Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen 9783486842647, 9783486582024

Eine sachkundige und übersichtliche Analyse der Funktionsweise und Probleme der Weltorganisation.

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Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen
 9783486842647, 9783486582024

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Hinweise für den Leser
Abkürzungsverzeichnis
Kapitel 1. Grundlagen der Vereinten Nationen
Die Diskussion über die ethischen Grundlagen der Vereinten Nationen
Die Vereinten Nationen und die Entwicklung des Völkerrechts
Die Aufgaben der Vereinten Nationen nach der Charta
Kapitel 2. Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen
Abrüstung
Friedenssicherung
Menschenrechtsschutz
Umweltschutz
Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen
Kapitel 3. Die Funktionsweise der Vereinten Nationen
Ressourceneinsatz und politischer Ertrag - das Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln der Mitgliedstaaten und den Leistungen der Vereinten Nationen
Entscheidungsfindung in den Vereinten Nationen
Vereinte Nationen und Global Governance
Vereinte Nationen und nichtstaatliche Organisationen
Die Öffentlichkeitsarbeit der Vereinten Nationen
Das Bild der Vereinten Nationen in der öffentlichen Meinung
Kapitel 4. Struktuprobleme der Vereinten Nationen und Reformkonzepte
Management- und Koordinationsprobleme
Finanzierung
Personal
Externe und interne Kontrolle
Die Reform der Vereinten Nationen
Autorenverzeichnis

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Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen Herausgegeben von

Dr. Helmut Völger

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2007 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089)45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Satz: DTP-Vorlagen des Autors Coverentwurf: Kochan & Partner, München Coverausführung: Gerbert-Satz, Grasbrunn Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 3-486-58202-X ISBN 978-3-486-58202-4

Inhaltsverzeichnis Vorwort Hinweise für den Leser Abkürzungsverzeichnis

VII IX XI

Kapitel 1 Grundlagen der Vereinten Nationen Helmut Volger Die Diskussion über die ethischen Grundlagen der Vereinten Nationen

3

Eckart Klein Die Vereinten Nationen und die Entwicklung des Völkerrechts

21

Markus Pallek Die Aufgaben der Vereinten Nationen nach der Charta

67

Kapitel 2 Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen Adolf von Wagner Abrüstung

101

Manfred Eisele Friedenssicherung

131

Norman Weiß Menschenrechtsschutz

163

Jürgen Maier Umweltschutz

189

Thomas Fues /Stephan Klingebiel Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen

219

VI

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 3 Die Funktionsweise der Vereinten Nationen Karl Th. Paschke Ressourceneinsatz und politischer Ertrag - das Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln der Mitgliedstaaten und den Leistungen der Vereinten Nationen

245

Jochen Prantl Entscheidungsfindung in den Vereinten Nationen

265

Brigitte Hamm Vereinte Nationen und Global Govemance

293

Thomas Fitschen Vereinte Nationen und nichtstaatliche Organisationen

309

Axel Wüstenhagen Die Öffentlichkeitsarbeit der Vereinten Nationen

331

Helmut Volger Das Bild der Vereinten Nationen in der öffentlichen Meinung

363

Kapitel 4 Strukturprobleme der Vereinten Nationen und Reformkonzepte Yves Beigbeder Management- und Koordinationsprobleme

393

Klaus Hüfher Finanzierung

417

Dieter Gothel Personal

439

Karl Th. Paschke Externe und interne Kontrolle

467

Helmut Volger Die Reform der Vereinten Nationen.

487

Autorenverzeichnis.

573

Vorwort Seit dem Millenniums-Gipfel 2000 setzte in den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen eine breite Diskussion über die Aufgaben und Strukturen der Vereinten Nationen ein, über ihre Leistungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit und über die Notwendigkeit von Reformen. Das vorliegende Buch versucht, dem Leser einen Überblick über die von Politikern, UN-Mitarbeitern und UN-Wissenschaftlern geführte Diskussion zu geben. Das Konzept des Buches entwickelte sich in Gesprächen mit den anderen Autoren. So machte Klaus Hüftier den Vorschlag, die klassische Darstellung der Arbeitsgebiete und Strukturen der Vereinten Nationen sowie der Reformkonzepte um eine weitere Perspektive zu ergänzen, die Perspektive der Funktionsweise. Aus weiteren Diskussionen ergaben sich die Leitfragen für dieses Kapitel: Wie kommen Entscheidungen in der UNO zustande? Welche Rolle spielen dabei informelle Staatengruppen? Welche Rolle spielen die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs)? Wie verhalten sich die eingesetzten Ressourcen der Mitgliedstaaten zum - oft kontrovers beurteilten - politischen Ertrag der Arbeit der Vereinten Nationen? Wie kommunizieren die Vereinten Nationen über ihre Arbeit? Welches Bild herrscht in den Mitgliedstaaten über sie vor und welchen Einfluß hat die öffentliche Meinung auf die UN-Politik der Mitgliedstaaten? Was für dieses Kapitel gilt, trifft auch für die übrigen Kapitel zu: Die Fragestellungen entwickelten sich in Diskussionen zwischen dem Herausgeber und den anderen Autoren. Das Buch beginnt mit einem Kapitel über die Grundlagen der Vereinten Nationen: Die Grundlagen bilden zum einen die Charta der Vereinten Nationen sowie das Völkerrecht im allgemeinen, zum anderen ein allgemeiner Wertekonsens, wie er durch die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 durch die UN-Generalversammlung seinen Ausdruck fand. Zwischen den Grundlagen der Arbeit der Vereinten Nationen einerseits und den - zum Teil aus diesen Grundlagen resultierenden, zum Teil aufgrund der jeweiligen politischen Macht- und Interessenkonstellationen sich wandelnden - Strukturen andererseits, in denen sich die Arbeit der Vereinten Nationen vollzieht und die den Rahmen für die sich den konkreten Arbeitsbedingungen flexibel anpassende Funktionsweise der UNO abgeben, bestehen enge Wechselbeziehungen: Wenn sich zum Beispiel der Konsens über die Friedenssicherung wandelt, d. h. die Interpretation der UN-Charta und des übrigen Völkerrechts sich in diesem Punkt verändert, hat das mittel- und langfristig Auswirkungen auf die Strukturen der Vereinten Nationen: Die UNO reagiert mit kleinen, mittleren oder großen Reformschritten, wie sie dies oft in ihrer Geschichte gemacht hat, die Strukturen der UNO wandeln sich. Es ist das Anliegen der Autoren, die Grundlagen und Strukturen der UNO darzustellen, die Interessenlagen der Beteiligten in den Mitgliedstaaten und im System der Vereinten Nationen zu verdeutlichen, auf die

VIII

Vorwort

Chancen für globale Lernprozesse, für Vermittlungsaktionen und für gemeinsame Entschließungen in Form von Resolutionen und Verträgen hinzuweisen, aber auch die Probleme zu erläutern, welche die Weltorganisation bei ihrer Arbeit lösen muß. Ebenso sollen die vorhandenen Reformkonzepte erörtert werden. Die Autoren vertreten in den Beiträgen ihre persönliche Meinung, die nicht der Standpunkt der Institution zu sein braucht, der sie angehören. Übersetzungen englischer Originaltexte ins Deutsche in diesem Buch stammen, soweit nichts anderes angegeben ist, von den Beitragsautoren. Ich danke Prof. Klaus Hüfner und Dr. Norman Weiß für ihre Ratschläge und meiner Frau Anna Volger für ihre Unterstützung bei der redaktionellen Arbeit und beim Layout. Ich danke allen Autoren für ihr Interesse und ihr Engagement, sie haben es möglich gemacht, ein Buch fertigzustellen, das hoffentlich dazu beiträgt, das Verständnis für die Bedeutung und die Arbeitsweise der Vereinten Nationen zu vertiefen.

Helmut Volger

Hinweise für den Leser

1. UN-Dokumente Die Vereinten Nationen verwenden für ihre Dokumente DokumentenNummern, die das Auffinden der Dokumente in Bibliotheken und im Internet erleichtern und außerdem Informationen über das UN-Gremium enthalten, welches das Dokument herausgegeben hat, sowie Informationen über die Art des Dokuments. Vor der Dokumentennummer steht die Buchstabenfolge „UN Doc." fur „UN Document" (UN-Dokument). Das erste Element der Dokumentennummer gibt meistens das Urheberoder das Adressaten-Organ des Dokuments an: A/General Assembly (Generalversammlung) S/Security Council (Sicherheitsrat) E/ Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat) ST/Secretariat (Sekretariat) Dokumente von Unterorganen der UN-Hauptorgane (subsidiary bodies) weisen nach dem Kennbuchstaben für das Hauptorgan an zweiter oder dritter Stelle eine Buchstaben- und Zahlenfolge auf, so z. B.: -/AC..../Ad hoc Committee (Ad-hoc-Ausschuß) -/C..../Standing Committee (Ständiger Ausschuß) -/CN..../Commission (Kommission) -/CONF. .../ Conference (Konferenz) -/SC. .../ Subcommittee (Unterausschuß) -/Sub. .../ Subcommission (Unterkommission) -/WG. .../ Working Group (Arbeitsgruppe) Weitere Buchstabenfolgen kennzeichnen die Art des Dokuments, so z. B.: -/RES/Resolution (Resolution) -/PV. .../ Verbatim Records of the Meeting - Procès Verbaux (Wortprotokoll) -/PRST/ Statement of the President of the Security Council (Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats) -/CRP..../ Conference Room Paper (Konferenzraum-Text) -AVP. .../ Working Paper (Arbeitspapier) 1.1. Beispiele für UN-Dokumenten-Nummern: UN Doc. A/RES/60/1 = Resolution der 60. Sitzungsperiode der Generalversammlung mit der laufenden Nummer 1. UN Doc. A/59/565 = Dokument der 59. Sitzungsperiode der Generalversammlung mit der laufenden Nummer 565. UN Doc. S/2004/616 = Dokument des Sicherheitsrats aus dem Jahr 2004 mit der laufenden Nummer 616. UN Doc. A/58/PV.7 = Wortprotokoll der 7. Plenarsitzung der 58. Sitzungsperiode der UN-Generalversammlung.

X

Hinweise für den Leser

UN Doc. A/AC.241/27 = Dokument Nr. 27 des von der UN-Generalversammlung eingerichteten Ad-Hoc-Ausschusses mit der lfd. Nr. 241, des zwischenstaatlichen Verhandlungsausschusses zur Erarbeitung der Konvention gegen Wüstenbildung. Nähere Informationen zu den UN-Dokumenten-Nummern finden Sie auf der Internet-Homepage der Dag-Hammarskjöld-Library der UNO in New York: www.un.org/Depts/dhl/products.htm#UNDOC. Besonders zu empfehlen ist der einführende Text „United Nations Documentation. ABrief Guide", http://daccess-ods.un.org/access.nsf/Get?Open&DS=ST/LIB/34/Rev.2&Lang=E. 1.2. Informationen über den Zugang zu UN-Dokumenten Ausführliche Informationen zu den verschiedenen Arten von UN-Dokumenten, Presseerklärungen und sonstigen UN-Texten finden Sie in der Zusammenstellung der Dag-Hammarskjöld-Library mit dem Titel „United Nations Documentation: Research Guide" (www.un.org/Depts/dhl/resguide/). Dort wird auch über den Internet-Zugang zu den UN-Dokumenten informiert. Internetlinks zu UN-Dokumenten und sonstigen UN-Texten in übersichtlicher Form finden Sie im „UN Documentation Centre" (www.un.org/documents/). 2. Internetadressen: Bei Internetadressen wird im Buch zur Vereinfachung die Buchstabenfolge „http://" am Beginn der Internetadresse nur dann angegeben, wenn nach dem Doppelschrägstrich „//" nicht das überwiegend verwendete „www." folgt, sondern andere Buchstabenfolgen. Beispiel: Die im Buch angegebene Internetadresse „www.ohchr.org" lautet vollständig „http://www.ohchr.org". Vollständig angegeben ist dagegen z. B. die Internetadresse „http://unfccc.int".

Abkürzungsverzeichnis AA a. A. a.a.O. ABC Abb. Abs. ACABQ ACC AEMR AJIL AOSIS ArchVR Art. ASG ASIL AU Aufl. Bd. betr. bearb. BerDGV BGBl. BMZ BSP BT Bull. BWÜ CAP CARE CAT CBD CBS CCAs CCD CCP CD CDM CEB CEDAW

CERF CERD CHR CISG

Auswärtiges Amt anderer Auffassung am angegebenen Ort American Broadcasting Company Abbildung Absatz Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions (Beratender Ausschuß für Verwaltungs- und Haushaltsfragen) Administrative Committee on Co-ordination (Verwaltungsausschuß für Koordinierung) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte American Journal of International Law Alliance of Small Island States (Allianz der kleinen Inselstaaten) Archiv des Völkerrechts Artikel Assistant Secretary-General (Beigeordneter Generalsekretär) American Society of International Law Afrikanische Union Auflage Band betreffend bearbeitet(e) Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetzblatt Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bruttosozialprodukt Deutscher Bundestag Bulletin Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen Consolidated Appeal Process (Prozeß der konsolidierten Beitragsappelle) Cooperative for American Relief to Everywhere Committee against Torture (Ausschuß gegen Folter) Convention on Biological Diversity (Konvention über die Biologische Vielfalt) Columbia Broadcasting System Common Country Assessments (Gemeinsame Landesbewertung) Convention to Combat Desertification (Desertifikationskonvention) Consultative and Co-ordination Process in New York relating to the work of the Contact Group (Beratungs- und Koordinationsprozeß in New York in Bezug auf die Arbeit der Kontaktgruppe) Conference on Disarmament (Ständige Abrüstungskonferenz) Clean Development Mechanism (Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung) UN System Chief Executives Board (Koordinierungsrat der Leiter der Organisationen des UN-Systems) Committee on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung Frau) Central Emergency Revolving Fund (zentraler revolvierender Nothilfefonds) Committee on the Elimination of Racial Discrimination (Ausschuß zur Beseitigung von Rassendiskriminierung) Commission on Human Rights (s. MRK) UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Übereinkommen der UN über Verträge über den internationalen Warenkauf)

XII CITES

CMS CMW CNGO CNN COPUOS CPC CSD CSR CTBTO CWÜ DDR DDR DEDA W DES A DGVN DHA DTIE Doc. DPA DPI DPKO Drs. E10 ebd. ECE ECHA ECOSOC ECOWAS ECPS EEG EG EGMR Einl. EJIL EMRK

Abkürzungsverzeichnis Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen - Washingtoner Artenschutzabkommen) Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals (Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten) Convention on the Protection of the Rights of all Migrant Workers and Members of Their Families (Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienmitglieder) Committee on Non-Governmental Organizations (Ausschuß fur nichtstaatliche Organisationen) Cable News Network Committee on the Peaceful Uses of Outer Space (Ausschuß fur die friedliche Nutzung des Weltraums) Committee for Programme and Coordination (Programm- und Koordinierungsausschuß) Commission on Sustainable Development (Kommission fur nachhaltige Entwicklung) Corporate Social Responsibility (Soziale Verantwortung von Industrieunternehmen) Comprehensive Test Ban Treaty Organization (Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen) Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen Disarmament, Demobilization & Reintegration (Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung) Deutsche Demokratische Republik Declaration on the Elimination of Discrimination Against Women (Erklärung über die Beseitigung der Diskriminierung der Frau) Department of Economic and Social Affairs (Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten) Deutsche Gesellschaft fur die Vereinten Nationen Department of Humanitarian Affairs (Hauptabteilung Humanitäre Angelegenheiten) Division of Technology, Industry and Economics (Abteilung Technologie, Industrie und Wirtschaft) Document Department of Political Affairs (Hauptabteilung Politische Angelegenheiten) Department of Public Information (Hauptabteilung Presse und Information) Department of Peacekeeping Operations (Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze) Drucksache Elected Ten (die gewählten 10 nichtständigen Mitglieder im Sicherheitsrat) ebenda Economic Commission for Europe (Wirtschaftskommission fur Europa) Executive Committee on Humanitarian Affairs (Exekutivausschuß für humanitäre Angelegenheiten) Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat) Economic Community of West African States (Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten) Executive Committee for Peace and Security (Exekutivausschuß fur Frieden und Sicherheit) Group of Eastern European States (Gruppe der osteuropäischen Staaten) Europäische Gemeinschaft Europäische Gesellschaft für Menschenrechte Einleitung European Journal of International Law Europäische Menschenrechtskommission

Abkürzungsverzeichnis EP EPIL ERC erw. et al. EU EuGRZ EUV FAO f. (ff.) FLEGT FMCT

Fn. Fs. FSC GA GAO GAOR GASP G77 G4 GBl. gem. GC GEF GEMS ggs. GIWA GM GMEF GNP GO GPA GRI GRID GRULAC GS GTZ GV GVOs GYBIL HLCM HLCP HMG Hrsg. hrsg. HSFK

XIII

Europäisches Parlament Bernhardt, R. (Hrsg.): Encyclopedia of Public International Law Emergency Relief Coordinator (Nothilfekoordinator) erweitert(e) et alii (und andere) Europäische Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift Vertrag über die Europäische Union Food and Agriculture Organization (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation) folgende Seite(n) Forest Law Enforcement, Governance and Trade (Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel im Forstsektor) Fissile Material Cut-Off Treaty - treaty banning the production of fissile material for nuclear weapons or other nuclear explosive devices (Vertrag über das Verbot der Herstellung von spaltbarem Material für Kernwaffen oder andere Kernsprengkörper) Fußnote Festschrift Forest Stewardship Council (Weltforstrat) General Assembly (Generalversammlung) United States General Accounting Office (Bundesrechnungshof der USA) General Assembly Official Records Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (der EU) Gruppe der 77 Group of Four Gesetzblatt gemäß Global Compact (Globaler Pakt) Global Environment Facility (Globale Umweltfazilität) Global Environmental Monitoring System (Globales Umweltüberwachungssystem) gegenseitig Global International Water Assessment (Globales Umweltüberwachungssystem) Globaler Mechanismus Global Ministerial Environment Forum (Globales Ministerforum Umwelt) Gross National Product (Bruttosozialprodukt) Geschäftsordnung Global Programme of Action for the Protection of the Marine Environment from Land-Based Activities (Weltaktionsprogramm zum Schutz der Meeresumwelt gegen vom Lande ausgehende Tätigkeiten) Global Reporting Initiative (Globale Berichterstattungsinitiative) Global Resource Information Data Base (Informationsdatenbank der globalen Ressourcen) Group of Latin American and Caribbean States (Gruppe der lateinamerikanischen und karibischen Staaten Generalsekretär Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit Generalversammlung genetisch veränderte Organismen German Yearbook of International Law High-level Committee on Management (Hochrangiger Ausschuß für Managementfragen) High-level Committee on Programmes (Hochrangiger Ausschuß für Programmfragen) Hochrangige Managementgruppe Herausgeber herausgegeben Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

XIV HuV-I IAEA IAEO IASC IBRD ICAO ICC ICCPR ICJ ICSC ICSID ICTR ICTY i.d.F. i.d.R. IDA IEG i.e.S. IF AD IFF IFC IFOR IGH IKRK ILC ILM ILO IMF IMO IMTF INEF insbes. int. 10 IOM IP IPCC IPbpR IPEC IPF IPTF IPU IPwskR

Abkürzungsverzeichnis Humanitäres Völkerrecht, Informationsschriften International Atomic Energy Agency (s. IAEO) Internationale Atomernergie-Organisation Interangency Standing Committee (Ständiger Interinstitutioneller Ausschuß) International Bank for Reconstruction and Development (Internationale Bank für Wiederaudbau und Entwicklung) International Civil Aviation Organization (Internationale ZivilluftfahrtOrganisation) International Criminal Court (Internationaler Strafgerichtshof/IntStGH)) International Covenent on Civil and Political Rights (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte) International Court of Justice (Internationaler Gerichtshof) International Civil Service Commission (Kommission für den internationalen öffentlichen Dienst) International Centre for Settlement of Investment Disputes (Internationales Zentrum fur die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten) International Criminal Tribunal for Rwanda (Internationales Strafgericht für Ruanda) International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (Internationales Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien) in der Fassung in der Regel International Development Association (Internationale Entwicklungsorganisation) International Environmental Governance (eine internationale Umweltordnung) im engeren Sinne International Fund for Agricultural Development (Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung) Intergovernmental Forum on Forests (Zwischenstaatliches Waldforum) International Finance Corporation (Internationale Finanz-Corporation) Implementation Force (Friedensumsetzungstruppe) Internationaler Gerichtshof Internationales Komitee vom Roten Kreuz International Law Commission (Völkerrechtskommission) International Legal Materials International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation/IAO)) International Monetary Fund (Internationaler Währungsfond/IWF) International Maritime Organization (Internationale SeeschiffahrtsOrganisation) Integrated Mission Task Force (Integrierter Missionsarbeitsstab) Institut für Entwicklung und Frieden insbesondere international International Organizations International Organization for Migration (Internationale Organisation für Migration) Internationale Politik (Berlin), früher EA = Europa Archiv Intergovernmental Panel on Climate Change (Zwischenstaatliche Sachverständigengruppe über Klimaänderungen) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Intergovernmental Panel on Global Environmental Change (Zwischenstaatliche Sachverständigengruppe über Globale Umweltveränderungen) Intergovernmental Panel on Forests (Zwischenstaatliche Sachverständigengruppe für Wälder) International Police Task Force (Internationale Polizeieinsatztruppe) Inter-Parlamenary Union (Interparlamentarische Union) Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Abkürzungsverzeichnis i.R. i.S. (v.) IStGH ITU ITTA i. V. m. IWF i. w. S. Jg. Jh. JIU JREC JUNIC JuS JZ Kap. KFOR KfW KP KSZE lfd. lit. MDGs MDM m. E. ME MIGA MINURCA MONUC MPYBUNL MRA Mrd. MRK MSF MTCR m.w.N. NATO NAM NBSAP NEPAD n.F. NGO NILR No. Nr. NW NWWO OAS OCHA

XV

im Rahmen im Sinne (von) Internationaler Strafgerichtshof International Telecommunication Union (Internationale Fernmeldeunion) International Tropical Timber Agreement (Internationales TropenholzÜbereinkommen von 1994) in Verbindung mit Internationaler Währungsfonds im weiteren S inne Jahrgang Jahrhundert Joint Inspection Unit (Gemeinsame Inspektionsgruppe) Johannesburg Renewable Energy Coalition (Johannesburg-Koalition für erneuerbare Energien) Joint United Nations Information Committee (Gemeinsamer Informationsausschuß der Vereinten Nationen) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kapitel Kosovo Force (Kosovo-Truppe) Kreditanstalt für Wiederaufbau Kyoto-Protokoll Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Laufend Buchstabe Millenium Development Goals (Millenniums-Entwicklungsziele) Médecins du Monde meines Erachtens Millenniums-Erklärung Multilateral Investment Guarantee Agency (Multilaterale Investitionsgarantie-Agentur) Mission des Nations Unies en République Centrafricaine (Mission der UNO in der Republik Zentralafrika) Mission de L'ONU en République Démocratique du Congo (UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo) Max Planck Yearbook of United National Law Menschenrechtsausschuß Milliarden Menschenrechtskommission Médecins sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) Missile Technology Control Regime (Kontrollregime fur Raketentechnologie) mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikpakt) Non-Aligned Movement (Blockfreienbewegung) National Biodiversity Stratgies and Action Plans (Nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne) New Partnership for Africa's Development (Neue Partnerschaft fur Afrikas Entwicklung) neue Fassung Non-Governmental Organization (Nichtstaatliche Organisation) Netherlands International Law Review Number, numéro (Nummer) Nummer Nichtverbeitungsvertrag Neue Weltwirtschaftsordnung Organization of American States (Organisation Amerikanischer Staaten) Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (Amt fur die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten)

XVI ODA ODI OECD OHCHR OHCR OIOS OLAF (EU) ONUC OSCE OPEC OPCW OSZE P5 para plen. POPs PPBS PPP PRGF PRSP Prot. RBB RdC Rep. Res./RES Rn. ROE RUNIC RuP S. s. (o./u.) SALT SC SEF Sess. SHIRBRIG SFOR SIPRI SG SGV SMG

Abkürzungsverzeichnis Official Development Assistance (Öffentliche Entwicklungshilfe, d.h. Entwicklungshilfe von staatlichen Stellen und multilateralen Institutionen) Overseas Development Institute (Institut ftir die Erforschung der Entwicklungsprozesse in Übersee) Organization for Economic Co-operation and Development (Organisation fur Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Office of the High Commissioner for Human Rights (Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte) Office of the High Commissioner for Refugees (Amt des Hohen Flüchtlingskommissariats) Office of Internal Oversight Services (Amt fur Interne Aufsichtsdienste) Office Européen de Lutte Anti-Fraude (Europäisches Amt fur Betrugsbekämpfung) Opération des Nations Unies au Congo (Operation im Kongo) Organization for Security and Cooperation in Europe (s. OSZE) Organization of the Petroleum Exporting Countries (Organisation Erdöl exportierender Staaten) Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) Organisation fur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Permanent Five (Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates) paragraph (Paragraph) plenary (Plenum) Stockholm Convention on Persistent Organic Pollutants (Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe/POPsÜbereinkommen) Planning, Programming, and Budgeting System (Planung, Programmierung und Budgetwesen) Public Private Partnership (Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft) Poverty Reduction and Growth Facility (Armutsreduzierungs- und Wachstumsfazilität) Poverty Reduction Strategy Paper (Strategiedokument zur Armutsbekämpfung) Protokoll Results-Based Budgeting (Ergebnisorientierte Haushaltsplanung) Receuil des Cours de l'Académie de Droit International Report (Bericht) Resolution Randnummer Rules of Engagement (Verhaltensregeln für die Durchfuhrung des Einsatzes) Regional United Nations Information Centre for Western Europe (Regionales Informationszentrum der UNO für Westeuropa) Recht und Praxis (Ztschr.) Seite siehe (oben/unten) Strategie Arms Limitation Talks (Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Waffen) Security Council (Sicherheitsrat) Stiftung Entwicklung und Frieden Session Multinational United Nations Stand-by Forces High Readiness Brigade (Multinationale UN-Brigade aus Eingreiftruppen hoher Bereitschaft) Stabilization Force (Stabilisierungstruppe) Stockholm International Peace Research Institute Secretary-General (Generalsekretär) Sonder-Generalversammlung Senior Management Group (Hochrangige Managementgruppe)

Abkürzungsverzeichnis SOFA SOMA Sp. SPC SR SRSG SRÜ START ST/SGB suppl. Tab. TRIP TZ Übers. UdSSR UN UNAIDS UNAMIR UNAMSIL UNCDF UNCED UNCITRAL UNCIVPOL UNCLOS UNCOD UNCTAD UNDAF UN Doc. UNDG UNDOF UNDP UNDP-DDC UNEF UNEP UNESCO UNFCCC UNFF UNFICYP UNFIP UNFPA UNHCHR UNHCR

XVII

Status of Force Agreement (Abkommen über die Rechtsstellung der Streitkräfte) Status of Mission Agreement (Abkommen über die Rechtsstellung der Friedensmission) Spalte United Nations Staff Pension Committee (Ausschuß für das Pensionswesen der Vereinten Nationen) Sicherheitsrat Special Representative of the Secretary-General (Sonderbeauftragter des Generalsekretärs) Seerechtsübereinkommen Strategie Arms Reduction Talks (Verhandlungen über den Abbau strategischer Nuklearwaffen) Secretariat/Secretary-General 's Bulletin Supplement (Ergänzung) Tabelle Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights (handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum) Technische Zusammenarbeit Übersetzung Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations (Vereinte Nationen/VN) Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen gegen HIV/AIDS UN Assistance Mission for Rwanda (UN-Hilfsmission für Ruanda) UN Mission in Sierra Leone (UN-Mission in Sierra Leone) UN Capital Development Fund (Kapitalentwicklungsfonds der UN) UN Conference on Environment and Development (UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung UN Commission on International Trade Law (Kommission der Vereinten Nationen fur internationales Handelsrecht) UN Civilian Police (UN-Zivilpolizei) UN Convention on the Law of the Sea (UN-Seerechtskonvention) UN Conference on Desertification (Konferenz der UN über die Wüstenbildung) UN Conference on Trade and Development (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) UN Development Assistance Framework (UN-EntwicklungshilfeProgrammrahmen) United Nations Document (UN-Dokument) UN Development Group (UN-Gruppe für Entwicklungsfragen) UN Disengagement Observer Force (UN-Beobachtergruppe fur die Truppenentfelechtung) UN Development Programme (UN-Entwicklungsprogramm) UNDP-Drylands Development Center (Zentrum zur Erschließung der Trockengebiete) UN Emergency Force (Noteinsatztruppe der Vereinten Nationen) UN Environment Programme (UN-Umweltprogramm) UN Educational, Scientific and Cultural Organization (Organisation der UN für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) UN Framework Convention on Climate Change (UN-Klimarahmenkonvention) UN Forum on Forests (Wälderforum der Vereinten Nationen) UN Peacekeeping Force in Cyprus (UN-Friedenstruppe in Zypern) UN Fund for International Partnerships (Fonds der Vereinten Nationen für internationale Partnerschaften) UN Population Fund (UN-Bevölkerungsfonds) Office of the High Commissioner for Human Rights (Hochkommissariat fur Menschenrechte) UN High Commisioner for Refugees (Hoher Kommissar der Vereinten Nationen fur Flüchtlinge)

XVIII UNICEF UNIDO UNIFEM UNIFIL UNIKOM UNJSPB UNJSPF UNMACC UNMEE UNMIBH UNMIH UNMIK UNMIL UNMOGIP UNMOVIC UNO UNOG UNOMIG UNOMSIL UNOPS UNOSOM UNPREDEP UNPROFOR UNRIC UNRWA UNSAS UNSCOM UNSO UNTAES

UNTAET UNTS UNTSO UNV UNYB UPU USG Verf. vgl. V.G.

Abkürzungsverzeichnis UN Children's Emergency Fund (seit 1954: UN Children's Fund; Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen)) UN Industrial Development Organization (UN-Organisation für industrielle Entwicklung) UN Development Fund for Women (Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen fur die Frau) UN Interim Force in Lebanon (UN-Interimstruppe in Libanon) UN Iraq-Kuwait Observation Mission (UN-Beobachtermission für Irak und Kuwait) United Nations Joint Staff Pension Board (Gemeinsamer Rat für das Pensionswesen der Vereinten Nationen) UN Joint Staff Pension Fund (Gemeinsamer Pensionsfonds für das UNSystem) UN Mine Action Coordination Centre (UN-Minenkoordinationszentrum) UN Mission in Ethiopia and Eritrea (UN-Mission in Äthiopien und Eritrea) UN Mission in Bosnia-Herzegovina (UN-Mission in Bosnien und Herzegowina) UN Mission in Haiti UN Interim Administration Mission in Kosovo (UN-Übergangsverwaltungsmission im Kosovo) UN Mission in Liberia UN Military Observer Group in India and Pakistan (UN-Militärbeobachtergruppe in Indien und Pakistan) UN Monitoring, Verification and Inspection Commission (Überwachungs-, Verifications- und Inspektionskommission der UN) United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen) UN Office at Geneva (UN-Büro in Genf) UN Observer Mission in Georgia (UN-Beobachtermission in Georgien) UN Observer Mission in Sierra Leone (UN-Beobachtermission der in Sierra Leone) Un Office for Project Services (UN-Büro für Projektdienste) UN Operation in Somalia (UN-Operation in Somalia) UN Preventive Deployment Force (Präventiveinsatztruppe der Vereinten Nationen) UN Protection Force (UN-Schutztruppe im ehemaligen Jugoslawien) Regional United Nations Information Centre for Western Europe (Regionales Informationszentrum der UNO fur Westeuropa) UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (Hilfswerk der UN fur Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten) UN Standby Arrangements System (System der Verfugungsbereitschaftsabkommen der Vereinten Nationen) UN Special Commission (UN-Sonderkommission) UN Sudan-Sahelian Office (Büro der UN für die Sudan-Sahel-Region) UN Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium (Übergangsverwaltung für Ostslawonien, die Baranja und Westsirmien) UN Transitional Administration in East Timor (UN-Übergangsverwaltung in Osttimor) UN Treaty Series (Vertragssammlung der UN) UN Truce Supervision Organization (UN-Organisation zur Überwachung des Waffenstillstands in Palästina) UN Volunteers Programme (Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen) Yearbook of the United Nations Universal Postal Union (Weltpostverein) Undersecretary General (Untergeneralsekretär) Verfasser vergleiche Vorläufige Geschäftsordnung

Abkürzungsverzeichnis VN VN vol. vorl. WCD WEO WEOG WFP WFUNA WHO WIPO WMO WSSD WTO WVK ZaöRV Ziff. ZfP

XIX

Vereinte Nationen Vereinte Nationen (Zeitschrift) volume(s), (Band, Bände) vorläufig World Commission on Dams (Weltkommission über Dammbau) World Environment Organization (Weltumweltorganisation) Western Europe and Others Group - Group of Western European and Other States (Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten) World Food Programme (Welternährungsprogramm/WEP) World Federation of United Nations Associations (Weltverband der Gesellschaften für die Vereinten Nationen) World Health Organization /Weltgesundheitsorganisation) Wolrd Intellectual Property Organization (Weltorganisation für geistiges Eigentum) World Meteorological Organization (Weltorganisation für Meteorologie/WOM) World Summit on Sustainable Development (Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung World Trade Organization (Welthandelsorganisation) Wiener Konvention über das Recht der Verträge Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Ziffer Zeitschrift für Politik

Kapitel 1

Grundlagen der Vereinten Nationen

Die Diskussion über die ethischen Grundlagen der Vereinten Nationen Helmut Volger

Wenn sich Politiker, UN-Forscher oder Journalisten mit den Vereinten Nationen beschäftigen, ist viel von ihren Organen und Kompetenzen, von ihrer Effizienz, von Strukturproblemen und Aufgaben die Rede und von den völkerrechtlichen und den machtpolitischen Grundlagen dieser Organisation, selten jedoch von den ethischen Grundlagen, den sie tragenden gemeinsamen Werten. Das erstaunt etwas, denn jede Gemeinschaft - ob es sich um eine Familie, einen Verein, eine Gemeinde, eine Religionsgruppe, eine ethnische Gruppe oder einen Staat handelt, braucht gemeinsame Wertvorstellungen, einen ethischen Konsens, damit sie tragfähig ist. Bei den aufgezählten Gemeinschaften liegt diese Einsicht nahe, weil jeder Mitglied solcher Gemeinschaften ist und deren Wertvorstellungen kennengelernt und - zumindest zum Teil - übernommen hat, er fühlt sich als Teil dieser Wertegemeinschaften. Bei der UNO, die ja keine überschaubare soziale Gemeinschaft, sondern der Ort ist, wo sich im Rahmen eines institutionellen Gefüges die Vertreter der Staaten der Welt zur Lösung gemeinsamer Probleme treffen, das „Forum der Welt", die „Weltbühne", vermuten viele keine Wertvorstellungen. Man kann sich nicht recht vorstellen, wie diese Organisation, die ja im Gegensatz zu den sozialen Gemeinschaften Familie, Verein, Gemeinde, Religionsgruppe, Ethnie und Staat keine Lebens- oder Glaubensgemeinschaft darstellt, in der man lebt und arbeitet, gemeinsame Wertvorstellungen entwickeln kann. Und doch ist dies möglich und notwendig, um die auftretenden Interessen- und Meinungsunterschiede zwischen den Staaten der Welt auszutarieren, ihre unterschiedlichen Wertvorstellungen, die in unterschiedlichen politischen Zielvorstellungen und Methoden ihren Ausdruck finden, einander anzunähern: Es ist möglich und erforderlich, einen ethischen Minimalkonsens herzustellen, der für alle trotz ihrer unterschiedlichen Werte im einzelnen tragbar ist, weil sie diese universellen Grundwerte gemeinsam akzeptieren können, und den man versucht, für alle Staaten verbindlich zu machen. 1. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als ethischer Grundkonsens Ein erster Versuch, einen solchen expliziten ethischen Minimalkonsens zu finden, war zweifellos die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1 im Der Beitrag wurde v o m Autor im März 2006 abgeschlossen. 1 Angenommen durch Resolution 217 A (III) der UN-Generalversammmlung vom 10. Dezember 1948; dt. Fassung in: Christian Tomuschat (Hrsg.), Menschenrechte. Eine

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Jahr 1948, wobei die höchst schwierige Aufgabe, einen solchen Konsens über die Natur der Menschenrechte und ihren Umfang jenseits aller kulturellen, religiösen und sozialen Unterschiede zu finden, vielleicht erleichtert wurde durch die Erfahrungen vieler Politiker, welche furchtbaren Verletzungen der Menschenrechte durch den Faschismus begangen wurden, und durch die damit verbundenen Einsicht, daß man trotz vorhandener Meinungsunterschiede etwas für den Schutz der Menschenrechte unternehmen müsse. Die Menschenrechtserklärung stellt noch heute einen eindrucksvollen ethischen Kodex dar, der nicht umsonst das Vorbild für viele neue Staatsverfassungen bildet. Sie ist, wie es die Resolution der UN-Generalversammlung „Globale Agenda für den Dialog der Kulturen" aus dem Jahr 2001 2 formuliert, „ein von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal", „Quelle der Inspiration für die weitere Förderung und den weiteren Schutz aller Menschenrechte und Grundfreiheiten politischer, sozialer, wirtschaftlicher, bürgerlicher und kultureller Art, einschließlich des Rechts auf Entwicklung". Einen Mangel weist, was die UNO betrifft, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf, sie ist zwar ein in einem Gremium der UNO der Menschenrechtskommission - entstanden und von der UN-Generalversammlung verabschiedet worden, sie beschäftigt sich jedoch nur mit den Menschenrechten in den Staaten der Welt; sie enthält keine Aussagen über die Wertorientierung der Vereinten Nationen allgemein und die damit verbundene Politik in den anderen Aufgabengebieten neben dem Schutz der Menschenrechte. 2. Das Problem des ethischen Konsenses in der UNO Dieser Mangel an gemeinsamen Wertvorstellungen zeigte und zeigt sich am deutlichsten bei der Entwicklungszusammenarbeit der UNO und im Umweltschutz, aber auch in den übrigen Aufgabenbereichen der UNO, wo oft sehr unterschiedliche Wertvorstellungen in den UN-Gremien aufeinandertreffen und damit einhergehende unterschiedliche politische Ziele. Der Mangel an gemeinsamen Wertvorstellungen findet auch seinen Niederschlag in der Haltung zur UNO bei den politischen Akteuren und in der öffentlichen Meinung in den Mitgliedstaaten.3 Je nach den eigenen ethischen Normen sehen die Politiker und die Bürger in den Mitgliedstaaten in der UNO nur ein Organisationsgefüge zur außenpolitischen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Rahmen der eigenen Interessen oder eine Organisation, die in solidarischer Verantwortung den Menschen in aller Welt bei der Lösung von Problemen hilft und den sozialen Fortschritt befördert.

Sammlung internationaler Dokumente zum Menschenrechtsschutz, 2. erw. Aufl., Bonn 2002; im Internet: www.unhchr.ch/udhr/lang/ger.htm. U N Doc. A/RES/56/6 vom 21.11.2001. 3 Vgl. hierzu den Beitrag von Helmut Volger in diesem Buch über das Bild der U N O in der öffentlichen Meinung. 2

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Es fällt auf, daß in der Reihe der Generalsekretäre die meisten sich der immensen Aufgabe, einen ethischen Konsens fur die Arbeit der UNO zu entwickeln, nicht oder nur in geringem Maße angenommen haben, was verständlich ist, da sie genügend andere, höchst schwierige Aufgaben in der Konfliktschlichtung und Friedenssicherung zu bewältigen hatten. Dag Hammarskjöld jedoch hat sich - seiner Biographie entsprechend intensiv mit den ethischen Grundlagen der UNO beschäftigt und ist vielleicht deshalb von den UN-Mitarbeitern sehr geschätzt worden und genießt noch heute ein hohes Ansehen in der Weltöffentlichkeit, wenn auch seine Leistung eigentlich „nur" darin bestand, die ethische Dimension der UNO in der von ihm geforderten Politik der Mitgliedstaaten in der UNO einzufordern, eine Verantwortungsethik der Staats- und Regierungschefs zu einem Zeitpunkt, wo im Kalten Krieg Machtpolitik, ideologische Differenzen und militärische Fragen die Oberhand hatten. 4 Für Hammarskjöld haben die Ziele und Prinzipien der UN-Charta einen direkten Bezug zu den akzeptierten ethischen Standards in den Mitgliedstaaten, sie sind auf die internationale Ebene und in die internationale Gemeinschaft transponiert worden: "The purposes and principles of the Charter are set out in its Preamble and further developed in a series of articles ... Together these parts of the Charter lay down some basic rules of international ethics by which all Member States have committed themselves to be guided. ...they appear, in the main, as a projection into the international arena and the international community of purposes and principles already accepted as being of national validity. In this sense the Charter takes a first step in the direction of an ... international community, and this independently of the organs set up for international cooperation." 5 Die UN-Charta stellt für ihn den Grundbaustein für eine internationale Ethik dar, und zwar unabhängig von der konkreten Ausgestaltung und praktischen Politik der Vereinten Nationen. Die Mitarbeiter der UNO, aber auch die in ihr zusammengeschlossenen Mitgliedstaaten haben die Aufgabe, diese internationale Ethik in der Weltpolitik in praktische Politik umzusetzen. Hammarskjöld fand mit seinem Verständnis der Aufgabe der Vereinten Nationen zwar viel Unterstützung bei den UN-Mitarbeitern, bei den kleineren und mittleren UN-Mitgliedstaaten und auch in der Weltöffentlichkeit, jedoch nicht bei den Großmächten, die sein Amtsverständnis kritisierten und ihn wenig unterstützten. 6 Es war mutig von ihm, in dieser von machtpolitischen Konzepten beherrschten Phase der Weltpolitik zu versuchen, der Machtpolitik ein Ethos entgegenzusetzen, wie Sydney Bailey es beschreibt: „He sought to persuade people and governments to

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Manuel Fröhlich, Dag Hammarskjöld und die Vereinten Nationen. Die politische Ethik des UNO-Generalsekretärs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2002, S. 21 Iff. 5 Dag Hammarskjöld, Introduction to the Sixteenth Annual Report, 17.8. 1961, in: Andrew Cordier/Wilder Foote (Hrsg.), Public Papers of the Secretaries-General of the United Nations, Volume V, N e w York/London 1975, S. 543-544. 6 Manuel Fröhlich, Dag Hammarskjöld (Fn. 4), S. 358f.

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act in ways they had not originally intended, not by the threat of physical coercion, but by the presence of a moral symbol." 7 Das heißt aber nicht, daß die anderen UN-Generalsekretäre sich nicht für ethische Werte in der Weltpolitik implizit eingesetzt hätten, sie haben durch ihre humanitären Vermittlungsdienste und ihr Eintreten für Verständigung und Frieden durchaus Zeichen gesetzt; jedoch war die Rolle ethischer Werte kein Thema in der UNO, wurde die Politik der Mitgliedstaaten nicht explizit an ethischen Werten gemessen. Das mag auch daran liegen, daß UN-Mitarbeiter bis hin zum Generalsekretär aus ihrer Vermittlerposition dazu neigen, eher pragmatisch nach kleinen humanitären Schritten, nach Schlichtungslösungen zu streben, ohne die Frage nach der ethischen Dimension des Verhaltens der Konfliktparteien und auch der UNOOrganisationen zu stellen, ein verständliches Verhalten, aber auf lange Sicht für die UNO ein Problem, weil ihr ethisches Profil, das angestrebte Ideal, dann undeutlich wird. Unter Generalsekretär Kofi Annan haben ethische Fragestellungen wieder ein größeres Gewicht in den Vereinten Nationen bekommen, ausgelöst durch vielfache Bestrebungen aus den Mitgliedstaaten, angesichts der vielen virulenten Konflikte in aller Welt, die oft mit ethnischen und religiösen Unterschieden begründet wurden, zu einem Dialog der Kulturen und zu einer Verständigung über gemeinsame Werte in der Weltgemeinschaft zu kommen. 3. Projekt Weltethos So gab es seit Ende der achtziger Jahre das „Projekt Weltethos" des Theologen Hans Küng, das er 1990 im Rahmen eines Buches mit dem gleichnamigen Titel vorstellte.8 In dem Buch wird die Idee entwickelt, daß die Religionen der Welt nur dann einen Beitrag zum Frieden der Menschheit leisten können, wenn sie sich auf das ihnen gemeinsame Ethos besinnen: auf einen Grundkonsens bezüglich bestehender verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und persönlicher Grundhaltungen. 1992 stellte Küng sein Projekt in einem Vortrag am Sitz der Vereinten Nationen in New York zum Thema „Globale Verantwortung: Ein neues Ethos in einer neuen Weltordnung" den Vereinten Nationen vor.9 1993 verabschiedete die interreligiöse Organisation „Parlament der Weltreligionen" eine „Erklärung zum Weltethos", deren Entwurf unter Federführung von Hans Küng im Institut für ökumenische Forschung der Universität Tübingen entstanden war.10

7 Sydney D. Bailey, The United Nations Secretariat, in: Evan Luard (Hrsg.), The Evolution of International Organization, London 1966, S. 93. 8 Hans Küng, Projekt Weltethos, München 1990. 9 Vgl. Hans Küng, Menschenverantwortung für die Menschenrechte: Eine Herausforderung für die Vereinte Nationen, in: Karl-Josef Kuschel et al. (Hrsg.), Ein Ethos für eine Welt? Globalisierung als ethische Herausforderung, S. 27-37, S. 27. 10 Hans Küng/Karl-Josef Kuschel (Hrsg.), Erklärung zum Weltethos. Die Deklaration des Parlamentes der Weltreligionen, München 1993, S. 13-45.

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Mit dieser Erklärung verständigten sich erstmals Vertreter aller Religionen über Prinzipien eines Weltethos, die auf vier zentralen Prinzipien beruht: • Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor dem Leben; • Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung; • Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit; • Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau. 1994 sprach Küng abermals am Sitz der Vereinten Nationen und setzte sich in seinem Vortrag mit dem in der Zwischenzeit erschienenen Aufsatz „Zusammenprall der Kulturen" von Samuel P. Huntington auseinander. Küng setzte gegen Huntingtons Sichtweise den Ansatz „Statt eines Zusammenpralls der Kulturen einen Dialog der Kulturen auf der Grundlage eines Weltethos". 11 Am 1. September 1997 sprach sich der 1983 vom früheren japanischen Premierminister Fukuda gegründete InterAction Council ehemaliger Staats- und Regierungschefs, der sich zum Ziel gesetzt hatte, Analysen und Lösungsvorschläge für die globalen politischen, wirtschaftlichen und soziale Probleme zu entwickeln 12 , nach intensiven Kontakten zwischen Hans Küng und den Mitgliedern des InterAction Council für ein Weltethos aus und legte den Vereinten Nationen eine „Universal Declaration of Human Responsibilities" 13 vor, welche die Menschenrechte vom ethischen Gesichtspunkt aus unterstützen, verstärken und ergänzen sollte. In weitgehender Übereinstimmung mit den Prinzipien der „Erklärung zum Weltethos" des „Parlaments der Weltreligionen" wird hier - und das ist ein Novum - durch eine Gruppe hochrangiger ehemaliger Staatsmänner (darunter Helmut Schmidt, Jimmy Carter, Michail Gorbatschow und Kenneth Kaunda) - ein Katalog gemeinsamer ethischer Normen aufgestellt, deren Beachtung sie für unabdingbar zur Lösung der globalen Probleme halten. Diese ethischen Standards, auch das ist neu, aber durchaus einleuchtend, werden als Pflichten bzw. Verantwortlichkeiten („responsibilities" im englischen Originaltext) festgehalten. Die Erklärung bietet damit die Ergänzung zum als Katalog der grundlegenden Rechte formulierten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" (engl. Universal Declaration of Human Rights): Aus dem Recht auf menschenwürdige Behandlung und Gleichberechtigung ergibt sich - so die Erklärung des InterAction Council eine entsprechende Verpflichtung: Jede Person, gleich welchen Geschlechts, welcher ethnischen Herkunft, welchen sozialen Status, welcher politischen Überzeugung, welcher Spra11

Vgl. Hans Küng, Menschenverantwortung (Fn. 9), S. 27. Vgl. Helmut Schmidt (Hrsg.), Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten. Ein Vorschlag, München/Zürich 1997, S. 50ff. 13 Deutsche Fassung: Interaction Council, Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten, veröffentlicht in: Hans Küng (Hrsg.), Dokumentation zum Weltethos, München/Zürich 2002, S. 97-105. 12

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che, welchen Alters, welcher Nationalität oder Religion, hat die Pflicht, alle Menschen menschlich zu behandeln.14 Aus dem Anspruch auf solidarische Hilfe für alle Menschen erwächst auch eine Pflicht aller Menschen zur Verantwortung für andere: „Alle Menschen, begabt mit Vernunft und Gewissen, müssen im Geist der Solidarität Verantwortung übernehmen gegenüber jedem und allen, Familien und Gemeinschaften, Rassen, Nationen und Religionen: Was du nicht willst, daß man dir tut, das füg auch keinem anderen zu}5 4. Der Millenniums-Weltfriedensgipfel der Religionsführer im August 2000 In Fortsetzung der 1993 begonnenen Initiative der Religionsführer, die damals im „Parlament der Weltreligionen" eine „Erklärung zum Weltethos" verabschiedet hatten (s. oben), trafen sich im Rahmen des Millenniumsgipfels der Vereinten Nationen auch die Religionsführer zu einer Millenniumskonferenz, und zwar vom 28. bis 31. August 2000, d.h. knapp vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs vom 6. bis 8. September 2000; dieses Mal mit dem Ziel, eine „partnership of peace" mit den Vereinten Nationen einzugehen, d.h. die Friedensarbeit der UNO durch die Bekräftigung der den Weltreligionen gemeinsamen Wertvorstellungen zu unterstützen. Sie stellten in ihrer Erklärung „Commitment to Global Peace", die sie dem UN-Generalsekretär am 29. August 2000 überreichten, fest, daß die Vereinten Nationen und die Weltreligionen sich gemeinsam darum bemühen, Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu fördern. Sie betonten, ähnlich wie schon Küng in seinem "Projekt Weltethos", in ihrem Dokument, die Bedeutung einer Einigung über ethische Werte für den Frieden: "[I]n einer interdependenten Welt erfordert der Friede eine Einigung über fundamentale ethische Werte" und bekräftigten, daß sie dazu beitragen wollten, Konflikte, die durch religiöse und ethnische Unterschiede hervorgerufen würden, zu lösen und den Sinn für die gemeinsame Verantwortung für das Wohlergehen der ganzen Menschheit zu wecken.16 Gerade vor dem Hintergrund zahlloser innen- und außenpolitischer Konflikte in aller Welt, die von den Konfliktparteien oft mit religiösen Argumenten begründet werden und von vielen Menschen in den Konfliktgebieten die aktiven Konfliktakteure deshalb unterstützt werden, obwohl die Konflikte im Grunde soziale oder machtpolitische Ursachen haben, sind gemeinsame Appelle der Religionsfuhrer an die Toleranz sehr wichtig. Es ist zu hoffen, daß letztere dies auch in ihrem Alltag umsetzen. Die Friedenssicherung der UNO setzt nämlich ein Mindestmaß an Toleranz und Verständigungsbereitschaft bei den Konfliktparteien voraus.

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Ebd., Artikel 1, S. 27. Hervorhebungen (Kursivdruck) im Originaltext. Interaction Council, Allgemeine Erklärung (Fn. 13), Artikel 4, S. 27. 16 The Millennium World Peace Summit of Religious and Spiritual Leaders, Commitment to Global Peace, N e w York, 29 August 2000, http://www.millenniumpeacesummit.com/ resources/mwps/Commitment%20to%20Global%20Peace.pdf. 15

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5. Dialog der Kulturen Nicht nur das Projekt eines Weltethos wurde von der Weltöffentlichkeit und - mit ihrer Millenniumserklärung im Jahr 2000 - von der UN-Generalversammlung positiv aufgenommen, sondern auch das Konzept eines Dialogs der Kulturen: Die UN-Generalversammlung entschied auf Vorschlag des damaligen iranischen Präsidenten Chatami mit Resolution 53/22 vom 4. November 1998, das Jahr 2001 zum „Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen" zu proklamieren und alle UN-Organisationen aufzufordern, geeignete Programme zur Förderung dieses Dialogs durchzufuhren. UN-Generalsekretär Annan ernannte daraufhin Giandomenico Picco zu seinem „Persönlichen Beauftragten für das Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen" und lud eine „Gruppe Bedeutender Persönlichkeiten" (Group of Eminent Persons)17 ein, zusammen mit Picco ein Buch zu diesem Thema zu verfassen. 18 Dieses Buch wurde im November 2001 der UN-Generalversammlung vorgelegt und bildete zusammen mit den Berichten des Generalsekretärs zu diesem Thema' 9 die Grundlage für eine zweitägige Debatte der UNGeneralversammlung, in dem sie eine vorläufige Bilanz des Dialog-Jahres und des gesamten Dialogs der Kulturen zu ziehen versuchte und abschließend eine Resolution 20 mit dem Titel „Globale Agenda für den Dialog zwischen den Kulturen" verabschiedete. Buch und Resolution sind als wichtige Marksteine in dem kulturellen Dialog im Rahmen der UNO anzusehen: Das Buch wurde noch im Jahr 2001 veröffentlicht unter dem Titel „Crossing the Divide. Dialogue among Civilizations", die deutsche Fassung trägt den Titel „Brücken in die Zukunft. Ein Manifest für den Dialog der Kulturen".21 Das Buch enthält Überlegungen zu den Grundlagen eines Dialogs der Kulturen, zu dem Zusammenhang von Machtsystemen und Wirtschaftsordnungen einerseits und kulturellen Lebensformen und Werten andererseits. Es formuliert mit ausführlichen Begründungen eine ganze Reihe von kulturellen Werten oder „Tugenden", die nach Auffassung der Autoren erforderlich sind, damit die Bürger in ihren Staaten und die Staaten miteinander die rapiden Veränderungen im Gefolge der Globalisierung bewältigen - in einem friedlichen Miteinander statt in einem Gegeneinander, im Geist der Solidarität statt in einem reinen Konkurrenzkampf um die beste Position. Das Buch ist ein Versuch, wie die Autoren es formulieren, die Philosophie und die Vision der Vereinten Nationen wieder in den Mittelpunkt zu 17 Zur „Gruppe Bedeutender Persönlichkeiten" gehörten u.a. Hanan Ashrawi, Jacques Delors, Nadine Gordimer, Hans Küng, Graca Machel und Richard von Weizsäcker. 18 Vgl. United Nations Year of Dialogue Among Civilizations 2001, Internet-Webseite (www.un.org/Dialogue/background.html) sowie U N Press Release Note 5692 vom 6.11.2001. 19 United Nations Year o f Dialogue among Civilizations. Report of the Secretary-General: a) 1999: U N Doc. A/54/546 vom 12.11.1999; b) 2000: UN Doc. A/55/492/Rev. 1 vom 9.11.2000; c) 2001: U N Doc. A/56/523 vom 2.11.2001. 20 U N Doc. A/RES/56/6 vom 21.1.2001. 21 Brücken in die Zukunft. Ein Manifest fur den Dialog der Kulturen. Eine Initiative von Kofi Annan, Frankfurt am Main 2002.

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rücken, die vernachlässigt worden sei. Es ist mutig zu nennen, wenn ein politischer Bericht, welcher der UN-Generalversammlung im Jahr 2001 vorgelegt wurde, in einer Welt der technisch-rationalen Vernunft „Weisheit" von den Menschen fordert, verstanden als „ganzheitliches Verstehen, tiefe Selbsterkenntnis, eine langfristige Perspektive, gesunden Menschenverstand und gutes Urteilsvermögen". 22 Das Buch ist in seiner nüchternen Analyse der politischen, sozialen und kulturellen Situation der Welt ein lesenswertes politisches Dokument, beeindruckt aber zugleich durch seine geistig-philosophische Rhetorik, die den Leser dazu bringt, über die eigenen Verhaltens- und Denkweisen in Bezug auf andere Kulturen und auf politische Konflikte nachzudenken. Es reflektiert die Anforderungen an die UN-Mitarbeiter und ihr Engagement ebenso wie grundlegende Prinzipien für die Arbeit der Vereinten Nationen, wenn sie dauerhaft Frieden schaffen wollen: Partizipation, Legitimität, Glaubwürdigkeit und das wohl anspruchsvollste Prinzip - Versöhnung, etwas, was weit über die Prinzipien des Völkerrechts und der kollektiven Friedenssicherung hinausgeht. Als vier Säulen eines zu entwikkelnden Weltethos sieht der Bericht das Streben nach Frieden, Gerechtigkeit, Partnerschaft und Wahrheit. Können Skeptiker das Buch „Crossing the Divide" vielleicht als ein visionäres Dokument erstrebenswerter weltpolitischer Leitlinien ansehen, das eine Gruppe inspirierter Politiker für den UN-Generalsekretär verfaßt hat, erhält die Resolution „Globale Agenda für den Dialog zwischen den Kulturen" - ebenso wie die anschließend näher betrachtete Millenniumserklärung - ihre politische Bedeutung dadurch, daß es sich um einen von den Politikern der gesamten Staatenfamilie im Konsens verabschiedeten Resolutionstext handelt, das heißt, es bekennen sich öffentlich alle Staaten zu diesen Prinzipien, so weit die politische Praxis im Alltag auch dahinter zurückbleiben mag, die Resolution bildet zumindest eine politische wenn auch nicht völkerrechtlich verbindliche - Anspruchsgrundlage. Die Geschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat gezeigt, daß inspirierte Resolutionen, die einen wichtigen ethischen Kern aufweisen, trotz ihrer geringen völkerrechtlichen Bindungswirkung oft langfristig eine erstaunliche völkerrechtliche und auch politische Kraft zu entwickeln vermögen. Der Globalen Agenda wäre dies auch zu wünschen. Ohne die geschilderten „Vorarbeiten" in Form der Entwicklung weltethischer Konzepte im Dialog der Kulturen wäre es wohl - trotz der zweifellos gewachsenen Einsicht in den Wert eines solchen Projekts - kaum zu einer so expliziten Ausformulierung weltethischer Prinzipien wie in der Millenniumserklärung der Staats- und Regierungschefs anläßlich des UNMillenniums-Gipfels im September 2000 gekommen. 6. Ansätze für ein Weltethos in der Millenniumserklärung vom September 2000 Waren in den Entwürfen für ein Weltethos bis dahin hochrangige Kirchenfuhrer und ehemalige Staatsmänner die Autoren gewesen, übernah22

Brücken in die Zukunft (Fn. 21), S. 101.

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men in der Millenniums-Erklärung vom September 2000, die von der Staatengemeinschaft im Konsens verabschiedet wurde, die Staats- und Regierungschefs erstmalig explizit und ausführlich Stellung zu den ethischen Grundlagen der Weltpolitik und der Weltorganisation der Vereinten Nationen. So war es ein wichtiger symbolischer Schritt, daß die versammelten Staats- und Regierungschefs in der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen vom 8. September 2000 an den Anfang der Erklärung die Rubrik „ Werte und Grundsätze" setzten, noch vor der oft in außenpolitischen Dokumenten dominierenden Rubrik „Frieden, Sicherheit und Abrüstung".23 Es heißt an dieser Stelle: „Wir [die Staats- und Regierungschefs, der Verf.] erkennen an, daß wir neben unseren eigenen Verantwortlichkeiten gegenüber unserer jeweiligen Gesellschaft gemeinschaftlich dafür verantwortlich sind, weltweit die Grundsätze der Menschenwürde, der Gleichberechtigung und der Billigkeit zu wahren."24 Und in Ziffer 6 der Erklärung25: „Wir sind der Auffassung, daß die internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert unbedingt von bestimmten Grundwerten geprägt sein müssen: Freiheit. Männer und Frauen haben das Recht, in Würde und Freiheit von Hunger und der Furcht vor Gewalt, Unterdrückung oder Ungerechtigkeit - ihr Leben zu leben und ihre Kinder zu erziehen. Diese Rechte werden am besten durch eine demokratische und partizipatorische Staatsführung auf der Grundlage des Willens des Volkes gewährleistet. Gleichheit. Keinem Menschen und keiner Nation darf die Chance vorenthalten werden, aus der Entwicklung Nutzen zu ziehen. Die Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Männern und Frauen muß gewährleistet sein. Solidarität. Die globalen Probleme müssen so bewältigt werden, daß die damit verbundenen Kosten und Belastungen im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien der Billigkeit und sozialen Gerechtigkeit aufgeteilt werden. Diejenigen, die leiden oder denen die geringsten Vorteile entstehen, haben ein Anrecht darauf, Hilfe von den größten Nutznießern zu erhalten. Toleranz. Die Menschen müssen einander in der gesamten Vielfalt ihrer Glaubensüberzeugungen, Kulturen und Sprachen achten. Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft sowie zwischen verschiedenen Gesellschaften sollten weder gefürchtet noch unterdrückt, sondern vielmehr als kostbares Gut der Menschheit geschätzt werden. Eine Kultur des Friedens und des Dialogs zwischen allen Kulturen sollte aktiv gefördert werden. Achtung vor der Natur. Bei der Bewirtschaftung aller lebenden Arten und natürlichen Ressourcen muß im Einklang mit den Grundsätzen der 23

Vereinte Nationen - Generalversammlung, Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Abschluß des vom 6. - 8. September 200 abgehaltenen Millenniumsgipfels in N e w York, U N Doc. A/RES/55/2 vom 13.9.2000, Abschnitt I. 24

Ebd., Abschnitt I, Ziffer 2. Ebd., Ziffer 6. Die Hervorhebungen in Fettdruck wurden aus dem Originaltext des UNDokuments übernommen.

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nachhaltigen Entwicklung Umsicht bewiesen werden. Nur so können wir die unermeßlichen Reichtümer, mit denen die Natur uns beschenkt, erhalten und an unsere Nachkommen weitergeben. Die heutigen nicht zukunftsfahigen Produktions- und Konsumstrukturen müssen im Interesse unseres künftigen Wohls und des Wohls unserer Nachfahren geändert werden. Gemeinsam getragene Verantwortung. Die Verantwortung für die Gestaltung der weltweiten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und die Bewältigung von Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit muß von allen Nationen der Welt gemeinsam getragen und auf multilateraler Ebene wahrgenommen werden. Als universellste und repräsentativste Organisation der Welt müssen die Vereinten Nationen die zentrale Rolle dabei spielen." Die dann folgenden Abschnitte der Erklärung über Frieden, Entwicklung, Umweltschutz, Menschenrechte, Hilfe für Afrika und Stärkung der Vereinten Nationen werden ausdrücklich auf diese Grundwerte bezogen: „Um diese gemeinsamen Werte in Taten umzusetzen, haben wir grundlegende Ziele aufgezeigt, denen wir besondere Bedeutung beimessen..." heißt es am Schluß des Abschnittes über „Werte und Grundsätze". 7. Die ethischen Prinzipien in der Charta der Vereinten Nationen Fünfundfünfzig Jahre vorher, bei der Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945, nahmen die Gründer der Vereinten Nationen in der UNCharta zwar auch schon Bezug auf grundlegende Werte, jedoch nicht unter dieser Bezeichnung und nur im Verbund mit den politischen Zielen, die in der Präambel und Kapitel 1 „Ziele und Grundsätze" festgehalten werden. In der Präambel der Charta heißt es in einem komplizierten Satz „ W I R , DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN - FEST ENTSCHLOSSEN,

... unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Freiheit, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,... Und für diese Zwecke Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben, unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, ... HABEN BESCHLOSSEN, IN UNSEREM BEMÜHEN UM DIE ERREICHUNG DIESER ZIELE ZUSAMMENZUWIRKEN." 2 6

Artikel 1 Abs. 1 der UN-Charta enthält in der Definition der Ziele der Vereinten Nationen - Sicherung des Weltfriedens, Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen, Herbeiführung einer internationalen Zusammenarbeit zur Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art und in der Definition der Aufgabe der Vereinten Nationen - „ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden" - erneut implizite Bezüge auf wichtige Grundwerte: 26

Charta der Vereinten Nationen. Amtliche Fassung der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. 1973 II, S. 431 ff.

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die Friedenssicherung und die Streitbeilegung nach dem Grundsatz der „Gerechtigkeit", das Ziel „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln", das Ziel „ die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen" sowie das Ziel, der Ort zu sein, wo die Bemühungen um die Erreichung der Ziele aufeinander abgestimmt werden. 8. Vergleich der ethischen Normen in UN-Charta und Millenniumserklärung Was unterscheidet nun die UN-Charta von der Millenniumserklärung hinsichtlich der beiden Texten zugrundeliegenden ethischen Werte? 8.1. Freiheit und Leben in Menschenwürde Die Präambel der Charta enthält ein deutliches Bekenntnis zur Freiheit und zur Menschenwürde, so wie die Millenniumserklärung in Punkt 6.1 „Freiheit", allerdings werden dort auch die sozialen und politischen Grundvoraussetzungen fiir das menschenwürdige Leben in Freiheit beim Namen genannt, nämlich „in Würde und Freiheit - von Hunger und der Furcht vor Gewalt, Unterdrückung oder Ungerechtigkeit - ihr Leben zu leben und ihre Kinder zu erziehen". Außerdem wird in der Millenniumserklärung das geeignete Mittel für die Realisierung dieses Wertes - Leben in Freiheit und Menschenwürde hervorgehoben: „Diese Rechte werden am besten durch eine demokratische und partizipatorische Staatsfuhrung auf der Grundlage des Willens des Volkes gewährleistet." Damit wird das Recht des Volkes auf Partizipation an der politischen Herrschaft, auf eine Staatsführung nach demokratischen Regeln und auf Achtung seines politischen Willens als Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben in Würde und Freiheit bezeichnet, das heißt, die Verwirklichung der Menschenrechte mit der Realisierung demokratischer Prinzipien verknüpft. Eine solche ausdrückliche Bindung fehlt in der Charta, sie war wohl zur Entstehungszeit der Charta kaum möglich - zum einen gab es zwischen den westlichen Staaten und der UdSSR eine Kontroverse darüber, was ein demokratisches Staatswesen ausmacht, zum anderen hatten sicher viele der damaligen Kolonialmächte unter den Unterzeichnerstaaten der Charta kein Interesse daran, das Bekenntnis zu den Menschenrechten zu sehr mit demokratischen Prinzipien zu verknüpfen, darauf hätten sich die Völker in den Kolonien dann womöglich berufen können. 8.2. Gleichberechtigung Des weiteren enthält die Charta in der Präambel einen Hinweis auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau und von Nationen; der Grundsatz der Gleichberechtigung der Nationen wird in Artikel 1 wiederholt, ebenso wie die Gleichberechtigung der Geschlechter, die in einem Zusammen-

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hang gestellt wird mit der Gleichberechtigung der Rassen, der Sprachen und der Religionen. Interessanterweise fällt die Definition von Gleichheit und Gleichberechtigung in der Millenniumserklärung erheblich knapper aus; sie wird auf das Prinzip der Chancengleichheit bei der Nutzung gesellschaftlichen Fortschrittes reduziert - „keinem Menschen und keiner Nation darf die Chance vorenthalten werden, aus der Entwicklung Nutzen zu ziehen". Auch in Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter beschränkt sich die Erklärung auf einen knappen Hinweis auf deren Gewährleistung, die Gleichberechtigung bzw. Gleichbehandlung in Hinblick auf Rasse, Sprache und Religion wird nicht erwähnt. Dies ist als ein Rückschritt zu sehen und wohl vor dem Hintergrund der vordergründig oft religiös begründeten innen- und außenpolitischen Konflikte in aller Welt in den letzten Jahrzehnten zu interpretieren. Ein deutlicher Hinweis auf die Gleichberechtigung gerade in dieser Hinsicht wäre trotz seiner eher symbolischen Bedeutung wenigstens ein klares Zeichen der Mehrheit der Staats- und Regierungschefs der Welt gewesen, sich gegen die wirtschaftliche, politische und rechtliche Unterdrückung aus rassischen und religiösen Gründen - wie z.B. im Sudan - zu wenden. 8.3. Toleranz Das in diesem Kontext sehr wichtige Prinzip der Toleranz wird dagegen in der Millenniumserklärung hervorgehoben. Beschränkte sich die UNCharta 1945 noch auf den knappen Hinweis „Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben" in der Präambel", betont die Millenniumserklärung das Prinzip, daß sich die Menschen „einander in der gesamten Vielfalt ihrer Glaubensüberzeugungen, Kulturen und Sprachen achten" müßten, Unterschiede als „kostbares Gut der Menschheit geschätzt" und eine „Kultur des Friedens und des Dialogs zwischen allen Kulturen" gefordert werden solle. Diese ausführliche Definition von Toleranz im Millenniumsdokument ist zu begrüßen, vor allem das Prinzip, die vorhandenen Unterschiede, auf die Menschen gerne mit abwertenden Vorurteilen reagieren, als positives Gut anzusehen und einen Dialog zwischen den Kulturen zu fordern und zu fördern, der überfällig ist, jedoch noch viel zu selten an viel zu wenigen Orten der Welt praktiziert wird. Die praktizierte Toleranz müßte aber, um darauf zurückzukommen, ergänzt werden durch die Gleichbehandlung und Gleichberechtigung der Gruppen in der Gesellschaft. 8.4. Achtung vor der Natur Dies ist ein gänzlich neuer Grundwert in der Millenniumserklärung: in der Charta fehlt in der Präambel und in Artikel 1 jeglicher Hinweis auf die Umwelt und deren Schutzbedürftigkeit, auf den pfleglichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Die Millenniumserklärung hebt neben dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung die Notwendigkeit hervor, nicht zukunftsfähige Produktions- und Konsumstrukturen „im Interesse unseres künftigen Wohls und des Wohls unserer Nachfahren" zu ändern.

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Das Fehlen des Umweltschutzes in der UN-Charta ist nicht sehr erstaunlich: 1945 existierte weder der Begriff noch eine internationale politische Bewegung für den Schutz der Umwelt; dies begann erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts und fand seinen ersten Ausdruck in der ersten UN-Umweltkonferenz 1972 in Stockholm. 8.5. Solidarität Das Prinzip der Solidarität, d.h. das Prinzip, daß globale Probleme so bewältigt werden, „daß die damit verbundenen Kosten und Belastungen im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien der Billigkeit und sozialen Gerechtigkeit aufgeteilt werden" taucht als Begriff nicht in der UN-Charta auf. Man kann das Prinzip der internationalen Zusammenarbeit bei der Lösung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Probleme (Art. 1 Abs. 3 UN-Charta) zwar als Prinzip des solidarischen Handelns ansehen, jedoch fehlt hier jeder Hinweis auf den zur heutigen Interpretation der Solidarität gehörenden Lastenausgleich nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Man war zwar gewillt, die auch schon damals bekannten großen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Probleme anzupacken, aber ohne Umverteilung zwischen den Nationen. Hier hat sich seit der Abfassung der Charta unter dem Eindruck der großen Probleme in der Dritten Welt ein Wandel bei den Wertvorstellungen in vielen Mitgliedstaaten der UNO vollzogen, welcher in der Millenniumserklärung seinen Niederschlag gefunden hat. Man ist bereit zur solidarischen Hilfe bei Armut und humanitären Katastrophen, auch wenn die Regierungen in der WTO noch immer darum ringen, wie ein solcher solidarischer Chancen- und Lastenausgleich aussehen kann. 8.6. Gemeinsam getragene Verantwortung Auch hier hat sich ein deutlicher Bewußtseinswandel vollzogen: In der Charta fehlt jeglicher Hinweis auf das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung. Es ist lediglich die Rede von gemeinsamen Zielen, zu deren Verwirklichung die Nationen ihre Bemühungen in den Vereinten Nationen aufeinander abstimmen (Art. 1 Abs. 4 UN-Charta). Demgegenüber betont die Millenniumserklärung, daß die „Verantwortung für die Gestaltung der weltweiten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und die Bewältigung von Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" von allen Nationen der Welt gemeinsam getragen und auf multilateraler Ebene wahrgenommen werden müsse. Die Vereinten Nationen müßten dabei die zentrale Rolle spielen. Wurden in der Charta die Vereinten Nationen lediglich als der Ort angesehen an dem die Bemühungen der Nationen um die Erreichung von außenpolitischen Zielen aufeinander abgestimmt werden sollten, bekräftigen die Staats- und Regierungschefs in der Millenniumserklärung ihre Verantwortung für die globale Entwicklung und die Friedenssicherung und heben hervor, daß diese Verantwortung gemeinsam getragen und auf multilateraler Ebene wahrgenommen werden müsse. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Mehrheit der Nationen unilaterales Handeln

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zur Lösung globaler Probleme ablehnt; die Mahnung war sicher vor allem an die Adresse der USA gerichtet. 8.7. Die Rolle der Vereinten Nationen Den Vereinten Nationen wird in der Millenniumserklärung eine deutlich größere Rolle zugebilligt als in der UN-Charta, was die Verwirklichung der auf gemeinsamen Wertüberzeugungen formulierten Ziele betrifft. In der Charta wird sie lakonisch als ein „Mittelpunkt" bezeichnet, welcher der Abstimmung der Bemühungen um die Verwirklichung der gemeinsamen Ziele dient, in der Millenniumserklärung heißt es dagegen, die Vereinten Nationen müssen „die zentrale Rolle spielen" bei der Wahrnehmung der gemeinsam getragenen Verantwortung. Statt ein bloßes Koordinationsinstrument zu sein, sollen - so die Überzeugung der Staats- und Regierungschefs - die Vereinten Nationen zugleich symbolischer Ausdruck und realer Träger der gemeinsamen Verantwortung für die Lösung globaler Probleme sein. In Verbindung mit den vorher aufgezählten Werten Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Toleranz, Achtung vor der Natur und gemeinsam getragene Verantwortung bedeutet es, daß die Nationen der Welt nun die Vereinten Nationen als eine von Werten getragene Organisation der Staatengemeinschaft sehen, mit deren Hilfe die Umsetzung dieser Werte in der täglichen Politik zwischen und in den Staaten gelingen soll, eine Umsetzung, die angesichts der Globalisierung gesellschaftlicher Entwicklungen und der (zeitweisen oder langanhaltenden) Funktionsschwächen vieler Staaten nur mit Hilfe der Weltorganisation gelingen kann, weil sie die solidarische Hilfe der anderen Staaten gewährleistet und die Verantwortung für den Schutz des sozialen und gesundheitlichen Mindest-Lebensstandards und der Menschenrechte übernimmt, wenn dies der eigene Staat, in dem die Bürger leben, nicht mehr übernimmt. Das heißt nicht, daß in der Charta die Werte Frieden, Freiheit, sozialer Fortschritt, Gleichberechtigung, Toleranz und Menschenwürde nicht schon enthalten gewesen wären - ich habe ja bei meiner Analyse der beiden Texte daraufhingewiesen - Jedoch finden sie sich in der Charta in einer weniger konkreten Form und ohne daß die soziale Dimension der Werte aufgezeigt würde. Entscheidend ist jedoch, daß der Aspekt der gemeinsam getragenen Verantwortung fehlt, eine erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts entstandene neue Wertorientierung, die Überzeugung nämlich, daß die Grundwerte der menschlichen Gemeinschaft auch nur gemeinsam gesichert und in vollem Umfang verwirklicht werden können, die Postulierung einer globalen Verantwortungsethik in der Weltpolitik. 9. Welchen praktischen Wert hat ein Weltethos? UN-Generalsekretär Kofi Annan ist sich der Schwierigkeit der Aufgabe, universelle ethische Werte in der Weltpolitik zu verankern, durchaus bewußt, wie er in einem Vortrag zum Thema „Gibt es noch universelle Werte?" im Dezember 2003 in der Universität Tübingen, den er auf Einladung

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von Hans Küng hielt, deutlich machte. Er sieht in kritischem Rückblick auf die Visionen und Wertvorstellungen der Verfasser der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte immer noch große Defizite in der Umsetzung: „Diese großen Dokumente waren Ausdruck einer optimistischen Vision, keine Beschreibung bestehender Realitäten ... Die Wertvorstellungen unserer Gründer sind auch heute noch nicht vollständig verwirklicht. Davon sind wir leider noch weit entfernt." 27 Er sieht aber Fortschritte im ethischen Bewußtsein der Menschen weltweit: „... sie [ die Wertvorstellungen, der Verf.] werden heute viel weitgehender akzeptiert als noch vor wenigen Jahrzehnten.. ." 28 Er sieht die große Bedeutung der Bemühungen um einen Weltethos im Rahmen der Vereinten Nationen in einer Gegenbewegung gegen den Rückzug vieler Menschen, vor allem unter den sozial Schwächeren, die sich auf partikularistische Orientierungen zurückgezogen haben, weil es den Staaten in der UNO nicht gelungen ist, die mit der Globalisierung verbundene wirtschaftliche und soziale Entwicklung „im Einklang mit den universellen Werten zu steuern, an die zu glauben wir Anspruch erheben. ... Von der Globalisierung enttäuscht, haben sich viele Menschen auf engere Auslegungen des Begriffs der Gemeinschaft zurückgezogen. Dies fiihrt wiederum zu einander widersprechenden Wertsystemen, die den Menschen dazu veranlassen, einige ihrer Mitmenschen von Mitgefühl und Solidarität auszuschließen, weil sie nicht die gleichen religiösen oder politischen Überzeugungen, das gleiche kulturelle Erbe oder nur nicht die gleiche Hautfarbe haben." 29 Es gilt den universellen Werten erneut Geltung zu verschaffen. Dabei sind Wert-Kodexe nur eine Orientierung, ein Maßstab, entscheidend ist der ausreichende politische Wille zur Umsetzung, wie Annan deutlich macht: „Werte sind nicht dazu da, um Philosophen oder Theologen zu dienen, sondern um den Menschen bei der Gestaltung ihres Lebens und bei der Organisation ihrer Gesellschaften behilflich zu sein. Das heißt, daß wir auf internationaler Ebene Kooperationsmechanismen brauchen, die stark genug sind, um universellen Werten Geltung zu verschaffen, aber gleichzeitig flexibel genug, um den Menschen zu helfen, diese Werte in einer Weise zu verwirklichen, die in ihrem jeweiligen Umfeld auch tatsächlich anwendbar ist." 30 Mit anderen Worten: Annan verlangt von der UNO, eine Balance einzuhalten zwischen effektiver Kooperation zur sozialen Hilfe und Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch die Staatengemeinschaft, um den ethischen Werten Geltung zu verschaffen, und der Vermeidung eines ethischen Paternalismus, der Staaten vorschreiben möchte, wie sie die Werte in die politische Praxis umsetzen sollen. Ein solcher ethischer Grundkonsens, der sich wohl langsam in den Vereinten Nationen herausbildet, kann nur ein notwendiges Minimum von gemeinsamen Werten, Standards und Grundhaltungen darstellen und macht 27

Kofi Annan, 3.Weltethos-Rede zum Thema „Gibt es noch universelle Werte" am 12. Dezember 2003 in der Universität Tübingen, www.weltethos.org/st_9_xx/9_152.htm. 28 Kofi Annan, 3.Weltethos-Rede (Fn. 27). 29 Ebd. 30 Ebd.

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Grundlagen der Vereinten Nationen

die ethischen Prinzipien der einzelnen Religionen oder Weltanschauungen nicht überflüssig, sondern befähigt sie bestenfalls zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und zu einer Zusammenarbeit im Interesse der Menschen. Die in den 90er Jahren von Hans Küng und anderen begonnene Arbeit ist ein wichtiger Baustein bei der Entwicklung eines Weltethos, eine Entwicklung, die mit der Charta der Vereinten Nationen angefangen hat. Bei der Entwicklung eines Weltethos werden Philosophen und Theologen ebenso gebraucht wie Sozial- und Naturwissenschaftler, wie auch der erwähnte Bericht „Brücken für die Zukunft" betont: „Ein modernes Ethos ist auf den Schulterschluß mit den Wissenschaften angewiesen: Psychologie und Psychotherapie, Soziologie und Sozialwissenschaften, Verhaltensforschung, Biologie, Kulturgeschichte, Philosophie und Anthropologie."31 So liefern z.B. die Beiträge von Jürgen Habermas zur Rolle der Vereinten Nationen und seine Fortentwicklung des Konzepts einer föderalen Weltrepublik von Immanuel Kant, die Übertragung der ethischen Maßstäbe Kants für die Weltpolitik in die heutige Zeit wichtige Denkanstöße für die weitere Debatte über das Weltethos.3 Habermas weist auf Kants weitsichtige Antizipation der Rolle einer weltweiten Öffentlichkeit bei der Verwirklichung der universellen Menschenrechte hin. Kant formuliert optimistisch: „Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen ... Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird; so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung ... des Staats- und Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung [nämlich einer funktionierenden Weltöffentlichkeit, der Verf.] schmeicheln darf."33 Die Entwicklung eines Weltrechtsbewußtseins und eines wirksamen Weltethos kommt also nur im dem Maße voran, wie von einer Welt-„Gemeinschaft" im Kantschen Sinne gesprochen werden kann, die auf die Verletzungen der Rechte und Verstöße gegen das Ethos aufinerksam reagiert. Habermas liefert mit seinem Konzept des ethischen Diskurses zugleich ein brauchbares Mittel gegen die Gefahr einer ethischen Bevormundung im Mantel des Weltethos: Die „ethische Selbstverständigung" soll sich nach seinem Verständnis auf der Basis der Grundrechte in einem politischen Diskurs vollziehen. Dabei rechnet die Diskurstheorie von Habermas mit der „höherstufigen Intersubjektivität von Verständigungsprozessen, die sich einerseits in der institutionalisierten Form von Beratungen in par31

Brücken für die Zukunft (Fn. 21), S. 174f. Jürgen Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens - aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Jürgen Habermas, Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt am Main 1996, S. 192-236. 33 Immanuel Kant, Studienausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Hrsg. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1964, Band. 6, S. 216f. 32

Die Diskussion über die ethischen Grundlagen der Vereinten Nationen

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lamentarischen Körperschaften sowie andererseits im Kommunikationsnetz politischer Öffentlichkeiten vollziehen." 34 Habermas wendet dieses Modell zwar in seinem Beitrag auf demokratische Regierungssysteme in Staaten an, ich halte das Konzept jedoch auch als Beschreibung demokratischer Meinungsbildungs-Verfahren für die Vereinten Nationen für zutreffend und brauchbar. In diesem Sinne wäre es zu wünschen, daß der Diskurs über eine globale Ethik von den UN-Gremien und den vielfältigen politischen Öffentlichkeiten im Umfeld der UNO fortgesetzt wird und zu einer Fortentwicklung des Weltethos fuhrt, der mit dazu beiträgt, das die Wertvorstellungen der UN-Charta verwirklicht werden.

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Jürgen Habermas, Drei normative Modelle der Demokratie, in: Jürgen Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, (Fn. 32), S. 277-292, S. 288.

Die Vereinten Nationen und die Entwicklung des Völkerrechts Eckart Klein*

1. Grundlegung 1.1. Einführende Überlegungen Der erhebliche Einfluß, der von den Vereinten Nationen (United Nations - UN) auf die Entwicklung des Völkerrechts ausgeht, wird von niemandem bestritten.1 Schon 1975, 30 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen, konnte Simma feststellen, daß die Tätigkeit dieser Organisation die vertragliche wie gewohnheitsrechtliche Entwicklung des Völkerrechts „motorisiert"2. Zehn Jahre später konstatierte Mosler zu diesem Thema: „Die Erfolgsbilanz ist nach meiner Überzeugung eindrucksvoll und in vielen Bereichen positiv"3. Jede Darstellung des Völkerrechts ohne maßgebliche Einbeziehung der Vereinten Nationen würde heute nicht nur unvollkommen, sondern realitätsfremd wirken. Es gibt schwerlich einen thematischen Bereich, der sinnvoll behandelt werden könnte, ohne daß man dabei auf Arbeiten, Äußerungen oder Entschließungen von UN-Organen oder deren Hilfsorganen, Sonderorganisationen oder sonstigen im UN-System angesiedelten Einheiten Bezug nehmen müßte. Dabei sind es nicht nur die materiellen Normen, auf die die UN einwirken. Mindestens ebenso bedeutsam ist, daß sie das Verfahren der Rechts* Herrn Dominik Steiger danke ich für wertvolle Mitarbeit. Der Beitrag wurde vom Autor im Januar 2006 abgeschlossen. 1 Dies wird allein schon dadurch deutlich, daß das Jahr 1945 auch im Völkerrecht als Epochenwandel angesehen wird, vgl. Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, München 1994, S. 264; siehe des weiteren: Thomas Bruha/Christian J. Tams, Die Vereinten Nationen und das Völkerrecht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 22/2005, S. 32-39, S. 33; Jochen Abr. Frowein, Der Beitrag der internationalen Organisationen zur Entwicklung des Völkerrechts, in: ZaöRV 36 (1976), S. 147-167; Nagendra Singh, The UN and the Development of International Law, in: Adam Roberts/Benedict Kingsbury (Hrsg.), United Nations, Divided World, 2. Aufl., Oxford 1993, S. 384-419; Bruno Simma, Die Entwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, in: Peter Opitz/Volker Rittberger (Hrsg.), Forum der Welt, Bonn 1986, S. 183-189; Alain Pellet, La formation du droit international dans le cadre des Nations Unies, in: EJIL 6 (1995), S. 401-425. Vgl. auch Christoph Schreuer, Die Bedeutung internationaler Organisationen im heutigen Völkerrecht, in: AVR 22 (1984), S. 363-404. 2 Bruno Simma, Methodik und Bedeutung der Arbeit der Vereinten Nationen für die Fortentwicklung des Völkerrechts, in: Wilhelm A. Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, Berlin 1975, S. 79-102, S. 92. 3 Hermann Mosler, Zur Entwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, in: VN 33 (1985), S. 175-179, S. 179.

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Grundlagen der Vereinten Nationen

formung (im Sinne von Rechtsfeststellung und Rechtsschaffung) in vielerlei Hinsicht verändert haben. Die Ausarbeitung universeller multilateraler Vertragswerke ist ohne Beteiligung der UN in der einen oder anderen Form praktisch nicht mehr möglich, und die Feststellung von Regeln des allgemeinen Völkerrechts, insbesondere solchen zwingenden Rechts, wird nicht davon absehen können, eine Bestätigung dafür auch in den Aktivitäten der Vereinten Nationen zu finden. Die mit Gründung des Völkerbundes - übrigens nicht in jeder Hinsicht erfolglos - einsetzende Institutionalisierung der Staatengemeinschaft, wie sie heute durch die UN und deren System realisiert ist, steht in engem Zusammenhang mit der Möglichkeit, gemeinsame Interessen, Allgemeininteressen, zu definieren und sie rechtsnormativ zu fassen. Die vielbesprochene, zum Teil wohl auch überschätzte „Konstitutionalisierung" der Völkerrechtsordnung beruht auf diesen beiden sich gegenseitig teils stärkenden, teils bedingenden Elementen: Schaffung von Institutionen und Entwicklung von Allgemeinvorstellungen (Werten), die überall die Grundlage einer Ordnungsidee bilden.4 Nach zwei Weltkriegen war die gemeinsame Erkenntnis gewachsen, daß weitere Kriege verhindert werden müßten. Der Wert des Friedens, seine Wahrung und ggf. Wiederherstellung, waren und sind die raison d'être der UN (Art. 1 Ziff. 1 UN-Charta). Mit ihrer Gründung und durch die Tätigkeit ihrer Organe konnten dann weitere - mit dem Hauptziel durchaus in Verbindung stehende - Gemeinwohlvorstellungen formuliert werden, die ihrerseits, da Werte stets auf Realisierung drängen5, zu entsprechenden Aktivitäten der UN-Organe führen, die ihre faktische und eben auch rechtliche Bedeutung zu einem erheblichen Teil wieder aus dieser Gemeinwohl realisierenden Tätigkeit ableiten. Ist auch ohne weiteres vorab schon festzuhalten, daß die UN auf das Verfahren der Bildung und Weiterentwicklung von Völkerrechtsnormen ebenso wie auf deren Inhalte Einfluß genommen haben, beides: der Rechtsformungsprozeß und die Festlegung der materiellen Rechtsinhalte also in gewisser Weise „zentralisiert" wurde, läßt sich zugleich eine gegenläufige - „dezentrale" - Entwicklung der Völkerrechtsformung im oben genannten weiten Sinn beobachten. Sie ist nicht primär durch die Gefahr charakterisiert, daß die einzelnen Staaten als solche wieder verstärkt hervortreten und die Organisation der Staatengemeinschaft von innen heraus aufsprengen6, sondern eher durch die Entstehung einer Vielzahl weiterer Akteure nichtstaatlicher Art (Non-State Actors), die innerhalb und außerhalb des UN-Systems auf die Formung völkerrechtlicher 4

Jochen Abr. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: BerDGV 39 (2000), S. 427-445; kritisch Karl Zemanek, Für mehr Offenheit und Realismus in der Völkerrechtslehre, in: Klaus Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht. Liber amicorum Jost Delbrück, Berlin 2005, S. 895-908, S. 906f. 5 Eckart Klein, Statusverträge im Völkerrecht, Berlin u.a. 1980, S. 52ff. 6 Zum Hegemon vgl. Herfried Münkler, Imperien, Berlin 2005, S. 67ff.; Nico Krisch, International Law in Times of Hegemony: Unequal Power and the Shaping of the International Legal Order, in: EJIL 16 (2005), S. 369-408; Rosemary Foot/S. Neil MacFarlane/Michael Mastanduno (Hrsg.), U S Hegemony and International Organizations, Oxford 2002; John J. Mearsheimer, The Tragedy of Great Power Politics, N e w York 2001, S. 40ff.

Die Vereinten Nationen und die Entwicklung des Völkerrechts

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Regeln, verfahrensmäßig und inhaltlich, Einfluß zu nehmen suchen. 7 Diese Vermehrung der Akteure auf der Völkerrechtsebene wirkt sich notwendig auch auf die Rechtsquellenfrage aus. Das alles ist noch nicht in einen konsolidierten Prozeß geronnen, Bewegung und Gegenbewegung innerhalb dieses Prozesses sind fast leichter auszumachen als die allgemeine Richtung, in die er sich bewegt. Doch gibt es zumindest gewichtige Anzeichen dafür, daß sich der Rechtsformungsprozeß wandelt 8 , der Kanon der Rechtsquellen, wie er in Art. 38 IGH-Statut als Grundlage der Tätigkeit des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zitiert ist, sich ausweitet und damit auch die rechtsnormative Verbindlichkeit mancher Völkerrechtsregeln differenziert zu betrachten sein wird. 1.2. Kodifikation und Rechtsetzung Der weitaus größte Teil der alle Staaten bindenden Völkerrechtsregeln war herkömmlicherweise nicht schriftlich fixiert, sondern galt als Gewohnheitsrecht oder war als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt. Schriftliche Fixierung war lange nur für die bilaterale Beziehungen regelnden Verträge (vor allem Friedens- und Bündnisverträge) üblich. Erst mit dem Abschluß der den Dreißigjährigen Krieg beendenden Friedensverträge von Münster und Osnabrück (1648), vor allem aber dann durch die Wiener Kongreßakte (1815) wurde es unternommen, allgemeine die europäische Ordnung als solche betreffenden Regeln schriftlich zu fassen. Dieser Vorgang setzte sich über die Formulierung des Piraterie- und Sklavereiverbots im 19. Jahrhundert fort, mündete in die Arbeit der Haager Friedenskonferenzen ab 1899 ein, wurde in der Völkerbundzeit mit geringerem Erfolg fortgeführt, aber dann von den UN zu einem bedeutsamen Teil ihrer Arbeit gemacht. Nur am Rande erwähnt werden können hier auch die zum Teil sehr hilfreichen Arbeiten privater Institutionen bei der Völkerrechtskodifizierung (Institut de Droit International, International Law Association u. a.). Die schriftliche Fixierung von Recht heißt Kodifizierung, Kodifikation ist das in einem Kodex („Buch") gefaßte Recht. Theoretisch kann man dabei zwischen genuiner Rechtsetzung, also (zumindest teilweiser) Neuschaffung von Recht, und der bloßen Verschriftlichung bereits vorhandenen Rechts unterscheiden. 9 7

Zu Non-State Actors vgl. Rainer Hofmann (Hrsg.), Non-State Actors as N e w Subjects o f International Law. International Law - From the Traditional State Order Towards the Law of the Global Community, Berlin 1999. 8 Dazu vgl. Rüdiger Wolfrum/Volker Röben (Hrsg.), Developments o f International Law in Treaty Making, Berlin u.a. 2005. 9 Vgl. zu den terminologischen Schwierigkeiten: Gerhard Hafner, Kodifikation und Weiterentwicklung des Völkerrechts, in: Franz Cede/Lilly Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen - Recht und Praxis, Wien 1999, S. 131-142, S. 131; Meinhard Schröder, Codification and Progressive Development of International Law within the UN, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Bd. 1, München 1995, S. 100-109, S. 100; Klaus Dicke, Völkerrechtspolitik und internationale Rechtsetzung: Grundlagen - Verfahren - Entwicklungstendenzen, in: Zeitschrift fiir Gesetzgebung 3 (1988), S. 193-288, S. 194f.; Wilhelm Karl Geck, Völkerrechtliche Verträge und Kodifikation, in: ZaöRV 36 (1976), S. 96-146, S. 102ff.

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Eine ähnliche Unterscheidung wird im Statut der Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC)10 von 1947 vorgenommen, einem aufgrund des Art. 7 Abs. 2, 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta von der Generalversammlung errichteten Hilfsorgan, dessen Aufgabe „die Förderung der fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts und seine Kodifikation" ist (Art. 1 Statut ILC). Als fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts wird die Vorbereitung von Vertragsentwürfen über Materien, die bisher noch nicht durch das Völkerrecht geregelt sind oder bezüglich deren das Recht noch nicht genügend durch die Staatenpraxis ausgebildet ist, bezeichnet, während der Begriff „Kodifikation des Völkerrechts" die genaue Formulierung und Systematisierung von Völkerrechtsregeln in Gebieten bedeuten soll, in denen es bereits eine ausgedehnte Staatenpraxis, Präzedenzfälle und Lehrmeinungen gibt (Art. 15 Statut ILC). Für beide Tätigkeitsbereiche wird auch ein unterschiedliches Verfahren vorgesehen (Art. 16 f.; 18 ff. Statut ILC). Die hier beschriebene Unterscheidung ist jedoch in der Praxis undurchführbar und daher auch von der ILC nie durchgängig angewendet worden". Schon die schriftliche Fixierung geltender Normen führt zu einer rechtsformenden Normkonkretisierung, die Teil eines Rechtsetzungsprozesses ist. Was nach den Erkenntnissen der Rechtssoziologie für den Richterspruch als individualisierte Anwendung des Rechts gilt , muß erst recht für die durch die Fixierung erfolgende Konturschärfung der allgemeinen Regel gelten. Jede Rechtsfestschreibung ist daher auch Rechtsentwicklung. Die Kodifizierung des Völkerrechts hat seit 1945 entscheidende Fortschritte gemacht. Zentrale Teilordnungen des Völkerrechts sind nun in Tatbestand und Rechtsfolge schriftlich gefaßt, etwa das Diplomaten- und Konsularrecht, das Vertragsrecht, das Seerecht, wichtige Teile des internationalen Wirtschafts-, Handels- und Umweltrechts, das humanitäre Kriegsrecht und die Menschenrechte. Ob der für jede Kodifikationsarbeit unabdingbare Optimismus, den jeweils maßgeblichen Stoff beherrschen und systematisierend gestalten zu können, noch in Zukunft trägt, also immer weitere Bereiche der Kodifizierung zugänglich gemacht werden können, ist auch angesichts bestehender Interessengegensätze derzeit nicht klar. Völkerrechtskodifikation verweist keineswegs notwendig auf die ILC. Zwar hat diese in dem Prozeß der Völkerrechtsentwicklung eine entschei10

Die Völkerrechtskommission wurde durch UN Doc. A/RES/174 (II) vom 21. November 1947 geschaffen. Der Originaltext des Statuts der ILC bildete den Annex zur Resolution. Das Statut wurde danach mehrere Male geändert; die gültige Fassung findet sich im UNDokument A/CN.4/4/Rev.2: Statute of the International Law Commission, United Nations, New York 1982. 11 Christian Tomuschat, International Law, in: ders. (Hrsg.), The United Nations at Age Fifty - A Legal Perspective, Den Haag 1995, S. 281-308, S. 296; Alain Pellet, Responding to New Needs through Codification and Progressive Development, in: Vera GowllandDebbas (Hrsg.), Multilateral Treaty-Making. The Current Status of Challenges to and Reforms Needed in International Legal Process, The Hague 2000, S. 13-23, S. 15ff.; Martina Haedrich, International Law and the UN, in: Helmut Volger (Hrsg.), A Concise Encyclopedia of the United Nations, The Hague/New York/London 2002, S. 321-328, S. 324. 12 Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl., Berlin 1976, S. 157ff.

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dende Rolle gespielt, aber in bestimmten Bereichen (z. B. Menschenrechte, Umweltrecht) haben sich andere - politischere - Instanzen und Mechanismen innerhalb der UN als durchaus geeigneter erwiesen. Im Bereich des humanitären Völkerrechts hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz die Führung übernommen.13 Auch schreibt weder die UNCharta noch das Statut der ILC noch eine andere Bestimmung vor, welche Gestalt eine Völkerrechtskodifikation anzunehmen hat. In vielen Fällen hat sich die Form des (multilateralen) Vertrages bewährt, und in der Tat liegen heute zahlreiche Kodifikationsverträge (fast) universeller Geltung vor. Doch andere Formen, z. B. nichtvertragliche Fixierungen, die von der Generalversammlung unterstützt und gebilligt wurden, sind gleichfalls denkbar und in der Praxis nicht unüblich. Es ist eine andere Frage, welcher rechtliche Verbindlichkeitswert dann solchen Emanationen zukommt. Wohl das wichtigste Ergebnis der Kodifizierungsarbeiten ist, daß damit, unabhängig von den am Kodifikationsprozeß beteiligten Akteuren und von der Rechtsform der Kodifikation, die Juridifizierung des Völkerrechts entschieden vorangetrieben wird. Die mit jeder Kodifikation verbundene zumindest partiell erreichbare - höhere Normenklarheit macht das Recht den anerkannten juristischen Interpretationsmethoden erst wirklich zugänglich, objektiviert es und entzieht es so jedenfalls tendenziell dem Einfluß rein machtpolitischer Erwägungen. Da keine Gesamtkodifikation des Völkerrechts vorliegt und sinnvollerweise auch nicht angestrebt wird, sondern nur zahlreiche völkerrechtliche Teilordnungen kodifiziert wurden, stellt sich das Problem, daß bei aller notwendigen Diversifizierung eine gemeinsame Ordnungsidee des Völkerrechts sichtbar bleiben muß. Dieser archimedische Punkt des Völkerrechts ist heute allerdings nicht - nicht mehr oder noch nicht wieder vollständig erkennbar, sondern oszilliert zwischen staatlicher Souveränität, Friedenswahrung und Menschenrechtsschutz, was die Umbruchsituation des gegenwärtigen, sich seit 1945 entwickelnden Völkerrechts markiert. Die Vereinten Nationen haben diesen Prozeß an erster Stelle mitgetragen. 1.3. Gang der Darstellung Aufgrund der angestellten Überlegungen kann bei der Erläuterung der Einwirkung der Vereinten Nationen auf das Völkerrecht nicht zwischen Kodifikation und Rechtsetzung differenziert werden. Die folgenden Ausführungen unterscheiden vielmehr zwischen der Mitwirkung der UN bei der Vorbereitung multilateraler Vertragswerke (Konventionen), der unmittelbaren Normhervorbringung im System der Vereinten Nationen und 13 1. Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde, BGBl. 1954 II, S. 783; UNTS Bd. 75, S. 31; II. Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See, BGBl. 1954 II, S. 813; UNTS Bd. 75, S. 85; III. Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen, BGBl. 1954 II S. 838; UNTS Bd. 75, S. 135; IV. Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, BGBl. 1954 II, S. 917, ber. BGBl. 1956 II, S. 1586; UNTS Bd. 75, S. 287; alle am 12. August 1949 unterzeichnet und am 21. Oktober 1950 in Kraft getreten.

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der interpretatorischen Entwicklung des Völkerrechts, wobei hier zwischen UN-Charta, sonstigen völkerrechtlichen Verträgen und dem allgemeinen Völkerrecht differenziert wird. Innerhalb dieser Gruppen ist auf die jeweils beteiligten Akteure und die sich daraus ergebenden normativen Konsequenzen aufmerksam zu machen. 2. Vorbereitung multilateraler Vertragswerke 2.1. Mechanismen und Akteure Multilaterale Vertragswerke, die im Schöße der UN entstanden sind, durchlaufen einen langwierigen „Geburtsprozeß". Zu den (Hilfs-)Organen oder Ausschüssen, die an der Vorbereitung von Verträgen beteiligt sind, gehören die schon erwähnte ILC und - je nach Gegenstand - der Erste Ausschuß (Abrüstung und internationale Sicherheit), der Dritte Ausschuß (Soziales, Menschenrechte und Kultur) und der Sechste Ausschuß (Rechtsangelegenheiten) der Generalversammlung, aber auch ggf. die Menschenrechtskommission des Wirtschafts- und Sozialrats, von dieser oder der Generalversammlung speziell eingesetzte Arbeitsgruppen oder Ad-hoc-Ausschüsse und die Generalversammlung selbst als letztlich beschließendes Organ. Zustande kommen die Verträge aber nicht durch den Beschluß der UNGeneralversammlung, die ja kein Weltgesetzgeber ist, sondern durch die Zustimmung der Staaten selbst. Hierzu kann entweder eine Staatenkonferenz einberufen werden, auf der es meist noch zu mehr oder weniger weitreichenden Änderungen kommen wird, oder aber das Vertragswerk wird nach Beschlußfassung durch die Generalversammlung unmittelbar zur Unterzeichnung und Ratifikation aufgelegt, ohne daß die Möglichkeit etwaiger Veränderungen im Wege von Vertragsverhandlungen besteht. Natürlich gilt auch in diesem Fall, daß die Staaten während des Entstehungsprozesses eines Vertragsentwurfs stets die Möglichkeit zur Stellungnahme haben. Verträge binden grundsätzlich nur die Vertragsparteien („pacta tertiis nec nocent nec prosunt"), es sei denn, daß Drittstaaten der im Vertrag enthaltenen Belastung oder Rechtseinräumung zustimmen.14 Allerdings kann sich aus vertraglichen Vorschriften inhaltsgleiches Völkergewohnheitsrecht entwickeln, wenn den Entstehungsvoraussetzungen des Völkergewohnheitsrechts (Übung und Rechtsüberzeugung) Genüge getan ist (Art. 38 WVK)15. Der Internationale Gerichtshof hat einen solchen Vorgang verschiedentlich bejaht.16 Das wohl bekannteste Beispiel ist die Anerken14

Vgl. Art. 34ff. WVK. Vgl. Ulrich Scheuner, Internationale Verträge als Elemente der Bildung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht, in: Werner Flume u. a. (Hrsg.), Internationales Recht und Wirtschaftsordnung, FS für Fritz Alexander Mann, München 1977, S. 409-438; Karl Doehring, Gewohnheitsrechtsbildung aus Menschenrechtsverträgen, in: Eckart Klein (Hrsg.), Menschenrechtsschutz durch Gewohnheitsrecht, Berlin 2003, S. 67-83; Christian Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, in: BerDGV 28 (1988), S. 9-46. 16 So z.B. der IGH, Urteil vom 20. Februar, ICJ Rep. 1969, S. 3, S. 41ff. - Festlandsockelfall. 15

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nung des gewohnheitsrechtlichen Gewaltverbots als eines mit dem vertraglichen Gewaltverbot der UN-Charta (Art. 2 Ziff. 4) identischen Tatbestands17. Allerdings ist bei dieser mittelbaren Erweiterung der Vertragswirkungen auf Dritte (die natürlich nur an die gewohnheitsrechtliche, nicht die vertragliche Norm gebunden sind) Vorsicht schon deshalb angebracht, weil es auch aus der Sicht der Vertragsparteien selbst einen erheblichen Unterschied macht, nur aufgrund des Vertrages oder selbst noch bei Wegfall des Vertrags an die entsprechende gewohnheitsrechtliche Norm gebunden zu sein.18 2.2. Bereiche 2.2.1. Von der ILC vorbereitete Verträge Eine besonders wichtige Rolle bei der Schaffung grundlegender multilateraler Verträge spielt die Völkerrechtskommission (International Law Commission - ILC). Sie wurde bereits 1947 von der Generalversammlung geschaffen 19 . Sie besteht derzeit aus 34 Mitgliedern, meist prominenten Völkerrechtlern, die als weisungsfreie Experten von der Generalversammlung auf fünf Jahre (bei Wiederwahlmöglichkeit) gewählt werden. Die Arbeiten der Völkerrechtskommission an der Fortentwicklung und Kodifikation des Völkerrechts erstrecken sich meist über viele Jahre, sogar Jahrzehnte und erfolgen in ständiger Rückkoppelung mit dem Rechtsausschuß der Generalversammlung und den Mitgliedstaaten. Erfährt die endgültige Vorlage der ILC die Billigung des Rechtsausschusses, so beruft die Generalversammlung in der Regel eine Staatenkonferenz ein, auf der der Entwurf seine endgültige Fassung erhält, unterzeichnet und zur Ratifikation aufgelegt wird . Auf diese Weise sind zahlreiche Konventionen entstanden, mit denen zentrale Gebiete des Völkerrechts kodifiziert wurden, zum Beispiel die Genfer Seerechtsabkommen von 1958, die Wiener Übereinkommen über diplomatische (1961) und konsularische Beziehungen (1963)21 und das 17

IGH, Urteil vom 27. Juni, ICJ Rep. 1986, S. 14, S. 98ff. - Nicaragua. Eckart Klein, Statusverträge (Fn. 5), S. 163. 19 S. Fn. 10; vgl. Francis Vallat, International Law Commission, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia o f Public International Law (EPIL), Band II, Amsterdam 1995, S. 1208-1216; Christian Tomuschat, ILC - Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 331-339; United Nations (Hrsg.), Making better International Law: The International Law Commission at 50, N e w York 1998; Bruno Simma, ILC - International Law Commission, in: Helmut Volger (Hrsg.), A Concise Encyclopedia (Fn. 11), S. 294-298. 18

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Solche Kodifikationskonferenzen verursachen erhebliche Kosten und sind sehr zeitaufwendig, sowohl was die Durchführung als auch die Vorbereitung betrifft, so daß gerade in letzter Zeit von ihrer Durchführung Abstand genommen und vielmehr versucht wird, in Arbeitsgruppen die Konventionen soweit vorzubereiten, daß sie nur noch feierlich unterzeichnet werden müssen. Seit 1987 gab es nur die Konferenz in Rom 1998 zur Unterzeichnung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, s. dazu unten bei Fn.74. 21 Vienna Convention on Diplomatie Relations, BGBl. 1964 II, S. 959; UNTS Bd. 500, S. 95 (am 18. April 1961 auf einer Konferenz in Wien angenommen); Vienna Convention on Consular Relations, BGBl. 1969 II, S. 1585; UNTS Bd. 596, S. 261 (am 24. April 1963 auf einer Konferenz in Wien angenommen).

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Grundlagen der Vereinten Nationen

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 196922. Diese Kodifikationen konkretisieren für die Vertragsparteien das weiterhin fortexistierende (und für die Nicht-Vertragsparteien auch weiterhin allein maßgebliche) Völkergewohnheitsrecht. Die ILC wählte nach Beginn ihrer Tätigkeit am 12. April 1949 aus einem Vorschlag des UN-Generalsekretariats eine Liste von insgesamt 14 für kodifikationsreif gehaltenen Themen aus, die später erweitert wurde. Zu den anfanglichen Themen gehörten Anerkennungen von Staaten und Regierungen, Staatensukzession, Staatenimmunität, exterritoriale Strafgerichtsbarkeit, Hohe See, Küstengewässer, Staatsangehörigkeit, Fremdenrecht, Asylrecht, Vertragsrecht, Recht der Diplomatie und Konsularrecht, Staatshaftung, Schiedsverfahren23, also zentrale völkerrechtliche Gebiete. Manche von ihnen, wie z. B. das Asylrecht, sind - politisch und rechtlich so komplex und vielschichtig, daß sie auch heute auf dieser Ebene noch nicht intensiver behandelt wurden. Viele andere Bereiche aber sind heute kodifiziert. Dies gilt etwa für das Diplomaten- und Konsularrecht24. Die Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen (1961), die heute von mehr als 180 Staaten ratifiziert ist, „is one of the most important chapters in the evolution of diplomacy and an outstanding example of codification of international law"25. Die Konvention kodifiziert zum einen das bis dato geltende Völkergewohnheitsrecht, bildet es teilweise aber auch weiter26. So wird durch sie entschieden, daß der Schutz der Diplomaten dem Funktionieren der völkerrechtlichen Kommunikation dient und quasi nur als „Reflex" auch den Diplomaten persönlich schützt27. Ähnliches gilt für die Wiener Konvention über konsularische Beziehungen28, die nur zwei Jahre später zur Unterzeichnung aufgelegt wurde und mit 165 Ratifikationen ähnlich weit verbreitet ist®. Sie ist „no doubt one of the most outstanding codifications ever undertaken under the auspices of the United Nations"3 . Ein besonders markanter Unterschied zur Diplomatenrechtskonvention betrifft die Frage der Unverletzlichkeit der Mission. Grundsätzlich darf die Mission nach beiden Übereinkommen durch Behörden des Empfangsstaats nur mit Zustimmung des Missionschefs betreten werden. Nach Art. 31 Abs. 2 Konsularrechtskonvention wird im Fall eines Feuers oder eines anderen Unglücks diese Zustimmung vermutet. In der Parallelvorschrift 22

Vienna Convention on the Law of Treaties vom 23. Mai 1969, BGBl. 1985 II, S. 926; UNTS Bd. 1155, S. 331. 23 Otto Kimminich, Der Beitrag der Vereinten Nationen zur Fortentwicklung des Völkerrechts, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 42/95, S. 13-26, S. 16. 24 Vgl. Fn. 21. 25 G.E. do Nascimento e Silva, Vienna Convention on Diplomatie Relations (1961), in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Band IV, Amsterdam 2000, S. 1295-1301, S. 1295f. 26 Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984, S. 565f. 27 Karl Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl., Heidelberg 2004, Rn. 500. 28 Ebd., Rn. 503. 29 Kay Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, S.149-243, Rn. 66. 30 Erich Kussbach, Vienna Convention on Consular Relations (1963), in: EPIL IV (Fn. 25), S. 1289-1293, S. 1293.

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der Diplomatenrechtskonvention (Art. 22) fehlt diese Vorschrift hingegen, da viele Staaten einen Mißbrauch fürchteten31. Beide Übereinkommen lassen im Übrigen ihre Ergänzung durch völkergewohnheitsrechtliche Normen zu, beanspruchen also keine Ausschließlichkeit32. Im Folgenden soll anhand eines Beispiels, nämlich der Entstehung der Wiener Konvention über das Recht der Verträge von 1969 ( W V K ) , die nach Mosler einer „echten Kodifikation am nächsten kommt"34, der Gang eines Kodifikationsverfahrens etwas näher dargestellt werden35. Das Vertragsrecht stand von Anfang an ganz oben auf der Liste der Völkerrechtskommission36. Zunächst benannte die ILC einen Berichterstatter (special rapporteur), dessen Aufgabe die Aufbereitung des Stoffes und die Vorlage eines Entwurfes war.37 Zu den Berichterstattern gehörten die späteren Richter am Internationalen Gerichtshof Sir Hersch Lauterpacht, Sir Gerald Fitzmaurice und Sir Humphrey Waldock. Insgesamt traf sich die Völkerrechtskommission zum Thema Vertragsrecht zu 292 Sitzungen38. Von 1950 bis 1961 waren die Diskussionen innerhalb des Gremiums eher sporadisch und „exploratory"39. Unklar war zunächst, ob überhaupt ein Vertrag abgeschlossen werden sollte oder ob nicht den Interessen der Staatengemeinschaft besser mit einem „restatement", einem „expository code" gedient wäre. Schließlich entschied man sich für die rechtsverbindliche Kodifikation: „The main articulated ground for this decision of principle was that the conventional method would be the most appropriate for securing the widest possible acceptance of the codified law of treaties, which would thus be placed upon the broadest and most secure foundations possible"40. Die ILC arbeitete dann von 1962 bis 1966 ununterbrochen an dem Entwurf. 1964 war die erste Lesung abgeschlossen. Das Ergebnis wurde an die Generalversammlung weitergeleitet und nach Debatten im Rechtsausschuß wieder an die ILC verwiesen. Zuvor hatten aber die Staaten noch Gelegenheit, sich zu dem Entwurf zu äußern. Auch diese Äußerungen wurden von der Generalversammlung an die ILC weitergeleitet. Die ILC fertigte einen zweiten Entwurf an, der der Generalversammlung ge31

Horst Fischer, Diplomatische und konsularische Beziehungen, in: Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 553-614, S. 582. 32 Karl Doehring, Völkerrecht (Fn.27), Rn. 503. 33 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, in Kraft getreten am 27. Januar 1980, BGBl. 1987 II, S. 757; UNTS Bd. 1155, S. 331. 34 Hermann Mosler, Zur Entwicklung des Völkerrechts (Fn. 3), S. 177. 35 Zur Aufschlüsselung des üblichen Verfahrensgangs vgl. Klaus Dicke, Völkerrechtspolitik (Fn. 9), S. 21 Off. Für eine ausführliche Darstellung der „Geburt" der WVK, vgl. Shabtai Rosenne, The Law of Treaties, Leyden 1970, S. Iff. 36 Ebd., S. 33. 37 Zu Organisation und Verfahren, s. Francis Vallat, International Law Commission (Fn. 19), S. 1209f. 38 Stephan Verosta, Die Vertragsrechts-Konferenz der Vereinten Nationen 1968/69 und die Wiener Konvention über das Recht der Verträge, in: ZaöRV 29 (1969), S. 654-710, S. 655. 39 Shabtai Rosenne, Vienna Convention on the Law of Treaties, in: EPIL IV (Fn. 25), S. 1308-1317, S. 1309. 40 Ebd., S. 1310.

