problemlösung 152 , kann eine Parallelbewertung beider Gewährleistungen bei solchen Irnrnissionsarten sogar wirkungsmäßig begründet werden, bei denen die belästigende Wirkung vom subjektiven Lästigkeitsempfinden abhängen kann. Eine Verzahnung zwischen Grundstückssituation und körperlicher Beeinträchtigung kann etwa bei Geräuschen angenommen werden, bei denen regelmäßig die physisch/psychische Reaktion des Betroffenen auch von dessen psychischer Disposition abhängt, die wiederum von Faktoren wie zum Beispiel Gewöhnung, Einstellung zum Geräuscherzeuger 153 etc. und somit auch von der Ortsüblichkeit des Geräusches 154 beeinflußt wird 155 . Eine ähnliche Verzahnung mag auch bei Erschütterungen und Geruchsbelästigungen der Fall sein, bei Luftverunreinigungen hingegen, die nicht allein wegen ihrer Geruchsrelevanz als erheblich angesehen werden können, dürfte ein derartiger Zusammenhang nicht bestehen i56 . Die dogmatische Begründung für die Pflicht der Nachbarn und der Allgemeinheit, Beeinträchtigungen und Gefährdungen bis zu einer gewissen Intensität hinzunehmen, liegt daher in der Situationsgebundenheit des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit 157 . Nur unter dieser Prämisse erscheint es zutreffend, generell allein die eigentumsrechtlichen Vorgaben des § 906 BGB (nachbarschaftliches Gemeinschaftsverhältnis) bzw. das aus Art. 14 GG hergeleitete gegenseitige Gebot der Rücksichtnahme dem Erheblichkeitsbegriff auch im Hinblick auf Belästigungen zugrundezulegen 158, wenngleich damit eine Identität der Wertungsschwellen im konkreten Fall nicht begrfindet werden kann. 152 Zum Problem der Anwendung der Situationsgebundenheit des Eigentums für den Normbereich des Art. 2 Abs. 2 GG siehe Degenhart, S. 144 ff.; kritisch: Hermes, S. 241 ff.; Murswiek, S. 146; H. Hofmann, BayVBI. 1983, 39 ff.; Baumann, JZ 1982, 749 ff.; Trute, S. 225,227 ff. 153 VDI-Richtlinie 2058 Einführung 1 zur subjektiven Situation des Betroffenen. 154 Die VDI-Richtlinie 2058 Einführung 1 zählt die Ortsüblichkeit zwar nicht zur subjektiven Situation des Betroffenen, die genannten subjektiven Faktoren hängen ihrerseits aber vom objektiven Geräuschumfeld ab. 155 Ob sich jedoch die körperliche Empfmdlichkeit der Betroffenen in gleicher Weise wie die Gebietsempfindlichkeit abstufen läßt, bleibt fraglich (s.o.). 156 So zutreffend Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 15; Kutscheidt, Umweltrecht, S. 248: örtlich differenziertes Lästigkeitsempfinden in der Regel bei Geräuschen, Erschütterungen und Geruchsbelästigungen. 157 Demgegenüber stellt Markau, ohne auf die einzelne Schutzgutbeeinträchtigung einzugehen, allein auf die "Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit" des Individuums (S. 77) ab; dieser Ansatz erklärt indes nicht, warum die Konkretisierung der Sozialverträglichkeit allein aus der räumlichen Lage des betroffenen Grundstücks hergeleitet wird. 158 Vgl. nur BVerwGE 68,58, 60.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

77

ccc) Konkretisierung der Situationsbindung (1) Bebauungsrechtliche Prägung der Situation

Für die Beurteilung der Erheblichkeit ist zunächst die bebauungs rechtliche Prägung 159 der Situation maßgeblich l60 . Wichtige Anhaltspunkte lassen sich hierfür aus den Bebauungsplänen oder - soweit diese nicht vorliegen - aus den Vorgaben der BauNVO entnehmen 161. Mit dem insoweit gestatteten Rückgriff auf behördenexterne Präjudizien wird deutlich, daß der Erheblichkeitsmaßstab nicht autonom konkretisiert wird, sondern heteronom, nämlich durch die Kommune, die im Einwirkungsbereich Bebauungspläne erläßt, normativ gesteuert werden kann 162 . Dabei ist jedoch die mit der Steuerung des Erheblichkeitsmaßstabes verbundene Änderung der rechtlichen Voraussetzungen sowohl der umgebungsbelastenden wie auch der schutzbedürftigen Nutzungen nach dem Gebot der planerischen Konfliktbewältigung in die Planabwägungsentscheidung mit einzubeziehen. So können sich einerseits etwa für den Emittenten die immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten aufgrund erhöhter Rücksichtnahmeanforderungen verschärfen, wenn in seiner Nachbarschaft eine immissionsempfindliche Wohnnutzung ausgewiesen wird. Auf der anderen Seite führt die Planung einer emissionsintensiven Nutzung neben einer Wohnbebauung für den betroffenen Wohnnachbarn regelmäßig zu einer 159 Zur Planung als Strategie zur umfassenden Bewältigung kontligierender Umweltanforderungen (insbes. "latente Störung") vgl. bereits Friauf, DVBI. 1971, 713; Bartlsperger, DVBI. 1971,723,725; Fröhler I Kormann, WiVerw 1977, 114, 115; Söfker, ZRP 1980,321; Roters, DÖV 1980, 701, 703; Weyreuther, UPR 1981, 33; Dolde, DVBI. 1983, 732, 733 ff.; ausführlich zu den Maßnahmen Pfeifer, S. 105 ff.; Kraft, S. 19 ff.; Groh, S. 107 ff.; Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 94 ff. 160 In der Bindung an die bebauungsrechtlichen Festsetzungen wird der grundlegende Unterschied zwischen dem Begriff der "Erheblichkeit" nach § 3 Abs. 1 BImSchG und der "Wesentlichkeit" des § 906 BGB gesehen; vgl. Jarass, BImSchG § 3 Rn. 29; Johlen, BauR 1984, 134; Hagen, UPR 1985, 192, 193, 196 ff.; Birk, NVwZ 1986, 624; Gaentzsch, NVwZ 1982, 668; Papier, NVwZ 1986, 624; Kleinlein, NVwZ 1982, 668. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG und des BGH besteht das Bestreben, die Integration öffentlichrechtlicher Maßstäbe in die zivilrechtliche Wesentlichkeitsschwelle durch eine Gleichsetzung mit dem Begriff der Erheblichkeit zu erreichen, so BVerwGE 79, 254, 258 f.; 81, 197, 200; neuerdings auch BGH, DVBI. 1990, 771, 772; Erman - Hagen, BGB, § 906, Rn. 15; Gaentzsch, NVwZ 1986,601. 161 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 30; ders., NJW 1981, 721, 727; Stelkens, UPR 1982, 28; BVerwG, UPR 1983,28; Nr. 2.2.1.3 der TA Luft; demgegenüber hat die TA Lärm in Nm. 2.321 und 2.322 die Methode einer eigenständigen typisierenden Zusammenstellung von an die faktische Lage oder an Bebauungspläne angekoppelten Gebietsklassen gewählt; vgl. dazu Koch in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 42, 50. 162 Sendler, WiVerw 1985, 211; vgl. auch Kraft, S. 82; von Holleben, UPR 83, 76, 80 f.; Gaentzsch, UPR 1985, 201; Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 46.

78

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Verschlechterung seiner Immissionssituation 163. Der Bebauungsplan bestimmt daher stets nicht nur die Situation der unmittelbar beplanten Grundstücke, sondern auch die der Nachbargrundstücke l64 . Die mit der Planung verbundenen Konflikte müssen in diesen Fällen bereits durch den Plan selbst soweit wie möglich bewältigt werden 165, etwa durch Abstände, Zonung des Baugebietes oder die Festsetzung emissions- oder immissionsseitiger Anforderungen an bestimmte Nutzungen l66 . Maßstab der gebotenen Konfliktbewältigung bildet das planungsrechtliche Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme l67 . Nach diesem Grundsatz muß entweder der störintensive Betroffene erhöhte Anforderungen oder der schutzbedürftige Betroffene Belästigungen und Nachteile hinnehmen, die er außerhalb dieser Grenzbereiche nicht hinzunehmen brauchte l68 . Die Situationsvorbelastung führt zur Minderung der Schutzwürdigkeit eines Grundstücks; die spezifische Pflicht zur Rücksichtnahme führt dazu, daß - im Sinne der Bildung einer" Art von Mittelwert" - nicht nur der emittierenden Anlage, sondern auch der immissionsbetroffenen Nutzung eine erhöhte Duldungspflicht auferlegt wird l69 . Trotz der Schwierigkeit, bereits bei der Planaufstellung die konkrete Reichweite der genehmigungsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten zu bestimmen, ist im allgemeinen davon auszugehen, daß Rücksichtnahmepflichten mit zunehmender Gegensätzlichkeit der Nachbarschaftsnutzungen zunehmend wirksam werden; in diesen Fällen sind die genehmigungsrechtlichen Auswirkungen des Planes besonders zu beachten. Dagegen verringert sich das Problem genehmigungsrechtlicher Rücksichtnahmepflichten

163 Groh, S. 139 f. 164 Groh, S. 79; BVerwGE47, 144, 153. 165 Groh, S. 158; vgl. zu diesen Fällen insbesondere § 50 BImSchG. 166 Vgl. hierzu Pfeifer, S. 105 ff.; Kraft, S. 19 ff.; Groh, S. 107 ff.; Dolde, DVBI. 1983, 732,733 ff.; Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 94 ff. 167 Groh, S. 124; die zwangsläufige Identität zwischen den aus dem baurechtlichen Gebot der Rücksichtnahme und detn Erheblichkeitsbegriff des § 3 Abs. 1 BImSchG resultierenden Rücksichtnahmepflichten zugunsten der Nachbarn betont BVerwGE 68, 58, 60; vgl. dazu Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 46, 50 f. 168 BVerwGE 50, 49, 54 f.; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 212, 425 f.; vgl. auch Hansmann, TA Luft, 2.2.1.3 Rn. 26; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 14. 169 BVerwGE 50,49, 54 f.; vgl. auch Pfeifer, S. 97; Rücksichtnahmegebot und Erheblichkeit sind in diesem Fall verzahnt; eine Anlage, deren Immissionen den Maßstab der Erheblichkeit nicht überschreiten, ist nicht rücksichtslos; das Rücksichtnahmegebot verlangt nicht mehr Rücksichtnahme als das BImSchG selbst; das BImSchG bestimmt die Grenze der Erheblichkeit für die Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahtne mit Wirkung auch für das Baurecht; so BVerwGE 68, 58, 59 f.; vgl. dazu Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41,46,50 f.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

79

mit zunehmender räumlicher Trennung konfligierender Nutzungen l70 , so daß insoweit die mit dem Gebot der Konfliktbewältigung verbundene Prognose rechtlicher Situationsveränderungen planbetroffener Nutzungen insgesamt an Bedeutung verliert l71 . (2) Tatsächliche Vorbelastung des Gebietes Neben der bebauungs rechtlichen Prägung ist vor allem die tatsächliche Vorbelastung des Gebietes von Bedeutung 172 , So wird in Anlehnung an den Begriff der Wesentlichkeit und Ortsüblichkeit des § 906 BGB auch der Begriff der Erheblichkeit 173 in Abhängigkeit von den konkreten örtlichen Verhältnissen definiert 174 , Danach sind in einem Wohngebiet grundsätzlich Luftverunreinigungen und Geräusche eher erheblich als in einem Gewerbeoder Industriegebiet. Gerade im Hinblick auf die ebenfalls zu bewertende Schutzbedürftigkeit wird derjenige die Erheblichkeit einer Luft- oder Geräuschbelastung nur eingeschränkt geltend machen können, der sich in einem Gebiet ansiedelt, in

170 Vgl. insoweit § 50 BImSchG, der den Trennungsgedanken als Gebot planerischer Konfliktbewältigung normiert, vgl. Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 44. 171 Groh, S. 141. 172 Vgl. BVerwGE 51, 15, 32; 59, 253, 262; 71, 150, 155; 77, 285; zum Verhältnis zwischen Plan und tatsächlicher Situation siehe BVerwGE 54, 5, 7 ff.; BVerwG, NVwZ 1983, 155; NJW 1987, 1713, 1716; Kraft, S. 83; Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 58; ders., Immissionsschutz durch Baurecht, S. 44 f., 177 f. (Beachtung der planerischen Festsetzungen bis zur Grenze ihrer Nichtigkeit wegen Funktionslosigkeit); Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 10 Rn. 8 m. w. N.; Jung, NVwZ 1985, 790; Pietzcker, DVBI. 1986, 606. Siehe demgegenüber Nr. 2.322 TA Lärm, die den Vorrang der faktischen Verhältnisse vorschreibt, vgl. dazu Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 29 ("problematisch"); Bethge / Meurers, TA Lärm, Nr. 2.322 Rn. 2. 173 Zur Identität zwischen der "Erheblichkeit" im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG und der "Wesentlichkeit" im Sinne des § 906 BGB vgl. etwa BVerwGE 79, 254, 258 f.; 81, 197; neuerdings auch BGH, DVBI. 1990, 771, 772; Errrum - Hagen, BGB, § 906, Rn. 15; bereits Gaentzsch, NVwZ 1986, 601, 604. Diese Auslegung hat zur Konsequenz, daß das Merkmal "ortsüblich" keinen eigenen normativen Gehalt mehr hat, da die tatsächlichen Verhältnisse bereits bei der Erheblichkeitsbetrachtung berücksichtigt werden. Kritisch: Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 44 f.; aus dem Gesichtspunkt der Ergänzungsfunktion des Zivilrechts ebenso kritisch Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 66 ff., 76 ff; ders., JZ 1988, 161, 162, 168 ff., 171 ff.; wohl auch Medicus, NuR 1990, 145, 146 ff.; zur Prägung zivilrechtlicher Begriffe durch öffentlich-rechtliche Normen und Wertentscheidungen vgl. BGHZ 41,264, 270; 54, 384, 389; 64, 220, 223 f.; NJW 1983, 751 f., 752; Münchner Kommentar Säcker, BGB, § 906 Rn. 16 f.; Hagen, UPR 1985, 192, 193 ff.; Papier, UPR 1985,73, 77; Gaentzsch, UPR 1985, 201, 209 f.; ders., NVwZ 1986, 601, 604; Johlen, BauR 1984, 134; J.F. Baur, Gedächtnisschrift für Martens, S. 545 ff; Marburger, 56. DIT., C. 102 ff.; Diederichsen, 56. DIT., L. 58 ff; Kloepfer, NuR 1990, 337, 342 ff. 174 Markou, S. 84; vgl. auch Palandt - Bassenge, BGB, § 906 Anm. 3) a) b) m. w. N.

80

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

dem die bestehenden Immissionsverhältnisse die Situation des Grundstücks prägen ("tatsächliche Vorbelastung ") 175. Als tatsächliche Vorbelastung werden daher alle situationsbedingten Immissionen gewertet, denen das betroffene Grundstück von seiner Umgebung her ausgesetzt ist l76 . Hierzu zählen nicht nur Immissionen, die von der zu beurteilenden Anlage selbst verursacht werden 177, sondern auch Einwirkungen benachbarter Gebietsnutzungen 178. Die Berücksichtigung der tatsächlichen Vorbelastung beruht auf der Erwägung, daß schutzwürdig und schutzfähig ein Grundstück nur insoweit ist, als es nicht bereits unter der Einwirkung der Immissionsbelastung liegt, also nicht durch sie beeinträchtigt wird l79 . Dabei bestimmt die tatsächliche Vorbelastung jedoch nur dann die Erheblichkeitsgrenze, wenn sie ihrerseits nicht bereits das Maß des Zumutbaren überschreitet. Dies sollen jedoch - in Rückgriff auf die diesmal enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle - nur solche Belastungen sein, die das Grundstück "schwer und unerträglich" treffen 180 . Da die tatsächliche Vorbelastung häufig durch die Immissionen einer rechtmäßig errichteten Anlage mitgeprägt wird, wird die Erheblichkeitsschwelle für eine Wohnbebauung im Einwirkungsbereich einer solchen Anlage höher sein als im unbelasteten Wohngebiet. Für die Beurteilung der Erheblichkeit spielt daher unter dem Gesichtspunkt der Priorität die bauliche

175 Markou, S. 84 nimmt demgegenüber das Kriterium der Voraussehbarkeit, Inkaufnahme und Mitverantwortung für den Konflikt als Begründung einer erhöhten Duldungspflicht; vgl. demgegenüber Kühling, Fachplanungsrecht, S. 166; Berkemann, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 73, 86; Kuschnerus, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 93, 96, die die Berücksichtigung der tatsächlichen Vorbelastung als Problem der Kausalität (gemeint: signifikante Risikoerhöhung als Begründung für Zurechnung) verstehen. 176 BVerwGE 59,253,265. 177 BVerwGE 59, 253, 265. 178 BVerwGE 51, 15,31. 179 BVerwGE 59, 253, 265; bei der Geräuschbewertung im straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren ist darüber hinaus erforderlich, daß nicht die Gesamtbelastung, sondern allein der hinzukommende Immissionsbeitrag der Anlage eine unzumutbare Belastung darstellt: Schutzwürdigkeit und Schutzfahigkeit bestehen nur insoweit, als das Hinzutreten der Verkehrsgeräusche zu den übrigen Geräuschquellen den Pegel des Gesamtgeräusches in beachtlicher Weise erhöht und gerade in dieser Erhöhung eine zusätzliche "unzumutbare" Belastung liegt (BVerwGE 51, 15,32); eine derartige signifikante Erhöhung der Gesamtbelastung wird von der Rechtsprechung erst bei 3 dB (A) angenommen; Kühling, Berkemann, Kuschnerus (Fn. 175) halten die Berücksichtigung der tatsächlichen Vorbelastung daher für ein Problem der Kausalität. 180 BVerwGE 59, 253, 267 (70 dB (A»; zur Enteignungsschwelle BGHZ 97, 114; demgegenüber geht Hansmann, TA Luft, 2.2.1.3 Rn. 25 unter Berufung auf BGHZ 30, 273, 279 auch im Rahmen der Vorbelastung von der im Vorfeld der Enteignung liegenden Zumutbarkeitsgrenze im Sinne der Erheblichkeitsschwelle aus (vgl. dazu BVerwGE 51, 15,29).

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

81

Situation eine Rolle, die zu Beginn der durch die Immission beeinträchtigten Nutzung bestand l81 . (3) Plangegebene Vorbelastung des Gebietes Im Rahmen der Berücksichtigung der planerischen bzw. plangegebenen Vorbelastung wird der Erheblichkeitsbegriff nach dem Inhalt einer noch nicht rechtskräftigen, jedoch verfestigten Planung bestimmt, mit deren Inhalt der Betroffene zu rechnen hat. Das Maß der Vorbelastung entspricht grundsätzlich dem Umfang der im maßgeblichen Zeitpunkt objektiv zu erwartenden tatsächlichen Belastung l82 . Gegenstand der objektiven Erwartung ist dabei die Realisierung eines Vorhabens, das in seiner inhaltlichen Ausgestaltung den dafür geltenden rechtlichen Anforderungen entspricht l83 . In diesem Zusammenhang ist primär der Konflikt mit der vorgefundenen bebauungsrechtlichen Situation zu berücksichtigen. Soweit die plangegebene Vorbelastung etwa auf eine vorhandene verfestigte bebauungsrechtliche Situation trifft, führt sie insoweit nicht zu einer Duldungspflicht gegenüber den künftigen Belastungen, als die Betroffenen darauf vertrauen dürfen, daß eine nachfolgende Planung auf die nach dem bestehenden Plan gegebene Nutzbarkeit der Grundstücke Rücksicht nimmt, nämlich nicht ohne planerische Bewältigung der Auswirkungen verwirklicht wird l84 . Es gelten damit die gleichen Prinzipien wie im Rahmen der Aufstellung von Bebauungsplänen nach dem Gebot der planerischen Konfliktbewältigung, ergänzt um den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und des Erwartungshorizontes des Betroffenen 185.

181 Jarass, OVBI. 1986, 314, 316; von Holleben, OVBI. 1981, 903, 904; Markou, S. 84; BVerwG, UPR 1983, 27; soweit das Gebiet allerdings normativ übell>lant wird, gelten die Festsetzungen des Bebauungsplanes; die dort getroffenen Festsetzungen haben Vorrang vor den faktischen Verhältnissen, die indes planerisch bewältigt werden müssen; vgl. auch Berkemann, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 73, 87; Kuschnerus, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 93, 98 f. 182 BVerwG, OVBI. 1987,907,910; dazu Stich, UPR 1988, 281, 283. 183 BVerwG, OVBI. 1987,907,910; dazu Stich, UPR 1988, 281, 283. 184 Vgl. BVerwGE 71, 150, 157; 77, 285 zur Straßenplanung. 185 Vgl. dazu Markou, S. 84; BVerwG, GewA 1977, 168, 170 f.; BVerwG, UPR 1983, 27 f.; BVerwG, NVwZ 1985, 186 f.; Schmidt-Aßmann, Oie Berücksichtigung situationsbestirnrnter Elemente in der Bauleitplanung, S. 93 ff.; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 29 f.; Sellner / Löwer, WiVerw 1980,221,239. 6 Petersen

82

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. I BImSchG

bb) Belange des Anlagenbetreibers

aaa) Berücksichtigung im Rahmen des differenziert-objektiven Beurteilungsmaßstabes Die Belange des Anlagenbetreibers sind im Rahmen der Erheblichkeitsbewertung korrelativ zu berücksichtigen, soweit sie den differenziertobjektiven Maßstab der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Situation ihrerseits beeinflussen können l86 . Damit sind sie nur insoweit relevant, als sie auf die Situation des Einwirkungsbereiches ausstrahlen und dessen Qualität mitbestimmen 187. Soweit die bebauungsrechtliche Prägung der Situation anband von Bebauungsplänen beurteilt wird, ist diese Ausstrahlungswirkung bereits im Rahmen der planerischen Abwägung berücksichtigt worden. Nach dem Gebot der planerischen Konfliktbewältigung und insbesondere dem Planungsleitsatz des § 50 BImSchG sind konfligierende Nutzungen sowohl innerhalb des überplanten Gebietes als auch in dessen Nachbarschaft entsprechend dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme 188 einem möglichst schonenden Ausgleich zuzuführen und durch planerische Festlegungen zu steuem l89 . Soll eine neue gewerbliche Nutzung in der Nähe bestehender Wohngebiete ausgewiesen werden, so genießt die vorhandene Wohnbebauung keinen absoluten Schutz vor der Verschlechterung der Situation. Zwar muß die Planung im Regelfall gewährleisten, daß schädliche Umwelteinwirkungen vermieden werden; die bestehende plangegebene oder tatsächliche Vorbelastung oder sogar die besondere Bedeutung der Planung können es jedoch rechtfertigen, nicht das Optimum an Umweltschutz anzustreben und den Betroffenen mehr als nach den sonstigen Umweltstandards zuzumuten l90 . Der erforderlichen Optimierung sind jedoch durch Art. 14 Abs. 1 und 2 GG sowie durch Art. 2 Abs. 2 GG Schranken gesetzt. Insbesondere

186 Vgl. BVenvG, UPR 1983, 27; OVGNRW, GewA 1984,172. 187 OVGNRW, GewA 1984, 172. 188 Groh, S. 140; dazu ausführlich Koch, Immissionsschutz durch Baurecht, S. 141 ff. 189 Groh, S. 158 ff.; Dolde, DVBI. 1983, 732, 733 ff.; zur Planung als Strategie zur umfassenden Konfliktbewältigung konfligierender Umweltanforderungen (insbes. "latente Störung") vgl. bereits Friauf, DVBI. 1971, 713; Bartlsperger, DVBI. 1971, 723, 725; Fröhler / Kormann, WiVerw 1977, 114, 115; Söjker, ZRP 1980. 321; Roters. DÖV 1980. 701. 703; Weyreuther. UPR 1981.33; ausführlich zu den Maßnahmen Pfeifer. S. 105 ff.; Kraft. S. 19 ff.; Groh. S. 107 ff.; Koch. Immissionsschutz durch Baurecht. S. 94 ff. 190 Vgl. insbesondere Söjker. ZffiR 1979. 10; Dolde. NJW 1980. 1659; ders., DVBI. 1983. 732.737.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

83

enteignungsrechtlich unzumutbare Immissionen können der Nachbarschaft unter keinen Umständen zugemutet werden 191 . Wird hingegen in der Nähe eines bestehenden Gewerbegebietes eine Wohnbebauung geplant, so ist zu ermitteln, in welchem Umfang die Fortführung des Betriebs - auch unter Berücksichtigung von Änderungen und Erweiterungen, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Betriebsführung üblicherweise zur Anpassung an die geänderten Verhältnisse notwendig sind erschwert wird 192. Selbst Nutzungen, die noch nicht nicht begonnen haben, sind zu berücksichtigen, wenn sie sich bei vernünftiger und wirtschaftlicher Betrachtungsweise anbieten und nach dem Willen des Eigentümers in absehbarer Zeit verwirklicht werden sollen 193 . Die mit der planungsrechtlichen Veränderung des Immissionsortes verbundene Verschärfung der Erheblichkeitsschwelle wird jedoch durch das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme abgemildert 194. Soweit die Nutzung des vorhandenen Bestandes dauernd und nachhaltig erschwert wird, stellt dies ein unverhältnismäßiges Abwägungsergebnis dar 195 . In diesem Fall ist die planungsrechtliche Ausweisung des Einwirkungsbereiches rechtswidrig. Das Gebot der Rücksichtnahme entfaltet in diesen Konstellationen einen relativen Maßstab, der sich anband der aus den tatsächlichen Verhältnissen ergebenden schutzwürdigen Interessen der jeweiligen Nutzung ermitteln läßt. Soweit z. B. in gewachsenen Gemengelagen Immissionskonflikte im Rahmen der Planung nicht vollständig durch Trennung oder besondere Festsetzungen aufzulösen sind, ist die jeweilige Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so daß insbesondere die immissionsbetroffene Nutzung im Interesse der bestehenden Anlagen Beeinträchtigungen hinnehmen muß, die sie außerhalb eines derartigen Grenzbereiches nicht hinzunehmen bräuchte 196 . Der davon betroffene Anlagenbetreiber hat Rechtsschutzmöglichkeiten bereits gegen die situationsverändernde Planung, soweit diese die Belange des Anlagenbetreibers unverhältnismäßig zurücksetzt und dem Risiko unterwirft, aufgrund der benachbarten störanfälligen Nutzung

191 Dolde, DVBI. 1983,732,737, der in diesen Fällen auf die Möglichkeit einer Entschädigungspflicht nach §§ 40 ff. BBauG hinweist. 192 BVerwG, DVBI. 1971, 746; von Hol/eben, DVBI. 1981,903, 906; Söfker, ZffiR 1979, 10, 14; Dolde, DVBI. 1983,732,737. 193 BVerwG, NJW 1980, 413; Dolde, NJW 1980, 1658; ders., DVBI. 1983,737. 194 Dolde, DVBI. 1983,732,738. 195 So Bay. VGH, NJW 1983, 301; zustimmend Dolde, DVBI. 1983,732,737. 196 Pfeifer, S. 97 unter Hinweis auf BVerwGE 50,49,54 f. 6·

84

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

weitergehende müssen l97 .

immissionsschutzrechtliche

Anforderungen

erfüllen

zu

Auch im Rahmen der Beurteilung der tatsächlichen Prägung der Situation werden die Belange des Anlagenbetreibers berücksichtigt. Soweit die bestehende Anlage durch ihre Immissionen den Gebietscharakter des Einwirkungsbereiches prägt, wird die Erheblichkeitsschwelle auch durch die Anlage beeinflußt. Werden daher Wohnhäuser in der Nähe einer emittierenden Anlage errichtet ("heranrückende Wohnbebauung"), liegt die Erheblichkeitsschwelle höher als bei Wohnhäusern, die in einem reinen Wohngebiet errichtet werden. Nach dem Grundsatz der Priorität l98 , der in der Berücksichtigung der tatsächlichen Vorbelastung zum Ausdruck kommt, spielt dabei prinzipiell die bauliche Situation eine Rolle, die zu Beginn der empfindlichen Nutzung bestand l99 . Allerdings wird die tatsächliche Vorbelastung nicht in vollem Umfang der Erheblichkeitsbestimmung zugrundegelegt, sondern ihrerseits durch das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme reiativiert200 . Das Kriterium der Erheblichkeit hat daher einen relativen Bestandsschutz zur Folge201 . Zur Sicherung der Belange des Anlagenbetreibers, steht diesem ein Abwehranspruch gegen die heranrückende störanfällige Wohnbebauung zu, der sich in erster Linie auf das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme stützen kann, soweit es im jeweiligen Einzelfall Drittschutz vermittelt202 . Insgesamt aber wird für den emittierenden Betrieb die Situation verschärft, so daß bisher als unschädlich eingestufte Immissionen nunmehr schädlich sein können203 . Zur Gewährleistung des Schutzes vor den insoweit - unter Berücksichtigung des Gebotes der Rücksichtnahme erheblichen Beeinträchtigungen sind bei genehmigungsbedürftigen Anlagen nachträgliche 197 Dolde, NVwZ 1986, 873, 882; ders., DVBI. 1983,732, 737 f.; von Holleben, DVBI. 1981,903,906; Sendler, WiVerw 1977,94,98 ff.; FriauJ, WiVerw 1986,87, 113 ff.; ders., DVBI. 1971,713,716; Pietzcker, JZ 1985,209,211 f.; Lutz, S. 15 ff.; Reiland, VerwArch 66 (1975), 255, 260; Willerscheid, S. 83 ff.; Fröhler / Kormann, WiVerw 1977, 114, 127; BVeIWG, DVBI. 1968,35; 1971,746,748.

198 Da dieses Prinzip durch das Gebot der Rücksichtnahme relativiert wird, bestreitet von Holleben, DVBI. 1981,903,904 das Bestehen eines derartigen Grundsatzes. 199 Jarass, DVBI. 1986, 314, 316. 200 Vgl. dazu die "Mittelwerttheorie" BVelWGE DVBI. 1976, 214; OVG Lüneburg, GewA 1979,345; kritisch: von Holleben, DVBI. 1981,903,904. 201 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 32; Dolde, NVwZ 1986, 873, 882. 202 Dolde, NVwZ 1986, 873, 882 m. w. N. in Fn. 69; Battis, BauR S. 284 f.; Reiland, VerwArch 66 (1975), 255, 260; Willerscheid, S. 83 ff.; Fröhler / Kormann, WiVerw 1977, 114,127; BVeIWG, DVBI. 1968,35; 1971,746,748. 203 Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 15; Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 10; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 32.

C. Schädlichkeit - SlÖrqualität der Immissionen

85

Anordnungen nach 17 BImSchG, bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen Anordnungen nach §§ 24, 25 BImSchG zulässig204 , die allerdings ihrerseits verhältnismäßig sein müssen205 . Schließlich können auch im Rahmen der Berücksichtigung der planerischen Vorbelastung die Belange des Anlagenbetreibers ebenfalls in die Erheblichkeitsbestimmung einfließen, soweit sie von der zukünftigen Planung bereits erfaßt sind. Soll etwa ein Gewerbegebiet neben einer bestehenden Wohnnutzung ausgewiesen werden, so kann sich gegebenenfalls die künftige Planung auf die Schutzwürdigkeit des bestehenden Gebietes schutzmindernd auswirken206 . bbb) Unzulässigkeit einer darüber hinausgehenden Berücksichtigung der Belange des Anlagenbetreibers Eine über die Reichweite und Systematik des differenziert-objektiven Maßstabes hinausgehende Berücksichtigung der Belange des Anlagenbetreibers bei der Bestimmung der Erheblichkeit einer Beeinträchtigung ist abzulehnen207 . (1) Bestandsschutz der Anlage Das hiermit verbundene Grundproblem ist insbesondere bei der Frage diskutiert worden, ob bei der Bestimmung der Erheblichkeit Inhalt und Umfang des Bestandsschutzes der konkreten Anlage zu berücksichtigen ist. Das BVerwG hat in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, daß die durch den Bestandsschutz gedeckten Immissionen zumutbar seien und damit nicht als schädliche Umwelteinwirkung bewertet werden könnten. So lägen 204 von Holleben, DVBI. 1981,903,904. 205 Vgl. zu der hier nicht zu erörternden Problematik, ob das Gebot der vollständigen Konfliktbewältigung eine Verschiebung der planungsrechtIichen Verantwortung zur genehmigungsrechtIichen zulässig ist und das damit verbundene Problem der immissionschutzrechtlichen Regelungsdichte von Bebauungsplänen insbes. Groh, S. 166 ff.; Pfeifer, S. 70 ff.; Kraft, S. 79 ff.; Weyreuther, BauR 1975, 1, 5 ff.; Hoppe, in: Festschrift für Ernst, S. 215, 218 ff.; Erbguth / Püchel, NVwZ 1982,649, 655; von Holleben, DVBI. UPR 1983. 76; ders., DVBI. 1981, 903; Säfter, ZffiR 1979, 10; Menke, UPR 1985, 111; Dolde, NVwZ 1984, 159; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1984, 582; ders., Beriicksichtung situationsbestimmter Abwägungselemente, S. 157 ff.; Gierke, DVBI. 1984, 149 ff.; Sendler, WiVerw 1985, 211; OVGNRW, DVBI. 1981,409; OVGBerlin, DVBI. 1984,247; OVGLüneburg, NJW 1982, 842; Bay. VGH, BayVBI. 1983,51. 206 Säfter, ZffiR 1979, 10; Dolde, DVBI. 1983,732,737. 207 So BVerwG, UPR 1983, 27; OVG NRW, GewA 1984, 172; Jarass, BImSehG, § 3 Rn. 4; ders., DVBI. 1986,314,316; a. A. Feldhaus, DVBI. 1979,301,305; Schmitt-Glaeser / Meins, S. 31 f.; Markou, S. 86 f.

86

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

erhebliche Beeinträchtigungen (auch) dann nicht vor, wenn die Eigentümer oder Benutzer der die emittierende Anlage umgebenden Grundstücke die Beeinträchtigungen aus eigentumsrechtlichen Gründen zu dulden hätten. Der Bestandsschutz einer Anlage sei in diesem Sinne Bestandteil der Situation und erweise sich für den Anlagenbetreiber als Situationsberechtigung, für die Betroffenen als Situationsbelastung208 . Diese Auffassung ist zu Recht auf breite Ablehnung gestoßen209 . Bereits ihr Ansatz, der den Aspekt des Bestandsschutzes über die Erheblichkeitsbewertung in den Tatbestand des Begriffes schädliche Umwelteinwirkung hineininterpretiert, erweckt in zweifacher Weise ein Mißverständnis, nämlich einerseits, daß alle eigentumsrechtlichen gerechtfertigten Immissionen per se unerheblich seien210 und andererseits, daß schädliche Umwelteinwirkungen nicht durch den Eigentumsschutz der Anlage gerechtfertigt sein können211 . Eine derartige Aussage ist jedoch problematisch, insbesondere, wenn sie all das als eigentumsrechtlich gerechtfertigt ansähe, das genehmigt und aufgrund dieser Genehmigung errichtet und betrieben würde. Die Konsequenz wäre, daß nachträgliche Anordnungen zur Erfüllung der Schutzpflicht nach § 17 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht mehr zulässig wären - damit wäre der Bestandsschutz im Bereich der genehmigungsbedürftigen Anlagen zementiert212 . Die Aussage steht daher in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu § 17 Abs. 2 BImSchG, der bei nachträglichen Anordnungen dem verfassungsrechtlich abgeleiteten Bestandsschutz der betroffenen Anlage durch eine differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung trägt. Sie widerspricht schließlich der Entschädigungsregelung des Satzes 2 dieser Vorschrift. Danach soll die Genehmigung bei Unverhältnismäßigkeit einer nachträglichen Anordnung ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre oder schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen sind. Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, daß es tatbestandlich auch bei Bestandsschutz einer Anlage schädliche und damit erhebliche Umwelteinwirkungen gibt, deren Untersagung aber im Einzelfall unverhältnismäßig sein kann. Die Unverhältnismäßigkeit ergibt sich allein aus dem Übergewicht der nach Art. 208 BVerwG, DVBI. 1976,216. 209 Vgl. nur Ku/scheid/, DÖV 1976, 663, 668; Dolde, NVwZ 1986, 882; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 209; Friauj, in: Festgabe BVerwG, S. 224 f.; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 31; ders., DVBI. 1986,316; Kraft, S. 99. 210 Vgl. dazu Dolde, NVwZ 1986,873, 882. 211 Vgl. dazu Kutscheidt, DÖV 1976, 663, 668; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 209. 212 So Dolde, NVwZ 1986, 873, 882.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

87

14 GG geschützten Eigentumsposition des Anlagenbetreibers 213 . Weder der differenzierten Verhältnismäßigkeitsregelung noch der Entschädigungsregelung bedürfte es, wenn der Bestandsschutz der Anlage bereits die Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle determinieren würde214 . (2) Sonstige Belange Auch sonstige Belange des Anlagenbetreibers, etwa finanzieller Art, wie z. B. die Kosten für die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen215 oder technischer Art, wie die Reduzierbarkeit von Emissionen nach dem Stand der Technik216 , sind im Rahmen der Erheblichkeitsbestimmung217 nicht zu berücksichtigen. Die hiergegen sprechenden Erwägungen sind weit grundsätzlicherer Natur als die aus § 17 Abs. 2 BlmSchG hergeleiteten Argumente gegen die Berücksichtigung des Bestandsschutzes. Bereits bei der Untersuchung des Begriffes der Erheblichkeit und der daraus resultierenden gebietsspezifischen Abwägung nach dem differenziert-objektiven Maßstab konnte dargelegt werden, daß dieser im Rahmen seiner Reichweite sämtliche die Grundstückssituation prägenden Elemente der immissionsbetroffenen wie auch der immissionsverursachenden Nutzung erfaßt. Eine darüber hinausgehende eigenständige Berücksichtigung der Belange des konkret immissionsverursachenden Anlagenbetreibers ist jedoch nicht möglich, die auf der

213 Vgl. auch Dolde, NVwZ 1986,873,882; Kutscheidt, DÖV 1976, 663, 668. 214 Wie bereits oben dargelegt, vermag der Bestandsschutz die Erheblichkeitsschwelle nur als ein Faktor im Rahmen des differenziert-objektiven Maßstabes mitzubestimmen; bestimmendes Gewicht hat er dagegen bei der Bestimmung der Reichweite der Vermeidungsmaßnahmen auf der Risikosteuerungsebene, wobei im Rahmen der VerhältnismäßigkeitsplÜfung auch das Ziel der Maßnahme zu belÜcksichtigen ist. Die Güterabwägung zwischen den Belangen der Betroffenen und denen des Anlagenbetreibers ist daher auf mehreren Ebenen abzuschichten. 215 Dazu Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 34; ders., NJW 1983, 725, 730; Breuer, DVBI. 1978, 829; Markou, S. 84 ff. 216 Vgl. dazu OVG NRW, GewA 1984, 172; so auch Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 4; ders., DVBI. 1986,314,316. 217 Das aus dem Erheblichkeitsbegriff abgeleitete Wortlautargument von Jarass, DVBI. 1983, 725, 730, nach § 3 Abs. I BImSchG, gehe es "um die Zumutbarkeit von Beeinträchtigungen der Immissionen für die Nachbarschaft und die Allgemeinheit, nicht um die Zumutbarkeit von Abhilfemaßnahmen für den Anlagenbetreiber" vermag nicht zu überzeugen, setzt die Tatsache, daß der Begriff der Erheblichkeit im Rahmen einer (gebietsspezifischen) Güterabwägung zu ermitteln ist, doch prinzipiell voraus, daß auch die konfligierenden Belange von Anlagenbctreibem - welche sonst? - zu belÜcksichtigen sind; vgl. demgegenüber Markou, S. 84 ff., der den Begriff der Erheblichkeit als Element einer umfassenden Güterabwägung interpretiert, und damit den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen abhängig von der daran anknüpfenden Regelung (etwa § 17 BImSchG) stets sinnvariierend interpretieren muß.

88

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Risikoerkenntnisebene abschließend erfüllt.

erforderliche

Optimierungsfunktion

ist

insoweit

Systematisch betrachtet, verbietet bereits der Immissionsbegriff des § 3 Abs. 2 BImSchG eine Betrachtung der Belange des konkreten Anlagenbetreibers. In die Schädlichkeitsbeurteilung sind nur immissionsbezogene Kriterien heranzuziehen, also solche, die sich auf den Einwirkungsort der Immissionen beziehen; anlagenbezogene Kriterien sind ihm - im Gegensatz zum Begriff der Emission nach § 3 Abs. 3 BImSchG fremd 218 . Der Immissionsbegriff erfaßt die Gesamtbelastung der Situation unter Einbeziehung von Vor- und Fremdbelastung des Immssionsortes, unabhängig von welcher Quelle diese verursacht wird. Er stellt insoweit das notwendige immissionsschutzrechtliche Funktionselement zur vollständigen Situationserfassung des Einwirkungsortes dar und gewährleistet damit die größtmögliche Perspektive der Risikoerkenntnis219 . Der Immissionsbegriff korreliert daher in idealer Weise mit dem ebenfalls allein auf die Gesamtwürdigung der Situation abstellenden Begriff der Erheblichkeit. So hat der Gesetzgeber die Berücksichtigung von anlagenbezogenen Belangen denn auch im Rahmen der Vermeidungspflicht selbst angesiedelt. Dies zeigt bereits der Vergleich zwischen den Grundpflichtenbestimmungen des § 5 Abs. 1 und des § 22 Abs. 1 BImSchG: Im Hinblick auf anlagenbezogene Kriterien, nämlich das unterschiedliche Beeinträchtigungspotential dieser Anlagen220 , hat der Gesetzgeber zur Differenzierung genehmigungsbedürftiger und nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen nicht etwa den Begriff der schädlichen Umwel teinwirkungen (Risikoerkenntnistatbestand) variiert, sondern allein die Vermeidungspflichten (präzise: den Risikosteuerungstatbestand) auf normativer Ebene verändert. Entsprechendes zeigt innerhalb der genehmigungsbedürftigen Anlagen ein Vergleich zwischen projektierten und bestehenden Anlagen: Hier gehen die Instrumentarien ebenfalls von einem einheitlichen Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen aus, hinsichtlich der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgebestimmungen sind sie jedoch sehr differenziert ausgestaltet221 . Die umfassende Berücksichtigung der Belange des Anlagenbetreibers im Rahmen der Erheblichkeit würde im Ergebnis zu einer stets sinnvariierenden 218 Vgl. OVG NRW, GewA 1984, 172. 219 Vgl. hierzu die Ausführungen zum Begriff der Immission als Funktionselement eines Wirkungsstandards Teil 2. B. IV. 1. a). 220 Vgl. dazu die in § 4 BImSchG normierten Kriterien für die besondere Umweltrelevanz genehmigungsbedürftiger Anlagen. 221 Jarass, DVBI. 1986,314,316; ders., DVBI. 1983,725,730.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

89

Interpretation des Begriffes schädliche Umwelteinwirkung führen und im Widerspruch zur gesetzlichen Systematik die sachlich gebotenen Differenzierungen zwischen genehmigungsbedürftigen und nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen einerseits und projektierten und bestehenden Anlagen andererseits verwischen. Folge wäre eine systematisch und rechtlich unzulässige Mehrfachberücksichtigung der Belange des Anlagenbetreibers bei Abwägungsentscheidungen222 , nämlich sowohl bei der Bestimmung der Erheblichkeit, als auch bei der Bestimmung der Reichweite der Vermeidungspflichten im Rahmen der Risikosteuerungsebene und schließlich gegebenenfalls im Rahmen des Ermessens der Anordnungsermächtigungen, mit dem Ergebnis, daß die im Rahmen der Gesamtregelung vorzunehmende Güterabwägung zu Lasten der störanfälligen Nutzung verschoben würde223 .

ce) Gemeinwohlbelange Es ist umstritten, ob Gemeinwohlbelange wie etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Sicherung der Energieversorgung im Rahmen der Erheblichkeitsabwägung mit zu berücksichtigen sind. Während die wohl herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur eine Berücksichtigung derartiger Belange mit der Begründung ablehnt, das BImSchG diene ausschließlich oder doch so vorrangig dem Schutz des Menschen sowie der in § 1 BImSchG genannten sonstigen Schutzgüter , daß kein Raum für eine Konfliktlösung zwischen Immissionsschutz und auch anderen Belangen bleibe224 , vertritt Feldhaus die Auffassung, derartige Gemeinwohlinteressen könnten jedenfalls bei Sachschäden sowie Nachteilen und Belästigungen in die Abwägung eingestellt werden225 . Feldhaus beruft sich auf die Preußische Technische Anleitung vom 15. 5. 1895, die ausführt: "Es ist zu erwägen, ob jene Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen dasjenige Maß überschreiten, dessen Duldung dem Nachbarn als auch dem

222 Auch im Rahmen der allgemeinen Generalermächtigung sind die Belange des "Störers" nicht bei der Bestimmung der Gefahr (präzise: der Erheblichkeit des Schadens), sondern im Rahmen der Entscheidung über das Entschließungs- und Auswahlermessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d. h. bei der Bestimmung der Reichweite seiner Vermeidungspflicht, zu berücksichtigen; vgl. BVerwGE 59, 104, 109 f.; BVerwG, NVwZ 1983,227; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 390 f. m. w. N.; Götz, S. 127 f. 223 So zutreffend Kutscheidt, OÖV 1976,663,668. 224 OVG NRW, OVBI. 1976,790; Ule / Laubinger, BImSchG, § 6 Rn. 7; Baltes, BB 1978, 130, 133; von Holleben, GewA 1977, 45 ff.; vgl. Hansen-Dix, S. 132,207; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 34; Schröder, 134. 225 Feldhaus. OVBI. 1979,301,305.

