Quellenstudien zur Religionsgeschichte [Reprint 2021 ed.] 9783112433928, 9783112433911

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Quellenstudien zur Religionsgeschichte [Reprint 2021 ed.]
 9783112433928, 9783112433911

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Aus der Hielt der Religion Religionswissenschaftliche Reihe, XleUfc $olgC Herausgegeben v. Heinrich Frick

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Guellenstudien

zur ZKeligLonSgeschichte Heinrich jsridt

Vorwort zur Rudolf Otto-Ehrung Junxu Litaxama

Genyö Köan Gerardus van der Leeuto

Altägyptischer Pantheismus Ludoll Fran) Merkel

Anfänge der Erforschung indischer Religionen

1940

Verlag Allred Töpelmann - Berlin W 35

Äus der Wett der Religion

Leligkonswiffenschaktliche Leihe he raus gegeben von Gustav Mensching (Auswahl)

5. R. Otto u. G. Mensching, Chorgebete für Kirche, Schule und Haus­

andacht, 2. Ausl. (5. und 4. Tausend). 1928. RM 1.50 4. R. Otto, Zur Erneuerung und Ausgestaltung des Gottesdienstes. 1925. RM 1.50

11. H. Frick, Mission oder Propaganda? 1927. RM 0.70

15. Th. Siegfried, Luther und Kant. Ein geistesgeschichtlicher Vergleich im Anschluß an den Gewissensbegriff. 1950. RM 5.60 20. R. Otto, Gottheit und Gottheiten der Arier. 1952. RM 4.50; geb. RM 5.80

21. G. Mensching, Zur Metaphysik des Ich. Eine religionsgeschichtliche

Untersuchung über das personale Bewußtsein. 1954. RM 5.80

22. H. Kars, Kanzler und Kirche. Bismarcks grundsätzliche Einstellung zu den Kirchen während des Kulturkampfes. 1954. RM 2.40

25. Fr. Weinrich, Die Liebe im Buddhismus

und im Christentum.

1955. RM 5.— 24. R. Otto, Die Katha-Upanishad. 1956. RM 5.80 25. C. Giemen, Das Problem der Sünde. 1956. RM 2.90

Aus der

Welt der Religion Religionswissenschaftliche Reihe, begründet von Gustav Mensching unter Mitwirkung von Rudolf Ottos u. a.

NEUE FOLGE herausgegeben von Heinrich Frick Direktor der Religionskundlichen Sammlung der Universität Marburg/Lahn

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Guellenstudien ?tir LelisionSgeschichte

ALFRED TÖPELMANN BERLIN

1940

GuellenstudLen

zur NelLsLonSgeschichte HEINRICH FRICK Vorwort zur Rudolf Otto-Ehrung

JUNYU KITAYAMA

Genjö Köan GERARDUS VAN DER LEEUW

Altägyptischer Pantheismus

RUDOLF FRANZ MERKEL Anfänge der Erforschung indischer Religionen

ALFRED TÖPELMANN BERLIN 1940

Die Hefte 1 —5 bilden zusammen die

ZLudolk Gtto-Ehruns und sind auch als Sammelband erhältlich

Printed in Germany Druck von Walter de Gruyter & Go., Berlin W 55

Vorwort zur Rudolf Otto-Ehrung Die als Rudolf Otto-Ehrung erscheinende Sammlung von selbständigen Auf­ sätzen eines Kollegenkreises war ursprünglich einer Publikation zum 70.

Geburtstag Rudolf Ottos (25. IX. 1939) zugedacht. Die Kriegsver­ hältnisse haben das Erscheinen verzögert, sie nötigten ferner dazu, den Um­

fang stark zu kürzen. Vor allem mußte eine Anzahl ausländischer Autoren

als Mitarbeiter wegfallen. Der übriggebliebene Kreis umfaßt Kollegen Rudolf Ottos aus seiner Marburger Zeit und einige auswärtige Gelehrte, die sich aus persönlichen und fachlichen Gründen gern an einer Ehrung des unvergeßlichen

Religionsforschers beteiligten. So möge diese Aufsatzreihe, die als Ausschnitt

aus einem umfassenderen Plan übriggeblieben ist, trotz der Verkürzung erneut

dafür zeugen, daß Rudolf Otto, dessen Todestag sich am 7. März zum dritten Mal gejährt hat, nicht nur unvergessen ist, sondern daß sein Werk nach wie

vor über Fakultäts-und Sprachgrenzen hinaus lebendigen Widerhall weckt. Als beständigste Ehrung dürfte wohl die Weiterarbeit in seinem Geiste gelten,

vor allem auch die pflegliche Fortsetzung der von ihm begonnenen oder angeregten Unternehmen auf dem Gebiet der Religionswissenschaft. Außer der Religionskundlichen Sammlung der Universität Marburg, seiner wich­

tigsten Gründung, verdient die Reihe „Aus der Welt der Religion** im Ge­ dächtnis an Rudolf Otto ausgebaut zu werden. Er hat sie Jahre hindurch mitbetreut und dabei das Ziel im Auge gehabt, durch Quellenschriften und

Forschungsberichte, durch kürzere Monographien und Aufsätze Religions­ kunde zu fördern, insbesondere das Verständnis für die unerschöpflich

reiche Erscheinungswelt der Religionen zu wecken und liebevolles Ein­ dringen in das Wesen jenes Menschheitsphänomens, das wir Religion nennen,

zu erleichtern. Bei aller selbstverständlichen Wissenschaftlichkeit soll die Reihe so gehalten werden, daß auch ein weiterer Leserkreis hier finden kann,

was heute zum Rüstzeug echter Bildung gehört: religions wissenschaft­

lichen Aufschluß über das Geheimnis des ,,Heiligen". Im gleichen Sinne und mit demselben Ziel soll die Reihe „Aus der Welt der

Religion" weitergeführt werden. Die Beiträge zur Rudolf Otto-Ehrung bilden die drei ersten Nummern der Neuen Folge. Heinrich Frick

Genjo Loan AUS DEM ZEN-TEXT »SHÖBÖ GANZÖ« VON PATRIARCH DÖGEN ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT von

Prof. Dr. Dunxu Litaxama, Taishö-Univ. Tokyo z. Zt. STELLV. JAPANISCHER LEITER DES JAPANINSTITUTS IN BERLIN

jTpkas folgende Kapitel ist der dritte Aufsatz in dem Text Shöbö Ganzö, der vom Patriarch Dogen zwischen 1231 und 1253 n. Chr. im Laufe von 23 Jahren in sieben großen Zentempeln vor den Priestern vorgelesen wurde. Dieser Zentext wurde in japanischer Sprache geschrieben, während die meisten buddhistischen Schriften in Chinesisch ver­ faßt wurden. Er hat 95 Kapitel und behandelt das Studium der Zen-Übungen, analysiert die Meditationsaufgaben, stellt die Vor­ schriften und Verhaltungsregeln für die Angehörigen der Sekte auf, erhellt die Haltung und Lebensweise der vergangenen buddhi­ stischen Größen, kritisiert verschiedene buddhistische Thesen und Theorien usw. Er ist eines der größten und bedeutendsten Meister­ werke der buddhistischen Mystik und Philosophie. Der Titel des genannten Werkes stammt aus einer buddhisti­ schen Überlieferung, die dem Zenbuddhismus zugrundeliegt. Als Buddha eines Tages vor einer großen Anzahl von Schülern predigte, spielte er mit einer Lotosblume, die Versammelten ver­ standen nicht, was es bedeuten sollte. Nur der Mahä-KäSyapa hatte es begriffen und lächelte dazu. Darauf sagte Buddha: „Ich habe eine geheime Wahrheit sichtbar und unsichtbar in der wun­ dersamen Seele des Nirvänas als Schatzkammer, die vor dem das Sein wahrhaft erkennenden Auge erscheinen kann. Diese werde ich Mahä-Kä§yapa übergeben/* Die Wahrheit und deren Erkenntnis im Zenbuddhismus sind deshalb nicht mit Worten zu umkleiden, sie sind wort- und aus­ druckslos. Diese nicht in die Form zwingbare Wahrheit ist nach der zenistischen Auffassung die einzig richtige, die Buddha als die Offenbarung seines erleuchteten Geistes hinterlassen hat.

. Kitayama, Genjö Köan

Das genannte Werk von Dogen gibt Aufschlüsse über diese Wahrheit und deren Erkenntnisweise.

Der Text

1. Da alles Seiende sich innerhalb der buddhistisch verstandenen Seinssphäre offenbart, gibt es hier den Welt-Irrtum, die Erleuch­ tung, den Erlösungsweg, das Leben, den Tod, die Vielheit der Buddhaerscheinungen und auch das menschliche Lebewesen. Wenn alles Seiende von seiner Selbstheit losgelöst wird, dann gibt es keinen Irrtum, keine Erleuchtung, keinen Buddha, kein Lebe­ wesen, kein Leben und keinen Tod mehr. Da der buddhistische Weg jenseits aller Gegensätzlichkeiten ist, läßt man das Leben und den Tod, den Irrtum und die Er­ leuchtung, auch die lebenden Buddhas bestehen. Trotzdem sieht man mit Wehmut die Blume welken und mit Abscheu das verdorrte Gras. Es ist ein Irrtum, durch Selbstläuterung in das wahre Wesen alles Seienden eindringen zu wollen. Dagegen ist es Erleuchtung, daß man durch fortschreitende Läuterung von allem Seienden sich selbst in seiner inneren Wahrheit erfasse. 2. Die Buddhas erreichen Erleuchtung im Angesicht der Irr­ tümer, die Menschen erliegen großen Irrtümern im Angesicht der Erleuchtung. Es gibt solche, die eine weitere Erleuchtung er­ reichen, welche sich bereits in einer Erleuchtung befinden; es gibt aber auch solche, die sich in dem Irrtum noch einmal irren [die den Irrtum soweit überwunden haben, daß sie in vollem Bewußt­ sein innerhalb der Welt der Irrtümer verweilen können]. Wenn die Buddhas wirkliche Buddhas sind, brauchen sie sich ihrer Buddhaschaft nicht bewußt zu sein. Der Mensch hingegen muß sein wahres Wesen als Buddhaschaft ins Bewußtsein erheben.

3Wenn man mit allen Bewußtseinskräften die Erscheinungen sieht oder die Stimmen hört, kann man sie unmittelbar erfassen,

Kitayama, Genjö Köan

aber dies geschieht nicht, wie die Gestalten im Spiegel wider­ scheinen, oder wie der Mondschein sich zum Wasser verhält. Wenn man in dem relativen Verhältnis nur die eine Seite bewahrheitet, bleibt die andere Seite im Dunkel. Das Studium des buddhistischen Weges heißt auch Studium des eigenen Ich. Das Studium des eigenen Ich soll bedeuten, daß man das eigene Ich zur Vergessenheit bringt. Das eigene Ich ver­ gessen heißt, daß man im Wesenskern alles Seienden sich selber in seinem wahren Wesen begreift. Solche Bewahrheitung durch alles Seiende bedeutet, daß man eigenes wie fremdes Bewußtsein, ebenso eigene wie fremde Körperlichkeit vergißt. Ist die Erleuchtung erreicht, so muß eine Pause eintreten. Man soll die in sich ruhende Erleuchtung lebendig und wirksam werden lassen. Im ersten Stadium des Suchens nach Wahrheit bleibt man von der Wahrheit noch weit entfernt. Wenn die Wahr­ heit in der Erkenntnis richtiger Überlieferung lebendig wird, so erreicht man die Erfassung des eigenen Wesens. Wendet man auf einer Schiffahrt den Blick zum Ufer, so sieht man irrtümlich das Ufer wandern. Wendet man den Blick auf das Schiff selbst, so erkennt man, daß das Schiff fährt. Ebenso: wenn man im Zustande nicht-gesammelter Leiblichkeit und Bewußtheit Seiendes betrachtet, dann hält man das eigene Bewußtsein und Wesen für ewig unveränderlich. Hat man aber sich selbst unmittel­ bar erkannt und ist in sein Selbst zurückgekehrt, so wird einem die Wahrheit klar, daß alles Seiende der Selbstheit entbehrt. 4Das Brennholz kann sich in Asche verwandeln, aber die Asche kann nicht wieder zu Brennholz werden. Man darf dabei nicht der Meinung verfallen, daß [im Sinn wesenhaften Seins] zuerst Brenn­ holz existierte und später Asche da war. Man soll vielmehr wissen, daß es für Brennholz ein solches Vorher und Nachher nur außer­ halb des tieferen Seins gibt, ebenso gibt es für die Asche nur außer­ halb der eigentlichen Wesenheit ein Vorher und Nachher. Vorher und Nachher sind jeweils getrennte Seinsweisen [eines jenseits der Stofflichkeit liegenden Substrates].