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Grundlagen der Vereinten Nationen

meinsam mit dem Vorschlag, eine Staatenkonferenz einzuberufen, übermittelt wurde. Die Generalversammlung diskutierte 1966 und 1967 diesen Entwurf und entschied dann auf Einberufung einer Staatenkonferenz. Diese Staatenkonferenz war die erste, die in zwei Runden geplant war41. Grund hierfür war, daß den Staaten zwischen den beiden Runden genug Zeit gegeben werden sollte, um sich ausführlich besprechen und abstimmen zu können. Die Staatenkonferenz nahm die Konvention schließlich am 23. Mai 1969 mit 79 zu einer Stimme bei 19 Enthaltungen an. Heute sind 100 Staaten Parteien der Wiener Vertragsrechtskonvention.42 Simma spricht von einem ,,wahre[n] Triumph für die Kommission"43. Die WVK, deren sachlicher Geltungsbereich sich auf schriftliche Verträge zwischen Staaten beschränkt44, ordnet das allgemeine Vertragsrecht systematisch und weitgehend umfassend (Abschluß und Inkrafttreten, Anwendung und Interpretation, Ergänzung und Änderung, Ungültigkeit und Beendigung sowie Registrierung und Veröffentlichung), klammert jedoch die Wirkung der Staatensukzession und des Kriegsausbruchs auf Verträge ebenso aus wie die haftungsrechtlichen Folgen von Vertragsverletzungen (Art. 73 WVK). Insoweit ist auf gewohnheitsrechtliche Regeln oder spezielle Vertragsbestimmungen zurückzugreifen. Die wohl wichtigste Errungenschaft der Konvention ist, daß sie dem Konzept von ius cogens im Völkerrecht zum Durchbruch verholfen hat45. Eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts ist eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft als Ganzes akzeptiert und anerkannt ist und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts desselben Rechtscharakters geändert werden kann. Verträge, die bereits bei ihrem Abschluß gegen zwingendes Recht verstoßen, sind nichtig, Verträge, die gegen eine erst später entstandene Norm zwingenden Rechts verstoßen, werden zu diesem Zeitpunkt nichtig (Art. 53 und 64 WVK). Heute ist anerkannt, daß ius cogens auch eine Schranke für einseitiges Handeln von Staaten bietet46 und auch von den übrigen Völkerrechtssubjekten, insbesondere internationalen Organisationen, einschließlich den Vereinten Nationen, Beachtung verlangt47. Damit werden etwa auch den Aktivitäten des Sicherheitsrats, selbst im Bereich der Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicher41

Der erste Teil fand vom 26. März bis 24. Mai 1968 statt, der zweite Teil vom 9. April bis 22. Mai 1969. Vgl. BGBl. 2004 II, Fundstellennachweis B, S. 555f. 43 Bruno Simma, Methodik (Fn. 2), S. 84. 44 Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und Internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisationen von 1986 (BGBl. 1990 II, S. 1414) ist bislang nicht in Kraft getreten. 45 Otto Kimminich, Der Beitrag der Vereinten Nationen (Fn. 23), S. 18. 46 Christian Tomuschat, International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of a New Century, in: RdC 281 (1999), S. 82; Stefanie Schmahl, An Example of Jus Cogens: The Status of Prisoners of War, in: Christian Tomuschat/Jean Marc Thouvenin (Hrsg.), The Fundamental Rules of the International Legal Order, Jus Cogens and Obligations Erga Omnes, Leiden 2005, S. 41-67, S. 44; ICTY, Kammer, Urteil vom 10. Dezember 1998, IT-95-17/1-T Ziff. 155 - Furundzija; s. auch unten bei Fn. 252. 47 Otto Kimminich/Stephan Hobe, Einfuhrung in das Völkerrecht, 7. Aufl., Tübingen 2000, S. 170. 42

Die Vereinten Nationen und die Entwicklung des Völkerrechts

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heit, e i n s c h l i e ß l i c h der B e k ä m p f u n g des internationalen Terrorismus, Grenzen g e z o g e n . O b g l e i c h k e i n e s w e g s alle k o n z e p t i o n e l l e n Fragen g e löst sind , gilt das ius c o g e n s als wichtiger Baustein der v i e l b e s p r o c h e n e n Konstitutionalisierung des Völkerrechts .

2.2.2. Von anderen UN-Organen vorbereitete Verträge 2.2.2.1. Menschenrechte D a s erste völkerrechtlich relevante D o k u m e n t , d e s s e n (alleiniger) G e g e n stand die M e n s c h e n r e c h t e sind, ist die A l l g e m e i n e Erklärung der M e n schenrechte v o m 10. D e z e m b e r 1948 5 0 . O b g l e i c h als s o l c h e e i n e rechtlich unverbindliche R e s o l u t i o n der Generalversammlung setzte sie Standards, die w ä h r e n d der f o l g e n d e n D e k a d e n w e i t g e h e n d in rechtlich verbindliche N o r m e n u m g e s e t z t wurden 5 1 . D a s heutige Problem liegt nicht so sehr in der weiteren Normkreation als der Ü b e r w a c h u n g der Einhaltung der eing e g a n g e n Pflichten (sog. monitoring und f o l l o w - u p ) 5 2 . D i e s z e i g t aber, w i e viel die U N hinsichtlich der N o r m s e t z u n g auf d i e s e m Gebiet s c h o n erreicht haben. A n der intensiven Produktivität kann sogar Kritik geübt werden. D u r c h die Tatsache, daß mehrere K o n v e n t i o n e n ähnlich lautende B e s t i m m u n g e n enthalten (sog. overlapping), k ö n n e n n ä m l i c h - auch angesichts der V e r s c h i e d e n h e i t der K o n t r o l l m e c h a n i s m e n - die Einheitlichkeit der A u s l e g u n g paralleler N o r m e n und damit auch die K o h ä r e n z und Glaubwürdigkeit d e s g e s a m t e n S y s t e m s gefährdet sein 5 3 .

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Christian J. Tams, Schwierigkeiten mit dem Ius Cogens. Anmerkungen zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich vom 21. November 2001, in: AVR 40 (2002), S. 331-349, S. 34Iff.; Lee M. Caplan, State Immunity, Human Rights, and Jus Cogens: A Critique of the Normative Hierarchy Theory, in: AJIL 97 (2003), S. 741-781; Eckart Klein, Menschenrechte und Ius cogens, in: Jürgen Bröhmer u. a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift fur Georg Ress, Köln u.a. 2005, S. 151-163; Stefan Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, Berlin 1992. 49 Vgl. die Literaturhinweise in Fn. 4. 50 UN Doc. A/RES/217 (III), veröffentlicht in: GAOR, 3rd session, Resolutions, Part I, 71; dt. Fassung: Übersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen, www. unhcnr.ch/udhr/lang/ger. htm. 51 Dies geschah prinzipiell durch die Ausarbeitung der universellen Menschenrechtskonventionen, z. T. bildete die AEMR auch den Ausgangspunkt für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht; dazu Andreas Haratsch, Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - ein Ideal für alle Völker und Nationen, in: Eckart Klein (Hrsg.), 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, MenschenRechtsMagazin, Themenheft 1998, S. 2333, S. 29. 52 Vgl. Alfred Maurice de Zayas, United Nations High Commissioner for Human Rights, in: EPIL IV (Fn. 25), S. 1129-1132, S. 1130: „the United Nations has largely completed the task of standard-setting." 53 Lawrence J. LeBlanc, The Convention on the Rights of the Child. United Nations Lawmaking on Human Rights, London 1995, S. lOf; vgl. auch Eckart Klein, Die Rolle internationaler Organisationen bei der Normierung und Durchsetzung der Menschenrechte, in: Benita von Behr u.a. (Hrsg.), Perspektiven der Menschenrechte, Berlin 1999, S. 147-170, S. 155f.; Heike Stender, Überschneidungen im internationalen Menschenrechtsschutz Zum Problem des overlapping von materiellen Garantien und Kontrollmechanismen, Berlin 2004.

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Grundlagen der Vereinten Nationen

Die verschiedenen menschenrechtlichen Verträge wurden alle auf unterschiedliche Art und Weise ausgearbeitet, doch läßt sich feststellen, daß die ILC und der Sechste Ausschuß (Rechtsausschuß) der Generalversammlung insgesamt fast gar nicht involviert waren, dafür aber umso stärker die Menschenrechtskommission des Wirtschafts- und Sozialrats und der Dritte Ausschuß (für Soziales, Menschenrechte und Kultur)54. Der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) ist ein Hauptorgan der UN, das aus 54 Mitgliedern besteht, die von der Generalversammlung gewählt werden. Seine Aufgaben sind in Art. 62 UN-Charta festgelegt. Die Menschenrechtskommission ihrerseits wird vom Wirtschafts- und Sozialrat eingesetzt und besteht aus 53 Mitgliedern. Mitglieder beider Organe sind Regierungsvertreter und nicht wie bei der Völkerrechtskommission unabhängige Experten. Offenbar vertrauen die Staaten auf diesem für sie besonders sensiblem Gebiet der Menschenrechte eher ihren eigenen weisungsabhängigen Vertretern55. Welche Schwierigkeiten sich bei der Schaffung von Menschenrechtskatalogen ergeben können, zeigt die Entstehungsgeschichte der beiden Menschenrechtspakte über bürgerliche und politische Rechte einerseits und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits56. Die Menschenrechtskommission versuchte zunächst, auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung von 1948 einen gemeinsamen, beide Rechtekategorien umfassenden Konventionstext zu entwerfen, doch scheiterte dieser Versuch angesichts der zwischen westlichen und östlichen Staaten sehr unterschiedlichen Sicht von Freiheits- und sozialen Rechten. Die von der Menschenrechtskommission gefertigten Entwürfe von nunmehr getrennten Konventionen wurden 1954 der Generalversammlung übermittelt, die von den Staaten, Sonderorganisationen und Nichtregierungsorganisationen Stellungnahmen anforderte und die weitere Bearbeitung an ihren Dritten Ausschuß überwies. Erst zwölf Jahre später, am 16. Dezember 1966, konnte die Generalversammlung beiden Verträgen zustimmen57. Am 19. Dezember 1966 wurden sie zur Unter54

Vgl. den Bericht des UN-Generalsekretärs von 1985, Review of the Multilateral TreatyMaking Process, UN Doc. ST/LEG/SER/B/21. 55 Es läßt sich feststellen, daß die ILC sich in der Praxis „mit Vorhaben befaßt hat, die eine vergleichsweise geringe (rechts-)politische Brisanz aufweisen", so Meinhard Schröder, Völkerrechtsentwicklung im Rahmen der UNO, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen (Fn. 19), S. 1020-1028, Rn. 13. Eine die Ausnahme bestätigende Regel ist das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (unten bei Fn. 74) - Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. Dezember 1948, in Kraft getreten am 21. Januar 1951, BGBl. 1954 II, S. 730; UNTS Bd. 78, S. 277, ist im Sechsten (Rechts-)Ausschuß der Generalversammlung erarbeitet worden. 56 International Covenant on Civil and Political Rights vom 16. Dezember 1966, BGBl. 1973 II, S. 1534; UNTS Bd. 999, S. 171; Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights (Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte) vom 16. Dezember 1966, UNTS Bd. 999, S. 71, 302; dt. Fassung: BGBl. 1992 II, S. 1247; Second Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights Aiming at the Abolition of the Death Penalty (Zweites Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe) vom 15. Dezember 1989, UN Doc. A/RES/44/128, Annex; dt. Fassung: BGBl. 1992 II, S. 391; International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) vom 16. Dezember 1966, 993 UNTS 3; dt. Fassung: BGBl. 1973 II, S. 1570. 57

UN Doc. A/RES/2200 (XXI).

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Zeichnung aufgelegt; es gab keine gesonderte Staatenkonferenz. Es dauerte weitere zehn Jahre, ehe die beiden Pakte von einer ausreichenden Zahl (35) von Staaten ratifiziert waren und in Kraft treten konnten. 58 Die Ausarbeitung der Rassendiskriminierungskonvention 59 beruhte auf einem Staatenvorschlag. Der Dritte Ausschuß der Generalversammlung griff den Vorschlag auf, empfahl aber zunächst die Verabschiedung einer entsprechenden Deklaration der Generalversammlung, um die Dringlichkeit der Sache zu unterstreichen und dadurch auch bereits Orientierungen ftir die Konvention selbst zu geben 60 . Hier kündigte sich eine, zunächst schon durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte praktizierte Methode an, über eine unter rechtlichen Gesichtspunkten „weiche" (soft law), aber politisch fordernde Erklärung der UN-Generalversammlung den Weg für ein späteres rechtlich verbindliches Normenwerk zu ebnen. Etwa zeitgleich mit der Verabschiedung der Deklaration zu Beginn des Jahres 1964 begannen Menschenrechtskommission und ihre Unterkommissionen zur Verhütung von Diskriminierung und Minderheitenschutz (Sub-Commmission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities) mit der Arbeit an der Konvention. Den erarbeiteten Entwurf reichte der Wirtschafts- und Sozialrat an die Generalversammlung weiter. Nachdem deren Dritter Ausschuß noch einige Änderungen vorgenommen hatte, wurde die Konvention im Jahr 1965 feierlich verabschiedet und zur Unterzeichnung aufgelegt. 61 Die Schnelligkeit, mit der in diesem Fall - im Gegensatz zu den beiden Menschenrechtspakten - ein Ergebnis erzielt wurde, ist im wesentlichen auf den politischen Druck zurückzuführen, der durch die damals praktizierte Apartheidspolitik Südafrikas ausgelöst war. Auch der Frauenrechtskonvention 62 ging eine UN-Deklaration voraus, die von der Frauenrechtskommission (Commission on the Status of Women) 1946 vom Wirtschafts- und Sozialrat gegründet, vorbereitet und 1967 von der Generalversammlung verabschiedet wurde 63 . 1974 sah die Kommission die Zeit für eine Konvention gekommen und ersuchte den Generalsekretär, Regierungen, Sonderorganisationen und Nichtregie58

Vratislav Pechota, The Development of the Covenant on Civil and Political Rights, in: Louis Henkin (Hrsg.), The Covenant on Civil and Political Rights, N e w York 1981, S. 3271; Matthew C.R. Craven, The International Covenant on Economic, Social, and Cultural Rights, Oxford 1995, S. 18f. 59 Internationa). Convention on the Elimination of All Forms o f Racial Discrimination (Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung) vom 21. Dezember 1965, UNTS Bd. 660, S. 195; dt. Fassung: BGBl. 1969 II, S. 962. 60 Declaration o f the General Assembly on the Elimination o f All Forms o f Racial Discrimination, U N Doc. A/RES/1904 (XVIII) 20.11.1963. 61 Vgl. Natan Lemer, The U.N. Convention on the Elimination o f all Forms o f Racial Discrimination, 2. Aufl.,, Alphen aan den Rijn 1980, S. 3ff. 62 Convention on the Elimination o f All Forms o f Discrimination against Women (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) vom 18. Dezember 1979, 1249 U N T S 13; dt. Fassung: BGBl. 1985 II S. 648; Optional Protocol to the Convention on the Elimination o f All Forms of Discrimination against Women (Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) vom 6. Oktober 1999, U N Doc. A/RES/54/4, Annex; dt. Fassung: BGBl. 2001 II S. 1238;. 63

Declaration on the Elimination o f Discrimination Against Women (DEDAW), U N Doc. A/RES/2263 (XXII).

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Grundlagen der Vereinten Nationen

rungsorganisationen einzuladen, ihre Meinung zu der Schaffung einer solchen Konvention zu äußern. Die Kommission übergab dann einen Entwurf an den Wirtschafts- und Sozialrat, der diesen wiederum an den Dritten Ausschuß der Generalversammlung weiterleitete. Nachdem sich mehrere Arbeitsgruppen mit dem Entwurf befaßt hatten, überarbeitete der Dritte Ausschuß das Ergebnis nochmals, bis die Generalversammlung am 18. Dezember 1979 die Konvention annehmen konnte, die anschließend zur Unterzeichnung aufgelegt wurde64. Sie trat am 3. September 1981 in Kraft. In gleicher Weise ist die Anti-Folterkonvention65 durch eine entsprechende Erklärung der Generalversammlung vorbereitet worden66. Zugleich wurde die Menschenrechtskommission damit beauftragt, die Sicherung der in der Deklaration genannten Rechte zu betreiben. Nach einer erneuten, spezifischeren Aufforderung begann die Arbeit an der Konvention im Jahre 1977. Der erste Entwurf kam im Januar 1978 von der schwedischen Regierung und wurde sowohl innerhalb der Kommission selbst als auch in verschiedenen Arbeitsgruppen behandelt, die einen hohen Grad an Kontinuität zeigten67. Die Arbeitsgruppe war „open-ended", d. h. sie war nicht nur für alle Staaten offen, sondern auch für nichtstaatliche Organisationen (NGOs), Internationale Organisationen (IOs) und Sonderorganisationen und arbeitete konsensorientiert. 1984 übermittelte sie ihre Ergebnisse an die Menschenrechtskommission, die den Entwurf in dieser Form an die Generalversammlung weiterreichte. Nachdem der Generalsekretär die Regierungen zu Stellungnahmen eingeladen hatte und ca. 30 Antworten eingegangen waren68, wurde der Dritte Ausschuß mit der letzten Ausarbeitung beauftragt. Schwierigkeiten gab es noch bezüglich des Berichtsverfahrens und des in Ansätzen vorgesehenen neuartigen präventiven Prüfungsverfahrens zu überwinden. Nach der Einigung im Dritten Ausschuß nahm die Generalversammlung die Konvention an und legte sie zur Unterzeichnung auf; sie trat am 26. Juni 1987 in Kraft.

64

UN Doc. A/RES/34/180 vom 18.12.1979. Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe) vom 10. Dezember 1984, 1465, UNTS 85; dt. Fassung: BGBl. 1990 II, S. 247; Optional Protocol to the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe) vom 18. Dezember 2002; UN Doc. A/RES/57/199, Annex. 66 Declaration on the Protection of All Persons from Being Subjected to Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, UN Doc. A/RES/3452 (XXX) vom 9. Dezember 1975. 67 So auch J. Herman Burgers/Hans Danelius, The United Nations Convention against Torture, London 1988, S. 32. 68 Ebd., S. 102. 65

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Die Kinderrechtskonvention 69 wurde von einer („open-ended") Arbeitsgruppe ausgearbeitet, die von der Menschenrechtskommission 1979 eingerichtet wurde. 1989 übermittelte sie ihre im Konsens erzielten Ergebnisse an die Menschenrechtskommission. Der einzige Streitpunkt, der nicht durch Konsens entschieden werden konnte, nämlich die Frage der Finanzierung des Ausschusses zur Überwachung der Verpflichtungen aus dem Vertrag, wurde an die Menschenrechtskommission verwiesen, die den Streit an die Generalversammlung weiterleitete. Der Dritte Ausschuß entschied dann durch Mehrheitsbeschluß in dem Sinne, daß die Kosten in den UN-Haushalt eingestellt werden 70 . Am 20. November 1989 nahm die Generalversammlung den Entwurf an und legte ihn zur Unterzeichnung a u f 1 . Die Konvention trat am 2. September 1990 in Kraft; sie hat derzeit 191 Vertragsparteien und ist daher der Menschenrechtsvertrag, der die breiteste Zustimmung der Staaten erfahren hat. Die Konvention zum Schutz der Wanderarbeitnehmer 72 , die jüngste Konvention in diesem Kreis, wurde ebenso wie die Kinderrechtskonvention von einer von der Menschenrechtskommission eingesetzten „open-ended" Arbeitsgruppe erstellt. Nach einer Arbeitsphase von 10 Jahren nahm die Generalversammlung 1990 die Konvention an und legte sie zur Unterzeichnung auf 73 . Sie ist am 1. Juli 2003 in Kraft getreten und hat derzeit 34 Vertragsparteien. Auch das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist in weiterem Sinne ein menschenrechtlicher Vertrag, da mit ihm spezifische Verletzungen des Menschen und seiner Rechte bestraft werden sollen 74 . Durch das Statut wird ein internationales Gericht errichtet, das über die vier Tatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression 75 judizieren soll. Dabei schützt die völkerrechtliche Immunität nicht mehr vor Strafverfolgung durch diese inter-

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Convention on the Rights o f the Child (Übereinkommen über die Rechte des Kindes) vom 20. November 1989, U N T S Bd. 1577, S. 3; dt. Fassung: BGBl. 1992 II, S. 121; Fakultativprotokolle betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten vom 25. Mai 2000, BGBl. 2004 II, S. 1355; U N Doc. A/RES/54/263 und betreffend Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie vom 25. Mai 2002, UN Doc. A/RES/54/263. 70 Lawrence J. LeBlanc, The Convention (Fn. 53), S. 221 f. 71 Zur Geschichte der Konvention vgl. Le Blanc, The Convention (Fn. 53), S. 3ff. 72 International Convention on the Protection of the Rights o f All Migrant Workers and Members o f Their Families (Internationales Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen) vom 18. Dezember 1990, UN Doc. A/RES/45/158, Annex; dt. Text: GAOR, 45. Tagung, Beilage Nr. 49 (UN Doc. A/45/49). 73 Vgl. Ryszard Cholewinski, Migrant Workers in International Human Rights Law: Their Protection in Countries of Employment, Oxford 1997, S. 142. 74 Rome Statute of the International Criminal Court. Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, in: ILM 37, S. 999; dt. Fassung: BGBl. 2000 II, S. 1393. 75 Derzeit läuft die Zuständigkeit bezüglich des Aggressionsstraftatbestandes noch leer, da bislang keine Einigkeit über diesen Straftatbestand erzielt wurde; vgl. Meinhard Schröder, Verantwortlichkeit, Völkerstrafrecht, Streitbeilegung und Sanktionen, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, S. 535-588, Rn. 52; Martin Hummrich, Der völkerrechtliche Straftatbestand der Aggression, Baden-Baden 2001.

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nationale Instanz76. Universell ist die Jurisdiktion des Gerichtshofs nur, wenn der Fall vom Sicherheitsrat an ihn verwiesen wird77. Ansonsten d.h. wenn die Initiative vom Ankläger ausgeht - muß sich der Staat, aus dem der Täter kommt oder in dem die Straftat begangen wurde, dem Gerichtshof unterworfen haben, entweder durch eine Ad-hoc-Erklärung oder durch Ratifikation des Statuts78. Zudem kann - so wie gerade Großbritannien79 - der Staat ein Strafverfahren vor dem IStGH abwenden, wenn er selbst in angemessener Weise gegen den mutmaßlichen Täter vorgeht. Beim Zustandekommen des Statuts ist die Völkerrechtskommission maßgeblich involviert gewesen. Nach ihrem grundsätzlich positiven Votum legte bereits 1951 ein Unterausschuß des Rechtsausschusses der Generalversammlung ein Draft Statute for an International Criminal Court vor80. Jedoch scheiterte dieser Entwurf an dem sich rapide verschlechternden Klima zwischen den beiden Großmächten USA und UdSSR.81 1989 schlugen Trinidad und Tobago vor, die Arbeit für die Errichtung eines IStGH fortzusetzen. Die Generalversammlung beauftragte daraufhin die Völkerrechtskommission, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Bereits 1993 wurde der Entwurf82 in die Generalversammlung eingebracht. Diese setzte einen Ad-hoc-Ausschuß ein, der einen Bericht an die Generalversammlung vorbereitete. Ein Vorbereitungs-Ausschuß, wiederum von der Generalversammlung beauftragt, bereitete dann den endgültigen Entwurf für die Staatenkonferenz zur Verabschiedung des Statuts vor. Am 17. Juli 1998 wurde das IStGH-Statut mit 120 zu 7 Stimmen bei 21 Enthaltungen angenommen. Neben diesen weitaus wichtigsten Menschenrechtsverträgen finden sich noch zahlreiche weitere83. Die unmittelbare Involvierung von Organen der Vereinten Nationen, die Bereitstellung ihrer Fazilitäten, der politische, vom nationalen Eigeninteresse abstrahierende Druck der Organisation als solcher sind zweifellos entscheidende Voraussetzungen für den Erfolg all dieser Normierungsbemühungen gewesen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, daß die Entwicklung der Rechte des Menschen auf universeller Ebene ohne die Vereinten Nationen niemals so weit und umfassend gediehen wäre.

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Art. 27 Abs. 3 IStGH-Statut, vgl. aber Art. 98 IStGH-Statut. Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. 78 Art. 12 Abs. 2 und 3 mit Art. 13 lit. a) und c) IStGH-Statut. 79 Nicolas Richter, Drei Briten vor dem Militärgericht, in: Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 2005, S. 6. 80 Vgl. United Nations Committee on International Criminal Jurisdiction, Draft Statute for an International Criminal Court, abgedruckt in: AJIL 46 (1952), Suppl., S. Iff. 81 Heiko Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, Baden-Baden 1999, S. 143ff. Vgl. auch Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, Tübingen 2003. 82 Yearbook o f the International Law Commission 1993, Vol. II. Part 2, U N Doc. A/CN.4/SER.A/1993/Add. 1 (95.V.4), S. 100-131. 83 Für eine Übersicht siehe: www.ohchr.org/english/law/index.htm. 77

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2.2.2.2. Weltraumrecht Das Weltraumrecht ist ein besonders aussagekräftiges Beispiel dafür, wie die UN auf einen plötzlich auftretenden Normbedarf der internationalen Gemeinschaft reagieren können. Während die Staaten längst die Nutzung des Luftraums geregelt hatten, ist die Notwendigkeit, Ordnungsregeln für den Weltraum aufzustellen, erst ganz unvermittelt im Jahr 1957 mit der Lancierung des sowjetischen Satelliten Sputnik in den Weltraum aufgetreten; die USA sind bald gefolgt und haben im Jahr 1969 die erste Mondlandung durchgeführt. Die Generalversammlung hat schnell die Initiative ergriffen und mit einer Deklaration über den Weltraum (1963) erste wichtige Prinzipien festgehalten, etwa das Verbot, den Weltraum oder Himmelskörper zu okkupieren, den Grundsatz von Freiheit und Gleichheit bei Erforschung und Nutzung sowie das Prinzip der internationalen Haftung für durch Weltraumaktivitäten entstandene Schäden.84 Der zum gleichen Zeitpunkt von der Generalversammlung geschaffene und mit Regierungsvertretern besetzte Weltraumausschuß (COPUOS) und dessen Rechtsunterausschuß 85 nahmen die Arbeit an der Schaffung rechtsverbindlicher an der Erklärung von 1963 orientierter - Regeln für die Weltraumnutzung auf. Entstanden sind auf diese Weise der Weltraumvertrag vom 27. Januar 1967 und der Weltraumhaftungsvertrag vom 29. März 197386; beide Verträge sind nach ihrer Billigung durch die Generalversammlung unmittelbar den Staaten zur Unterzeichnung und Ratifikation unterbreitet worden 87 . Ihnen gehören heute 98 bzw. 82 Parteien an. Nach dem Scheitern eines Mondvertrages im Jahr 1979 fanden auf UN-Ebene allerdings keine wesentlichen Entwicklungen des Weltraumrechtes mehr statt . Gleichwohl ist die Arbeit der UN in diesem Bereich zu Recht als „a major achievement" 89 bezeichnet worden.

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Declaration of Legal Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space vom 13. Dezember 1963, UN Doc. A/RES/1962 (XVIII). 85 UN Committee on the Peaceful Use of Outer Space (COPUOS), UN Doc. A/RES/1472 (XVI). Wolfgang Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, S. 357-457, Rn. 79 bezeichnet dieses Komitee als die "[wichtigste Einrichtung bzgl. der Entwicklung des Weltraumsrechts." Die englische Bezeichnung des Rechtsunterausschusses lautet: „Legal Sub-Committee of the UN Committee on the Peaceful Use of Outer Space". 86 Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and other Celestial Bodies (Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper), UN Doc. A/RES/2222 (XXI), UNTS Bd. 610, S. 205; dt. Fassung: BGBl. 1969 II, S. 1968; Convention on International Liability for Damage Caused by Space Objects (Übereinkommen über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände), UN Doc. A/RES/2345 (XXII), UNTS Bd. 961, S. 187; dt. Fassung: BGBl. 1975 II, S. 1210. 87 Carl-August Fleischhauer, Article 13, in: Bruno Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations - A Commentary, 2. Aufl., München 2002, Rn. 53. 88 Thomas Petermann/Christopher Coenen/Reinhard Grünewald, Aufrüstung im All, Berlin 2003, S. 124. Vgl. jedoch den Plan des COPUOS Scientific and TechnicalSubcommittee (STSC), STSC Space Debris Mitigation Guidelines bis 2007 zu schaffen, in: AJIL 99 (2005), S. 657f., www.spaceref.com/news/viewsr.html?pid= 16300. 89 Christian Tomuschat, International Law (Fn. 11), S. 295.

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2.2.2.3. Seerecht Wie das Weltraumrecht ist auch das Seerecht maßgeblich durch Arbeiten der UN geprägt worden. Bereits 1958 wurden die ersten Verträge abgeschlossen, die das Seerecht zum Gegenstand hatten90. Diese wurden von der Völkerrechtskommission vorbereitet und von der Generalversammlung angenommen. Ganz überwiegend wurde mit diesen Verträgen bereits geltendes Völkergewohnheitsrecht wiedergegeben.91 Jedoch schuf die Konvention über den Festlandsockel erstmals - nach vorangegangener einseitiger Proklamation durch den US- Präsidenten Truman 1945 - eine klare Rechtsgrundlage für diesen Anspruch. Nachdem 1960 die Zweite Seerechtskonferenz erfolglos über die Ausweitung der Drei-Meilen-Zone beraten hatte, wurde 1967 durch Malta angeregt, einen neuen Versuch der Regulierung des Rechts auf See zu unternehmen, wobei insbesondere die Frage der Nutzung der Naturschätze auf dem Meeresboden behandelt werden sollte. Die Generalversammlung nahm diesen Vorschlag auf und schuf zu diesem Zweck den Meeresbodenausschuß92. Dieser berichtete an den Ersten Ausschuß der Generalversammlung, den Ausschuß für Abrüstung und internationale Sicherheit. 1970 entschied die Generalversammlung, daß eine Staatenkonferenz einberufen werden solle, und beauftragte den Meeresbodenausschuß mit der Vorbereitung. 1973 trat diese Konferenz mit dem Ziel, eine umfassende Konvention auszuarbeiten, das erste Mal zusammen. Wichtige Fragen sollten dabei im Konsens gelöst werden. Dies war sicherlich - neben der Tatsache, daß so viele Staaten und Delegierte an der Ausarbeitung beteiligt gewesen sind93 - auch ein Grund dafür, daß die Konferenz erst 1982 mit der Unterzeichnung des UN-Seerechtsübereinkommens94 abgeschlossen wurde. Ein anderer Grund war, daß der XI. Teil des UN-Seerechtsübereinkommens, das den wirtschaftlich besonders wichtigen und zukünftig möglicherweise sehr lukrativen Tiefseebergbau zum Inhalt hatte, zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern höchst umstritten war. Erst ein Durchfuhrungsabkommen, das 1994 von der Generalver90

Convention on the Territorial Sea and the Contiguous Zone (Ubereinkommen über das Küstenmeer und die Anschlußzone) 516 UNTS 205; Convention on the High Seas (Ubereinkommen über die Hohe See), UNTS Bd. 450, S. 11; dt. Fassung: BGBl. 1972 II, S. 1089; Convention on Fishing and Conservation of the Living Resources of the High Seas (Ubereinkommen über Fischerei und Erhaltung der lebenden Naturvorkommen der Hohen See), UNTS Bd. 559, S. 285; Convention on the Continental Shelf (Übereinkommen über den Festlandsockel), 499 UNTS 311, Optional Protocol of Signature Concerning the Compulsory Settlement of Disputes (Fakultatives Unterzeichnungsprotokoll über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten), UNTS Bd. 450, S. 169; dt. Fassung: BGBl. 1972 II, S. 1089; alle vom 29. April 1958. 91 ,,[I]n sehr geringem Umfang" wurde eine Fortentwicklung versucht, Otto Kimminich, Der Beitrag der Vereinten Nationen (Fn. 23), S. 20. 92 Ad Hoc Committee to Study the Peaceful Uses of the Sea-Bed and the Ocean Floor beyond the Limits of National Jurisdiction, UN Doc. A/RES/240 (XXII) vom 18. Dezember 1967; im darauffolgenden Jahr durch das ständige "Committee on the Peaceful Uses of the Sea-Bed and the Ocean Floor beyond the Limits of National Jurisdiction" ersetzt. 93 Es nahmen rund 700 Delegierte aus den UN-Mitgliedstaaten teil, OttoKimminich, Der Beitrag der Vereinten Nationen (Fn. 23), S. 20. 94 United Nations Convention on the Law of the Seas (Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen), UNTS Bd. 1833, S. 3; dt. Fassung: BGBl. 1994 II, S. 1798.

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Sammlung verabschiedet wurde, machte den Weg für die meisten Industriestaaten, u. a. die Bundesrepublik Deutschland (aber nicht die USA) frei, das UN-Seerechtsübereinkommen zu ratifizieren 95 . 2.2.2.4. Umweltvölkerrecht Das Umweltvölkerrecht ist sicherlich ein Feld großer Erfolge der UN, nicht etwa weil es schon so weit ausgebildet wäre, sondern weil durch die UN ein Prozeß eingeleitet wurde, der schwerlich mehr umkehrbar sein dürfte und notwendig ist, um die natürlichen Grundlagen des Lebens zu erhalten. Wichtige rechtspolitische Anstöße sind von den UN-Konferenzen in Stockholm (1972), Rio de Janeiro (1992) und Johannesburg (2002) ausgegangen 96 . Jedoch sind kaum rechtsverbindliche Übereinkommen entstanden97. Neben den Konferenzen trugen auch UNEP 98 , die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) 99 , die Generalversammlung mit ihrer World Charter for Nature100, der sog. -Report101 sowie die Commission on Sustainable Development 102 zur Schaffung eines Umweltvölkerrechts bei. Dabei ist aber noch ungeklärt, wie weit der Verrechtlichungsprozeß schon gediehen ist. Von einigen Autoren werden gewisse Prinzipien des Umweltvölkerrechts als Völkergewohnheitsrecht bezeichnet. Dazu gehören z. B. das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung und das Konzept des gemeinsamen Erbes der Menschheit, die beide durch die UN entwickelt wurden 103 . Wenn man der Ansicht zustimmt, daß sich insoweit Völkergewohnheitsrecht gebildet hat, so läßt sich auch hier von mittelbarer Rechtsetzung sprechen. Folgt man hingegen der Gegenansicht, so wird man immerhin konzedieren müssen, daß sich wichtige Bereiche des Umweltvölkerrechts auf dem besten Wege zum „hard law" befinden. Zusätzlich wurden auch einige Verträge im Rahmen der UN geschlossen, z. B. das Übereinkommen über das Recht der nicht-navigatorischen 95

Am 29. Juli 1994 von der Bundesrepublik unterzeichnet und am 4. Oktober 1994 ratifiziert, BGBl. 1994 II, S. 2565. Das Übereinkommen hat heute 149 Parteien. Die Bundesrepublik Deutschland ist Sitz des Internationalen Seegerichtshofs (Hamburg). 96 Wolfgang Graf Vitzthum, Raum und Umwelt (Fn. 85), Rn. 93. 97 Allerdings lässt sich daraus möglicherweise auf eine korrespondierende Rechtsüberzeugung schließen, vgl. Andreas von Arnauld, Völkerrechtliche Informationspflichten bei Naturkatastrophen, S. 279-311, S. 291; zur Rechtsetzung im Bereich des Umweltvölkerrechts, s. Ulrich Beyerlin/Thilo Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992, Berlin 1997, S. 4ff. 98

United Nations Environment Programme, 2 Jahre nach der Stockholm-Konferenz gegründet. Vgl. u.a. die UNEP Draft Principles of Conduct in the Field o f the Environment for the Guidance o f States in the Conservation and Harmonious Utilization of Natural Resources Shared by Two or More States vom 19. Mai 1978, in: ILM 17, S. 1091. 99 Vgl. die Erklärungen und Empfehlungen der UN/ECE bzgl. des Gewässerschutzes, der Abfallvermeidung und des Artenschutzes, in: Harald Hohmann (Hrsg.), Basic Documents o f International Environmental Law, Bd. I, London 1992, S. 273ff. 100 UN Doc. A/RES/37/7 vom 28. Oktober 1982, in: ILM 22, S. 455. ,01 World Commission on Environment and Development - WCED (Hrsg.), Our Common Future, Oxford 1987. 102 U N Doc. A/RES/47/191 vom 22. Dezember 1992. Diese soll die Umsetzung der Agenda 21, die in Rio verabschiedet wurde, überwachen und den Folgeprozeß begleiten. 103 Vgl. Astrid Epiney, Zur Einführung - Umweltvölkerrecht, in: JuS 2003, S. 1066-1072, S. 1067f; Ulrich Beyerlin, Umweltvölkerrecht, München 2000, S. 67ff.

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Nutzungen internationaler Wasserläufe104, das Kyoto-Protokoll als Ausgestaltungsprotokoll zur UN-Klimarahmenkonvention105 oder das Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen106, die „bedeutendste überregionale Konvention zum Schutz des Süßwassers"107. 2.2.2.5. Wirtschaft Auch im Bereich des internationalen Wirtschaftsrechts hat sich der Einfluß der UN zur Geltung gebracht, vor allem durch die Bereitstellung institutioneller Einrichtungen. Zu nennen ist zum einen die Kommission der UN für internationales Handelsrecht (UNCITRAL). Sie wurde für den Bereich des internationalen Handelsrechts 1966 von der Generalversammlung geschaffen 108 . Sie setzt sich aus 36 weisungsgebundenen Regierungsvertretern zusammen und ist insbesondere bei der Erarbeitung von Modellregelungen für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit erfolgreich gewesen; sie hat auch das Übereinkommen über den internationalen Warenkauf (1980) vorbereitet109, das zwei vorhergehende Konventionen von 1964110 zusammenfaßt und aufhebt 1 ". Eine wichtige Rolle spielen die Weltbankgruppe und der Internationale Währungsfonds (IWF), die Sonderorganisationen der UN sind. Hingegen war weder das GATT 1947 (General Agreement on Tariffs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), noch ist die 1995 ins Leben getretene Welthandelsorganisation (World Trade Organization/WTO) ungeachtet aller UN-Nähe eine UNSonderorganisation1 12.

104 Convention on the Law of the Non-navigational Uses of International Watercourses vom 21. Mai 1997, in: ILM 36, S. 700. Hier wird z.B. in Art. 5, Abs. 1, S. 1 das EquitableUtilization-Prinzip festgeschrieben. los ( j n Framework Convention on Climate Change, vom 20. Juni 1992, in: ILM 31, S. 848, am 21. März 1994 in Kraft getreten; Kyoto Protocol to the Framework Convention on Climate Change, vom 16. März 1998, in: ILM 37, S. 22, am 16. Februar 2005 in Kraft getreten. 106

Vom 17. März 1992, in: ILM 31, S. 1312, dt. Fassung: BGBl. 1994 II, S. 2334. Astrid Epiney, Zur Einfuhrung - Umweltvölkerrecht (Fn. 103), S. 1071. 108 U N Doc. A/RES/2205 (XXI). 109 Convention on International Sale of Goods (CISG) vom 11. April 1980, U N Doc. A/CONF. 97/18; dt. Fassung: BGBl. II 1989, S. 588, berichtigt: BGBl. II 1990, S. 1699. 110 (Haager) Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen und (Haager) Einheitliches Gesetz über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über beweglichen Sachen. 111 Patrick Oliver Ott, UNCITRAL - United Nations Commission for International Trade Law, in: Helmut Volger (Hrsg.), A Concise Encyclopedia (Fn. 11), S. 538-541; Andreas Käde, UNCITRAL - Kommission der U N für internationales Handelsrecht, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen (Fn. 19), S. 881-887, Rn. 10. 112 Vgl. Sabine von Schorlemer, Zwischen Abgrenzung und Kooperation. Die Rechtsnatur der WTO und ihr Verhältnis zum UN-System, in: V N 49 (2001), S. 101-104. 107

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3. Unmittelbare Normhervorbringung (Rechtsetzung) 3.1. Allgemeines Die UN haben grundsätzlich keine Rechtsetzungsbefiignis, nicht in Bezug auf ihre Mitglieder und erst recht nicht in Bezug auf Nichtmitglieder. Die Generalversammlung ist kein Weltparlament. Staaten haben sich einer zentralen Rechtsetzungsinstanz bislang ebensowenig unterworfen wie einer zentralen Gerichtsinstanz. Hoheitsbefugnisse können Internationale Organisationen nur in dem Maße ausüben, wie sie damit von den Staaten betraut sind. Auch die Vereinten Nationen sind nur mit einem zwar weiten, aber doch prinzipiell begrenzten Aufgabenfeld und begrenzten Befugnissen ausgestattet.11^ Allerdings sind nach Art. 2 Ziff. 2 UN-Charta alle Mitglieder verpflichtet, die Verpflichtungen aus der Charta nach Treu und Glauben zu erfüllen, und nach Maßgabe von Art. 25 UN-Charta sind Entscheidungen (décisions) des Sicherheitsrats verbindlich. Zudem verpflichtet Art. 2 Ziff. 6 UN-Charta die UN dafür Sorge zu tragen, „daß Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, insoweit nach diesen Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist." Nach überwiegender Ansicht kann hieraus allerdings keine rechtliche Verpflichtung der Nichtmitglieder abgeleitet werden.1 Aufgrund der nahezu universellen Mitgliedschaft in den UN, ihres in Art. 2 Ziff. 6 UN-Charta zum Ausdruck kommenden Selbstverständnisses, der Weite des Aufgabenbereichs der Organisation und der tatsächlichen Machtstrukturen ist dieses Problem aber vor allem akademischer Natur. Keiner der Nichtmitgliedstaaten würde es sich auf Dauer leisten können, dem Willen der Weltorganisation und der in ihr versammelten Mächte zu widerstehen. 3.2. Generalversammlung Während die Generalversammlung über keine die Staaten betreffende allgemeine Rechtsetzungsbefiignis verfügt, wurden ihr in einer Reihe von Fällen von der UN-Charta rechtsverbindliche Entscheidungsbefugnisse zuerkannt; diese beziehen sich allerdings sämtlich auf den innerorganisatorischen Bereich (z. B. Art. 4 bis 6, 17, 22, 108, 109)115. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist neben der Feststellung des Haushaltes der Organisation (Art. 17) die Errichtung des Verwaltungsgerichts der UN 116 , vor dem Bedienstete der Organisation gegen ihre Arbeitgeberin klagen können. Die 113 Vgl. dazu Eckart Klein, Die Internationalen und die Supranationalen Organisationen, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, S. 245-355, Rn. 32ff. 114 Wolfgang Graf Vitzthum, Article 2 (6), in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations (Fn. 87), Rn. 1; Eckart Klein, Statusverträge (Fn. 5), S. 199f. Vgl. jetzt auch ICTY, Kammer, Decision on Motion Challenging Jurisdiction vom 6. Mai 2003, IT-99-37PT, Ziff. 55fT. 115 Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht (Fn. 26), S. 404f., 407f. " 6 United Nations Administrative Tribunal, U N Doc. A/RES/351 (IV) vom 9. Dezember 1949. Das Statut trat zum 1. Januar 1950 in Kraft.

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Errichtung eines solchen Tribunals ist nach der UN-Charta nicht vorgesehen, aber die Befugnis hierzu ergibt sich aus der Charta und den Aufgaben der UN selbst" . Hier hat die Generalversammlung mit Zustimmung des IGH neues institutionelles Recht geschaffen. Schwieriger verhält es sich, wenn man den organisatorischen Bereich verläßt und nach den Rechtswirkungen von Resolutionen und Deklarationen im übrigen fragt. Grundsätzlich gilt, daß diese nur Empfehlungen darstellen, und auch das Stimmverhalten der Mitglieder kann automatisch weder als Staatenpraxis noch als Ausdruck der Rechtsüberzeugung verstanden werden, so daß auch häufig wiederholte Resolutionen der GV jedenfalls nicht unmittelbar als Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht Verbindlichkeit haben können" 8 . Allenfalls läßt sich sagen, daß in Einzelfällen bei einstimmig (d. h. auch unter Beteiligung der besonders betroffenen Staaten) gefaßten Entschließungen ein formloser zwischenstaatlicher Konsens entsteht, der freilich noch durch das nachfolgende Verhalten der Staaten zu bestätigen wäre, bevor er selbst zu einer vom Internationalen Gerichtshof zu beachtenden (Art. 38 IGH-Statut) Rechtsquelle würde." 9 Unabhängig hiervon sind Resolutionen der GV nicht rechtlich bedeutungslos120, da sie Hinweise auf rechtliche Entwicklungen, Trends geben können, jedenfalls Auffassungen postulieren, die zu rechtlicher Erörterung Anlaß geben121. Auch wenn wegen der ihnen grundsätzlich fehlenden Rechtsverbindlichkeit die Resolutionen keine Grundlage geben, mit der die Staaten ihr Verhalten unmittelbar rechtfertigen können122, ist doch nicht zu übersehen, daß diejenigen, die im Einklang mit der Resolution handeln, einen besseren Ausgangspunkt in der juristischen Auseinandersetzung haben. Man mag durchaus sagen, daß die Argumentationslast auf denjenigen übergeht, der die Rechtmäßigkeit der in der Resolution zum Ausdruck gekommenen Auffassung bestreitet. Die Mitgliedstaaten tun jedenfalls gut daran, die auf längere Frist angelegte Wirkung von GV-Resolutionen nicht zu unterschätzen.

117 IGH, Gutachten vom 13. Juli 1954, ICJ Rep. 1954, S. 57 - Effect o f Awards o f Compensation Made by the United Nations Administrative Tribunal. 118 Verkörpern sie jedoch Völkergewohnheitsrecht, so folgt die Rechtsverbindlichkeit aus dieser Rechtsqualität. - Vgl. auch Krzysztof Skubiszewski, Resolutions of the U N General Assembly ana Evidence of Custom, in: Le droit international á l'heure de sa codification. Etudes en l'honneur de Roberto Ago, Bd. 1, Mailand 1987, S. 503-519. 1,9 Vgl. Bruno Simma, Zur völkerrechtlichen Bedeutung von Resolutionen der UN-Generalversammlung, in: Rudolf Bernhardt/Jost Delbrück/Ingo v. Münch/Walter Rudolf (Hrsg.), Fünftes Deutsch-Polnisches Juristen-Kolloquium, Bd. II, Baden-Baden 1981, S. 45-76. Zu denken ist etwa an die Weltraumdeklaration vom 13. Dezember 1963, U N Doc. A/RES/1962 (XVIII). 120 Näher Krzysztof Skubiszewski, The Elaboration o f General Multilateral Conventions and o f Non-Contractual Instruments Having a Normative Function or Objective, in: AnIDI 61 I (1985) S. 305-334.; Kay Hailbronner/Eckart Klein, Article 10, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter o f the United Nations (Fn. 87), Rn. 53ff. 121 Vgl. das Diktum von Richter Hersch Lauterpacht, ICJ Rep 1955, S. 119, wonach die Staaten verpflichtet seien, den Resolutionen der Generalversammlung „due consideration in good faitn" zu geben. 122 So aber Ian Brownlie, Principles o f Public International Law, 6. Aufl., Oxford 2003, S. 663ff.

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Dies gilt auch und vor allem deshalb, weil nach einer neueren Lehre Völkergewohnheitsrecht sich auch aufgrund von Äußerungen internationaler Organisationen bilden kann. 123 In diesem Sinn übten auf dem jeweiligen Rechtsgebiet etwa die Weltraumdeklaration vom 13. Dezember 1963124 oder die Deklaration über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker vom 14. Dezember i960 125 , die jeweils ohne Gegenstimmen verabschiedet wurden, erheblichen Einfluß aus. So beruht das Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie es heute verstanden wird, zu einem wesentlichen Teil auf der letztgenannten Deklaration. Zwar hatte das Selbstbestimmungsrecht schon im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus politische Bedeutung erlangt. In der Satzung der Vereinten Nationen taucht das Selbstbestimmungsprinzip dann mehrfach explizit auf, so in Art. 1 Abs. 2 und in Art. 55, ohne daß daraus automatisch hätte geschlossen werden können, daß es sich von einem politischem zu einem rechtlich bindenden Prinzip entwickelt hatte 126 . Dieser Rechtsstatus wurde erst durch die kontinuierliche Arbeit im Rahmen der Vereinten Nationen erreicht; man kann sagen, daß in den Jahren der Dekolonisierung das Selbstbestimmungsrecht von einem bloß politischem Prinzip zu einem zwingenden Völkerrechtssatz wurde 127 . Die wichtigsten Dokumente in diesem Prozeß sind neben der erwähnten Generalversammlungsdeklaration die beiden Menschenrechtspakte von 1966, die in ihrem gemeinsamen Art. 1 das Recht auf Selbstbestimmung garantieren, und schließlich die Erklärung der Generalversammlung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen Staaten in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1970128. Nicht zuletzt die Aussagen dieser Erklärung führte die Generalversammlung in den folgenden Jahren dazu, das Selbstbestimmungsrecht über den Dekolonisierungszusammenhang hinaus zu erstrecken, wie es sich insbesondere im Kontext der Invasion Vietnams in Kambodscha (Kampuchea) und der Sowjetunion in Afghanistan gezeigt hat 129 . Auch das Beharren auf der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten

123 Vgl. Wolfgang Weiss, Allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, in: A V R 39 (2001), S. 394-431; Karl Doehring, Völkerrecht (Fn. 27), Rn. 305ff. 124 U N Doc. A/RES/1962 (XVIII). 125 U N Doc. A/RES/1514 (XV). 126 Daniel Thürer, Self-Determination, in: EPIL IV (Fn. 25), S. 364-374, S. 365. 127 Dies gilt unabhängig von der vertragsrechtlichen Verbürgung in den jeweiligen Artikeln 1 der Menschenrechtspakte; vgl. Karl Doehring, Self-Determination, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter o f the United Nations (Fn. 87), S. 47-63, Rn. 1 und 57ff. 128 Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation Among States in Accordance with the Charter of tne United Nations, U N Doc. A/RES/2625 (XXV), dazu ausfuhrlich Eckart Klein, Vereinte Nationen und Selbstbestimmungsrecht, in: Dieter Blumenwitz/Boris Meissner, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, Köln 1984, S. 107-122. Für eine Übersicht über die verschiedenen Resolutionen, s. insbesondere S. 108f. 129 Vgl. U N Doc. A/RES/35/35B vom 14.11.1980.

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konnte auf das Selbstbestimmungsrecht des (deutschen) Volkes gestützt werden130. Nicht alle feierlich verkündeten Erklärungen erlangten freilich eine größere Bedeutung. So ist etwa die Wirkung der Deklaration über die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, die gegen den Willen der Industrienationen verabschiedet wurde, marginal geblieben131. 3.3. Sicherheitsrat Der Sicherheitsrat ist das einzige Organ der UN, das die Mitgliedstaaten, jedenfalls im Bereich des Kapitels VII (Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit) nach Art. 25 UNCharta132 rechtlich verpflichten kann. Allerdings handelt es sich bei derartigen Resolutionen grundsätzlich um Einzelfälle betreffende Regelungen; sie sind damit eher exekutiver als legislativer Natur. Indessen lassen sich in neuester Zeit immer deutlicher Entwicklungen erkennen, die zu einem auf Kapitel VII UN-Charta gestützten Erlaß sehr viel weitergehenden Regeln gefuhrt haben; damit kommt diese Tätigkeit des Sicherheitsrates der Ausübung einer genuinen Legislativfunktion zumindest sehr nahe. Beispiele hierfür sind die Resolutionen zum internationalen Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September 2001, zur Errichtung der Straftribunale für Ruanda und das frühere Jugoslawien133 und zur Verwaltung des Kosovo. Hier stellen sich schwierige, die Struktur des Völkerrechts insgesamt berührende Fragen. 3.3.1. Resolutionen zum Terrorismus Nach dem 11. September 2001 verabschiedete der Sicherheitsrat Resolutionen, die das Problem der Reichweite der Befugnisse des Sicherheitsrates aufwerfen. Die erste einschlägige Entschließung ist die Resolution 1373 vom 28. September 2001 über die Finanzierung von Terroristen. Darin wird bestimmt, daß „such acts [die Anschläge vom 11. September] like any act of international terrorism, constitute a threat to international peace and security." Auf der Rechtsfolgenseite werden die Staaten zu zahlreichen Maßnahmen gegen den Terrorismus verpflichtet. Dieses Maßnahmenbündel „liest sich wie eine Querschnittskonvention zur Bekämpfung 130

Vgl. Eckart Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, Bonn 1990, S. 64ff. 131 Charter of the Economic Rights and Duties of States vom 12. Dezember 1974, UN Doc. A/RES/3281 (XXIX), in: UNYB 28 (1974), S. 402. Vgl. dazu Ernst-Ulrich Petersmann, Charter of Economic Rights and Duties of States, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL I, Amsterdam 1992, S. 561-566, S. 563ff. 132 Vgl. Jost Delbrück, Article 25, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations (Fn.87), Rn. 5, 9. 133 Neben diesen beiden Tribunalen hat am 1. Juli 2002 das UN-Sondergericht für Sierra Leone seine Arbeit aufgenommen. Dieses basiert jedoch auf einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen den UN und Sierra Leone und unterscheidet sich daher ganz wesentlich von den beiden anderen, einseitig errichteten Tribunalen; vgl. dazu Antje Trittin/Norman Weiß, Das Sondergericht in Sierra Leone, in: MenschenRecntsMagazin 3/2003, S. 173-182. Allerdings weist auch dieser Vorgang auf die auf der Vertragsabschlußkompetenz der UN beruhende Recht schaffende Kapazität der Organisation hin.

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des Terrorismus, zu deren Verabschiedung es bis zum heutigen Tage nicht gekommen ist" 134 . Zahlreiche verpflichtende Maßnahmen sind den Staaten auferlegt worden, die bislang nur in Konventionen zu finden waren, die entweder noch nicht in Kraft getreten sind oder nur wenige Unterzeichnerstaaten haben. Dies läßt darauf schließen, daß die Staaten vorher nicht bereit gewesen sind, derartige Verpflichtungen einzugehen. Nun aber ordnet der Sicherheitsrat etwas an, was die souveränen Staaten vorher offenbar nicht zu akzeptieren bereit waren. Zudem sollen diese Maßnahmen ohne zeitliche und räumliche Begrenzung Anwendung finden. Was die Resolution so außergewöhnlich macht, ist die Tatsache, daß der Sicherheitsrat mit ihr erstmals abstrakt-generelle Normen geschaffen hat. Bisher traf der Sicherheitsrat nur bestimmte Staaten betreffende Maßnahmen. Knapp drei Jahre später, mit der Resolution 1540 (2004) über die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, schuf der Rat wieder abstrakt-generelle Regeln 135 . Er sieht die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen grundsätzlich als „eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" i. S. d. Art. 39 UN-Charta an136. Deshalb wird den Staaten aufgegeben zu verhindern, daß Massenvernichtungswaffen in die Hände von nicht-staatlichen Akteuren gelangen. Zunächst ist zu fragen, welche Konsequenzen sich aus dem Handeln des Sicherheitsrats als Legislativorgan ergeben. Die Problematik einer solchen Funktion liegt auf der Hand. Nicht mehr (nur) die Lösung von Einzelproblemen, sondern (auch) die Erkennung zukünftiger, abstrakter und damit nur möglicher Gefahren und deren Bewältigung wird damit zur Aufgabe des Sicherheitsrates. Dies fuhrt zu einem grundlegenden Wandel im Völkerrecht: Generelle, von einem bestimmten Konflikt unabhängige verbindliche Regeln entstanden für Staaten bisher nur aufgrund vertraglicher Bindung oder aber durch die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht. Nun sehen sich die Staaten auch insoweit der Entschließung einer Gehorsam verlangenden Instanz unterworfen. Unabhängig von der damit intendierten Stärkung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ergeben sich Probleme. Die Autorität des Sicherheitsrates ruht auf Dauer nicht nur auf Macht, sondern auch auf Recht. Erweckt der Sicherheitsrat den Anschein, ohne Rechtsgrundlage zu handeln 137 , so verliert er an Autorität. Hinzukommt, daß gerade im Hinblick auf eine angestrebte Legislativkompetenz auch die Zusammensetzung des Rates und das angewandte 134 Jurij Daniel Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats - Resolution 1373 (2001) im Kontext, in: ZaöRV 62 (2002), S. 2 5 7 - 2 9 1 , S . 258. 135 Dazu Rüdiger Wolfrum, Der Kampf gegen eine Verbreitung von Massenvernichtungswaffen: Eine neue Rolle für den Sicherheitsrat, in: Klaus Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht (Fn. 4), S. 865-876, S. 874ff. 136 Diese Ansicht bekräftigte der Sicherheitsrat nach den ersten Anschlägen in London mit der Resolution 1611 vom 7. Juli 2005. 137 Vor der Verabschiedung der Resolution 1540 äußerten viele Delegationen Zweifel an der Kompetenz des Rates, vgl. die Stellungnahmen von Pakistan, Indien, Kuba, Indonesien, Iran, Mexiko, Nepal und Namibia, UN Doc. S/PV.4950 und UN Doc. S/PV.4950 (Resumption 1) vom 2. April 2004. Als „Ausnahmefall" wurde sie selbst von Befürwortern bezeichnet, vgl. die Stellungnahmen der Philippinen, Algeriens, der Republik Korea und der Schweiz, U N Doc. S/PV.4950.

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Rechtsetzungsverfahren erheblich größere Bedeutung erlangen. Der Sicherheitsrat besteht derzeit aus fünf ständigen, mit „Veto-Recht" ausgestatteten Mitgliedern und 10 auf zwei Jahre gewählten, nicht-ständigen Mitgliedern (Art. 23 i. V. m. Art. 27 UN-Charta). Nicht alle diese Mitglieder sind demokratisch verfaßt und achten die Menschenrechte. Entsprechendes gilt für die 10 nicht-ständigen Mitglieder. In Rechnung zu stellen ist ferner, daß die Mitglieder des Rats nicht notwendigerweise das Allgemeininteresse, sondern eigene Interessen wahrnehmen. Ein Gremium, das aus Staaten zusammengesetzt ist, die jedenfalls auch in erheblichem Umfang ihre eigenen Interessen im Blick haben, und das zugleich ohne klare Rechtsgrundlage arbeitet und nur von einigen wenigen Ländern bestimmt ist, kann zwar geeignet sein, auf konkrete friedensgefährdende Situationen zu reagieren, aber ist weniger gut geeignet, zukünftige Gefahrensituationen zu bewerten und zu deren Beseitigung generell-abstrakte Regelungen zu erlassen. Zumindest bedürfte die Übertragung dieser Aufgabe an die Organisation einer klaren Rechtsgrundlage. Weitere zentrale Fragen schließen sich unmittelbar an. Gerade die weitreichende Verbindlichkeit von Entscheidungen des Sicherheitsrates - zusammen mit der in Art. 103 UN-Charta enthaltenen Pflicht der Mitglieder, den Verpflichtungen aus der Satzung Vorrang vor kollidierenden anderen völkerrechtlichen Verträgen einzuräumen - wirft notwendig die Frage nach ihren normativen Grenzen und ihrer Kontrolle auf138. Soweit sich Handlungsbefugnisse des Sicherheitsrats aus bestimmten Rechtsnormen ergeben, sind deren Voraussetzungen zu beachten, also z. B. Art. 39 UNCharta für Maßnahmen im Bereich von Kapitel VII. Auch der Gebrauch der allgemeinen Kompetenznorm des Art. 24 Abs. 1 steht, wie Abs. 2 ausdrücklich sagt, unter dem Vorbehalt der Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (Art. 1 und 2 UN-Charta). Der Sicherheitsrat verfügt somit auch im Bereich der Friedenswahrung und -Wiederherstellung nicht über unumschränkte Gewalt139. Zumindest ius cogens, besonders wichtig im 138 Dieses Problem wird nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und anhand der Aktionen des Sicherheitsrats gegen den Irak zugunsten der Kurden und gegen Libyen wegen der Auslieferung von Staatsangehörigen (Fall Lockerbie) und im Zusammenhang mit dem Vorgehen des Sicherheitsrates gegen Personen, die des internationalen Terrorismus verdächtigt werden (targeted sanctions), zunehmend artikuliert: vgl. Thomas M. Franck, „The Power of Appreciation": Who is the Ultimate Guardian of U N Legality, in: AJIL 86 (1992), S. 519-523; Michael Reisman, The Constitutional Crisis in the United Nations, in: AJIL 87 (1993), S. 83-100; Jochen Herbst, Rechtskontrolle des UN-Sicherheitsrates, Frankfurt/Main 1999; Andreas Stein, Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die Rule of Law, Baden-Baden 1999, S. 377ff; Dorothee Starck, Die Rechtmäßigkeit von UNO-Wirtschaftssanktionen in Anbetracht ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, Berlin 2000; August Reinisch, Developing Human Rights and Humanitarian Law Accountability o f the Security Council for the Imposition o f Economic Sanctions, in: AJIL 95 (2001), S. 851-872; vgl. auch Heike Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates - das Ende staatlicher Souveränität?, Berlin 1995, S. 182ff. 139 So darf der Sicherheitsrat sich nicht über das Selbstbestimmungsrecht der Völker hinwegsetzen. Zweifelhaft ist es, gegen ein Angriffsopfer ein Waffenembargo (Fall: BosnienHerzegowina) zu verhängen, ohne selbst ausreichend Schutz zu gewähren (vgl. Art. 51 UN-Charta). Der Rat verfugt auch über keine Zuständigkeit zu definitiver territorialer Ordnung und Zuordnung, um einen gewaltsamen Konflikt auf Dauer zu beenden; ebenso Michel Virally, L'organisation mondiale, Paris 1972, 418; offenbar anders Jost Delbrück, Article 24, in: Bruno Simma, Charter of the United Nations (Fn. 87), Rn. 9. Das Problem

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Bereich Menschenrechte, zieht eine nicht überschreitbare Schranke; ob dies die einzige dem Sicherheitsrat gezogene Grenze ist, ist einstweilen noch nicht abschließend geklärt140. Die Feststellung einer Bindung des Sicherheitsrats wird allerdings dadurch relativiert, daß eine Rechtskontrolle seiner Maßnahmen nur unvollkommen möglich ist. Akte der UN-Organe, also auch des Sicherheitsrats, können von den Mitgliedstaaten (oder anderen Staaten) nicht gerichtlich angefochten werden. 141 Nur auf Umwegen kann eine rechtsverbindliche Nachprüfung durch den IGH dadurch erfolgen, daß der von einer Entscheidung des Sicherheitsrats belastete Staat eine Rechtsverletzung gegen einen anderen Staat geltend macht, der sein Verhalten auf die Entscheidung des Sicherheitsrats gestützt hat. In diesem Fall kann der IGH inzident und für die Streitparteien verbindlich die Rechtmäßigkeit der Maßnahme des Sicherheitsrats nachprüfen - vorausgesetzt, die Streitparteien haben sich seiner Gerichtsbarkeit unterworfen. 142 Auch das Gutachtenverfahren gewährleistet eine gewisse rechtliche Kontrolle, doch kann der IGH insoweit nur von anderen UN-Organen (oder Sonderorganisationen) angerufen werden; außerdem ist das Gutachtenergebnis nicht verbindlich. Diese faktische Rechtsschutzlosstellung der Mitgliedstaaten, die nur unvollkommen und mittelbar im Rahmen zwischenstaatlicher Streitigkeiten aufgefangen werden kann, ist höchst unbefriedigend und stellt einen wesentlichen Mangel in der Verfaßtheit der Staatengemeinschaft dar.144

könnte sich in naher Zukunft im Hinblick auf den Status des Kosovo stellen. 140 Vgl. dazu oben (S. 30) und Theodor Schilling, Der Schutz der Menschenrechte gegen Beschlüsse des Sicherheitsrats - Möglichkeiten und Grenzen, in: ZaöRV 64 (2004), S. 343-362. 141 Es fehlt an einer entsprechenden Zuständigkeit des IGH; zur Frage der Überprüfbarkeit bindender Resolutionen des Sicherheitsrats durch innerstaatliche Gerichte vgl. Erika de Wet/Andre Nollkaemper, Review of Security Council Decisions by National Courts, in: GYIL 45 (2002), S. 166-202, insbesondere S. 184ff. 142 Dies war die Situation des Streitverfahrens im Lockerbie-Fall zwischen Libyen gegen USA und Großbritannien. Die Hauptsache hat sich durch Rücknahme der Anträge erledigt (2003), den Antrag Libyens auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat der IGH am 14. April 1992 abgelehnt, in: ICJ Rep. 1992, S. 3 - Lockerbie; dazu Torsten Stein, Das Attentat von Lockerbie vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und dem Internationalen Gerichtshof, in: AVR 31 (1993), S. 206-235; Bernhard Graefrath, Leave to the Court What Belongs to the Court - The Libyan Case, in: EJIL 4 (1993), S. 184-205; Bernd Martenczuk, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, in: EJIL 10 (1999), S. 517-547; Michael Plachta, The Lockerbie Case: The Role of the Security Council in Enforcing the Principle Aut Dedere Aut Judicare, in: EJIL 12 (2001), S. 125-140; Stefanie Schmahl, Die „Rule of Law" in den Vereinten Nationen, in: RuP 2001, S. 219-235. 143 Vgl. Art. 96 UN-Charta und Art. 65ff IGH-Statut; zum Verhältnis von Sicherheitsrat und IGH vgl. Eckart Klein, Die Internationalen und die Supranationalen Organisationen (Fn. 113), Rn. 184. 144 Zurückhaltend Helmut Steinberger, The International Court of Justice, in: Judicial Settlement of International Disputes, Berlin u.a. 1974, S. 193-283, S. 244f; vgl. auch Louis B. Sohn, Broadening the Advisory Jurisdiction of the International Court of Justice, in: AJIL 77 (1983), S. 124-129; Erika de Wet, Judicial Review as an Emerging General Principle of Law and its Implications for the International Court of Justice, in: NILR 47 (2000), S. 181210; vgl. auch Matthias Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates. Aufgeklärter Absolutismus im Völkerrecht?, Heidelberg 1998, S. 9f.

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Das Problem stellt sich natürlich vor allem im Hinblick auf für die Mitglieder verbindliche Entscheidungen des Sicherheitsrats, insbesondere wenn die Entscheidungen Individuen betreffen145. Eine solche Entscheidung ist die Resolution 1390 vom 16. Januar 2002146. Sie legt fest, daß Personen und Institutionen, die mit Al-Kaida assoziiert sind, auf eine vom Sicherheitsrat geführte „schwarze Liste" gesetzt werden können. Für die betroffenen Personen ist dies mit erheblichen Nachteilen verbunden. Ihre Konten werden eingefroren und sie dürfen nicht in das Staatsgebiet anderer Mitgliedstaaten einreisen. Verschärft wird das Problem dadurch, daß ein vom Sicherheitsrat geschaffenes Komitee (Sanktionsausschuß), aber nicht der Sicherheitsrat selbst, die Liste fuhrt. Zwar sind im Sanktionsausschuß alle Mitglieder des Sicherheitsrates vertreten, aber ohne den Fokus der Weltöffentlichkeit ist hier kaum gegenseitige Kontrolle zu erwarten. Das sieht man daran, daß im Ausschuß selten nach den Gründen gefragt wird, weshalb jemand auf die Liste gesetzt werden soll. Geschieht dies doch einmal, so wird geantwortet, „daß es sich um Informationen aus verläßlicher Quelle handle, die aber, ebenso wie ihr Inhalt, aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht weitergegeben werden können"147. Die konkreten Gründe für die Auflistung werden jedenfalls nicht offengelegt. Die Folge ist, daß aufgrund von Schreibfehlern, Namensverwechslungen und ähnlichem Unschuldige auf die Liste geraten sind148. Die nach innerstaatlichem Recht (oder ggf. auch Gemeinschaftsrecht) grundsätzlich bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten - die Forderung nach einem Rechtschutz von Individuen gegen Maßnahmen des Sicherheitsrats durch ein internationales Gericht ist noch auf lange Sicht illusorisch - sind kaum effektiv149. Dies verweist erneut auf die bereits behandelte Frage, inwieweit der Sicherheitsrat an Menschenrechte gebunden ist. Ein rechtlich ungebändigter Sicherheitsrat ist keine gute Lösung150. Es besteht die Gefahr, daß die Steigerung der Problemlösungskapazität mit einer erheblichen Zunahme des menschenrechtlichen Gefährdungspotentials erkauft werden muß. Solange es nicht gelingt, der internationalen Gemeinschaft ein tragfahiges rechtliches Korsett zu geben, erscheint die Ersetzung, besser Entsetzung der Staaten aus ihrer Hüterrolle als bedenklich. Selbst im engeren Verbund der Europäischen Integration hat sich die Schwierigkeit grund- oder menschenrechtlicher Zähmung der Europä145 Vgl. Karl Doehring, Unlawful Resolutions of the Security Council and their Legal Consequences, in: MPYBUNL 1 (1997), S. 91-109; Karel Wellens, Remedies Against International Organizations, Cambridge 2002. 146 Ähnliche Resolutionen sind inzwischen mehrfach beschlossen worden, neuerdings etwa gegenüber kongolesischen Militärfuhrern (warlords), UN Doc. S/RES/1596 (2005) und 1649(2005). 147 Gernot Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, in: A V R 4 1 (2003), S. 169-181, S. 172. 148 Ebd., S. 172. 149 Vgl. jetzt EuG, Urteil vom 21. September 2005, Rs. T-306/01 und T-315/01 - Yusuf und Kadi./. Rat und Kommission. 150 Vgl. dazu Matthias Lutz-Bachmann/James Bohman (Hrsg.), Weltstaat oder Staatenwelt? Für und wider die Idee einer Weltenrepublik, Frankfurt/Main 2002; Heinhard Steiger, Brauchen wir eine Weltrepublik?, in: Der Staat 42 (2003), S. 249-266.

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ischen Union erwiesen.151 Auf die Garantiefunktion der Mitgliedstaaten ist in vielerlei Hinsicht auch heute keinesfalls zu verzichten. 3.3.2. Strafrechtstribunale Die Tribunale für Ruanda 152 und das frühere Jugoslawien 153 wurden vom Sicherheitsrat durch Resolutionen geschaffen. Diese Entschließungen enthalten auch praktisch identische Verfahrens- und materiellrechtliche Bestimmungen, welche die Tätigkeit dieser Einrichtungen regeln. Diese institutionelle Rechtsschöpfung war ein bislang einzigartiger Vorgang in der Geschichte des Völkerrechts; die internationalen Tribunale, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg und Tokio errichtet wurden, beruhten auf einer Vereinbarung der Siegermächte. Es gab darum auch erheblichen Streit über die Frage, ob der Sicherheitsrat über die notwendige Errichtungskompetenz verfügte. 154 Man wird heute davon ausgehen müssen, daß der Sicherheitsrat kompetent war.155 Genuin rechtsetzend sind diese Resolutionen deshalb, weil sie ohne Umsetzungs- oder Zustimmungsakt der Staaten direkt und unmittelbar die Einzelnen verpflichten, z. B. die ihnen von den Tribunalen zuerkannte Strafe zu verbüßen. 3.3.3. Verwaltung von Territorien Einen Tag nach dem Ende der NATO-Angriffe auf Jugoslawien 1999 nahm der Sicherheitsrat die Resolution 1244 (1999) an, welche die United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) installierte. Mit dieser Resolution wurden UNMIK weitreichende Kompetenzen übertragen, wie die gesamte legislative und exekutive Tätigkeit und die Aufsicht über die rechtsprechende Gewalt. Zudem kam die Verantwortung für die praktische Wiederaufbauarbeit hinzu. Die UN haben also im Kosovo genau die Aufgaben übernommen, die normalerweise von staatlichen Stellen ausgeübt werden, einschließlich Legislativ- und Judikativfunktion genauso wie in Ost-Timor einige Wochen später.156 Damit können die UN 151 Vgl. dazu Philip Alston/J.H.H. Weiler, An 'Ever Closer Union' in Need o f a Human Rights Policy, in: Philip Aiston (Hrsg.), The European Union and Human Rights, Oxford 1999, S. 3-69. 152 International Criminal Tribunal for Rwanda (Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda), U N Doc. S/RES/955 vom 8. November 1994. 153 International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (Internationaler Strafgerichtshof fur das ehemalige Jugoslawien), UN Doc. S/RES/827 vom 25. Mai 1993 und U N Doc. S/RES/1166 vom 13. Mai 1998. 154 Vgl. Horst Fischer, The Jurisdiction of the International Criminal Court for War Crimes, in: Volker Epping/ders./Wolff Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Brücken bauen und begehen: Festschrift für Knut Ipsen, München 2000, S. 77-101; Kirsten Schmalenbach, Die Auslieferung mutmaßlicher deutscher Kriegsverbrecher an das Jugoslawientribunal, in: A V R 36 (1998), S. 285-304, S. 287ff. Mexiko, das wie andere Staaten vorher gegen diese Verfahrensweise protestiert hat, hat noch 2001 an der Wahl der Richter zum Jugoslawientribunal aufgrund seiner Rechtsauffassung nicht teilgenommen, U N Doc. A/55/PV.95 vom 14. März 2001. 155 Der ICTY entschied im Fall Dusko Tadic, daß das ICTY rechtmäßig vom Sicherheitsrat errichtet worden ist, Kammer, Entscheidung vom 10. August 1995, IT-94-1, Ziff. Iff. 156 Vgl. Daniel Sven Smyrek, Internationally Administered Territories - International Protectorates?, Berlin 2006; Stefan Oeter, Die internationalen „Protektorate" in Bosnien-Her-

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allgemeinverbindliche, allerdings nur in den betreffenden Territorien geltende Gesetze erlassen157. 3.4. Sonderorganisationen Über eine schon recht weitreichende Legislativkompetenz verfugen einzelne Sonderorganisationen der Vereinten Nationen. Die von ihnen erarbeiteten Konventionen bedürfen nicht der Ratifikation durch die Mitgliedstaaten, sondern werden für diese verbindlich, wenn die Staaten die Bindung nicht durch Widerspruch verhindern (Opting out-/Contracting out-Verfahren)158. Diese Verfahren markieren den Übergang von vertraglicher zu einseitiger Gesetzgebung. Die World Health Organization (WHO)159 hat selten von ihrer Möglichkeit, Regelungen zu treffen, Gebrauch gemacht, dann aber erhielten die Regelungen eine beinahe universelle Geltung160. Im Mai 2005 hat die WHO ihre International Health Regulations überarbeitet161. Auch in diesem Fall wurde dem Contracting outVerfahren gefolgt. Im Rahmen der International Labour Organization162 ist der Rechtsetzungsprozeß in starkem Maße strukturiert. Dies liegt auch daran, daß es hier meist um sehr rechtstechnische Fragen geht.164

zegowina und im Kosovo - Entwicklung und rechtliche Folgeprobleme der UN-Friedensregime, in: Horst Fischer u. a. (Hrsg.), Krisensicherung und Humanitärer Schutz - Crisis Management and Humanitarian Protection. Festschrift ftir Dieter Fleck, Berlin 2004, S. 427-452; Hansjörg Strohmeyer, Collapse and Reconstruction of a Judicial System: the United Nations Missions in Kosovo and East Timor, in: AJIL 95 (2001), S. 46-63. 157 Nach den Worten des UN-Sonderbeauftragten Asbj0rn Eide war der Einsatz den Wiederaufbau und die Schaffung von Institutionen betreffend wohl erfolgreich, die Grundlagen für eine multi-ethnische Gesellschaft wurden aber nicht geschaffen, Bernhard Küppers, Der Preis fur den Kosovo, in: Süddeutsche Zeitung vom 12. Oktober 2005, S. 9; s. auch Jochen Abr. Frowein, Die Notstandsverwaltung in Gebieten durch die Vereinten Nationen, in: Hans W. Arndt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht und deutsches Recht, Festschrift fur Walter Rudolf, München 2001, S.43-54, S. 46ff. 158 Betroffen sind ICAO, WHO, WMO und IMO; näher dazu Eckart Klein, U.N. Specialized Agencies, in: EPIL IV (Fn. 25), S. 1172-1193, S. 1187; Krzysztof Skubiszewski, International Legislation, in: EPIL II (Fn. 19), 1255-1262; David Anderson, Law Making Processes in the UN System, in: MPYBUNL 2 (1998), S. 23-50; Charles Henry Alexandrowicz, The Law-Making Functions of the Specialized Agencies of the United Nations, London 1973. 159 WHO-Verfassung vom 22. Juli 1946, UNTS Bd. 14, S. 185; dt. Fassung: BGBl. 1974 II, S. 43. 160 Claude-Henri Vignes/Hans J. Schlenzka, World Health Organization, in: EPIL IV (Fn. 25), S. 1494-1500, S. 1496. Vgl. ferner Monika Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, Heidelberg 1984, S. 97ff. 161 In: ILM 44, S. 1013; dazu Gerald S. Schatz, ASIL Insight - International Health Regulations: New Mandate fur Scientific Cooperation, www.asil.org/insights/2005/08/ insights050802.html (zuletzt besucht am: 6. August 2005). 162 ILO-Verfassung vom 9. Oktober 1946, UNTS Bd. 15, S. 35; dt. Fassung: BGBl. 1957 II, S. 317; zuletzt geändert durch UNTS Bd. 958, S. 167; deutscher Text: BGBl. 1975 II, S. 2206. 163 Lawrence J. LeBlanc, The Convention on the Rights of the Child (Fn. 53), S. 6. 164 Ebd., S. 7.

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4. Interpretatorische Weiterentwicklung des Völkerrechts Außer durch Kodifikation und bewußte Fortentwicklung des Völkerrechts nehmen die Organe der UN durch ihre Praxis und die Äußerung ihrer (Rechts-)Auffassungen Einfluß auf Bestand und Inhalt völkerrechtlicher Normen. So gibt es keinen Zweifel, daß z. B. das heutige Verständnis von den Menschenrechten und dem Gewaltverbot maßgeblich von den ständig wiederholten Rechtsauffassungen der UN-Organe, insbesondere der Generalversammlung, geprägt ist. Insgesamt kann man zwischen der Weiterentwicklung der in der UN-Charta enthaltenen Normen und den Regeln sonstiger Verträge sowie des allgemeinen Völkerrechts unterscheiden. 4.1. UN-Recht, insbesondere UN-Charta Interpretatorische Weiterentwicklungen des UN-Rechts, vor allem der Charta, finden sich vielfach. Diese wirken sich aber nicht nur auf das UNRecht selbst aus, sondern wegen der allgemeinen Bedeutung der Charta wenigstens mittelbar auch auf das allgemeine Völkerrecht. Mitwirkende sind nicht etwa nur Generalversammlung und Sicherheitsrat, sondern alle Organe. Sie formen durch die praktische Auslegung und Anwendung (sog. Organpraxis) des Rechts dieses mit165. Dieser Vorgang kann angesichts seiner Komplexität nur anhand weniger Beispiele verdeutlicht werden. 4.1.1. Friendly-Relations-Deklaration Aus Anlaß ihrer 25. Tagung (1970) verabschiedete die GV nach siebenjähriger Vorarbeit im Konsensverfahren die „Erklärung über völkerrechtliche Grundsätze betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und Zusammenarbeit von Staaten in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen" 166 . Obgleich die Deklaration - zeitgebunden - auch Elemente der von der Sowjetunion vertretenen Lehre von der friedlichen Koexistenz sozialistischer und kapitalistischer Länder enthält' 67 , liegt ihr Schwerpunkt in der Darstellung und Interpretation zentraler Normen der UN-Charta und, gleichzeitig, des allgemeinen Völkerrechts. Die Deklaration, die als Entschließung der GV keine unmittelbar rechtlich verbindliche Wirkung hat, entfaltet ihr Anliegen durch die Aufstellung von sieben Prinzipien und deren nähere, z. T. sehr ausfuhrliche Erläuterung, wobei zumeist direkt an Bestimmungen der UN-Charta angeknüpft werden konnte 168 : (1) Verbot von Drohung oder Anwendung von Gewalt (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta);

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Vgl. Jochen Abr. Frowein, Der Beitrag der internationalen Organisationen (Fn. 1). S. Fn. 128. 167 Vgl. Gaetano Arangio-Ruiz, in: EPIL II (Fn. 19), S. 485-490, S. 486. 168 Näher dazu Bernt Graf zu Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, Berlin 1973. 166

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(2) Friedliche Lösung von Streitigkeiten (Art. 2 Ziff. 3 und Kapitel VI UN-Charta); (3) Interventionsverbot (Art. 2 Ziff. 4 und 7 UN-Charta); (4) Verpflichtung zur Kooperation; (5) Selbstbestimmungsrecht der Völker (Art. 1 Ziff. 2 UN-Charta); (6) Souveräne Gleichheit der Staaten (Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta); (7) Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten nach Treu und Glauben (Art. 2 Ziff. 2 und Art. 103 UN-Charta). Auch wenn man die Friendly-Relations-Deklaration nicht als authentische Interpretation der UN-Charta bezeichnen kann169, enthält sie doch wichtige Hinweise, die mitgeholfen haben, das Verständnis und Profil der in Bezug genommenen Satzungsnormen und der ihnen entsprechenden allgemeinen Völkerrechtsregeln zu schärfen. Nur als Beispiel sei die Behandlung des Selbstbestimmungsrechts (Prinzip 5) herausgegriffen, mit der das prekäre Verhältnis des Selbstbestimmungsrechts zum Gewaltverbot einerseits und zur territorialen Integrität eines Staates andererseits einer praktikablen Klärung zugeführt werden konnte170. Neben dieser weit ausgreifenden Befassung mit Grundnormen der UNCharta (und des allgemeinen Völkerrechts) hat die Organpraxis zur Verdeutlichung zahlreicher anderer Vorschriften und Bereiche beigetragen. 4.1.2. Vetorecht Das in Art. 27 Abs. 3 UN-Charta vorgesehene Vetorecht in allen materiellen Fragen räumt jedem ständigen Mitglied die Möglichkeit ein, das Zustandekommen eines Ratsbeschlusses zu verhindern.171 Hierzu gehören vor allem die Entschließungen im Bereich der Friedenswahrung oder -Wiederherstellung, aber auch über die Aufnahme neuer Mitglieder. Für die Ausübung des Vetorechts ist es unerheblich, ob der verhinderte Beschluß rechtlich verbindlich wäre oder nur empfehlenden Charakter hätte. Dabei ist es jedoch erforderlich, daß ausdrücklich gegen die Annahme des Beschlusses gestimmt wird, obwohl in Art. 27 Abs. 3 UN-Charta explizit die „Zustimmung" („un vote affirmatif' bzw. „an affirmative vote") zum Zustandekommen eines Beschlusses verlangt wird und danach die Enthaltung oder Nichtteilnahme an der Abstimmung schon als Ablehnung zu interpretieren wäre. Verständnis und Praxis des Sicherheitsrats - getragen von der Sorge um seine Funktionsfähigkeit - wiesen jedoch frühzeitig in eine andere Richtung. Der IGH hat diese sich vom Charta-Wortlaut entfernende Auslegung bestätigt.172 169 Vgl. dazu Ulrich Scheuner, Zur Auslegung der Charta durch die Generalversammlung. Die Erklärung über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit der Staaten, in: V N 26 (1978), S. 111-117. 170 Vgl. Otto Kimminich, Der Beitrag der Vereinten Nationen (Fn. 23), S. 24f.; Eckart Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker (Fn. 130), S. 33. 171 Es handelt sich um ein Vetorecht i.w.S., während das Vetorecht i.e.S. die Möglichkeit eines Organs beschreibt, das Wirksamwerden des Beschlusses eines anderen Organs zu verhindern; vgl. Fritz Münch, Veto, in: EPIL IV (Fn. 25), S. 1283-1286. 172 IGH, Gutachten vom 21. Juni 1971, ICJ Rep. 1971, S. 16, S. 22 - Namibia. Dogmatisch ist nicht geklärt, ob dieses Ergebnis durch einfache Interpretation gewonnen ist oder eine

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4.1.3. Friedensgefahrdung (Ausweitung) Das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 39 UN-Charta eröffnet dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, im Rahmen von Kapitel VII Empfehlungen oder auch verbindliche Maßnahmen (Art. 41, 42 UN-Charta) zu erlassen. Die Interpretation dieser Tatbestandsvoraussetzungen, ob also ein Bruch oder eine Bedrohung des Friedens oder eine Aggression vorliegt, ist daher von entscheidender Bedeutung. Hier hat der Sicherheitsrat durch eine weite Auslegung des Begriffs der Friedensbedrohung die Schwelle zu seinem Eingreifen spürbar gesenkt. Während früher Vorkommnisse, die auf ein Staatsgebiet beschränkt blieben (Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen) nur dann als Friedensgefahrdung angesehen wurden, wenn grenzüberschreitende Wirkungen wie die Destabilisierung von Nachbarländern zu befurchten waren , werden heute schwere Menschenrechtsverletzungen auch ohne die Anknüpfung an überkommene Begründungsmuster als Friedensbedrohung anerkannt, wie etwa in Haiti 17 und Ost-Timor 176 . Auslösende Faktoren waren spätestens die genozidalen Vorgänge im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda 177 . Hier zeigt sich, daß die normative und politische Aufwertung der Menschenrechte auch auf die Sicherheits- und Friedensdiskussion bestimmend einwirkte. Auch die Art und Weise, wie auf Friedensgefährdungen von Seiten des Sicherheitsrates militärisch reagiert wird, hat sich gewandelt. Grundsätzlich ist Art. 42 UN-Charta die entscheidende Norm. Diese Norm verlangt zwar nicht direkt, daß der Sicherheitsrat die Maßnahmen selbst durchfuhrt, aber doch jedenfalls eine gewisse Leitungs- und Führungsfunktion innehat. Tatsächlich hat er diese aber noch nie in Anspruch genommen, vielmehr hat er mehrmals „alle notwendigen Maßnahmen" (all necessary means) genehmigt 178 , u. a. im zweiten Golfkonflikt, um die Besetzung Kuwaits durch den Irak zu beenden 179 . Die Gewaltanwendung durch einzelne Staaten zu diesem Zweck wurde damit eindeutig autorisiert. rechtsfortbildende, von den Mitgliedern akzeptierte Organpraxis (Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK) oder eine gemeinsam konsentierte Vertragsänderung darstellt; ausfuhrlich Bruno Simma/Stefan Brunner/Hans-Peter Kaul, Article 27, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations (Fn. 87), Rn. 46ff. Eine sog. „konstruktive Stimmenthaltung", wie sie Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 EUV vorsieht, kennt die UN-Charta nicht. 173 Vgl. etwa zum palästinensisch-israelischen Konflikt 1948 bereits U N Doc. S/RES/54 vom 15. Juli 1948 oder zum Bürgerkrieg in Indonesien im selben Jahr U N Doc. S/PV.392 vom 24. Dezember 1948, S. 7-12, und zum internen Konflikt im Kongo 1961 U N Doc. S/RES/161 vom 21. Februar 1961. 174 Jochen Abr. Frowein/Nico Krisch, Article 39, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations (Fn. 87), Rn. 18, 20f. Hierzu zählen die Unterstützung des internationalen Terrorismus durch Libyen (UN Doc. S/RES/748 vom 31. März 1992), den Irak (UN Doc. S/RES/687 vom 3. April 1991) und Afghanistan (UN Doc. S/RES/133 vom 19. Dezember 2000 unter Bezugnahme auf U N Doc. S/RES/1214 vom 8. Dezember 1998 und U N Doc. S/RES/1267 vom 15. Oktober 1999). 175

U N Doc. S/RES/940 vom 31. Juli 1994. U N Doc. S/RES/1264 vom 15. September 1999. 177 Michael Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, S. 459-534, Rn. 24. 178 Für eine Aufzählung der Fälle seit 1990 s. Jochen Abr. Frowein/Nico Krisch, Article 42, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations (Fn. 87), Rn. 5f. 179 U N Doc. S/RES/678 (1990). 176

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Die Delegation der Entscheidung an einzelne Staaten darüber, ob Gewalt tatsächlich angewandt werden und wie dies geschehen soll, ist in der Satzung nicht vorgesehen, doch wird sie aufgrund der Anerkennung dieser Praxis durch die Staaten als zulässig betrachtet180, sofern keine Blankovollmacht erteilt wird181. Allerdings ist weiterhin umstritten, ob eine solche Entscheidung des Sicherheitsrats unter Art. 42 zu subsumieren oder als ausdrückliche Autorisierung zur (individuellen oder kollektiven) Selbstverteidigung zu verstehen ist182. Im Ergebnis hat der Sicherheitsrat jedenfalls die Charta dergestalt weiterentwickelt, daß er dritte Staaten zur Gewaltanwendung ermächtigen kann und dies sogar dann, wenn Menschenrechte nur im betroffenen Land selbst verletzt werden. 4.1.4. Blauhelme Weil das von der Konzeption der UN-Charta her zentrale Kapitel VII im Zeichen des Ost-West-Konflikts kaum zur Anwendung gelangen konnte, etablierte sich der Ersatzmechanismus der friedenserhaltenden Streitkräfte (peace-keeping forces, „Blauhelme")183. Diesen Vorgang kann man als einen der größten Erfolge in der Geschichte der UN bezeichnen. Mit Zustimmung der in den Konflikt verwickelten Staaten sichern die Friedenstruppen den schon vor ihrer Ankunft erreichten Waffenstillstand, z.B. indem sie Pufferzonen bilden oder den Truppenrückzug überwachen184. Allerdings gibt es keine ausdrückliche Rechtsgrundlage, so daß die grundsätzliche Kompetenz der UN umstritten war. Man spricht insoweit vom „Kapitel sechseinhalb", weil die Blauhelme zwischen friedlicher Streitbeilegung und militärischen Zwangsmaßnahmen angesiedelt sind. Durch das Certain-Expenses-Gutachten des IGH185 und die langjährige Praxis ist heute die Kompetenz der UN anerkannt186. Die Einsatzmöglichkeiten der friedenserhaltenden Streitkräfte sind laufend erweitert worden. Ihnen werden zunehmend Aufgaben auch der Friedensschaffung (robustes Mandat) und des nation-building übertragen187. 180

Jochen Abr. Frowein/Nico Krisch, Article 42 (Fn. 178), Rn. 23f. Jochen Abr. Frowein/Nico Krisch, Introduction to Chapter VII, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations (Fn. 87), Rn. 33 und dies., Article 42 (Fn. 178), Rn. 2 5 ff. 182 Jochen Abr. Frowein/Nico Krisch, Article 42 (Fn. 178), Rn. 22; hierzu auch näher Ekkart Klein, Völkerrechtliche Aspekte des Golfkonfliktes 1990/91, in: A V R 29 (1991), S. 421-435, S. 427. 183 Dazu Hilaire McCoubrey/Nigel D. White, The Blue Helmets: Legal Regulations of United Nations Military Operations, Dartmouth 1996; John Hillen, Blue Helmets: The Strategy o f U N Military Operations, 2. Aufl., Washington 2001. 184 Horst Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 1065-1194, S. 1118. 185 IGH, Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Rep. 1962, S. 151 - Certain Expenses. Der IGH entschied, daß die U N aufgrund ihrer „implied powers" die notwendige Kompetenz besitzt. 186 Vgl. auch Michael Bothe, Peace-Keeping, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter o f the United Nations (Fn. 87), S. 648-700, Rn. 83ff. 187 Michael Forster, Nation Building durch die internationale Gemeinschaft. Analyse der Verwaltungsmissionen der Vereinten Nationen im Kosovo und in Osttimor, Göttingen 2005; Mehrdad Payandeh, State Building im Friedenssicherungssystem der Vereinten Na181

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4.1.5. Entwicklung Ohne die UN würde man heute wohl kaum von einem Recht auf Entwicklung188 sprechen, selbst wenn dessen Konturen noch weitgehend unklar sind189. Zu den einschlägigen UN-Initiativen zählen neben der „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten" von 1974190, die jedoch von den Industrienationen nicht mitgetragen wird und insgesamt als gescheitert betrachtet werden muß, die Feststellungen von Menschenrechtskommission (1977) und Generalversammlung (1981), daß das Recht auf Entwicklung ein „Menschenrecht", sogar ein „unveräußerliches Menschenrecht" (GV) sei191. Diese Haltung wurde durch die „Declaration on the Right of Development" von 1986 , die UN-Menschenrechtskonferenz von 1993193 und die Millenniumsdeklaration der UN-Generalversammlung im Jahr 2000 bestätigt 194 . Die Verknüpfung der Kreditvergabe durch IWF und die Weltbankgruppe mit dem Kriterium der „good governance" führt dazu, daß die zu fördernden Projekte auch an ihrem langfristigen Beitrag zur Entwicklung des betroffenen Landes gemessen werden. Nicht allen Entwicklungsländern dürfte immer bewußt sein, daß die Einforderung des „Rechts auf Entwicklung", das zur sog. „dritten Menschenrechtsgeneration" gezählt wird, die Hürde des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten absenkt 195 . Hinzuweisen ist ferner auf die Arbeit der UN Conference on Trade and Development (UNCTAD) und des UN Development Programme (UNDP). Erstere ist ein (ständiges) Hilfsorgan der Generalversammlung, das sich mit Fragen des Handels zwischen den reichen Staaten des Nordens und den armen Staaten des Südens befaßt 196 . Die UNDP ist ein einheitliches und zentrales Koordinietionen. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen einer neuen Herausforderung für die internationale Gemeinschaft, in: HuV-I 2005, S. 253-263; zum robusten Mandat s. Christian Walter, Security Council Control over Regional Action, in: MPYBUNL 1 (1997), S. 129193, S. 171 ff". 188 Vgl. dazu Christian Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht und Recht auf Entwicklung als Elemente einer konstitutionalisierten globalen Friedensordnung, in: Klaus Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht (Fn. 4), S. 783-813; Franz Nuscheier, „Recht auf Entwicklung": Ein „universelles Menschenrecht" ohne universelle Geltung, in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO, Berlin 2003, S. 305-317; Holger Scharpenack, Das „Recht auf Entwicklung" - eine völkerrechtliche Untersuchung der konzeptionellen und normativen Strukturen eines „Menschenrechts auf Entwicklung", Frankfurt 1996; Sabine von Schorlemer, Recht auf Entwicklung - Quo vadis?, in: Friedens-Warte 72 (1997), S. 121-138; Christian Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, in: GYBIL 25 (1982), S. 85122. 189 Rudolf Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, S. 459-534, Rn. 30. 190 S. Fn. 131. 191 Vgl. Rudolf Dolzer, Wirtschaft und Kultur (Fn. 189), Rn. 31. 192 UN Doc. A/RES/41/128 vom 4. Dezember 1986. Vgl. dazu auch Art. 28 AEMR. 193 World Conference on Human Rights, The Vienna Declaration and Programme of Action, 25. Juni 1993, UN Doc. A/CONF. 157/23, abgedruckt in: ILM 32, S. 1663. 194 United Nations Millennium Declaration, UN Doc. A/RES/55/2 vom 8. September 2000, Ziff. 11: „We are committed to making the right to development a reality for everyone and to freeing the entire human race from want." Skeptisch dazu Christian Tomuschat, Human Rights. Between Idealism and Realism, Oxford 2003, S. 48f. 195 Rudolf Dolzer, Wirtschaft und Kultur (Fn. 189), Rn. 33, 39f. und Rn. 1 lOff. 196 Mir A. Ferdowsi, UNCTAD - United Nations Conference on Trade and Development,

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rungs- und Finanzierungsgremium für die technische Hilfe und Zusammenarbeit197. 4.2. Sonstige Verträge und allgemeines Völkerrecht Der Einfluß der UN macht sich auch im Hinblick auf die Interpretation sonstiger Verträge bemerkbar, soweit ihre Organe oder die ihnen angegliederten Einheiten in Vollzug, Kontrolle oder Interpretation der entsprechenden Verträge eingeschaltet sind. Dazu gehören die verschiedenen Ausschüsse, welche die Einhaltung der Verpflichtungen aus den Menschenrechtsverträgen zu überwachen haben (treaty bodies), aber auch etwa der UN-Flüchtlingshochkommissar (UNHCR) bezüglich der Genfer Flüchtlingskonvention und die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) im Hinblick vor allem auf die Kontrolle der friedlichen Nutzung von Kernenergie durch die Parteien des Vertrags über das Verbot nuklearer Waffen in Lateinamerika von 1967 (Vertrag von Tlatelolco) und die nicht über Nuklearwaffen verfügenden Parteien des Nichtweitergabevertrags (Treaty on the Non-proliferation of Nuclear Weapons) von 1968. Vor allem haben auch die in das UN-System eingefügten internationalen Gerichte durch die Auslegung - vertraglicher und gewohnheitsrechtlicher - Normen das Völkerrecht geprägt. Auf die Beeinflussung gerade auch des allgemeinen (ungeschriebenen) Völkerrechts durch Sicherheitsrat und Generalversammlung wurde oben bereits aufmerksam gemacht. Insbesondere ist auf die einschlägige Tätigkeit der ILC, die nicht nur Entwürfe für Konventionen vorgelegt hat, hinzuweisen. 4.2.1. ILC Bei zwei Kodifikationsvorhaben hat die ILC der Generalversammlung davon abgeraten, die von ihr ausgearbeiteten Bestimmungen in Form einer völkerrechtlichen Konvention zu beschließen.198 Dabei handelt es sich zum einen um ihre Ausarbeitung der Bestimmungen zur Staatenverantwortlichkeit199, zum anderen um den Entwurf eines „Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind"200. Der erstgenannten Entwurf faßt mehr oder minder das heute geltende Recht der Staatenverantwortlichkeit zusammen. Der Draft Code findet sich inhaltlich weitgehend in in: Helmut Volger (Hrsg.), A Concise Encyclopedia (Fn. 11), S. 542-548; Ralf Marxen, UNCTAD - Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Welthandels- und Entwicklungskonferenz), in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen (Fn. 19), S. 887-895, Rn. 1. 197 Stephan Klingebiel, UNDP - United Nations Development Programme, in: Helmut Volger (Hrsg.), A Concise Encyclopedia (Fn. 11), S. 548-554; Herbert Sahlmann, UNDP Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen (Fn. 19), S. 895-900, Rn. 1. 198 Rüdiger Wolfrum, Introduction, in: Rüdiger Wolfrum/Volker Röben (Hrsg.), Developments (Fn. 8), S. 1-13, S. 4. 199 ILC-Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit vom 12. Dezember 2001, UN Doc. A/56/10, S. 43-365. 200 UN Doc. A/RES/51/160 vom 16. Dezember 1996, vgl. dazu: Jean Allain/John R.W.D. Jones, A Patchwork of Norms, A Commentary on the 1996 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, in EJIL 8 (1997), S. 100-117.

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den Statuten der Tribunale für das frühere Jugoslawien und Ruanda sowie in dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wieder. Ein wichtiger Grund für die Empfehlung im Hinblick auf den Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit war, daß er bereits Eingang in die völkerrechtliche Rechtsprechung gefunden hatte 20 ' und man befürchtete, die Flexibilität der in ihm enthaltenen Bestimmungen könnte beeinträchtigt werden 202 . Ein erheblicher Nachteil verbindlicher Kodifikationen kann sein, daß möglicherweise über lange Zeit entstandene Rechtsregeln festgeschrieben werden und zwar so, wie sie zu der Zeit des Vertragsabschlusses existieren.203 Vor allem besteht die Gefahr, daß die Vertragsverhandlungen mühsam (in der ILC) gefundene Kompromisse wieder aufbrechen und damit das gesamte Kodifikationswerk zum Scheitern bringen können. Dies gilt vor allem, wenn - wie bei der Kodifikation der Staatenverantwortlichkeit - schwierige und möglicherweise auf einer Staatenkonferenz bezüglich der konkreten Formulierung kaum konsensfähige Probleme wie etwa Art und Umfang der zulässigen Reaktion auf die Verletzung von Ergaomnes-Normen behandelt werden sollen.204 Die Nachteile werden aber (meist) durch die Vorteile kompensiert. Die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht oder von allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist kompliziert und zeitaufwendig, zudem können leicht Meinungsverschiedenheiten auftauchen, für deren Entscheidung im Völkerrecht keine generell-obligatorische Streitschlichtungsinstanz bereitsteht. Um so wichtiger wird dann die Existenz möglichst klar gefaßter Regeln, die durch Kodifikation gefördert werden kann. Zudem können die Staaten einen größeren Einfluß auf die Entstehung vertraglicher Regeln in den Vertragsverhandlungen nehmen 205 . Außerdem wird oftmals ein förmliches Durchsetzungs- und Streitschlichtungsverfahren mitverfaßt 206 . Die Abwägung, ob eine Kodifikationsarbeit in ein (nur die Vertragsparteien bindendes) Vertragswerk münden oder versuchen soll, allein durch ihre Überzeugungskraft den Bestand allgemeiner Regeln des Völkerrechtes zu beeinflussen, bleibt letztlich stets eine bereichsspezifische Entscheidung. 207 Je ideologisch-politischer die Materie ist, desto weniger geeignet erscheint die ILC als Instrument. 208 201

So verweist z . B . der IGH in seinem Urteil zum Fall Gabcikovo-Nagymaros mehrfach auf die Draft Articles on State Responsibility, Urteil vom 25. September 1997, ICJ Rep. 1997, S. 3 (Ziff. 47, 50, 79 und 83). 202 Rüdiger Wolfrum, Introduction (Fn. 198), S. 4f. 203 Gerhard Hafner, Kodifikation (Fn. 9), S. 132. 204 Shabtai Rosenne, Codification o f International Law, in: EPIL I (Fn. 131), S. 632-640, S. 638. 205 Martina Haedrich, International Law and the UN (Fn. 11), S. 324: „In the process of development o f international law all U N member states are given an equitable opportunity for participation." 206 Eckart Klein, Die Rolle internationaler Organisationen (Fn. 53), S. 152; Gerhard Hafner, Kodifikation (Fn. 9), S. 132. 207 Dazu vgl. Christian Tomuschat, The Complementarity of International Treaty Law, Customary International Law, and Non-Contractual Lawmaking, in: Rüdiger Wolfrum/Volker Roben (Hrsg.), Developments (Fn. 8), S. 401-407. 208 Alain Pellet, Responding to N e w Needs (Fn. 11), S. 17f., unter Hinweis etwa auf das

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4.2.2. Treaty Bodies Jeder der oben genannten großen Menschenrechtskonventionen ist ein Ausschuß als Vertragsorgan (treaty body) zugeordnet, der die Staatenberichte entgegennimmt, ggf. fiir Staaten- und Individualbeschwerden zuständig ist und mit „Allgemeinen Bemerkungen" (General Comments) zu Fragen der Auslegung der vertraglichen Verpflichtungen Stellung nimmt. Nur der Ausschuß des Sozialpaktes ist direkt in die UN eingegliedert, nämlich als Hilfsorgan des Wirtschafts- und Sozialrates. Die anderen Ausschüsse sind rechtlich unabhängig vom UN-System, auch wenn sie im weiteren Sinn (Finanzierung, Sekretariat, Berichtspflicht) als ein Teil desselben zu gelten haben. Auch wenn die Aussagen dieser Ausschüsse grundsätzlich ohne rechtliche Verbindlichkeit sind, kann ihre Tätigkeit verschiedentlich erheblichen Einfluß auf das Völkerrecht gewinnen209; dies gilt primär natürlich im Hinblick auf die jeweilige Konvention, kann aber auch das allgemeine Völkerrecht betreffen. Im Folgenden kann dies nur anhand des fiir den Zivilpakt verantwortlichen Menschenrechtsausschusses exemplifiziert werden. Dabei ist aber zu beachten, daß - um ein volles Bild des bislang entwickelten Rechtskorpus zu erhalten - auch alle anderen Ausschüsse einzubeziehen sind. 4.2.2.1 Menschenrechtsausschuß Mit seinen „Abschließenden Bemerkungen" (concluding observations) nimmt der Menschenrechtsausschuß (MRA) am Ende seiner Überprüfung dazu Stellung, ob der vorgelegte Staatenbericht den Vertragsverpflichtungen formell und materiell gerecht wird. Aus der Fülle solcher Bemerkungen zu den einzelnen Menschenrechten ergeben sich wertvolle Leitlinien fiir deren Verständnis. Mitunter werden aber auch generelle, über den konkreten Vertrag hinausweisende Rechtsfragen erörtert. Insoweit kann insbesondere auf das schwierige Problem verwiesen werden, ob Nachfolgestaaten automatisch an die Paktrechte gebunden sind. Die Frage stellte sich im Hinblick auf die Sukzessorstaaten der Sowjetunion und Jugoslawiens, aber auch im Hinblick auf die Rückkehr von Hongkong und Macao unter die exklusive Jurisdiktion der Volksrepublik China. Der MRA hat hier stets die - weitreichende - These vertreten, daß die Nachfolger an die Paktverpflichtungen gebunden bleiben: „The Human Rights Committee - dealing with cases of dismemberment of States parties to the International Covenant on Civil and Political Rights - has taken the view that human rights treaties evolve with territory, and that States continue to be bound by the obligations under the Covenant entered by the predecessor State. Once the people living in a territory find themselves under the protection of the International Covenant on Civil and Political Rights, such protection cannot be denied to them by virtue of the mere Kodifikationsprojekt „Allgemeine Prinzipien des Umweltrechts." S. aber auch die jüngst von der ILC ausgearbeitete U.N. Convention on Jurisdictional Immunities o f States and Their Property, in: ILM 44, S. 803. 209 S. dazu auch Eckart Klein, Impact of Treaty Bodies on the International Legal Order, in: Rüdiger Wolfrum/Volker Röben (Hrsg.), Developments (Fn. 8), S. 571-579, S. 575ff.

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dismemberment of that territory or its Coming within the Jurisdiction of another State or of more than one State"210. Im Fall von Hongkong und Macao konnte dieses Ergebnis allerdings primär auf die Abmachungen gestützt werden, die China mit dem Vereinigten Königreich und Portugal bezüglich des Hoheitsübergangs abgeschlossen hatte. Dieser Fall ist zusätzlich dadurch ausgezeichnet, daß ein Staat - ohne selbst Vertragspartei zu sein - (nur) für einen Teil seines Gebiets den Anforderungen des Paktes unterliegt . Der Ausschuß hat in seiner Allgemeinen Bemerkung No. 26 (1997) die - übrigens erfolgreiche - Ablehnung der Kündigung des Paktes durch Nordkorea neben dem Hinweis auf Art. 56 WVK gerade auch auf diese Auffassung gestützt 212 . Obgleich umstritten handelt es sich hierbei in jedem Fall um einen wesentlichen Beitrag zu einer wichtigen Frage des Rechts der Staatensukzession. 213 Entsprechendes gilt für die Allgemeine Bemerkung Nr. 24 (1994), mit der der Ausschuß auf die bedenklich zunehmende Praxis der Vertragsparteien reagiert hat, die Übernahme der Paktverpflichtungen durch die Erklärung von Vorbehalten zu reduzieren214. Hier wird die höchst komplizierte vertragsrechtliche Frage der Zulässigkeit von Vorbehalten und der Konsequenzen ihrer Unzulässigkeit im Hinblick auf den Pakt diskutiert215. Auch wenn diese Rechtsauffassung von mächtigen Staaten (USA, Frankreich, Vereinigtes Königreich) zurückgewiesen 2 und auch sonst teilweise sehr kritisch aufgenommen wurde 217 , ist es doch zutreffend, daß mit dieser Äußerung eine besonders schwierige völkerrechtliche Diskussion einen neuen fruchtbaren Anstoß erhalten hat218. 210

Z . B . UN Doc. CCPR/C/79/Add. 57, Annex (09.11.1995). - Kritisch Bruno Simma, Commissions and Treaty Bodies of the UN System, in: Rüdiger Wolfrum/Volker Röben (Hrsg.), Developments (Fn. 8), S. 581-586, S. 583. 211 Näher dazu Eckart Klein, Some Thoughts on the Legal Status of the People's Republic of China Relating to the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Volkmar Götz u.a. (Hrsg.), Liber Amicorum Günther Jaenicke, Berlin 1998, S. 165-176. 2I2 UN Doc. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 8; Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die „General Comments" zu den UN-Menschenrechtsverträgen, Baden-Baden 2005, S. 121. 213 Andreas Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, Berlin 2000, S. 555f.; Philipp Jäger, Staatennachfolge und Menschenrechtsverträge, Aachen 2002. 214 UN Doc. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 6; General Comments (Fn. 212), S. 126. 215 Der Ausschuß hat seine auch innerhalb des Ausschusses umstrittene Rechtsauffassung im Fall Rawle Kennedy gegen Trinidad und Tobago (UN Doc. CCPR/C/74/D/845/1998) bekräftigt. 216 UN Doc. A/50/40, Vol. I, Annex VI; A/51/40, Vol. 1, Annex VI. 2,7 Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-Eighth Session 6 May - 26 July 1996, UN Doc. A/51/10, Ziff. 116; Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-Ninth Session 12 May - 18 July 1996, UN Doc. A/52/10, Ziff. 104; Eckart Klein, A Comment on the Issue of Reservations to the Provisions of the Covenant Representing (Peremptory) Rules of General International Law, in: Ineta Ziemele (Hrsg.), Reservations to Human Rights Treaties and the Vienna Convention Regime, Leiden 2004, S. 59-65. 218 Vgl. Catherine J. Redgwell, Reservations to Treaties and Human Rights Committee General Comment No. 24 (52), in: ICLQ 46 (1997), S. 390-412, S. 411; vgl. auch Bruno Simma, Commissions (Fn. 210), S. 583, der freilich auch die Allgemeine Bemerkung No. 24 als wenn auch gut gemeinten „overkill" bezeichnet. - Zur Bedeutung der Allgemeinen Bemerkungen für die Tätigkeit anderer internationaler Organe vgl. International Law Association, Report, London 2002, S. 507 und London 2004, S. 621.

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Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang ferner auf die Allgemeine Bemerkung No. 27 (1999) zum Recht auf Freizügigkeit (Art. 12 IPBPR), wo der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit exemplarisch in seiner Bedeutung für die Zulässigkeit einer Rechtsbeschränkung entfaltet wird219, und auf die Allgemeine Bemerkung No. 29 (2001), wo - unmittelbar vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 - der Ausschuß zu Art. 4 IPBPR (Notstand) Stellung genommen und dabei auch die Grenzen zulässiger staatlicher Reaktion herausgearbeitet hat220. Die in der internationalen Gerichtsbarkeit umstrittene und in der Praxis bislang verneinte Frage, ob einstweilige Anordnungen/vorläufige Maßnahmen für die adressierten Staaten bindende Wirkung haben, hat durch die Arbeit des MRA einen entscheidenden Wandel erfahren. Nachdem er im Fall Piandiong/Morallos/Bulan gegen die Philippinen im Jahr 2000 diese Frage für sich dezidiert bejaht hat221, sind innerhalb kurzer Zeit auch der IGH und der EGMR223, wobei letzterer auch ausdrücklich auf die Entscheidung des MRA Bezug nahm, diesem Beispiel gefolgt. Dieser Vorgang zeigt eine bemerkenswerte Interaktion der betreffenden Instanzen und ist ein Beleg für die Ausbildung eines gemeinsamen, auch verfahrensrechtliche Schutzmechanismen einbeziehenden menschenrechtlichen corpus iuris. 4.2.3. UNHCR und IAEA Der UN-Flüchtlingshochkommissar (UNHCR), dessen Amt zum 1. Januar 1951 geschaffen wurde, ist für den Schutz von Flüchtlingen zuständig. Einmal im Jahr trifft sich das UNHCR Exekutiv-Komitee, das von den Regierungen von 53 Staaten gestellt wird. Dort werden jedes Jahr zahlreiche Resolutionen angenommen, die alle Aspekte des Schutzes von Flüchtlingen betreffen und der Weiterentwicklung des internationalen Flüchtlingsrechts dienen.224 Die IAEA (International Atomic Energy Agency) wurde 1957 gegründet. Sie soll einerseits die friedliche Nutzung der Kernenergie kontrollieren und die militärische einschränken, vor allem durch Überwachung der Pflichten aus dem Nichtweitergabevertrag. Dabei stellt sie Sicherheits-

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UN Doc. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 9; General Comments (Fn. 212), S. 123. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 11; General Comments (Fn. 212), S. 141. Vgl. auch insgesamt Gundmundur Alfredsson, Human Rights Commissions and Treaty Bodies in the UNSystem, in: Rüdiger Wolfrum/Volker Röben (Hrsg.), Developments (Fn. 8), S. 559-570. 221 UN Doc. CCPR/C/70/D/869/1999; vgl. auch Eckart Klein, Völkerrechtliche Betrachtungen zum einstweiligen Rechtsschutz durch IGH, den UN-Menschenrechtsausschuß und den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), PraxisHandbuch UNO (Fn. 188), S. 359-368. 222 IGH, Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ Rep. 2001, S. 466, S. 506 - LaGrand. 223 EGMR, Kammer, Urteil vom 6. Februar 2003 und Große Kammer, Urteil vom 4. Februar 2005, Appl. No. 46827/99 - Mamatkulov u. a. gegen Türkei, dazu Karin OellersFrahm, Verbindlichkeit einstweiliger Anordnungen des EGMR - Epilog, in: EuGRZ 2005, S. 347-350. 224 Sadako Ogata, UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees, in: Helmut Volger, A Concise Encyclopedia (Fn. 11), S. 563-565, S. 565. 220

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leitlinien auf, die z.T. breite Akzeptanz gefunden haben225. Zudem hat sie mehrere Verträge mit vorformuliert 226 . Angesichts der Gefahr, daß Nuklearwaffen in den Besitz von internationalen Terrorgruppen gelangen können, hat die Arbeit der IAEA, die einen besonderen Status innerhalb des UN-Systems hat, erheblich an Bedeutung gewonnen. Dies wird auch durch die Verleihung des Friedensnobelpreises 2005 an die Agentur zum Ausdruck gebracht. 4.2.4. Gerichte Die Entscheidungen internationaler Gerichte sind zwar keine formalen Rechtsquellen, aber auch der internationale Richter erkennt, wie heute allgemein anerkannt ist, nicht bloß Recht, vielmehr steckt in jedem Rechtserkenntnis auch ein Stück Rechtsschöpfung 227 . Als Beispiele sollen hier der IGH und die beiden vom Sicherheitsrat geschaffenen Straftribunale dienen. Auf den Seegerichtshof (International Tribunal of the Law of the Sea)228 und den Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court)229, die noch nicht lange bestehen, wird im folgenden nicht eingegangen. 4.2.4.1. Internationaler Gerichtshof (IGH) Der IGH 230 in Den Haag ist nicht nur UN-Hauptorgan (Art. 7 UN-Charta), sondern wird ausdrücklich als das Hauptrechtsprechungsorgan (principal judicial organ) der UN bezeichnet (Art. 92 S. 1 UN-Charta). Damit wird einmal auf den besonderen richterlichen Charakter dieses Organs mit allen Folgen für seinen Status und sein Verfahren, zum anderen auf die zentrale Rolle des IGH, die er im Bereich der friedlichen Streitbeilegung zwischen den Staaten einnehmen soll, hingewiesen 231 . Hervorgehoben wird mit dieser Bezeichnung ferner seine Geeignetheit, aufgrund der Breite seiner Entscheidungsgrundlagen (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut) auf die Feststellung, 225

Paul C. Szasz, International Atomic Energy Agency, in: EPIL II (Fn. 19), S. 1051-1057, S. 1055. 226 Ebd. 227 Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung (Fn. 12), S. 157ff. 228 David Anderson, The Effective Administration of International Justice - Early Practice of the International Tribunal for the Law of the Sea, in: Jochen Abr. Frowein u. a. (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden: Liber Amicorum Tono Eitel, Berlin 2003, S. 529-541, S. 532. 229 Vgl. dazu Carsten Stahn, Der Weltstrafgerichtshof: Ein effektiver neuer Pfeiler im System des internationalen Menschenrechtsschutzes?, in: MenschenRechtsMagazin 1998, S. 106-113; Otto Trifflerer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute o f the International Criminal Court, Baden-Baden 1999. 230 Vgl. Helmut Steinberger, The International Court o f Justice (Fn. 144); Hans-Jürgen Schlochauer, International Court o f Justice, in: EPIL I (Fn. 131), S. 1084-1107; Jocnen Abr. Frowein, The International Court o f Justice, in: René-Jean Dupuy (Hrsg.), A Handbook on International Organizations, 2. Aufl., London 1998, S. 153-205; Meinhard Schröder, IGH - Internationaler Gerichtshof, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen (Fn. 19), S. 321-331 Shabtai Rosenne/Terry D. Gill, The World Court, 6. Aufl., Leiden 2003; Carl-August Fleischhauer, Der Internationale Gerichtshof und die Staatengemeinschaft am Ende des Jahrhunderts, in: Friedens-Warte 74 (1999) 113-125. 231

Vgl. auch die Manila-Erklärung zur friedlichen Streitbeilegung, U N Doc. A/RES/37/10 Annex.