90

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Publikum im Interesse der für die allgemeine Wohlfahrt unentbehrlichen Industrie angesonnen werden kann "226. Zwar kann - entgegen Hansen-Dix - dem Argument von Feldhaus nicht entgegengehalten werden, daß die Preußische Technische Anleitung nicht die Qualifizierung der Beeinträchtigung betreffe, sondern lediglich die im Rahmen des Opportunitätsprinzips stets zu beurteilende Grenze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes skizziere227 . Der Wortlaut der Anleitung setzt ausdrücklich am Maß der Beeinträchtigung d. h. bei der Risikobewertung, und nicht erst bei der Rechtsfolge, d. h. bei der Zulässigkeit der Abwehrmaßnahmen an. Gleichwohl erscheint die Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen bei der Bewertung der Erheblichkeit durchaus als problematisch. Allgemein ist zwar nachvollziehbar, daß Gemeinwohlbelange in die Entscheidung darüber einfließen, welche Immissionsbelastung der Nachbarschaft und Allgemeinheit im Interesse einer Industriegesellschaft üblich und damit als tolerabel anzusehen ist228 . Abhängig von der Gewichtung dieser Gemeinwohlbelange wird man eine höhere oder niedrigere Immissionsbelastung für zulässig erachten. Fraglich ist aber, ob und inwieweit man rechtlich handhabbar derartige Belange in die Erheblichkeitsbewertung einstellen kann. Zunächst ist davon auszugehen, daß diese - abstrakte - Güterabwägung von Gemeinwohlbelangen und Umweltschutz bereits der Erheblichkeitsbetrachtung nach dem Maßstab der "gebietsspezifischen Zumutbarkeit"229 implizit ist. Wie oben dargelegt worden ist, hat das BImSchG die Abwägung der kontradiktorischen Zwecksetzung des § 1 BImSchG durch das Prinzip der Funktionentrennung von konfligierenden Nutzungen konkretisiert. So sind etwa in Industriegebieten, die auch aus Sicht des Gemeinwohls (Arbeitsplätze, Energieversorgung) erforderlich sind, höhere Immissionsbelastungen zulässig, als in Wohngebieten. Im übrigen sind Gemeinwohlbelange nur insoweit beachtlich, als sie sich im Rahmen konkret zu beurteilender Anlagen manifestieren. Sie sind daher in systematischer, wenn auch nicht in inhaltlicher Hinsicht in gleicher Weise zu behandeln, wie die Belange des Anlagenbetreibers 230 . Geht man daher von einer Akzessorietät der Gemeinwohlbelange mit denen des Anlagenbetreibers aus, können sie im 1979,301,305. 227 Hansen-Du, S. 132. 228 Vgl. Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 26;

226 Feldhaus, DVBI.

Hansen-Du, S. 133 Fn. 280: die abstrakte Bewertung von Gemeinwohlbelangen kann jedenfalls mittelbar im Rahmen der gesellschaftlichen Vorstellungen über die Duldungspflicht des Betroffenen in die Verwaltungsentscheidung einfließen. 229 Vgl. dazu Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 42 ff. 230 So offensichtlich auch Feldhaus, DVBI. 1979,301,305; kritisch Hansen-Du, S. 133.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

91

Rahmen der Erheblichkeitsbewertung der Gesamtsituation nur nach Maßgabe des differenziert-objektiven Maßstabes berücksichtigt werden. Auch Gemeinwohlbelange werden daher weitgehend heteronom durch die bebauungsrechtliche Situation und die tatsächliche Prägung durch die tatsächliche und planerische Vorbelastung determiniert. Eine darüber hinausgehende - freie - Berücksichtigung der Gemeinwohlbelange im Rahmen des Erheblichkeitsbegriffes verbietet sich aber nicht nur aus systematischen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen. Zum einen ist die Bestimmung des Stellenwertes und die Gewichtung der Gemeinwohlbelange letztlich eine politische Entscheidung, die den Kompetenzbereich der Verwaltung und der Gerichte überschreiten dürfte231 . Darüber hinaus ist durchaus ungeklärt, inwieweit Umweltschutz und die genannten Gemeinwohlbelange in einem Kollisionsverhältnis stehen oder sogar parallel laufen232 . Schließlich würde durch die - freie - Berücksichtigung politisch-planerischer Aspekte auch der Bereich der Gefahrenabwehr verlassen233 .

dd) Sonderfall: Geräuschimmissionen ? aaa) Die "quellenbezogene Betrachtungsweise" der Erheblichkeit Die neuere Rechtsprechung des BVerwG bezieht in die Abwägung der Erheblichkeit von Geräuschimmissionen nicht nur die Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der immissionsbetroffenen Nutzung mit ein?34, sondern 81; Hansen-Dix, S. 149. 80. 233 Hansen-Dix, S. 133, 149, 206, die bei jeder Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen

231 Markou, S. 232 Markou, S.

davon ausgeht, daß es nicht um eine Verhinderung von Beeinträchtigungen der Industrie, sondern um eine Nichtförderung der Industriebelange geht, die allein dem Bereich leistender und planender Gestaltung, nicht aber dem Bereich der Gefahrenabwehr zuzurechnen ist. Die Prämisse ist indes nicht zwingend, denn es erscheint fraglich, ob Gefahrenurteile bereits durch bloße Berücksichtigung von konfligierenden Gemeinwohlbelangen zu einer Art Leistungsverwaltung werden. Im übrigen dürfte die Auffassung lediglich für den Fall der Genehmigungsversagung, nicht aber für den Fall der Eingriffsmaßnahmen durch nachträgliche Anordnung gegenüber bestehenden Betrieben und damit existenten Gemeinwohlpositionen, wie insbesondere Arbeitsplätzen, zutreffen. 234 So aber noch ausdrücklich zum Freizeitlärm einer Schießanlage BVerwG, NVwZ 1983, 155 : "Ob von einer ... Anlage erheblich belästigende Lärmimmissionen i. S. von § 3 Abs. 1 BImSchG ausgehen, bestimmt sich nicht nach der Schutzwürdigkeit oder Schutzbedürftigkeit der den Lärm verursachenden Anlage oder des hinter ihr stehenden Allgemeininteresses, sondern entsprechend der Zielrichtung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - nach der Empfindlichkeit der durch die Vorschriften geschützten Rechtsgüter ... Maßstab für die Erheblichkeit einer Lärrnimmission ist immer nur der Grad der Einwirkung auf das schutzwürdige Gebiet - mag diese Schutzwürdigkeit auch situationsbezogen und so gesehen "umgebungsabhängig" sein - nicht aber die Art der Lärrnquelle."

92

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

auch Aspekte der emittierenden Quelle, so daß letztlich auch die Belange des Anlagenbetreibers und die des Gemeinwohls in die Betrachtung einfließen ("quellenbezogene Betrachtungsweise ")235 . In Anknüpfung an seine Entscheidung zum liturgischen Glockengeläut ("Kirchenglocken-Entscheidung")236, stellt das Gericht in seiner Entscheidung zu den Geräuschen einer Feueralarmsirene fest, "daß die Erheblichkeit und damit die Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen von wertenden Elementen wie solchen der HerkömmIichkeit, der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz mitgeprägt wird. Die Beurteilung der Erheblichkeit von Lärm setzt eine Wertung voraus, die im Sinne einer Güterabwägung die konkreten Gegebenheiten zum einen der emittierenden Nutzung, zum anderen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zieht"237. bbb) Stellungnahme Leider erfolgt in den genannten Entscheidungen keine Auseinandersetzung mit dem "Schießplatz-Beschluß "238, der die Erheblichkeit von Geräuschimmissionen ausschließlich im Sinne des auch hier vertretenen gebietsspezifischen Zumutbarkeitsniveaus interpretiert. Andererseits läßt sich die neuere Rechtsprechung jedenfalls im Ansatz durch die Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung begründen, die für die Lästigkeitsbewertung eines Geräusches ausdrücklich auch auf die physische und psychische Situation des Akzeptors abstellt, die wiederum in entscheidender Weise auch von der Einstellung des Betroffenen zum Geräuscherzeuger (Akzeptanz, Adäquanz) abhängt239 . Allerdings ist die systemfremde "quellenbezogene " Erheblichkeitsbeurteilung bei Geräuschimmissionen nur insoweit rechtlich begründbar, als dies die wissenschaftlichen Erkenntnisse erfordern. Argumentativer Ansatzpunkt wäre insoweit, daß' die Schädlichkeitsbewertung 235 BVerwGE 68, 62 ("Kirchenglocken-Entscheidung"), 79, 258 ("FeueralarmsirenenEntscheidung "). 236 BVerwGE 68, 62; vgl. dazu von Campenhausen, DVBI. 1972, 316, 317; zur dogmatischen Konstruktion des Unterlassungsanspruchs aus § 22 BImSchG vgl. Seiler, S. 93, 95 ff.; Sachs, NVwZ 1988, 127. 237 BVerwGE 79, 254, 260 unter Hinweis auch auf die Entscheidungen zum Straßenverkehrslärm; BVerwGE 51, 15, 34; 77, 285, 289; vgl. zur Güterabwägung im Rahmen der Erheblichkeit Gaentzsch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 31, 37 f.; kritisch: Gerhardt, DVBI. 1989, 125, 128; zu den Grundlagen des Unterlassungsanspruchs in diesem Fall vgl. Laubinger, VerwArch 80 (1989), 261. 238 BVerwG, NVwZ 1983, 155; siehe dazu Gaentzsch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 31, 38; Engelhardt, NuR 1984, 87, 89. 239 Vgl. hierzu besonders BVerwGE 51, 15, 34, das die Ausführungen von Klosterkötter zitiert, die Toleranz der Bevölkerung se.i im Sinne einer Erträglichkeit gegenüber Verkehrsgeräuschen größer als gegenüber stationären und zumal gebietsfremden Geräuschquellen.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

93

einer Immission nach § 3 Abs. 1 BImSchG zunächst von der "Art" der Immission abhängt. Bei der prinzipiell wirkungsbezogenen Schädlichkeitsbewertung der Immissionsart Geräusche können daher auch quellenbezogene Aspekte einbezogen werden. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kann dies jedoch nicht bedeuten, daß bei Geräuschimmissionen die Güterabwägung zwischen den Belangen des Betroffenen und des Anlagenbetreibers und der hinter ihnen stehenden Interessen allein in der Erheblichkeitsprüfung vorgenommen wird. Dies wäre nicht nur systematisch bedenklich, weil damit die Abwägungsstrukturen der Regelungen der Risikoerkenntnis und Risikosteuerungsebene unzulässigerweise umgangen würden240 , sondern auch inhaltlich durch die Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung nicht gedeckt, nach denen die Einstellung des Betroffenen zur Quelle lediglich einen Faktor unter vielen anderen darstellt241 . Problematisch ist vor diesem Hintergrund denn auch die Bandbreite der Aspekte, die zugunsten der Belange des Anlagenbetreibers und der Allgemeinheit in die Erheblichkeitsbeurteilung einbezogen werden242 . Während im Rahmen der Kirchenglocken-Entscheidung die Sozialadäquanz243 und damit die Unerheblichkeit der Geräuschimmission aus der Herkömmlichkeit des täglichen Glockenläutens als jahrhundertealte kirchliche Lebensäußerung begründet wurde, die "auch in einer säkularisierten Gesellschaft bei Würdigung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen ist "244 , wurde im Rahmen der Feueralarmsirenen-Entscheidung die gesetzliche Wertung der Landesfeuerwehrgesetze, die den Gemeinden die Errichtung und den Betrieb von Feueralarmeinrichtungen als "öffentliche Aufgabe des vorbeugenden Brandschutzes " aufgeben245 , in die Erheblichkeitsbeurteilung miteinbezogen. Demgegenüber ist die Rechtsprechung zum Straßenverkehrslärm deutlich restriktiver. Vor dem Ausgangspunkt, daß die Erheblichkeit von Nachteilen und Belästigungen durch Verkehrs lärm danach bestimmt wird, was "dem 240 Ähnlich in der Kritik Gerhardt, NVwZ 1989, 125, 128. 241 Vgl. dazu die Nr. 1 der VDI-Richtlinie 2058. 242 Kritisch auch Koch in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 41, 47 ff. 243 Dieser Aspekt wird neuerdings durch die "Tegelsbarg-Entscheidung" (BVerwGE 81, 197, 208) stark relativiert: "Eine solche Freistellung (von der Rücksichtnahme auf eine in der Nachbarschaft befindliche Wohnnutzung) kann entgegen gelegentlich geäußerter anderer Auffassung auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß der Sport eine wichtige soziale und gesundheitliche Funktion hat und daß deshalb an der Ausübung des Sports, vor allem des Breitensports und des Jugendsports, ein öffentliches Interesse besteht. Auch am Umweltschutz, hier am Schutz der Wohnbevölkerung vor erheblichen Geräuschbelästigungen, besteht ein öffentliches Interesse." Vgl. dazu Schwerdtner, NVwZ 1989, 936, 937. 244 BVerwGE68, 62, 67. 245 BVerwGE 79, 254, 258.

94

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Betroffenen - auch unter Würdigung der besonderen Bedeutung eines leistungsfahigen Straßenverkehrsnetzes für die Allgemeinheit wie für den einzelnen - billigerweise nicht mehr zugemutet werden soll "246, wird die Erheblichkeit allein aus der bebauungsrechtlichen Situation der immissionsbetroffenen Grundstücke nach dem differenziert-objektiven Maßstab bestimmt. Dagegen werden anlagenbezogene Gemeinwohlaspekte wie die Belastung der öffentlichen Haushalte durch Schutzauflagen247 oder Grenzwertbestimmungen248 als Bewertungskriterium gerade abgelehnt. Gerade die Berücksichtigung von Anlage- und Gemeinwohlaspekten wie etwa die Belastungen des öffentlichen Haushaltes oder der öffentlichen Aufgabe des vorbeugenden Brandschutzes läßt sich wirkungsseitig nicht begründen, da sie für die psychische Situation des Betroffenen irrelevant sein dürften. Soweit derartige Belange nicht aus Wirkungs gründen gesondert oder jedenfalls im Rahmen der differenziert-objektiven Betrachtung bei der Erheblichkeitsprüfung berücksichtigt werden können, müssen sie im Rahmen einer anderen Bewertungsebene in die Abwägung eingestellt werden. Auch die wirkungsseitige Besonderheit von Geräuschimmissionen rechtfertigt insoweit keine umfassende Güterabwägung im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung.

m.

Das Beeinträchtigungsmerkmal der "Eignung"

Die Immissionen müssen "nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet" sein, Gefahren (= Schäden249 ),'erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft "herbeizuführen". 246 BVerwGE 51, 15,29; 71, 150, 154 f.; 77, 285. 247 BVerwGE 51, 15,34 f. führt im Zusammenhang mit der Regelung des § 17 Abs. 4 FStrG aus, daß diese Regelung "eine Berucksichtigung der Kosten der jeweils gebotenen Schutzanlagen unter dem Gesichtspunkt des den öffentlichen Haushalten Zumutbaren nicht (vorsehe); die Berucksichtigung solcher Gesichtspunkte dürfte sich nicht dadurch erreichen lassen, daß durch Verordnung die Grenzen des "Zumutbaren" höher geruckt werden, als sich dies aus der Auslegung des Gesetes ergibt, sondern nur dadurch, daß der Gesetzgeber selbst entsprechende zu einem wesentlichen Teil politische - Entscheidungen trifft". 248 BVerwGE 77, 285 betont derartige Strukturvorgaben im Zusammenhang mit §§ 41, 43 BImSchG: "Sollen auch die grundlegenden Prinzipien des Bundes-Immissionsschutzgesetzes etwa mit Rücksicht auf untragbare Belastungen der öffentlichen Haushalte - aufgegeben werden, so kommt eine Grenzwertbestimmung durch Rechtsverordnung auf der Grundlage des § 43 BImSchG nicht mehr in Betracht. Dann bedarf es einer neuen Entscheidung des Gesetzgebers". S. dazu Kühling, DVBI. 1989, 221, 225; Kersten, BayVBI. 1987, 641; Scheuing, JUS 1988, 860; Broß VerwArch 80 (1989), 395, 410 ff. Zur Entwicklung dieser Rechtsprechung und den Voruberlegungen zu einem Verkehrslärmschutzgesetz, welches sich von den Schutzzielen des BImSchG gerade abkoppeln wollte vgl. ausführlich Stich, UPR 1985, 265; UPR 1988, 281. 249 Vgl. zur systematischen Korrektur des Begriffes der "Gefahr" im Sinne des "Schadens" Teil 2. C. 11. 1. d).

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

95

1. Beschreibung eines Kausalverlaufes

Wie bereits oben erörtert, stellen die Begriffe Schäden, Nachteile und Belästigungen lediglich eine wertende Aussage über Beeinträchtigungszustände dar, treffen aber keine Aussage über die Art und Weise ihrer Verursachung250 . Eine derartige Aussage ist jedoch im Rahmen der Schädlichkeitsbewertung der Immissionen erforderlich; so ist festzustellen, ob und inwieweit die Immissionen zu den genannten negativen Effekten für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft führen können, insbesondere, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Effekte durch die Immissionen verursacht werden251 . Die insoweit zugrundeliegende Beschreibung eines Kausalverlaufes zwischen Immissionen und den negativen Effekten kann daher allein beim Tatbestandsmerkmal "geeignet, ... herbeizuführen" normativ verankert werden. 2. Bewertung des Kausalverlaufes

Zu untersuchen ist, welche Anforderungen an die prognostische Bewertung des Kausalverlaufes zu stellen sind. Diese sind abhängig von der dogmatischen Interpretation des Eignungsbegriffes, insbesondere in seinem Kontext zu den aufgezählten Beeinträchtigungszuständen. a) Meinungsstand aal Eignung als konkrete Gefahr

Eine vornehmlich von Jarass und Kutscheidt vertretene Ansicht252 geht davon aus, daß das Merkmal der "Gefahr" eine Aussage über die Eintrittswahrscheinlichkeit aller Beeinträchtigungsarten, also auch hinsichtlich der neben den Gefahren genannten erheblichen Nachteile und erheblichen Belästigungen trifft253 . 250 Siehe dazu oben Teil 2. C. 11. 1. d). 251 Vgl. insoweit zum Begriff der Gefahr als Kombination zwischen Beeinträchtigung (Schaden) und Geschehensablauf Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 220 ff., 223 ff.; HansenDix, S. 22 ff., 35 ff. 252 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 25; ders., DVBI. 1983, 725, 728; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 9; vgl. ferner: Sellner, Immissionschutzrecht, Rn. 24; Schröder, S. 134; Markou, S. 68 ff.,72; wohl auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 159. 253 Diese Auffassung geht im Ansatz gleichzeitig davon aus, daß sich die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, genannten Beeinträchtigungsarten schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige

96

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. I BlmSchG

Die Auffassung stützt sich zunächst auch auf eine systematische Korrektur der Begriffe "Gefahren, Nachteile und Belästigungen", die indes in eine andere Richtung als hier vertreten durchgeführt wird. So wird aus dem Begriff der Gefahr das Element des Geschehensablaufes (hinreichende Wahrscheinlichkeit) auch auf die anderen Beeinträchtigungsarten bezogen, um diese in qualitativer Hinsicht gleichzustellen254 . § 3 Abs. 1 BImSchG sei daher dahingehend zu verstehen "als ob dort von der Eignung gesprochen würde, die Gefahr eines Schadens, erheblicher Nachteile oder erheblicher Belästigungen herbeizuführen "255. Während Kutscheidt das Merkmal der Eignung in diesem Kontext nicht weiter beachtet, stellt Jarass ausdrücklich klar, daß der Begriff der Eignung und der Gefahr inhaltlich identisch sei256 . Jarass vertritt dabei noch weitergehend einen differenzierten Grad an Eintrittswahrscheinlichkeit abhängig von der Stärke der Beeinträchtigung; da die Nachteile und Belästigungen regelmäßig weniger belastend seien, müsse die erforderliche Wahrscheinlichkeit regelmäßig höher sein als bei Schäden257 . Hansen-Dix kommt zum gleichen Ergebnis258 , wenngleich mit einer anderen Begründung259 . Zunächst geht auch sie wie die hier vertretene Ansicht davon aus, daß der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 BImSchG den Begriff der "Gefahr" anstelle von "Schaden" verwendet habe. Den Begriff der "Eignung" definiert sie folglich zunächst eigenständig ohne Rückgriff auf die genannten Beeinträchtigungsarten. Die Ausfüllung des Eignungsbegriffs nimmt sie unter Bezugnahme auf die Interpretation entsprechender Normen des Lebensmittelrechts vor: Im Rahmen des Lebensmittelrechts werde die Schadenseignung eines Stoffes bejaht, "wenn er Eigenschaften aufweist, infolge deren seine typische Verwendung für das zu schützende Rechtsgut regelmäßig schädigende Auswirkungen hat. Zur Annahme der SchadensGefahren etc. im Hinblick auf den verwendeten Gefahrenbegriff nicht inhaltlich unterscheiden, und damit nur die Abwehr immissionsbedingter und nicht immissionsbedingter Schäden betreffen; Schröder, S. 114; Hansen-Dix, S. 85; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 43; Rid, S. 41 ff. j. m. w. N.; vgl. demgegenüber Damstädt, S. 184 f.; Murswiek, S. 293 ff; siehe zu dieser Problematik ausführlich Teil 3. B. I. 254 So etwa Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 9. 255 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 12. 256 Jarass, DVBI. 1983,725,728 : "Wie aber § 3 Abs. I BlmSchG deutlich macht, setzt die Stärqualität nur die Eignung und damit die Gefahr erheblicher Nachteile und Belästigungen voraus. 11

257 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 12; ders., DVBI. 1983,725,728; kritisch insoweit Schröder, S. 134 Fn. 394, der auf die praktischen Schwierigkeiten hinweist, die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit für Nachteile und Belästigungen durch einen Vergleich mit der für Schäden zu ermitteln. 258 Hansen-Dix, S. 86 ff., 209. 259 Hansen-Dix, S. 86 ff.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

97

eignung wird nicht gefordert, daß die Verwendung mit Sicherheit Schäden nach sich ziehen wird. Andererseits reicht die bloß theoretische Möglichkeit, es könnten Schäden entstehen, nicht aus "260. Die Schadenseignung beinhalte daher die für eine "potentielle Störquelle getroffene Feststellung," die Substanz rufe unter den durch ihre Verwendung vorgegebenen Rahmenbedingungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Schäden hervor", stelle "also eine Gefahr für das zu schützende Rechtsgut dar"26!. Im Ergebnis signalisiere der Begriff der Gefahr genau wie der der Schadenseignung die "Risikohöhe" , von der ab Abwehrmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr zulässig seien262 . bb) Eignung als abstrakte Gefahr

Reich sieht im Begriff der Eignung einen Fall der abstrakten Gefahr263 . Dabei nimmt er im Gegensatz zu den vorstehend genannten Autoren jedoch überhaupt keine Systemkorrektur vor, sondern scheint davon auszugehen, daß der Begriff der Gefahr für alle Beeinträchtigungsarten den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmt; insoweit hat der Eignungsbegriff nur die Funktion eines quasi vor die Klammer gezogenen Abstraktionsmerkmals. Entscheidend für die Schädlichkeit der Immissionen sei die in § 3 Abs. 1 BImSchG beschriebene "abstrakte" Störqualität, die den Nachweis eines eingetretenen oder bevorstehenden Schadens nicht voraussetze. Durch die Abstraktionswirkung werde der für den Gefahrenbereich normalerweise geforderte Kausalitätsnachweis gelockert. Da der Schädlichkeitsbewertung lediglich typische Geschehensabläufe, die im Schaden endeten, zugrunde lägen, abstrahiere der Begriff Eignung vom einzelnen Schadensobjekt und nehme eine Vielzahl der Schutzobjekte als Grundlage für eine typisierende Bewertung. Damit diene der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nicht nur zum Erlaß von Rechtsnormen, sondern weite den polizei rechtlichen Gefahrenbegriff auch im erheblichen Umfang aus 264 .

260 Hansen-Dix. S. 86 f. 261 Hansen-Dix, S. 87. 262 Hansen-Dix, S. 87. 263 Reich, S. 58 f. 264 Reich, S. 59. 7 Petersen

98

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

cc) Eignung als Aussage über die dispositionelle Gefährlichkeit

Damstädt sieht im Begriff der Eignung eine Aussage über die "dispositionelle Gefährlichkeit" einer Immission, die sowohl von der konkreten, als auch von der abstrakten Gefahr abzugrenzen sei265 . Die konkrete Gefahr kennzeichne die induktive Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines bestimmten Ereignisses; sie bezeichne das Ausmaß der Stützung von Tatsachenaussagen durch die Erfahrung von der Häufigkeit des Eintretens solcher Tatsachen. 266

Im Gegensatz zur konkreten Gefahr, die die Beurteilung eines einzelnen Ereignisses reflektiere, beziehe sich die abstrakte Gefahr auf typische Geschehensabläufe, die in einen Schaden münden. Statt an der induktiven Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses orientiert sich die abstrakte Gefahr an der "relativen Häufigkeit" von Schadensereignissen im Verhältnis zu den realisierten Bedingungen. 267 Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts seien bei konkreter und abstrakter Gefahr identisch268 . Demgegenüber unterscheide sich die Aussage über die dispositionelle Gefährlichkeit vom konkret oder abstrakten Gefahrenurteil dadurch, daß im Rahmen der Prognose lediglich zu untersuchen sei, ob eine Immission unter "geeigneten" Bedingungen einen Schaden herbeiführen kann269 . Dafür seien im Sinne eines "pessimistischen Vorbehaltes" nur die "schlimmstenfalls" eintretenden Bedingungen zu berücksichtigen270 . Hierfür kämen jedoch nur "mögliche" Bedingungen in Betracht, nämlich solche, die "nicht als naturgesetzlich ausgeschlossen" erscheinen271 . Darüber hinaus soll dem Eintritt der geeigneten Bedingung selbst kein weiterer Wahrscheinlichkeitswert beigemessen werden. Im Rahmen der Schädlichkeitsbeurteilung sei daher lediglich zu fragen, "welche Gefahren

265 Darnstädt, 266 Darnstädt, 267 Darnstädt, 268 Darnstädt,

S. S. S. S.

156 ff. 53. 103. 112.

269 Nach Auffassung von Darnstädt (S. 116) unterscheidet sich die dispositionelle Gefährlichkeit von der abstrakten Gefahr daliiber hinaus durch ihren Einzelfallbezug (Eignung eines Individuums statt einer Klasse zu der das Individuum gehört) und die immanente Möglichkeit zum "Gegenbeweis der konkreten Ungefährlichkeit". 270 Darnstädt, S. 151. 271 Darnstädt. S. 154 f.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

99

oder Störungen die Immission unter möglichen Randbedingungen hervorrufen kann" bzw. "welche Schäden sind mögliche Folgen der Immissionen"272. b) Stellungnahme (1) Die von einigen Autoren vorgenommene Systemkorrektur im Wege der analogen Anwendung des Gefahrenbegriffs führt zunächst zu dem unbefriedigenden Ergebnis, daß für den der Schädlichkeitsbewertung zugrundeliegenden Kausalverlauf zwischen Immissionen und negativen Effekten für Allgemeinheit oder Nachbarschaft zwei verschiedenen Tatbestandselemente zur Verfügung stehen, nämlich das Element "geeignet, ... herbeizuführen" und das Element der "Gefahr". Damit aber wäre das Element der Eignungsbeziehung eigentlich überflüssig.

Die interpretatorische Verdrängung erscheint darüber hinaus insoweit als problematisch, als etwa von Jarass zur Begründung der Systemkorrektur das Merkmal "Eignung" im Hinblick auf Nachteile und Belästigungen mit dem Begriff der "Gefahr" gleichgesetzt wird273 . Da aber der Begriff "Eignung" auch für das Merkmal der Gefahr selbst gilt, wäre durch seine Interpretation insoweit von dem Erfordernis der "Gefahr einer Gefahr" auszugehen274 . Nicht nur nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 BImSchG, sondern auch nach seiner amtlichen Begründung ist indessen davon auszugehen, daß der Begriff der Eignung nicht mit dem Begriff der konkreten Gefahr gleichzusetzen ist. So differenziert bereits die amtliche Begründung zwischen "Störeigenschaft" (geeignet) und "Störwirkungen" (Gefahren, erhebliche Nachteile, erhebliche Belästigungen). Dabei wird insbesondere hervorgehoben, daß es für die Störeigenschaft nur auf "potentielle" Störwirkungen ankommen soll. In diesem Sinne sei es nicht erforderlich, daß die genannten Störwirkungen "tatsächlich eingetreten sind oder bevorstehen". Es genügt, wenn die Immissionen nach Art, Ausmaß und Dauer die Eignung besitzen, derartige Störwirkungen herbeizuführen275 .

272 Darnstädt, S. 159. 273 Jarass, DVBI. 1983,725,728. 274 Vgl. in diesem Sinne auch Darnstädt, S. 158 "Gefahren, welche geeignet sind, Gefahren

herbeizuführen". Auffällig ist ebenfalls, daß Jarass bei dieser Analogie den Begriff der Gefahr mit der erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit gleichsetzt. Er verkennt insoweit, daß es sich bei dem Begriff der Gefahr um einen kombinierten Tatbestand handelt, der aus dem Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß gebildet wird. 275 Vgl. auch Feldhaus, BImSchG, § 3 Anm. 6; Stich / Porger, BImSchG, § 3 Anm. 15; zustimmend Murswiek, S. 294, der von einer "abstrakten Eignung zur Verursachung dieser Beeinträchtigungen" ausgeht.

100

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Es ist daher davon auszugehen, daß der Begriff der Eignung eigenständig und ohne Rückgriff auf die Beeinträchtigungsarten zu interpretieren ist. (2) In diesem Sinne ließe sich der Begriff der Eignung mit Hansen-Dix durchaus in Anlehnung an entsprechende Begriffe vergleichbarer Rechtsmaterien definieren. Begründungsbedürftig bleibt jedoch der von ihr vorgenommene Sprung von der Schadenseignung einer potentiellen Schadensquelle auf das Niveau einer konkreten Gefahr. Daß von beiden Begriffen eine Risikohöhe bestimmt wird, von der ab Abwehrmaßnahmen unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr zulässig sind276 , erscheint ja gerade fraglich, wenn man berücksichtigt, daß der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nicht nur im Kontext mit der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2, sondern auch im Rahmen von Rechtsverordnungsermächtigungen277 genannt wird.

Unklar bleibt auch, was Hansen-Dix unter einer potentiellen Störquelle versteht; bezieht sich das Wort "potentiell" auf die Unsicherheit darüber, ob die Störquelle (d. h. die Immission) überhaupt aktiviert wird oder unter welchen Bedingungen sie Wirkung entfalten kann oder darauf, daß dem insoweit geforderten Gefahrenurteil stets bestimmte einschränkende Rahmenbedingungen zugrundeliegen? Die letzgenannte Interpretationsmöglichkeit würde gerade gegen die Annahme einer Gefahr sprechen, weil im Rahmen einer konkreten Gefahrenaussage Vorbehalte im Sinne von Rahmenbedingungen nicht zulässig sind, da die Situation in ihrer Gesamtheit und damit vollständig zu bewerten ist278 . So legt der Begriff "potentiell" eher nahe, daß durch eine Aussage zur Schadenseignung eine Aussage über eine konkrete Gefahr gerade nicht getroffen werden so1l279. Auch aus Wortlaut und amtlicher Begründung folgt, daß die Schädlichkeitseignung nicht anband der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles dargelegt werden muß, sondern es ausreichen soll, wenn die zu beurteilende Immission bereits ihrer "Art", also ihrer Gattungsklasse nach diese Eignung besitzt. Diese abstrakte Eignungsbetrachtung wird durch die ebenfalls genannten Bewertungskriterien "Ausmaß" und "Dauer" nicht durchbrochen. 276 Hansen-Dix, S. 87. 277 Vg!. nur §§ 4, 7, 23 BImSchG.

278 Zweifelhaft ist insoweit, ob der Hinweis von Hansen-Dix auf das Lebensminelrecht ihre Interpretation von Eignungstabeständen im Sinne einer konkreten Gefahr überhaupt bestätigt, da hier nicht auf die konkrete, sondern lediglich auf die "typische" Verwendung von Stoffen abgestellt wird (vg!. Hansen-Dix, S. 86 f.). 279 So insbesondere Reich, S. 58 und Darnstädt, S. 157 unter Hinweis auf die Amt!. Begr.; ähnlich auch Feldhaus, BImSchG, § 3 Anrn. 6.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

101

Sie sind zwar aus dem konkreten Sachverhalt zu entnehmen, dienen jedoch nur der abstrakten Wirkungsabschätzung, indem sie die Randbedingungen der Eignungsbetrachtung festlegen. Diese Betrachtung steht in Kontinuität zur historischen Rechtslage des § 25 Abs. 3 GewO: Bereits hier wurde überwiegend vertreten, daß für den Erlaß einer nachträglichen Anordnung bereits die aus Erfahrungsgrundsätzen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen gewonnene Kenntnis über die Eignung einer Emission, erhebliche Beeinträchtigungen herbeizuführen, ausreiche, so daß das Vorliegen unmittelbarer Gefahren bzw. bereits eingetretener Störungen nicht nachzuweisen war280 . Schließlich wird die hier vertretene Interpretation systematisch auch durch § 4 BImSchG gestützt, der ebenfalls das Merkmal der "Eignung" verwendet. N ach dieser Vorschrift bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen einer Genehmigung, wenn diese aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebes "in besonderem Maße geeignet sind" , schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige Gefahren etc. hervorzurufen. Auch hier geht die amtliche Begründung davon aus, daß die Anlagen zur Begründung der Genehmigungsbedürftigkeit nicht "tatsächlich" diese negativen Effekte hervorrufen müssen; es soll vielmehr genügen, daß bei diesen Anlagen aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebes "typischerweise mit solchen Störungen gerechnet werden muß". Die Genehmigungspflicht knüpft mithin nur an ein (besonderes) Beeinträchtigungspotential281 bzw. Umweltgefährdungspotential282 einer Anlage an. Gleiches muß auch für die Schädlichkeitseignung der Immissionen gelten, auch hier ist ein Schädigungspotential ausreichend. (3) Mit Reich ist daher davon auszugehen, daß der im Rahmen der Schädlichkeitsbewertung einer Immission verwandte Begriff der Eignung wohl eine gewissennaßen "abstrakte" Störqualität der Immission ausdrücken soll. Die im Rahmen einer konkreten Gefahr geforderte Risikobewertung auf der Grundlage der konkreten Umstände des Einzelfalles wie etwa die Schutzgutbewertung, Schadensbewertung, Kausalitätsbeurteilung und Abschätzung der Wahrscheinlichkeit des prognostizierten Kausalverlaufes wird auf eine abstrakte Ebene gehoben. Das Merkmal der Eignung läßt damit den konkreten Bezug zwischen einzelner Immission und dem einzelnen 280 Giesler, S. 142 Fn. 3 m. w. N. 281 Jarass, BImSchG, § 4 Rn. 4. 282 Feldhaus, BImSchG, § 4 Anm. 8, der insoweit auch von einer "möglichen Gefährdung" spricht.

102

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

Schadensobjekt außer Betracht und legt der Schädlichkeitsbewertung eine Vielzahl der Schutzobjekte unter Berücksichtigung typischer Kausalverläufe bezogen auf die Art der betreffenden Immission zugrunde2 83 . Der Begriff der abstrakten Störqualität und seine inhaltliche Ausgestaltung legen insoweit eine Assoziation mit dem Terminus der "abstrakten Gefahr" durchaus nahe. Im Gegensatz zur konkreten Gefahr, die im Einzelfall bestehen muß, geht die abstrakte Gefahr jedoch von einem allgemeinen, abstrakt beschriebenen Sachverhalt aus; der abstrakten Gefahr liegen insoweit Arten von Handlungen oder Zuständen zugrunde, die typischerweise mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen können. So wird die abstrakte Gefahr nur beim Erlaß abstrakt genereller Regelungen als ausreichend erachtet; für den Erlaß konkret individueller Maßnahmen ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderlich284 . Insoweit bestehen zwischen abstrakter Gefahr und abstrakter Störqualität zwei entscheidende Unterschiede : Zum einen setzt die Legaldefinition des Begriffes schädliche Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1 BImSchG das Merkmal der Eignung nicht nur in Bezug zu abstrakt generellen Regelungen, wie etwa in den Rechtsverordnungsermächtigungen der §§ 4, 7, 23 BImSchG, sondern über die Grundpflichten des § 5 BImSchG auch in Bezug zu konkret individuellen Maßnahmen, wie etwa der Genehmigungserteilung nach § 6 BImSchG oder dem Erlaß einer nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG. Zum andern soll die Schädlichkeitsbewertung jedenfalls als Tatbestandsvoraussetzung konkret individueller Maßnahmen nicht über eine Immissionsart, sondern über die konkret zu beurteilende Immission anhand der generalisierenden Beurteilung ihrer Art getroffen werden. (4) Es liegt insofern nahe, den Begriff der Eignung mit Damstädt als sowohl von der konkreten als auch von der abstrakten Gefahr abzugrenzendes "Dispositionsprädikat" zu qualifizieren.

Die skizzierte inhaltliche Strukturierung des Dispositionsprädikates, nach der eine Eingrenzung der geeigneten, möglichen Bedingungen über Wahrscheinlichkeitsbewertungen nicht erfolgen so1l285, stößt indes auf Bedenken. Zweifel an diesem Ansatz bestehen schon deshalb, weil auch die Unterscheidung zwischen "möglich" und "unmöglich" vor dem Hintergrund des begrenzten menschlichen Erkenntnisvermögens stets nur annäherungsweise 283 So zutreffend Reich, S. 58 f.

284 Götz, S. 66; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 495 ff. j. m. w. N.

285 So Damstädt, S. 152.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

103

und damit im Wege einer wertenden Wahrscheinlichkeitsaussage vorgenommen werden kann. So spricht Damstädt denn auch vom "Maßstab des praktisch Möglichen" und nimmt ausdrücklich Bezug auf die von Breuer vertretene "Grenze der praktischen Vorstellbarkeit"286. Weiter gesteht er ein, daß der bloße Vorbehalt des Möglichen dazu führen könne, die Gefährlichkeit nahezu jeder Situation zu begründen; um dieses unbefriedigende Resultat zu vermeiden, ersetzt er das Qualifikationsmerkmal "möglich" in einem speziellen Fall durch "häufig" und unterscheidet so die "Stärke" der Disposition (gefährlich und sehr gefährlich). Damit erkennt Darnstädt inzident an, daß sich Dispositionsprädikate sehr wohl durch Häufigkeitsaussagen und damit durch Wahrscheinlichkeitsurteile über den Eintritt von geeigneten Bedingungen unterscheiden. Der Grad der dispositionellen Gefährlichkeit, d. h. die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit, die eine Norm für die geeigneten Randbedingungen und damit für die befürchteten Beeinträchtigungen voraussetzt, ist denn auch nach Auffassung von Damstädt eine Frage der Auslegung 287 . Im Ergebnis dürfte zwischen Gefahrenurteil und Dispositionsprädikat kein scharfer Gegensatz bestehen: So hält Damstädt es bei der Dispositionsausage der Schädlichkeit einer Immission für zulässig, im Einzelfall die Dispositionsaussage durch die Festsetzung der Gefährlichkeit in einer nach Merkmalen bestimmten Klasse von Fällen zu ersetzen, also aus einer Aussage über die abstrakte Gefahr herzuleiten288 . Nach Damstädt dürften die prinzipiellen Unterschiede zwischen abstrakter Gefahr und Dispositionsprädikat allein darin bestehen, daß im Rahmen des Dispositionsprädikates keine Aussage über eine Immissionsart, sondern über eine konkrete Immission im konkreten Einzelfall getroffen wird, und der Gegenbeweis der konkreten Ungefährlichkeit ermöglicht werden so1l289. Es erscheint aber zweifelhaft, ob das letztgenannte Differenzierungsmerkmal für den Begriff der Eignung im Rahmen der Schädlichkeitsbewertung zutrifft: Zunächst ist zu beachten, daß Damstädt im Falle der schädlichen Umwelteinwirkungen die Dispositionsaussage durch eine Aussage 286 Darnstädt, S. 155 unter Hinweis auf Breuer, DVBI. 1978,829,837. 287 Darnstädt, S. 217 zu § 45 Abs. 1 StVO; den - allerdings nicht relevanten Unterschied zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG, (und folglich auch zum Dispositionsprädikat "Eignung" im Rahmen des § 3 Abs. 1 BlmSchG, welches in gleicher Weise konstruiert sei) sieht Damstädt darin begründet, daß das umweltschutzrechtliche Vorsorgeprinzip unterschiedslos jeden Grad von Gerahrlichkeit erfassen soll (Fn. 770); wenn man jedoch akzeptiert, daß es im Rahmen eines Dispositionsprädikates Steigerungen einer Gefahrenaussage geben kann oder - je nach zugrundeliegender Norm - sogar muß, dann ist es erst recht möglich aber auch erforderlich, die allgemeine Gefahrlichkeit von der "Nicht-Gefahrlichkeit" abzugrenzen. 288 Darnstädt, S. 162 f.