Kitayama, Genjö Köan

Wie das Brennholz, das einmal zu Asche geworden ist, nicht wieder zu Brennholz werden kann, so kann der Mensch, der einmal gestorben ist, nicht wieder ins Leben zurückkehren. Nun lehrt die buddhistische Wahrheit, daß hier nicht [im eigentlichen Sinn] das Leben zum Tod geworden sei. Darum bezeichnet man das Leben als „Leben, das nicht entsteht“ [d. h. das nicht aus etwas anderem wird]. Ebenso sagt der erleuchtete Buddha in seiner Predigt mit Bestimmtheit, daß der Tod nicht zum Leben werden kann, weshalb man das Vergehen im Tod „das unvergängliche Vergehen“ nennt. Tod und Leben sind [nichts weiter als] zeitlich bedingte Seins­ weisen. Sie gleichen [dem Wechsel der Jahreszeiten] Frühling und Winter. Man soll nicht meinen, es sei der Winter, der zum Frühling werde, oder es sei der Frühling, der zum Sommer werde. 5Wenn der Mensch von der Erleuchtung gepackt wird, so ver­ halten sich Erleuchtung und Mensch zueinander, wie der Mond­ schein zum Wasser. Der Mond wird durch das Wasser nicht naß, und das Wasser wird durch den Mond nicht zerstört. Das große Licht kann im Wasser auf einer fuß- oder zollbreiten Fläche ver­ weilen. Der Vollmond am hohen Himmel kann sich sogar in einem Tautropfen widerspiegeln. Die Erleuchtung zerstört nicht den Menschen, genau so wenig, wie der Mond das Wasser vernichtet. Der Mensch [in seiner Bedingtheit] hält nicht die Erleuchtung auf, so wenig wie der Tautropfen die Spiegelung des Mondes hindert. Dabei kann Tiefe zugleich Höhe bedeuten. Man muß Länge und Kürze der Zeit, die Größe des Wassers prüfen und Breite oder Schmalheit des Mondscheines unterscheiden.

6. Sieht man Körper und Geist noch nicht von ihrem wahren Sein her, so glaubt man, sie existierten bereits im Sinne eines aus­ reichenden Seins. Hat man aber Körperlichkeit und Bewußtsein mit wahrem Sein erfüllt, dann erkennt man, daß der Körper und Geist in jenem [einfachen] Dasein noch keineswegs wirkliches Sein haben. Fährt man z. B. mit einem Schiff auf dem hohen Meer, wo

Kitayama, Genjö Köan

ringsum kein Berg zu sehen ist, so nimmt man in allen Himmels­ richtungen nur ein Kreisrund wahr. Man sieht überhaupt keine voneinander unterscheidbaren Erscheinungen. Aber in Wirklich­ keit ist das Meer nicht „rund“, ebensowenig viereckig. Das Meer hat einen unerschöpflichen Reichtum, vergleichbar einem prunkvollen Palast oder einem kostbaren Schmuckstück. Nur soweit unser Blick reicht, sehen wir das Meer als etwas Rundes. Wie mit diesem Beispiel so steht es mit allem Seienden. Sowohl in dem von uns vertrauten gewöhnlichen Leben, als auch innerhalb der Welt buddhistischer Läuterung gibt es mannig­ fache Seinsweisen. Doch kann man sie nur soweit wahrnehmen und erfassen, wie die Erkenntniskräfte mittels des jeweiligen Studiums reichen. Will man alles Seiende in seiner Wesenhaftigkeit erschöp­ fend begreifen, so muß man bei dem Rundblick auf das kreisförmig abgeschlossene Meer weit darüber hinaus zu gleicher Zeit erkennen, daß der jenseits des Rundblicks liegende Reichtum von Meeren und Bergen grenzenlos und unerschöpflich ist, und daß noch andere unzählige Welten vorhanden sind. Das gilt nicht nur mit Bezug auf Dinge, die sich in unserer Nähe befinden, es gilt sogar für die eigene Fußspur und für einen einzigen Tautropfen.

7Wenn die Fische im Wasser schwimmen, finden sie kein Ende des Wassers; wenn die Vögel in der Luft fliegen, treffen sie auf keine Grenze des Himmels. Aber die Vögel haben auch noch nie die Luft verlassen, oder die Fische das Wasser. War ihr Streben groß, so war auch ihre Reichweite groß. War das Streben klein, dann blieb es auch die Reichweite. Sie nützen ihre Grenzen aus, und allent­ halben betreten sie, fliegend oder schwimmend, ihre Räume. So­ bald aber der Vogel aus der Luft herausgenommen wird, oder der Fisch aus dem Wasser, müssen sie auf der Stelle sterben. Nur im Wasser kann der Fisch sich am Leben erhalten, ebenso der Vogel nur in der Luft. [Aber genau so umgekehrt:] Die Luft lebt im Vogel und das Wasser im Fisch, und Fisch wie Vogel sind von diesem Leben abhängig. Außerdem aber gibt es noch zahllose andere Seins- und Erkenntnisweisen der Dinge, mittels deren Läu-

Kitayama, Genjö Köan

terungen möglich sind. Man sieht auf diese Weise auch die Zeitlich­ keit des alternden und lebenden Wesens. Wollten nun die Vögel fliegen, nachdem sie alle Grenzen der Luft erforscht hätten, oder wollte der Fisch nach Erforschung aller Grenzen des Wassers darin schwimmen, so fänden beide weder am Himmel noch im Wasser Raum und Weg. Dasselbe gilt von der Erleuchtung. Man muß den nächstliegenden Punkt gewonnen haben, um von ihm aus das ewige Sein zu durchschauen. Hat man an solchem nächstliegenden Punkt den Pfad betreten [der zur Wahrheit führt], so enthüllt sich einem auch das eigene Wesen. Diese Einsatzstelle und dieser Weg sind weder groß noch klein zu nennen, weder etwas Eigenes noch etwas Fremdes, weder seit je vorhanden, noch erst jetzt offenbart. Nur deshalb ist das Ganze möglich. Wer also den buddhistischen Pfad studieren will, braucht nur ein einziges Sein richtig zu erfassen und nur ein einziges Sein zu meistern. Man soll überhaupt nur an ein einziges Sein sich halten, nur dieses erforschen und an ihm sich schulen. Hat man dafür geeignete Punkte gewonnen und den Pfad ge­ meistert, dann erkennt man, daß es keine Grenze des Erkennbaren gibt, weil man sich [von Anfang an] bereits mitten in der zu er­ kennenden Wahrheit des Buddhismus befindet und mit ihr in Eins fließt. Nur darf man nicht denken, das Erreichte müsse unbedingt zum eigenen Wissensschatz gehören und durch den Verstand zu begreifen sein. Mag auch das Resultat des Studiums [sobald erst einmal der Durchblick auf das Wesentliche geschenkt ist] schnell offenbar geworden sein, so kann doch das verborgene Sein selbst nicht immer gleicherweise offenbar sein. Die Offenbarung braucht nicht jedesmal eine fertige Form anzunehmen.

8. Der Zenmeister Hotetsu vom Mayokuberg benutzte eines Tages einen Fächer. Ein Priester kam vorbei und fragte ihn: „Die Luft hat die Eigenschaft, immer und überall zu sein, warum ge­ braucht Ihr trotzdem einen Fächer ?“

Kitayama, Genjö Köan

Der Meister sagte: „Du weißt, daß die Luft immer da ist, aber Du weißt nicht, ob sie auch überall da ist." Der Priester sagte: „Bitte erkläre mir, was das bedeutet ?" Der Meister gab keine Antwort und gebrauchte seinen Fächer weiter. Der Priester verstand es, bezeugte dem Meister seine Ver­ ehrung und ging. Auf diese Weise kommt der Ertrag des buddhistischen Weges zur Wahrheitserkenntnis zustande, und ebenso ist solcher Art die lebendige Aneignung der rechten Überlieferung beschaffen. Denkt einer, er hätte keinen Fächer nötig und könne ohne Gebrauch eines Fächers die Luft fühlen, weil ja die Luft immer da sei, so weiß er weder um die stete Gegenwärtigkeit der Luft Bescheid, noch kennt er die besondere Eigenschaft der Luft.

9Wie es die Eigenschaft der Luft ist, stets gegenwärtig zu sein, so ist der Windhauch des Buddhismus in der Lage, die Erde in Gold und das Flußwasser in Wein zu verwandeln. Diese Schrift gebe ich meinem Laien­ schüler von Chinzei in der Herbstmitte des ersten Jahres des Tenpuku (1233).

Erläuterung.

Die religiöse Einstellung des Buddhismus in bezug auf sein letztes Ziel: die Erleuchtung oder Erlösung kann nach der buddhi­ stischen Überlieferung in drei Kategorien zusammengefaßt werden. Sie heißen: Gebot und Verbot (Adhiäilam), gesteigerte seelische Kräfte (Adhicittam) und intelligible Anschauung (Adhiprajnä). Das Gebot und Verbot bezwecken, das buddhistische Leben von dem übrigen zu trennen, sie sind passive Verhaltungsmaßnahmen. Die gesteigerten seelischen Kräfte wirken zunächst als reine Zweck­ übungen, die die zerstreuten Lebens- und Bewußtseinskräfte kon­ zentrieren, um einmal im gesteigerten seelischen Zustand eine neue Erkenntnissphäre zu erleben. Das Nirvänaerlebnis des Ur­ buddhismus beschränkte sich weitgehend auf dieses Stadium, das

Kitayama, Genjö Köan

als das „echte buddhistische Erlebnis der Erlösung“ bezeichnet zu werden pflegt. Jedoch ist es irrtümlich, den Buddhismus mit den Maßstäben anderer Religionen zu messen. Buddhismus hat nicht die Ver­ pflichtung, in dem Urbuddhismus den absolut einmaligen Anspruch auf die Geltung der Reden und das Verhalten Buddhas zu sehen. Er ist in seinem innersten Kem beweglich, er hat seine Aufgabe in sich und nicht außerhalb, er ist eine Weisung, die jeweilig im Sein und Denken, in der Geschichte und beim einzelnen Geiste ver­ schieden zur Geltung gebracht werden und zum Ausdruck kommen kann. Hierin liegt sowohl seine Stärke als auch seine Schwäche. Jedoch bleibt trotz aller Mannigfaltigkeit und seiner naturge­ mäßen Vervielfachungsmöglichkeit das Ziel stets und überall das­ selbe: die Erleuchtung. Theoretisch durchdacht ergeben sich un­ endlich komplizierte und verschiedenartige Wege und Lösungen aus dieser jedem Buddhisten gestellten Aufgabe. Aus der Unter­ suchung der praktischen Möglichkeiten und erreichbaren Wirklich­ keiten entstand der Hinayänabuddhismus. Bei ihm spielten das Gebot und Verbot und die gesteigerten Seelenkräfte noch die Hauptrolle. Die intelligible Anschauung war entweder rein theo­ retisch oder noch stark an die gesteigerten Kräfte der Seele ge­ bunden. Darum ist sie noch, wie die spätere buddhistische Kritik sagt, dogmatisch und eng. Erst in den späteren Stadien der buddhistischen Geschichte, die ebenso die Geschichte des Läuterungsprozesses des buddhisti­ schen Geistes ist, wurde die eigentliche Macht der intelligiblen An­ schauung entdeckt. Der Mahäyänabuddhismus ist daraus ent­ standen. Damit ist die eigentliche Aufgabe des Buddhismus voll­ endet, und erst dadurch ist der Buddhismus zur Weltreligion ge­ worden, die als Quelle der geistigen Schöpfungen im ostasiatischen Raum jahrtausendelang währte und heute noch lebt. Die letzte Stufe und Entfaltung der buddhistischen Religiosität bleibt bis heute noch außerhalb Ostasiens unbekannt oder mißverstanden. Für den Mahäyänabuddhismus sind das Gebot und Verbot und die Steigerung der seelischen Kräfte Mittel zum Zweck, sie sind Voraussetzungen und Vorstufen für die geistige Läuterung und zu-