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Konkretisierung und Fortbildung des Völkerrechts Einfluß zu nehmen232. Ob sich die seinen Urteilen zugrunde liegende Rechtsauffassung über die Bindung der jeweiligen Streitparteien (Staaten) hinaus auswirken kann233 und ob die in den Gutachten vom Gerichtshof entwickelten Rechtsansichten, die nicht rechtlich verbindlich sind, gleichwohl akzeptiert werden und dadurch Bedeutung erlangen, hängt von der Überzeugungskraft der Rechtsfindung, der „persuasive authority" der Rechtserkenntnisse des Gerichts ab. Allerdings wäre die Außerachtlassung einschlägiger IGH-Entscheidungen bei der völkerrechtlichen Diskussion in jedem Fall mehr als ein Schönheitsfehler, gerade auch weil Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut, das ein Bestandteil der UN-Charta ist, richterliche Entscheidungen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen anerkennt. Aus der Fülle der Rechtsprechung kann nur weniges herausgegriffen werden, um die Bedeutung des IGH für das Völkerrecht zu illustrieren. Als erstes Beispiel ist das frühe, bereits 1949 auf Ersuchen der Generalversammlung ergangene Gutachten zum sogenannten Bernadotte-Fall zu nennen, in dem der IGH die Völkerrechtssubjektivität der UN ungeachtet des Fehlens einer expliziten Grundlage in der UN-Charta aus den der Organisation übertragenen Aufgaben ableitete und darüber hinaus die Rechtsfähigkeit selbst Nichtmitgliedern gegenüber für opposabel erklärte234; damit werden der einzigartigen Position der UN im Verhältnis zu sonstigen internationalen Organisationen und ihrem Charakter als Kristallisationspunkt einer objektiven universellen Rechtsordnung Rechnung getragen. Zu Recht wurde das Gutachten als „one of the most significant examples of judicial legislation on the part of the Court" bezeichnet235. Ein anderes - ebenfalls von der Generalversammlung erbetenes - weitreichendes Gutachten erfolgte zur Völkermordkonvention, mit dem der Gerichtshof die in der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 erfolgte Behandlung der Vorbehaltsfrage (Art. 19ff.) weitgehend vorgezeichnet hat236. Eine breite Tätigkeit hat der IGH bei zwischenstaatlichen Streitigkeiten im maritimen Bereich, insbesondere bezüglich der Bestimmung seewärtiger Grenzen, einschließlich der Abgrenzung des Festlandsockels, entfaltet237 und dabei völkergewohnheitsrechtliche Normen in z. T. durchaus rechtsschöpferischer Weise festgestellt238.

232

Hermann Mosler/Karin Oellers-Frahm, Article 92, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations (Fn. 87), Rn. 27. 233 Vgl. Art. 94 Abs. 1 UN-Charta, Art. 59 IGH-Statut. 234 IGH, Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Rep. 1949, S. 174, S. 179 - Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations. 235 Hersch Lauterpacht, The Development of International Law by the International Court, London 1958, S. 177. 236 IGH, Gutachten v o m 28. Mai 1958, ICJ Rep. 1951, S. 15, S. 29f. 237 IGH, Urteil vom 20. Februar 1969, ICJ Rep. 1969, S. 29 - Nordseefestlandsockel; dazu Ram Prakash Anand, The International Court as a „legislator", in: Indian Journal o f International Law 35 (1995), S. 119-126, S. 124. 238 Hersch Lauterpacht, The Development o f International Law (Fn. 235), S. 368: „many an act o f judicial legislation may in fact be accomplished under the guise o f the ascertainment o f customary international law".

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Auch zum Bereich der Menschenrechte hat der IGH, obgleich kein eigentlicher Menschenrechtsgerichtshof, da er von Individuen nicht anrufbar ist, viel beigetragen. Die oft zitierte Passage aus dem Urteil zum Fall „Barcelona Traction" 239 , wonach fundamentale Menschenrechte erga omnes gelten, verstärkte den Menschenrechtsschutz erheblich, selbst wenn die genaue Bedeutung von Normen erga omnes, ähnlich dem Konzept des ius cogens240, noch immer nicht abschließend geklärt ist. Geklärt ist aber aufgrund dieses berühmten obiter dictum des Gerichts, daß im Fall der Verletzungen solcher Menschenrechte alle Staaten, und nicht nur der Heimatstaat des betroffenen Menschen, verletzt sind und damit auch alle verletzten Staaten auf diese Verletzung reagieren können, wenngleich die Reichweite der Reaktion umstritten ist. Diese Entwicklung bedeutet einen tiefen Einschnitt in das Verbot der Intervention in innere Angelegenheiten und somit auch in den Souveränitätsgedanken. Im Namibia-Gutachten hat der IGH erkannt, daß die Etablierung der Apartheid durch Südafrika in seinem Mandatsgebiet Namibia gegen die Menschenrechte verstößt und eine „flagrant violation of the purposes and principles of the Charter" darstellt241. Insgesamt hat der IGH wesentlich dazu beigetragen, einzelne Menschenrechte gewohnheitsrechtlich zu fundieren, ihre Geltung also von vertraglicher Verpflichtung unabhängig zu machen. Im Nicaragua-Fall (1986) hat der IGH das multilaterale Gewaltverbot einerseits, das Selbstverteidigungsrecht andererseits eingehend interpretiert242. Da der Gerichtshof die völlige Übereinstimmung von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach der Charta mit den entsprechenden Normen des Völkergewohnheitsrechts proklamierte, gehen diese Aussagen in ihrer Bedeutung weit über eine bloße Chartainterpretation hinaus. In seinem Gutachten zum israelischen Grenzwall auf palästinensischem Gebiet (2004)243 und in dem Urteil im Verfahren zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Uganda (2005)244 hat der IGH diese Linie seiner Rechtsprechung ausdrücklich bekräftigt. 4.2.4.2. Strafrechtstribunale Die beiden vom Sicherheitsrat etablierten internationalen Strafgerichtshöfe (ehemaliges Jugoslawien/ICTY und Ruanda/ICTR) 245 haben in ihrer bisherigen umfangreichen Rechtsprechung 246 nicht nur durch die Ausle239

IGH, Urteil vom 5. Februar 1970, ICJ Rep. 1970, S. 3, S. 32. Vgl. dazu Christian J. Tams, Schwierigkeiten mit dem Ius Cogens (Fn. 48). 241 IGH, Gutachten vom 21. Juni 1971, ICJ Rep. 1971, S. 16, S. 57. 242 IGH, Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Rep. 1986, S. 14. S. dazu Karin Oellers-Frahm, The International Court o f Justice and Article 51 of the U N Charter, in: Klaus Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht (Fn. 4), S. 503-517. 243 IGH, Gutachten vom 9. Juli 2004, in: ILM 43, S. 1009. 244 IGH, Urteil vom 19. Dezember 2005, im Internet abrufbar unter: www.icj-cij.org/ icj www/idocket/ico/icojudgments/ico_judgment_20051219.pdf 245 Siehe oben bei Fn. 152f. 246 Zur Rechtsprechung der beiden Tribunale vgl. André Klip/Göran Sluiter, Annotated Leading Cases of International Criminal Tribunals, Bd. 1 : The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia 1993-1998, Antwerpen 1999; Bd. 2: The International Criminal Tribunal for Rwanda 1994-1999, Antwerpen 2001; Bd. 3: ICTY 1997-1999, 240

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gung und Anwendung ihrer Statuten das Völkerstrafrecht in zahlreichen Einzelfragen, etwa im Hinblick auf die Straftatbestände Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erheblich bereichert und damit auch für die Tätigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ein wichtiges Fundament gelegt247. Immer wieder haben die Tribunale vielmehr auch wichtige Fragen des allgemeinen Völkerrechts behandelt. Nur zwei Beispiele können hier genannt werden. Im Fall Tadic, der ersten rechtskräftigen Entscheidung eines internationalen Strafgerichts seit den Urteilen von Nürnberg und Tokio, ging es u. a. darum, ob es sich bei den fraglichen militärischen Auseinandersetzungen um einen internationalen Konflikt handelte, da nur dann von einem strafbaren Verstoß gegen die IV. Genfer Konvention (Schutz von Zivilpersonen) auszugehen war. Dabei kam es auf das Verhältnis der bosnischserbischen Armee zur (damaligen) Republik Jugoslawien an. Insoweit verneinte die Kammer das Bestehen einer „effektiven Kontrolle" der bosnisch-serbischen Streitkräfte durch Jugoslawien248; nach dem NicaraguaUrteil des IGH muß so viel Abhängigkeit der einen und so viel Kontrolle der anderen Seite bestehen, daß man die abhängige Seite als De-facto-Organ der kontrollierenden Seite auffassen kann ; dies aber habe die Anklage nicht beweisen können. Demgegenüber entschied die Berufungskammer, daß im Fall hierarchisch gegliederter Gruppen (Militär) eine generelle Kontrolle (overall control) ausreichend sei; das weitergehende Erfordernis des Nicaragua-Urteils wurde nicht durch die staatliche und gerichtliche Praxis als bestätigt angesehen250. Obwohl die Divergenz bedauerlich ist, ist doch die Rechtsprechung des ICTY insoweit jedenfalls lebensnäher251. Im menschenrechtlichen Bereich sind die Fälle Furundzija und Kupre§kic et al. hervorzuheben. Im Fall Kupreäkic entschied das ICTY, daß das Genozid-Verbot, im Fall Furundzija, daß das Folterverbot zum ius cogens gehört252. Aufgrund der Ungeklärtheit des Begriffs und seiner genauen Konsequenzen 2 " ist besonders bemerkenswert, daß die Kammer eine solche Feststellung traf, ohne auf den Streit in der Wissenschaft über die Antwerpen 2001; Bd. 4: ICTY 1999-2000, Antwerpen 2002; Bd. 5: ICTY 2000-2001, Antwerpen 2003; John R.W.D. Jones, The Practice of the International Criminal Tribunals for the former Yugoslavia and Rwanda, 2. Aufl., Ardsley 2000. 247 Das Statut von Rom (ICC) ist von den Statuten und der Rechtsprechung der beiden Tribunale stark beeinflußt worden; vgl. dazu Carsten Stahn, Der Weltgerichtshof (Fn. 229), S. 108f., Fn. 8 und Fn. 12. 248 ICTY, Kammer, Urteil vom 7. Mai 1997, IT-94-1T, Ziff. 586ff. - Prosecutor v. Dusko Tadic, dazu Jeannine Hoffmann, in: Jörg Menzel/Tobias Pierlings/dies. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, Tübingen 2005, S. 787-791. 249 IGH, Urteil vom 27. Juni, ICJ Rep. 1986, S. 14, (62) - Nicaragua. 250 ICTY, Berufungskammer, Urteil vom 10. Juli 1999, IT-94-1T, Ziff. 120ff. - Prosecutor v. Dusko Tadic. 251 Zum Problem vgl. Marco Sassöli/Laura M. Olson, New Horizons for International Humanitarian and Criminal Law?, in: Revue International de la Croix-Rouge 2000, S. 733769, S. 740. 252 ICTY, Kammer, Urteil vom 10. Dezember 1998, IT-95-17/1-T, Ziff. 153; ICTY, Kammer, Urteil vom 14. Januar 2000, IT-95-16-T, Ziff. 520. 253 Vgl. dazu die Literaturangaben zum ius cogens in Fn. 46.

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Konsequenzen einer solchen Klassifizierung einzugehen, und zudem folgendes feststellte: Jeder Staat dürfe Folterhandlungen untersuchen und über Folterer richten, der Verstoß gegen das Folterverbot dürfe nicht verjähren und nicht als politisches Delikt im Auslieferungsrecht anerkannt werden 254 . Außerdem habe ius cogens „overriding character," also einen höheren Rang 255 . 5. Registrierung und Veröffentlichung Einen nicht zu unterschätzenden wichtigen Dienst leisten die UN - wie bereits der Völkerbund - dem Völkerrecht auch durch die Registrierung der internationalen Verträge und deren Veröffentlichung, da hierdurch Sicherheit und Klarheit des internationalen Rechtsverkehrs gestärkt werden. Soweit an den Verträgen Mitgliedstaaten beteiligt sind, unterliegen sie einer Registrierungspflicht (Art. 102 UN-Charta); Nichtmitglieder können ihre Verträge registrieren lassen. Bei Verletzung der Registrierungspflicht entfällt die Fähigkeit, sich vor UN-Organen, insbesondere dem IGH, auf den Vertrag zu berufen 256 . Publiziert werden die Verträge in einer eigenen UN-Vertragssammlung (United Nations Treaty Series - UNTS), die vom Sekretariat betreut wird. Die Verträge werden in den Originalsprachen sowie in englischer und französischer Übersetzung veröffentlicht. Die Publikation befindet sich leider in mehrjährigem Rückstand. Grund dafür sind die stark anwachsende Zahl der Verträge, die Schwierigkeiten der Übersetzung und fehlende finanzielle Ressourcen. 6. Fazit Als Paradigma einer internationalen Organisation haben die UN nicht nur das Recht der internationalen Organisationen entscheidend geprägt257. Trotz aller Krisen und Reformblockaden, mit denen sie sich immer wieder konfrontiert sehen, sind sie als organisierte Staatengemeinschaft - neben den Staaten selbst - zu einem maßgeblichen Akteur auf der politischen Weltbühne geworden. Parallel hierzu ist der Einfluß der UN auf die Hervorbringung, Auslegung und Durchsetzung von Völkerrechtsnormen, weit über den Bereich der UN-Charta selbst hinausreichend, gewachsen. Die UN üben ihn materiell, aber auch - und das wird oft nicht ausreichend beachtet - institutionell durch die Bereitstellung der ihnen zur Verfügung stehenden prozeduralen und organisatorischen Mechanismen aus. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, Angriffe auf die umfassende (universelle) Geltung des Völkerrechts durch die Propagierung eines sozialistischen Völkerrechts 258 und durch die dekolonisierten neuen Staaten259 ab254

ICTY, Kammer, Urteil vom 10. Dezember 1998, IT-95-17/1-T, Ziff. 155ff. ICTY, Kammer, Urteil vom 14. Januar 2000, IT-95-16-T, Ziff. 520; ICTY, Kammer, Urteil vom 10. Dezember 1998, IT-95-17/1-T, Ziff. 153. 256 Näher dazu Ursula Knapp/Ernst Martens, Article 102, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charter o f the United Nations (Fn. 87), Rn. 43ff. 257 Näher dazu Eckart Klein, Die Internationalen und die Supranationalen Organisationen (Fn. 113), Rn. 8ff. 258 Näher dazu Theodor Schweisfurth, Sozialistisches Völkerrecht?, Berlin u.a. 1979. 259 Vgl. dazu Michael Schweitzer, Das Völkergewohnheitsrecht und seine Geltung für neu255

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zuwehren, und widersetzen sich gleichfalls hegemonialen Herausforderungen260. Aus dem Völkerrecht unserer Zeit sind die Vereinten Nationen nicht wegzudenken.

entstehende Staaten, Berlin u.a. 1969. 260 Vgl. zum Hegemonieproblem die Literaturangaben in Fn. 6.

Die Aufgaben der Vereinten Nationen nach der Charta Markus Pallek 1

„ 1. We, Heads of State and Government, have gathered at United Nations Headquarters in New York from 14 to 16 September 2005. 2. We reaffirm our faith in the United Nations and our commitment to the purposes and principles of the Charter of the United Nations and international law, which are indispensable foundations of a more peaceful, prosperous and just world, and reiterate our determination to foster strict respect for them. "2 (Text der ersten beiden operativen Paragraphen der Abschlußresolution des Weltgipfels 2005) Es macht w e n i g Sinn, die Aufgaben der Vereinten Nationen nach der Charta strikt theoretisch und ohne ihre Umsetzung in die Praxis darzustellen. Andererseits ist es nicht einfach, diese Aufgaben im Rahmen des hier zur V e r f ü g u n g stehenden Raumes umfassend darzustellen. Die Ausführungen in diesem Abschnitt müssen daher notwendigerweise subjektiv und selektiv sein. Allgemein formuliert ist es Aufgabe der Vereinten Nationen, eingedenk der Präambel der Charta der Vereinten Nationen die in Artikel 1 niedergelegten Ziele unter Beachtung der in Artikel 2 festgelegten Grundsätze zu verwirklichen: 3 Präambel WIR, DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN - FEST ENTSCHLOSSEN, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, 1 Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder, die nicht notwendigerweise der Meinung der Vereinten Nationen oder ihrer Organe entspricht. Der Beitrag wurde im März 2006 abgeschlossen. 2 United Nations - General Assembly, Resolution 60/1 vom 16. September 2005 "World Summit Outcome". 3 Charta der Vereinten Nationen, deutsche Fassung (Amtliche Fassung der Bundesrepublik Deutschland), BGBl. 1973 II, S. 431.

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den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern, UND FÜR DIESE ZWECKE Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben, unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, daß Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern HABEN BESCHLOSSEN, IN UNSEREM BEMÜHEN UM DIE ERREICHUNG DIESER ZIELE ZUSAMMENZUWIRKEN. Dementsprechend haben unsere Regierungen durch ihre in der Stadt San Franzisko versammelten Vertreter, deren Vollmachten vorgelegt und in guter und gehöriger Form befunden wurden, diese Charta der Vereinten Nationen angenommen und errichten hiermit eine internationale Organisation, die den Namen "Vereinte Nationen" fuhren soll. Kapitel I. Ziele und Grundsätze Artikel 1 Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: 1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen; 2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigimg des Weltfriedens zu treffen; 3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen; 4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden. Artikel 2 Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen: 1. Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. 2. Alle Mitglieder erfüllen, um ihnen allen die aus der Mitgliedschaft er-

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wachsenden Rechte und Vorteile zu sichern, nach Treu und Glauben die Verpflichtungen, die sie mit dieser Charta übernehmen. 3. Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, daß der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. 4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt. 5. Alle Mitglieder leisten den Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme, welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift; sie leisten einem Staat, gegen den die Organisation Vorbeugungsoder Zwangsmaßnahmen ergreift, keinen Beistand. 6. Die Organisation trägt dafür Sorge, daß Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, insoweit nach diesen Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist. 7. Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt. In den nunmehr fast 60 Jahren ihrer Existenz haben es die Organe der Vereinten Nationen in bewundernswerter Weise geschafft, die Verwirklichung der Aufgaben des Artikels 1 zu betreiben und sich gleichzeitig pragmatisch neuen Herausforderungen zu stellen, ohne die völkerrechtliche Grundlage der Charta zu verlassen. Die Vereinten Nationen wurden im Jahr 1945 gegründet, um eine alles andere weit überragende Aufgabe zu erfüllen, um - wie es im ersten Präambelparagraph formuliert ist - „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren", um also eine Wiederholung des Horrors der beiden Weltkriege zu verhindern. Heute wissen wir, daß die globale Sicherheit auch und vor allem durch Risiken bedroht wird, die sich vom Risiko eines Angriffskrieges eines Staates gegen einen anderen Staat unterscheiden.4 Ein von Generalsekretär Kofi Annan eingesetztes Expertengremium hat in einem Ende 2004 vorgelegten Bericht neben der Bedrohung durch zwischenstaatliche Kriege fünf weitere Phänomene identifiziert, die das Zusammen- und Überleben der menschlichen Rasse ähnlich bedrohen, nämlich: • innerstaatliche Konflikte, insbesondere Bürgerkriege, schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen und Völkermord; • Armut, übertragbare Krankheiten und Umweltverschmutzung; 4

Vgl. United Nations, A More Secure World: Our Shared Responsibility. Report o f the High-Level Panel on Threats, Challenges and Change, U N Doc. A/59/565 vom 2.12.2004; S. 15ff.

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• Atomare, biologische und chemische Waffen; • Terrorismus und • grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Diese Bedrohungsrisiken waren 1945 nicht klar voraussehbar, sind aber heute augenfällig. Bemerkenswert an diesem Bericht, auf den ich später noch etwas eingehender zurückkommen werde, ist unter anderem, daß das Expertengremium keine umfassende Revision der Charta fordert und mit einer Ausnahme - der Erweiterung des Sicherheitsrates - lediglich behutsame und teilweise nur kosmetische Veränderungen der Charta vorschlägt. Das „Allerheiligste" der Charta der Vereinten Nationen - die Präambel und die Artikel 1 und 2 - wagt das Expertengremium nicht anzutasten. Dies hängt natürlich damit zusammen, daß der Vorschlag einer Totalrevision der Charta von den Mitgliedstaaten mit ziemlicher Sicherheit nicht umgesetzt worden wäre. Es läßt aber auch die Flexibilität der Charta erkennen, die aus der Weitsichtigkeit der Gründungsväter der Organisation und aus der pragmatischen Anwendung der Charta durch die Organe der Vereinten Nationen resultiert. Im folgenden sollen nun die Aufgaben der Vereinten Nationen anhand der in Art. 1 kodifizierten Ziele der Charta dargestellt werden, wobei nach einer kurzen Erläuterung des Ziels nach der ursprünglichen Konzeption der Charta der aktuelle Aufgabeninhalt zur Erreichung des Ziels umrissen werden soll. Nicht ausfuhrlich behandelt wird Art. 1 Ziff. 4 der Charta, nach dem sich die Vereinten Nationen das Ziel setzen, „ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden", da sich dieses Ziel auf die Umsetzung der vorstehenden Absätze 1 bis 3 der Charta bezieht. 1. Internationale Zusammenarbeit 1.1. Das Ziel nach der Konzeption der Charta Art. 1 Ziff. 3 der Charta besagt, daß sich die Vereinten Nationen das Ziel setzen, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuflihren, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fordern und zu festigen. " Gestützt auf Art. 1 Ziff. 3 hat die UN-Generalversammlung wiederholt auf die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zur Lösung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder humanitärer Probleme hingewiesen und die Beachtung von Menschenrechten und Grundfreiheiten angemahnt. Dies geschah im Hinblick auf eine Reihe von verschiedensten Themen. Das Erfordernis internationaler Zusammenarbeit wurde insbesondere in den Anfangsjahren der Organisation in Erinnerung gerufen, als die Generalversammlung humanitäre Hilfsaktionen initiierte. Später wurde Art. 1 Ziff. 3 verstärkt im Kontext der Entwicklungshilfe und -Zusammenarbeit zitiert, entweder durch die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für das Fortkommen von Entwicklungsländern oder durch die Verpflichtung der Staaten oder der Organe der Vereinten Nationen zur Entwicklungs-

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hilfe.5 Die zentralen operativen Bestimmungen in diesem Bereich sind die Art. 55 f f . des IX. Kapitels der Charta. Die zentrale Botschaft findet sich in Art. 55: „Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen ...", werden einzelne Politikfelder genannt, die von den Vereinten Nationen mit dem Ziel der Stabilisierung des internationalen Systems gefordert werden sollen. Art. 56 enthält die Verpflichtung aller Mitgliedstaaten, „gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Art. 55 dargelegten Ziele zu erreichen."6 In Umsetzung von Kapitel IX der Charta sind zahlreiche Nebenorgane geschaffen worden, eine Fülle von Empfehlungen ergangen, Konferenzen einberufen, sowie Prinzipien, Programme und Vertragstexte formuliert und Institutionen zur technischen Hilfeleistung aufgebaut worden.7 Das Ziel des Art. 1 Ziff. 3 der Charta hat somit auch eine eindeutig friedensstabilisierende Funktion. Um das Versprechen des Art. 55 lit. a) „die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Forschritt und Aufstieg" zu fördern einzulösen, verwendet die Organisation einen Großteil ihrer Mittel und Ressourcen auf die Verwirklichung dieses Ziels. Viele der wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der vergangenen 50 Jahre lassen sich auf die Arbeit der Vereinten Nationen zurückführen. Als Zentrum der internationalen Willensbildung haben die Vereinten Nationen Prioritäten und Ziele der internationalen Zusammenarbeit festgelegt, um unterentwickelte Ländern in ihren Entwicklungsbemühungen zu unterstützen und günstige Wirtschaftsbedingungen weltweit zu schaffen. Die Vereinten Nationen waren Vordenker für zentrale Ziele wie beispielsweise des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung und waren stets bemüht, die gemeinsamen Interessen der Industriestaaten und der Entwicklungsländer im Hinblick auf Themen wie beispielsweise Umweltschutz, Frauenförderung, Flüchtlingsbewegungen, organisiertes Verbrechen, Drogenhandel, Terrorismusbekämpfung oder HIV/Aids herauszuarbeiten. Die Bekämpfung von Armut und die Beseitigung von Ungleichheiten waren und bleiben Kernaufgaben der Vereinten Nationen. In diesem Bereich arbeitet die Organisation auf vielfache Weise durch die Formulierung von Grundsätzen, durch die Beratung von Regierungen, durch die Schaffung internationaler Standards und durch den Einsatz und die Zuteilung finanzieller Mittel, die sich auf über $30 Milliarden jährlich belaufen.

5 Rüdiger Wolfrum in: Bruno Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Aufl., Oxford et al. 2002, Article 1, Rn. 31. 6 Vgl. auch Sven Gareis/Johannes Varwick, Die Vereinten Nationen, 3. Aufl., Opladen 2003, S. 243 ff. 7 Eckart Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. neubearb. Aufl., Berlin 2004, S. 332.

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Neben der Generalversammlung ist hierfür der Wirtschafts- und Sozialrat (der ECOSOC) das federführende und die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich koordinierende Organ. Innerhalb des Sekretariates ist das „Department of Economic and Social Affairs" (DESA) für die Erhebung und Auswertung von Daten und die Ausarbeitung der Politiken in diesem Bereich zuständig. Darüber hinaus spielen die vielen Nebenorgane, Programme, Sonderorganisationen und die fünf regionalen Wirtschaftskommissionen eine wichtige Rolle im Bereich der internationalen Zusammenarbeit zur Lösung der Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art.8 Der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der ebenfalls in Art. 1 Ziff. 3 der Charta als Ziel im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit genannt ist, ist mittlerweile zu einem relativ eigenständigen Tätigkeitsfeld der Vereinten Nationen geworden. In den Jahrzehnten ihres Bestehens haben die Vereinten Nationen ein Netzwerk von Normen und Instrumentarien zur Bestimmung und zur Kontrolle der Gewährleistung von Menschenrechten und Grundfreiheiten geschaffen. Da diese Problematik in einem anderen Kapitel dieses Buches gesondert dargestellt ist, möchte ich mich an dieser Stelle diesbezüglich beschränken. 1.2. Die „Millennium Development Goals" Anläßlich des Übergangs in ein neues Jahrtausend hatte Generalsekretär Kofi Annan die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zu einer Konferenz an den Hauptsitz der Vereinten Nationen nach New York eingeladen. Der Millenniumsgipfel fand vom 6. bis 8. September 2000 statt. Auf der Grundlage eines vom Generalsekretär erarbeiteten Millenniumsberichts9 sollten grundlegende Richtungsentscheidungen für die Zukunft der Organisation in einer veränderten, globalisierten Welt getroffen werden.10 Essentiell für den Generalsekretär war ein erneutes „moralisches Bekenntnis" der Mitgliedstaaten zu den in Art. 1 der Charta niedergelegten Zielen der Vereinten Nationen zu erreichen, sowie neuen politischen Schwung für deren Umsetzung durch internationale Zusammenarbeit zu erzeugen. Ergebnis dieses Gipfeltreffens war eine Resolution der Generalversammlung auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, die Millenniumserklärung.u In Paragraph 3 der Millenniumserklärung bekräftigen die versammelten Staats- und Regierungschefs die Verpflichtung der Mit8 Vgl. zum Ganzen: United Nations, Basic Facts About the United Nations, New York 2004, S. 139 ff. 9 Deutsche Fassung: Vereinte Nationen - Generalversammlung, Wir die Völker: Die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert.. Bericht des Generalsekretärs, 27. März 2000, UN Doc. A/54/2000; die englische Fassung wurde auch veröffentlicht vom UN Department of Public Information als Broschüre (Kofi Annan, Secretary-General of the United Nations, 'We the Peoples'. The Role of the United Nations in the 21st Century, UN DPI Sales Number E.00.I.16, New York 2000) und im Internet: www.un.org/millennium/ sg/report/index.html. 10 Vgl. Günther Unser, Die UNO. Aufgaben - Strukturen - Politik, 7. Aufl., München 2004, S. 387 f. 11 UN Doc. A/RES/55/2 vom 8. September 2000.

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gliedstaaten auf die Ziele und Grundsätze der Charta, „die sich als zeitlos und universell erwiesen haben." Für den Anwendungsbereich des Art. 1 Ziff. 3 der Charta werden darüber hinaus acht Ziele vereinbart, die innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens zu erreichen sind, die „Millennium Development Goals"(Millenniumsentwicklungsziele). Gleichzeitig wird der Generalsekretär verpflichtet, über Fortschritte hinsichtlich der Umsetzung der Millenniumserklärung und insbesondere der „Millennium Development Goals" regelmäßig zu berichten. 12 Der neueste Bericht des Generalsekretärs ist im März 2005 der 59. Tagung der Generalversammlung vorgelegt worden. 13 Die Ziele sind im Einzelnen: 14 Ziel 1: Völlige Beseitigung von extremer Armut und von Hunger: Bis zum Jahr 2015 soll die Anzahl der Menschen, die weniger als einen US-Dollar täglich zum Leben haben und derjenigen, die Hunger leiden müssen, halbiert werden. Gegenwärtig müssen 1,2 Milliarden Menschen ihren täglichen Lebensunterhalt mit weniger als einem Dollar bestreiten, 800 Millionen Menschen sind unterernährt und 153 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind untergewichtig. Die Anzahl der Menschen, die in der Sub-Sahara Region Afrikas und in Westasien in extremer Armut leben ist im „benchmark" Zeitraum 1990-2015 gestiegen, in Lateinamerika und in der Karibik sind die Referenzzahlen unverändert. Ost- und Südostasien ist auf gutem Wege, das Ziel zu erreichen und Südzentralasien macht wenigstens Fortschritte. Zwei Drittel der Menschen, die in extremer Armut leben müssen, leben in Asien. Ziel 2: Erreichung einer Grundschulausbildung für alle Kinder: Bis zum Jahr 2015 soll sichergestellt werden, daß alle Kinder weltweit eine Grundschulausbildung absolvieren können. Geschätzte 114 Millionen Kinder im Grundschulalter haben nicht die Gelegenheit, eine Schule zu besuchen, was bedeutet, daß eines von fünf Kindern weltweit keinen Zugang zu minimaler Bildung hat. Insbesondere in der Sub-Sahara Region Afrikas, Südzentral- und Westasien müssen die Anstrengungen deutlich erhöht werden, wenn dieses Ziel erreicht werden soll. Ziel 3: Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen und Frauenforderung allgemein: Bis 2005 soll die Geschlechterungleichbehandlung in der Grund- und weiterführenden Schulausbildung beseitigt werden und bis 2015 auf allen Ebenen. Geschätzte 63 Millionen Mädchen im Grundschulalter besuchen keine Schule und in lediglich neun Ländern weltweit haben Frauen zumindest einen von drei Parlamentssitzen inne. Fortschritte zur Erreichung der Frauengleichstellung konnten in vielen Regionen erreicht werden, aber insbesondere Afrika und Südzentral- und Westasien sind noch weit von der Erreichung dieses Ziels entfernt. Ziel 4: Reduzierung der Kindersterblichkeit: Nahezu 11 Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben weltweit jährlich, das sind über 1200 stündlich, an Ursachen, die leicht zu verhindern wären oder an gut behandelbaren Krankheiten. Obgleich 12 Vgl. etwa die bisherigen Berichte: U N Doc. A/56/326 vom 6. September 2001, A/57/270 vom 31. Juli 2002, A/58/323 vom 2. September 2003 und A/59/282 vom 27. August 2004. 13 United Nations - General Assembly, In larger freedom: towards development, security and human rights for all. Report of the Secretary-General, 21 March 2005, U N Doc. A/59/3005; deutsche Fassung: In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte fur alle. Bericht des Generalsekretärs, 21. März 2005; UN Doc. A/59/2005, www.un.org/Depts/german/gv-sonst/a-59-2005-ger.pdf. 14 Die Zahlen und Angaben basieren auf Berichten von UNDP und D E S A aus dem Jahr 2003.

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auch hier in vielen Regionen Fortschritte gemacht werden konnten, war in der Sub-Sahara Region Afrikas, in Südzentral- und Westasien und in Ozeanien kein oder kein merklicher Fortschritt festzustellen. Ziel 5: Verbesserung der Gesundheit von Müttern: Im Referenzzeitraum 1990 bis 2015 soll die Müttersterblichkeitsrate um Zwei Drittel reduziert werden. Weltweit sterben 500.000 Frauen jährlich während der Schwangerschaft oder bei der Geburt, jede Minute eine. Das Risiko im Rahmen einer Schwangerschaft zu sterben beträgt für Frauen in der Sub-Sahara Region 1 zu 16, in Lateinamerika 1 zu 160 und in westlichen Industriestaaten 1 zu 2800. Auf der Grundlage verfügbarer Daten sind hier keine verlässlichen Trends festzustellen. Es gibt allerdings auch keine Indikatoren einer Verbesserung in diesem Bereich. Ziel 6: Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und ähnlicher Erkrankungen: Ziel ist es den Anstieg solcher Erkrankungen aufzuhalten und den Trend umzukehren. Weltweit ist HIV/Aids die vierthäufigste Todesursache. In vielen Weltregionen ist ein sprunghafter Anstieg der HIV/Aids Infektionsraten zu verzeichnen. In diesem Bereich sind zunächst genauere Datenerhebungen erforderlich, um die Krankheiten besser verfolgen und schließlich bekämpfen zu können. Ziel 1: Sicherstellung eines nachhaltigen Umweltschutzes: Bis 2015 sollen weltweit die Grundsätze einer nachhaltigen Entwicklung in Länderprogramme integriert sein und der Trend zur Verschwendung von Umweltressourcen umgekehrt werden. Bis 2015 soll die Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser haben, halbiert werden und eine deutliche Verbesserung der Lebenssituation von mindestens 100 Millionen Menschen erreicht werden, die in Slums leben müssen. Rund 2,4 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Einrichtungen, die eine angemessene Hygiene ermöglicht und 1,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. In ländlichen Regionen ist ein Besserungstrend erkennbar, in städtischen Regionen leider ein Negativtrend festzustellen. Ohne entschiedenes Handeln werden sich viele Länder mit dem Problem von Wasserknappheit auseinandersetzen müssen. Ziel 8: Erreichung einer globalen Partnerschaft für Entwicklung: Reiche Staaten sollen verantwortlich sein, einen gerechten Zugang zu ihren Märkten und zu der von ihnen entwickelten Technologie zu gewährleisten, Entwicklungsländer sollen insbesondere zu „guter Regierungsfiihrung"15 und zu gesteigerter Beachtung sozialer Gesichtspunkte innerhalb ihrer Staatsgebiete verpflichtet werden, damit die Erreichung der Ziele möglich wird. Fortschritte bei der Gewährung von Entwicklungshilfe, dem Erlaß oder der Reduzierung der Auslandsschulden von Entwicklungsländern und dem Vorantreiben internationaler Handelsvereinbarungen, insbesondere im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO Trade) und insbesondere betreffend den Abbau von Agrarsubventionen, die Erzeuger aus Entwicklungsländern auf dem Weltmarkt am härtesten benachteiligen, müssen in diesem Bereich gemacht werden. Angesichts dieser ernüchternden Fakten sei an ein Wort des zweiten Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld erinnert, der gesagt hat, daß die Vereinten Nationen nicht gegründet wurden, um die Menschheit in den Himmel zu bringen, sondern dafür, sie vor der Hölle zu 15 Im englischen Original: Good governance. „Gute Regierungsführung" bedeutet in etwa „kompetentes Management der Ressourcen eines Landes und seiner inneren und äußeren Angelegenheiten in einer Art und Weise, die von Offenheit, Transparenz, Verantwortlichkeit, Partizipation, Effektivität und Kohärenz gekennzeichnet ist. Sie umfaßt die Mechanismen, Prozesse und Institutionen, durch welche Staatsbürger und Gruppen ihre Interessen artikulieren und ihre Rechte ausüben. Vgl. dazu z.B. Thomas G. Weiss, Governance, good governance and global governance: Conceptual and actual challenges, in: Third World Quarterly 21 (2000), H. 5, S. 795-814.

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bewahren. Generalsekretär Kofi Annan berichtet, daß schnelle Fortschritte in manchen Bereichen bewiesen, daß die „Millennium Development Goals", so ehrgeizig sie auch sein mögen, für nahezu jedes Land auf der Erde erreichbar seien. Die ansteigende politische und auch finanzielle Unterstützung der Maßnahmen zur Erreichung der vorrangigen Ziele, beispielsweise dem Kampf gegen HIV/Aids und der Beseitigung extremer Armut, ließen das Potential für eine schnelle Bereitstellung der erforderlichen Mittel erkennen. Es lasse sich allerdings auch nicht leugnen, daß im Hinblick auf viele Ziele noch nicht annähernd ausreichende Fortschritte zu erwarten, geschweige denn gemacht worden seien. Aus diesen Gründen bestehe die dringende Notwendigkeit, einer Rückbesinnung auf die „Millennium Development Goals" und eines erneuerten Bekenntnisses der Staats- und Regierungschefs dieser Welt, sowohl in den Entwicklungsländern, als auch in den Industriestaaten, zum politischen Willen, diese Ziele zu erreichen. Aufgrund der friedensstabilisierenden Funktion der internationalen Zusammenarbeit im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und humanitären Bereich, seien verstärkte Anstrengungen auf dem Weg zur Erreichung der „Millennium Development Goals" von großer Bedeutung und daher auch weiterhin eine zentrale Aufgabe für die Vereinten Nationen. 1.3. Der Bericht des „High-level Panels" Zur Eröffnung der Generaldebatte der 58. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 23. September 2003 sagte Generalsekretär Kofi Annan: „Exzellenzen, wir sind an einer Weggabelung angelangt. Dies ist möglicherweise ein Moment, der nicht weniger entscheidend ist als 1945, als die Vereinten Nationen gegründet wurden." 16 In seiner Rede zeigte sich der Generalsekretär besorgt, wenn Mitgliedstaaten „unilateral oder im Rahmen von Ad-hoc-Koalitionen handeln" gefährdeten sie fundamental „die Grundsätze auf denen, wie unvollkommen auch immer, der Weltfrieden und die Stabilität während der vergangenen 58 Jahre beruhten." Damit die Herausforderungen, denen die Welt gegenübersteht, besser angegangen werden könnten, dürften die Vereinten Nationen nicht vor „radikalen Veränderungen" zurückschrecken, um die Angemessenheit und die Effektivität der der Organisation zur Verfügung stehenden Mitteln zu verbessern. Diese Herausforderungen beinhalteten nicht lediglich „harte Bedrohungen", wie beispielsweise neue Formen des Terrorismus oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, sondern auch „weiche Bedrohungen", wie extreme Armut, krasse Einkommensunterschiede, ansteckende Krankheiten, Klimaveränderungen und Umweltbeeinträchtigungen. Der Generalsekretär kündigte an, ein Expertengremium mit der Erstellung eines Berichts zu beauftragen. Dieser Bericht sollte gegenwärtige Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit untersuchen, die Möglichkeiten diesen Bedrohungen mit gemeinsamen Aktionen zu begegnen ausloten, das Funktionieren der wich16 Wortprotokoll der Eröffnung der Generaldebatte der 58. UN-Generalversammlung am 23. September 2003, U N Doc. A/58/PV.7, S. 3.

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tigsten Organe der Vereinten Nationen und ihre Beziehungen analysieren und Wege zur Stärkung der Organisation durch die Reform ihrer Institutionen und Arbeitsabläufe empfehlen.17 Am 2. Dezember 2004 legte das „High-level Panel" dem Generalsekretär seinen Bericht vor.18 Das Expertengremium arbeitete in seinem Bericht sechs Gruppen von aktuellen Bedrohungen für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit heraus: Die verschiedenen Bedrohungsszenarien sind heute so sehr miteinander verbunden, daß es für einzelne Staaten unmöglich ist, sie alle, wenn auch nur für ihr eigenes Territorium zu lösen. Für das Ziel des Art. 1 Ziff. 3 der Charta ist insbesondere die Gruppe der wirtschaftlichen und sozialen Bedrohungen einschlägig. Als den Frieden und die Sicherheit bedrohend werden Armut, übertragbare Krankheiten und Umweltbeeinträchtigungen eingestuft. Gerade in diesem Bereich ist die Verhinderung die beste Strategie das Risiko der Bedrohung nicht in einen Bruch des Weltfriedens durch eine Realisierung des Risikos umschlagen zu lassen. Präventionspolitik kann, wenn sie über ausreichende Ressourcen verfügt und allenthalben unterstützt wird, sehr effektiv sein. Die besten Anwälte der Prävention sind handlungsfähige Staaten, die ihre Souveränität verantwortungsbewußt ausüben, die Maßnahmen gegen auf ihrem Staatsgebiet auftretende Gefahren ergreifen, bevor andere Staaten in Mitleidenschaft gezogen werden und die gemeinsam mit anderen Staaten gegen Bedrohungen vorgehen, die auf einem globalen Niveau existieren. Die beste Präventionsstrategie ist es, Fortschritt und Entwicklung zu unterstützen. Die politische und finanzielle Unterstützung der Erreichung der „Millennium Development Goals" ist eine gute Investition in die Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Diese Investition rettet Leben in den Entwicklungsländern, verringert gewaltsame Konflikte, dämpft den Reiz von Extremismus und gibt den Staaten die Möglichkeit, gegen Bedrohungen vorzugehen, bevor diese in einen Schaden umschlagen. Die Gefahren unzureichender Prävention lassen sich am Beispiel der HIV/Aids-Epidemie studieren. Aufgrund einer zu späten und zu laxen internationalen Bekämpfungsstrategie tötete diese Epidemie 20 Millionen Menschen innerhalb von 20 Jahren und breitet sich weiter aus. Das Schlimmste steht wohl aber erst noch bevor. Die letztendliche Bilanz wird nicht nur in verlorenen Leben, sondern in zertrümmerten Gesellschaften zu bemessen sein. Trotz entschiedener internationaler Maßnahmen in den letzten Jahren werden immer noch nicht alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um diese Krankheit unter Kontrolle zu bringen. Darüber hinaus ist es unerläßlich, öffentliche Gesundheitssysteme in den Entwicklungsländern aufzubauen. Wenn auf lokaler Ebene Krank-

17 Jonas Hagen, The United Nations at a ,Fork in the Road'. The 58th General Assembly High-level Debate, in: UN Chronicle, XL (2003), H. 4. 18 A more secure world (Fn. 4).

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heiten behandelt oder, besser noch, verhindert werden können, werden davon nicht nur die armen Staaten profitieren. Eine Vorbeugungs- und Verhinderungskultur ist auch für den Bereich der Umwelt dringend erforderlich, um voranschreitende Verschmutzung und den Niedergang der Ökosysteme aufzuhalten. Ein gemeinsames Vorgehen von der Erarbeitung und Umsetzung von Langzeitstrategien zur Verhinderung der Erderwärmung, die weit über die Ziele des „Kyoto-Protokolls" hinausgehen müssen, bis zur Verwirklichung eines schonenderen Umgangs mit natürlichen Ressourcen in betroffenen Ländern, ist hier entscheidend.19 Kritik am Bericht des Expertengremiums wurde insbesondere von einigen Schwellen- und Entwicklungsländern geübt, die die Schlußfolgerungen zu sehr aus der Sicht der westlichen Industriestaaten formuliert sahen. Themen wie Gesundheit, Handel und Entwicklung würden nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. 1.4. Der Bericht des Generalsekretärs „In larger freedom" und der Weltgipfel von 2005 Diese Kritik wurde vom Generalsekretär in seinem der Generalversammlung am 21. März unterbreiten Bericht „In larger freedom" 20 aufgenommen. In diesem Bericht übernahm Kofi Annan im Wesentlichen die Vorschläge des „High-level Panels", legt aber einen stärkeren Schwerpunkt auf die Entwicklungspolitik. Der Bericht des „High-level Panels" und der Bericht des Generalsekretärs waren dann die wichtigsten Dokumente in den Verhandlungen der Vertreter der Mitgliedstaaten zur Vorbereitung des Weltgipfels von 2005. Jean Ping aus Gabun, Präsident der 59. Generalversammlung, und sein Team leiteten diese Verhandlungen. Bereits frühzeitig wurde klar, daß die weltpolitische Lage nur eine ansatzweise Übernahme der Vorschläge des „High-level Panels" und des Generalsekretärs erlauben würde. Dennoch enthielt das von Parfait Onanga-Anyanga, dem Kabinettschef von Präsident Ping, federführend betreuten Abschlußdokument über weite Strecken der Verhandlungen sehr hoffnungsvolle Ansätze. Zum Eklat kam es schließlich zwei Wochen vor dem Weltgipfel, als die amerikanische Delegation ein Positionspapier vorlegte, in dem sozusagen in letzter Minute noch hunderte Änderungsvorschläge präsentiert wurden. In hektischen und nächtelangen Schlußverhandlungen, in denen vor allem die kleinen und schwächeren Staaten, vor allem die der Gruppe der 77, faktisch ausgeschlossen waren, einigte man sich buchstäblich Minuten vor der Ankunft der Staats- und Regierungschefs dann doch noch auf einen Text. So

19 Vgl. dazu Kofi Annan, Courage to fulfil our responsibilities, in: The Economist, 4. Dezember 2004, S. 23 ff. 20 United Nations - General Assembly, In larger freedom: towards development, security and human rights for all. Report of the Secretary-General, UN-Doc. A/59/2005 vom 21 März 2005; deutsche Fassung: Vereinte Nationen - In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle. Bericht des Generalsekretärs, www.un.org/Depts/german/gv-sonst/a-59-2005-ger.pdf.

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wurde schließlich der Weltgipfel vom 14. bis 16. September 2005 zumindest zu keinem offensichtlichen Desaster. Am 16. September 2005, in einer nervösen Sitzung der Generalversammlung auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, wurde Resolution 60/121 als Abschlußdokument des Weltgipfels von 2005, des größten Treffens von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs aller Zeiten, im Konsens angenommen. Der prozessuale Tabubruch der Abstimmung über einen Präsidialtext wurde zu diesem Zeitpunkt noch vermieden, sollte aber am 15. März 2006 mit der Annahme von Resolution 60/251 über die Schaffung eines Menschenrechtsrates22 dann doch noch während der 60. Generalversammlung erfolgen. Deutschland, es sei am Rande angemerkt, „glänzte" auf dem Weltgipfel durch Abwesenheit. Staatspräsident Köhler war dem Treffen wohl aus parteipolitischen Gründen und Bundeskanzler Schröder wahlkampfbedingt ferngeblieben. Auch Außenminister Fischer konnte es nur für ein paar Stunden einrichten, in New York präsent zu sein. Erklärt werden kann dies vielleicht dadurch, daß zum Zeitpunkt des Weltgipfels längst klar war, daß Deutschland faktisch mit seinen Bemühungen, eine Erweiterung des Sicherheitsrates einzuleiten, auf nicht absehbare Zeit gescheitert war.23 Auch wenn es natürlich stets mehr auf das Engagement in der Sache ankommt als auf die Repräsentation, so ist es doch blamabel, daß auf dem „Familienbild" zum 60. „Geburtstag" der Vereinten Nationen kein deutscher Regierungsvertreter im Bilde ist. Die Reaktionen auf das Abschlußdokument des Weltgipfels von 2005 sind erwartungsgemäß sehr unterschiedlich ausgefallen. Die offizielle Linie des Sekretariates wurde vom Generalsekretär vorgegeben und am 24. Oktober 2005 vom Legal Counsel in einer Rede24 folgendermaßen umschrieben: „Zu Beginn möchte ich sagen daß ich Bewertung der Abschlußresolution 60/1 vom 16. September 2005 des Weltgipfels von 2005 durch den Generalsekretär vollumfänglich teile. Wenn man sich die Vorgeschichte der Gipfelresolution betrachtet - und ich spreche jetzt nicht lediglich vom Bericht des „High-level Panels" und dem des Generalsekretärs „In larger freedom", sondern von der Reihe der vom Generalsekretär ergriffenen Initiativen und vorgestellten Ideen, die er den Vorgängergeneralversammlungen der 60. Generalversammlung unterbreitet hat - dann ist es klar, daß alle von uns im Sekretariat sich natürlich mehr gewünscht hätten. Dennoch enthält die Abschlußresolution eine eindrucksvolle Reformagenda, die der Welt und den Völkern, denen wir dienen, gestärkte Vereinte Nationen geben, die besser in der Lage sein werden, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Es wird jetzt an uns beiden sein, Ihnen in den Mitgliedstaaten und uns im Sekretariat, diese Reformagenda vollumfänglich umzusetzen." Zusätzlich zu einer Reihe ein21

World Summit Outcome (Fn. 2). United Nations - General Assembly, Resolution 60/251 Human Rights Council vom 15. März 2006, U N Doc. A/RES/60/251. 23 Vgl. Hierzu statt vieler Bardo Fassbender, On the Boulevard o f Broken Dreams, International Organizations Law Review 2 (2005), S. 391-402. 24 Nicolas Michel, Rede im Rahmen eines informellen Treffens der Rechtsberater der Außenministerien, 24. Oktober 2005, N e w York. 22

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zelner programmatischer Elemente, wie beispielsweise die Weiterentwicklung einer Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen, erfordert das Abschlußdokument, grob gesehen, vier Aktionsfelder: • das erste Aktionsfeld bezieht sich auf institutionelle Innovationen, inklusive der Schaffung einer Kommission zur Friedenskonsolidierung und eines Menschenrechtsrates; • das zweite Aktionsfeld enthält den Auftrag zur Erneuerung der existierenden Aufsichts- und Kontrollmechanismen; • das dritte Aktionsfeld enthält den Auftrag zur Überprüfung der existierenden Finanzverfassung und des existierenden Personalmanagements; und • das vierte Aktionsfeld enthält den Auftrag zur Überprüfung der systemweiten Kohärenz, inklusive der Sicherstellung einer größeren Kohärenz von Strategievorgaben und operationeller Ausfuhrung derselben unter Einbeziehung der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen und der Unterorgane der Generalversammlung, der Programme und Funds. In der Rechtsabteilung haben wir uns natürlich gefreut, daß dem Völkerrecht und dem Konzept der „Herrschaft des Rechts" 25 so breiter Raum in der Abschlußresolution eingeräumt wurde. Man kann sogar behaupten, daß die Staats- und Regierungschefs dem Völkerrecht und dem Konzept der „Herrschaft des Rechts" den Rang einer Querschnittsaufgabe zugewiesen haben, welche das gesamte Dokument bestimmt. Das Völkerrecht und das Konzept der „Herrschaft des Rechts" haben einen prominenten Platz unter den „Werten und Prinzipien" des Dokuments bekommen und das Völkerrecht wird als Grundlage im Zusammenhang mit beispielsweise einer nachhaltigen Entwicklung, Frieden und Sicherheit im allgemeinen und der Gewaltanwendung und dem Kampf gegen den Terrorismus im besonderen, und im Zusammenhang mit der „Verpflichtung zum Schutz" 26 genannt. Kapitel IV ist in seiner Gesamtheit dem Thema „Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts" gewidmet. 27 Der Präsident der 60. Generalversammlung, Jan Eliasson aus Schweden, hat es immerhin geschafft, die Generalversammlung und den Sicherheitsrat zu bewegen, nach den Vorgaben der Abschlußresolution des Weltgipfels von 2005, zwei neue Unterorgane zu erschaffen: eine Friedenskonsolidierungskommission 28 und einen Menschenrechtsrat. 29 Ob sich diese neu geschaffenen Organe in der Praxis bewähren wird die Zukunft zeigen. 25

„Rule of Law", im Deutschen auch oft mit „Rechtsstaatlichkeit" übersetzt, was nach Ansicht des Verfassers aber nicht die gesamte Bandbreite des Konzeptes erfaßt. 26 „Responsibility to protect populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity", siehe Paragraphen 138 ff. der Resolution 60/1 vom 16. September 2005 „World Summit Outcome" (Fn. 2). 27 Paragraphen 119 ff. der Resolution 60/1 vom 16. September 2005 „World Summit Outcome" (Fn. 2). 28 Vereinte Nationen - Generalversammlung, Resolution 60/180 „Die Kommission für Friedenskonsolidierung" vom 20. Dezember 2005, UN Doc. A/RES/60/180, und Vereinte Nationen - Sicherheitsrat, Resolutionen 1645 und 1646, beide vom 20. Dezember 2005, U N Doc. S/RES/1645 und S/RES/1646. 29 Vereinte Nationen - Generalversammlung, Resolution 60/251 „Menschenrechtsrat" vom

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2. Freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten 2.1. Das Ziel nach der Konzeption der Charta Nach Art. 1 Ziff. 2 der Charta haben die Vereinten Nationen das Ziel, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen. " Der Grundsatz der Gleichberechtigung ist als Ziel vor allem in der gleichberechtigten Mitgliedschaft jedes Mitglieds der Vereinten Nationen in der Generalversammlung umgesetzt. Auf die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wird im folgenden Abschnitt im Rahmen der Erläuterungen zu Art. 1 Ziff. 1 der Charta noch näher einzugehen sein, Art. 1 Ziff. 2 beauftragt die Vereinten Nationen darüber hinaus noch Maßnahmen zu seiner „Festigung" zu ergreifen. Art. 2 Ziff. 4 der Charta besagt, daß die Organisation „auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit ihrer Mitglieder" beruht. Für die operative Umsetzung verweist Art. 1 Ziff. 2 ebenfalls und mehr noch als Art. 1 Ziff. 3 der Charta auf die Art. 55 fortfolgende. Art. 1 Ziff. 2 und 55 bilden zudem die juristische Grundlage für das Prinzip der „ Selbstbestimmung der Völker ". Zu Zeiten der Gründung der Vereinten Nationen wurde dieses Ziel in seiner nachfolgenden Wirkungskraft insbesondere von den Kolonialmächten unterschätzt. In Kapitel XI (Art. 73 und 74) werden die Kolonialmächte zwar zu einer Förderung des Wohls der Einwohner von Hoheitsgebieten „deren Völker noch nicht die volle Selbstregierung erreicht haben" verpflichtet, den etwa ab 1960 immer mehr an Dynamik gewinnenden Prozeß der Entkolonialisierung haben sie so jedoch wohl nicht vorhergesehen. Von einigen sehr umstrittenen Problemkonstellationen abgesehen, ist der Prozeß der Entkolonialisierung heute abgeschlossen. Folge ist der Anstieg der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen von 50 im Moment der Unterzeichung der Charta auf 191 im Jahre 2005. Die Entkolonialisierung ist eine grandiose Erfolgsgeschichte der Organisation. Die Tatsache, daß heute im Grunde und im Wesentlichen alle Völker dieser Welt in der Organisation vertreten sind, macht die Vereinten Nationen zu einer De-jure-Vertretung der internationalen Gemeinschaft. Das zunächst politische Prinzip der „Selbstbestimmung der Völker" ist längst zu einem zwingenden Völkerrechtssatz, dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker" erstarkt, dessen prominentestes Beispiel aus deutscher Sicht die Wiedervereinigung geworden ist. Allein dieses Beispiel zeigt, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht auf den Entkolonialisierungsprozeß beschränkt werden kann, sondern einen Anwendungsbereich darüber hinaus hat.30

15. März 2006, UN Doc. A/RES/60/251. Im Einzelnen ist hier allerdings vieles umstritten, vgl. etwa: Karl Doehring, Self-determination, in: Bruno Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations (Fn. 5), Rn. 1 ff. 30

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2.2. Die „Verrechtlichung" der internationalen Beziehungen An dieser Stelle möchte ich auf ein Thema eingehen, dessen Bedeutung bereits vor der Gründung der Vereinten Nationen existierte, innerhalb ihres nunmehr fast sechzigjährigen Bestehens immer wichtiger wurde und ohne das eine Zukunft der Vereinten Nationen nicht möglich erscheint: die „Verrechtlichung" der internationalen Beziehungen. Dieses Thema hat für den gesamten Bereich der Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen eine zentrale Relevanz. In seinem Millenniumsberichi31 betonte Generalsekretär Kofi Annan, daß langfristig betrachtet die Verbreitung der „Rechtsstaatlichkeit", oder meines Erachtens mit „Herrschaft des Rechts" besser übersetzte „rule of law", die elementare Grundlage für die Erreichung des sozialen Fortschritts des vergangenen Jahrtausends war. Er erinnert in diesem Bericht aber zugleich, daß die Ausweitung der Herrschaft des Rechts vor allem auf internationaler Ebene ein unvollendetes Projekt ist, und daß Anstrengungen, die Herrschaft des Rechts zu vertiefen und zu festigen, fortgesetzt werden müssen. Staaten gehen immer mehr und immer häufiger davon aus, daß internationale Beziehungen verrechtlicht, also von der Herrschaft des Rechts geprägt werden müssen. Für den innerstaatlichen Bereich genügt es darauf hinzuweisen, daß Rechtsstaatlichkeit bedeutet, daß die Ausübung öffentlicher Gewalt unter vollständiger Berücksichtigung der bestehenden Gesetze erfolgen muß. Jeder, einschließlich des Staatsoberhauptes, des Parlaments, der Regierung, der rechtsprechenden Gewalt und aller anderer staatlicher Einrichtungen, ist an Recht und Gesetz gebunden und müssen im Rahmen der Verfassung handeln. In diesem Zusammenhang sei kurz auf die engagierte Arbeit der Vereinten Nationen zur Stärkung und Festigung der Rechtsstaatlichkeit im innerstaatlichen Bereich hingewiesen, die sich insbesondere in den Programmen zur „guten Regierungsführung" (good govemance) 32 des United Nations Development Programme (UNDP) und des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR) manifestiert. Ebenso ist das Prinzip der Herrschaft des Rechts auf internationaler Ebene anwendbar und einschlägig, und hier konkret auf die Beziehungen zwischen den Staaten. Nach der Präambel der Charta sind „die Völker der Vereinten Nationen fest entschlossen ... Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und andere Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können." Der später noch eingehender zu erörternde Art. 1 Ziff. 1 definiert als Ziel der Vereinten Nationen „internationale Streitigkeiten und Situationen, die zu einem Friedensbruch fuhren könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen." Nach Art. 13 Ziff. 1 (a) der Charta kann die Generalversammlung Untersuchungen veranlassen oder Empfehlungen abgeben, um die fortschreitende Entwicklung seiner Kodifizierung zu begünstigen. Um der General31 32

Wir, die Völker, (Fn. 9). Vgl. Fn. 15.

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Versammlung bei der Erreichung dieses Zieles zu assistieren wurde 1947 die „International Law Commission (ILC)" gegründet. Vor diesem Hintergrund kann festgestellt werden, daß es eines der Ziele der Vereinten Nationen ist, zur Verwirklichung und Festigung der Herrschaft des Rechts in den zwischenstaatlichen Beziehungen beizutragen. Die Vereinten Nationen, ihre Mitgliedstaaten und das Sekretariat haben große Anstrengungen unternommen, die Herrschaft des Rechts in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu unterstützen und zu verstärken. Ein wichtiges Beispiel ist die von den Vereinten Nationen für den Zeitraum 1990 bis 1999 ausgerufene „Dekade des Völkerrechts."33 In Resolution 54/28 vom 17. November 1999 der Generalversammlung heißt es, daß die Dekade „merklich zur Stärkung der Herrschaft des Völkerrechts beigetragen hat".34 Im Einzelnen sind als erfolgreiche Maßnahmen genannt: • die Bereitstellung von Mitteln und Wegen zur Förderung der friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten; • das Vorantreiben der dynamischen Entwicklung des Völkerrechts und seiner Kodifizierung; • die Förderung der Lehre und des Erlernens des Völkerrechts und • die Erreichung einer größeren Wertschätzung des Völkerrechts generell. Der Erfolg der Dekade ist zurückzuführen auf abgestimmte Maßnahmen von Staaten, internationalen Organisationen und Institutionen und der internationalen Gemeinschaft als Ganzes, einschließlich führender Repräsentanten des juristischen Berufsstandes, Praktikern genauso wie Akademikern. Die Bedeutung der Dekade des Völkerrechts für die Förderung der Herrschaft des Rechts wird deutlich in der Vielzahl wichtiger völkerrechtlicher Verträge, allen voran natürlich durch die Unterzeichnung des Römischen Statutes des Internationalen Strafgerichtshofes 1998, einem Ereignis von historischer Dimension. Der Internationale Strafgerichtshof soll und muss eine gewichtige Rolle im Rahmen der Bemühungen zur Schaffung eines Systems zur Durchsetzung des Völkerrechts übernehmen, zur Bekämpfung der abscheulichsten Verbrechen auf dieser Welt und zur Beendigung der Straflosigkeit Verantwortlicher und Urheber internationalen Verbrechen. Im Frühjahr 1999 bestimmten Generalsekretär Kofi Annan und sein „Kabinett", die Senior Management Group (SMG), die Konsolidierung und Verbreitung der Herrschaft des Völkerrechts zum zweitwichtigsten Ziel der Organisation, gleich nach der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Dieser Beschluß führte zu einer Reihe von Maßnahmen in der Organisation, vor allem im Sekretariat, das in der Folge einen Aktionsplan für die Umsetzung einer „Strategie für eine Ära der

33 34

UN Doc. A/RES/44/23 vom 17. November 1989. UN Doc. A/RES/54/28 vom 17. November 1999.

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Anwendung des Völkerrechts" 35 ausarbeitete. Elemente dieser Strategie sind, unter anderem: • die Aufforderung zum Beitritt zu völkerrechtlichen Verträgen; • die Unterstützung von Staaten bei der Umsetzung dieser Verträge ins innerstaatliche Recht; • die Aus- und Weiterbildung von Richtern, Anwälten, Beamten und Diplomaten und anderen Personen, die mit der Anwendung von Völkerrecht zu tun haben; • die Aufklärung und Unterrichtung der Allgemeinheit über das Völkerrecht und über Möglichkeiten, gegen Völkerrechtsverletzungen vorzugehen. Auch in der am 8. September 2000 von der Generalversammlung auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Millenniumserklärung36 finden sich einige Bestimmungen, die dem Ziel der Förderung der Herrschaft des Rechts dienen sollen. Diese sind: • die Beachtung der Herrschaft des Rechts in internationalen wie nationalen Angelegenheiten zu stärken, insbesondere die Befolgung der Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes durch die Mitgliedstaaten, in Fällen, in denen sie verfahrensbeteiligte Parteien sind, sicherzustellen in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen; • die Vereinten Nationen effizienter in der friedlichen Streitbeilegung zu machen; • die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge durch die Vertragsstaaten sicherzustellen, vor allem in Bereichen wie Waffenkontrolle, Abrüstung und in den Bereichen des internationalen humanitären Rechts und der Menschenrechte, und die Unterzeichnung und Ratifizierung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes zu erwägen; • abgestimmte Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus zu ergreifen und den so bald als möglichen Beitritt zu allen relevanten völkerrechtlichen Verträgen in diesem Bereich zu erwägen. Heute ist die Herrschaft des Rechts auf internationaler Ebene weitestgehend von den Staaten akzeptiert und spiegelt sich im Handlungsfeld ihrer Außenpolitik wieder. Staaten unternehmen große Anstrengungen, ihren völkerrechtlichen Pflichten zu entsprechen und, falls Meinungsunterschiede oder Streitigkeiten auftreten, setzen die Staaten alles daran, diese mit friedlichen Mitteln beizulegen, insbesondere durch die Anrufung des Internationalen Gerichtshofes. Darüber hinaus reagiert ein Staat, dem die Verletzung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen vorgeworfen wird, sehr sensibel und wird alles aufbieten, um diesen Vorwurf zu zerstreuen oder zu entkräften. Einer 35 United Nations, Strategy for an Era of Application of International Law - Action Plan, Adopted by the Senior Management Group and approved by the Secetary-General, June 2000 (internes Sekretariatspapier); http://untreaty.org.un.org/ola-internet/coversheet.htm. 36 U N Doc. A/RES/55/2 vom 8. September 2000.

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Völkerrechtsverletzung verdächtigt oder beschuldigt zu werden, ist für Staaten zu einer großen Verlegenheit geworden und wenn so etwas passiert ist der Regierung die meist harsche Kritik der Bevölkerung und der Opposition sicher. Als Beispiel kann hier der Prolog und der Epilog des Waffengangs im Irak angeführt werden. Keiner der an dieser Krise beteiligten Staaten wollte ein Völkerrechtsbrecher gescholten werden. Und auch auf dem Höhepunkt dieser Krise benutzte jeder der beteiligten Staaten das von der Charta der Vereinten Nationen ftir Krisen dieser Dimension vorgesehene Forum: den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Über die Jahre konnte ein beachtlicher Bestand völkerrechtlicher Normen kodifiziert werden. Das Völkervertragsrecht ist mittlerweile zur wichtigsten Quelle des Völkerrechts geworden. Keine größere internationale Transaktion läuft in der heutigen Welt ab, und zwar sowohl im privatrechtlichen als auch im öffentlich-rechtlichen oder völkerrechtlichen Bereich, ohne daß nicht einer oder mehrere völkerrechtliche Verträge darauf Einfluß hätten. Als für die internationalen Beziehungen von Staaten wichtige Verträge seinen beispielsweise genannt: die Völkermordkonvention von 1948, die beiden internationalen Menschenrechtspakte von 1966, die Wiener Vertragsrechtskonvention aus dem Jahr 1969, die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1982 und das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes von 1998. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist, gemäß Art. 102 der Charta, Depositar37 von mittlerweile über 500 multilateralen Verträgen die zwischenstaatliches Handeln reglementieren. Das bedeutet, daß bereits ein beachtlicher Korpus völkerrechtlicher Normen kodifiziert ist, was wiederum die enorme Leistung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wiederspiegelt. Diese völkerrechtlichen Verträge stellen verbindliche Regeln für das Verhalten von Staaten auf und haben einen immer weiterreichenden Einfluß auch auf das Leben und die Lebensverhältnisse der Bürger in den Mitgliedstaaten und auf die wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen, sei es im Bereich des Handelsrechts, der Menschenrechte, des Umweltrechts oder im Bereich des Rechts des organisierten Verbrechens oder des Terrorismus. Schließlich ist es wichtig, auch zu erwähnen, daß der allergrößte Teil dieses Bestandes an völkerrechtlichen Normen jeden Tag rund um den Erdball gewissenhaft eingehalten wird. Das Thema der Herrschaft des Rechts in den zwischenstaatlichen Beziehungen rückte in jüngster Zeit so sehr in den Brennpunkt, daß Generalsekretär Kofi Annan eine Befassung mit der „rule of law" als Rahmenthema für die 59. Generalversammlung der Vereinten Nationen vorschlug. Kurz zuvor hatte er dem Sicherheitsrat einen unfassenden Bericht zum Thema der Herrschaft des Rechts und der Übergangsjustiz in Gesellschaften, die sich in einer Konflikt- oder post-Konfliktsituation befinden, vorgelegt.38 Dies ist eine konsequente Fortsetzung einer bereits Jahre zuvor eingeschlagenen Politik. 37

Gemäß Art. 102 Abs. 1 UN-Charta werden internationale Verträge und Übereinkünfte, „beim Sekretariat registriert und von ihm veröffentlicht". 38 United Nations, The rule o f law in conflict or post-conflict societies. Report of the Sec-

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In seiner Rede zur Eröffnung der Generaldebatte der 59. Generalversammlung am 21. September 2004 39 warnte der Generalsekretär vor der schamlosen Mißachtung des Völkerrechts und forderte die Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister auf, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um den Respekt der Herrschaft des Rechts auf internationaler Ebene und die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler Ebene zu erhalten oder wiederherzustellen. Kofi Annan betonte, daß die Herrschaft des Rechts auf der ganzen Welt bedroht sei und verband dies mit der Forderung, den Respekt für die fundamentalen Prinzipien des Rechts nicht zu verlieren. Angesichts von Gewalt und Elend in vielen Staaten um den Globus sagte er ,jede Nation, welche die Rechtsstaatlichkeit zu Hause verkündet, muß sie auch im Ausland beachten, und jede Nation, die im Ausland Rechtsstaatlichkeit anmahnt, muß Rechtsstaatlichkeit auch zu Hause durchsetzen". Denn „niemand steht über dem Recht" 40 . Die folgende Generaldebatte der 59. Generalversammlung wurde daraufhin auch deutlich von Forderungen nach der Stärkung der Herrschaft des Rechts, zusammen mit Vorschlägen für eine Reform der Vereinten Nationen, der Bekämpfung des Terrors und der verbesserten internationalen Zusammenarbeit und Koordinierung im Bereich der Entwicklungshilfe geprägt. Das Thema der „Verrechtlichung der internationalen Beziehungen" wurde in der Abschlußresolution des Weltgipfels von 2005 41 aufgegriffen. Wie bereits oben ausgeführt, 42 wurde dem Völkerecht und dem Konzept der „rule of law" breiter Raum gegeben und beides wurde in den Rang einer Querschnittsaufgabe erhoben. Beispielhaft sei hier nur Paragraph 134 (a) zitiert, in dem es heißt: „We, Heads of State and Government, ... Recognizing the need for universal adherence to and implementation of the rule of law at both the national and international levels ... reaffirm our commitment to the purposes and principles of the Charter and international law and to an international order based on the rule of law and international law, which is essential for peaceful coexistence and cooperation among States." Das ist insbesondere beachtlich vor dem Hintergrund, daß der erste Entwurf des Abschlußdokuments für den Weltgipfel von 2005 weder „international law", noch das Konzept einer „rule of law" auch nur erwähnte. Was im März 2006, zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags, noch völlig unklar ist, ist die Verwirklichung einer, in Paragraph 134(e) der Gipfelabschlußresolution erwähnten, „rule of law assistance unit". Zu diesem Zeitpunkt ist weder Ansiedlung, Größe und Zusammensetzung einer solchen „rule of law assistance unit" absehbar, noch ist ein Entwurf eines in der genannten Bestimmung erwähnten Berichtes des Generalsekretärs erstellt. retary-General, U N Doc. S/2004/616 vom 23. August 2004. 39 Vgl. Wortprotokoll der Eröffnung der Generaldebatte der 59. Generalversammlung, 21. September 2004, U N Doc. A/59/PV.3, S. 2. 40 Ebd., S. 3. 41 World Summit Outcome (Fn. 2). 42 Ebd., im Kapitel 1.4.

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3. Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit 3.1. Das Ziel nach der Konzeption der Charta Art. 1 Ziff. 1 der Charta der Vereinten Nationen bestimmt als Ziel der Vereinten Nationen, „ den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten und Situationen, die zu einem Friedensbruch fuhren könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen." Nach der Konzeption der Charta der Vereinten Nationen und auch nach dem Willen der Gründungsväter der Organisation sollen die in Art. 1 niedergelegten Ziele zusammen mit den in Art. 2 kodifizierten Grundsätzen Handlungsdirektiven für die Vereinten Nationen aufstellen. Ergänzt werden die beiden ersten Art. der Charta dabei durch die Präambel. Es ist im Einzelnen umstritten, ob die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen lediglich politische Verpflichtungen begründen oder rechtliche Bindungswirkung entfalten sollen. Sicher ist jedoch, daß diejenigen Ziele und Grundsätze rechtlich bindend sind, die auch völkergewohnheitsrechtlich abgedeckt sind, beispielsweise das universelle Gewaltanwendungsverbot, das Verbot anderer Friedensbrüche und die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung. Art. 1 Ziff. 1 besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil beschreibt das Hauptziel der Vereinten Nationen, oder die raison d'être wie dieses Ziel bei der Ausarbeitung der Charta genannt wurde, nämlich die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Der zweite Teil des ersten Absatzes, sowie die nachfolgenden Absätze 2 und 3 beschreiben die Methoden, mit denen dieses Ziel verwirklicht werden muß. Zentral sind hierbei die Bedeutung der freundlichen Beziehungen zwischen den Staaten und die internationale Zusammenarbeit, die wie dargelegt - auf der Grundlage der Herrschaft des Rechts basieren müssen. Die Rechtsbegriffe „Weltfrieden" und „internationale Sicherheit", die bereits in der Satzung des Völkerbundes verwendet wurden, sind nirgends in der Charta definiert. Die beiden Begriffe, die in der Charta mehrfach verwendet werden, stehen in einem symbiotischen Verhältnis, sind also verbunden und überschneiden sich. Wie sehr sich die beiden Konzepte überschneiden, hängt vom Verständnis des Friedensbegriffes ab. Wird der Begriff des Weltfriedens eng als die Abwesenheit einer Drohung oder einer Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 der Charta angesehen, dann würden alle Umstände, deren Vorhandensein für eine Erhaltung des Weltfriedens erforderlich ist, vom Begriff der „internationalen Sicherheit" erfaßt.

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Es ist anzumerken, daß eine Zusammenschau der Präambel und der drei Absätze des Art. 1 der Charta den Schluß nahe legt, daß der „Weltfrieden" mehr sein muß, als die Abwesenheit von Krieg. Der Begriff der „ internationalen Sicherheit" hat eine objektive und eine subjektive Komponente. Die Verwirklichung dieses Ziels bedeutet eine Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen in einer Weise, daß jeder Staat in der Sicherheit leben kann, daß der Weltfrieden nicht gebrochen werden wird oder zumindest, daß die Auswirkungen eines Bruchs des Friedens in ihrer Wirkung begrenzt werden. Die internationale Sicherheit beinhaltet sowohl das Recht eines jeden Staates das System der kollektiven Sicherheit in Anspruch zu nehmen, als auch die rechtliche Verpflichtung eines jeden Staates dieses kollektive Sicherungssystem zu tragen und zu unterstützen. Dabei hängt die internationale Sicherheit immer stärker von der nationalen Sicherheit ab, was bedeutet, daß die Staaten zur Gewährleistung der internationalen Sicherheit in einer umfassenden und kooperativen Art und Weise beizutragen haben. Eine rücksichtslos unilaterale Verfolgung nationaler Sicherheitsinteressen kann sich nachteilig auf die internationale Sicherheit auswirken, weshalb Staaten verpflichtet sind, bei der Umsetzung ihrer nationalen Sicherheitspolitik Auswirklungen auf die internationale Sicherheit voll einzukalkulieren. Nur am Rande sei angemerkt, daß eine nationale Sicherheitspolitik, welche die internationale Sicherheit negativ beeinflußt nicht oder zumindest nicht lange im wohlverstandenen Eigeninteresse des betreffenden Staates sein wird. Um das Ziel des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu erreichen, stehen eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung. Auf zwei Arten dieser Maßnahmen nimmt Art. 1 Ziff. 1 direkt Bezug, Kollektivmaßnahmen zur Verhütung oder Beseitigung eines Bruchs oder einer Bedrohung des Weltfriedens und die Bereinigung oder Beseitigung internationaler Streitigkeiten durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts. Maßnahmen der friedlichen Streitbeilegung sind im VI. Kapitel der Charta (Art. 33 ff.) näher geregelt, Kollektivmaßnahmen im VII. Kapitel (Art. 39 ff.). Das Prinzip der kollektiven Sicherheit gewährt seinen Mitgliedern Schutz vor Angriffen von Mitgliedern desselben Systems, ist also primär nach innen gerichtet. Der Schlüssel zum Erfolg bzw. zum erfolgreichen Funktionieren dieses Systems ist der in Art. 2 Ziff. 4 der Charta kodifizierte Grundsatz des universellen Gewaltanwendungsverbots. Nach dieser Bestimmung, die meines Erachtens das „Herz" der Charta darstellt, ist es jedem Mitgliedstaat verboten, in seinen internationalen Beziehungen Gewalt anzudrohen oder anzuwenden, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Mitgliedstaates gerichtet ist, es sei denn das zuständige Organ der Vereinten Nationen, nach Art. 24 der Charta ist dies der Sicherheitsrat, hat die Anwendung von Gewalt autorisiert oder es liegt ein Fall der Selbstverteidigung des Art. 51 der Charta vor. Auf die Bedeutung des Grundsatzes des universellen Gewaltverbots werde ich später noch genauer eingehen.

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Neben den Kollektivmaßnahmen bietet Art. 1 Ziff. 1 der Charta noch einen anderen Weg an, nämlich die Beilegung internationaler Konflikte mit Mitteln der friedlichen Streiterledigung. Zusammenfassend geht Art. 1 Ziff. 1 von drei verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit aus: Erstens sollen die Vereinten Nationen Maßnahmen ergreifen, die Staaten davon abhalten, eine Bedrohung oder einen Bruch des Weltfriedens zu verursachen. Diese Funktion soll in erster Linie die Generalversammlung erfüllen, weshalb Art. 1 Ziff. 1 in dieser Hinsicht mit den Art. 10, 11 und 13 der Charta gelesen werden muß. Sollte ein Staat eine Angriffshandlung oder einen Bruch oder eine Bedrohung des Weltfriedens verursachen, so ist - zweitens - der Sicherheitsrat nach den Art. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit dem VII. Kapitel dazu aufgerufen, wirksame Kollektivmaßnahmen zur Wiederherstellung desselben zu ergreifen. Drittens besteht die Möglichkeit der friedlichen Streitbeilegung, mit deren Initiierung die Generalversammlung nach Art. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 14 der Charta und die Generalversammlung zusammen mit dem Sicherheitsrat nach Art. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit dem VI. Kapitel betraut sind.43 3.2. Rechtliche Fragen im Bereich der Friedensmissionen Während das von der Konzeption der Charta der Vereinten Nationen her zentrale VII. Kapitel in der Realität der Ost-West-Konfrontation seine beabsichtigte Wirkung selten entfalten konnte, ersannen der zweite UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld und seine Mitarbeiter eine andere Art der Friedenssicherung, den Einsatz von Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Da die politische und operative Seite von Friedensmissionen an einer anderen Stelle in diesem Buch umfassender dargestellt wird, kann ich mich hier auf die wesentlichen rechtlichen Fragen beschränken.44 Der Begriff des „peacekeeping" taucht in der Charta nicht auf. Eine rechtliche Grundlage für die Organe der Vereinten Nationen, Friedensmissionen aufzustellen und einzusetzen, folgt jedoch ohne jeden Zweifel aus der Verantwortung der Vereinten Nationen für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, insbesondere aus der Präambel, Art. 1 Ziff. 1 und den Art. 24 und 26 der Charta. 3.2.1. Die rechtliche Grundstruktur von Friedensmissionen Die rechtliche Grundstruktur einer Friedensmission sieht, allgemein ausgedrückt, folgendermaßen aus: der Sicherheitsrat, der die Hauptverant43

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden allgemein Rüdiger Wolfrum, Article 1, in: Bruno Simma (Hrsg.), The Charter o f the United Nations (Fn. 5), Rn. 1 ff. 44 Vgl. zum Ganzen Ralph Zacklin, United Nations Management o f Legal Issues, in: Jessica Howard/Bruce Oswald (Hrsg.), The Rule of Law on Peace Operations, Melbourne 2002, S. 115-126.

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wortung für die Wahrung des Weltfriedens trägt, erteilt das politische Mandat für eine Friedensmission und definiert ihren Handlungsrahmen. Die Generalversammlung, welche die Budgetzuständigkeit innehat, stellt die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfiigung. Geleitet wird die Friedensmission vom Generalsekretär. Dieser ernennt einen politisch verantwortlichen Missionsleiter, den „special representative of the SecretaryGeneral (SRSG) ", der die Friedensmission vor Ort leitet und dem auch der militärische Oberbefehlshaber, der „force commander ", politisch untersteht. Der SRSG berichtet dem Generalsekretär und dieser wiederum dem Sicherheitsrat. Darüber hinaus werden selbstverständlich die truppenstellenden Mitgliedstaaten beteiligt. Militärisches Personal wird auf Freiwilligenbasis von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt und meist ist eine Zustimmung der Konfliktparteien und des Empfangsstaates erforderlich. Friedensmissionen der Vereinten Nationen können in vier Kategorien eingeteilt werden: • traditionelle Friedensmissionen basieren rechtlich auf dem VI. Kapitel der Charta. Für derartige „klassische" Friedensmissionen ist eine Zustimmung der Konfliktparteien sowie des Empfangsstaates erforderlich. Gewalt darf das Personal lediglich zur unmittelbaren Selbstverteidigung anwenden. Beispiele für diesen Urtypus der Friedensmission sind UNDOF 45 , UNIFIL 46 , UNFICYP oder UNOMIG 48 ; • daneben gibt es Friedensmissionen, die Gewalt auch über bloße Selbstverteidigung hinaus ausüben dürfen. Beispiele hierfür sind MONUC 49 oder UNAMSIL 50 ; • zudem gibt es seit den 90er Jahren Friedensmissionen, deren Mandat sich gänzlich auf das VII. Kapitel der Charta als Rechtsgrundlage bezieht, wie es beispielsweise bei UNIKOM 51 der Fall war; • und schließlich gibt es neuerdings Friedensmissionen, die sich nicht unter die vorstehenden Kategorien fassen lassen, da sie in ihrem Mandat teilweise weit über die vorgenannten Typen hinausgehen. UNMIK 52 hat beispielsweise das Mandat das Kosovo komplett zu verwalten. UNMIK setzt sich aus drei Säulen zusammen, die zwischen ziviler und militärischer Verwaltung und wirtschaftlicher Entwicklung unterscheiden. Auch diese Missionen sind auf das VII. Kapitel der Charta gestützt.

45 46 47 48 49 50 51 52

United United United United United United United United

Nations Nations Nations Nations Nations Nations Nations Nations

Disengagement Observer Force (Golanhöhen). Interim Force in Lebanon. Peacekeeping Force in Cyprus. Observer Mission in Georgia. Organization Mission in the Democratic Republic of the Congo. Mission in Sierra Leone. Iraq-Kuweit Observer Mission. Interim Administration Mission in Kosovo.

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3.2.2. Die erforderlichen politischen und rechtlichen Grundlagen für Friedensmissionen In den 90er Jahren, die nach der Überwindung des Ost-West-Konfliktes einen gewaltigen Anstieg von Friedensmissionen sahen, wurden teilweise die Grundlagen für den Erfolg von UN-Friedensmissionen aus den Augen verloren, nämlich ein klar umrissenes und erreichbares Mandats, die vollständige finanzielle und politische Unterstützung durch alle Mitgliedstaaten, der Konsens und die Kooperation aller streitbeteiligten Parteien und klare Kommandostrukturen. Diese Grundsätze sind deshalb so wichtig, weil aus rechtlicher Sicht der präzise definierte Charakter einer Friedensmission einen direkten Einfluß auf die rechtlichen Fragen hat, die sich ergeben, was wiederum Einfluß auf die politische Mandatierung der Friedensmission hat. Die Vereinten Nationen basieren als Organisation auf rechtlichen Grundlagen und auf der Idee der Herrschaft des Rechts. Die Charta ist die Verfassung der Vereinten Nationen, welche die Zuständigkeiten unter den Organen verteilt, deren Entscheidungen in Übereinstimmung mit den rechtlichen Handlungsdirektiven ergehen müssen, die sich diese Organe gegeben haben. Dieselben Grundsätze gelten für Friedensmissionen. Aus der bisherigen Praxis ergaben sich rechtliche Handlungsgrundsätze, die es zu beachten gilt. Das wiederum bedeutet nicht, daß diese rechtlichen Handlungsgrundsätze sozusagen wie in Stein gemeißelt nunmehr umfassend feststehen. Der Einsatz von Friedensmissionen ist ein fortschreitender und sich entwickelnder Prozeß. Allerdings sollten Lösungen für die sich in Zukunft ergebenden rechtlichen Probleme unter vollständiger Einbeziehung des bislang erreichten Standards gesucht werden. Unter dieser Prämisse möchte ich nun kurz auf fünf aktuelle rechtliche Themen im Bereich von Friedensmissionen der Vereinten Nationen eingehen: Statusfragen, den Einsatz von Gewalt, die Sicherheit des Personals, die Anwendung der Standards des humanitären Völkerrechts auf Friedensmissionen und die Verantwortlichkeit von Friedensmissionen. 3.2.3. Der Rechtsstatus von Friedensmissionen Der rechtliche Rahmen und der Status einer Friedensmission wird auf der Grundlage des politischen Mandats, einer Sicherheitsratsresolution, mittels eines sogenannten „status offorce agreements (SOFA)" oder eines „status of mission agreements (SOMA)" festgelegt. Solche Abkommen zwischen den Vereinten Nationen und dem Empfangsstaat regeln die Vorrechte, Befreiungen und den Status des Missionschefs und des Personals der Friedensmission, Steuer- und zollrechtliche Fragen, die Lage und des Status der von der Mission benutzten Gebäude und vieles mehr. Seit 1990 werden in solchen SOFAs und SOMAs auch die folgenden Punkte aufgenommen: • die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts; • Befreiungen für kommerzielle Versorgungsunternehmen;

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das Recht der Vereinten Nationen ihr eigenes Funk- und Fernmeldesystem aufzubauen und zu nutzen; • Haftungsbeschränkungen und • Fragen betreffend die Sicherheit des Missionspersonals. Die Regeln über den Einsatz von Gewalt bzw. militärischen Mitteln zur Erreichung des Missionszieles, die sogenannten „rules of engagement", sind ein Schlüsselelement für die Mandatierung einer Friedensmission. Ihr Zweck ist eine klare und unzweideutige Festlegung unter welchen Voraussetzungen Gewalt angewendet werden darf. Die „rules of engagement" sollen sicherstellen, daß Gewalt lediglich in dem vom Sicherheitsrat autorisierten Ausmaß angewendet wird und daß diese Ausübung den Regeln des humanitären Völkerrechts und des Rechts des gewaltsamen Konflikts entsprechen. Im Laufe der Jahre erkannte der Sicherheitsrat, das zum Schutze der Zivilbevölkerung die Autorisierung von Gewalt, die über Selbstverteidigung hinausgeht, sinnvoll und erforderlich sein kann und hat seine diesbezügliche Zurückhaltung aufgegeben. 3.2.4. Der Schutz der UN-Mitarbeiter Erst relativ spät haben die Vereinten Nationen auf das Problem reagiert, daß UN-Mitarbeiter im Dienst, u. a. auch bei Friedensmissionen, sich Angriffen ausgesetzt sahen: Die „Convention on the Safety and Security of the United Nations and Associated Personnel" vom 9. Dezember 1994 trat im Januar 1999 in Kraft. Grundsätze dieser Konvention, die dem Schutz von Mitarbeitern der Vereinten Nationen bei gefährlichen Einsätzen und an gefahrlichen Dienstorten dienen soll, werden seitdem auch in SOFAs und SOMAs aufgenommen. Die Konvention hat allerdings einige Defizite im operationeilen Teil. Zur Behebung dieser Defizite hat die der Sechste Ausschuß der Generalversammlung ein Zusatzprotokoll erarbeitet, das am 16. Januar 2006 zur Unterzeichnung aufgelegt wurde.53 3.2.5. Humanitäres Völkerrecht und Friedensmissionen Aufgrund der Tatsache, daß moderne Friedensmissionen auf das VII. Kapitel der Charta gestützt werden und zur Anwendung von Gewalt ermächtigt sind, kam die Frage der Anwendung des humanitären Völkerrechts auf Friedensmissionen auf. Für Personal der Vereinten Nationen, die an Friedensmissionen teilnehmen, wurde die Frage durch den Erlaß einer internen, rechtlich bindenden Dienstvorschrift, eines sog. „Secretary-General's Bulletin (ST/SGB)" geregelt. Das SGB definiert die anwendbaren Grundsätze des humanitären Völkerrechts auf Friedensmissionen. Das SGB ist nicht auf von Mitgliedstaaten zur Verfügung gestelltes Personal anwendbar, da für dieses Personal das humanitäre Völkerrecht direkt über seine Anwendbarkeit auf die betreffenden Mitgliedstaaten gilt. Schließlich wurden in neuerer Zeit einige Modifizierungen betreffend die Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen für durch Friedensmissio53

United Nations - General Assembly, Optional Protocol to the Convention on the Safety of United Nations and Associated Personnel of 8 December 2005, U N Doc. A/RES/60/42, Annex.

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nen durchgeführte Operationen eingeführt. Während der Grundsatz, daß die Organisation für Operationen ihrer Friedensmissionen völkerrechtlich verantwortlich ist, unangetastet blieb, wurde der rechtliche Rahmen für eine Friedensmission durch Regeln über einfache und effiziente Streitschlichtungsmechanismen und einige Haftungsbeschränkungen ergänzt. Dies alles beweist, daß auch im Bereich der Friedensmissionen die Grundsätze der Herrschaft des Rechts von den Vereinten Nationen sehr ernst genommen werden. 3.3. Das universelle Gewaltverbot Das in Art. 1 Ziff. 1 der Charta angelegte System der kollektiven Sicherheit zur Erfüllung des Hauptziels der Vereinten Nationen, der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, basiert auf dem in Art. 2 Ziff. 4 der Charta niedergelegten Grundsatz des universellen Gewaltverbotes. In Art. 2 Ziff. 4 der Charta heißt es: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt. " Das universelle Gewaltverbot ist das Herz der Charta und stellt ein fundamentales Novum des Völkerrechts für die Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen am Ende des Zweiten Weltkrieges dar. Die Bedeutung der Installierung eines universellen Gewaltanwendungs- und -androhungsverbotes in den internationalen Beziehungen zwischen Staaten kann nur im Rahmen seines völkerrechtsgeschichtlichen Hintergrundes begriffen werden.54 Die Epoche des „klassischen" Völkerrechts,55 die sich von den Westfälischen Friedensverträgen von 1648 bis zum Ersten Weltkrieg erstreckt, war von einer weitestgehenden Souveränität der Staaten geprägt. Diese Souveränität56 schloß das Recht oder die Freiheit eines jeden Staates ein, einen anderen Staat anzugreifen bzw. mit diesem Staat Krieg zu führen. Mit dem Voranschreiten der Industrialisierung nahm auch die Wirkung der im Rahmen von militärischen Auseinandersetzungen eingesetzten Waffen zu. Mit der Steigerung der Schlag- und Wirkungskraft des Kriegsmaterials stieg auch die Grausamkeit des Krieges und das Leiden der Zivilbevölkerung an. Als Reaktion auf das Grauen und die Brutalität der Kriege insbesondere des 19. Jahrhunderts versuchte man zunächst den Krieg mit Mitteln des Rechts zu „humanisieren". Ansatzpunkt waren die Folgen des Krieges und nicht dessen Ursachen oder seine Legitimität als Mittel zur Gestaltung der Außenpolitik. Tief bewegt vom Leid, welches er auf dem Schlachtfeld von Solferino im Jahr 1859 sehen mußte, gründete 54

Bardo Fassbender, Die Gegenwartskrise des völkerrechtlichen Gewaltverbotes vor dem Hintergrund seiner geschichtlichen Entwicklung, in: EuGRZ 31 (2004), S. 241-256. 55 Wolfgang Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. neubearb. Aufl., Berlin 2004, S. 6. Vgl. auch die Einteilung bei Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl., Baden-Baden 1988, S. 43 ff. 56 Vgl. Bardo Fassbender, Souveränität, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 492-495.

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der schweizerische Kaufmann Henri Dunant das „Rote Kreuz" als internationale Hilfsorganisation. In der Folge entstand das humanitäre Völkerrecht als Versuch, den Krieg zu „domestizieren" indem man insbesondere Normen zum Schutz der Zivilbevölkerung und Vorschriften zur Vermeidung „unnötigen" Leidens der Kombattanten entwickelte. Insbesondere auf den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 versuchte man, der Kriegsfuhrung einen rechtlichen Rahmen zu geben. Dennoch bedurfte es des Ersten Weltkrieges, damit sich die Einsicht durchsetzte, daß nicht an den Folgen des Kriegs angesetzt werden muß, sondern der Krieg an sich als Mittel der Gestaltung der Außenpolitik abgeschafft werden muß. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, mit seinen immensen Verlusten an Menschenleben und Material, der Verwüstungen bislang noch nicht gekannten Ausmaßes sowohl in materieller als auch in immaterieller Hinsicht hinterließ, führte zu einer Abkehr vom freien Kriegsführungsrecht. Die Folgen des Ersten Weltkrieges führten zu einer moralischen und gesellschaftlichen Umbewertung des Krieges. Es galt nunmehr den Krieg als solches zu verhindern. Dazu bedurfte es der Schaffung neuer, ständiger internationaler Institutionen. Die Souveränität der Staaten mußte eingeschränkt werden und der Krieg durfte nicht mehr nur eine Angelegenheit der Streitparteien sein, sondern mußte zur gemeinsamen Angelegenheit der gesamten Staatengemeinschaft erklärt werden. Die Verhütung zwischenstaatlicher Gewaltanwendung mußte ein zentrales Anliegen der internationalen Gemeinschaft werden. So entstand die Idee der kollektiven Sicherheit51, die sich in der Schaffung einer neuen internationalen Organisation, des Völkerbundes, niederschlug. Die Satzung des Völkerbundes vom 28. Juni 1919, die am 10. Januar 1920 in Kraft trat, enthielt relative Kriegsverbote und ein System zur friedlichen Streitbeilegung. Nach ihrer Präambel wurde der Völkerbund 58 von der Absicht der Mitgliedstaaten getragen, „die internationale Zusammenarbeit zu fordern sowie internationalen Frieden und internationale Zusammenarbeit herzustellen." Als Mittel zur Erreichung dieser Ziele nannte die Völkerbundsatzung insbesondere die „Übernahme bestimmter Verpflichtungen, nicht zum Kriege zu schreiten." Die Völkerbundssatzung enthielt jedoch kein allgemeines Kriegsverbot, sondern - wie gesagt lediglich relative Kriegsverbote.59 Es war verboten, gegen einen Staat zum Kriege zu schreiten während noch Verfahren der friedlichen Streitbeilegung liefen. Ebenso war es verboten, einen Staat mit Krieg zu überziehen, der sich dem Ergebnis eines Verfahrens der friedlichen Streitbeilegung unterworfen hatte. Gegen einen Staat, der unter Verletzung dieser Verpflichtungen einen Krieg beginnt, waren Zwangsmaßnahmen des Völkerbundes vorgesehen. 60 57 Peter J. Opitz, Kollektive Sicherheit, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 56), S. 306-312. 58 Jost Dülffer, Völkerbund, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 56), S. 609-611. 59 Bardo Fassbender, Die Gegenwartskrise (Fn. 54), S. 241, 243 ff. 60 Michael Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum

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Eine Fortentwicklung dieser relativen Kriegsverbote hin zu einem umfassenden Kriegsverbot erfolgte durch den Briand-Kellogg-Pakt von 1928. In diesem Vertrag verurteilten die Vertragsparteien den Krieg als Mittel der Lösung internationaler Streitigkeiten und verzichteten auf den Krieg als ein Mittel zur Gestaltung der Außenpolitik. Weder der Völkerbund, noch der Briand-Kellogg-Pakt vermochten allerdings den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu verhindern. 1945 auf den Trümmern zweier Weltkriege war die internationale Staatengemeinschaft dann bereit, sich auf ein umfassendes Kriegsverbot zu verständigen. Art. 2 Ziff. 4 der Charta der Vereinten Nationen verbietet nicht nur den Krieg, sondern geht darüber sogar noch hinaus, indem er universell nicht nur die Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen der Staaten verbietet, sondern auch die Androhung von Gewalt. Die Einsicht, daß der Weltfrieden und die internationale Sicherheit nur auf der Grundlage eines universellen Gewaltverbotes zu erreichen sein werden, hatte sich endlich die Bahn gebrochen, zumindest theoretisch. Konkretisiert wurde das umfassende Gewaltverbot von der Generalversammlung der Vereinten Nationen durch die „ Friendly Relations Declaration" aus dem Jahre 197061 und die Erklärung über die Definition der Aggression aus dem Jahre 1974.62 Die Hauptverantwortung für die Überwachung der Einhaltung des Gewaltverbotes und die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit hat die Charta der Vereinten Nationen dem Sicherheitsrat zugewiesen. Besondere Verantwortung tragen in dieser Hinsicht die mit einem so genannten „Vetorecht" ausgestatteten fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Auch wenn der Sicherheitsrat durch die Ost-West-Konfrontation für die meiste Zeit seiner Existenz paralysiert war und seiner Rolle als Wahrer des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nur unzureichend, wenn überhaupt gerecht wurde, so läßt sich doch nicht leugnen, daß das System der kollektiven Sicherheit der Charta in den nunmehr fast 60 Jahren seiner Existenz den Ausbruch einer militärischen Auseinandersetzung vom Ausmaß eines Weltkrieges verhindern konnte. Vom universellen Gewaltverbot gibt es zwei Ausnahmen. Erstens kann der Sicherheitsrat zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, oder zu deren Wiederherstellung, „wirksame Kollektivmaßnahmen treffen ", also unter anderem auch den Einsatz militärischer Gewalt autorisieren. Auf der Grundlage einer einschlägigen Sicherheitsratsresolution kann Gewalt in den internationalen Beziehungen eingesetzt werden. Die andere Ausnahme ist in Art. 51 niedergelegt, in dem es heißt: „Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit er(Hrsg.), Völkerrecht, 3. neubearb. Aufl., Berlin 2004, S. 593. UN Doc. A/RES/2625 (XXV) vom 24.10.1970. 62 UN Doc. A/RES/3314 (XXIX) vom 14.12.1974. 61

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forderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder zur Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält." Falls also ein Mitgliedstaat Opfer eines bewaffneten Angriffs wird, oder ein solcher Angriff unmittelbar und unzweifelhaft bevorsteht, so kann dieser Staat sich verteidigen, also seinerseits Gewalt anwenden. Die von einem angegriffenen Staat ergriffenen Gewaltmaßnahmen muß dieser Staat sofort dem Sicherheitsrat anzeigen. Das Recht zur Selbstverteidigung endet, wenn der Sicherheitsrat eigene Maßnahmen trifft. Das immerwährende Recht des Sicherheitsrates, Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu ergreifen, wird durch das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 der Charta in keiner Weise berührt, geschweige denn eingeschränkt. 3.3.1. Rechtliche Geltung und politische Bedeutung des Gewaltverbotes Auch wenn in den vergangenen fast 60 Jahren seit der Existenz des universellen Gewaltverbotes der Charta Art. 2 Ziff. 4 immer wieder verletzt wurde, so unternahmen Staaten, denen ein Bruch der Charta, insbesondere ihres Art. 2 Ziff. 4 vorgeworfen wurde, doch große Anstrengungen ihre Gewaltanwendung mittels einer juristischen Argumentation zu rechtfertigen, also unter eine der zwei Ausnahmetatbestände zu subsumieren. In der Folge des Irak-Feldzuges einer Koalition unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 2003, ist das Gewaltverbot und somit das System der kollektiven Sicherheit der Charta der Vereinten Nationen auch normativ in Frage gestellt worden. Vor dem Überfall auf den Irak in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003, erklärte der amerikanische Präsident George Bush am 17. März 2003, daß nachdem der Sicherheitsrat seiner Verantwortung nicht gerecht geworden sei, nun die Vereinigten Staaten ihre Verantwortung übernehmen würden. Er erklärte weiter: „The United States of America has the sovereign authority to use force in assuring its own national security. ... We are now acting because the risks of inaction would be far greater. In one year, or five years, the power of Iraq to inflict harm on all free nations would be multiplied many times over. ... We choose to meet that threat now, where it arises, before it can appear suddenly in our skies and our cities. ... (R)esponding to such enemies only after they have struck first is not self-defense, it is suicide." 63 Durch diesen ersten konkreten Anwendungsfall der Doktrin einer „präventiven Selbstverteidigung", die bereits in der nationalen Sicherheitsstrategie der USA formuliert wurde, wird die vermutliche Rechtfertigungsgrundlage für die Anwendung von Gewalt, Art. 51 der Charta, unzulässig überdehnt. Die Anwendung von Gewalt ist nur auf der Grundlage 63

Zitiert nach Bardo Fassbender, Die Gegenwartskrise (Fn. 54), S. 241, 249.

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eines Mandats des Sicherheitsrates oder im Falle eines bewaffneten Angriffs zulässig. Das Selbstverteidigungsrecht greift nach herrschender Meinung auch dann ein, wenn ein bewaffneter Angriff unmittelbar und unzweifelhaft bevorsteht. Ein bloßes Sich-Bedroht-Fühlen genügt hierfür nicht. Für die Anwendung von Gewalt im Falle des Angriffs auf den Irak im Jahre 2003 bestand demnach keine rechtliche Grundlage. Erst am 15. September 2004 erkläre Generalsekretär Kofi Annan hierzu: „I have indicated it was not in conformity with the UN Charter from our point of view, from the Charter point of view, it was illegal."64 Im Fall des Irak hat der Sicherheitsrat und das von der Charta vorgesehene System der kollektiven Sicherheit genauso funktioniert, wie es von den Gründungsvätern der Vereinten Nationen und den Verfassern der Charta vorgesehen war. Liegt kein Fall der Selbstverteidigung vor, so kann Gewalt in den internationalen Beziehung nur auf der Grundlage einer autorisierenden Resolution des Sicherheitsrates angewendet werden. Hierfür ist eine Mehrheit von 9 der 15 Stimmen erforderlich. Kommt diese Mehrheit nicht zustande, herrschen also Zweifel über die Bedrohung des Weltfriedens oder die internationale Sicherheit durch einen Staat, wird eine Gewaltanwendung nicht autorisiert. Es gilt der Grundsatz: im Zweifel keine Gewaltanwendung. Konsequenterweise hat der „High-level-Panel" in seinem Bericht auch keine Erweiterung des Anwendungsbereiches von Art. 51 der Charta vorgeschlagen.65 Wird die rechtliche Geltung des universellen Gewaltverbotes des Art. 2 Ziff. 4 der Charta in Frage gestellt, dann droht der Zusammenbruch des Systems der kollektiven Sicherheit der Charta. Die Erreichung des Hauptziels der Vereinten Nationen des Art. 1 Ziff. 1 der Charta, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, wäre dann nicht mehr möglich und es droht mithin ein Rückfall in die völkerrechtliche Situation vor den beiden Weltkriegen. Jede Regierung sollte sich im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Ziff. 4 der Charta die Frage stellen, ob dies in ihrem wohlverstandenen nationalen Interesse sein kann. 4. Die Aufgaben der Vereinten Nationen im neuen Jahrtausend Nach dem Krisenjahr, welches die Vereinten Nationen 2004 durchleben mußten, geprägt vom Krieg im Irak, der zu einer bislang schwer vorstellbaren Konfrontation der „westlichen" Staaten in den politischen Organen der Organisation fährte, und geschüttelt von vielen anderen Krisen, muß der Blick nun nach vorne gerichtet werden. Das Jahr 2005 könnte sich aus längerfristiger Perspektive als ein entscheidendes Jahr für die Vereinten Nationen herausstellen. Fünf Jahre nach der Millenniumserklärung der Generalversammlung galt es, beim Weltgipfel 2005 eine kritische Bestandsaufnahme der erreichten Fortschritte seitdem vorzunehmen. Das galt insbesondere für die Bewertung der auf dem Weg zur Erreichung der „Millennium Development Goals" bislang zurückgelegten Strecke. Mit 64

Zitiert nach den „Morning Headlines for Thursday, Pressesprechers der Vereinten Nationen Frederic Eckhard. 65 United Nations, A More Secure World (Fn. 4), Ziff. 192.

16 September 2004" des

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dem Bericht des „High-level Panels" lag eine fundierte Blaupause für eine Reform der Organisation und für eine Neuausrichtung der Anstrengungen auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor. Auch wenn die Abschlußresolution des Weltgipfels von 2005 weit hinter den hohen Erwartungen zurückblieb und im September 2005 sicherlich eine Riesenchance vergeben wurde, enthalten die Vorgaben der Staats- und Regierungschefs doch wichtige Impulse und Vorgaben für den Weg der Vereinten Nationen in die Zukunft. Der 1945 geschaffene Rahmen der Vereinten Nationen, die Charta, hat sich als flexibel genug erwiesen, auch künftig seiner Rolle als „Verfassung" der internationalen Staatengemeinschaft zu erfüllen. Die Aufgaben der Vereinten Nationen werden die gleichen bleiben, die Inhalte und die Umsetzung derselben werden den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden müssen. Die Hauptaufgabe der Vereinten Nationen wird auch weiterhin die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bleiben, so wie es in Art. 1 Ziff. 1 der Charta geschrieben steht. Von zentraler Wichtigkeit auf dem Weg in die Zukunft wird es sein, das bisher Erreichte zu erhalten. Hier denke ich insbesondere an die Erhaltung und Respektierung des universellen Gewaltverbotes des Art. 2 Ziff. 4 der Charta. Sollte diese Bestimmung relativiert oder ausgehöhlt werden, so ist der Zusammenbruch des von der Charta aufgestellten Systems der kollektiven Sicherheit nur noch eine Frage der Zeit. Alle Mitgliedstaaten, insbesondere die militärisch und wirtschaftlich mächtigen, müssen sich die Frage stellen, ob das in ihrem Interesse liegen kann. Die Antwort darauf ist meines Erachtens nicht besonders schwierig. Es macht nicht viel Sinn, auf eine grundlegende Reform des bestehenden institutionellen Rahmens der Organisation zu hoffen. Vielmehr gilt es, und das macht beispielsweise das „High-level Panel" mittels der eingangs zitierten 101. und letzten Empfehlung, die Mitgliedstaaten zu einer Rückbesinnung auf die Ziele und Grundsätze der Charta zu veranlassen und insbesondere die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates an ihre besondere, globale Verantwortung zu erinnern. Gelänge dies, wäre schon viel erreicht. Zusammen mit der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wird die internationale Zusammenarbeit „um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen" im Sinne des Art. 1 Ziff. 3 der Charta der Schlüssel zur Gestaltung des 21. Jahrhunderts sein. Ich denke hier insbesondere an die Entwicklungszusammenarbeit zur Erreichung der „ Millennium Development Goals " und hier in erster Linie an die Beseitigung extremer Armut und des Hungers und an die Bekämpfung von HIV/Aids und ähnlichen übertragbaren Krankheiten. Ohne die Erreichung dieser Ziele wird die Zukunft nicht zu gewinnen sein. Auch wenn es in der Abschlussresolution des Weltgipfels von 2005 nicht gelungen ist, die „Millennium Development Goals" rechtsverbindlich festzuschreiben, so wird doch an vielen Stellen darauf Bezug genommen. Und schließlich wird für die Gestaltung einer friedlichen, sicheren und von nachhaltiger Entwicklung geprägten Zukunft eine verstärkte Verrechtlichung der internationalen Beziehungen unerläßlich sein. Nur wenn

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die freundschaftlichen Beziehungen der Staaten auf der Herrschaft des Rechts basieren, wird es den Vereinten Nationen gelingen, auch im 21. Jahrhundert ihre Aufgaben zu erfüllen. Trotz aller diesbezüglicher Unzulänglichkeiten, die es in der fast 60 jährigen Geschichte der Vereinten Nationen natürlich auch gab, besteht Anlaß zur Hoffnung. Vielleicht ist die Menschheit lernfähiger als gemeinhin befurchtet, vielleicht liegen die besten Zeiten der Vereinten Nationen noch vor uns.

Kapitel 2

Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

Abrüstung Adolf von Wagner

1. Die Rolle der Abrüstung im System der Vereinten Nationen Die Gründerväter der Vereinten Nationen hatten gewiß nicht nur die Greuel des Zweiten Weltkrieges im Sinn, als sie in Artikel 26 der Charta der Vereinten Nationen1 ein System der Regelung von Rüstungen forderten. Sie werden auch bedacht haben, daß die Vorgängerorganisation, der Völkerbund, unter anderem an zu hochgesteckten Zielen gescheitert ist. In der Satzung des Völkerbunds war nämlich in Artikel 82 die Forderung nach Abrüstung und Rüstungsbegrenzung sehr viel ehrgeiziger, aber deshalb wahrscheinlich wirklichkeitsfern formuliert worden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hingegen ist gemäß Art. 26 UN-Charta nur sehr vage mit der Ausarbeitung von Plänen beauftragt. Das mag auch daran gelegen haben, daß die Ausgangssituation, aus der beide Organisationen entstanden sind, sich in einem entscheidenden Punkt deutlich unterschieden: Der Völkerbund ist nach einem Weltkrieg ins Leben gerufen worden, zu einem Zeitpunkt also, zu dem wegen des Krieges angehäufte Waffen überflüssig geworden waren. Die Charta der Vereinten Der Beitrag wurde vom Autor im Oktober 2004 abgeschlossen und 2005 durch weitere Literaturangaben ergänzt. 1 Artikel 26 UN Charta: „Um die Herstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit so zu fördern, daß von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird, ist der Sicherheitsrat beauftragt, mit Unterstützung des in Artikel 47 vorgesehenen Generalstabsausschusses Pläne auszuarbeiten, die den Mitgliedern der Vereinten Nationen zwecks Errichtung eines Systems der Rüstungsregelung vorzulegen sind." 2 Artikel 8 Völkerbundssatzung: Die Bundesmitglieder bekennen sich zu dem Grundsatz, daß die Aufrechterhaltung des Friedens eine Herabsetzung der nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß erfordert, das mit der nationalen Sicherheit und mit der Erzwingung internationaler Verpflichtungen durch gemeinschaftliches Vorgehen vereinbar ist. Der Rat entwirft unter Berücksichtigung der geographischen Lage und der besonderen Verhältnisse eines jeden Staates die Abrüstungspläne und unterbreitet sie den verschiedenen Regierungen zur Prüfung und Entscheidung. Von zenn zu zehn Jahren sind diese Pläne einer Nachprüfung und gegebenenfalls einer Berichtigung zu unterziehen. Die auf diese Weise festgesetzte Grenze der Rüstungen darf nach ihrer Annahme durch die verschiedenen Regierungen nicht ohne Zustimmung des Rates überschritten werden. Mit Rücksicht auf die schweren Bedenken gegen die private Herstellung von Munition oder Kriegsgerät beauftragen die Bundesmitglieder den Rat, auf Mittel gegen die daraus entspringenden schlimmen Folgen Bedacht zu nehmen, und zwar unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bundesmitglieder, die nicht in der Lage sind, selbst die für ihre Sicherheit erforderlichen Mengen an Munition und Krieggerät herzustellen. Die Bundesmitglieder übernehmen es, sich in der offensten und erschöpfendsten Weise gegenseitig jede Auskunft über den Stand ihre Rüstung, über ihr Heer-, Flotten- und Luftschiffahrtsprogramm und über die Lage ihrer auf Kriegszwecke einstellbaren Industrien zukommen zu lassen.

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Nationen ist noch während des Krieges ausgearbeitet worden, und die Gründungskonferenz in San Francisco (April - Juni 1945) fand noch vor der japanischen Kapitulation statt, zu einem Zeitpunkt also, zu dem Waffen zur Niederwerfung des Feindes durchaus noch benötigt wurden. Aber selbst der bescheidenen Aufgabe, „ein System der Regelung der Rüstungen" auszuarbeiten, ist der UN-Sicherheitsrat, mit der wichtigen Ausnahme der Irak-Resolutionen in den Jahren 1991 und 2002, nie wirklich nachgekommen. Zwar haben die Vereinten Nationen immer wieder wortreiche Anläufe unternommen und unterschiedliche Gremien mit der Ausarbeitung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträgen beauftragt, aber, wie Helmut Volger nachweist, können konkrete Verhandlungen über Abrüstung in kleineren, bi- und multilateralen Gruppierungen, die meist nur lose oder gar nicht mit den Vereinten Nationen verbunden sind, mit größerer Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden. Hier liegen Ergebnisse vor, die im einzelnen noch behandelt werden. 1.1. Die Kompetenzen der einzelnen UN-Organe und Gremien im Abrüstungsbereich Zunächst jedoch sollen die satzungsgemäßen Instrumente betrachtet werden, mit denen die Vereinten Nationen die ihnen übertragenen oder selbst gestellten Aufgaben der Friedenssicherung und damit auch der Abrüstung erfüllen sollen. Die Generalversammlung, in der alle UN-Mitglieder vertreten sind, hat keine exekutiven Befugnisse. Sie kann Empfehlungen und Ratschläge beschließen, die politisches Gewicht und Einfluß auf die Meinungsbildung in den Mitgliedstaaten haben, aber letztlich für den betroffenen Staat oder die betroffene Staatengruppe rechtlich nicht verbindlich sind4. Schon aus diesem Grund können von der Generalversammlung keine konkreten Abrüstungsmaßnahmen erwartet werden. Hinzu kommt, daß die Generalversammlung in hohem Maße politisiert ist, d. h. die Bindung des einzelnen nationalen Delegierten an die außenpolitischen Leitlinien der Regierung, die er vertritt, ist meist sehr eng. Die Praxis hat gezeigt, daß eine gewisse pragmatische Flexibilität oder ein taktischer Manövrierraum - beides unerläßlich in ernsthaften Verhandlungen - bei den Delegierten der Generalversammlung meist nicht unterstellt werden kann. Der Sicherheitsrat, das Exekutivorgan der Vereinten Nationen, wäre von seiner Größe (15 Mitglieder) und seiner Zusammensetzung her durchaus für ernsthafte Vertragsverhandlungen über Abrüstungsschritte geeignet. Die Tatsache jedoch, daß die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder über ein Vetorecht verfügen, diskriminiert die nicht-ständigen Mitglieder 3 4

Helmut Volger, Die Vereinten Nationen, München/Wien 1994, S. 105

Vgl. insbesondere Art. 11 Ziff. 1 UN-Charta: „Die Generalversammlung kann sich mit den allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit einschließlich der Grundsätze für die Abrüstung und Rüstungsregelung befassen und in bezug auf diese Grundsätze Empfehlungen an die Mitglieder oder den Sicherheitsrat oder an beide richten."