289 So Darnstädt, S. 116.

104

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

über die abstrakte Gefahr herleitet (s.o.) und insoweit den Gegenbeweis konkreter Ungefährlichkeit in diesem Fall konsequenterweise nicht zulassen dürfte 290 . Im übrigen aber kommt es - wie bereits oben dargelegt - für die Eignung nur auf die potentiellen Störwirkungen der Immissionen an; ob durch Immissionen tatsächlich, d. h. im konkreten Einzelfall die genannten Beeinträchtigungen eintreten können, soll gerade unerheblich sein. Ist aber eine konkrete Beurteilung der Wirkung einer Immission prinzipiell irrelevant, so muß auch die Zulässigkeit des Gegenbeweises der konkreten Ungefährlichkeit ausgeschlossen sein. Gegen die insoweit naheliegende Annahme einer abstrakten Gefahr spricht entgegen Darnstädt auch nicht, daß die Schädlichkeitseignung gerade auf eine konkrete Immission im konkreten Einzelfall bezogen sein muß291. Zwar bezieht sich die Aussage einer abstrakten Gefahr nur auf typische, gedachte Sachverhalte; soweit aber eine abstrakte Gefahr für bestimmte Tatbestände etwa im Rahmen einer Rechtsverordnung festgestellt ist, wird für konkrete Sachverhalte, die unter diesen Tatbestand fallen, eine konkrete Gefahr unwiderleglich vermutet292 . Die Beziehung zum konkreten Einzelfall besteht daher auch für eine abstrakte Gefahr, allerdings nur, soweit sie im Rahmen einer rechtlich verbindlichen Regelung - etwa einer Verordnung - für abstrakte Sachverhalte normativ festgestellt worden ist. Der zweite entscheidende Unterschied zwischen abstrakter Gefahr und Dispositionsprädikat besteht daher in der Konstruktion, daß die Anwendung einer abstrakten Gefahrenaussage für den konkreten Einzelfall, deren Gültigkeit unwiderleglich vermutet wird und daher auch nicht durch den Gegenbeweis der konkreten Ungefährlichkeit entkräftet werden kann, nicht einer vorherigen rechtlich verbindlichen Umsetzung durch eine Rechtsnorm bedarf293 . Im Ergebnis ist die Besonderheit des Dispositionsprädikates Eignung im Rahmen des Begriffes schädliche Umwelteinwirkungen daher in der Konstruktion begründet, daß die Schädlichkeitsaussage über eine konkrete Immission - im Gegensatz zu den Anforderungen an eine konkrete Gefahr 290 Vgl. zur Unzulässigkeit des Gegenbeweises der konkreten Ungefahrlichkeit bei abstrakter Gefahrenaussage Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 412 f .• 495 f.; Götz, S. 242; BVerwG, MDR 1975, 165; VGH B-W, GewA 1976, 52. 291 Zu beachten ist, daß eine abstrakte Betrachtung nur im Rahmen der immissionsbezogenen Schädlichkeitsbeurteilung Platz greift. Wie noch zu zeigen sein wird, ist die im Rahmen der Vermeidungsptlicht zu plÜfende anlagenbezogene Risikozurechnung und Risikosteuerung ausschließlich für den konkreten Einzelfall vorzunehmen. Die Besonderheit der abstrakten Beurteilung im konkreten Einzelfall besteht daher nur in einem Teilbereich der Gefahrenbeurteilung. 292 Vgl. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 412 f., 495 ff. m. w. N. 293 In diesem Sinne auch Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205, 213.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

105

anband typischer Geschehensabläufe bezogen auf die Immissionsart, aber - im Gegensatz zur abstrakten Gefahr - ohne Umsetzung über eine normativ verbindliche abstrakt generelle Regelung unmittelbar im konkreten Verwaltungsverfahren getroffen werden kann.

3. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab des Begriffes der Eignung Fraglich ist, welcher Wahrscheinlichkeitsrnaßstab dem Begriff der Eignung im Hinblick auf die Prognose der typisierten Geschehensabläufe zwischen der Immission und den aufgeführten Beeinträchtigungen Schäden, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen zugrunde liegt. a) Der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit Wie bereits oben erörtert, kann aus dem Begriff "Gefahr" nicht auf den dem Eignungsbegriff zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsrnaßstab geschlossen werden, da dieser Begriff bei systematisch korrekter Interpretation lediglich im Sinne von "Schaden" auszulegen ist und somit keine unmittelbare Vorgabe für die Bewertung des Kausalverlaufes enthält. Gleichwohl ist davon auszugehen, daß sich - wie bei dem Begriff der Gefahr - auch beim Begriff der Eignung der erforderliche Wahrscheinlichkeitsrnaßstab nicht rein naturwissenschaftlich darlegen läßt, sondern wertungsbezogen zu ermitteln ist. Entsprechend dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann daher auf der Risikoerkenntnisebene die erforderliche Wahrscheinlichkeit nur in Abhängigkeit vom Rang und der Betroffenheit des Schutzgutes bestimmt werden294 . Es gilt insoweit der aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht bekannte relationelle Gefahrenbegriff entsprechend: Je bedeutender die betroffenen Rechtsgüter sind und je mehr Rechtsgüter betroffen sind, desto geringere Anforderungen sind an den Grad der erforderlichen Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigungen zu stellen295 .

294 Vgl. dazu insbes. BVerwG, OÖV 1974, 209; NIW 1975, 132; dies gilt im übrigen auch für die abstrakte Gefahr BVerwG, OÖV 1970, 713, 715; VGH B-W, ESVGH 11, 115; OVG Lüneburg, NJW 1977, 917; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 496. 295 So im Ergebnis wohl unstreitig, vgl. nur Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 223 f. m. w. N.; FriauJ, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 202; Göt;., S. 57; Wolf! / Bachof, VerwR. Iß, § 125; Erichsen, VVOStrL 35, 186; Hansen-Dix, S. 209, 86 ff.; BVerfGE 49, 89, 138; BVerwGE 45, 51, 61; 47, 31, 40; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 22; ders., OVBI. 1983, 728; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 9; Manens, OVBI. 1981, 597; Breuer, OVBI. 1978,829,833; wohl adch Damstädt, S. 162 f., der die Oispositionsaussage "schädlich" (ausnahmsweise) aus dem Vorliegen einer abstrakten Gefahr herleitet.

106

Teil 2. Schädliche UmweIteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

b) Berücksichtigung der Schutzgüter In Anlehnung an die Erkenntnisse zum Risikoerkenntnistatbestand der Gefahr im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht296 bestimmt sich das Maß der erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit der Schädlichkeitseignung nach qualitativen Aspekten, wie der Wertigkeit des betroffenen Schutzgutes und der Intensität der Beeinträchtigung sowie nach quantitativen Aspekten, also der Anzahl der betroffenen Rechtsgüter . Die Bedeutung des qualitativen und quantitativen Schadensaspekts führt etwa zu unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsanforderungen, je nachdem, ob Leben oder Gesundheit von Menschen oder lediglich Sachgüter betroffen sind, oder in welchem Umfang Schäden befürchtet werden297 . Das BImSchG strukturiert mit seinen Begriffen Gefahr (Schaden), Nachteil und Belästigungen bereits eine Rangfolge der betroffenen Schutzgüter im Hinblick auf deren Wertigkeit (Schaden-Nachteil) und Intensität der Beeinträchtigung (Schaden-Belästigung) vor. Jarass folgert aus dieser Rangfolge, daß Nachteile und Belästigungen generell eine hohe Wahrscheinlichkeit voraussetzen, weil sie regelmäßig weniger belastend seien als Schäden298 . Diese Auffassung ist bereits deshalb problematisch, weil sie den quantitativen Faktor des Schadens aspekts nicht berücksichtigt. Im übrigen wird durch eine Überhöhung der Wahrscheinlichkeitsanforderungen die gesetzlich intendierte Vorverlagerung der Beeinträchtigungsschwelle in den Bereich des Nachteils und der Belästigung jedenfalls partiell konterkariert. Dies gilt umso mehr, als Beeinträchtigungen unterhalb der Schadensqualität nur dann als rechtlich relevant angesehen werden, wenn sie "erheblich" sind und damit, wenn auch über eine andere Betrachtungsperspektive, hinsichtlich ihrer Beeinträchtigungsintensität dem Schaden gleichkommen. Eine Abstufung der generellen Eintrittswahrscheinlichkeit bezogen auf die unterschiedlichen Beeinträchtigungsarten ist daher nicht möglich. Die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab sind somit innerhalb der einzelnen Beeinträchtigungskategorien aus sich heraus zu interpretieren; Abstufungen sind entsprechend den Vorgaben des relationellen Wahrscheinlichkeitsbegriffes nur 296 Vgl. nur Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 223 f.; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 202; Götz, S. 57; Wolff / Bachoj, VerwR. III, § 125; Erichsen, VVDStrL 35, 171, 186. 297 Vgl. dazu im einzelnen Hansen-Dix, S. 135, 39; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 223 f.; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 202; Götz, S. 57; Wolff / Bachoj, VerwR. III, § 125; Erichsen, VVDStrL 35, 171, 186; Darnstädt, S. 35 ff.; Rehbinder, BB 1976, 1 f.; BVeifGE 49, 89, 138; BVerwGE 45, 51, 61; 47, 31, 40. 298 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 12; ähnlich auch Schwerdtjeger, WiVerw 1984, 217.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

107

innerhalb der Kategorien nach WertsteIlung und Anzahl der Rechtsgüter und Interessen vorzunehmen299 . c) Keine Berücksichtigung der Eingriffsgüter Es ist umstritten, ob neben den Belangen des Schutzgutes auch die Belange des Eingriffsgutes bei der Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes im Rahmen des Eignungsbegriffes zu berücksichtigen sind300 . Hierbei wird zwischen den Belangen des Anlagenbetreibers und den Belangen der Allgemeinheit differenziert:

aa) Belange des Anlagenbetreibers Als Belange des Anlagenbetreibers werden durch die Genehmigungspflicht, die Grundpflichten und die daraus resultierenden Sicherheitsanforderungen die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG berührt301 . aaa) Meinungsstand Hansen-Dix ist der Ansicht, daß die Belange des Anlagenbetreibers bei der Bestimmung des erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrades der Gefahr nach dem Grundsatz der "doppelt gegenläufigen Relativität" zu belücksichtigen sind: Je höherwertig das Rechtsgut ist, in das zur Schadensverhinderung eingegriffen werden muß, desto höhere Anforderungen sind an den Sicherheitsgrad der Prognose zu stellen. Insoweit wäre das Maß der Beeinträchtigung des Anlagenbetreibers als ein Bewertungsfaktor der Frage anzusehen, von welcher Wahrscheinlichkeit an ein bestimmtes Risiko als Gefahr zu qualifizieren wäre. Sie räumt dabei - allerdings ohne nähere Begründung - ein, daß diese Differenzierung nur bei der Beurteilung äußerst geringer Schadenswahrscheinlichkeiten Bedeutung haben kann302 . 299 So im Ergebnis auch Schröder, S. 120 Fn. 394; Hansen-Dix, S. 209 f. 300 Vgl. dazu das Parallelproblem der Berücksichtigung von Belangen des Anlagenbetreibers bei der Erheblichkeitsbestimmung Teil 2. C. 11.2. b) bb). 301 Vgl. Hansen-Dix, S. 141; Marburger, WiVerw 1981, 241, 246; Manens, DVBI. 1981, 597; Schröder, S. 121; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 168, 189; Wagner, NJW 1980, 665, 666; Feldhaus, DVBI. 1979, 301; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 8; Breuer, Der Staat 20 (1981), 393, 411; Kloepfer, Umweltrecht, Rn. 33 ff.; Dolde, NVwZ 1986, 873, 884 Fn. 15; ferner: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 12 Rn. 58; BVerfGE 30, 292,313. 302 Hansen-Dix, S. 144 f., 42.

108

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG

Soweit ersichtlich, wird dieser Ansatz bisher sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Literatur nahezu einvernehmlich abgelehnt 303 . Als Begründung wird eingewandt, daß die Berücksichtigung des Aufwandes im Verhältnis zum Nutzen für die Konkretisierung der Gefahrenabwehr zu einer Relativierung der kategorisch gebotenen Gefahrenabwehr führe 304 und dem Grundsatz widerspreche, daß die nach dem maßgeblichen Erkenntnisstand gebotene Gefahrenabwehr unabhängig von der technischen Realisierbarkeit zu fordern sei305 . Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß die Gefahrenabwehr Ausdruck einer objektiv-rechtlichen Verpflichtung des Staates zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter sei, die im Kollisionsfalle mit den Rechtspositionen des Anlagenbetreibers aus Art. 12, 14 GG stets vorgingen. Unter diesem Blickwinkel werde die Forderung nach einer uneingeschränkten Gefahrenabwehr dem Gebot zur Herstellung der praktischen Konkordanz stets gerecht306 . bbb) Stellungnahme Die Auffassung von Hansen-Dix ist aus inhaltlich-systematischen Gründen abzulehnen. Ausgangspunkt ihrer Auffassung ist die Interpretation des Gefahrenurteils als Abwägungsentscheidung über die im Gefahrenfalle miteinander konfligierenden Rechtsgüter. Diese Abwägung beruhe auf der Erkenntnis, daß durch den Begriff der Gefahr nicht nur Freiheitsbereiche des Individuums gegenüber dem Staat, sondern auch individuelle Freiheitsbereiche gegeneinander abgegrenzt werden; sie sei daher letzlich Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes307 . Im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, wo die entsprechende Kontroverse mehr Aufmerksamkeit gefunden hat als im BImSchG308, ist die 303 OVG NRW, BB 1972,65; Benda, in: Technische Risiken und Recht, S. 5, 6; Feldhaus, BImSchG, § 6 Anm. 3; Stich / Porger, BImSchG, § 6 Anm. 7; Ule / Laubinger, BImSchG, § 6 Rn. 6; Papier, DVBI. 1979, 162, 163; Breuer, DVBI. 1978, 829, 837 m. w. N.; vgl. weitere Nachweise bei Hansen-Dix, S. 144 Fn. 337, 338. 304 Vgl. OVG NRW, BB 1972, 65; Feldhaus, BImSchG, § 6 Anm. 2, 3; Stich / Porger, BImSchG, § 6 Anm. 7; Ule / Laubinger, BImSchG, § 6 Rn. 6. 305 Vgl. BVerfGE 49, 89; 53, 30; Feldhaus, BImSchG, § 6 Anm. 2; Stich / Porger, BImSchG, § 6 Anm. 7; Ule / Laubinger, BImSchG, § 6 Rn. 6. 306 Schröder, S. 122; ähnlich Nolte, S. 61 f. 307 Hansen-Dix, S. 43 f.

308 Vgl. für eine Berucksichtigung des Eingriffsgutes Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 224; Dröge, S. 20; Scholz, VerwArch 27 (1919), 1, 27; Hansen-Dix, S. 39; Ossenbühl, DÖV 1976, 463, 466; ebenso OVG Saarlouis, DÖV 1973, 873, 874; dagegen: Murswiek, S. 85; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 202; Erichsen, VVDStRL 35 (1977), 186 Fn. 2;

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

109

wohl herrschende Auffassung diesem Ansatz mit der zutreffenden Begründung entgegengetreten, daß bei der Gefahrenbeurteilung weder der Adressat der Maßnahme noch das Ausmaß seiner Betroffenheit durch die Maßnahme feststeht, so daß an dieser Stelle keinerlei Abwägung mit den Schutzgütern vorgenommen werden kann. Eine präzise Berücksichtigung seiner Belange sei erst im Rahmen des Rechtsfolgeermessens möglich, wo - gerade im Hinblick auf den Umfang und die Reichweite des konkreten Eingriffs - die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Abwehrmaßnahme erfolge309 . Soll es keine Doppelberücksichtigung des Eingriffsgutes geben, muß die Güterabwägung auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist daher im Rahmen des Gefahrenurteils (Risikoerkenntnistatbestand) allein eine wertende Berücksichtigung des Eingriffsgutes möglich, während die Reichweite der konkreten Vermeidungspflicht maßgeblich durch das betroffene Eingriffsgut bestimmt wird 31O • Diese Erwägungen gelten prinzipiell auch für den Risikoerkenntnistatbestand der "schädlichen Umwelteinwirkungen" im Rahmen des BlmSchG. Unterstrichen wird das hier vertretene Prinzip der abgeschichteten Güterabwägung durch die normativ vorgegebene immissionsbezogene Schädlichkeitsbewertung. Der Immissionsbegriff erfordert eine quellenunabhängige Berücksichtigung der Gesamtbelastung am Einwirkungsort. Da es im Rahmen der Bewertung der Gesamtbelastung auf deren Verursachung gerade nicht ankommt, kann die Schädlichkeitsbewertung bereits aus systematischen Gründen ausschließlich an einer am Schutzobjekt orientierten Betrachtung anknüpfen. Infolge des Immissionsbegriffes ist im Rahmen der Eignungsbewertung der Zurechnungszusammenhang zwischen Beeinträchtigung und immissionsverursachender Anlage durchbrochen, so daß eine einheitliche Abwägung zwischen Eingriffs- und Schutzobjekt nicht konstruiert werden kann311 .

Darnstädt, S. 76 f.; ebenso wohl BVeIWG, DÖV 1974, 207, 209; BVern'G, NJW 1975, 130, 132.

309 So insbesondere BVeIWG, DÖV 1974, 207, 209; NJW 1975, 130, 132; vgl. besonders die systematischen Bedenken von Darnstädt, S. 76; Trute, S. 16. 310 Vgl. auch Darnstädt, S. 76; Trute, S. 16. 311 Nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz (Hesse, Grundzüge, S. 127) kann es nicht allein auf den abstrakten Stellenwert der konfligierenden Positionen ankommen, sondern es muß auch der Grad der von ihnen verursachten wechselseitigen Beeinträchtigung in die Abwägung eingehen. Die von Hansen-Dix vorgeschlagene Abwägung im konkreten Einzelfall müßte daher eine Bewertung der Rechtsposition des Anlagenbetreibers auch unter Berücksichtigung seines konkreten Verursachungsbeitrages voraussetzen. Dies würde aber eine genaue Kenntnis des konkreten Immissionsbeitrages erfordern, die unter Zugrundelegung des Immissionsbegriffes gerade nicht erheblich ist.

110

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

Im Ergebnis würde die Auffassung von Hansen- Dix nicht nur zu einer erheblichen Reduzierung der Sicherheits anforderungen führen. Sie hätte auch zur Konsequenz, daß der Grad der schädlichen Umwelteinwirkung nicht nur von Anlagenbetreiber zu Anlagenbetreiber differieren würde, sondern auch nach der rechtlichen Situation der Anlage (Zeitpunkt der Genehmigungserteilung oder Zeitpunkt einer nachträglichen Anordnung) variierte. Durch eine derartige Verfeinerung und Relativierung des Eignungsbegriffes wäre die Einheitlichkeit des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkung aufgegeben und die differenzierten Venneidungspflichten sowie Eingriffsvoraussetzungen und Ermessensermächtigungen der anlagenbezogenen Maßnahmen letztlich obsolet312 . In diesem Zusammenhang vennögen allerdings die von der Gegenauffassung vorgetragenen Bedenken ebenfalls nicht zu überzeugen, da sie nicht den Kern des Problems treffen. Der hervorgehobene Grundsatz der kategorischen Gefahrenabwehr verbietet es zwar, Abwehnnaßnahmen unter den Vorbehalt technischer Realisierbarkeit zu stellen - wobei es vorliegend nicht um die Begründung eines derartigen Vorbehaltes geht. Er befreit jedoch nicht von der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 313 . Auch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG314 gilt, daß ein Eingriff in Rechtsgüter des durch die Abwehnnaßnahme Betroffenen nur zulässig ist, wenn er erforderlich, geeignet und verhältnismäßig ist. Diese Beurteilung ist wiederum nicht allein anhand des Eingriffsgutes vorzunehmen, sondern muß gerade auch unter Berücksichtigung des drohenden Schadens erfolgen. Je höherwertig insoweit das bedrohte Rechtsgut und je höher der drohende Schaden ist, desto weitgehendere Maßnahmen können auch zu seiner Abwehr erfolgen. Dies kann bei hochrangigen Rechtsgütern wie Leben und Gesundheit in der Tat zu einer kategorischen und damit vorbehaltlosen Gefahrenabwehr führen. Nur gilt dies nicht prinzipiell, sondern ist stets auch unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungsintensität und des Schadensumfanges zu beurteilen. Entscheidend für den vorliegenden Streit ist mithin nicht ob, sondern auf welcher Ebene die Belange des Anlagenbetreibers zu berücksichtigen sind. 312 Siehe hierzu bereits die Ausführungen der Parallelproblematik, im Rahmen der Erheblichkeitsbestimmung die Belange des Anlagenbetreibers mit zu berücksichtigen Teil 2. C. 11. 2. b) bb).

313 Vgl. zur umfassenden Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur BVerfGE 19, 342, 348 f.; 43, 101, 106; ferner BVerjGE 7, 377, 404 f.; 19, 330, 337; 34,261,267; 35, 202, 221; 35, 382,400; 42, 212,220;43,242,288; 51,97. 314 Der entsprechenden Argumentation von Schröder, S. 122 kommt ohnehin keine prinzipielle Aussagekraft zu, da sie sich nur auf die dem verfassungsrechtlichen Schutzbereich dieser Norm unterfallenden Rechtsgüter Leben lind Gesundheit, nicht jedoch etwa auf den Art. 14 GG unterfallenden Sachgüterschutz beziehen kann.

c. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

111

Im Ergebnis können die Belange des Anlagenbetreibers - zwar nicht aufgrund des Prinzips der kategorischen Gefahrenabwehr , sondern aHein aus inhaltlich-systematischen Gründen - nicht im Rahmen der Bewertung des Wahrscheinlichkeitsrnaßstabes der Eignungsbestimmung berücksichtigt werden. bb) Gemeinwohlbelange

Ob und inwieweit auch Gemeinwohlbelange wie etwa Arbeitsplatzbeschaffung, Sicherung der Energieversorgung, wirtschaftliche Entwicklung und technischer Fortschritt im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsbewertung zu berücksichtigen sind, ist umstritten315 . Während große Teile der Rechtsprechung und Literatur eine Berücksichtigung derartiger Belange unter Hinweis auf das Fehlen eines entsprechenden normativen Abwägungsvorbehalts ablehnen316 , wird von anderen deren Berücksichtigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gefordert317 . Neben dieser Kontroverse, die vor allem wegen des unterschiedlichen systematischen Standortes ein verwirrendes Bild liefert, ist auch der Umfang der Berücksichtigung der Gemeinwohlbelange im Verhältnis zu den unterschiedlichen Schutzgütern umstritten318 . Eine Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen ist zunächst aus inhaltlichen Gründen - insbesondere wegen der politischen Variabilität bei der Bestimmung ihres Stellenwertes 319 und ihrem differierenden Kollisionsverhältnis zum Umweltschutz320 - problematisch321 . Diese Variabilität würde nicht nur die Konturen des Gefahrenbegriffes auflösen, sondern im Ergebnis auch zu rein politisch, nicht aber rechtlich 315 Vgl. dazu das Parallelproblem der Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen bei der Erheblichkeitsbestimmung Teil 2. C. II. 2. b) cc). 316 OVG NRW, DVBI. 1976, 790, 798; Breuer, NJW 1977, 1025, 1029; von Holleben, GewA 1977,45, 46; Ule / Laubinger, BImSchG, § 6 Rn. 7; ferner Winters, DÖV 1978, 265, 269; Wagner, NJW 1980, 665, 672. 317 Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 168, 194; zum AtG: VGH B-W, DVBI. 1976,538, 543; Plischka, S. 108; vgl. den Überblick bei Hansen-Dix, S. 146. 318 Vgl. etwa Bay. VGH, DVBI. 1979, 673, 676; Roth-Stielow, DÖV 1979, 710, 711; BVerwG, NJW 1970, 1890, 1893; VGH B-W, DVBI. 1976,538,543; Plischka, S. 108 ff.; vgl. den Überblick bei Hansen-Dix, S. 146 f. 319 Hansen-Dix S. 148; dies gilt indes nicht für die von der jeweiligen politischen Führung unabhängigen "absoluten Gemeinschaftsgüter", vgl. BVerfGE 13, 97, 107; 30, 292, 324. 320 Markou, S. 80. 321 Hansen-Dix, S. 148 f.; Markou, S. 80 f.; Schröder, S. 123; Nolte, S. 58; vgl. dazu das Parallel problem der Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen bei der Erheblichkeitsbestimmung in Teil 2. C. II. 2. b) cc).

112

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

begründbaren ungleichen Belastungen der Bevölkerung und Anlagenbetreiber führen 322 . Dies gilt auch für die Berücksichtigung von absoluten Gemeinschaftsgütem wie etwa die Energieversorgung. Wenngleich deren Bedeutung jedenfalls im Grundsatz allgemein anerkannt und insoweit auch politisch stabil ist323 , besteht doch eine politische Kontroverse über die Art der Energiequelle, die zur Deckung des Bedarfs heranzuziehen ist; wenig Einigkeit besteht auch über die Energiebedarfsprognosen324 , die für die Entscheidung über die Errichtung und den Betrieb einer energieproduzierenden Anlage letztlich essentiell sind325 . So dürften unter einem normsystematischen Aspekt vielmehr die Erwägungen gelten, mit denen die Nichtberücksichtigung der Belange des Anlagenbetreibers begründet wurde. Es ist nämlich davon auszugehen, daß die Belange der Allgemeinheit nicht etwa frei in die Abwägung einbezogen werden, sondern lediglich zur Verstärkung der Position entweder des Schutzgutes oder der Belange des Anlagenbetreibers führen 326 . Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß auch die Belange der Allgemeinheit nicht bei der Bestimmung der erforderlichen Wahrscheinlichkeit der Eignung herangezogen werden können. 4. Der Gejährlichkeitsverdacht

Fraglich ist, ob der Gefahrenverdacht, also die Ungewißheit über das Vorliegen prognoserelevanter Sachverhaltselemente für die Annahme der Schädlichkeit einer Immission ausreicht 327 . Da es vorliegend jedoch nicht um Unsicherheiten über das Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage geht, sondern um die Unsicherheit über die abstrakte Eignung der Immission zur Herbeiführung eines Schadens, wird hierfür der Begriff "Gefahrlichkeitsverdacht" verwendet328 . Im Rahmen der Eignungsprüfung von schädlichen Umwelteinwirkungen liegt - ähnlich wie bei der konkreten Gefahrenbeurteilung im allgemeinen

322 Hansen-Dix, S. 148. 323 Vgl. BVerfGE 13, 97, 107; 30, 292, 324. 324 Vgl. dazu VG Freiburg, OVBI. 1975, 343, 346; VG Berlin, OVBI. 1977,353, 355. 325 Hansen-Dix, S. 148. 326 So im Zusammenhang mit der Erheblichkeitsbewertung auch Feldhaus, OVBI. 1979, 301,305; kritisch Hansen-Dix, S. 133. 327 Vgl. hierzu kritisch Rid, S. 68 ff. 328 So auch Murswiek, S. 387; vgl. dazu Trute, S. 42.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Inunissionen

113

Polizei- und Ordnungsrecht329 - ein Gefährlichkeitsverdacht vor, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung Zweifel am Vorliegen der Schädlichkeit einer Immission bestehen. Hauptanwendungsfall dürften hier Unklarheiten über die Dosis - Wirkungs - Beziehung bestimmter Substanzen sein, weil zum Zeitpunkt der Schädlichkeitsbeurteilung nicht alle tatsächlichen Umstände, die Einfluß auf die Schädlichkeit der Immission haben, bekannt sind, wissenschaftliche Methoden zu ihrer Ermittlung nicht zur Verfügung stehen oder das vorhandene Erfahrungswissen keine genauen Vorhersagen über die Schädigungseignung erlaubt330 . Im Bereich des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ist umstritten, ob der Gefahrenbegriff den Gefahrenverdacht mit einschließt331 . Gegen die Einbeziehung des Gefahrenverdachts in den Gefahrenbegriff wird vor allem vorgebracht, daß dieser nicht eine "objektive", sondern nur eine "vermeintliche" Gefahrenlage darstelle332 . Gleichwohl rechtfertige der Gefahrenverdacht im Rahmen der polizeirechtlichen Generalermächtigung Maßnahmen, die das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahrenlage aufklären sollen (sog. "Gefahrerforschungseingriffe")333. Die Kontroverse über die rechtliche Bewertung des Gefahrenverdachts scheint vornehmlich auf terminologischen Unklarheiten des Gefahrenbegriffes zu beruhen. Entscheidend ist dabei die Vorstellung, daß die Gefahr auf einer gesicherten ("objektive Gefahr"), der Gefahrenverdacht auf einer ungesicherten Tatsachen- oder Prognosegrundlage ("vermeintliche Gefahrenlage") beruht. Diese strenge Differenzierung ist jedoch irreführend, da die einer 329 Vgl. dazu Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 226; Götz, S. 69; Murswiek, S. 386; Hansen-Dix, S. 61 ff.; Darnstädt, S. 94; Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 189; Götz, S. 69; Ule / Rasch, § 14 Pr I.PVG Rn. 5; Wolf! / Bachoj, VerwR. III, § 125 a. 330 Vgl. dazu Murswiek, S. 382 f.; Hansen-Dix, S. 173 m. w. N.; zum Gefahrenverdacht im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht vgl. Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 226; Darnstädt, S. 94 m. w. N. 331 Dafür: Hansen-Dix, S. 61 ff.; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 226; Darnstädt, S. 94; Rid, S. 69; Schneider, DVBI. 1980, 406, 408; Murswiek, S. 382 ff.; Dagegen: Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 189; Götz, S. 69; Ule / Rasch, § 14 Pr I.PVG Rn. 5; Wolf! / Bachof, VerwR. III, § 125 a; vgl. neuerdings auch Schwabe, Gedächtnisschrift für Martens, S. 420 ff., 432 ff. 332 So etwa Götz, S. 69.

333 Götz, S. 69; vgl. dazu HojJmann-Riem, in: Festschrift für Wacke, S. 327, 329, 336 ff.; zur neue ren Diskussion um die Zulässigkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen in Zusammenhang mit der Altlastenproblematik vgl. etwa Papier, Altlasten, S. 16; Koch, Bodensanierung, S. 68; Kloepfer, NuR, 1987, 1; VGH B-W, DÖV 1985, 687 f.; OVG Koblenz, NVwZ 1987,240, 241; zur Problematik der Kostenlast, wenn sich der ex ante prognostizierte Gefahrenverdacht ex post als unberechtigt erweist vgl. Breuer, Gedächtnisschrift für Manens, S. 317, 346 ff.; Schink, DVBI. 1989, 1182; Papier, DVBI. 1985, 873, 875; OVG NRW, OVGE 29, 44, 46; VGH B-W, DÖV 1990, 394, 395; neuerdings Di Fabio, DÖV 1991, 629, 631 ff. (vorläufiger Verwaltungsakt).

8 Pelcßen

114

Teil 2. Schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BlmSchG

Prognose zugrunde liegende Situation - auch im Fall einer "objektiven" Gefahr - nie sicher, sondern stets zu einem bestimmten Grad unaufgeklärt ist, ansonsten wäre eine Prognose gerade nicht erforderlich334 . Der Gefahrenverdacht stellt gegenüber der Gefahr insoweit kein aliud dar. Die damit sowohl bei der Gefahr als auch beim Gefahrenverdacht bestehende prinzipielle Unsicherheit über die Gefahrenprognose hat allerdings Auswirkungen auf die Annahme über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Der Gefahrenverdacht ist daher nichts anderes als eine Gefahr zunächst - geringeren Wahrscheinlichkeitsgrades 33S . Danach kann auch der Gefahrenverdacht als Gefahr angesehen werden, wenn die ihm zugrundeliegende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts "hinreichend" ist336 , also etwa dann, wenn entsprechend hochwertige Rechtsgüter bedroht werden 337 . Überträgt man diese Überlegungen auf die Schädlichkeitsbewertung nach

§ 3 Abs. I BImSchG, kann ein Gefährlichkeitsverdacht daher dann für die

Annahme der Schädlichkeit einer Immission ausreichen. wenn die Bewertung tatsächlich vorhandener. genügend gewichtiger Anhaltspunkte ergibt, daß die Immissionen hinreichend wahrscheinlich - also in Abhängigkeit vom zu schützenden Rechtsgut und dem Schadensausmaß - zu erheblichen Beeinträchtigungen der Schutzgüter führen. Besteht im Fall von Erkenntnislücken kein in diesem Sinne "begründeter" Gefahrenverdacht, kann eine Schädlichkeit der Immission nicht angenommen werden 338 . Demgegenüber wird von einigen Autoren vorgebracht, in den FäHen des meist als "Gefahrenverdacht" bezeichneten - Gefährlichkeitsverdachts könne deshalb keine Gefahr (Schädlichkeit) angenommen werden, weil der Gefährlichkeitsverdacht auf "bloß hypothetischen" Annahmen beruhe, nicht aber auf wissenschaftlichen Beweisen. Da noch nicht einmal die abstrakte Gefährlichkeit mit Gewißheit feststehe, sei nicht nur der konkrete Schadens334 Trute, S. 17; Darnstädt, S. 96; Schneider, DVBI. 1980,406,408. 335 Damstädt, S. 96; Trute, S. 17; Rid, S. 69; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 226; Murswiek, S. 389; Hansen-Dix, S. 66; im Ergebnis auch BVerwGE 12, 87, 93; 39, 190, 193 f.; 45, 51, 57 ff.; 49, 36, 41 f. 336 Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 227; so wohl auch Hansen-Dix, S. 66. 337 Besonderheiten ergeben sich für den Begriff des Gefahrenverdachts auch nicht hinsichtlich der Rechtsfolgen. Die nach der Auffassung von Götz lediglich zulässigen Gefahrerforschungseingriffe zum Abbruch des verdächtigen Geschehens (Götz, S. 70) sind kein Spezifikum des Gefahrenverdachts, sondern letzi ich nur Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, nach dem nur die zur Abwehr einer Gefahr "erforderlichen" Maßnahmen ergriffen werden dürfen; Gefahrerforschungseingriffe wird man beim Gefahrenverdacht in der Regel als "erforderlich" anzusehen haben. auch weitergehende Maßnahmen dürften jedoch soweit etwa eine rechtzeitige Aufklärung des Sachverhalts nicht mehr möglich ist - zulässig sein, soweit sie verhältnismäßig sind; Hansen-Dix, S. 66; Damstädt, S. 98.; ähnlich Di Fabio, DÖV 1991,329,633; vgl. VGH B-W, DÖV 1985,687 f.; OVGKoblenz, NVwZ 1987, 240,241. 338 Vgl. Schröder, S. 129 ff.

C. Schädlichkeit - Störqualität der Immissionen

115

eintritt ungewiß, sondern auch die Schädigungswahrscheinlichkeit als solche in Zweifel gezogen339 . Diese Auffassung verkennt indes bereits im Ansatz, daß es im Hinblick auf die Ermittlung und den erforderlichen Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit zwischen abstrakter und konkreter Gefahr keinen Unterschied gibt340 . Es fragt sich daher, aus welchem Grund die Ungewißheit über die den generellabstrakten Geschehensabläufen zugrundeliegenden Kausalgesetzlichkeiten nicht in gleicher Weise behandelt werden kann, wie bei der konkreten Gefahr. Im übrigen steht der offensichtlich geforderte "Beweis" über die abstrakte Möglichkeit eines zum Schaden führenden Geschehensablaufes keineswegs im strengen Gegensatz zu den als unzureichend angesehenen hypothetischen Annahmen. Selbst naturwissenschaftliche Gesetze bieten keine absolute Gewißheit, sondern nur den neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums341 . So ist der Unterschied zwischen Beweis und Hypothese allein ein quantitativer. Je nachdem, in welchem Umfang sich Hypothesen bestätigen, besitzen sie eine größere oder geringere Zuverlässigkeit. Allerdings dürften "reine" Hypothesen als Grundlage einer Wahrscheinlichkeitsaussage ausscheiden; läßt sich die Hypothese jedoch auf empirische Erkenntnisse stützen, sprechen also tatsächliche Anhaltspunkte für die Möglichkeit der fraglichen Ursache-Wirkungs-Beziehung, bietet sie auch die Basis für eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Je weniger zuverlässig die Hypothese ist, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sein. Ob die Zuverlässigkeit der Hypothese und damit auch die Wahrscheinlichkeit hinreichend groß ist, hängt allein vom befürchteten Schadensausmaß ab 342 . Auch der Gefährlichkeitsverdacht kann daher für die Annahme einer Schädlichkeitseignung im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG ausreichen.

339 Hanning / Schmieder, DB 1977, Beil. 14 S. 5; Schattke, DVBI. 1979, 657; BVerwG, NJW 1981, 1393, 1395; vgl. hierzu Murswiek, S. 387. 340 Vgl. BVerwG, ZfW 1971, 109; Götz S. 58; Hansen-Dix, S. 55. 341 BVerfGE 49,89, 143.

342 So auch Murswiek, S. 389 m. w. N.; vgl. zur Erforderlichkeit eines Schädlichkeitsnachweises im früheren Arzneimittel- und Lebensmittelrecht Hansen-Dix, S. 179; Murswiek, S. 391. 8*

Dritter Teil

Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß

"schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können".

A. Bedeutung und Struktur der Schutzpflicht Die als Schutz- bzw. Abwehrpflicht 1 bezeichnete Grundpflicht bestimmt, inwieweit die Errichtung und der Betrieb einer Anlage auszugestalten ist, daß schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen vermieden werden. Die Schutzpflicht statuiert gegenüber den genannten Beeinträchtigungen daher eine spezifische Vermeidungspflicht. Nach allgemeiner Auffassung entspricht die Schutzpflicht grundsätzlich der allgemeinen Polizei- und Ordnungspflicht des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts2 . Sie stellt allerdings inhaltlich insofern eine Verschärfung gegenüber dieser allgemeinen Nichtstörungspflicht dar, als sie sich auch auf erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen bezieht. Die Struktur der Schutzpflicht kann entsprechend der oben entwickelten Systematik3 in den Tatbestand der Risikoerkenntnis, Risikozurechnung und Risikosteuerung differenziert werden.

1 Vgl. zu der Tenninologie Jarass, BImSehG, § 5 Rn. 4 ff. 2 Martens, DVBI. 1981,597,598; Murswiek, S. 295; zur Generalennächtigung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts als implizite Nonnierung der materiellen Polizei- und Ordnungspflicht vgl. Wolf! / Bachoj, VerwR. III, § 127 I a; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 293; Götz, S. 98; Pietzcker, DVBI. 1984,457,459 m. w. N .. auf Gantner, S. 10, 129; Beye, S. 93; Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 435, 436. 3 Siehe Teil 1. B.

B. Struktur und Inhalt der Risikoerkenntnis

117

B. Struktur und Inhalt der Schutzpflicht im Rahmen der Risikoerkenntnis Als Tatbestand der Risikoerkenntnis nennt die Schutzpflicht neben den schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. d. § 3 Abs. 1 BImSchG auch die sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteile und erheblichen Belästigungen. I. Schädliche Umwelteinwirkungen und "sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen" Auf den Risikoerkenntnistatbestand der schädlichen Umwelteinwirkungen ist ausführlich im Teil 2 der Untersuchung eingegangen worden. Nach allgemeiner Auffassung wird mit der Trias der "sonstigen Gefahren" etc. auf Beeinträchtigungen abgestellt, die nicht durch Immissionen im Sinne des § 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 BImSchG verursacht sind4 . Als sonstige Beeinträchtigungsursachen kommen vor allem Brände und Explosionen in Betracht5 . Diese sind zwar regelmäßig nur im Zusammenhang mit Störf,illen denkbar, dies bedeutet indes nicht, daß alle störfallbedingten Auswirkungen auch stets als "sonstige Gefahren" etc. zu bewerten sind. Soweit durch eine Störung des bestimmungsgemäßen Betriebes Immissionen verursacht werden, die zu Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen führen, liegt kein Fall einer "sonstigen Gefahr" etc., sondern eine schädliche Umwelteinwirkung i. S. d. § 3 Abs. 1 BImSchG vor'. Aufgrund des identischen Wortlauts ist allgemein anerkannt, daß die Beeinträchtigungsarten in gleicher Weise ausgelegt werden, wie im Bereich

4 Vgl. nur Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 43; Hansen-Dix, S. 83; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 18 ff., der allerdings als Parallele zum Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen fordert, daß nicht alle Gefahrenquellen erfaßt werden sollen, sondern die Beeinträchtigungen durch Einwirkungen physischer Art (Brände, Explosionen, Steine) verursacht sein müssen. Optische Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind daher nicht erfaßt. Zweifelhaft ist jedoch, daß er die Parallelität sogar zur Forderung nach einer Schädlichkeitseignung auch dieser Gefahrenquelle entwickelt (Rn. 21). Damit dürfte die Bedeutung des Eignungsbegriffs verkannt worden sein. 5 Vgl. BT-Drs. 7 I 179, S. 31; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 19 f.; Feldhaus, BImSchG, § 4 Anm. 11; ders., WiVerw 1981, 191; Rehbinder, BB 1976, 1; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 43; Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen 11, S. 149; Murswiek, S. 293 m. w.N. 6 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 19 f.; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 43; unzutreffend daher Feldhaus, WiVerw 1981, 191; zum Problem der Steuerung von störfallbedingten Umwelteinwirkungen durch Wirkungsstandards s. o. Teil 2. B. IV. 1. b).