Kitayama, Genjö Köan

letzt die Erleuchtung. Der Zenbuddhismus teilt sich selbst in drei Richtungen: Södö-Sekte, Rinzai-Sekte und Wöbaku-Sekte. Die Södö-Sekte legt das Hauptgewicht auf die unmittelbare Schau in die Wesenheit des Menschen, in der die Buddhaheit entdeckt wird. Die Rinzai-Sekte beschäftigt sich mit der Seinserkenntnis. Sie ist zum Unterschied der Södo-Sekte objektivistisch und ontologisch. Durch die Läuterung der Erkenntnis am Sein wird die Läuterung des Ich erzielt. Die dritte, die Wöbaku-Sekte widmet sich der Be­ trachtung der Buddhaheit als transzendentes Sein. Der Verfasser des hier in Betracht gezogenen Werkes Dogen gründete in Japan die Södö-Sekte. Das Kapitel Genjö Köan ist eines der wichtigsten unter den 95 Kapiteln. Genjö heißt das „offenbar Gewordene“ oder das „be­ reits Offenbarte“, Köan bedeutet „die allgemeine Problematik“. Die allgemeine Problematik ist im Sinne des Zenbuddhismus die These und Aufgabe, mit der sich der Zenpriester in der Meditation zu befassen hat. Wenn die gestellte allgemeine Problematik offen­ bar geworden ist, erreicht man jeweilig eine Stufe der Erkenntnis. Wenn sie bereits offenbar ist, oder nun mehr offenbar geworden ist, sieht man den Erkenntniszustand mit dessen Erkenntnisinhalt als ein fertiges Sein vor sich. Von diesem Stadium aus kann man von allem Seienden nochmals zurückblicken und es nicht in den unge­ läuterten Zuständen, wie es den gewöhnlichen Erkenntnissen ent­ gegentritt, sondern in einer den Gegensatz des Subjekt-Objekt­ verhältnisses transzendierenden Sphäre des Geistes wieder­ erkennen und erleben. Genjö Köan schildert diesen Prozeß. Man müßte, um den Sinn dieses Kapitels richtig zu erfassen, bereits das Stadium der Läuterung hinter sich und in sich haben. Wir ver­ suchen hier aber nur, eine Ahnung von solcher Erkenntnisweise und deren Seinsformen zu gewinnen. Abschnitt i. In diesem Abschnitt handelt es sich um drei Betrachtungs­ weisen des Seienden. Die erste gibt im allgemeinen die Verschieden­ heit alles Seienden in der Vielheit zu. Die Mannigfaltigkeit der Welterscheinungen und auch der überweltlichen Dinge kann als die

Kitayama, Genjö Köan

vielfältige Seinsart alles Seienden im Sinne des Buddhismus be­ trachtet werden. Sie ist auch ohne Buddhismus vorhanden. Aber sie wird in der buddhistischen Erkenntnis als die erste und allge­ meine Gegenständlichkeit ausgenommen und bildet dadurch den Ansatz für den nächsten Läuterungsprozeß. Als Antithese tritt dann das Seiende in seiner Nichtigkeit auf. Das Seiende ist solange seinhaft, als die bindenden und bedingenden Kräfte des Gesetzes wirksam sind. Das Seiende ist, insofern es vergänglich ist, das „Ge-Setzte“, darum entbehrt es eines an sich seienden Charakters. Von da aus gesehen ist das Seiende der Macht der Vernichtung aus­ gesetzt. Jedoch sieht die buddhistische Erleuchtung als intelligible Anschauung, die transzendent aller Gegensätzlichkeit ist, in der Selbstlosigkeit des Seienden eine sich selbst verneinende Macht: die unabhängig von jeweiliger Seinsweise sich selbst durch­ schauende Kraft. Das Sein und die Erkenntniskraft gehen nun in­ einander und bilden eine geläuterte Erlebnis- und Weltsphäre. Das ist die Welt der Erleuchtung.

Abschnitt 2. Deshalb ist es ein Irrtum, durch die Schulung eigener Erlebnis­ kraft alles Seiende vergewissern zu wollen. Es ist falsch, sich selbst als Korrelat zum Seienden aufzufassen und sich zu bemühen, die wahre Erkenntnis des Seienden durch die Steigerung der subjek­ tiven Erlebniskräfte zu erlangen. Im Gegenteil, wenn man die Er­ leuchtung erzielen will, muß man sich selbst vergessen und über die Gegensätzlichkeit erheben. In diesem Augenblick erscheint alles Seiende ohne den Schatten der vernichtenden Macht. Jedes Seiende wird nunmehr seiner selbst mächtig, es wird zu einer selbst-leuchtenden Kraft: wie ein Kunstwerk, das nicht durch die Hände des Künstlers geformt wird, sondern den Künstler formt. Die Idee als Sein entfaltet sich vermittelst der schaffenden Kraft. Analog verhält sich alles Seiende zur buddhistischen Läu­ terung. Die Welt als ein Ganzes einschließlich des Erkennenden offenbart sich als ein einziges Sein. Die Erleuchtung ist nichts anderes als das sich selbst offenbarende und geoffenbarte Sein.

Kitayama, Genjö Köan

Die Buddhas sind diejenigen, die sich von den Irrtümern und Verhängnissen des selbsthaften Seienden befreit habön. Die Menschen sind diejenigen, die sich noch im Irrtum und Verhängnis befinden. Irrtum und Erleuchtung stehen zunächst da als Gegen­ sätze, die aber angesichts der wahren Offenbarung, d. h. in der transzendenten Sphäre der Erleuchtung, aufgehoben werden. Deshalb ist es möglich, daß man die erreichte Erleuchtung durch weitere Erleuchtung aufhebt und vergißt. Die wahre Erleuchtung ist selbst von dem Bewußtsein der Erleuchtung frei. Auch ist es möglich, daß man sich im Irrtum desselben bewußt irrt. Der bewußte Irrtum ist ein durchschauter Irrtum, der nicht zum Verhängnis werden kann. Der objektive Irrtum ist kein Irrtum im Sinne des Wortes, sondern er ist ein gewollter Zustand. Der Laienschüler Vimalakirti sagte: Ich bleibe krank, solange die Welt erkrankt ist. Dieser Prozeß der buddhistischen Erkenntnis und Erkenntnis­ weise vom Gegensatz zur Übergegensätzlichkeit und von der Über­ gegensätzlichkeit wiederum zur Gegensätzlichkeit zeigt eine dia­ lektische Bewegung des sich selbst läuternden Geistes. Hegel sah, wenn wir hier seine Methode in Betracht ziehen wollen, diesen Prozeß in der Geistesoffenbarung abendländischer Form. Der Buddhismus entdeckte diesen Prozeß nicht in der Gesamtge­ schichte der Menschheit — wie Hegel —, sondern in jedem Men­ schen zunächst als Irrtum, der aber nicht nur ein Unwissen (avidyä) vom Etwas ist, vielmehr ist er der Grundirrtum, der das Seinhafte des Menschen ausmacht. Der Mensch befindet sich nicht erst im Grundirrtum, indem er über die Selbstlosigkeit alles Sei­ enden nichts weiß, vielmehr baut er seine ganze Weltexistenz auf dem Unwissen selbst auf. Das primäre Unwissen ist der dunkle Grund, aus dem die menschliche Existenz als der sich selbst läu­ ternde Geist emporsteigt. Zwischen dem Irrtum und dem restlos geläuterten Geist, der Erleuchtung liegt in bezug auf den Läute­ rungsprozeß eine weite Trennung. Der Weg vom Menschen zum Buddha ist in diesem Sinne weit und mühselig. Darum ist die Schulung und Steigerung der seelischen Kräfte notwendig. Der dialektische Prozeß geht so im Buddhismus nicht draußen in der

Kitayama, Genjö Köan

Weltgeschichte vor sich, sondern er beginnt im einzelnen mensch­ lichen Bewußtsein und endet in der Entdeckung der lichterfüllten kosmischen Bewußtseinswelt, die ursprünglich als dunkle Welt des Irrtums die menschliche Existenz umhüllte und ihre Seinsweise bestimmte. Der bewußte Läuterungsprozeß ist die Schulung und der unbewußte, wenn er in der verborgenen Seins- und Geistes­ sphäre zur Reife kam, ist die Inspiration. Im Buddhismus erlebt der Mensch in seiner Geistesläuterung gleichzeitig die Wandlung der Seinssphäre, die sowohl in der end­ lichen als auch in der transzendenten Form unmittelbar real oder ideell sich entfaltet. Insofern das Weltsein als Ganzes der Inhalt der Läuterung ist, bleibt der geistige Prozeß im Unterschied von der vulgären Auffassung des Nirvänas als eines beharrlichen und behaglichen Seins, das zuletzt erreicht werden solle, als ein un­ endlicher Wandelgang, der keine Ruhestätte und kein Ende kennt. Abschnitt 3. Bei Beginn des buddhistischen Studiums muß man die Relati­ vität zwischen Subjekt und Objekt überwinden. Dazu ist es not­ wendig, daß man sich selbst vergißt und auch das objektivierte Bewußtsein des Vergessens vergißt. Dies nennt man im Zen­ buddhismus das „Wegfällen". In dieser Selbstverneinung tritt uns das Seiende nicht als das Gegenständliche ins Bewußtsein, sondern es hebt sich selbst auch auf und erscheint in seiner Selbstlosigkeit, die aber keineswegs die Selbstvernichtung bedeutet. Im Buddhis­ mus ist man klar darüber, daß kein Wesen und Sein zu Nichts verfallen kann. Es gibt nach ihm nur Stufen und Unterschiede. Nur in der ungeläuterten Erkenntnis ist es möglich, daß hier Be­ wußtsein, dort Sein, hier Mensch, dort Buddha, hier Leben, dort Tod besteht.

Abschnitt 4. Wie das Bewußtsein ist auch das Sein nicht selbsthaft und nicht für sich seiend. Weder der Idealismus noch der Materialismus kann das Problem des Sein-Bewußtsein-Verhältnisses aufklären. Nach dem Buddhismus ist weder das absolute Ich noch das abso-

Kitayama, Genjö Köan

lute Sein vorhanden, wodurch das Ich-Welträtsel geteilt und gelöst werden könnte. Jedes Seiende hat in einem bestimmten Augenblick seine be­ stimmte Seinsweise, die sein Sein ausmacht. Das eigentliche Sein ist nur augenblicklich. Das Sein eines Seienden ist die Zeit. Aber die Zeit selbst ist nie eine Dauer. Die Zeit, die eine Länge oder Dauer hat, ist keine Zeit mehr, sondern eine Zeitvorstellung, ein Gedankenprodukt, das in Wirklichkeit nicht existiert. Deshalb ist jede Zeit eine getrennte Zeit. Die Eigenschaft der Zeit besteht im Nichtmehr, in der Unwiederholbarkeit, in der Einmaligkeit. Aus diesem Grunde heißt das Leben ein Seiendes, das sich selbst verneint. Jeder Augenblick ist eine Verneinung, darum heißt es Leben. Auch der Tod heißt ein Seiendes, das sich selbst bejaht. Jeder Augenblick ist eine Bejahung, darum heißt es der Tod. Das Leben kann nicht im Verhältnis zum Tode erfaßt werden, und der Tod kann nicht in bezug auf das Leben verstanden werden, weil sie miteinander nichts zu tun haben. Das Leben wird nicht zum Tode, da es im Augenblicke des Todes kein Leben mehr ist. Auch der Tod kehrt nicht ins Leben zurück, da derselbe Augenblick sich nicht wiederholt. Darum heißt es „das Leben, das nicht lebt", „der Tod, der nicht stirbt".

Abschnitt Z. Das Verhältnis zwischen der Erleuchtung und dem Menschen, d. h. zwischen der intelligiblen Anschauung und dem menschlichen Geiste, wird im Buddhismus oft mit dem Mondschein auf dem Wasser verglichen. Dieser Vergleich sei darum wesentlich und für den Buddhismus bezeichnend, weil der menschliche Geist als ein lebendiger Teil des kosmischen Weltgeistes, als Mikrokosmos des Makrokosmos verstanden wird. Aus dieser Erklärung heraus be­ zeichnet man häufig den Buddhismus als „pantheistische" Religion. Jedoch ist diese Auffassung ebenso kurzsichtig wie voreilig, weil die Vorstellung eins Pan-Theismus einer völlig anderen Welt als der des Buddhismus angehört.

Kitayama, Genjö Köan

Abschnitt 6.

Hier wird die Belehrung für die Studierenden des Buddhismus ausgesprochen und vor voreiliger Selbstgenügsamkeit im Studium gewarnt. Das Bereich des buddhistischen Studiums ist ebenso groß wie das Weltganze und ebenso klein wie ein Tautropfen. Man suche die Wahrheit nicht erst nur in der Feme, sondern vor allem suche man sie in der nächsten Nähe. Beim Beginn des Studiums erscheint die Wahrheit in weiter Feme, aber sie ist überall, worauf das Licht der Erkenntnis fällt. Jedoch hat jede Erkenntnis ihr Sein mit einem unendlichen Horizont. Jede Wirklichkeit ist ein Einzelfall aus unendlichen Möglichkeiten. Derjenige, der imstande ist, hinter der jeweiligen Endlichkeit zugleich und unmittelbar die Unendlich­ keit zu erfassen und zu erleben, befindet sich auf dem richtigen Weg des buddhistischen Studiums. Abschnitt 7. Das Verhältnis zwischen dem erkennenden und erlebenden Geist und dessen Sein ist wie das Verhältnis zwischen dem Fisch und dem Wasser oder dem Vogel und der Luft. Der Geist entdeckt sich selbst im Sein und das Sein im Geiste. Sie sind miteinander verbunden, keins besitzt den Vorrang. Mit der Erkenntnis befindet man sich inmitten des Seienden. Ein Entrinnen ist weder geistig noch praktisch möglich. Eine solche Unterscheidung ist bereits ein Irrtum. Wo man ist und wann man lebt, dort beginnt der Weg der Erkenntnis, dort ist die Seinssphäre des Nirvänas gegeben. Mit der Entdeckung eines einzigen Seins wird der Weg zu allem anderen Sein offenbar. Bei jedem geistigen Studium, das die Selbstauf­ hebung im Sein und die Seinsaufhebung im Bewußtsein zum Ziele hat, öffnet sich das Tor zur Erleuchtung im Sinne des Buddhismus. Jedoch, sobald man das erste Sein gewonnen und bemeistert hat, entdeckt man, daß jedes Sein in einer unendlichen Verwobenheit existiert und die Grenze der Erkenntnis sich immer weiter dehnt. Wenn man bereits so weit ist, befindet man sich bereits im Bereiche des buddhistischen Studiums.