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in einer Weise, die ausgewogene Ergebnisse über lange Jahre nicht zuließ. Die ständigen Ratsmitglieder hatten nämlich lange Zeit kein großes Interesse an abrüstungspolitischen Beschlüssen des Rats. Erst mit der Irak-Krise, zunächst ausgelöst durch den irakischen Überfall auf Kuwait 1990/91, und insbesondere später, nach dem 11. September 2001, gelang es dem Sicherheitsrat - wegen der Vermutung, Irak besitze oder strebe nach Massenvernichtungswaffen - Resolutionen mit eindeutig rüstungskontrollpolitischem Inhalt zu verabschieden. 1.1.1. Die Abrüstungskommission Die Abrüstungskommission ist über mehrere Umwege 5 aus dem Dilemma entstanden, daß die beiden genannten, für Abrüstungsregelungen in Betracht kommenden UN-Organe - Generalversammlung und Sicherheitsrat - sich als dafür nicht geeignet erwiesen. Außerdem sollte für Verhandlungen über konkrete Abrüstungsschritte ein Gremium mit einem etwas geringerem politischen Gewicht gebildet werden, das rüstungskontrollpolitische Kompromisse, ausgehandelt zwischen den beiden Supermächten, zum Ausgangspunkt für Erörterungen nehmen konnte, ohne dafür ein mehrheitlich beschlossenes Mandat der UN-Generalversammlung abwarten zu müssen. Andererseits war es jedoch notwendig, ein Organ zu schaffen, in dem alle Mitgliedstaaten gleichberechtigt an der Erörterung grundsätzlicher Probleme teilnehmen konnten, wie es, zum Beispiel, das Programm für die allgemeine und vollständige Abrüstung war. Damit jedoch wurde die Abrüstungskommission mit den selben Schwierigkeiten belastet, unter denen die Generalversammlung schon immer litt, zumal häufig die selben Delegierten in beiden Organen sitzen. Die Abrüstungskommission konnte deshalb das Dilemma, aus dem sie entstanden war, nicht lösen. 1.1.2. Die Abrüstungskonferenz Diese Konstellation führte dann dazu, daß weitere Verhandlungsgremien, z. T. auf Initiative der UN, z. T. auf Initiative der damaligen Supermächte, außerhalb der Vereinten Nationen gebildet wurden. So entstand - nach mehrmaligen Umwandlungen - die Abrüstungskonferenz in Genf, aus der mehrere bedeutende Abrüstungs- und Rüstungskontrollübereinkommen hervorgegangen sind. Insgesamt gesehen sind die Vereinten Nationen jedoch der satzungsgemäßen Verantwortung des Sicherheitsrates, Pläne für ein Rüstungskontrollsystem vorzulegen, nur unzulänglich gerecht geworden.6 Dennoch sind fast alle Rüstungskontroll- oder Abrüstungsverträge sowie damit in Verbindung stehende Ergänzungen, wie zum Beispiel die Absprachen über Rüstungsexportkontrollen, mit den Vereinten Nationen vielfältig verbunden. Diese Verbindungen rechtfertigen es, nunmehr auf 5

Helmut Volger, Die Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 103ff. Zu einem ähnlichen Schluß kommt auch Bruno Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, München/Oxford 1994, S. 428: „In practice, the SC has not fulfilled the tasks assigned to it by Art. 26." 6

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die jeweiligen Rüstungskontroll- und Abrüstungsübereinkommen im einzelnen einzugehen und die ergänzenden Verträge und Absprachen zumindest zu streifen. Im Jahre 1959 - inmitten des Kalten Krieges, dessen Frontstellungen bis dahin alle Bemühungen um Abrüstungs- oder Rüstungskontrollverhandlungen vereitelt hatten - einigten sich die Regierungen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion darauf, einen zunächst Zehn-, später Achtzehn-Mächte-^brüstungsausschuß in Genf ins Leben zu rufen. Dieser Ausschuß, der abwechselnd von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion geleitet wurde, gehörte nicht zur UN-Familie, dennoch waren die dort geführten Verhandlungen, an denen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR als Nicht-UN-Mitglieder nicht beteiligt waren, stets auch ein Thema in der UN-Generalversammlung und in der Abrüstungskommission. 2. Der Nichtverbreitungsvertrag ( N W ) Dem Achtzehn- Mächte-Abrüstungsausschuß, dem je fünf Mitglieder aus dem Ost- und dem Westblock und acht blockungebundene Mitglieder angehörten, gelang es, das Übereinkommen über die Nichtverbreitung von Kernwaffen - kurz Nichtverbreitungsvertrag (NW) - auszuhandeln, das am 1. Juli 1968 in Kraft trat. Dieser Erfolg konnte seinerzeit jedoch nur gelingen, weil der Vertrag den Kernwaffenmächten das Privileg des Kernwaffenbesitzes reservierte und nur allen anderen, d. h. den Nicht-Kernwaffenstaaten, den Erwerb und die Herstellung von Kernwaffen verbot. Es war - wie ein Delegierter eines Staates aus der Gruppe der Blockfreien in den Verhandlungen in Genf ausrief - ein Vertrag zwischen Alkoholikern, die anderen das Saufen verbieten. Der N W - wie gesagt nur lose mit den Vereinten Nationen verbunden - hat dennoch nahezu weltweite Gültigkeit erlangt und Wirkung erzielt. Die Spekulation sei erlaubt: Ohne den Vertrag wäre wohl die weitere Verbreitung von Kernwaffen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum aufzuhalten gewesen. An der Wirksamkeit des N W hat die zur UN-Familie gehörende Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO)7 erhebliches Verdienst. Artikel III des Nichtverbreitungsvertrages beauftragt diese ursprünglich zur Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie gegründete, weltweite Organisation in Wien damit, die im Rahmen des NVV vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten auszufuhren. Sie hat das bis heute mit großer Umsicht und Effektivität getan8. Verkürzt gesagt geht es für die IAEO darum festzustellen, ob spaltbares Material für Zwecke, die nach dem Nichtverbreitungsvertrag verboten sind, hergestellt 7

Vgl. Marc Schattenmann, IAEA - Internationale Atomenergie-Organisation, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S.245-246. 8 Vgl Information Circular 153 der Internationalen Atomenergie Organisation vom Juni 1972 „The Structure and Content of Agreements between the Agency and States Required in Connection with the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons", http://f40.iaea.org/worldatom/Documents/Infcircs/Others/infl53.shtml.

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oder aus dem Bereich der friedlichen - und damit erlaubten - Nutzung abgezweigt wurde. Als Hilfsinstrument wirkt im Rahmen der IAEO ein Ausschuß, der sog. Zangger-Ausschuß, der die Materialien und Ausrüstungen definiert, die bei Transfers im Empfängerstaat unter IAEO-Sicherungsmaßnahmen stehen müssen. Ein zusätzliches Hilfsinstrument, das ursprünglich unabhängig von der IAEO auf Initiative einiger Staaten gegründet, dann aber in den Schoß der IAEO überfuhrt wurde, sind die Richtlinien fiir den Export von Kernmaterial, nuklearen Ausrüstungsgegenständen und nuklearer Technologie9 von 1978.

Mit diesen Richtlinien, die keinen völkerrechtlichen Vertrag darstellen, verpflichten sich die teilnehmenden Staaten, die genannten Exportgegenstände nur dann auszuführen, wenn der Empfängerstaat Partei des Nichtverbreitungsvertrages ist und die entsprechenden IAEO-Kontrollen akzeptiert oder anderweitig gewährleistet ist, daß die Exportgegenstände nicht NW-widrigen Zwecken dienen können. Inzwischen wenden mehr als vierzig Nuklearmaterial und -ausrüstungen exportierende Staaten diese Richtlinien an. 2.1. Die Ausnahmen: Nukleare Weiterverbreitung Dieses Geflecht von multilateralen Vorschriften und einseitig freiwillig übernommenen Verpflichtungen, das dem Ziel der Nichtverbreitung von Kernwaffen dient, konnte jedoch nicht verhindern, daß Fälle von tatsächlicher oder vermuteter nuklearer Weiterverbreitung (Proliferation) aufgetreten sind. Es waren in erster Linie diese Fälle, welche die politische und institutionelle Nähe des nuklearen Nichtverbreitungsgeflechts mit den zuständigen Gremien der Vereinten Nationen, insbesondere mit dem Sicherheitsrat, veranschaulichen. Sonderfalle sind dabei diejenigen, bei denen es sich um Staaten handelt, die gar nicht Parteien des Nichtverbreitungsvertrages sind, folglich sich nicht vertragswidrig verhalten können. Dennoch haben diese Staaten - es handelt sich um Israel, Indien und Pakistan - wegen der nuklearen Gefahr, die von ihnen ausgeht oder ausgehen könnte und die sie von anderen Nichtparteien - z. Zt. wenigstens - unterscheidet, die Vereinten Nationen - sowohl die Generalversammlung wie den Sicherheitsrat - beschäftigt. Bemühungen, Israel zum Beitritt zum N W zu bewegen, sind stets an dem Argument gescheitert, daß die Sicherheitslage in der Region dies nicht gestatte, hauptsächlich aber daran, daß sich die USA wegen ihres politischen Sonderverhältnisses zu Israel nur halbherzig an diesen Bemühungen beteiligten. Da Israel jegliche öffentliche Erklärung darüber vermeidet, ob es Kernwaffen hat oder nicht, gibt es keinen offiziellen Beweis für einen Kernwaffenbesitz Israels, zumal die IAEO keine Handhabe hat, 9

Vgl. Information Circular 254 der Internationalen Atomenergie Organisation „Communication Received from Certain Member States Regarding Guidelines for the Export o f Nuclear Material, Equipment or Technology", vom Februar 1978, www.iaea.org/Publications/Documents/Infcircs/Others/infcirc254.shtml.

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dort umfassende Sicherungsmaßnahmen, d. h. den gesamten Brennstoffkreislauf erfassende Kontrollen durchzuführen. Anders ist die Lage bei Indien und Pakistan. Beide haben Nuklearsprengkörper getestet. Beide behaupten, sie seien bereit, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten, wenn das vertraglich festgelegte Datum dergestalt geändert würde, daß sie von der Definition „Kernwaffenstaat" 10 erfaßt würden, d. h. wenn sie innerhalb des N W die selben Privilegien genießen würden, wie die USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und China. Da keine Aussicht besteht, daß eine solche Regelung die notwendige politische Mehrheit findet, werden Indien und Pakistan als De-factoKernwaffenstaaten außerhalb des Nichtverbreitungssystems bleiben. Bei dieser Sachlage konzentrieren sich die Bemühungen der Abrüstungsabteilung des UN-Sekretariats darauf, die politischen Voraussetzungen und ein sicherheitspolitisches Klima zu schaffen, die es beiden Staaten ermöglichen, wenigstens einem umfassenden Verbot von Nuklearversuchen beizutreten (s.u. Seite 109). Aber auch hier ist noch ein weiter Weg zu gehen. Es steht zu hoffen, daß sich die politischen Verhältnisse in der Region so entwickeln, daß die Kernwaffen, die sich dort gegenüberstehen, obsolet werden - unter ganz anderen Bedingungen und von einer anderen Ausgangsbasis aus, d. h. ohne je Kernwaffen besessen zu haben, haben Argentinien und Brasilien vorgemacht, wie es gehen kann. Die Wandlung vom nuklearverdächtigten „Saulus" zum nichtverbreitungsbereiten „Paulus" hat Libyen jüngst eindrucksvoll vorgemacht. Die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) ist 1985 dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten und hat entsprechende Sicherungsmaßnahmen der IAEO akzeptiert. Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts kamen Zweifel auf am vertragsgemäßen Verhalten Nordkoreas. Das Land erschwerte IAEO-Kontrollen, nachdem die Inspektoren heimliche Nuklearprojekte entdeckt hatten. Bilaterale (US) und multilaterale Bemühungen - beide im übrigen nicht gut vorbereitet und durchdacht - , Nordkorea von unerwünschten Nuklearprogrammen abzubringen, indem dem energiearmen Land zivile Kernkraftwerke versprochen und während deren Bauzeit 500 000 Tonnen Schweröl pro Jahr zugesagt wurden, gewährten einige Jahre eine sehr teure Atempause. Am 25. Oktober 2002 erklärte Nordkorea, ein Recht auf Atomwaffen zu haben. Im November 2002 schaltete sich die IAEO mit einer Resolution ein, in der Nordkorea aufgefordert wurde, sein Nuklearprogramm in verifizierbarer Weise aufzugeben, was Nordkorea zurückwies. Am 9. Januar 2003 kündigte es seinen Rückzug aus dem NV-Vertrag an, d. h., Nordkorea erklärte, es wolle von der Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen", Gebrauch machen. 10

Vgl. Artikel IX, Abs. 3 N W : „This Treaty shall enter into force after its ratification by the States, the Governments of which are designated Depositories of the Treaty, and forty other States signatory to this Treaty and the deposit of their instruments of ratification. For purposes of this Treaty, a nuclear weapon State is one which has manufactured and exploded a nuclear weapon or other nuclear explosive device prior to January 1, 1967." 11 Vgl. Artikel X, Abs. 1 NVV: „Each Party shall in exercising its national sovereignty have the right to withdraw from the Treaty if it decides that extraordinary events, related to the subject matter of this Treaty, have jeopardized the supreme interests of its country. It

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Vor diesem Hintergrund hat die IAEO im Februar 2003 dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen berichtet, Nordkorea halte seine vertraglichen Verpflichtungen, Sicherungsmaßnahmen der IAEO zuzulassen, nicht mehr ein. Am 9. April 2003 hat sich der Sicherheitsrat zum ersten Mal mit der drohenden Kündigung des N W durch Nordkorea befaßt. Die Krise ist zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags noch nicht beigelegt. Diplomatische Bemühungen der Volksrepublik China und der Vereinigten Staaten, trilateral Lösungen zu finden, waren bislang ebenso erfolglos, wie sechsseitige Verhandlungen unter zusätzlicher Einbeziehung von Rußland, Südkorea und Japan. Dennoch gehen die Anstrengungen weiter mit dem Ziel, Nordkorea zur verifizierbaren Aufgabe seiner Nuklearwaffenambitionen und zur Rückkehr zum internationalen Nichtverbreitungsregime zu bewegen. 3. Die Abrüstungsbemühungen der Kernwaffenstaaten Die unterschiedliche Stellung, die der Nichtverbreitungsvertrag für Kernwaffenstaaten einerseits und Nicht-Kernwaffenstaaten andererseits festschreibt, bietet allen Kritikern des Vertrages die Hauptangriffsfläche. Zwar sieht der Vertrag in seinem Artikel VI12 vor, daß alle Parteien sich verpflichten, Verhandlungen zur Beendigung des nuklearen Rüstungswettlaufs und über nukleare Abrüstung zu führen, tatsächlich jedoch sind aus der Sicht der Nicht-Kernwaffenstaaten die eigentlichen Adressaten dieser vertraglichen Verpflichtung - die Kernwaffenstaaten - diesem Gebot nie in ausreichendem Umfang nachgekommen. Dennoch sind einige Ansätze zu Verhandlungen zwischen Kernwaffenstaaten vorhanden, die sowohl in den Gremien der Vereinten Nationen wie in den alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen zum N W hervorgehoben wurden. 3.1. Begrenzung der strategischen und substrategischen Waffen Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts begannen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion Verhandlungen über die Begrenzung ihrer strategischen Rüstungen (Strategie Arms Limitation Talks - SALT), die schließlich in das erste (1991) und zweite (1993) Abkommen über die Reduzierung und Begrenzung offensiver strategischer Waffen (Treaty on Reduetion and Limitation of Strategie Offensive Arms - START I und II) mündeten. Beide START-Verträge legten verbindliche Obergrenzen für strategische Waffensysteme fest und sahen auch entsprechende Verifizierungsmaßnahmen vor.

shall give notice of such withdrawal to all other Parties to the Treaty and to the United Nations Security Council three months in advance. Such notice shall include a statement of the extraordinary events it regards as having jeopardized its supreme interests." 12 Article VI N V V : „Each of the Parties to the Treaty undertakes to pursue negotiations in good faith on effective measures relating to cessation o f the nuclear arms race at an early date and to nuclear disarmament, and on a treaty on general and complete disarmament under strict and effective international control."

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START I, das eine Verringerung der strategischen nuklearen Gefechtsköpfe auf jeweils 8500 vorsah, ist vollständig implementiert worden. START II jedoch wurde vom US-Senat nicht ratifiziert und ist deshalb und weil auch die UdSSR vom Vertrag zurückgetreten ist, nie in Kraft getreten. Das Nachfolgeabkommen, der Moskauer Vertrag über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen, unterzeichnet am 24. Mai 2002, enthält lediglich Höchstgrenzen, wonach beide Seiten bis zum 31. Dezember 2012 ihre strategischen nuklearen Gefechtsköpfe auf 1700 bis 2200 reduziert haben müssen. Regelungen, wann und in welchen Schritten innerhalb der vorgegebenen Frist von rund zehn Jahren reduziert werden muß, insbesondere aber wie die Reduzierung stattzufinden hat, sind in dem Moskauer Vertrag nicht enthalten. Es gibt keine Regeln für die Zählung der Waffen und auch keine Verifikationsregelungen. Letzteres ist aus der Sicht der Nicht-Kernwaffenstaaten besonders gravierend, weil nicht die Vernichtung der Waffen, sondern eine als „dauernd und irreversibel" bezeichnete Außerdienststellung der Waffen im Vertrag als ausreichende Reduzierungsmaßnahme erklärt wird. Um der Kritik der Nicht-Kernwaffenstaaten, die Kernwaffenstaaten ignorierten die Forderung des Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags, entgegen zu kommen, sind die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion beziehungsweise später die Russische Föderation übereingekommen, auch die sog. substrategischen Nuklearwaffenn jeweils einseitig und freiwillig zu reduzieren. Auf amerikanischer Seite ist diese Abmachung bis 1993 insofern verwirklicht worden, als im Vergleich zu dem Ende der achtziger Jahre die Nuklearwaffen der drei Kernwaffenstaaten innerhalb der NATO (USA, Großbritannien und Frankreich) um 85 % verringert wurden. Auf russischer Seite sollten bis zum Ende 2000 rund zwei Drittel der substrategischen Nuklearwaffen abgerüstet sein. Eine Verifizierung beider Informationen über erfolgte Abrüstungsmaßnahmen ist jedoch wegen der rechtlichen Unverbindlichkeit der Maßnahmen nicht möglich. Um diesen Mangel zu beheben haben sich sowohl die Vorbereitungstreffen für die 2005 anstehende NVV-Überprüfungskonferenz wie auch der 1. Ausschuß (Sicherheit und Abrüstung) der UN-Generalversammlung im Jahre 2002 mit der Abrüstung und Verifizierung substrategischer Waffen ausfuhrlich beschäftigt. 3.2. Übereinkommen zum Verbot von Kernwaffenversuchen Andere Bemühungen, der Forderung des Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages gerecht zu werden, sind insbesondere in der Genfer Abrüstungskonferenz'4, der Conference on Disarmament (CD), unternommen worden. 13 Die Definition der substrategischen Nuklearwaffen ist international nicht bestimmt. Die Trennungslinie zwischen strategischen und substrategischen Nuklearwaffen dürfte bei 500 Kilometer Reichweite liegen. 14 Die Abrüstungskonferenz ist aus der Ersten Sondersitzung der Generalversammlung über Abrüstung 1978 hervorgegangen. Ihre Vorgängerorganisationen waren der Achtzehn-

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Ausgehend von der Überlegung, daß eine Weiterentwicklung von Kernwaffen nur dann möglich ist, wenn Kernwaffenversuche durchgeführt werden, bemühte sich die Abrüstungskonferenz, ein Übereinkommen zum Verbot von Kernwaffenversuchen auszuhandeln, mit dem Ziel wenigstens die Weiterentwicklung zu stoppen, wenn es schon nicht möglich war, die Waffen insgesamt zu verbieten. Diese Bemühungen führten 1963 schließlich zum Abschluß des Übereinkommens über ein begrenztes Verbot von Kernwaffenversuchen, das sich jedoch nur auf Versuche in der Atmosphäre, nicht aber auf unterirdische Versuche, bezog. Die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und Großbritannien hielten sich daran, Frankreich und China, die in der Technik der unterirdischen Nuklearversuche noch hinterherhinkten, testeten in der Atmosphäre weiter, Frankreich bis 1995. Das Ziel, die Weiterentwicklung von Kernwaffen zu stoppen, wurde von der von den beiden Supermächten entwickelten technischen Möglichkeit, unterirdische Nuklearversuche durchzufuhren, völlig unterlaufen. Ab 1993 bemühte sich die Abrüstungskonferenz deshalb, einen umfassenden, d. h. auch unterirdische Tests verbietenden Versuchsstopp auszuhandeln, was ihr auch gelang. Allerdings konnte in Genf die nach den dortigen Regeln notwendige Einstimmigkeit nicht erzielt werden, so daß mit einem Verfahrenstrick das Vertragswerk durch Resolution der Generalversammlung am 10. September 1996 angenommen wurde. Der Vertrag ist jedoch nicht in Kraft getreten, da noch einige der im Vertrag aufgeführten Staaten, deren Ratifikation für das Inkrafttreten erforderlich ist, ihn nicht ratifiziert haben.15 Dennoch entfaltet das Übereinkommen über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen eine bedeutende rüstungskontrollpolitische Wirkung. Da die fünf Kernwaffenstaaten nach dem Nichtverbreitungsvertrag das Übereinkommen über das Testverbot unterzeichnet haben, sind sie auch ohne Ratifikation völkerrechtlich gebunden, nichts gegen die Ziele des Vertrages zu unternehmen. Die durch den Vertrag geschaffene Vertragsorganisation Comprehensive Test Ban Treaty Organization - CTBTO in Wien strebt den Aufbau eines internationalen Überwachungssystems mit weltweit 321 Meßstationen an. Mit Hilfe dieses Überwachungssystems soll - in Ergänzung des Nichtverbreitungsvertrages - die technische Weiterentwicklung von Kernwaffen in Staaten, die schon solche Waffen besitzen, verhindert oder wenigstens erschwert werden. Nicht-Kernwaffenstaaten sollen dadurch vom Erwerb und der Herstellung solcher Waffen abgehalten werden. Mächte Abrüstungsausschuß und die Konferenz der Abrüstungskomitees. Die Abrüstungskonferenz ist ein multilaterales Verhandlungsforum für Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen. Sie besteht zur Zeit aus 66 Delegationen. Die Konferenz ist autonom in ihren sachlichen Entscheidungen, bestimmt ihre Tagesordnung und verfahrt nach eigenen Regeln. Sie wird jedoch aus dem Haushalt der Vereinten Nationen finanziert, wird vom LTN-Sekretariat in Genf verwaltet und empfängt Empfehlungen und Anregungen von der Generalversammlung, vom Sicherheitsrat und von der Abrüstungskommission. Sie berichtet jährlich an die Generalversammlung. 15 Zu den Staaten, die nicht ratifiziert haben, deren Ratifikation aber zum Inkrafttreten erforderlich ist, gehören u.a. China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan, USA.

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Diese tatsächlichen oder erhofften Wirkungen eines umfassenden Versuchsverbots können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, daß auch hier bis zum Inkrafttreten des völkerrechtlich verbindlichen Vertrages die Abrüstungsforderung des Artikel VI N W nicht gebührend beachtet wurde. 3.3. Vertrag zur Beendigung der Spaltmaterialproduktion für Waffenzwecke (Cut-Off-Vertrag) Eine weitere Anstrengung, die an die Kernwaffenstaaten gerichtete Forderung nach nuklearer Abrüstung wenigstens teilweise zu erfüllen, wurde und wird mit den Verhandlungen über ein Übereinkommen über ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material für Waffenzwecke (Fissile Material Cut-Off Treaty - FMCT) in der Genfer Abrüstungskonferenz unternommen. Ziel dieser Bemühungen ist, durch das „Abschneiden" (Cut-Off) des Materialnachschubs für Kernsprengkörper die Zahl der Kernwaffen zu begrenzen. Bereits auf der ersten Abrüstungssonderkonferenz der UN-Generalversammlung 1978 war man sich einig, daß ein solcher Cut-Off-Vertrag eine sinnvolle Ergänzung des Nichtverbreitungsvertrages und einen Beitrag zur Erfüllung des Artikel VI dieses Vertrages darstellen könnte. Zwei bislang ungelöste Streitpunkte haben jedoch bis heute den Abschluß eines Cut-Off- Vertrages verhindert. Zum einen fordern die NichtKernwaffenstaaten, nicht nur die künftige Produktion von spaltbarem Material zu Waffenzwecken, sondern auch die vorhandenen Bestände in den Händen der Kernwaffenstaaten in den Vertrag einzubeziehen, was letztere rigoros ablehnen. Zum anderen hat sich innerhalb der Genfer Abrüstungskonferenz dadurch eine Blockade entwickelt, daß China den Cut-Off-Verhandlungsbeginn an gleichzeitige Verhandlungen über Rüstungskontrolle im Weltraum koppeln möchte, was wiederum von den Vereinigten Staaten nicht akzeptiert wird. Diese Blockade lähmt die Abrüstungskonferenz nun schon seit 1998, obwohl inzwischen neben der Relevanz eines Cut-OffVertrages für die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen auch dessen Bedeutung unter dem Aspekt der Terrorismusbekämpfung erkannt wurde. Die in einem Übereinkommen über ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material für Waffenzwecke vorgesehenen Kontroll- und Verifikationsregeln sowie die beabsichtigte Verpflichtung, sowohl für Kernwie für Nicht-Kernwaffenstaaten, den Endverbleib von Nuklearmaterial nachzuweisen, würde auch im Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung eine bessere Kontrolle des weltweit vorhandenen spaltbaren Materials gewährleisten. Die Aussichten, die Blockade der Abrüstungskonferenz in dieser Frage zu überwinden, stimmen nicht optimistisch. Dennoch hat auch dieses bislang vergebliche Ringen um Cut-Off-Verhandlungen positive Folgen gezeitigt: die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Rußland haben jeweils ein einseitiges Produktionsmoratorium verkündet, China scheint sich dem de facto angeschlossen zu haben.

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4. Kernwaffenfreie Zonen Als wichtige Unterstützung und wertvolle Ergänzung des Nichtverbreitungsregimes sind in verschiedenen Weltregionen kernwaffenfreie Zonen ausgehandelt und eingeführt worden. Die Abrüstungskommission der Vereinten Nationen hat dazu 1993 ein Richtliniendokument - Guidelines and recommendations for the regional approaches to disarmament within the context of global security - einstimmig verabschiedet. Ziel solcher kernwaffenfreien Zonen ist es, die sicherheitspolitische Stabilität durch die völlige Abwesenheit von Kernwaffen im Vertragsgebiet zu fordern. Ferner sind kernwaffenfreie Zonen die einzigen Gebiete, denen die Kernwaffenstaaten in rechtlich bindender Form garantieren, daß gegen die Staaten in der Zone keine Kernwaffen eingesetzt werden (sog. negative Sicherheitsgarantien). Kernwaffenfreie Zonen wurden bisher eingeführt durch den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika und der Karibik von 1967 (Vertrag von Tlatelolco), durch den Vertrag über die nuklearfreie Zone Südpazifik von 1985 (Vertrag von Rarotonga), durch den Vertrag über die Kernwaffenfreie Zone Südostasien von 1995 (Vertrag von Bangkok) und durch den Vertrag über die Kernwaffenfreie Zone Afrika von 1996 (Vertrag von Pelindaba). Durch diese Verträge sind 107 Staaten Mitglieder von kernwaffenfreien Zonen. Die Bemühungen der fünf zentralasiatischen Staaten, die früher Teilrepubliken der Sowjetunion waren, Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan, eine neue kernwaffenfreie Zone zu bilden, scheiterten trotz tatkräftiger Unterstützung durch das Sekretariat der Vereinten Nationen bislang an der Formulierung der negativen Sicherheitsgarantien, die die fünf Kernwaffenstaaten nicht akzeptieren wollten oder konnten. Zum Nichtverbreitungsvertrag kann man zusammenfassend feststellen, daß er nach wie vor einen Eckpfeiler der internationalen Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik darstellt. Die in fünfjährigem Abstand erfolgenden Überprüfungskonferenzen bieten eine wichtige Chance, alte Defizite erneut anzuprangern und neue zu entdecken, ebenso wie das NV-Regime insgesamt weiter zu entwikkeln. Die Überprüfungskonferenzen stellen aber auch ein Risiko insofern dar, als frustrierte Hoffnungen und Erwartungen seitens der ungebundenen Staaten, z. B. bezüglich etwaiger Abrüstungsbemühungen der Kernwaffenstaaten, auf unnachgiebige Forderungen seitens der Industrieländer nach zusätzlichen Exportkontrollen und nach noch weiter eingeschränktem Technologietransfer aufeinander prallen. Die Staatengemeinschaft wird sorgfältig darauf achten müssen, daß solche Erschütterungen den Eckpfeiler NV-Vertrag nicht ins Wanken bringen. Es wäre von entscheidender Bedeutung, im Rahmen der Vereinten Nationen einen neuen strategischen Konsens zu erreichen, um künftigen Proliferationsgefahren vorzubeugen, sie rechtzeitig zu orten und sie wirksam zu bekämpfen. Dabei wird es darauf ankommen, nicht nur Maßnahmen zu ergreifen, um zu kontrollieren, zu beschränken und zu unterbinden, sondern auch

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solche, die den Ursachen der Proliferation gerecht werden. Bemühungen, zwischenstaatliches Vertrauen zu bilden und praktische Abrüstungszusammenarbeit anzubieten, müssen die restriktiven Maßnahmen ergänzen, damit im Rahmen der Vereinten Nationen eine universelle Koalition zur Bewältigung der Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts erreicht werden kann. In Wirklichkeit sind die Vereinten Nationen von solchen Visionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiter entfernt als je zuvor. Die Überprüfungskonferenz zum NV-Vertrag 2005 hat in einem völligen Chaos16 geendet. Die Kernwaffenstaaten, allen voran die USA, haben sich strikt geweigert, auch nur ein Wort über Abrüstungsverpflichtungen aus dem Vertrag zu verlieren. Sie sind damit deutlich hinter den Zusagen, die sie auf der vorangegangenen Überprüfungskonferenz 2000 gegeben haben, zurück geblieben. Die Blockfreien Staaten haben daraufhin jegliche Weiterentwicklung des Non-Proliferations-Regimes verweigert, obwohl nicht zu verkennen ist, daß gerade sie, vor allem in Regionen mit erhöhtem Sicherheitsrisiko, von schärferen Exportkontrollen, besseren Sicherungsmaßnahmen durch die Internationale Atomenergie-Organisation etc. profitieren würden . Sucht man nach Gründen für diese ungünstige Entwicklung, so kann man - wie fast immer in solchen Fällen - nur in einem Geflecht politischer Umstände, wie sie ausgangs des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts sich entwickelt haben, fundig werden. Die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten von Amerika als einzige Supermacht übrig geblieben sind, erzeugt für sie auf der einen Seite und für alle anderen Staaten auf der anderen Seite ein bislang nicht gekanntes Spannungsfeld zwischen Hegemonialstatus und Völkerrecht. Man mag es bedauern, aber die Welt wird sich daran gewöhnen müssen, daß ein Hegemonialstaat seine eigenen, ausschließlich auf sich selbst bezogenen Auslegungen internationaler und multilateraler Verpflichtungen trifft und verwirklicht und daß er davon ausgeht, daß für alle anderen andere Regeln gelten als für ihn. Für diese Annahme gibt es bereits mehrere Belege, und die Staatsrechtsund Völkerrechtslehre werden sich über das bisherige Maß hinaus mit diesem Phänomen auseinandersetzen müssen.17 Nach der anfanglichen internationalen Empörung ob der indischen und pakistanischen Nuklearexplosionen hat sich die Lage recht bald beruhigt. Beide Staaten genießen weiterhin ein hohes politisches Ansehen, Pakistan wegen seiner strategischen Lage, Indien wegen seiner boomartig aufblühenden Wirtschaft, beide aber vielleicht auch deshalb, weil sie nun zu 16 Vgl. Harald Müller: Vertrag im Zerfall? Die gescheiterte Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags und ihre Folgen, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK-Report 4/2005. 17 Vgl. Alexandra Kemmerer, Den Grenzen auf den Grund gehen, in: Internationale Politik 60 (2005), H. 9, S. 112ff. und die dort angeführte Literatur, insbesondere Nico Krisch, International Law in Times o f Hegemony. Unequal Power and Shaping o f the International Legal Order, in: EJIL 16 (2005) Nr. 3; Thilo Maraun (Hrsg.), Recht, Politik und Rechtspolitik in den internationalen Beziehungen, Tübingen 2005; Jeremy A. Rabkin, Law without Nations? Why Constitutional Government Requires Sovereign States, Princeton/Oxford 2005; Jack Goldsmith/Eric A. Posner, The Limits o f International Law, Oxford/New York 2005; Lothar Rühl, Das Recht des Guten, Machtpolitik und globale Strategie Amerikas, Stuttgart 2005.

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dem erlesenen Kreis der De-facto- Nuklearmächte gehören. Wenn dem so sein sollte, wird auch anderen Staaten ein derartiges nukleares Face-Lifting durchaus erstrebenswert vorkommen Das internationale Gerangel um die angeblichen oder tatsächlichen Atomprogramme des Iran und Nordkoreas - Fälle, die in der Sache ganz unterschiedlich liegen - hat den politischen und völkerrechtlichen Wert des NV-Vertrags gewiß nicht erhöht. Iran, auch Partei des NV-Vertrags, fordert nicht mehr und nicht weniger als das, was allen Parteien des NVVertrags zusteht, nämlich die Nutzung der Kernenergietechnologie zu friedlichen Zwecken. Daß diesem Anspruch des Iran politische Zweifel begegnen, ob das iranische Programm zur zivilen Kernenergienutzung tatsächlich so friedlich ist, wie vorgegeben wird, ist nicht zu bestreiten. Diese Zweifel sollten dann aber an der Stelle anhängig gemacht und verifiziert werden, die dafür eingerichtet wurde, nämlich der IAEO. Die Zweifel dadurch auszuräumen, daß dem Iran die Entwicklung eines Teils des Brennstoffkreislaufs verboten werden soll, entwertet den NV-Vertrag und erschüttert die Glaubwürdigkeit des Vertrages, der seinen Parteien die friedliche Nutzung der gesamten Nukleartechnologie garantiert. Nordkorea, nicht mehr Partei des NV-Vertrags, aber möglicherweise im Besitz vertragswidrig erworbener Kernsprengkörper, wird in den sog Sechser-Gesprächen diplomatisch umworben und es werden ihm Wirtschafts- und Finanzhilfen in Aussicht gestellt, nur damit es wieder aufgibt, was es vermutlich unter Bruch des Völkerrechts erworben hat. Wenn der Bruch des NV-Vertrags derart belohnt wird, muß es für andere verlockend sein, es den Nordkoreanern gleich zu machen und durch politischen Poker um Kernwaffen Vergünstigungen zu erreichen. Dies sind nur drei politische Entwicklungen, die dem NV-Vertrag zu Beginn des 21. Jahrhunderts hart zusetzen, seinen Wert mindern, seine Glaubwürdigkeit untergraben und dadurch seine Attraktivität entscheidend herabsetzen. Man wird diese Entwicklungen nicht ohne weiteres korrigieren können, aber man muß sie in ihrer Wirkung erkennen, um angemessen und umsichtig darauf reagieren zu können. Nur dann wird es gelingen, die Erosion dieses wichtigen sicherheitspolitischen Instruments zu verhindern oder doch wenigstens zu verlangsamen. 5. Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen (BWÜ) Bereits die von der UN-Generalversammlung eingesetzten Vorgängergremien der Abrüstungskonferenz - das „Eighteen-Nation Committee on Disarmament" und die „ Conference of the Committee on Disarmament" haben über ein Verbot biologischer Waffen verhandelt und 1972 das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (BWÜ) zuwege gebracht, das 1975 in Kraft getreten ist. Dieses BWÜ enthält ein umfassendes Verbot biologischer Waffen, aber keine detaillierten Verifikationsvorschriften, die die Einhaltung des Vertrages gewährleisten.

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Nachdem es 1993 gelungen war, durch einen völkerrechtlichen Vertrag chemische Waffen zu verbieten und den Vertrag mit einem sehr scharfen Kontrollregime zu bewehren, setzten verstärkte Bemühungen der Abrüstungskonferenz ein, durch ein ergänzendes Protokoll auch das BWÜ mit einem Verifikationsregime auszustatten. Zähe, mühselige Verhandlungen, die sich durch sechs Jahre quälten, scheiterten 2001 an Vorbehalten der Vereinigten Staaten. Sie machten geltend, die mit dem Zusatzprotokoll angestrebte Transparenz und die darin vorgesehenen Inspektionen, wann immer ein Staat den Verdacht hat, ein anderer habe Ge- oder Verbote des Vertrages verletzt, bedeuteten keinen Zugewinn an nationaler Sicherheit und gefährdeten im biotechnologischen Bereich die Vertraulichkeit wissenschaftlicher Forschung und wirtschaftlichen Know-hows. Unter diesen Umständen - d. h. ohne die USA - wollte kein anderer wichtiger Staat das Zusatzprotokoll annehmen, dennoch gingen die Bemühungen weiter. Ende 2002 gelang es, unter Einbeziehung der Vereinigten Staaten, einen Kompromiß zu erzielen, der es ermöglicht, den multilateralen Verhandlungsprozeß über relevante Ergänzungen des BWÜ 18 in den Jahren 2003 bis 2005 wieder aufzunehmen. 6. Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen (CWÜ) Das Verbot der dritten Kategorie von Massenvernichtungswaffen - das Verbot chemischer Waffen - hat die Genfer Abrüstungsgremien mehr als zwanzig Jahre lang beschäftigt. In Zeiten des Kalten Krieges standen sich die Positionen der beiden Blöcke unversöhnlich gegenüber. Die Delegationen der neutralen und ungebundenen Staaten beobachteten jahrein, jahraus desinteressiert oder frustriert den nahezu rituellen Schlagabtausch zwischen NATO-Delegationen und denen des Warschauer Paktes. Das änderte sich zu Beginn der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts: Das Ende des Kalten Krieges veränderte die Frontstellungen der verhandelnden Delegationen dergestalt, daß Ost und West als industrialisierte Staaten plötzlich ähnliche Verhandlungspositionen einnahmen. Die Neutralen und Ungebundenen sahen sich zu ihrer Überraschung gezwungen, ihre eigenen Verhandlungsinteressen zu definieren und einzubringen. In der Sache hatte der erste Golfkrieg zwischen Irak und Iran gezeigt, welch grauenhafte Folgen der Einsatz chemischer Waffen vor allem auf die wehrlose Zivilbevölkerung hat. Der zweite Golfkrieg 1991 wies nach, daß der Besitz chemischer Waffen, die auf beiden Seiten vorhanden waren, den Ausbruch der Kampfhandlungen nicht verhindern und die irakische 18

Vorgesehene Verhandlungsgegenstände sind: Annahme von nationalen Maßnahmen, z.B. im Strafrecht, zur Implementierung der Verbotsbestimmungen des BWÜ (2003), Nationale Maßnahmen zur Stärkung des Schutzes relevanter biologischer Agenzien und Toxine (2003), Stärkung der internationalen Fähigkeiten zur Untersuchung von vermutetem BWaffeneinsatz und verdächtigen Ausbrüchen von Krankheiten (2004), Stärkung und Ausweitung internationaler Anstrengungen und Fähigkeiten für die Überwachung, Erkennung, Diagnose und Bekämpfung von menschlichen, tierischen und pflanzlichen Infektionskrankheiten (2004), Erarbeitung eines Verhaltenskodexes für Wissenschaftler.

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Niederlage nicht abwenden konnte. Beide Golfkriege belegten, daß der Besitz chemischer Waffen weder den Frieden sichern noch den Sieg herbeiführen kann; chemische Waffen erwiesen sich als untaugliche Kriegswaffen. Die veränderte Verhandlungssituation und die Lehren aus den Golfkriegen ließen Anfang der neunziger Jahre die Hoffnung aufkommen, es könne doch noch gelingen, ein „ Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen", kurz Chemiewaffen-Übereinkommen (CWÜ), im Rahmen der Abrüstungskonferenz auszuhandeln. Amerikanisch-russisches Einvernehmen, verstärkter Druck seitens der Regierungen auf ihre in Genf verhandelnden Delegationen, geduldige Einbeziehung der Delegationen der Dritten Welt in das Verhandlungsgeschehen und in die Verhandlungsmaterie, die ihnen während der Verhandlungsblockade fremd geblieben waren, ermöglichten letztendlich den Verhandlungserfolg. Wesentliche Charakteristika des CWÜ sind, daß es - anders als der Nichtverbreitungsvertrag - alle Vertragsparteien gleich behandelt und daß - anders als im BWÜ - alle Verbotstatbestände und das Vernichtungsgebot von einer unabhängigen internationalen Behörde, die der Vertrag eigens dafür schafft, überwacht und kontrolliert werden. Diese Inspektionsund Verifikationsregeln, die tief in die jeweiligen einheimischen chemischen Industrien eingreifen und - aus subjektiver, staatlicher Sicht - empfindlich die nationalen Sicherheits- und Souveränitätsbedürfnisse berühren, stellten die Haupthindernisse in den Verhandlungen der letzten beiden Jahre (1991/92) 19 dar. Für die Genfer Abrüstungskonferenz und für die Vereinten Nationen, an die das CWÜ nach Abschluß der Verhandlungen im Herbst 1992 zur Annahme überwiesen wurde, stellt dieser Vertrag den bislang letzten großen Verhandlungserfolg dar. Im Januar 1993 fand in Paris die Unterzeichnungskonferenz statt; das Übereinkommen ist dann 1997 in Kraft getreten. 20 Inzwischen ist die Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag (Organization for the Prohibition of Chemical Weapons - OPCW), die mit ihrem Technischen Sekretariat die Einhaltung des Übereinkommens kontrolliert, gegründet worden, und 2003 hat die erste Überprüfungskonferenz stattgefunden. Insgesamt gesehen ist das Übereinkommen gut gestartet und hat die üblichen Anlaufschwierigkeiten weitgehend überwunden. Zwei Probleme werden aber auch in der voraussehbaren Zukunft die Implementierung des CWÜ belasten: Es stellte sich schon beim Inkrafttreten des Übereinkommens heraus, daß einige der Chemiewaffenbesitzer unter den Staaten nicht in der Lage sein werden, ihre chemischen Waffen und deren Produktionsanlagen in der Frist zu vernichten, beziehungsweise zu konvertieren, die das Ubereinkommen in Artikel IV und V vorschreibt. Die Überprü19

Vgl. Joachim Badelt, Chemische Kriegsführung - Chemische Abrüstung, Berlin 1994. Vgl. Walter Krutzsch, Ralf Trapp, A Commentary on the Chemical Weapons Convention, Dordrecht/Boston/London 1994.

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fungskonferenz trug dem dadurch Rechnung, daß sie die Frist in Übereinstimmung mit dem Vertrag verlängerte. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob dies angesichts der gewaltigen technischen und ökologischen Schwierigkeiten und der sehr hohen Kosten - die Vernichtung der Waffen ist etwa zehnmal teurer als ihre Herstellung - ausreichen wird. Das zweite große Problem besteht darin, daß einige Interpreten Artikel II, Absatz 9 (d) in Verbindung mit anderen Vorschriften des CWÜ so auslegen, daß nicht tödlich wirkende Chemikalien generell nicht unter die Verbote des CWÜ fallen21. Eine solche Auslegung birgt das große Risiko, daß unter dem Deckmantel nicht tödlich wirkender chemischer Agenzien eine neue Generation chemischer Waffen entsteht, die bei dieser Fehlinterpretation nicht vom CWÜ erfaßt wird. Eine solche Entwicklung wird nicht nur die Aufmerksamkeit der OPCW, sondern auch die Wachsamkeit der für Frieden und Sicherheit zuständigen Organe der Vereinten Nationen erfordern. Um die Gefahr auszuschalten, daß die Vertragsziele des CWÜ nicht voll erreicht werden, muß die OPCW wachsam darauf achten, daß die Inspektions- und Verifikationsregeln peinlich genau beachtet werden, daß die Immunität des Kontrollapparates in vollem Umfang gewahrt bleibt und daß ausreichende Mittel für Kontrollen in der chemischen Industrie bereitgestellt werden. Außerdem sollte die universelle Geltung des Übereinkommens ein ständiges Anliegen der Vereinten Nationen darstellen. Auch wenn über 150 Staaten dem CWÜ beigetreten sind und das Übereinkommen damit über 90 % der Weltbevölkerung erfaßt, 93 % der Erdoberfläche abdeckt und nahezu 99 % der chemischen Industrie der Welt davon betroffen sind, bleiben noch einige wichtige Staaten im mittleren und nahen Osten sowie Nordkorea dem CWÜ bislang fern. 7. Exportkontrollregime Ähnlich wie der nukleare Nichtverbreitungsvertrag durch die Richtlinien für den Export von Kernmaterial, nuklearen Ausrüstungsgegenständen und nuklearer Technologie ergänzt wird, werden das Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen und das Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen durch ein Kontrollregime vervollständigt, das den Export von Chemikalien, Agenzien, Ausrüstungen und Technologien kontrolliert, die einerseits zivilen Zwecken dienen können, die aber auch zur Herstellung von chemischen oder biologischen Waffen nutzbar sind. Dieses Exportkontrollregime, das bezüglich der chemischen Exportgüter schon 1984, nach dem ersten Golfkrieg, entstanden ist, wurde 1992 um die biologische Komponente erweitert. Das Regime wurde seiner Zeit auf

21

Am Rande der ersten Überprüfiingskonferenz des CW-Übereinkommens, die vom 28. April bis 9. Mai 2003 in Den Haag stattfand, hat es in einer Expertenrunde am 1. Mai 2003 eine intensive Auseinandersetzung über diese Frage gegeben. Das Wortprotokoll dieser Runde ist vom Harvard Sussex Program on CBW Armament and Arms Limitation mit dem Titel „Open Forum on the Chemical Weapons Convention - Challenges to the Chemical Weapons Ban" im März 2004 herausgegeben worden, www.sussex.ac.uk/Units/spru/hsp/OpenForumCWC.pdf.

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australische Initiative ins Leben gerufen und heißt seitdem kurz „Australische Gruppe". Massenvernichtungswaffen, nukleare, biologische oder chemische, werden in moderner Kriegsfuhrung mittels Raketen ins Ziel gebracht. Das hat dazu gefuhrt, daß in der rüstungskontrollpolitischen Diskussion Raketen und Massenvernichtungswaffen meist in einem Zusammenhang gesehen werden und waffenfähige Raketen zum Ziel rüstungskontrollpolitischer Bemühungen wurden. Zunächst haben die sieben größten Industrienationen (G7) das Missile Technology Control Regime (MTCR) im Jahre 1987 gegründet, um durch Exportkontrollen die Verbreitung nuklearfähiger Raketentechnologie zu verhindern. Wie die anderen Exportkontrollregime ist auch das MTCR kein völkerrechtlicher Vertrag sondern eine Abmachung Gleichgesinnter, die auf Grund einer Technischen Liste die Weitergabe von Waren und Technologien kontrollieren, wenn diese zur Herstellung von Raketen dienen könnten, die ihrerseits zum Transport von Massenvernichtungswaffen - das ursprünglich nukleare Kriterium wurde also erweitert - geeignet sind. Versagte Exportgenehmigungen werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, allen anderen Regimeteilnehmern, inzwischen umfaßt das Regime 33 Exportländer, mitgeteilt. Der „ Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen " vom Jahr 2002 stellt einen Versuch dar, das MTCR weiter zu entwickeln. Bislang befinden sich diese Bemühungen noch in der Anfangsphase, aber sie haben dazu geführt, daß sich die Vereinten Nationen der Raketenproblematik mit verstärkter Aufmerksamkeit zuwandten. 22 Diese Exportkontrollregime, die mit Rüstungskontrollverträgen verbunden sind, haben in dem jeweiligen Vertrag als Gegenstück zur Ausfuhrkontrolle die Verpflichtung, mindestens aber die Bereitschaft, anderen Vertragsparteien Ausrüstungen und Technologie kommerziell zu übertragen, wenn sichergestellt ist, daß ein derartiger Technologietransfer unter keinen Umständen zu vertragswidrigen Zwecken mißbraucht wird, sei es beim Erstempfänger, sei es im Falle des Re-Exports. Dieser Aspekt, der mit den Exportkontrollregimen eng verknüpft ist, geriet nach dem 11. September 2001 und den damit verbundenen Terrorismusbefürchtungen mehr und mehr in Vergessenheit. Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen mißt jedoch dem Technologietransfer in den Bereichen, in denen nationale Technologieentwicklungen durch Rüstungskontrollverträge verboten oder erschwert wurden, höchste Bedeutung bei. Bei und unmittelbar nach den Verhandlungen über das ChemiewaffenÜbereinkommen haben zahlreiche Vertreter von neutralen und ungebundenen Staaten ihre Bereitschaft, den Vertrag zu unterzeichnen, mit der Er-

22

Vgl. United Nations - General Assembly, The issue of missiles in all its aspects. Report of the Secretary-General, 23 July 2002, U N Doc. A/57/229, auch veröffentlicht als Broschüre mit dem gleichen Titel vom U N Department for Disarmament Affairs (Disarmament Study Series No. 29), U N Publications Sales Number 03.IX.3, N e w York 2003.

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Wartung verbunden, daß insbesondere Artikel XI Abs. 2 (c) CWÜ23 eine fai re Umsetzung erfahrt, was ihnen auch zugesichert wurde. In diesem Zusammenhang versicherte die Australische Gruppe, daß sie zugunsten derjenigen Staaten, die ihre Vertragsverpflichtungen in vollem Umfange erfüllen, Exportbeschränkungen überprüfen werde mit dem Ziel, sie für diese Staaten zu beseitigen. Damals wurde der Begriff der kooperativen Rüstungskontrolle geprägt, der die Zukunft gehören sollte. In der Praxis ist es gewiß schwierig, staatliche und private Zusicherungen des Wohlverhaltens im Falle eines Technologietransfers beim Empfänger zu überwachen. Einfacher ist es in den meisten Fällen, den Transfer insgesamt zu verweigern. Übersehen wird dabei, daß ein verweigerter Transfer zum illegalen Erwerb der gewünschten Technologie anspornt. Wenn der gelingt, ist das Exportkontrollregime untergraben, die ursprünglich verweigerte Technologie befindet sich unkontrolliert beim Empfänger und stellt so ein Sicherheitsrisiko dar, das durch den Rüstungskontrollvertrag gerade vermieden werden sollte. 8. Abrüstung konventioneller Waffen 8.1. Übereinkommen über das Verbot bestimmter konventioneller Waffen (UN-Waffenübereinkommen) In nur einem Fall haben die Vereinten Nationen selbst die Initiative übernommen und durch eine Resolution der Generalversammlung eine Verhandlungskonferenz eingesetzt, die ausschließlich zu dem Zweck, ein Rüstungskontrollübereinkommen auszuhandeln, ins Leben gerufen wurde: Mit Resolution 32/152 hat die Generalversammlung am 19. Dezember 1977 beschlossen, „1979 eine Konferenz der Vereinten Nationen einzuberufen, auf der Übereinkünfte über das Verbot oder die Einschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, einschließlich Waffen, bei denen man unter Berücksichtigung humanitärer und militärischer Erwägungen davon ausgehen kann, daß sie unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken, sowie über die Frage eines Systems der periodischen Prüfung dieser Angelegenheit erzielt werden und auf der weitere Vorschläge behandelt werden sollen." Dieses umständlich formulierte Mandat führte im Oktober 1980 zur Annahme des Übereinkommens über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, das drei Jahre später in Kraft getreten ist. Dem Mandat der Vereinten Nationen entsprechend unterstreicht das Übereinkommen, daß kriegführende Parteien beim Einsatz ihrer Waffen auch humanitäre Aspekte berücksichtigen müssen. 23

Artikel XI, Abs. 2 CWU: „Subject to the provisions o f this Convention and without prejudice to the principles and applicable rules of international law, the States Parties shall: ... (c) Not maintain among themselves any restrictions, including those in any international agreements, incompatible with the obligations undertaken under this Convention, which would restrict or impede trade and the development and promotion o f scientific and technological knowledge in the field of chemistry for industrial, agricultural, research, medical, pharmaceutical or other peaceful purposes;..."

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Das Übereinkommen besteht aus dem Rahmenvertrag und vier ergänzenden Protokollen: Protokoll I über im menschlichen Körper nicht entdeckbare Splitter, Protokoll II über Minen, Sprengfallen und ähnliche Vorrichtungen, Protokoll III über Brandwaffen und Protokoll IV über blind machende Laserwaffen. Ein fünftes Protokoll über explosive Kampfmittelrückstände und Munition, die von Kampfverbänden zurückgelassen werden, ist am 27. und 28. November 2003 in Genf abgeschlossen worden. Das Protokoll stellt eine Mischung aus rechtlich und politisch verbindlichen Regelungen dar. Rechtlich verbindliche Regelungen beziehen sich auf Abhilfemaßnahmen nach Beendigung eines Konflikts, um die Gefährdungen durch explosive Kampfmittelrückstände zu vermindern, so z. B. Kennzeichnung gefährdeter Gebiete und deren Räumung von explosiven Kampfmittelrückständen. Bei Altlasten sollen die Vertragsstaaten bei deren Beseitigung zusammenarbeiten. Völkerrechtlich unverbindlich, aber dennoch politisch bindend sollen verschiedene vorbeugende Maßnahmen sein (Aufzeichnungs- und Informationsverpflichtungen, Warntätigkeit, Förderung des Gefährdungsbewußtseins etc.). Dieses UN-Waffenübereinkommen und seine Zusatzprotokolle werden nicht als klassischer Rüstungskontrollvertrag betrachtet, zumal ihm jegliche Verifikationsmöglichkeiten fehlen, so daß ihm das Defizit der Unüberprüfbarkeit anhaftet. Das hat auch dazu gefuhrt, daß in kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre mit Sicherheit Waffen eingesetzt wurden, die nach dem VN-Waffenübereinkommen nicht hätten verwendet werden dürfen. 8.2. UN-Waffenregister Dennoch sollte der Vertrag nicht unterschätzt werden, nicht nur, weil es der einzige ist, der unmittelbar auf Initiative der Vereinten Nationen ausgehandelt und ins Werk gesetzt wurde, sondern auch, weil er interessante Folgeerscheinungen zeitigte: Am 9. Dezember 1991 beschloß die UN-Generalversammlung, Ein- und Ausfuhren von konventionellen Waffen in einem UN-Waffenregister, das am Sitz der Vereinten Nationen in New York eingerichtet werden sollte, aufzulisten. Die UN-Mitgliedstaaten wurden damit aufgefordert, ihre Waffenim- und -exporte alljährlich dem Generalsekretär zu melden, wobei folgende Waffenkategorien erfaßt werden: Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, großkalibrige Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge, Angriffshubschrauber, Kriegsschiffe und Raketen und Raketenstartsysteme. Die Staaten sollten außerdem dem Register freiwillig Daten über nationale Waffenbestände und über Beschaffungen aus nationaler Produktion in diesen sieben Kategorien übermitteln sowie Informationen über ihre politischen Leitlinien, rechtlichen Bestimmungen und Verwaltungsabläufe für die Ein- und Ausfuhr von Waffen zur Verfugung stellen. Immerhin haben rund 130 Staaten Daten geliefert, was angesichts der sicherheitspolitischen Relevanz solcher Daten erstaunlich ist. Gewiß können die einzelnen Angaben nicht überprüft werden, sie dürften aber dennoch Vertrauen zwischen den Staaten, vor allem zwischen Nachbarstaa-

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ten, bilden und verstärken und durch mehr Transparenz einen rüstungskontrollpolitischen Effekt erzielen. 8.3. Rüstungskontrolle bei Kleinwaffen Kleinwaffen und leichte Kriegswaffen24 sind erst seit etwa 1995 von internationalen Rüstungskontrollüberlegungen erfaßt worden, obwohl in zahlreichen internen und externen bewaffneten Konflikten während der vergangenen Jahrzehnte mehr Menschen durch Kleinwaffen ums Leben kamen als durch Waffen anderer Kategorien. Dies beruht nicht zuletzt darauf, daß diese Waffen, ursprünglich als Kriegswaffen zur Verwendung durch Streitkräfte konzipiert, von Zivilisten leicht erworben und eingesetzt werden können. Sie können auch von Kindern leicht bedient werden und spielen auch außerhalb militärischer Auseinandersetzungen eine außerordentlich gefahrliche Rolle. Angesichts dieser Erkenntnisse beschloß die UN-Generalversammlung im Dezember 1999, eine Konferenz zu Fragen des illegalen Handels mit Kleinwaffen abzuhalten, die am 21. Juli 2001 nach ungewöhnlich zähen Verhandlungen mit der Verabschiedung eines Aktionsprogramms (UN Doc. A/CONF.192/15 vom 20. Juli 2001) zu Ende ging. Dieses Aktionsprogramm enthält zahlreiche Empfehlungen für eine allgemeine Markierungspflicht für Kleinwaffen und leichte Kriegswaffen, für eine Kontrolle der Ausfuhren solcher Waffen und für den Umgang mit sog. Überschußwaffen, d. h. Waffen, die in den Streitkräften nicht mehr gebraucht werden. In Ergänzung dazu hat die UN-Generalversammlung im Dezember 2003 eine Resolution verabschiedet, wonach eine Arbeitsgruppe ein internationales Instrument zur Kennzeichnung und Nachverfolgung von Kleinwaffen und leichten Kriegswaffen erarbeiten soll. Die darüber hinaus gehenden Empfehlungen richten sich an die teilnehmenden Staaten oder an Regionen. Es bleibt daher den Adressaten überlassen, die Empfehlungen umzusetzen oder nicht. Eine Kontrolle darüber besteht lediglich darin, daß alle zwei Jahre ein Treffen stattfinden soll, das den Vollzug der Empfehlungen überprüfen soll. 8.4. Ottawa-Übereinkommen über Minen Aus Protokoll II des UN-Waffenübereinkommens über Minen, das nur langsam und in sehr begrenztem Umfang die Verwendung von Antipersonenminen einschränken sollte, ist auf Umwegen, nach der im April 1996 durchgeführten Überprüfungskonferenz für das UN-Waffenüberein24

Kleinwaffen sind Kriegswaffen, die für die Verwendung des einzelnen Angehörigen der Streit- oder Sicherheitskräfte vorgesehen sind, z.B. Revolver, Selbstladepistolen, Gewehre, Karabiner, Maschinenpistolen, Sturmgewehre und leichte Maschinengewehre. Leichte Kriegswaffen sind Kriegswaffen, die durch die Verwendung durch mehrere, als Mannschaft zusammenarbeitende Angehörige der Streit- oder Sicherheitskräfte vorgesehen sind, z.B. schwere Maschinengewehre,, leichte, unter dem Lauf angebrachte sowie schwere Granatenabschußgeräte, tragbare Flugabwehrkanonen, Leichtgeschütze, tragbare Abschußgeräte für Panzerabwehrraketen und -raketensysteme, tragbare Abschußgeräte für Flugabwehrraketensysteme und Mörser mit einem Kaliber von unter 100 mm.

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kommen, innerhalb von weniger als zwei Jahren ein umfassendes Vertragswerk zur weltweiten Ächtung dieser grausamen, vor allem die Zivilbevölkerung gefährdenden Antipersonenminen hervorgegangen. Interessant erscheint schon die Entstehungsgeschichte: einige gleichgesinnte Delegationen fanden sich auf der Uberprüfungskonferenz für das UN-Waffenübereinkommen zusammen, die ein umfassendes Minenverbot anstrebten. Auf österreichische Initiative wurde ein Vorentwurf erstellt, den gleichgesinnten Staaten zur Prüfung zugeleitet und in kleinem Kreis beraten. NGOs wurden beteiligt, und zusammen kam man zu dem Schluß, daß ein derartiger Vorentwurf, sollte er in der Genfer Abrüstungskonferenz, die damals heillos zerstritten und dadurch völlig unflexibel war, verhandelt werden, nur zerredet, aber nicht unterschriftsreif zu Ende verhandelt würde. So bot sich eine von Kanada einberufene Strategiekonferenz im Oktober 1996 dafür an, die Frage eines umfassenden Minenverbots anhand des Vorentwurfs unter Regierungsvertretern zu diskutieren. Auf dieser Grundlage wurde Österreich erneut gebeten, zusammen mit anderen Gleichgesinnten einen vollständigen Übereinkommensentwurf zu erstellen. Dieser Entwurf gewann auf einer Serie von Expertentreffen und internationalen Zusammenkünften in Genf, Wien, Brüssel und Osjo im Laufe des Jahres 1997 an Gewicht und Zustimmung, so daß das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung (Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction), das am 18. September in Oslo angenommen worden war, Anfang Dezember 1997 in Ottawa von 122 Staaten unterzeichnet werden konnte. Dieses kurz „Ottawa-Übereinkommen" genannte Vertragswerk gilt sowohl wegen seiner kurzfristigen und effizienten Entstehung wie wegen seines umfassenden und anspruchsvollen Inhalts als großer, internationaler Erfolg: Die Ausfuhr von Antipersonenminen findet praktisch überhaupt nicht mehr statt. Zu Beginn der Verhandlungen über das OttawaÜbereinkommen wurden Antipersonenminen in 54 Staaten hergestellt. Zur Zeit gibt es nur noch rund zehn Herstellerstaaten. Etwa 50 Staaten haben ihre Bestände an Antipersonenminen völlig zerstört. Dieses positive Bild wird jedoch wesentlich dadurch getrübt, daß wichtige Staaten wie China, Rußland, Indien, Pakistan und die Vereinigten Staaten dem Übereinkommen bislang fern geblieben sind. Internationale Bemühungen, eine möglichst weltweite Anwendung des Übereinkommens zu erzielen, gehen jedoch weiter. 9. Probleme im System der Abrüstung in den Vereinten Nationen Das Ottawa-Übereinkommen stellt ein typisches Beispiel dafür dar, daß die internationale Staatengemeinschaft Mittel und (Aus)Wege sucht, um politische, auch rüstungskontrollpolitische Bedürfhisse außerhalb der herkömmlichen Institutionen und Organisationen zu befriedigen, wenn diese als Verhandlungsgremien nicht zur Verfügung stehen oder als nicht geeignet erachtet werden. Die seit rund zehn Jahren zu beobachtende Selbst-

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blockade der Genfer Abrüstungskonferenz hat dem Image dieses Gremiums als einzigem multilateralem Verhandlungsforum für Abrüstungsfragen gewiß Schaden zugefugt, ein Imageschaden, der sich aber auch auf die Vereinten Nationen und ihre zuständigen Organe auswirkt. Hier wird ein Dilemma der Vereinten Nationen sichtbar, für das es keine einfache, rasche Lösung gibt: Das erste Ziel der Vereinten Nationen ist, den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit aufrecht zu erhalten (Artikel 1, Absatz 1 der UN-Charta). Die Gründerstaaten sahen dies gewährleistet, wenn jedwede Angriffshandlung oder sonstiger Friedensbruch unterdrückt würde. Angriffshandlungen und Friedensbrüche konnten aus damaliger Sicht nur von Staaten ausgehen, die dafür staatlich organisiertes Militär mit staatlichen Rüstungen ins Feld führten. Gelänge es den Vereinten Nationen, diese nationalen Rüstungen international zu kontrollieren oder gar abzurüsten, wäre eine wichtige Voraussetzung für das Erreichen des ersten Ziels der UN gegeben. Diese einfache Friedensphilosophie scheint heute veraltet und nicht mehr gültig. Frieden und Sicherheit werden heute weniger durch internationale Kriege Staat gegen Staat gefährdet als durch bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb von Staaten, manchmal auch mit direkten Auswirkungen auf Territorien von Nachbarstaaten, ohne daß diese sich im Kriegszustand befinden müßten. Die meisten der heutigen Kriege oder Kriegchen (spanisch = guerrilla) werden häufig nur noch zur Verteidigung von staatlich kontrolliertem Militär geführt, Auslöser derartiger kriegerischen Auseinandersetzungen sind überwiegend bewaffnete Gruppierungen unterschiedlichster Art und Zielsetzung, von legitim erscheinenden Autonomiebestrebungen bis hin zum grenzenlosen Terrorismus. Diesem Phänomen, das heute Frieden und Sicherheit gefährdet, haben sich die Vereinten Nationen bislang nur zögerlich genähert. Ansätze dafür sind erkennbar in der schon erwähnten, bislang fruchtlosen Cut-Off-Diskussion, in den Verhandlungen über die Minenproblematik, deren Lösung außerhalb der UN gesucht und ansatzweise gefunden wurde, und vor allem in den noch jungen und unvollendeten Bemühungen, die unkontrollierte Verbreitung der Kleinwaffen und leichten Kriegswaffen in den Griff zu bekommen Vor diesem Hintergrund haben neue Überlegungen an Gewicht gewonnen, die das Ziel verfolgen, die Vereinten Nationen auch im einundzwanzigsten Jahrhundert als Dreh- und Angelpunkt für Fragen des Friedens und der Sicherheit attraktiv und möglichst unersetzbar zu erhalten. 9.1. Strukturreform des Ersten Ausschusses der UN-Generalversammlung „Die Wirksamkeit der Arbeitsweise des Ersten Ausschusses zu verbessern" ist der Titel der Resolution der Generalversammlung vom 8. Dezember 2003 (UN Doc. A/RES/58/41). Darin wird der Generalsekretär aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den Delegationen, Vorstellungen zur Verbesserung der Arbeitsmethoden des Ersten Ausschusses in einem Bericht zusammenzufassen und ihn der Generalversammlung zur Beratung zuzuleiten. Dieser Erste Ausschuß, der für „Abrüstung und internationale

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Sicherheit" zuständig ist, stellt das eigentliche Arbeitsforum der Vereinten Nationen für diese Fragen dar. Durch diesen Ausschuß gelangen alle zu diesem Themenbereich gehörenden Tagesordnungspunkte in die Generalversammlung. Eine Verbesserung der Arbeitsmethoden des Ausschusses könnte sich deshalb auch auf die Arbeit der Generalversammlung positiv auswirken. Verschiedene Delegationen, auch die deutsche, haben sich Gedanken gemacht, wie die antiquierten Rituale, nach dem der Erste Ausschuß - und die Generalversammlung! - arbeiten, modernisiert werden können. In diesem Rahmen wird zum Beispiel erwogen, den Vorsitzenden und seine Stellvertreter nicht erst zu Beginn der Sitzungsperiode des Ausschusses, sondern schon einige Monate zuvor zu bestimmen. Diesem kleinen Personenkreis könnte die Aufgabe übertragen werden, die eigentliche Sitzungsperiode so vorzubereiten, daß die bisher von Jahr zu Jahr weitergereichte Tagesordnung von Ballast befreit wird, d. h. zum Beispiel, daß überholte Resolutionsentwürfe gestrichen werden, daß Resolutionsentwürfe gleichen oder ähnlichen Inhalts zusammengefügt werden, daß aktuelle Themen, die in der überkommenen Tagesordnung nicht vorgesehen waren, aufgenommen werden. Eine solche Vorbereitung ermöglichte auch, die so aktualisierte Tagesordnung vorab den Delegationen zur Verfügung zu stellen, damit diese sich frühzeitig darauf einstellen und möglicherweise Experten zu bestimmten Punkten hinzuziehen können, was das Niveau der Aussprache erhöhen könnte. Der Vorsitzende und seine Stellvertreter könnten beauftragt werden, das Verfahren des Ausschusses und die Länge der einzelnen Sitzungsabschnitte vorab festzulegen - z. B. eine Woche allgemeine Aussprache, Sprechzeit pro Delegation höchstens 10 Minuten, drei Tage Diskussion bestimmter, ausgesuchter Themen unter Hinzuziehung von Sachverständigen, Wissenschaftlern, NGOs etc., danach Behandlung einer begrenzten Anzahl von Resolutionsentwürfen. All das klingt banal und fast selbstverständlich. In einem multilateralen Gremium jedoch, in dem jede Delegation eifersüchtig den eigenen verhandlungstaktischen und intellektuellen Besitzstand zu wahren versucht, ist jede auch noch so geringfügig anmutende Veränderung mit einer großen Kraftanstrengung und mit einem zeitaufwendigen Uberzeugungsakt verbunden. Dennoch bleibt zu hoffen, daß der Anstoß, den die Generalversammlung mit der erwähnten Resolution gegeben hat, aufgegriffen wird, daß mutige Vorschläge gemacht werden und daß die Delegationen im Ausschuß, die letztlich die Herren des Verfahrens sind, die Flexibilität aufbringen, die notwendig sein wird, um moderne, zeitgemäße Arbeitsmethoden einzuführen. Der Erste Ausschuß könnte dann zu einem Instrument der Vereinten Nationen werden, mit dem die Weltorganisation ihrem eigenen Anspruch im Hinblick auf Abrüstung, Rüstungskontrolle und internationaler Sicherheit, den sie sich in der Charta gesetzt hat, im einundzwanzigsten Jahrhundert eher gerecht werden kann.

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Die Tatsache, daß alle UN-Mitglieder darin vertreten sind, wird ihn daran hindern, aktiv Vertragstexte zu verhandeln, aber auf der Grundlage einer verbesserten Arbeitsfähigkeit könnte der Ausschuß innovativer als bisher Anstöße geben und Verhandlungsergebnisse von Verhandlungsgremien einfordern. Derartige Initiativen würden auch nicht mit den Kompetenzen des Sicherheitsrates kollidieren, im Gegenteil: Erster Ausschuß und Sicherheitsrat würden sich in diesem Bereich arbeitsteilig ergänzen, wenn der Sicherheitsrat sich auf die Überwachung der Implementierung von Abrüstungsgeboten - sei es solchen, die auf internationalen Verträgen beruhen, sei es solchen, die von Sicherheitsratsresolutionen gefordert werden konzentrierte. 10. Die Abrüstungspolitik des UN-Sicherheitsrats Was Abrüstung angeht, hat der Sicherheitsrat mit der Verabschiedung und Durchführung der Irak-Resolutionen (Resolution 687 vom 8. April 1991 und Resolution 1441 vom 8. November 2002) hat der Sicherheitsrat bemerkenswerte Beispiele fiir entschlossenes Handeln mit positiven Ergebnissen und für politisches Zaudern mit negativen Folgen gezeigt. Sicherheitsratsresolution 687 fordert u. a. uneingeschränkt die Vernichtung, Beseitigung oder Unbrauchbarmachung aller chemischen und biologischen Waffen und aller ballistischen Raketen mit einer Reichweite über 150 Kilometer sowie der jeweils dazu gehörigen Industrie- und Forschungseinrichtungen im Irak. Außerdem solle der Irak erklären, daß er die Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag einhält. Die Erfüllung dieser Forderungen werde ein Inspektionsteam der Vereinten Nationen (UNSCOM) überwachen. Daran schloß sich zunächst eine bis dahin einmalige Erfolgsgeschichte an. UNSCOM konnte die irakischen Kernwaffen und die dazu gehörigen Einrichtungen entdecken und vollständig zerstören. UNSCOM entdeckte chemische Waffen und Produktions- und Forschungseinrichtungen und konnte auch diese weitgehend zerstören. Ähnliches gelang in Bezug auf Raketen mit mehr als 150 Kilometer Reichweite und ihre Produktionsanlagen. Nicht so erfolgreich war UNSCOM bei der Entdeckung biologischer Waffen und der entsprechenden Industrieanlagen, offenbar weil hier die Möglichkeiten der Irreführung und des Versteckens leichter sind als in den anderen Bereichen. Anstatt hier und in anderen Zweifelsfällen mit aller Konsequenz und Deutlichkeit auf der Einhaltung der Forderungen der Resolution 687 zu bestehen und Durchsetzungsmaßnahmen nicht nur anzudrohen, sondern zu verwirklichen, ließ sich der Sicherheitsrat immer wieder auf die Verlängerung der Sanktionsfristen ein und verhandelte über die Erfüllung oder Nichterfüllung der Forderungen. Das so erfolgreich begonnene Kapitel aktiver Rüstungskontrolle und Abrüstung seitens des Sicherheitsrats gegenüber einem besiegten Aggressor endete schließlich 1998 mit dem unrühmlichen Abzug von UNSCOM aus dem Irak. Die Resolution des Sicherheitsrates 1441 (2002) stützt sich weitgehend auf die oben behandelte S/RES/687(1991), geht aber deutlich darüber hin-

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aus. Als Nachfolger von UNSCOM bildete der Sicherheitsrat die UNKommission für Überwachung, Verifizierung und Inspektion (United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission - UNMOVIC) und stellte ihr die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO) zur Seite. Die beiden Vorsitzenden dieser Organisationen und ein internationales Inspektorenteam sollten ungehinderten Zugang zu allen von ihnen gewünschten Einrichtungen haben und sich ungehindert informieren können. Als Ziel der Resolution wird die Vollendung des von Resolution S/RES/687(1991) geforderten Abrüstungsprozesses erklärt. Darüber hinaus fordert S/RES 1441(2002), der Irak solle innerhalb von 30 Tagen nach Annahme der Resolution eine exakte und umfassende Erklärung unter anderem über seine Entwicklungsprogramme für chemische, biologische und atomare Waffen, ballistische Raketen und andere Trägersysteme wie unbemannte Flugkörper und Streuungssysteme für Flugzeuge sowie über die Standorte dieser Waffen abgeben. Schließlich droht die Resolution mit „ernsten Folgen" („serious consequences"), sollte der Irak seinen Verpflichtungen nicht nachkommen. Auch die Tätigkeit von UNMOVIC und IAEO entwickelte sich zunächst zu einer Erfolgsgeschichte. Die Inspektoren konnten ein nie zuvor dagewesenes Verifikationsprogramm durchführen. Sie waren in der Lage, irakische Angaben vor Ort nachzuprüfen, sie konnten - nach Überwindung anfänglicher Widerstände - irakische Wissenschaftler und Waffenexperten frei befragen, sie konnten Inspektionsflüge durchführen. Die so von UNMOVIC und IAEO gewonnen Aufklärungen, wonach es keine Hinweise darauf gebe, daß der Irak die Forderungen der Vereinten Nationen mißachtet habe, sind nach Abbruch der Inspektionen im Februar 2003 weder durch politische, noch durch geheimdienstliche oder militärische Erkenntnisse in Zweifel gezogen oder gar widerlegt worden. Der Sicherheitsrat und mit ihm die Vereinten Nationen insgesamt dürften durch die multilateral abgestützte Tätigkeit von UNMOVIC und IAEO an Gewicht und Prestige gewonnen haben. Unilaterale Ungeduld und unilaterale Aktionen können nicht den Vereinten Nationen angelastet werden und dürften in der Rückwirkung nur die Bedeutung und die Vorteile multilateraler Anstrengungen im Bereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung unterstreichen, auch wenn sie mühevoller und langsamer sind. 11. Aktuelle Probleme beim Nichtverbreitungsregime Auf dieser Erkenntnis aufbauend und mit dem Ziel, vor allem sich selbst zusätzliche politische Bedeutung und erhöhtes praktisches Gewicht zu geben, hat der UN-Sicherheitsrat am 28. April 2004 Resolution 1540 angenommen, die die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen zum Ziel hat und sich dabei in erster Linie auf Handlungen von „nicht-staatlichen Akteuren" („non State actors") konzentriert. Der Begriff des „nicht-staatlichen Akteurs" tauchte erstmals auf in den Resolutionen des Sicherheitsrates 1267 und 1373, die nach dem 11. September 2001 mit heißer Nadel und geringer Sorgfalt „gestrickt" worden waren, ohne jedoch den Begriff zu definieren und ohne Bezug auf Probleme der Verbreitung von Waffen zu nehmen. Erst im Laufe des Jahres

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2003 hat sich die Staatengemeinschaft verstärkt mit der Frage beschäftigt, ob der UN-Sicherheitsrat mit dem ihm aufgetragenen Thema der Verbreitung beziehungsweise Nichtverbreitung von Waffen befaßt werden soll. Präsident Chirac und Bundeskanzler Schröder haben Anfang 2003 eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen, um Fragen der Nichtverbreitung erneut zu beraten. Den letzten Denkanstoß hat Präsident Bush in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung am 23. September 2003 gegeben, in der er eine Anti-Proliferations-Resolution des UN-Sicherheitsrates gefordert hat, die sich auf die strafrechtliche Erfassung bzw. Ahndung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in nationalen Gesetzen, auf die Anwendung strikter Exportkontrollen sowie auf die Sicherung von Materialien konzentrieren soll, die für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen geeignet sein könnten. 11.1. Resolution 1540 des Sicherheitsrats Das Ergebnis dieser Vorschläge ist Resolution 1540, die in den fünfzehn Monaten vor ihrer Annahme von verschiedenen ständigen und nicht-ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, auch von Deutschland, sorgfältig sondiert, verhandelt und voran getrieben wurde. Der Gedanke, den UN-Sicherheitsrat gerade in dieser Problematik der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen durch nicht-staatliche Akteure zu stärken, ist auch im Rahmen der Europäischen Union, ausgehend von einer deutsch-französischen Initiative zu Beginn des Jahres 2003, aufgegriffen worden und hat sich in verschiedenen europäischen Dokumenten niedergeschlagen.25 Es ist nicht auszuschließen, daß sich Resolution 1540 als Ausgangsbasis für eine tatsächliche Aktualisierung des UN-Sicherheitsrates erweist. Immerhin werden in ihr die Fragen aufgegriffen, die seit dem 11. September 2001 nicht nur die wirtschaftlich und militärisch mächtigste Gesellschaft, die der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern die Weltbevölkerung insgesamt am meisten beschäftigen: die Globalisierung des Terrorismus und seine Bekämpfung. Terroristische Akte werden in der Regel mit Waffen begangen, meistens mit konventionellen Waffen oder mit herkömmlichen Verkehrsmitteln - Flugzeugen, Lastwagen, Bussen - oder durch Selbstmordattentäter. Waffen, die zur Vernichtung von Massen geeignet sind, wurden - mit Ausnahme bei dem U-Bahn-Anschlags der AUM-Sekte in Tokio Mitte der 90iger Jahre des vorigen Jahrhunderts - bislang dazu nicht verwendet. Das Risiko, daß Massenvernichtungswaffen weiterverbreitet werden könnten, wird jedoch vom Sicherheitsrat heute für so groß gehalten, daß er diese umstrittene Resolution 1540 mit ihren weitreichenden, von allen Mitgliedstaaten der UN durchzuführenden Maßnahmen verabschiedete. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, daß Terrorismus auch auf andere Art und Weise bekämpft werden kann. Am nachhaltigsten könnte das gelingen, indem man ihm seinen Nährboden entzieht, d. h. durch Ent25 Vgl. Rat der Europäischen Union, Dokumente Nr. 15656/03, 15708/03 und 15895/03 jeweils vom Dezember 2003.

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wicklung, durch Erziehung, durch sinnvolle internationale Zusammenarbeit. Das ist das langfristige Verfahren und das teurere, aber wahrscheinlich das wirksamere. Auch dem sollte sich der UN-Sicherheitsrat stellen. Für die aktuellen Sicherheitsbedürfhisse der Menschen jedoch gilt es dafür zu sorgen, daß die Waffen, derer sich der Terrorismus bedient oder bedienen könnte, nicht weiterverbreitet, sondern kontrolliert und - soweit möglich - beseitigt werden. Kein Kontinent ist in den letzten Jahren vom Terrorismus verschont geblieben; kaum ein Staat kann es sich leisten, diesem Phänomen gleichgültig gegenüber zu stehen. Der UN-Sicherheitsrat hat sich, indem er diese Problematik aufgreift, eine sehr anspruchsvolle Aufgabe gestellt, aber gleichzeitig auch für sich selbst die Möglichkeit eröffnet, die Welt bewegende Fragen zu beantworten, die seine Hauptanliegen substantiell berühren, nämlich Frieden und internationale Sicherheit. Es erscheint mir deshalb angebracht, Resolution 1540 hier darzustellen, zu analysieren und ihre Stärken und Schwächen hervorzuheben: Die zahlreichen Präambelabsätze der Resolution enthalten einige Hinweise auf die hinter ihr stehende Philosophie und ein paar Hinweise für ihre Interpretation. Der erste Präambelsatz bietet die Grundlage in rechtlicher wie faktischer Hinsicht: die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel stellt eine Gefahr für den internationalen Frieden und die Sicherheit dar. Damit begründet der Sicherheitsrat einerseits seine rechtliche Zuständigkeit, nämlich Frieden und Sicherheit zu erhalten, und andererseits seine faktische Verantwortung, weil Frieden und Sicherheit durch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gefährdet sind. Außerdem läßt sich damit begründen, daß der Sicherheitsrat den operativen Teil der Resolution unter Kapitel VII der Charta („Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen") stellt. Bemerkenswert ist, daß es wegen des Widerstandes der ständigen Sicherheitsratsmitglieder nicht gelungen ist, einen Hinweis auf das internationale System von Abrüstungs- und Nichtverbreitungsübereinkommen in den operativen Teil der Resolution aufzunehmen, sondern nur in die Präambel (fünfter Präambelsatz). Im operativen Teil wäre nämlich damit das zwar utopische, aber in Abrüstungsverträgen und zahlreichen UN-Resolutionen wiederholte Ziel der gänzlichen Beseitigung von Massenvernichtungswaffen unterstrichen worden. Eine solche Hervorhebung dieser seit Jahren erhobenen Forderung konnten die Staaten, die Massenvernichtungswaffen bereits besitzen, jedoch nicht akzeptieren, ungeachtet der Tatsache, daß durch eine solche Betonung die Resolution eine logische und glaubwürdige Basis bekommen hätte. Immerhin fordert wenigstens die Präambel die Mitgliedstaaten auf, die Abrüstungsverträge, denen sie beigetreten sind, vollständig zu erfüllen. Die Präambel (siebter Satz) bestätigt, daß die Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen die internationale Zusammenarbeit bezüglich einschlägiger Materialien, Ausrüstungen und Technologien nicht beeinträchtigen dürfe. Gleichzeitig dürfe die friedliche Nutzung nicht zur Proliferation mißbraucht werden. Auch dieser Satz, der für die überwie-

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gende Mehrheit der Mitgliedstaaten von besonderer Bedeutung ist, hätte in den operativen Teil der Resolution aufgenommen werden können. Ein stärkerer Hinweis auf die kooperativen Aspekte der Rüstungskontrolle hätte gewiß die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Resolution erhöht. Wichtig erscheint die Erwähnung der nicht-staatlichen Akteure (achter Präambelsatz) im Zusammenhang mit Terrorismus und Massenvernichtungswaffen sowie der für Massenvernichtungswaffen geeigneten Trägermittel. „Nicht-staatlicher Akteur" ist offenbar der Oberbegriff für Personen oder Institutionen, die unter vorsätzlicher Umgehung staatlicher Kontrolle rechtswidrig gegenüber dem eigenen Staat, anderen Staaten, eigenen oder fremden Institutionen und Personen handeln.26 Diese nicht-staatlichen Akteure sind die eigentliche Zielgruppe, auf die sich Resolution 1540 auch in ihrem operativen Teil konzentriert, indem sie die Staaten dazu verpflichtet Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die möglichen Aktivitäten dieser Zielgruppe einzuengen, zu kontrollieren oder zu verhindern. Im operativen Teil verbietet Absatz 1 allen Staaten, nicht-staatliche Akteure zu unterstützen, wenn sie versuchen sollten, Massenvernichtungswaffen und ihre Trägermittel zu entwickeln, zu erwerben, herzustellen, zu besitzen, zu befördern oder zu verwenden. Absatz 2 verpflichtet alle Staaten, Gesetze zu erlassen, die es sowohl den nicht-staatlichen Akteuren verbieten, die oben genannten Handlungen auszuführen, wie auch es generell untersagen, aktive oder finanzielle Beihilfe zu solchen Handlungen zu leisten. Absatz 3 gebietet allen Staaten, Maßnahmen zu ergreifen oder zu verschärfen, um zu verhindern, daß Massenvernichtungswaffen oder Trägermittel, die sie selbst besitzen, verbreitet werden können (Inventarisierung, physischer Schutz, Grenzkontrollen, Ausführkontrollen). Insbesondere diese drei Absätze, mit denen der Sicherheitsrat nach Ansicht der meisten Beobachter legislativ tätig wird, d. h. Völkerrecht schafft, sind in vielerlei Hinsicht umstritten.27 Dabei bleibt jedoch stets offen, welche Konsequenz in der Praxis der Vereinten Nationen aus den vorgetragenen Bedenken zu ziehen ist. Deshalb erscheint es zunächst gerechtfertigt, die Resolution, so wie sie ist, hinzunehmen und ihre Umsetzung im Laufe der Zeit zu beobachten. Für eben diese Umsetzung schafft Absatz 4 einen Ausschuß, in dem alle Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates vertreten sind, der die Verwirklichung der obigen Ge- und Verbote überwachen und den Sicherheitsrat über seine Erkenntnisse unterrichten soll. Diese Unterrichtung wird auf 26 In der Resolution ist folgende, etwas tautologische Definition enthalten: „Non State actor: individual or entity, not acting under the lawful authority of any State in conducting activities which come within the scope of this resolution." Der Text der Resolution findet sich im Internet (ODS-System): http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N04/328/43/PDF/N0432843.pdf?OpenElement. 27 Vgl. Andreas Zimmermann/Björn Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats - Resolution 1540 und abstrakte Bedrohungen des Weltfriedens in: VN 52 (2004) H. 3, S. 71-77. Eine Auseinandersetzung mit den dort ausgeführten völkerrechtlichen Argumenten würde die Kompetenz des Autors übersteigen und den Rahmen des Beitrages sprengen.

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Berichten aller Staaten beruhen, in denen diese nach spätestens sechs Monaten den Ausschuß über die Umsetzung der in der Resolution geforderten Maßnahmen unterrichten müssen. Resolution 1540 wendet sich mit einem hohen Anspruch an die Staatengemeinschaft, sie stellt scharfe und eingreifende Ge- und Verbote auf, die - wenn sie weltweit eingehalten würden - wirksam dem nationalen und dem internationalen Terrorismus Einhalt gebieten könnten. Die Resolution, im Konsens vom Sicherheitsrat verabschiedet, stellt somit einen ersten Schritt dar, mit dem eine neue Strategie der internationalen Staatengemeinschaft entwickelt werden könnte, um den Gefahren zu begegnen, die von der Globalisierung des Terrorismus ausgehen. Die Nichtverbreitung von Waffen, hier in erster Linie von Massenvernichtungswaffen, auf der Grundlage multilateraler Normen und nationaler Gesetze und Regelungen, die vom UN-Sicherheitsrat eingefordert werden, verschafft der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine neue, durchschlagendere Qualität: eine globale Gefahr für Frieden und Sicherheit wird mit globalen Maßnahmen bekämpft. Der UN-Sicherheitsrat verschafft sich hiermit in einer aktuellen und brennenden Frage ein klareres Profil. Die Resolution versäumt es jedoch, ein ebenso scharfes Instrument zu schaffen, um die Einhaltung der Ge- und Verbote zu gewährleisten. Der mit Absatz 4 der Resolution geschaffene Ausschuß ist dafür kein geeignetes Instrument, da ihm keinerlei eigene Handlungsbefugnis zukommt; er kann lediglich die ihm vorgelegten nationalen Berichte über die Einhaltung der Ge- und Verbote der Resolution prüfen und bewerten, aber er kann z.B. nicht den Wahrheitsgehalt überprüfen, etwa durch Inspektionen vor Ort; d. h., er hat keine Verifikationsbefugnis. Und was ist, wenn ein Staat gar keinen Bericht vorlegt? Gewiß, es wird letztendlich darauf ankommen, wie der Sicherheitsrat mit der Unterrichtung durch seinen Ausschuß umgeht und welche Schlüsse er daraus zieht. Das wird die Erfahrung weisen. Auch ist positiv zu bewerten, daß der Sicherheitsrat auf diese Weise sich die zentrale Rolle als oberste Schiedsinstanz gesichert hat, sollten die Vorschriften, wie sie im multilateralen und nationalen Rahmen gelten, verletzt bzw. nicht eingehalten werden. Sicher ist jedoch, daß es wirkungsvoller gewesen wäre, wenn Resolution 1540 ein weitgehend unabhängiges Verifikationsinstrument mit operativen Vollmachten geschaffen hätte, ähnlich wie UNSCOM oder UNMOVIC, das - etwa auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses des Ausschusses - tatsächliche Verifikationsmaßnahmen durchführen könnte. Das wäre jedoch revolutionär für die UNO und ist (noch) unrealistisch. Aber selbst im herkömmlichen Rahmen der Vereinten Nationen lassen sich durchsetzungsfähigere Mechanismen denken, als sie der Ausschuß gemäß Absatz 4 der Resolution 1540 bereit hält Der Sicherheitsrat und insbesondere seine ständigen Mitglieder werden sich jedoch vergegenwärtigen müssen, daß die Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz der von ihnen beschlossenen Maßnahmen deutlich zunähme, wenn sich die Ständigen Mitglieder dank ihrer Vetobremse nicht immer selbst davon ausnehmen könnten.

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Hier setzen die am schwersten wiegenden Bedenken ein: viele der ungebundenen Mitgliedstaaten, aber auch andere hegen die Befürchtung, Resolution 1540 sich als ein Instrument entpuppen könnte, mit dem diejenigen, die ohnehin schon alles haben, die „Habenichtse" überwachen können, allerdings mit der Maßgabe, daß sie sich selbst von jeglichen Überwachungsmaßnahmen freistellen können. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte man davon ausgehen, daß diese Resolution nur der Anfang einer echten, politisch akzeptablen Revitalisierung des Sicherheitsrates ist und daß - so bleibt zu hoffen - der Sicherheitsrat auch ohne einen erneuten verheerenden Anlaß die Kraft findet, sich aktueller, zukunftsweisender Probleme der internationalen Sicherheit verstärkt anzunehmen und sie mit politischem Mut und politischer Weitsicht zu lösen. Politische Weitsicht wird vonnöten sein, um Diskriminierungen und einseitige Privilegierungen zu vermeiden, denn gegen die überwältigende Mehrheit der Staatengemeinschaft werden sich auf Dauer auch im Rahmen der Vereinten Nationen keine Maßnahmen durchsetzen lassen, die das Gebot der politischen Fairneß mißachten. Den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, indem wirksam, ohne Diskriminierung und verifizierbar die Verbreitung von Waffen unterbunden wird, wäre ein eindrucksvoller Beleg für das wieder erlangte politische Gewicht des Sicherheitsrates. Dabei sollte es in Zukunft unerheblich sein, ob es sich dabei um Waffen handelt, die zur Vernichtung von Massen, oder um solche, die zur Tötung Einzelner geeignet sind. Auch damit könnte der UN-Sicherheitsrat ein neues Kapitel der Abrüstung in den Vereinten Nationen aufschlagen. 12. Kurzes Fazit Abrüstung in den Vereinten Nationen - man wagt es kaum angesichts der politischen Lage zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dies als Vision oder gar als realistische Forderung zu formulieren. Die Situation der meisten völkerrechtlichen Abrüstungsinstrumente stimmt nicht optimistisch und die Lage innerhalb der Vereinten Nationen nach dem gescheiterten Reformgipfel anläßlich des 60. Gründungsjahrestags im Herbst 2005 ist niederschmetternd. Dennoch: Die internationale Staatengemeinschaft hat keine bessere Organisation als die Vereinten Nationen, um Abrüstungsfragen international auf der Tagesordnung zu halten. Und sie hat kein anderes sicherheitspolitisches Thema als die Abrüstung im weitesten Sinne, das, angesichts der Spannungsherde in der Welt und der weltweiten terroristischen Bedrohung, die Staaten und die Gesellschaften so hautnah und unmittelbar berührt. Abrüstung in den Vereinten Nationen wird deshalb ein Thema bleiben, mit dem sich die Menschen auseinander setzen müssen.

Friedenssicherung Manfred Eisele

Wenn man den 14. August 1941, das Datum der Abschlußerklärung der „Atlantik-Charta", als den Beginn der politischen Entwicklung ansieht, als deren Ergebnis am 26. Juni 1945 die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde, dann entstand diese Weltorganisation, während gleichzeitig der blutigste Krieg der Geschichte stattfand. So nimmt es nicht wunder, daß die Unterzeichner der UN-Charta zum obersten Ziel ihrer Organisation erklärten, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren" 1 . Angesichts des Scheiterns früherer Versuche zur Friedenssicherung, vor allem des Völkerbundes, nahmen sie sich vor, „wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch fuhren könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen." 2 Da sich die meisten der Erstunterzeichner der UN-Charta 1945 im Kriegszustand befanden und viele von ihnen in erheblichem Umfang Truppen unter Waffen hatten, sah man mehrheitlich den Rückgriff auf solche militärischen Kräfte zur kollektiven Friedenssicherung vor. 3 Die Mitglieder des Sicherheitsrates beanspruchten die „strategische Leitung aller dem Sicherheitsrat zur Verfügung gestellten Streitkräfte", während sie die „Fragen bezüglich der Führung dieser Truppen" später regeln wollten. Da der hierfür vorgesehene Generalstabsausschuß (Military Staff Committee) wegen des bald beginnenden Ost-West-Konfliktes keine Wirksamkeit erlangte, wurde Artikel 47 bisher weitestgehend nicht angewandt. Auch andere Bestimmungen der Charta zum Einsatz von Truppen konnten wegen der jahrzehntelangen Ost-West-Spannungen nicht in aktives Handeln umgesetzt werden, so etwa die Bereithaltung von Luftstreitkräften, um rasch dringende militärische Maßnahmen zur Konfliktbewältigung ergreifen zu können. Die Verpflichtung aller Mitglieder der Vereinten Nationen, „dem Sicherheitsrat auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung [zu] stellen,

Der Beitrag wurde vom Autor im Januar 2006 abgeschlossen. 1 Charta der Vereinten Nationen, Amtliche Fassung der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. 1973 II S. 431; Art. 1 Ziff. 1 (Im Folgenden: UN-Charta). 2 Ebd. 3 Art. 47 UN-Charta.

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[und] Beistand [zu] leisten,"4 steht bisher nur auf dem Papier. Die an gleicher Stelle angesprochenen bilateralen Sonderabkommen gibt es nicht. Angesichts dieser politischen Realität erscheinen die seit 1995 nach und nach mit einer Mehrheit der Mitgliedstaaten abgeschlossenen Übereinkommen der Hauptabteilung für friedenserhaltende Maßnahmen (Department of Peacekeeping Operations - DPKO) nach dem Prinzip von „Standby"-Kontingenten (Stand-by Forces Arrangements)5 als ein pragmatischer Schritt zur Steigerung der Effizienz der Friedenssicherung durch die UN. In solchen bilateralen Übereinkünften informieren die Mitgliedstaaten die UN (DPKO) über die Art und den Umfang militärischer und/oder zivilpolizeilicher Unterstützung, mit der die UN für einen künftigen Einsatz rechnen können. Das beschleunigt den Planungsprozeß bei DPKO erheblich. Allerdings erfolgt die tatsächliche Einlösung solchermaßen in Aussicht gestellter Unterstützungsversprechen nach der Beurteilung der jeweiligen politischen Umstände einer anstehenden Friedensmission durch die politischen Entscheidungsträger im Mitgliedstaat. In einer Vielzahl von Fällen kann der Generalsekretär sich deshalb nicht auf die mit dem Stand-by Forces Agreement signalisierte Unterstützungsbereitschaft verlassen. Eine Besonderheit im Bereich der Bereitstellung rasch verfügbarer Einsatzkräfte wurde auf Veranlassung Dänemarks geschaffen, die „Stand-by Forces High Readiness Brigade" (SHIRBRIG). Dieser multinationale Großverband umfaßt Formationen mehrerer Länder, die nach gleichen Grundsätzen gemeinsam ausgebildet und für gemeinsame Einsätze im Auftrag der UN bereitgehalten werden. Nur 15 bis 30 Tage nach ihrer Alarmierung können sie im Einsatzraum sein und dort bis zu sechs Monate bleiben. Danach sollen sie ihren Auftrag an mittlerweile nachrückende „Blauhelme" aus anderen Mitgliedstaaten übergeben. In dieser Weise war SHIRBRIG, dessen Hauptquartier sich mit einer kleinen Planungsgruppe in Dänemark befindet, im November 2000 das Vorkommando von UNMEE (UN Mission in Ethiopia and Eritrea). 2003 stellte SHIRBRIG die Stabsunterstützung für das Hauptquartier der UNMIL (UN Mission in Liberia) und unterstützte die ECOWAS (Economic Cooperation of West African States) bei ihrer im Auftrag der UN erfolgenden Mission in Cöte d'Ivoire.6 Gründungsmitglieder von SHIRBRIG waren Dänemark, Kanada, die Niederlande, Norwegen, Österreich und Schweden. Argentinien, Italien und Rumänien traten später bei. Finnland, Portugal, Slowenien und Spanien sind SHIRBRIG durch Abkommen verbunden. Wegen der Zusammensetzung dieser freiwilligen Gruppe ausschließlich aus Ländern des politischen „Nordens" hat es aus der Gruppe der Entwicklungsländer Proteste gegen die Nutzung von SHIRBRIG durch die UN gegeben. 4

Art. 43 Ziff. 1 UN-Charta. UN Stand-By Arrangements System (UNSAS). 6 UN Department of Peacekeeping Operations; Peacekeeping Best Practices Unit: Handbook on United Nations Multidimensional Peacekeeping Operations (Zitiert nach: DPKOHandbook), New York 2003, S.66; im Internet: http://pbpu.unlb.org/pbpu/Iibrary/Handb00k%200n%20UN%20PK.0s.pdf. 5

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Neben der Aufforderung an alle Mitglieder der UN, sich an Friedensmissionen zu beteiligen, sah der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali zur Abschreckung möglicher Friedensstörer und Aggressoren eine Aktivierung des bisher weitestgehend inaktiven o.a. Generalstabsausschusses vor. 7 Dieser Vorschlag stieß jedoch auf beinahe weltweite Ablehnung, weil die Zusammensetzung dieses Gremiums aus den Generalstabschefs der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates oder ihrer Vertreter die angesichts der dramatisch gewachsenen Zahl der Mitglieder der UN mittlerweile allgemein als reichlich unzeitgemäß angesehene Privilegierung dieser Staaten weiter steigern würde. Seit 1945 hat es trotz der Verpflichtung aller Mitgliedstaaten zur friedlichen Regelung von Streitigkeiten und zum Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt 8 mehr als 200 bewaffnete Auseinandersetzungen gegeben. Waren diese bis zum Ende der Ost-West-Konfrontation zumeist durch zwischenstaatliche Konflikte ausgelöst worden, so handelt es sich seither mehrheitlich um innerstaatliche Auseinandersetzungen. Dafür gibt es in der UN-Charta eigentlich keine Regelungen, weil die territoriale Integrität der Mitgliedstaaten seit dem Westfälischen Frieden von 1648 als höchster Ausdruck staatlicher Souveränität gilt. Das kommt in dem nahezu absoluten Interventionsverbot der UN-Charta deutlich zum Ausdruck. 9 Dieses Verbot, sich in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates einzumischen, geht nahezu wörtlich auf eine entsprechende Forderung Immanuel Kants zurück 10 und wurde von der Generalversammlung häufiger als jede andere Bestimmung der Charta wiederholt, bekräftigt und unterstrichen. Erst seit massenhafte Verletzungen der Menschenrechte von Bürgern einiger Mitgliedstaaten, vornehmlich Angehörigen ethnischer oder religiöser Minderheiten, durch die eigenen Machthaber zu weltweiten Protesten geführt haben, scheint zu deren Schutz eine Weiterentwicklung des internationalen Rechts begonnen zu haben. Während es auf den Einsatz von chemischen Kampfstoffen durch das Regime des irakischen Diktators Saddam Hussein in seinem Angriffskrieg gegen den Iran zwischen 1980 und 1988, dem „1. Golfkrieg", keine Reaktion des Weltsicherheitsrats gegeben hatte, wurde nach dem Einsatz von Nervenkampfstoffen durch denselben Machthaber gegen seine eigenen kurdischen Landsleute mit der Resolution 688 des Sicherheitsrates erstmals eine „humanitäre Intervention" autorisiert." An diesem Maßstab orientierten sich auch spätere Mandate des Sicherheitsrates z. B. für Somalia und das ehemalige Jugoslawien. 12 Man kann jetzt sicher von einer grundsätzlichen Relativierung der inneren Souveränität im Falle akuter Bedro7

Boutros Boutros-Ghali, An Agenda for Peace. Second Edition, N e w York 1995, 55f. Art. 2 Ziff. 3 u. 4 UN-Charta. 9 Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta. 10 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, Königsberg 1795, Stuttgart 1983, S.19. 11 Resolution des Sicherheitsrates (Security Council Resolution; in der Folge: S/RES) 688 (1991) vom 5.4.1991. 12 U N Doc. S/RES/733 (1992) vom 23.1.1992 bzw. S/RES/827 (1993) vom 25.5.1993. 8

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hung des Friedens und der internationalen Sicherheit sprechen. In diesem Sinne scheint die internationale Staatengemeinschaft die Generalversammlung der UN als das Forum anzusehen, dem gemäß der UN-Charta aufgetragen ist, die Fortentwicklung und Kodifizierung des Völkerrechts zu fördern.13 1. Beginn der UN-Friedensmissionen Die frühesten Versuche der UN zu aktiver Friedenssicherung, etwa im Falle des von seinen damals kommunistischen nördlichen Nachbarstaaten geforderten Bürgerkrieges in Griechenland, scheiterten am Veto der Sowjetunion. Dennoch entsandte der Sicherheitsrat schließlich eine zivile Untersuchungskommission zur Erörterung der Konfliktursachen.14 Man darf diesen Einsatz durchaus als die „1. Friedensmission der UN" bezeichnen 15 Gab es im Sicherheitsrat auch weiterhin Vorbehalte gegen den Einsatz auch nur einzelner uniformierter Soldaten zur Untersuchung politischer Spannungen wie z. B. Grenzverletzungen, so einigte sich der Rat doch auf die Entsendung militärischer Beobachter zur Überwachung des Waffenstillstandes zwischen dem gerade gegründeten Staat Israel und seinen arabischen Nachbarn.16 So wurden im Juni 1948 die ersten 9 Offiziere der Waffenstillstandskommission UNTSO (UN Truce Supervision Organization) nach Jerusalem entsandt. Sie waren unbewaffnet, wie seither alle Militärbeobachter der UN. Dennoch wurde der französische Commandant René de Labarrière nur wenige Tage später der erste von mittlerweile beinahe 2.000 Toten, welche die UN bei Friedensmissionen zu beklagen hatten. Die Entsendung der Beobachter von UNTSO erfolgte mit der Zustimmung aller Konfliktparteien. Um wirkungsvoll agieren zu können, waren diese Offiziere auch weitgehend auf die Kooperationsbereitschaft der Parteien angewiesen. Die bloße Anwesenheit dieser Repräsentanten der Weltorganisation im Krisengebiet war Ausdruck des politischen Willens der Staatengemeinschaft zur Eindämmung des Konfliktes. Da sie jedoch keinerlei Möglichkeit besaßen, irgendwelche Zwangsmittel anzuwenden, leisteten sie gewissermaßen moralische Überzeugungsarbeit. Diese Elemente bestimmen seither die Wirksamkeit des Interventionsinstrumentes „Militärbeobachter", das in der Mehrzahl der UN-Friedensmissionen zum Einsatz kommt, entweder ganz auf sich gestellt, oder zusammen mit „Blauhelmen", also militärischen Formationen oder ziviler Poli-

13 14 15 16 17

Art. 13 Ziff. 1 lit. a UN-Charta. UN Doc. S/RES/15 (1946) vom 19.12.1946. Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, München/Wien, 1995, S.41-49. UN Doc. S/RES/48 (1948) vom 23.4.1948. DPKO-Handbook (Fn. 6), S. 61.

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UNTSO, das trotz mehrfacher Strukturwechsel ununterbrochen weiterhin besteht, gilt in den Statistiken der UN als erste „Friedenserhaltende Maßnahme der UN" (UN Peacekeeping Operation).18 Wenn UNTSO auch weder die Nahost-Kriege von 1956, 1967 und 1973, noch die Intifadah-Konflikte verhindert hat, hält der Sicherheitsrat diesen Akt der „Friedenssicherung" doch weiterhin für so wichtig, daß er das UNTSO-Mandat regelmäßig verlängert. Wenige Monate nach dem Beginn von UNTSO autorisierte der Sicherheitsrat für das zwischen Indien und Pakistan umstrittene Kaschmir abermals eine Friedensmission. Ebenso wie UNTSO besteht auch UNMOGIP (UN Military Observer Group in India and Pakistan) ausschließlich aus Militärbeobachtern. Trotz gelegentlicher interner Veränderungen besteht auch diese Mission ununterbrochen fort, obwohl UNMOGIP weder die indisch-pakistanischen Kriege verhindern konnte, noch einen erkennbaren Einfluß auf die seit 1947 ununterbrochen spannungsgeladene Situation in Kaschmir hat. Anders als die meisten späteren Friedensmissionen werden UNTSO und UNMOGIP aus dem regulären Haushalt der UN finanziert. Dagegen geschieht die Finanzierung der 1964 begonnenen Friedensmission der UN auf Zypern UNFICYP (UN Forces in Cyprus) durch freiwillige Beitragsleistungen. Während man über die Wirksamkeit der beiden ältesten Friedensmissionen berechtigte Zweifel anmelden kann, haben die „Blauhelme" der UNFICYP die spannungsgeladene Situation zwischen den griechischen und türkischen Einwohnern Zyperns ziemlich gut unter Kontrolle halten können. Sie haben damit sogar die Voraussetzungen geschaffen für den Plan des Generalsekretärs Annan, eine friedliche Vereinigung der Territorien der beiden Volksgruppen mit deren weitgehender Autonomie zu verbinden. Daß das 2004 dazu abgehaltene Referendum am Votum der griechischen Mehrheit scheiterte, war weniger ein Fehler der UN als der Europäischen Union (EU), die dem griechischen Teilstaat die Mitgliedschaft in der EU ohne entsprechende Konditionen zugesagt hatte. Nicht alle nachstehend in der „Chronologischen Auflistung der vom Sicherheitsrat mandatierten Friedensmissionen" können hier angesprochen werden. Wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Entwicklung der Friedenssicherung durch die UN sollen jedoch einige Entscheidungen herausgehoben werden. 2. Uniting-for-Peace-Resolution Als es der Sowjetunion 1950 nicht gelang, den Sicherheitsrat durch ihre Abwesenheit und eine Politik des leeren Stuhles von der Beratung der Aggression Nord-Koreas gegen das als einzige rechtmäßig und demokratisch legitimierte Vertretung des ganzen geteilten Landes anerkannte Süd-Korea19 abzuhalten, wurde auf Initiative der USA die Entscheidung über 18 S. hierzu die chronologische Auflistung aller „UN Peacekeeping Operations" im Anhang. 19 General Assembly Resolution (im folgenden: UN Doc. A/RES.) 195 (III) vom

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Maßnahmen der Vereinten Nationen statt vom Sicherheitsrat von der Generalversammlung getroffen. Deren "Uniting for Peace"-Resolution20 stellt seither einen Präzedenzfall für Situationen dar, in denen der Sicherheitsrat durch das Veto eines oder mehrerer ständiger Mitglieder blockiert ist.21 Dabei wurde der Generalversammlung die Befugnis übertragen 22, bei tatsächlichem oder drohendem Bruch des Friedens, Empfehlungen für Kollektivaktionen zu geben, einschließlich Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII23, also auch des Einsatzes bewaffneter Kräfte. Im Falle des Suez-Konfliktes, als Frankreich und Großbritannien den Sicherheitsrat mit ihrem Veto blockierten, wurde der Ausweg einer „Uniting for Peace"-Resolution abermals genutzt.24 Der Suez-Konflikt war zugleich die Geburtsstunde der wirksamsten Maßnahme der Vereinten Nationen, die seither deren Aktivitäten im Bereich der Friedenssicherung prägt. 3. Die Schaffung der UN-Friedenstruppen - der „Blauhelme" Generalsekretär Dag Hammarskjöld schuf mit Unterstützung des Kanadiers Lester Pearson die nunmehr weltweit wegen der Farbe ihrer Kopfbedeckung „Blauhelme", seltener auch „Blaue Barette" genannten militärischen Einsatzkräfte unter der Flagge der Vereinten Nationen. Ihr erster Einsatz als UNEF (UN Emergency Force)25 nur wenige Tage nach dem Beschluß der Generalversammlung bewies damals nicht nur eindrucksvoll den gemeinsamen politischen Willen der UN-Mitglieder zum Frieden, sondern auch die Befähigung zu rascher Reaktion, wenn die Entschlossenheit dazu vorhanden ist. Damit hatte die Weltorganisation gezeigt, daß sie nicht nur in der Lage war, einen Waffenstillstand und den folgenden Abzug der Aggressoren zu bewerkstelligen, sondern daß sie auch Stabilität im Krisengebiet unter dem Schutz von Friedenstruppen sichern konnte. Seither versteht man unter dem Begriff „Blauhelme" normalerweise militärische Formationen, die mit einem Mandat der UN eingesetzt werden, um ein sicheres Umfeld für den Einsatz weiterer multinationaler Elemente zur Sicherung und Wiederherstellung des Friedens zu schaffen. Die stets multinational zusammengesetzten Kontingente der jeweiligen Friedenstruppen der UN werden grundsätzlich mit Zustimmung aller betroffenen Konfliktparteien in einem Krisengebiet stationiert, • um Waffenstillstandsbestimmungen zu überwachen, 12.12.1948. UN Doc. A/RES/377 (V) vom 3.11.1950; Abstimmungsergebnis: 52 Ja, 5 Nein, 2 Enthaltungen. 21 Vgl. dazu: Marc Schattenmann, Uniting-for-Peace-Resolution, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 571-572. 22 Art. 11 Ziff. 1 UN-Charta. 23 UN-Charta, Kap. VII „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen". 24 UN Doc. A/RES/997 (ES-I) vom 2.11.1956, Abstimmungsergebnis: 64 Ja, 5 Nein, 6 Enthaltungen. 25 UN Doc. A/RES/1001 (ES-I) vom 7.11.1956. 20

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Streitparteien zu trennen, Truppenentflechtungen zu kontrollieren, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, oder auch präventiv die Eskalation von politischen Spannungen zu bewaffneten Auseinandersetzungen zu verhindern. Deshalb wurden sie beauftragt mit der • Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kombattanten. (Diese Aktivitäten werden vielfach unter dem englischen Begriff „DDR" ("Disarmament, De-Mobilization, Reintegration") zusammengefaßt.) Weiterhin sollen sie helfen, die • Einhaltung der Menschenrechte überwachen, • Maßnahmen des nationalen Versöhnungsprozesses unterstützen und die • Verteilung humanitärer Hilfe schützen. Weiterhin haben sie sich bewährt in der • Vorbereitung und Durchführung von Wahlen und bei der • Rückführung von Flüchtlingen und Vertriebenen. 26 Die Charta sieht Maßnahmen, wie sie der Einsatz von „Blauhelmen" darstellt, nicht ausdrücklich vor, rangieren sie doch sozusagen zwischen den Bestimmungen der Kapitel VI 27 und VII . Hammarskjöld sprach deshalb von „Kapitel Sechseinhalb". Obwohl die „Blauhelme" auch nach beinahe fünfzig Jahren ihrer De-facto-Existenz nicht in der Charta verankert sind, stellt der vom Sicherheitsrat mandatierte Einsatz von Soldaten und zunehmend auch ziviler Polizei neben der Schaffung internationaler Gerichtshöfe die wichtigste Weiterentwicklung der kollektiven Sicherheit im System der Vereinten Nationen seit ihrer Gründung dar. Daß man den „Blauhelmen" 1988 den Friedensnobelpreis verlieh, dokumentierte außer dem Respekt für ihre Leistungen vor allem die weltweite Hoffnung auf die friedliche Lösung zwischenstaatlicher und innerstaatlicher Konflikte mit Hilfe der UN. Mit der „Uniting for Peace"-Resolution hatte man zwar einen Ausweg gefunden hatte, um die Blockade des Sicherheitsrates durch das Veto eines oder mehrerer der ständigen Mitglieder zu umgehen, aber dennoch liegt es im gemeinsamen Interesse aller fünf ständigen Mitglieder, ihre privilegierte Stellung nicht durch die Übertragung der Hauptverantwortung für den Frieden und die internationale Sicherheit 28 vom Rat auf die Generalversammlung zu untergraben. Trotz vieler, oft tiefgreifender Interessengegensätze zwischen den „Permanent Five" sind diese sich immer dann einig, wenn es um die Verteidigung ihrer überragenden Position im Sicherheitsrat geht. So muß sich die Generalversammlung damit abfinden, ihren eher marginalen Einfluß auf UN Maßnahmen zur Friedenssicherung 29 über die Bewilligung der jeweiligen Budgets auszuüben. 30 Das ge26 27 28 29

DPKO-Handbook (Fn. 6), S.55f. UN-Charta, Kap. VI „Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten". Art. 24 Ziff. 1 UN-Charta. Art. 11 Ziff. 1-3 UN-Charta.