118

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

der schädlichen Umwelteinwirkungen. Insbesondere ist der Begriff der Gefahr im Sinne von Schaden zu interpretieren7 .

ll. Abgrenzung und Folgerungen Die wohl herrschende Auffassung geht davon aus, daß sich die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG genannten Risikoerkenntnistatbestände nicht inhaltlich unterschieden und daher die Abwehr immissionsbedingter und nicht immissionsbedingter Schäden gleich zu behandeln seien8 . Diese Auffassung stützt sich auf historische Erwägungen: Mit der Einführung des Terminus schädliche Umwelteinwirkungen wollte der Gesetzgeber eine den §§ 18 ff. GewO a. F. entsprechende Regelung schaffen. Danach hatte die Behörde zu prüfen, "ob die Anlage erhebliche Gefahren, Nachteile oder Belästigungen für das Publikum herbeiführen" könne. Erfaßt waren auch jene Beeinträchtigungen, die durch Immissionen bewirkt werden. Daß sich die Grundpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG nicht auf schädliche Umwelteinwirkungen beschränkt, sondern auch sonstige Gefahren etc. erfaßt, erkläre und rechtfertige sich aus der Absicht des Gesetzgebers, das bewährte umfassende Prüfungsverfahren beizubehalten9 . Die herrschende Auffassung widerspricht indes zunächst dem Wortlaut der Schutzpflicht. Unter Zugrundelegung identischer Begrifflichkeiten ist § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG so zu lesen, daß die Anlage so zu errichten und betreiben ist, daß 1. Immissionen, die geeignet sind, Schäden, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen hervorzurufen, sowie 2. sonstige Schäden, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen nicht hervorgerufen werden können 10 . Aus dieser Interpretation lassen sich folgende normsystematische und inhaltliche Erkenntnisse ableiten:

7 Hansen-Dix, S. 85. 8 Vgl. in diesem Zusammenhang die Kontroverse über die Auslegung des Begriffes "Eignung" in § 3 Abs. 1 BlmSchG, der von der herrschenden Auffassung mit dem der konkreten Gefahr gleichgesetzt wird, in Teil 2. C. III. 2. a) aa). 9 Schröder, S. 114; Hansen-Dix, S. 85; Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 43; Rid, S. 41 ff. j. m. w. N.; vgl. dazu Damstädt, S. 184 f.; Murswiek, S. 293 ff. 10 Vgl. dazu auch Damstädt, S. 184 f.

B. Struktur und Inhalt der Risikoerkenntnis

119

Zunächst wird deutlich, daß der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen systematisch gerade nicht als Unterfall einer sonstigen Gefahr etc. betrachtet werden kann 11 . Unmittelbare Ursache der Beeinträchtigung ist im Fall der schädlichen Umwelteinwirkung nämlich die Immission, im Fall der sonstigen Gefahr der Betrieb der Anlage selbst; folgerichtig wird auch das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit der Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Tatbeständen geregelt; während im Falle der sonstigen Gefahr die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ("(nicht) hervorrufen können") allein konkret und unmittelbar anlagenbezogen zu bestimmen ist l2 , wird im Bereich schädlicher Umwelteinwirkungen die konkrete Beeinträchtigungsprognose auf der Wirkungsebene durch das immissions bezogene Erfordernis einer "abstrakten" Schadenseignung 13 nach § 3 Abs. 1 BImSchG ersetzt l4 . Im übrigen wird von der herrschenden Auffassung nicht zutreffend erkannt, daß die Schutzpflicht im Bereich der schädlichen Umwelteinwirkungen grundSätzlich an einen Wirkungsstandard, bei der sonstigen Gefahr indes an einen Verursacherstandard anknüpft l5 . Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen definiert die Größe des Gesamtrisikos durch die Immissionsbelastung und läßt den Immissionsbeitrag der einzelnen Anlage außer Betracht. Die Schädlichkeitsbewertung der Immission ist daher von den Verhältnissen der Anlage abstrakt. Indem über den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen das Maß der zulässigen 11 Die Argumentation, die Formulierung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sei verunglückt, die alte Trias des § 18 GewO sei für den Bereich der Immissionen im Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen lediglich neu zusammengefaßt worden (Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 20; Rid, S. 42; Martens, DVBI. 1981,597,599; Feldhaus, DVBI. 1980. 133, 134) vermag daher nicht zu überzeugen. 12 So im Ergebnis auch Damstädt, S. 184, dessen Argumentation durch die Berufung auf Sellner allerdings wohl gerade nicht gestützt wird. 13 Vgl. die Amtl. Begr. zu § 3, in der ausdrücklich auf die abstrakte Eignung zur Verursachung der genannten Beeinträchtigungen abgestellt wird, BT-Drs. 7 / 179; ebenso Feldhaus, BImSehG, § 3 Anm. 6; Stich / Porger, BImSehG, § 3 Anm. 15; zustimmend Murswiek, S. 294, der von einer "abstrakten Eignung zur Verursachung dieser Beeinträchtigungen" ausgeht. 14 Bereits aufgrund der alten Rechtslage war anerkannt, daß für den Erlaß einer nachträglichen Anordnung bereits die aus Erfahrungsgrundsätzen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen gewonne Kenntnis über die "Eignung" einer Immission, erhebliche Beeinträchtigungen herbeiführen zu können, ausreicht; vgl. dazu Giesler, S. 142 Fn. 3 m. w. N .. Es spricht daher einiges dafür, daß § 18 GewO a. F. im Hinblick auf immissionsbedingte Gefahren etc, nicht auf konkrete Gefahren abgestellt hat, sondern - im Sinne seiner präventiven Ausrichtung als Genehmigungsvorschrift - sogar noch eher als § 25 Abs. 3 GewO a. F. die abstrakte Eignung von Immissionen genügen ließ; vgl. dazu auch die Ausführungen zum Begriff der Eignung in Teil 2. C. III. 2. b). 15 Siehe dazu Teil 2. B. IV. 1. b).

120

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

Ressourcenausnutzung festgelegt wird, kann die Verantwortlichkeit des Anlagenbetreibers zunächst lediglich indirekt gesteuert werden. Direkt determiniert wird die Verursacherverantwortlichkeit aber durch den Risikozurechnungs- und Risikosteuerungstatbestand der Grundpflichten; diese bestimmen, inwieweit der Anlagenbetreiber noch zur zulässigen Immissionsbelastung beitragen darf, bzw. diese zu verhindern hat oder einer künftigen Überschreitung der zulässigen Belastung vorbeugen muß16. Diese Systematik gilt im Bereich der schädlichen Umwelteinwirkungen prinzipiell sowohl für das Normalbetriebsrisiko als auch für die Störfallsicherheit l7 . Der Begriff der sonstigen Gefahren normiert demgegenüber allein eine Verursacherverantwortlichkeit des Betreibers. Entscheidend ist allein das Gefährdungspotential der einzelnen Anlage, auf eine Vorbelastung mit Risiken kommt es nicht an 18 . Der Sicherheits standard ist hinsichtlich dieser Beeinträchtigungen ein reiner Verursacherstandard. Diese Differenzierung hat eine abweichende Prüfungssystematik im Rahmen der Schutzpflicht zur Folge: Im Bereich der schädlichen Umwelteinwirkungen ist die Kausalität und Eintrittswahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen in zweifacher, gestufter Weise zu prüfen, nämlich zum einen, ob die Immissionen zu den Beeinträchtigungen führen können (abstrakt), zum anderen, ob die Anlage zu den schädlichen Immissionen führen kann (konkret). Im Bereich der sonstigen Gefahren stellt sich hingegen allein die Frage, ob die Anlage (konkret) zu Beeinträchtigungen führen kann.

16 So auch Murswiek,

S. 299 f.

17 Wenn gleichwohl im Bereich des Störfallrisikos nicht mit Wirkungsstandards operiert wird, sondern lediglich eine Verursacherverantwortlichkeit durch rein anlagenbezogene Anforderungen festgelegt wird, so rechtfertigt sich dies Vorgehen allein aus der Tatsache, daß störfallbedingte Überschreitungen der zulässigen Immissionsbelastung durch Wirkungsstandards nicht gesteuert werden können. Dieses Mißverständnis über die tatsächliche Steuerungsmöglichkeit von Störfallrisiken mag dazu beigetragen haben, daß manche Autoren Störfallrisiken allein im Bereich der "sonstigen Gefahren" etc. ansiedeln; siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. B. IV. 1. b). 18 So auch Murswiek, S. 298 f.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

c.

121

Struktur und Inhalt der Schutzpflicht im Rahmen der Risikozurechnung I. Verursachungsbeziehung

Die Risikozurechnung 19 betrifft die Frage, ob oder inwieweit eine Anlage schädliche Umwelteinwirkungen herbeiführt oder herbeiführen kann. Die Risikozurechnung setzt daher als Grundlage das Bestehen einer Verursachungsbeziehung zwischen der Anlage und den schädlichen Umwelteinwirkungen, präziser: den Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG), voraus. 1. Der Verursachungsbegriff der Schutzpflicht

Es ist bislang nur unzureichend geklärt, ob und inwieweit sich der der Schutzpflicht zugrundeliegende Verursachungsbegriff in Anlehnung an den Verursachungsbegriff des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts20 bestimmen läßt. a) Grundlage des Verursachungsbegriffes : Die Äquivalenztheorie Wie im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht21 ist auch für das BImSchG unumstritten22 , daß zwischen dem Betrieb der Anlage und den schädlichen Umwelteinwirkungen eine Verursachungsbeziehung im Sinne der Äquivalenztheorie vorliegen muß. Nach dieser, die Grundlage für alle Verursachungstheorien bildenden naturwissenschaftlich orientierten Kausallehre, wird jede Bedingung (Betrieb der Anlage) als kausal angesehen, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg (schädliche Umwelteinwirkungen) entfiele.

19 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 1. B. 11. 20 Vgl. dazu nur Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 311 ff.; Götz, S. 99 ff.; von Mutius, Jura 1983, 298, 304; Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 437 ff.; Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 7 ff.; Konrad, BayVBI. 1980, 581; Pietzcker, DVBI. 1984, 457, 460; Vollmuth, VerwArch 68 (1977), 45, 48 ff.; Spießhofer, S. 28 ff. 21 Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 311; Götz, S. 98; Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen 11, S. 128. 22 Vgl. Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 9; Murswiek, S. 295 f. (Fn. 21), 299 f.; Jarass, BImSehG, § 5 Rn. 6 ff.; Rademacher, S. 51 f.; Poppe, S. 11; Giesler, S. 141; Spießhofer, S. 120 ff.; OVGLüneburg, DVBI. 1977,347,351.

122

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

Dabei setzt die kausale Verursachung nicht voraus, daß die schädliche Umwelteinwirkung allein (monokausal) durch die zu beurteilende Anlage verursacht wird, sondern geht dadurch, daß der Immissionsbegriff des § 3 Abs. 2 BImSchG vom Anlagenbezug abstrahierend auch die Vor- und Fremdbelastung am Immissionsobjekt in die Beurteilung miteinbezieht, lediglich von einer Mitverursachung aus23 . b) Bestimmung der rechtlich relevanten Bedingung Es ist umstritten, ob der Verursachungsbegriff des BImSchG sich in einer Zuordnung nach der Äquivalenztheorie erschöpft24 , oder - entsprechend der Dogmatik im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht25 - zusätzlich einer wertenden Bestimmung der rechtlich relevanten Ursache bedarf26 .

aa) Meinungsstand aaa) Naturwissenschaftlicher Verursachungsbegriff Murswiek geht davon aus, daß der Betreiber dafür verantwortlich sei, daß die Anlage nicht "Ursache" erheblicher Beeinträchtigungen werde. Die Verantwortlichkeit beschränke sich nicht auf eine "Störerverantwortlichkeit" im polizeirechtlichen Sinne. Der Betreiber sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 23 Vgl. nur Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 40; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 20; Feldhaus, BImSehG, § 3 Anm. 5. Zu den unterschiedllichen Formen der Mitverursachung im Zivilrecht, insbesondere Nachbarrecht und Haftungsrecht, vgl. Brüggemeier, UTR 12(1990), 261, 268; Kleindienst, S. 56 ff.; Diederichsen / Scholz, WiVerw 1984,23, 36 ff.; Diederichsen, in: Festschrift für Reimer Schmidt, S. 1, 15 ff.; Köndgen, UPR 1983, 345, 350 f.; Kormann, UPR 1983, 281 f.; Bullinger, VersR 1972, 599. Zur Kausalitätsproblematik des Umweltstrafrechts vgl. Möhrenschlager, WiVerw 1984, 47, 49 ff. 24 So Murswiek, S. 295 unter Berufung auf OVG Lüneburg, DVBI. 1977, 351; ebenso Rademacher, S. 60; Giesler, S. 146. 25 Vgl. zu den einzelnen Verursachungstheorien: von Mutius, Jura 1983, 298, 304 f.; Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 435, 439; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 312; Vieth, S. 60 ff.; Spießhojer, S. 28 ff.; zur Adäquanztheorie: vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, Vorb. v. § 249 Anm. 5 B) aa); BGHZ3, 261; zur Theorie der Sozialadäquanz: vgl. Hurst, AöR 83 (1958), 43, 61 ff.; zur Theorie der rechtswidrigen Verursachung: Schnur, DVBI. 1962, 1; vgl. auch Vollmuth, VerwArch 68 (1977), 45, 51; Wolf! / Bachoj, VerwR. 111, § 127 I b; Erichsen, VVDStRL 35 (1977), 171,201,205 f.; Pietzcker, DVBI. 1984,457 ff. m. w. N. in Fn. 3; zur Theorie der unmittelbaren Verursachung: vgl. etwa OVG Lüneburg, OVGE 14, 397; OVG NRW, OVGE 5, 185; 14, 265; DVBI. 1964, 683; DVBI. 1973, 924; VGH -W, VR 20, 426; Hess. VGH, MDR 1970,791; OVG Hamburg, DÖV 1983, 1016; OVG NRW, UPR 1984, 279; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 212 ff.; Götz, S. 103 ff.; Wolf! / Bachoj, VerwR. 111, § 127 I c; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 313 j. m. w. N. 26 Vgl. nur Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, 1, 10 ff.; Martens, in: Festschrift für Ipsen, S. 449, 460 ff.; Hansmann, TA-Luft, Nr. 2.2 Rn. 17 f. j. m. w. N.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

123

BImSchG insoweit - jenseits der Zurechnung nach den Störertheorien - ohne Einschränkung für das von ihm geschaffene Gefährdungspotential seiner Anlage verantwortlich. So seien im Rahmen der Risikobeurteilung alle Risiken in Betracht zu ziehen, für welche die Anlage die notwendige Bedingung darstelle, also auch für Störfälle, die durch äußere Einwirkungen verursacht werden27 . Im Zusammenhang mit dem durch den Normalbetrieb gesetzten Risiko einer Anlage löst er sich weiter von einer polizeirechtlich begründeten Vermeidungspflicht: Begreife man den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen für den Normalbetrieb nicht als Verursachungs- sondern als Wirkungsstandard 28 , so könne die Vermeidungspflicht des Anlagenbetreibers nicht im Sinne einer Mitverantwortung nach dem Begründungsmuster konventionell-polizeirechtlicher Störertheorien interpretiert werden, sondern sei als Maßnahme der Ressourcenbewirtschaftung des Umweltmediums "Luft" zu begreifen, die den Betreiber unabhängig vom Ausmaß seiner eigenen Mitverursachung verpflichte29 . Auch Giesler30 und Poppe31 gehen davon aus, daß im Rahmen der Verursachungsbeziehung lediglich eine kausale Verknüpfung zwischen Anlage und schädlicher Umwelteinwirkung bestehen muß. Im Gegensatz zum Polizeiund Ordnungsrecht, wo es zur Störerbestimmung auf die polizeirechtlich relevante Ursache ankomme, bestehe im BImSchG kein Bedürfnis für eine wertende Einengung der kausalen Bedingung, da "in aller Regel der Betreiber einer Anlage, von der auf die Gesundheit oder Sachwerte 2l1derer aktiv einwirkende und diese gefährdende Emissionen ausgehe"32 eine relevante Ursache setze, die - im Sinne des polizeirechtlichen Verursachungsbegriffes die Gefahrengrenze selbst überschreite. Dies folge schon daraus, daß der in seinen Gütern Gefährdete sich "in der Person des Angegriffenen" befinde, der durch das allgemeine Polizei- und Ordnungs recht gerade geschützt werden solle33 . In ähnlicher Weise vertritt Rademacher die Auffassung, daß das BImSchG den Theorienstreit des Polizei- und Ordnungsrechts über den Verursachungsbegriff für seinen Anwendungsbereich beendet habe, indem es 27 Murswiek, S. 295 f. (Fn. 21). 28 VgJ. dazu die Ausführungen in Teil 2. 29 Murswiek, S. 299 f. 30 Giesler, S. 143 m. w. N. 31 Poppe, S. 42. 32 Giesler, S. 143 m. w. N. 33 Giesler, S. 143 m. w. N.

B. IV. I. a).

124

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

sich für das "Verursacherprinzip" entschieden habe34 . Im Sinne der damit allein heranzuziehenden Äquivalenztheorie sei als notwendige Bedingung für die schädlichen Umwelteinwirkungen vom BImSchG die "Emission" bestimmt worden35 . Immissionsschutzrechtlicher "Störer" sei daher stets der Betreiber der emittierenden Anlage. bbb) Rechtlich-wertender Verursachungsbegriff Demgegenüber vertreten insbesondere Feldhaus / Schmitt36 und Hansmann37 die Auffassung, daß im öffentlich Recht generell nicht von einem rein naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff auf der Grundlage der Äquivalenztheorie ausgegangen werden könne, da dieser - mangels anderer Korrektive wie Rechtswidrigkeit und Schuld - zu unangemessenen Ergebnissen führe, sondern eine wertende Betrachtung der kausalen Bedingungen erforderlich sei. Beide Autoren weisen auf die enge Verwandschaft des BImSchG mit dem Polizei- und Ordnungsrecht hin, das darauf abstelle, ob durch das zu beurteilende Ereignis die Gefahrengrenze überschritten werde. Feldhaus spricht sich dabei unter Ablehnung der Unmittelbarkeitslehre für den Gedanken der Umweltadäquanz aus; umweltadäquat verhalte sich, wer in seinem Einflußbereich keine Umweltrisiken begründe oder bestehende Umweltrisiken nicht erkennbar erhöhe oder dies jedenfalls nicht in einer aus Sicht des Gemeinwohls zu mißbilligenden Art tue38 . Hansmann stellt - ohne sich ausdrücklich für eine Verursachungstheorie zu entscheiden - unter Hinweis auf den Normzweck der §§ 5, 6 BImSchG - darauf ab, daß nicht jeder extrem kleine Immissionsbeitrag als rechtlich relevante Risikoerhöhung für schädliche Umwelteinwirkungen angesehen werden könne 39 . bb) Stellungnahme aaa) Zur Notwendigkeit eines rechtlich-wertenden Verursachungsbegriffes Die letztgenannten Vertreter der "reinen" Äquivalenztheorie gehen von der vordergründigen Ansicht aus, das BImSchG habe mit seinem "kausalen" 34 Rademacher, S. 57. 35 Rademacher, S. 59. 36 Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 10 ff. 37 Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2 Rn. 18, 19. 38 Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, l3; zu der als Modell herangezogenen Theorie der Sozialadäquanz vgl. Hurst, AöR 83 (1958), 43, 61 ff. 39 Hansmann, TA Luft, 2.2 Rn. 18.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

125

Ansatz, der stets den Betreiber (oder Errichter) als Adressat der Maßnahmen und Normen nenne, auch bestimmt, daß der Betreiber stets immissionschutzrechtlich Verantwortlicher sei40 . Dies ist jedoch unzutreffend. Zwar stellt sich durch die gesetzliche Bestimmung des Adressaten nicht mehr die Frage, wer der potentielle "Störer" ist, prüfungsbedürftig bleibt jedoch, ob und inwieweit das von ihm kausal verursachte Risiko - in Form von schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren - ihm auch zugerechnet werden kann und er insoweit auch tatsächlicher Störer ist41 . Symptomatisch sind insoweit die Ausführungen Poppes, der die Verursacherproblematik nur für die Kausalbeziehung zwischen Emission und schädlicher Umwelteinwirkung diskutiert, aber die Betreiberverantwortlichkeit für die Emission (und damit auch deren Folgen) als "Kausalität der Sphäre", gerechtfertigt durch eine "gesteigerte soziale Verantwortung für einen bestimmten Gefahrenbereich ", nicht weiter problematisiert42 . Über den problematischen Begründungsansatz hinaus erscheint insbesondere der Hinweis von Rademacher auf das dem BImSchG zugrundeliegende Verursacherprinzip zweifelhaft. Das Verursacherprinzip43 deutet keineswegs auf die uneingeschränkte Anwendung der Äquivalenztheorie hin. Da es auch beim Verursacherprinzip - in seiner Ausgestaltung als materielles Zurechnungsprinzip44 - um die Frage der Haftung für Umweltbeeinträchtigungen geht, umfaßt der Begriff nicht nur die Frage der kausalen Bedingung, sondern auch die Frage nach der Haftung für diese Bedingung ("Haftungsprinzip")45. 40 Ähnlich mißverständlich äußern sich Meyer, S. 15; Mußmann, S. 227. 41 So im Ergebnis auch für das GastG: Jarass, NJW 1981, 721, 724; allerdings ist es für das

BImSchG und das sonstige Sonderordnungrecht weder notwendige noch hinreichende Bedingung für die Verantwortlichkeit des Betreibers, daß dieser auch als Verhaltens- oder Zustandsstörer nach dem Polizei- und Ordnungsrecht zu qualifizieren wäre; es kommt allein auf die Eigenschaft als Betreiber der Anlage an; vgl. hierzu Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 55 f.; Giesler, S. 43 m. w. N.; ähnlich Poppe, S. 42, der allerdings mißverständlich von einer "Kausalität der Sphäre" ausgeht, und - insbesondere im Hinblick auf Störfälle zu weitgehend stets den Betreiber der Anlage für deren Emission ungeachtet ihrer Entstehung für verantwortlich hält. In der Regel wird der Betreiber aber nicht nur als Verhaltensstörer (Betrieb) in Betracht kommen, sondern als Eigentümer oder jedenfalls Besitzer der Anlage auch als Zustandsstörer anzusehen sein (vgl. Giesler, S. 44 f.; ferner Reiland, VerwArch 66 (1975), 255,

258.

42. 43 Zum Verursacherprinzip und seinen einzelnen Ausprägungen vgl. nur Kloepjer, Umweltrecht, S. 83 ff.; Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 31 ff.; Koch, Bodensanierung, S. 8, 54 f.; Spießhojer, S. 121 ff.; Gantner, S. 10 ff.; Schottelius, in: Festschrift für Weitnauer, S. 397,400 ff.; Wegener, DVBI. 1975, 176 ff.; kritisch Adams, JZ 1989, 787, 789; Mayer-Tasch, NuR 1991, 153, 155 f. 44 Vgl. hierzu Breuer, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 612; Gantner, S. 10; Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 33 ff.; Spießhojer, S. 121 ff. 45 Poppe, S. 13. 42 Poppe, S.

126

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

So besteht auch für das BImSchG das Erfordernis, daß es sich um eine haftungsbegründende Verursachung schädlicher Umwelteinwirkungen handeln muß. Da das BImSchG an die Verursachung eines bestimmten Erfolges eine bestimmte Rechtsfolge in Form einer spezifischen Vermeidungspflicht knüpft, muß zwischen Ursache und Erfolg nicht nur Kausalität bestehen, sondern die Ursache muß dem Erfolg so nahe sein, daß der Eintritt der Rechtsfolge nicht als zufällig erscheint46 . Für einen rechtlichen-wertenden Verursachungbegriff sprechen daher die gleichen Gründe, die bereits im Hinblick auf den Verursachungsbegriff des Polizei- und Ordnungsrechts vorgebracht werden47 ; dies gilt umso mehr, als sich das BImSchG - soweit es die Schutzpflicht und das Genehmigungsverfahren betrifft - nicht nur historisch aus diesem Rechtsgebiet entwickelt hat, sondern auch weitgehend identische Funktionen (Gefahrenabwehr) wahrnimmt48 . bbb) Der Verursachungsbegriff des BImSchG Damit stellt sich die Frage, welchem rechtlich-wertenden Verursachungsbegriff das BImSchG folgt. Indessen ist die praktische Bedeutung dieses Theorienstreites genau wie im Bereich des Polizei-und Ordnungsrechts gering. Die einzelnen Verursachungstheorien haben sich einander angenähert, weisen nunmehr alle einen wertenden Einschlag auf und gelangen auch in Problemfällen, wie etwa denen des Zweckveranlassers49 , zu ähnlichen Ergebnissen50 . Gleiches gilt auch für die zum BImSchG vertretenen Theorien der "Umweltadäquanz" und der "unmittelbaren Verursachung". Die von Feldhaus / Schmitt angeführten Gründe gegen die Unmittelbarkeitslehre, sie führe insbesondere bei sich überlagernden Ursache-Wirkungszusammenhängen zu unangemessenen Lösungen51 , trifft gerade für den Fall der Beurteilung minimaler Imrnissionsbeiträge nicht zu, da sich die vorgebrachten

46 Vgl. Rademacher, S. 52; Poppe, S. 12. 47 Zu den einzelnen Faktoren der Rechtfertigung einer spezifischen Verantwortlichkeit im öffentlichen Interesse und individuellen Freiheitsinteresse siehe Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 311; Feldhaus / Schmitt, WiVeIW 1984, 1, 7 ff.; Konrad, BayVBI. 1980, 581; Pietzcker, DVBI. 1984,457,460; Vollmuth, VeIWArch 68 (1977), 45, 48 ff. 48 Martens, DVBI. 1981,597 ff.

49 Siehe dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 314. 50 Ronellenfitsch, VeIWArch 77 (1986), 435, 438. 51 Feldhaus / Schmitt, WiVeIW 1984, 1, 12.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

127

Adäquanzgesichtspunkte durchaus auch als Kriterien der "Unmittelbarkeit" des Ursachenbeitrages verstehen lassen52 . Im übrigen ist die von Feldhaus / Schmitt dargelegte inhaltliche Ausgestaltung der Umweltadäquanztheorie fragwürdig: Soweit etwa darauf abgestellt wird, daß sich derjenige umweltadäquat verhalte, der die Grundpflichten der §§ 5, 22 BImSchG einhält53 , kann dies allenfalls im Verhältnis zum Polizei-und Ordnungsrecht gelten, und auch nur dann, wenn dieses Rechtssystem seinerseits der Umweltadäquanztheorie folgt. Bezogen auf das System BImSchG läuft diese Argumentation in einen Zirkel, da ja gerade zu untersuchen ist, aufgrund welcher Prinzipien die Grundpflichten ihrerseits das Risiko (schädliche Umwelteinwirkungen) dem Anlagenbetreiber zurechnen. Der Zirkelschluß entspricht dem der Rechtswidrigkeitstheorie im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, soweit diese Theorie im Rahmen des Rechtswidrigkeitsmaßstabes auf die "polizeiwidrige" Verursachung einer Gefahr abstellt 54 . Mißverständlich sind ebenfalls die Ausführungen zur "Irrelevanzklausel" der Nr. 2.2.1.1 b) der TA Luft 55. Die TA Luft kann als Verwaltungsvorschrift keine Antwort auf die Frage geben, ob eine Verursachung nach dem Rechtssystem des BImSchG noch adäquat ist, dies muß aus der normativen Wertung der gesetzlichen Grundpflichten hergeleitet werden. Fraglich kann allenfalls sein, ob diese Klausel der TA Luft den Verursachungsbegriff des BImSchG zutreffend interpretiert.

2. Fallgruppen eines rechtlich-wenenden Verursachungsbegriffes Die Notwendigkeit einer wertenden Ermittlung der Verursachung und die damit verbundene Eingrenzung der Betreiberverantwortlichkeit soll anband der nachfolgend skizzierten Fallgruppen beispielhaft56 dargelegt werden. 52 Siehe dazu im einzo:lnen die Ausführungen unter Teil 3. C. 1. 1. b) aa) bbb); danach dürfte für die Begründung der Irrelevanzklausel nicht die Wahl der Verursachungstheorie, sondern die Wahl der in die Adäquanz- oder Unmittelbarkeitsbeurteilung fallenden Kriterien entscheidend sein. 53 Feldhaus ; Schmin, WiVerw 1986, I, 13. 54 Vgl. dazu Gantner, S. 123 ff.; Drews; Wacke; Vogel; Manens, S. 313. 55 Feldhaus ; Schmin, WiVerw 1986, I, 19. 56 Ein nicht weiter vertieft zu behandelndes Problem des Verursachungsbegriffes des BImSchG ist in der Frage der Zurechnung solcher Immissionen zu sehen, die nicht direkt von dem Betrieb der Anlage, sondern von deren Benutzern - insbesondere dem Zulieferverkehr außerhalb des Betriebsgrundstückes ausgehen.; vgl. zur funktionalen Zurechnung von Verkehrsimmissionen zum Betrieb der Anlage BVerwG, NVwZ 1989, 660; Hess. VGH, UPR 1987,73; VGH B-W, GewA 1989,273; NVwZ 1989,276; vgl. zum Bauplanungsrecht nunmehr BVerwG, DVBI. 1989, 371. 372. Die Zurechnung der von Benutzern hervorgerufenen Geräusche wird häufig dem Anlagenbetreiber als "mittelbarem" Störer unter Hinzuziehung von Adäquanzgesichtspunkten zugerechnet; vgl. bereits die zivilrechtliehe Judikatur zu §§ 1004, 906

128

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

a) Fallgruppe des "latenten Störers"

aa) Problemsituation Die Notwendigkeit einer wertenden Betrachtung der Verursachung läßt sich für den - von den genannten Vertretern der Äquivalenztheorie ausführlich behandelten - Fall der "latenten Gefahr" und des "latenten Störers" nur problematisch vermitteln, da dieser Fall imissionsschutzrechtlich ohne Rückgriff auf die Verursachungstheorien des Polizei- und Ordnungsrechts gelöst wird. Die latente Gefahr bezeichnet eine Lage, die nicht für sich allein, sondern erst durch das Hinzutreten neuer Umstände den Eintritt eines Schadens ernsthaft besorgen läßt57 . Das Problem besteht darin, daß das Gefahrenurteil allein durch eine Veränderung der Umstände, nicht aber durch eine Verhaltens- oder Zustandsveränderung des Zurechnungsobjekts begründet wird. Bei der Figur des "latenten Störers" geht es um die Frage, wer für diese Gefahr verantwortlich ist. Nach neuer Erkenntnis erweist sich das Institut des latenten Störers als überflüssige Hilfskonstruktion58 : So ist für die Frage, ob eine Gefahr vorliegt nicht ein vergangener Zustand, sondern allein die gegenwärtige Situation entscheidend. Soweit in einer gegenwärtigen Situation durch ein Verhalten oder den Zustand einer Sache eine Gefahr ausgelöst wird,

BGB, OLG Frankfurt, DWW 1988, 208; BGH, NJW 83, 220; 82, 440; OLG Celle, DWW 1987,294; vgl. für das BlmSchG insbes. OVG R-P, NJW 1986,2779; VGH B-W, NJW 1985, 2352 für Verkehrsimmissionen außerhalb des Anlagengrundstücks wird dabei lediglich auf ein räumliches Kriterium abgestellt ("räumlich überschaubarer Bereich, keine Vermischung mit dem allgemeinen Straßenverkehr") vgl. VGH B-W, NVwZ 1989, 279; vgl. ferner auch zur Parallelproblematik im Gaststättenrecht Jarass, NJW 1981, 721, 724 m. w. N. auf VGH B-W, GewA 1974, 131. Nach zutreffendem Verständnis dürfte die Zurechnung unter Adäquanz- oder Wahrscheinlichkeitsgesichtpunkten als Bestätigung der herrschenden Unmittelbarkeitslehre zu werten sein; die Rechtsfigur des "Zweckveranlasseres" vermag diese Fälle nicht zu lösen, sie scheint indes auch entbehrlich, die Mitverantwortlichkeit des Betreibers als "Hintermann" gleichwohl zu bejahen; vgl. dazu Jarass, NJW 1981, 721, 724; Götz, S. 102 f. ("enger Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang"); Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 316 ("Wertungszusammenhang" aufgrund einer "natürlichen Einheit" zwischen Handlung und Erfolg"). Vgl. dazu neuerdings den Ansatz der 18. BlmSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung) in Nr. 1.1. des Anhangs: Geräusche dürfen nicht selten sein und müssen zu einer Erhöhung des Verkehrsgeräuschpegels um 3 dB (A) führen. 57 Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 223 f.; Hansen-Dix, S. 55; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 226 f.; Götz, S. 109. 58 Vollmuth, VerwArch 68 (1977), 45, 49 weist darauf hin, daß der Begriff der latenten Störung von denjenigen Vertretern der Unmittelsbarkeitslehre, die allein auf den äußeren Kausalverlauf abstellten, als Einwand gegen das Argument der Priorität herangezogen wurde (m. w. N. in Fn. 18); vgl. auch Reiland, VerwArch 66 (1975),255,258 Fn. 14, Götz, S. 109; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 322.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

129

bedarf es weder des Hinweises auf eine latent vorhandene Gefahr noch kann diese allein das polizeiliche Eingreifen begründen59 . Gleichwohl deutet der Begriff der "Latenz" auf ein Ungenügen dieser Zurechnung hin und soll die Überschreibung der Verantwortung auf den zuerst Handelnden plausibel machen60 . Leider verdeckt die Kategorie der Latenz die Gründe für die Bewertung, daß der latente Störer einseitig mit dem Risiko einer späteren Änderung der Umgebung belastet ist und auch dann, wenn er für den Verlust der Anlage und des Betriebes, die er ursprünglich rechtmäßig errichtet und aufgebaut hat, als "Störer" keinen Ausgleich verlangen kann61 . bb) Lösungsansatz im BlmSchG

Der im Polizei- und Ordnungs recht auf Grundlage der Unmittelbarkeitstheorie vorgegebene Lösungsansatz zur Bewältigung des Wertungsproblems erscheint mit seiner sterilen Alternative des "alles" oder "nichts"62 als zu undifferenziert und gelangt zu Ergebnissen, die sich ebenso gut umgekehrt begründen lassen63 . Demgegenüber wird die Problematik des latenten Störers im BImSchG auf unterschiedlichen Systemebenen einer gegenüber dem Polizei- und Ordnungs recht differenzierteren Bewertung zugeführt64 . Zunächst wird bereits auf der Risikoerkenntnisebene im Rahmen der Erheblichkeitsbewertung der Immissionen auch die tatsächliche Prägung der Situation durch die emittierende Anlage berücksichtigt. Die von dieser Anlage als latenten Störer ausgehenden Belästigungen sind entsprechend dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme in gewissem Umfang - nach Maßgabe einer 59 Vgl. hierzu Send/er, WiVerw 1977,94,96; kritisch auch Henning, DVBI. 1968,740 ff.; Friauf, DVBI. 1971,716 ff. 60 Vgl. Send/er, WiVerw 1977, 94, 96 f.; Götz, S. 109 ff.; Trute, S. 24. 61 Send/er, WiVerw 1977, 97; vgl. auch Trute, S. 25, der aus der Konstellation der latenten Gefahr auf die Notwendigkeit einer vorbeugenden Gefahrenabwehr unter Einbeziehung künftiger Umweltveränderungen schließt. So soll der Rechtsfigur des latenten Störers eine ex-postBetrachtung, der Vorsorge eine ex-ante-Abschätzung zugrunde liegen; ähnlich auch Darnstädt, S. 210 f. 62 Send/er, WiVerw 1977,94,98 m. w. N. in Fn. 18; kritisch insbesondere zur Frage der Entschädigungslosigkeit bereits Menger, VerwArch 50 (1959), 77, 85 f.; Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 225 Fn. 148; Reiland, VerwArch 66 (1975), 255, 267 ff.; Vieth, S. 54 m.w.N. 63 Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 240 weist, nachdem er eine Fülle von Wertungsgrundsätzen genannt hat, auf die Zufälligkeit der Ergebnisse besonders hin. 64 Götz, S. 110 sieht die damaligen Gerichtsentscheidungen vor dem Hintergrund des BimSchG als überholt an. 9 Petersen

130

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

Art von Mittelwert - nicht "erheblich"65 und stellen insoweit keine zu vermeidenden schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne der §§ 3 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG dar6 6. Darüber hinaus dürfen nachträgliche Anordnungen gegenüber genehmigungsbedürftigen Anlagen67 nur nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 BImSchG getroffen werden. Schließlich sieht § 21 Abs. 4 BImSchG eine Entschädigungspflicht bei Widerruf der Genehmigung wegen Änderungen der Sach- und Rechtslage vor68 . Diese Regelungen sind in ihrer Gesamtheit Ausdruck eines ausgewogenen Interessenausgleiches und gewährleisten einen angemessenen Bestandsschutz69 . b) Fallgruppe der Irrelevanz minimaler Immissionsbeiträge

aa) Problemsituation Deutlich wird die Notwendigkeit einer wertenden Bestimmung der kausalen Bedingung jedoch für den Fall des Normalbetriebes im Verhältnis mehrerer Verursacher untereinander. 65 Sendler, WiVerw Holleben, GewA 1976,

1977, 94, 108; vgl. BVerwGE 50, 49; BVerwG, NVwZ 1985, 186; von 112; ders., DVBl. 1981,903,905; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn.

425,212. 66 Begreift man die Rechtsfigur des latenten Störers als originäres Problem des Verur-

sachungs- und nicht des Gefahrenbegriffes, so erscheint zweifelhaft, ob die oben genannten Autoren tatsächlich Verfechter der reinen Äquivalenztheorie sind. Giesler diskutiert das Problem des latenten Störers als mutmaßliche Durchbrechung des Verursachungsprinzips (S. 143) und relativiert daher mittelbar die Strenge der Kausalhaftung; Rademacher diskutiert das Problem verfassungsrechtlich und klopft für diese Konstellation das Dogma der Polizeipflichtigkeit, d. h. die Entschädigungslosigkeit der Inanspruchnahme des Störers auf Ausnahmen ab. Rademacher verlagert daher die Verursachungsproblematik auf eine andere Systemebene und kann allein deshalb die Strenge der Kausalhaftung aufrechterhalten (S. 64). 67 § 17 BImSchG erfaßt auch Änderungen der Umgebung, vgl. BVerwG, NVwZ 1985, 186; Feldhaus, BImSchG, § 17 Anm. 3; Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 14; Ule / Laubinger, BImSchG, § 17 Rn. 3; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 424 ff.; Meyer, S. 106; Roters, DÖV 1980, 701, 704; von Holleben, DVBl. 1981, 903, 905. Rechtswidrig dürfte daher die statische Regelung der Nr. 2.323 TA Lärm sein, die die Dynamik der Grundpflichten nicht umsetzt; vgl. dazu Teil LA. H. 68 Demgegenüber bestätigt das Recht der nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen jedenfalls instrumentell den status quo des latenten Störers; vgl. dazu Sendler, WiVerw 1977, 111; s. auch den Lösungsansatz von Schenke, DVBl. 1976, 750 (analoge Anwendung der Entschädigungspflicht nach § 21 Abs. 4 BlmSchG bei Vorliegen einer Baugenehmigung). Vgl. dazu den Streit über den Charakter der Entschädigung, Lenz, GewA 1976, 285, 287 (Billigkeit); Schenke, DVBl. 1976, 740, 742; Schwerdtjeger, NJW 1974, 777, 779; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 22 (Vertrauensschutz); Ule / Laubinger, BlmSchG, § 21 Rn. 11 (enteignungsgleicher Eingiff, Aufopferung); vgl. dazu ausführlich Lutz, S. 170 f., 210; Spießhojer, S. 117. 69 Vgl. Jarass, BlmSchG, Vor § 4 Rn. 2 ff.; vgl. zum Zusammenhang zwischen Bestandsschutz und Nachbarabwehranspruch Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 212.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

131

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 6 BImSchG darf eine Genehmigung nur erteilt werden, wenn sichergestellt ist, daß von dem Betrieb der Anlage u. a. schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können. Ist durch die Vorbelastung anderer Anlagen oder sonstiger Quellen der zulässige Immissionswert bereits überschritten, so dürfte unter Zugrundelegung der Äquivalenztheorie die Genehmigung nicht erteilt werden, selbst wenn diese Anlage nur minimal zu einer Überschreitung des Immissionswertes beitragen würde.

bb) Lösungsansatz im BlmSchG Diese Rechtsfolge 70 wird durch die sogenannte "Irrelevanzklausel "71 oder "Sanierungsklausel"n Nr. 2.2.1.1 b) der TA Luft vermieden73 : In Fällen, in denen bereits die Kenngröße für die vorhandene Immissionsbelastung auf einer Beurteilungsfläche einen Immissionswert überschreitet, soll eine Versagung wegen dieser Überschreitung dann nicht möglich sein, wenn die Zusatzbelastung durch die zu beurteilende Anlage 1 vom Hundert des Immissionswertes IW 1 nicht überschreitet und eine künftige Verminderung der durchschnittlichen Immissionsbelastung gesichert erscheint74 . Hansmann begründet die Irrelevanzklausel rechtlich75 mit dem Normzweck der §§ 5, 6 BImSchG: Im Hinblick auf den Normalbetrieb soll nicht jeder 70 Stellt man wie Murswiek, S. 299 f. allein auf den Aspekt der Ressourcenbewirtschaftung ab, so läßt sich die Einzelverantwortung des Mitverursachers für die Gesamtimmission weder erklären noch einschränken. 71 Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2 Rn. 17. 72 Elsner, NuR 1983, 223, 224; Feldhaus / Ludwig, DVBl. 1983, 565, 567; Kutscheidt, NVwZ 1983. 581, 582; kritisch Lübbe-Wolff, Schriften zum Öffentlichen Recht 512 (1986), 167, 179 ff., 181; Winter, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 127, 133 f. 73 Ähnlich. aber auf der Grundlage einer unzutreffenden Interpretation des Immissionsbegriffes nach § 3 Abs. 2 BlmSchG legt Nr. 2.213 der TA Lärm fest, daß an sich erforderliche Lärmschutzmaßnahmen befristet ausgesetzt werden können, wenn wegen ständig vorherrschender Fremdgeräuschbelastung im Einwirkungsbereich durch den Immissionsbeitrag der Anlage keine zusätzlichen Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen ausgehen können. 74 Vgl. nunmehr auch für das Gebiet der ehemaligen DDR die etwas modifizierte Regelung des § 67 a Abs. 2 BImSehG; das BlmSchG wurde geändert durch Anlage I Kapitel XII Sachgebiet A Abschnitt 11 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 in Verbindung mit Artikel 1 des Gesetzes vom 23. 9. 1990 (BGBl. 11 1990, S. 885, 1114); vgl. dazu Hansmann, NVwZ 1991, 316; Kloepfer, DVBl. 1991, 1,5; Müggenborg, NVwZ 1991,735,743. 75 Als sachlicher Grund dieser Regelungen wird insbesondere angeführt, daß es durch eine Kumulation der Immissionsbeiträge von 1 % des IW 1 - Wertes infolge ihrer Verdünnung bei der Transmission praktisch nie zu Immissionswertüberschreitungen kommen könne, und die Prognose derartig kleiner Immissionsbeiträge mit großen Unsicherheiten verbunden sei; vgl. hierzu Hansmann, TA Luft 2.2.1.2 Rn. 19; Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, 1,5 f.; kritisch

132

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

extrem kleine kausale Immissionsbeitrag als rechtlich relevante Risikoerhöhung dem Anlagenbetreiber zugerechnet werden. Da praktisch nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Emissionen luftverunreinigender Stoffe irgendwo zu Immissionen beitragen, die als schädliche Umwelteinwirkungen zu bewerten sind, und da andererseits Emissionen nicht vollständig vermieden werden können, würden die §§ 5, 6 BImSchG unter Zugrundelegung der Äquivaleoztheorie die Errichtung und den Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen faktisch untersagen76. Dies stände nicht nur im Widerspruch zur Einräumung eines Rechtsanspruches auf Erteilung einer Genehmigung77 , sondern auch zum immanent angelegten Industrieförderungszweck des BImSchG78. Feldbaus sieht in dieser Klausel demgegenüber eine Bestätigung der Umweltadäquanztheorie79 : Nach dem Maßstab des § 1 BImSchG sollen Risikoerhöhungen dann adäquat und damit rechtlich irrelevant sein, wenn sich die Immissionssituation gleichzeitig verbessert (Sanierungsfunktion)80. Wie Hansmann zutreffend feststellt, liegt die Rechtfertigung dieser Klausel indes allein in der Kennzeichnung der rechtlichen Irrelevanz des kausal an der schädlichen Umwelteinwirkung beteiligten Immissionsbeitrages und nicht in dem als zweite Voraussetzung angesprochenen Sanierungsgedanken: da die geforderte Verbesserung der Situation nicht notwendig zur Einhaltung der Immissionswerte führen müsse, bestehe trotz der Sanierungskomponente ein Genehmigungshindernis. Die Sanierungskomponente allein sei insoweit rechtlich unerheblich 81 . Allerdings läßt sich die Irrelevanzklausel auch mit der von Hansmann gelieferten Begründung als Ausprägung der Umweltadäquanztheorie interLübbe-Wolff, Schriften zum Öffentlichen Recht 512 (1986), 167, 179 ff., 181; Winter, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S.