Kitayama, Genjö Köan

Abschnitt 8. Das Beispiel zeigt, daß die buddhistische Erkenntnis nicht rein geistig oder theoretisch vor sich geht, sondern vielmehr muß das Sein unmittelbar erlebt werden. Eingeleitet wird die Erkenntnis durch das „Kö-an“ in einem theoretischen Sinne. In ihm steckt ein Widerspruch verborgen, der auf rationale Weise aufgedeckt wird, indem die Unzulänglichkeit jeweiligen Denkschlusses mit Bezug auf die wahre Seinserkenntnis zutage tritt. Die zenistische Logik ist nicht das sich selbst befriedigende Denken, das sich in Frage und Antwort bestätigt; sie ist vielmehr eine antinomische, die sich selbst in die Sackgasse treibt. Der Bruch dieser Sackgasse stellt eine Erkenntnisstufe dar, auf der das Sein und Denken zu­ sammenfällt und ein neues Fundament des Denkens und Erlebens geschaffen wird.

Abschnitt 9.

Als Gegenstück und gleichzeitig als Anknüpfung zum Ver­ ständnis der letzten geheimnisvollen Worte: „der Wind des Buddhismus ist in der Lage, die Erde in Gold und das Flußwasser in Wein zu verwandeln“ sei eine Stelle aus dem Ev. Matth. (17, 20) zitiert: „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berge sagen: geh’ von hier fort dorthin, und er wird fortgehen“.

AltÄgxptischer Pantheismus Von

Prof. Dr. theol. GerarduS van der Teeuw, Univ. Groningen/ Holland TTsn meiner Leidener Doktorarbeit von 1916 habe ich mich eingehend beschäftigt mit einem merkwürdigen Spruch der alt­ ägyptischen Pyramidentexte1). In die Geheimnisse dieser für die ägyptische Religion ebenso wichtigen wie für das Verständnis des heutigen Menschen schwierigen Texte von dem unermüdlichen Fleiß, dem bohrenden Scharfsinn und der den Anfänger schonenden Langmut Kurt Sethes eingeführt, war ich erstaunt, in dem Spruch 215 eine Gottesvorstellung anzutreffen, die, wie es mir vorkam, zu den landläufigen evolutionistischen Theorien über den Ur­ sprung des Gottesglaubens keineswegs stimmte. Denn hier schien nicht das Einfache, Primitive am Anfang zu stehen, sondern eine Form des Gottesbewußtseins, die man gewohnt war als eine relativ späte und als die Frucht einer langen Entwicklung zu betrachten: der Pantheismus. Hier, in den Texten, die den Widerhall des ältesten uns aus Ägypten (und aus der ganzen Welt) bekannten Gottesglaubens uns vernehmen lassen, schien sich eine Gottes­ vorstellung kundzutun, die wir sonst für die gesättigte Reflektion alter religiöser Kulturen zu reservieren pflegten. Etwas später las ich zum erstenmal Rudolf Ottos Buch über das Heilige. Und nicht der geringste Gewinn, den es mir brachte, war ein tiefes Mißtrauen aller und jeder Evolutionstheorie gegen­ über und — was freilich wichtiger ist — die Einsicht, daß eine jede religiöse Schau, wie und wann auch entstanden, immer ursprünglich ist, einem eigenen Erlebnis entsprossen. Heute gehören weder Kurt Sethe noch Rudolf Otto zu den Lebenden. Der geniale Ägyptologe hat sich zeitlebens auf Ägypten beschränkt. Er hatte, wie nahezu alle Ägyptologen seiner Gene­ ration, für allgemeine Fragen wenig Verständnis und ist denn auch, ebensowenig wie Erman, zu einer eigentlichen Religionsr) Godsvoorstellingen in de oud-aegyptische Pyramidetexten, 1916, insonderheit S. 53 ff.

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geschickte gekommen — obwohl er eine geschrieben1). Er hat aber vielen kommenden Geschlechtern von Ägyptologen und Religionshistorikern das Verständnis der ältesten religiösen Texte der Ägypter ermöglicht. Und heute, nach seinem Tode, redet er zu uns in dem noch in der Erscheinung begriffenen, ausführlichen Kommentar der Pyramidentexte, uns so seine alte Liebe bis über das Grab hinaus bewährend. War Sethe ein Ägyptologe, der in bewußter Einseitigkeit nichts anderes zu sein begehrte, Otto war alles andere als ein­ seitig, auch in diesem Sinne, daß er über den weitschweifenden Blick nie das Allzunahe vergaß. Der Gelehrte, der einen Künstler und einen Propheten in sich barg, der seinem Arbeitsfeld keine Grenzen stecken konnte, der den ganzen Bereich der Religion, der Philosophie und Psychologie in sein Schaffen einbezog, hat nie aufgehört, als gewissenhafter Philologe zu den Texten zu gehen. — Und so darf ich denn in dieser Rudolf Otto-Ehrung noch einmal, nach so vielen Jahren, zurückkehren zu den Texten, die mich in meiner Jugend beschäftigten und deren Anziehungs­ kraft mich nie ganz verlassen hat. Dem uralten, von Sethe jetzt in seinem Kommentar ausführlich besprochenen Text, sein religiöses Geheimnis zu entlocken, das ist jedenfalls eine Aufgabe dem Angedenken des Marburger Meisters würdig. Text mit religionsgeschichtlichem Kommentar. Pyr. Spruch 215. 140 a. 0 Wnjs! 140 b. Deine Boten gehen, deine Herolde eilen zu deinem Vater, zu Atum, 140 c. (mit der Botschaft): „Atum, laß ihn zu dir hinaufsteigen, umfasse ihn in deiner Umarmung Wir betrachten unsern Text als eine Totenlitanei, die vom Priester rezitiert wird. Es ist möglich, daß bei der rituellen VerJ) Eine Änderung ist erst in allerletzter Zeit eingetreten in den beiden Studienreihen, die resp, von Alexander Scharff (Ägyptologische Forschungen) und von Walter Wolf (Leipziger ägyptologische Studien) herausgegeben werden. Bis dahin war die ägyptische Religionsgeschichte bestenfalls scharf­ sinnige Philologie.

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lesung mehrere Rezitierpriester (hrj hb) einander ablösen. Jeden­ falls besteht der Text aus einer Reihe von Fragen und Antworten, die dramatisch-liturgisches Gepräge haben. Z. 140 a und b würden dann die allgemeine Einleitung der Liturgie darstellen, mit Z. 140 c würde die eigentliche Liturgie anheben. — Die Ein­ leitung richtet sich, wie die meisten Totentexte, direkt an den Toten; der Anruf ist in kürzester Form ein Weckruf, wie er dann auch öfters ausführlich begegnet. Der Tote, der im Grabe darniederliegt, soll sich erheben und ein neues Leben anfangen. Mit dem Weckruf sichert die Liturgie also die Beteiligung des Toten. — Der Zweck unseres Textes ist das Aufst eigen des Toten zum Himmel und seine Vereinigung mit dem Gotte Atum, dem uralten Schöpfergott, der in Heliopolis verehrt wurde. Überhaupt zeigt unser Text ausgesprochen heliopolitanischen Charakter. Atum ist in der heliopolitanischen Kosmologie der Gott des Uranfangs, der Schöpfer, der, bevor noch der regelmäßige Prozeß der Er­ zeugung angefangen hatte, den ersten Wesen das Dasein gab. Diese Urschöpfung wird als eine Selbstbegattung des Gottes dar­ gestellt (er ehelichte seine Hand), die das Ausspeien der ältesten Götter, des Zwillingspaares Schu und Tefnet zur Folge hatte: ein derber Versuch in mythischer Weise den Übergang aus der Einheit zur Vielheit zu finden. Die Vorstellungswelt des Atum zeigt dementsprechend ein ausgesprochen monistisches Gepräge. Wir müssen diesen Gott der religionsgeschichtlichen Kategorie der höchsten Wesen oder Urhebergötter zuweisen: er ist ein Gott, der im Anfang war und dasjenige begann, was wir jetzt als täg­ liches Geschehen erleben1)141 a. „Es gibt keinen zum Stern gewordenen Gott, der keinen Ge­ fährten hätte.** „Soll ich dein Gefährte sein?** 141 b. „Sieh mich an, du hast ja auch angesehen die Gestalt derer, die Kinder ihrer Väter sind, 141 c. (nämlich) diejenigen, die ihren Spruch kannten und die jetzt unvergängliche Sterne sind.** 141 d. Mögest du (auch) ansehen die im Palaste sind, das sind Horus und Seth. r) S. meine Phänomenologie der Religion, 1933, S. 142ff.

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Die Vereinigung mit dem Gotte wird Z. 141 a näher ge­ deutet als das Verhältnis eines „Gefährten“. Der Tote wird zum Stern; das ist uralter ägyptischer Glauben. Er gelangt als Stern an den Himmel. Aber dort braucht er einen „Gefährten“. Als solcher sucht er den Gott. Das Wort „Gefährte“, rmnwtj, findet sich in ähnlichem Zusammenhang auch sonst in den Pyr. (vgl. Wörterbuch der ägyptischen Sprache, Belegstellen II, 7, 1939; Kurt Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten, I, zu Spr. 215). Pyr. 882 wird der Tote be­ zeichnet als „jener große Stern, der rmnwtj des Orion, der den Himmel durchfährt mit Orion“; Pyr. 531 heißt er der „Gefährte des Schu“; Pyr. 251 endlich wird er als „einziger Stern“ an den Himmel versetzt und zum Gefährten des Thot gemacht1). Die Absicht unseres Textes ist aber, umgekehrt, den Gott zum Ge­ fährten des Toten zu machen. Denn es ist wohl unmöglich, Atum als einen „zum Stern gewordenen Gott“ zu bezeichnen. Das ist eben der Tote. Und als solcher sucht er im Gott einen Gefährten. — Die Schlußworte in Z. 141 a müssen wohl die Antwort des Gottes darstellen. An sich könnten sie auch Fortsetzung der Botschaft des Toten sein, etwa: „ich bin dein Gefährte“. Aber dann wäre erstens Atum als Stemgott bezeichnet, was nicht angängig ist; zweitens wäre die objektive Rede, die bis jetzt bloß vom Toten handelte (140 a ausdrücklich die dritte Person: sw), auf einmal verlassen für die direkte Anrede des Toten an den Gott. Das zweite Bedenken ist, wie wir gleich sehen werden, freilich nicht so wichtig, wie das erste. Es liegt also nahe, mit Sethe, die Schluß­ worte von Z. 141 a dem Gotte in den Mund zu legen. Ich sehe aber keinen Grund, die Antwortfrage des Atum als eine prinzipielle Abweisung zu fassen, wie Sethe das tut. Sie ist eine liturgische Frage, und mit ihr geht die rezitierte „Botschaft“ über in den direkten Dialog. — Dazu stimmt dann, daß Z. 141 b unzweifel­ haft eine Rede des Toten, und zwar direkt, ohne Vermittlung von Botschaftern oder Herolden, darstellt. Das „ihn“ der vorhergehenden Zeile ist hier durch ein ausdrückliches „mich“ J) Sethe vergleicht noch: Erman, Hymnen an das Diadem: der Dräns ist rmnwt-t des Thot.