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schieht zumeist über das „Zusatzkonto für Friedenserhaltende Maßnahmen" (Peacekeeping Support Account), zu dem alle Mitgliedstaaten entsprechend ihrer relativen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beitragen müssen. Die jährlichen Kosten für die Friedenssicherung durch die UN sind im Vergleich zu den Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten gering. Sie bewegten sich in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen mehr als 3 Mrd. US-Dollar 1994/95 und 1 Mrd. US-Dollar 1998/99. Mit den mehr als 15 derzeit bestehenden Friedensmissionen beläuft sich das aktuelle UN Peacekeeping Budget auf 2,82 Mrd. US-Dollar, zu denen aber angesichts brisanter Krisenentwicklungen in Ländern wie Burundi und Sudan, mit dafür neu aufzustellenden Friedensmissionen weitere Ausgaben in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar kommen können.31 Für die Gestellung von Truppen oder Zivilpolizei erhalten die jeweiligen Nationen wesentliche Teile ihrer Kosten nach einem weltweit gleichen Schlüssel erstattet. Als Anhalt mag gelten, daß die UN dem abstellenden Land pro Kopf eines „Blauhelmes" unabhängig von seinem Rang monatlich 1.000 US-Dollar bezahlen. Für die materielle Ausstattung der nationalen Kontingente gelten nach Art und Umfang abgestufte Erstattungssätze. 4. Entwicklungstendenzen und Probleme im Peacekeeping seit Ende des Kalten Krieges Gab es in den 45 Jahren bis zum Ende des Kalten Krieges 18 Einsätze von „Blauhelmen", so hat der Sicherheitsrat in den ca. 14 Jahren seither 38 Mandate für derartige Friedensmissionen erteilt. Die Mehrzahl dieser Operationen fand nicht mehr im Rahmen „klassischer", also zwischenstaatlicher Streitigkeiten statt, sondern innerhalb des Territoriums souveräner Mitgliedstaaten. Eine solche Entwicklung war in der Charta eigentlich nicht vorgesehen. Aus ihr ist in vielen Fällen geradezu zwangsläufig eine Spannung entstanden zwischen dem Souveränitätsanspruch des jeweiligen Staates einerseits32 und dem Anspruch der internationalen Staatengemeinschaft, den Prinzipien der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte"33 auch gegen die jeweiligen Machthaber Geltung zu verschaffen, andererseits. Generalsekretär Kofi Annan hat diese Entwicklung in seiner Erklärung zum Start in das neue Millennium angesprochen. Er nahm dabei ausdrücklich Bezug auf den Text der Präambel zur UN-Charta. Deren idealistisch geprägter Text steht wegen seiner Entstehung als Werk eines Einzelnen, des südafrikanischen Staatsmannes Jan Smuts wie ein erratischer Block neben der Charta. 30

Art. 17 UN-Charta. So UN-Generalsekretär Kofi Annan vor dem Sicherheitsrat am 17.5.2004, U N Press Release SG/SM931 l-SC/8096-PKC>/1007 vom 17.5.2004. 32 Art. 2 UN-Charta, hier besonders Art. 2 Ziff.7, der ein nahezu totales Interventionsverbot enthält. 33 U N Doc. A/RES/217 (III) vom 10.12.1948. 31

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Der demokratische Geist seiner Einleitungsworte „Wir, die Völker der Vereinten Nationen ,.."34 wird von den Regierungen zahlreicher Mitgliedstaaten, die sich nicht auf eine demokratisch verfaßte Gesellschaft abstützen können, mit Vorbehalt betrachtet. Um so höher ist der Mut Kofi Annans zu schätzen, die Präambel quasi zu seinem Programm zu machen: "Once synonymous with the defence of territory from external attack, the requirements of security today have come to embrace the protection of communities and individuals from internal violence." 35 Mit der Bereitschaft des Sicherheitsrates, sich über Souveränitätsansprüche einzelner Staaten hinwegzusetzen und im Interesse von Minderheiten innerhalb dieser Staaten zu intervenieren, wuchs auch die Zahl der jeweils im Einsatz befindlichen „Blauhelme". War ONUC (UN Operation in the Congo) 1960 - 1964 mit beinahe 20.000 „Blauhelmen" die größte Mission während des Kalten Krieges, so erreichte UNPROFOR (UN Protection Force) im ehemaligen Jugoslawien mit mehr als 50.000 Soldaten unter der UN-Flagge einen quantitativen Höhepunkt. Heute befinden sich wieder mehr als 53.000 „Blauhelme", also militärische Verbände und Einheiten, Militärbeobachter und Zivilpolizei im Einsatz zur Sicherung des Friedens. 36 Qualitativ konnten die „Blauhelme" allerdings die hohen Erwartungen in die Fähigkeit der UN zur Friedenssicherung nur selten erfüllen. Das lag zumeist an unzureichender Lagefeststellung durch den Sicherheitsrat. In Ermangelung eigener Kapazitäten zur Aufklärung und Nachrichtengewinnung stützt sich dieses Gremium vor allem auf Informationen aus dem Bereich seiner Mitglieder ab, vorrangig der „Permanent Five". Daß solche Informationen oft oberflächlich und damit fehlerhaft waren, hatten „Blauhelme" häufig mit ihrem Leben zu bezahlen. Zur Illustration solcher Sachverhalte sei auf das Beispiel des SomaliaEinsatzes mit 8 gefallenen „Blauhelmen" bei UNOSOM I (1991-1993) und 148 gefallenen „Blauhelmen" bei UNOSOM II (1993 - 1995) verwiesen. Das hierfür erteilte Mandat (UNOSOM I) sah zunächst die militärische Unterstützung humanitärer Hilfe für die von einer schweren Hungersnot bedrohte Bevölkerung durch die „Blauhelme" vor. Als der Sicherheitsrat zusätzlich beschloß, das Mandat auf die Schaffung eines westlichen Demokratie- und Rechtsvorstellungen entsprechenden Staates in Somalia zu erweitern (UNOSOM II), stützte er sich auf völlig ungenügende Informa34

UN-Charta, Präambel. United Nations - General Assembly, We the people: the role of the United Nations in the twenty-first century. Report of the Secretary-General, 27 March 2000, U N Doc. A/54/2000, Ziff. 194; Deutsche Fassung: Vereinte Nationen - Generalversammlung, Wir die Völker: Die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert. Bericht des Generalsekretärs, 27. März 2000, U N Doc. A/54/2000; die englische Fassung wurde auch veröffentlicht vom U N Department of Public Information als Broschüre: Kofi Annan, SecretaryGeneral o f the United Nations, 'We the Peoples'. The Role of the United Nations in the 21st Century, UN DPI Sales Number E.00.I.16, N e w York 2000) und im Internet: www.un.org/millennium/sg/report/index.html. 35

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Generalsekretär Kofi Annan vor dem Sicherheitsrat (Fn. 31).

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tionen und überschätzte die Möglichkeiten der internationalen Staatengemeinschaft dramatisch. Während die militärisch organisierte Verteilung der Nothilfe tatsächlich ein Ende der Hungersnot herbeiführte, weshalb UNOSOM I als voller Erfolg anzusehen ist, scheiterte der weitergehende Versuch, aus Somalia einen demokratischen Rechtsstaat zu machen so total, daß der Sicherheitsrat sein eigenes Engagement schließlich abbrach und die Mission UNOSOM II beendete. Die Ursache des Versagens dieser Friedensoperation lag weitgehend bei mächtigen Mitgliedstaaten. Statt sich aber zu ihren eigenen offensichtlichen Fehlern zu bekennen, beschuldigen sie seither zumeist die UN, gescheitert zu sein und versagt zu haben. Dieser Vorwurf des Scheiterns belastet seither das Bemühen der UN um erfolgversprechende Friedenssicherung. Der Sicherheitsrat hat durchaus erkannt, daß die UN, genauer: ihr Generalsekretär, als Voraussetzung zu erfolgreicher Friedenssicherung „über die Kapazität zur wirksamen Informationsbeschaffüng und -analyse verfugen sollte, um den Rat bei seinen Beratungen über die Konzeption des Mandats einer Mission, bei dessen regelmäßiger oder fallweiser Überprüfung sowie bei der Prüfung des Abzugs einer Mission durch glaubhafte und objektive Analysen und durch fundierte Beratung unterstützen zu können."37 Bisher aber hat der Rat sich nicht nur auf häufig von ihm selber zu verantwortende ungenügende Lagebeurteilungen abgestützt, sondern auch zumeist eine Haltung des zaghaften, schrittweisen Vorgehens bevorzugt, statt seinen politischen Willen mit Entschlossenheit durchzusetzen. So wurden Mandate für Friedensoperationen regelmäßig nach den Bedingungen des Kapitel VI erteilt. Ein Mandat nach Kapitel VI UN-Charta verlangt von der politischen und dementsprechend auch der militärischen Präsenz der UN im Krisengebiet grundsätzlich Unparteilichkeit (Impartiality) und Neutralität. Darüber hinaus setzt es die vorherige Zustimmung der Konfliktparteien zur Anwesenheit der UN voraus. Die „Blauhelme" waren deshalb regelmäßig nur leicht bewaffnet und fast ungeschützt gegen etwaige Feindseligkeiten von Seiten einer oder mehrerer Konfliktparteien. Gewalt sollten die „Blauhelme" nur als äußerstes Mittel der Selbstverteidigung anwenden dürfen. Man hat derartige Einsätze im Nachhinein als „ Classical Peacekeeping" oder als „ Traditional Peacekeeping" bezeichnet, bisweilen auch als „Peacekeeping der ersten Generation" und auch „der zweiten Generation"38. Der Sicherheitsrat beweist seine generelle Scheu, auf militärische Mittel zur Friedenssicherung zurückzugreifen häufig, indem er zu Beginn eines 37 Mitteilung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 25.9.2001 (UN Doc. S/2001/905), Ziff. 8; dt. Fassung zit. nach Vorauskopie des Deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen, http://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N09/930/43/doc/N0993043 ,DOC?OpenElement 38 Günther Unser, Die UNO. Aufgaben - Strukturen - Politik, 6. Aufl., München 1997, S. 106 f.

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Engagements zumeist nur wenige „Blauhelme" in das jeweilige Krisengebiet entsendet. Erst unter dem Druck der Verhältnisse, wenn sich klar abzeichnet, daß eine lediglich symbolische Präsenz der UN keine Wirkung im Sinne einer Eindämmung des Konfliktes oder einer De-eskalation der Krise bewirken kann, bemüht sich der Rat zögerlich um quantitative Nachbesserung. So begann die UN-Präsenz in Sierra Leone zunächst mit wenigen Dutzend, schließlich bis zu 210 Militärbeobachtern der Mission UNOMSIL (UN Observer Mission in Sierra Leone). Im Herbst 1999 entschied man über UNAMSIL (UN Assistance Mission in Sierra Leone) mit 6.000 „Blauhelmen", mußte die Mission aber schon im Februar 2000 auf 11.100 Mann erhöhen. Als die Lage im Lande mit Angriffen auf „Blauhelme" und zahlreichen Geiselnahmen eskalierte, verstärkte man UNAMSIL schon im Mai 2000 auf 13.000 und schließlich noch weiter auf 17.500. Erst danach konnten die UN ihren politischen Willen in Sierra Leone so erfolgreich durchsetzen, daß der Krieg dort am 18. Januar 2002 für beendet erklärt wurde. 39 Während man annehmen kann, daß die nachträgliche quantitative Verstärkung einer Friedensmission relativ einfach zu bewerkstelligen ist, gilt das für den entsprechenden Versuch qualitativer Nachbesserung nicht. Die völlig unzureichende personelle Stärke der Friedensmission in der Demokratischen Republik Kongo MONUC (Mission des Nations Unies dans la République Démocratique du Congo) von zunächst nur 5.537 „Blauhelmen" konnte man relativ leicht auf 11.000 verdoppeln. Ohne diesen nunmehr 11.000 „Blauhelmen" die Möglichkeiten entsprechender Mobilität und Flexibilität zu geben, reichte diese quantitative Verbesserung jedoch nicht aus, um dem Bemühen der UN zur Friedenssicherung den gewünschten Erfolg zu garantieren. Die Annahme des Sicherheitsrates, man könne im Falle einer krisenhaften Entwicklung der Lage im Einsatzgebiet nachträglich den Schutz der „Blauhelme" verstärken und ihnen außerdem mit gleicher Verspätung die Befugnis erteilen, ihre leichten Waffen zur Durchsetzung ihres Auftrages zu verwenden, hat sich in allen Krisengebieten als unhaltbar erwiesen. Auch die Zuführung schwerer Waffen, um im Nachhinein die Erfolgsaussichten der Friedensmission zu verbessern, schlug fast immer fehl. Die unverzichtbare vorherige Ausbildung der jeweiligen „Blauhelm"-Kontingente an solchen Waffen konnte im Einsatz nicht geleistet werden. Das Versagen der UN in Ruanda und Srebrenica stehen als traurigste Beispiele für solche schwerwiegenden Fehler des Sicherheitsrates. 4.1. Das Reformkonzept des Brahimi-Reports Die bitteren Erfahrungen der UN mit den Friedensmissionen im ehemaligen Jugoslawien, in Somalia und Ruanda gaben den Anstoß zu den 57 Reformvorschlägen, die der „Brahimi-Bericht" im August 2000 den Mit39

Resolutionen des Sicherheitsrats zu Sierra Leone: UN Doc. S/RES/1260 (20.8.1999); S/RES/1270 (22.10.1999); S/RES/1289 (7.2.2000); S/RES/1299 (19.5.2000); S/RES/1313 (4.8.2000); S/RES/1370 (18.9.2001).

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gliedstaaten unterbreitet hat40. Angesichts zahlreicher von Feindseligkeiten geprägter Konfliktsituationen, in denen weder der Konsens der Parteien, noch Unparteilichkeit und die strikte Beschränkung auf Selbstverteidigung haltbar sind, rangiert auf konzeptioneller Ebene an der Spitze der Vorschläge die Forderung, sich auf eindeutige und mit den Mitteln der UN erreichbare Handlungsziele in den Mandaten für die Friedensmissionen zu konzentrieren. Unter den wichtigsten Maßnahmen, die der „Brahimi-Bericht" vorgeschlagen hat, sind zu nennen: • Die Staatengemeinschaft muß sicherstellen, daß Friedenssicherung angesichts der Natur des Konfliktes eine angemessene Option der UN ist. • Es muß einen Frieden geben, den es zu sichern gilt. Dazu müssen alle wichtigen Parteien der Einschaltung der UN zustimmen und ihre Rolle in der Konfliktbewältigung akzeptieren. • Der Sicherheitsrat muß sich auf ein eindeutiges Ziel der Friedensoperation einigen und dazu ein klares Mandat erteilen. • Der Sicherheitsrat muß sicherstellen, daß das Mandat erreichbar ist. Dazu muß eine ausreichende Zahl von Truppen (Soldaten und/oder Zivilpolizei) genehmigt werden. Die Truppenstellernationen müssen diese mit angemessenem Ausbildungsstand und entsprechender Ausrüstung zur Verfügung stellen. • Rasche Verlegung von Truppen und deren Material in das Krisengebiet ist oft entscheidend für die Glaubwürdigkeit und Fähigkeiten einer Mission. • Mitgliedstaaten müssen bereit sein, die UN auch genügend lange und mit ausreichenden Mitteln zu unterstützen, denn Frieden läßt sich nicht über Nacht herstellen. Im Bereich der Organisation und Führung von Friedensmissionen durch das UN Sekretariat verlangen dessen Fähigkeiten zu erfolgversprechender Friedenssicherung: • Die personelle Verstärkung der Büros des Undersecretary-General (USG) und seiner beiden Assistant Secretaries-General (ASG) im DPKO; die • Einrichtung eines Direktors für Management im Büro des USG (Seine Betrauung mit „Strategischen Aufgaben" wurde abgelehnt); die • Umwandlung der bisherigen "Lessons Learned Unit" in eine „Best Practices Unit"41, die zugleich die bisherige „Policy Planning Unit" umfaßt und dem Direktor für Management unterstellt wird; die

40

Report of the Panel on United Nations Peace Operations (UN Doc. A/55/305S/2000/809): allgemein als,,Brahimi-Report" bezeichnet. Dazu der Bericht des Generalsekretärs (UN Doc. A/55/502; 20.10.2000) "Comprehensive review of the whole question of peacekeeping operations in all their aspects." 41 Siehe hierzu : DPKO-Handbook (Fn. 6).

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Trennung der „Civil Police Unit" von der Military Division bei gleichzeitiger Erweiterung zur „Police Division"; die • Einrichtung einer Einheit für polizeiliche Rechtsberatung in der „Police Division"; die • Umgliederung der "Field Administration and Logistics Division" (FALD) zum "Office of Mission Support" (OMS); den • Ausbau des „Mine Action Service" zur „Mine Action Division"; eine deutliche • Verstärkung des Lagezentrums „Situation Center" und dessen Befähigung zu möglichst umfassender, vorurteilsfreier Lagebeurteilung; die • Stärkung des zivilen Rekrutierungsmechanismus im DPKO in Zusammenarbeit mit dem UN „Office of Human Resources Management"; die • Verstärkung der „Claims and Information Management Section" bei DPKO zur Bearbeitung der Ansprüche der Truppenstellernationen auf Kostenrückerstattung in angemessenen Zeiträumen; die • Einrichtung von „Integrated Mission Task Forces" (IMTF), um den vielfältigen Aufgaben multidimensionaler Friedensoperationen gewachsen zu sein. Der „Brahimi-Bericht" stellt eindeutig auf die nunmehr aktuellen Herausforderungen der Friedenssicherung durch die UN ab und konzentriert seine sowohl realistischen als auch dringlichen Empfehlungen auf den Bereich des „ Multidimensional Peacekeeping". Die große Mehrzahl der Mitgliedstaaten hat die Ergebnisse des „Brahimi-Berichts" begrüßt und seinen Vorschlägen zugestimmt. Dabei zeichnete sich eine Allianz der truppenstellenden Staaten sowohl des Nordens als auch des politischen Südens ab, denen daran gelegen ist, die UN und hier besonders DPKO im Interesse ihrer eigenen „Blauhelme" zu stärken. Die Umsetzung der Vorschläge durch die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel in der Generalversammlung erfolgte jedoch nur zögerlich. Die zusätzlichen Kosten für den regulären UN Haushalt wurden auf lediglich ca. 2 Mill. US-Dollar geschätzt; das Sonderkonto für friedenserhaltende Maßnahmen sollte mit ca. 25 Mill. US-Dollar belastet werden. Von den 250 ursprünglich vorgesehenen zusätzlichen Stellen sind zwar zunächst nur 150 bewilligt worden, aber auch damit hat DPKO - nach ideologisch begründeten Attacken gegen seine Effizienz aus den Reihen der Entwicklungsländer in den Jahren 1997-1998 - die als Voraussetzung für erfolgreiche Friedenssicherung dringend gebotene Verstärkung erhalten. 4.2. Friedensmissionen „der dritten Generation'4 - „robust peacekeeping" Mittlerweile ist es allgemeine Erkenntnis der UN, daß die wichtigste Voraussetzung erfolgreicher Friedenssicherung ein „robustes" Mandat ist. Die

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Mandate derartiger friedenssichernder Operationen, bisweilen als solche der dritten Generation bezeichnet42 müssen regelmäßig nach den Konditionen des Kapitel VII der Charta erteilt werden. In der unmittelbaren Konsequenz sind die „Blauhelme" mit ausreichendem Selbstschutz auszustatten, also mit gepanzerten statt ungepanzerten Fahrzeugen. Außerdem sind sie so zu bewaffnen, daß sie den politischen Willen der Weltorganisation, wie er in den Bestimmungen des jeweiligen Mandats zum Ausdruck kommt, auch gegen möglicherweise feindselige Konfliktparteien angemessen durchsetzen können. Der politische Wille der Weltorganisation muß schließlich in eindeutige, unmißverständliche Einsatzregeln („Rules of Engagement" - ROE) umgesetzt werden. 4.3. Lesson learned in Bosnien-Herzegowina In Bosnien-Herzegowina nahmen ab 1994 die bewaffneten Kräfte der von Karazic aus Pale kommandierten bosnischen Serben zunehmend eine feindselige Haltung gegenüber den gemäß Kapitel VI nur schwach bewaffneten „Blauhelmen" ein. Es kam zu blutigen Verlusten auf der Seite der UNPROFOR, denen es kaum noch gelang, die humanitäre Hilfe für unter ihrem Schutz befindliche Zivilbevölkerung zu verteilen. Entgegen der ausdrücklichen Auffassung der UN entschloß sich Dänemark, zum Schutz seines „Blauhelmkontingents" in Tuzla eine Kompanie Leopard IKampfpanzer dorthin zu entsenden. Nachdem diese von den bosnischen Serben zunächst unter Feuer genommen wurden, erwarben sie sich deren Respekt sozusagen im scharfen Schuß. Damit war das dänische „Blauhelmkontingent" nicht nur in der Lage, den humanitären Teil seines Auftrages zu erfüllen, sondern war auch anderen „Blauhelmformationen" ein wichtiger Rückhalt. Diese zunächst heftig kritisierte dänische Maßnahme kann man durchaus als Geburtsstunde dessen ansehen, was seither als „Robust Peacekeeping" bezeichnet wird. Die erste Mission, deren Einsatz nach den Bedingungen des „Robust Peacekeeping" ein voller Erfolg wurde, war UNTAES (UN Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Syrmium) 1996-1998: Je ein mit einer Kompanie Kampfpanzer verstärktes Panzergrenadierbataillon aus Belgien, Jordanien, Pakistan und der Russischen Föderation, ein Panzerbataillon aus der Ukraine, sowie Panzeraufklärer aus Argentinien, Pioniere aus der Slowakei und einige weitere Kontingente bildeten eine 5.000 „Blauhelme" starke Friedenstruppe, der 100 unbewaffnete Militärbeobachter beigegeben waren. Die Präsenz dieser Truppe war so überzeugend, daß es gelang, etwaige Friedensbrecher von ihren Absichten abzuschrecken. Schon nach wenigen Monaten erfolgreicher Stabilisierung der Lage konnte UNTAES das ukrainische Panzerbataillon entlassen und von Infanterie aus dem gleichen Land und polnischer Spezialpolizei ersetzen lassen. Damit demonstrierten die UN der Lageentwicklung angepaßte sicht42

Vgl. Günther Unser, Die U N O (Fn. 38), S.107.

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bare De-eskalation. Während der gesamten Mandatsdauer gaben die Soldaten dieser robusten Friedensmission keinen einzigen Schuß ab. Bei termingerechter Beendigung des UNTAES-Mandats kehrte die zunächst von Serben kriegerisch besetzte Provinz friedlich in den Staatsverband Kroatiens zurückkehren. Während dieser Einsatz ausschließlich unter der Verantwortung der UN ablief, fand in unmittelbarer Nachbarschaft in Bosnien-Herzegowina der Einsatz der Implementation Force - IFOR (nach 12 Monaten: Stabilisation Force - SFOR) statt. Deren 60.000 schwer bewaffnete Formationen unter der Flagge der NATO hatten die dort zuvor eingesetzten „Blauhelme" der UNPROFOR (UN Protection Force) abgelöst. Tatsächlich wechselten die meisten „Blauhelm"-Kontingente lediglich die Farbe ihrer Kopfbedeckung vom Blau der UN zu den nationalen Helmen. (Ein derartiges "Re-hatting" fand in umgekehrter Richtung bei einigen UN Missionen statt, die zuvor von anderen Organisationen begonnen worden waren, z. B. in Haiti oder Ost-Timor.) Während der Sicherheitsrat UNPROFOR die Anwendung irgendwelcher Zwangsmaßnahmen nur gemäß den äußerst restriktiven Regeln des „Traditional Peacekeeping" nach Kapitel VI genehmigt hatte, demonstrierten IFOR/SFOR ähnlich wie UNTAES - allerdings mit einem vielfach größeren militärischen Potential, - daß es zu erfolgreicher Friedenssicherung außer eines eindeutigen politischen Willens auch der entsprechenden operativen Fähigkeiten bedarf. 4.4. Politische und militärische Bedingungen für UN-Friedensmissionen Wie schon bei der internationalen Reaktion auf die Aggression Nord-Koreas gegen seinen südlichen Nachbarn, oder auch im Falle der Aggression des Irak gegen Kuwait mußten die UN im Bereich des ehemaligen Jugoslawien erkennen, daß sie selber nicht über die Fähigkeiten verfügen, militärische Operationen größeren Umfangs oder anspruchsvoller Komplexität mit eigenen Kräften zu fuhren. Dafür mangelt es der Weltorganisation nicht nur an rasch verfugbaren Einsatzkräften, sondern vor allem an der dafür unerläßlich notwendigen Führungsfähigkeit, etwa eines Generalstabes. So bleibt dem Sicherheitsrat entweder nur der Rückgriff auf eine ad hoc formierte Koalition von Mitgliedstaaten, die dazu bereit sind, sich gemeinsam in den Dienst der UN zu stellen ("Coalition of the Willing") oder die Bitte an eine Regionalorganisation, ihre operativen Fähigkeiten für die Ziele der UN einzusetzen. Bisweilen finden UN-Friedensoperationen parallel zu Operationen unter der Führung von einzelnen Mitgliedstaaten oder von Regionalorganisationen statt. Dabei kommt es zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit, die bisweilen bis zur Integration der UN Mission in eine von anderen geführte Operation gehen kann. • So hatten 1992 in Somalia zunächst die USA die Führung. Die Mission der UN arbeitete dort mit der US-Führung zusammen. Nach dem Prinzip einheitlicher Führung erfolgte diese weitge-

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hend von Washington aus. Der Sicherheitsrat konnte seine Autorität deshalb nicht angemessen zur Wirkung bringen. Das trug sicher zum Scheitern von UNOSOM II bei. • 1994 engagierte sich anfänglich die „Organisation Amerikanischer Staaten" (OAS) unter Führung der USA in Haiti, ehe der Sicherheitsrat die UN-Mission UNMIH (UN Mission in Haiti) autorisierte, welche dann die OAS ablöste. • Vergleichbar waren die Verhältnisse 1999 beim Einsatz zur Friedenssicherung fur Ost-Timor, den zunächst Australien als „Lead Nation" einer Ad-hoc-Koalition führte, ehe der Sicherheitsrat mit dem Mandat für UNTAET (UN Transitional Administration in East Timor) die Verantwortung für diese Mission übernahm. • 2003 war es offiziell die Europäische Union, tatsächlich aber Frankreich, das die Führung der zeitlich kurzen Operation „Artemis" in Bunia im Osten der Demokratischen Republik Kongo übernahm. Parallel dazu blieben die UN mit der Mission MONUC (Mission des Nations Unies dans la République Démocratique du Congo) verantwortlich fur die Friedenssicherung im ganzen Land. Die Intervention einer Koalition der Willigen wird vom Sicherheitsrat autorisiert, der den beteiligten Staaten und ihren Einsatzformationen mit einer entsprechend formulierten Resolution die Legitimation erteilt, alle gemäß Kapitel VII43 notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und alle entsprechenden Mittel einzusetzen, um das möglichst eindeutig zu definierende Ziel zu erreichen.44 Alle Einsatzverbände von „Koalitionen der Willigen" bleiben regelmäßig unter dem Kommando der jeweiligen Führungsnation oder der Regionalorganisation. So verlaufen auch die Meldewege zu den jeweiligen Hauptquartieren. Bei „Blauhelm"-Missionen hat dagegen der UN-Generalsekretär das Kommando; entsprechend unterstehen ihm dann auch alle nationalen Kontingente. Allerdings behalten sich viele Truppenstellerstaaten die letzte Verfugung über ihre Soldaten vor und setzen dazu jeweils einen „Nationalen Befehlshaber im Einsatzland" ein, der enge Verbindung zu seinem nationalen Hauptquartier hält und dort zumeist nachfragen muß, ehe „seine" Formation Anweisungen der UN folgen darf. Bisweilen versuchen Truppensteiler, besondere Bedingungen für den Einsatz ihrer „Blauhelme" durchzusetzen, sie also beispielsweise nicht in dem einen oder anderen Bereich des Krisengebietes zu stationieren. Gelegentlich werden „Blauhelmkontingente" auch aus nationalem Interesse vorzeitig abgezogen. Ein derartiger unerwarteter Abzug des für die UN-Mission UNOSOM II unverzichtbaren US-Kontingents und in seiner Folge auch der Kontingente aller anderen Mitgliedstaaten der NATO entzog dem UN-Generalsekretär die Möglichkeit, die Mission fortzusetzen. So blieb ihm keine andere 43 44

UN-Charta Kap. VII, insbesondere Art. 42 bis 45. Art. 53 Ziff. 1 UN-Charta.

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Wahl, als dem Sicherheitsrat dringend die Beendigung von UNOSOM II zu empfehlen. 4.5. Der Einsatz ziviler Polizei bei Friedensmissionen Die Präsenz der UN in Bosnien-Herzegowina beschränkte sich weitestgehend auf die zivilen Polizeibeamten der IPTF (International Police Task Force).45 Ihre schließlich 2.027 unbewaffneten Zivilpolizisten unterstanden der UNMIBH (UN Mission in Bosnia-Hercegovina) und waren zugleich der sichtbare Einstieg in das, was man bisweilen als „Policekeeping"46 bezeichnet hat, was aber in weiterem Sinn seither als Teil „Komplexer Friedenssicherung"47 verstanden wird. IPTF wurde richtungweisend für alle nachfolgenden Einsätze multinationaler Zivilpolizei unter der Flagge der UN. Im Gegensatz zu und in deutlicher Abgrenzung von der bis dahin meistens eingesetzten Militärpolizei waren 1964 erstmals 173 zivile Polizeibeamte bei der UNFICYP auf Zypern stationiert worden. 48 Zahlenmäßig große Zivilpolizei-Einsätze, wie 1989/90 in Namibia mit 1.500 „Police Monitors" und 1992/93 in Kambodscha mit 3.600 Polizeibeamten hatten große Schwierigkeiten bereitet. Grundsätzlich sind Polizisten für Einsätze im Inneren ihrer jeweiligen Heimatländer rekrutiert worden. Dabei orientieren viele Mitgliedstaaten der UN die Aufgaben der Polizei zur Wahrung von Recht und Ordnung nicht vorrangig an den Interessen ihrer Bürger. Deshalb ist es problematisch, Polizisten in anderen als ihren eigenen Gesellschaften einzusetzen, um dort Regeln polizeilichen Handelns zu überwachen, wenn diese als UNCIVPOL (UN Civilian Police) ein an der Einhaltung der Menschenrechte ausgerichtetes Verhalten selber erst im Rahmen einer UN-Friedensmission erlernen sollen. Im Rahmen multidimensionaler Friedensoperationen kommen zivile Polizeibeamte inzwischen regelmäßig zum Einsatz. Dementsprechend können UN-Missionen durch ihr Mandat beispielsweise aufgerufen sein, den einheimischen Behörden oder den auf Konsens und Kooperation verpflichteten Konfliktparteien zu helfen, • Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, • Politische Institutionen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu schaffen, • Ex-Kombattanten zu entwaffnen, zu demobilisieren und zu reintegrieren, • Nothilfe zu leisten, • Flüchtlinge und Vertriebene zu repatriieren, 45

Grundlage der Aufstellung der IPTF war Annex 11 zum „Dayton Peace Agreement" vom 21. 11. 1995. 46 Manfred Eisele, „Policekeeping" Anmerkungen zu internationalen Polizeieinsätzen, in: Martin H.W. Möllers/Robert C. van Ooyen (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2002/2003, Frankfurt 2003, S.497 - 511. 47 Dieter Gothel, Die Vereinten Nationen: Eine Innenansicht, 2., neubearb. Aufl., Berlin 2002, S.53. 48 Erwin A. Schmidl, Police in Peace Operations, Informationen zur Sicherheitspolitik, Nr. 10; Wien 1998, S. 27.

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• • •

Minenräumprogramme zu organisieren, Internationale Wiederaufbauhilfe zu organisieren, Demokratische Wahlen vorzubereiten und ihre Abhaltung zu überwachen. • Elemente der Friedenskonsolidierung sind dabei in die Mandate integriert. Da den UN-Repräsentanten in diesen Funktionen im Allgemeinen keine Exekutivbefugnisse übertragen werden, sind sie in der Regel unbewaffnet. Ihre Sicherheit muß dann entweder durch die lokalen Behörden des Einsatzlandes garantiert werden, oder eine andere internationale Sicherheitspräsenz wird damit beauftragt. Im Falle der unbewaffneten Polizisten der IPTF in Bosnien-Herzegowina hat ursprünglich die IFOR/SFOR diese Funktion übernommen. Im Kosovo wurde dagegen der internationalen Militärpräsenz KFOR (Kosovo Force) der Schutz der zivilen UNMIK (UN Mission in Kosovo) übertragen. Allerdings sind dort die mehr als 4.000 Zivilpolizisten der ÜNMIK mit persönlichen Waffen ausgestattet, weil sie angesichts der erst im Aufbau befindlichen einheimischen Polizei auch Exekutivbefugnisse besitzen. Obwohl die UNCIVPOL-Monitors zumeist keine Exekutivbefugnisse besitzen, hat sich seit dem IPTF-Einsatz herausgestellt, daß „Non-Compliance Reporting" und „De-Certification" sehr wirksame Instrumente sind bei der Umwandlung einer totalitär oder auf andere Weise un-demokratisch geprägten Polizei in eine an den Interessen der eigenen Bürger orientierte Ordnungsmacht. Dabei werden solche Beamte gemeldet, die sich weigern, ihre Verhaltensweise gegenüber den Mitbürgern zu ändern. Bei Unbelehrbarkeit erfolgt die Entlassung aus dem Polizeidienst. Das geschah in Bosnien-Herzegowina alleine auf Veranlassung von IPTF in ca. 500 Fällen.49 4.6. Präventive Diplomatie - Präventive Aktionen Der Sicherheitsrat beauftragte den damaligen Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, sich vorrangig präventiver und friedenschaffender Maßnahmen anzunehmen.50 In seinem Bericht dazu erläutert er ausführlich Maßnahmen der „Präventiven Diplomatie".51 Die in diesem Zusammenhang empfohlene präventive Stationierung von Friedenstruppen der UN52 in einem möglichen Krisengebiet, um dort die Eskalation eines politischen Spannungszustandes zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zu verhindern, hat so nur einmal stattgefunden: UNPREDEP (UN Preventive Deployment Force in the Former Yugoslav Republic of Macedonia) war 49

Vgl. DPKO-Handbook (Fn. 6), S.89. United Nations - Security Council, Statement by the President of the Council, 31 January 1992, UN Doc. S/23500. 51 United Nations - General Assembly/Security Council, An Agenda For Peace. Preventive diplomacy, peacemaking and peace-keeping. Report of the Secretary-General pursuant to the statement adopted by the Summit Meeting of the Security Council on 31 January 1992, UN Doc. A/47/277 - S/24111, Ziff. 23ff.; auch veröff. als Broschüre: Boutros BoutrosGhali, An Agenda for Peace, United Nations, New York, 1992. 52 Ebd., Ziff. 28. 50

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1992 ursprünglich als Teil der für die vom Bürgerkrieg betroffenen Gebiete des ehemaligen Jugoslawien entsandte UNPROFOR (UN Protection Force) geschaffen worden, weil man im Sicherheitsrat befürchtete, wegen der großen albanischen Minderheit in Mazedonien und wegen eines möglichen serbischen Interesses, diese Teilrepublik nicht in die Unabhängigkeit zu entlassen, werde es zu bewaffneten Übergriffen und Grenzverletzungen kommen. Erst 1995 mit der Umgliederung der UN-Mission im ehemaligen Jugoslawien wurde UNPREDEP selbständig. Es gelang den UN, durch die b|oße Präsenz der ca. 1.500 „Blauhelme" die Sicherheit Mazedoniens vor Übergriffen von außen zu gewährleisten und damit zugleich einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der inneren Befindlichkeit dieses heterogenen Staates zu leisten. Die Anwesenheit von UNPREDEP symbolisierte überzeugend das politische Interesse der internationalen Staatengemeinschaft an friedlichen Verhältnissen in diesem jungen Mitgliedstaat der UN. Dieser erfolgreiche Einsatz mußte im Februar 1999 überraschend abgebrochen werden, weil China trotz der äußerst gespannten Lage um das benachbarte Kosovo aus egoistischen Motiven5 sein Veto gegen eine abermalige Verlängerung des UNPREDEP-Mandats einlegte. Generalsekretär Kofi Annan hat den Begriff der „Präventiven Diplomatie" von seinem Vorgänger übernommen, ihn aber erweitert zu „Präventiven Aktionen ". Damit wird erkennbar, daß das Spektrum derartiger Maßnahmen der Friedenssicherung weit über den Rahmen der Diplomatie hinausreicht. Eigentlich sollten ja alle „Peacekeeping Operations" eine präventive Funktion haben, indem sie darauf abzielen, den Ausbruch oder die Wiederaufnahme von bewaffneter Auseinandersetzungen zu verhindern. Das kann dann besonders wirksam sein, wenn es gelingt, mit Kräften der UN zu intervenieren, bevor es zur bewaffneten Austragung von Konflikten kommt. Neben UNPREDEP zählt Kofi Annan auch die Friedensmission MINURCA (Mission des Nations Unies dans la République Centrale Africaine) 1998 zu dieser Kategorie.54 Sinnvollerweise sollte Prävention bereits am Anfang eines Krisenzyklus einsetzen, bevor dieser so weit eskaliert, daß nur noch der Einsatz internationaler militärischer und/oder polizeilicher Kräfte als erfolgversprechende Option erscheint. Da der Nutzen von Prävention in der Zukunft liegt und sich kaum quantifizieren läßt, wird die Bereitschaft von Mitgliedstaaten gering bleiben, Truppen, Zivilpolizei oder auch nur Haushaltsmittel fur solche Aktionen verfügbar zu machen. Dabei hat beispielsweise eine Carnegie-Kommission geschätzt, daß eine frühzeitige Verstärkung der UNAMIR (UN Assistance Mission in Rwanda) 1994 bei Kosten von ca. 1,3 Mrd. US-Dollar fur eine erfolgreiche Prävention ausgereicht hätte, dem Völkermord dort Einhalt zu gebieten. Bisher wurden bereits mehr als 4,5 Mrd. US-Dollar für die Folgen des Genozids aufgewendet.55 Beson53

China sah sein Prinzip der „One China - Policy" durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Mazedoniens zu Taiwan gefährdet. 54 United Nations - General Assembly/Security Council, Prevention o f armed conflict. Report o f the Secretary General, 7 June 2001, UN Doc. A/55/985 - S/2001/574, Ziff. 81. 55 Ebd., Ziff. 3.

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ders in demokratisch verfaßten Gesellschaften bedarf es des Interesses der Mehrheit der Bürger, sich an der Eindämmung oder Lösung von Konflikten in fernen Weltgegenden zu beteiligen. Um solches Interesse zu wekken, müssen die Menschen in den potentiellen Geberländern betroffen sein von dem Geschehen, in dem ihre Hilfe erhofft wird. Kofi Annan spricht in diesem Zusammenhang von „präventivem Journalismus."56 Da aber die Unterstützung präventiver Aktionen der UN von den Mitgliedstaaten kommen muß, gipfeln die Forderungen des Generalsekretärs in der Empfehlung: „Ich ermutige die Mitgliedstaaten und den Sicherheitsrat, mehr aktiven Gebrauch zu machen von der präventiven Entsendung [von „Blauhelmen"] wie angemessen vor dem Ausbruch eines Konfliktes."" 4.7. Schutz der Bevölkerung und Schutz des UN-Personals Neben der Einsicht, daß aktive Prävention Vorrang vor verspätetem Eingreifen haben sollte, ist es der Gedanke des Generalsekretärs, daß Friedenssicherung durch die UN ihrer Verantwortung entspreche, Menschen in Not und Gefahr zu schützen. Kofi Annan hat deshalb die von blutiger Brutalität geprägten Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo, in der Elfenbeinküste und in Liberia als „Crises of Protection" bezeichnet.58 Es war deshalb konsequent, wenn der Sicherheitsrat trotz der dafür weder personell noch materiell ausreichend ausgestatteten Friedensmission im Kongo MONUC beauftragt, „Zivilpersonen und Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, die unmittelbar von körperlicher Gewalttätigkeit bedroht sind, zu schützen".59 Auch in den Mandaten anderer Missionen sind ähnliche Formulierungen zu finden. In der Praxis aber stoßen die vielfach ungenügend ausgestatteten „Blauhelme" rasch an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Wenn sich Hunderte, bisweilen sogar Tausende von aggressiven Milizen oder fremden Invasionstruppen bedrohte Zivilisten in den Schutz von „Blauhelm"Lagern flüchten wollen, enden derartige Rettungsversuche zumeist in Frustration, die dann in allgemeine Enttäuschung über und Aggression gegen die UN und ihre Repräsentanten vor Ort umschlagen können. 4.8. „Humanitäre Intervention" im Kosovo? Das bereits angesprochene Zaudern des Sicherheitsrates, sich in solchen Krisen zu engagieren, die das Potential zur Eskalation zu bewaffneten Konflikten erkennen lassen, hat dazu geführt, daß es seit 1945 wesentlich mehr bewaffnete Auseinandersetzungen gegeben hat, als friedenssichernde Einsätze der UN. 56

Ebd., Ziff. 130. Ebd., Ziff. 85, Recommendation 12. 58 United Nations - General Assembly, Implementation of the United Nations Millennium Declaration. Report of the Secretary-General, 2 September 2003, UN Doc. A/58/323, Ziff. 57

8. 59 UN Doc. S/RES/1493 vom 28.7.2003; Ziff. 25; zit. nach dt. Fassung des Deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen, Resolutionen und Beschlüsse des Sicherheitsrats, 1. August 2002 - 31. Juli 2003, Sicherheitsrat - Offizielles Protokoll, Vereinte Nationen, New York 2003, UN Doc. S/INF/58, S. 41.

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Der Sicherheitsrat beurteilt die Frage einer möglichen Intervention der Weltorganisation also zumeist recht zurückhaltend. Das liegt sicher vor allem an der Befürchtung der ständigen Ratsmitglieder, man könne sonst leicht Präzedenzfalle schaffen, an denen das jeweils eigene Verhalten gemessen werde. So haben sowohl die Russische Föderation hinsichtlich eigener Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, als auch China wegen seiner Behandlung der Menschenrechte der Tibeter und der Uiguren mehrfach ihr Veto angedroht, wenn die massive Verletzung von Menschenrechten zu einer humanitären Intervention der UN auf dem Territorium eines Mitgliedstaates fuhren werde. Ganz konkret wurde damit letztlich 1998/1999 ein Mandat des Sicherheitsrates zu einem Einsatz gegen die „ethnischen Säuberungen" des damaligen jugoslawischen Regimes gegen seine eigenen Bürger albanischer Nationalität im Kosovo verhindert. Es erschien deshalb trotz völkerrechtlicher Bedenken gerechtfertigt, daß die NATO ohne vorherige Autorisierung und dem entsprechend auch ohne Mandat des Sicherheitsrates mit ihrer Operation "Allied Force" militärische Gewalt einsetzte, um das Regime in Belgrad zur Beendigung seiner massiven Menschenrechtsverletzungen gegenüber seiner albanischen Minderheit zu zwingen. 60 Hätten die Mitgliedstaaten der NATO den Umweg über eine „Uniting for Peace"-Resolution der Generalversammlung einschlagen wollen, hätte das wahrscheinlich monatelange Konsultationen mit vielen Regierungen gefordert. Während dieser Zeit aber wären weiterhin Tag für Tag viele Kosovo - Albaner vertrieben oder umgebracht worden. So wird das auch die Mehrzahl der Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats beurteilt haben, denn mit seiner Resolution 124461 hat der Rat diese „humanitäre Intervention" der NATO, wenn auch nicht de jure, so doch de facto gebilligt. Anders läßt sich kaum erklären, daß man die NATO in dieser Resolution beauftragte, die „internationale Sicherheitspräsenz" unter „substantieller Beteiligung der Nordatlantikpakt-Organisation" „ein sicheres Umfeld für alle Menschen im Kosovo zu schaffen". 62 Im Weiteren wird der Generalsekretär in dieser Resolution verpflichtet, im Kosovo eine Übergangsverwaltung zu errichten „als Teil der internationalen zivilen Präsenz unter der die Bevölkerung substantielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien genießen kann. Die Übergangsverwaltung soll für eine Übergangszeit die Verwaltung wahrnehmen und gleichzeitig vorläufige demokratische Selbstverwaltungsinstitutionen schaffen und deren Entwicklung überwachen, um die Bedingungen für ein friedliches und normales Leben für alle Einwohner im Kosovo sicherzustellen" 63 . Der Auftrag des Sicherheitsrates für UNMIK (UN Mission in Kosovo) stellt eine neue Dimension der Friedenssicherung dar. Hier geht es darum, 60

Siehe hierzu u. a. Konrad Clewing/Jens Reuter (Hrsg.), Der Kosovo-Konflikt, München 2000; Erich Reiter (Hrsg.), Der Krieg um das Kosovo 1998/99; Mainz 2000. UN Doc. S/RES/1244 (1999) vom 10.6.1999. 62 Ebd. Annex 2; Ziff. 4. 63 Ebd. Ziff. 5. 61

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in einem Krisengebiet für eine voraussichtlich längere Zeit eine Art Protektorat der UN zu etablieren. Wenn der Sicherheitsrat darauf auch in der Resolution 1244 und den zahlreichen Folgeresolutionen zum Kosovo nicht Bezug genommen hat, so stellt sich doch die Frage, ob nicht die Bestimmungen der UN-Charta zu Treuhandgebieten angewendet werden sollten.64 Wenn dieses Kapitel auch ursprünglich für Territorien und deren Bevölkerungen vorgesehen war, die sich in kolonialer Abhängigkeit befanden, so stellt Artikel 76 doch ausdrücklich fest, das Treuhandsystem diene u. a. hauptsächlich dem Zweck, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu festigen" und „die fortschreitende Entwicklung zur Selbstregierung oder Unabhängigkeit so zu fördern, wie es den besonderen Verhältnissen ... seiner Bevölkerung sowie deren frei geäußerten Wünschen entspricht."65 Außer dem seit dem Ende der Dekolonialisierung als überholt angesehenen Kapitel XII läßt sich auch dem Kapitel XI ein Bezug zu den „De-facto-Protektoraten" der UN im Umfeld der Friedenssicherung entnehmen.66 Allerdings werden viele Mitgliedstaaten mit heterogener Zusammensetzung ihrer Bevölkerungen befiirchten, daß mit einer Aktivierung dieser Bestimmungen Sezessionsbestrebungen von unterdrückten und benachteiligten Minderheiten gefördert werden könnten. Im Kosovo stehen die UN vor der Herausforderung, als Protektoratsverwaltung nicht nur den größten Teil der Exekutivbefugnisse wahrzunehmen, sondern angesichts des Zusammenbruchs der rechtlichen Strukturen auch deren fundamentalen Aufbau gemäß den Rahmenbedingungen der UN-Charta zu gewährleisten. Da die UN für die Fülle dieser multidimensionalen Aufgaben der Übergangsverwaltung für das Kosovo weder personell noch materiell vorbereitet und ausgestattet sind, war Generalsekretär Kofi Annan darauf angewiesen, UNMIK auf andere Organisationen abzustützen. Die Koordination so verschiedenartiger Akteure wie der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE), der „Europäischen Union" (EU), des UNDP (UN Development Programme) und - in gebührendem Abstand zwar, aber als Sicherheitsgarant unverzichtbar - der Kosovo Force (KFOR), die von der NATO ganz unabhängig von den UN geführt wird stößt seit ihrem Beginn auf große Schwierigkeiten. Dabei wird deutlich, daß Unklarheiten über das politische Ziel der fortdauernden UN Präsenz die Arbeit der UNMIK am meisten belasten. Während der Sicherheitsrat bei der Entsendung der UNMIK noch von der territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien als wünschenswertem Endzustand ausging, hat sich in Belgrad mittlerweile die Bundesrepublik Serbien/Montenegro als Nachfolgestaat etabliert. Es erscheint unrealistisch anzunehmen, daß die Kosovo-Albaner, die ca. 90 Prozent der Bevölkerung des Kosovo ausmachen, sich jemals damit 64 65 66

UN-Charta, Kapitel XII: Das internationale Treuhandsystem. Art. 76 (a) und (b) UN-Charta. UN-Charta, Kapitel XI: Erklärung über Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung.

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einverstanden erklären werden, wieder unter die Oberhoheit der Serben zurückzukehren. Solange die UNMIK-Administration aber nach dem Prinzip agiert, es gelte zunächst rechtsstaatliche Verhältnisse auf demokratischer und multiethnischer Grundlage zu schaffen und erst danach werde über den politischen Status des Kosovo entschieden, ist mit einer zuverlässigen Stabilisierung der Verhältnisse nicht zu rechnen. Solange bleiben die Bemühungen der UN um einen dauerhaften Frieden auf dem Balkan gefährdet. 4.9. Ost-Timor Wesentlich einfacher stellte sich die Lage bei der anderen Protektoratverwaltung der UN in Ost-Timor dar. Dort gab es angesichts der völkerrechtlich wenig strittigen Frage der staatlichen Unabhängigkeit der ehemaligen portugiesischen Kolonie nach ihrer widerrechtlichen Annexion durch Indonesien keinen Zweifel. So war die Aufgabe der UNTAET auf eine relativ kurz bemessene Übergangszeit abzustellen, in deren Verlauf dieser neue Staat in die UN und damit unter deren Schutz aufgenommen wurde. UNTAET, nach dem Muster der robusten Mission UNTAES strukturiert, kann für künftige Anstrengungen im Bereich der Krisenbewältigung und Friedenssicherung durch die UN durchaus als Beispiel dienen. 4.10. Kampf gegen den Terrorismus Seit den terroristischen Anschlägen vom 11.9.2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington haben die UN bewiesen, daß sie diesem Phänomen, das sich nicht in das Beziehungsgeflecht zwischenstaatlicher Beziehungen einordnen läßt, entschlossen entgegenzutreten. Schon am Tage nach dem Verbrechen verurteilte der Sicherheitsrat die Anschläge einstimmig und erklärte sie nach den Bedingungen des Artikel 39 zu einer Bedrohung des Friedens.67 Um die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten können die UN als System kollektiver Sicherheit folglich alle Handlungsmöglichkeiten gemäß der Charta nutzen und besonders die Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII anwenden. Dazu kann der Sicherheitsrat den Einsatz aller notwendigen Mittel im Kampf gegen den Terrorismus legitimieren. Daß der Rat gleichzeitig das „naturgegebene" (im engl. Original: „inherent) Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung 68 bekräftigt hat, führte besonders in Europa zu kontroversen Diskussionen über die Balance zwischen derart legitimierter Gewaltanwendung „im Falle eines bewaffneten Angriffs" und dem allgemeinen Gewaltverbot. 69 Die UN sahen sich nicht in der Lage, die militärischen Aktionen gegen das der Unterstützung des Terrorismus (und massiver Menschenrechtsverletzungen gegen die eigene Bevölkerung) schuldige Taliban-Regime in

67 68 69

UN Doc. S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001. Art. 51 UN-Charta. Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta.

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Afghanistan selber zu fuhren. Sie ließen insofern den USA als Hauptbetroffenem und deren Verbündeten freie Hand. Mit der einstimmig verabschiedeten Resolution 1373 legte der Sicherheitsrat ein Programm für den weltweiten Kampf gegen den Terrorismus vor70, in dem er sich selber die Schirmherrschaft überträgt. Mit den sehr weitreichenden Maßnahmen betritt der Rat dabei neue Felder im Bereich seiner eigenen Anstrengungen zur Friedenssicherung. So werden alle Regierungen aufgefordert, • die Ströme zur Finanzierung des internationalen Terrorismus durch eine entsprechende nationale Gesetzgebung einzudämmen; • Konten einzufrieren, die dem Terrorismus nützen könnten; • Bewegungen mutmaßlicher Terroristen einzuschränken und ihnen kein Asyl zu gewähren; den • Informationsaustausch zwischen ihren Staatsorganen zu intensivieren, um dadurch die Verfolgung von Terroristen und deren Unterstützern auch grenzüberschreitend zu erleichtern; den • Mißbrauch des Flüchtlingsstatus zu verhindern und zu garantieren, daß • politische Motive nicht als Rechtfertigung für die Beteiligung an oder Unterstützung von terroristischen Akten akzeptiert werden. Mit der Einrichtung eines „Ausschusses des Sicherheitsrats", dem alle seine Mitglieder angehören, und mit der Verpflichtung aller Mitglieder der UN diesem Ausschuß zu melden, welche Schritte sie national in der Umsetzung der Resolution 1373 getroffen haben, wurden diese Anordnungen wie von einem Weltgesetzgeber erlassen. Inzwischen haben alle Mitgliedstaaten wenigstens einen ersten Bericht vorgelegt und damit dokumentiert, daß sie bereit sind zur Sicherung des Friedens im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zusammenzuarbeiten. Kurz nach dieser weltweit wirksamen Resolution mandatierte der Sicherheitsrat die „International Security Assistance Force" - ISAF für Afghanistan,71 während der UN-Generalsekretär den ehemaligen algerischen Außenminister und erfahrenen Leiter mehrerer UN-Friedensmissionen, Lakhdar Brahimi, zu seinem Sonderbeauftragten für Afghanistan ernannte. Sowohl mit diesen Schritten, als auch mit der Organisation politischer Konferenzen zur Zukunft Afghanistans und mit der Unterstützung der dortigen Wahlen haben die UN bewiesen, daß sie die Richtlinien für den Wiederaufbau dieses Landes weiterhin bestimmen wollen. Außer den „Blauhelmen", also Soldaten und Zivilpolizisten, die im Auftrag der UN in Krisengebieten Frieden schaffen und angesichts eskalierender Konflikte die internationale Sicherheit gewährleisten sollen, muß man Anstrengungen der Weltorganisation zur Verrechtlichung internationaler

70 71

UN Doc. S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001. UN Doc. S/RES/1386 (2001) vom 20.12.2001.

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Beziehungen zu den besonders erfolgreichen Maßnahmen im Rahmen der Friedenssicherung durch kollektive Sicherheitsbemühungen rechnen. 5. Die Bemühungen um eine „Verrechtlichung" der internationalen Beziehungen Dazu zählen vorrangig die Ad-hoc-Tribunale zur Ahndung von Kriegsverbrechen. Die UN hatten zwar schon 1948 anläßlich der Annahme der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide) 72 vorgesehen, ein internationales Strafgericht zu schaffen, diese Absicht aber nie in die Tat umgesetzt. Erst die Entscheidung des Sicherheitsrates, 1993 ein Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia - ICTY) 73 und kurz danach ein weiteres für die Ahndung der Verbrechen um den Völkermord in Ruanda 74 einzusetzen, machte es möglich, einzelne Personen wegen besonders schwerer Verletzungen des internationalen Rechts anzuklagen. Damit setzte der Sicherheitsrat den Weg fort, den die Siegermächte des II. Weltkrieges mit den Militärtribunalen in Nürnberg und Tokio eingeschlagen hatten. Mittlerweile sind ähnliche Gerichte mit modifizierten Statuten zur Ahndung schwerer Verbrechen im Verlauf der Bürgerkriege für Sierra Leone und Ost-Timor eingesetzt worden. Diese Gerichte demonstrieren der Weltöffentlichkeit eindrucksvoll, welchen Beitrag zur Stabilisierung gesellschaftlicher Verhältnisse in Krisenregionen und damit zur Sicherung des Friedens sie leisten können. Das wird der auf der Grundlage einer speziellen vertraglichen Abmachung eingerichtete „Internationale Strafgerichtshof' {International Criminal Court; ICC)75 noch vertiefen und intensivieren können. Dem ICC ist aufgetragen, • zum Schutz der Opfer das humanitäre Völkerrecht in bewaffneten Konflikten durchzusetzen; • die Akteure in bewaffneten Auseinandersetzungen für ihr Handeln zur Verantwortung zu ziehen; • die Verursacher von bewaffneten Konflikten zu identifizieren und für ihr Handeln verantwortlich zu machen; und • den Respekt für die Herrschaft des Rechts gegenüber Macht, Willkür und Gewaltbereitschaft weltweit durchzusetzen. Angesichts der Tatsache, daß bei der Abstimmung über das „Statut von Rom" mit den Gegenstimmen der UN-Mitglieder China, Irak, Israel, Jemen, Katar, Libyen und den USA bei 21 Enthaltungen eine gewichtige 72

U N Doc. A/RES/260 A (III) vom 9.12.1948; Deutsch: BGBl. 1954 II; S. 729. U N Doc. S/RES/827 (1993) vom 25.5.1993. 74 U N Doc. S/RES/955 (1994) vom 8.11.1994. 75 United Nations Diplomatie Conference of Plenipotentiaries on the Establishment o f an International Criminal Court, Rome Statute of the International Criminal Court, U N Doc. A/CONF. 183/9 vom 17.7.1998; Abstimmung: Zustimmung, 21 Enthaltungen; mit „Nein" stimmten: China, Irak, Israel, Jemen, Katar, Libyen, USA. 73

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Opposition zu diesem so vielversprechenden Weg der Staatengemeinschaft dokumentiert wurde, bleiben alle Mitglieder der UN aufgerufen, sich mit Entschlossenheit für diese erfreuliche Weiterentwicklung des internationalen Rechts zu engagieren. Das Statut von Rom stellt sozusagen den krönenden Abschluß der Anstrengungen der Weltorganisation auf dem Weg zu einer verläßlichen Sicherung des Weltfriedens dar. Auch durch die aggressive Haltung der jetzigen Regierung der USA gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof sollten sich die UN von dem seit Nürnberg als richtig erkannten Weg nicht abbringen lassen. 6. Zur Zukunft der Friedenssicherung Zur Zukunft der Friedenssicherung stellte Kofi Annan jüngst fest76, daß es ein steigendes Bedürfnis für Friedensoperationen der Vereinten Nationen gebe. Die Missionen, welche der Sicherheitsrat beauftrage, seien heute grundsätzlich multidimensional. Sie umfaßten • die Umsetzung von Friedensabkommen, • Hilfe bei politischen Übergangslösungen, den • Aufbau von Institutionen, die • Unterstützung wirtschaftlichen Wiederaufbaus, die • Organisation der Rückführung von Flüchtlingen und Vertriebenen, • Unterstützung humanitärer Hilfsprogramme, die • Organisation von Wahlen und deren Überwachung, den • Schutz der Menschenrechte, das • Räumen von Minenfeldern, die • Entwaffnung und Demobilisierung von Milizen und deren • Reintegration in die zivile Wirtschaft. Mit der Komplexität ihrer Aufgaben wüchsen zugleich die öffentlichen Erwartungen an das, was solche Missionen leisten könnten. Man rufe zwar oft nach Friedensmissionen, wenn ein Friede noch neu und zerbrechlich sei, aber sie müßten Teil einer längerfristig angelegten Strategie sein, um die Grundlagen eines dauerhaften Friedens zu legen. Dazu müsse die Staatengemeinschaft ihre Möglichkeiten auf den Ebenen der Sicherheit, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft besser integrieren, um den Frieden in der Phase unmittelbar nach Beendigung eines Konfliktes und danach erfolgreich zu stabilisieren. Die UN dürften in allen ihren Friedensoperationen nicht vergessen, daß ihr Einsatz nur zur Unterstützung dienen solle, daß es aber die jeweilige einheimische Bevölkerung sei, der die Führung in den Entscheidungsprozessen gebühre, die ihr eigenes Leben berührten. Durch Friedensmissionen der UN komme die Staatengemeinschaft in einzigartiger Weise zusammen, um Frieden zu schaffen, indem sie ein gewisses Maß an militärischen Mitteln einsetze:

76

Generalsekretär Kofi Annan vor dem Sicherheitsrat (Fn. 31).

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"Peacekeeping sends a powerful signal of the international community's intention to ensure peace is preserved." • "But to have real effect, this signal must be reflected in Member States' presence on the ground." • "The signal sent by a peacekeeping operation must also be backed up by political commitment from Member States." 77 Mit seinem Bericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle" 78 hatte Kofi Annan es unternommen, die Generalversammlung des Jahres 2005 auf ihre Verantwortung für die Kernbereiche kollektiver Zusammenarbeit hinzuweisen und dazu notwendige Reformen anzustoßen. Trotz destruktiver Kritik und offener Resistenz einiger mächtiger Mitgliedstaaten haben sowohl die Generalversammlung als auch der Sicherheitsrat einige Entscheidungen getroffen, die Anlaß zu gedämpftem Optimismus sein können. Dazu gehört sicher die Auflösung der bisherigen Kommission für Menschenrechte und ihr Ersatz durch einen Menschenrechtsrat. 79 Die sogenannte Menschenrechtskommission hatte sich alleine schon durch die Tatsache diskreditiert, daß offensichtliche Verächter dieser für die Staatengemeinschaft fundamentalen Wertordnung darin führende Positionen besetzen konnten. Es bleibt zu hoffen, daß die Implementierung der Entscheidung für einen „Human Rights Council" nicht nur einen Namenswechsel, sondern eine Reform des Ansatzes von Grund auf zur Folge haben wird. Vergleichbares muß man zum Bereich der Friedenssicherung sagen, den beide Hauptorgane der UN, Generalversammlung und Sicherheitsrat, reformieren wollen. Generalsekretär Annan hat die Entscheidung, eine „Kommission für Friedenskonsolidierung" (Peacebuilding Commission) zu schaffen, einen „Wendepunkt" genannt, bei den Anstrengungen der UN, „Staaten und Gesellschaften beim schwierigen Übergang vom Krieg zum Frieden zu helfen". 80 Die UN waren zwar auch bisher schon auf vielfaltige Weise in Maßnahmen zur Friedenssicherung und -konsolidierung involviert, aber es fehlte ein Element, das den gesamten Prozeß übersehen, seine Kohärenz sicherstellen und seine Kontinuität durchsetzen konnte. Hier soll die „Kommission für Friedenskonsolidierung" einen neuen Anfang markieren. Der Respekt für das Recht (Rule of Law) wird eine zentrale Rolle in ihrer Arbeit spielen. Dazu soll sie Regionalgruppen einrichten, in denen die jeweiligen Krisengebiete die bestimmenden Akteure sein müssen. Die Kommission wird die Anstrengungen zum Wiederaufbau und zur Errichtung von staats- und gesellschaftsrelevanten Institutio77

Generalsekretär Kofi Annan vordem Sicherheitsrat (Fn. 31). Vereinte Nationen - Generalversammlung, In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle. Bericht des Generalsekretärs, 21. März 2005, U N Doc. A/59/2005. 79 United Nations - General Assembly, Implementation of decisions from the 2005 World Summit Outcome for action by the Secretary-General. Report of the Secretary-General, U N Doc. A/60/430; 25 October 2005. 80 United Nations - Secretary-General, Secretary-General Calls Endorsement o f Peacebuilding Commission A Turning Point in Remarks Following Historic Event; 20 December 2005, U N Press Release SG/SM/10277 - GA/10440. 78

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nen und Strukturen koordinieren müssen. Hierzu müssen Aktivitäten sowohl innerhalb des UN-Systems, als auch aus dem Bereich staatlicher und nichtstaatlicher internationaler Hilfe gebündelt werden. Die Kommission wird die notwendigen Strategien dafür zu entwickeln haben. Damit die neue Kommission nicht im luftleeren Raum operiert, wird das innerhalb des UN-Sekretariats ebenfalls neu einzurichtende „Unterstützungsbüro für Friedenserhaltung" („Peacebuilding Support Office") die Information und Lagefeststellung zu liefern haben, auf die sie sich bei der Koordinierung aller UN-Friedensaktivitäten stützen muß.81 Eine auf den Erfahrungen vieler UN-Friedensmissionen seit der Aufstellung der internationalen Polizeitruppe (IPTF) für Bosnien-Herzegowina 1995 beruhende Entscheidung war lange überfällig: In der Hauptabteilung für friedenserhaltende Maßnahmen (DPKO) wird nunmehr ein Element geschaffen, das es den UN erlaubt, sofort zu reagieren, wenn die Entsendung von Polizei in ein Krisengebiet notwendig ist.82 Der „Peacebuilding Fund", dessen Ausstattung und Regulierungen noch in Arbeit sind, sollte den UN die dringlich erforderliche Flexibilität zu Beginn neuer Friedensmissionen erlauben. Mit der Verdoppelung der Haushaltsmittel für den Hochkommissar für Menschenrechte über die nächsten fünf Jahre bezeugt die Generalversammlung dieser Institution ihren Respekt. Man könnte die erhebliche Aufstockung des „Zentralen Notfall Fonds" („Central Emergency Response Fund") von den bislang ungenügenden 50 auf nunmehr 500 Mill. US-Dollar auch als Anerkennung für die effektive Arbeit der UN bei der Koordinierung von internationalen Hilfsmaßnahmen nach der Tsunami-Katastrophe an der Jahreswende 2004/2005 ansehen. Die dem Generalsekretär damit erteilte Ausgabeautorisierung signalisiert zugleich die generelle Bereitschaft der Mitgliedstaaten, den UN bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Krisenbewältigung eine bessere Reaktionsfähigkeit zuzugestehen. Das gilt nicht nur im Falle von Naturkatastrophen, sondern auch bei akuten Friedensstörungen. Kollektive Notfallhilfe und multinationale Konfliktnachsorge mit den daraus erwachsenden Anforderungen des materiellen Wiederaufbaus und der Unterstützung bei der Einrichtung von Institutionen sollten von der „Kommission für Friedenskonsolidierung" in ähnlicher Weise gefordert werden können. Damit darf man als ein wichtiges Ergebnis des „2005 World Summit" feststellen, daß zwar wichtige Reformschritte, so eine Anpassung des Sicherheitsrates an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts nicht getan wurden, daß die Staatengemeinschaft sich aber der gewachsenen Bedeutung gemeinsamer Anstrengungen zur Sicherung des Friedens und der internationalen Sicherheit bewußt geworden ist.

81 82

Secretary-General Calls Endorsement (Fn. 80). Implementation o f decisions from the 2005 World Summit (Fn. 79), Ziff. 14.

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Literatur Annan, Kofi A.: "We, the Peoples..."- The Role of the United Nations in the 21st Century, New York 2000. Annan, Kofi A.: Prevention of Armed Conflict, UN-DPI/2256-23597, New York 2002. Annan, Kofi A.: Remarks on UN Peacekeeping Operations to Security Council, New York 17.5.2004, SG/SM/931 l-SC/8096-17/05/2004. Annan, Kofi A.: "Best Way to Ensure Long-Term Stability", New York 26.5.2004. Annan, Kofi A.: „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle" (www.un.org/Depts/german/gs_sonst/a-592005-ger.pdf) Bothe, Michael: Militärische Gewalt als Instrument von Konfliktregelung: Versuch einer rechtlichen und politischen Ordnung zehn Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, in: Sabine v. Schorlemer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO Die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, Berlin/Heidelberg/New York 2003, S. 13-26. Eisele, Manfred: Die Vereinten Nationen und das internationale Krisenmanagement - Ein Insiderbericht, Frankfurt 2000. Fröhlich, Manuel: Die Vereinten Nationen am Scheideweg, in: Bundesakademie fur Sicherheitspolitik. (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen, Ergänzungsband 1, Hamburg/Berlin/Bonn, S. 427-448. Gothel, Dieter: Die Vereinten Nationen: Eine Innenansicht, 2., neubearb. Aufl., Berlin 2002. Hildenbrand, Jan Christian: Zur Krisenreaktionsfähigkeit der Friedenstruppen der Vereinten Nationen, Baden-Baden 2001. Kühne, Winrich: UN-Friedenseinsätze verbessern - Die Empfehlungen der Brahimi-Kommission, in: Sabine v. Schorlemer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO Die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, Berlin/Heidelberg/New York 2003, S. 715-731. Opitz, Peter J.: Kollektive Sicherheit, in: Mir. A. Ferdowsi (Hrsg.), Sicherheit und Frieden zu Beginn des 21. Jahrhunderts, München 2002, S. 57-73. United Nations - DPKO: Peacekeeping Best Practices Unit, Handbook on United Nations Multidimensional Peacekeeping Operations, New York 2003. Unser, Günther: Die UNO - Aufgaben, Strukturen, Politik, 6. Aufl., München 1997. Volger, Helmut: Geschichte der Vereinten Nationen, München/Wien 1995. Volger, Helmut (Hrsg.): Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000.

Internet: Homepage des UN Department of Peacekeeping Operations: www.un.org/ Depts/dpko/main.htm Website der UN Dag Hammarskjöld-Library zur Friedenssicherung: www. un.org/Depts/dhl/resguide/specpk.htm

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Friedensmissionen der Vereinten Nationen Die derzeit noch aktiven Missionen sind fett gedruckt. Die Zahlen dahinter geben die Stärke der noch aktiven Missionen an; M = Militär; P = Zivilpolizei UNTSO (UN Truce Supervision Organisation), Palestine/Israel, 1948 - heute, 152 M/-P UNMOGIP (UN Military Observer Group in India and Pakistan), 1949 heute, 44 M/-P UNEF I (1st. UN Emergency Force), Egypt/Israel, 1956-1967 UNOGIL (UN Observation Group in Lebanon), 1958-1958 ONUC (UN Operation in the Congo), 1960-1964 UNSF (UN Security Force in West New Guinea [West Irian]), 1962-1963 UNYOM (UN Yemen Observation Mission), 1963-1964 UNFICYP (UN Peacekeeping Force in Cyprus), 1964 - heute, 875 M/ 51 P DOMREP (Mission of the Representative of the SG in the Dominican Republic), 1965-1966 UNIPOM (UN India-Pakistan Observation Mission), 1965-1966 UNEF II (2nd UN Emergency Force), Egypt/Israel, 1973-1979 UNDOF (UN Disengagement Observer Force), Syria/Israel, 1974 - heute, 1.029 M/-P UNIFIL (UN Interim Force in Lebanon), 1978 - heute, 1.990 M/- P UNGOMAP (UN Good Offices Mission in Afghanistan and Pakistan), 19881990 UNIIMOG (UN Iran-Iraq Military Observer Group), 1988-1999 UNAVEM I (UN Angola Verification Mission I), 1989-1991 UNTAG (UN Transition Assistance Group), Namibia, 1989-1990 ONUC A (UN Observer Group in Central America), 1989-1992 UNIKOM (UN Iraq-Kuwait Observation Mission), 1991-2003 UNAVEM II (UN Angola Verification Mission II), 1991-1995 ONUS AL (UN Observer Mission in El Salvador), 1991-1995 MINURSO (UN Mission for the Referendum in the Western Sahara)1991 heute, 225 M/- P UNAMIC (UN Advance Mission in Cambodia), 1991-1992 UNPROFOR (UN Protection Force), Croatia/Bosnia/Macedonia, 1992-1995 UNTAC (UN Transitional Authority in Cambodia), 1992-1993 UNOSOM I (UN Operation in Somalia I), 1992-1993 ONUMOZ (UN Operation in Mozambique), 1992-1994 UNOMUR (UN Observer Mission in Uganda-Rwanda), 1993-1994 UNOSOM II (UN Operation in Somalia II), 1993-1995 UNOMIG (UN Observer Mission in Georgia), 1993 - heute, 118 M/10 P UNOMIL (UN Observer Mission in Liberia), 1993-1997

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UNMIH (UN Mission in Haiti), 1993-1996 UNAMIR (UN Assistance Mission in Rwanda), 1993-1996 UNASOG (UN Aouzou Strip Observer Group), Chad/Libya, 1994-1994 UNMOT (UN Mission of Observers in Tajikistan), 1994-2001 UNAVEM III (UN Angola Verification Mission II // MONUA), 1995-1999 UNCRO (UN Confidence Restoration Operation in Croatia), 1995-1996 UNPREDEP (UN Preventive Deployment Force), Macedonia, 1995-1999 UNMIBH (UN Mission in Bosnia-Herzegovina), 1995-2002 UNTAES (UN Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Syrmium), 1996-1998 UNMOP (UN Mission of Observers in Prevlaka), Croatia/Yugoslavia, 1996-2003 UNSMIH/UNTMIH/MIPONUH (UN Mission in Haiti), 1996-2002 MINUGUA (UN Verification Mission in Guatemala), 1997-1997 UN CIVILIAN POLICE SUPPORT GROUP, Croatia (Follow-on to UNTAES), 1998 MINURCA (UN Mission in the Central African Republic), 1998-2000 UNOMSIL (UN Observer Mission in Sierra Leone), 1998-1999 UNMIK (UN Interim Administration Mission in Kosovo), 1999 - heute, 36 M/ 2.709 P UNAMSIL (UN Assistance Mission in Sierra Leone), 1999 - heute, 3.353 M/ 79 P UNMEE (UN Mission in Eritrea and Ethiopia), 2000 - heute, 3.301 M/- P MONUC (UN Observation Mission in the Democratic Republic of the Congo), 2000 - heute, 16.101 M/ 162 P UNTAET (UN Transitional Administration for East-Timor), 2000-2002 UNMISET (UN Mission of Support in East Timor), 2002-2005 MINUCI (UN Mission in Cote d'lvoire), 2003-2004 UNMIL (UN Mission in Liberia), 2003 - heute, 14.894 M/1.060 P UNOCI (UN Operation in Cote d'lvoire), 2004 - heute, 6.041 M/ 218 P MINUSTAH (UN Stabilisation Mission in Haiti), 2004 - heute, 6.229 M/1.437 P ONUB (UN Operation in Burundi), 2004 - heute, 5.504 M/ 106 P UNMIS (UN Mission in the Sudan), 2005 - heute, 1.101 M/26 P (10.141/715 authorized)

Menschenrechtsschutz Norman Weiß

1. Einleitung Die Vereinten Nationen sind im Jahre 1945 in erster Linie gegründet worden, um den Weltfrieden zu sichern.1 Bereits während des Zweiten Weltkrieges, als die Planungen für die Nachkriegsordnung diskutiert wurden, war den handelnden Personen jedoch klar, daß gegenüber der Völkerbundsära nicht nur ein erweiterter Sicherheitsbegriff formuliert werden mußte, sondern daß auch ein breiteres Tätigkeitsspektrum auf die neuzugründende Organisation zukommen würde.2 Zwar waren auch in der Vergangenheit Kriege mit grausamen Mitteln gefuhrt worden und hatte auch das frühe 20. Jahrhundert bereits einen Völkermord - den an den Armeniern3 - mitangesehen, doch stellte der Holocaust 4 ein singuläres Ereignis dar, das ein bislang ungekanntes Ausmaß an Menschenverachtung offenbarte. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Menschenrechte, vor allem das Leben und die Freiheit des Individuums, zu einem wesentlichen Thema für die Vereinten Nationen geworden sind. Die Werteorientierung der Vereinten Nationen ist bereits in der Atlantik-Charta von 1941 angelegt und findet in der Charta5 der Vereinten Nationen deutlich ihren Ausdruck: Die Präambel entwirft ein Weltbild6, das,

Der Beitrag wurde vom Autor im November 2005 abgeschlossen und mit einer Ergänzung im Juli 2006 aktualisiert. 1 Hierzu statt vieler Albrecht Randelzhofer, Purposes and Principles of the United Nations, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Bd. 2, München/Dordrecht 1995, S. 994-1002, Rn. 2 u. 1 Iff. 2 Einzelheiten bei Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, München 1995, S. 1-28 m.w.N. 3 Vgl. hierzu Alfred M. de Zayas, The Twentieth Century's First Genocide: International Law, Impunity, the Right to Reparations, and the Ethnic Cleansing Against the Armenians, 1915-16, in: Bela Vardy/T. Hunt Tooley (Hrsg.), Ethnic Cleansing in Twentieth-Century Europe, New York 2003, S. 157-180; Norman M. Naimark, Flammender Hass, Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert, deutsch München 2004, S. 29-75, jeweils m.w.N. 4 Vgl. ausfuhrlich Peter Longerich, Politik der Vernichtung, Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München/Zürich 1998 m.w.N. 5 Vom 26. Juni 1945, in der aktuellen Fassung UNTS Bd. 557 S. 143; BGBl. 1973 II, S. 431. 6 Zur textgestützten Ableitung von Weltbildern ausfuhrlich Peter Häberle, Das „Weltbild" des Verfassungsstaates - eine Textstufenanalyse zur Menschheit als verfassungsstaatlichem Grundwert und „letztem" Geltungsgrund des Völkerrechts, in: FS für Martin Kriele, München 1997, S. 1277-1306. Die Formulierung von Aufgaben in Verfassungstexten behandelt bereits in: Peter Häberle, Artenreichtum und Vielschichtigkeit von Verfassungstexten, eine vergleichende Typologie, in: FS für Ulrich Haefelin, Zürich 1989, S. 225-255.

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was den Schutz der Menschenrechte7 angeht, in den Chartaartikeln 1 Ziff. 3, 13, 55 lit. c und 56 aufgegriffen und ausgestaltet wird und als „ethische Konzeption ... das normative Fundament" der Vereinten Nationen ausmacht. Dementsprechend formuliert Art. 1 Nr. 3 9 das Ziel der Vereinten Nationen, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen ". Dieses Ziel in der UN-Charta10 findet im Jahre 1945 seinen Niederschlag auf der organisatorischen Ebene in der Schaffung der Menschenrechtskommission als Fachkommission des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) nach Art. 68." Politisch wurde das Ziel durch den Auftrag an die Menschenrechtskommission aufgegriffen, einen Menschenrechtskatalog auszuarbeiten.12 Bereits am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung die solcherart initiierte Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR).n Von den damals 56 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen stimmten 48 zu; es gab keine Gegenstimmen bei acht14 Enthaltungen. So wichtig dieses Dokument ist, das sich bis heute höchster Wertschätzung erfreut,15 und so erfreulich sein rasches Zustandekommen auch zu 7 Zur Verknüpfung von Menschenrechten und Frieden bereits Jost Delbrück, Menschenrechte - Grundlage des Friedens?, in: Jost Delbrück (Hrsg.), Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung. Zum Verständnis rechtlicher und politischer Bedingungen der Friedenssicherung im internationalen System der Gegenwart, Berlin 1996, S. 9-21 (Erstveröffentlichung 1982); s. auch Vojin Dimitrijevic, Human Rights and Peace, in: Jamusz Symonides (Hrsg.), Human Rights: New Dimensions and Challenges, Aldershot 1998, S. 47-69. 8 Trutz Rendtorff, Die ethischen Grundaussagen der Präambel der UN-Charta: Friede, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Toleranz, in: Stephan Hobe (Hrsg.), Die Präambel der UNCharta im Lichte der aktuellen Völkerrechtsentwicklung, Berlin 1997, S. 9-24, S. 11; vgl. auch den Beitrag von Helmut Volger über die ethischen Grundlagen der Vereinten Nationen in diesem Buch. 9 Artikel ohne nähere Bezeichnung sind solche der Charta der Vereinten Nationen. 10 Bertrand G. Ramcharan, The Concept and Present Status of the International Protection of Human Rights, Forty Years after the Universal Déclaration, Dordrecht u. a. 1989, S. 345, nennt die universelle Verwirklichung der Menschenrechte "the essential raison d'être for all activities of the United Nations". 11 Umgesetzt durch ECOSOC, Resolution vom 21. Juni 1946, UN Doc. E/RES/9 (II). 12 ECOSOC, Resolution vom 16. Februar 1946, UN Doc. E/RES/5 (I). Einzelheiten bei Ekkehard Strauß, Die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - Grundlage ihrer aktuellen Bedeutung, in: MenschenRechtsMagazin, Themenheft 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1997, S. 13-23, S. 17ff. 13 Generalversammlung, Deklaration vom 10. Dezember 1948, UN Doc. A/810, S. 71. Deutscher Text beispielsweise in: Bundeszentrale fur politische Bildung (Hrsg.), Menschenrechte, Dokumente und Deklarationen, Bonn 4. Aufl. 2004, Nr. 3; Bruno Simma/UIrich Fastenrath (Hrsg.), Menschenrechte, Ihr internationaler Schutz, 5. Aufl., München 2004, Nr. 2. 14 Jugoslawien, Polen, Saudi-Arabien, Südafrika, Tschechoslowakei, UdSSR, Ukraine und Weißrußland. 15 Aus der Fülle der Literatur zum 50. Jahrestag der AEMR vgl. Amnesty International (Hrsg.), Menschenrechte im Umbruch, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Neuwied/Kriftel 1998; Gudmundur Alfredsson/Asbjorn Eide (Hrsg.), The Universal

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beurteilen ist, gegenüber den ursprünglichen Plänen stellt die AEMR ein klares Minus dar: ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag war ebensowenig realisiert worden wie das internationale Gericht, das über seine Durchsetzung wachen sollte. Die Sprache der AEMR atmet das Pathos neuzeitlicher Freiheitskataloge. Inhaltlich greift sie alle Forderungen der Französischen Revolution nach Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit auf. Sie verarbeitet außerdem die zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen von Rassismus, Kolonialismus und Völkermord. Die angesprochenen Stimmenthaltungen richteten sich nicht gegen die AEMR als solche, sondern gegen einzelne - auch fehlende - Artikel. So vermißten die Staaten des Ostblocks eine ausdrückliche Bezugnahme auf demokratische Staatsformen, eine deutliche Verurteilung des Faschismus und eine Aufzählung der Pflichten des einzelnen gegenüber der Gesellschaft; Südafrika wollte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht in eine solche allgemeine Erklärung aufnehmen und Saudi-Arabien wandte sich gegen das in Art. 16 AEMR garantierte Recht auf Eheschließung ohne religiöse Beschränkungen. Die inhaltliche Breite der Erklärung ist hervorzuheben. Sie garantiert die klassischen bürgerlichen und politischen Freiheiten, die seit der französischen Revolution diskutiert wurden. Darunter findet sich auch das Eigentum (Art. 17 AEMR), welches etwa im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht geschützt wird. Daneben formuliert die AEMR wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Eine solche Einheit von Menschenrechten dieser beiden Gruppen ist später nicht wieder erreicht worden. Schließlich unterstreicht Art. 29 Abs. 1 AEMR, daß der einzelne Pflichten gegenüber der Gemeinschaft hat. Daran wird sicherlich der Kompromißcharakter der Erklärung deutlich: Jeder stimmte Wünschen der jeweils anderen Seite zu, um im Gegenzug eigene Vorstellungen hineinschreiben zu können. Und die Bereitschaft aller zum Kompromiß wurde durch die allseits bekannte fehlende rechtliche Bindungswirkung der AEMR als Resolution der Generalversammlung 16 erhöht. Doch mindert dies nicht die Bedeutung der Erklärung zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als Aufbruchssignal in ein wertegeleitetes Völkerrecht. Heute, achtundfünfzig Jahre später, handelt es sich nicht nur um ein altehrwürdiges Dokument, sondern vielmehr um einen vitalen Bestandteil des Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen. Durch stetige Bezugnahme auf die AEMR in den jeweils aktuellen Deklarationen, Reso-

Declaration o f Human Rights, A Common Standard of Achievement, Den Haag u.a. 1999; Eckart Klein (Hrsg.), MenschenRechtsMagazin, Themenheft 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Dezember 1997. 16 Hierzu Eckart Wehser, Die Bindungswirkung der Empfehlungen der Vollversammlung der Vereinten Nationen, in: Thesaurus Acroasium, The Law of the United Nations, Thessaloniki 1976, S. 371-394; Rainer Lagoni, Resolution, Declaration, Decision, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), United Nations (Fn. 1), Bd. 2, S. 1081-1091, Rn. 16; Bardo Fassbender, Resolution/Deklaration/Beschluß, in: Helmut Volger (Hrsg), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 444-446.

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lutionen und Konventionen ist sie ein lebendiger Bezugspunkt17 der Aktivitäten der Vereinten Nationen geblieben. Hinzu kommt, daß sich ein Teil der in der AEMR formulierten Rechte inzwischen zu Völkergewohnheitsrecht verfestigt hat.18 Hierzu zählen insbesondere das Recht auf Leben (Art. 3 AEMR), das Sklavereiverbot (Art. 4 AEMR) und das Verbot der Folter (Art. 5 AEMR). 2. Beitrag der Vereinten Nationen zur Schaffung menschen rechtlichen Völkerrechts Nachdem mit der AEMR zwar ein eindrucksvoller Menschenrechtskatalog vorlag, aber ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag mit Überwachungsmechanismen noch ausstand, blieben die Vereinten Nationen aufgerufen, das von der AEMR aufgestellte Programm abzuarbeiten und an der Schaffung solcher Verträge mitzuwirken. Als das von allen Völkern anzustrebende gemeinsame Ideal ruft die AEMR dazu auf, Politik und Staatstätigkeit auf ihre Inhalte hin auszurichten. Hierbei sind allerdings nicht nur wohlformulierte Fernziele hilfreich, sondern es besteht auch Bedarf nach konkreten Handlungsvorgaben. Dementsprechend verfolgten die Vereinten Nationen weiterhin das Ziel, völkerrechtlich verbindliche Menschenrechtsverträge zu initiieren. In Ermangelung einer eigenen Rechtssetzungskompetenz der Vereinten Nationen2" kommt es für die Entstehung von Völkerrecht nach wie vor entscheidend auf die Staaten als die natürlichen Schöpfer des Völkerrechts und Herren der Völkerrechtsordnung an. Die Aufgabe der Vereinten Nationen in diesem Zusammenhang ist es deshalb vor allem, Ideen zu entwikkeln und in zustimmungsfähiger Art und Weise als Vertragsentwürfe zu formulieren;21 Art. 13 spricht deswegen auch davon, die Generalversamm17 Michael Freeman, Human Rights, An Interdisciplinary Approach, 2002, S. 32ff., spricht von einem „new age of rights" und schreibt den Vereinten Nationen ein „human rights revival" zu. 18 Hierüber besteht mehrheitlich Konsens, gestritten wird vornehmlich darüber, ob der gesamte Inhalt der AEMR oder nur bestimmte Rechte zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind; vgl. Bruno Simma/Philip Alston, The Sources of Human Rights Law: Custom, Jus Cogens, and General Practice, in: Australian Year Book of International Law 12 (1992), S. 82-108; Eibe Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz - Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: Gerhart Baum/Eibe Riedel/Michael Schäfer (Hrsg.), Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, Baden-Baden 1998, S. 25-55, S. 27ff. Anders beispielsweise J. Shand Watson, Theory and Reality in the International Protection of Human Rights, Ardsley 1999, S. 107ff. Vgl. allgemein die Beiträge in Eckart Klein (Hrsg.), Menschenrechtsschutz durch Gewohnheitsrecht, Berlin 2003. 19 Vgl. hierzu Eckart Klein, Die Rolle internationaler Organisationen bei der Normierung und Durchsetzung der Menschenrechte, in: Benita von Behr u. a. (Hrsg.), Perspektiven der Menschenrechte, Beiträge zum fünfzigsten Jubiläum der UN-Erklärung, Frankfurt am Main 1999, S. 147-170, S. 149f„ 152f. Vgl. auch Tom J. Farer/Felice Gaer, The UN and Human Rights: At the End of the Beginning, in: Adam Roberts/Benedict Kingsbury (Hrsg.), United Nations, Divided World, The UN's Roles in International Relations, Oxford 2. Aufl. 1993, S. 240-296. 20 Unzutreffend insoweit Johan Galtung, Menschenrechte - anders gesehen, deutsche Ausgabe: 2. Aufl., Frankfurt am Main 1997, S. 217, der die Vereinten Nationen als „Normproduzent" bezeichnet. Siehe grundlegend den Beitrag von Eckart Klein in diesem Buch. 21 Näheres bei Meinhard Schröder, Codification and Progressive Development of International Law Within the UN, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), United Nations Law, Policy and

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lung solle die Kodifikation des Völkerrechts fördern. Sie tut dies zum Teil selbst, oft nach Vorarbeiten durch ihren Rechtsausschuß (Sixth Committee), die Völkerrechtskommission (International Law Commission) oder die Menschenrechtskommission. Der Überblick über die multilateralen Verträge zum Schutz der Menschenrechte muß sich auf die wichtigsten konzentrieren. Zuvor jedoch ist zu erwähnen, daß es sich bei menschenrechtlichen Kollektivverträgen um sog. Traités-lois handelt, die generell-abstrakte Regelungen schaffen. Hierbei besteht eine besondere Interessenlage. Man kann - in Abgrenzung von synallagmatischen Austauschverträgen, also von solchen Verträgen, bei denen sich der eine Teil deswegen zu einer Leistung verpflichtet, weil auch der andere Teil eine Leistung verspricht von einem Kollektivinteresse sprechen. Dieses ist auf ein objektives Ziel ausgerichtet, das ein Staat alleine nicht erreichen könnte; hier ein umfassender Schutz der Menschenrechte in möglichst vielen Staaten. Dies erfordert, auch weil letztendlich bislang der nationalen Gesetzgebung zugeordnete Aufgaben nun im Rahmen der Völkerrechtsgemeinschaft erfüllt werden sollen, eine dichte, quasi-gesetzliche Normierung. 22 Zunächst ist kurz auf die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 194823 hinzuweisen. Im Gegensatz zu den anderen multilateralen Verträgen, die hier behandelt werden, geht es in diesem Abkommen ausschließlich darum, eine Rechtsgrundlage ftir die zukünftige Bestrafung des Völkermordes zu schaffen und die Vertragstaaten zu verpflichten, in ihren Rechtsordnungen entsprechende StrafVorschriften zu verankern. 24 Aufgrund der Blockspaltung war es nicht möglich, das bis zur Verabschiedung der AEMR eingeschlagene Tempo bei der anschließenden Formulierung völkerrechtlich verbindlicher Menschenrechtsverträge beizubehalten. Als erster der in Rede stehenden multilateralen Verträge wurde die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung am 21. Dezember 196525 (CERD) von der Generalversammlung verabschiedet und zur Ratifikation aufgelegt. Das Abkommen trat am 4. Januar 1969 in Kraft, gut acht Jahre nach dem erstmaligen Befassen 26 der Vereinten Nationen mit diesem Thema. Demgegenüber wurden der Internationale

Practice, München/Dordrecht 1995, Bd. 1, S. 100-109; vgl. auch Wilhelm Karl Geck, Völkerrechtliche Verträge und Kodifikation, in: ZaöRV 1976, S. 96-146; Theodor Meron, Human Rights Law-Making in the United Nations. A Critique of Instruments and Process, Oxford 1986, S. 269ff. 22 Dazu s. Andreas Khol, Zwischen Staat und Weltstaat, Wien 1969, S. 19f., 25. 23 UNTS 78, S. 277; BGBl. 1954 II, S. 730; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 30; Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 22. 24 Vgl. den Überblick bei Kai Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, Ansätze einer Dogmatisierung, Berlin 2002, S. 405-423. 25 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 1965 (CERD), U N T S Bd. 660, S. 195; BGBl. 1969 II, S. 962; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 19; Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 9. 26 Vereinte Nationen - Generalversammlung, Resolution vom 12. Dezember 1960, U N Doc. A/RES/1510 (XV).

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Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte27 und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte28 nach äußerst langwierigen Beratungen erst im Jahre 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Bis zu ihrem Inkrafttreten verstrichen weitere zehn Jahre. Als jüngstes Glied in dieser Kette29 steht das Übereinkommen über die Rechte des Kindes30, das am 20. November 1989 verabschiedet wurde und bereits am 2. September 1990 in Kraft trat. 1 Kennzeichnend für die Entstehungsgeschichte all dieser Verträge ist der Ost-West-Gegensatz, der die Vereinten Nationen jahrzehntelang beherrschte.32 Auch nach der Dekolonialisierung und dem damit verbundenen Anstieg der Mitgliederzahl wurde diese Bipolarität nicht völlig überwunden, denn zum einen wurden auch die neuen Staaten in diese beiden Lager oder doch in entsprechende Einflußsphären geteilt. Zum anderen blieb der Blockgegensatz für den Sicherheitsrat durch seine ständigen Mitglieder bis zur Auflösung des Ostblocks 1989/1990 prägend. Diesem Grundmuster versuchte die Blockfreienbewegung33 zu begegnen. Während diese Emanzipationsbestrebungen im militärisch-sicherheitspolitischen Bereich immer wieder unterlaufen wurden, hatten sie auf dem Felde des Nord-Süd-Konfliktes mehr Erfolg. So artikulieren die in der Blockfreienbewegung zusammengeschlossenen Staaten Forderungen nach einer

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Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966 (IPwskR), UNTS Bd. 993, S. 3; BGBl. 1973 II, S. 1570; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 4; Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 17. 28 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (IPbpR), UNTS Bd. 999, S. 171; BGBl. 1973 II, S. 1534; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 5; Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 13. 29 Zu erwähnen sind weiterhin: Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (CAT), UNTS Bd. 1465, S. 85; BGBl. 1990 II, S. 247; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 12; Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 45; Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979 (CEDAW), UNTS Bd. 1249, S. 13; BGBl. 1985 II, S. 648; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 14; Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 37. 30 Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (CRC), UNTS Bd. 1577, S. 3; BGBl. 1992 II, S. 122; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 17; Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 40. Die völkerrechtlichen Vorarbeiten reichen allerdings bis ins Jahr 1924 zurück, als der Völkerbund die „Declaration of the Rights of the Child" verabschiedete, die die UN-Generalversammlung mit einer Resolution vom 20. November 1959 (UN Doc. 1386 [XIV]) bekräftigte. 31 Zwar schon in Kraft getreten, aber von der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ratifiziert ist das Internationale Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen vom 18. Dezember 1990 (CMW), UN Doc. A/RES/45/158, Annex; dt. Übersetzung in: Christian Tomuschat (Hrsg.), Menschenrechte - Eine Sammlung internationaler Dokumente zum Menschenrechtsschutz, 2. Aufl., Bonn 2002, Nr. 57; Bundeszentrale, Menschenrechte (Fn. 13), Nr. 18. 32 Näher dazu Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen (Fn. 2), S. 37ff., 98ff. und passim. 33 Die 1. Gipfelkonferenz der Blockfreienbewegung fand 1961 in Belgrad statt; einführend Volker Matthies, Blockfreie Bewegung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 7. Aufl., Freiburg im Breisgau 1985/1995, Bd. 1, Sp. 831-839; Norman Weiß, Blockfreienbewegung - Einsatz für die Menschenrechte?, in: MenschenRechtsMagazin 2003, S. 17-25, jeweils m.w.N.

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neuen Weltwirtschaftsordnung; 34 allerdings ist es den blockfreien Staaten nicht gelungen, hier zu für sie befriedigenden Ergebnissen zu kommen. 35 Typischerweise war die Generalversammlung - wie die Vereinten Nationen insgesamt - somit über weite Zeitabschnitte durch tiefgreifende Interessengegensätze behindert. Nach 1989 griff erstmals seit der Schaffung der Vereinten Nationen wieder eine euphorische Stimmung Platz, in der vieles möglich erschien. 36 Die (zweite) Weltkonferenz für Menschenrechte, die im Juni 1993 in Wien stattfand, verlieh dieser Stimmung Ausdruck.37 Wichtig war es vor allem, daß nicht nur die Universalität der Menschenrechter* betont, sondern auch die Gleichwertigkeit und Unteilbarkeit aller Arten von Menschenrechten unterstrichen wurde. Ein Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wurde allerdings trotz dieses Bekenntnisses nicht vorangetrieben. 39 Positiv hervorzuheben ist ferner die Aussage, daß Frauenrechte Menschenrechte sind. 40 Mittlerweile hat sich auch die Einsicht durchgesetzt, daß es unerläßlich ist, die Themen Menschenrechte und Frauen in Maßnahmen der Konfliktlösung und Friedensschaffung einzubeziehen. 41 Das Auseinanderbrechen der Vielvölkerstaaten Mittel- und Osteuropas hat, wie sog. ethnische Konflikte in anderen Teilen der Welt, die nicht selten mit großer Grausamkeit ausgefochten werden, dazu gefuhrt, daß das Thema des Minderheitenschutzes in weitaus stärkerem Maße auf die Agenda der Vereinten Nationen zurückgekehrt ist, als dies ursprünglich vorgesehen war. So schweigt die AEMR zu diesem Thema; sie setzt damaligen Vorstellungen entsprechend darauf, daß der Schutz individueller Freiheiten sinnvoller sei als ein spezielles Schutzsystem für Minderheiten, 34

Vgl. dazu Claudius R. Köster, Politiktheoretische Grundlagen einer neuen Weltwirtschaftsordnung (Diskussionspapiere des Faches Politikwissenschaft, Nr. 8), Siegen 1998; Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen (Fn. 2), S. 137ff. 35 Vgl. Wolfgang Spröte, Blockfreienbewegung, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon (Fn. 16), S. 33-35, S. 34. 36 Reed Brody, Improving UN Human Rights Structures, in: Louis Henkin/John Lawrence Hargrove (Hrsg.), Human Rights: An Agenda for the Next Century, Washington 1994, S. 297-316, S. 297f. 37 Vgl. zu dieser Konferenz: Ruth Klingebiel, Weltkonferenz über die Menschenrechte in Wien 1993, Universalismus auf dem Prüfstand, in: Dirk Messner/Franz Nuscheier (Hrsg.), Weltkonferenzen und Weltberichte, Ein Wegweiser durch die internationale Diskussion, Bonn 1996, S. 186-194; Christian Strohal, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtssystems durch die Vereinten Nationen, in: Franz Cede/Lilly Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen, Recht und Praxis, Wien/München 1999, S. 143-161, S. 157ff. 38 Hierzu: Eckart Klein, Universeller Menschenrechtsschutz - Realität oder Utopie?, in: EuGRZ 26 (1999), H. 5-6, S. 109-115; Markus Kotzur, Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes, 2001; Norman Weiß, Die Entwicklung der Menschenrechtsidee, ihre heutige Ausgestaltung und Fragen der Universalität der Menschenrechte, in: Jana Hasse/Erwin Müller/Patricia Schneider (Hrsg.), Menschenrechte: Bilanz und Perspektiven, Baden-Baden 2002, S. 39-69, S. 67ff. 39 Zu dieser Frage weiter unten bei Fn. 83. 40 „Die Menschenrechte der Frauen und Mädchen sind ein unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte.", Schlußdokument der Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien, 1993, Nr. 18, in: EA 1993, D 498ff. 41 Vgl. Vereinte Nationen - Sicherheitsrat, Resolution 1325 vom 31. Oktober 2000, UN Doc. S/RES/1325; und Reed Brody (Fn. 36), S. 308f.

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mit dem der Völkerbund, die Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen, gescheitert war. Inzwischen ist der völkerrechtliche Minderheitenschutz gleichwohl ausgebaut worden: auf der Ebene der Vereinten Nationen durch Art. 27 IPbpR, vor allem aber auf der regionalen Ebene des europäischen Menschenrechtsschutzes im Rahmen von Europarat und OSZE. Die Frage, ob Minderheitenrechte Menschenrechte sind, ist damit freilich nicht beantwortet und wird in neuerer Zeit vermehrt gestellt.42 Einerseits wird unter Verweis auf spezifische Unrechts- und Bedrohungserfahrungen von Minderheiten dafür plädiert, auch diesen Gruppen einen menschenrechtlichen Schutz zu gewähren und die Menschenrechte und den Minderheitenschutz enger miteinander zu verknüpfen. Andererseits wird unterstrichen, daß es zwischen Minderheitenschutz auf der einen und Menschenrechten auf der anderen Seite nicht nur entwicklungsgeschichtliche, sondern auch erhebliche systematische Unterschiede gebe. In diesem Zusammenhang wird an die enge Verbindung von Menschenrechten, neuzeitlicher Revolution, demokratischer Partizipation und politischer Freiheit erinnert. Demgegenüber erscheine Minderheitenschutz eher als ein vormodernes Konzept überwiegend landesherrlicher Schutzgewährung. In der Folge der Weltkonferenz wurde auch das Amt des schon seit 1947 mehrfach erwogenen43 Hochkommissars für Menschenrechte eingerichtet. Das am 20. Dezember 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Mandat beinhaltet einen umfassenden Koordinierungsauftrag hinsichtlich der Aktivitäten der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere ihrer menschenrechtlichen Bildungsund Aufklärungsprogramme. Der erste Hochkommissar, José Ayala Lasso, trat sein Amt am 28. Februar 1994 an.44 Freilich sind auch nach der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes Hindernisse für die Verwirklichung der Menschenrechte gegeben, denen sich die Vereinten Nationen insgesamt ebenfalls gegenübersehen:45 Die Stimmen, die die Universalität der Menschenrechte bestreiten, sind nicht verebbt; manche Staaten halten unverändert an der uneingeschränkten 42

Zu dieser Diskussion vgl. Norman Weiß, Sind Minderheitenrechte Menschenrechte?, in: Claudia Mahler/Norman Weiß (Hrsg.), Menschenrechtsschutz im Spiegel von Wissenschaft und Praxis, Berlin 2004, S. 292-320, S. 31 Off. 43 Zur Vorgeschichte vgl. Norman Weiß, Erläuterungen zum Rat der Ostseestaaten und einige Überlegungen zum Hohen Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, in: Eckart Klein (Hrsg.), The Institution of a Commissioner for Human Rights and Minorities and the Prevention of Human Rights Violations, Berlin 1995, S. 53-62, S. 55ff. Zum Mandat vgl. Alfred M. de Zayas, The United Nations High Commissioner for Human Rights: Position, Functions and Experience, ebenda, S. 17-35. Vgl. auch Peter J. Opitz, Menschenrechte und Internationaler Menschenrechtsschutz im 20. Jahrhundert, München 2002, S. 174-183; und Ekkehard Strauss, Menschenrechtsschutz im UN-System, Zu den Auswirkungen der Reform der Vereinten Nationen auf das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte, in: VN 54 (2006), S. 19-24. 44 Ihm folgten die vormalige irische Präsidentin Mary Robinson (1997-2002), der brasilianische UN-Diplomat Sergio Vieira de Mello (2002-2003) und nach dessen tragischen Tod während einer Mission in Bagdad die kanadische Juristin Louise Arbour (seit 2004). 45 Skeptisch auch Stephen P. Marks, The United Nations and Human Rights: The Promise of Multilateral Diplomacy and Action, in: Burns H. Weston/Stephen Marks. (Hrsg.), The Future of International Human Rights, Ardsley 1999, S. 291-350, S. 2 9 7 f f , mit Nachweisen zu den einzelnen Problemfeldern.

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Souveränität fest und manche von ihnen leiten aus dieser ein Interventionsverbot in innere Angelegenheiten ab, zu denen sie auch die Menschenrechte rechnen; gewaltsame Konflikte auf der Grundlage ethnischer oder religiöser Identität brechen weiterhin aus; schließlich existieren organisationsinterne Schwierigkeiten. Letztere sollen nunmehr durch auch das Konzept des „Streamlining Human Rights "ausgeräumt werden. Dieses Konzept sieht vor, sämtliche Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte innerhalb der Vereinten Nationen besser aufeinander abzustimmen und effektiver zu handhaben (s. u. Abschnitt III.2). 3. Überwachung Was für die Schaffung von Völkerrecht gesagt wurde, gilt entsprechend auch für die Überwachung und Durchsetzung des Völkerrechts: Den Staaten kommt hier eine entscheidende Rolle zu; dies gilt zumindest, soweit und solange sie keinen anderen internationalen Akteur hiermit beauftragen, diesem mit anderen Worten entsprechende Kompetenzen übertragen. Für das nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Konzept des internationalen Menschenrechtsschutzes gilt, daß von vorneherein eine Internationalisierung angestrebt war und auch tatsächlich - wenngleich zunächst in bescheidenem Umfang - realisiert wurde. So sind bestimmte Organe und Gremien der Vereinten Nationen mit der Überwachung der Einhaltung menschenrechtlicher Verpflichtungen betraut worden. Die Öffnung des Verhältnisses zwischen den Staaten und ihren Bürgern durch die Menschenrechte stellt eine Revolution im Völkerrecht dar; die Überprüfung von ursprünglich dem Kenibereich staatlicher Souveränität zugeordneten Akten am Maßstab des Völkerrechts war vor 1945 gleichsam undenkbar gewesen. 46 Im Rahmen der Vereinten Nationen hat sich seit 1948 ein vielgestaltiges Überwachungswesen entwickelt, als dessen Grundstruktur eine Zweiteilung auszumachen ist.47 Ein Teil der Überwachung basiert auf der UNCharta - „Charter-Based Monitoring", der andere auf den speziellen Menschenrechtsverträgen - , Treaty-Based Monitoring ". 3.1. Nicht-Vertragsverfahren - „Charter-Based Monitoring" Die Nicht-Vertragsverfahren wurden etabliert, als die vertraglich begründeten Beschwerdemöglichkeiten noch nicht zur Verfügung standen. Zunächst herrschte in den Vereinten Nationen die Überzeugung vor, die Organisation könne sich grundsätzlich nicht mit Individualbeschwerden oder allgemeinen Klagen über Menschenrechtsverletzungen befassen. Ab Mitte der sechziger Jahre entwickelten die Vereinten Nationen eine Vielzahl 46

Vgl. Michael M. Reisman, Sovereignty and Human Rights in Contemporary International Law, in: AJIL 84 (1990), S. 866-876; Eckart Klein, Menschenrechte, Stille Revolution des Völkerrechts und Auswirkungen auf die innerstaatliche Rechtsanwendung, Baden-Baden 1996; Bardo Fassbender, Souveränität, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon (Fn. 16), S. 492-495, S. 494. 47 Statt vieler: Manfred Nowak, Einführung in das internationale Menschenrechtssystem, Wien/Graz 2002, S. 92ff., 118ff.

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von Mechanismen, um zu überprüfen, ob und inwieweit Staaten die Menschenrechtsstandards beachteten.48 Diese Verfahren haben später, als die vertraglich geregelten Überprüfungsmechanismen ausgebaut wurden, in gewisser Weise an Bedeutung verloren. Ihre Attraktivität für Individualbeschwerdefuhrer besteht aber nach wie vor darin, daß sie die Möglichkeit bieten, die Sache unter etwas erleichterten formellen Bedingungen einer Prüfung zu unterziehen. Diese Prüfung erfaßt aber nur die Typik einer Mehrzahl von gleichgelagerten Fällen. Die Nicht-Vertragsverfahren lassen sich grob in zwei Gruppen untergliedern: Einige beziehen sich auf die generelle Situation in bestimmten Ländern, andere auf (in größerem Zusammenhang betrachtete) Einzelfälle. Daneben gibt es Mischformen, die beide Konstellationen erfassen. Darüber hinaus beschränken sich manche dieser Verfahren nur auf bestimmte Arten von Menschenrechtsverletzungen, während andere das gesamte Feld der Menschenrechte abdecken. Hier ist zu beachten, daß die Generalversammlung am 15. März 2006 den Menschenrechtsrat eingesetzt hat, der am 19. Juni 2006 die bislang zuständige Menschenrechtskommission abgelöst hat.49 Der Menschenrechtsrat soll alle Mandate, Mechanismen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Menschenrechtskommission übernehmen, sie innerhalb eines Jahres nach Aufnahme seiner Tätigkeit überprüfen und erforderlichenfalls verbessern und straffen,50 um das System der besonderen Verfahren, der sachverständigen Beratung und der Beschwerdeverfahren aufrechtzuerhalten (weitere Ausfuhrungen zum Menschenrechtsrat s. u. III. 1.4). Daher werden an dieser Stelle das sog. 1235-Verfahren, das 1503-Verfahren sowie verschiedene thematisch ausgerichtete Mechanismen in einem kurzen Überblick51 erläutert. Für die Verfahren nach den Resolutionen 1235 und 1503 sind die Menschenrechtskommission und ihre Unterkommission für Förderung und zum Schutz der Menschenrechte (nachfolgend: Unterkommission) (bis 1999: Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten) zuständig. Die Menschenrechtskommission bestand zuletzt aus 53 Staatenvertretern, die vom ECOSOC gewählt werden, die Unterkommission aus 26 Experten, die von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen vorgeschlagen und von der Menschenrechtskommission gewählt werden. Jedes Gremium berichtet an das jeweils übergeordnete über die Ergebnisse seiner Sitzungen, so daß sich typischerweise der folgende Zyklus ergibt: Zunächst tagt im August die Unterkommission, 48

Vgl. aus der unmittelbaren Entstehungszeit: Evan Luard, Promotion of Human Rights by UN Political Bodies, in: Evan Luard (Hrsg.), The International Protection of Human Rights, London 1967, S. 132-159. 49 UN-Doc. A/RES/60/251 vom 15. März 2006. 50 Hierzu Juliane Raue/Beate Rudolf, Bewährtes verteidigen und verbessern - Zur Zukunft der Sondermechanismen der UN-Menschenrechtskommission, in: VN 54 (2006), S. 12-18. 51 Eine Darstellung der einzelnen Verfahrensschritte findet sich bei Klaus Hüfner/Wolfgang Reuther/Norman Weiß, Menschenrechtsverletzungen: Was kann ich dagegen tun? Menschenrechtsverfahren in der Praxis, 2. Aufl., Bonn 2004, S. 47-62; vgl. auch Eibe Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz (Fn. 18), S. 42ff.

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dann folgt die Menschenrechtskommission im Februar und März, anschließend ECOSOC im Juli und schließlich die Generalversammlung zwischen September und Dezember. Sofort nach ihrer Einrichtung erhielt die Menschenrechtskommission zahlreiche Beschwerden von Individualpersonen, die auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machten. Die Kommission stellte sich jedoch auf den Standpunkt, daß ihr keine Befugnis zukomme, sich mit ihr bekannt gewordenen Menschenrechtsverletzungen zu beschäftigen.52 3.1.1. Das Verfahren nach Resolution 1235 Diese Haltung wurde im Jahre 1967 aufgegeben, als auf absehbare Zeit noch immer keine Abhilfe durch die vertragsgestützten Verfahren in Sicht war. Mit seiner Resolution 1235 (XLII)-" ermächtigte ECOSOC die Menschenrechtskommission und ihre Unterkommission dazu, „Informationen zu prüfen, die für schwere Verletzungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten erheblich sind". Als Beispiel für solche Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen wurde die Apartheidpolitik benannt. Das Verfahren nach der Resolution 1235 wird seit den achtziger Jahren wieder verstärkt betrieben. Sein durchgängig öffentlicher Charakter erzeugt insgesamt einen stärkeren Druck auf die Staaten. Allerdings bedeutet es in keiner Weise eine Überprüfung von Einzelfällen. Zudem ist der Handlungsspielraum des Expertengremiums Unterkommission beschränkt. Lediglich die Menschenrechtskommission selbst kann „eingehende Studien" über Situationen solcher Menschenrechtsverletzungen anstellen. Man sieht also, daß die Erörterung menschenrechtswidriger Lagen durch politische Gremien der Vereinten Nationen - gerade was die Auswahl des „Übeltäters" angeht - keinen festen Regeln unterliegt. 3.1.2. Das Verfahren nach Resolution 1503 Ein wesentlicher Schritt von diesem offenen politischen Verfahren hin zu einer mehr justizförmigen Überprüfung von Menschenrechtsverletzungen sollte mit dem Verfahren nach Resolution 1503 unternommen werden. Die Resolution 1503 (XLVIII)M eröffnet ein Verfahren/ 5 das der Feststel-

52

Bestätigt durch zwei Resolutionen des Wirtschafts- und Sozialrats: ECOSOC, Resolution E/RES/75 (V) vom 5. August 1947, und Resolution E/RES/728 (XXVIII) vom 30. Juni 1959. 53 ECOSOC, Resolution E/RES/1235 (XLII) vom 6. Juni 1967. 54 ECOSOC, Resolution E/RES/1503 (XLVIII) vom 27. Mai 1970. 55 Durch ECOSOC Resolution E/2000/INF/2/Add. 1 vom 16. Juli 2000, S. 20ff., wurde das Verfahren gestrafft. Auf die Mitarbeit der Unterkommission wird seither verzichtet, dafür ist die Bedeutung der Arbeitsgruppe für Situationen gewachsen. Tiefgreifende Änderungen sind dadurch allerdings nicht zu verzeichnen; auch die erwartete Effektivitätssteigerung hält sich in Grenzen. Hierzu ausfuhrlich Tobias H. Irmscher, Die Behandlung privater Beschwerden über systematische und grobe Menschenrechtsverletzungen in der UN-Menschenrechtskommission. Das 1503-Verfahren nach seiner Reform, Frankfurt am Main 2002, S. 244ff„ 289ff.

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lung dient, ob in einem Staat ein „ Gesamtzusammenhang schwerer und zuverlässig belegter Menschenrechtsverletzungen "56 besteht. Wie sich aus dem Begriff Gesamtzusammenhang ergibt, liegt die Bedeutung von Einzelbeschwerden nur darin, zur Gesamtbeurteilung beizutragen. Am Ende der Einzelbeschwerde steht also nicht die Feststellung der Verletzung von Menschenrechten im Einzelfall oder gar eine wie auch immer geartete Wiedergutmachungspflicht. Im Durchschnitt gehen pro Jahr mehrere zehntausend Mitteilungen im Verfahren nach Resolution 1503 ein. Die Mitteilungen beziehen sich inhaltlich auf schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Verschwindenlassen, illegale Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen oder allgemeine Ausreiseverbote. Es kommen aber durchaus auch andere Felder in Betracht, wobei man sagen kann, daß leichtere Menschenrechtsverletzungen um so eher zur Untersuchung angenommen werden, desto verbreiteter und systematischer sie erfolgen. Das Verfahren läuft vertraulich ab, bis die Menschenrechtskommission entschei det, Empfehlungen an ECOSOC zu richten. Sobald die Kommission in ihren nichtöffentlichen Sitzungen selbst mit den Vorgängen befaßt ist, spricht man nicht mehr von Mitteilungen, sondern von den Gegebenheiten oder Situationen („situations"). Gemäß Resolution 1503 ist die Kommission dazu berechtigt (Abs. 6), eine eingehende Studie zu unternehmen oder einen Ad-hoc-Ausschuß einzuberufen. Letzteres ist bislang noch nie vorgekommen, eingehende Studien wurden in bislang zwei Fällen unternommen und eine davon - zu Äquatorialguinea - später veröffentlicht. Die Kommission ergreift anstelle dieser, in Resolution 1503 vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten meistens eine der folgenden Maßnahmen, falls sie die Situation für entsprechend ernst hält (Anderenfalls beendet sie das Verfahren.): • Ernennung eines unabhängigen Experten oder Berichterstatters; • Ersuchen des Generalsekretärs, mit den betroffenen Regierungen direkten Kontakt herzustellen; • die Regierungen um zusätzliche Informationen bitten; • die Situation unter weiterer Beobachtung halten. In jedem Fall wird die Situation im Folgejahr wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Zum Abschluß der Sitzung teilt der Vorsitzende öffentlich die Namen der Staaten mit, aus denen Gegebenheiten erörtert wurden. Ebenso werden diejenigen genannt, deren Situationen nicht weiter beobachtet werden. Die Menschenrechtskommission kann ECOSOC bitten, den Namen des Landes auch in seinen öffentlichen Bericht aufzunehmen. Dies geschah bisher sehr selten, beispielsweise auf Bitten einer neuen Regierung im betreffenden Land (Argentinien nach der Ablösung der Militärdiktatur) oder um auf die völlige Blockade eines Landes zu reagieren (Äquatorialguinea, das jegliche Mitarbeit verweigerte). 56

Im englischen Original: „Consistent pattern of gross and reliably attested violations of human rights".