127, 133 f.

76 Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2 Rn. 19; vgl. zur Vorsorgepflicht gegenüber rechtlich irrele-

vanten Immissionsbeiträgen die Ausführungen in Teil 4. O. III. 2. cl. 77 Vgl. Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2 Rn. 18 unter Hinweis auf einen Beschluß des Länderausschussesjür Immissionsschutz vom 25. /26. 4. 1983, abgedr. in NVwZ 1983,601. 78 darauf weist Feldhaus , UPR 1987, 1, 3 besonders hin; vgl. dazu Murswiek, S. 356 f. 79 zur Kritik an der Adäquanztheorie siehe oben Teil 3. C. I. 1. b) bb). 80 Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, 1,20 m. w. N. zum Meinungsstand in Fn. 61. 81 Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2 Rn. 17; kritisch insgesamt Jarass, BImSehG, § 6 Rn. 6, 7; vgl. dazu auch die Klausel für die nahezu sanktionslose (lediglich Prüfung nach 2.2.1.3) Überschreitung der Zusatzbelastungwerte im Hinblick auf besonders empfindliche Tiere, Pflanzen und Sachgüter in 2.2.1.2 TA Luft: Auch diese Klausel enthält eine Bewertung der Relevanz des Immissionsbeitrages und kann mit dem Adäquanzansatz von Feldhaus nicht erklärt werden; vgl. dazu Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2.1.2 Rn. 6; Feldhaus / Ludwig, OVBI. 1983,565,568 halten diese Klausel unter Aufgabe des eigenen Kausalitätsansatzes für eine Interpretation des Begriffes "erheblich", obwohl nicht die Gesamtbelastung, sondern lediglich der Immissionsbeitrag bewertet wird; ähnlich Kutscheidt, NVwZ 1983,581,582.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

133

pretieren, denn durch den Immissionsbeitrag werden "bestehende Umweltrisiken nicht erkennbar erhöht "82. Zum gleichen Ergebnis kommt man aber auch - entgegen Feldhaus83 - auf der Grundlage der Unmittelbarkeitstheorie, die in ihrer heute vertretenen Form normativen Wertungen gegenüber offen ist84 : Ein extrem minimaler Verursachungsbeitrag wäre danach nicht als unmittelbare Ursache für die schädliche Umwelteinwirkung anzusehen, da er das Risiko nicht relevant erhöht und insoweit nicht selbst die Gefahrengrenze des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG überschreitet85 . c) Fallgruppe der Zurechnung von Eingriffen Unbefugter

aa) Problemsituation Auch für das Störfallrisiko einer Anlage ist der Verursachungsbegriff der Schutzpflicht von Bedeutung. Hier geht es allerdings nicht um die Zurechnung von schädlichen Umwelteinwirkungen, die durch minimale, aber final emittierte Immissionsbeiträge verursacht worden sind, sondern um die allgemeine Verantwortung des Betreibers für das störfallrelevante Gefahrenpotential seiner Anlage. Problematisiert wird daher nicht die Kausalität und Zurechnung von Emission und schädlicher Umwelteinwirkung, sondern die der Emission vorgelagerte Verursachungsbeziehung. Fraglich ist insbesondere, ob dem Anlagenbetreiber die Verantwortung für diejenigen - zu störfallbedingten schädlichen Umwelteinwirkungen führenden - Emissionen zugemessen werden kann, die erst durch ein von außen kommendes (externes) Ereignis ausgelöst werden können 86 .

82 So Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 13 in seiner Definition der Umweltadäquanz; so geht Feldhaus bei 2.2.1.1 b) ohne Not auf die dritte Alternative: keine Erhöhung bestehender Umweltrisiken in einer aus Sicht des Gemeinwohls mißbilligenden Art und Weise. 83 Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 12. 84 Vgl. dazu Vollmuth, VerwArch 68 (1977), 45, 51 ff.; Götz, Rn. 193; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 313 ff.; Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 212 f.; siehe zur praktischen Bedeutung des Theorienstreites bereits oben Teil 3. C. I. 1. b) bb). 85 Kritisch Lübbe-Wolff, Schriften zum Öffentlichen Recht 512 (1986), 167, 179 ff., 181; Winter, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 127, 133 f. 86 Vgl. dazu die Kritik von Martens, in: Festschrift für Ipsen, S. 449, 460 f.; vgl. demgegenüber Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 319 (Eigensicherung bei Großanlagen der chemischen Industrie); vgl. auch Rehbinder, BB 1976, 1 ff., der die Problematik nur unter dem Aspekt der erforderlichen Eintrinswahrscheinlichkeit, nicht aber unter Zurechnungsaspekten diskutiert; zustimmend Lukes / Backherms, AöR 103 (1978), 334, 339.

134

Teil 3. Oie Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

bb) Meinungsstand

Problematisch ist dies insbesondere für die Fälle, in denen Einwirkungen Unbefugter auf die Anlage die Initialursache für einen potentiellen Störfall darstellen. Das OVG Lüneburg hat auch diese "Gefahrenquellen" dem Anlagenbetreiber zugerechnet und entsprechende Sicherheitsrnaßnahmen verlangt, indem es allein auf die Äquivalenztheorie abgestellt hat: So könnten auch äußere Einwirkungen auf eine potentiell gefährliche Anlage "Gefahren" im Sinne des § 5 Nr. 1 BlmSchG begründen. Zwar meine der Gesetzgeber mit Gefahren nur solche, die durch die Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage hervorgerufen werden. Das bedeute jedoch nicht, "daß die Beschaffenheit oder der Betrieb der Anlage die einzige Ursache dieser Gefahren sein dürfen. Betriebsbedingt können auch solche, auf die Beschaffenheit der Anlage zurückzuführende Gefahren sein, die erst durch das Hinzutreten eines weiteren auslösenden Momentes einen Schaden verursachen. Wird ein Schaden dadurch hervorgerufen, daß durch die Zerstörung der Anlage eine größere Menge Giftgas freigesetzt wird, so sind Schadensursachen gleichermaßen das Vorhandensein des Gasbehälters als auch die zu seiner Zerstörung führende äußere Einwirkung auf diesen. Keiner dieser Momente kann hinweggedacht werden, ohne daß der Schaden entfiele. Mithin bleibt auch in einem solchen Fall die Beschaffenheit der Anlage Schadensursache "87. Die Rechtsprechung des OVG Lüneburg verzichtet in ihrem Begründungsansatz auf eine wertende Zurechnung der kausalen Gefahrenquellen und folgt damit offensichtlich der Äquivalenztheorie. Es ist allerdings fraglich, ob die Entscheidung unter Zugrundelegung der Unmittelbarkeitstheorie im Ergebnis anders ausgefallen wäre. Die Zurechnung von unbefugten Eingriffen gegenüber Anlagen mit nohem Gefährdungspotential in den Verantwortungsbereich des Betreibers und die daraus resultierende Verpflichtung zur "Eigensicherung" ist insbesondere vor dem rechtlichen Hintergrund des LuftVG kontrovers diskutiert worden88 .

87 OVGE 32,456; zustimmend Murswiek, S. 295 f. Fn. 21, wohl auch Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 7. 88 Vgl. nur zum Flughafen Stuttgart Echterdingen VGH B-W, JZ 1983, 104 m. Anm. Karpen einerseits; BVerwG, OVBI. 1986,360 m. Anm. Schenke andererseits (=BVerwG, JZ 1986, 896 m. Anm. Karpen); vgl. auch Ossenbühl, Eigensicherung, S. 11 ff.; Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 435; Schiller / Drettmann, OVBI. 1977, 956; Götz, NVwZ 1984, 214; Drews I Wacke I Vogel I Martens, S. 319; Pietzcker, OVBI. 1984,462 f.; neuerdings BVerwG, JZ 1989, 895 m. Anm. Karpen (Kernkraftwerk Neckarwestheim).

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

135

Der VGH Baden-Württemberg hat die Verantwortlichkeit des Flughafenbetreibers als Zustandsstörer89 auf der Grundlage der Unmittelbarkeitstheorie bejaht: Zwar könne der Eigentümer einer für sich ungefährlichen Sache nicht als Zustandsstörer angesehen werden, wenn ein anderer sie in gefährlicher Weise mißbrauche. Das Eigentum bilde nicht per se die Quelle von Gefahren, stelle daher keine unmittelbare Ursache für diese dar, sondern trage lediglich mittelbar zu ihr bei. Anders sei dies jedoch bei Objekten, die des besonderen Schutzes vor Eingriffen Unbefugter bedürfen. In diesem Fall gehöre die Vorsorge gegen den schadensstiftenden Mißbrauch Unbefugter zu den Eigentümerpflichten, die sich aus der Natur der Sache ergeben und daher in der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) ihre verfassl,lngsrechtliche Grundlage finden. Vernachlässige der Eigentümer diese Vorsorgepflicht, so bilde sein Eigentum eine eigenständige Gefahrenquelle insoweit, als die unzulängliche Absicherung Verhaltensstörer anlocke, ihnen die Durchführung ihrer rechtswidrigen Vorhaben leicht mache und dadurch einen eigenständigen Beitrag zu der Gefcihrdung unbeteiligter Dritter leiste90 . Das BVerwG ist dieser Ansicht unter Aufhebung der Entscheidung entgegengetreten: Wer die tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft über eine Sache innehabe, müsse dafür sorgen, daß andere - insbesondere die Benutzer der Sache - nicht durch ihren gefährlichen Zustand gestört oder gar geschädigt würden. Ohne eine besondere gesetzliche Regelung sei der Unternehmer aber nicht ohne weiteres verpflichtet, andere vor Schäden zu bewahren, die ein unbefugter Dritter durch den Mißbrauch der Sache anrichten könne. Allein die aus der Sachherrschaft herzuleitende generelle Verantwortlichkeit für den gefahrlosen Zustand der Sache rechtfertige dies nicht. Im Verhältnis zu der die Gefahr oder den Schaden unmittelbar auslösenden Mißbrauchshandlung eines Dritten ist der Zustand der Sache, auch wenn er gewisse Anreize für einen Mißbrauch geben sollte, nur eine entfernte (mittelbare) Ursache. Mittelbare Ursachen aber lösten die Zustandshaftung nicht aus. Die speziellen gesetzlichen Sicherungspflichten rechtfertigten nicht die Annahme, die Rechtsordnung rechne die Eigensicherung generell zu den 89 Eine Verhaltensverantwortlichkeit in Form des Unterlassens wurde nicht untersucht, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung noch keine, die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens begründende Handlungspflicht bestand. Eine gesetzliche Pflicht zur Eigensicherung ist erst mit § 19 b LuftVG im Rahmen des 9. Änderungsgesetzes zum Luftverkehrsgesetz vom 18.9. 1980 (BGBI. I 1980, S. 1729) geschaffen worden. Insbesondere stellt der für die Begründung der Zustandshaftung herangezogene Art. 14 Abs. 2 GG keine spezielle Rechtspflicht zum Handeln dar; vgl. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 307; BVerwG, DVBI. 1986,362. 90 VGH B-W, JZ 1983, 104; zustimmend Karpen, JZ 1983, 106; vgl. aber demgegenüber ders., JZ 1989, 889 f. und Götz, NVwZ 1984,211,214, der die "Veranstalter-Verantwortlichkeit" für eine Selbstverständlichkeit hält, da es um Gefahren gehe, die "wahrhaft unmittelbar" mit der Veranstaltung verbunden seien und deren Abwehr im unmittelbaren Einwirkungsbereich der Veranstaltung liege.

136

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

Eigentümerpflichten. Hätte der Gesetzgeber den seit eh und je auf die Unmittelbarkeit der Verursachung begrenzten Umfang der polizeilichen Zustandshaftung für das Luftverkehrsrecht erweitern wollen, wäre dazu eine klare und eindeutige gesetzgeberische Aussage erforderlich gewesen91 .

ce) Stellungnahme Die Auffassung des OVG Lüneburg ist abzulehnen, da sie bereits im Ansatz unzutreffend von einer reinen Kausalhaftung des Anlagenbetreibers ausgeht92 . Auch die - auf Basis der Unmittelbarkeitstheorie hergeleitete - Ansicht des VGH Baden-Württemberg ist fragwürdig. In seiner Argumentation deutet sich beim VGH zunächst ein Zirkel an: Einerseits stellt er darauf ab, daß eine Pflicht zur Eigensicherung für Objekte gelte, die des besonderen Schutzes vor dem Zugriff Unbefugter bedürfen; andererseits begründet er dieses Schutzbedürfnis durch den Umstand, daß das Objekt wegen seiner unzulänglichen Absicherung "Verhaltensstörer anlockt". Unklar ist zunächst, woraus sich die "Unzulänglichkeit" etwaiger Sicherungsmaßnahmen ergibt - aus der besonderen Schutzbedürftigkeit oder aus der Anreizwirkung der Anlage? Unklar ist weiter, woraus sich die Anreizwirkung ergibt - aus der Schutzbedürftigkeit der Anlage oder aus der Unzulänglichkeit erforderlicher Sicherungsmaßnahmen? Unklar ist schließlich, woraus sich die Schutzbedürftigkeit der Anlage ergibt - aus deren Anreizwirkung oder aus der Unzulänglichkeit der Sicherungseinrichtungen? Darüber hinaus lassen insbesondere die als Kern der Begründung zu verstehenden Ausführungen zur Anreizwirkung von gefährdeten Objekten Assoziationen an die nicht unproblematische Rechtsfigur des Zweckveranlassers anklingen93 , die weder im Rahmen der Zustandshaftung anwendbar ist noch hinsichtlich ihrer Voraussetzungen erfüllt sein dürfte94 . 91 BVerwG, OVBI. 1986, 361; zustimmend Schenke, OVBI. 1986, 362 ff.; Ossenbiihl, Eigensicherung, S. 26; Ronellenjilsch, VerwArch 77 (1986), 453 ff.; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 319; zuruckhaltend: Pietzcker, OVBI. 1984, 463; Sejmer, Gedächtnisschrift für Martens, S. 503 f. Fn. 88; neuerdings bestätigt durch BVerwG, JZ 1989, 895. 92 Siehe dazu bereits die Ausführungen oben Teil 3. C. I. 1. b) bb); unzutreffend Lukes / Backherms, AöR 103 (1978), 334, 338, die von außen an die Anlage herangetragenen Störungen als nicht "anlagenbedingt" und damit nicht als Gegenstand der Grundpflichten ansehen. 93 Vgl. dazu im einzelnen Vollmuth, VerwArch 68 (1977), 55; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 315; von Mutius, Jura 1983, 298, 305; kritisch Erbei, JUS 1985, 257,259, 261. Vgl. zur parallelen Konstruktion des "Risikoveranlassers .. etwa Hojfmann-Riem, ZRP 1977, 277, 280 f.; Schiller / Drettmann, OVBI. 1977, 956, 957; differenzierend Pietzcker, OVBI. 1984,457,463. 94 So dürfte der Eingriff Unbefugter vom Betreiber weder subjektiv oder objektiv bezweckt, noch billigend in Kauf genonunen worden sein; vgl. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens,

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

137

Demgegenüber läßt sich zu den zutreffenden Ausführungen95 des BVerwG mit Schenke ergänzend der Gedanke der Risikosphäre zur Bestimmung der unmittelbaren Ursache heranziehen. Insoweit dürfte der Schutz vor Eingriffen Unbefugter in die Sphäre der Allgemeinheit und nicht in die des Betreibers einer Anlage fallen 96 . dd) Zur Rechtswidrigkeit des § 3 Abs. 2 Nr. 3 der 12. BlmSchV

Überträgt man die zutreffende Auffassung des BVerwG auf die Verursachungsproblematik des BImSchG, so dürfte eine Zurechnung von Eingriffen Unbefugter in den Verantwortungsbereich des Anlagenbetreibers auf Basis der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG unzulässig sein. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 3 der 12. BImSchV (Störfall-Verordnung) , nach der für die Störfallvermeidungspflicht auch Eingriffe Unbefugter zu berücksichtigen sind, es sei denn, daß diese Gefahrenquellen oder Eingriffe vernünftigerweise ausgeschlossen werden können97 , vermag diese Zurechnung nicht zu rechtfertigen. Sie dürfte vielmehr ihrerseits rechtswidrig sein, da sie von der Rechtsgrundlage des § 7 Abs. 1 BImSchG, die lediglich zum Erlaß solcher Verordnungen ermächtigt, die die aus § 5 BImSchG ergebenden Betreiberpflichten konkretisieren, nicht mehr gedeckt ist98 . S. 315 f.; Spießhofer, S. 145 f.; Ossenbühl, Eigensicherung, S. 26; kritisch im Hinblick auf die Veranstalterverantwortlichkeit des Gastwirtes für seine Gäste auch Jarass, NJW 1981, 724 f. 95 Zum Streit, ob die bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zur Eigensicherung lediglich deklaratorisch oder konstitutiv sind, vgl. bereits OVG Lüneburg, OVGE 32, 456 f., das einen Umkehrschluß aus § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG auf ein Fehlen der Verpflichtung zur Eigensicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG für unzulässig hält; zur Erforderlichkeit einer formellen gesetzlichen Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Eigensicherung nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG vgl. auch BVeIWG, JZ 1989,895. 96 Schenke, DVBI. 1986, 363; differenzierend im Einzelfall nach Grad und Wahrscheinlichkeit der Gefahrdung, Anfälligkeit der Sache etc. Pietzcker, DVBI. 1984, 463; ähnlich und im Ergebnis sehr restriktiv gegenüber der Eigensicherung Seimer, Martens-Gedächtnisschrift, S. 503 f. Fn. 80 m. w. N. 97 Vgl. dazu Schäfer, StörfallVO, § 3 Anm. 10. unter Hinweis auf OVG Lüneburg, OVGE 32,456; Feldhaus, WiVerw 1981, 191,200; Breuer, WiVerw 1981,219,237 f.; Landmann I Rohmerl Kutscheidt, BImSehG, § 3 Rn. 11; kritisch, allerdings allein im Hinblick auf die unterhalb der Gefahrenschwelle liegende Eintrittswahrscheinlickeit derartiger Eingriffe, Martens, in: Festschrift für Ipsen, S. 449; dus., DVBI. 1981, 597, 599; ebenfalls Rehbinder, BB 1976, 1,7. 98 Diese Problematik wird von Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 435, 441, der diese Vorschrift gleichrangig mit gesetzlichen Vorschriften zur Eigensicherung erwähnt, offensichtlich übersehen; noch weiter geht Karpen, der die Regelung der Störfallverordnung für gleichrangig mit den Vorschriften des AtG und des LuftVG für ·spezialgesetzliche" Vorschriften hält (JZ 1989, 899); Bedenken bestehen immerhin bei Spießhofer, S. 143 Fn. 115. Zwar handelt es sich bei einer Verordnung um ein Gesetz im materiellen Sinne; die in § 3 Abs. 2 Nr. 3 der 12. BImSchV festgelegte Regelung enthält jedoch eine Überdehnung des in § 5 Abs. 1 Nr. 1

138

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

Dies gilt nicht nur unter dem Aspekt der Zustandsstörerhaftung, die den genannten Entscheidungen zugrunde lag, sondern auch für eine etwaige Verhaltenshaftung des Anlagenbetreibers. Zwar kann die StörfallVO besondere Verhaltenspflichten für den Betreiber festlegen, so daß dieser durch ein qualifiziertes Unterlassen zum Verhaltensstörer werden kann. Allerdings ist die Schaffung von Rechtspflichten ebenfalls nur im Rahmen der §§ 7, 5 BImSchG zulässig. Es könrien daher nur solche Verhaltenspflichten statuiert werden, die sich als Konkretisierung der Verhaltenshaftung im Rahmen der Unmittelbarkeitstheorie darstellen; der bloße Veranlasser einer Störung99 darf nicht über eine untergesetzliche Rechtspflicht zum Unterlassungsstörer 100 gemacht werden. Eine Verpflichtung des Anlagenbetreibers zur Eigensicherung kann daher auch im Hinblick auf eine Verhaltensverantwortlichkeit nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung geschaffen werden lO1 . Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 3 der 12. BImSchV ist daher rechtswidrig 102 . 11. Wahrscheinlichkeitsaussage über die Verursachungsbeziehung Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit Die Frage der Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit der Verursachungsbeziehung bezieht sich nicht auf die Verursachungsbeziehung zwischen Immission und Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen; diese Verursachungsbeziehung ist allein Gegenstand des Begriffes schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG und daher bereits einer eigenständigen Betrachtung unterzogen worden 103. Im Rahmen der Schutzpflicht sollen nunmehr die Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit der Verursachungsbeziehung zwischen Anlage und den - als schädlich bewerteten - Immissionen erörtert werden. Die Frage der Eintrittswahrscheinlichkeit kann daher nicht dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen, sondern allein dem Terminus "(nicht) hervorrufen können" entnommen werden 104. BlmSchG normativ geregelten Risikozurechnungstatbestandes. Dies ist eine wesentliche Entscheidung, die der Gesetzgeber im Rahmen einer formellen gesetzlichen Regelung selbst hätte treffen müssen; vgl. BVerfGE 34, 165, 192 f.; 40, 237, 249; 45, 400, 417; 47, 66, 78 f. 99 Vgl. Schenke, DVBI. 1986,362. 100 Vgl. zur Haftung für Unterlassen Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 307 f. 101 Vgl. auch BVerwG, DVBI. 1986,362; JZ 1989, 896. 102 Dies wird sowohl von Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 435, 441 als auch von Karpen, JZ 1989, 899 übersehen. 103 Siehe dazu Teil 2. C. H. und III. 104 Siehe dazu Teil 1. B. H. 3.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

139

1. Die Interpretation der herrschenden Meinung

Das BVerwG hat diese Frage im "Voerde - Urteil" in Zusammenhang mit den Anforderungen an eine Genehmigungserteilung nach § 6 BImSchG ("sichergestellt") erörtert und dargelegt, daß durch den recht strikten Wortlaut ein absoluter Sicherheitsmaßstab nicht gefordert ist. Nach Auffassung des Gerichts haben diese Formulierungen "nicht die Bedeutung, daß jedes nur denkbare Risiko der Herbeiführung von schädlichen Umwelteinwirkungen ausgeschlossen sein muß. ( ... ) Risiken, die als solche erkannt sind, müssen mit hinreichender dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender WahrscheinlichkeIt ausgeschlossen sein. "105 Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hat diese Formulierungen als Aussage über das Vorliegen einer Gefahr interpretiert 106 . Zur Ermittlung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sei auch im Immissionsschutzrecht der aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht bekannte differenzierte Maßstab anzuwenden: Je bedeutender die betroffenen Rechtsgüter sind und je mehr Rechtsgüter bzw. je intensiver sie betroffen sind, desto geringere Anforderungen sind an den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit zu stellen 107 . Allerdings sei im Gegensatz zur Eingriffsverwaltung im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht eine Akzentverschiebung vorzunehmen. Anstelle der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, die für den Schadenseintritt sprechen muß, trete im technischen Sicherheitsrecht die Forderung, daß die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts proportional zum möglichen Schadensumfang zu reduzieren sei. Es komme daher nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Nr. 1 BImSchG darauf an, ob nach dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Entscheidung die

105 BVerwGE 55,250,255.

106 Vgl. nur Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 25; ders., in: Festgabe BVerwG, S. 603, 608; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 9; Feldhaus, BImschG, § 5 Anm. 3; ders., DVBI. 1980, 133 f.; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 6; ders., DVBI. 1983, 725, 728; Rehbinder, BB 1976, 1; Hansmann, DVBI. 1981,898,899 f.; Martens, DVBI. 1981,597,599; Breuer, DVBI. 1978, 829, 835; ders., WiVerw 1981,219,233; Schröder, S. 120; Rid, S. 63; Pape, S. 137; kritisch: Murswiek, S. 334 ff. 107 Vgl. dazu im einzelnen Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 223 f.; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 202; Götz, S. 57; Wolff / Bachoj, VerwR. 111, § 125; Erichsen, VVDStrL 35 (1977), 171, 186; Damstädt, S. 35 ff.; Hansen-Dix, S. 39; Rehbinder, BB 1976, 1 f.; BVerfGE 49, 89, 138; BVerwGE 45, 51, 61; 47, 31, 40; Schröder, S. 120; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 22; ders., DVBI. 1983,725,728; Martens, DVBI. 1981, 597,599; Breuer, DVBI. 1978, 829, 833; Breuer, WiVerw 1981, 219, 233 f.; Kutscheidt, in: Salzwedel, UmweltR., S. 237; Marburger, Schadensvorsorge, S. 20, 58; Rengeling, DVBI. 1982, 622, 626; Rid, S. 65; siehe dazu auch die Ausführungen zum Eignungsbegriff des § 3 Abs. 1 BImSchG in Teil 2. C. 111. 3. a) und b).

140

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

Möglichkeit eines Schadenseintritts mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann 108 .

2. Stellungnahme a) Zur Herleitung des Gefahrenbegriffes Die Deutungsversuche zur Herleitung des Gefahrenbegriffes erscheinen nicht befriedigend: Zum einen ist fraglich, warum der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen mit dem der Gefahr gleichgesetzt werden kann 109 . Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verwendet den Begriff der Gefahr nicht nur ausdrücklich im Rahmen der sonstigen Gefahren, sondern auch im Rahmen der Bezugnahme von schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG. In beiden Fällen ist der Begriff im Sinne von (erheblichen) Schäden zu interpretieren 11 0 und indiziert damit nur die Größe der Beeinträchtigung, nicht aber zugleich die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit 111. Der Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit ist daher allein den Worten "nicht hervorrufen können" zu entnehmen. Allerdings ist die Formulierung des BVerwG selbst nicht sehr klar, wenn es im Hinblick auf die abzuwehrenden Beeinträchtigungen auf "Risiken, die als solche erkannt sind" abstellt; denn zum einen benennt es nicht nur das Maß der Beeinträchtigung, sondern zugleich die Eintrittswahrscheinlichkeit 112 , zum anderen formuliert das Gericht den Maßstab der Eintrittswahrscheinlichkeit - im Gegensatz zum Gefahrenbegriff ("hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit"113) - als bloße Möglichkeit 114 . 108 Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 24 f. 109 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. C. III. 2.; vgl. insoweit auch die Kritik von Murswiek, S. 332 ff. 110 So auch Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 12; Hansen-Dix, S. 85 f; Damstädt, S. 185; Schröder, S. 113; wohl auch Reich, S. 58; s. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 221 "Gefahrenabwehr als Schadensabwendung"; Hansen-Dix, S. 21 m. w. N.; BVerwG, NIW 1975, 130, 132; PrOVGE 98, 86; 87, 301, 310; VGH B-W, VerwRspr 4, 440, 444; OVG Lüneburg, OVGE 10, 342, 343. 111 So auch Murswiek, S. 336; siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. C. 11. 1. d) und III 2

sowie Teil 3. B. I. 112 Vgl. zum Risikobegriff als Produkt aus Beeinträchtigung und Möglichkeit ihres Eintritts Breuer, NVwZ 1990, 211, 213; Ossenbühl, NVwZ 1986, 161, 163; Marburger, Schadensvorsorge S. 71; Murswiek, S. 83. 113 Vgl. nur Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 220; Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 187; Götz, S. 65; Scholler / Broß, S. 118; Scholz, VerwArch 27 (1919), I, 35; Wolf! / Bachoj, VerwR. III, § 125 III a.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

141

b) Eintritts- und Auschlußwahrscheinlichkeit Allerdings dürfte die Literatur den Hauptakzent ihrer Begründung auf die zweite Aussage des Gerichts legen, nach der erkannte Risiken "mit hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein" müssen. In der Tat enthält die Herleitung Elemente, die dem relationellen Gefahrenbegriff entsprechen l15 . Problematisch ist jedoch, daß das Gericht diese Elemente im Gegensatz zum Gefahrenbegriff nicht als Eintritts- sondern als Ausschlußwahrscheinlichkeit formuliert hat. Soweit ersichtlich, hat bislang lediglich Sellner auf diese negative Formulierung des BVerwG aufmerksam gemacht und den Versuch einer Deutung auf der Grundlage des relationellen Gefahrenbegriffes unternommen: Während es im Polizeirecht um den Nachweis einer Gefahr gehe, müsse "im technischen Sicherheitsrecht des BImSehG, in dem es um den Ausschluß von Gefahren geht, ohne Überspannung des Sicherheitsrnaßstabes das Vorliegen einer Gefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, wenn besonders schützenswerte Rechtsgüter - wie Leben und Gesundheit - schadensbedroht sind"116. Zweifelhaft ist jedoch, ob im Rahmen der Grundpflicht tatsächlich von zweierlei Prognosetatbeständen - Eintritts- und Ausschlußwahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann. Bereits vom erkenntnistheoretischen Aspekt aus erscheint die Forderung nach einer Ausschlußwahrscheinlichkeit zweifelhaft. Es kann nämlich nur der positive Eintritt eines Sachverhaltes nachgewiesen werden, nicht aber sein Ausbleiben 117 . Die Forderung, der Eintritt von Beeinträchtigungen müsse hinreichend wahrscheinlich ausgeschlossen sein, kann sich folglich nur als Kehrseite der Forderung darstellen, der Eintritt von Beeinträchtigungen dürfe nicht hinreichend wahrscheinlich sein. Wenn Sellner den Unterschied zwischen repressivem Eingreifen nach Polizei- und Ordnungsrecht und dem präventiven Instrumentarium des BImSchG herausstellt, so bedeutet dies

114 Vgl. zum Begriff Risiko als "Möglichkeit eines Nachteils bezogen auf ein bestimmtes Geschehen" Murswiek, S. 81; Breuer, NVwZ 1990, 213; Ossenbühl, NVwZ 1986, 163; Marburger, Schadensvorsorge S. 71. 115 Siehe die Ausführungen in Teil 2. C. 111. 2. a) und 3.

116 Sel/ner, in: Festgabe BVerwG, S. 36; ders., Immissionsschutzrecht, Rn. 25 " ... die Möglichkeit eines Schadens mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann"; vgl. auch Feldhaus, BImSehG, § 5 Anrn. 3. 117 So auch Hansen-Dix, S. 174 f.; vgl. auch Rat von Sachverständigen, Umweltgutachten 1987, Tz. 1677.

142

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

materiell 1l8 keinen Unterschied: In beiden Fällen kann es nur um den positiven Nachweis einer Gefahr gehen; gelingt dieser, kann bzw. muß die Behörde eingreifen, die beantragte Genehmigung ist zu versagen; gelingt dieser Nachweis nicht, darf die Behörde nicht einschreiten, die beantragte Genehmigung ist zu erteilen 119 .

Im Genehmigungsverfahren ist daher eine Prognose stets nur im Hinblick auf die Eintrittswahrscheinlichkeit erforderlich 120. Auch wenn zur Gewährleistung der Sicherheit der Anlage im Wege von Nebenbestimmungen Sicherheitseinrichtungen gefordert werden, bestimmt sich deren Erforderlichkeit nicht nach der konkret zu erreichenden Ausschlußwahrscheinlichkeit im Hinblick auf prognostizierte Schadensmöglichkeiten, sondern danach, ob und inwieweit durch die Sicherheitseinrichtung die Möglichkeit einer Schadensverursachung unter das Maß der tolerierten Eintrittswahrscheinlichkeit gebracht wird. c) Strenge des Sicherheitsmaßstabes bei negativer Formulierung des Tatbestandes Die negative Formulierung "nicht hervorrufen können" könnte jedoch auf eine besondere Strenge des gesetzlichen Tatbestandes in dem Sinne schließen lassen, daß an das Vorliegen der erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit erleichterte Anforderungen gestellt werden. So hat das BVerwG im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 34 Abs. 2 WHG121 aus der Negativformulierung des Tatbestandes "nicht zu besorgen ist" auf eine besondere Strenge des Sicherheitsmaßstabes geschlossen. Es sei 118 SeUner vemengt insoweit die Grundpflicht mit dem präventiven Instrumentarium. Dies ist im Ansatz schon deshalb bedenklich, weil es allein um die Interpretation der Grundpflicht geht, die gerade ohne Rückgriff auf die verfahrensrechtlichen Instrumentarien auszulegen ist, zumal zur Sicherung der Pflicht ~owohl präventive (§ 6 BImSchG) aber auch represssive (§ 17 BImSchG) Instrumente angewandt werden können; vgl. hierzu Teil 1. A. I. 2.; zur Parallelproblematik der Kausalitätsfeststellung bei repressiven und präventiven Instrumenten siehe die Ausführungen in Teil 1. B. 11. 2. 119 Da der Genehmigungsvorbehalt nach §§ 4, 6 BImSchG anerkanntermaßen als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt anzusehen ist, obliegt der Behörde die materielle Beweislast für den Nachweis, daß von der Anlage schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen; vgl. Maurer, Allg. VerwR., § 9 Rn. 51; Peschau, Schriften zum Öffentlichen Recht 443, 108 ff.; wohl auch Hansen-Dix, S. 92 ff.; a. A. Gusy, JA 181, 80. 120 Wenn SeUner, in: Festgabe BVerwG, S. 37, konstatiert, "Entscheidungen des BVerwG zu dieser - zweiten - Dimension des Gefahrenbegriffs im technischen Sicherheitsrecht stehen noch aus", so vermag dies nicht zu verwundern. 121 Der wasserrechtliche Besorgnisgrundsatz verlangt, daß bei der Lagerung oder Ablagerung von Stoffen "eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften· nicht zu besorgen sein darf"; vgl. dazu auch Staupe, UPR 1988,41.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

143

"etwas anderes, ob bestimmte Verhaltensweisen für unzulässig erklärt werden, wenn gewisse negative Auswirkungen zu besorgen sind, oder ob sie nur für den Fall erlaubt werden, daß jene Auswirkungen nicht besorgt zu werden brauchen". Während im ersten Fall jene Auswirkungen entsprechend der Terminologie des Polizei- und Ordnungsrechts "hinreichend wahrscheinlich" sein müßten, müssen sie im anderen Fall "unwahrscheinlich" sein l22 . Das Tatbestandsmerkmal "nicht zu besorgen" erfordere nicht, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Gewässerverunreinigung bestehen muß, sondern, "daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit geradezu ausgeräumt" sein müsse. Das Tatbestandsmerkmal sei daher so zu deuten, "daß keine auch noch so wenig naheliegende Wahrscheinlichkeit besteht, was darauf hinausläuft, es müsse nach menschlicher Erfahrung unwahrscheinlich sein" 123. Hansen-Dix hat diese Rechtsprechung im wesentlichen mit der These kritisiert, das BVerwG gehe irrtümlich von unterschiedlichen Sicherheitsstandards aus, wenn es den Terminus "hinreichend wahrscheinlich" nicht als spiegelbildliche Kehrseite von "unwahrscheinlich" deute: Ob man einen Grad nicht mehr hinreichender Wahrscheinlichkeit als wenig(er) wahrscheinlich, oder, wie das BVerwG, als unwahrscheinlich bezeichne, sei ohne Bedeutung. Die Unterscheidung resultiere nur aus der unterschiedlichen - repressiven oder präventiven - Perspektive des Betrachters, sei aber materiell ohne Bedeutung 124. So zutreffend diese Ausführungen in ihrer Allgemeinheit und auch bezogen auf den Sicherheitsstandard des BImSchG sein mögen, in ihrer Kritik am BVerwG gehen sie fehl, denn das Gericht hat sich mit den aus den Tatbestandsformulierungen resultierenden unterschiedlichen Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit ausdrücklich auseinandergesetzt l25 . So ist es denktheoretisch durchaus nicht selbstverständlich, die Begriffe "wahrscheinlich" ur..d "unwahrscheinlich" mit Hansen-Dix als komplementäre Größen zu interpretieren. Der Begriff "hinreichend wahrscheinlich" läßt den Schadenseintritt bis zu einer annähernden Sicherheit zu, der Begriff "hinreichend unwahrscheinlich" schließt den Schaden bis zu einer annähern122 BVerwG, NJW 1970, 1890, 1892; vgl. auch BVerwG, DVBI. 1966, 496, 497; ZfW 1981,87; dazu Hansen-Dix, S. 93. 123 BVerwG, NJW 1970, 1892; vgl. auch BVerwG, ZfW 1981, 87: Eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers ist immer dann zu besorgen, "wenn die Möglichkeit eines entsprechenden Schadenseintritts nach den gegebenen Umständen und im Rahmen einer auf konkreten Feststellungen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist". 124 Hansen-Dix, S. 94.

125 Vgl. BVerwG, DVBI. 1966,497; NJW 1970, 1892 mit Hinweis auf den Meinungsstand in der Literatur.

144

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

den Sicherheit aus; die mit der Begrifflichkeit definierte Eintrittswahrscheinlichkeit muß nicht logisch zwingend identisch sein, eine Zwischenzone der Unsicherheit bleibt denkbar. Vielmehr dürfte die Rechtsprechung in der Unterschätzung des dem relationellen Gefahrenbegriff zugrundeliegenden Maßstabes der "hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit" begründet sein: Sinn und Zweck des erhöhten Sicherheitsstandards ist nach Auffassung des BVerwG die Gewährleistung eines effektiven Schutzes des stark gefährdeten Wasserhaushaltes vor möglichen Gefährdungen, also die Bedeutung und Empfindlichkeit des Schutzgutes Grundwasser. Bezogen auf ein derartig bedeutendes Schutzgut wären die vom BVerwG formulierten Anforderungen aber auch nach dem Maßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit gerechtfertigt: Je bedeutender das Schutzgut, desto geringer sind die an die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens zu stellenden Anforderungen 126. Sinn der negativen Tatbestandsformulierung dürfte daher sein, für die spezialgesetzlich geschützte Materie Grundwasserschutz deklaratorisch einen besonders hohen Sicherheits standard (geringe Eintrittswahrscheinlichkeit) zu formulieren, die sich bei zutreffender Interpretation jedoch bereits aus dem Standard der "hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit" ergeben würde. Im Ergebnis folgt aus der negativen Formulierung "nicht hervorrufen können" keine erleichterte Anforderung an das Vorliegen einer Eintrittswahrscheinlichkeit der Verursachungsbeziehung im Sinne eines verschärften Sicherheitsmaßstabes . d) Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Störfällen Die mit der Begrifflichkeit des "Voerde - Urteils" verbundenen Auslegungsprobleme sind im Bereich der Störfallsicherheit, der materiell ebenfalls aus der Grundpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG herzuleiten ist und insoweit keine Besonderheiten gegenüber der Auslegung des Normalbetriebsrisikos beinhaltet 127 , vermieden worden.

126 Vgl. nur Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 223 f. m. w. N.; Friauj, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 202; Götz, S. 57; Wolff / Bachof, VerwR. III, § 125; Erichsen, VVDStrL 35 (1977), 186; Hansen-Dix, S. 209, 86 ff.; BVerfGE 49, 89, 138; BVerwGE 45,51, 61; 47, 31, 40; Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 22; ders., DVBI. 1983, 725, 728; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 3 Rn. 9; Martens, DVBI. 1981, 597; Breuer, DVBI. 1978, 829, 833; siehe dazu auch die Ausführungen in Teil 2. C. III. 3. a). 127 Umstritten ist lediglich, ob es um den Bereich des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen (so insbesondere Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 7 m. w. N.) oder vor sonstigen Gefahren geht (so Feldhaus, WiVerw 1981, 191); dieser Streit läßt zwar die Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit im Rahmen der Schutzpflicht unberührt, ist aber im

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

145

So hat das OVG Lüneburg ausgeführt: " Wenn nach § 5 Nr. 1 i. V. m. § 6 Nr. 1 BlmSchG sichergestellt sein muß, daß keine Gefahren für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft eintreten, so erfordert dies eine Abschätzung der mit dem Betrieb der Anlage verbundenen Risiken einmal nach der Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Störfällen und sonstigen Schadensereignissen, zum anderen nach dem Ausmaß der möglichen Schädigung Dritter" 128 Von einer Ausschlußwahrscheinlichkeit wird daher im Bereich der Störfallsicherheit nicht ausgegangen. Dies bestätigen nicht nur Rechtsprechung und Literatur, die sich mit der Frage des Störfallschutzes im Anwendungsbereich des BlmSchG vor Inkrafttreten der 12. BlmSchV befaßt und die notwendige Störfallsicherheit vor dem Hintergrund des Gefahrenbegriffes unter dem Aspekt des erforderlichen Grades der Eintrittswahrscheinlichkeit diskutiert hatten l29 . Auch die 12. BlmSchV selbst legt in den zentralen Vorschriften der §§ 2 und 3 den Gefahrenbegriff und damit die Frage nach der Eintrittswahrscheinlichkeit zugrunde l30 . So ist davon auszugehen, daß in § 3 Abs. 1 der 12. BlmSchV für Gefahren, die durch Störfälle hervorgerufen werden, ein mit dem "Voerde-Urteil" identisches Maß an Gefahrenabwehr gefordert wird. Nach dem relationellen Gefahrenbegriff müsse die Eintrittswahrscheinlichkeit um so geringer sein, je schwerwiegender die Schadensfolgen sind 131.