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ersetzt worden. Nun sind aber die pronominalen Andeutungen in den Pyr. äußerst unsicher und wechselnd. Vieles deutet darauf hin, daß sie ursprünglich sehr oft in der ersten Person redigiert waren, die dann später nicht selten durch die dritte ersetzt wurde. Vielleicht hängt dies damit zusammen, daß der ursprünglich liturgisch-dramatische Charakter der funerären Texte später durch ein einfacheres Rezit ersetzt wurde. Der Lesepriester las dann eben alle die „Rollen", und so lag es nahe, die wechselnden Pro­ nomina durch die Einsetzung der dritten Person zu normalisieren. Auch die Fassungen des Mittelreiches bieten, nach Sethe, viel­ fache Verwechslungen der Personen. Jedenfalls ist hier zweifellos „sieh mich an" zu lesen. Damit ruft also nunmehr der Tote den Gott selber an, er tritt in die liturgische Handlung ein. Die Moti­ vierung wird gleich angefügt: „du hast ja auch angesehen die Gestalt derer, die Kinder ihrer Väter sind". Diese „Kinder (oder besser noch: Brut) ihrer Väter" sind die gemeinen Leute. Unser Text nämlich ist nur für Könige gemeint. Das geht klar hervor aus Z. 141 d. Ob das für alle Pyr. gilt, ist freilich eine andere Frage, auf die wir noch zurückkommen müssen. Hier ist nur darauf hinzuweisen, daß der König, nach ägyptischer Anschauung, keineswegs ein „Kind seines Vaters" ist, sondern ein Sohn Gottes. Dieses ägyptische Königsdogma1), das später auf den Tempel­ wänden von Deir el Bahari dargestellt wurde, ist sicher uralt. Es gewann vermutlich neue Kraft aus den Anschauungen der 5. Dynastie, die den König zum S? Re, zum Sohne des Sonnen­ gottes machten. Aber auch abgesehen davon gehört es zum eigensten religiösen Besitz der Ägypter. Der König gehört einer andern Welt an, er ist gleichsam aus der Welt der Menschen herausgenommen, er ist ja ein Gott. So hat er zwar eine Mutter gehabt, aber keinen Vater; sein Vater ist der Gott (Pyr. 659 u. 728 hat der Tote weder Vater noch Mutter „unter den Menschen"). Wenn also Atum sogar die gewöhnlichen Sterblichen, unter einer r) Die letzte, in mehreren Richtungen treffliche Darstellung dieses Gedankens bei Helmuth Jacobsohn, Die dogmatische Stellung des Königs in der Theologie der alten Ägypter (Ägyptol. Forschungen, herausg. von Al. Scharff, 8), 1939.

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näher zu bestimmenden Bedingung, angesehen hat, wird er sicher auch den König ansehen, der einen göttlichen Vater hat. Damit wird auch verständlich, daß er nun Atum als eben diesen Vater ansprechen wird. Nur so lösen sich alle Schwierigkeiten. Weder die Übersetzung von H. Jacobsohn (a. a. O. S. 29): „die Frauen, die ihre Väter geboren haben", noch die Auffassung Sethes, der zwar richtig übersetzt, aber meint, daß mit diesen Anonymi frühere Könige oder Fürsten gemeint sein könnten, ergibt einen möglichen Sinn. Sethe selber hat ja auch die Unhalt­ barkeit seiner Vermutung geahnt, als er, aus Anlaß der nächsten Zeile, fragte, ob vielleicht auch andern Menschen eine Art himm­ lischer Seligkeit offen stand? — Das ist in der Tat der Fall ge­ wesen. Wir wissen ja, daß zu einem neuen Leben, zur „Wieder­ holung des Lebens", wie der Ägypter es ausdrückt, die Erfüllung mehrerer Bedingungen notwendig ist. Erstens soll der Tote in ritueller Weise begraben sein. Zweitens soll er die „Sprüche" kennen, d. h. die magischen Texte, die er in den unterschiedenen Fährnissen des jenseitigen Lebens rezitieren soll. Auf diesen beiden Bedingungen ruht ja das ganze ägyptische Totenwesen; und die Texte, die wir im „Totenbuch", in den sogenannten „Sargtexten" und auch in den Pyr. kennen, sind eben nichts anderes als die „Sprüche", die der Mensch kennen soll, damit er des ewigen Lebens teilhaft werde. Unser Text, der nur das ewige Leben des Königs im Auge hat, kennt also auch schon die Möglichkeit, für andere Menschen zu diesem Leben zu gelangen. Der mächtige „Spruch" bestimmt den Gott, die gewöhnlichen Toten „anzu­ sehen", d. h. wohl ihnen gnädig zu sein. Dieser Spruch kann also unter Umständen die königliche Gotteskindschaft und vielleicht auch das rituelle Begräbnis ersetzen (vgl. den Aufsatz von R. Weill, Ceux qui n'avaient pas de tombeau dans FEgypte ancienne, Revue de FHistoire des Religions, CXVIII, 1938, S. zff.). — Das Kennen der Sprüche sichert den Toten das ewige Leben, sagten wir. Das ist aber allzu christlich ausgedrückt. Der Ägypter sagt es anders: die Toten, die ihre Sprüche kannten, wurden, ebenso wie auch der König, zu „unvergänglichen Sternen". Diese „unvergänglichen Sterne" sind die sogenannten Zirkumpolar-

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steme, die nie untergehen. Daß der sehr alte Glaube, der die Toten an den Himmel als Steme versetzte, sie gerade mit diesen immer sichtbaren Sternen identifizierte, kann uns nicht wundem.— Der letzte Satz enthält die Nutzanwendung: wenn Atum sogar die gewöhnlichen Spruchkenner angesehen hat, so möge er auch den König ansehen. Unser Text macht hier den Eindruck, daß er aus einer Zeit stammt, in welcher das königliche Prärogativ der Unsterblichkeit zweifelhaft geworden war, aus einer Zeit, in welcher gleichsam das Proletariat in den Himmel eindrang. Es gibt einige Pyr., die anscheinend für gewöhnliche Leute ge­ schrieben wurden (Pyr. 892, wo es heißt, daß der Tote es nicht am Respekt dem König gegenüber hat fehlen lassen), ist aber wohl sicher, daß ursprünglich der König kraft seiner Herausgenommenheit aus der Welt der Menschen, die Wiederholung des Lebens für sich allein in Anspruch nahm. In unserem Text hat er aber mit den Ansprüchen der Spruchkenner zu rechnen. — Der König wird in unserem Text angedeutet als „die im Palaste sind“, nämlich Homs und Seth. Das ist ein altertümlicher Zug, der im König die Einheit der „beiden Länder“ und ihrer Herren zusammenfaßt, ohne je zu vergessen, daß die Zweiheit bleibt. Der König ist immer zwei Könige, ein Homs und ein Seth. Das hat man bis in späte Zeiten skrupulös festgehalten. Für die alte Zeit gemahnt unser Text uns an den alten Titel der Königin: „diejenige, die Homs-Seth anschaut“ (L. Borchardt, Das Grab­ denkmal des Königs Sajhw-rec, 1910—13, II, Abb. 48, Text S. 116).

142 a. Mögest du das Gesicht des Horus ihm bespeien; mögest du die Verletzung, die an ihm ist, vertreiben. 142 b. Mögest du die Hoden des Seth aufbinden, mögest du seine Verstümmelung vertreiben; 142 c. (Denn) dieser ist dir geboren, jener ist dir empfangen.

Mit diesen Sätzen endet die Anrufung des toten Königs an den Gott. — Das Heil, das er vom Gotte verlangt, ist in die Form des Horus-Seth-Mythus gekleidet. Der Kampf zwischen den beiden feindlichen Göttern ist in Ägypten geradezu eine Denk-

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form, in der die ganze Welt angeschaut wird. Horns und Seth haben im ältesten Mythus, der auch in unserem Text voraus­ gesetzt ist, nichts mit Osiris zu schaffen. Weder ist Horns der Sohn des Osiris noch Seth dessen Feind, noch auch die Ursache ihrer Feindschaft der Mord an Osiris. Horns ist ein Himmelsgott und Falke; sein Auge ist die Sonne. Seth ist ein Erdgott, Gott der Fruchtbarkeit. Aber die beiden sind auch die Repräsentanten der „beiden Länder0, nach der traditionellen Urteilung Ägyptens. Sie sind Feinde, die einander nicht entbehren können. Daher auch ihre Zusammenfassung in der Gestalt des Königs. Der der Welt inhärente Dualismus gehört zum Eigensten ägyptischer Weltanschauung, und die beiden feindseligen Götter symbolisieren abwechselnd alles Zwei-artige in der Welt, bis sie schließlich durch ihre Einbeziehung in den Osirismythus auch den Gegensatz von Gut und Böse darstellen müssen. — In unserem Text beruft nun der König sich auf seine Eigenschaft als Horus-Seth: in ihm leben die beiden Götter. So ist dasjenige, was der Gott den beiden Gegnern tut, auch dem König getan.— Horns und Seth haben sich gegenseitig charakteristische Verwundungen zugefügt: dem Horns ist das Auge verletzt worden, dem Seth sind die Hoden ver­ stümmelt. Der Himmelsgott ist mithin in seiner Leuchtkraft, der Erdgott in seiner Zeugkraft geschadet worden. Der Urgott, der beiden überlegen ist und, über aller Zweiheit, die ursprüng­ liche Einheit darstellt, soll diesen Übeln abhelfen. — Man weiß, wie der Streit des Horns und des Seth immer wieder variiert wurde: von den altertümlichen Formen des in unserem Text vorausgesetzten Zweikampfes und den nicht weniger alten des Rechtsstreites bis zu den burlesken Überlistungen und derben Feind­ seligkeiten, die uns der novellierte Mythus des späten ChesterBeatty-Papyrus erzählt1)- — Es wird nun zunächst Atum gebeten, i) Alan H. Gardiner, The Library of A. Chester Beatty. Description of a hieratic Papyrus with a mythological story, Love-songs, and miscellaneoys texts. The Chester Beatty Papyri Nr. i, 1931; Vers., Late-Egyptian Stories. Bibliotheca aegyptiaca I. Foundation Reine Elisabeth, 1932; G. van der Leeuw, The contendings of Horus and Seth (Egyptian Religion, 2, 1934. S. ioöff.).

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das Übel des Horns zu vertreiben; durch das alte Mittel des Be­ speiens soll sein Auge ihm wieder heil werden (vgl. Mark. 8, 23). — Z. 142 c bittet den Gott, auch das Unheil des Seth zu vertreiben. Das Determinativ des Verbums weist auf eine Art Netz oder Suspensorium hin, das die verwundeten Hoden des Seth schützen soll. Die Hoden werden angedeutet durch das Wort hr, d. h. das Untere, der untere Teil. Der Ausdruck steht im Singular, wohl nicht weil nur eine Hode des Seth beschädigt worden war, sondern wegen des Parallelismus mit dem Gesichte des Horus. Pyr. 1463, wo gleichfalls die Verwundungen der beiden Gegner geheilt werden, steht auch der Singularis (in der zweiten Fassung der Dualis), aber mit dualischem Determinativ. Singularische Schreib­ weise bei dualischer Bedeutung findet sich öfter, z. B. gleich Z. 149 < für die beiden Arme. — Z. 142 c vervollständigt die Argumentation: wenn du den von ihren Vätern Geborenen deine Gnade geschenkt hast, um soviel mehr wirst du deinem eigenen Sohne helfen. Auch das wird natürlich in der Form des HorusSeth-Mythus vorgetragen: der eine sowohl wie der andere ist Sohn des Atum. Diese Berufung auf die Vaterschaft Atums ist im Lichte des oben Gesagten ohne weiteres verständlich. Der König führt seine Existenz direkt auf göttlichen Ursprung zurück. Pyr. 207ff., in einem verwandten Texte, wird diese Vaterschaft ausdrücklich konstatiert: „du wirst (König) mit deinem Vater Atum, du bist hoch (d. h. du herrschest wie die Sonne auf dem Urhügel der Schöpfung und der König auf dem Thron) mit deinem Vater Atum, du gehst auf (wie die Sonne und der König, wenn er die Regierung antritt) mit deinem Vater Atum — du bist ge­ boren wegen des Horus (in dir), du bist empfangen wegen des Seth (in dir) — kühl ist es dir in der Umarmung deines Vaters, in der Umarmung des Atum" (Sethes Übersetzung, die Erläute­ rungen von mir). Auch die große Litanei, Spruch 219, Pyr. 167ff., gibt dasselbe Bild: „Atum, jener dein Sohn ist das hier, Osiris". Auch Schu und Tefnet gelten als Eltern des Toten. Die andern genannten Götter werden, in Übereinstimmung mit dem osirianischen Charakter der Litanei, als Bruder bzw. Sohn des Toten angeredet.