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Das Verfahren nach Resolution 1503 hat die in es gesetzten Erwartungen nicht erfüllen können. 57 Hierfür ist einerseits die auch nach der Reform noch zu beklagende Komplexität des Verfahrens, das über verschiedene Stufen läuft, verantwortlich. Aber auch der vertrauliche Charakter hat negative Auswirkungen. Zwar dient er zu Recht dem Schutz der Beschwerdeführer, doch fehlt gleichzeitig der heilsame Druck von Publizität auf den betroffenen Staat. 58 Hinzu kommt drittens, daß die Untersuchungen immer erst dann einsetzen, wenn es bereits zu einer großen Zahl von Menschenrechtsverletzungen in einem bestimmten Land gekommen ist. 3.1.3. Thematische Verfahren Mit den thematischen Mechanismen wurde seit Beginn der 80er Jahre ein neuer Typ von Untersuchungsverfahren etabliert. 5 Sie beschäftigen sich jeweils mit einer Art von Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise Folter. Dabei steht nicht die Gesamtsituation in bestimmten Ländern, sondern durchaus der Einzelfall im Vordergrund. Bisher wurden über fünfundzwanzig solcher thematischer Mechanismen eingerichtet. 00 Dazu gehören beispielsweise die Arbeitsgruppe für gewaltsames oder unfreiwilliges Verschwinden (1980), der Sonderberichterstatter für standrechtliche oder willkürliche Hinrichtungen (1982), der Sonderberichterstatter für Folter (1985), der Sonderberichterstatter fiir Glaubens- oder Religionsfreiheit (1986) und die Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen (1991). Ihnen ist gemeinsam, daß sie in ihren jährlichen Berichten an die Menschenrechtskommission sämtliche Fälle und Probleme konkret benennen. Dies erhöht natürlich den Publizitätsdruck auf die betroffenen Staaten. 61 Ihre jeweiligen Mandate ermächtigen diese Kontrollmechanismen dazu, das ihren Arbeitsgegenstand bildende Phänomen zu untersuchen und effektiv auf ihnen unterbreitete Informationen reagieren zu können. Hierzu gehört auch das Recht, Reisen in betroffene Staaten zu erbitten und entsprechende Einladungen zu akzeptieren. Sie berichten jährlich an die Kommission sowie zusätzlich über die Eindrücke eventueller Inspektionsreisen. 62

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Ähnlich auch Tobias H. Irmscher (Fn. 55), S. 621 ff., der allerdings nicht zu Unrecht darauf hinweist, daß die Güte und Wirkung des Verfahrens von der Bereitschaft der Regierungsvertreter in der Menschenrechtskommission abhängt, es allein unter menschenrechtlichen und nicht unter allgemeinpolitischen Gesichtspunkten zu handhaben. 58 Vgl. zu diesem Komplex Eckart Klein (Hrsg.), Stille Diplomatie oder Publizität? Überlegungen zum effektiven Schutz der Menschenrechte, Berlin 1997, insbes. S. 39ff. 59 Ausführlich Beate Rudolf, Die thematischen Berichterstatter und Arbeitsgruppen der UN-Menschenrechtskommission, Ihr Beitrag zur Fortentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, Berlin u.a. 2000. 60 Vgl. die Übersicht unter www.ohchr.org/englislVbodies/chr/special/themes.htm. 61 Vgl. etwa die Zusammenstellung entsprechender Beobachtungen hinsichtlich Diskriminierungen und fremdenfeindlicher Übergriffe durch Polizisten in der Bundesrepublik Deutschland bei Norman Weiß, Menschenrechtserziehung - eine verfassungspädagogische Herausforderung für die Polizei, in: Die Polizei 2004, S. 313-320, S. 314ff. 62 Zu den Schwierigkeiten bei der Mandatsausübung vgl. Miko Lempinen, Challenges facing the System o f Special Procedures of the United Nations Commission on Human Rights, Turku/Äbo 2001.

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3.1.4. Fazit und Ausblick auf den neuen Menschenrechtsrat Zu den Vorteilen der nicht-vertragsgestützten Überwachungsverfahren gehört es, daß sie es betroffenen Personen oder den ihre Interessen vertretenden nichtstaatlichen Organisationen (engl. Non-Governmental Organizations - NGOs) relativ leicht ermöglichen, ihre Belange vor die zuständigen Gremien zu bringen. Gerade für die NGOs schaffen diese Gremien nicht nur ein Forum, sondern oftmals auch den wichtigen Kontakt zur Außenwelt, von der viele Regime ihre Bevölkerungen bekanntlich (nicht selten gewaltsam) abschotten wollen. Sie stellen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Stabilisierung oder Schaffung zivilgesellschaftlicher Strukturen in vielen Ländern dar. Auf der anderen Seite sind diese Verfahren schwerfällig und, aufgrund der Zusammensetzung der Menschenrechtskommission aus weisungsgebundenen Staatenvertretern, oft politisch überformt. Bei Abstimmungen in der Menschenrechtskommission geben nicht selten außen- und wirtschaftspolitische Erwägungen der Mitgliedstaaten den Ausschlag. Somit wurden die nicht-vertragsgestützten Überwachungsverfahren, die einen wesentlichen Teil der Arbeit der Menschenrechtskommission darstellten, von der an der Kommission geäußerten Kritik miterfaßt. In seinem im März 2005 vorgelegten Bericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle" hat UNGeneralsekretär Kofi Annan diese Kritik aufgegriffen, indem er die Abschaffung der Menschenrechtskommission und ihre Ersetzung durch einen neu zu schaffenden Menschenrechtsrat forderte.63 Der mittlerweile von der UN-Generalversammlung als eigenes Nebenorgan geschaffene Menschenrechtsrat64 hat siebenundvierzig Mitglieder, ist also gegenüber der bisherigen Menschenrechtskommission nur unwesentlich verkleinert. Die Verteilung der Sitze folgt dem geographischen Schlüssel der Vereinten Nationen; es sind 13 Sitze für die Gruppe der afrikanischen Staaten, 13 für die Gruppe der asiatischen Staaten, 6 für die Gruppe der osteuropäischen Staaten, 8 für die Gruppe der lateinamerikanischen und karibischen Staaten und 7 für die Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten vorgesehen. Die Mitglieder im Menschenrechtsrat werden von der Generalversammlung mit absoluter Mehrheit (96 Stimmen) einzeln für einen Zeitraum von drei Jahren gewählt; nach zwei aufeinanderfolgenden Mitgliedschaften ist eine unmittelbare Wiederwahl ausgeschlossen. Bei der Wahl der Mitglieder wird - so das Mandat der Gründungsresolution - der Beitrag der Kandidaten zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte berücksichtigt. Die in den Rat gewählten 63

Vereinte Nationen - Generalversammlung, In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle. Bericht des Generalsekretärs, 21. März 2005, UN Doc. A/59/2205, Ziff. 181ff.; deutsche Fassung im Internet: a) Deutscher Übersetzungsdienst bei den Vereinten Nationen: www.un.org/Depts/german/gs_sonst/a59-2005-ger.pdf, b) ODS: http://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N05/ 270/94/doc/N0527094.DOC?OpenElement. 64 Vgl. Resolution 60/251 vom 15. März 2006, UN Doc. A/RES/60/251. Einzelheiten bei Norman Weiß, Der neugeschaffene Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, in: MenschenRechtsMagazin 2006, S. 80-86.

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Staaten65 verpflichten sich, mit dem Rat zusammenzuarbeiten und den höchsten Ansprüchen auf dem Gebiet der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte gerecht zu werden. Staaten, die in den Rat gewählt werden wollen, sollen auch freiwillige Zusagen und Verpflichtungen hinsichtlich der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte abgeben. Der Rat, dessen Sitz in Genf ist, wird mindestens drei Tagungen pro Jahr, darunter eine Haupttagung, mit einer Gesamtdauer von mindestens zehn Wochen abhalten. Der Menschenrechtsrat soll für die Förderung der allgemeinen Achtung des Schutzes aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle, ohne irgendeinen Unterschied und auf faire und gleiche Weise, verantwortlich sein. Er wird sich mit Situationen von Verletzungen der Menschenrechte, namentlich groben und systematischen Verletzungen, befassen und diesbezügliche Empfehlungen abgeben. Hinzu kommen die wirksame Koordinierung und die durchgängige Integration von Menschenrechtsfragen in allen Bereichen des Systems der Vereinten Nationen. 3.2. Vertragsverfahren - „Treaty-Based Monitoring" Die sieben wichtigsten Menschenrechtsverträge66 sehen allesamt vor, daß die Einhaltung der Verpflichtungen durch ein jeweils speziell eingerichtetes Vertragsorgan, einen sog. Ausschuß überwacht wird. Bei diesen Ausschüssen handelt es sich um unabhängige Expertengremien, denen in der Regel mehrere Verfahrenstypen zu Gebote stehen. Zweck dieser Überwachungsverfahren ist es, die Einhaltung der von den Staaten eingegangenen Verpflichtungen und ihre innerstaatliche Umsetzung (durch Gesetze, aber auch durch die Praxis von Gerichten und Behörden) zu kontrollieren. Die anlaßunabhängige Kontrolle durch von jedem Vertragsstaat regelmäßig zu erstattende Staatenberichte6*, die von den Ausschüssen mit der 65

Folgende Staaten wurden am 9. Mai 2006 in den neuen UN-Menschenrechtsrat gewählt, geordnet nach Regionalgruppen (Mandatszeit / Jahre in Klammern): a) Afrika - 13 Sitze: Ghana (2), Sambia (2), Senegal (3), Südafrika (1), Mali (2), Marokko (1), Mauritius (3), Gabun (2), Djibouti (3), Kamerun (3), Tunesien (1), Nigeria (3), Algerien (1); b) Asien 13 Sitze : Indien (1), Indonesien (1), Bangladesh (3), Japan (2), Malaysia (3), Pakistan (2), Republik Korea (2), China (3), Jordanien (3), Philippinen (1), Bahrain (1), Saudi Arabien (2), Sri Lanka (2); c) Lateinamerika und Karibik (GRULAC) - 8 Sitze: Brasilien (2), Argentinien (1), Mexiko (3), Peru (2), Guatemala (2), Uruguay (3), Cuba (3), Ekuador (1); d) Osteuropa (EEG) - 6 Sitze : Russland (3), Polen (1), Tschechien (1), Ukraine (2), Azerbaidschan (3), Rumänien (2); e) Westeuropa (WEOG) - 7 Sitze: Deutschland (3), Frankreich (2), Großbritannien (2), Schweiz (3), Niederlande (1) Finnland (1), Kanada (3); Quelle: www.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/membership.htm. 66

Siehe S. 167ff. und in Fn. 25ff. Vgl. die Beiträge in Philip Alston/James Crawford (Hrsg.), The Future of UN Human Rights Treaty Monitoring, Cambridge 2000, vgl. auch Norman Weiß (Fn. 38), S. 48-59, Katrin Weschke, Internationale Instrumente zur Durchsetzung der Menschenrechte, Berlin 2001, S. 5-36, Wolfram Karl, Besonderheiten der internationalen Kontrollverfahren zum Schutz der Menschenrechte, in: Walter Kälin u.a., Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes (Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 33), Heidelberg 1994, S. 83-128; Walter Kälin/Jörg Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, Basel u. a. 2005, S. 206ff. 67

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Vgl. Art. 40 IPbpR, Art. 16 IPwskR, Art. 9 CERD, Art. 18 CEDAW, Art. 19 CAT, Art. 44 CRC, Art. 73f. CMW.

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Regierung erörtert und anschließend kommentiert werden, stellt das primäre Instrument dieser Überwachung dar.69 Im Rahmen solcher Stellungnahmen (Concluding Observations/Abschließende Bemerkungen) werden positive und negative Bewertungen vorgenommen und Empfehlungen ausgesprochen, wie an der Verbesserung der Situation zu arbeiten sei. Die Regierungen sind nach dem jeweiligen Übereinkommen gehalten, diese Abschließenden Bemerkungen zu veröffentlichen und weithin bekanntzumachen.70 Um eine wirksamere Umsetzung zu erreichen, wurden Nachüberprüfungsmechanismen (Follow up) entwickelt. Die Staaten sind in diesem Zusammenhang verpflichtet, innerhalb einer kurzen Frist über die von ihnen getroffenen Abhilfemaßnahmen für die vom jeweiligen Ausschuß als besonders dringlich bezeichneten Probleme zu berichten. Eine Bilanz der Staatenberichtsverfahren zu ziehen, ist nicht einfach. Einerseits sind Ziel und Konzept dieses Verfahrens überzeugend: Durch eine regelmäßig und anlaßunabhängige Kontrolle soll eine kontinuierliche Befassung mit den Menschenrechten und ihrer Umsetzung in den jeweiligen Vertragsstaaten erreicht und so zu einer tatsächlichen Verbesserung beigetragen werden. Damit sind im Laufe der Zeit auch viele Regierungen erreicht und zu einer echten Kooperation bewegt worden. Die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure (NGOs) durch die Überwachungsorgane und die Regierungen in diesen Prozeß hat in vielen Ländern dazu beigetragen, eine Menschenrechtskultur zu entwickeln oder zu stärken. Diesen positiven Erfahrungen stehen andererseits Mängel gegenüber: Einige Staaten nehmen das Staatenberichtsverfahren nicht ernst, andere verweigern geradezu die Zusammenarbeit mit den Ausschüssen. Immerhin 47 Staaten haben den Bericht nach Art. 40 IPbpR - um nur ein Beispiel herauszugreifen - seit mindestens fünf Jahren nicht abgegeben, 24 davon sind bereits zehn oder mehr Jahre im Rückstand (wiederum zwölf von diesen lange überfalligen Berichten sind Erstberichte!). Hinzu kommt, daß die Empfehlungen der Ausschüsse mitunter gar nicht, nur verspätet oder teilweise umgesetzt werden. Die Effektivität des Staatenberichtsverfahrens darf bei aller Wertschätzung dieses Mechanismus mithin nicht überschätzt werden. Schon seit längerem wird deshalb über eine Reform des Staatenberichtsverfahrens diskutiert;71 im Mittelpunkt stehen dabei die Last der Berichts69

Siehe die Beiträge in Eckart Klein (Hrsg.), The Monitoring System of Human Rights Treaty Obligations, Berlin 1998; Christian Tomuschat, Human Rights - Between Idealism and Realism, Oxford 2003, S. 136ff. 70 Die Bundesregierung veröffentlichte früher in unregelmäßigen Abständen kleinere Druckschriften; heute werden die Dokumente über die beteiligten Ministerien im Internet verfugbar gemacht (www.bundesregierung.de). Das Deutsche Institut fur Menschenrechte in Berlin hat hierzu eine hilfreiche Übersicht erstellt (www.institut-fuer-menschenrechte. de/webcom/show_page.php/_c-578/_nr-l/i.html). 71 Siehe bereits Helga Klein, Towards a More Cohesive Human Rights Treaty System, in: Eckart Klein, The Monitoring System (Fn. 69), S. 89-94; aus neuerer Zeit Hanna Beate Schopp-Schilling, Vorschläge zur Reform der UN-Vertragsausschüsse im Rahmen der Bemühungen um eine Reform der Vereinten Nationen, in: Eckart Klein/Helmut Volger (Hrsg.), Chancen fur eine Reform der Vereinten Nationen? Bilanz zum 60. Geburtstag der Weltorganisation (Potsdamer UNO-Konferenzen, Bd. 6), Potsdam 2006, S. 18-30.

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erstellung, die gerade für kleinere und arme Staaten schwer und vor allem fristgerecht zu erfüllen ist, die Koordinierung der verschiedenen Vertragsorgane untereinander und Probleme im Zusammenhang mit materiellen Mehrfachgarantien.72 Aber auch die zügige Behandlung durch die Ausschüsse ist, vor allem durch die knapp bemessenen Sitzungszeiten, nicht sichergestellt. Ziel dieser Bemühungen ist es, die Stärken des Staatenberichtsverfahrens wirkungsvoller hervortreten zu lassen und die eher technischen Probleme der Durchführung zu lösen. Vorschläge zur Konzentration - Schaffung eines einzigen Vertragsorgans, Vorlage eines einzigen Berichts, der für alle Verträge gelten soll, die ein Staat ratifiziert hat - haben sich bislang zu Recht nicht durchsetzen können.73 Wenn mit einer solchen Änderung tatsächlich Vereinfachungseffekte erzielt werden sollten, so ginge dies zu Lasten spezieller Verbürgungen und besonderer gefährdeter Gruppen.74 Positiv ist die neuere Praxis einzelner Ausschüsse zu beurteilen, von den Staaten Kurzberichte zu Spezialfragen außerhalb der periodischen Berichtszyklen zu verlangen und diese dann auch zeitnah beraten.75 Das fakultative Instrument der Staatenbeschwerde16, dem sich die Vertragsstaaten von vier Menschenrechtsverträgen in einem gesonderten Schritt unterwerfen können, und das dem traditionellen völkerrechtlichen Verständnis der Staaten als Hüter des Völkerrechts Ausdruck verleiht, ist im Rahmen des Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen bislang noch nicht zum Einsatz gekommen.77 Einige der Menschenrechtsverträge sehen optional die Möglichkeiten vor, Individualbeschwerden zur Durchsetzung der in der jeweiligen Konvention verankerten Rechte einzulegen.78 Diese sind rechtsförmig, können aber nur als quasi-gerichtlich bezeichnet werden.79 72

Vgl. dazu Sir Nigel Rodley, United Nations Human Rights Treaty Bodies and Special Procedures of the Commisson on Human Rights - Complementarity or Competition?, in: Human Rights Quarterly 25 (2003), S. 882-908; Heike Stender, Überschneidungen im internationalen Menschenrechtsschutz, Zum Problem des overlapping von materiellen Garantien und Kontrollmechanismen, Berlin 2004. 73 Vgl. Vereinte Nationen - Generalversammlung, Bericht einer Tagung über die Reform des Systems der Menschenrechts-Vertragsorgane (Malbun, Liechtenstein, 4.-7. Mai 2003), UN Doc. A/58/123 vom 8. Juli 2003, Nr. 21-26. 74 Hierzu etwa die Warnung von Hanna Beate Schopp-Schilling, Reform der Vertragsorgane des Menschenrechtsschutzes, Neuere Entwicklungen am Beispiel des CEDAW, in: YN 2004, S. 183-187, S. 186, daß praktisch alle substantiellen Garantien des CEDAWÜbereinkommens unter dem Stichwort Diskriminierung im gemeinsamen „Allgemeinen Bericht" abgehandelt werden würden. 75 Zum Dringlichkeitsverfahren des Menschenrechtsausschusses vgl. Ineke Boerefijn, Towards a Strong System of Supervision. The Human Rights Committee's Role in Reforming the Reporting Procedure under Art. 40 of the Covenant on Civil and Political Rights, in: Human Rights Quarterly 17 (1995), S. 766-793. 76 Art. 41 IPbpR, Art. 11 CERD, Art. 21 CAT, Art. 76, 78 CMW. 77 Anders stellt sich die Lage insoweit unter dem Regime der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Vgl. hierzu die noch aktuelle Auflistung von Fällen bei Henry J. Steiner/Philip Aiston, International Human Rights in Context, Law, Politics, Moral, 2. Aufl., Oxford 2000, S. 804f. 78 Zu einem echten gerichtlichen Verfahren wurde die Individualbeschwerde bislang nur auf der regionalen Ebene ausgebaut, vor allem unter der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskonvention. Einfüh-

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Es sind dies die Individualbeschwerden nach dem (ersten) Fakultativprotokoll zum IPbpR,80 nach Art. 14 CERD und gem. Art. 22 CAT. Hinzu tritt seit dem Jahr 2000 die Beschwerdemöglichkeit nach den Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.81,82 Schon seit geraumer Zeit wird versucht, auch unter dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eine Individualbeschwerde zu etablieren.83 Entsprechende Bemühungen werden inzwischen auch für die Kinderrechtskonvention unternommen.84 Einer der Haupteinwände, die fehlende Justiziabilität der in Rede stehenden Rechte, vermag nicht zu überzeugen.85 Die Überprüfung von einzelnen Menschenrechtsverletzungen auch in diesen Bereichen würde vielmehr die Durchsetzung insgesamt stärken. Allerdings zeichnet sich derzeit noch keine Mehrheit unter den Vertragsstaaten ab, solche Individualbeschwerdeverfahren in separaten Fakultativprotokollen zu etablieren.

rend: Michala Wittinger, Die drei regionalen Menschenrechtssysteme - Ein vergleichender Überblick über die EMRK, die Amerikanische Menschenrechtskonvention und die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, in: Jura 21 (1999), S. 405-411. 79 Hierzu und zum folgenden Norman Weiß, Überblick über die Erfahrungen mit Individualbeschwerden unter verschiedenen Menschenrechtsabkommen, in: AVR 2004, S. 142156; Klaus Hüfner/ Reuther/Norman Weiß, Menschenrechtsverletzungen (Fn. 51), S. 63182. 80 Ausfuhrlich: Bernhard Schäfer, Die Individualbeschwerde nach dem Fakultativprotokoll zum Zivilpakt, Ein Handbuch für die Praxis, Berlin 2004; Bernhard Schäfer/Norman Weiß, Das Individualbeschwerdeverfahren vor dem UN-Menschenrechtsausschuß, in: ZESAR (Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht), Jg. 3 (2004), S. 220-233. 81 Hierzu: Anna Golze, Die Individualbeschwerde nach dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), in: Jana Hasse/Erwin Müller/Patricia Schneider (Hrsg.), Menschenrechte: Bilanz und Perspektiven, Baden-Baden 2002, S. 511-533. Die erste Individualbeschwerde wurde am 20. August 2002 eingereicht und richtete sich gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die Beschwerdeführerin hielt unterhaltsrechtliche Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches für diskriminierend, weil die typischerweise von Frauen im Haushalt erbrachten Leistungen bei der Unterhaltsberechnung nicht ausreichend berücksichtigt würden. Der Ausschuß erklärte sie am 14. Juli 2004 für unzulässig. Seither wurde über eine gegen Ungarn gerichtete Beschwerde entschieden, die am 26. Januar 2005 für begründet erklärt wurde. Eine gegen die Türkei gerichtete Beschwerde erklärte der Ausschuß hingegen am 27. Januar 2006 für unzulässig. 82 Die Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen sieht in Art. 77 CMW ebenfalls ein fakultatives Individualbeschwerdeverfahren vor, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist. Vgl. einführend Bernhard Schäfer, Die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, in: MenschenRechtsMagazin 2004, S. 203-206. 83 Dazu: Norman Weiß, Für eine bessere Durchsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte - braucht der Sozialpakt ein Fakultativprotokoll?, in: MenschenRechtsMagazin, Themenheft 25 Jahre Internationale Menschenrechtspakte, 2002, S. 151160 m.w.N. 84 Dazu: Norman Weiß, Wäre ein Individualbeschwerdeverfahren auch im Rahmen der Kinderrechtskonvention sinnvoll? - Zur Einklagbarkeit der Konventionsrechte und den Chancen einer Reform, in: MenschenRechtsMagazin 2001, S. 85-97 m.w.N. 85 Siehe die entsprechenden Nachweise bei Norman Weiß (Fn. 83), Weiß (Fn. 84), Katrin Frauenkron, Forced Evictions und das Recht auf Wohnung, in: MenschenRechtsMagazin 2004, S. 261-273, und Jakob Schneider, Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, Berlin 2004.

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3.3. Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte (siehe bereits Abschnitt 2, S. 170) verfugt über ein Büro in Genf, dessen Mitarbeiter ihn bei seiner Arbeit unterstützen. Ende 1997 wurde das ebenfalls in Genf bestehende Zentrum für Menschenrechte, das unter anderem Sekretariatsdienste für die verschiedenen Vertragsorgane ausübte, in das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights - OHCHR) eingegliedert. Zu den Aufgaben des OHCHR gehört es neben dieser Sekretariatsfunktion für die Vertragsorgane vor allem, eine Schnittstellenfunktion zwischen sämtlichen Organen, Unterorganen und sonstigen Gremien der Vereinten Nationen, die sich mit Menschenrechten befassen, wahrzunehmen. 86 Die Arbeit des OHCHR zielt auf eine Koordinierung der menschenrechtlichen Aktivitäten der Vereinten Nationen. 87 Das Büro bildet gleichsam die Heimatbasis der zahlreichen Feldmissionen, die das Hochkommissariat in 39 Ländern/Regionen unterhält (Stand Juli 2006). 88 Im Rahmen der aktuellen Reformbestrebungen, zu denen auch der Ansatz des „ Streamlining Human Rights" gehört, ist das OHCHR bemüht, die Menschenrechte im Sinne eines Querschnittsthemas in allen Tätigkeitsbereichen der Vereinten Nationen/ 9 beispielsweise auch bei friedenserhaltenden Maßnahmen oder im Rahmen des „Capacity Building" 90 zu verankern. Das OHCHR leistet überdies technische Hilfe, berät beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, unterstützt die menschenrechtliche Aus- und Fortbildung von Polizisten, Soldaten und anderen Trägern von Hoheitsgewalt und trägt auf diese Weise zum Aufbau einer weltweiten Menschenrechtskultur bei.91 Problematisch ist allerdings die unzureichende finanzielle Ausstattung des Büros. 92 86

Die Komplexität dieser Aufgabe erschließt sich am schnellsten aus der Durchsicht der Internetseiten des OHCHR (www.ohchr.org); die unter www.unhchr.ch/hrostr.htm abrufbare Grafik macht sie auf einen Blick sichtbar. 87 Ausführlich Bertrand G. Ramcharan, The United Nations High Commissioner for Human Rights, The Challenges of International Protection, Den Haag u.a. 2002, S. 29ff. und passim. 88 Siehe die unter www.ohchr.org/english/countries/field/offices.htm abrufbare Übersicht. 89 Hierzu: Ekkehard Strauß, UN-Reform und Menschenrechte, in: Eckart Klein/Helmut Volger (Hrsg.), Integrative Konzepte bei der Reform der Vereinten Nationen (Potsdamer UNO-Konferenzen, Bd. 5), Potsdam 2004, S. 59-68; Ekkehard Strauß, Menschenrechtsschutz im UN-System (Fn. 43). 90 Vgl. Klaus Dicke, Capacity Building - Möglichkeiten und Grenzen eines kooperativen Instruments zur internationalen Rechtsverwirklichung (SEF Policy Paper 20), Bonn 2003, S. 4f. 91 Alfred M. de Zayas, Menschenrechte, Zentrum für Menschenrechte/Hoher Kommissar für Menschenrechte, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon (Fn. 16), S. 337-343, S. 341; ausführlich Heike Alefsen, Menschenrechtsbildung bei den Vereinten Nationen - Überlegungen zu institutionellen Entwicklungen während der UN-Dekade, in: Claudia Mahler/Anja Mihr (Hrsg.), Menschenrechtsbildung - Bilanz und Perspektiven, Wiesbaden 2004, S. 7181. 92 Reed Brody, Improving U N Human Rights Structures (Fn. 36), S. 307f„ 311; Alfred de Zayas (Fn. 91), S. 341 f.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

3.4. Zur Rolle von nichtstaatlichen Organisationen An verschiedenen Stellen ist bereits angeklungen, daß NGOs für den Menschenrechtsschutz eine wichtige Rolle spielen, sei es als unverzichtbarer Lieferant von Informationen in den verschiedenen Staatenberichtsverfahren, sei es als spezieller „Anwalt" von Opfern oder als generelle Akteure innerhalb des Systems der Vereinten Nationen. NGOs sind in den letzten Jahrzehnten zum völkerrechtlich anerkannten Akteur auf der internationalen Ebene geworden.93 Ihre Stellung im System der Vereinten Nationen ist jenseits der Akkreditierung beim ECOSOC allerdings noch weitgehend von Unverbindlichkeit geprägt. Die im sog. Cardoso-Bericht94 empfohlene institutionalisierte Beteiligung von NGOs ist bislang nicht verwirklicht worden.95 Das Bild der NGOs ist vielgestaltig; neben international agierenden, großen Organisationen gibt es lokale „Graswurzel"-Organisationen, manche NGOs sind auf ein Thema fokussiert, andere decken viele Menschenrechte ab. Während einige dezidiert nur für ihre Mitglieder sprechen, verstehen sich andere generell als Vertreter der „Zivilgesellschaft"96, ihre Finanzierung erfolgt teilweise (ausschließlich) aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen, teilweise (auch) aus staatlichen Zuschüssen. NGOs sind also Interessenvertreter. Eine weitere wichtige Rolle, die gerade auch in der Bundesrepublik Deutschland über das bisherige Maß hinaus wahrgenommen werden sollte, liegt in der kritischen Begleitung der Phase, in der die Regierung die Entscheidungen oder Stellungnahmen der verschiedenen Menschenrechtsgremien und -organe umsetzen muß.97 Hier könnte die vorrangige parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns durch das Einfordern von Rechenschaft seitens gesellschaftlicher Akteure ergänzt werden.

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Vgl. Stephan Hobe, Der Rechtsstatus von Nichtregierungsorganisationen nach gegenwärtigem Völkerrecht, in: AVR 37 (1999), S. 152-176; Felix William Stoecker, NGOs und die UNO. Die Einbindung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in die Strukturen der Vereinten Nationen, Frankfurt am Main 2000, S. 89ff.; Nils Geißler, Einfluss und Rolle der Nichtregierungsorganisationen beim Schutz der Menschenrechte, in: Erwin Müller/Patricia Schneider/Kristina Thony (Hrsg.), Menschenrechtsschutz, Politische Maßnahmen, zivilgesellschaftliche Strategien, humanitäre Intervention, Baden-Baden 2002, S. 6278. Vgl. auch den Beitrag von Thomas Fitschen über die Rolle der NGOs in den Vereinten Nationen in diesem Buch. 94

United Nations - General Assembly, We the peoples: civil society, the United Nations and global governance. Report of the Panel of Eminent Persons on United Nations-Civil Society Relations, 11 June 2004, UN-Doc. A/58/817. 95 Einzelheiten bei Helmut Volger, Mehr Partizipation nicht erwünscht. Der Bericht des Cardoso-Panels über die Reform der Beziehungen zwischen den Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft, in VN 53 (2005), S. 12-18. 96 Hierzu Eckart Klein, Möglichkeiten und Grenzen der Zivilgesellschaft beim Schutz der Grundrechte der Bürger, in: MenschenRechtsMagazin 2006, S. 161-167 m.w.N. 97 Ähnlich Christian Tomuschat, Human Rights (Fn. 69), S. 233f.

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4. Menschenrechte als Handlungsvorgabe Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts haben die Vereinten Nationen den klassischen Dreischritt von „Standard-setting", „Promotion" und „Protection" bei der Befassung mit Menschenrechten erweitert. Gegenüber dem Irak bewertete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schwere Menschenrechtsverletzungen erstmals als Bedrohung des Weltfriedens im Sinne von Art. 39: "Condemns the repression of the Iraqi civilian population in many parts of Iraq, including most recently in Kurdish-populated areas, the consequences of which threaten international peace and security in the region. "98 Auf der Grundlage dieser Resolution errichteten britische, französische und US-amerikanische Truppen zum Schutz der Zivilbevölkerung die sog. Flugverbotszonen im Irak. In den jeweiligen Gebieten wurden anschließend aufgrund von Vereinbarungen zwischen dem Irak und den Vereinten Nationen - und nicht im Wege humanitärer Intervention durch einzelne Mächte - sog. humanitäre Zentren eingerichtet." War in diesem Fall das Vorgehen der Vereinten Nationen noch eng in eine klassische Maßnahme der kollektiven Sicherheit eingebunden, so erscheinen die Maßnahmen der Organisation, die sich an den Zerfall Jugoslawiens anschlössen, in einem anderen Licht. Hervorzuheben ist hierbei vor allem100 die Errichtung des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) durch den Sicherheitsrat im Jahre 1993.101 Der Sicherheitsrat berief sich hier ausdrücklich auf Kapitel VII der UN-Charta: Die Schaffung eines Ad-hoc-Gerichts, die unter den besonderen Umständen des früheren Jugoslawien geboten sei, stelle einen Beitrag zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Friedens dar. Gestützt auf Art. 41 der UN-Charta eine Institution zu schaffen, galt als spektakuläre Großtat. Diese Bewertung 102 ist in politi98

Vereinte Nationen - Sicherheitsrat, Resolution 688 vom 5. April 1991, UN Doc. S/RES/688 (1991). Zurückhaltender die Einschätzung bei Peter J. Opitz, Menschenrechte (Fn. 43), S. 150ff., der weniger die Verbesserung der Menschenrechtssituation im Irak als das Ziel der Aktivitäten des Sicherheitsrates ansieht, sondern vielmehr meint, es sei um die Wiederherstellung regionaler Stabilität gegangen. 99 Vgl. United Nations - Economic and Social Council, Concise report on the monitoring of world population trends and policies, with special emphasis on refugees. Report of the Secretary-General, 1 February 1994, UN Doc. E/CN.9/1994/2: "In order to protect the civilian population of Iraq, a demilitarized zone along the Iraq-Kuwait border was established in April 1991 under the aegis of the United Nations ana United Nations humanitarian centres were established in Kurdish areas of Iraq. Such an unprecedented international intervention made possible the rapid repatriation of Iraqi refugees from the Islamic Republic of Iran and Turkey." 100 Außerdem entsandten die Vereinten Nationen eine Friedenstruppe (UNPROFOR), verhängten ein Flugverbot fur Militärflugzeuge im Luftraum von Bosnien-Herzegowina und Wirtschaftssanktionen gegen die föderative Republik Jugoslawien. Der Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission, Tadeusz Mazowiecki, legte zwischen August 1992 und August 1995 eine Reihe erschütternder Berichte über die Geschehnisse in Bosnien-Herzegowina vor. 101 UN Doc. S/RES/827 vom 25. Mai 1993 und S/RES/808 vom 22. Februar 1993. 102 Etwa Herwig Roggemann, Der Internationale Strafgerichtshof der Vereinten Nationen von 1993 und der Krieg auf dem Balkan, Berlin 1994, S. 47: „zukunftsweisende Schlußfolgerungen"; Christian Tomuschat, Von Nürnberg nach Den Haag, in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.), Von Nürnberg nach Den Haag: Menschenrechtsverbrechen

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scher Hinsicht zutreffend, den rechtlichen Rahmen hierfür stellt die UNCharta dagegen eher beiläufig zur Verfügung.103 Auf die weitere Entwicklung des internationalen Strafrechts kann hier nur stichwortartig hingewiesen werden: Ebenfalls durch eine Resolution des Sicherheitsrats wurde das Internationale Straftribunal für Ruanda (ICTR) errichtet; im Jahre 1998 einigten sich die Teilnehmer einer Staatenkonferenz in Rom auf das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Cour - ICC), das am 1. Juli 2002 in Kraft trat/ 04 Während die beiden Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda einen örtlich und zeitlich begrenzten Auftrag haben, ist der ICC (vereinfacht gesprochen) für die Verfolgung all derjenigen schweren Völkerrechtsverbrechen - Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Verbrechen der Aggression - zuständig, die nach dem Inkrafttreten des Statuts in einem der Vertragsstaaten oder durch einen Staatsangehörigen der Vertragsstaaten begangen worden sind.105 Kennzeichnend für die internationale Strafgerichtsbarkeit ist zweierlei: Erstens werden Individuen, die vermittels der Menschenrechte als unmittelbar Berechtigte des Völkerrechts die internationale Ebene betreten haben, nun auch als unmittelbar Verantwortliche für schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zur Verantwortung gezogen. Der traditionelle, im Verhältnis zwischen Staat und Individuum angesiedelte Schutz der Menschenrechte, der völkerrechtlich in der oben beschriebenen Weise ausgestaltet ist, wird durch die internationale Strafgerichtsbarkeit ergänzt; allerdings nur auf dem begrenzten Gebiet schwerster Völkerrechtsverbrechen. Zweitens soll die internationale Strafgerichtsbarkeit die Verantwortung der Staaten zur Strafverfolgung nicht ersetzen, sondern ergänzen. Der ICC und die Ad-hoc-Tribunale unterliegen dem Komplementaritätsprinzip, lassen also prinzipiell der nationalen Strafverfolgung den Vorrang. Die hierfür erforderliche politische Bereitschaft zu stärken und die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, ist eine Aufgabe, der sich jeder Staat stellen

vor Gericht. Zur Aktualität des Nürnberger Prozesses, Hamburg 1996, S. 93-115, S. 108: „Beide Gerichte sind echte Schöpfungen der internationalen Gemeinschaft [...]". Kritisch demgegenüber: Andrea Bianchi, Ad-hocism and the Rule of Law, in: EJIL 13 (2002), S. 263-272. 103 Vgl. die knappe, gleichwohl gründliche Darstellung bei Kai-Michael König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Straljustiz, Baden-Baden 2003, S. 163-177. Dort und bei Peter J. Opitz (Fn. 43), S. 188, finden sich Nachweise sowohl för Zustimmung als auch für eine zum Teil zurückhaltende Aufnahme der Vorgehensweise des Sicherheitsrates. Ablehnend Bernhard Graefrath, Jugoslawien und die internationale Strafgerichtsbarkeit, in: Gerd Hankel/Gerhard Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen, Hamburg 1995, S. 295-324, S. 297ff. 104 Am 1. Januar 2006 waren 100 Staaten Vertragsparteien des Statuts. 105 Die genauen Modalitäten regeln Art. 12 und 13 des ICC-Statuts. Zu den Einzelheiten vgl. Aline Bruer-Schäfer, Der Internationale Strafgerichtshof. Die Internationale Strafgerichtsbarkeit im Spannungsfeld von Recht und Politik, Frankfurt am Main 2001; Claudia Mahler, Der Internationale Strafgerichtshof (ICC), in: Claudia Mahler/Norman Weiß (Hrsg.), Menschenrechtsschutz (Fn. 42) S. 257-291.

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muß. 106 Die Vereinten Nationen verstehen sich zu Recht als wichtiger Förderer dieser Entwicklung, die von einer Mehrheit der Staaten unterstützt wird. Opposition hiergegen kommt von mehreren kleinen Staaten, aber auch von den USA, obwohl diese im Laufe ihrer verfassungsgeschichtlichen Entwicklung, vor allem aber durch ihr Engagement im Rahmen der Vereinten Nationen, bislang sehr viel für die Menschenrechte getan haben. Die Ablehnung des ICC geht soweit, daß die USA seit 2003 jährlich eine Sicherheitsratsresolution durchsetzen, die Beteiligte an Einsätzen der Vereinten Nationen oder von ihnen mandatierten Operationen, die aus Nichtvertragsstaaten stammen, für die Dauer von jeweils zwölf Monaten von einer Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof ausnimmt. Bereits angeklungen ist das Thema der humanitären Intervention. Grundsätzlich gilt das Gewaltverbot der UN-Charta-, die Anwendung von militärischer Gewalt ist beim Sicherheitsrat monopolisiert. Eine humanitäre Intervention, also der Einsatz militärischer Gewalt durch einzelne oder eine Gruppe von Staaten zum Schutz bestimmter Bevölkerungsgruppen vor einer rücksichtslosen Verletzung ihrer Menschenrechte, stellt nach weitverbreiteter Auffassung keine Rechtfertigung für den Gewalteinsatz einzelner Staaten oder Staatengruppen dar.10 Liegt dem Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz der Menschenrechte allerdings eine Entscheidung des Sicherheitsrates zugrunde, so beruht die Rechtfertigung auf dieser Grundlage und nicht auf dem „Rechtstitel" der humanitären Intervention. 108 Diese Konstellation war beispielsweise in den Fällen Somalia 109 und Ruanda 110 gegeben. 111 Auch wenn man es zutreffenderweise für möglich hält, daß der Sicherheitsrat den Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz der Menschenrechte legitimieren kann, so ist noch nichts zur Effektivität des Schutzes der 106 In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG für Deutsche eingeschränkt (BGBl. 2000 I, S. 1633) und das materielle Strafrecht durch das Völkerstrafgesetzbuch, das am 30. Juni 2002 in Kraft trat (BGBl. 2002 I, S. 2254), an das Statut des ICC angepaßt. Zur Pflicht der Zusammenarbeit mit dem ICC vgl. generell: Tatjana Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof, Berlin 2002. 107 Vgl. Michael Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, 8. Abschnitt, S. 589-667, Rn. 21 m . w . N . ; ausführlich Burkhard Schöbener, Schutz der Menschenrechte mit militärischer Gewalt: die humanitäre Intervention zwischen Völkerrecht und internationaler Politik, in: ZfP 47 (2000), S. 293-317, anderer Ansicht Karl Doehring, Die Humanitäre Intervention. Überlegungen zu ihrer Rechtfertigung, in: Essays in Honour o f Thomas Buergenthal, San José 1996, S. 549-565. 108 Ausführlich hierzu Heike Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates - das Ende staatlicher Souveränität?, Berlin 1997, S. 69ff„ S . 9 1 f f . 109 U N Doc. S/RES/794 vom 3. Dezember 1992. Zu Somalia vgl. Bernd Jürjens, Die neue Diskussion um gerechte Kriege und humanitäre Intervention - das Beispiel Somalia (INEF-Report 16/1996), Duisburg 1996; Mathias Weber, Der UNO-Einsatz in Somalia. Die Problematik einer „humanitären Intervention", Denzlingen 1997. 110 U N Doc. S/RES/929 vom 22. Juni 1994. 111 Ebenso Michael Bothe, Friedenssicherung (Fn. 107), Rn. 24 m . w . N . Kritisch Josef Isensee, Weltpolizist für Menschenrechte. Wiederkehr der humanitären Intervention, in: JZ 50 (1995), S. 421-430.

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Menschenrechte auf diesem Wege gesagt. Immerhin kann man seit dem Zweiten Weltkrieg Fälle aufzählen, in denen militärische Gewalt dem mörderischen Treiben menschenverachtender Regime ein Ende bereitete. Ehrlicherweise darf man dabei aber die oftmals auf dem Fuße folgenden neuen Menschenrechtsverletzungen, wie beispielsweise Vertreibungen, nicht unterschlagen. Daß ein Kriegseinsatz, ob als humanitäre Intervention bezeichnet oder nicht, weitere Opfer fordert, liegt auf der Hand. Hier als Verantwortlicher Entscheidungen treffen zu müssen, ist keine leichte und auch keine leichtfertig zu erledigende Aufgabe. Wie so oft, beginnt die eigentliche Aufgabe „hinterher": Der Frieden muß gesichert, die Vergangenheit aufgearbeitet, Täter müssen zur Verantwortung gezogen und neue, rechtsstaatliche und menschenrechtskonforme Strukturen aufgebaut werden.112 Menschenrechtserziehung ist ebenso gefragt wie „Capacity Building". Dies ist die Stunde der Vereinten Nationen, und in ihr erweist sich die Verantwortung der Staatengemeinschaft, die Organisation auszustatten und zu unterstützen. Die neugeschaffene Peacebuilding Commission" 3 ist ein Versuch, hier zukünftig erfolgreicher zu arbeiten und die Erfahrungen mit Friedensmissionen der jüngeren Vergangenheit114 zu nutzen. Der Menschenrechtsbildung kommt in den meisten hier behandelten Zusammenhängen eine wichtige Bedeutung zu: Sie kann dazu beitragen, Verschiedenheit auszuhalten und Verständnis für den anderen Menschen zu wecken. Wer seine eigenen Rechte kennt, ist auch bereit, die des Gegenübers zu respektieren. Das zwischenmenschlich verletzende Handeln ist zwar deutlich von der rechtlich relevanten Menschenrechtsverletzung zu unterscheiden, doch gibt es Vergleichbarkeiten in der Grundkonstellation, die auch die präventiven Gegenstrategien prägen. Auf der Ebene der Vereinten Nationen sind die Dekade für Menschenrechtsbildung (19952004) und das „Weltaktionsprogramm für Menschenrechtsbildung" (2005-2007) zu nennen, die eine Fülle von nationalen Umsetzungsmaßnahmen in den Bereichen schulischer und beruflicher Bildung angestoßen haben,115 deren Erfolg allerdings noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Auch im Bereich der Konfliktprävention (ethnische Spannungen) und Friedenskonsolidierung hat die Menschenrechtsbildung einen hohen Stellenwert und fügt sich in die Maßnahmen des „Capacity building" (s. o.) ein.

112 Ausführlich zu diesem Thema: Neil J. Kritz (Hrsg.), Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon With Former Regimes, 3 Bde., Washington DC 1995. 113 Siehe UN Doc. A/RES/60/180 und unter www.un.org/peace/peacebuilding/docs.htm weitere Einzelheiten. Ferner Silke Weinlich, Weder Feigenblatt noch Allheilmittel - die neue Kommission für Friedenskonsolidierung der Vereinten Nationen, in: VN 54 (2006), S. 2-11. 114 S. ausführlich Mari Katayanagi, Human Rights Functions of United Nations Peacekeeping Operations, Leiden 2002. 115 Claudia Mahler/Anja Mihr (Hrsg.), Menschenrechtsbildung (Fn. 91); Norman Weiß, Menschenrechtserziehung (Fn. 61), S. 316ff. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat einen seiner Aufgabenschwerpunkte im Bereich Menschenrechtsbildung gesetzt.

Menschenrechtsschutz

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5. Fazit Weder die Wirkkraft der Menschenrechte, ihre revolutionierende Bedeutung für die Völkerrechtsordnung, ihre Beeinflussung nationaler Rechtsordnungen und Politikstile noch ihre Defizite - teilweise bestrittene Universalität, unzureichende Durchsetzbarkeit, Problem der ungleichen Standards, etc. - können geleugnet werden. Erfolg und Mißerfolg liegen gerade bei diesem Thema oftmals eng nebeneinander. Da die gesamte Entwicklung nach 1945 stattgefunden hat und - neben einigen Regionalorganisationen - aufs engste mit den Vereinten Nationen verbunden ist, werden diese Erfolge und Mißerfolge auch zumeist als ihre eigenen begriffen. Allerdings sind die Vereinten Nationen als internationale Organisation zwar ein eigenständiger Akteur der internationalen Beziehungen, aber nach wie vor nur so stark, wie die Mitgliedstaaten es zuzulassen bereit sind. Dies gilt insbesondere auch im sensiblen Bereich der Menschenrechte. Daher darf nicht jede Unzulänglichkeit des Menschenrechtsschutzsystems den Vereinten Nationen angelastet werden: Doppelzuständigkeiten, Mehrfachgarantien und die „gewucherten", unsystematischen Strukturen sind zu einem gewissen Teil organisationsinternen Gesetzmäßigkeiten geschuldet,116 insgesamt freilich von den Staaten geschaffen worden. Wichtiger als institutionelle Mängel jedoch sind einerseits der Beitrag der Vereinten Nationen zur Entwicklung des Menschenrechtsschutzsystems als solchem und andererseits ihre Funktion als ein Hauptträger der „internationalen Öffentlichkeit" 117 , ohne die dieses System nicht funktionieren könnte.

116 Ähnlich Philip Alston, Appraising the United Nations Human Rights Regime, in: Philip Aiston (Hrsg.), The United Nations and Human Rights. A Critical Appraisal, Oxford 1992/1996, S. 1-21, S. 2. 117 Hierzu Markus Kotzur, Theorieelemente (Fn. 38), S. 180ff.

Umweltschutz Jürgen Maier

1. Vorbemerkungen Umweltschutz ist für die Vereinten Nationen seit 1972 ein Thema, als die erste Umweltkonferenz in Stockholm1 stattfand. Als Ergebnis der Konferenz wurde mit Resolution 2997 (XXVII) der UN-Generalversammlung das United Nations Environment Programme (UNEP)2 gegründet, das bis heute als einzige UN-Einrichtung in einem Entwicklungsland residiert: in Nairobi. Dies war auch ein Zugeständnis an das verbreitete Mißtrauen vieler Regierungen in Entwicklungsländern gegenüber dem Umwelt-Thema als einem vermeintlichen „Luxusthema" für die reichen Industrieländer. Seit den bescheidenen Anfängen 1972 hat sich das Umweltthema einen festen und zweifellos weiter wachsenden Platz im Kompetenzspektrum der UNO verschafft. In Stockholm hatte neben dem gastgebenden Olof Palme es außer Indira Gandhi kein weiterer Regierungschef für nötig erachtet, überhaupt teilzunehmen. Gandhi provozierte die versammelten Delegierten dann noch mit einer Rede, in der sie einer Konzentration auf den Umweltschutz auf Kosten von wirtschaftlicher Entwicklung eine klare Absage erteilte: „Poverty is the worst form of pollution" 3 . Seitdem hat sich allerdings viel verändert. Nicht nur sind die Umweltprobleme viel drängender und vor allem viel globaler geworden. Allgemeingut ist heute auch die Erkenntnis, daß es sinnlos ist, Umweltschutz gegen Entwicklung auszuspielen, sondern daß es vielmehr darauf ankommt, beides miteinander in Einklang zu bringen. Als zwanzig Jahre nach Stockholm im Jahr 1992 die nächste UN-Umweltkonferenz anstand, der mittlerweile zu historischen Weihen gelangte Rio-Gipfel, stand dieser bereits unter dem offiziellen Titel „Konferenz für Umwelt und Entwicklung" (United Nations Conference on Environment and Development - UNCED) und wurde von immerhin 117 Staats- und Regierungschefs

Der Beitrag wurde vom Autor im März 2006 abgeschlossen und im August 2006 durch eine Ergänzung aktualisiert. 1 United Nations Conference on the Human Environment Stockholm 1972; Informationen: www.unep.org/Documents. Multilingual/default.asp?documentid=97&l=en.. 2 Vgl. dazu Jürgen Maier, UNEP - Umweltprogramm der Vereinten Nationen, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 550-553. 3 Vgl. etwa U N D P Press Release No. 292, 10 February 2005.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

frequentiert.4 Heute ist es Klaus Töpfer, der Chef von UNEP von 1998 bis 2006 selbst, der erklärt, „The most toxic element in the world is poverty".5 Wichtigste Ergebnisse des Rio-Gipfels sind neben der völkerrechtlich verbindlichen Klimarahmenkonvention6 und der Konvention über die Biologische Vielfalt1 die nicht verbindliche „ Agenda 21 " 8 . In 40 Kapiteln versucht dieses umfassende „Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert" die Aufgaben dazulegen, die die Menschheit für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung bewältigen muß. Nachhaltige Entwicklung sei eine „neue globale Partnerschaft"; definiert wird der Begriff in der Agenda 21 indes nicht. Üblicherweise wird dazu auf die Definition der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der sogenannten Brundtland-Kommission, von 1987 in ihrem Bericht „Our common future" 9 zurückgegriffen: nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfiiisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können". Wer versucht, das Aufgabengebiet Umweltschutz in der Weltorganisation zu beschreiben, findet nicht nur ein stark fragmentiertes Feld von Themen und Institutionen vor, sondern stößt schnell auf Definitionsfragen. Die „Rio+10"-Nachfolgekonferenz, der „Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung" (World Summit on Sustainable Development WSSD) 2002 im südafrikanischen Johannesburg führte den Begriff „Umwelt" bereits nicht mehr im Namen und wurde vom gastgebenden Südafrika ganz klar unter das Leitmotiv „Armutsbekämpfung" gestellt.10 Die Integration der Umwelt- und der Entwicklungsagenda scheint also zumindest formell Fortschritte zu machen. Während in den ursprünglich nur der Umweltagenda verpflichteten Institutionen und Verhandlungsprozessen die Integration der Entwicklung schon erhebliche Fortschritte gemacht hat, kann man dies umgekehrt leider nicht behaupten. In Gremien wie der Welthandelsorganisation WTO, der Weltbank, der UNCTAD, der UNIDO usw. ist in deren Agenda von 4

Nähere Informationen zur Konferenz: a) www.un.org/geninfo/bp/enviro.html; b) Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung: www.worldsummit2002.org/guide/uncedresults.htm; UNBericht mit allen Texten und Beschlüssen: United Nations - General Assembly, Report of the United Nations Conference on Environment and Development, Rio de Janeiro, 3-14 June 1992, UN Doc. A/CONF.151/26(Rev. 1) (Vol. I-III). 5 So etwa bei seiner Eröffnungsrede zur 12.Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES) in Santiago de Chile, 3.11.2002, bei seiner Eröffnungsrede zur 5.Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die Biologische Vielfalt am 15.5.2000 und zahlreichen anderen Gelegenheiten. 6 Nähere Informationen: www.unfccc.de. 7 Nähere Informationen: www.biodiv.org. 8 Agenda 21: programme of action for sustainable development, Rio Declaration on Environment and Development, Statement of Forest Principles, the final text of agreements negotiated by Governments at the United Nations Conference on Environment and Development (UNCED), 3-14 June 1992, Rio de Janeiro, United Nations New York 1993, UN Doc. DPI/1344, www.un.org/esa/sustdev/documents/agenda21/index.htm. 9 World Commission on Environment and Development, Our common future [Brundtland Report],Oxford/New York 1987. 10 Nähere Informationen zur Konferenz: a) UN-Webseite: www.johannesburgsummit.org/ index.html; b) Heinrich-Böll-Stiftung: www.worldsummit2002.org/index.htm.

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der Integration von Umweltaspekten bislang nur wenig angekommen. Auch Vorschläge, die Gipfelkonferenz „International Conference on Financing for Development" 2002 im mexikanischen Monterrey 11 „International Conference on Financing for Sustainable Development" zu nennen, scheiterten nach Angaben von an den Verhandlungen beteiligten Diplomaten am Widerstand zahlreicher Entwicklungsländer sowie außereuropäischer Industrieländer. Das Jahr 2002 zeigte somit mit den zwei weitgehend parallel und ohne wesentliche Verknüpfung verlaufenen Gipfelkonferenzen in Monterrey und Johannesburg sehr illustrativ, wie wenig in der praktischen politischen Realität der internationalen Politik Umwelt und Entwicklung zusammen gedacht und diskutiert werden - vermutlich die direkte Konsequenz aus ähnlichen Zuständen auf der nationalen Ebene. Auch in den Millenniums-Entwicklungszielen, die der Millenniumsgipfel 2000 beschloß und bei ihrer Überprüfung auf der UN-Reformkonferenz 2005 wurde Nachhaltigkeit nicht zusammen mit Entwicklung gedacht, sondern kommt eher als Anhängsel vor. Anders ist es ohnehin kaum zu verstehen, daß es inzwischen zwei getrennte Weltgipfel-Prozesse gibt: die Agenda 21 von Rio 1992 mit ihrem Nachfolgeprozeß ist mit den Millenniums-Entwicklungszielen des Gipfels von 2000 kaum verzahnt. Es kann daher kaum verwundern, warum viele der Mißstände nationaler Umweltpolitik auch auf internationaler Ebene zu finden sind: institutionelle Zersplitterung, fehlende Kompetenzen in zentralen umweltrelevanten Fragen, Ignoranz und Blockadehaltung der Verantwortlichen für Wirtschaft und Finanzen. 2. UN-Umweltprogramm (UNEP) Die institutionelle Heimat des Umweltschutzes in der UNO ist das Umweltprogramm UNEP, das von Februar 1998 bis März 2006 vom ehemaligen deutschen Umweltminister Klaus Töpfer mit viel Energie geleitet wurde. Zu seinem Nachfolger wurde auf Vorschlag von UN-Generalsekretär Kofi Annan 12 von der UN-Generalversammlung erneut ein Deutscher, der bisherige Generaldirektor der World Conservation Union (IUCN), Achim Steiner gewählt.13 UNEP ist keine Sonderorganisation wie die FAO oder die WHO, sondern lediglich ein dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (EOCOSOC) verantwortliches „Programm". Das Mandat von UNEP ist in der Gründungsresolution von 1972 sowie in der „Nairobi-Erklärung" des UNEP-Verwaltungsrats von 199714 beschrieben.

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Nähere Informationen zur Monterrey Konferenz: www.un.org/esa/ffd/ffdconf/. United Nations - General Assembly, Election of the Executive Director o f the United Nations Environment Programme. Note by the Secretary-General, 13 March 2006, U N Doc. A/60/718. 13 United Nations General Assembly Press Release GA/10450, General Assembly Elects Achim Steiner of Germany Executive Director of United Nations Environment Programme, 16 March 2006. 14 Nairobi Declaration, Annex to UNEP Document GC19/1/1997, 7.2.1997. 12

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UNEP hat die Aufgabe, die globale Umweltsituation zu analysieren, darüber zu informieren und sicherzustellen, daß Umweltprobleme von globaler Bedeutung den Regierungen zur Kenntnis gebracht werden, internationale Zusammenarbeit zur Lösung globaler Umweltprobleme voranzutreiben, die Aktivitäten des UN-Systems im Umweltbereich zu koordinieren sowie Umweltministerien insbesondere in Entwicklungsländern zu unterstützen, die Weiterentwicklung des internationalen Umweltrechts voranzubringen, sowie die Entwicklung regionaler Umweltprogramme zu unterstützen. 2.1. Aufgaben und Tätigkeiten von UNEP UNEP ist das Sekretariat für eine Reihe globaler Umweltabkommen, wie etwa der Baseler Konvention über den grenzüberschreitenden Verkehr mit giftigen Abfallen15 (1989), des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES, 1973)16, der Wiener Konvention (1985)17 und dem Montrealer Protokoll über den Schutz der Ozonschicht (1987)18, dem Stockholmer Abkommen über gefahrliche organische Schadstoffe19 (POPs, 2001), oder der Konvention über wandernde Tierarten20 (CMS, 1979). Für das Zustandekommen vieler dieser Abkommen war UNEP die treibende Kraft, einschließlich des Montrealer Protokolls, das bis heute als erfolgreichstes internationales Umweltabkommen gilt. UNEP spielt eine wichtige Rolle bei der Sammlung und Bewertung von Daten über den globalen Umweltzustand. Bahnbrechend war das Global Biodiversity Assessment 1995. Der bisher dreimal erschienene Global Environmental Outlook (GEO) ist eines der besten Standardwerke zu diesem Thema; GEO-4 wird 2007 erwartet. Mit der Global Resource Information Database (GRID, seit 1985)21, dem Global International Waters Assessment (GIWA, seit 2003)22 und dem Global Environmental Monitoring System (GEMS, seit 1978) , trägt UNEP weitere wichtige Umwelt-Datenbanken und Informationsprogramme. Das World Conservation Monitoring Centre24 ist seit 25 Jahren eine wichtige Ressource für den internationalen Naturschutz. Häufig in politisch sensible Gemengelagen gerät UNEP mit den Post-Conflict Environmental Assessments, die es in Regionen wie Kosovo, Palästina oder dem Irak erstellt. UNEP erstellt auch schadstoffbezogene Evaluierungen, die oft der erste Schritt zu internationalen Verhandlungen zur Lösung solchermaßen analysierter Probleme sind. Der vom Verwaltungsrat 2002 be15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

S. S. S. S. S. S. S. S. S. S.

www.basel.int. www.cites.org. http://hq.unep.org/ozone/pdfs/viennaconvention2002.pdf. http://hq.unep.org/ozone/pdfs/Montreal-Protocol2000.pdf. www.pops.int. www.cms.int. www.grida.no. www.giwa.net. www.gemswater.org. www.unep-wcmc.org

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schlossene „Strategie Approach to International Chemicals Management" (Decisión SS.VII/3) legt das internationale Chemikalienmanagement als eine der wesentlichen Aufgaben von UNEP fest. Auf die 1982 beschlossene Seerechtskonvention der Vereinten Nationen25 geht das Global Programme of Action for the Protection of the Marine Environment from Land-Based Activities (GPA) 26 zurück. Das GPABüro von UNEP mit Sitz in Den Haag hat dabei vorwiegend die Aufgabe, Regierungen von Entwicklungsländern bei der Umsetzung des GPA zu beraten und zu unterstützen. Wohl die bekannteste wissenschaftliche Einrichtung der UNO dürfte das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)21 sein, das UNEP gemeinsam mit der Welt-Meteorologie-Organisation WMO 1988 eingerichtet hat und das seitdem in zahlreichen Berichten fundiert und interdisziplinär den Klimawandel untersucht und die wissenschaftlichen Grundlagen für die Klimaverhandlungen erstellt. Angesichts der institutionellen Schwäche von UNEP ist es stark auf Kooperationsprojekte mit anderen Akteuren angewiesen. Hierbei tut sich insbesondere die in Paris ansässige Division of Technology, Industry and Economics (DTIE)n hervor, die immer wieder auch mit der Wirtschaft Kooperationsprojekte initiiert. Bemerkenswert ist die Global Reporting Initiative (GRI)29, ein Kooperationsprojekt, mit dem die Nachhaltigkeitsberichterstattung großer Unternehmen auf gemeinsame Standards gebracht werden soll. An der Pilotphase beteiligen sich bereits 20 Unternehmen. Wichtig ist auch die UNEP Finance Initiative30, mit der UNEP immer wieder führende Unternehmen des Banken- und Versicherungssektors in Roundtables und Veröffentlichungen zusammenbringt und zum Teil bemerkenswerte Vorstöße über die Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens zustandebringt. 2.2. Struktur und Organisation UNEP hat zwar sein Hauptquartier in Nairobi, agiert jedoch im Vergleich zu anderen UN-Einrichtungen deutlich dezentralisierter. So ist beispielsweise das CMS-Sekretariat in Bonn angesiedelt. Andere bedeutende UNEP-Standorte sind Genf und Paris. Etwa ein Dutzend Regional- und Verbindungsbüros vertreten UNEP an anderen Standorten. Die Standortfrage wird bei UNEP - zum Teil hinter vorgehaltener Hand - immer wieder diskutiert. Auch wenn es kaum jemand offen zugeben mag, es ist schwierig, qualifiziertes Personal für den Standort Nairobi zu 25

United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), engl. Text: www.un.org/ Depts/los/convention_agreements/texts/unclos/unclos_e.pdf. Informationen: www.un.org/ Depts/los/index.htm. 26 S. www.gpa.unep.org. 27 S. www.ipcc.ch. 28 S. www.uneptie.org. 29 S. www.globalreporting.org. 30 S. www.unepfi.net.

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gewinnen. Diskussionen, aus Nairobi wegzuziehen, stoßen jedoch sofort auf den Widerstand der Entwicklungsländer, die am einzigen afrikanischen UN-Standort festhalten wollen. Daher sind solche Vorstöße regelmäßig zum Scheitern verurteilt. UNEP arbeitet mit einem äußerst schmalen Finanzhaushalt von etwas über 200 Mill. US-Dollar (Kernbudget 120 Mill. US-Dollar). Immerhin gehört UNEP zu den wenigen UN-Einrichtungen, die sich in den letzten Jahren über leicht steigende Budgets freuen konnten. Nach wie vor ist eine der Kernprobleme des UNEP-Budgets, daß es abgesehen von einem Anteil am regulären UN-Haushalt im wesentlichen auf freiwillige Beiträge angewiesen ist, die je nach politischen Prioritätensetzungen in den Hauptstädten einem ständigen Auf und Ab unterworfen sind. Eine neue Entwicklung sind Partnerschaftsabkommen, die mit 4 Geberländern abgeschlossen wurden (Norwegen, Irland, Belgien und Niederlande) und über mehrere Jahre laufen. Sie sollen die Arbeit von UNEP etwas planbarer machen, aber damit setzt sich UNEP natürlich auch dem Verdacht besonderer Einflußnahme durch diese Länder aus. Gegenwärtig (2004) sind die größten Geldgeberländer Großbritannien und Deutschland (jeweils ca. 7 Mill. US-Dollar), die USA und die Niederlande (jeweils ca. 5 Mill. US-Dollar). Über 95 % des Budgets kommen von lediglich 20 Ländern. Versuche, eine Art regelmäßigen Beitrag entsprechend der Beitragsskala der UN einzuführen, waren bislang nicht von Erfolg gekrönt. Immerhin hat der UNEP-Verwaltungsrat 2002 beschlossen, daß UNEP eine „indikative Skala" erstellen darf, die aufzeigt, wieviel jeder Staat zu bezahlen hätte, wenn dieses Prinzip eingeführt würde. Manche Beobachter führen die erhöhten Beiträge u. a. auf diese Skala zurück - immerhin haben 70 Staaten ihre Beiträge daraufhin erhöht. Die Zahl der Beitragszahler stieg seit 2000 von 74 auf 123. Oberstes Gremium von UNEP ist der Verwaltungsrat (Governing Council), welcher dem Wirtschafts- und Sozialrat gegenüber verantwortlich ist. Seine 58 Mitglieder werden von der Generalversammlung jeweils für 4 Jahre gewählt, wobei die Mitgliedschaft jeweils alle 2 Jahre zur Hälfte neu gewählt wird. Davon kommen 16 aus Afrika, 13 aus Asien, 13 aus der Gruppe „Westeuropa und andere", 10 aus Lateinamerika/Karibik sowie 6 aus Osteuropa. Allerdings nehmen an den Sitzungen inzwischen Vertreter von 120 bis 140 Staaten teil. Als eine Art Hauptausschuß fungiert das Committee of Permanent Representatives (CPR), interessanterweise mit universeller Mitgliedschaft (in Form von Angehörigen der Nairobi-Missionen der UN-Mitgliedstaaten). 2.3. Reform des UNEP Seit Ende der 90er Jahre ist eine lebhafte Reformdiskussion in Gang, die sowohl eine Konsequenz aus dem vor dem Amtsantritt Klaus Töpfers 1998 ziemlich desolaten Zustand von UNEP als auch der allgemeinen UN-Reformbestrebungen von Generalsekretär Kofi Annan sind. Der Verwaltungsrat hatte bereits im April 1997 auf seiner 19. Sitzung eine „Nairobi Declaration" über die Rolle und das Mandat von UNEP ver-

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abschiedet31, mit der das Mandat von UNEP revitalisiert und ausgeweitet wurde. Diese Erklärung wurde bei der Rio+5-Sondergeneralversammlung im Juni 1997 formell angenommen.32 Die von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte „ Task Force on Environment and Human Settlements " unter Vorsitz Töpfers legte im Juni 1998 einen Bericht33 vor, in dem eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Stärkung der UN-Institutionen am Standort Nairobi gemacht wurden. Bemerkenswert war auch die mit großer Offenheit vorgebrachte Kritik, daß Regierungen in den verschiedenen Institutionen auf globaler Ebene so unterschiedliche Positionen einnähmen. Der bisher alle 2 Jahre in Nairobi tagende UNEP-Verwaltungsrat sollte zu einem jährlich tagenden Globalen Umweltministerforum (GMEF) aufgewertet werden, auf dem die gesamte Umwelt-Agenda der UNO diskutiert werden sollte. Dieser harmlos klingende Vorschlag war aus drei Gründen brisant: erstens würde damit die (in der Praxis de facto längst praktizierte) „universelle Mitgliedschaft" für UNEP quasi durch die Hintertür eingeführt und die bisher auf 58 begrenzte Mitgliedschaft aufgeweicht, zweitens, weil zusätzlich zu den alle zwei Jahre stattfindenden Nairobi-Sitzungen in den Jahren dazwischen auch an anderen Standorten getagt werden sollte, und drittens würde das GMEF ein kaum verhülltes Konkurrenzprojekt zur Kommission für Nachhaltige Entwicklung (Commission on Sustainable Development - CSD)34 als Forum der Umweltminister. Dennoch wurde diese Empfehlung von der UN-Generalversammlung mit Resolution 53/242 am 10. August 1999 angenommen - "with due consideration for the need ...to maintain the role of the Commission on Sustainable Development as the main forum for high-level policy debate on sustainable development". Bereits im Mai 2000 tagte das GMEF erstmals, und diese Sitzung im schwedischen Malmö stellte mit der Malmö Ministerial Declaration die Weichen für weitergehende Reformschritte. Die Deklaration forderte die für 2002 geplante Rio+10-Gipfelkonferenz auf: "The 2002 conference should review the requirements for a greatly strengthened institutional structure for international environmental governance based on an assessment of future needs for an institutional architecture that has the capacity to effectively address wide-ranging environmental threats in a globalizing

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Nairobi Declaration on the Role and Mandate of the United Nations Environment Programme, 7 February 1997; UN Doc. UNEP/GC.19/1; www.unep.org/dpdl/Law/PDF/ GC19-1 andNairobi%20Declaration.pdf. 32 Paragraph 123 der Schlußerklärung „Programme for the further implementation of Agenda 21" A/RES/S-19/2, 19.9.1997. 33 United Nations Task Force on Environment and Human Settlements. Report to the Secretary-General, 15 June 1998, New York 1998; der UN-Generalversammlung vorgelegt am 6.10.1998, UN Doc. A/53/463, Annex. 34 Jürgen Maier, CSD - Kommission für Nachhaltige Entwicklung, in: Helmut Volger, Lexikon (Fn. 2), S. 44-46; Informationen im Internet: http://www.un.org/esa/sustaev/ csd/aboutCsd.htm. 35 Text der Deklaration: www.unep.org/malmo/malmo2.doc.

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world. UNEP's role in this regard should be strengthened and its flnancial base broadenedandmade morepredictable." Die 21.Verwaltungsratssitzung im darauffolgenden Jahr installierte als Konsequenz daraus die „ Open-Ended Intergovernmental Group of Ministers or Their Representatives", die eine umfassende politische Überprüfung bestehender institutioneller Schwächen und künftiger Anforderungen für eine gestärkte „International Environmental Governance" (IEG) durchfuhren sollte.36 Der Bericht dieser Arbeitsgruppe37 wurde bereits ein Jahr später, im Februar 2002, beim nächsten GMEF in Cartagena angenommen. Er stellte fest, daß der Reformprozeß auf dem richtigen Weg sei, das GMEF eine stärkere Rolle in der internationalen Zusammenarbeit spielen sollte, ferner betonte er die Notwendigkeit, alle UN-Mitgliedstaaten in die Arbeit des UN-Verwaltungsrats einzubeziehen und die finanzielle Situation von UNEP zu verbessern. Allerdings verließ eine ganze Reihe von Regierungen dann die Courage, dieses für UN-Verhältnisse doch recht eifrige Reformtempo weiter zu gehen. Das im Gefolge des Irak-Krieges und der gescheiterten WTO-Ministerkonferenz von Cancün deutlich verschärfte Klima zwischen wichtigen Akteuren der internationalen Politik machte sich hier unübersehbar bemerkbar. Beim GMEF 2004 auf der koreanischen Insel Cheju blockierten die G77-Staaten im Verbund mit den USA und Japan weitere Fortschritte Richtung universelle Mitgliedschaft, die EU und die Schweiz fanden sich plötzlich allein auf weiter Flur mit dieser Idee wieder. Beschlossen wurde schließlich nur, die unterschiedlichen Meinungen zur Kenntnis zu nehmen und dem Exekutivdirektor mit weiteren Konsultationen und der Erstellung eines weiteren Berichts zu beauftragen.38 Diese zum Teil sehr ambivalente Haltung gerade vieler Entwicklungsländer gegenüber UNEP ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, daß es latente Befürchtungen gibt, die Europäer wollten über den Hebel hoher Umweltstandards protektionistisch ihre Märkte gegen Produkte aus dem Süden abschotten, die diese Standards nicht erfüllen, oder gar Entwicklungsländern komparative Wettbewerbsvorteile zunichte machen, indem sie sie zu Umweltschutzmaßnahmen zwingen, die diese selbst nicht für nötig erachten. Allerdings wird dabei gerne übersehen, daß es zumindest in den demokratisch oder halbdemokratisch verfaßten Entwicklungsländern zum Teil sehr starke Umweltbewegungen gibt, welche die teilweise unhaltbaren Zustände in diesen Ländern verbessern wollen. Bestrebungen wie die von der früheren Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl oder von der französischen Regierung verfolgte Aufwertung von UNEP zu einer vollen Weltumweltorganisation (WEO) 36

UNEP Governing Council Decision 21/21 - International Environmental Governance; 9 February 2001; www.unep.org/dpdl/ieg/Background/background.asp. 37 UNEP Governing Council, International Environmental Governance. Report o f the Executive Director, 27 December 2001; www.unep.org/dpdl/IEG/docs/ED_Report_IEG.doc. 38 Text der Entschließung: www.unep.org/dpdl/lEG/docs/GCSSVIII_l_K0471247.doc.

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stoßen aus den genannten Gründen auf große Skepsis bei den Regierungen vieler Entwicklungsländer. Universelle Mitgliedschaft bei UNEP wird als logische Vorstufe zu einer solchen institutionellen Aufwertung wahrgenommen und daher gebremst - obwohl eine logische Konsequenz auch ein größerer Einfluß der Entwicklungsländer in UNEP wäre. So finden sich viele in einer Position wieder, zwar den Standort Nairobi stärken zu wollen, aber nicht die dort ansässige Institution UNEP - ein unlösbarer Widerspruch. Der vom Verwaltungsrat 2004 eingeleitete Prozeß, die technologische Unterstützung und den Kapazitätsaufbau in den Entwicklungsländern deutlich zu stärken, könnte mittelfristig allerdings geeignet sein, solche zum Teil rein rational nur schwer nachzuvollziehenden Widerstände abbauen zu helfen. Einen Überblick über diese Aktivitäten geben die Unterlagen für die erste Sitzung der ,Jiigh-level Open-ended Intergovernmental Working Group on an Intergovernmental Strategie Plan for Technology Support and Capacity-building" am 25.6.2004.39 Aus denselben Motivationen sind derzeit auch europäische Vorschläge blockiert, ein dem IPCC vergleichbares Wissenschaftlergremium (Intergovernmental Panel on Global Environmental Change, IPEC) einzurichten, die unter dem Stichwort „Strengthening the Scientific Base of UNEP" seit Jahren diskutiert werden. Zumindest auf der juristischen Ebene ist die strategische Planung der notwendigen Aktivitäten in der internationalen Umweltpolitik bisher noch nicht ins Fahrwasser solcher Auseinandersetzungen geraten. Im Rahmen des sog. Montevideo-Prozesses wurden in den „Montevideo Programmen" 1, 2 und 3 bisher jeweils für ein Jahrzehnt die erforderlichen weiteren Maßnahmen bei der Weiterentwicklung des internationalen Umweltrechts ohne größere Kontroversen zwischen Nord und Süd oder zwischen EU und USA festgelegt. 40 Das aktuelle „Montevideo 3"-Programm 41 (Programme for the development and periodic review of environmental law for the first decade of the twenty-first Century) wurde vom UNEP-Verwaltungsrat2001 beschlossen.42 3. Klimarahmenkonvention (UNFCCC) Neben den Umweltabkommen unter der Ägide von UNEP gibt es auch eine Reihe von Konventionen und Abkommen, die von UNEP unabhängig entstanden sind, in erster Linie die Abkommen aus dem Rio-Prozeß: Die Klimarahmenkonvention {UNFramework Convention on Climate Change - UNFCCC)43, die BiodiversitätskonventionM {Convention on Biological

39

Vgl. www.unep.org/dpdl/IEG/Meetings_docs/index.asp. Näheres zu den Montevideo-Programmen: http://hq.unep.org/dpdl/Law/About_prog/montevideo_prog.asp. 41 S. http://hq.unep.org/dpdl/Law/PDF/GC22_2_3_add2_Montevideo%20III.pdf. 42 UN Doc. UNEP/GC.21/23; http://hq.unep.org/dpdl/Law/PDF/Decision%2021_23.pdf. 43 S. http://unfccc.int. 44 S. http://www.biodiv.org/convention/articles.asp. 40

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Diversity - CBD) sowie die Desertifikationskonvention45 (Convention to Combat Desertification - CCD). Die Klimarahmenkonvention hat in der öffentlichen Wahrnehmung sicherlich mit Abstand den größten Stellenwert - bis hin zu den verbreiteten Pressedarstellungen, in denen Rio die „historische Klimakonferenz" war und überhaupt der gesamte UN-Umweltschutz auf Klimaschutz reduziert wird. Angesichts der enormen Bedeutung des Problems mag dies nicht weiter verwundern. Gleichzeitig ist diese Konvention aber auch diejenige, deren Umsetzung wie keine andere darüber entscheiden wird, ob die Vereinten Nationen als Institution in der Lage sind, Umweltprobleme mit einschneidenden wirtschaftlichen Konsequenzen überhaupt multilateral zu lösen. In Kraft trat die Klimarahmenkonvention46 am 21. März 1994, nachdem sie beim Rio-Gipfel 1992 unterzeichnet worden war. Sitz des Sekretariats ist Bonn. Heute gehören mit 188 Staaten nahezu alle UN-Mitgliedstaaten zu den Vertragsparteien. Die Rahmenkonvention regelt im Detail noch keine Klimaschutzverpflichtungen der einzelnen Staaten, dennoch enthält sie einige Verpflichtungen, die zwar völkerrechtlich verbindlich sind, aber mangels genauem Adressaten nicht durchsetzbar sind. So verpflichtet sich die Staatengemeinschaft z. B. in Art. 2, die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das einen gefahrlichen anthropogenen Einfluß auf das Klimasystem ausschließt. Angesichts der weiter steigenden Treibhausgas-Emissionen nicht nur der Welt insgesamt, sondern auch der Gesamtheit der Industrieländer stellt sich natürlich die Frage, wer eigentlich wen sanktionieren soll, wenn sich fast alle Staaten nicht an ihre Verpflichtungen halten. Daher war bereits beim Inkrafttreten der Konvention klar, daß die konkreten Verpflichtungen jedes Staates in einem Zusatzprotokoll zur Konvention geregelt werden müssen. Dieses wurde nach jahrelangen Verhandlungen schließlich im Dezember 1997 im japanischen Kyoto ausgehandelt: dem sog. Kyoto-Protokoll (KP).41 Das Protokoll, das nach erbittertem Ringen und nächtelangen Nonstop-Verhandlungen schließlich beschlossen wurde, sieht unterschiedliche nationale Reduktionsziele für die Industrieländer für eine Verpflichtungsperiode von 2008-2012 vor. Im Durchschnitt sollen 5,2 % weniger Treibhausgase gegenüber 1990 ausgestoßen werden. Letztlich handelt es sich um einen Kompromiß zwischen der EU, die ursprünglich mit einem Reduktionsziel von 15 % angetreten war, und den USA und Japan, die möglichst nicht mehr als 2 % reduzieren wollten. Der Kompromiß enthält derart viele Schlupflöcher, die hier nicht im Detail behandelt werden können, daß ihre volle Anwendung ohne weiteres dazu fuhren könnte, daß die Buchstaben des Proto45

S. http://www.unccd.int/convention/menu.php. Deutsche Fassung der Rahmenkonvention: http://unfccc.int/resource/docs/convkp/convger.pdf. 47 Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climatic Change; http://unfccc.int/resource/docs/convkp/kpeng.pdf; deutsche Fassung: BGBl. 2002 II, S. 967. 46

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kolls für viele Länder bereits dann erfüllt sind, wenn sie real nur ihre Emissionen gegenüber 1990 stabilisieren. Dies lag letztlich in der Natur des Kompromisses: während die Europäer eine möglichst große Prozentzahl für Reduktionen sehen wollten, wollten Amerikaner und Japaner möglichst wenig tun - beide bekamen mit diesem Kompromiß ihren Willen. Ein Element des Kompromisses ist der sogenannte Emissionshandel. Staaten, die höhere Reduktionen als vertraglich erforderlich erbringen, sollten diese überschüssigen „Emissionsrechte" an andere verkaufen können, die zuwenig reduziert haben. Dahinter steht die Annahme, daß dadurch Emissionen dort erbracht werden, wo sie am kostengünstigsten sind - und der Atmosphäre ist es schließlich gleichgültig, wo die Reduktionen erbracht werden. So richtig dies in der Theorie ist, so fragwürdig ist es im Kyoto-Kontext: so hat z. B. Rußland sich rundheraus geweigert, irgendwelche Reduktionsverpflichtungen zu übernehmen und sich lediglich auf eine Stabilisierungsverpflichtung eingelassen. Angesichts der Tatsache, daß Rußland durch den Zusammenbruch des Sowjetsystems seit 1990 etwa ein Drittel seiner Emissionen ohnehin reduziert hat, kann es theoretisch riesiger Mengen ungenutzter Emissionsrechte (sog. „heiße Luft") verkaufen - so wird die im Prinzip vernünftige Idee des Emissionshandels ad absurdum gefuhrt. Die amerikanische Energy Information Administration schätzte kurz nach Kyoto, daß mit heißer Luft bereits etwa 40 % der Reduktionsverpflichtungen aller Industrieländer erbracht werden können. Ähnlich umstritten sind die sogenannten „Senken": Die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre durch forstwirtschaftliche Maßnahmen wird mit den Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe gegengerechnet. Was auf den ersten Blick so einfach und plausibel klingt, erweist sich bei näherem Hinsehen schnell als Augenwischerei: in fossilen Brennstoffen lagert Kohlenstoff ohne menschliches Zutun für Jahrmillionen im Erdboden, während er in einem Baum schon nach kurzer Zeit wieder in der Atmosphäre landen dürfte, insbesondere wenn dieser Baum in einer Holzplantage steht. Auch der sog. „Clean Development Mechanism (CDM)" des KyotoProtokolls hat sich bisher nicht gerade als effizientes Klimaschutzinstrument erwiesen. Mit dem CDM sollten auch die Entwicklungsländer materielle Vorteile aus dem Protokoll erzielen können. Industrieländer sollten einen Teil ihrer Reduktionsverpflichtungen dadurch erzielen können, daß man in Projekten in Entwicklungsländern investiert. Dadurch sollte es für die Industrieländer kostengünstiger werden, Klimaschutz umzusetzen, für die Entwicklungsländer sollte Technologietransfer begünstigt werden und der Atmosphäre wiederum ist es ja gleichgültig, wo Emissionen eingespart werden. Auch hier klingt die Theorie schöner als die Praxis: spätestens als beschlossen wurde, auch sog. Senkenprojekte (Holzplantagen, z. B. auf kürzlich gerodetem Urwaldboden) als CDMProjekte zuzulassen, war nicht nur der klimapolitische Nutzen des CDM sehr fragwürdig geworden, sondern auch der Technologietransfer im Grunde hinfällig (weil er die teuerste Option ist). Der größte Teil der bis-

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her vorgeschlagenen CDM-Projekte erfüllt zudem nicht das Kriterium, „zusätzliche" Maßnahmen aufgrund von Klimaschutzverpflichtungen zu sein. Vielmehr handelt es sich um ohnehin geplante Projekte, für die man als Mitnahmeeffekt nun auch noch Klimaschutzgutschriften haben will. Sie wurden mit dieser Begründung vom CDM Executive Board abgelehnt. Inzwischen steht allerdings die Zukunft des ganzen Kyoto-Protokolls auf der Kippe. Teil des Deals von Kyoto war eine sehr hohe Schwelle für das Inkrafttreten - Ausdruck der Tatsache, daß alle Industrieländer letztlich Angst davor hatten, Wettbewerbsnachteile durch hohe Kosten durch Klimaschutz zu erleiden, wenn andere Industrieländer nicht mitmachen. Angesichts des EU-Verhandlungsmandats für Kyoto, wonach eine Reduktion von 15 % für Europa auch unabhängig von den Verhandlungen volkswirtschaftlich profitabel sei, ist diese Angst zumindest für die EU fragwürdig. Zudem spricht angesichts des enormen Problemdrucks durch den Klimawandel nichts dagegen, Klimaschutz-Verweigererstaaten bei den WTO-Verhandlungen solche potentiellen Wettbewerbs-Vorteile durch die übrige internationale Staatengemeinschaft gezielt wieder zu entziehen. Für das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls wurde vereinbart, daß nicht nur 55 Staaten ratifizieren müssen - diese Zahl war bald erreicht - sondern daß diese Staaten gleichzeitig für mindestens 55 % der Treibhausgasemissionen der Industrieländer von 1990 verantwortlich sein müssen. Damit wurde den USA und Rußland die Möglichkeit gegeben, gemeinsam das Inkrafttreten des Protokolls zu blockieren. Die USA haben zwar unter der Clinton-Administration noch einigermaßen konstruktiv mit verhandelt und das Protokoll auch unterzeichnet, aber Aussichten für eine Ratifizierung bestanden angesichts der enormen Hürde einer Zweidrittelmehrheit im Senat und der konsequenten Ablehnung realer Klimaschutzmaßnahmen durch die Republikaner nicht ernsthaft. 2001 erklärte der neue Präsident Bush kurz nach seiner Amtsübernahme, eine Ratifizierung komme nicht in Frage. Die russische Ratifizierung ließ bis Ende Oktober 2004 auf sich warten, so daß das Protokoll erst am 16. Februar 2005 in Kraft treten konnte. Alle anderen Industrieländer, abgesehen von Australien, haben das Protokoll ratifiziert. Aber angesichts der langanhaltenden Unsicherheit, ob das Protokoll jemals in Kraft treten würde, sind fast überall die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen hinter den Anforderungen zurückgeblieben. Man darf sich dabei nichts vormachen: Klimaschutzmaßnahmen sind innenpolitisch fast immer in hohem Maße umstritten. So hoch die Umfragewerte in den meisten Ländern sind, wenn es um die abstrakte Unterstützung von Klimaschutz geht, so groß ist der Widerstand in den meisten Fällen, wenn es konkret wird. Überall beschwören diejenigen Branchen, die in der einen oder anderen Weise vom Verbrauch fossiler Brennstoffe leben, den Untergang des Industriestandorts, wenn Energiesteuern eingeführt oder erhöht werden, wenn Subventionen für Kohle, Automobil- oder Flugverkehr usw. gestrichen werden oder erneuerbare Energien wirksam unterstützt werden. Die EU hat mittlerweile - gegen enorme Widerstände, auch aus Deutschland - das EU-Emissionshandelssystem eingeführt und

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setzt das Kyoto-Protokoll einigermaßen termingerecht um. Ob sie ihre Reduktionsziele erreichen wird, ist bei den gegenwärtigen Trends aber durchaus fraglich. Inzwischen haben mit der Klimakonferenz im Dezember 2005 im kanadischen Montréal die Verhandlungen über die zweite Verpflichtungsperiode des Protokolls (ab 2013) begonnen. Dies war angesichts des hartnäckigen Widerstandes der USA nur möglich, weil diese Konferenz gleichzeitig die 12. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention als auch die 1. Vertragsstaatenkonferenz des Kyoto-Protokolls war. 48 Der feine Unterschied ist, daß die USA als Nicht-Vertragsstaat des Kyoto-Protokolls bei der letztgenannten Konferenz nur Beobachterstatus hatten, also auch nichts blockieren konnten. Dennoch gibt es in der EU, Japan und Kanada erhebliche Vorbehalte dagegen, weitere Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn weder die USA noch die Schwellenländer ebenfalls mitmachen. Den Klimaverhandlungen stehen die größten Schwierigkeiten wohl erst noch bevor: wie werden die Schwellenländer in ein solches Regime nach 2012 mit einbezogen, ohne ihre berechtigten Entwicklungschancen zu gefährden, wie können die USA unter einer neuen Regierung wieder am internationalen Klimaschutz teilnehmen und wie geht man mit Staaten um, die aus welchen Gründen auch immer ihre Verpflichtungen nicht einhalten? Andererseits wird die Reduzierung des Öl-, Kohle- und Erdgasverbrauchs angesichts der rasch steigenden Preise auch ökonomisch immer wichtiger. Ein globales Kohlenstoff-Regime mit globalen Obergrenzen für den Treibhausgas-Ausstoß der Menschheit ist angesichts der Tatsache, daß die Erdatmosphäre bereits jetzt an ihrer Belastungsgrenze angelangt ist und die Konsequenzen des beginnenden Klimawandels unabsehbar sind, für alle diejenigen, die über die nächste Wahlperiode oder Quartalsbilanz hinausdenken, unausweichlich. Die Menschheit steht vor der enormen Herausforderung, eine auf dem ständig steigenden Verbrauch fossiler Brennstoffe basierende Wirtschaftsweise deutlich früher radikal zu ändern, als es angesichts der Endlichkeit dieser Brennstoffe ohnehin sein müßte. Die Vereinten Nationen sind der logische Ort für diese Verhandlungen. Es ist jedoch sehr viel schwieriger als zunächst angenommen, den dafür notwendigen Strukturwandel in vielen Industrieländern voranzutreiben. Ein Blick auf die handelnden Akteure in den Klimaverhandlungen illustriert dies anschaulich - ein Thema, das bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Forschungen ist. Sehr rasch wurde deutlich, daß bei den Klimaverhandlungen nicht einfach nur 180 Regierungen miteinander verhandelten, und auch nicht nur die üblichen Staatengruppierungen wie G77, EU usw. Die Klimaverhandlungen waren und sind vielmehr ein Abbild der in einer globalisierten Weltwirtschaft unvermeidlichen Auseinandersetzungen um einen solchen Strukturwandel, fast eine Art globale Zivilgesellschaft: die OPEC-Länder agieren im engen Verbund mit den

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In der UN-Terminologie: COP-12 UNFCCC, COP-MOP 1 Kyoto Protocol, wobei COPMOP für Conference o f the Parties serving as Meeting of the Parties of the Kyoto Protocol steht.

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USA und amerikanischer Konzerne aus den Branchen Energie und Automobil. Die OPEC-Länder stellten seit Beginn der Klimaverhandlungen fast immer den Vorsitz der G77. Die Versuche der G77, gemeinsame Positionen zu vertreten, erwiesen sich dadurch immer wieder als nahezu unmöglich. Das Gegengewicht, die Gruppe der kleinen Inselstaaten (AOSIS), ist zwar zahlenmäßig stark, aber machtpolitisch schwach. Ausschlaggebend für die Machtbalance in der G77 sind daher große Entwicklungsländer wie Indien oder China, die immer wieder die Seiten wechselten. Immer dann, wenn es der EU gelang, mit diesen ausschlaggebenden Entwicklungsländern tragfahige Bündnisse einzugehen, gerieten OPEC und die USA in den Klimaverhandlungen in die Defensive. Die wichtigste Rolle der Umwelt-NGOs und der vom Klimaschutz profitierenden Wirtschaftsbranchen wiederum bestand immer wieder darin, durch öffentlichen Druck und Lobbyarbeit dafür zu sorgen, daß die EU trotz erheblicher interner Widerstände bei einem halbwegs auf Klimaschutz orientierten Kurs blieb. 4. Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) Der dramatische Rückgang der Biodiversität, das Schwinden intakter Ökosysteme, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, von wilden wie auch von Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen, hat sich in den letzten 150 Jahren stetig beschleunigt. So ist die Aussterberate um das 100 bis 1000-fache angestiegen. Wenn diese Entwicklung anhält, sind bis zum Jahre 2020 ein Fünftel der Arten ausgerottet und viele Ökosysteme für immer zerstört. Der Mensch ist für diese Entwicklung verantwortlich, gleichzeitig aber in hohem Maße abhängig von biologischen Ressourcen. Neben dem Erholungs- und Landschaftswert, und der Produktion von sauberer Luft und Trinkwasser bilden biologische Ressourcen das Ausgangsmaterial für ca. 40 % der global gehandelten Produkte wie etwa Nahrungs- und Arzneimittel. Es kann daher kaum verwundern, daß es bei der 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten (und am 29.12.1993 in Kraft getretenen) Konvention über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD)49 nicht nur um den Schutz, sondern auch um die Nutzung der Biodiversität geht. Ökologische, ökonomische und soziale Fragen werden gleichermaßen thematisiert. Unter Biodiversität ist die biologische Vielfalt der Natur zu verstehen, womit sowohl die genetische Vielfalt, als auch die Vielfalt der Arten und Ökosysteme und ihre Beziehung zueinander und ihr Zusammenspiel gemeint sind. Auch vom Menschen gezüchtete Arten bzw. Rassen werden von der Konvention abgedeckt, einschließlich Gentechnik, Genbanken sowie die Nahrungs- und Arzneimittelerzeugung. Hauptziele der Konvention sind: der Schutz der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile sowie die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung ergebenden wirtschaftlichen 49

U N T S Bd. 1750, S. 142, engl. Text: www.biodiv.org/doc/legal/cbd-en.pdf. Sekretariatssitz ist Montreal, Informationen: www.biodiv.org.

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Vorteile. Durch die explizite Berücksichtigung sozialer Aspekte sollen auch ethische (wie der Eigenwert biologischer Vielfalt) oder ästhetische Werte sowie geschlechterspezifische Gesichtspunkte integriert werden. Die Konvention geht damit weit über traditionelle Ansätze im Naturschutz hinaus. Wichtigste völkerrechtliche Auswirkung der CBD ist die Verankerung der souveränen nationalen Verfügungsrechte der Nationalstaaten, in denen die Biodiversität vorkommt, und damit eine Abkehr von dem bis dahin üblichen Ansatz des „gemeinsamen Erbes der Menschheit", das allgemein und kostenlos zugänglich war. Für die Entwicklungsländer war dies die Voraussetzung dafür, der Konvention zuzustimmen - und für die USA der Grund, sie bis heute als praktisch einziger Staat (gegenüber 188 Vertragsstaaten) nicht zu ratifizieren (aber als formeller „Beobachter" um so kräftiger bei den Verhandlungen mitzumischen). Die CBD gibt nun einen Rahmen vor, innerhalb dessen jeder Staat Regeln des Zugangs zu genetischen Ressourcen erlassen kann, um eine nachhaltige Nutzung sicherzustellen und die Nutzer zu verpflichten, einen Teil der Gewinne wieder an den Ursprungsstaat zurückzugeben. Allerdings kollidiert dieser Kerngedanke der CBD mit dem WTORecht: 50 Verstößt ein Unternehmen aus einem Industrieland gegen die CBD und läßt sich Produkte oder Verfahren patentieren, die auf der einseitigen Aneignung biologischer Ressourcen von Entwicklungsländern beruhen, ist dies nach dem TRIPS-Abkommen 51 der WTO für das Patent völlig unerheblich. Solche Fälle von „Biopiraterie" kommen immer wieder vor. Hier liegt eines der zentralen völkerrechtlichen Konfliktfelder zwischen UN-Recht und WTO-Recht. Im Gegensatz zur WTO hat die CBD, wie andere UN-Umweltabkommen auch, keinen Sanktionsmechanismus, mit dem Umsetzung und Einhaltung des Vertrages gegenüber den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden kann. Artikel 6a verlangt von den Vertragsstaaten, „nationale Strategien, Pläne oder Programme zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt" zu entwickeln oder existierende Strategien, Pläne oder Programme zu diesem Zweck zu überarbeiten. Solche „nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne" (National Biodiversity Strategies and Action Plans, NBSAPs) sind in über 150 Ländern entweder in Vorbereitung oder fertiggestellt - meist mit Unterstützung der GEF. Abgesehen davon enthält die Konvention selbst noch nicht viele konkrete Verpflichtungen - sie ist vielmehr faktisch eine Rahmenkonvention. Die genaue Umsetzung ihrer Ziele muß erst noch in Zusatz-Protokollen ausgehandelt werden. Das erste dieser Protokolle ist das 2000 beschlossene und am 11.9.2003 in Kraft getretene Cartagena-Protokoll zur Biologischen Si-

50 Vgl. Jörn Axel Kämmerer, Welthandelsrecht, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon (Fn. 2), S. 635-640; vgl. auch: Peter Tobias Stoll, WTO/GATT, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon (Fn. 2), S. 668-675. 51 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums; Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (Agreement on Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights - TRIPs Agreement).

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cherheit (Cartagena Protocol on Biosafety)52, das den grenzüberschreitenden Umgang mit genetisch veränderten Organismen (GVOs) regelt. In der EU existieren solche Regeln zur biologischen Sicherheit bereits seit 1990, während die Entwicklungsländer durch die Abwesenheit solcher Regeln ein zunehmend attraktives Terrain für Freisetzungsversuche wurden. Spätestens seit Mitte der 1990er Jahre wurde in den Entwicklungsländern klar, daß zur Schaffung ausreichender nationaler Schutzsysteme die Rückendeckung durch weltweit anerkannte Mindeststandards benötigt wird. Dieses enorm politisierte Themenfeld wäre um ein Haar am Widerstand der USA und einer Handvoll mit ihnen verbündeter Staaten (Argentinien, Australien, Chile, Kanada, Uruguay), der sog. MiamiGruppe, gescheitert, die ihre Agrarexport-Interessen gefährdet sahen (aber durch diesen Widerstand im Gegenteil wohl eher aller Welt verdeutlicht haben, daß viele ihrer Produkte genmanipuliert sind). Das Cartagena-Protokoll setzt international verbindliche Sicherheitsstandards für den grenzüberschreitenden Verkehr von GVOs. Sowohl der Vorsorgegrundsatz nach Agenda 21 als auch das Vorsorgeprinzip europäischer Prägung sind als Leitlinien im politischen Entscheidungsprozeß über den Import von GVOs festgeschrieben. Das Protokoll enthält auch das Konzept des „Advance Informed Agreement": Der Import eines GVO unterliegt einem Genehmigungsverfahren, das verbindlich eine Information des Importlandes durch den Exporteur und eine anschließende Risikoanalyse vorsieht. Die Streitfrage, ob im Konfliktfall das Cartagena-Protokoll oder WTO-Recht gilt, blieb offen: Das Protokoll stellt fest, daß beide Rechtssysteme gleichermaßen Gültigkeit haben. Handels- und Umweltabkommen mit ihren konkurrierenden Zielen von Freihandel und Schutz der Umwelt sollen sich nach Willen der Vertragsparteien wechselseitig unterstützen - in der Praxis ist das aber oft genug nicht viel mehr als ein frommer Wunsch. Der Verhandlungsprozeß für ein zweites CBD-Protokoll wurde beim Weltgipfel in Johannesburg 2002 eingeleitet. Das Themenfeld des Zugangs zu genetischen Ressourcen und gerechter Vorteilsausgleich (Access and Benefit Sharing - ABS) ist politisch mindestens genauso brisant wie das Cartagena-Protokoll. Kerngedanke der CBD ist, daß auf der Basis der Souveränität über seine genetischen Ressourcen jeder Staat das Recht hat, den Zugang hierzu zu regeln, wobei sich die Staaten bemühen sollen, anderen Vertragsparteien den Zugang zu genetischen Ressourcen für eine nachhaltige Nutzung zu erleichtern. Ein Zugang zu der Ressource darf nur nach der Genehmigung durch den „Geberstaat" erfolgen. Art. 15 Ziff. 7 CBD sieht vor, daß „die Ergebnisse der Forschung und Entwicklung und die Vorteile, die sich aus der kommerziellen und sonstigen Nutzung der genetischen Ressourcen ergeben, mit der Vertragspartei, die diese Ressourcen zur Verfligung gestellt hat, ausgewogen und gerecht (geteilt werden•)". Doch wie das konkret aussehen soll, bleibt bislang offen.

52

Text des Protokolls: www.biodiv.org/biosafety/protocol.asp.

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Im Oktober 2001 fand in Bonn eine Arbeitstagung der CBD statt, die nach jahrelanger Debatte einen Vorschlag für internationale, jedoch unverbindliche Richtlinien zum Themengebiet „Access and Benefit Sharing" erarbeitete, die sogenannten „Bonn Guidelines"P Sie enthalten auch (wenn auch nicht sehr weitgehende) Empfehlungen für die Nutzerstaaten, womit auch dort ein CBD-gerechter Umgang mit den Ressourcen sichergestellt werden soll. Bei der ö.Vertragsstaatenkonferenz 2002 wurden die Richtlinien dann fertiggestellt und verabschiedet. Die Entwicklungsländer drängten darauf, die „Bonn Guidelines" rechtsverbindlich zu machen, denn Sinn und Zweck der CBD ist es natürlich, genau diese Fragen völkerrechtlich zu regeln. Wenn alles freiwillig bleiben soll, braucht man letztlich auch keine CBD. Es bedurfte erst des Johannesburger Weltgipfels, um die widerstrebenden Industrieländer dazu zu bringen, §44(o) dem Johannesburg Plan of Implementation 54 zuzustimmen: "Negotiate within the framework of the Convention on Biological Diversity, bearing in mind the Bonn Guidelines, an international regime to promote and safeguard the fair and equitable sharing of benefits arising out of the utilization of genetic resources". Während die 7. Vertragsstaatenkonferenz des CBD in Kuala Lumpur im Februar 2004 zumindest die Verhandlungsgegenstände näher eingrenzen konnte (Beschluß UNEP/CBD/COP/7/L.28), ist bei den bisher zwei Sitzungen der daraufhin eingerichteten „Ad Hoc Open-Ended Working Group on ABS" nicht viel passiert. 5. Desertiflkationskonvention (CCD) Die Desertiflkationskonvention (Convention to Combat Desertification CCD) geht zurück auf das 1973 gegründete United Nations Sudan-Sahelian Office (UNSO), das zunächst die am stärksten von den Sahel-Dürren 1968-1974 betroffenen Länder unterstützen sollte. UNSO weitete seine Aktivitäten in den Folgejahren auf 22 Länder südlich der Sahara und nördlich des Äquators aus und in den 90iger Jahren zunehmend auch auf Lateinamerika und Asien und wurde in das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme - UNDP) eingegliedert. 2002 wurde UNSO in das UNDP Drylands Development Center (UNDP-DDC) in Nairobi eingegliedert. 1977 fand die UNCOD United Nations Conference on Desertification - statt, die Desertifikation (Wüstenbildung) als weltweites wirtschaftliches, soziales und ökologisches Problem anerkannte. Der UNCOD-Aktionsplan zur Desertifikationsbekämpfung blieb in seiner Umsetzung weit hinter den Erwartungen zurück - aufgrund mangelnder Koordination, mangelnder politischer Priorität, mangelnder finanzieller Unterstützung sowie mangelnder Berücksichtung der sozioökonomischen Dimensionen von Desertifikation. Im Vorfeld der Rio-Konferenz 1992 drängten afrikanische Länder auf eine angemessene Berücksichtigung des für sie gravierendsten Umwelt53 54

S. www.biodiv.org/decisions/default.aspx?m=cop-06&d=24. S. www.un.org/esa/sustdev/documents/WSSD_POI_PD/English/POIToc.htm.

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Problems Desertifikation, schafften es aber nicht, dafür eine ähnlich hohe Aufmerksamkeit herzustellen wie für die in den nördlichen Industrieländern „populäreren" Fragen wie Klima oder Tropenwaldzerstörung. Dennoch empfahl UNCED, eine Desertifikationskonvention zu erarbeiten, und noch im selben Jahr (1992) richtete die UN-Generalversammlung einen zwischenstaatlichen Verhandlungsausschuß zur Erarbeitung der Konvention ein. 1994 wurde der Konventionstext 55 verabschiedet; in Kraft trat die United Nations Convention to Combat Desertification (CCD)56 am 26.12.1996. Sitz des Sekretariats ist Bonn. Die CCD verpflichtet die Vertragsstaaten, „in von Dürre und/oder Wüstenbildung schwer betroffenen Ländern, insbesondere in Afrika, durch wirksame Maßnahmen auf allen Ebenen, die durch internationale Vereinbarungen über Zusammenarbeit und Partnerschaft unterstützt werden, im Rahmen einer mit der Agenda 21 im Einklang stehenden integrierten Vorgehensweise die Wüstenbildung zu bekämpfen und die Dürrefolgen zu mildern, um zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung in betroffenen Gebieten beizutragen". Damit soll Landdegradierung aufgehalten und wieder rückgängig gemacht werden, die Nutzung des Landes und der Wasserressourcen nachhaltig gestaltet werden und zu diesem Zweck nationale Aktionspläne unter Beteiligung der betroffenen Bevölkerung erarbeitet werden. Eine derart weitgehende Beteiligung der örtlichen Bevölkerungen wie in der CCD hat es zuvor in keinem internationalen Abkommen gegeben. Zur Umsetzung sollen die betroffenen Entwicklungsländer von den Industrieländern unterstützt werden. Für die betroffenen Regionen hat die CCD 5 regionale Annexe beschlossen: Afrika, Asien, Lateinamerika, nördliche Mittelmeerregion sowie als letzten Zentral- und Osteuropa. Viele der politischen Kontroversen im Verhandlungs- und Umsetzungsprozeß der Konvention stehen im Zusammenhang mit der Finanzierung ihrer Umsetzung: auf der institutionellen Ebene die Frage der Finanzierungsinstrumente und -Institutionen und auf der „materiellen Ebene" die Höhe der zugesagten Gelder. Zwar konnten die Entwicklungsländer eine auch für die entwickelten Länder geltende Verpflichtung zur Aufbringung zusätzlicher Finanzierungsmittel in der Konvention verankern, die auch eine Mobilisierung von Mitteln aus dem privaten sowie nichtsstaatlichen Bereich einschließt, dennoch ist die Finanzierungsfrage nach wie vor einer der Hauptkritikpunkte der betroffenen Länder. Die Konvention schafft keine spezifischen internationalen Finanzierungsinstrumente bzw. -institutionen. Im Kern wird impliziert, daß eine höhere Effizienz beim Einsatz finanzieller Mittel aus der internationalen und vor allem bilateralen Entwicklungszusammenarbeit und besserer Budgetabstimmung zwischen den Ressorts in den betroffenen Ländern, nicht zuletzt jedoch eine politische Prioritätensetzung für die Desertifikationsbekämpfiing bereits hinreichende Beträge für wirksame Maßnahmen ermöglichten.

55 56

UN Doc. A/AC.241/27 vom 12.9.1994. S. www.unccd.int.

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Statt einer Finanzinstitution hat die Konvention nach langen Diskussionen einen sog. „Globalen Mechanismus" (GM) eingerichtet, der Informationen über Finanzierungsmöglichkeiten, -bedarfe, aber auch zu Technologien und deren Transfermöglichkeiten kontinuierlich bereitstellen soll. Die Entwicklungsländer standen diesem Konzept und seinem Instrumentarium lange sehr skeptisch gegenüber, während die der Geberländer unter keinen Umständen bereit waren, der Einrichtung einer Finanzinstitution für die Konvention auf der Ebene der Vereinten Nationen zuzustimmen. Erst nach jahrelangen kontroversen Diskussionen konnte bei der 6. Vertragsstaatenkonferenz der CCD 2003 in Havanna beschlossen werden, daß die Global Environment Facility GEF57 als Finanzmechanismus der RioKonventionen auch für die CCD fungieren soll. 6. Internationale Wälderpolitik Der größte Fehlschlag im internationalen Umweltschutz ist mit Sicherheit das Kapitel Schutz der Wälder. Schon in Rio 1992 scheiterte der u. a. von der deutschen Bundesregierung mit Nachdruck betriebene Versuch, eine internationale Konvention zum Schutz der Wälder zu beschließen. Es blieb bei einer unverbindlichen und kurzen „Wälder-Erklärung", den sog. „Forest Principles". 58 Im Gegensatz zu Umweltgütern wie der Atmosphäre oder der Biologischen Vielfalt sind Wälder auf dem Planeten sehr ungleich verteilt und werden daher von den Staaten, in denen sie stehen, als nationales Eigentum betrachtet, in dessen Nutzung oder ggf. auch Zerstörung die Staatengemeinschaft nicht hineinzureden hat. Dementsprechend geben in diesem Themenfeld andere Akteure den Ton an. Umweltministerien oder UNEP spielen hier meist nur eine Nebenrolle und werden von den Forstministern und der im UN-System für Forstwirtschaft federführenden Food and Agriculture Organisation (FAO) meist als lästige Störenfriede wahrgenommen. Hinzu kommt, daß die größten Wälderressourcen ausgerechnet größtenteils in Staaten vorkommen, die erhebliche Probleme im Bereich „Governance" haben: Indonesien, Kongo, Kamerun, Brasilien, Burma, Rußland. Was vor Ort konkret vor sich geht, wird in solchen Ländern oft genug nicht durch Gesetze aus der Hauptstadt oder gar internationale Vereinbarungen bestimmt, sondern von der Höhe der gezahlten Schmiergelder oder der Anzahl der zur Verfügung stehenden Waffen. Die wenigen und meist schlecht ausgerüsteten Mitarbeiter von Behörden, die Wald- oder Naturschutzgesetze durchsetzen sollen, riskieren in solchen Gebieten oft genug ihr Leben, wenn sie ihren Job ernst nehmen. Man geht heute davon aus, daß etwa in Indonesien 70 % des gefällten Holzes illegal, also unter Ver57

Vgl. Jürgen Maier, Umweltschutz, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon (Fn. 2), S. 517521, S. 520. 58 United Nations - General Assembly, Report of the United Nations Conference on Environment and Development, Rio de Janeiro, 3-14 June 1982, Annex III: Non-Legally Binding Authoritative Statement of Principles For a Global Consensus On the Management, Conservation and Sustainable Development Of All Types Of Forests, U N Doc. A/CONF.151/26 (Vol. III).

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stoß gegen indonesisches Recht, verkauft wird. In Brasilien dürften es etwa 60 % sein; etwa die Hälfte des EU-Tropenholzimports stammt aus illegalen Fällungen. Die Weltbank schätzt, daß den Holzexportländern durch die illegalen Machenschaften jährlich 10-15 Mrd. Euro an Steuereinnahmen entgehen. Die indonesische Regierung hat an andere Staaten und speziell die EU appelliert, kein illegal geschlagenes Holz oder dessen Produkte aus Indonesien zu importieren. Es helfe wenig, ein Land anzuhalten, illegalen Holzeinschlag zu bekämpfen und zugleich illegal produzierte Hölzer zu kaufen, sagte Indonesiens Waldminister Muhammad Prakosa in seltener Offenheit im Januar 2003. Die Bemühungen der Regierung in Jakarta, den Raubbau im bedrohten Regenwald des Landes zu stoppen, würden immer wieder von Schmugglern und korrupten Beamten auf lokaler Ebene unterlaufen, erklärte der Minister. Das Ausland könne helfen, indem es seine Kontrollen verschärfe und so die Einfuhr des illegal geschlagenen Holzes verhindere. Doch auch in Ländern wie Indonesien ist die Holzmafia meist stärker. Es waren daher seit Rio immer wieder Länder wie Indonesien, Brasilien oder Malaysia - im engen Verbund mit anderen Staaten mit politisch einflußreichen Holzlobbies wie Kanada, USA oder Finnland - die jeden Ansatz einer Waldschutzkonvention blockierten. Heute ist die Initiative längst auf den Privatsektor übergegangen. Zumindest eine wichtige Ursache für die grassierende Zerstörung der Wälder, nämlich der exzessive Holz- und Papierkonsum in den reichen Ländern, wird heute wohl am effektivsten durch den Druck von Umweltorganisationen in den Industrieländern und nicht durch internationale Verhandlungen angegangen. Der stark konfrontative Ansatz des konsequenten Boykotts von Tropenholz, der in den 80er und 90er Jahren Regierungen wie Malaysia, Brasilien oder Indonesien in die Schlagzeilen brachte, wird heute von einem Ansatz überlagert, nachhaltige Forstwirtschaft zu zertifizieren und damit für den Endverbraucher unterscheidbar von Raubbauholz zu machen. Führend ist dabei der Forest Stewardship Council (FSC)59, der sich zu je einem Drittel aus UmWeltorganisationen, sozialen Organisationen (Gewerkschaften, Organisationen indigener Völker usw.) sowie Holzindustrieverbänden zusammensetzt. Auch wenn immer wieder Lücken in seinem Zertifizierungssystem bekanntwerden, wird er doch von denjenigen Teilen der Holzbranche, die nicht die Absicht haben, an ihren bisherigen Methoden etwas zu ändern, doch soweit als Bedrohung wahrgenommen, daß sie mit Pseudo-Nachhaltigkeits-Labeln immer wieder versuchen, die Verbraucher zu verwirren. Man muß klar zur Kenntnis nehmen: In Sachen Schutz der Wälder und Regulierung der Holzwirtschaft hat die Staatengemeinschaft versagt, der Privatsektor hat mit wachsendem Erfolg die Initiative übernommen. Dennoch wird dieses Modell früher oder später an seine Grenzen stoßen, und zwar hoffentlich nicht erst dann, wenn die letzten Urwäldern den Kettensägen zum Opfer gefallen sind.