Hinblick auf die Vorsorgepflicht gegenüber Störfällen relevant; vgl. dazu Breuer NVwZ 1990, 211 ff. 128 OVG Lüneburg, GewA 1975, 303, 305; vgl. dazu auch die irreführende Interpretation von Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 26 und Thieme, NJW 1976, 705, 706, die auch angesichts dieser Definition von einer Forderung nach dem Ausschluß von Schadensereignissen ausgehen. 129 Vgl. dazu Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 26; Rehbinder, BB 1976, I ff.; Breuer, NJW 1977,1025,1028; OVGLüneburg, GewA 1975, 303; DVBI. 1977,347. 130 Vgl. hierzu insbesondere Schäfer, StörfallVO, § 2 Rn. 22; die Formulierung des § 3 Abs. 2 12. BImSchV, nach der solche Gefahrenquellen aus der Risikoanalyse ausgeblendet werden können, die "vemünftigerweise ausgeschlossen werden können" steht dieser Betrachtungsweise nicht entgegen, denn es handelt sich um solche Ursachen mit äußerst geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, weil deren Eintritt entweder natur- oder denkgesetzlich unmöglich ist, oder sich jeder Berechenbarkeit entzieht; vgl. Schäfer, StörfallVO, § 3 Rn. 27, 28 mit Hinweis auf BVerfGE 49, 90; Breuer, DVBI. 1978, 829, 834. 131 So ausdrücklich Schäfer, StörfallVO, § 3 Rn. 8 unter Hinweis auf BVerwG, NJW 1970, 1890; vgl. dazu neuerdings auch Breuer, NVwZ 1990, 211, 213, 218 ff. 10 Petersen

146

Teil 3. Die Schutzptlicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

3. Der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Eintritts schädlicher Umwelteinwirkungen Im Ergebnis ist daher festzustellen, daß dem Begriff "(nicht) hervorrufen können" im Hinblick auf die zu prognostizierende Eintrittswahrscheinlichkeit die Anforderung zugrundeliegt, daß von dem Betrieb der Anlage hinreichend wahrscheinlich schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen können. Daher ist zur Ermittlung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Eintritts von schädlichen Umwelteinwirkungen der bereits aus dem Polizei- und Ordnungsrecht und dem Eignungsbegriff im Rahmen der Bewertung schädlicher Umwelteinwirkungen l32 bekannte differenzierende relationelle Maßstab anzuwenden: Je bedeutender die betroffenen Schutzgüter sind und je mehr oder je intensiver die Schutzgüter betroffen werden, desto geringere Anforderungen sind an den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit zu stellen 133. Die Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit orientiert sich ausschließlich am betroffenen Schutzgut l34 . Allerdings ist die Besonderheit zu beachten, daß die anlagenbezogene Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit - im Gegensatz zum Schutz vor sonstigen Gefahren - nicht direkt an dem Schaden des zu schützenden Rechtsgutes, sondern an dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen anknüpft. Die anlagenbezogene Risikobetrachtung (Emissions- und Immissionsprognose) knüpft daher an die immssionsbezogene Risikobetrachtung (Wirkungsprognose) an und wird - im Vergleich zum Schutz vor sonstigen Gefahren - partiell durch diese ersetzt. Zu prüfen ist damit, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Betrieb einer Anlage die (schädlichen) Immissionen hervorrufen wird l35 . Bei der Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit ist das Ausmaß der schädlichen Umwelteinwirkungen zu berücksichtigen, das sich wiederum nach dem durch die Immissionen bedrohten Schutzgut, dem Schadensausmaß und der Eintrittswahrscheinlichkeit der immissionsbedingten Schädigung bestimmt. Im Hinblick auf den relationellen Maßstab der anlagenbezoge~en Eintrittswahrscheinlichkeit gilt: Je schädlicher die Umwelteinwirkung ist (Wirkungsprognose), desto geringere Anforderungen sind an die

132 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. C. 111. 3. a). 133 Vgl. nur Drews / Wacke / Vogel / Marrens, S. 223 f. m. w. N.; Friauf, in: von Münch, Bes. VerwR., S. 202; Götz, S. 57; Wolf! / Bachof, VerwR. 111, § 125; Erichsen, VVDStRL 35 (1977), 186; Ransen-Dix, S. 209, 86 ff.; BVerfGE 49, 89, 138; BVerwGE 45,51, 61; 47, 31, 40; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 22; ders., DVBI. 1983, 725, 728; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 9; Marrens, DVBI. 1981,597; Breuer, DVBI. 1978,829,833. 134 Vgl. dazu bereits die Ausführungen zur Wirkungsprognose in Teil 2. C. 111. 3. b). 135 So auch Markou, S. 73.

c.

Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

147

Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts (d. h. der Immission) zu stellen (Emissionsund Immissionsprognose). Demgegenüber sind die Belange des Anlagenbetreibers und die der Allgemeinheit bei der Bestimmung der erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit nicht zu berücksichtigen. Zwar knüpft die Eintrittswahrscheinlichkeit der Emissions- und Immissionsprognose an den Betrieb der Anlage an, so daß - im Gegensatz zur Bestimmung der immissionsbezogenen Eintrittswahrscheinlichkeit (Wirkungsprognose) im Rahmen des Begriffes der schädlichen Umwelteinwirkungen - normsystematische Bedenken der Berücksichtigung dieser Belange insoweit nicht entgegenstünden. Da sich die prognostische Bestimmung der von der Anlage ausgehenden Emissionen und Immissionen praktisch als ein "anlagenbezogener" Risikoerkenntnistatbestand darstellt 136 , ist die Berücksichtigung von Eingriffsgütern im Rahmen der anlagenbezogenen Risikozurechnung jedoch aus den gleichen prinzipiellen inhaltlichen und dogmatischen Gründen, die im Rahmen der Untersuchung des Begriffes schädliche Umwelteinwirkungen bereits ausführlich erörtert worden sind 137, abzulehnen. Wie im Polizei- und Ordnungsrecht genügt die bloße oder theoretische Möglichkeit von Geschehensabläufen nicht, um die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu begründen l38 . Die Wahrscheinlichkeit derartiger Geschehensabläufe wird vor allem im Bereich der Störfallsicherheit mit der Frage diskutiert, ob äußere Störfälle, z. B. durch Feuerund Explosionsgefahren benachbarter Anlagen, Flugzeugabstürze, Erdbeben, Hochwasser und andere Naturkatastrophen sowie Eingriffe Unbefugter und Kriegseinwirkungen als relevante Schadensursachen anzusehen sind 139. Mit der Regelung des § 3 Abs. 2 der 12. BImSchV sind derartige Gefahrenquellen in die Betrachtung einbezogen worden, soweit sie nicht als Störfallursachen vernünftigerweise ausgeschlossen werden können 140 . 136 Danach wäre der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen als "wirkungsbezogener" Risikoerkenntnistatbestand zu bezeichnen; für den Bereich der "sonstigen Gefahren" kann eine derartige Differenzierung nicht vorgenommen werden, da hier die Risikoerkenntnis ausschließlich anlagenbezogen ermittelt wird; vgl. dazu oben Teil 3. B. 11. 137 Siehe dazu Teil 2. C. III. 3. c) aa) und bb). 138 Drews ! Wacke! Vogel! Martens, S. 225; Wolf!! Bachoj, VerwR. III, § 125 b; HansenDu, S. 44; Martens, DVBI. 1981,597,599 j. m. w. N. 139 Vgl. dazu Schröder, S. 124 f.; Martens, DVBI. 1981, 597, 599; Rehbinder, BB 1976, I ff.; Breuer, NIW 1977, 1025, 1028; Thieme, NIW 1976, 705 f.; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 26; Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 8 m. w. N. 140 Diese Grenze reflektiert Kausalverläufe, die nicht mehr vom Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfaßt werden, weil deren Eintritt entweder natur- oder denkgesetzlich unmöglich ist, oder sich jeder Berechenbarkeit entzieht; vgl. Schäfer, StörfallVO, § 3 Rn. 27, 28 mit Hinweis auf BVerfGE 49,90; Breuer, DVBI. 1978,829,834; Schröder, S. 124 f.

148

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

4. Der Gefahrenverdacht Es ist umstritten ob der Gefahrenverdacht unter die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG fällt l41 . Ein Teil der Rechtsprechung und die wohl herrschende Meinung in der Literatur folgert aus der Genehmigungsvoraussetzung, nach der eine Genehmigung nur erteilt werden darf, wenn "sichergestellt" ist, daß von der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden können, daß die Schutzpflicht als Gefahrenabwehrklausel den Gefahrenverdacht mitumfaßt. Im Falle des Gefahrenverdachts könne die "SichersteIlung" der Grundpflichtenerfüllung nicht nachgewiesen werden l42 . Demgegenüber geht ein Teil der Literatur 143 und die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit dem sogenannten "HeidelbergUrteil" 144 davon aus, daß der Gefahrenverdacht nicht der Schutzpflicht, sondern der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG unterfalle. So betont das BVerwG, daß Vorsorge jedenfalls dann geboten sei, wenn hinreichende Gründe für die Annahme sprechen, daß Immissionen "möglicherweise" zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen und damit wenn sich entsprechende Ursachenzusammenhänge im einzelnen noch nicht eindeutig feststellen lassen - ein "Gefahrenverdacht" besteht 145 . Ein Gefahrenverdacht liegt also vor, wenn lediglich mit der theoretischen Möglichkeit eines Schadens zu rechnen ist, die nach den Anforderungen des Gefahrenbegriffs im Hinblick auf die hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit noch nicht als Gefahr bewertet werden kann. 141 Vgl. dazu die Ausführungen zum Gefährlichkeitsverdacht im Rahmen der Wirkungsprognose der schädlichen Umwelteinwirkungen Teil 2. C. III 4.; im vorliegenden Fall geht es um die Prognose im Rahmen des Risikozurechnungstatbestandes (Emissions- und Immissionsprognose), vgl. dazu Teil 1. B. II. 1. und 3.; vgl. in diesem Sinne auch die von Breuer für den Bereich der Altlastenproblematik vorgenommene Differenzierung zwischen "Gefahren- und Verursachungsverdacht" (Breuer, in Gedächtnisschrift für Martens, S. 317, 341 f.). Während die erste Verdachtsform sich auf die Gefahrenlage (Risikoerkenntnis) bezieht, betrifft die zweite Konstellation den Verdacht über die Person des Verursachers (Risikozurechnung); eingehend dazu auch HojJmann-Riem, in: Festschrift für Wacke, S. 332, 338 ff. 142 Vgl. etwa OVG NRW, DVBI. 1976, 790, 796; Hansen-Dix, S. 177 ff.; Schmatz I Nöthlichs I Weber, Immissionsschutz, § 5 Anm. 4.1.4.; Stich I Porger, BImSchG, § 6 Rn. 8; Schwerdtfeger, WiVerw 1984, 217, 218; von HoUeben, GewA 1977, 45, 46; Roth-Stielow, DÖV 1979, 167 f.; vgl. ferner die Argumentation von Breuer, DVBI. 1986,849, 856; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 24; Kloepjer I Kröger, NuR 1990, 8, 12. 143 So bereits Papier, DVBI. 1979, 162; Rengeling, DVBI. 1982, 622, 626; Ossenbühl, NVwZ 1986, 161, 163; SeUner, Immissionsschutzrecht, Rn. 24; neuerdings Trute, S. 18. 144 BVerwGE 69, 37, 43.

145 BVerwGE 69, 37, 43; vgl. auch die gleiche Diktion zur atomrechtlichen Schadensvorsorge nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG in BVerwGE 72, 300, 315; vgl. dazu Rengeling, DVBI. 1986,265,267; SeUner, NVwZ 1986,616,617 f.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

149

Zur Begründung stützt sich diese Ansicht auf unterschiedliche Erwägungen l46 . Einerseits sei die Schutzpflicht nicht dahin zu interpretieren, daß jedes nur denkbare Risiko ausgeschlossen sein muß; mit der Formulierung der Grundpflichten und des Genehmigungstatbestandes sei keine Verschärfung der bisherigen Rechtslage intendiert worden, die Übernahme des allgemeinen Gefahrenbegriffs führe vielmehr zum Ausschluß des Gefahrenverdachts l47 . Andererseits stelle die Vorsorgepflicht quasi eine Spezialregelung für den Gefahrenverdacht dar; der Gesetzgeber habe die Unsicherheit des Wissens und das Versagen des Gefahrenabwehrgrundsatzes gerade zum Anlaß für die Einführung der Vorsorgepflicht genommen 148. In der Sache vermag keines der Argumente zu überzeugen. Soweit von den Befürwortern der Einbeziehung des Gefahrenverdachts in die Schutzpflicht auf die Genehmigungsvorschrift des § 6 BImSchG ("sichergestellt") abgestellt wird, erscheint dies normsystematisch zweifelhaft, denn die Frage nach der Behandlung des Gefahrenverdachts ist eine Frage der von der Grundpflicht vorgegebenen Prognosesicherheit, nicht aber eine Frage des jeweils in Bezug genommenen verfahrensrechtlichen Instrumentariums 149 . Im Ergebnis beruht dieses Argument, wie auch die Gegenauffassung auf einer Unterschätzung des Gefahrenbegriffs. Zwar betrifft die vorliegende Diskussion um den Gefahrenverdacht nicht eigentlich den Bereich der Gefahrenbeurteilung des Risikoerkenntnistatbestandes 150, sondern vielmehr die Emissions- und Immissionsprognose des Risikozurechnungstatbestandes. Da jedoch der Maßstab der Prognose dem vom Gefahrenbegriff bekannten Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit folgt 151 und sich für die Prognosen im Rahmen des Risikozurechnungstatbestandes identische Probleme im Hinblick auf die Bewältigung der Prognoseunsicherheit aufgrund unsicherer tatsächlicher oder naturwissenschaftlich-technischer Beurteilungsgrundlagen stellen, sind die Erkenntnisse über den Gefahrenverdacht des

146 Vgl. dazu im einzelnen Papier, OVBI. 1979, 162; Rengeling, OVBI. 1982, 622, 626; Ossenbühl, NVwZ 1986, 161, 163; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 24; neuerdings Trute,

S. 18. 147 So insbesondere Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 24. 148 Trute, S. 18 unter Hinweis auf BT-Ors. 7 I 179, S. 21 ff. 149 Vgl. zur Frage der Verschärfung des Sicherheitsstandards durch Ausgliederung der Grundpflichten aus einem einheitlichen Genehmigungstatbestand Murswiek, S. 392; Hansen-Dix, S.95. 150 Siehe dazu den Begriff schädliche Umwelteinwirkungen; vgl. Teil 1. B. I. 151 Bei der Emissions- und Immissionsprognose handelt es sich - in Abgrenzung zum Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen - praktisch um eine "anlagenbezogene Risikoerkenntnis"; siehe bereits Teil 1. B. H. 3.

150

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

Polizei- und Ordnungsrechts 152 bzw. den Gefährlichkeitsverdacht im Rahmen der Wirkungsprognose auf Risikoerkenntnisebene 153 entsprechend anzuwenden 154. Danach unterfällt der Gefahrenverdacht jedenfalls dann der Schutzpflicht, wenn die Bewertung tatsächlich vorhandener, genügend gewichtiger Anhaltspunkte ergibt, daß aufgrund der konkreten Sachlage - unter Berücksichtigung von zu schützendem Rechtsgut und befürchtetem Schadensausmaß - von der Anlage schädliche Umwelteinwirkungen hinreichend wahrscheinlich ausgehen 155. Wollte man den "hinreichenden" Gefahrenverdacht ausschließlich dem Anwendungsbereich der Vorsorgepflicht unterfallen lassen, so würde die Schutzpflicht einen gewichtigen Teil ihres Steuerungsbereiches verlieren. Dies stünde nicht nur im Gegensatz zum allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht 156, sondern wäre auch im Hinblick auf den fehlenden Drittschutz der Vorsorgepflicht 157 problematisch.

5. Der Prognosevorgang bei der Ermittlung der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit Die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit von schädlichen Umwelteinwirkungen setzt die Prognose eines zukünftigen Geschehensablaufes voraus l58 . a) Der Prognosevorgang beim Normalbetrieb der Anlage Grundlage ist zunächst die Emissionsprognose, nämlich die Ermittlung der vom Betrieb der Anlage (künftig) ausgehenden Emissionen. Die Emissionsprognose erfolgt auf der Basis der größten Kapazität der Anlage und hat die aus den Genehmigungsunterlagen ersichtlichen baulichen und 152 Für eine Einbeziehung des Gefahrenverdachts in den Gefahrenbegriff vgl. nur Damstädt, S. 96; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 226; Murswiek, S. 389; Hansen-Dix, S. 66; Trute, S. 17; neuerdings Di Fabio, DÖV 1991, 629, 632 f.; im Ergebnis auch: BVerwGE 12, 87, 93; 39, 190, 193 f.; 45, 51, 57 ff.; 49, 36, 41 f. 153 Für eine Einbeziehung des Gefahrlichkeitsverdachts in den Begriff der Schädlichkeit Murswiek, S. 382 f.; Hansen-Dix, S. 173 m. w. N. 154 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. C. III. 4. 155 Zur Frage des Verhältnisses zwischen Vorsorgepflicht und Gefahrenverdacht siehe die Ausführungen in Teil 4. B. 11. 2. 156 Vgl. Damstädt, S. 96; Drews / Wacke / Vogel / Martells, S.226; Murswiek, S. 389; Hallsen-Dix, S. 66; Trute, S. 17. 157 Siehe dazu im einzelnen Teil 4. I. 158 Martells, DVBI. 1981,597,599; Rid, S. 64.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

151

technischen Einrichtungen sowie die geplanten Arbeitsverfahren zugrundezulegen 159.

Im Rahmen der anschließenden Immissionsprognose erfolgt eine Prüfung über die gegenwärtigen Immissionsverhältnisse (Vorbelastung) und über die insgesamt im Einwirkungsbereich der Anlage zu erwartende Immissionsbelastung. Bei der Ermittlung der künftigen Immissionsverhältnisse sind alle erheblichen Umstände zu berücksichtigen, und zwar sowohl (im Wege der "Addition") die hinzukommenden Immissionen, als auch (im Wege der "Subtraktion") jene Umstände, die geeignet sind, die bisherigen Immissionsverhältnisse zu verbessem l60 . Das Verfahren der Addition greift im Bereich der Geräuschimmissionen derzeit nicht, da die geltende TA Lärm - ohne Berücksichtigung der in § 3 Abs. 2 BImSchG niedergelegten Prinzipien der Quellenunabhängigkeit und Mitverursachung - lediglich von einem anlagebezogenen Immissionsbegriff ausgeht l61 . Auf der Grundlage der Emissions- und Immissionsprognose ist im Rahmen der Wirkungsprognose die schädliche Wirkung der Immissionsbelastung für die Schutzgüter zu bestimmen. Die Wirkungsprognose gibt Auskunft darüber, welche Auswirkungen auf die betroffenen Schutzgüter mit welcher Wahrscheinlichkeit von den prognostizierten Immissionen im Einwirkungsbereich der Anlage zu erwarten sind 162. Diese Prognose ist normsystematisch Gegenstand der Schädlichkeitsbewertung der Immissionen nach § 3 Abs. 1 BImSchG. Die für die abstrakte Schädlichkeitsbewertung (Art, Ausmaß und Dauer der Einwirkung 163) erforderlichen Tatsachengrundlagen müssen anband der konkreten Umstände des Einzelfalles (z. B. Betriebszeit der Anlage, Situation im Einwirkungsbereich der Anlage) ermittelt werden. Für die Bestimmung der Schädigungswahrscheinlichkeit genügt es, wenn die Immissionen unter den konkreten Rahmenbedingungen typischerweise zu negativen Effekten führen. Es bedarf nicht des Nachweises einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter, bereits die Überschreitung von 159 Vgl. Hansen-Dix, S. 99 m. w. N.; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 30 ff. 160 Siehe hierzu Nm. 2.6.1.1, 2.6.1.2, 2.6.2 (Vorbelastung), 2.6.4 (Zusatzbelastung), 2.6.5 (Gesamtbelastung) der TA Luft; vgl. auch BVerwGE 55, 250, 265; im einzelnen Hansen-Dix, S. 99 ff.; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 30 ff., 34; zur Immissionsbewertung ausführlich Vallendar, GewA 1981,281; zur "funktionalen Einheit" zwischen Immissionswerten und Meßverfahren OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357, 358; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 48; Vallendar, GewA 1981,282. 161 Vgl. dazu Nr. 2.12, 2.213 der TA Lärm; siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. B. III. 3. 162 Hansen-Dix, S. 102, die den Terminus "Schadensprognose" gebraucht. 163 Vgl. § 3 Abs. 1 BImSchG.

152

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. I Nr. I BImSchG

Immissionsgrenzwerten genügt für die Annahme der Schädlichkeit. Sind - wie etwa in der TA Lärm -bestimmte Immissionswerte nach bestimmten Gebietskategorien l64 oder Art 165 , Dauer l66 und Ausmaß I67 der Einwirkung von Geräuschimmissionen differenziert, ist die damit verbundene abstrakte Schädlichkeitsaussage durch einen Subsumtionsvorgang auf den konkreten Fall anzuwenden. Die insoweit konkreten Daten (betroffenes Gebiet, Dauer und Ausmaß der Einwirkung) ergeben sich aus der Emissions- und Immissionsprognose. b) Der Prognosevorgang im Bereich der Störfallsicherheit Der Prognosevorgangl 68 im Bereich der Störfallsicherheit entspricht in seiner logischen Folge der einzelnen Prüfungsschritte dem bei der Ermittlung des Normalbetriebsrisikos. Allerdings erweist sich die Emissionsprognose als wesentlich komplizierter, weil der Eintritt von störfallbedingten Emissionen im Gegensatz zu den normalbetriebsbedingten ungewiß ist 169. So setzt die störfallbezogene Emissionsprognose auch ein Urteil darüber voraus, mit welcher Wahrscheinlichkeit bestimmte Störfälle eintreten werden und welche Auswirkungen jeweils ein bestimmter Störfall auf den Betrieb der Anlage haben wird l70 . Die Betrachtungen setzen daher nicht erst beim Betrieb der Anlage an, sondern gehen bereits von vorverlagerten Geschehensabläufen durch umgebungsbedingte Gefahrenquellen aus, die ihrerseits auf die Anlage einwirken können 171 . Die Immissions- und Wirkungsprognose entsprechen im wesentlichen der des Normalbetriebes. Eine gleichermaßen verläßliche Prognose ist aber nicht möglich, da bereits die Emissionsprognose im Hinblick auf Art, Ausmaß,

164 Nr. 2.321 TA Lärm. 165 Nr. 2.422.2, 2.422.3 TA Lärm. 166 Nr. 2.321, 2.422.5 TA Lärm. 167 Nr. 2.422.5, 2.422.6 TA Lärm. 168 Vgl. zur Risikobewertung Breuer, NVwZ 1990,211,218 ff.; zu den Anforderungen der Sicherheitsat)alyse nach § 7 der 12. BImSchV vgl. Schäfer, WiVerw 1981,208,210 ff.; ders., UPR 1983, 248. 169 Vgl. dazu Murswiek, S. 189 f. 170 Hansen-Dix, S. 102. 171 Siehe dazu § 3 Abs. 2 12. BImSchV; Hansmann, DVBI. 1981, 898, 899 f.; Schröder, S. 124 f.; Martens, DVBI. 1981, 597, 599; Rehbinder, BB 1976, I ff.; Breuer, NJW 1977, 1025, 1028; Thieme, NJW 1976, 705 f.; Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 26; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 8 m. w. N. sowie die Ausführungen zu Teil 3. C. I. 2. c).

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

153

Dauer und Ort der Emission auf einer unsicheren Tatsachengrundlage steht l72 . Die Beurteilung des Störfallrisikos erfolgt durch eine Kombination aus deterministischer und probabilistischer Risikobeurteilung l73 . Die deterministische Vorgehensweise definiert dabei Störfallsituationen und postuliert entsprechende Schutzvorkehrungen unabhängig von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens . Im Rahmen der probabilistischen Vorgehensweise wird dieses Konzept ergänzt, indem die Wahrscheinlichkeit bestimmter Störfallereignisse mathematisch berechnet wird. Im Ergebnis entsteht mit Hilfe von Ereignisablaufdiagrammen und sogenannten Fehlerbäumen eine Risikoanalyse, aus der sich quantitative Angaben über die Eintrittswahrscheinlichkeit der denkbaren Schadensereignisse ergeben l74 . Probabilistische Methoden und quantitative Risikoanalysen haben für die Beurteilung des Störfallrisikos allerdings nur eine Hilfsfunktion 175, den Maßstab für die Gefahrenbeurteilung können sie nicht bilden. Ob die ermittelten Eintrittswahrscheinlichkeiten sich im Sinne der Schutzpflicht als hinreichend wahrscheinlich darstellen, ist allein durch rechtliche Dezision zu beantworten 176.

6. Räumlicher und zeitlicher Aspekt der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit Der Maßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit von schädlichen Umwelteinwirkungen bestimmt sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht die Emissions- und Immissionsprognose. 172 So auch Hansen-Dix, S. 102. 173 Vgl. dazu Breuer, NVwZ 1990, 211, 215 ff.; zu den deterministischen und probabilistischen Methoden der Risikobestimmung vgl. Mathiak / Schütz in: Lukes, Gefahrenbeurteilungen 11, S. 15 ff; Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen 11, S. 71, 186 f., 197 ff.; Breuer, WiVerw 1981,219, 226 f.; Feldmnann, ET 1983, 385, 388 f.; Rengeling, Probabilistische Methoden, S. 16 ff.; Roßnagel, UPR 1982, 46, 51 ff.; zu den Grenzen siehe Bender, NJW 1979, 1425, 1427; Reich, S. 93 f.; Ladeur, UPR 1986, 361, 365; Kramer, NJW 1979, 1425, 1429. 174 Vgl. hierzu ausführlich Breuer, NVwZ 1990, 211, 217 m. w. N. 175 Ausführlich Lukes, BB 1978,317,320; Breuer, NVwZ 1990, 211, 214; Hansen-Dix, S. 158 m. w. N. 176 Vgl. dazu Hansen-Dix, S. 157 ff.; Lukes, BB 1978, 317, 321; Wagner, NJW 1980, 665, 671; Breuer, DVBI. 1978, 829, 835; ders., NVwZ 1990, 211, 214; ob der von Breuer gebrauchte Standard der praktischen Vernunft für die wertende Dezision eine bessere Grenzziehung als der Gefahrenbegriff selbst erlaubt, erscheint fraglich; kritisch insbesondere Hansen-Dix, S. 168 ff. mit Hinweis auf die Tatsache, daß für die Konkretisierung dieses abstrakten Standards auf die gleiche relative Eintrittswahrscheinlichkeit zurückgegriffen werden muß, wie für den Gefahrenbegriff selbst; vgl. auch das Modell von Bender, NJW 1979, 1425 (Risiken "mit" und "ohne Gefahrenqualität").

154

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

a) Räumlicher Aspekt Wie bereits das BVerwG im "Voerde-Urteil" festgestellt hat, hängt die Erfüllung der Schutzpflicht maßgeblich von den Immissionsverhältnissen im Einwirkungsbereich 177 der Anlage ab. Der Begriff des Einwirkungsbereiches wird im BImSchG lediglich in § 26 genannt, im Zusammenhang mit den Grundpflichten findet er keine Erwähnung 178 . Nach wohl unbestrittener Auffassung wird mit diesem Begriff die Umgebung einer Anlage bezeichnet, in der die von der Anlage ausgehenden Immissionen bei Normalbetrieb oder bei Störfällen noch in nennenswertem Umfang feststellbar sind l79 . Dabei soll der Umfang dann nennenswert sein, wenn der Verdacht der Schädlichkeit der Immissionen nach § 3 Abs. 1 BImSchG nicht ausgeschlossen werden kann; unerheblich ist, ob die Immissionen tatsächlich zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen. Die Immissionen müssen nicht ständig feststellbar sein, es genügt wenn sie von Zeit zu Zeit nachweisbar sind. Besonders ungewöhnliche Windverhältnisse sind nicht zu berücksichtigen 180 . Die etwas unklaren Äußerungen der Literatur bedürfen der Erläuterung. Der Begriff "Einwirkungsbereich" soll den Bereich kennzeichnen, in welchem die Immissionsbelastung noch der Anlage zugerechnet werden kann. Dabei läßt sich die Zurechnung zwar als räumliche Kategorie ausdrücken, hergeleitet werden kann sie jedoch nur aufgrund einer Prognose l81 . So ist im Ansatz davon auszugehen, daß sich die räumliche Ausbreitung einer Immission nicht allein aufgrund einer reinen Verursachungsbetrachtung feststellen läßt. Dies wäre im präventiven Genehmigungsverfahren auch nicht möglich, da die Anlage noch nicht betrieben wird l82 . Die Zurechnung der Immissionsbelastung zur Anlage ist daher nach Wahrscheinlich-

177 Dieser Bereich entspricht nicht dem Beurteilungsgebiet nach Nr. 2.6.2.2 TA Luft; vgl. nur Sel/ner, Immissionsschutzrecht, Rn. 357; OVG Lüneburg, GewA 1981, 341. 178 Vgl. die Ausführungen zum Begriff der Nachbarschaft nach § 3 Abs. 1 BlmSchG in Teil 2. C. I. 1. und 3. 179 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 57; Ule / Laubinger, BlmSchG, § 3 Anm. 5; OVG Lüneburg, GewA 1980, 206; vgl. auch Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 33, 357; BVenvGE 69, 37, 42 ff. im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Vorsorgepflicht. 180 Jarass, BlmSchG, § 3 Rn. 57 m. w. N. 181 Vgl. dazu die Prognosevorschriften in Nr. 2.6.2.2, 2.6.4 TA Luft. 182 Das Prognoseerfordernis gilt als Bestandteil der Grundptlicht auch im nachträglichen Überwachungsverfahren. Die Nr. 2.6.1.2 TA Luft verlangt allerdings hier zur Erhöhung der Prognosesicherheit die Einrichtung zusätzlicher Meßstellen im Einwirkungsbereich der Anlage.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

155

keitsgesichtspunkten ZU bestimmen l83 . Da es auch in räumlicher Hinsicht um die Eintrittswahrscheinlichkeit des Auftretens (schädlicher) Immissionen geht, ist der relationelle Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit anzuwenden: Je schädlicher die Immissionen, desto geringere Anforderungen sind - auch in räumlicher Hinsicht - an die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens zu stellen. b) Zeitlicher Aspekt Nach wohl allgemeiner Auffassung bezieht sich die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch auf das zukünftige Eintreten schädlicher Umwelteinwirkungen und erfaßt daher auch den Bereich der vorbeugenden Gefahrenabwehr l84 . Als Begründung wird auf den Wortlaut der Schutzpflicht verwiesen, nach der die Anlagen so errichtet und betrieben werden müssen, daß schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden "können". Zu dem entsprechenden Wortlaut des § 18 GewO a. F. hatte das BVerwG ausgeführt, daß die Genehmigungsbehörde "somit die Möglichkeit einer künftigen Beeinträchtigung des Publikums durch die Anlage in Betracht zu ziehen" habe und daß Immissionsschutz nach den §§ 16 ff. GewO stets auch "vorbeugender Immissionsschutz" sei l85 . Die Ausführungen der Rechtsprechung sind im Ergebnis zutreffend, fraglich ist aber, ob sie notwendig erst aus dem Wortlaut der Schutzpflicht zu folgern sind und nicht vielmehr in der Natur der Gefahrenprognosen, insbesondere solcher im Rahmen von präventiven Genehmigungsentscheidungen liegen l86 . Dem Urteil ist zu entnehmen, daß auch die Möglichkeit künftiger Beeinträchtigungen durch Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu bekämpfen ist. Dies ist zunächst aus Sicht des Genehmigungsverfahrens 183 Siehe hierzu die Ausbreitungsrechnung nach Nr. 2.6.4 und Anhang C der TA Luft; zum Rechenmodell und den Prognoseproblemen vgl. Hansmann, TA Luft, Nr. 2.6.4 Rn. 3 f.; Vallendar, GewA 1981, 281, 282 ff. 184 Vgl. nur BVerwGE 55, 250, 265; Sellner, NJW 1980, 1255, 1256; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 11; Kutscheidt, in: Salzwedel, UmweltR., S. 268; Feldhaus, OVBI. 1980, 133, 134; Hansmann, OVBI. 1981,898,902; Rehbinder, BB 1976, 1,2; Soell, ZRP 1980, 105, 106. 185 BVerwGE 28, 131, 134 f. mit dem Hinweis, die Genehmigungsbehörde müsse "gewissermaßen vorbeugend ... die möglichen Auswirkungen auf die Nachbarschaft prüfen"; ähnlich auch BVerwGE 55,250,265; vgl. ferner die Ausprägung des vorbeugenden Immissionsschutzes in Nr. 2.212 TA Lärm, in der für die Immissions- und Wirkungsprognose auf eine "voraussehbare Veränderung der baulichen Nutzung der im Einwirkungsbereich der Anlage befindlichen Grundstücke" abgestellt wird; zur Abgrenzung zwischen vorbeugender Gefahrenabwehr und Vorsorge siehe Feldhaus, OVBI. 1980, 133, 134; teilweise abweichend Rengeling, S. 56; ders.,OVBI. 1982,622,625; Schwerdtjeger, WiVerw 1984,217,231. 186 Ähnlich Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 11.

156

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

selbstverständlich, denn eine präventive Kontrolle kann sich denknotwendig nur auf künftige Beinträchtigungssituationen beziehen l87 . Die Zukunftsbezogenheit liegt aber bereits dem Wesen der .Prognose zugrunde und geht daher auch inhaltlich nicht über den zeitlichen Horizont von "gewöhnlichen" Gefahrenprognosen hinaus 188. Eine Gefahr ist bereits gegenwärtig begründet, wenn jederzeit, aber auch erst in überschaubarer Zukunft hinreichend wahrscheinlich ein Schaden eintreten kann l89 , Die zu vermeidende Beeinträchtigung liegt mithin stets erst in der Zukunft. In die Prognose sind dabei nur diejenigen relevanten Gesichtspunkte einzubeziehen, die - vom Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung aus betrachtet - mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Beeinträchtigung führen können 190, In diesem Sinne begründen auch erst zukünftig eintretende Umstände bereits gegenwärtig ein Gefahrenurteil, wenn der Eintritt der schadensbegründenden Umstände ihrerseits im Zeitpunkt des Gefahrenurteils als hinreichend wahrscheinlich erscheint l91 , Dies ist für Umstände, die 187 In diesem Zusammenhang ist problematisch, ob ein vorbeugender Gefahrenschutz nur im Rahmen der Genehmigungserteilung denkbar ist, oder auch im Rahmen einer nachträglichen Anordnung durchgesetzt werden kann. Nach der Auffassung des OVG NRW, DÖV 1984, 473, 475 geht es bei nachträglichen Anordnungen nach § 17 Abs. I S. 2 BImSchG um Maßnahmen, mit denen einer aktuellen Gefahrensituation, hervorgerufen durch (als vorhanden angenommene) schädliche Umwelteinwirkungen, begegnet werden soll. Für die Rechtmäßigkeit der Anordnung soll allein entscheidend sein, ob festgestellt werden kann, daß die Nachbarschaft nicht ausreichend vor erheblichen Belästigungen geschützt "ist". Diese Wortlautinterpretation verkennt indes, daß der vorbeugende Immissionsschutz nicht Element des Genehmigungsverfahrens ist, sondern über den Begriff "können" direkt in die Grundpflicht des § 5 Abs. I Nr. I BImSchG integriert worden ist (vgl. nur Feldhaus, DVBI. 1980, 133, 134). Darüber hinaus reflektiert der Begriff "nicht ausreichend geschützt" die Verletzung der in § 5 Abs. I Nr. I BImSchG festgelegten Schutzpflicht. Erfaßt diese aber den vorbeugenden Gefahrenschutz selbst, muß dieser auch über § 17 Abs. I S. 2 BImSchG durchgesetzt werden können. Selbst wenn man mit mit dem OVG NRW, auf das Vorliegen einer "aktuellen Gefahrensituation" - gemeint als bestehende und nicht erst drohende Überschreitung des Immissionswertes durch die Anlage abstellte, wäre der vorbeugende Gefahrenschutz jedenfalls auf der Grundlage des § 17 Abs. I S. I BImSchG zulässig, stände dann allerdings im Ermessen der Behörde. 188 Im Ergebnis wohl auch die h.M., die den vorbeugenden Immissionsschutz ausdrücklich von der Vorsorgepflicht abgrenzt, vgl. nur BVerwGE 28, 131, 134 f.; Breuer, DVBI. 1978, 829, 833; Feldhaus, DVBI. 1980, 133, 134; teilweise abweichend Rengeling, S. 56; ders., DVBI. 1982,622,625; Schwerdtjeger, WiVerw 1984, 217, 231. 189 Vgl. Trute, S. 23; Hansen-Dix, S. 101 f.; Damstädt, S. 35 ff.; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 223.; ebenso BVerwGE72, 300, 315. 190 So Jarass, BImSehG, § 5 Rn. 11; im Ergebnis wohl auch BVerwGE 55,250,265; Rinke, S. 33 ff.; Müller-Glöge, S. 43 f.; Schmatz / Nöthlichs / Weber, Immissionsschutz, § 5 Anm. 4.1.2; für das allgemeine Polizeirecht: Vollmuth, S. 131 ff.; Feldhaus, DVBI. 1980, 133, 134; Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 15; Sellner, NJW 1980, 1255, 1256; Martens, DVBI. 1981,597,602; Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen H, S. 71, 154 f. 191 So auch Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen H, S. 71, 154 f.; Stich / Porger, BImSehG, § 5 Anm. 7, 10; wohl auch Jarass, BImSehG, § 5 Rn. 11; a. A. HansenDix, S. 102; Trute, S. 23.

c.

Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

157

unmittelbar im Betrieb einer Anlage - etwa dem Emissionsverhalten begründet sind, selbstverständlich, muß aber auch für sonstige Umstände gelten, die - wie etwa das Heranrücken der Wohnbebauung . - erst die Gefährlichkeit der Anlage begründen 192.

aa) Die zeitliche Grenze der Prognose aaa) Inbetriebnahme der Anlage Trute und Hansen-Dix vertreten die Auffassung, daß nur die Verhältnisse zum Zeitpunkt der voraussichtlichen Inbetriebnahme der Anlage zu berücksichtigen sind und alle vorhersehbaren Veränderungen im Einwirkungsbereich der Anlage, die nach diesem Zeitpunkt auftreten können, aus der Betrachtung auszublenden sind 193. Konsequent bewertet Trute alle nach dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme eintretenden Umgebungsveränderungen als sogenannte latente Gefahr, die nach seiner Auffassung ex ante allein durch die Vorsorgepflicht 194 bewältigt werden kann. bbb) Betriebsdauer der Anlage Murswiek will demgegenüber die zeitliche Perspektive der Prognose an dem Zeitraum der Betriebsdauer orientieren 195. Unter Hinweis auf die Funktion der Genehmigungsentscheidung nach den §§ 4 ff. BImSchG196 begründet er dies mit der Überlegung, daß durch die Dynamisierung der Grundpflichten eine Anpassung an zukünftige Verhältnisse zwar grundsätzlich möglich sei, die Dynamisierung durch die Vorschriften der §§ 17, 21 BImSchG jedoch begrenzt werde. Diese Vorschriften würden dem Anlagenbetreiber durch die Grenze der "wirtschaftlichen Vertretbarkeit" 197 und der Entschädigungspflicht eine derart gesicherte Position vermitteln, daß nur dann im Sinne des § 6 Nr. 1 BImSchG die Erfüllung der Pflichten des § 5 192 Vgl. Feldhaus, DVBI. 1980, 134; Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, 1, 15; Sellner, NJW 1980, 1255, 1256; Manens, DVBI. 1981, 597, 602; Lukes / Feldmonn / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen II, S. 71, 154 f.

193 So aber Trute, S. 24 :"Im Ergebnis findet die Prognose ihren Zeithorizont im Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Anlage" und Hansen-Dix, S. 101 "Beschränkung auf vorhersehbare Veränderungen bis zur Inbetriebnahme". 194 Trute, S. 25; ähnlich auch Schwerdtfeger, WiVerw 1984,217,230. 195 Murswiek, S. 397.

196 Murswiek, S. 394, 392 ff. 197 Vgl. dazu nur Hoppe, Wirtschaftliche Vertretbarkeit (1977); 1homos, WiVerw 1980,244 f.; Sendler, UPR 1983, 33,44 ff.; Koch, WiVerw 1983, 188.

158

Teil 3. Die Schutzptlicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

BImSchG sichergestellt sei, wenn bei der Genehmigungserteilung die Prognose auf die zukünftigen Entwicklungen während der Betriebsdauer der Anlage erstreckt werde l98 . bb) Stellungnahme (1) Die Auslegung von Trute und Hansen-Dix widerspricht nicht nur der Schutzpflicht, die die Eintrittswahrscheinlichkeit von schädlichen Umwelteinwirkungen nicht an den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung, sondern an den Betrieb der Anlage, beginnend also mit dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme, knüpft, sondern auch dem Gefahrenbegriff selbst. Zu beurteilen ist 199, ob von dem Betrieb der Anlage hinreichend wahrscheinlich Beeinträchtigungen ausgehen können. Die insoweit für die Zukunft prognostizierten Beeinträchtigungen müssen nicht notwendig allein durch die Immission verursacht werden, sondern können auch durch eine Veränderung der Umgebung eintreten. Eine erst durch die Umgebungsveränderung verursachte Gefahr wird daher der Anlage zugerechnet, soweit mit ihr hinreichend wahrscheinlich zu rechnen ist2OO . Trute widerspricht im übrigen seiner eigenen Herleitung der latenten Gefahr, die er zutreffend als Problembereich einer ungenügenden Zurechnung deutet. So gehe es um die Wertung, daß nicht die zukünftige Umweltveränderung die allgemeine Nichtstörungsschranke überschreite, sondern die Überschreitung bereits in der Handlung des zuerst Handelnden angelegt war, und nur deshalb nicht zum Tragen kommen könne," weil noch keine bedrohten Güter vorlagen "201. "Bedrohte Güter" liegen jedoch nur dann nicht vor, wenn sie - selbst aufgrund ihrer eigenen Veränderung - nicht hinreichend wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Unter Anwendung der Schutzpflicht dürfte daher eine latente Gefahr erst dann vorliegen, wenn die Umgebungsveränderungen vom Maßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit nicht mehr erfaßt werden können. Erst dann dürfte - wie 198 Murswiek, S. 392 ff.

199 Beurteilungszeitpunkt ist allerdings die der Inbetriebnahme vorgelagerte Genehmigungsentscheidung , so daß sich die Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit auf die zu diesem Zeitpunkt vorliegene Tatsachengrundlage stützen muß. Hieraus folgt jedoch nicht, daß der Prognosehorizont durch den Zeitpunkt der Inbetriebnahme begrenzt wird. 200 So Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 11; Rinke, S. 33 ff.; Müller-Glöge, S. 43 f.; Schmatz / Nöthlichs / Weber, Immissionsschutz, § 5 Anm. 4.1.2; im Ergebnis wohl auch Sel/ner, Immissionsschutzrecht, Rn. 34; für das allgemeine Polizeirecht: Vollmuth, S. 131 ff.; Feldhaus, DVBI. 1980, 133, 134; Feldhaus / Schmitt, WiVerw 1984, I, 15; Sel/ner, NJW 1980, 1255, 1256; Manens, DVBI. 1981,597,602; Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen 11, S. 71, 154 f. 201 Trute, S. 24, 25.