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143 a. „Du bist geboren, Horus, in deinem Namen“, „der vor dem die Erde erbebt“; (du bist empfangen, Seth, in deinem Namen) „der vor dem der Himmel erzittert“. 143 b. Dieser hat keine Verstümmelung, jener hat keine Verletzung. Umgekehrt zu wiederholen. Somit hast du keine Verletzung, hast du keine Verstümmelung. Sethe nimmt an, daß diese Worte eine Abweisung des Toten seitens Atum enthalten. Der Gott würde sowohl die Vaterschaft des Toten wie das „Gefährte*‘-sein ablehnen und auch die Be­ rufung auf die mythische Heilung der beiden Gegner nicht gelten lassen. Darum sagt er Z. 143, daß Horus sowohl wie Seth ihren eigenen Status haben; und dem Toten sagt Atum: “du bist in deiner Eigenschaft als Horus und Seth so mächtig, daß du meine Hilfe gar nicht brauchest“. Darauf würde dann der Gott fort­ fahren, die Verwundungen der beiden Gegner einfach zu leugnen. Es bedarf der Hilfe nicht. — Diese Konstruktion ist so scharf­ sinnig, daß sie im höchsten Maß unwahrscheinlich heißen muß. In der Tat, Z. 143 a beginnt die Antwort des Gottes an den Toten. Es ist mir aber nicht möglich, etwas anderes darin zu lesen als eine Gewährung von dessen Bitte. Sethe meint, der Gott wolle sagen, nicht er, sondern Osiris bzw. Geb seien der Vater von Horus-Seth (Z. 144). Aber wir werden sehen, daß es weit wahr­ scheinlicher ist, daß die Beziehung des toten Königs zu Atum eben als eine noch innigere und festere über diese anderen Vater­ schaften gesetzt wird. In der Zeile, die wir jetzt besprechen, steht jedenfalls nichts anderes zu lesen, als daß sowohl Horus als Seth mächtige Herren sind, die sich um die Verwundungen nicht allzusehr zu kümmern brauchen; und ebensowenig wie sie braucht das der Tote. Das wird nun in stereotypen Formen aus­ gedrückt: Horus und Seth haben beide einen mächtigen Namen. Der Himmelsgott heißt „der vor dem die Erde erbebt“, der Erd­ gott „der vor dem der Himmel erzittert“. Die Namen entsprechen völlig dem Wesen der Götter, und darum scheint es mir ganz sicher, daß wir das Recht haben, mit Sethe, die auf Seth bezüg­ lichen, im Text fortgefallenen Worte „du bist empfangen, Seth, in deinem Namen“ zu ergänzen. Die stereotype Form des so-

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genannten Namenwortspiels ist in den Pyr. keineswegs eine Spielerei. Die für unser Empfinden rein äußere Klanggleichheit (oft eine sehr oberflächliche Gleichheit, kaum eine Assonanz, wie auch in unserem Fall: Horus-zme', Seth-$#) ist für den Ägypter Evidenz eines wesentlichen Zusammenhangs, ja einer Wesens­ gleichheit. Mittels der magischen Namen partizipiert der Träger dieser Namen an der darin ausgedrückten Eigenschaft. Horus will sagen: erbeben, Seth: erzittern (daß es sich hier nicht um „Etymologie" handelt, brauchen wir nicht hervorzuheben!), also machen Horus und Seth erbeben und erzittern. Darin zeigt sich auch ihre Gegnerschaft: denn der eine macht der Erde, der andere dem Himmel bange. — Merkwürdig ist die direkte Anrede: die Selbstidentifikation des Toten mit Horus-Seth wird vom Gotte übernommen: er redet nacheinander die beiden Gegner und den Toten mit „du" an. — Wie nun die beiden Gegner geheilt werden, so wird auch der Tote geheilt. Das soll aber nicht bloß ein poetischer Vergleich sein; es ist vielmehr eine magische Handlung, die in die Kategorie des sogenannten magischen Antezedents gehört1). Ein mythischer Vorgang wird rezitiert und dadurch, d. h. durch die Kraft des lautwerdenden Wortes aktuell wirksam gemacht. Dann wird er durch einfache Zusammenstellung angewandt auf die Situation, mit der man zu tun hat. In unserem Fall: Seth fehlt nichts, Horus fehlt nichts (zur größeren Sicherheit wird das noch einmal umgekehrt wiederholt). Somit fehlt auch dir nichts. Die Gleichsetzung wird im buchstäblichen Sinne vollzogen. Atum heilt den toten König durch einen magischen Spruch, der seinen Fall in den mythischen Fall der Heilung der beiden Gegner gleichsam hineinbaut. 144 a. Du, Horus, bist dem Osiris geboren; aber du bist b}-hafter als er, du bist mächtiger als er. 144 b. Du, Seth, bist dem Geb empfangen; aber du bist b}-hafter als er; du bist mächtiger als er. Die Heilsprechung des Toten in der Figur der beiden Gegner wird nunmehr fortgeführt durch Einbeziehung der Theogonie: J) S. G. van der Leeuw, Die sog. ,,epische Einleitung“ der Zauber­ formeln (Zeitschrift für Religionspsychologie, 6, 1933).

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dabei wird dem „alten" Horns, dem Himmelsgotte, notwendiger­ weise der Charakter des „Horus-Sohn-der-Isis" aufgedrückt. Aber unser Text, der diese Einbeziehung des Osiris in die Horusgeschichte zugibt, stellt trotzdem eine Reaktion diesem osirianischen Gepräge gegenüber dar. Fast könnten wir übersetzen: „du bist, Horns, zwar dem Osiris geboren, aber du übertriffst ihn an Mächtigkeit". Und das stimmt sicher zum Folgenden. Die Besonderung, die die osirianische Theogonie voraussetzt, wird von unserem Text bekämpft. Auch hier sind wir in einem religionsgeschichtlichen Übergang begriffen: die neue Osiris­ religion kann nicht negiert werden; sie wird aber bekämpft. Horns als derjenige, der die Erde erbeben macht, ist weit mächtiger als Osiris. Sethe übersetzt hier leider in der alten Weise: „ruhmvoller-mächtiger", damit dem toten König den Charakter eines homerischen Helden leihend. Ich habe schon 1916 darzutun versucht, daß der Ägypter unterschiedene „Seelenstoffe bzw. Seelenmächte" kennt, die ein nur halbwegs persönliches Gepräge haben, oft aber noch rein quantitativ aufgefaßt werden. „Mächtig" soll auch hier verstanden werden im Sinne meiner Phänomenolo­ gie1) : der Tote hat mehr „Macht", mehr „Seelenstoff", mehr Mana als Osiris. Die beiden Worte bX und shm, die der Text gibt, deuten verschiedene Seelenmächte an. Mit „Ruhm" haben sie nichts zu tun. — Dasselbe wird nun auch dem Seth gesagt: er ist zwar der Sohn des Geb (die Theogonie hat dem Erdgott folgerichtig einen Erdgott als Vater gegeben), aber er hat mehr „Mächtigkeit" als dieser. — Wir verstehen diesen Widerstand gegen die theogonischen Beziehungen nicht ganz, wenn wir uns nicht klar machen, daß für den Verfasser unseres Textes Osiris und Geb noch keines­ wegs die liebenswürdigen, wohltätigen bzw. mitleidenswürdigen Helden des osirianischen Dramas waren, sondern resp, ein Toten- und ein Erdgott, d. h. also unheimliche, gefährliche Mächte, die den Toten bei seinem Aufstieg zum Himmel hindern. Was Osiris betrifft, ist diese feindselige Behandlung in den Pyr. nicht selten. •) Vgl. meine Phänomenologie der Religion, S. zL., 2546.

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145 a. Es gibt keinen Gottessamen, der mir zugrunde ginge. Auch du gehst mir nicht zugrunde.“ 145 b. Re-Atum wird dich nicht dem Osiris überantworten; nicht wird dieser dein Herz zählen, nicht wird er sich deines Herzens bemächtigen. 145 c. Re-Atum wird dich nicht dem Horus überantworten; nicht wird dieser dein Herz zählen, nicht wird er sich deines Herzens bemächtigen. Z. 145 a bildet den Schluß der Gottesrede und der Heilsprechung des Toten. Sethe schließt in Übereinstimmung mit seiner Deutung des Ganzen diese Rede schon Z. 143a ab; es ist aber klar, daß erst Z. 145 b die direkte Rede wieder in die indirekte übergeht. Z. 145 a aber ist die Achse, um die sich unser ganzer Text dreht. Sethe meint, daß der Rezitator, der nach seiner Meinung hier bereits wieder das Wort ergriffen hat, den Toten tröstet: der Gott läßt seinen Samen nicht zugrunde gehen und liefert ihn keinem andern Gotte aus. Das ist zwar richtig, rechnet aber nicht mit dem liturgisch-dramatischen Charakter des Textes und verliert so die eigentliche Pointe. Diese liegt m. E. näm­ lich darin, daß der Gott selber die Heilsprechung vollendet, indem er den Toten, wiederum in der Weise des magischen Antezedents, in die eigne Hut nimmt. Auf die Übersetzung, die alles weniger als eindeutig ist, kommt hier alles an. Sethe über­ setzt: „nicht gibt es den Samen eines Gottes, der zugrunde ge­ gangen ist, ein zu ihm Gehöriger, und so wirst (auch) du nicht zugrunde gehen, ein zu ihm Gehöriger". Vieles in dieser Über­ setzung stimmt ganz zu unserer Auffassung des magischen Ante­ zedents: kein göttlicher Samen geht zugrunde, du bist ein gött­ licher Same, mithin (das magische „mithin"!) gehst auch du nicht zugrunde. Daß Sethe diesen Ausspruch recht uneigentlich in den Mund des Rezitators legt, tut weiter nichts zur Sache. Er gehört natürlich in den Mund des Gottes, der auch die erste magische Gleichung aussprach. Aber die Gleichung selbst steht auch für Sethe fest: der Tote ist gerettet, weil er ein göttlicher Same ist. — Auch in den Einzelheiten müssen wir dem scharfsinnigen Kommen­ tator größtenteils recht geben. Der „Gottessame" ist wohl all-

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gemein gefaßt, das Wort für „Gott“ undeterminiert und auch sonst recht häufig im allgemeinsten Sinne gebraucht. An sich könnte die Bezeichnung als Gottessame auf die soeben erwähnte Beziehung des Toten zu seinen Vätern Osiris und Geb zurück­ gehen. Sethe gibt aber zu, daß das höchst unwahrscheinlich ist und daß mit dem „Gott“, dessen Same der Tote heißt, Atum selber gemeint sein wird. Sein Charakter als höchstes Wesen eignet sich ja auch recht gut für die allgemeine Bezeichnung als Gott-ohne-weiteres. — Die Bedeutung des Verbums „zugrunde gehen“ hat Sethe wohl ganz sicher gestellt. — Alles kommt nun aber an auf die Übersetzung des in beiden Teilen des Satzes auf­ tretenden Schlußwortes n-i-f. In meiner Dissertation von 1916 hatte ich fünf mögliche Deutungen aufgestellt. Sethe stellt in seinem Kommentar jetzt noch eine andere Deutung auf. Wir müssen diesen sechs Deutungen in aller Kürze nachgehen: A. (Sethe) Ni ist die Nisbe-Form von n; ni-f bedeutet also „der zu ihm, d. i. zum Gotte, zu Atum gehörige“. Sprachlich ist das sicher möglich; der Ausdruck würde aber eine völlig über­ flüssige Erschwerung des Satzes bilden. Daß der Same des Gottes ihm gehört, ist ja selbstverständlich und wird, zumal in einem magischen Text, der sich größter Knappheit befleißigen muß, kaum mit so großem Nachdruck betont worden sein. B. Das i ist die Spur einer zu Unrecht eingedrungenen 1. Person. Es muß einfach n-f gelesen werden. Das bedeutet: seinetwegen. Es könnte auf den soeben genannten Seth gehen: du wirst nicht seinetwegen zugrunde gehen. Da aber Seth in unserm Text überhaupt nicht als der Feind des Toten-Osiris, sondern bloß zusammen mit Horus genannt wird, ist auch diese Deutung recht unwahrscheinlich. Man würde, wenn unser Satz sich direkt auf das Vorhergehende bezöge, eine Anspielung nicht bloß auf Seth, sondern auf Horus und Seth erwarten. C. Das i, wie bei der Möglichkeit B. Das / könnte aber auch auf Atum bezogen werden. Der Sinn würde dann sein: es gibt keinen göttlichen Samen, der ihm (Atum) zugrunde gehen könnte, mit dem im Ägyptischen so geliebten Dativus ethicus also (Erman, Äg. Gramm. 437). Möglich ist diese Deutung gewiß. Sie würde

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stimmen zur Annahme Sethes, daß hier nicht der Gott, sondern der Rezitator spricht. D. Das i ist kein Einschiebsel, sondern vielmehr ein Sub­ stantiv, das „Leid“ oder „Pein“ bedeutet, dasselbe, das Z. 143 b in der Form U vorkam. Die Meinung wäre: kein Gottessame geht zugrunde wegen der Pein des Seth, darum gehst auch du wegen dieser seiner Pein nicht zugrunde. An sich wäre auch dies gut möglich. Aber die Möglichkeit scheitert an derselben Über­ legung wie soeben: man würde eine Beziehung nicht nur auf die Pein oder die Verletzung des Seth erwarten, sondern auf die Verletzungen der beiden Gegner; neben dem eventuellen Sub­ stantiv i oder U müßte man auch das oben genannte nkn finden. E. Das l ist wie bei D das Substantiv i oder U. Das f aber bezieht sich nicht auf den letztgenannten Seth, sondern auf den Samen, d. h. also den König oder den Toten selbst. Sinn: es gibt keinen Gottessamen, der seiner Pein oder seiner Verletzung erläge, so wirst auch du deiner Pein nicht erliegen. Das ist wiederum an sich recht gut verständlich. Aber es steht im Text nicht da. Es steht, wenn diese Auffassung richtig ist, da: es gibt keinen Gottessamen, der seiner Verletzung erläge, so wirst auch du seiner Verletzung nicht erliegen. Diese Möglichkeit ist hinfällig, weil statt dem zu erwartenden deiner seiner, statt k / steht. F. Nicht das l ist ein Einschiebsel, sondern das /. Im Text stand ursprünglich, wie oft, die erste Person. Bei der Entdrama­ tisierung der Liturgie wurde die erste durch die dritte Person ersetzt. An unserer Stelle blieb aber das / aus Versehen stehen. Der Sinn ist dann: es gibt keinen Gottessamen, der mir, Atum, verloren ginge; mithin (das magische Mithin wiederum!) gehst auch du mir nicht verloren. Der Dativus ethicus bleibt also wie bei der Möglichkeit C. Die Rede ist aber direkt. — Es ist nicht mehr als billig, hier gleich zu sagen, daß Sethe mir seinerzeit in seinem Kolleg selber diese Möglichkeit gezeigt hat. Er scheint seitdem andrer Meinung geworden zu sein. Die alte Meinung war aber gewiß die bessere. Eine pronominale Grundform der Pyr., meist in der ersten Person, nahm Sethe in der Vorrede seiner großen Pyramidenausgabe (S. XI) selber an. Ein ähnlicher