59

S. www.fsc.org.

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Allerdings ist der Holzverbrauch nur ein Aspekt der Waldzerstörung. Von erheblicher Bedeutung ist auch der in Ländern wie Brasilien oder Indonesien offenbar unersättliche Bedarf an Land. Dabei geht es nur zum kleineren Teil um die Suche landloser Kleinbauern nach Land, die auf dem zur Landwirtschaft kaum geeigneten Tropenwaldboden kaum dauerhaft zu befriedigen ist, sondern zunehmend auch um Großplantagen für Soja oder Palmöl, schnellwachsende Hölzer, Zuckerrohr usw., sowie um Weideflächen für die Fleischproduktion. Der größte Teil solcher Plantagen dient vorwiegend der Produktion für den Export. Verbraucherboykott von Teakholz-Gartenmöbeln aus Raubbau-Forstwirtschaft ist eine Sache, der Boykott von beispielsweise Waschmitteln mit Palmölzusätzen aus solchen Plantagen ist dagegen eine ganz andere. Im Rio-Prozeß wurde zunächst von der CSD 1995 das Intergovernmental Panel on Forests (/PF) 60 , gebildet, das bis 1997 insgesamt viermal tagte und dann einen höchst unverbindlichen und in vielen Passagen lückenhaften Abschlußbericht mit Handlungsempfehlungen aushandelte. Zu seinem Auftrag gehörte auch, mögliche Elemente eines rechtlich verbindlichen Instruments für den Waldbereich zu identifizieren. Die Diskussionen kreisten allerdings mehr um Themen wie „nationale Souveränität", „uneingeschränkter Handel mit Waldprodukten" und „neues Geld für Entwicklungsländer" als um die Vereinbarung verbindlicher Standards für eine nachhaltige Waldwirtschaft oder Maßnahmen gegen den illegalen Handel mit Holz. Diese Handlungsempfehlungen wurden von der UN-Sondergeneralversammlung Rio+5 1997 verabschiedet; sie beschloß zudem zur Unterstützung der Umsetzung der IPF-Aktionsvorschläge die Einrichtung eines Nachfolgegremiums „Inter governmental Forum on Forests" (IFF), das bis 2000 weitertagte und dann im Februar 2000 seinerseits einen Abschlußbericht vorlegte. Dieses Abschlußdokument machte weitere 120 Aktionsvorschläge, die allerdings kaum über die des Vorläufergremiums IPF hinausgehen. Um die Waldverhandlungen auf internationaler Ebene weiter führen zu können, wurde schließlich das Wälderforum der Vereinten Nationen (UNFF)61 eingerichtet, das ab 2001 tagte. Die Unterstellung unter den Wirtschafts- und Sozialausschuß der Vereinten Nationen (ECOSOC) sollte den auf der Stelle tretenden Waldverhandlungen größeres Gewicht beimessen. Ob dies gelungen ist, muß nach mittlerweile vier Arbeitstagungen des UNFF verneint werden. Inzwischen werden diese Verhandlungen von vielen im Waldschutz engagierten Akteuren gar nicht mehr besucht, weil dies nur noch als Zeitverschwendung empfunden wird. Die Zahl der vorgelegten Länderberichte geht zurück. Der Versuch, ein Arbeitsprogramm zu formulieren, endete beim kleinsten gemeinsamen Nenner; besonders brisante Themen wie der illegale Holzhandel kommen darin nicht vor. Das Ergebnis endloser Diskussionen sind Formulierungen, die zwar die richtigen und notwendigen Ansätze nennen, aber niemanden verpflichten, sie auch umzusetzen. Bislang macht das UNFF keine Vorgaben, welche 60 61

S. www.un.org/esa/forests/index.html. Homepage UNFF: www.un.org/esa/forests/index.html.

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waldpolitischen Ziele ein Land verfolgen soll, bis wann es sie erreichen, wie es sie finanzieren oder wem es bis wann darüber berichten soll. Es darf Länder nur „einladen", aber nicht „auffordern", über die Umsetzung der Handlungsempfehlungen von IPF und IFF zu berichten. Nach der 4. Tagung des UNFF scheinen die Verhandlungen mehr denn je festgefahren. Die Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt (CBD) hat sich angesichts des ergebnislosen IPF/IFF/UNFF-Prozesses bei ihrer ö.Vertragsstaatenkonferenz in Den Haag im April 2002 mit dem Schutz der Wälder befaßt. Insbesondere Urwälder beherbergen eine einzigartige biologische Vielfalt, deren Schutz die CBD selbstverständlich nicht ausblenden kann. Nachdem auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz der CBD ein mehrjähriges Arbeitsprogramm62 zum Schutz der Wälder beraten wurde, formierte sich eine Blockadefront, die befürchtet, daß die Waldpolitik von den Förstern an die Naturschützer übergehen könnte. Ob es zwischen UNFF und CBD zu einer von allen Seiten akzeptierten Arbeitsteilung kommt, ist angesichts der massiven finanziellen Interessen sehr zweifelhaft. Ein wichtiger Bestandteil des CBD-Wälder-Arbeitsprogramms sind sofortige Maßnahmen gegen den Handel mit illegal geschlagenem Holz. Deshalb hat die Europäische Kommission im Mai 2003 ihren Mitgliedstaaten einen Aktionsplan - „Forest Law Enforcement, Governance and Trade" (FLEGT)63 - vorgelegt, mit dem sie den illegalen Holzeinschlag und Handel bekämpfen will. Der bisherige rechtliche Rahmen der EU beschränkt sich jedoch nur auf die Entscheidung vom Juni 2001 bezüglich der Bekämpfung von Geldwäsche, die aber nicht auf Holzprodukte angewendet wird, weil illegaler Holzhandel nicht als schweres Vergehen angesehen wird. Ein zentrales Thema der Bekämpfung des illegalen Einschlags und des Handels mit illegalen Holzprodukten ist die Schaffung von Transparenz bezüglich der Herkünfite und Handelsströme der Holzprodukte. Im Aktionsplan der EU wird zwar auf mögliche Unterstützung bei der Anwendung von Systemen zur Rückverfolgung hingewiesen. Es wird aber im EU-Aktionsplan keine konkrete Empfehlung ausgesprochen, wie mit illegalen Holzeinfuhren nach Europa in der Praxis umgegangen werden soll: Wie wird die Strafverfolgung organisiert, wenn Holzprodukte nachweislich aus illegalen Quellen stammen? Können die Produkte, Schiffe und LKWs konfisziert, Lagerhallen geschlossen, deren Eigentümer verklagt und Importeure belangt werden? Die derzeitige Lesart ist eindeutig: Illegaler Holzeinschlag und Handel wird in der EU als Kavaliersdelikt und nicht als Verbrechen gehandhabt. Parallel zu dieser Tatenlosigkeit gegen den illegalen Holzhandel besteht die Gefahr, daß im Rahmen der WTO-Verhandlungen der Handel mit Holzprodukten (Papier, Möbel usw.) weiter liberalisiert wird und damit auch Maßnahmen gegen illegalen Holzhandel erschwert werden. Entspre62

S. www.biodiv.org/decisions/default.aspx?m=COP-06&id=7196&lg=0. Deutsche Fassung: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel im Forstsektor (FLEGT). Vorschlag für einen EUAktionsplan, 21.5.2003, Mitteilung KOM (2003) 251.

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chende Vorschläge (von den NGOs als „Global Free Logging Agreement" bezeichnet) liegen seit Jahren auf dem Tisch und werden im Rahmen der sog. Doha-Entwicklungsrunde verhandelt. Hinzu kommt das Problem, daß das International Tropical Timber Agreement (ITTA)M, das im Rahmen der UNCTAD ausgehandelt wurde und 1985 in Kraft trat, ebenfalls konkurrierendes Recht setzt. Dieser Vertrag, der seitdem mehrfach um jeweils 5 Jahre verlängert wurde, gehört zu der Kategorie der im Grunde längst überholten Rohstoffabkommen. Sein erklärtes Ziel ist die Ausweitung des Handels mit Tropenholz, während Klauseln zur „nachhaltigen Bewirtschaftung" offenbar wirkungslos bleiben. Neben den Tropenholzexportländern sorgt vor allem Japan dafür, daß dieser Vertrag nicht ausläuft Japan ist eines der Hauptimportländer für Tropenholz, Sitz des VertragsSekretariats und mit Abstand der Hauptgeldgeber für ITTA. Fazit: Beim Schutz der verbliebenen Wälder, insbesondere der Urwälder, haben die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen bisher auf ganzer Strecke versagt. Wenn etwas passiert, dann im privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Raum. Eine Änderung dieses Zustands ist nicht in Sicht. 7. Commission on Sustainable Development (CSD) Die Commission on Sustainable Development (CSD)65 wurde mit dem „Erdgipfel" (UNCED) 1992 in Rio geschaffen. In der Agenda 2166 (Abschnitt 38.11) wurde dies so formuliert: „Zur Gewährleistung eines wirksamen Folgeprozesses der Konferenz sowie zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und zur Rationalisierung der zwischenstaatlichen Entscheidungskapazität für die Integration von Umwelt- und Entwicklungsfragen und für die Untersuchung des Fortschrittes bei der Umsetzung der Agenda 21 auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene soll eine hochrangige Kommission für nachhaltige Entwicklung gemäß Artikel 68 der Charta der Vereinten Nationen geschaffen werden. " Die 47. Generalversammlung der Vereinten Nationen 1992 beauftragte daraufhin den ECOSOC mit der Bildung der CSD.67 Formal ist die CSD eine der neun Fachkommissionen des Wirtschaftsund Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC), ähnlich wie etwa die Menschenrechtskommission. Hauptaufgabe der CSD ist es, die nationale und internationale Umsetzung der umweit- und entwicklungspolitischen Beschlüsse der Agenda 21 zu überwachen und an die Adresse von Regierungen und UNO Empfehlungen für die weiteren Umsetzungsstrategien zu formulieren. Die Kommission tagt einmal im Jahr für zwei Wochen im UNO-Hauptquartier in New York, in der Regel Ende April/Anfang Mai. Es ist offensichtlich, daß in diesem Zeitraum eine Bearbeitung des gesamten Themenspektrums der Agenda 21 mit ihren 40 Kapiteln nicht annähernd zu leisten 64 65 66 67

S. www.itto.or.jp. Vgl. Jürgen Maier, C S D (Fn. 34). Vgl. Fn. 8. UN Doc. A/RES/47/191 vom 22.12.1992.

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ist. Aus diesem Grund hat die Kommission ihre Arbeit auf mehrere Jahre verteilt. Dies geschieht im Rahmen mehrjähriger Arbeitsprogramme (1993-1997, 1998-2002, 2004-2017). Jede CSD-Sitzung hat ein 2-3tägiges High-Level-Segment, an dem Minister (in der Regel Umweltminister) teilnehmen. Beim Johannesburg-Gipfel 2002, bei dem über den Reformbedarf der CSD weitgehende Einigkeit herrschte, wurde ein neuer Arbeitsmodus beschlossen: die CSD soll sich künftig weniger Themen vornehmen und diese dafür gründlicher behandeln, nämlich in Zweijahresrhythmen. Für 2004-2005 sind diese Schwerpunktthemen Wasser und Abwasser, für 2006-2007 Energie. Die CSD hat 53 ordentliche Mitglieder (aus Afrika 13, Asien 11, Lateinamerika und Karibik 10, Osteuropa 6, Westeuropa/Nordamerika/andere 13). Alle Mitglieder werden auf 3 Jahre gewählt. Allerdings können alle anderen Staaten als Beobachter teilnehmen und bis auf die Möglichkeit, ihre Vertreter in gewählte Positionen zu entsenden, genießen sie faktisch die gleichen Rechte. Als Sekretariat der CSD fungiert im New Yorker UN-Hauptquartier innerhalb des Department of Economic and Social Affairs (DESA) die Division for Sustainable Development. Die CSD hat nach allgemeiner Einschätzung die Erwartungen nicht erfüllt, die in Rio in sie gesetzt wurden. Möglicherweise kann man von UNKommissionen aber gar nicht mehr erwarten. Ein deutscher UN-Diplomat begründete einmal seine Wertschätzung für die CSD so: Die CSD drehe sich zwar im Kreis, aber in allen anderen UN-Kommissionen bewege sich überhaupt nichts mehr - vermutlich eine durchaus treffende Einschätzung. Ein kaum abzustellendes Hauptproblem der CSD ist sicherlich, daß sie keinerlei bindende Beschlüsse fassen kann und daher zentrale Themen nachhaltiger Entwicklung in separaten Verhandlungsprozessen oder eigenen Konventionen meist besser aufgehoben sind. Zudem verhandeln bei der CSD im Gegensatz zu den Vertragsstaatenkonferenzen im wesentlichen zwei Kategorien von Regierungsvertretern: im Falle der meisten Entwicklungsländer sind es die Angehörigen der New Yorker UN-Vertretungen, die meist zahlenmäßig unterbesetzt sind und von den Themen selten viel Ahnung haben oder gar Engagement zeigen. G77-Loyalitäten und die Verteidigung altbekannter Positionen sind solchen Leuten allemal wichtiger als Sachfragen oder gar innovative Impulse. Aus den meisten, vor allem europäischen, Industrieländern kommen hingegen vorwiegend und federführend die Vertreter der Umweltministerien. Selbst wenn sie für manche Fragen wie z. B. Landwirtschaft, Fischerei, Energie gar nicht zuständig sind, achten die Umweltministerien doch akribisch darauf, daß die CSD „ihre" UN-Kommission ist, so wie die Landwirtschaftsminister akribisch darauf achten, daß die FAO „ihre" UNSonderorganisation ist, wo kein Umweltminister etwas zu suchen hat. Die praktische Umsetzung von CSD-Beschlüssen läßt angesichts solcher Konstellationen sehr zu wünschen übrig. Aufgrund des Konsensprinzips sind über die „agreed language" der Agenda 21 hinausgehende Impulse selten. 68

S. www.un.org/esa/sustdev/index.html.

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Außer den direkt an der Beschlußfassung Beteiligten nimmt sie kaum jemand zur Kenntnis, weder in anderen betroffenen nationalen Ministerien noch gar in den Parlamenten. Der „Plan of Implementation" des Johannesburger Gipfels erkannte dementsprechend in § 145-150 einen recht umfassenden Reformbedarf, um die CSD zu stärken. Dies drückt sich insbesondere in der veränderten Arbeitsweise und dem 2003 von der CSD-11 beschlossenen Arbeitsprogramm aus. Nach der ersten Sitzung 2004 unter dem neuen Verfahren äußerten zumindest die meisten Teilnehmer vorsichtigen Optimismus. Die erste Bewährungsprobe kommt 2006/07, wenn das extrem umstrittene Thema Energie auf der Tagesordnung steht. 8. Global Environment Facility (GEF) Beim „Erdgipfel" in Rio 1992 ging es nicht nur um Visionen, sondern natürlich auch um ihre Finanzierung. Allein für die Umsetzung der Agenda 21 in den Ländern des Südens, so schätzte damals das UNCED-Sekretariat, müßten jährlich 600 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden. Für ihren Anteil daran hätten die Industrieländer ihre Entwicklungshilfe auf 125 Mrd. US-Dollar verdoppeln müssen. Die Rettung des Planeten ist also kein billiges Unterfangen. Die einzige konkrete Zusage der Industrieländer auf multilateraler Ebene war die Global Environment Facility (GEF).69 Dieser Globale Umweltfonds finanziert Maßnahmen im Rahmen der Rio-Konventionen, der Stockholmer POPs-Konvention sowie Aktivitäten zum Schutz der Meere und der Ozonschicht. Er war bereits 1991 durch Frankreich und Deutschland initiiert worden - einerseits als Geste guten Willens im Vorfeld von Rio, andererseits aber auch als Gegen-Konzept zu einem unabhängigen „Grünen Fonds", wie ihn einige Entwicklungsländer favorisierten. Formalisiert wurde die GEF 1994. Die GEF hat drei Umsetzungsorganisationen: die Weltbank, UNEP und UNDP, wobei die Gelder auf Drängen der Geberstaaten von der Weltbank verwaltet werden. Das Mandat der GEF ist es, „incremental costs" zu übernehmen, die Entwicklungsländern entstehen, wenn sie für den Schutz der globalen Umwelt Maßnahmen ergreifen, z. B. im Rahmen der Rio-Konventionen. Allerdings sollen sie damit nicht Maßnahmen finanzieren, die lediglich dem Schutz der nationalen Umwelt dienen sollen. Wenn also in einem Entwicklungsland beispielsweise ein neues Kraftwerk ein altes, schmutziges ersetzen soll, ist die GEF nur zur Übernahme der Kosten bereit, die durch Maßnahmen zur Senkung der Kohlendioxidemissionen entstehen. Wie solche „inkrementellen Kosten" von der GEF berechnet werden, ist allerdings regelmäßig Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten und oft genug kaum objektiv kalkulierbar. Aufgebracht werden die Mittel durch mehr oder weniger an einem vierjährigen Turnus orientierten Zusagen der Industrieländer. Schon bald nachdem die GEF ihre Arbeit aufgenommen hatte, blieben die USA hinter ihren ursprünglichen Zusagen zurück und setzten damit eine Abwärts69

S. www.gefweb.org.

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spirale in Gang. Schon für die Pilotphase (1991-94) kamen nur 1,13 Mrd. US-Dollar zusammen. Die als „GEF-1" bezeichnete Periode 1994-97 mußte mit 2 Milliarden auskommen, „GEF-2" (1998-02) erbrachte 2,75 Mrd. Dollar, für 2002-2006 wurden bei der 3. Wiederauffüllungsrunde 2,92 Mrd. Dollar zugesagt. Nicht alle zugesagten Mittel wurden schließlich auch eingezahlt, und erhebliche Mittel wurden anhand der komplizierten Antragsprozeduren in die nächste Vergabeperiode übertragen. Bisher hat die GEF rund 4,5 Mrd. Dollar vergeben. Oberstes Beschlußgremium ist ein zweimal jährlich tagender Verwaltungsrat mit 32 Ländern, wobei die größten Geberländer sowie China automatisch vertreten sind. 14 Sitze gehen an Geberländer, 16 an Entwicklungsländer und 2 an Länder im Übergang zur Marktwirtschaft. Die GEF hat versucht, das One-dollar-one-vote-Prinzip der Weltbank mit dem Onecountry-one-vote-Prinzip der UN zu verbinden; heraus kam ein kompliziertes Entscheidungsverfahren: für einen Beschluß sind 60 Prozent der Mitglieder und 60 Prozent der Gebersumme erforderlich. Damit können die Geberländer nicht überstimmt werden, aber auch nicht alleine beschließen. Die GEF war von Anfang an der formelle Finanzierungsmechanismus für die Klima- und die Biodiversitätskonvention; für die Desertiflkationskonvention ist sie offiziell erst seit 2003 zuständig. Sowohl Regierungen als auch NGOs aus den Entwicklungsländern sehen die GEF sehr kritisch, vor allem wegen der starken Dominanz der Weltbank im GEF. Immer wieder werden Klagen laut, daß die Prozedur für die Beantragung von GEF-Fördermitteln zu kompliziert und zu bürokratisch sei. Die Trennung zwischen Projekten mit „lokaler" und „globaler" Bedeutung ist oft kaum möglich, wird aber von der GEF immer wieder eingefordert. Die GEF hat zwar mehrfach versucht, diese Probleme zu beheben, doch ist das bisher wohl kaum ausreichend gelungen. Auf der anderen Seite hat die GEF wiederholt die fehlende Eindeutigkeit der Anforderungen der Vertragsstaatenkonferenzen an die GEF zu den Prioritäten bei der Projektförderung eingeklagt. Das Verhältnis der Konventionen zur GEF ist also nach wie vor nicht ganz spannungsfrei, wenn auch wesentlich besser als in den Anfangsjahren. 9. Energiepolitik in den Vereinten Nationen Energiepolitik ist für die Umsetzung Nachhaltiger Entwicklung eine der zentralen und sicherlich auch umstrittensten Fragen. Dies gilt nicht nur in der Innenpolitik der meisten Länder, sondern auch auf internationaler Ebene. Schon vor Rio war es nie gelungen, ein UN-Forum für Energiepolitik zu etablieren. Nach der Ölkrise 1973 standen sich mit dem OPECKartell und der Internationalen Energieagentur der OECD zunächst Ölproduzenten und Ölverbraucher gegenüber, und Energiepolitik war in jenen Tagen weitgehend mit Ölpolitik identisch. Allerdings war die Ölpolitik schon damals weitaus facettenreicher als der simple Gegensatz zwischen OPEC und IEA vermuten ließe. In Rio 1992 war es aufgrund der Vielfalt der Interessen - geostrategischer, wirtschaftlicher und natürlich auch entwicklungspolitischer und ökologischer Natur - nicht möglich, in den 40 Kapiteln der Agenda 21 auch ein Energiekapitel unterzubringen.

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UNEP und UNDP unternahmen seitdem zwar immer wieder Versuche, energiepolitische Akzente zu setzen. Auch die CSD hatte 2001 das Energiethema auf der Tagesordnung - diese CSD-Sitzung gehörte prompt mit zu denjenigen CSD-Sitzungen, die am wenigsten durch innovative Vorschläge und am meisten durch Beharren auf althergebrachten Positionen auffiel. UNDP lancierte im Vorfeld - auch im Hinblick auf den Johannesburg-Gipfel - ein „World Energy Assessment" 2000, das zwar eine gute Analyse der energiepolitischen Lage aus der Sicht (ölimportierender) Entwicklungsländer bot, aber auf die Verhandlungen kaum Einfluß hatte. Die geradezu erdrückende Dominanz der OPEC in der G77 wurde hier sehr deutlich sichtbar; im Verbund mit den USA gelang es diesen Staaten, praktisch alle Entwicklungsländer ruhigzustellen, die fossile Brennstoffe importieren und daher durchaus anders gelagerte Interessen haben. Die gleiche Blockade-Konstellation wie in den Klima-Verhandlungen sorgte auch hier für Stillstand. Zum Eklat kam es beim Weltgipfel in Johannesburg. Der Versuch vor allem der EU und Brasiliens, ein quantifizierbares globales Ausbauziel für erneuerbare Energien festzuschreiben, scheiterte erwartungsgemäß an der unnachgiebigen Ablehnung der USA und der OPEC. Allerdings wurde diese Blockadehaltung nunmehr nicht mehr einfach hingenommen: die EU startete eine Initiative „ The Way Forward with Renewable Energies ", die aus dem Stand von etwa 80 Staaten mitgetragen wurde. Darin kündigten die Unterzeichner an: "Increasing the use of renewable energy is an essential element to achieve sustainable development at national and global level. Renewable energy can provide important new ways to reduce pollution, diversify and secure energy supply and help provide access to energy in support of poverty eradication. Furthermore, the burning of fossil fuels is the biggest source of greenhouse gas emissions and these emissions need to be reduced to mitigate the adverse effects of climate change in order to achieve the ultimate objective of the United Nations Framework Convention on Climate Change to prevent dangerous climate change. We commit ourselves to cooperate in the further development and promotion of renewable energy technologies. Recognising the sense of urgency as expressed in paragraph 19(e) of the Johannesburg Plan of Implementation, we will work together to substantially increase the global share of renewable energy sources, with regular review of progress, on the basis of clear and ambitious time bound targets set at the national, regional and hopefully at the global level." Die „Johannesburg Renewable Energy Coalition (JREC)"70 war entstanden, entwickelte allerdings aufgrund der Ansiedlung ihres Sekretariats bei der EU-Kommission kaum ernsthafte Aktivitäten: Die Kommission nahm diese Aufgabe einfach nicht ernst und stattete das Sekretariat mit einem einzigen Beamten aus, der beim besten Willen schnell an Kapazitätsgrenzen stieß.

70

S. http://forum.europa.eu.int/Public/irc/env/ctf/home.

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Direkte Konsequenz dieser Reaktion auf die USA-OPEC-Blockadehaltung war auch, daß die von Bundeskanzler Schröder in Johannesburg angekündigte Internationale Konferenz für Erneuerbare Energien eine politisch weitaus größere Dimension bekam. „Renewables 2004", im Juni 2004 in Bonn abgehalten 71 , hatte zwar offiziell mit der UNO nichts zu tun. Aber es war klar, daß hier eine neue Art internationaler Zusammenarbeit erprobt wurde. Alle Regierungen, die Wirtschaft, NGOs ebenso wie die UN-Einrichtungen waren eingeladen. Aber es ging nicht um Texte, Deklarationen und Paragraphen, und das die UNO so sehr paralysierende Blockaderecht der Langsamsten existierte nicht. Renewables 2004 brachte diejenigen zusammen, die etwas tun wollen, und am Ende mußten sogar die Amerikaner sich eine konstruktive Fassade geben und einen eher symbolischen Beitrag für das Internationale Aktionsprogramm beisteuern. Die OPEC-Staaten hielten sich lieber ganz im Hintergrund angesichts der von einer großen Zahl von ölimportierenden Entwicklungsländer-Regierungen beschworenen Dramatik der explodierenden Ölpreise, die erneuerbare Energien zur einzig realistischen Entwicklungsoption machen. Offiziell brachte der Johannesburger Gipfel für die Energiepolitik der UNO nur Stillstand, sieht man einmal von dem Beschluss im Johannesburg Plan of Implementation ab, das Committee on Energy and Natural Resources for Development aufzulösen und seine Aufgaben an CSD zu übertragen. 72 Wie weit die durch diese Blockade ausgelöste Dynamik der Renewables 2004 reicht, wird sich 2006 zeigen, wenn sich die CSD wieder mit Energiepolitik befaßt. Durch die massiv und irreversibel steigende Nachfrage Chinas und anderer Schwellenländer zeigt die Preiskurve für Öl, Kohle, aber auch andere Rohstoffe inzwischen steil nach oben. Angesichts der dadurch ausgelösten wirtschaftlichen Zwänge dürften so manche althergebrachten politischen Loyalitäten bald in die Brüche gehen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die erste Nachfolgekonferenz, die „Renewables 2005", im November 2005 in Beijing auf Einladung der chinesischen Regierung stattfand. 10. Ausblick Der so hoffnungsvoll gestartete Rio-Prozeß und damit das gesamte Thema „Umwelt und Nachhaltige Entwicklung in den Vereinten Nationen" befindet sich heute an einem Scheideweg. Das Flaggschiff der Rio-Konventionen, der Klimaprozeß, befindet sich nahezu in der Geiselhaft einiger weniger Staaten, für deren Regierungen Umweltschutz unerheblich ist. Die Biodiversitätskonvention wird in maßgeblichen Teilen vom WTO-Recht konterkariert. In Sachen Energiepolitik und beim Schutz der Wälder ist innerhalb der UNO offenbar kein Fortschritt zu erzielen. Bei realistischer Betrachtungsweise muß man zugeben, daß die Diskrepanz zwischen dem Problemdruck, wie ihn Regierungen und UN-Institutionen in ihren regelmäßig herausgegebenen Zustandsbeschreibungen selbst konstatieren, und 71 72

S. www.renewables2004.de. UN Doc. A/CONF. 199/20, §144e.

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den real stattfindenden Taten der internationalen Gemeinschaft weiter zunimmt. Was also sind die Perspektiven? Vermutlich ist es am erfolgversprechendsten, in den nächsten Jahren sehr stark auf Vorreiterkoalitionen zu setzen, so wie es in der Energiepolitik nun begonnen hat. Sie werden zwangsläufig weitgehend außerhalb der UNO agieren müssen. Solange schon eine Handvoll Regierungen jeden Fortschritt blockieren können, und dafür keinerlei ernsthafte Sanktionen befürchten müssen, scheinen die Institutionen und Mechanismen der UNO kaum geeignet, diejenigen weitreichenden Beschlüsse verbindlich zu fassen, um die wir früher oder später nicht herumkommen werden, wenn wir die Lebensgrundlagen des Planeten erhalten, den Zugang zu den Ressourcen der Erde fair aufteilen und damit echte Entwicklungschancen für den Süden eröffnen wollen. Wie weit diese Vorreiterkoalitionen kommen werden, wie viele Vorteile sie den daran Beteiligten bringen werden und wie stark sie die von ihnen ausgelösten plurilateralen Prozesse wieder in die multilateralen Verhandlungsforen der UNO einbringen werden, dürfte weitgehend von ihrer eigenen politischen Weitsicht und Courage abhängen. Für die UNO muß dies keineswegs eine Bedrohung sein - im Gegenteil: wenn es erst gelingt, routinemäßiges Blockadeverhalten durch solche Prozesse ins Abseits zu drängen, können solche Initiativen sogar die Voraussetzung dafür werden, die UNO zu einer funktionierenden Institution zu machen, in der Globalisierung politisch gestaltet wird und globale Probleme gelöst werden.

Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen Thomas Fues/Stephan Klingebiel

1. Einleitung Die Vereinten Nationen (United Nations - UN) sind zusammen mit den fachlichen UN-Sonderorganisationen, der Weltbankgruppe und dem Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund - IMF) 1 , den regionalen Entwicklungsbanken und der Europäischen Union (EU) 2 die Pfeiler der multilateralen Entwicklungspolitik. Die Funktion eines Hauptakteurs haben die UN zu keinem Zeitunkt einnehmen können, sondern im Vergleich insbesondere zur Weltbankgruppe und auch zur europäischen Entwicklungspolitik eine eher randständige Rolle eingenommen. 3 Die UN setzten sich in ihrer Charta (Art. 1) das Ziel, „internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen". Auf dieser Grundlage sind sie seit ihrer Gründung in vielfältiger Weise entwicklungspolitisch tätig. Heute richten sich zum Teil große Erwartungen an die UN, die im Sinne von global governance in diesem Bereich eine zentrale Funktion übernehmen sollen. Allerdings besitzen die UN bislang nicht die Voraussetzungen, um eine solche Rolle spielen zu können, genauer gesagt, sie wird ihr von den Mitgliedstaaten (noch) nicht eingeräumt, weil letztere die UN für nicht geeignet halten für eine solche Leitfunktion: Nicht nur die Vielzahl und die Unübersichtlichkeit der UN-Einrichtungen auf diesem Gebiet geben immer wieder Anlaß zu erheblicher Kritik. Auch andere (Vor-)Urteile wie Ineffizienz und Verschwendung, Schwerfälligkeit und Politisierung gehören vielfach weiterhin zum Image der UN-Entwicklungszusammenarbeit. Hinzu kommt eine geringe finanzielle Ausstattung sowie ein Instrumentarium, daß sich auf die Technische Zusammenarbeit konzentriert und sich nicht auf Kredite und Investitionen erstreckt. Die Reformanstrengungen von UN-Generalsekretär Kofi Annan in diesem Bereich haben zwar Der Beitrag wurde von den Autoren im Dezember 2005 abgeschlossen. 1 Der IMF hat überwiegend währungspolitische Aufgaben. Im Rahmen der internationalen Schuldenpolitik der vergangenen Jahrzehnte, von Zahlungsbilanzhilfen und Fazilitäten zur Strukturanpassung armer Länder übernimmt er aber verschiedene wichtige entwicklungspolitische Aufgaben. 2 Auf die Entwicklungspolitik der Europäischen Union wird im vorliegenden Beitrag wegen der UN-Schwerpunktsetzung nicht näher eingegangen. 3 Inge Kaul, Entwicklungszusammenarbeit der UN, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 107-112. 4 Vgl. Thomas Fues, Entwicklungspolitische Perspektiven zur Weiterentwicklung von Global governance in den Vereinten Nationen, in: Dirk Messner/Imme Scholz (Hrsg.), Zukunftsfragen der Entwicklungspolitik, Baden-Baden 2005, S. 59-72.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

durchaus zu sichtbaren Erfolgen geführt; aber die unterschiedlichen Interessen und Erwartungen der sehr heterogenen 191 UN-Mitgliedstaaten bleiben weiter das Haupthindernis für weitere Fortschritte in der UN-Entwicklungszusammenarbeit. Zu den großen neuen Herausforderungen zählt, daß ein ganzheitliches Denken und Vorgehen von unterschiedlichen Politikfeldern gerade für die Vereinten Nationen immer bedeutsamer wird. Dies gilt insbesondere für die zunehmende Notwendigkeit, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik stärker zu verzahnen. 2. Grundstrukturen der UN-Entwicklungspolitik Das institutionelle und inhaltliche Profil des heutigen UN-Systems auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik ist Ergebnis eines fortdauernden Prozesses, der bereits vor der Gründung der Vereinten Nationen (1945) begann. So wurde schon 1919 die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation - ILO) gegründet, die seit 1946 den Status einer UN-Sonderorganisation besitzt. Vor und unabhängig von der Gründung der UN wurden auf der sog. Bretton-Woods-Konferenz (1944) auch die entscheidenden Schritte zur Errichtung der Weltbank (International Bank for Reconstruction and Development - IBRD) und des Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund - IMF) unternommen, die ebenfalls als Sonderorganisationen dem UN-System angehören. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren konnten die Länder des Südens die Errichtung neuer Hilfsprogramme bzw. die entwicklungspolitische Ausrichtung bereits existierender UN-Einrichtungen durchsetzen, da in Folge der Dekolonisierungsprozesse unter den UN-Mitgliedstaaten die Gruppe der Entwicklungsländer rasch anwuchs und deren Bedeutung zunahm.5 Für das Verständnis der entwicklungspolitischen Grundstruktur ist das Verhältnis der Vereinten Nationen zu ihren Sonderorganisationen von besonderer Bedeutung. Während die Bezeichnung „Vereinte Nationen" die Sonderorganisationen nicht umfaßt, schließt der Begriff „UN-System"6 diese mit ein. Dieser Unterschied ist vor dem Hintergrund wichtig, daß die Sonderorganisationen keine Organe der Vereinten Nationen sind, eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, und damit de facto autonom von den UN agieren können. Sie stehen lediglich in einer vertraglich geregelten Beziehung zu den Vereinten Nationen, verfügen aber über eigene Satzungen, Organe und Haushalte.7 Daraus ergibt sich eine der wichtigsten Strukturschwächen: Die UN können dem Anspruch, die multilaterale Entwicklungspolitik zu koordinieren oder gar zu steuern, nicht gerecht werden. 5 Vgl. Helmut Volger, Geschichte der UN, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 186-197, S. 191. 6 Vgl. Klaus Hüfner, UN-System, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 592-597. 7 Vgl. Klaus Hüfner, Sonderorganisationen, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 487-492.

Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen

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Diese Strukturschwäche kommt auch in einem vergleichsweise geringen Finanzvolumen zum Ausdruck. Im Jahr 2002 stellten die Geber insgesamt 58,3 Mrd. US-Dollar öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance - ODA) zur Verfugung. Der Anteil der multilateralen ODA liegt relativ konstant bei ca. 30 % dieses Volumens. Die UN erreichen mit 4,6 Mrd. US-Dollar (im Vergleich: EU: 5,7 Mrd. US-Dollar) einen Anteil von knapp 8% (EU: 10%) vom Gesamtvolumen und von 2 6 % (EU: 33%) vom multilateralen Anteil. 8 Außerdem ist in Rechnung zu stellen, daß viele Leistungen insbesondere von IBRD und IMF in die ODA-Statistiken nicht einfließen, da der Vergünstigungsgrad (sog. grant element) zu gering ist. Ähnlich den Strukturen von nationalstaatlichen Akteuren zeigt sich außerdem in einer zunehmenden Zahl von Fällen, daß die Frage der Gestaltung von Schnittstellen zwischen Entwicklungspolitik und anderen Politiken zunehmend wichtiger wird. 9 Für die UN ist hier vor allem ein umfassendes konzeptionelles Denken, das die vielfältigen Wechselwirkungen von „Entwicklung" einerseits und „Frieden und Sicherheit" andererseits berücksichtigt, immer wichtiger. Die Vereinten Nationen haben aufgrund ihrer Aufgabenstellung vielfach eine weitreichende Verantwortung für Fragen von Frieden und Sicherheit sowie zugleich für humanitäre Hilfe bis hin zu längerfristiger Entwicklungspolitik. In vielen Ländern sind unterschiedliche UN-Akteure gleichzeitig mit unterschiedlichen globalen Herausforderungen befaßt (etwa Afghanistan), praktizieren dabei allerdings bisher ein eher isoliertes Vorgehen bzw. fragmentierte Ansätze, statt sich mit den anderen UN-Akteuren abzustimmen. Der Bericht der Sachverständigengruppe für die Friedensmissionen der Vereinten Nationen (2000) 10 , der sog. „Brahimi-Report", hat ebenso wie der Bericht der Hochrangigen Beratungsgruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel" (2004) und der darauf aufbauende Bericht des UN-Generalsekretärs „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle" 12 (2005) Strukturschwächen in diesem Be8

Z. T. eigene Berechnungen nach Daten aus: OECD (Hrsg.), Development Co-operation, Report 2003, Paris 2004, S. 136f. 9 Siehe zu dieser Debatte z. B. UN DESA/OECS, An overview of proposals on reform of the United Nations in the economic and social areas, (Mimeo), New York 2004; Michèle Griffin, The Helmet and the Hoe: Linkages between United Nations Development Assistance and Conflict Managment, in: Global Governance 9 (2003), H. 2, S. 199-217; Stephan Klingebiel/Katja Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, Neue Herausforderungen in Krisen und Post-Konflikt-Situationen, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn 2004. 10 United Nations - General Assembly/Security Council, Report of the Panel on United Nations Peace Operations, UN Doc. A/55/305-S/2000/809, United Nations, New York 2000; und King's College, A Review of Peace Operations, A Case for Change, London 2003. 11 Vereinte Nationen - Generalversammlung, Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung. Bericht der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel, 2. Dezember 2004, UN Doc. A/59/565; dt. Fassung: www.dgvn.de/pdf/ High_Panel_Report_deutsch.pdf. 12 Vereinte Nationen - Generalversammlung, In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle. Bericht des Generalsekretärs, 21. März 2005, UN Doc. A/59/2005; dt. Fassung: www.un.org/Depts/german/gs.sonst/a-592005-ger.pdf.

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reich dargelegt. Die durch Resolutionen der Generalversammlung13 und des Sicherheitsrates14 im Dezember 2005 vorbereitete Einrichtung einer UN Peacebuilding Commission könnte zukünftig einen wichtigen Schritt zur Überwindung der Defizite bedeuten. Verbesserungen könnten sich auf vier Gebiete beziehen:15 (i) Bereitstellung eines integrierten Ansatzes der beteiligten Akteure , um Frieden und Sicherheit wieder herstellen zu können; (ii) Gemeinsames Forum der UN-Akteure und anderer Beteiligter (Hauptfinanzierungsgeber, Internationale Finanzinstitutionen, Truppensteller etc.); (iii) Institutionalisierter Mechanismus zur Aufrechterhaltung der politischen Aufmerksamkeit (wenn etwa der „CNN-Effekt" nachläßt); (iv) Gemeinsame Roadmap für die Beiträge aller beteiligten Akteure. 3. Nicht-operative und operative Entwicklungspolitik Die Unterscheidung von so genannten operativen und den nicht-operativen Aktivitäten ist für die UN-Entwicklungspolitik von Bedeutung. Operative Tätigkeiten umfassen unmittelbar die Planung und Durchführung von entwicklungspolitischen Maßnahmen. 3.1. Operative Entwicklungspolitik Bei den Einrichtungen, die im operativen Bereich tätig sind, sind folgende Gruppen zu unterscheiden: 3.1.1. Die Fonds und Programme der Vereinten Nationen •

Hierzu zählen beispielsweise:das Entwicklungsprogramm (United Nations Development Programme - UNDP), • das Weltkinderhilfswerk (United Nations International Children's Emergency Fund - UNICEF), • der Bevölkerungsfonds (United Nations Population Fund UNFPA), • das Umweltprogramm (United Nations Environment Programme - UNEP) und • das Welternährungsprogramm (World Food Programme WFP). Gemeinsames Kennzeichen fast aller UN-Fonds und -Programme sind Tätigkeiten auf dem Gebiet der Technischen Zusammenarbeit, d. h. im Vordergrund steht nicht die Finanzierung von Sachgütern und Investitionen (wie etwa bei der sog. Finanziellen Zusammenarbeit der Weltbank), sondern die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Menschen und Organisationen (etwa durch die Bereitstellung von Beratern). Die meisten UNFonds und -Programme sind sektoral (z.B. Ernährung) oder zielgruppen13 United Nations - General Assembly, Resolution 60/180 "The Peacebuilding Commission", 20 December 2005, U N Doc. A/RES/60/180. 14 U N Doc. S/RES/1645 vom 20.12.2005 und S/RES/1646 vom 20.12.2005. 15 Vgl. Catherine Guicherd, Picking up the pieces: What to expect from the Peacebuilding Commission (Briefing Papers der Friedrich-Ebert-Stiftung), Online-Veröffentlichung, N e w York 2005.

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bezogen (z.B. Kinder) ausgerichtet. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der Finanzierung der Maßnahmen auf Grundlage sog. freiwilliger Beiträge. Zu den Besonderheiten der UN-Entwicklungszusammenarbeit zählt, daß sich auch eine Reihe von Entwicklungsländern (u. a. Indien, Kuba, China) an den freiwilligen Beitragszahlungen beteiligt. Das Gros der Leistungen wird jedoch von den Geberländern aus dem Kreis der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) finanziert. Hier hat sich in der Vergangenheit gezeigt, daß vor allem die skandinavischen Staaten und die Niederlande der UN-Entwicklungszusammenarbeit große Beachtung schenken. Die Bedeutung der UN-Entwicklungszusammenarbeit - gemessen am Anteil der gesamten verfügbaren ODA eines Entwicklungslandes - ist sehr unterschiedlich, aber in der Regel mit der Rolle eines mittleren bis größeren bilateralen Gebers vergleichbar; im Durchschnitt liegt der UNAnteil bei unter 10% der ODA-Mittel. Die UN-Aktivitäten erstrecken sich zwar auf über 130 Länder, der Schwerpunkt liegt allerdings auf den armen und ärmsten Entwicklungsländern. 3.1.2. Die Schlüsselrolle des UNDP in der operativen Entwicklungspolitik der UN Für die Entwicklungspolitik der Vereinten Nationen spielt das UNDP16, das in Deutschland und anderen Ländern erst mit dem seit 1990 jährlich erscheinenden Human Development Report17 größere Aufmerksamkeit erzielen konnte, eine Schlüsselrolle. Ihm wurden bei seiner Gründung übergreifende Funktionen zugewiesen: Es ist das zentrale Finanzierungs-, Koordinierungs- und Steuerungsgremium für die operativen entwicklungspolitischen Aufgaben der UN. In der bisherigen Geschichte des UNDP ist es ihm allerdings noch nie gelungen, diese Aufgaben in einem ausreichenden Ausmaß zu erfüllen. Das UNDP galt vielmehr in der Vergangenheit als schwache entwicklungspolitische Einrichtung, was nicht nur, aber auch mit einer geringen Mittelausstattung von inzwischen jährlich deutlich weniger als 1 Mrd. USDollar zu tun hat. Diese Summe bezieht sich allerdings nur auf das reguläre Budget (842 Mill. US-Dollar in 2004). Deutlich höher liegt der Gesamtbetrag der Zahlungen an UNDP, die entweder von den Geberländern zweckgebunden für spezielle Programme oder von den Entwicklungsländern selber für Maßnahmen im eigenen Land beigesteuert werden. Insgesamt betrug das UNDP-Budget 4,0 Mrd. US-Dollar in 2004.' 8 Insbesondere die großen Geberländer betonten seine niedrigen Leistungsstandards, unbefriedigenden Ergebnisse und mangelhaften Rechenschaftsstrukturen. 16 Vgl. Stephan Klingebiel, U N D P - Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 544-550. 17 Vgl. Stephan Klingebiel, Human Development Reports, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 227-232. 18 United Nations - Executive Board of the UN Development Programme and o f the U N Population Fund, Annual review o f the financial situation, 2004. Report o f the Administrator, 2 August 2005, U N Doc. DP/2005/33, S. 3.

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In den letzten Jahren hat sich jedoch die Beurteilung von UNDP durch zahlreiche Geber ins Positive gewandelt, da erste Erfolge des Reformprozesses zur Steigerung der Leistungsfähigkeit erkennbar sind. Entwicklungsländerregierungen schätzen demgegenüber die kaum konditionierte Mittelvergabe des UNDP und die - im Vergleich zu anderen entwicklungspolitischen Einrichtungen - großen politischen Mitwirkungsmöglichkeiten. Sie kritisieren jedoch eine unzureichende finanzielle Ausstattung, wodurch das UNDP-Mandat in weiten Teilen nicht umsetzbar sei. Unter der Aufsicht des UNDP werden außerdem eine Reihe weiterer Fonds und Programme verwaltet. Hierzu zählen u. a. • der Entwicklungsfonds für Frauen (United Nations Development Fund for Women - UNIFEM), • der Kapitalentwicklungsfonds (United Nations Capital Development Fund - UNCDF) und • das Freiwilligenprogramm (United Nations Volunteers - UNV). Das UNDP - und in ähnlicher Form auch andere UN-Einrichtungen haben sich seit Mitte der 1990er Jahre weitreichenden und ehrgeizigen Reformprogrammen unterzogen. Diese sollen sowohl die internen Strukturen (u. a. durch Personalabbau, neue Managementinstrumente) verbessern als auch das inhaltliche Profil stärker eingrenzen. Fokussierte Handlungsfelder des UNDP, die eine gewisse Konzentration erzielen sollen, sind nun (i) demokratische Staats- und Regierungsführung, (ii) Armutsbekämpfung, (iii) Krisenprävention und Wiederaufbau, (iv) Energie und Umwelt, (v) HIV/AIDS. 3.1.3. Die fachlichen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen Dies sind in erster Linie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organization - FAO), die ILO, die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization - UNESCO) sowie die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization - WHO). Im Rahmen der jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkte sind die fachlichen Sonderorganisationen vor allem auf drei Ebenen tätig: Erstens wirken sie wesentlich bei der Entstehung und Weiterentwicklung von Normen und Standards mit. Die ILO ist beispielsweise mit Fragen der Arbeitsnormen wie Entlohnung, Kinderarbeit und Arbeitszeiten befaßt. Zweitens planen und implementieren die Sonderorganisationen entwicklungspolitische Maßnahmen im Rahmen ihrer Arbeitsschwerpunkte. Drittens sind sie auf den Gebieten Forschung, Information und Dokumentation tätig. Viele der regelmäßig erscheinenden Fachstatistiken und internationalen Berichte werden von den Sonderorganisationen erarbeitet. 3.1.4. Die Weltbank (-gruppe) und der IMF Sie gehören ebenfalls der Gruppe der UN-Sonderorganisationen an und erbringen teilweise ODA-Leistungen. Fast alle Staaten der Erde sind Mitglieder der Weltbank (184 Staaten) und des Internationalen Währungs-

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fonds IMF (184 Staaten). Nicht zuletzt aufgrund der - im Gegensatz zu den Verfahren bei den UN - nach der jeweiligen Kapitaleinlage gewichteten Stimmrechtsverteilung, die bei Entscheidungen zu Mehrheiten der Industrieländer fuhrt, werden die Bretton-Woods-Institutionen häufig als Einrichtungen des „Nordens" wahrgenommen. 3.1.4.1. Weltbank/Weltbankgruppe Die Weltbank besteht aus der International Bank for Reconstruction and Development (IBRD) und der International Development Association (IDA). Von der Weltbankgruppe wird gesprochen, wenn außerdem die Internationale Finanz-Corporation (International Finance Corporation IFC), die Multilaterale Investitionsgarantie-Agentur (Multilateral Investment Guarantee Agency - MIGA) und das Internationale Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) gemeint sind.19 Ziel aller Institutionen der Weltbankgruppe ist die Beseitigung von Armut durch die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Mitgliedstaaten. Hierfür werden Kredite bereitgestellt sowie Beratungs- und Katalysatorleistungen im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Förderung des privaten Sektors und von Direktinvestitionen angeboten. Eine zentrale Funktion für die Entwicklungspolitik besitzen insbesondere die IBRD und die IDA. Dabei spielen nicht nur die - bei der IDA sehr günstigen - Finanzhilfen eine wichtige Rolle. Ein erhebliches Gewicht für die Entwicklungspolitiken in den kreditnehmenden Ländern haben vor allem die daran geknüpften Bedingungen im Rahmen von Strukturanpassungs- und Armutsreduzierungsprogrammen. Außerdem ist die Weltbank bei der Koordinierung der ODA und der internationalen entwicklungspolitischen Diskussion von herausragender Bedeutung. Nichtstaatliche Organisationen (Non-Governmental Organisation - NGOs) konnten in den vergangenen Jahren dazu beitragen, daß sich die Weltbank verstärkt den Themen Armut, Umwelt und Governance (einschließlich Korruption) zugewandt hat. 3.1.4.2. Internationaler Währungsfonds Der Internationale Währungsfonds (International Monetary Fund - IMF) hat vorrangig währungspolitische Aufgaben. 20 In diesem Rahmen soll er u. a. die internationale währungspolitische Zusammenarbeit, geordnete Währungsbeziehungen und die Stabilität der Währungen fordern sowie zum Abbau von Zahlungsbilanzungleichgewichten beitragen und ein ausgewogenes Wachstum des Welthandels erleichtern. Eine entwicklungspolitische Bedeutung hat der IMF in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Zusammenhang mit der internationalen Schul19 Vgl. Martina Metzger, Weltbank/-gruppe, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 627-633; vgl. auch Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Weltbankgruppe, www.bmz.de/de/wege/multilaterale. ez/akteure/weltbank/i ndex. htm 1 20 Vgl. Martina Metzger, IWF - Internationaler Währungsfonds, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 295-300.

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denpolitik erhalten. Zahlreiche Entwicklungsländer mußten aufgrund hoher Auslandsschulden die Zahlungsbilanzhilfen des IMF stärker in Anspruch nehmen. Die Zahlungsbilanzhilfen des IMF setzen wirtschaftspolitische Stabilisierungsprogramme durch die jeweiligen Länder voraus. Die Bedingungen für normale Zahlungsbilanzhilfen haben sich insbesondere für die ärmeren Mitgliedstaaten als zu hart erwiesen. Der Fonds hat deshalb eine sog. Sonderfazilität zur Strukturanpassung ärmerer Länder (Poverty Reduction and Growth Facility - PRGF) eingerichtet, die einen relativ hohen Vergünstigungsgrad beinhaltet und teilweise als ODA anerkannt wird. Sowohl die PRGF als auch die Aktivitäten der Weltbankgruppe wurden seit Ende der 1990er Jahre wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Armutsreduzierung angepaßt. Ein wichtiger Ausdruck dieser Neuorientierung sind auch die Armutsstrategiepapiere (Poverty Reduction Strategy Papers) ärmerer Entwicklungsländer, die durch die IDA und den IMF unterstützt werden. 3.2. Nicht-operative Entwicklungspolitik Bei den nicht-operativen Aufgaben handelt es sich um beratende, normative und standardsetzende Funktionen, die beispielsweise im Zusammenhang mit Diskussionen über entwicklungspolitische Ziele und Strategien wichtig sein können. 3.2.1. Die politischen Foren für die multilaterale Entwicklungspolitik Diese Aufgaben von politischen Foren erfüllen vorrangig die Generalversammlung sowie der Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council- ECOSOC). Weitere UN-Einrichtungen (z. B. United Nations Conference on Trade and Development - UNCTAD) und UN-Sonderorganisationen sind ebenfalls teilweise oder gänzlich hiermit befaßt. Die Debatte über die „Agenda für Entwicklung" und die Weltkonferenzen in den 1990er Jahren sind Beispiele für nicht-operative Tätigkeiten. Zu Beginn des neuen Jahrzehnts standen als herausragende Ereignisse etwa die Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder (Brüssel, Mai 2001), die Konferenz über Entwicklungsfinanzierung (Monterrey, März 2002) sowie die Konferenz „Rio+10" (Johannesburg, September 2002) auf der Agenda. Der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) ist das fachlich zuständige Hauptorgan der Vereinten Nationen für Entwicklungspolitik.21 Das Gremium setzt sich aus 54 Mitgliedstaaten zusammen und ist der Generalversammlung untergeordnet; das heißt, es kann keine substantiellen Beschlüsse fassen. Dem ECOSOC sind eine Vielzahl von entwicklungspolitisch relevanten Fachkommissionen beigeordnet, beispielsweise die Kommission für nachhaltige Entwicklung (Commission on Sustainable Development - CSD)22, sowie zusätzlich relativ autonom handelnde Regi21

Wolfgang Spröte, Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 662-665. 22 Jürgen Maier, C S D - Kommission für Nachhaltige Entwicklung, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 44-46.

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onalkommissionen, d. h. regionale Wirtschaftskommissionen 23 für die fünf Erdteile. Nach der Charta soll der ECOSOC als zentrale Koordinationsinstanz für den Wirtschafts- und Sozialbereich im umfassenden Sinn, also auch für Umwelt und Entwicklung, zuständig sein.24 Diesen Anspruch kann er nicht einlösen, unter anderem deshalb, weil die Fonds und Programme der UN formal der Generalversammlung unterstellt sind, während die autonomen Sonderorganisationen die Autorität des Rats nicht wirklich anerkennen. In den letzten Jahren sind dennoch kleine Fortschritte bei der besseren Ausfüllung der Koordinierungsaufgabe durch den ECOSOC zu verzeichnen. Die neuen Herausforderungen der Globalisierung haben den Graben zwischen den UN und den Bretton-Woods-Organisationen verkleinert. 25 Ein Anzeichen dafür sind der „Monterrey-Dialog", der nach der UNKonferenz über Entwicklungsfinanzierung in Monterrey (2003) die wichtigsten multilateralen Institutionen alle zwei Jahre im Rahmen der UNGeneralversammlung zusammen bringt 26 , sowie die 1998 eingeführten „Frühlingsgespräche" des ECOSOC mit Weltbank, IMF und WTO (World Trade Organization), die der strategischen Abstimmung dienen sollen, bisher aber eher als unverbindlicher Meinungsaustausch zu verstehen sind. 27 Eine besondere Bedeutung für die Außenbeziehungen der UN hat der ECOSOC durch die Akkreditierungsfunktion für zivilgesellschaftliche Akteure, vor allem NGOs. 28 3.2.2. Die Rolle von UN-Generalsekretär Kofi Annan Unter seinem Generalsekretär Kofi Annan, dessen zweite und letzte Amtsperiode Ende 2006 ausläuft, hat das UN-Sekretariat erheblich an entwicklungspolitischem Profil gewonnen. Eine zentrale Botschaft des Generalse-

kretärs ist die Verknüpfung der globalen Diskurse zu Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechten. Damit schlägt er die Brücke zwischen der Risikowahrnehmung in den Industrieländern, die Terrorismus und Massenvernichtungswaffen am meisten fürchten, und Gefahren wie Armut, Hunger, Umweltzerstörung und Infektionskrankheiten, denen jedes Jahr Millionen von Menschen in den armen Weltregionen zum Opfer fallen. 29

23

Vgl. Peter Tobias Stoll, Wirtschaftskommissionen, regionale, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 665-667. 24 Art. 62 UN-Charta. 25 Vgl. John Gerard Ruggie, The United Nations and Globalization: Patterns and Limits of Institutional Adaptation, in: Global Governance 9 (2003), S. 301-321. 26 Vgl. U N Department of Economic and Social Affairs, Follow-Up Process to the International Conference on Financing for Development, www.un.org/esa/ffd. 27 Vgl. z. B. U N Press Release ECOSOC/6001 vom 22.4.2002. 28 Vgl. Peter M. Schulze, Nichtstaatliche Organisationen, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 3), S. 397-405; vgl. auch den Beitrag von Thomas Fitschen über die Vereinten Nationen und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) in diesem Buch. 29 Vgl. Kofi Annan, In a Unipolar World: Defining a N e w Role for the United Nations, in: International Herald Tribune, 4.12.2003.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

Die Durchführung des Millenniumsgipfels (2000) und dessen dynamischer Folgeprozeß ist wesentlich als Kofi Annans Verdienst zu werten. Durch eine systematische Berichterstattung an die Generalversammlung hält er das Thema permanent auf der Tagesordnung. Die maßgebliche Beschlußvorlage für den Millennium+5Gipfel im September 2005 hatte Kofi Annan wenige Monate zuvor unter dem Titel „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle" vorgelegt.30 Der weltweit mit Spannung erwartete Bericht verknüpft die zentralen globalen Politikprozesse mit dem umfangreichsten Reformprogramm in der Geschichte der UN. In vielen Punkten greift Annan dabei auf zwei in seinem Auftrag erstellte Berichte zu kollektiven Sicherheitsstrukturen (Bericht der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel31) und zur Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele (Bericht des Millenniums-Projekts der Vereinten Nationen, der sog. „Sachs-Bericht"32) zurück. Einen eigenständigen Akzent setzt er bei der Förderung der Menschenrechte - ein Aspekt, der in den bisherigen Debatten zuwenig Beachtung fand. Mit begrenztem Erfolg hat sich Kofi Annan für die stärkere Integration zivilgesellschaftlicher Akteure in die UN eingesetzt, allerdings gibt es in den Reihen der Mitgliedstaaten starke Vorbehalte gegen diese Öffnung. Im Juni 2005 wurde erstmals eine formelle NGO-Anhörung durch die Generalversammlung durchgeführt, auf der Hunderte von Stellungnahmen zum bevorstehenden Millennium+5-Gipfel abgegeben wurden.33 Auf seine Initiative geht auch der Global Compact zurück, der private Wirtschaftsunternehmen für Entwicklungs-, Menschenrechts- und Umweltziele gewinnen will.34 Weitere Politiknetzwerke wie der Globale Fonds gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria werden vom ihm gefördert. An diesem Beispiel läßt sich exemplarisch die von zivilgesellschaftlichen Stimmen geäußerte Kritik verdeutlichen, der Generalsekretär ginge zu weit in der Einbeziehung von Wirtschaftsvertretern.35 Da der Globale Fonds außerhalb der UN-Strukturen angesiedelt ist und einzelnen Unternehmen sowie Privatstiftungen Mitbestimmungsrechte zugesteht, werden Rückschritte für Partizipation und Transparenz im transnationalen Raum befürchtet. Diese Sorge überzeichnet die möglichen Risiken, da der Generalsekretär die Einbeziehung des Wirtschaftssektors bisher auf solche 30

Vereinte Nationen - Generalversammlung, In größerer Freiheit (Fn. 12). Hochrangige Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel, Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung, UN Doc. A/59/565 (dt. Fassung), 2004; www.dgvn.de/pdf/High_Panel_Report_deutsch.pdf. 32 United Nations Millennium Project, Investing in Development: A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals. London: Earthscan 2005; www. unm i 11 enn iumproj ect. org 33 Vgl. United Nations - General Assembly, Informal interactive hearings of the General Assembly with representatives of non-governmental organizations, civil society organizations and the private sector. Note by the President of the General Assembly, 2.9.2005, UN Doc. A/60/331. 34 Vgl. www.unglobalcompact.org. 35 Vgl. Jens Martens, The Future of Multilateralism after Monterrey and Johannesburg (Dialogue on Globalization. - Occasional Papers No. 10), Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2003. 31

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Handlungsfelder begrenzt hat, wo die Verwirklichung der UN-Ziele durch die Mitwirkung von Unternehmen unterstützt wird. 3.3. Globale Zielvereinbarungen: Die Millenniumserklärung und die Millenniums-Entwicklungsziele Ein entwicklungspolitischer Meilenstein der Generalversammlung ist der Millenniumsgipfel vom September 2000, auf dem 189 Regierungen, fast alle vertreten durch Staats- und Regierungschefs, ein globales Zielsystem zur Armutsüberwindung verabschiedet haben. Aufbauend auf den Weltkonferenzen der 1990er Jahre orientiert sich die sog. Millenniumserklärung (ME) am Leitbild global nachhaltiger Entwicklung. 36 Die ME setzt sich in umfassender Weise mit den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auseinander. Das sogenannte „Entwicklungskapitel " faßt inhaltlich die Ergebnisse der UN-Konferenzen der 1990erJahre zusammen. Für die Entwicklungspolitik der Vereinten Nationen, aber auch die Politiken und Aktivitäten anderer bi- und multilateraler Geber hat die „Übersetzung" des Entwicklungskapitels in die so genannten Millenniums-Entwicklungsziele (Millenium Development Goals - MDGs) erhebliches politisches Gewicht bekommen. Damit verbunden ist das konkrete Ziel, bis 2015 den Anteil der Weltbevölkerung, der von weniger als einem USDollar am Tag leben muß, sowie die Zahl der an Hunger leidenden Menschen zu halbieren. Die von Kofi Annan vorgenommene Identifizierung der MDGs ist insofern ein erheblicher Fortschritt, weil dadurch in der internationalen Gebergemeinschaft eine weitgehende Einigkeit über die anzustrebenden Entwicklungsziele erreicht werden konnte. Die UN haben damit einen wichtigen Erfolg als entwicklungspolitisches Forum erzielt, weil sie in maßgeblicher Weise zur Konsensbildung beitragen konnten. Die Frage der weiteren Operatonalisierung und konkret umsetzbare Ansätze und Erfolgsindikatoren der MDGs wird darüber hinaus in absehbarer Zukunft ein wichtiges Thema auf der internationalen Agenda bleiben. Für das UNDP und andere Geber sind die MDGs erklärtermaßen der verbindliche Zielrahmen. In Kofi Annans Auftrag hat ein Team von über 250 Wissenschaftler/innen unter Leitung des renommierten Entwicklungsökonomen Jeffrey Sachs einen Umsetzungsplan zur Erreichung der MDGs erarbeitet, den sog. „Sachs-Bericht" 37 , und im Januar 2005 dem Generalsekretär übergeben. Die darin formulierten Empfehlungen umfassen eine massive Steigerung der Entwicklungsleistungen (ODA) auf 195 Mrd. USDollar jährlich bis 2015 gegenüber 79 Mrd. US-Dollar im Jahr 2004. Weitere Vorschläge des Millenniumsprojekts, die international durchaus umstritten sind, zielen ab auf rasch wirksamen Maßnahmen („quick wins") wie die flächendeckende, kostenlose Versorgung in Grundbildung und Basisgesundheitsdiensten, Schulspeisung aus lokaler Produktion, Netze 36

Vgl. Thomas Fues/Brigitte Hamm (Hrsg.), Weltkonferenzen der 1990er Jahre. Baustellen für Global Governance, Bonn 2001. 37 S. Fn. 32.

230

Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

und Medikamente zur Malariabekämpfung sowie eine „grüne" Revolution für Afrika. Im September 2005 hat sich die 60. Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Umsetzung der Millenniumserklärung befaßt und dabei die gesamten Folgeprozesse der zurückliegenden Weltkonferenzen unter die Lupe genommen. Ein weiteres wichtiges Thema der mit 154 Regierungschefs und Staatsoberhäuptern bisher größten Weltversammlung waren die institutionellen Reformen in den Vereinten Nationen. Die hochgespannten Erwartungen hat der Millennium+5-Gipfel sicher nicht erfüllt. Gemessen am ambitionierten Reformprogramm von UN-Generalsekretär Kofi Annan kann das Treffen kaum als weltpolitischer Durchbruch bezeichnet werden. Aber immerhin haben sich die 191 Mitgliedstaaten nach heftigen Auseinandersetzungen zusammengerauft und ein mögliches Scheitern abgewendet. Das Abschlußdokument enthält bemerkenswerte Passagen zur Institutionalisierung der Friedenssicherung und zur Erweiterung staatlicher Souveränität um die Dimension der menschlichen Sicherheit („Verantwortung zum Schutz").38 Auch die entwicklungspolitische Substanz, u. a. im Hinblick auf MDGs, Entwicklungsleistungen, Entschuldung und Reform des UN-Entwicklungssystems, ist ermutigend. Bei anderen Themen, etwa Menschenrechte und Ökologie, bleiben viele Fragen offen; zu Handel, globaler Wirtschaftspolitik, Abrüstung und Massenvernichtungswaffen haben die Staaten keine Beschlüsse gefaßt. Auch von den vorgesehenen institutionellen Reformen für den Sicherheitsrat und die Generalversammlung ist kaum etwas übrig geblieben. Bescheidene Fortschritte deuten sich beim ECOSOC an, dem der Gipfel die Verantwortung zur jährlichen Überprüfung der MDG-Umsetzungserfolge auf Ministerebene zugewiesen hat. Außerdem soll der ECOSOC im zweijährigen Rhythmus hochrangige Foren für Entwicklungspolitik durchfuhren, auf denen alle relevanten Akteure ihre Strategien darstellen und aufeinander abstimmen sollen. Die neue Aufgabe könnte das entwicklungspolitische Gewicht der UN auf ein neues Niveau heben und die bisherige Dominanz des OECD-Entwicklungsausschusses, in dem sich die Geberländer zusammengeschlossen haben-", relativieren.

38

Vereinte Nationen - Generalversammlung, Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005, UN Doc. A/60/L.1, 15.9.2005. 39 Vgl. dazu United Nations - General Assembly, Follow-up and implementation of the outcome of the International Conference on Financing for Development. Report of the Secretary-General, 7 September 2005, UN Doc. A/60/289, Ziff. 9ff.

Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen

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Die Millenniums-Entwicklungsziele

MDG 1: Beseitigung von extremer Armut und Hunger MDG 2: Verwirklichung allgemeiner Primarschulbildung MDG 3: Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen MDG 4: Reduzierung der Kindersterblichkeit MDG 5: Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Müttern MDG 6: Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten MDG 7: Ökologische Nachhaltigkeit MDG 8: Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft

4. Strukturprobleme der UN-Entwicklungszusammenarbeit Eine Einschätzung der Handlungsfähigkeit bzw. Handlungsunfähigkeit der UN-Entwicklungszusammenarbeit ist schwierig. Ob ein bestimmtes Merkmal eine Stärke oder Schwäche der UN darstellt, hängt oftmals entscheidend von der Perspektive ab.40 So wird die geringe Konditionierung der UN-Entwicklungszusammenarbeit von den Programmländern eindeutig positiv bewertet, („die Verantwortung der jeweiligen Länder für die Maßnahmen wird gestärkt"), während die Hauptbeitragsländer dem häufig ablehnend gegenüberstehen („geringe entwicklungspolitische Ausrichtung"). Aus entwicklungspolitischer Sicht lassen sich dennoch relativ klar erkennbare Problembereiche identifizieren: • einige UN-Fonds und -Programme haben ein undeutliches inhaltliches Profil (z.B. UNDP ohne spezifische inhaltliche Aufgabenstellung); 40

Vgl. Stephan Klingebiel, Leistungsfähigkeit und Reform des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Köln 1998; Stephan Klingebiel, Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, U N Basis Informationen, Berlin 2002.

232

Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen



die institutionelle Fragmentierung der UN-Entwicklungszusammenarbeit, wodurch sowohl Aufgabenzersplitterungen als auch Doppelarbeit entstehen; • eine mangelhafte politische Steuerung und Koordinierung innerhalb der UN (insbesondere bezogen auf die Generalversammlung, den Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), das UN-Sekretariat und die Exekutivräte der Fonds und Programme) sowie unzureichende Koordinierungsmechanismen zwischen den UN und den UN-Sonderorganisationen; • eine mangelhafte Qualität und ein unzureichendes Kostenbewußtsein (z.B. aufgrund fehlender inhaltlicher Konzentrationsbemühungen, schlecht abgestimmter Länderprogramme, mangelhafter „Vor-Ort"-Koordinierung der UN-Stellen, unzureichender Evaluierungsstandards); • eine ungenügende und unsichere finanzielle Ausstattung der UN-Fonds und -Programme. Die Konzentration der UN-Entwicklungspolitik auf die Technische Zusammenarbeit könnte in absehbarer Zukunft zu einem wichtigeren Thema werden. Die internationale entwicklungspolitische Debatte wird zunehmend von einer Tendenz geprägt, die der Finanzierung von „sinnvollen" Politiken der Partnerländer durch Finanzierungsbeiträge zu Sektorprogrammen und durch Budgethilfen einen immer größeren Stellenwert einräumen.41 Das heißt, Geber fordern deutlich weniger einzelne Projekte und führen diese durch, sondern unterstützen eine mit den Partnern vereinbarte Politik (insbesondere zur Armutsbekämpfimg in Form von PRSPAnsätzen u. ä.). Die vermuteten Vorteile von solchen Programmfinanzierungen sind in geeigneten Länderfällen groß (größere Eigenverantwortung der jeweiligen Partnerländer, Vermeidung von unterschiedlichen Politikansätzen, Verringerung von hohen Verwaltungsausgaben für die Vielzahl unterschiedlicher Geberverfahren, Stärkung des Know-how in den jeweiligen Ländern etc.). Sie basieren allerdings vorrangig darauf, daß Geber Finanzierungsbeiträge leisten, die im multilateralen Rahmen bislang vorrangig von der Weltbank, den regionalen Entwicklungsbanken und der Europäischen Union stammen. Technische Zusammenarbeit kann in diesem Rahmen zwar ebenfalls eine Rolle spielen (etwa im Hinblick auf Anstrengungen zur Verbesserung des Budgetmanagements), dürfte aber in direkter Kombination mit Finanzierungsbeiträgen wirkungsvoller sein. Insofern gewinnt die Frage, ob es eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Technischer und Finanzieller Zusammenarbeit auf multilateraler Ebene geben soll, in Zukunft eine wachsende Bedeutung.

41

Siehe zu dieser Debatte z.B.: OECD (Hrsg.), Development Co-operation, Report 2003, Paris 2004, S. 26f. und Stephan Klingebiel, Der internationale Diskussionsstand über Programmorientierung: Schlußfolgerungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 2003.

Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen

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4.1. Die Finanzierungsprobleme der UN-Entwicklungszusammenarbeit Die Finanzierungsschwierigkeiten der UN-Fonds und -Programme haben kaum etwas mit den allgemeinen UN-Haushaltsproblemen zu tun. Die UN-Entwicklungszusammenarbeit wird fast ausschließlich durch freiwillige Beiträge und nicht durch den regulären Haushalt mit seinen festgelegten Pflichtbeiträgen getragen. Gegen dieses System wurden zu Recht vielfach prinzipielle Einwände vorgebracht: Das Problem besteht darin, daß die Beiträge aufgrund ihrer jährlichen Zusagebasis und Freiwilligkeit keine verläßliche Finanzierungsgrundlage bieten. Die Planbarkeit und Kontinuität der Finanzierung ist dadurch erheblich beeinträchtigt. Überproportional stark sind kleinere Geberländer - wie etwa Dänemark, Norwegen - an der Finanzierung der UN-Entwicklungspolitik beteiligt.42 Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Kleinere Länder besitzen einerseits ein vergleichsweise größeres prinzipielles Interesse an der Stärkung multilateraler Mechanismen und können durch relativ hohe freiwillige Beiträge in diesem Bereich auch einen spürbareren Einfluß nehmen. Andererseits haben gerade kleinere Geberländer vielfach selbst nur eingeschränkte Durchführungskapazitäten, so daß sie darauf angewiesen sind, auf die operativen Kapazitäten multilateraler Einrichtungen zurückzugreifen. Für die meisten UN-Fonds und -Programme ist eine Stagnation, oftmals sogar ein langfristiger Rückgang der Finanzmittel feststellen. Eine solche Tendenz ist z.B. bei der Ausstattung des UNDP zu erkennen, wo 1991 noch 1.022 Mill. US-Dollar, dagegen 2003 nur 769 Mill. US-Dollar für das Hauptprogramm verfugbar waren. Einige wichtige Beitragsländer - insbesondere auch Deutschland - haben deutliche Kürzungssignale gesetzt. Andere Beitragsländer (etwa Dänemark) knüpfen in Form von sogenannten Treuhandfonds detaillierte Bedingungen an die Finanzierung einzelner Maßnahmen - hier sind vielfach Bilateralisierungstendenzen erkennbar, die die Vorzüge der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit ad absurdum führen.

42

Vgl. Tony Addisson/Mark McGillivary/Mattew Odedokun, Donor Funding of Multilateral Aid Agencies, WIDER Discussion Paper 2003/17, Helsinki 2003.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

Der multilaterale Anteil in der deutschen Entwicklungspolitik

Der Bundestags-Haushaltsausschuß hat bestimmt, daß die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit (einschließlich der Zuwendungen an den Europäischen Entwicklungsfonds) ein Drittel des BMZ-Haushalts nicht überschreiten darf. Hintergrund dieser Regelung ist die Einstellung, daß bilaterale entwicklungspolitische Maßnahmen besser zu steuern sind als solche von internationalen Stellen. Daneben besteht bei den bilateralen Durchführungsorganisationen, beispielsweise Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), ein Auftragsinteresse. Auch die einheimische Wirtschaft verspricht sich einen besseren Zugang zu Aufträgen, wenn diese nicht über multilaterale Kanäle abfließen. Aktuell wird die Vergabe des Haushaltsausschusses leicht überschritten. Verantwortlich dafür sind der globale Aids-Fonds und der schnellere Abfluß der Mittel für den Europäischen Entwicklungsfonds.

Deutsche Nettoauszahlungen an Entwicklungsländer, in % bzw. in Mill. €

Bilateraler Anteil Anteil UN-System Gesamtsumme (Mill. €)

1980

1990

1995

2000

2003*

65,1%

70,9%

64,0%

53,4%

60,2%

4,5%

4,5%

4,1%

7,7%

4,5%

3.311

5.222

5.516

5.458

5.925

* vorläufige Angaben Daten entnommen aus: BMZ (Hrsg.), Medienhandbuch Entwicklungspolitik 2004/2005, Berlin 2004, S. 378; DAC Aid Statistics (www.oecd.org/DAC).

Die Tabelle macht deutlich, daß die Vorgaben des Haushaltsausschusses, die für den Haushalt des Bundesministeriums fiir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gelten, auch hinsichtlich der gesamten deutschen ODA, die zusätzliche Leistungen erfaßt, näherungsweise erfiillt werden. Seit 1990 ist jedoch ein Rückgang des bilateralen Anteils von rund 71 % auf 6 0 % im Jahr 2003 zu verzeichnen. Der außergewöhnlich niedrige Wert im Jahr 2000 mit 53 % ist den Wechselkursschwankungen zu verdanken. Zu diesem Zeitpunkt hatte die DM erheblich an Wert verloren. Die Zahlungen an internationale Institutionen erfolgen in der Regel in Fremdwährung (meist US-Dollars). Um den vertraglichen Verpflichtungen in Zeiten einer schwachen Eigenwährung nachzukommen, muß deshalb - bei einem insgesamt begrenzten Budget - der bilaterale Anteil reduziert werden. Ohne diesen Sonderfaktor bewegen sich die Zuwendungen für die Vereinten Nationen - bezogen auf die gesamte deutsche ODA - seit Jahrzehnten auf einem bemerkenswert stabilen Niveau von rund 4,5 %.

Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen

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5. Stärken der UN-Entwicklungspolitik Trotz der berechtigten Kritik an der UN-Entwicklungspolitik sind zwei Einschränkungen wichtig: Erstens sind viele Schwächen kein „UN-Monopol"; auch aus der bilateralen Entwicklungs-Kooperation sind in vielen Bereichen vergleichbare Defizite bekannt (etwa kaum vorhandene inhaltliche Profile und unzureichende Evaluierungsstandards). Zweitens können die UN durchaus auf Stärken und Potentiale verweisen, die auf ihr spezifisches Profil als Weltorganisation zurückzuführen sind: • die wirtschaftlichen und politischen Eigeninteressen einzelner Geberländer (z.B. Lieferbindung), die die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit oftmals überlagern, sind vergleichsweise gering-, • die nahezu erreichte Universalität der UN erleichtert es, auf globale Herausforderungen zu reagieren (Stichwort: global governance); eine wichtige Voraussetzung ist in diesem Zusammenhang das sehr engmaschige UN-/UNDP-Ländervertretungsnetz, das eine enge Kooperation mit den lokalen Partnern (Regierungsstellen, aber auch zivilgesellschaftlichen Gruppen) erlaubt; • die im Rahmen der UN vereinbarten Normen und Regeln (etwa im Bereich der Menschenrechte) legitimieren die UN in besonderer Weise, in politisch sensiblen Bereichen tätig zu werden (etwa good governance und Demokratisierung); • von den Entwicklungsländern werden UN-Maßnahmen besonders geschätzt, da die Einflußmöglichkeiten der betroffenen Programmländer auf die Länderprogramme und einzelne Projekte relativ groß sind; ownership als unverzichtbare entwicklungspolitische Erfolgsbedingung ist daher besonders ausgeprägt. 6. Reformdebatte Mit den Vereinten Nationen ist untrennbar eine Debatte über ihre „Reform" verbunden. Nach dem Ende der Supermacht-Rivalität Anfang der 1990er Jahre und dem Amtsantritt von Generalsekretär Kofi Annan sind im entwicklungspolitischen Bereich bereits deutliche Verbesserungen unabhängig vom allgemeinen UN-Image - zu verzeichnen. Das General Accounting Office, eine Untersuchungsbehörde des US-amerikanischen Kongresses, bestätigt, daß 60 % der 88 Reforminitiativen aus dem Jahr 1997 und 38 % der 66 Initiativen von 2002 verwirklicht worden sind.43 Weitergehende Reformvorhaben, die die Kompetenz des UN-Generalsekretärs überschreiten, finden hingegen bei den Mitgliedstaaten keinen ausreichenden Konsens. Mit dem Irak-Krieg 2003 hat sich der Referenzrahmen der Reformdebatte grundlegend gewandelt 44 . Kofi Annan hat seine Strategie der „stillen 43

Vgl. US General Accounting Office, United Nations: Reforms Progressing, but Comprehensive Assessments Needed to Measure Impact, February 2004; GAO-04-339, vAvw.gao.gov/new.items/d04339.pdf. 44 Vgl. Sarah Gillinson, U N Reform: 1997-2003, Overseas Development Institute, London 2003, www.globalpolicy.org/reform/ initiatives/annan/2003/1103reform.pdf.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

Revolution" durch die Forderung nach radikalen Innovationen ersetzt.45 Er befurchtet eine dauerhafte Marginalisierung der Weltorganisation, wenn es nicht gelingt, die institutionellen Voraussetzungen für kollektive Handlungsfähigkeit angesichts globaler Krisen herzustellen. 6.1. Reformkonzepte für den Wirtschafts- und Sozialbereich Die zahllosen Reformmodelle der letzten Jahrzehnte im Wirtschafts- und Sozialbereich, die einen Autoritätszuwachs der UN und eine Verschlankung ihrer Strukturen anstreben, lassen sich an Hand der Eingriffstiefe unterscheiden: • Schaffung neuer Hauptorgane, • Umstrukturierung bestehender Hauptorgane, • Änderungen bei den Durchfuhrungsorganisationen. Für jedes Szenarium stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die Finanzbasis der UN durch Ausweitung und Verstetigung der Mitgliedszahlungen sowie durch eigene Quellen gestärkt werden kann. 6.1.1. Neue Koordinationsgremien Schon seit Mitte der 1980er Jahre steht im Mittelpunkt institutioneller Reformkonzepte der Ruf nach einem repräsentativ zusammengesetzten Rat für wirtschaftliche Sicherheit (Global Council), der als neues UN-Hauptorgan globale Koordinations- und Steuerungsaufgaben übernehmen soll.46 Variationen dieses Modells erweitern die Zuständigkeit auf soziale und ökologische Aufgaben. Unterstützung hat der Ansatz durch die Commission on Global Governance47 sowie durch das im Dezember 2000 im Vorfeld der MonterreyKonferenz 2001 durch Kofi Annan einberufene High-Level Panel on Financing for Development 48 , die sog. „Zedillo-Kommission", erfahren. Auch das Europäische Parlament49, die Europäische Kommission 50 und

45

Vgl. Kofi Annan, Address to the UN General Assembly, 58th Session, 7th Plenary Meeting, 23.9.2003, UN Doc. A/58/PV.7, S. 3. Vgl. Jens Martens, The Future of Multilateralism after Monterrey and Johannesburg. Dialogue on Globalization (Friedrich-Ebert-Stiftung - Occasional Papers No. 10), Berlin 2003. 47 Vgl. The Commission on Global Governance, Our Global Neighbourhood. Report, Cambridge 1995. 48 Vgl. United Nations, Report of the High-Level Panel on Financing for Development, New York 2001, www.un.org/reports/financing/full_report.pdf. 49 Vgl. Europäisches Parlament, Ausschuß fur auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik, Bericht über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Nationen. EP-Dok. A5-0480/2003 endgültige Version, 16.12.2003, www2.europarl.eu.int/registre/seance_pleniere/textes_deposes/rapports/2003/0480/P5_A(2003)0480_DE.pdf. 50 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Europäische Union und die Vereinten Nationen: ein Plädoyer fur den Multilateralismus. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, KOM (2003) 526, 10.9.2003, http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2003/com2003_0526de01.pdf. 46

Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen

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die Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung51 sprechen sich für eine ernsthafte Prüfung dieser Option aus. Zu beachten ist hier, daß Vorschläge zur Schaffung neuer Organe die Gefahr in sich bergen, das bestehende Institutionengefüge und die bereits erfolgreich angelaufenen Reformprozesse zu de-legitimieren.52 Außerdem vergrößert jede Neugründung das Koordinationsproblem. 6.1.2. Stärkung der Generalversammlung und des ECOSOC Während bei neuen Entscheidungsorganen die Änderung der UN-Charta mit Zwei-Drittel-Mehrheit - bei der Ratifizierung einschließlich der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder - erforderlich ist, könnten bestimmte Anregungen zur Stärkung der Generalversammlung bzw. des ECOSOC unterhalb dieser Hürde umgesetzt werden. Dies gilt etwa für den Vorschlag, ein repräsentatives Gremium von Staats- und Regierungschefs im Rahmen der Generalversammlung einzurichten, das zu Beginn der jährlichen Sitzung globale Angelegenheiten von höchster Bedeutung berät und Beschlüsse faßt.53 Ähnlich wie in der G8-Struktur könnte das höchste Koordinationsgremium durch ministerielle Fachausschüsse unterstützt werden. Der Charme dieses Vorgehens liegt darin, das oberste UN-Organ Generalversammlung an die Spitze der Global-Governance-Architektur zu stellen, gleichzeitig aber die Arbeitsfähigkeit der neuen Struktur durch eine Begrenzung von Sitzungsdauer und Mitgliedszahl zu gewährleisten. Als Alternative zum Rat für wirtschaftliche Sicherheit wird von einigen die Aufwertung des ECOSOC vertreten, der nämlich nach der UN-Charta genau diese Steuerungsfunktion wahrnehmen sollte. Der reformierte ECOSOC könnte mit Richtlinienkompetenz sowohl gegenüber den UNOrganisationen im engeren Sinne als auch gegenüber den Bretton-WoodsInstitutionen - perspektivisch sogar gegenüber der WTO - ausgestattet werden. Die Aufhebung des Abhängigkeitsverhältnisses vom ECOSOC zur Generalversammlung - analog zur Autonomie des Sicherheitsrats wäre allerdings mit einer Chartaänderung verbunden. Ergänzend fordern kritische Stimmen, effektive Entscheidungsprozesse des ECOSOC durch die Schaffung eines Exekutivkomitees oder durch Reduzierung der Mitgliedszahl zu erleichtern. Offen bleibt bei allen Gedankenspielen, die den ECOSOC betreffen, ob die Mitgliedstaaten dafür zu motivieren sind, ein untergeordnetes, bisher als machtlos wahrgenommenes Gremium zu einem zentralen Akteur für die Weltordnungspolitik aufzuwerten. 51

Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung, Eine Faire Globalisierung: Chancen fur alle schaffen, Hrsg. International Labour Organization, Genf 2004, www.ilo.org/public/german/standards/relm/ilc/ilc92/pdfrep-wc.pdf. 52 Vgl. Klaus Dicke, Die Leistungsfähigkeit internationaler Organisationen unter besonderer Berücksichtigung der Vereinten Nationen. Gutachten im Auftrag der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft" des Deutschen Bundestages, A U Stud 14/17, Berlin 2001. 53 Vgl. Inge Kaul/Pedro Conceicao/Katell Le Goulven/Ronald U. Mendoza, How to Improve the Provision o f Global Public Goods, in: Inge Kaul et al. (Hrsg.), Providing Global Public Goods. Managing Globalization. N e w York/Oxford 2003, S. 21-58.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

6.1.3. Durchführungsorganisationen und Finanzen Zu den UN-Fonds und Programmen gibt es den Vorschlag, diese in einer einzigen Durchführungsorganisation zu bündeln: UNAID. Die Geber könnten dann in einem zweiten Schritt die Zusammenarbeit aller Sonderorganisationen mit der neuen Agentur erzwingen. Noch weiter geht die Variante, die Weltbank mit UNDP zu verschmelzen.54 Bei solchen Ansätzen stellt sich die Frage, wie die Leistungsfähigkeit bestehender Organisationen, etwa UNICEF oder Weltbank, bei der Fusion erhalten und der Erfolg des Gesamtsystems gesteigert werden können. Eine zentrale Frage für die Reform der Fonds und Programme ist die Stärkung ihrer finanziellen Basis. Ein erster Schritt wäre die Einfuhrung von verbindlichen Mehrjahreszusagen mit Pflichtbeiträgen. In dieselbe Richtung weist die Idee, Zusagen für UN-Einrichtungen zeitlich parallel zu den Auffüllungsverhandlungen für die Weltbank (IDA) zu schalten, um so einen Gesamtrahmen für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen.55 Zur Erschließung innovativer Finanzquellen für das UN-System liegen unterschiedliche Modelle vor, beispielsweise die Einführung von Nutzungsentgelten für globale Gemeinschaftsgüter(Global Public Goods) wie die Ozeane und die Erdatmosphäre.56 Die Erlöse könnten möglicherweise vom UN-Treuhandrat verwaltet werden. Auch die umstrittene Tobin-Steuer auf spekulative Kapitaltransfers oder die Einnahmen aus der Besteuerung von Rüstungsexporten könnten für UN-Zwecke eingesetzt werden. Denkbar ist ferner, daß die geplante International Financing Facility (IFF), die künftige Geberleistungen vorziehen und bündeln will, den UNInstitutionen Mitsprache bei der Mittelvergabe einräumt.57 6.2. UN und Zivilgesellschaft Die Vereinten Nationen sind besonders durch die Herausbildung neuer Akteurskonstellationen berührt, da ihre Gründung von der Vision einer Weltbürgergesellschaft inspiriert wurde. Die Weltorganisation stellt deshalb schon jetzt mehr als die Summe ihrer Mitgliedsstaaten dar. Der latente Widerspruch zwischen intergouvernementalen und transnationalen Zielen mindert die Leistungsfähigkeit des UN-Systems, beispielsweise beim Konflikt zwischen staatlichen Machtinteressen im Sicherheitsrat und dem UN-Mandat zur Wahrung der Menschenrechte.58 Mit diesem strukturellen Spannungsverhältnis hat sich insbesondere eine vom UN-Generalsekretär eingesetzte Kommission unter Vorsitz des früheren brasilia54

Vgl. Andrew Rogerson/Adrian Hewitt/David Waldenburg, The International Aid System 2005-2010: Forces for and against Change (Overseas Development Institute - Working Papers 235), London 2004, www.odi.org.uk/publications/working_papers/wp235.pdf. 55 Vgl. Percy Mistry, The UN Role in Development: Issues of Reform and Funding, 2004, in: www.odi.org.uk/speeches/un2004/fourth_meeting_19May/percy_mistry.pdf. 56 Vgl. WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen), Entgelte für die Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter. Sondergutachten, Berlin 2002, www.wbgu.de/wbgu_sn2002.pdf. 57 Vgl. Andrew Rogerson et. al., The International Aid System (Fn. 54). 58 Vgl. Bruce Cronin, The Two Faces of the United Nations: The Tension Between Intergovernmentalism and Transnationalism, in: Gobal Governance 8 (2002), H.l, S. 53-71.

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nischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso befaßt. Ihr Bericht über die Beziehungen der UN zur Zivilgesellschaft unterstreicht die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels. Durch die verstärkte Integration externer Akteursgruppen (z.B. NGOs, Wirtschaftsunternehmen, Kirchen usw.) sollen die UN dem Demokratiedefizit in der Weltpolitik begegnen und ihre führende Position in der Global-Governance-Architektur festigen. Neuland betritt die Kommission mit ihrer Forderung, Parlamentarier systematisch in die UN-Arbeit einzubeziehen. Noch weiter geht die Anregung von anderer Seite zur Einrichtung eines Weltparlaments als UNOrgan.60 Inhaltlich gilt die Verknüpfung von Sicherheit und Entwicklung als zentrales Element der UN-Reform. Bisher sind die beiden Schwerpunkte institutionell voneinander getrennt und die beteiligten Akteure unerfahren in der Zusammenarbeit. 61 Um diese Kluft zu schließen, schlagen der EUKommissionspräsident José Manuel Barroso und der mosambikanische Präsident, Joaquim Chissano, eine UN-Kommission für Frieden und Entwicklung vor, die vom Sicherheitsrat und vom ECOSOC mandatiert und eng mit diesen Organen zusammenarbeiten würde. 62 Die neue Struktur, für die keine Charta-Änderung erforderlich wäre, würde Länder unterstützen, in denen gewalttätige Konflikte drohen oder bereits ausgebrochen sind. Ein gleichgerichtetes Anliegen verbindet sich mit der Idee eines zivilgesellschaftlich ausgerichteten UN-Gremiums, das weitreichende Kompetenzen für Früherkennung und Gewaltprävention erhalten soll.63 6.3. Koordination und Kohärenz der Entwicklungszusammenarbeit Unter Kofi Annan hat das Sekretariat erfolgreiche Schritte zur Leistungssteigerung unternommen. Zur Stärkung der internen Kohärenz wurden Exekutivausschüsse für vier Schwerpunkte eingerichtet: Frieden/Sicherheit, Humanitäre Angelegenheiten, Wirtschaft/Soziales und Entwicklung. Der letztgenannte Ausschuß unter Vorsitz von UNDP leitet die Entwicklungsgruppe der Vereinten Nationen (UN Development Group - UNDG), die alle in diesem Sektor tätigen Einrichtungen umfaßt. Allgemein wird anerkannt, daß die neuen Abstimmungsstrukturen zur Verbesserung der horizontalen Kommunikation und Koordinierung im UN-System geführt

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United Nations - General Assembly, We the Peoples: Civil Society, the United Nations and Global Governance. Report of the Panel o f Eminent Persons on United Nations - Civil Society Relations, U N Doc. A/58/817, 11.6.2004; vgl. auch Helmut Volger, Mehr Partizipation nicht erwünscht. Der Bericht des Cardoso-Panels über die Reform der Beziehungen zwischen den Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft, in: V N 53 (2005), H. 1, S. 1218. Vgl. auch den Beitrag über die Reform der U N in diesem Buch. 60 Vgl. Armin Laschet, Für einen effizienten Multilateralismus. Gemeinsame Werte von Europäischer Union und Vereinten Nationen, in: V N 52 (2004), H.2, S. 41-45. 61 Vgl. Michèle Griffin, The Helmet and the Hoe (Fn. 9). 62 Vgl. José Manuel Barroso/Joaquim Chissano, A Job for the UN. We Need a N e w Way to Prevent Conflicts. In: International Herald Tribune, 8./9.5.2004. 63 Vgl. Initiative Pro U N C O P A C 2004: Zielsetzung; in: www.pro-uncopac.de.

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Arbeitsgebiete der Vereinten Nationen

haben, auch wenn die Beteiligung der Organisationen unterschiedlich ausfällt und die hohe Teilnehmerzahl oft strategische Prozesse behindert.64 Inzwischen wird die UN-interne Zusammenarbeit in über 50 Partnerländern durch Ansiedlung aller Einrichtungen unter einem Dach, dem sog. UN House, erleichtert.65 Der Repräsentant des UNDP wird in der Regel vom Generalsekretär mit der Koordinierungsfunktion für das gesamte UN-System vor Ort betraut (Resident Coordinator), kann diesen Auftrag aber nur schwer erfüllen, da sich die UN-Agenturen oft seiner Führung entziehen und lieber die Vorgaben der eigenen Zentrale befolgen.66 Einheitliche Länderprogramme (UNDAFs - Development Assistance Frameworks), die - soweit vorhanden - auf die Poverty Reduction Strategy Papers (PRSPs) der Weltbank Bezug nehmen, existieren inzwischen für 86 Länder.67 Mit diesem Steuerungsinstrument sollen die entwicklungspolitischen Aktivitäten der UN-Familie in ein kohärentes Gesamtkonzept eingebettet werden. In der Praxis dominieren jedoch weiterhin isolierte Projektansätze. 7. Schlußfolgerungen: Herausforderungen für die künftige UNEntwicklungspolitik Die Reformen der 1990er Jahre waren für die Handlungsfähigkeit der UNEntwicklungspolitik wichtig und positiv; sie sollten politisch stärker honoriert werden. Sie sind jedoch noch kein Schlußpunkt und keine sichere Grundlage für die Überwindung der Strukturdefizite, weil zusätzliche Reformentscheidungen der UN-Mitgliedstaaten notwendig sind. Tatsächlich gibt es im Bereich der Vereinten Nationen, aber auch im gesamten übrigen entwicklungspolitischen Institutionengefüge keine Beispiele aus den letzten 50 Jahren, wo nennenswerte entwicklungspolitische Einrichtungen geschlossen oder zusammengelegt wurden.68 Die Reformen der letzten Jahre haben zwar deutliche Verbesserungen für die Leistungsfähigkeit der Weltorganisation erbracht. Weitergehende strukturelle Änderungen sind jedoch auch deshalb notwendig, um die vom Monterrey-Konsens gewünschte Führungsrolle der Vereinten Nationen bei der politischen Gestaltung der Globalisierung zu erreichen. Im Mittelpunkt aktueller Reformkonzepte steht die Forderung nach einer globalen Koordinationsinstanz für den Wirtschafts- und Sozialbereich. Am meisten Aussicht auf politische Akzeptanz in mittelfristiger Perspektive könnte die Schaffung eines repräsentativen Gremiums von Staatsund Regierungschefs im Rahmen der UN-Generalversammlung haben. 64

Vgl. Jacques Fomerand, Mirror, Tool, or Linchpin for Change? The UN and Development. (The Academic Council on the United Nations System - International Relations Studies and the United Nations Occasional Papers No. 2); in: www.acuns.wlu.ca/publications/Fomerand.pdf. 65 Vgl. Sarah Gillinson, UN-Reform (Fn. 44). 66 Vgl. Stephan Klingebiel, Leistungsfähigkeit (Fn. 40). 67 Vgl. Kofi Annan, Report of the Secretary-General on the Work of the Organization. General Assembly. Fifty-Eighth Session. Supplement No.l, UN Doc. A/58/1, New York 2003. 68 Vgl. Andrew Rogerson, The International Aid System (Fn. 54), S. 12.

Multilaterale Entwicklungspolitik: die Rolle der Vereinten Nationen

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Zusammen mit einer Stärkung der internen Kohärenz und der angedachten Öffnung für neue Akteurskonstellationen aus Parlamenten, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und lokalen Einheiten könnte dieser Schritt dafür sorgen, daß die Vereinten Nationen zum tragenden Stützpfeiler einer partizipativen Global-Governance-Architektur werden. Von vielen Regierungen werden keine konstruktiven Reformoptionen angeboten. Die Politik insbesondere der großen Industrieländer ist vielmehr häufig durch Gleichgültigkeit oder zeitweilig auch polemische UNKritik im Zusammenhang mit den entwicklungspolitischen Aktivitäten geprägt. Die von den Mitgliedstaaten betriebene Personalpolitik, das Beitragsverhalten einiger Staaten und die Vehemenz, mit der UN-Kritik häufig vorgetragen wird, liefern hierfür anschauliche Beispiele. Die entwicklungspolitische Reformdebatte wird im Schatten der Reformdiskussion über den Sicherheitsrat geführt und erfährt daher immer nur ein sehr begrenztes politisches und öffentliches Interesse. Die Vereinten Nationen besitzen grundsätzlich besondere Voraussetzungen und Vorzüge, um wichtige entwicklungspolitische Aufgaben wirksam erfüllen zu können. Dies gilt vor allem für politisch sensible Bereiche und grenzüberschreitende Herausforderungen, wodurch sie eine tragende Säule für Global Governance bilden können. Die UN-Mitgliedstaaten sollten dieses Potential zur Lösung der globalen Probleme stärker wahrnehmen in ihren politischen Diskursen und die UN durch geeignete Strukturreformen und eine bessere Ausstattung mit personellen und finanziellen Ressourcen in die Lage versetzen, wirksamer als bisher „internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen ", wie es Artikel 1 der UN-Charta der Weltgemeinschaft als Ziel setzt.

Kapitel 3

Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

Ressourceneinsatz und politischer Ertrag das Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln der Mitgliedstaaten und den Leistungen der Vereinten Nationen Karl Th. Paschke Das Thema dieses Beitrags1 entzieht sich exakten rechnerischen Maßstäben. Es macht wenig Sinn, Pflichtbeiträge, freiwillige Leistungen und personellen Einsatz der einzelnen Mitgliedstaaten auf der einen Seite und die vielfaltigen, aber auch so unterschiedlichen Arbeitsergebnisse des Systems der Vereinten Nationen auf der anderen Seite einer Gleichung aufzulisten und daraus eine Art von Bilanz zu konstruieren. Es kann vielmehr nur darum gehen, das Verhältnis zwischen den eingesetzten Ressourcen und dem aus der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen gezogenen Nutzen politisch zu bewerten. Welchen Stellenwert hat die globale multilaterale Einbindung für Deutschland, für andere europäische Länder, für die Vereinigten Staaten, für die Länder der Dritten Welt? Diese Frage soll im folgenden untersucht werden. Dabei werden weniger Fakten als die Interpretation politischer Haltungen und Perzeptionen eine Rolle spielen. Aus naheliegenden Gründen richtet sich der Blick zuerst und ausfuhrlicher auf Deutschland. 1. Deutschland und die UNO Als sich im Sommer 1945 die Gründungsväter der Vereinten Nationen in San Francisco versammelten, um eine neue Weltorganisation für Konfliktlösung und Friedenssicherung zu schaffen, waren Deutschland und Japan nicht dabei; die Hauptverantwortlichen für die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges wurden vielmehr zu den Parias der Staatengemeinschaft, durch die Feindstaatenklauseln 2 gebrandmarkt und zunächst an der UNMitgliedschaft gehindert. Nach der Entstehung der beiden deutschen Staaten 1949 entwickelte sich in der Bundesrepublik die Wiedereingliederung in die internationale Gemeinschaft neben dem inneren Aufbau sehr rasch zu einem Hauptanliegen der Politik. Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer betrieb nicht nur engagiert die Aussöhnung mit Frankreich und die europäische Integration, sondern sorgte auch dafür, daß die Bundesrepublik bald in allen Sonderorganisationen und den wichtigsten Fonds und Programmen der UNO Mitglied wurde. Bereits seit 1952 unterhielt Bonn außerdem eine 1

Der Beitrag wurde vom Verfasser am 15. Oktober 2005 abgeschlossen. Vgl. im einzelnen dazu Jörn Axel Kämmerer, Feindstaatenklauseln, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 118-120.

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

Ständige Beobachtermission bei der UNO in New York und ab 1953 in Genf.3 Die Bundesregierung schloß sich auch bereits lange vor dem eigentlichen Beitritt zur UNO einzelnen Resolutionen des UN-Sicherheitsrat an4. Das prononcierte internationale Engagement der Bundesrepublik, auch auf multilateraler Ebene, war von Anfang an von einem breiten Konsens in der Bevölkerung getragen; die Pflichtbeiträge der Bundesregierung zu den verschiedenen Organisationen fanden ebenso wie freiwillige Leistungen in den parlamentarischen Haushaltsberatungen regelmäßig problemlos Zustimmung. Die psychologische Befindlichkeit der Deutschen war in dieser ersten Nachkriegsphase deutlich geprägt von dem Wunsch, den aus der Katastrophe des Dritten Reichs hervorgegangenen Verlust an nationaler Identifikation und Staatsbewußtsein durch betonte Hinwendung zu Europa und zur Atlantischen Gemeinschaft und durch den Neuerwerb weltweiter Reputation, bilateral wie multilateral, zu kompensieren - ein Aspekt, der wohl bis heute fortwirkt. Daneben spielten selbstverständlich auch ganz nüchterne, praktische Überlegungen eine Rolle, die sich aus der geopolitischen Lage und der starken Exportabhängigkeit der Bundesrepublik ergaben und eine möglichst intensive multilaterale Einbindung nahe legten. Die DDR hatte natürlich ähnliche Ambitionen.5 Wegen des internationalen Alleinvertretungsanspruchs, den die Bundesregierung mehr als zwei Jahrzehnte mit Erfolg, aber auch mit zunehmender Mühe und recht hohem finanziellen Aufwand weltweit durchsetzte, konnte Ost-Berlin jedoch bis 1972 nicht in UN-Sonderorganisationen hineingelangen. Nur gelegentlich wurde die UNO in diesen Jahren zu einer Bühne der „querelies allemandes"6, obwohl die beiden deutschen Staaten selbst nicht Mitglieder der Weltorganisation waren. Ob diese sporadischen Auseinandersetzungen, die ja vorwiegend von den jeweiligen Alliierten der Bundesrepublik und der DDR geführt wurden7, als „politischer Ertrag" auf der Haben-Seite des multilateralen Engagements der Bundesregierung zu verbuchen wären, interessiert heute gewiß nicht mehr. Sicherlich ist aber die Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO am 18. September 1973 in erster Linie als Erfolg der Bonner UN-Politik zu werten, die mit dem deutschdeutschen Grundlagenvertrag zuerst die Voraussetzungen geschaffen und dann auch für die angemessene Choreographie des gemeinsamen Beitritts in New York gesorgt hatte.8 Vom Beitrittstag an läßt sich anhand einer Analyse der in der jährlichen 3

Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, München/Wien 1995, S. 142. Vgl. dazu Michael Schweitzer/Albrecht Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 2004, S. 228. 5 Vgl. zur UN-Politik der DDR: Bernhard Neugebauer, DDR-UN-Politik, in: Helmut Volger (Hrsg.),Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 2), S. 46-52. 6 Deutsche Übersetzung: „Deutsche Streitigkeiten". Diese ironisch-abwertende Bezeichnung pflegte der frühere französische Außenminister Couve de Murville bei seinen Äußerungen in den Vereinten Nationen zu benutzen. 7 Insbesondere im UN-Sicherheitsrat lieferten sich die UdSSR als Mentor der DDR und die westlichen Mitglieder stellvertretend für Bonn gelegentlich diplomatische Gefechte. 8 Günther van Well, Deutschland und die UN, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 71-77. 4

Ressourceneinsatz und politischer Ertrag

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Generaldebatte von den deutschen Repräsentanten abgegebenen Grundsatzerklärungen verfolgen, welche Erwartungen die Bundesregierung an die Weltorganisation hatte und hat, welches die Leitmotive deutscher UNPolitik waren und sind. 1.1. Ziele und Erwartungen in der deutschen UN-Politik Bundesaußenminister Walter Scheel gab am 19. September 1973, also einen Tag nach dem Beitritt, zum Thema der deutsch-deutschen Zukunft den Kernsatz zu Protokoll der UN-Vollversammlung: „Unser Ziel bleibt klar: die Bundesrepublik Deutschland wird weiter auf einen Zustand des Friedens in Europa hinwirken, in dem das deutsche Volk seine Einheit in freier Selbstbestimmung wiedererlangt"9. Zu den Erwartungen an die UNO formulierte der Bundesaußenminister: „Wir werden uns vor jedem Beschluß in allen Gremien der Organisation zu aller erst die Frage stellen: was bedeutet das für den einzelnen?" Und er nannte dann die Stichworte Förderung der Menschenrechte, Kampf gegen die Armut, Entspannungspolitik und Konfliktbeherrschung. Einen Monat später beschrieb Bundeskanzler Willy Brandt, ebenfalls vor der Vollversammlung, das Hauptmotiv für den UN-Beitritt der Bundesrepublik: „Wir sind ... gekommen, um auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten ... weltpolitische Mitverantwortung zu übernehmen". Die zentrale Bedeutung der Weltorganisation bei der Ächtung von Krieg und Hunger würdigte er mit dem Satz: „Die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft hat die Vereinten Nationen möglich gemacht. Der Hang des Menschen zur Unvernunft macht sie notwendig"? Wenn man sich an das weltpolitische Umfeld erinnert, in dem sich der Beitritt der beiden deutschen Staaten zur UNO vollzog, so war dies einerseits gekennzeichnet durch eine Phase leichter Entspannung zwischen Ost und West, insbesondere in Europa, auch durch das Voranschreiten des KSZE-Prozesses, aber ebenso durch eine zunehmende Akzentuierung von Dritte-Welt-Themen, Dekolonisierung, Rassendiskriminierung und Entwicklungshilfe. In der UNO selbst hatte sich das zahlenmäßige Übergewicht der Dritte-Welt-Länder und damit auch deren Dominanz bei der Bestimmung der Agenda verstärkt.11 Immer deutlicher wurde auch, daß die Instrumente, mit denen die Vereinten Nationen politischen Einfluß ausüben, anders sind als die der Staaten: Konsultation, internationale Meinungsbildung durch Debatten und Formulierung allgemeiner Grundsätze - nicht so sehr Zwang und Befehl, sondern vielmehr Überredung und Empfehlung. In der Förderung wirtschaftlicher, entwicklungspolitischer, sozialer und humanitärer Zusammenarbeit leistete das UN-System Beachtliches; am 9

Bulletin der Bundesregierung Nr. 114/73, S. 1125. Bulletin der Bundesregierung Nr. 119/73, S. 1173f. 11 Manfred Knapp, Eine erfolgreiche außenpolitische Emanzipation. Drei Jahrzehnte deutsche Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, in: VN 51 (2003), H.6, S. 207-214, S. 208f. sowie Mir A. Ferdowsi, Gruppe der 77 und die UN, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 2), S. 210-213. 10

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

wenigsten effizient war die Organisation auf dem Gebiet, das den Gründervätern am wichtigsten erschienen war: der kollektiven Friedenssicherung. Die Bundesrepublik positionierte sich in den Folgejahren schnell und recht erfolgreich in der Weltorganisation, ohne allerdings in der politischen Arena durch besonders zahlreiche Einzelinitiativen aufzufallen.12 Richtigerweise wurde zu einem Leitmotiv deutscher UN-Arbeit das kontinuierliche, vertrauensvolle Zusammenwirken mit den Ländern der Dritten Welt und ihren multilateralen Repräsentanten. Das lag nicht nur deshalb nahe, weil die UNO mehr und mehr zu einer Nord-Süd-Organisation geworden war. Es war und ist auch deutlich, daß die jungen Staaten in den UN-Gremien häufig durch besonders ausgesuchte und qualifizierte Diplomaten vertreten werden und daher die deutsche Bereitschaft zu Dialog und Zusammenarbeit gebührend honoriert und von den Partnerregierungen zur Kenntnis genommen wird. Das relativ hohe Ansehen, das Deutschland in vielen Teilen der Dritten Welt heute genießt, ist nicht zuletzt ein Ertrag dieses Teils unserer UN-Politik. Daneben spielt natürlich eine Rolle, daß Deutschland von post-kolonialen Belastungen weitgehend frei ist. Der Beitritt der Bundesrepublik stärkte in der UNO auch das Gewicht Westeuropas, das von Stund' an 24,98% der Pflichtbeiträge und damit genau so viel wie die USA leistete. Dieses Eigengewicht der (damaligen) EG-Neun zeigte sich allerdings fast nur im wirtschaftlichen Bereich; besondere politische Aktionen der Gruppierung blieben anfangs aus. Auf die Gründe dafür ist an anderer Stelle einzugehen. 1974 trat in der Generaldebatte der Weltorganisation zum ersten Mal und dann, mit einer Ausnahme, regelmäßig bis 1991 - der neue Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher auf. In seinem Redebeitrag, den er auch in den Folgejahren immer für eine umfassende Gesamtdarstellung aktueller deutscher Außenpolitik nutzte, beklagte er im September 1974 zahlreiche akute weltpolitische Ereignisse und Entwicklungen, „die eine Herausforderung an die politische Vernunft bedeuten"13, insbesondere gewaltsame Konflikte und erhebliche Störungen im Netz der globalen Wirtschaftsbeziehungen. Signifikanterweise artikulierte Genscher aber bereits damals eine gewisse Unzufriedenheit der Bundesregierung mit dem Funktionieren der UNO und forderte die Delegierten auf: „Lassen Sie uns gemeinsam darangehen, im gesamten UN-Bereich Verbesserungen zu prüfen". Neben den Leitmotiven deutscher UN-Politik - Friedenssicherung, Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts, Stärkung der Menschenrechte14 - , die durchgängig in den Generalversammlungs-Reden bis 1990 aufscheinen, kehrt die Forderung nach Stärkung der Weltorgani12 Vgl. Hans Arnold, Deutschland - UN-Politik, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, (Fn. 2), S. 69-74; vgl. auch: Kapitel „Deutsche Mitarbeit" in: Dieter Gothel, Die Vereinten Nationen: Eine Innenansicht, 2. neu bearb. Aufl., Berlin 2002, S. 251-279. 13 Bulletin der Bundesregierung Nr. 11/74, S. 1133 ff. 14 Siehe dazu Manfred Knapp, Eine erfolgreiche außenpolitische Emanzipation (Fn. 11), S. 209.

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sation durch verbesserte Strukturen und Prozeduren regelmäßig wieder und läßt sich so als ein weiteres prioritäres Motiv der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen identifizieren. Aus Anlaß des 5. Jahrestages der UN-Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland 1978 zog der Bundesaußenminister eine positive Bilanz. Die Bundesrepublik habe sich „durch aktive und konstruktive Mitarbeit... Vertrauen und Ansehen erworben" und sich die „Möglichkeit eröffnet, weltweit für die Verwirklichung der Grundsätze unserer Außenpolitik einzutreten und ... unsere Interessen umfassend wahrzunehmen" 15 . Dabei habe die Sicherung des Friedens auf der deutschen UN-Agenda ganz obenan gestanden (Bonn war bereits 1977/78 als nicht-ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat gewählt worden); außerdem seien wiederum der Dialog mit der Dritten Welt und der Beitrag zu ihrer Entwicklung, die Verwirklichung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker sowie weltweite Abrüstung Schwerpunkte deutschen UN-Engagements gewesen. Bis zum Jahre 1989 haben die deutschen Bundesregierungen diese Linie konsequent durchgehalten und sich als verläßliche, berechenbare Partner in der Weltorganisation erwiesen. Der Prozeß der deutschen Vereinigung, die dramatischen Entwicklungen zwischen dem Herbst 1989 und dem Herbst 1990 kamen nicht nur für die Deutschen in Ost und West, sondern für die ganze Staatengemeinschaft überraschend. Daß sich dabei weltweit fast keine kritische Stimme erhob, sondern Regierungen und internationale Öffentlichkeit dieses epochale Geschehnis mit Verständnis, ja sogar teilweise mit Wohlwollen und Beifall begleiteten, ist ganz sicher der größte und wertvollste Erfolg deutscher UN-Politik bis heute geblieben, die eindeutige Rechtfertigung des Ressourceneinsatzes und der multilateralen Arbeit der Bundesrepublik Deutschland. Der Bundesaußenminister äußerte sich vor der UN-Generalversammlung der Vereinten Nationen am 27. Sept. 1989 wie folgt: „ ... Reformen in Mittel- und Osteuropa sind unumkehrbar geworden, weil der Wille der Menschen nach mehr Freiheit unumkehrbar ist, ... beide deutsche Staaten müssen zur Überwindung des Trennenden in Europa beitragen ... So wird der Entwurf einer Friedensordnung für ganz Europa sichtbar ..."16 Und ein Jahr später, am 26. Sept. 1990, sagte er an gleicher Stelle: „Die Welt begleitet die Vereinigung der Deutschen mit Wohlwollen, Sympathie und mit Freundschaft. Dafür empfinden wir Dankbarkeit." 17 Das vereinigte Deutschland wurde in den Vereinten Nationen gleichsam über Nacht seinem neuen Gewicht entsprechend wahrgenommen. 18 Mit ca. 10% des gesamten Pflichtbeitragsaufkommens trug es nach den USA und Japan den dritthöchsten Anteil am regulären UN-Haushalt. Nicht von ungefähr bezog die Anfang der Neunzigeijahre erneut an Dynamik gewin15 16 17 18

Bulletin der Bundesregierung Nr. 101/78, S. 937. Bulletin der Bundesregierung Nr. 98/89 S. 849ff. Bulletin der Bundesregierung Nr. 115/90, S. 1201. Manfred Knapp, Eine erfolgreiche außenpolitische Emanzipation (Fn. 11), S. 210.

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

nende Diskussion über eine Reform des Sicherheitsrats von Beginn an eine Anwartschaft Deutschland auf einen Ständigen Sitz ein, und der seit 1992 amtierende Außenminister Klaus Kinkel artikulierte in seinem zweiten Auftritt vor der Generalversammlung im September 1993 die deutsche Bereitschaft, entsprechende Verantwortung zu übernehmen19. Zwölf Jahre danach ist es noch immer nicht zu einer Reform des wichtigsten Entscheidungsgremiums der UN gekommen. Dies liegt gewiß nicht an mangelnder Effizienz der deutschen Politik20, sondern vielmehr an einem für die Weltorganisation typischen Phänomen: Die Staatengemeinschaft kann sich kaum zu größeren Veränderungen in der Struktur der UN durchringen, weil im Status quo fast immer besondere Interessen einzelner Staaten im Spiel sind und die meisten Delegationen vor kontroversen Mehrheitsentscheidungen zurückscheuen, die Reform des Sicherheitsrats erfordert u. a., daß Afrika, Lateinamerika und Asien sich auf ihre Kandidatenländer für einen Ständigen Sitz einigen, und das ist schwierig genug. Auch sind die gegenwärtigen Ständigen Mitglieder äußerst zurückhaltend, wenn aus ihrer Sicht eine Beeinträchtigung ihrer Vorzugsstellung zu befürchten ist. Die Reformvorschläge eines „High-Level Panel" von 15 Experten, im Dezember 2004 vorgelegt21 und vom Generalsekretär im März 2005 durch einen eigenen Bericht kommentiert22, sollten im Sommer 2005 von der GV abgesegnet werden. Wie wir inzwischen wissen, ist auch diese Initiative nicht erfolgreich gewesen, sondern von den Vereinigten Staaten und China blockiert und auf unbestimmte Zeit vertagt worden. 1.2. Deutsche Leistungen für die Vereinten Nationen Die Bundesregierungen der letzten zwölf Jahre haben die deutsche Kandidatur immer einmal wieder bekräftigt, gelegentlich auch einigermaßen lautstark, aber Berlin hat sich durch die Endlos-Diskussion um die Neuzusammensetzung des Sicherheitsrats auch nicht beirren lassen, sondern gehört weiterhin zu den verläßlichsten Pflichtbeitragszahlern.23 Was die freiwilligen Leistungen angeht, so sind die deutschen Taschen heute allerdings etwas zugeknöpfter als früher - eine Konsequenz aus den hohen Kosten der Vereinigung, der schwächelnden Binnenkonjunktur und den 19

Bulletin der Bundesregierung Nr. 79/93 S. 913ff. Zur deutschen Position in dieser Frage vgl. Gunter Pleuger, Die Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, Heidelberg/New York 2003, S. 683-693. 21 United Nations - General Assembly, A More Secure World: Our Shared Responsibility. Report of the High-Level Panel on Threats, Challenges and Change, UN Doc. A/59/565 vom 2.12.2004; deutsche Fassung: www.un.org/Depts/german/gs_sonst/a-59-565.pdf. 22 United Nations - General Assembly, In larger freedom: towards development, security and human rights for all. Report of the Secretary-General, UN Doc. A/59/2005 vom 21.3.2005; deutsche Fassung: www.un.org/Depts/german/gv_sonst/a-59-2005.pdf. 23 Bundeskanzler Helmut Kohl im Deutschen Bundestag am 25.10.1995: „Die Bundesregierung läßt sich von überhaupt niemandem in Europa oder anderswo in ihrer Unterstützungsbereitschaft für die Vereinten Nationen übertreffen" (Zit. nach Deutscher Bundestag, 13. Wahl-Periode, 63. Sitzung, Plenarprotokoll 13/63, S. 5367, http:// dip.bundestag.de/btp/13/13063.pdf). 20

Ressourceneinsatz und politischer Ertrag

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daraus resultierenden Haushaltsproblemen. Nach wie vor ist der deutsche finanzielle Aufwand für das UN-System jedoch beachtlich. Er belief sich 200324 auf eine Gesamtsumme von 775,8 Mill. US-Dollar. Im einzelnen: Die Bundesregierung überwies 2003 an das Sekretariat der Vereinten Nationen einen regulären Haushaltsbeitrag von 131,9 Mill. US-Dollar und für friedenserhaltende Maßnahmen 182,5 Mill. US-Dollar, an die Gerichtshöfe der UN 20,5 Mill. sowie freiwillige Beiträge von ca. 4 Mill. US-Dollar. Die deutschen freiwilligen Beiträge für UN-Programme und Fonds summierten sich 2003 auf 94,5 Mill. US-Dollar. Die Pflichtzahlungen an die UN-Sonderorganisationen betrugen im gleichen Jahr 216,9 Mill. US-Dollar, wozu noch einmal 121,9 Mill. US-Dollar als freiwillige Leistungen hinzukommen. Ins Auge fallen dabei die besonders hohen freiwilligen Zuwendungen an jene UN-Organisationen, die sich der Hilfe in Notsituationen widmen oder im sozialen Bereich besonders in der Dritten Welt engagiert sind, wie etwa UNFPA, WFP, FAO und UNHCR. 25 Daran wird das traditionell große deutsche Engagement für die Armutsbekämpfung augenfällig, aber auch die Einschätzung der Bundesregierung, daß die genannten Organisationen die ihnen zur Verfügung gestellten Ressourcen verantwortungsvoll nutzen. Die höchsten Pflichtbeiträge unter den Sonderorganisationen empfangen WHO, WMO, UNESCO und ILO.26 Als Aufwendungen Deutschlands für seine Mitgliedschaft in den UN schlagen daneben die nicht unerheblichen Beträge zu Buche, mit denen Berlin die Ansiedlung von UN-Institutionen in Bonn gefördert hat und weiter fördert, weiterhin die Unterhaltung einer Abteilung im Auswärtigen Amt, die sich vorwiegend mit der Umsetzung der UN-Politik befaßt27, sowie von sechs Auslandsmissionen 28 , die die ständige Vertretung Deutschlands bei den verschiedenen Organisationen des UN-Systems sicherstellen. 1.3. Der politische Ertrag für Deutschland Welcher politische Ertrag steht diesen erheblichen Aufwendungen gegenüber? An erster Stelle gewiß das hohe Ansehen, das Deutschland für sein globales multilaterales Engagement genießt. Dies ist zwar nicht im Wortsinne 24

Nach Angaben der Abteilung GF (Abteilung für Globale Fragen, Vereinte Nationen, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe) des Auswärtigen Amts. 25 UNFPA = United Nations Population Fund; WFP = World Food Programme; FAO = Food and Agricultural Organisation; UNHCR = United Nations High Commissioner for Refugees. 26 WHO = World Health Organisation; WMO = World Meteorological Organisation; UNESCO = United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation; ILO = International Labour Organisation. 27 Heute als Abteilung GF (Abteilung fur Globale Fragen, Vereinte Nationen, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe) bezeichnet; vgl. dazu Walter Eberlei, Globalisierte Politikfelder mitgestalten: Das Auswärtige Amt vor neuen Herausforderungen, in: Thomas Fues/Brigitte Hamm (Hrsg.), Die Weltkonferenzen der 90er Jahre: Baustellen für Global Governance, Bonn 2001, S. 225-261. 28 In N e w York, Genf (2), Wien, Paris, Rom.