C. Struktur und Inhalt der Risikozurechnung

159

Trute zutreffend feststellt - die Freiraumfunktion der Vorsorgepflicht greifen202 . (2) Den Ausführungen von Murswiek ist zunächst entgegenzuhalten, daß bereits die Problemdarstellung im Ansatz nicht (mehr) zutrifft: Soweit sich die Argumente von Murswiek auf § 17 Abs. 2 BImSchG a. F. beziehen, haben sie durch dessen Novellierung 203 ihr Gewicht verloren. Nachträgliche Anordnungen werden nicht mehr durch die wirtschaftliche Vertretbarkeit, sondern den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Der ebenfalls herangezogene § 21 Abs. 4 BImSchG kann im übrigen dahin interpretiert werden, daß die Nichterfüllung der Grundpflichten die Entschädigung ausschließt oder mindert204 . Schließlich ist davon auszugehen, daß der Betrieb im Rahmen seiner gesamten Betriebsdauer auf Änderungsgenehmigungen nach § 15 BImSchG angewiesen sein wird, so daß - je nach Reichweite und Auswirkung quantitativer oder qualitativer Änderungen der Anlage gegebenenfalls der gesamte Betrieb der Anlage neu zu überprüfen und an die veränderten Verhältnisse anzupassen ist205 . Darüber hinaus liegt in der Begrenzung gegenwärtiger Nutzungen durch zukünftig hinzutretende eine Verteilungsentscheidung206 , die der Intention des Gesetzes jedenfalls im Bereich der Schutzpflicht widerspricht: Im Rahmen der Genehmigungsentscheidung geht das BImSchG nämlich von dem Prioritätsgrundsatz aus, indem es der neu hinzukommenden Anlage die bereits vorhandenen, u. a. auch von anderen Anlagen stammenden Vorbelastungen zurechnet207 . Schließlich würde ein derartig unabsehbarer Zeithorizont der Prognose den Gefahrenbegriff überdehnen, da der Eintritt von Beeinträchtigungen aus u. U. sehr weit in der Zukunft liegenden Betriebszuständen und Umgebungsverhältnissen nicht mehr mit dem Maßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit zu bewältigen wäre. Wie noch zu zeigen sein wird, kann ein derart weit gestreckter Prognosezeitraum und die damit verbundene Verteilungsentscheidung allein Gegenstand der Vorsorgepflicht sein208 .

202 203 204 205

Trute, S. 25 unter Hinweis auf Damstädt, S. 210 f. 2. Novelle des BImSchG vom 4. 10. 1985, (BGB!. I 1985, S. 1950). Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 25, § 5 Rn. 42; Trute, S. 24. Vg!. Jarass, BImSchG, § 15 Rn. 16.

206 Vg!. mit anderer Akzentuierung auch Trute, S. 24. 207 Siehe dazu oben die Ausführungen in Teil 2. B. IV. 2.; vg!. auch Murswiek, S. 297 ff. 208 So im Ergebnis auch Trute, S. 24; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 11.

160

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

Im Ergebnis wird die zeitliche Grenze der Prognose allein durch den Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gesteuert. Sie läßt sich weder statisch auf den Zeitpunkt der Inbetriebnahme begrenzen noch statisch auf die gesamte Betriebsdauer der Anlage erstrecken. Nach dem relationellen Maßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit gilt auch im Hinblick auf den Zeithorizont der P~ognose: Je schädlicher die Immissionen, desto geringere Anforderungen sind - auch in zeitlicher Hinsicht - an die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu stellen209 .

D. Struktur und Inhalt der Schutzpflicht im Rahmen der Risikosteuerung Neben dem Tatbestand der Risikoerkenntnis und der anlagenbezogenen Risikozurechnung ist in den Grundpflichten als Vermeidungspflichten auch ein relativer Vermeidungsstandard angelegt, der bestimmt, ob und inwieweit die der Anlage zugerechneten schädlichen Umwelteinwirkungen von dieser verhindert werden müssen. I. Herleitung des relativen Vermeidungsstandards Bereits für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht ist anerkannt, daß aus dem Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung allein noch nicht auf die Notwendigkeit ihrer Abwehr geschlossen werden kann. Im Polizei- und Ordnungsrecht wird die Nichtstörungspflicht durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ihrer Reichweite begrenzt. Die zu ihrer Erfüllung erforderlichen Maßnahmen stehen im Ermessen der zuständigen 209 Problematisch erscheinen aber die Ausprägungen des "vorbeugenden Gefahrenschutzes" im Bereich der Störfallsicherheit: Nach § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV besteht über die in Abs. 1 geregelte Pflicht zur Verhinderung von Störflillen hinaus die Verpflichtung, "Vorsorge zu treffen, um die Auswirkungen von Störflillen so gering wie möglich zu halten". Rechtliche Grundlage ist dabei nicht die Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, sondern die Schutzpflicht; zur "Vorsorge" als falsa demonstratio: Breuer, NVwZ 1990, 211, 221; ders., WiVerw 1981, 219, 239 f.; OVG Lüneburg, DVBI. 1984, 890, 893. Nach Auffassung von Schäfer regelt Abs. 3 "die Fälle der Gefahrenvorsorge, die dem vorbeugenden Immissionsschutz entsprechen" (StörfallVO, § 3 Rn. 29 unter Hinweis auf Feldhaus, DVBI. 1980, 133, 136 Fn. 41). Der Terminus "vorbeugender Gefahrenschutz" wird in einem anderen Sinne als üblich verwandt, denn es geht nicht um die zeitliche Dimension der Prognose, sondern um die Erweiterung von Vermeidungspflichten im Sinne einer "redundanten Gefahrenabwehr in zweiter Linie" (Schäfer, StörfallVO, § 3 Rn. 8 unter Hinweis auf Breuer WiVerw 1981,219,240). Eine Begrenzungspflicht kann auf Basis des Schutzgrundsatzes nur insoweit vorgeschrieben werden, als sie zur Abwehr sonstiger Gefahren oder schädlicher Umwelteinwirkungen erforderlich ist. Ein Anwendungsbereich besteht für den Abs. 3 mithin nur, wenn die Vorkehrungen nach Abs. 1 nicht ausreichen, um die Gefahr auszuschließen, d. h. die Möglichkeit des Schadenseintritts unter die Schwelle der hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu bringen (so wohl auch Schäfer, StörfallVO, § 3 Rn. 30).

D. Struktur und Inhalt der Risikosteuerung

161

Behörde, die auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit d. h. unter Berücksichtigung des Rangs des gefährdeten Rechtsgutes und des drohenden Schadens sowie der durch die beabsichtigte Maßnahme ausgelösten Folgen für den Betroffenen und Dritter - nicht nur auswählen kann, gegen wen und mit weIchen Maßnahmen sie vorgeht, sondern auch, ob sie überhaupt eingreifen soII21O. Ein entsprechend angelegter relativer Vermeidungsstandard kommt bei genauer Betrachtung auch in den immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten zum Ausdruck. Der Wortlaut der Schutzpflicht in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG normiert den Vermeidungsstandard im Hinblick auf schädliche Umwelteinwirkungen zwar sehr strikt "nicht hervorrufen können". Die damit naheliegende Verpflichtung des Anlagenbetreibers zum absoluten Ausschluß jedweden anlagenbedingten Risikos wird jedoch vom Voerde-Urteil des BVerwG in erheblicher Weise relativiert, wenn es ausführt, daß erkannte Risiken lediglich "nach hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden müssen "211.

Im Rahmen der hier nicht näher zu untersuchenden Grundpflicht des § 22 Abs. 1 BImSchG wird der Vermeidungs standard sogar explizit gegenüber dem des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG reduziert. Soweit von der Anlage verursachte schädliche Umwelteinwirkungen nicht nach dem Stand der Technik vermieden werden können, sind sie lediglich auf ein Mindestmaß zu beschränken. Jedenfalls für den Bereich erheblicher Nachteile und Belästigungen wird bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen ein Restrnaß von schädlichen Umwelteinwirkungen für zulässig erachtet212 . 210 Vgl. Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 390 m. w. N.; Götz, S. 127 f.; Ossenbühl, DÖV 1976, 463,465 ff.; vgl. weiter BVerwGE 59, 104, 109 f.; BVerwG, NVwZ 1983, 227; selbst schwerste Bedrohungen der Existenz des Betroffenen müssen indes nicht stets zur Unverhältnismäßigkeit führen; vgl. BVerjG, DÖV 1979, 901; BVerwG, MDR 1980, 694 f.; DVBI. 1983, 750 f.; zur objektiven Pflicht zum Einschreiten vgl. Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 401; Götz, S. 135, j. m. w. N.; Verpflichtung zum Einschreiten nur bei "besonders hoher Intensität der Störung oder Gefährdung" (BVerwGE 11, 95, 97) oder "besonders schweren Gefahrenfällen" (BVerwG, DVBI. 1969, 586); a. A. VG Saarlouis, DVBI. 1969, 595 (Einschreiten bei jeder Rechtsverietzung); Knemeyer, S. 50 ff.; ders., VVDStRL 35 (1977), 233 ff., 249 ff. (Einschreiten bei jeder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung); zum subjektiven Recht auf Einschreiten vgl. Götz, S. 135 ff.; Drews / Wacke / Vogel / Manens, S. 402 ff. j. m. w. N.; vgl. zur verfassungsrechtlich abgeleiteten staatlichen Pflicht zum Schutz vor Grundrechtsgefährdungen BVerjGE 39, 1, 42; 46, 160, 164; 49, 24, 53; 49, 89, 140 ff.;

53,30,57;56,54,73. 211 BVerwGE 55,250, 254; dazu Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 24, 25; vgl. zum Ausschlußtatbestand auch Markou, S. 73; allerdings ist bereits oben (Teil 3. C. 11. 2. b» dargelegt

worden, daß es sich bei dem Sprachgebrauch des BVerwG um eine verunglückte Definition der Eintrittswahrscheinlichkeit schädlicher Umwelteinwirkungen handelt. 212 Vgl. hierzu Kutscheidt, NVwZ 1983, 65; Seltner / Löwer, WiVerw 1980, 221; vgl. aber neuerdings das "Tegelsbarg-Urteil" des BVerwG vom 19.1.1989 (BVerwGE 81, 197, 210):

11 Petersen

162

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. I Nr. I BImSchG

11. Begrenzung der Schutzpflicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung der Reichweite der Schutzpflicht und der zu ihrer Erfüllung dienenden Maßnahme ist der Grundsatz der VerhäItnismäßigkeit213 mit seinen Teilgrundsätzen der Geeignetheit214 , Erforderlichkeit215 und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne216 . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im BlmschG zwar nicht ausdrücklich als Grenze der Schutzpflicht normiert worden. Die Geltung dieses Verfassungsgrundsatzes als integrierter Bestandteil der Schutzpflicht ergibt sich aber bereits aus der Grundrechtsrelevanz217 der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten. Durch die Versagung einer Genehmigung, aber auch bereits durch eine nachträgliche Anordnung wird regelmäßig in die nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit und speziell in die Gewerbefreiheit nach Art. 12 Abs. 1 sowie Art. 14 Abs. 1 GG eingegriffen 218 . Daneben findet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip219.

"Beschränkung unvermeidbarer Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß im Sinne des § 22 Abs. I Nr. 2 BImSchG bedeutet nämlich ... Beschränkung auf ein unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Interesseriausgleichs zumutbares Mindestmaß (vgl. Kutscheidt, NVwZ 1983, 65, 68). Bei unvermeidbaren Umwelteinwirkungen unterhalb der Gefahrenschwelle für Leben und Gesundheit von Menschen sind solche Beschränkungen vom Anlagenbetreiber erst dann nicht mehr hinzunehmen, wenn und soweit sie unverhältnismäßig sind". Damit sind die Vermeidungsmaßstäbe des § 5 und des § 22 BImSchG formal auf ein gleiches Niveau gestellt worden. 213 Grundlegend Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981; Grabitz, AöR 98 (1973), 568; Schnapp, JuS 1983,850; Wittig, DÖV 1968,817; Lücke, DÖV 1974,769; Bullinger, JZ 1984, 1001. 214 Ausführlich Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 50 ff. 215 Ausführlich Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 57 ff.; Schnapp, JuS 1983,850,854. 216 Ausführlich Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 75 ff.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 19; Schnapp JuS 1983, 850, 855. 217 Nach heute allgemeiner Meinung wird dieser Grundsatz unmittelbar aus der Verfassung und den im Einzelfall betroffenen Grundrechten abgeleitet, so daß er für die gesamte Tätigkeit der Exekutive und dalÜber hinaus selbst für den Gesetzgeber gilt; vgl. nur BVerfGE 15, 226, 234; 16, 194,202; 17,232,242; BVerwGE 5,50; 9, 114; 26, 305, 309. 218 Vgl. Hansen-Dix, S. 141; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 168, 189; Wagner, NJW 1980,665, 666; Feldhaus, DVBI. 1979, 301; Landmann I Rohmer I Kutscheidt, BImSchG, § 3 Rn. 8; Breuer, Der Staat 20 (1981),393,411; Kloepjer, Umweltrecht, S. 51 ff.; Dolde, NVwZ 1986,873, 884 Fn. 15; ausführlich: von Mutius, Rechtsgutachten, S. 106 ff., 138 b ff.; ferner: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, GG, Art. 12 Rn. 58; BVerfGE 30, 292, 313. 219 Vgl. dazu BVerfGE 19, 342, 348f; 43, 101, 106; ferner BVerfGE 7, 377, 404 f.; 19, 330, 337; 34,261,267; 35, 202, 221; 35,382,400; 43, 242, 288; 51,97, 113; für das

D. Struktur und Inhalt der Risikosteuerung

163

1. Systematischer Standon des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Jarass vertritt die Auffassung, daß die Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Schutzpflicht keine Rolle spiele. Die Vermeidung schädlicher, d. h. für die Nachbarschaft und die Allgemeinheit unzumutbarer Immissionen sei strikt geboten; falls es keine geeigneten oder wirtschaftlich akzeptablen Abwehrmaßnahmen gäbe, dürfe die Anlage nicht betrieben werden220 . Kostenbelastungen für den Anlagenbetreiber könnten allenfalls im Rahmen von Maßnahmen, insbesondere nach § 17 Abs. 2 BImSchG berücksichtigt werden221 . Diese Auffassung ist abzulehnen. Sie verkennt im Ansatz, daß bereits die Grundpflichten selbst eine unmittelbare, d. h. unabhängig von jedweder konkretisierenden Verfügung geltende Verpflichtung des Betreibers im Hinblick auf die Errichtung und den Betrieb der Anlage statuieren222 . Damit sind bereits die Grundpflichten selbst unmittelbar grundrechtsrelevant. Das Eingriffsinstrumentarium setzt die Grundpflicht lediglich um, konkretisiert sie in ihrer spezifischen Situation (Genehmigung, Nebenbestimmungen, nachträgliche Anordnungen). Im Rahmen der jeweiligen Eingriffsnormen (vgl. etwa §§ 6, 12, 17 BImSchG) determiniert die Grundpflicht selbst (präzise: ihre Erfüllung oder Nichterfüllung) den Eingriffstatbestand223 . Daher ist bereits auf der Ebene der Grundpflicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen224 . BImSchG speziell: Feldhaus, DVBI. 1979,301,303; Rid S. 116, Schröder, S. 68; Marburger, Schadensvorsorge, S. 52. 220 Jarass, BImschG, § 5 Rn. 15; von der sogenannten "kategorischen" Gefahrenabwehr gehen insbes. ebenfalls aus: Breuer, NVwZ 1990, 211, 213; ders., DVBI. 1978, 829, 837; ders., WiVerw 1981,219,224; Papier, DVBI. 1979, 162, 163; Benda, in: Technische Risiken und Recht, S. 5, 6 m. w. N. 221 Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 34, teilweise abweichend aber ders., DVBI. 1986, 314, 316; ähnlich Hoppe, Die wirtschaftliche Vertretbarkeit, S. 46 Fn. 50. 222 Vgl. Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 1; Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 21; ders., in: Festgabe BVerwG, S. 603 ff.; Feldhaus, BImSchG, § 5 Anm. 2; ders., WiVerw 1986, 67, 71; Sendler, UPR 1983, 33; Dolde, in: Festschrift für Bachof, S. 191 ff; ders., NVwZ 1986, 879; siehe dazu bereits die Ausführungen in Teil 1. A. 11. 223 Siehe dazu bereits die Ausführungen in Teil 1. A. I. 2. 224 So nunmehr wohl auch Jarass, DVBI. 1986, 314, 316 bei erheblichen Nachteilen und Belästigungen, ohne dies systematisch genau zu darzulegen; zum gleichen Ergebnis gelangen auch die Vertreter der Auffassung, nach der im Rahmen der schädlichen Umwelteinwirkungen ("Erheblichkeit") die Belange des Anlagenbetreibers zu berücksichtigen sind; vgl. Feldhaus, DVBI. 1979, 301, 305; Schmitt Glaeser / Meins, S. 31 f.; Markou, S. 86 f.; ähnlich BVerwGE 68,62,67; 69, 37,43 f.; 79,254,260,263; vgl. dazu ausführlich Teil 2. C. 11. 2. b) bb) und cc) sowie die Vertreter der Auffassung, nach der im Gefahrenurteil auch das Eingriffsgut zu berücksichtigen ist, vgl. Hansen-Dix, S. 39; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 224; siehe dazu ausführlich Teil 2. C. 111. 3. c) sowie Teil 3. C. 11. 3.

164

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

Diese Betrachtungsweise, die im übrigen sowohl für die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG als auch für die Grundpflicht des § 22 BImSchG einhellig anerkannt ist225 , kann allerdings nicht beim Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen, dem Begriff der Erheblichkeit anknüpfen226 . Der Begriff der Erheblichkeit statuiert lediglich eine gebietsbezogene, nicht aber eine anlagenbezogene Abwägungsmöglichkeit. Spezifische Belange des Anlagenbetreibers können hier nur insoweit berücksichtigt werden, als sie die Situation des Gebietes prägen227 . Ebensowenig können derartige Belange bei der wertenden Bestimmung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Schädlichkeitsbeurteilung (Wirkungsprognose)228 oder der Emissions- und Immissionsprognose der Schutzpflicht229 berücksichtigt werden. Es liegt daher nahe, den Begriff "nicht" in der Formulierung "nicht hervorrufen können" als Element der Risikosteuerung dahingehend zu interpretieren, daß nicht jedwede schädliche Umwelteinwirkung kategorisch zu vermeiden ist, sondern nur insoweit, als die Vermeidung ihrerseits verhältnismäßig ist230 . Der hier vertretenen Auffassung steht nicht entgegen, daß im Rahmen der konkretisierenden Instrumente - insbesondere nach § 17 BImSchG - Ermessensspielräume eingeräumt sind und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit teilweise explizit normiert ist231 . Zum einen ist zu bedenken, daß dies für die Erteilung oder Versagung der Genehmigung gerade nicht der Fall ist; hier bestünde kein Spielraum, die konkrete Rechtsposition des Anlagenbetreibers bei der Festsetzung von Anforderungen der Schutzpflicht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen232 , obgleich die Versagung einer Genehmigung im präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in gleicher

225 Vgl. zur Vorsorgepflicht nur BVeIWG, NVwZ 1984, 371; Feldhaus, DVBI. 1979, 301, 306; ders., DVBI. 1981, 165, 171; ders., UPR 1987, 1, 8; Sellner, NJW 1980, 1255, 1259; Ossenbühl, NVwZ 1986, 165, 171; Dolde, NVwZ 1986, 873, 878; zu § 22 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG vgl. Kutscheidt, NVwZ 1983, 65, 68; neuerdings BVelWGE 81, 197,210. 226 So aber Feldhaus, DVBI. 1979, 301, 305; Schmitt Glaeser / Meins, S. 31 f.; Markau, S. 86 f.; ähnlich BVelWGE 68,62,67; 69, 37, 43 f.; 79, 254, 260, 263; wie hier insbesondere Jarass, DVBI. 1983,725,730; BVeIWG, UPR 1983, 27; OVGNRW, DVBI. 1976,798. 227 Teil 2. C. 11. 2. b) bb) und cc). 228 Teil 2. C. III. 3. c). 229 Teil 3. C. 11. 3. 230 Vgl. hierzu das Beispiel der Pflanzenschäden von Jarass, DVBI. 1986, 314, 316 im

Bereich erheblicher Nachteile und Belästigungen. 231 Vgl. dazu § 17 Abs. 2 BlmSchG.

232 So auch Hansen-Dix, S. 143.

D. Struktur und Inhalt der Risikosteuerung

165

Weise grundrechtsrelevant ist, wie ein repressiver Eingriff2 33 . Zum anderen ist zu beachten, daß insbesondere bei § 17 BImSchG die Vorgabe des Ermesssensspielraumes und der Verhältnismäßigkeit lediglich dem Zweck dient, die Verhältnismäßigkeit der spezifischen Anordnung im Hinblick auf den Bestandsschutz234 der Anlage, also deren spezifischen genehmigungsrechtlichen Status zu gewährleisten. Beide "Verhältnismäßigkeitsprüfungen" stehen in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander. Im Rahmen der Grundpflicht kommt es auf die Verhältnismäßigkeit der Vermeidungspflicht "an sich" im Hinblick auf die allgemeine Gewerbefreiheit des Anlagenbetreibers an. Der - jeweils zeitlich differenzierte - genehmigungsrechtliche Status der Anlage ("Neu"- oder "Altanlage"), insbesondere der Aspekt des Bestandsschutzes, spielt hierfür keine Rolle235 . Demgegenüber geht es im Rahmen der Ermessensentscheidung und der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei nachträglichen Anordnungen gemäß § 17 BImSchG ausschließlich um die letztgenannten Erwägungen. Die Reichweite der Grundpflicht wird weder im Hinblick auf den Risikoerkenntnistatbestand noch auf den Risikosteuerungstatbestand berührt oder abgeschwächt236 . Eine derartige Vorgehensweise würde dem Wesen der Grundpflicht als dynamische Dauerpflicht wohl diametral widersprechen, denn sie stellt die Rechtsposition des Betreibers unter einen latenten Vorbehalt, nicht aber umgekehrt237 . Beispielhaft für die Exklusivität der jeweiligen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist - für den Bereich der Vorsorgepflicht - die Sanierungskonzeption der 13. 233 Vgl. dazu Maurer, Allg. VeIWR., § 9 Rn. 52 f. 234 Auf die vieWiltigen Probleme des Bestandsschutzes soll im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Vgl. zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Bestandsschutzes insbesondere Friauf, WiVelW 1989, 87 ff; ders., WiVelW 1986, 121 ff.; Rengeling, DVBI. 1984, 977, 993; Hammann, S. 60 ff.; vgl. zur Kritik am eigentumsrechtlich verfestigten Bestandsschutz emittierender Anlagen insbesondere Sendler, UPR 1983, 33 ff., 73 ff. unter Bezug auf BVerfGE 58, 300; dazu: Friauj, WiVerw 1989, 121, 134; M. Schröder, UPR 1986, 127; Dolde, NVwZ 1986, 874 Fn. 15; zum Streit über den Gegenstand des Bestandsschutzes vgl. einerseits SeUner, Immissionsschutzrecht, Rn. 203; Dolde, NVwZ 1986, 874 (Genehmigung als solche); andererseits Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSehG, Vor § 4 Rn. 25; Maunz / Dürig / Herzog / Papier, GG, Art. 14 Rn. 106 ff.; Jarass, BImSehG, Vor § 4 Rn. 4; von Mutius, Rechtsgutachten, S. 106 ff., 110 ff.; Friauj, WiVelW 1989, 121, 134 (die aufgrund der Genehmigung errichtete und betriebene Anlage). 235 So auch Jarass, DVBI. 1986,314,316; a. A. Markou, S. 86 f. 236 Etwas anderes gilt für die Prägung des Gebietscharakters durch die Altanlage, was bei der Erheblichkeit der immissionsbedingten Beeinträchtigung zu berücksichtigen ist; vgl. dazu Jarass, DVBI. 1986, 314, 316; von HoUeben, DVBI. 1981, 903, 904; zu weitgehend BVerwG, DVBI. 1976, 216; vgl. dazu die Kritik von Dolde, NVwZ 1986, 873, 882; Kutscheidt, DÖV 1976,668. 237 Vgl. zur Bedeutung der Grundpflichtenkonstruktion insbesondere SeUner, in: Festgabe BVeIWG, S. 603 ff.; ders., Immissionsschutzrecht, Rn. 22; Feldhaus, WiVelW 1986, 67, 71 m. w. N.; Sendler, UPR 1983, 33; Dolde NVwZ 1986,873,879.

166

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

BImSchV und der Nr. 4 der TA Luft. In beiden Systemen gelten die zur Konkretisierung der Vorsorgepflicht formulierten Emissionswerte und anlagenbezogenen Maßnahmen grundsätzlich nicht nur für die Genehmigung von Neuanlagen, sondern auch für die Sanierung von Altanlagen. Dem spezifischen Bestandsschutz von Altanlagen wird dabei nicht durch eine Abschwächung dieser Grundanforderungen, sondern primär durch eine differenzierte zeitliche Hinausschiebung ihres Erfüllungszeitpunktes, d. h. durch spezifische Übergangsfristen Rechnung getragen238 .

2. Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beim Normalbetriebsrisiko und bei der Störjallsicherheit Im Grundsatz ist sowohl beim Normalbetriebsrisiko als auch im Bereich des Störfallriskos anerkannt, daß bereits die aus der Schutzpflicht resultierende Vermeidungspflicht gegenüber hinreichend wahrscheinlich durch den Betrieb der Anlage herbeigeführten schädlichen Umwelteinwirkungen unter dem Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes steht: a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Normalbetriebsrisiko

aa) Emissionswerte So fordert etwa Nr. 2.3 der TA Luft im wohl empfindlichsten Bereich des Gesundheitsschutzes 239 , dem Schutz vor krebserregenden Immissionen, daß die "Emissionen krebserzeugender Stoffe ... unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit so weit wie möglich zu begrenzen (sind)". So darf auch im Fall einer Neugenehmigung - der Aufwand zur Minimierung derartiger Emissionen nicht in einem Mißverhältnis zu dem angestrebten Zweck, der Minderung des gesundheitlichen Risikos durch krebserzeugende Stoffe stehen240 . 238 Vgl. zur Strategie, bei Eingriffen in den Altbestand Übergangsfristen vorzusehen,

BVerfGE 58, 300; Sendler, UPR 1983, 33, 45, 73; Hoppe, Die wirtschaftliche Vertretbarkeit, S. 148; Dolde, in: Festschrift für Bachof, S. 194, 209, 212; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 7 Rn. 30; Jarass, Die Anwendung neuen Umweltrechts auf bestehende Anlagen, S. 85; M. Schröder, UPR 1986, 127, 133; Hammann, S. 134 ff. 239 Nr. 2.3 unterfallt der Schutzpflicht, vgl. Nr. 2.2.1.5 TA Luft; vgl. Jarass, NVwZ 1986, 607, 609; Feldhaus / Ludwig / Davids, DVBI. 1986, 641, 651; Hansmann, TA Luft, Nr. 2.3

Rn. 7, der in dieser Vorschrift teilweise auch eine Konkretisierung der Vorsorgepflicht sieht; zur Diskussion über das Verhältnis von Nr. 2.3 zu den speziellen Vorsorge-Emissionsbegrenzungen der Nr. 3.3.1.2.2 vgl. einerseits Papier, UPR 1987, 292, andererseits Rid / Hammann, UPR 1988,44. 240 Hansmann, TA Luft, Nr. 2.3 Rn. 9.

D. Struktur und Inhalt der Risikosteuerung

167

bb) Immissionswerte Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet jedoch auch Anwendung, wenn die Anforderungen der Schutzpflicht unmittelbar durch Immissionswerte (vgl. Nr. 2.5.1 und 2.5.2 der TA Luft) gesteuert werden. Soweit ersichtlich, ist dies bisher weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung erkannt worden; so wurde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich der immissionswertgesteuerten Schutzpflicht nur im Zusammenhang mit dem Erlaß nachträglicher Anordnungen nach § 17 Abs. 2 BImSchG diskutiert, wo allerdings nur bestandsschutzspezifische Aspekte eine Rolle s~ielen241. Dabei ist die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gerade bei der Erteilung der Genehmigung für neue Anlagen nicht unproblematisch; so kann das Prinzip der Mitverursachung und das Prioritätsprinzip für diese Anlagen eine große Härte bedeuten242 , wenn diese, trotz minimaler Immissionsbeiträge nur deshalb keine Genehmigung beanspruchen können, weil die Vorbelastung die Einhaltung des Imrnissionswertes nicht zuläßt243 . Die Situation wird noch durch die Tatsache verschärft, daß sämtliche Immissionen, ungeachtet ihrer Herkunft, berücksichtigt werden (Prinzip der Quellenunabhängigkeit)244. So kann die Vorbelastung auch von Emittenten verursacht worden sein, die dem Normbefehl der Schutzpflicht selbst nicht unterliegen und damit letztlich aus dem Anwendungsbereich ihrer stringenten rechtlichen Steuerung fallen245 . Es liegt auf der Hand, daß die Schutzpflicht gerade im Hinblick auf die Ungleichgewichtigkeit des Imrnissionswertkonzeptes verhältnismäßig sein muß. Die Immissionswerte konkretisieren daher nicht allein den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung des § 3 Abs. 1 BImSchG246 - hier wären die aus Verhältnismäßigkeitsgründen zu berücksichtigenden Belange des 241 Siehe dazu oben Teil 3. D. 11. 1. 242 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. B. IV. 1. und 2. 243 Irrelevanzklauseln tragen diesen Problemen nur eingeschränkt Rechnung; vgl. dazu die

Ausführungen in Teil 3. C. I. 2. b). 244 Siehe dazu die Ausführungen in Teil

2. B III. 1. 245 Diese Problematik gilt aber aufgrund des anlagenbezogenen Immissionsbegriffes nach Nr. 2.12 nicht für die TA Lärm; ähnlich eingeschränkt ist neuerdings der § 2 Abs. 1 der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung, BGBI. I 1991, S. 1588), der bei der

Immissionsbewertung lediglich "Geräuschimmissionen anderer Sportanlagen" (i. S. d. § 1 Abs. 1 der VO) dem Anlagengeräusch mit zurechnet. 246 Vgl. aber Hansmann, TA Luft, Nr. 1 Rn. 6, 12 m. w. N.; BVenvGE 55,250,254 ff.

168

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

Anlagenbetreibers systematisch überhaupt nicht erfaßbar247 - sondern zugleich die Reichweite der Vermeidungspflicht des Anlagenbetreibers, die diesen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG trifft. Dies wird bereits durch § 48 Nr. 1 BImSchG verdeutlicht, nach dem in Verwaltungsvorschriften solche Immissionswerte festgesetzt werden können, "die zu dem in § 1 genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen". Die Immissionswerte kennzeichnen daher nicht lediglich die wirkungsbezogene Schädlichkeitsgrenze einer Immission nach § 3 Abs. 1 BImSehG, sondern konkretisieren darüber hinaus die Grenze, die im Hinblick auf die Erfüllung des Schutz- und Vorsorgezweckes des Gesetzes nicht überschritten werden darf. Die Immissionswerte sollen daher nicht nur die Reichweite der Risikoerkenntnis, sondern zugleich auch das Maß der Risikosteuerung festlegen. Dieser Gedanke wird von der TA Luft im Hinblick auf die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG weiter konkretisiert: So werden die Immissionswerte der Nr. 2.5.1 nicht etwa als "schädliche Umwelteinwirkungen im Bereich von Gesundheitsgefahren" definiert, sondern lediglich als Immissionswerte "zum Schutz" vor Gesundheitsgefahren. Damit wird zutreffend klargestellt, daß die Immissionswerte in einem funktionalen Bezug zur Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG stehen, daher den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nur im Hinblick auf das durch die Schutzpflicht "kategorisch" vorgegebene Einhaltungsgebot konkretisieren. Bezogen auf die Ausgangsüberlegung bedeutet dies, daß den Immissionswerten der TA Luft bereits Verhältnismäßigkeitserwägungen auf der Grundlage der Schutzpflicht immanent sind, ja mangels anderweitiger Korrekturmöglichkeit im Immissionswertkonzept sogar immanent sein müssen248 . Demgegenüber beruht die Abwägung gerade nicht auf dem Erheblichkeitsbegriff des § 3 Abs. 1 BImSchG249. b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Störfallsicherheit Im Rahmen des Störfallschutzes ist die insoweit zentrale Sicherheitspflicht des § 3 Abs. 1 und 3 der 12. BlmSchV teilweise ausdrücklich unter den Vor247 Vgl. hierzu die Ausführungen zum gebietsspezifischen Zumutbarkeitsmaßstab in Teil C. 11. 2. a) cc).

2.

248 Vgl. dazu auch das Immissionswertkonzept im Bereich der erheblichen Nachteile und Belästigungen nach Nm. 2.5.2, 2.2.1.2 TA Luft, welches in seiner stringenten Bindung vielfach durchbrochen ist, wie z. B. durch das Zuwachswertkonzept der Nr. 2.2.1.2 c) und durch die Sonderfallprüfung der Nr. 2.2.1.3 i. V. m. 2.2.1.2 d) TA Luft.

249 Zu den Konsequenzen dieser Auffassung für die Geltung der TA Luft im Bereich nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen siehe unten Teil 3. E. I. 1. a) bb).

D. Struktur und Inhalt der Risikosteuerung

169

behalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gestellt. Absatz 1 verlangt vom Anlagenbetreiber nur die Durchführung der nach Art und Ausmaß der Gefahren "erforderlichen" Vorkehrungen; die Nachhaltigkeit des Schutzes wird damit in Relation zum betroffenen Rechtsgut, der Größe des zu erwartenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts gestellt. Die Pflicht des Absatzes 1 ist daher erfüllt, wenn die zu beurteilende Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadensereignisses hinreichend gering ist und der durch zusätzliche Schutzvorkehrungen erreichbare Sicherheitsgewinn außer Verhältnis zum erforderlichen Aufwand stünde250 . Dagegen steht die allgemeine Minimierungspflicht des Absatzes 3 unter einem immanenten Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: es ist sicherzustellen, daß die trotz der Erfüllung der Verhinderungspflicht noch zu erwartenden Rest-Beeinträchtigungen der geschützten Rechtsgüter durch Begrenzungsmaßnahmen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit so weit wie möglich vermindert werden251 . 3. Inhaltliche Ausgestaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

a) Berücksichtigung der Belange des Anlagenbetreibers Die Erfüllung der Schutzpflicht berührt in erster Linie die Belange des Anlagenbetreibers. Das gilt sowohl hinsichtlich der ihm zur Gewährleistung eines "gefahrenfreien " Anlagenbetriebs abverlangten Sicherheitsrnaßnahmen als auch hinsichtlich der Genehmigungsversagung für den Fall, daß der Anlagenbetrieb nicht als "gefahrlos" bezeichnet werden kann. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit - als integrierter Bestandteil der Schutzpflicht - ist dabei nicht nur der grundrechtlich geschützte Wert der Belange des Anlagenbetreibers, d. h. des Eingriffsgutes zu berücksichtigen, sondern auch der Umfang der jeweiligen Beeinträchtigung. So können die Belange des Anlagenbetreibers je nach Umfang der Sicherheitsrnaßnahmen unterschiedlich stark beeinträchtigt werden252 • In diesem Zusammenhang verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß die geforderten Sicherheitsrnaßnahmen zur Abwehr der schädlichen Umwelteinwirkung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig (im engeren 250 Schäfer, StörfallVO, § 3 Rn. 14; Rehbinder, BB 1976, 1 ff.; vgl. auch OVG Lüneburg, DVBI. 1977, 347, 351; dazu Feldhaus, WiVerw 1981, 191 ff.; Sel/ner, Immissionsschutzrecht, Rn. 26 a; Breuer, WiVerw 1981,219 ff. 251 Vgl. Schäfer, StörfallVO, § 3 Rn. 29 f.; Breuer, DVBI. 1978, 829, 837; Rehbinder, BB 1976, 1,4. 252 Vgl. dazu Hansen-Dix, S. 141.

170

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. I Nr. I BImSchG

Sinne) sein müssen253 . Zu berücksichtigen ist dabei sowohl das Ausmaß der schädlichen Umwelteinwirkungen, nämlich das von ihnen betroffene Rechtsgut, der drohende Schaden und dessen Eintrittswahrscheinlichkeit (Wirkungsprognose)254, als auch das spezifische anlagenbezogene Risiko, nämlich die Frage, mit welcher Eintrittswahrscheinlichkeit die schädlichen Umwelteinwirkungen von d~m Betrieb der Anlage verursacht werden können (Emissions- und Immissionsprognose)255. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt dabei insbesondere im Hinblick auf den Rang des Schutzgutes einen differenzierten Maßstab vor: Bei nicht mehr sozialadäquaten Gesundheitsrisiken (Gesundheitsgefahren) ist eine kategorische Vermeidung geboten; auch ein außerordentlich hoher Aufwand zur Vermeidung ist nicht unverhältnismäßig, u. U. darf das beabsichtigte Vorhaben nicht durchgeführt werden. Da es um den Schutz vor Gesundheitsgefahren geht, kann ein Mißverhältnis allgemein nur dann angenommen werden, wenn die Nachteile für den Anlagenbetreiber (und andere am Anlagenbetrieb interessierte Personen) offensichtlich erheblich schwerwiegender sind, als die Vorteile durch die Reduzierung des Gesundheitsrisikos durch Luftverunreinigungen256 . Die kategorische Abwehr von Gesundheitsgefahren ist Ausdruck der objektivrechtlichen Verpflichtung des Staates zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter257 . Zwar konfligieren diese Rechtspositionen mit den verfassungsrechtlich ebenfalls geschützen Belangen des Anlagenbetreibers nach Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG; angesichts der herausragenden Stellung der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter in der grundgesetzlichen Werteordnung trägt die Forderung nach einer kategorischen Abwehr von Gesundheitsgefahren jedoch dem Gebot nach Herstellung "praktischer Konkordanz"258 ausreichend Rechnung259 . 253 Vgl. dazu für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht Götz, Rn. Wacke / Vogel / Martens, S. 389 ff. 254 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. C. 111. 3.

249 ff.; Drews /

255 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 3. C. 11. 3. 256 Hansmann, TA Luft, Nr. 2.3 Rn. 9. 257 BVerfGE 39, 1,41; 46, 160, 164; 49, 89, 142; 53, 30, 57; 56, 54, 73; vgl. weiter von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1 Art. 2 Abs. 2 Rn. 140 ff., 156 ff.; von Münch, in: von Münch, GG, Art. 2 Rn. 46 ff., 59 ff.; Murswiek, S. 101 ff. (allerdings auf Basis einer anderen Grundrechtskonzeption); Ossenbühl, DÖV 1981, 1 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 ff.; Marburger, WiVerw 1981,241 ff. 258 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 127. 259 Vgl. Breuer, DVBI. 1978, 829, 837; ders., WiVerw 1981, 219, 224; Feldhaus, DVBI. 1981, 165, 170; Hansen-Dix, S. 1984; Marburger, Schadensvorsorge, S. 29, 34, 54, 75 f., 79; ders., WiVerw 1981,241,250 f.; Papier, DVBI. 1979, 162, 163; Rengeling, DVBI. 1982,622, 627.

D. Struktur und Inhalt der Risikosteuerung

171

Soweit es demgegenüber um den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von körperlichen Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr oder Sachgefahren geht, sind im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes strengere Anforderungen an den Umfang der erforderlichen Sicherheitsrnaßnahmen zu stellen26O . Entsprechendes gilt in den Fällen, in denen hochwertige Rechtsgüter von Beeinträchtigungen bedroht sind, deren Eintrittswahrscheinlichkeit äußerst gering ist261 . Der enormen Bandbreite von Rechtsgütern, Beeinträchtigungsarten und intensitäten sowie Eintrittswahrscheinlichkeiten, die - insbesondere aufgrund des relationellen Maßstabes der hinreichenden Wahrscheinlichkeit - dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung und der anlagenbezogenen Risikozurechnung unterfallen, steht damit ein ebenfalls relationeller Standard der Verhältnismäßigkeit gegenüber. Allerdings eröffnet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (i. e. S.) keine allgemeine Ermächtigung für die Abwägung konfligierender Belange : Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt als "Schranken - Schranke" lediglich einen Mindestschutz für die zum Zwecke der Erfüllung der Schutzpflicht verfassungsrechtlich zulässigerweise eingeschränkten Grundrechte des Betroffenen dar. Die Grundrechte des Anlagenbetreibers bleiben daher auch dann immanent beschränkt, wenn zum Zwecke ihrer Berücksichtigung der Gundsatz der Verhältnismäßigkeit angewandt werden muß. Ihm kann deshalb nicht, in nachträglicher Korrektur des Gesetzes ein "Vorrang" vor dem schrankenziehenden Gesetz zugesprochen werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i. e. S. verhindert daher nur solche Maßnahmen, deren Schutzzweck in einem offensichtlichen Mißverhältnis zur Schwere des Eingriffs steht262 .

260 Vgl. hierzu das Beispiel der Pflanzenbeeinträchtigungen von Jarass, DVBI. 1986, 314, 316. 261 So wohl auch Jarass, DVBI. 1986, 314, 316 bei erheblichen Nachteilen und Belästigungen, ohne dies systematisch genau darzulegen; im Ergebnis auch die Vertreter der Auffassung, nach der im Gefahrenurteil auch das Eingriffsgut zu beriicksichtigen ist, vgl. Ransen-Du, S. 39; Drews / Wacke / Vogel / Martem, S. 224; vgl. dazu ausführlich Teil 2. C. III. 3. c), sowie die Vertreter der Auffassung, nach der im Rahmen der schädlichen Umwelteinwirkungen (nErheblichkeit n) die Belange des Anlagenbetreibers zu beriicksichtigen sind; vgl. Feldhaus, DVBI. 1979, 301,305; Schmitt Glaeser / Meins, S. 31 f.; Markou, S. 86 f.; ähnlich BVerwGE 68,62,67; 69,37,43 f.; 79,254,260,263; siehe dazu ausführlich Teil 2. C. H. 2. b) bb) und cc). 262 Götz, S. 127 f.; Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 392; BVerwGE 59, 104, 109 f.; BVerwG, NVwZ 1983,227; selbst schwerste Bedrohungen der Existenz des Betroffenen müssen nicht stets zur Unverhältnismäßigkeit führen, vgl. BVerfG, DÖV 1979, 901; BVerwG, MDR 1980,694 f.; DVBI. 1983,750 f.

172

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

b) Berücksichtigung der Belange der Allgemeinheit Soweit die Belange der Allgemeinheit, wie z: B. Arbeitsplätze, Sicherheit der Energieversorgung etc. mit denen des Anlagenbetreibers akzessorisch sind, können ihrer Berücksichtigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Schutzpflicht jedenfalls gesetzessystematische Gründe nicht entgegengehalten werden. Wie bereits im Rahmen der Erheblichkeit und der Eintrittswahrscheinlichkeit des Begriffes schädliche Umwelteinwirkungen dargestellt worden ist, stehen der Berücksichtigung dieser Belange aber vor allem auch inhaltliche Bedenken entgegen263 . Diesen Bedenken wäre mit der Überlegung abzuhelfen, daß nicht allgemein Umweltschutz und Wirtschaft, also abstrakte Positionen, in die Bewertung einzustellen sind264 , sondern Belange der Allgemeinheit nur dann berücksichtigt werden, wenn und soweit sie sich in den konkreten Umständen der Anlage manifestieren, denen des Anlagenbetreibers also akzessorisch sind. So kann nur darauf abgestellt werden, wieviel Arbeitsplätze von der konkreten Anlage abhängen, wie hoch der Beitrag der Anlage zur Energieversorgung ist. Auch im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht ist anerkannt, daß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur Art und Maß des beabsichtigten Eingriffs, sondern auch dessen Nebenfolgen, insbesondere für unbeteiligte Dritte, zu berücksichtigen sind; die Interessen der Allgemeinheit müssen jedoch stets im Hinblick auf ihre konkrete Betroffenheit bewertet werden265 . Hansen-Dix führt aber' gegenüber einer Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen zusätzlich das Argument ins Feld, derartige Belange seien nach traditionellem Verständnis nicht als Eingriffsgut zu bewerten, da sie durch Maßnahmen der Gefahrenabwehr, wie z. B. durch Genehmigungsversagung nicht in ihrem "Bestand vermindert", sondern nur "nicht weiter gefördert" würden. Das Interesse an der Förderung dieser Belange könne jedoch nicht von der Gefahrenabwehr bewältigt werden, sondern obliege ausschließlich dem Bereich leistender und planender Verwaltung266 . Dieses Argument ist in seiner strikten Aussage bereits deshalb problematisch, weil die bloße Berücksichtigung von konfligierenden Gemeinwohlbe263 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 2. C. 11. 2. b) cc) (Erheblichkeit) und C. III. 3. c) bb) (Maßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit); vgl. vor allem Hansen-Dix. S. 148 f.; Schröder, S. 123 f.; Markou, S. 79 f. 264 Von dieser Vorstellung geht offensichtlich Markou, S. 80 aus. 265 Vgl. Drews / Wacke / Vogel / Martens. S. 390 f. 266 Hansen-Dix, S. 149; so auch Schröder, S. 123; Markou, S. 81; zum Verhältnis zwischen Polizeirecht und Leistungsverwaltung vgl. einerseits Drews / Wacke / Vogel / Martens, S. 41 ff.; andererseits Erichsen, VVDStRL 35 (1977), 171, 185 und These 8 (S. 217).