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Irrtum wie in unserm Text liegt Pyr. 1144 vor: n-b}4-f, aber im ältesten Text: n-b}-i, wegen meines Ba. Der Text M. änderte konsequent n-bVt- Die Form n-fy-i-f ist aber durch Irrtum ent­ standen und ebenso unmöglich wie unser n-i-f. Damit ist der Schluß der Heilsprechung klar: kein Gottessame geht zugrunde, das hat sich gezeigt im Kampfe des Horus und Seth. Mithin gehst auch du nicht zugrunde. Der Gott läßt das nicht zu. — Z. 145 b fängt nun abermals das Rezit des Lesepriesters an. Er zieht aus dem Gesagten die Folgerungen: Atum wird den Toten keinem andern Herrn abtreten, er braucht sich keine Sorgen zu machen. Die beiden Herren, denen der Tote nicht überantwortet werden soll, sind Osiris und Horus, im nächsten Satz als Vater und Sohn bezeichnet. Es ist m. E. klar, daß auch dieser Aus­ spruch ein Zeugnis der Übergangszeit ist. Osiris und Horus sind die Hauptgötter des osirianischen Kreises. Weder an den älteren Horus noch an Seth ist dabei gedacht. Es handelt sich hier nicht um den Horus, der im Toten neben Seth lebt, sondern um den Sohn der Isis und des Osiris. Und diese beiden Götter sind offen­ bar als zu fürchtende Totengötter vorgestellt. Der Urgott Atum schützt den toten König vor ihrer Gewalt. Sethe hat sich durch die mit Recht von ihm Z. 143 a konstatierte Lakütie dazu ver­ führen lassen, auch hier das Wegfallen mehrerer Parallelsätze anzunehmen. Nach ihm wäre die ursprüngliche Folge: Der Gott hat dich nicht dem Osiris übergeben*, o Seth, — er hat dich nicht dem Geb übergeben, o Horus, — er hat dich nicht dem Horus übergeben, o Seth, — er hat dich nicht dem Seth übergeben, o Horus. Hier werden also nicht bloß zwei vermeintlich fort­ gefallene Parallelsätze restituiert, sondern auch vier im Texte gar nicht vorhandene Anreden an Seth und Horus eingeführt. Das ist wohl allzu künstlich und gar nicht nötig. Das Rezit richtet sich gar nicht an Horus und Seth; die beiden Gegner des ersten Teiles unsers Textes sind in den Hintergrund getreten. Es richtet sich ganz einfach an den Toten und sagt ihm den Schutz des Atum dem osirianischen Götterkreis gegenüber zu. — Dabei fällt einiges auf. Vorerst, daß Atum hier Re-Atum genannt wird. Das Re könnte eine spätere Glosse sein, eingefügt als man die Gleich-

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Setzung Re-Atum notwendig achtete. Dann ist recht bemerkens­ wert das von Osiris und Horus zu fürchtende Unheil: das „Zählen“ und sich Bemächtigen des Herzens des Toten. In meiner Disser­ tation habe ich (S. 88) den Ausdruck ip ib, das „Zählen des Herzens“ als einen Raub des Herzens erklärt. Auch Sethe scheint an Ähn­ liches zu denken; das shmm-hltj erinnert ihn sogar an den be­ rühmten sogenannten Kannibalentext, nach welchem der tote König die Götter auffrißt, um sich ihrer Lebenskraft zu bemäch­ tigen. Das wäre in der Tat ganz in Übereinstimmung mit dem Charakter der osirianischen Totengötter. Andrerseits erinnert Sethe mit Recht daran, daß ip ib im Totenbuch der übliche Aus­ druck ist für das Abwägen des Herzens im Totengericht. Jeden­ falls wird hier noch deutlicher, daß es sich um einen Gegensatz zwischen dem heliopolitanischen und dem osirianischen Religions­ kreise handelt. 146 a. Osiris, du bemächtigst dich seiner nicht, dein Sohn be­ mächtigt sich seiner nicht; 146 b. Horus, du bemächtigst dich seiner nicht, dein Vater be­ mächtigt sich seiner nicht. Das Rezit richtet sich hier an die beiden feindlichen Götter und legt ihnen ihre Ohnmacht dem Toten gegenüber nochmals nahe. Sethe setzt auch hier wiederum eine Anzahl Lücken voraus, die er entsprechend seiner Rekonstruktion des vorigen Satzes ausfüllt. Auch hier ist das alles weniger als notwendig. 147 a. A ber du, 0 N. N. gehörst zu jenem Gotte, zu dem das Zwillings­ paar des Atum sagte: 147 b. „Erhebe dich“, sagten sie, „in deinem Namen „Gott“”. Und so wirst du Atum, (das ist) jeder Gott. Das Rezit richtet sich wieder an den Toten und erklärt, daß er zu Atum gehöre. Damit ist also das Anliegen der Einleitung des Rezits erreicht. Im einzelnen aber bietet die Z. 147 Wich­ tiges. —- Zunächst wird der Tote angeredet als Mn, das wir mit N. N. übersetzt haben. Das ist ja auch die allgemein bekannte Bedeutung des Wortes (s. Wörterbuch s. v.). Es scheint mithin, daß der Text ursprünglich für einen willkürlichen König ge­ schrieben wurde und daß der Kopist vergessen hat, den Namen

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einzufügen, der hierhin gehörte. Breasted (The Development of Religion and Thought in Ancient Egypt, 1912, S. 99) hat das vortrefflich formuliert: „the presence of the word „mn“ =» „so and so" instead of the hing's name does not necessarily indicate the use of the passage by any one, but simply shows that the priestly copyist, when first recording this text in his manuscript, did not know for what king it was to be employed. Then in copying it on the wall the draughtsman by oversight transferred the „so and so" from his manuscript to the wall, instead of changing it to the king's name". Sethe glaubt dies nicht, weil der Gebrauch des Terminus N. N. vom König es an der nötigen Ehrfurcht hätte fehlen lassen. Ich sehe aber nicht ein warum, wo ja doch dieselben Texte für mehrere Könige benutzt wurden. Sethe sucht in Mn den Namen des Neues, wiederum sehr scharfsinnig, aber kaum richtig. Mit dem Neues hat unser Text nichts zu tun. — Die Weise, in der Atum in unserem Satz angedeutet wird, ist mytho­ logisch, d. h. es wird auf einen Mythus angespielt, der uns, wie so viele Mythen, unbekannt ist. Atum ist der Gott, zu dem das Zwillingspaar, d. h. sein Sohn Schu und seine Tochter Tefnet sagten: Erhebe dich in deinem Namen „Gott". Schu und Tefnet sind, wie wir oben sahen, die ersten Wesen, von dem Schöpfer­ gotte ausgehustet. Vielleicht sind sie die Urbilder männlichen bzw. weiblichen Wesens1). Bei welcher Gelegenheit aber sie ihren Ausspruch dem Gott gegenüber taten, können wir un­ möglich erraten. — Z. 147 b rechtfertigt nun endlich den Titel, den ich dieser Abhandlung gegeben habe. „Du wirst Atum, d. i. jeder Gott." Sethe übersetzt: „und so wirst du wie Atum zu jedem Gotte". Das „wie" steht aber nicht da. Und die Absicht des Textes geht, wie die nächsten Zeilen zeigen, unzweifelhaft weiter. Der Tote wird Atum. Das „gehören zu" ist im Sinne einer regel­ rechten Partizipation gemeint. Und zwar in pantheistischem Sinne. Der Name „Atum" gehört sicher mit der Wurzel tm zu­ sammen, die „ganz“ oder „vollständig“, auch „nicht-sein“ bedeutet, r) Pyr. 2063 ff. ist die Rede von dem „reinen Wasser, das von Atum her ist, das gemacht ist vom Phallus des Schu, das geschaffen ist gegen die Vulva der Tefnut hin“, vgl. Jacobsohn, S. 25. 3

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Das Ganze und das Nichts gehören ja nahe beisammen. Atum ist der Gott, der alles umfaßt, der „Ganzheitsgott", in dem alles begriffen ist. Er ist „jeder Gott". Dadurch unterscheidet er sich klar von den Göttern des osirianischen Kreises, die eine spezifische Bedeutung haben, eine Sonderung des Lebens repräsentieren. Atum ist der Gott, der einfach „Gott" heißt, wie ja auch die beiden Zwillinge zu ihm sagten. So wird nun auch klar in welchem Sinne das: es gibt keinen Gottessamen, der mir zugrunde ginge, zu verstehen ist. In Atum ist jeder Same aufgehoben und verwahrt; dem Allgotte geht nichts verloren. Im Märchen des Bata macht Chnum dem Helden ein Weib, in dem „der Same jedes Gottes" ist (vgl. Jacobsohn, S. 22). In späterer Zeit, als die Theogonie herrschte, faßte man „alle Götter" zusammen in der „Neunheit" der Götter. In der Zeit unseres Textes aber wird die Theogonie noch abgewehrt, und „jeder Gott" ist Atum, aus dem alles ent­ stand. Das „Heil", das der Tote erstrebt, ist damit näher zu deuten als eine Identifikation mit dem, bzw. ein Aufgehen in das All.

148 a. Dein Kopf ist Horns der Da-t, du Unvergänglicher. 148 b. Dein Gesicht ist Hntj irtj, du Unvergänglicher. 148 c. Deine Ohren sind das Zwillingspaar des Atum, du Unver­ gänglicher; deine Augen sind das Zwillingspaar des Atum, du Unvergänglicher. 148 d. Deine Nase ist der Schakal, du Unvergänglicher; deine Zähne sind Sopdu, du Unvergänglicher. Es ist unmöglich mit Speleers (Les textes des Pyramides egyptiennes, 1923—1924) zu übersetzen: dein Kopf ist (wie) der Kopf des Horus usw. Vielmehr sind die Glieder des Toten die Götter, nicht die Glieder der Götter. Das geht klar hervor aus den dualischen Gleichungen: deine Ohren sind das Zwillingspaar usw., denn im anderen Fall hätte der Tote ja vier Ohren. Der wiederholte Vokativ „du Unvergänglicher" bezieht sich auf den Status des Toten als Ihm sk, d. h. nicht untergehender, unver­ gänglicher Stern, Zirkumpolarstern also, wie wir oben sahen. Daß unser Text viel weiter geht als diese „Unvergänglichkeit",

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ist für den Ägypter, der nie eine Vorstellung einer andern wegen beiseite schiebt, kein Grund, die weniger weitgehende Anschauung fallen zu lassen. — Die Form, in der der Pantheismus vorgetragen wird, ist sehr primitiv, aber nicht primitiver als die uns aus mehreren Religionen bekannten Mythen von der Entstehung der Teile der Welt aus den Gliedmaßen eines Gottes oder Riesen. Der Unterschied ist aber der, daß hier der tote Mensch aus Göttern zusammengesetzt wird in der Weise, daß „jeder Gott" (alle zu­ sammen sind in Atum enthalten) eines seiner Glieder bildet. Die göttliche Ganzheit des Atum wird somit auf die Glieder des Toten verteilt. Darum können wir hier besser als von Pantheismus von einer pantheistischen Apotheose reden. Zwar ist auch der Pan­ theismus da: Atum ist „jeder Gott". Er duldet keine Verbesonderung, keine bleibende Trennung, er heilt die Wunden der Gegner und schlichtet den Streit. „Alles Getrennte findet sich wieder", könnte man mit Hölderlin von dieser Anschauung sagen. Aber auf den Menschen, hier den König angewandt, bedeutet dieser Pantheismus Apotheose, Vergottung. So wie der ägyptische König in den Kreis der Sonnentheologie hineingezogen, selber zum ewig das Leben erneuernden Sonnengotte wird, — so wie er, in den Bannkreis des Osiris geraten, mit dem sterbenden und auf­ erstehenden Menschgotte identifiziert wird, — so wurde er in ältester Zeit durch die Bindung an Atum, den Allgott, selber zum Allgott. Und das ist wohl die krasseste Vergottung, die das in dieser Beziehung gar nicht schüchterne Ägypten gekannt hat: es bedeutet schon etwas, den toten König mit der Sonne zu identifizieren; es besagt etwas, ihn — und dann sogar jeden ge­ storbenen Menschen, an dem die osirianischen Riten vollzogen wurden — zum „gerechtfertigten", lebendigen Gott zu machen. Aber was bedeutet das neben dieser ungeheuerlichen Identi­ fizierung mit dem Allgott? Wahrlich, der Glaube an die Gött­ lichkeit des Menschen hat nie (ausgenommen im brahmanischen Indien) einen kühneren Griff getan, als da er einen Menschen nicht bloß zum Gott, sondern zum Allgott, zu jedem Gott machte. Alle Mächte einbezogen in den einzigen Menschen! Man kann dem Tod keine krassere Verneinung entgegenhalten. Freilich