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

eine „Leistung" der UNO, sondern resultiert vielmehr aus ihrer Rolle als Weltbühne, ist aber dennoch nicht gering einzuschätzen. Im Blick auf seine Geschichte, seine Lage im Herzen Europas, seine Größe und Wirtschaftskraft ist Deutschland verpflichtet, weltpolitische Verantwortung auf sich zu nehmen, der es nur gerecht werden kann, wenn es sich international umfassend partnerschaftlich profiliert und ihm dafür Achtung und Respekt entgegengebracht werden. Die UNO bietet dafür das Forum. Die hohe finanzielle und inzwischen auch personelle Beteiligung an den Friedenseinsätzen der UN illustriert in besonderer Weise Deutschlands Status als emanzipierter „global player". Ob dieser Bereich der Arbeit der Weltorganisation insgesamt als erfolgreich zu werten ist, steht dahin. Natürlich gibt es hier Licht und Schatten; der Einsatz von Blauhelmen kann Konflikte nicht überall verhindern oder beherrschen, er ist sehr aufwendig und nicht immer effizient.29 Aber ohne das Peacekeeping-Instrumentarium der UN wäre die Erde gewiß noch weit unsicherer als sie es heute ist. Weit positiver stellt sich die UN-Leistungsbilanz in der Stärkung des Völkerrechts und insbesondere der Menschenrechte dar, ein Sektor, an dem deutsche UN-Politik durchgehend starkes Interesse nimmt. Die Fortschritte in der Kodifizierung internationaler Rechtsnormen, die Schaffung von Gerichtshöfen zur Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit30 und die Schärfung des Weltgewissens für die Einhaltung der Menschenrechte sind ganz wesentlich auf die Existenz und die Arbeit der Vereinten Nationen zurückzuführen; Deutschland hat daran immer konstruktiv mitgewirkt und zieht Nutzen daraus. Ähnliches gilt für die UN-Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Als eine der führenden Wirtschafts- und insbesondere Exportmächte ist Deutschland überall direkter Nutznießer, wo das UN-System den freien Handelsverkehr und die internationale Kommunikation fördert und absichert, also durch Institutionen wie ICAO, IMO, ITU, UNCTAD31. Der vergleichsweise hohe deutsche Beitrag für die Weltgesundheitsorganisation ist ebenfalls als eine direkt nutzbringende Investition einzustufen. Mit den Pflicht- und mehr noch mit den freiwilligen Beiträgen an jene Organisationen, die vorwiegend in der Dritten Welt entwicklungsfordernd und notlindernd tätig sind, demonstriert die Bundesregierung ihre anhaltende Sorge über die ungleiche Ressourcenverteilung und das dramatische Gefälle zwischen Arm und Reich auf unserem Planeten. Daß sie mit diesen Beiträgen auch auf den hohen Erwartungsdruck reagiert, dem sie sich seitens der Entwicklungsländer ausgesetzt sieht, versteht sich am Rande. Deutschlands hochrangiges Interesse am Umweltschutz kommt in der 29

Vgl. dazu Manfred Eisele, Blauhelme als Krisenmanager, in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO (Fn. 20), S. 27-39, hier S. 37-39. 30 Michael Schweitzer/Albrecht Weber, Handbuch (Fn. 4), S. 735 ff. 31 ICAO = International Civil Aviation Organisation, UPU = Universal Postal Union, ITU = International Telecommunication Union, IMO = International Maritime Union, UNCTAD = UN Conference for Trade and Development.

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freiwilligen Zahlung von 13,7 Mill. US-Dollar (2003) an UNEP32 zum Ausdruck. 1.4. Deutsche Präsenz in der UNO Ist Deutschland seiner Beitragshöhe entsprechend im UN-System präsent? Die Bilanz in dieser Hinsicht fällt unterschiedlich aus.33 Als relativ spät hinzugetretenes Mitgliedsland hat Deutschland lange Zeit Nachholbedarf in manchen Institutionen des UN-Systems gehabt, insbesondere auf der Ebene der höheren Entscheidungsträger. Auch heute wäre in einigen Sonderorganisationen, Fonds und Programmen eine stärkere deutsche Präsenz wünschenswert. Im UN-Sekretariat selbst liegt Deutschland ziemlich nahe an der „desirable ränge"34, zumal sein dabei maßgebender Beitragsschlüssel für 2004-2006 auf 8,662 % reduziert worden ist. Sicher wäre aber den Leistungen und dem Anspruch Deutschlands die erneute Besetzung einer USG-Position35 in New York angemessen. Wenn man sich vor Augen fuhrt, in wie vielen für Deutschland nicht nur politisch, sondern auch ganz praktisch wichtigen Sektoren das UN-System helfend, steuernd, koordinierend, kodifizierend, verwaltend und weiterentwickelnd tätig ist, so erscheint der deutsche Finanzbeitrag von fast 800 Mill. US-Dollar jährlich zwar hoch, aber nicht zu hoch. Verglichen etwa mit den Aufwendungen, die Berlin 2003 für die Europäische Union (fast 20 Mrd. EUR) oder für die NATO (über 500 Mill. EUR Haushaltsbeiträge sowie hohe Kosten für deutsche Beteiligung an NATO-Friedenseinsätzen) erbracht hat, nimmt sich die UN-Kontribution sogar preiswert aus, selbst wenn sich das nicht in einer Kosten-Nutzen-Relation zahlenmäßig exakt belegen läßt. 2. Leistungen und Erwartungen anderer Länder gegenüber der UNO Welche Erwartungen haben andere Länder und Ländergruppen an die UNO und welche Leistungen erbringen sie für die Weltorganisation? Eine umfassende Erörterung würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen; deshalb werden im folgenden nur punktuelle Betrachtungen dazu angestellt. 2.1. Großbritannien und Frankreich Großbritannien und Frankreich liegen mit jeweils etwa 6 % auf den Plätzen 4 und 5 der Beitragsskala der Vereinten Nationen. Als Ständige Mit32

United Nations Environment Programme. Vgl. dazu: Dieter Gothel, Die Vereinten Nationen (Fn. 12), S. 267-276. 34 Der engl. Begriff „desirable ränge" bezeichnet den Rahmen oder .Korridor' für eine Personalquote, d.h. die Zahl an UN-Mitarbeitern aus einem Mitgliedstaat, die man nach bestimmten Kriterien (Beitragssatz, geographische Ausgewogenheit usw.) für fair und ausgewogen hält gegenüber den übrigen Staaten. So bewegte sich die „desirable ränge", d.h. der „wünschenswerte Anteil am UN-Personal" für deutsches UN-Personal im Sekretariat in den letzten Jahren bei 131 bis 177 Stellen. Im Februar 2003 hatte Deutschland 129 Mitarbeiter im UN-Sekretariat tatsächlich beschäftigt (Quelle: Auswärtiges Amt, A B C der Vereinten Nationen, 5., Überarb. Aufl., Berlin 2003, S.27). Vgl. auch den Beitrag von Dieter Gothel in diesem Buch, S. 455. 33

35

USG = Under-Secretary-General (Untergeneralsekretär).

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

glieder des Sicherheitsrates müssen sie zum Sonderhaushalt für friedenserhaltende Maßnahmen allerdings etwas mehr beisteuern. Beide Länder, Großbritannien vielleicht in noch höherem Mäße als Frankreich, verfügen in der UNO über einen Einfluß, der über ihre finanzielle Beteiligung weit hinausgeht. Sie sind in allen UN-Organisationen personell sehr gut, wenn nicht gar überrepräsentiert und spielen auch in den dazugehörigen gesetzlichen Körperschaften fast immer eine zentrale Rolle. London und Paris sehen zweifellos in ihrem UN-Engagement eine Kompensation für die verlorene Stellung als Großmächte mit überseeischen Besitztümern und Einflußsphären. Das gilt besonders für ihre Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, wo sie sich mit hohem Personaleinsatz als „global players" auszuweisen suchen, übrigens auch traditionell als Truppensteiler in vielen Friedenseinsätzen, vor allem dann, wenn eine Krise in einem ihrer früheren Kolonialgebiete auftritt. Auch die britische und französische öffentliche Meinung schätzt dieses UN-Engagement hoch ein, als wesentlichen Aspekt eines angemessenen außenpolitischen Rollenverständnisses. So kann es nicht Wunder nehmen, daß beide Länder ihre Aufgaben im UN-Weltsicherheitsrat ausschließlich in kühler Abwägung ihrer nationalen Interessen wahrnehmen, sich also nicht etwa im Lichte der zunehmenden europäischen politischen Integration als EU-Vertreter artikulieren. Die in der UNO allgemein und im Sicherheitsrat besonders gepflegte Form der Entscheidungsvorbereitung durch informelle Sondierungen und Gespräche findet fast immer im exklusiven Kreis der „P5"36 statt, nicht etwa in einem regelmäßigen Dialog der britischen und französischen Vertreter mit ihren EU-Kollegen. Der EU-Vertrag37 sieht zwar eine Unterrichtung aller Mitgliedsstaaten durch die beiden Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates vor, formuliert dann aber in geradezu exemplarischer Unverbindlichkeit, daß Großbritannien und Frankreich sich unbeschadet ihrer UN-Charta-Verantwortlichkeiten „für die Standpunkte und Interessen der Union einsetzen" werden.38 Ein europäischer Sitz im UN-Sicherheitsrat, dem auch die deutsche Bundesregierung gelegentlich ein Lippenbekenntnis zollt, ist für London und Paris jedenfalls aus den oben genannten nationalen Beweggründen keine ernsthafte Option. Generell bleibt festzuhalten, daß beide Länder ihre UN-Mitgliedschaft in erster Linie unter dem Aspekt der nationalen weltpolitischen Profilierung sehen und wichtig nehmen. Für Frankreich kommt noch ein anderes, wenn auch ähnlich motiviertes Anliegen hinzu: der zähe Kampf um den Erhalt des Französischen als 36

UN-Kürzel für „Permanent Five" („Fünf Ständige" Mitglieder des Sicherheitsrats). Art. 19, Abs. 2 EU-Vertrag. 38 Vgl. Ernst Sucharipa, Die europäische Union in den Vereinten Nationen, in: Eckart Klein/Helmut Volger (Hrsg.), Die Vereinten Nationen und Regionalorganisationen vor aktuellen Herausforderungen. Potsdamer Konferenz des Forschungskreises Vereinte Nationen 2002, Potsdam 2002, S. 7-19; vgl. auch Hans Arnold, Die Politik der EU in der UNO als Möglichkeit und Maßstab für ihre Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und ihre Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), in: Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO (Fn. 20), S. 157-175. 37

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einer Weltsprache. Es gehört zu den Grundpflichten jedes französischen Repräsentanten in einer UN-Institution, dafür zu sorgen, daß neben der globalen „lingua franca" Englisch das Französische in Wort und Schrift, d. h. in der Simultan- wie in der Dokumenten-Übertragung berücksichtigt bleibt. Die Insistenz, mit der dies geschieht, wirkt zwar mitunter ziemlich doktrinär, bleibt jedoch wirkungsvoll und wird in Paris sicher auf der Haben-Seite der Bilanz französischen Wirkens in der Weltorganisation geführt. 2.2. Niederlande, Schweden, Dänemark, Finnland Als weitere EU-Partner verdienen die Niederlande, Schweden, Dänemark und Finnland besondere Erwähnung für engagierte Mitarbeit und wertvolle, nicht nur finanzielle Beiträge zum UN-System. Mit 1,69%, 0,998%, 0,718% und 0,533% im aktuellen Beitragsschlüssel ausgewiesen und damit auf den Rängen 12, 18, 21 und 24 gilt für sie gemeinsam, daß sie sich in ihrer UN-Politik durch ein auffallend hohes multilaterales Ethos auszeichnen. Anders als die große Mehrzahl der UNMitgliedstaaten, die in der Weltorganisation fast ausschließlich ihre eigenen nationalen Interessen vertreten, praktizieren diese vier Staaten (zu denen als weiteres skandinavisches, aber Nicht-EU-Land noch Norwegen hinzuzurechnen wäre) eine Art „aufgeklärten Multilateralismus". Darunter soll verstanden werden eine klare Präferenz für und die aktive Förderung von gemeinschaftlichen Konsenslösungen, aus der Erkenntnis heraus, daß ein von allen Beteiligten mitgetragenes einverständliches Ergebnis immer tragfähiger ist als die rücksichtslose Durchsetzung eines Einzelinteresses, zumal in globalen Fragen. Die fünf Länder sind traditionell internationalistisch orientiert, was an ihren vergleichsweise hohen Aufwendungen für bilaterale und multilaterale Entwicklungshilfe abzulesen ist, aber auch immer wieder in nationalen Meinungsanalysen deutlich wird. Die Niederlande sind außerdem Gastgeberland für eins der UN-Hauptorgane, den Internationalen Gerichtshof, für das Ad-hoc-Tribunal zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien und neuerdings für den Internationalen Strafgerichtshof und beweisen damit ihre immerwährende Bereitschaft zur Übernahme multilateraler Verantwortung, aber auch gesundes kaufmännisches Kalkül. Die skandinavischen Länder haben regionale Zusammenarbeit untereinander seit langem eingeübt und daraus wohl die allgemeine Erkenntnis abgeleitet, daß zwischenstaatliche Probleme am besten im Dialog zu bewältigen sind. Ihre diplomatischen Vertreter gehören ebenso wie die Holländer in den UN-Gremien zu den aktivsten und konstruktivsten Teilnehmern und erwerben ihren Ländern damit Akzeptanz und Gewicht. Nicht durch Zufall sind die zwei ersten der bisherigen sieben UN-Generalsekretäre Skandinavier gewesen: der Norweger Trygve Lie und der Schwede Dag Hammarskjöld. 39 Auch in der gegenwärtigen UN-Administration haben Staatsangehörige der genannten vier Länder hochrangige Positionen inne. 39

Trygve Lie von 1946 bis 1952, Dag Hammarskjöld von 1953 bis 1961.

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2.3. Kanada und Australien Was für die Niederlande und die skandinavischen Staaten gesagt wurde, gilt sinngemäß auch für Kanada und Australien. Kanada, mit 2,813 % am Beitragsschlüssel beteiligt und damit auf Platz 7 der Leistungsskala, und Australien, die Nr. 13 mit 1,592%, spielen in den UN-Institutionen eine ähnlich motivierte und positive Rolle. Ottawa ist dabei besonders im Bereich der friedenserhaltenden Missionen profiliert, nicht nur durch Zurverfügungstellung von Blauhelmen, sondern ebenso bei der Entwicklung strategischer und taktischer Erfahrungssätze in Sachen „peacekeeping". Australien agiert vor allem energisch in der durchaus heterogen zusammengesetzten Industriestaaten-Regionalgruppe WEOG (Western European and Others), um dem Gesamtraum Ozeanien in den UN ein angemessenes Gewicht zu verleihen. Auch für die kanadischen und australischen Repräsentanten und ihre Entsenderegierungen ist festzustellen, daß sie die UN-Mitgliedschaft und deren Bedeutung für ihre Länder wichtig nehmen und entsprechendes Profil zeigen. 2.4. Europäische Union (EU) Die Europäische Union insgesamt ist zwar nicht Mitglied der UNO und kann das nicht sein, weil die UN-Mitgliedschaft Staaten vorbehalten ist. Seit 1974 genießt die Gemeinschaft jedoch Beobachterstatus, und im Laufe der Jahre ist es zu einer gewissen Vernetzung beider Organisationen durch zahlreiche gemeinsame oder mindestens koordinierte Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe gekommen. Die Abstimmung der EU-Staaten-Missionen in New York, Genf und anderen UN-Standorten im laufenden Geschäft der Weltorganisation hat sich zwar mit der Zeit intensiviert und gehört heute zu den Selbstverständlichkeiten; die „gemeinsame Stimme" der EU, vorgetragen von der jeweiligen Präsidentschaft, bleibt aber in den UN-Gremien bisher seltsam schwach und wenig konturiert, im Sicherheitsrat ist sie aus oben dargelegten Gründen fast unhörbar. In Europa wird darüber immer wieder Klage geführt, und die große Erweiterung der Union auf 25 Mitglieder hat dem Europäischen Parlament Anlaß gegeben, in einem Bericht40 eine politisch stärker sichtbare und transparente Präsenz der EU innerhalb des UN-Systems einzufordern angesichts einer addierten Beitragsleistung von ca. 37 % und einer Bevölkerungszahl von 450 Mill. Menschen. Der Bericht mahnt eine verbesserte interne Koordination der EU-Mitgliedstaaten in den UN an, weist der EU eine Vorreiterrolle bei der konkreten Umsetzung von UN-Beschlüssen zu, wünscht sich eine umfassende Partnerschaft zwischen den beiden Organisationen, ruft die EU zu aktiver 40

Europäisches Parlament, Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik, Bericht über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Nationen (Berichterstatter: Armin Laschet), EP-Dok. A5-0480/2003 vom 16. Dezember 2003, http://www2.europarl.eu.int/registre/seance_pleniere/textes_deposes/rapports/2003/0480/P5_A(2003)0480_DE.pdf.

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Beteiligung an UN-Reformen auf und möchte die Rolle des Europäischen Parlaments in diesem Prozeß gestärkt sehen.41 Die Initiative des Parlaments ist verdienstvoll und einleuchtend, denn in der Tat sind die 25 EU-Staaten, ihre Ressourcen und ihre Beiträge zur UNO eine potentiell machtvolle Größe. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die Organisationskultur der Vereinten Nationen nach wie vor rein intergouvernemental ist, für ein politisch einheitliches Auftreten von Staatengruppierungen also wenig Nährboden bietet. Deshalb mutet die Forderung des Europäischen Parlaments nach einer Demokratisierung der UNO und der Entwicklung einer Parlamentarischen Versammlung auch leicht utopisch-blauäugig an. Dies schmälert nicht die Richtigkeit der These, daß UN und EU zueinander in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, das auf beiden Seiten Erwartungen und Leistungen beinhaltet und zu beider Nutzen intensiviert und bewußter gemanagt werden muß. 2.5. Japan Japan, der zweitgrößte Beitragszahler der Weltorganisation, bleibt in den Vereinten Nationen merkwürdig blaß. Woran das liegt, warum die japanische Regierung nur selten das Gewicht, das ihr bei einem Haushaltsanteil von fast 20 % zukommt, mit eigenen Initiativen in die Waagschale wirft, darüber kann man nur mutmaßen. Asiatische Zurückhaltung wäre eine allzu simple Erklärung. Großer Respekt vor multilateralen Zwängen und Gewohnheiten reicht ebenfalls nicht hin. Das Bewußtsein, in der asiatischen Regionalgruppe nicht als typischer Mitspieler, sondern als ein Sonderling wahrgenommen zu werden, mag ein weiterer Aspekt sein. Tokios Auftreten in der politischen Arena New York bleibt jedenfalls unscharf, vermeidet vor allem jegliche abgrenzende Profilierung gegenüber dem Land, das als einziges mehr in die UN-Kasse einzahlt, den USA. Die Kandidatur für einen ständigen Sitz in einem reformierten Sicherheitsrat betreibt die japanische Regierung ohne Wenn und Aber, mit Nachdruck, aber ohne Ungeduld. Auch in Personalfragen, z. B. in der Beanspruchung hochrangiger Posten in der UN-Administration, setzt sie ihre legitimen Ansprüche, wo erforderlich, mit Härte durch. Allerdings ist Japan auf der mittleren Managementebene noch immer unterrepräsentiert. Das liegt aber vor allem daran, daß internationaler Dienst fiir entsprechend fachlich und sprachlich qualifizierte Japaner nach wie vor unattraktiv erscheint und deshalb meist nicht genügend geeignete Kandidaten verfügbar sind. Etwas anders nimmt sich die Stellung Japans in den Sonderorganisationen sowie in den Fonds und Programmen aus. Hier zeigt das Land oft herausragendes Engagement und personelle Präsenz, je nachdem, wo Tokio aus nationaler Sicht besondere Schwerpunkte sieht. 41

Eine instruktive Gesamtdarstellung des Berichts durch den Berichterstatter, MdE Armin Laschet, findet sich in Armin Laschet, Für einen effizienten Multilateralismus. Gemeinsame Werte von Europäischer Union und Vereinten Nationen, in: V N 52 (2004) H.2, S. 4145.

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

Insgesamt ist Japan ein wichtiger, verläßlicher, zurückhaltender UN-Mitgliedstaat, dem - ähnlich wie Deutschland - die Rückkehr in die Staatengemeinschaft als allseits akzeptierter Partner und die multilaterale Einbindung in ein globales System, das u. a. stabile internationale Handelsbeziehungen sicherstellt, den relativ hohen Beitragsaufwand wert ist. Es zeichnet sich allerdings ab, daß Tokio ab 2007 auf eine erhebliche Verringerung seines Pflichtbeitrags dringen wird. 2.6. Die Staaten der Dritten Welt Die Staaten der Dritten Welt stellen in den Vereinten Nationen keine homogene Einheit dar, sondern sind in ihren politischen Vorstellungen, ihren Erwartungen an die Weltorganisation und in der Art ihres Auftretens durchaus vielfältig. Sie sind in der „ Gruppe der 77" (G77) 42 lose organisiert und vor allem stimmen sie in einer Grundüberzeugung überein, daß nämlich in der UNO das Verhältnis zwischen Reich und Arm, Nord und Süd, Industrie- und Entwicklungswelt, „Haves" und „Have-nots" das alles überwölbende, vorrangige Thema sein muß. Für die Länder der Dritten Welt ist die UNO die Organisation, mit der und in der sie sich identifizieren und profilieren, wo sie ihr staatliches Selbstbewußtsein artikulieren, ihre singulare Ohnmacht durch plurale Partnerschaft kompensieren können - das der Weltwirklichkeit widersprechende, aber politisch kluge und noble Charta-Prinzip „ein Land, eine Stimme" macht dies möglich. Als im September 2003 der Außenminister von St. Lucia, eines winzigen karibischen Inselstaats, zum Präsidenten der UN-Vollversammlung gewählt wurde, wertete er seine Wahl als Bekräftigung des „Glaubens der Vereinten Nationen an die gleichen Rechte aller Staaten, ob klein oder groß"43. Nach dem aktuell geltenden Beitragsschlüssel44 tragen 92 Mitgliedsländer jeweils weniger als 0,01 % des regulären UN-Haushalts, 52 Länder zwar mehr als 0,01, aber weniger als 0,1 % - nicht alle, aber die meisten dieser Gruppe sind der Dritten Welt zuzurechnen45 und stellen mit einer Gesamtzahl von ca. 130 bis 140 eine in Abstimmungen gewaltige Potenz dar. Zwar wird in der UNO selten streitig abgestimmt, aber allein dies theoretische Stimmenpotential sorgt dafür, daß die Agenda der Weltorganisation heute in erster Linie von Nord-Süd-Themen dominiert wird. So betrachtet, ist die Feststellung berechtigt, daß die Entwicklungsländer, besonders die Ärmsten der Armen46, sich bei ihrer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen eines ausgezeichneten „Preis-Leistungs-Verhält42

Vgl. Mir A. Ferdowsi, Gruppe der 77 und die UN, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 12), S. 210-213. 43 Zitiert nach: Personalien, in: VN 51 (2003), H. 3, S. 93. 44 Der Beitragsschlüssel gilt für die Jahre 2004, 2005 und 2006 (GA Res. 58/1B vom 3.3.2004; vgl. auch New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade, United Nations Handbook 2005/06, Wellington 2005, S. 33Iff. 45 Einige wenige sind wegen ihrer geringen geographischen Größe in dieser Kategorie, wie z.B. Luxemburg, Malta, Andorra oder Liechtenstein. 46 Die sog. LDCs = Least developed countries.

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nisses" erfreuen: für einen wirklich bescheidenen Beitrag sind sie der Vorzüge einer jedenfalls rechtlich gleichwertigen Partnerschaft teilhaftig und können sich auf der Weltbühne sichtbar und hörbar darstellen. Manche dieser Länder sind in New York durch ganz ausgezeichnete, höchst qualifizierte, im multilateralen Tagesgeschäft intensiv engagierte und versierte Diplomaten vertreten und üben damit einen gestalterischen Einfluß aus, der über das nationale und regionale Gewicht des Herkunftslandes oft weit hinausgeht. Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele, also Dritte-Welt-Repräsentanten, die in Ausschüssen irgendeine persönliche Agenda verfolgen, was in der UN-Praxis durchaus möglich ist, aber dies bleibt eher eine Ausnahme. Generell gilt, daß die Entwicklungsländer, deren Ständige Vertretungen in New York und Genf ja meist nur sparsam personell ausgestattet sind, lediglich in den Gremien präsent sind, die für sie besonders relevante Themen behandeln; dort werden sie dann aber häufig durch fachlich und forensisch überzeugende Mitarbeiter repräsentiert. Es ist auch offenkundig, daß manche Entwicklungsländer die UNO als eine Art Kaderschmiede nutzen und begabte junge Beamte an ihre Vertretungen entsenden, damit sie auf diese Weise internationale Erfahrung sammeln. Die finanziellen Probleme der Dritten Welt und die administrativen Unzulänglichkeiten in vielen ihrer Länder führen dazu, daß die UN-Beiträge oft nur schleppend, wenn überhaupt, bezahlt werden. Das ist zwar bedauerlich, angesichts der geringen Einzelsummen auch nicht recht verständlich, darf jedoch nicht interpretiert werden als eine Geringschätzung der Organisation. Vielmehr wird in der UN-Wirklichkeit jeden Tag deutlich, welch hohen Stellenwert die Entwicklungsländer ihrer Beteiligung am Weltforum beimessen. Es ist ihre einzige Bühne. Anders als die Industriestaaten haben sie keine weitere multilaterale, politisch vergleichbare Auftrittsmöglichkeit. Darüber hinaus sind sie meist gar nicht in der Lage, ein weltumspannendes Netz von bilateralen Botschaften zu unterhalten, so daß ihre UNPräsenz auch dafür kompensatorisch genutzt wird. 3. Politischer Ertrag für die Industrieländer Es wurde oben 47 bereits dargetan, daß die deutsche UN-Politik das starke Gewicht der Dritten Welt in der UNO immer berücksichtigt und damit gut fährt. Viele andere Industrieländer machen durch ihr Auftreten in New York ebenfalls deutlich, daß sie die UNO in erster Linie als eine NordSüd-Organisation begreifen. So läßt sich gewiß auch unter dem Aspekt „Ressourceneinsatz und politischer Ertrag" feststellen, daß das nach wie vor einigermaßen friedliche, oft kontroverse, aber selten feindselig konfrontative Gesamtverhältnis zwischen Süd und Nord ein „Ertrag" der Existenz und des Wirkens der Weltorganisation ist, der den finanziellen Einsatz der Industrieländer rechtfertigt.

47

Siehe S. 247f.

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

3.1. Leistungen und Ertrag für die USA Last, but not least gilt es, die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika in den Vereinten Nationen unter dem Gesichtspunkt von Beitragsleistung und politischen Erwartungen zu betrachten. Kein Land hat zur Entstehung der UNO mehr beigetragen als die USA. Die Dumbarton Oaks Konferenz 1944 in Washington, DC produzierte den Charta-Entwurf, die San Francisco Konferenz im Frühsommer 1945 etablierte die Organisation, und zum Sitz des UN-Hauptquartiers wurde nach einer Rockefeller-Spende von 8,4 Mill. US-Dollar New York bestimmt schon diese drei Schauplätze verdeutlichen den dominierenden Einfluß der Amerikaner in der Gründungsphase, nicht nur politisch-konzeptionell, sondern auch durch hohes finanzielles Engagement. Wie es für Amerika typisch ist, waren der Beifall und die Unterstützung für die neue Friedensorganisation im US-Kongresse und in der politisch interessierten Bevölkerung anfangs enthusiastisch. Ebenso schnell wurde aus dem idealistischen Überschwang jedoch Enttäuschung und Kritik, als sich zeigte, daß die UNO den hochgespannten Erwartungen nicht gerecht werden, insbesondere den heraufziehenden Ost-West-Konflikt weder verhindern noch beherrschen konnte, sondern im weltweiten Machtpoker der Supermächte meist an den Rand gedrängt wurde. Das Verhältnis der USA zur UNO ist in den inzwischen fast sechs Jahrzehnten seit der Entstehung der Weltorganisation immer komplex, nie problemfrei, häufig sogar stark belastet gewesen.48 Es gibt dafür mehrere Gründe: Amerikanisches Selbstverständnis als (nunmehr einzige) Weltmacht prägt sich im US-Kongreß in einem uneingeschränkten Souveränitätsdenken aus, mit dem sich multilaterale Einbindung nur schwerlich verträgt. Washingtons Außenpolitik ist auch im Zeitalter des Globalismus vorwiegend unilateral angelegt49; Allianzen und mehrseitige Bündnisse gelten nur dann als sinnvoll, wenn dabei die amerikanische Führungsrolle sichergestellt ist50; jedwede Beschränkung der nationalen Souveränität wird als vollkommen inakzeptabel betrachtet.51 Mit der Grundphilosophie der Weltorganisation, daß große und kleine Staaten rechtlich gleich sind52, haben alle amerikanischen Administrationen, ob republikanisch oder demokratisch, erhebliche Mühe. 48

Vgl. dazu: Frank Zitka, Wandel und Kontinuität. Amerikanische UNO-Politik 19771993, Frankfurt am Main 1997. Vgl. dazu Georg Schild, Amerikanischer Anspruch auf Unilateralismus. Nationale Interessen in der US-Außenpolitik, in: Internationale Politik, 57 (2002), H. 4, S. 37-42. 50 Wie z.B. bei der NATO oder den Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds. 51 Daß z. B. die teilweise Zurückhaltung des US-Pflichtbeitrags für die UNO durch den US-Senat als Verstoß gegen einen völkerrechtlichen Vertrag zu werten ist, würde auf dem Capitol Hill niemand in den Sinn kommen. 52 Siehe Art. 2 Ziff. 1 der UN-Charta und konkreter noch in der „Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen", UN Doc. A/RES/2625 (XXV) vom 24.10.1970, www.un.org/Depts/german/gv-early/ar2625.pdf, in engl. Kurzform allgemein als „Friendly Relations Declaration" bezeichnet. 49

Ressourceneinsatz und politischer Ertrag

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Washingtons ständige Übung ist es, die UNO als Instrument zur Durchsetzung nationaler Interessen zu nutzen, wenn das nützlich und erfolgversprechend erscheint. Aber eben nur dann. Die Völkerrechtswissenschaft bescheinigt der US-Außenpolitik allenfalls einen „ambivalenten Multilateralismus , treffender wäre wohl die Charakterisierung als „selektiver Multilateralismus". Amerikanische Außenpolitik ist auch meist ungeduldig und neigt zu rascher Aktion. Die UN-Praxis der umfassenden Konsultation und der geduldigen Suche nach Konsens macht aber schnelle Ergebnisse unmöglich. Amerikanischen Politikern und auch der amerikanischen Öffentlichkeit fällt es erkennbar schwer, die Sinnhafitigkeit langwieriger multilateraler Entscheidungsprozesse zu begreifen. Und so neigt man in Washington häufig zu unilateralem Vorgehen und sieht in der UNO einen Bremsklotz. Die Sonderorganisationen beurteilen die Vereinigten Staaten ebenfalls nur nach Nützlichkeitsgesichtspunkten und nutzen sie durchaus selektiv. In manchen ist Washington stark engagiert, etwa in der Food and Agricultural Organisation (FAO), weil Amerika noch immer einer der größten Agrarproduzenten ist, oder in der (autonomen) Internationalen Atomenergie Organisation, da es ein hohes Interesse an nuklearer Nonproliferation nimmt; aus der UNESCO ist sie dagegen 1984 ausgetreten, als diese Organisation sich allzu „drittweit-lastig" entwickelte und erst 2003 wieder beigetreten, nachdem die UNESCO Strukturreformen furchgefuhrt hatte. 1995 haben die USA auch die UNIDO verlassen. Der bereits in anderem Zusammenhang beschriebene allmähliche Wandel der Vereinten Nationen zu einer Nord-Süd-Organisation, in der die Staaten der Dritten Welt mehr und mehr die Agenda bestimmen, hat insgesamt stark zu dem immer wieder spürbaren Unbehagen Amerikas mit der UNO beigetragen. Wenn dort bei der Beratung ökonomischer oder ökologischer Fragen das Wohlstandsgefalle zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern thematisiert wird und die USA als die reichste und kraftvollste Wirtschaftsmacht dabei besonders in die Schußlinie gerät, reagieren die amerikanischen Vertreter meist empfindlich und fühlen sich zu Unrecht angegriffen. Andererseits ist die Einsicht, daß die UNO ein geeignetes Forum wäre, um das amerikanische Image in der Dritten Welt durch verständnisvolles Auftreten und eine gewisse Rücksichtnahme auf die Belange und Sorgen der ärmeren Staaten aufzupolieren, in Washington nicht weit verbreitet. Das Gefühl, in der Weltorganisation nicht einer Supermacht entsprechend und als Beitragszahler Nr. 1 nicht gebührend geschätzt zu werden, hat immer wieder zu eklatanten Friktionen zwischen Washington und der UNO geführt, vielleicht am deutlichsten sichtbar bei der Blockierung der Wiederwahl des Generalsekretärs Boutros-Ghali 1996, weil dieser sich anders als seine Vorgänger gegenüber politischem Druck der US-Regierung mehrfach widerborstig gezeigt hatte. 54 53

Volker Rittberger/Claudia Dedeke/Gabriele Kittel, Langsame Annäherung. Das Verhältnis zwischen U S A und U N unter den Präsidenten Reagan, Bush und Clinton, in: V N 42 (1994), H. 2, S. 45-52. 54 Vgl. dazu Günther Unser, Die UNO. Aufgaben - Strukturen - Politik, 6. Aufl., München

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Vor allem aber hat das Gefühl, es mangele in der UNO an Respekt für das gewichtigste Mitgliedsland, unter amerikanischen Kongreßpolitikern die Überzeugung genährt, man wende für die UNO viel zu viel auf und ziehe zu wenig Nutzen aus der Mitgliedschaft55. Die jahrzehntelang geltende Bemessungsgrundlage von 25 % für den US-Beitrag, die eigentlich im Blick auf den amerikanischen Anteil am Welt-Bruttosozialprodukt schon zu niedrig war, wurde im Jahre 2000 von der UN-Generalversammlung auf massiven Druck des Senats auf 22 % herabgesetzt. Auf dem Capitol Hill in Washington herrscht jedoch weiterhin die Auffassung vor, daß die UNO für den amerikanischen Steuerzahler ein schlechtes Geschäft darstellt. Auf diesem Hintergrund ist auch die in den USA regelmäßig geäußerte und von den US-Medien geschürte Kritik an den Vereinten Nationen als einer verschwenderischen, schlecht geführten und korrupten Organisation zu sehen. Der „Oil for Food"-Skandal war natürlich Wasser auf die Mühlen aller Kritiker. Kein Mitgliedsland ist hartnäckiger in der Forderung nach Reformen als die USA, was zur Folge hat, daß die UN-Administration sich permanent um Veränderungen und Verbesserungen im Verwaltungsablauf bemüht, während die Mitgliedstaaten bei den eigentlich reformbedürftigen Aspekten der UN-Wirklichkeit - neben der Modernisierung des Sicherheitsrates die verkrusteten Strukturen und Prozeduren in der Generalversammlung und ihren Hauptausschüssen sowie im ECOSOC - nach wie vor zu keiner Einigung finden. Aller Voraussicht nach wird sich auch zukünftig das Verhältnis des Gastlandes zu der Weltorganisation am East River nicht völlig entspannen. Und der US-Kongreß wird die Haushaltsmittel für die Beitragszahlung weiterhin nur zähneknirschend bewilligen. Meinungsumfragen, die ziemlich regelmäßig von der „United Nations Association of the USA"56 oder vom Chicago Council on Foreign Relations57 in Auftrag gegeben werden, machen übrigens deutlich, daß die Mehrheit der amerikanischen Bürger die UNO gar nicht so kritisch sieht, sondern sie sogar mit einem gewissen Wohlwollen beurteilt, aber zu wenig konkrete Kenntnis von außenpolitischen Zusammenhängen und insbesondere von der Bedeutung multilateraler Organisationen hat, um sich entsprechend zu artikulieren. 4. Fazit Welche Schlüsse sind aus diesen Betrachtungen über Ressourceneinsatz und politischen Ertrag zu ziehen? Zunächst einmal wohl der, daß die Dritte Welt, die nur einen ganz gerin1997, S. 355. Protagonist dieser Haltung war der langjährige und einflußreiche Senator Jesse Helms, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Senats. 56 Vgl. www.unausa.org/site/pp.asp?c=fVKRI8MPJpF&b=390597. 57 Vgl. www.ccfr.org/publications/opinion/main.html. 58 Vgl. den Beitrag von Helmut Volger über das Bild der Vereinten Nationen in der öffentlichen Meinung in diesem Buch. 55

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gen Teil des UN-Haushalts finanziert, ein Mehr an materiellem und immateriellem Nutzen aus der Organisation zieht. Das ist gut so und ein Stück ausgleichender Gerechtigkeit in dieser sonst so ungleichen Welt. Die sog. „großen Beitragszahler", die den Löwenanteil der Aufwendungen für die Weltorganisation tragen und zu denen Deutschland auf Platz 3 gehört, kommen ihrer Zahlungspflicht bisher im allgemeinen zuverlässig und auch klaglos - wenn man von den USA absieht - nach. Daraus ist zu schließen, daß sie die Mitgliedschaft ebenfalls für lohnend halten. Da die wenigsten Leistungen des UN-Systems sich exakt in Geldwert ausdrücken lassen, liegt der weitere Schluß nahe, daß für die Mehrheit die UN-Mitgliedschaft an sich, die Zugehörigkeit und das aktive Mitwirken im Forum der Weltgemeinschaft als wichtiger politischer Ertrag gilt. Dieser nicht bezifferbare Ertrag wird zwar von Land zu Land unterschiedlich eingeschätzt, je nachdem, welchen Stellenwert die multilaterale Einbindung bei der jeweiligen Bürgergesellschaft genießt. Festzuhalten bleibt aber, daß nahezu alle Staaten die Vereinten Nationen für unverzichtbar und förderungswürdig halten, auch wenn sie mit der Organisation selbst nie ganz zufrieden sind und wenn die meisten Finanzminister den UN-Pflichtbeitrag ihres Landes für allzu hoch halten: pro Kopf der Weltbevölkerung wird für das ganze UN-System jährlich weniger als 2 US-Dollar aufgewendet. 59 Für diesen geringen Betrag ergibt sich wahrhaftig ein großer sozialer und politischer Ertrag.

59

Zitiert nach Erskine Childers/Brian Urquhart, Renewing the United Nations System (Development Dialogue, H. 1/1994), Dag Hammarskjold Foundation, Uppsala 1994, S. 143.

Entscheidungsfindung in den Vereinten Nationen Jochen Prantl

1. Einleitung Um die Entscheidungsstrukturen des UN-Systems zu verstehen, ist ein Blick auf die historischen Rahmenbedingungen notwendig, innerhalb deren die Vereinten Nationen geschaffen wurden. Das UN-System 1 erscheint gewissermaßen als eine Art „lose Konföderation" einzelner Organisationen, Institutionen und Programme. 2 Entscheidungsprozesse verlaufen dementsprechend dezentral. Die jeweiligen Verantwortlichkeiten sind diffus in einem Cluster separater Funktionseinheiten verteilt. Die Dezentralisierung des UN-Systems wird insbesondere in jenen Bereichen problematisch, die in unmittelbarer Wechselwirkung zueinander stehen, wie zum Beispiel Sicherheit und Entwicklung. Ein Blick auf die Zuständigkeiten der Hauptorgane Generalversammlung, Sicherheitsrat, Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) sowie Sekretariat mag dies verdeutlichen: Während die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit gemäß Artikel 24 der UN-Charta in die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates fallen, obliegt die Koordinierung von Wirtschafts-, Sozial- und Entwicklungsfragen dem ECOSOC. 4 Beide Bereiche sind wiederum Gegenstand von Diskussionen und Verhandlungen in der Generalversammlung. 5 Die eigentliche Entscheidungsmacht im Bereich multilateraler Entwicklungshilfe liegt jedoch bei den internationalen Finanzinstitutionen wie Internationaler Währungsfonds und Weltbank. Die Hauptorgane der Vereinten Nationen haben kaum direkten Einfluß auf deren Entscheidungsverfahren. Diese Problematik hat sich insbesondere nach dem Zusammenbruch des bipolaren Systems Anfang der neunziger Jahre verschärft, da die Vereinten Nationen häufiger als je zuvor mit der Bearbeitung von Konflikten betraut wurden. Dieser quantitative Aspekt wird durch einen qualitativen erDer Beitrag wurde vom Autor im November 2005 abgeschlossen. 1 Vgl. Klaus Hüfner, UN-System, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 592-597, hier v.a. S. 593. 2 Vgl. Inis L. Claude, Swords into Plowshares, 4. Aufl., N e w York 1984, S. 68. 3 Der Internationale Gerichtshof und der Treuhandrat, die gemäß Artikel 7 der Charta der Vereinten Nationen ebenfalls zu den Hauptorganen der Organisation gehören, sollen an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben. 4 Vgl. insbesondere Artikel 60, 62 und 63 der UN-Charta (dt. Fassung: BGBl 1973 II, S. 431). 5 Vgl. Artikel 10 und 11 der UN-Charta. Die Generalversammlung kann jedoch nur solche Themen diskutieren, die nicht gleichzeitig Gegenstand von Beratungen im Sicherheitsrat sind, vgl. Artikel 12 Ziff. 1 der UN-Charta.

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

gänzt. Konflikte brechen eher auf inner- als auf zwischenstaatlicher Ebene aus.6 Sie haben oftmals eine regionale Dimension, wobei sich die jeweiligen Konfliktszenarien wechselseitig bedingen.7 Konfliktakteure sind keineswegs nur reguläre Streitkräfte, sondern auch paramilitärische Gruppierungen, Milizionäre oder bewaffnete Zivilisten. Der Zusammenbruch staatlicher Kontrolle über das Territorium, einhergehend mit dem Verlust der Regierungsgewalt, resultiert nicht selten in einen völligen Zusammenbruch von Recht und Ordnung. Die Dringlichkeit der Konfliktbearbeitung innerhalb der Grenzen sogenannter „failed states" wurde durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 noch einmal unterstrichen.8 Bewaffnete Konflikte wirken sich darüber hinaus negativ auf die Volkswirtschaften der Nachbarstaaten aus. Sinkende Wachstumsraten, eine wachsende Gefahr von Malaria Epidemien sowie die rasche Ausbreitung von HIV/Aids sind die Folgen.9 Das genaue Verständnis der „politischen Ökonomie" von Konflikten ist insbesondere in ressourcenreichen Staaten entscheidend. Die Sicherung des ungehinderten Zugangs zu natürlichen Ressourcen wie Diamanten, Gold oder Coltan spielen nicht zuletzt in Konfliktsituationen wie im Kongo, in Liberia oder Sierra Leone eine bedeutende Rolle. Die Fortsetzung der Ausübung bewaffneter Gewalt erscheint dabei für die beteiligten Akteure oftmals profitabler als die Beendigung des Konflikts. Diese sehr komplexen Konfliktsituationen erfordern eine differenzierte Bearbeitung, wobei eine Vielzahl von Akteuren in diesen Prozeß eingebunden ist. Interventionen wie Friedenserzwingung (peace enforcement), humanitäre Hilfe, Demobilisierung, Wiederaufbau, Reform von Institutionen, Organisation und Überwachung von Wahlen, die Schaffung und Ausbildung von Polizei oder auch die Allokation von Entwicklungsgeldern müssen sehr genau aufeinander abgestimmt werden, um die Stabilität eines Landes nachhaltig zu gewährleisten. Die Interventionsabfolge sowie der richtige „Policy mix" sind dabei von entscheidender Bedeutung.10 Friedensunterstützende UN-Operationen in Bosnien, Ost-Slawonien, Kosovo, East Timor oder Afghanistan mögen als Beispiele dienen. Die treuhänderische Verwaltung von Territorien durch die Vereinten Nationen erscheint dabei gewissermaßen als unvermeidbare Kon-

6

Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß die Gesamtanzahl innerstaatlicher Konflikte in den neunziger Jahren gesunken ist. Vgl. Human Security Centre, The Human Security Report 2005: War and Peace in the 21st Century, Vancouver 2005, Teil I, Schaubild 1.1. Im Zeitraum von 1992 bis 2002 sank die Anzahl der Konflikte um 80%, ebd., S. 151. Dies mag nicht zuletzt mit den zunehmenden Aktivitäten des UN-Systems, der internationalen Finanzinstitutionen und nicht-staatlicher Organisationen in den Bereichen Konfliktprävention, Friedensschaffung (peace making), Friedenserhaltung (peacekeeping) und Friedensbildung (peacebuilding) zusammenhängen. 7 Dies gilt beispielsweise fur die Konflikte in Liberia, Sierra Leone und Elfenbeinküste in Westafrika. 8 Zur Problematik der "failed states" vgl. Robert I. Rotberg (Hrsg.), When States Fail: Causes and Consequences, Princeton/Oxford 2004. 9 Vgl. Paul Collier/Lani Elliott/Hävard Hegre/Anke Hoeffler/Marta Reynal-Querol und Nicholas Sambanis, Breaking the Conflict Trap: Civil War and Development Policy, Washington, D.C. 2003, S. 33-39. 10 Ebd., S. 185.

Entscheidungsfindung in den Vereinten Nationen

267

sequenz, die aus der Komplexität dieser politischen, ethnischen, sozioökonomischen und militärischen Konflikte resultiert. Der Multidimensionalität dieser Interventionen stehen jedoch Entscheidungsstrukturen im UN-System gegenüber, die auf einem hohen Grad von Fragmentierung beruhen. Wie eingangs bereits erwähnt ist das UN-System weniger ein integrierter Verbund als vielmehr eine lose Konföderation. Der vorliegende Beitrag wird sich daher der Problematik insbesondere aus Sicht der Governance im UN-System nähern. Governance wird dabei verstanden als "the processes and institutions, both formal and informal, that guide and restrain the collective activities of a group." 11 Dies erscheint aufgrund der geschilderten Problematik als besonders nützlich, da hier die Analyse der Interaktionen von Akteuren und weniger die Beschreibung separater Funktionseinheiten im Vordergrund steht. Governance im UN-System ist zudem von Prozessen geprägt, die oftmals ad hoc und informell verlaufen. Da der vorgegebene Rahmen meines Buchbeitrags eine Auswahl erforderlich macht, wird der Beitrag sich insbesondere auf Governance in den Bereichen Sicherheit und Entwicklung konzentrieren. Dabei werden zunächst Entscheidungsstrukturen des UN-Sicherheitsrates sowie des Wirtschafts- und Sozialrats analysiert. Die Darstellung des Rückgriffs auf informelle Strukturen als integraler Bestandteil eines Anpassungsprozesses der Vereinten Nationen auf gewandelte Rahmenbedingungen soll dabei im Vordergrund stehen. Die Verschmelzung vormals getrennter Arbeitsbereiche wie Sicherheit und Entwicklung schlägt sich nicht zuletzt auch in den Koordinierungsbemühungen und Entscheidungsprozessen innerhalb des Systems der Vereinten Nationen nieder, welche im Anschluß beleuchtet werden. Querschnittsbereiche wie „Konfliktprävention" oder „Friedensunterstützende Operationen" dienen dabei als signifikante Beispiele der horizontalen Koordination im UN-Systems. Die Delegation von Aufgaben an (sub-)regionale Organisationen ist ein weiterer zentraler Aspekt der UNGovernance, welche im letzten Abschnitt behandelt wird. 2. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Governance im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen umfaßt die folgenden zwei Dimensionen: erstens, den formellen Entscheidungsprozeß gemäß der Charta der Vereinten Nationen sowie den (provisorischen) Verfahrensregeln 12 ; und zweitens, die Praxis der Entscheidungsfindung, die durch eine Vielzahl informeller Konsultationen gekennzeichnet ist. Der Sicherheitsrat ist der Herr seiner Verfahrensregeln und verfügt über eine Vielzahl von Möglichkeiten, bi- und multilaterale Treffen auf informeller Ebene einzuberufen. Davidson Nicol hat diese wie folgt zusammengefaßt:

11 Robert O. Keohane/Joseph S. Nye, Introduction, in: Joseph S. Nye/John D. Donahue (Hrsg.), Governance in a Globalizing World, Cambridge, Mass. u.a 2000, S. 12. 12 Die Verfahrensregeln des Sicherheitsrat sind in der „Vorläufigen Geschäftsordnung" festgehalten, dt. Fassung: www.un.org/Depts/german/go/sr/srgo.html.

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Die Funktionsweise der Vereinten Nationen

„If bilateral they may involve the President and one other party who may or may not be a member of the Security Council; they may involve two members of the Security Council; or they may involve one member of the Security Council and one other party who may or may not be a member of the Security Council. If multilateral, they may involve the President and some other members of the Council; the President and some non-members of the Council; the President and parties to a dispute; the President and representatives of some regional groups; the President and Secretariat officials possibly including the Secretary-General; the President and representatives of liberation movements; or they may involve the President and a mix of two or more of these categories. They may involve one or more members of the Security Council and persons in one or more of the above categories with or without inclusion of the President."13 Diese Beispiele belegen, daß sowohl Mitglieder als auch Nicht-Mitglieder des Sicherheitsrates (einschließlich des UN-Sekretariats) ihre Politiken in einer Vielzahl von informellen Gremien koordinieren. Dabei gibt es mehr oder weniger institutionalisierte Mechanismen.14 Die am stärksten institutionalisierte Form der Absprachen zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrates sind sicherlich die sogenannten informellen Konsultationen („consultations of the whole"), welche sich seit Mitte der siebziger Jahre etabliert haben. Die Verfahrensregeln des Sicherheitsrates sehen eine derartige Konsultationsform nicht vor. Die Absprachen haben sich aus der informellen Praxis entwickelt. Mit dem Bau des informellen Konsultationsraums im Jahre 1978 neben dem Saal des Sicherheitsrates für die öffentlichen Sitzungen wurde diese Praxis gewissermassen institutionalisiert. Insbesondere nach dem Zusammenbruch des bipolaren Systems mit der zunehmenden Befassung des Sicherheitsrates mit einer Vielzahl von Konflikten war ein starker Anstieg der informellen Konsultationen zu verzeichnen.15

13 Davidson Nicol, The United Nations Security Council: Towards Greater Effectiveness, New York 1982, S. 77. 14 Vgl. Anthony Aust, The Procedure and Practice of the Security Council Today, in: R. Dupuy (Hrsg.), Peacekeeping and Peacebuilding. The Development of the Role of the Security, Dordrecht 1993, S. 365-374. 15 Vgl. Schaubild 1.

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Entscheidungsfindung in den Vereinten Nationen

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Strukturprobleme der Vereinten Nationen und Reformkonzepte

Andererseits nimmt die Mitteilung ausdrücklich Bezug auf die bisherigen Mitteilungen und Erklärungen des Präsidenten zu den Arbeitsmethoden und bekräftigt die Auffassung des Rats, „... that there should be an increased recourse to public meetings ...", also mehr öffentliche Sitzungen stattfinden sollten. Die Mitteilung betont die Breite der Optionen für die Sitzungen - „the members of the Security Council have agreed to use a range of meeting options from which they can select the best one suited to facilitate specific discussions" - und die Flexibilität, die den Ratsmitgliedern bei der Strukturierung der geeigneten Sitzungsformen durch die Geschäftsordnung und deren Anwendung zur Verfügung stünde, „recognizing that the provisional rules of procedure and their own practice provide them with considerable flexibility in choosing how to structure their meetings ..." 21? Die Ratsmitglieder hätten zur Kenntnis genommen, wie wichtig die Praxis sei, daß der Präsident die Nichtratsmitglieder unter den Staaten in Briefings über die Arbeit des Rates informiere: „They agree that such briefings should be substantive and detailed ... They also agree that such briefings should take place shortly after informal consultations of the whole."218 Interessierten Staaten sollten Kopien der Statements zugänglich gemacht werden, die der Ratspräsident gegenüber der Presse abgäbe. Damit bestätigt die Mitteilung alles in allem den 1994 begonnenen Reformkurs, man konzediert den Nichtmitgliedstaaten vielfaltige Diskussionsforen sowie mehr Informationen für sie, für die Presse und die Öffentlichkeit. Die Zahl der formellen Sitzungen hat seit 1999 deutlich zugenommen, während die Zahl der informellen Konsultationen etwa gleich geblieben ist: Gab es z. B. 1994 135 formelle Sitzungen und 273 informelle Konsultationen, waren es 2001 192 formelle Sitzungen und 183 informelle Konsultationen. Von den 192 formellen Sitzungen im Jahr 2001 waren 159 öffentliche und 33 nichtöffentliche Sitzungen. Von den 159 öffentlichen Sitzungen bestanden 70 aus offenen Unterrichtungen (open briefings) und Debatten.219 Damit hat der Rat dem Wunsch nach mehr Öffentlichkeit, nach mehr Information und mehr thematischen Debatten Folge geleistet. Sogar ein neuer Typus von Sitzungen wurde 2001 entwickelt: nichtöffentliche Sitzungen, die offen für alle Mitgliedstaaten sind („private meetings open to all non-members"), nicht-öffentlich sind sie nur in dem Sinne, daß die Medien und die Öffentlichkeit von den Sitzungen ausgeschlossen sind. Die UN-Mitgliedstaaten können an diesen Sitzungen ohne vorherige Einladung des Ratspräsidenten auf Grund eines schriftliche Teilnahmeverlangens teilnehmen, ein Novum. Die Sitzungen werden im UNJournal angekündigt als „open to non-members of the Security Council who wish to attend".220 Als weitere Neuerung führte der Rat sogenannte „ Wrap-Up-Meetings" ein, wo der Rat kritisch über seine Arbeitsweise und/oder über seine Poli2,7

Ebd., S. 2. Ebd., S. 1. 219 Vgl. United Nations - Security Council, Note by the President of the Security Council, UN Doc. S/2002/603, 6.6.2002, S. 5. 220 Vgl. ebd. 218

Die Reform der Vereinten Nationen

557

tik gegenüber einer bestimmten Konfliktregion Bilanz zieht, eine Evaluation der eigenen Arbeit. Seit Juni 2001 finden die Wrap-Up-Meetings in öffentlichen Sitzungen statt, Redebeiträge können jedoch nur die Ratsmitglieder beisteuern. 6.3.1.1.1. Informelle Treffen von Mitgliedern des Rats Darüber hinaus hat der Rat weitere Tagungsformen entwickelt, die noch informeller sind als die „informellen Konsultationen" des Ratsplenums, nämlich Treffen von Ratsmitgliedern; der Rat tritt in diesem Fall nicht als Gremium zusammen, sondern trifft sich auf Einladung eines Mitglieds des Rats. Dabei sind zwei Tagungsformen zu unterscheiden: zum einen das „ Treffen von Ratsmitgliedern " (Meeting of Members of the Council). Es findet im Ratssaal statt, jedoch als informelles Treffen, und dient in der Regel dazu, Politiker aus den Mitgliedstaaten anzuhören, zum anderen die „ Treffen nach der Arria-Formel" {Arria-Formula Meetings). Bei den „Treffen nach der Arria-Formel", die nach dem venezolanischen UN-Botschafter Diego Arria benannt sind, der sie 1992 als improvisierte Form des Kontakts zwischen Ratsmitgliedern und Personen aus UN-Mitgliedsländern entwickelt hat, handelt es sich um informelle Treffen, bei dem ein Ratsmitglied die anderen Ratsmitglieder zu einem Treffen außerhalb der Ratsräume in einem der sonstigen Konferenzräume einlädt für ein Briefing durch Fachleute, nationale Politiker oder NGO-Vertreter.222 (vgl. auch Tabelle 2: Übersicht über die Tagungsformen des Sicherheitsrats, S. 552-555). Außerdem verfassen seit Januar 2001 die Ratspräsidenten nach Abschluß ihres jeweiligen Präsidentschaftsmonats einen Rechenschaftsbericht über die Arbeit des Sicherheitsrats (Monthly Assessment of the President of the Security Council), der als Ratsdokument den übrigen Mitgliedern zugeleitet und veröffentlicht wird. Diese Berichte ermöglichen einen aktuellen Überblick über alle Ratsaktivitäten (Briefmgs, informelle Konsultationen, formelle Sitzungen, Resolutionen usw.).223 Der Rat veröffentlicht seit 2000 sein Arbeitsprogramm für den kommenden Monat und einen vorläufigen Arbeitsplan im voraus und ermöglicht so, den Nichtmitgliedern und den NGOs vor den Sitzungen Einfluß bei sie interessierenden Themen auf Ratsmitglieder zu nehmen. Selbst die informellen Konsultationen des Ratsplenums werden seit einigen Jahren unter der Bezeichnung „Consultations of the whole (closed)" im UNJournal angekündigt, zusammen mit einer informellen Liste der Diskussionsthemen. 221

Vgl. ebd; eine Gesamtübersicht, Wortprotokolle und andere Texte der Wrap-UpMeetings: U N Security Council - Presidency, „Wrap-Up" Discussion on the Work o f tne Security Council Since 2001, www.un.org/Docs/sc/presidency/wrapupe.htm. 222 Vgl. James Paul, The Arria Formula. Revised Version, October 2003, www.globapolicy .org/security/mtgsetc/arria.htm. 223 U N Security Council - Presidency, Monthly Assessments of the President o f the Security Council Since 2001, www.un.org/Docs/sc/presidency/monthe.htm.

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Strukturprobleme der Vereinten Nationen und Reformkonzepte

Das komplette Arbeitsprogramm des Rats für den jeweiligen Monat findet sich auf der Internetwebseite des Ratspräsidenten. 4 Des weiteren macht der Rat seit einigen Jahren stärker als früher von der Möglichkeit Gebrauch, durch Reisen von Ratsmitgliedern oder des gesamten Rats sich in Konfliktgebieten selber einen Eindruck zu verschaffen, um besser geeignete Maßnahmen bei seinen Friedensmissionen und sonstigen friedenssichernden Aktivitäten ergreifen zu können. Viele dieser Verfahrensänderungen wurden in der Arbeitsgruppe des Sicherheitsrats für Dokumentation und Verfahrensfragen vorbereitet, einer informellen Gruppe, die im Juni 1993 im Zuge der damals einsetzenden Reformdebatte eingerichtet wurde und seitdem mehrere Mal pro Jahr tagt. Alles in allem ein enormer Zugewinn an Transparenz, Informations- und Mitwirkungsmöglichkeiten für die UN-Mitgliedstaaten, die nicht Ratsmitglieder sind. Dies bestätigte auch der Reformbericht des Generalsekretärs „Stärkung der Vereinten Nationen" vom September 2002: „Der Sicherheitsrat hat seine Arbeitsmethoden in den letzten Jahren erheblich verbessert ... Der Rat ist transparenter geworden und bietet den Mitgliedern der Vereinten Nationen insgesamt mehr Gelegenheit, an seiner Arbeit mitzuwirken." Annan drängte den Rat, die Änderungen auch in der Geschäftsordnung festzuhalten. Das ist verständlich, denn die Änderungen bewegen sich überwiegend im Feld der Informalität, könnten also jederzeit durch Ratsbeschlüsse wieder zurückgenommen werden. Andererseits haben sie aber durch die ständige Anwendung in der Praxis und die vielen Mitteilungen und Erklärungen des Ratspräsidenten, die ja vorher im Konsens vom Rat gebilligt wurden, politisch und auch wohl völkerrechtlich längst einen relativ verbindlichen Charakter erlangt. Die nichtständigen Ratsmitglieder äußerten sich im gleichen Jahr bei der (erstmals öffentlichen) Diskussion des Jahresberichts des Rats an die Generalversammlung ähnlich. Sie anerkannten die Fortschritte bei den Arbeitsmethoden und schlugen vor, angesichts der komplizierten Vielfalt der Bezeichnungen der Sitzungsformen eine einheitliche Terminologie zu entwickeln, kritisierten aber das langsame Reformtempo und den Widerstand gegen die Festschreibung der Änderungen in der Geschäftsordnung.226 Zu verdanken sind die vielen Reformschritte vor allem den Initiativen der nichtständigen Mitglieder im Sicherheitsrat, den vielen Reformdebatten in der Generalversammlung und nicht zuletzt den nichtstaatlichen Organisationen (NGOs).

224

UN Security Council - Presidency, Provisional Programme of Work of the Security Council, www.un.org/Docs/sc/presidency/powe.htm. Nähere Informationen zu den einzelnen Tagungsformen des Rates finden sich in: UNITAR, Conference Diplomacy and Multilateral Negotiation. A Glossary of Terms for UN-based Diplomats, Genf, 20.1.2003, www.unitar.org/diplomacy/OnlineResources/glossary%20diplomacy.pdf. 225 Vereinte Nationen - Generalversammlung, Stärkung der Vereinten Nationen (Fn. 64), Ziff. 21. 226 So z. B. der UN-Botschafter von Singapur Kishore Mahbubani in der Ratssitzung am 26.9.2003, UN Doc. A/58/PV.4616, S. 3.

Die Reform der Vereinten Nationen

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6.3.1.1.2. NGOs und Sicherheitsrat Im Gegensatz zum Wirtschafts- und Sozialrat, der seit langem über entsprechende Resolutionen die Akkreditierung von NGOs und ihre Teilnahme an Sitzungen des ECOSOC und seiner Unterorgane geregelt hat im Rahmen der Vorgaben, die Artikel 71 der Charta macht 227 , gab es für den Sicherheitsrat über lange Jahre keine Teilnahmemöglichkeiten für NGOs, zum einen weil es an einer entsprechenden Vorgabe in der Charta fehlt und zum anderen weil die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sich gegen die Teilnahme von NGOs an ihren Sitzungen sträubten. So gelang es erst im Zuge der allgemeinen Bemühungen um eine Reform der Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats Anfang der 90er Jahre Zugangsmöglichkeiten für NGOs zum Rat zu eröffnen. Die beiden Hauptformen der Zusammenarbeit sind informelle Treffen von Ratsmitgliedern mit NGOs nach der sog. Arria-Formel und zum anderen die Treffen der NGOArbeitsgruppe für den Sicherheitsrat mit Mitgliedern des Rats, ebenfalls in einem informellen Rahmen. Beide Formen der Zusammenarbeit haben nichtständige Ratmitglieder zusammen mit NGOs in einem zähen Ringen gegen den Widerstand der P5 schrittweise durchgesetzt. In den Jahren zwischen 1992 und 1997, in denen häufig Treffen nach der Arria-Formel stattfanden, wehrten sich die P5 gegen das Bemühen der nichtständigen Mitglieder, nicht nur - wie bisher üblich - Regierungschefs und andere Offizielle aus den Mitgliedsländern anzuhören, sondern auch NGOs. Die nichtständigen Mitglieder argumentierten, genau wegen der NGOs wäre die Arria-Formel schließlich entwickelt worden, da die Offiziellen ohne weiteres vom Rat auch in den formellen Sitzungen im Rahmen der Geschäftsordnung angehört werden könnten. 228 Die Sitzungen nach der Arria-Formel habe man ja gerade deshalb entwickeln müssen, weil die P5 den NGOs keinen solchen offiziellen Status durch Teilnahme an einer formellen Sitzung geben wollten. Erst 1999 gelang es im Zuge der allgemeinen Reforminitiativen im Hinblick auf die Arbeitsmethoden des Rats mit Unterstützung des ständigen Ratsmitglieds Großbritannien Sitzungen nach der Arria-Formel auch mit NGOs durchzusetzen. 229 Seitdem gehören sie zum festen Bestandteil der Arbeitsmethoden des Rats, jeden Monat finden ein oder mehrere Treffen nach der Arria-Formel statt. So fanden z. B. im Jahr 2001 11 Treffen nach der Arria-Formel statt, darunter 6 mit NGO-Vertretern. 230 227

Artikel 71 UN-Charta: Der Wirtschafte- und Sozialrat kann geeignete Abmachungen zwecks Konsultationen mit Nichtstaatlichen Organisationen [im englischen Orginaltext der Charta: Non-Governmental Organisation, der Verf.] treffen, die sich mit Angelegenheiten seiner Zuständigkeit befassen ..." 228 Regel 39 der vorläufigen Geschäftsordnung des Rats lautet: „Der Sicherheitsrat kann Mitglieder des Sekretariats oder sonsitige Personen, die er dazu für qualifiziert hält, einladen, ihm Informationen zur Verfugung zu stellen oder ihn auf sonstige Weise bei der Prüfung der in seine Zuständigkeit fallenden Angelegenheiten zu unterstützen." 229 Vgl. James Paul, The Arria Formula (Fn. 222). 230 Vgl. United Nations - Security Council, Note by the President of the Security Council, UN Doc. S/2002/603, 6.6.2002, S. 6.

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Strukturprobleme der Vereinten Nationen und Reformkonzepte

Die Arria-Treffen werden vom Ratspräsidenten als Teil des regulären Arbeitsplans des Rats angekündigt, die Treffen werden von dem UN-Sekretariat mit kompletten Ubersetzungsmöglichkeiten versehen. Sie sind also eine interessante Mischung aus Informalität (sie finden außerhalb der Ratsräume statt, es sind keine formellen Sitzungen, sondern Treffen auf Einladung eines Ratsmitgliedes) und Formalität (Ankündigung im Arbeitsplan, Übersetzungsmöglichkeiten). Die Sitzungen bieten dem Rat gerade im Hinblick auf Friedensmissionen und humanitäre Katastrophen ein wichtiges und flexibles Instrument, schnell an aktuelle Informationen zu gelangen und Gespräche mit denjenigen zu fuhren, die vor Ort in den Krisengebieten tätig sind. Die Treffen nach der Arria-Formel sind eine typische UN-Lösung: Ohne eine grundsätzliche Entscheidung über die Mitwirkungsmöglichkeit einer Gruppe zu treffen, eine Entscheidung, die wegen des Widerstandes der P5 kaum möglich wäre, schafft man sich eine flexible informelle Lösung für die Praxis. Solche informellen Lösungen sind die Stärke der UNO, sie sind jedoch für viele Außenstehende schwer zu verstehen. Parallel zu den Bemühungen der NGO-Vertreter, an informellen Treffen der Ratsmitglieder nach der Arria-Formel teilnehmen zu können, gründete 1995, angeregt durch die Ideen der Arbeitsgruppe der Generalversammlung zur Reform des Sicherheitsrats, eine Gruppe von NGOs unter Leitung des Global Policy Forum eine NGO-Arbeitsgruppe fiir den Sicherheitsrat, um Reformkonzepte zu entwickeln. Zu den Gründungsmitgliedern zählten Amnesty International und der Weltrat der Kirchen. Im Jahr 1996 verschob die Gruppe ihren Fokus von der Entwicklung von Reformkonzepten auf einen Dialog mit Ratsmitgliedern.231 Obwohl Skeptiker dieses Vorhaben für unerreichbar hielten, erzielte die Gruppe bei ihren Bemühungen überraschende Fortschritte, weil sie von den Botschaftern einiger nichtständiger Ratsmitglieder, so z. B. aus Chile und Portugal, Unterstützung fand und allmählich auch die übrigen Ratsmitglieder, darunter auch die P5, feststellten, daß die Treffen mit der NGO-Arbeitsgruppe sehr nützlich waren, weil die NGOs ein hohes Maß an Fachwissen und Erfahrung im humanitären Bereich und im Bereich des Menschenrechtsschutzes verfiigen. Die NGO-Arbeitsgruppe trifft sich mit dem Botschafter eines Ratsmitgliedes, um den Botschafter über ihre Erfahrungen und Anliegen in bezug auf bestimmte internationale Konflikte oder Krisenherde, mit denen sich der Rat befaßt, zu berichten und ihm wiederum für Fragen zur Verfügung zu stehen. Die Treffen finden regelmäßig statt, auch der jeweilige Ratspräsident beteiligt sich an den Treffen mit der NGO-Arbeitsgruppe. Die Treffen dauern ca. eineinhalb Stunden, rund 20 NGO-Vertreter treffen sich mit einem UN-Botschafter aus dem Kreis der Ratsmitglieder. Auch diese informellen Treffen haben sich zu einem festen Bestandteil der Arbeitsmethoden des Rats entwickelt, es finden etwa vier derartige Sitzungen pro Monat statt, 2005 gab es z.B. 45 derartige Treffen.232 231

Vgl. James A. Paul, Working with Nongovernmental Organizations, in: David M. Malone (Hrsg.), The UN Security Council, (Fn. 212), S. 373-387, S. 378. Weitere Informationen zu den Treffen der NGO-Arbeitsgruppe mit den UN-Botschaf-

232

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Mit beiden Formen der Mitwirkung haben die NGOs es innerhalb eines Jahrzehntes geschafft, sich einen bemerkenswert großen Einfluß im Rat zu verschaffen, der bis dahin sich gegen Einflüsse von außen abgeschirmt hatte. Die Tatsache, daß die Ratsmitglieder regelmäßig die Expertise der NGOs in ihre Entschlüsse und Resolutionen einfließen lassen, stellt einen Quantensprung in der internationalen Politik dar, der sich wohl vor allem daraus erklärt, daß Problemdruck und Komplexität der internationalen Konflikte so groß sind, daß sich selbst die personell gut ausgestatteten UN-Botschaften der P5 nicht mehr in der Lage sehen, adäquate Problemlösungen zu erarbeiten. Interessanterweise haben UN-Forschung und Öffentlichkeit bisher kaum von diesem revolutionären Wandel in der Politik und den Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats Kenntnis genommen, vielleicht, weil sich der Wandel nur in Mitteilungen und Erklärungen des Präsidenten und Meldungen auf den Webseiten der NGOs seinen Ausdruck findet und nicht in Reden der UN-Botschafter und der Staats- und Regierungschefs, die wohl aus Prestigegründen kein Interesse haben, eine solche Aufwertung der NGOs in den Vereinten Nationen öffentlich zu dokumentieren. 6.3.1.2. Die Reforminitiative der Schweiz-Gruppe Ein solcher tiefgreifender Wandel der Arbeitsmethoden, der nicht von der Vorläufigen Geschäftsordnung des Rats festgeschrieben worden ist, sondern nur in einer Reihe von Mitteilungen und Erklärungen des Ratspräsidenten, gewinnt dann mehr an Stabilität, wenn es der Mehrheit der Staaten in der Generalversammlung gelingt, den Rat dazu zu veranlassen, die gewandelten Arbeitsmethoden in Gänze oder zumindest teilweise in einem offiziellen Dokument des Rats - am besten wäre eine Resolution, aber auch eine Mitteilung des Präsidenten wäre schon gut - zusammenzufassen und die Prinzipien ihrer Anwendung zu bekräftigen. Den letzten zusammenfassenden Ratstext in dieser Hinsicht stellt die schon öfter zitierte Mitteilung des Ratspräsidenten vom 30. Dezember 1999 dar. Es gilt also nun, die ab 2000 eingetretenen Veränderungen in den Arbeitsmethoden in einem Ratstext festzuschreiben. Die Schweiz unternimmt seit Frühjahr 2005 genau diesen Versuch, ein verdienstvolles, aber auch schwieriges Unternehmen: Im April 2005 hatte der Botschafter der Schweiz Peter Maurer in den informellen Beratungen der Generalversammlung über den Reformbericht des Generalsekretärs in seinem Statement einen Vorschlag zur Verbesserung und Reform der Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats gemacht, der als Non-Paper dem Text seines Statements 233 beigefugt war. Das Non-Paper wurde schon vor Maurers Rede vor der Generalversammlung interessierten UN-Botschaften zugänglich gemacht und bei tern aus dem Sicherheitsrat: www.globalpolicy.org/security/ngowkgrp/data.htm. 233 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations New York, Statement by Ambassador Peter Maurer, Permanent Representative of Switzerland to the United Nations, 50th session of the General Assembly, Informal Consultations, 27.4.2005, www.eda. admin.ch/newyork miss/e/home/interv/59th/general.ContentPar.0023.Upfile.tmp/sp_050 427_engiyfrench_e7.pdf.

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verschiedenen Briefmgs in der Botschaft der Schweiz mit den Vertretern anderer Staaten diskutiert, worauf sich einige Staaten entschlossen, sich dem Schweizer Projekt anzuschließen. Die Staatengruppe erreichte durch eine effiziente Werbung für ihren Vorschlag im Vorfeld des Weltgipfels im September 2005, daß ihr Konzept in das Ergebnisdokument aufgenommen wurde: „Wir empfehlen dem Sicherheitsrats, seine Arbeitsmethoden weiter so anzupassen, daß Staaten, die nicht Mitglied des Rats sind, gegebenenfalls stärker an seiner Arbeit beteiligt werden, seine Rechenschaftspflicht gegenüber den Mitgliedstaaten erhöht und die Transparenz seiner Arbeit gesteigert wird."234 Offensichtlich hatte die Schweiz mit ihrer Initiative einen breiten Konsens der Staatengemeinschaft ausgedrückt, denn von verbesserten Arbeitsmethoden des Rats, vor allem in bezug auf die Information und die Zusammenarbeit mit den Nichtmitgliedstaaten, profitieren alle: der Rat, weil seine Beschlüsse dann effektiver umgesetzt werden können, die anderen Mitgliedstaaten, weil sie rechtzeitig informiert werden und damit eher Einfluß auf die Ratsentscheidungen nehmen können. So griff die Mehrzahl der Redner bei der Plenardebatte über die Sicherheitsratsreform im November 2005 das Konzept für eine Reform der Arbeitsmethoden auf. Wie Jan Eliasson in seinem Brief vom 20. Dezember 2005 berichtete, begrüßten viele Staaten den Text für einen Resolutionsentwurf zur Reform der Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats, den Costa Rica, Jordanien, Liechtenstein und die Schweiz informell unter den Mitgliedstaaten Anfang November zirkulieren ließen.235 Am 17. März 2006 legten diese Staaten nach ausführlichen Beratungen in New York eine revidierte Fassung des Resolutionsentwurfs vor, den sie beim Präsidenten der Generalversammlung offiziell als Resolutionsentwurf zum Tagesordnungspunkt 120 („Follow-up to the Outcome of the Millennium Summit") einreichten236 und zugleich unter den UN-Botschaften zirkulieren ließen.237 Worum geht es in dem Resolutionsentwurf? Die Resolution ist rhetorisch und politisch eine Einladung an den Sicherheitsrat, über Maßnahmen zur Reform seiner Arbeitsmethoden nachzudenken, denn mehr als einladen zu Überlegungen über Reformmaßnahmen können die Mitglieder der Generalversammlung den Rat nicht, er ist Herr über seine eigenen Arbeitsmethoden: "The General Assembly, ... Invites the Security Council to consider the measures contained in the annex to the present resolution in order to further enhance the accountability, transparency and inclusive234

Ergebnis des Weltgipfels, (Fn. 148), Ziff. 154. Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Letter to the Permanent Representatives and Permanent Observers of all Missions to the United Nations, November 3rd, 2005, www.eda.admin.ch/newyork_miss/e/home/wmsc.ContentPar.0001 .UpFile.tmp/ xy_yymmdd 0123456789_l.pdf. 236 United Nations - General Assembly, Improving the working methods of the Security Council. Draft Resolution, 17 March 2006, UN Doc. A/60/L.49. 237 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Letter to the Permanent Representatives and Permanent Observers of all Missions to the United Nations, March 20th, 2006, www.eda.admin.ch/newyork_miss/e/home/wmsc.ContentPar.0003.UpFile.tmp/xy_ yymmdd_0123456789_l.pdf. 235

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ness of its work, with a view to strengthening its legitimacy and effectiveness". 238 Sollte die Resolution von der Generalversammlung verabschiedet werden, wäre sie ein politischer Appell an den Sicherheitsrat, dem bisher schon vollzogenen Wandel der Arbeitsmethoden und der Beteiligung von Nichtratsmitgliedern zum einen eine feste Form zu geben (durch entsprechende Änderungen der Vorläufigen Geschäftsordnung) und zum anderen die Zusammenarbeit mit der Generalversammlung, dem Wirtschafts- und Sozialrat sowie mit NGOs auszuweiten, des weiteren die eigene Arbeit kritisch zu evaluieren und schließlich den Gebrauch des Vetorechts einzuschränken. 6.3.1.2.1. Die Kernelemente der Resolution der Schweiz-Gruppe Ein Teil der Vorschläge greift die bestehende Praxis bei den Arbeitsmethoden des Rats auf und schlägt deren Ausweitung und Festschreibung als Standardverfahren des Rats vor: • Ein substantieller Meinungsaustausch zwischen Sicherheitsrat, Generalversammlung und Wirtschafts- und Sozialrat sollte häufig erfolgen und als ein Standardverfahren in der Geschäftsordnung des Rats festgeschrieben werden; die entsprechenden Verfahrensregeln sollten allen UN-Mitgliedstaaten bekannt gemacht werden. 239 • Regelmäßige und rechtzeitige Konsultationen" zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern des Sicherheitsrats sollten eingerichtet werden als Bestandteil des Standardverfahrens des Sicherheitsrats. 240 • Dort, wo Beschlüsse des Sicherheitsrats die Implementierung durch alle Mitgliedstaaten erfordern, sollte der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten rechtzeitig dazu befragen und sicherstellen, daß auch deren Fähigkeit zur Implementierung der Entscheidungen im Entscheidungsprozeß berücksichtigt würde.241 • Die vorläufige Vorschau für das Arbeitsprogramm des nächsten Monats sollte den Mitgliedstaaten zugänglich gemacht werden, sobald es den Mitgliedern des Sicherheitsrats zu Verfügung steht; der jeweilige Ratspräsident sollte bei Amtsantritt ein Informationsbriefing über die Monatsvorschau für das Arbeitsprogramm des Rats durchführen, das allen UN-Mitgliedstaaten offenstehen sollte.242 • Was Friedensmissionen des Rates angeht, sollte der Rat sicherstellen, daß alle Mitgliedstaaten rechtzeitig über alle Entwicklungen in bezug auf die Missionen informiert würden; 243 er soll238 239 240 241 242 243

UN Doc. A/60/L.49, S. 2. UN Doc. A/60/L.49, Annex, Ziff. 3. Ebd., Ziff. 4. Ebd., Ziff. 6. Ebd., Ziff. 5. Ebd., Ziff. 15.

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te die Konsultationen mit Truppenstellerstaaten und anderen Staaten, die an den Missionen beteiligt seien, verstärken;244 • Um den neugewählten nichtständigen Mitgliedern des Rates die Integration in den Rat zu erleichtern, sollte das UN-Sekretariat detaillierte Briefing-Unterlagen über die Verfahren, Praktiken und Aktivitäten des Sicherheitsrats erstellen und den neu gewählten Mitgliedern zur Verfügung stellen.245 Neu sind dagegen die Vorschläge, die auf eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Arbeit des Rates abzielen und an die Wrap-UpMeetings des Rats anknüpfen, in denen der Rat seit einigen Jahren seine eigene Arbeit in bezug auf die Arbeitsmethoden und die politischen Zielsetzungen und Ergebnisse diskutiert: • informelle interaktive Diskussionen der Mitglieder des Sicherheitsrats über den Jahresbericht des Sicherheitsrats an die Generalversammlung, wenn er in der Generalversammlung diskutiert wird;246 • themenzentrierte Berichte des Rats an die Generalversammlung über aktuelle internationale Probleme, wie z. B. die Verhängung von Sanktionen;247 • die Einrichtung von „lessons learned groups" als Unterorgane des Sicherheitsrats zur Evaluation der Arbeit des Rates: sie sollten die Aufgabe haben, die Umsetzung der Ratsentscheidungen zu beurteilen, Hindernisse bei seiner Umsetzung sowie Gründe für die Nichtumsetzung zu analysieren und Mechanismen für eine verbesserte Umsetzung auf der Basis von „best practices" zu entwickeln.248 Am weitesten in die Kompetenzen des Rats greifen die Vorschläge zur Beschränkung des Vetogebrauchs ein: • Die ständigen Ratsmitglieder sollten für den Fall, daß sie ein Veto einlegen, die Gründe dafür erläutern und eine Kopie der Erklärung sollte als Sicherheitsrats-Dokument allen UN-Mitgliedstaaten zugänglich gemacht werden: „A permanent member of the Security Council using its veto should explain the reason for doing so at the time the relevant resolution is rejected in the Security Council and a copy of the explanation should be circulated as a Security Council document to all members of the Organization."249 • Kein ständiges Ratsmitglied sollte sein Veto anwenden dürfen bei Beschlüssen, wo es um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts geht: „No permanent member should cast a non-concurring vote in the sense of Article 27, paragraph 244 245 246 247 248 249

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

Ziff. Ziff. Ziff. Ziff. Ziff. Ziff.

16. 18 u. 19. 1. 2. 7. 13.

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3, of the Charter in the event of genocide, crimes against humanity and serious violations of international humanitarian law".250 Der Resolutionsentwurf der Schweiz-Gruppe enthält ein Programm, das bei seiner Umsetzung zweifellos die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung verbessern würde. Es würde nicht nur für die Mitglieder der Generalversammlung Nutzen stiften, weil sie besser über die Arbeit des Rats informiert würden, sondern auch für den Rat, weil er ein Interesse daran haben muß, genügend Truppensteiler und Geldgeber unter den Staaten zu finden, die mithelfen, die Beschlüsse des Rats in die Tat umzusetzen, sowie ein Interesse daran, daß alle UN-Mitgliedstaaten die vom Rat beschlossenen Sanktionen wirksam umsetzen. UN-Praktiker mögen einwenden, Resolutionen der Generalversammlung könnten nicht grundlegende Veränderungen für die Arbeit des Rats bewirken und Verbesserungen könnten nur durch eine veränderte Praxis bewirkt werden. Damit haben sie einerseits recht, weil Resolutionen der Generalversammlung zu den Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats eben nur empfehlenden Charakter gegenüber dem Rat haben können, weil dieser allein über seine Verfahren und seine Geschäftsordnung entscheidet. Andererseits haben schon öfter völkerrechtlich nicht-verbindliche Ratsresolutionen einen großen Einfluß auf die Arbeit der UN-Organe gehabt, man denke an die „Friendly Relations Declaration". 25 ' Die Sponsoren des Resolutionsentwurfs argumentieren ähnlich in ihrem Brief an die anderen UN-Botschaften vom 20. März 2006: Sie wollen einen Dialog zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern des Rats über die Arbeitsmethoden herbeiführen. 252 Einem solchen Dialog, der die Wünsche der Staatenmehrheit nach einer besseren Zusammenarbeit und einer stärkeren Einbeziehung der Nichtmitglieder des Rats zum Thema hat, werden sich die ständigen Ratsmitglieder auf Dauer wohl kaum entziehen können, auch wenn dadurch ihre Machtposition etwas geschmälert wird. Nur in bezug auf die Begründungspflicht für die Einlegung des Vetos und die Einschränkung seines Gebrauchs in Fällen schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Völkermord dürfte die Resolution den Boden realistischer Politik verlassen haben: Beim Vetogebrauch geht es um den Kernbestand der Vorrechte der P5 und die Debatte um die Ratsreform im Jahr 2005 hat gezeigt, daß die P5 hier zu keinerlei Einschränkungen bereit sind, selbst wenn es sich bei dem Vorschlag nur um die Aufforderung zu einer freiwilligen Selbstbeschränkung des Rats handeln kann, weil sonst ja eine Chartaänderung erforderlich wäre. Eine solche Resolution zu den Arbeitsmethoden des Sicherheitsrat hätte zwar nur empfehlenden Charakter, würde aber bei Zustimmung der P5 in der Abstimmung der Generalversammlung bedeuten, daß sie sich auf deren Anwendung politisch festlegten, während sie zur Zeit sich jederzeit von der Anwendung der praktizierten Arbeitsmethoden zurückziehen können. Es wäre eine wichtige politische Geste der P5-Staaten und ein kon250 251 252

Ebd., ZifF. 14. U N Doc. A/RES/2625 ( X X V ) vom 24.10.1970. Permanent Mission o f Switzerland to the United Nations, Letter (Fn. 237), S. 1.

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kreter Fortschritt in der Zusammenarbeit zwischen Rat und Generalversammlung und in bezug auf die Transparenz und die politische Legitimation des Rats. 6.4. Die Reformdefizite bei den Hauptorganen Generalversammlung und Wirtschafts- und Sozialrat Nur wenigen dürfte während der Diskussionen im Vorfeld des Weltgipfels aufgefallen sein, daß sich die Reformberichte nur ganz knapp mit den Hauptorganen Generalversammlung und Wirtschafts- und Sozialrat beschäftigten und auch die Reden, Aufsätze und Zeitungsberichte kaum auf deren Probleme eingingen. Das verwundert nicht, weil ihre Zusammensetzung, ihre Kompetenzen und ihre Arbeitsweise den meisten kaum bekannt sind und sich die Aufmerksamkeit meistens auf den Sicherheitsrat und den Generalsekretär konzentriert, die im Licht der Öffentlichkeit stehen. Wie ist es um die Reform von Generalversammlung und Wirtschaftsund Sozialrat bestellt? Aus Platzgründen kann ich nur ein paar Anmerkungen dazu machen und auf die entsprechende Fachliteratur verweisen, die sich mit den Reformbemühungen in diesem Bereich beschäftigt: Eine gute Übersicht über die Reformdiskussion zum Wirtschafts- und Sozialrat und die entsprechende Literatur zum Beispiel findet sich im Buch „UNO-Reform zwischen Utopie und Realität" von Klaus Hüfher und Jens Martens.253 6.4.1. Die Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrats Trotz vieler Reformvorschläge und Diskussionen in der Generalversammlung blieben weiterreichende Reformen des Wirtschafts- und Sozialrats aus, mit denen seine koordinierende Funktion hätte gestärkt werden können: So hat man zwar beim Wirtschafts- und Sozialrat als Reformmaßnahme254 eine jährliche kurze Sitzungsperiode auf hoher politischer Ebene eingeführt, wo zumindest die Chance besteht, wichtige globale Themen in einem ausreichend repräsentativen Gremium überschaubarer Größe (54 Mitglieder) zu diskutieren, ansonsten aber bleibt seine Funktion als Zwischenstation zwischen Generalversammlung, Generalsekretär und der Vielfalt der UN-Programme und Sonderorganisationen bestehen, seine immer wieder geforderte Koordinationsfunktion für das gesamte UN-System wird sich wohl kaum politisch durchsetzen lassen, vor allem, weil die großen Industriestaaten ihre Entwicklungshilfeaktivitäten bevorzugt über die Weltbank abwickeln und kein Interesse an einer stärkeren Rolle des Rates in diesem Bereich haben.255 Das Ergebnisdokument des Weltgipfels nimmt sich zwar auch dieses Themas an, indem es die Rolle des Wirtschafts- und Sozialrats als Hauptorgan für die Koordinierung der UN-Aktivitäten im wirtschaftlichen und sozialen Bereich hervorhebt sowie seine Rolle bei der Umsetzung der Er253

Klaus Hüfner/Jens Martens, UNO-Reform zwischen Utopie und Realität (Fn. 8). Vgl. UN Doc. A/RES/45/264 vom 13.5.1991 und UN Doc. A/RES/48/162 vom 23.12.1993. 255 Vgl. Klaus Hüfner/Jens Martens, UNO-Reform (Fn. 8), S. 209ff. 254

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gebnisse der UN-Weltkonferenzen und der dort vereinbarten Entwicklungsziele einschließlich der Millenniums-Entwicklungsziele und anregt, ein zweijährliches Forum für Entwicklungszusammenarbeit auf hoher Ebene abzuhalten256, aber das ist wenig realistisch: Der Wirtschafts- und Sozialrat verfugt zwar in seinen Fachkommissionen und Unterorganen über eine hohe Kompetenz in diesem Bereich, wegen seiner geringen politischen Kompetenzen - er debattiert nur und reicht dann die Texte weiter - wird er von den einflußreicheren Mitgliedstaaten nicht ernst genommen, während die Staaten der Dritten Welt in ihm ein Organ sehen, in dem sie ihre Sorgen und Anliegen im entwicklungspolitischen Bereich artikulieren können. Das Entwicklungsforum des Wirtschafts- und Sozialrats hätte also nur Sinn, wenn die größeren Staaten ihre Minister dort hinschicken würden und die Diskussionsergebnisse sowohl in der Entwicklungspolitik der Mitgliedstaaten als auch im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung ernstgenommen und in konkrete Entscheidungen umgesetzt würden. Ein Hoffhungszeichen in dieser Richtung ist immerhin, daß seit einigen Jahren sich der Wirtschafts- und Sozialrat mit den Bretton-Woods-Institutionen zu Gesprächen trifft und der Sicherheitsrat im Zusammenhang mit Friedensmissionen und anderen Aktivitäten mehr das Gespräch mit dem Wirtschafits- und Sozialrat sucht. Vielleicht hat man begriffen, welchen Wert die dort vorhandene Expertise für die Friedenssicherung und Friedenskonsolidierung hat, in diese Richtung läßt sich auch der Kompromiß bei der Zusammensetzung der Kommission für Friedenskonsolidierung deuten. Eine politische Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrats durch eine engere Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsrat würde die Anliegen der Entwicklungsländer stärker in die Arbeit der UNO einbinden und ihnen - unabhängig vom Fortschritt der Reform des Sicherheitsrats - das Gefühl geben, mehr politisches Gehör und vielleicht auch mehr Einfluß zu bekommen. Das wäre gut für die Legitimation der Arbeit des Sicherheitsrats und der UNO insgesamt. 6.4.2. Reform der Generalversammlung - kaum Fortschritte Die Generalversammlung, die eigentlich von der „Verfassung" der UNO, der Charta, her das wichtigste Organ sein sollte, als das Organ, das die Mitglieder der anderen Hauptorgane wählt und deren Arbeitsberichte entgegennimmt und diskutiert sowie den Haushalt festlegt, zumal sie das einzige Organ ist, in dem alle Mitgliedstaaten mitwirken können, ist de facto für die größeren Mitgliedstaaten gegenüber dem Sicherheitsrat zweitrangig, weil in der Generalversammlung nicht die für sie relevanten Entscheidungen fallen, sondern im Sicherheitsrat, wenn auch die große Zahl der kleineren Mitgliedstaaten die Generalversammlung als das wichtigste Organ ansieht und deshalb dort angemessen zu Wort kommen will. Kritiker beklagen seit Jahrzehnten die völlig überladene Tagesordnung, die neben aktuellen, drängenden Problemen zum Teil Themen behandelt, die seit Jahrzehnten nicht mehr aktuell sind, aber aus Gründen der Ein256

Ergebnis des Weltgipfels (Fn. 148), Ziff. 155.

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flußwahrung und symbolischen Diplomatie auf der Tagesordnung bleiben, weil die Streichung eines solchen Tagesordnungspunktes von den betroffenen Staaten als diplomatische Niederlage angesehen wird. Bisher hat keiner der ehrgeizigen Reformvorschläge zur Straffung der Tagesordnung genügend Rückhalt in der Generalversammlung gefunden. Ebenso scheiterten auch alle Versuche, die Doppelarbeit zwischen den allen Mitgliedstaaten offenstehenden Hauptausschüssen und dem Plenum der Generalversammlung zu reduzieren. 2 " Denn es geht zu vielen UN-Diplomaten darum, sich die Chance zu erhalten, gehört zu werden, sich Gelegenheiten für informelle Verhandlungen zu erhalten. Dies ist angesichts der knappen finanziellen Ressourcen vieler Staaten der Dritten Welt, die ihnen für die Außenpolitik zur Verfügung stehen, durchaus verständlich, die Vereinten Nationen sind für sie ein wichtiger Ort auch ihrer bilateralen Diplomatie. Schätzt man die Vereinten Nationen jedoch als den Ort, an dem alle Staaten - unabhängig von ihrer Größe und ihrem Machtpotential, an einem sehr komplexen, chaotischen, aber dennoch langfristig wirksamen Konsensbildungsprozeß über internationale Fragen teilnehmen können, und dies ist zumindest die Sichtweise vieler Politikwissenschaftler und auch vieler Außenpolitiker, dann wird man diesen Zustand wohl weiter akzeptieren müssen. 6.5. Schlußbemerkung Betrachtet man den Reformprozeß in den Vereinten Nationen seit Anfang der 90 Jahre und vergleicht ihn mit dem Reformtempo früherer Jahrzehnte, kann man konstatieren, daß sich - mögen die Kritiker der UNO das auch in Abrede stellen - das UN-System seither erheblich verändert hat: Durch die Weltkonferenzen der 90er Jahre ist die Arbeit der Vereinten Nationen erheblich stärker als früher in das Bewußtsein der Menschen in den Mitgliedstaaten gerückt und nehmen auch die Politiker in den Mitgliedstaaten sie stärker zur Kenntnis, ganz abgesehen von den NGOs, die sich seitdem in intensiver Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen für den Fluß von Informationen in das UN-System und für die Umsetzung der Beschlüsse der UN-Gremien einsetzen. Die Reformen des Sekretariats unter Boutros-Ghali und Annan haben im Rahmen dessen, was in einer komplexen, multikulturellen Organisation von 191 Mitgliedstaaten möglich ist - für effizientere Strukturen und einen besseren Informationsfluß gesorgt sowie Kosten eingespart. Wer vom UN-Sekretariat weitere Sparmaßnahmen fordert, gefährdet dessen Arbeitsfähigkeit, das wissen die UN-Mitarbeiter und sachkundige UN-Wissenschaftler, leider jedoch nicht die Politiker in den Mitgliedstaaten, die meistens nur die Höhe der Beiträge und freiwilligen Leistungen betrachten. Jede Kommunalverwaltung und Bundesbehörde in Deutschland hat in Relation zu ihren Aufgaben eine geringere betriebswirtschaftliche Effizienz und mehr Probleme mit Verschwendung und Korruption als 257

Vgl. Jürgen Heideking, Generalversammlung, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen (Fn. 1), S. 178-183, S. 182.

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die UNO, die Lektüre der Rechnungshofberichte belegt das hinreichend. Was die Strukturreform der Hauptorgane Generalversammlung, Wirtschafts- und Sozialrat und Sicherheitsrat angeht, haben nun alle Beteiligten - das ist ein Novum und ein Verdienst von Kofi Annan und seiner Mitarbeiter - durch die Millenniums-Konferenz, die Berichte im Vorfeld des Weltgipfels 2005 und das Ergebnisdokument des Weltgipfels und die vielfaltigen Debatten in der Generalversammlung verstanden, daß weitere Reformen erforderlich sind und welche Möglichkeiten es dafür gibt. Die Umsetzung der Reformkonzepte hat jedoch gerade erst begonnen und von den beiden wichtigsten Innovationen, der Kommission zur Friedenskonsolidierung und dem Menschenrechtsrat soll man nicht gleich zu viel erwarten. Sie bieten beide auf ihrem jeweiligen Gebiet eine Chance für eine bessere Zusammenarbeit: Bei der Kommission zur Friedenskonsolidierung liegt die Chance darin, daß der Sicherheitsrat lernt, besser mit dem Wirtschafts- und Sozialrat zusammenzuarbeiten bei den konkreten Projekten der Friedenskonsolidierung in den einzelnen Ländern und daß der Wirtschafts- und Sozialrat dadurch, daß er einmal nicht nur Debattierorgan ist, sondern eine konkrete Mitverantwortung trägt, effizientere Arbeitsformen entwickelt und die Mitgliedstaaten ihm mehr Aufmerksamkeit und Zeit widmen. Ein solcher allmählicher Wandel durch mehr konkrete Verantwortung war ja auch der Motor für die Veränderungen im Sicherheitsrats seit den frühen 90er Jahren. Der Menschenrechtsrat bietet die Chance, die von politischen Motiven geprägte Konfrontation in der Menschenrechtskommission zu überwinden und wirksame Formen der Zusammenarbeit im Menschenrechtsschutz zu finden. Günstig ist, daß sich auch seine Mitglieder der Überprüfung in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte durch den Rat stellen müssen, das macht ihn gegenüber den anderen Staaten glaubwürdiger. Ob er die Chancen nutzen wird, bleibt abzuwarten, zu wünschen wäre es. Ansonsten hat die Geschichte der UN-Reformen seit Anfang der 90er Jahre, die ich in diesem Beitrag beleuchtet habe, gezeigt, daß Strukturreformen schwer zu erreichen sind, aber vielleicht auch gar nicht erforderlich sind: So wie schon in früheren Jahrzehnten die Generalversammlung und der Generalsekretär ohne Chartaänderungen durch interpretierende Resolutionen (die Generalversammlung) oder durch eine andere Handhabung der eigenen Befugnisse in der Praxis (der Generalsekretär), für die man die Unterstützung der Mehrheit der Mitgliedstaaten bekommt, einen Wandel ihrer Kompetenzen und Aufgaben herbeigeführt haben, hat dies auch der Sicherheitsrat seit den frühen 90er Jahren gemacht, ohne daß die Charta geändert werden mußte. Bewirkt haben den Wandel im Sicherheitsrat die vielen neuen Aufgaben in der Friedenssicherung und im Menschenrechtsschutz seit dem Beginn effektiver Zusammenarbeit im Rat, die Unterstützung und Informationen von außen unverzichtbar machten, das beharrliche Bemühen vieler nichtständiger Ratsmitglieder seit den frühen 90er Jahren um mehr effektive Partizipation von Nichtmitgliedern sowie die Lobby- und Überzeugungsarbeit der NGOs. Die P5 mußten sich dieser Entwicklung beugen und haben inzwischen an der größeren Transparenz der Ratsarbeit und an der Mitwirkung von Nichtmitgliedern und NGOs

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Gefallen gefunden, weil die Entwicklung implizit die politische Legitimation des Rats erhöht. Eine Strukturreform des Rats, wie sie seit Mitte der 90er Jahre angestrebt worden ist, würde zwar für einige Staaten, vor allem für mögliche neue ständige Mitglieder, einen Prestigegewinn bedeuten und eventuell ein stärkeres Engagement dieser Staaten in der UNO nach sich ziehen, würde aber für die Mehrheit der Staaten wenig an deren Mitwirkungsmöglichkeiten in der UNO ändern. Für sie ist die sich seit dem Millennium abzeichnende stärkere alltägliche Einbeziehung in die Arbeit des Sicherheitsrats durch Information und Anhörung viel bedeutsamer, weil so ihre Anliegen als Staat einer betroffenen Konfliktregion, als truppenstellender Staat oder als ein Staat, der von den negativen wirtschaftlichen Folgen von UN-Sanktionen betroffen ist, viel eher im Sicherheitsrat Berücksichtigung finden können. So widmete der britische UN-Botschafter Parry seinen Redebeitrag bei der Bilanzdebatte in der Generalversammlung zur Sicherheitsratsreform im November 2005 überwiegend den Arbeitsmethoden des Rats, deren Reform nach seiner Überzeugung die politische Wirksamkeit der Ratsarbeit erhöht: „The United Kingdom hopes the coming year will see ... the Council's working methods invigorated, in the interests of greater effectiveness and impact."258 Zwei P5-Staaten, Großbritannien und Frankreich, scheinen die Lektion gelernt zu haben, daß nur ein in der Praxis partizipatorisch organisierter Sicherheitsrat von der Staatenmehrheit die erforderliche Legitimation zuerkannt bekommt. Für die Generalversammlung wird es darum gehen, im Rahmen dieser veränderten politischen Gewichte ihre Stellung neu zu bestimmen. In den 60er, 70er und 80er Jahren hatte sie durch die Blockade des Sicherheitsrats eine starke Stellung, weil viele politische Entscheidungen damals nur in der Generalversammlung getroffen werden konnten. Nun ist diese Phase vorüber, der Sicherheitsrat hat wieder das politische Schwergewicht und die Generalversammlung muß ihre Aufgaben neu bestimmen. Sie wäre gut beraten, wenn sie sich nicht wie bisher in endlosen Debatten über jedes internationale Thema verzettelte, sondern als eine Art permanente „UN-Weltkonferenz" die Aufgaben jener UN-Weltkonferenzen, die sich in den 90er Jahren mit einem Schwerpunktthema aus der Fülle der globalen Probleme nach gründlicher Vorbereitung und mit Einbeziehung der NGOs und der Medien befaßt haben und zu für die Weltgemeinschaft ertragreichen Ergebnissen gekommen sind, übernehmen würde, nämlich bei ihren jährlichen Tagungen sich überwiegend nur einem gut vorbereiteten Schwerpunktthema widmen würde und dies mit breiter Einbeziehung von NGOs. Gerade in dieser Hinsicht tut sich die Generalversammlung jedoch leider noch sehr schwer. Zur Zeit ist sie das Organ mit den höchsten Hürden für den Zugang von NGOs, die geringen Beteiligungsmöglichkeiten der NGOs beim Weltgipfel 2005 - ein Rückschritt gegenüber den UN-Weltkonferenzen der 90er Jahre, sind dafür ein Beleg.

258

UN Doc. A/60/PV.48, 10.11.2005, S. 22.

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Würde sie sich mit den NGOs verbünden, so wie die nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats es ihr vorgemacht haben, würde die Generalversammlung ihre Chancen erhöhen, mehr politisches Gewicht zu bekommen, würden NGOs, Medien und die öffentliche Meinung in den Mitgliedstaaten ihre Arbeit mehr zur Kenntnis nehmen. Änderungen der Geschäftsordnung und ein oder zwei Ausschüsse mehr reichen nicht aus, es geht um das politische Selbstverständnis und die Neudefinition der eigenen Aufgaben. Solche pragmatischen Reformen innerhalb der Vereinten Nationen, für die es keiner Chartaänderungen bedarf, sollten von den Politikern in den Mitgliedstaaten unterstützt werden und kritisch begleitet werden von den UN-Forschem und Medien in den Mitgliedstaaten. Sie alle sollten dafür sorgen, daß den Vereinten Nationen die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit sie - Reformen hin oder her - vernünftig arbeiten können. Sie sollten außerdem das Verständnis bei der Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten dafür vergrößern, daß es besser ist, eine so wichtige und komplexe Organisation wie die Vereinten Nationen ständig pragmatisch an Veränderungen anzupassen statt nach großen Reformen zu verlangen, welche die UNO in ihrer mehr als sechzigjährigen Geschichte nicht durchsetzen konnte und die sie wohl auch nicht braucht.

Autorenverzeichnis Beigbeder, Yves, Msc. Ed., Ph. D. (Öffentliches Recht), war ehemaliger Mitarbeiter der F AO und der WHO. Seit 1984 lehrt er an Universitäten in Paris, Genf und Nord Amerika und bei UNITAR über Internationale Organisationen, Internationale Verwaltung und Internationale Strafgerichtshöfe . Er hat zu diesen Themen eine Reihe von Büchern und Artikeln veröffentlicht. Er ist Mitglied des Academic Council on the UN System (ACUNS), der International Law Association, der Société française pour le droit international und des Council of the Union of International Associations. Eisele, Manfred, Assistant Secretary-General for Planning and Support (Ret.) Department of Peacekeeping Operations, United Nations, New York; freiberufliche Vorlesungstätigkeit u. a. bei dem NATO Defence College Rom, der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, Universitäten, Politischen Akademien und Stiftungen; Berater für die Bereiche Internationale Politik, Strategie, Logistik; Träger der DagHammarskjöld-Ehrenmedaille der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Fitschen, Thomas, Dr., Studium der Rechtswissenschaft in Kiel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes und am Institut für Internationales Recht in Kiel; seit 1990 im Auswärtigen Dienst, derzeit an der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York. Fues, Thomas, Dr., Studium der Volkswirtschaftslehre 1973-1980 an der Universität Bonn und dem Massachusetts Institute of Technology, Diplom-Volkswirt; 1995-1998 Promotionsstudium Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, 1998 Verleihung des Doktorgrads; 1980-1982 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE); 1983-1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag im Bereich Entwicklungspolitik/Nord-Süd; 1990-1997 freier Gutachter; 1997-2004 Mitarbeiter des Instituts fur Entwicklung und Frieden (INEF), Universität Duisburg-Essen; 20012004 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen; 2001-2004 EineWelt-Beauftragter der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Ab 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn mit dem Schwerpunkt „Vereinte Nationen und Global Governance". Gothel, Dieter, Beigeordneter Generalsekretär und Präsident des Koordinierungsausschusses Leitung/Personal im UN-Sekretariat; ehemaliger Direktor bei der IAEO in Wien; seit mehr als 30 Jahren im UN-System in leitenden Funktionen tätig, darunter als Personalchef bei der ICAO

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in Montreal; ehemaliger Sprecher der Personaldirektoren im UN-System und Vorsitzender des Aufsichtsrates für den Pensionsfonds im UN-System. Hamm, Brigitte, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Universität Duisburg-Essen, Campus Duisburg, Forschungsschwerpunkte: a) Menschenrechte als normative Grundlage in einer globalisierten Welt und b) Corporate Social Responsibility (CSR); Mitglied der Projektgruppe Global Policy von Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED); seit 2000 Mitarbeit im Arbeitskreis Wirtschaft und Menschenrechte beim Forum Menschenrechte, sowie im „Arbeitskreis OECD-Leitsätze" der Nationalen Kontaktstelle beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit; aktuelle Publikationen: Menschenrechte - Ein Grundlagenbuch, Opladen 2003; Maßnahmen zur Stärkung von Corporate Social Responsibility in der Entwicklungszusammenarbeit europäischer Institutionen und ausgewählter europäischer Geberländer, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn 2004. Hüfner, Klaus, Dr., Universitätsprofessor a.D.; 1971-1995 und 1999-2006 Mitglied des Forschungsrates der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (1971-1973, 1976, 1983-1992 und 2004-2006 Koordinator); 1998-2005 Mitglied des VN-politischen Beirats des Auswärtigen Amtes; seit 1982 Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCOKommission (1998-2002 Präsident); seit 1993 Ehrenpräsident der WFUNA; seit 2006 Senior Research Fellow beim Global Policy Forum. Klein, Eckart, Prof. Dr. iur. habil., Inhaber des Lehrstuhls für Staatsrecht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Potsdam, Direktor des Menschenrechtszentrums der Universität Potsdam; 1995-2002 Mitglied des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen; seit 1995 Mitglied des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen. Klingebiel, Stephan, Dr., Leiter der Abteilung „Governance, Staatlichkeit und Sicherheit" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn; Promotion über den Reformprozeß des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP); weitere Veröffentlichungen zu entwicklungspolitischen Fragen der Vereinten Nationen; weitere Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Verhältnis von „Sicherheit und Entwicklung"; Krisenprävention und Konfliktmanagement; Entwicklungspolitik mit Subsahara-Afrika. Maier, Jürgen, seit 1996 Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung deutscher Nichtregierungsorganisationen. Das Forum begleitet seit der Rio-Konferenz 1992 die UN-Verhandlungen zu nachhaltiger Entwicklung (Klima, Biodiversität, Desertifikation, CSD usw.), die WTO-Verhandlungen und anderen internationalen Foren und koordiniert die Beiträge deutscher NGOs dazu.

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Pallek, Markus, Dr. LL.M. (NYU), MP A (ENA), Attorney-at-Law (New York und District of Columbia) und Ancien élève de l'École Nationale d'Administration (Promotion René Cassin); ist Jurist im Büro des Rechtsberaters der Vereinten Nationen (Office of the Legal Counsel) in der Rechtsabteilung (Office of Legal Affairs) des Sekretariats in New York. Paschke, Karl Th., Ministerialdirektor a. D., ehemaliger UN-Untergeneralsekretär (1994-99), 1984-1986 deutscher Ständiger Vertreter bei den Internationalen Organisationen in Wien; deutscher Sonderbotschafter bei den Vereinten Nationen für die Management- und Sekretariats-Reform (2006); Lehrbeauftragter an der School of Public Policy der Universität Erfurt. Prantl, Jochen, Dr., Studium der Politikwissenschaft, Iberoromanischen Philologie und Kunstgeschichte an der Universität Bonn, Promotion im Fach Internationale Beziehungen am St. Antony's College der Universität Oxford; lehrt im Bereich Internationale Beziehungen am Nuffield College der Universität Oxford. Von 2000-2004 Gastwissenschaftler am UN Studies Programm der Yale Universität. Forschungsschwerpunkte sind allgemeine Fragen zu Global Governance und der Rolle internationaler Institutionen in der Bearbeitung zwischen- und innerstaatlicher Konflikte. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie informelle Netzwerke die Problemlösungsfähigkeit internationaler Organisationen verbessern können. Buchveröffentlichung: „The UN Security Council and Informal Groups of States: Complementing or Competing for Governance?", Oxford University Press 2006. Volger, Helmut, Dr. phil., Studium der Politikwissenschaft und Amerikanistik an der Freien Universität Berlin; seit 1987 wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema „Vereinte Nationen"; seit 1999 Koordinator des Forschungskreises Vereinte Nationen; Herausgeber des „Lexikons der Vereinten Nationen" (München/Wien 2000), 2002 in englischer Lizenzausgabe veröffentlicht („A Concise Encyclopedia of the United Nations", The Hague/London/New York 2002). Wagner, Adolf von, Dr., juristisches Staatsexamen, Dr. phil. (wissenschaftliche Politik, neuere Geschichte); von 1962-2000 im höheren auswärtigen Dienst: 1966-1970 Botschaft Washington: bilaterale Konsultationen über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ( N W ) und über Strategische Waffenbegrenzung (SALT); 1973-1977 Auswärtiges Amt: Internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie und mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO); 1977-1980 Wien: Verhandlungen über gegenseitige ausgewogene Truppenreduzierungen (MBFR); 1980-1983 Auswärtiges Amt: INF-Verhandlungen (pershing und cruise missiles) und Sonderkonsultativgruppe der NATO; 1985 Genf: stellvertretender Delegationsleiter bei der dritten Konferenz zur Überprüfung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ( N W ) ; 1986-1990 Auswärtiges

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Amt: Referatsleiter u.a. für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie, Leiter des Krisenstabes nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, Delegierter beim Gouverneursrat der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien; 1990-1993 Genf: Leiter der deutschen Delegation bei der Abrüstungskonferenz (CD), Leiter der Verhandlungen über das Verbot chemischer Waffen; 1990, 1991, 1992 New York: deutscher Vertreter im Ersten Ausschuß (Abrüstung und Internationale Sicherheit) der 45., 46. und 47. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen; 1991 New York: stellvertretender Vorsitzender der Abrüstungskommission der Vereinten Nationen; 1993/1994 New York: Vorsitzender des Ersten Ausschusses (Abrüstung und internationale Sicherheit) der 48. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen; seit 2000 im Ruhestand. Weiß, Norman, Dr. iur., wissenschaftlicher Assistent im Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam; Forschungsschwerpunkte: Verfassungsrecht, Verfassungsgeschichte, Völkerrecht, Internationale Organisationen, Menschenrechte, Minderheitenschutz; 2000-2003 Mitglied in der Projektgruppe „Minderheitenrechte als Menschenrechtsaufgabe" der Deutschen Kommission Justitia et Pax; seit 2004 Mitglied des Forschungsrates der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN e.V.); seit 2005 Mitglied in der Konzeptgruppe des Forschungskreises Vereinte Nationen; Veröffentlichungen (Auswahl): Schutz von Frauenrechten im Rahmen der Vereinten Nationen, in: Perspektive 21, Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik, Heft 12, September 2000, S. 58-67; Menschenrechtsverletzungen: Was kann ich dagegen tun?, 2. Aufl. 2004 (zus. mit Klaus Hüfher und Wolfgang Reuther); Menschenrechtsschutz im Spiegel von Wissenschaft und Praxis, 2004, (hrsg. zusammen mit Claudia Mahler); The Protection of Minorities in a Federal State: The Case of Germany, in: G. Alan Tarr, Robert F. Williams, Josef Marko (Hrsg.), Federalism, Subnational Constitutions, and Minority Rights, 2004, S. 73-87. Wüstenhagen, Axel, Dr. jur., Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien; 1965 Promotion; 1966-1972 Generalsekretär der Österreichischen Liga für die Vereinten Nationen; 19722003 im Dienst der Vereinten Nationen: 1990-1993 Direktor des UNInformationszentrums in Athen (zuständig für Griechenland, Zypern und Israel), sowie Pressesprecher des humanitären UN-Hilfsprogramms in Amman, Jordanien während des Golfkrieges; 1993-1996 Direktor des Informationsdienstes der Vereinten Nationen in Wien (zuständig für Deutschland, Österreich und Ungarn); 1996-2003 Direktor des UN-Informationszentrums in Bonn und Medienkoordinator der jährlichen Weltklimakonferenzen 1997-2004.