D. Struktur und Inhalt der Risikosteuerung

173

langen bei Gefahrenabwehrentscheidungen diese wohl noch nicht in den Anwendungsbereich planender oder leistender Verwaltung fallen ließe. Finaler Zweck derartiger Entscheidungen und regulativer Schwerpunkt bliebe doch stets die Gefahrenabwehr und nicht die planvolle Gestaltung von Gemeinwohlinteressen wie Arbeitsplatzsicherung und Energieversorgung. Im übrigen läßt Hansen-Dix bei der Abgrenzung zwischen "Nicht-fördern" und echtem "Eingriff" den Bereich der nachträglichen Anordnungen unberücksichtigt. Auch nach nach ihrer Auffassung dürfte in diesem Fall von einem Eingriff in den Bestand der Belange der Allgemeinheit auszugehen sein, soweit sich diese, etwa durch gefährdete Arbeitsplätze, in der konkreten Situation der Anlage selbst manifestieren. Anders dürfte sich die Beurteilung im Fall der Genehmigungsversagung darstellen. Im Hinblick auf die Ausgestaltung des Genehmigungserfordernisses als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt stellt sich die Versagung zwar als Eingriff in die Rechtsposition des Anlagenbetreibers aus Art. 12 Abs. 1 GG dar267 ; die Belange der Allgemeinheit sind, auch soweit sie als akzessorisch angesehen werden können, in der Regel wohl nicht in gleicher Weise berührt, weil sie sich nicht auf den Betrieb einer bereits bestehenden Anlagen stützen. Hier wird man mit Hansen-Dix durchaus vom bloßen "Nicht-fördern" der Belange ausgehen können; jedoch dürfte im Einzelfall, etwa bei einem verstärkten Interesse der Allgemeinheit am Betrieb der konkreten Anlage aufgrund dringend benötigter Produkte oder einer krisenhaften Verschlechterung der Energieversorgung, das "Nicht-fördern" dem Eingriff in den Bestand von Gemeinwohlinteressen gleichzustellen sein. In diesem Fall wären die beeinträchtigten Belange der Allgemeinheit, soweit sie akzessorisch sind, auch im Fall einer Genehmigungsversagung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen. Allerdings ist auch hier darauf hinzuweisen, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erst dann verletzt ist, wenn zwischen dem Schutzzweck der Maßnahme und ihren Auswirkungen auf die Belange der Allgemeinheit ein offensichtliches Mißverhältnis besteht. Im Hinblick auf den schwer konkretisierbaren Umfang der Beeinträchtigungen und die Möglichkeit, daß Beeinträchtigungen dieser Belange - anders als bei denen des Anlagenbetreibers - in der Rr:gel anderweitig kompensiert werden können, sind an eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besonders strenge Anforderungen zu stellen.

267 Vgl. dazu Maurer, Allg. Verw., § 9 Rn. 52 f.

174

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

E. Maßnahmen der Schutzpflicht Im Gegensatz zur Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, die als Regelbeispiel auf die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen der Emissionsbegrenzung verweist, enthält die Schutzpflicht keine Vorgabe für die zu ihrer Erfüllung notwendigen Maßnahmen. I. Anlagenbezogene Maßnahmen

Primäres Mittel zur Erfüllung der Schutzpflicht sind anlagenbezogene Maßnahmen. Dies ist begründet in der Konstruktion, daß Anknüpfungsgegenstand der Grundpflicht die Errichtung und der Betrieb der Anlage ist, die Störerverantwortlichkeit des Anlagenbetreibers daher auf die anlagenbezogenen Maßnahmen begrenzt ist268 .

1. Maßnahmen der Emissionsbegrenzung Zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen kommen Maßnahmen zur Begrenzung der von der Anlage ausgehenden Emissionen in Betracht. Die demgegenüber als griffige Formulierung vertretene Differenzierung, die Schutzpflicht diene dem Immissionsschutz, die Vorsorgepflicht dem Emissionsschutz269 , bedarf insoweit der Präzisierung. Aufgrund der Anlagenbezogenheit der Grundpflichten, kann der Betreiber den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder die Vorsorge gegen deren Entstehen nur durch Begrenzung der von seiner Anlage ausgehenden Emissionen, also durch emissionsbegrenzende Maßnahmen erfüllen. Entscheidend für die Differenzierung der Emissionsbegrenzung als primäres Erfüllungsmittel der Grundpflichten ist daher die Frage, nach welchen Kriterien die emissionsbegrenzenden Maßnahmen gesteuert werden. Hier stellt die Schutzpflicht pnmar auf die Immissionsituation des Einwirkungsbereiches, die Vorsorgepflicht (auch) auf den Maßstab des Standes der Technik ab. a) Steuerung durch Immissionswerte Die Anforderungen der Schutzpflicht werden in erster Linie durch untergesetzlich konkretisierte Immissionswerte nach der TA Luft oder der TA 268 So zutreffend Martens, DVBI. 1981, 597, 605; vgl. dazu bereits die Ausführungen in Teil 1. B. 11. 1. a). 269 Ossenbühl, NVwZ 1986, 161, 168.

E. Maßnahmen der Schutzpflicht

175

Lärm konkretisiert270 . Die Immissionswerte der TA Luft tragen dem Immissionsbegriff des § 3 Abs. 2 BlmSchG in vollem Umfang Rechnung und erfassen die Gesamtheit der auf die Schutzgüter des BlmSchG einwirkenden Luftverunreinigungen271 . Demgegenüber stellt die TA Lärm nicht gesetzeskonform auf die "von einer Anlage ausgehenden Geräusche" ab272 .

aa) Grenzen des Immissionswertkonzeptes aaa) Probleme der Wirkungsabschätzung Immissionswerte stellen als Wirkungsstandards273 auf den möglichst umfassenden Schutz der erfaßten Schutzgüter ab und entsprechen grundsätzlich dem Ansatz der Schutzpflicht in idealer Weise. Allerdings sollen Wirkungsstandards die Grenze der nicht mehr zumutbaren Umweltbelastung bestimmen und haben insoweit im Hinblick auf die Risikoerkenntnis274 den komplexesten Sachverhalt zu bewältigen. Dies gilt einmal im Hinblick auf die naturwissenschaftliche Abschätzung der mit dem Stoffeintrag auf die Schutzgüter verbundene Risiken, die im Hinblick auf die Vielfalt der Schutzgüter, deren Empfindlichkeit und die Wirkungsabläufe von Schadstoffen sehr kompliziert ist275 . Weiter besteht das Problem der rechtlichen Bewertung der naturwissenschaftlich ermittelten Risiken, was im Hinblick auf die Bandbreite der betroffenen Schutzgüter und Beeinträchtigungsformen ebenfalls schwierig ist276 .

270 Zur funktionalen Einheit zwischen Immissionswerten und Meß- und Beurteilungsverfahren siehe OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357, 358; VaUendar, GewA 1981, 281, 282 ff.; SeUner, Immissionsschutzrecht, Rn. 48. 271 Nr. 2.1.2 TA Luft. 272 Nr. 2.1.2 TA Länn; siehe dazu die Ausführung in Teil 2. B. III. 3. 273 Zu den Grenzen der Steuerung durch Wirkungsstandards siehe oben Teil 2. B. IV. I. b). 274 Zur Funktion der Immissionswerte für den Tatbestand der Risikosteuerung der Schutzpflicht siehe oben Teil 3. D. 11. 2. a) bb). 275 Vgl. dazu ausführlich Beyersmann, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 27 ff., ders., in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 65 ff.; Schmölling, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 73 ff.; Schlipköter / Beyen, NWVBI. 1988, 331 (Gesundheitsschutz); Rat von Sachverständigen, Umweltgutachten 1987, Tz. 1622 ff. (Abschätzung gesundheitsschädlicher Wirkungen), 1684 ff. (Ökotoxikologische Risikoabschätzung). 276 Vgl. dazu Feldhaus, UPR 1982, 137, 144; Schmölling, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 73 ff.; Winter, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 127 ff.; von Lersner, NuR 1990, 193 ff.; Hansmann, in: Festschrift für Sendler, S. 285, 290 ff.; Rat von Sachverständigen, Umweltgutachten 1987, Tz. 73 ff., 1612 ff., 1678 ff.; zu Interessen- und Wertungskonflikten siehe Salzwedel, NVwZ 1987,276 ff.; Jarass, NJW 1987, 1225, 1226; Gusy, UPR 1986, 241 ff.; Dieter, UPR 1989, 407 ff.; Schrader, NuR 1989, 288, 290 ff.

176

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

Diese Schwierigkeiten stehen einer umfassenden Steuerung der Schutzpflicht durch die Festlegung von Immissionswerten entgegen. So legt die TA Luft nur für einen geringen Teil von Luftverunreinigungen Immissionswerte fest. Die Werte sind danach differenziert, ob es um den Schutz vor Gesundheitsgefahren (Nr. 2.2.1.1 i. V. m. Nr. 2.5.1) oder um den Schutz vor erheblichen Nachteilen qder erheblichen Belästigungen (Nr. 2.2.1.2 i. V. m. Nr. 2.5.2) geht. Die Gesundheits-, Nachteils- und Belästigungswerte sind - entsprechend den zu schützenden Rechtsgütern - im Ausmaß ihrer Beachtlichkeit unterschiedlich ausgestaltet. Während die Gesundheitswerte Grenzwertcharakter haben, stellen die Nachteils- und Belästigungswerte Richtwerte dar277 , die darüber hinaus lediglich angeben, wann erhebliche Nachteile und Belästigungen ausgeschlossen sind, nicht jedoch, wann diese eintreten. Darüber hinaus gelten die Immissionswerte für Schwefeldioxid, anorganische gasförmige Fluorverbindungen nicht im Hinblick auf besonders empfindliche Tiere, Pflanzen und Sachgüter278 . Soweit die Immissionswerte das Risiko aufgrund der Bandbreite oder der Empfindlichkeit der Risikogruppen nicht abschließend beurteilen können oder soweit Immissionswerte überhaupt nicht festgelegt sind, verweist die TA Luft auf ein Prüfprogramm in Nr. 2.2.1.3, in dem die gesetzliche Regelung der Schutzpflicht mit Hilfe unbestimmter Rechtsbegriffe und Abwägungskriterien weiter konkretisiert wird279 . Die TA Lärm geht einen ähnlichen Weg, indem sie den Wirkungs standard über erhebliche Geräuschimmissionen nicht absolut setzt, sondern ausdrücklich als Richtwert (2.32 TA Lärm)280 bezeichnet, der nur in aller Regel die Grenze der schädlichen Umwelteinwirkung konkretisiert281 .

277 Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 29; Feldhaus, DVBI. 1983, 566; Hansmann, TA Luft, Nr. 2.5 Rn. 10 ff. 278 Vgl. dazu ausführlich Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2.1.2 Rn. 12 ff. 279 Vgl. dazu ausführlich Hansmann, TA Luft, Nr. 2.2.1.3 Rn. 2 ff. 280 Ebenso: Nr. 3.3.1 VDI-Richtlinie 2058; da die Störwirkung der Geräusche von vielen verschiedenartigen Faktoren abhängt (vgl. dazu Einführung 1 VDI-Richtlinie 2058), die je nach örtlicher Situation verschieden ins Gewicht fallen können, wird den Immissionswerten der TA Lärm ledigliglich Richtwertcharakter beigemessen; vgl. dazu allgemein Feldhaus / Ludwig, DVBI. 1983,565,566; Feldhaus, UPR 1982, 137, 144; Kutscheidt, NVwZ 1989, 193, 197; zur Grenzwertproblematik unter Lärmwirkungsaspekten Jansen / Klosterkötter, Lärm und Lärmwirkungen, S. 9 ff., 35 ff.; vgl. demgegenüber die Immissionswerte der 16. BlmSchV für Verkehrsgeräusche, die nach § 2 ausdrücklich als "Immissionsgrenzwerte" bezeichnet werden; anders demgegenüber § 2 der 18. BlmSchV (BGBI. I 1991, S. 1588) für Sportgeräusche ("Immissionsrichtwerte ").

281 Feldhaus, UPR 1982, 137, 144; vgl. zur nur "grundsätzlichen" Aussagekraft der festgelegten Immissionsrichtwerte Nm. 2.211 und 2.212 TA Lärm.

E. Maßnahmen der Schutzpflicht

177

bbb) Probleme der Rechtsfolgen Der Grund für die nur lückenhafte Verwendung von abschließend konkretisierenden Immissionswerten liegt jedoch nicht nur in den Erkenntnisund Wertungsschwierigkeiten begründet, sondern auch in den Rechtsfolgen eines Immissionswertkonzeptes. Ist ein Immissionswert aufgrund der Vorbelastung im Einwirkungsbereich überschritten, kaml eine neu hinzukommende Anlage prinzipiell auch dann keine Genehmigung mehr beanspruchen, wenn ihre Immissionen wesentlich geringer sind, als die der Vorverursacher282 . Diese Rechtsfolgen wollte die Bundesregierung bei Erlaß der TA Luft 1986 im Hinblick auf empfindliche Tiere und Pflanzen offensichtlich vermeiden, obwohl sie im Hinblick auf einen wirksamen Schutz dieser Rechtsgüter durchaus geboten waren. Feldhaus führt aus, daß der zum wirksamen Schutz empfindlicher Bäume im Hinblick auf Schwefeldioxid bereits 1978 anerkannte Immissionswert deshalb nicht in die TA Luft aufgenommen worden ist, weil dann "die Industrieregionen und darüber hinaus weite Teile des Bundesgebietes nicht mehr als Industriestandorte zur Verfügung stünden "283 . Die stattdessen von der Bundesregierung angebotene "pragmatische, abgestufte Hilfslösung"284 des Zuwachswertkonzeptes der Nr. 2.2.1.2 a) Abs. 2 i. V. m. der Sonderfallprüfung der Nr. 2.2.1.3 TA Luft vermag dieses Schutzdefizit nicht auszugleichen. Denn zum einen ist etwa die wirkungsseitige Begründung unerheblicher Immissionszusatzbelastungen nach Nr. 2.2.1.2 c) sehr problematisch, zum anderen dürfte die Abwägungslösung der Nr. 2.2.1. 3 TA Luft mangels klarer Vorgaben nur in den seltensten Fällen durchgeführt werden. Im Ergebnis hat die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung für die Industrienutzung den Schutz empfindlicher Pflanzen bewußt der Gefahr eines Vollzugsdefizites ausgesetzt285 .

282 Vgl. dazu die Ausführungen in Teil 2. B. IIr. 1. und 2. sowie IV. 2.; zu den Ausnahmen aufgrund der Nr. 2.2.1.1. b) und § 67 a Abs. 2 BlmSchG siehe bereits oben die Ausführungen zum Verursachungsbegriff der Schutzpflicht Teil 3. C. I. 2. b). 283 Feldhaus, UPR 1987, 1,3. 284 Feldhaus, UPR 1987, 1,3. 285 Vgl. dazu auch die Kritik von Lübbe-Wolff, Schriften zum öffentlichen Recht 512 (1986), 167, 178 f.; Winter, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 127, 133 f.

12 Petersen

178

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

bb) Immissionswerte der TA Luft im Bereich nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen Entgegen einer vielfach vertretenen Ansicht286 konkretisieren die Immissionswerte der TA Luft nicht den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen287 - im Hinblick auf die jeweilige Beeinträchtigungsart -, sondern geben an, ab welcher Grenze davon auszugehen ist, daß von der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen mehr hervorgerufen werden können 288 . Damit konkretisieren die Werte nicht nur die Schädlichkeits- und Erheblichkeitsschwelle der Beeinträchtigung im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG, sondern konkretisieren zugleich den in der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 BImSchG zugrundegelegten Vermeidungsstandard im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz289 . Diese Interpretation hat Auswirkungen auf die Frage, inwieweit die Regelungen der TA Luft auf nicht genehmigungsbedürftige Anlage übertragbar sind 290 . Nach dem hier vertetenen Ansatz ist eine Übertragbarkeit der Regelungen nur zulässig, soweit die Grundpflicht des § 22 Abs. 1 BImSchG mit der des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG identisch ist. Nach allgemeiner Auffassung ist dies nur im Hinblick auf den Schutz vor Gesundheitsgefahren der Fa1l291 . Tm Hinblick auf erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen steht die Vermeidungspflicht des § 22 Abs. 1 BImSchG im Gegensatz zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG unter dem Vorbehalt des Standes der

286 Vgl. nur Hansmann, TA Luft, Nr. 1 Rn. 6, 12 m. w. N.; BVerwGE 55, 250, 254 ff.; NVwZ 1983,32. 287 Auf dieser Prämisse basiert entscheidend die Lehre vom "antizipierten Sachverständigengutachten" der TA Luft, vgl. Breuer, DVBI. 1978, 28, 34 ff.; Jarass, BImSchG, § 48 Rn. 12; Landmann / Rohmer / Hansmann, BImSchG, § 48 Rn. 9; siehe zur Kritik und zur Entwicklung der These von der "normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift" OVG Lüneburg, NVwZ 1985,357 f.; OVG NRW, DVBI. 1988, 152; BVerwGE 72,300,325 (AVV zu § 45 StrSchV:) Rengeling, DVBI. 1986,265; Sellner, NVwZ 1986, 616; ders., Immissionsschutzrecht, Rn. 47 ff.; Gusy, DVBI. 1987,497; Jarass, NJW 1987, 1225. 288 Vgl. den Wortlaut von Nr. 2.2.1.1 und 2.2.1.2 " der Schutz ... ist sichergestellt..." sowie von § 48 Nr. 1 BImSchG "Immissionswerte, die zu dem in § 1 genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen". 289 Siehe oben Teil 3. D. 11. 2. a) bb). 290 Vgl. dazu Feldhaus, BImSchG, § 22 Anm. 6; Sel/ner / Löwer, WiVerw 1980,221,236 ff.; Kutscheidt, NVwZ 1983,65,67. 291 Kutscheidt, NVwZ 1983, 65, 67; Sellner / Löwer, WiVerw 1980, 221, 233; Feldhaus, BImSchG, § 25 Anm. 4; noch weitgehender Jarass, BImSchG, § 22 Rn. 7, der auch im Hinblick auf konkrete Gefahren für Sachwerte die Pflichtenbeschränkung auf ein Mindestmaß für unzulässig hält.

E. Maßnahmen der Schutzpflicht

179

Technik oder erschöpt sich in dem Mindestmaßgebot292 , so daß insoweit die Übertragbarkeit der Regelungen jeweils im Einzelfall zu prüfen ist293 .

ce) Sonderproblem: Immissionswerte im Bereich von Geräuschimmissionen aaa) Anlagenbezogene Immissionsrichtwerte der TA Lärm Wie bereits oben ausgeführt294 , muß eine Schädlichkeitsbewertung der von einer Anlage ausgehenden Geräuschimmissionen den Immissionsbegriff des § 3 Abs. 2 BlmSchG zugrundelegen und damit auf die Gesamtimmissionsbelastung des Einwirkungsbereiches der Anlage abstellen. Die geltende TA Lärm genügt diesen gesetzlichen Anforderungen nicht, sondern stellt nur auf das "von einer Anlage" ausgehende Geräusch ab (Nr. 2.12 TA Länn). Nach Nr. 2.211 b) TA Länn werden bei der Prüfung, ob die Immissionsrichtwerte im Einwirkungsbereich der Anlage überschritten sind, einwirkende Fremdgeräusche nicht berücksichtigt295 . bbb) Gesetzeskonfonne Interpretation der Immissionsrichtwerte Die Verwaltungspraxis der Länder hat seit einiger Zeit den von der TA

Lärm vorgegebenen "Emissions-Immissions-Begriff" im Lichte des § 3 Abs. 2

BlmSchG summativ ausgelegt296 und fordert nunmehr, daß die Gesamtbelastung297 im Einwirkungsbereich der fraglichen Anlage die Immissionswerte nicht überschreiten darf.

Nicht unproblematisch ist die gesetzeskonfonne Auslegung der TA Länn bereits deshalb, weil die Immissionssummenbetrachtung auf Grundlage der 292 Vgl. neuerdings das "Tegelsbarg-Urteil" des BVerwG vom 19. 1. 1989 (BVerwGE 81, 197, 210), welches die Vermeidungsmaßstäbe des § 5 und des § 22 BlmSchG formal auf ein gleiches Niveau gestellt hat. 293 Vor diesem Hintergrund erscheint insbesondere die Rechtsprechung zur Anwendung der Bestimmungen der TA Lärm auf nicht genehmigungsbedürftige Anlagen (vgl. dazu die Übersicht bei Bethge / Meurers, TA Lärm, B 1 Rn. 36 f.) als lückenhaft und problematisch. 294 Siehe dazu Teil 2. B. III. 3. 295 Vgl. auch 2.422.2 TA Lärm; zur Definition von Fremdgeräuschen vgl. Nr. 4.4 VDIRichtlinie 2058. 296 Vgl. zur Auslegung der TA Lärm den Beschluß des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 2. 13.6. 1977 (abgedr. in Bethge / Meurers, TA Lärm, D 5.1); zum ersten Ansatz der betriebsbezogenen Summation siehe bereits VG Köln, Urt. v. 10. 1. 1974, Feldhaus, ES GewO, § 16 - 17, S. 9 ff. 297 Die Gesamtbelastung ist allerdings nicht auf alle Geräusche, etwa auch Verkehrsgeräusche des allgemeinen Straßenverkehrs bezogen; kritsch zu entsprechenden Vorstellungen der geplanten Novellierung der TA Lärm Koch, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 49, 55. 12·

180

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

unverändert angewandten Immissionsrichtwerte der TA Lärm zu Verschärfungen der an die einzelne Anlage gestellten Anforderungen führen kann, je nach Anzahl und Lage der Emittenten um bis zu 10 dB (A)298. Legt man die hier vertretene Deutung der Immissionswerte zugrunde, nach der diese nicht den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisieren, sondern das Maß dessen bestimmen, was in Erfüllung der Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zur Vermeidung zugerechneter schädlicher Umwelteinwirkungen notwendig ist, so erscheint die gesetzeskonforme Interpretation der Immissionswerte durch die Verwaltung - wenn auch nicht unter dem Gesichtspunkt der "Erheblichkeit", so doch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit der Schutzpflicht299 als durchaus nicht unproblematisch 3OO . ccc) Zur Problematik der Festsetzung von Immissionswertanteilen "Lärmkontingentierung" Von besonderer Bedeutung sind auch die Folgeprobleme dieser Auslegung. Um sicherzustellen, daß die Immissionsrichtwerte im Einwirkungsbereich nicht durch die Summe aller Anlagenimmissionen überschritten werden, soll der einzelnen an der Herbeiführung der Gesamtimmission mitursächlich beteiligten Anlage ein zulässiger Immissionswertanteil ("Lärmkontingent") zugeteilt werden301 . Mit dieser Verteilungsaufgabe wird - auch gegenüber den Vorschriften der TA Luft, die schon immer von einer Immissionssummenbetrachtung ausgegangen ist302 - Neuland betreten: Dies gilt zwar nicht so sehr für den Fall, daß durch mehrere Anlagen gemeinsam ein Immissionsrichtwert überschritten wird: Geht die Behörde nach § 17 Abs. 1 BImSchG gegen die einzelnen Anlagen vor, hat sie im 298 So bereits VG Köln, Urt. v. 10. 1. 1974, Feldhaus, ES GewO, 299 Siehe dazu oben Teil 3. D. 11. 2. a) bb).

§

16 - 17, S. 9 ff.

300 Hieran ändert auch die Konstruktion nichts, daß durch die Fortgeltung der TA Lärm nach § 48 BImSchG interpretiert werden könnten und daher zu dem in § 1 BImSchG genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen; vgl. Feldhaus, in: Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, S. 153, 160, der sich insoweit auf die Faktizität der Immissionssummenbetrachtung durch die - indessen nicht durchgängig nachweisbare - Verwaltungspraxis beruft. 301 Vgl. zu den Einzelheiten der Lärmkontingentierung den Bericht der Projektgruppe Gewerbelärm beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit "Industrieund Gewerbelärm", 1988, insbes. S. 33 ff; Anhang 11, S. 4, 29 ff.; so bereits in Ansätzen VG Köln, Urt. v. 10. 1. 1974, Feldhaus, ES GewO, § 16 - 17, S. 9 ff. 302 Siehe hierzu die Nm. 2.6.2.3, 2.6.4, 2.6.5, 2.5.1 und 2.5.2 in Verbindung mit 2.2.1.1 und 2.2.1.2 TA Luft. §

66 Abs. 2 BImSchG die Immissionsrichtwerte im Sinne des

E. Maßnahmen der Schutzpflicht

181

Rahmen ihres Ermessen nach Absatz 2 "insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen· zu berücksichtigen und die Vermeidungspflicht entsprechend dem Anteil der Mitverursachung, also nach dem jeweiligen Immissionsanteil zu bestimmen303 . Dabei muß die Summe der zu beseitigenden Anteile 100 % der Überschreitung des zulässigen Immissionsrichtwertes betragen; berechtigten Bestandsschutzbelangen des Anlagenbetreibers kann durch die Gewährung von Übergangsfristen Rechnung getragen werden304 . Nicht unproblematisch ist die "Lärmkontingentierung" jedoch bei der Neugenehmigung von Anlagen - insbesondere in Gebieten, in denen gegenwärtig keinerlei Geräuschbelastung besteht. Während die TA Luft prinzipiell nach dem Prioritätsprinzip vorgeht, also den Newcomer bei einer hohen Immissionsvorbelastung durch andere Anlagen zwar benachteiligt, bei einer unbelasteten Situation aber privilegiert305 und - jedenfalls im Rahmen der Schutzpflicht - die Ausschöpfung des zulässigen Immissionswertes nicht unterbindet, soll die "Lärmkontingentierung" bereits auf der Grundlage der Schutzpflicht eine Verteilungsfunktion übernehmen, die im Bereich der TA Luft der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG306 zugewiesen wird. ddd) Immissionswertanteil und vorbeugender Immissionsschutz Eine Verteilungsfunktion kann auf Grundlage der gegenwärtigen TA Lärm indes nur dann erfüllt werden, wenn im Rahmen der Schutzpflicht ein besonderer Akzent auf den "vorbeugenden Immissionsschutz" gelegt wird307 . 303 Vgl. dazu Nr. 2.6.1.2 Abs. 2 Satz 1 TA Luft. 304 Vgl. zur Strategie, bei Eingriffen in den AItbestand Übergangsfristen vorzusehen nur BVerfGE 58, 300; Sendler, UPR 1983, 45, 73; Hoppe, Die wirtschaftliche Vertretbarkeit, S. 148; Dolde, in: Festschrift für Bachof, S. 194,209,212; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BImSchG, § 7 Rn. 30; Jarass, Die Anwendung neuen Umweltrechts auf bestehende Anlagen, S. 85; Schröder, UPR 1986. 127 ff., 133. 305 Siehe dazu Teil 2. B. IV. 2. 306 Diese Funktion wird im Rahmen der Luftreinhaltung von den Vertretern der These von

der "Planungs- und Verteilungsfunktion" als Hauptaufgabe der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG angesehen; vgl. insbes. Feldhaus, DVBI. 1980. 133, 135; ders., DVBI. 1981, 165, 171; Sellner, NJW 1980, 1255, 1261; Landmann / Rohmer / Kutscheidt, BlmSchG, § 1 Anm. 7; Kutscheidt, in: Salzwedel, UmweltR., S. 237 ff., 252; Martens, DVBI. 1981, 597, 602; Hansen-Dix, S. 212, 215; Hoppe, VVDStRL 38 (1980), 229; ders., Wirtschaftliche Vertretbarkeit, S. 45; Schmölling / Mäder, GewA 1979, 47,49; Soell, ZRP 1980, 105, 106; Murswiek, S. 340 ff. 307 Vgl. dazu BVerwGE 28, 131, 134; 55, 265; Feldhaus, DVBI. 1980, 133, 134; Sellner, NJW 1980, 1255, 1256; Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 11; siehe dazu auch die Ausführungen zur

182

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG

Die damit verbundene Verteilungsentscheidung kann je nach Konstellation den Newcomer oder die bereits bestehenden Anlagen betreffen: Möchte ein Newcomer in einem noch nicht oder wenig vorbelasteten Gebiet seine Anlage betreiben, unterliegt die im Genehmigungsverfahren durchzuführende "Lärmkontingentierung" den immanenten Grenzen des Prognosehorizontes der Schutzpflicht. Die vollständige Ausschöpfung des zulässigen Immissionsrichtwertes kann dem Anlagenbetreiber nämlich nur insoweit versagt werden, als hinreichend wahrscheinlich mit zukünftigen Immissionsbeiträgen anderer Emittenten gerechnet werden muß. Andernfalls wäre sichergestellt, daß der Betrieb der zu genehmigenden Anlage hinreichend wahrscheinlich auch in Zukunft - schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorrufen kann. Wird die Anlage etwa in einem Industriegebiet errichtet, dürfte allerdings die Annahme, daß andere Emittenten sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft ansiedeln werden, nicht problematisch sein. Schwieriger dürfte die Prognose demgegenüber im unbeplanten Innenbereich oder gar im Außenbereich sein, in denen keine Vorgaben für die Ansiedelung weiterer Emittenten bestehen. Möchte ein Newcomer in ein bereits hochbelastetes, aber noch nicht überlastetes Gebiet, erscheint es fraglich, ob die bereits bestehenden Anlagen einer Lärmkontingentierung unterzogen werden können. Eine derartige Kontingentierung im Hinblick auf die Vorbelastung wäre nur durch nachträgliche Anordnungen nach § 17 Abs. 1 BlmSchG zu gewährleisten. Diese setzen voraus, daß die Nachbarschaft und die Allgemeinheit "nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen ... geschützt" ist (§ 17 Abs. 1 S. 2 BImSehG), was - da die Vorbelastung noch unterhalb der Immissionsrichtwerte liegt - nur dann angenommen werden kann, wenn die Eingriffsvoraussetzungen im Sinne eines vorbeugenden Immissionsschutzes interpretiert werden308 . In diesem Sinne wäre ein ausreichender Schutz jedenfalls dann nicht mehr gewährleistet, wenn in naher Zukunft die neue immissionsbelastende Anlage hinzukommt. Entsprechendes gilt, wenn die Vorbelastung bereits die Immissionsrichtwerte überschreitet. Hier wären zwar die Eingriffsvoraussetzungen unproblematisch gegeben, Maßnahmen, mit denen die Belastung aber - zugunsten eines Newcomers - noch unter die Richtwertgrenzen gedrückt werden kann, wären jedoch nur dann "erforderlich", wenn § 17 Abs. 1 BImSchG auch zur Durchsetzung des vorbeugenden Immissionsschutzes angewandt werden kann. Schutzpflicht unter Teil 3. C. 11. 6. b); vgl. zur Ausprägung des vorbeugenden Immissionsschutzes bereits in der gegenwärtigen TA Lärm die Nr. 2.212. 308 Zweifelnd OVGNRW, DÖV 1984,473,475.

E. Maßnahmen der Schutzpflicht

183

Schwierig ist in beiden Fallkonstellationen auch die Bestimmung des Ausmaßes der zukünftigen Belastung und die individuelle Festsetzung von "Lärmkontingenten", also die Verteilungsentscheidung an sich. Diese hat stets immissionsbezogen zu erfolgen; eine abstrakte Bestimmung nach Emissionspotentialen kommt bei Geräuschen generell nicht in Betracht, da Geräuschimmissionen lediglich kleinräumig wirken und durch Hindernisse in ihrer Ausbreitung gehindert werden können309 . Ob die Festsetzung von flächenbezogenen immissionswirksamen Schalieistungspegeln310 im Rahmen der Schutzpflicht insoweit hinreichend konkret ist, erscheint fraglich. So kann in nicht oder wenig vorbelasteten Gebieten die Immissionsrelevanz der erwarteten Anlagen durch die Abschirmungswirkung etwa noch zu errichtender Gebäude und die konkrete Lage der Fläche zum betroffenen Immissionsort durchaus individuell unterschiedlich sein. Nicht geklärt ist daher, ob die hinzukommenden Anlagen überhaupt den flächenabhängigen Schalleistungspegel ausnutzen werden oder können. Bei Abstellen auf ein abstraktes flächenbezogenes Belastungspotential besteht somit stets die Gefahr, daß die Anforderungen an den Erstemittenten unangemessen streng ausgestaltet werden. Problematisch ist die Verteilungsentscheidung aber auch in Gebieten mit bereits bestehenden Anlagen. Zwar läßt sich hier die Immissionsrelevanz des Newcomers angesichts der vorhandenen Bebauung und Kenntnis der örtlichen Situation besser ermitteln, fraglich ist aber in rechtlicher Hinsicht, in welchem Umfang die bestehenden Anlagen vom bisher genutzten Immissionspotential zugunsten des Newcomers abgeben müssen, oder, inwieweit dieser auf die bestehende Situation Rücksicht nehmen muß311. Die Problematik wird insbesondere dann verschärft, wenn sich die Notwendigkeit einer Neuverteilung je nach Newcomer mehrmals hintereinander wiederholt. Im Ergebnis zeigt sich, daß sich die Verteilungsentscheidung in Form der Lärmkontingentierung zwar durchaus auf Grundlage der Schutzpflicht konstruieren läßt, jedoch aufgrund der Anforderungen an die Konkretheit der Prognose zukünftiger Belastungen und die damit verbundene kurzfristige 309 Vgl. Rid / Hammann, NVwZ 1989,200,201. 310 Vgl. hierzu den Bericht der Projektgruppe Gewerbelärm beim Bundesminister fiir UmweLt, Naturschutz und Reaktorsicherheit "Industrie- und Gewerbelärm", 1988, insbes. S. 33 ff., Anhang 11, S. 29 ff. 311 Es besteht hier durchaus eine Parallele zur Problematik der heranrückenden Wohnbebauung, nach der die Verteilungsentscheidung nach dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme erfolgen muß; vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 2. C. 11. 2. b) aa) ccc) sowie in Teil 3. C. I. 2. a); siehe dazu DoLde, NVwZ 1986, 873, 882; ders., DVBI. 1983, 732, 737; von HoL/eben, DVBI. 1981, 903; SendLer, WiVerw 1977, 94 ff.; Friauf, WiVerw 1986, 87, 113. Allerdings besteht hier der Konflikt nicht zwischen emittierender und immissionsbetroffener Nutzung, sondern zwischen Emittenten untereinander.

184

Teil 3. Die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG

Perspektive dort nur in äußerst engen Grenzen in Betracht kommen kann. Der Schwerpunkt von Verteilungsentscheidungen über die zu nutzende Immissionsressource liegt daher auch im Bereich von Geräuschimmissionen bei der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG312. b) Steuerung durch direkte emissions begrenzende Anforderungen In Ausnahmefällen wird durch die TA Luft die Emissionsbegrenzung auch durch direkte anlagenbezogene Minimierungsgebote geregelt. Nach Nr. 2.3 TA Luft wird die Emission krebserregender Stoffe durch ein allgemeines Minimierungsgebot, welches allein durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt ist, gesteuert 313 . Der Grund für den Verzicht auf die Steuerung durch Immissionswerte liegt in der Tatsache begründet, daß nach derzeitigem Erkenntnisstand keine Menge angegeben werden kann, bei deren Unterschreiten die Immission krebserregender Substanzen unbedenklich ist314 . Die Erkenntnislücken sind aber auch der Grund dafür, daß keine Emissionswerte, deren Einhaltung im Hinblick auf die Gesundheitsgefahr durchaus Maßnahmen erfordern könnten, die über den in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG genannten Stand der Technik hinausgehen, festgelegt worden sind. Die Regelung der Nr. 2.3 TA Luft stellt im Rahmen der Schutzpflicht315 einen Ausnahmetatbestand dar. Zwar hat die direkte, anlagenbezogene Steuerung der Emissionen durch Emissionsgrenzwerte oder allgemeine Minimierungsgebote gegenüber der Steuerung durch Immissionswerte den Vorteil, daß das Maß der von der Anlage ausgehenden Emissionen unproblematisch ermittelt und kontrolliert werden kann. Während Immissionswerte erst dann ihre Wirkung entfalten, wenn die durch sie normierte Belastungshöchstgrenze erreicht ist, wirken direkte Anforderungen an die Emissionsbegrenzung auch unterhalb dieser Schwelle. Sie lassen sich darüber hinaus sehr schnell verändern und können unmittelbar zu einer Veränderung des von allen Anlagen verursachten Emissionsniveaus führen. Im Hinblick auf einen möglichst umfassenden Schutz vor Gesundheitsgefahren ist die direkte anlagenbezogene Steuerung gleichwohl nicht 312 Siehe dazu die Ausführungen in Teil 4. H. 11. 2. cl. 313 Siehe dazu die Ausführungen oben unter Teil 3. D. 11. 2. a) aal. 314 Hansmann, TA Luft, Nr. 2.3 Rn. 1 m. w. N.; neuerdings Breuer, in: MURL (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Immissionsschutzrecht, S. 158, 169 f. 315 Nr. 2.3 unterfalIt der Schutzpflicht, vgl. Nr. 2.2.1.5 TA Luft; vgl. Jarass, NVwZ 1986, 607, 609; Feldhaus I Ludwig I Davids, DVBI. 1986, 641, 651; Hansmann, TA Luft, Nr. 2.3 Rn. 7, der in dieser Vorschrift teilweise auch eine Konkretisierung der Vorsorgepflicht sieht.

E. Maßnahmen der Schutzpflicht

185

unproblematisch. Zum einen begrenzt sie in aller Regel nicht die absolute Höhe der Emissionen, sondern lediglich Emissionskonzentrationen, d. h. die Masse der emittierten Stoffe bezogen auf das Abgasvolumen316 . Darüber hinaus können summative Schadstoftbelastungen, die gerade durch den Immissionsbegriff stringent in die Schädlichkeitsbetrachtung einzubeziehen sind, bei einer direkten Steuerung von Emissionen nur durch sehr vage Abschätzungen berücksichtigt werden 317 . So kann es selbst bei einer stringenten Voll ziehung des Minimierungsgebotes der Nr. 2.3 der TA Luft durch das Zusammenwirken und die Summation mehrer Anlagenbeiträge oder die allgemeine Vorbelastung im Einwirkungsbereich gerade in Ballungsgebieten - zu relevanten Immissionen krebsrerregender Schadstoffe kommen, ohne daß hiergegen eine effektive Steuerung möglich wäre 318 . 2. Sonstige Maßnahmen

Als anlagenbezogene sonstige Maßnahmen zur Erfüllung der Schutzpflicht kommen die Maßnahmen in Betracht, die zur Abwehr störfallbedingter schädlicher Umwelteinwirkungen zu ergreifen sind. Für die störfallbedingten schädlichen Umwelteinwirkungen gelten zwar die gleichen Belastungsgrenzen wie für schädliche Umwelteinwirkungen, die durch den Normalbetrieb einer Anlage verursacht werden; der Störfallschutz läßt sich jedoch durch Immissionsgrenzwerte nicht steuern, da die Einhaltung der Werte keinen Aufschluß über die Störfallsicherheit einer Anlage liefert319 . Als Maßnahmen kommen daher nur direkte anlagenbezogene Anforderungen in Betracht, die unmittelbar auf die Störfallsicherheit der Anlage einwirken. Die Störfall- Verordnung (12. BImSchV) normiert zu diesem Zweck materielle Verpflichtungen, Vorkehrungen zu treffen, um Störflänen

in

Verwertungsformen, nicht

auflösbaren

Vollmurh, Joachim: Unmittelbare und rechtswidrige Verursachung als Voraussetzung der Störerhaftung im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, VerwArch 68 (1977), 45. Wagener, Heiko: Der Anspruch auf Immissionsschutz - Plädoyer für ein einklagbares Recht NuR 1988, 71. Wagner, Hellmut: Die Risiken von Wissenschaft und Technik als Rechtsproblem, NJW 1980, 665,671. Wahl, Rainer: Genehmigung und Planungsentscheidung, DVBI. 1982, 51.

Nachbarschutz im Baurecht, JUS 1984,577. Risikobewertung der Exekutive und richterliche Kontrolldichte, NVwZ 1991,409. Wegener, Gerhard: Rechtliche Aspekte des Verursacherprinzips und Konsequenzen für die Planung, DVBI. 1975, 176. Weyreuther, Felix: Das bebauungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme und seine Bedeutung für den Nachbarschutz, BauR 1975, 1.

378 -

Literaturverzeichnis

Umweltschutz und öffentliche Planung, UPR 1981, 33.

Winter, Gerd: Bevölkerungsrisiko und subjektives öffentliches Recht im Atomrecht, NJW 1979, 393. (Hrsg.), Grenzwerte, Düsseldorf 1986. Gesetzliche Anforderungen an Grenzwerte für Luftimmissionen, in: Grenzwerte, Hrsg. Gerd Winter, Düsseldorf 1986, S. 127. Winters, Karl Peter: Zur Novellierung des Strahlenschutzrechts, DVBI. 1977, 331. -

Zur Entwicklung des Atom- und Strahlenschutzrechts, DÖV 1978,265.

Wittig, Peter: Zum Standort des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im System des Grundgesetzes, DÖV 1968, 817. Wolf, Rainer: Der Stand der Technik - Geschichte, Strukturelemente und Funktion der Verrechtlichung technischer Risiken am Beispiel des Immissionsschutzes, Opladen 1986. WoljJ, Hans Julius I Bachoj, Otto: Verwaltungsrecht, Bd. III, 4. Aufl., München 1978.

Ziegler, Artur: Zum Anlagenbegriff nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, UPR 1984, 170. -

Abwehranspruch gegen den Betrieb einer Feueralarmsirene - Kritische Anmerkung zum Urteil des VGH München vom 2.7. 1986,4 B 82, BayVBI. 1986,692.

Zuleeg, Manfred: Hat das subjektiv öffentliche Recht noch eine Daseinsberechtigung?, DVBI. 1976,509.