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vergessen wir nicht, daß „Atum“ sowohl alles wie nichts bedeutet, und daß die Erhöhung zum All dem Ägypter weniger verlockend geschienen haben mag als der ihm in der Sonnentheologie in Aus­ sicht gestellte Platz in der Sonnenbarke, im „Gefolge des Re“, oder die osirianische Seligkeit. Schließlich hat der Kreis des Osiris, der in unserem Text bekämpft wird, gesiegt. — Zum Einzelnen: die hier und in der nächsten Zeile genannten Götter sind, soweit bekannt, alle unterägyptisch. Der Horus der Dat ist ein Gott der Morgensonne. Hntj irtj ist der augenlose Gott von Letopolis, der, nach einem Mythus, die Augen des Horus als Ersatz bekommen soll. Von dem Zwillingspaar des Atum war schon die Rede. Der Schakal ist der Gott, der zwischen den Gräbern spürt; er trägt verschiedene Namen; für die Identi­ fizierung mit der Nase scheint er sehr geeignet. Sopdu endlich wurde ursprünglich als eine Reihe von Zähnen verehrt und sein Name bedeutet: die Scharfen. Ein höchst altertümlicher Kult also, und die Gleichsetzung mit den Zähnen des Toten ohne weiteres verständlich. — Übrigens ist die genauere Bedeutung dieser Götter für den Sinn des Textes unwesentlich. 149 a. Deine Arme sind Hapi und Duamutef, deren du bedarfst, damit du zum Himmel aufsteigst, — ja wahrlich du steigst auf! 149 b. Deine Beine sind Amset und Kbhsnwf, deren du bedarfst, damit du zum unteren Himmel niedersteigst, — ja wahrlich du steigst nieder! 149 c. Deine (übrigen) Glieder sind das Zwillingspaar des Atum, du Unvergänglicher. 149 d. Du vergehst nicht, dein Ka vergeht nicht, du bist Ka. Der Schluß des Rezits und des ganzen Textes zeigt eine Er­ hebung, die den liturgischen Charakter steigert. Zunächst werden die Arme und Beine des Toten mit den vier bekannten Toten­ göttern, den sogenannten Horuskindem identifiziert. Der Tote bedarf ihrer, d. h. also seiner göttlichen Arme und Beine zum Auf- bzw. Niedersteigen. Denn als unvergänglicher Stern muß er den Himmel beschreiten, sowohl den oberen — Tageshimmel, wie den unteren — Nachthimmel. Die Ägypter dachten sich

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nämlich den Nachthimmel als unter der Erde befindlich, eine Art Unterwelt und Himmel zugleich. Mit den Armen muß nun der Tote den oberen Himmel erklettern, mit den Beinen in den unteren Himmel absteigen. — Z. 149 a und b schließen beide mit einem Ausruf: ja wahrlich, du steigst auf bzw. nieder! Der Text bekommt feierliches und anschauliches Gepräge. Man sieht den toten König als ewigen Stern den Himmel beschreiten. — Z. 149c ist damit verglichen ein Abstieg: der eventuell noch nicht genannten Glieder wird gedacht; interessant ist das nur darum, weil sie mit dem schon genannten Zwillingspaar identifiziert werden. Eine große Erfindungsgabe zeigt dies freilich nicht, denn die Zwillinge traten auch schon als Ohren und Augen des Toten auf. Aber es zeigt, daß, wenn es sich um die Ganzheit handelt, man auf die Urwesen, die direkt aus Atum entstanden sind, zurückgeht. — Endlich der Schluß: der Tote ist ein nicht unter­ gehender Stern geworden; er wird nie vergehen. Aber auch sein Ka geht nicht unter. Nach ägyptischer Vorstellung, in den Pyr. öfter bezeugt, geht der tote Mensch zu seinem Ka und vereinigt sich mit diesem. Der Ka ist seine „Seele außerhalb", sein „ewiger Teil", der an den Wechselfällen des irdischen Lebens keinen Anteil hat, und daher sein SchutzT). Beim Tode vereinigt er sich mit diesem Teil seines Wesens. In unserem Text war bis jetzt vom Ka nicht die Rede. Jetzt aber, da es sich um den endgültigen Abschied des Toten von der Erde handelt, wird auch des Ka gedacht. Auch dieser ist unvergänglich, das ist ja selbstverständ­ lich. Der letzte Satz: du bist Ka, könnte bedeuten: der Unter­ schied zwischen dir und deinem Ka ist infolge der erreichten Göttlichkeit und Unvergänglichkeit fortgefallen. Es könnte aber auch heißen, daß der tote König als unvergängliches Wesen der Ka, d. h. der ewige schützende Teil anderer Wesen wird, eventuell Ägyptens. Das letzte vermutet Sethe. Noch ansprechender freilich ist es hier, der Ausführungen Jacobsohns zu gedenken, der den Ka auffaßt als die mythische Ur- und Zeugungskraft, die sich in den Pharaonen immer wieder inkarniert. Das ist eine x) S. G. van der Leeuw, Extemal Soul, Schutzgeist und der ägyp­ tische Ka (Zeitschr. für ägypt. Sprache und Altertumskunde, 54, 1918). 37

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religionsgeschichtlich recht bekannte Anschauung: in den je­ weiligen Menschen bzw. Herrschern offenbart sich immer wieder die gleiche Urkraft, der „Totemvater“ oder Urahne der Australier, der Genius der Römer. Von den einzelnen Trägern unabhängig wirkt diese Kraft immer weiter. Stirbt aber ein Träger (so dürfen wir Jacobsohns Gesetz auf unsern Text anwenden), so geht er „zu seinem Ka“, d. h. er geht in die Urseele auf, er vereinigt sich mit ihr, er wird selber Ka. Formell können wir unsern Text ansehen als eine Liturgie, die als Zweck die Apotheose hat. Mittels magischer Heilsprechungen bewirkt sie, daß der Tote ein unvergänglicher Stern, ja, daß er Atum, „jeder Gott“ wird1). i) Vgl. zum Ganzen: K. Sethe, Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter, 1930, § 132.

Anfänge der Erforschung

indischer Religionen im 18. Jahrhundert Von

Prof. Lic. Dr. Rudolk Jfran? Merkel, Univ. München

udolf Otto, dem dieser Beitrag gewidmet ist, hat sich um die Erforschung der indischen Religionen besondere Ver­ dienste erworben. Wie groß diese sind, wird erst vor dem Hinter­ grund der bisherigen Geschichte dieser Forschung ganz deutlich. Welch ein Wandel von den Anfängen der abendländischen In­ dologie bis zu Ottos feinfühligen und tiefbohrenden Analysen religiöser Phänomene Indiens! Im folgenden soll nur von den Anfängen dieses Wissenschaftszweiges im 18. Jahrhundert die Rede sein. Dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts gehören einige Hand­ schriften (zu München und Paris) an, die den Titel tragen: „Tratte de la Religion des Malabars gentils“ und die, wie Th. Zachariae vermutet, den .Procureur general des Missions etrangeres de Paris Jaques du Querelai Tessier* zum Verfasser haben. Nach dem Pa­ riser Manuskript veröffentlichte nun E. Jaquet einen größeren Auszug unter dem Titel: „Recherches sur la religion des Malabers, ouvrage extrait d'un manuscrit inedit de la Bibliotheque Royale“ (Paris, A. Bertrand)1). E. Jaquet, von dem auch die Frage nach dem Verfasser des Manuskripts kurz berührt wird2), umschreibt den Zweck der Darstellung der malabarischen Religion folgender­ maßen: „Le dessein de Fauteur est evidemment rapprocher dans *) Die »Recherches* sind lediglich ein Sonderdruck der von E. Jaquet erstmals im »Nouveau Journal Asiatique* VIII (1831) veröffentlichten sehr umfangreichen Auszüge aus den Pariser Manuskripten. r) ,,Cet ouvrage inedit porte le titre de Religion des Malabars; il est anonyme, et, aucune circonstance particuliöre de la rödaction ne peut nous aider ä ddcouvrir le nom de Fauteur; nous avons seulement la certitude qu’il appartenait ä la mission fran^aise de la cöte de Coromandel, et nous pouvons conjecturer qu’il öcrivait son livre dans la premiöre moitiö du dernier sidcle.. .

Merkel, Anfänge der Erforschung indischer Religionen

un continuel parallele les ceremonies du culte Indien primitif de celles du culte Indien modifie par les Jesuites; . . . il donne d’abord une description etendue et minutieusement exacte de chacune des principales ceremonies religieuses des Tamouls, le recit de toutes les legendes qui se rapportent ä Finstitution de cette Cere­ monie, puis ensuite les temoignages prouvant que cette Cere­ monie. ... Le religieux auquel nou$ devons cet ouvrage, n'etait certainement pas un homme d’une erudition fort remarquable; il est douteux qu'il eüt acquis par une grande lecture de textes les connaissances speciales dont il fait preuve dans son traitö; il les avait sans doute recueillies de la conversation des poüdjäri et des brahmanes, ou il les avait obtenues de ses propres observations." Am Schluß seiner Ausgabe fügt E. Jaquet noch Aus­ züge „d'un autre ouvrage inedit sur les croyans religieuses des Tamouls" an, betitelt: „Relation des erreurs qui se trouvent dans la religion des Malabars gentils de la cöte de Coromandel", eine Handschrift1),2 die zweifellos mit der von W. Caland heraus­ gegebenen, trotz starker Abweichungen, im Zusammenhang steht3). J) Sehr richtig bemerkt E. Jaquet in der .Einleitung*: ,,I1 serait ä däsirer que Von possädät, sur les usages religieux des diverses provinces de Finde, des säries d’observations aussi präcises que le sont gänäralement celles qu'a faites sur ces usages, dans le Carnatic, l’auteur de la Religion des Malabars; cet ouvrage porte le caractdre d’une sävöre exactitude.** 2) Die gegenseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten der einzelnen Handschriften bedürfen noch einer eingehenden literarkritischen Unter­ suchung, zumal, wie bereits J. Charpentier in der ausführlichen Ein­ leitung zu ,The Livro da Seita dos Indios orientais (Brit. Mus. Ms. Sloane 1820) of Father Jacobo Fenicio, S. J.' (Paris/Upsala, 1933) wiederholt hervorgehoben hat, erst eine genaue Registrierung derartiger religions­ geschichtlich und auch völkerkundlich bedeutsamen Handschriften erfolgen müßte. Dadurch, daß diese Manuskripte verschiedentlich in schwer zugäng­ lichen Archiven und Bibliotheken Spaniens, Portugals, Frankreichs, Hollands (u. a. Länder) aufbewahrt sind, ist die Feststellung solcher Manuskripte außerordentlich erschwert (vgl. dazu weiter unten die Schicksale der B. Ziegenbalg-Manuskripte). Auf den Wert derartiger Forschungen für die religionswissenschaftliche Arbeit habe ich bereits in meiner Antritts­ vorlesung über »Mission und Wissenschaft* (Herrnhut, 1921) sowie in .Zeitschr. f. Missionskunde und Religionswissensch.* 1937, $. i6ff.: »Die Erforschung primitiver Religionen* hingewiesen.

Merkel, Anfänge der Erforschung indischer Religionen

Die ersten aus Indien stammenden religionskundlichen Manuskripte hatten überhaupt eigentümliche Schicksale, da ihnen in der Heimat nur recht spärliches Interesse entgegengebracht wurde. Beinahe gänzlich unbeachtet — nur M. V. La Croze hat sie für das VI. Buch: „Von der Abgötterey der Indianer" in seiner „Histoire du Christianisme des Indes" (La Haye, 1724) als Quelle herangezogen1) — blieben auch die aus Trankebar nach Halle gesandten religionsgeschichtlich überaus wertvollen Manuskripte des Missionars der dänisch-halhschen Mission Bartholomäus Ziegenbalg in der Bibliothek der Ostindischen Missionsanstalt liegen, bis sie erst 1867 (bzw. 1791)2) und 1926/1930 im Druck erschienen. B. Ziegenbalg, der 1708 eine „Bibliotheca Malabarica“ niedergeschrieben hat, die für jene Zeit als „ganz erstaunliche Leistung" zu betrachten ist und „von dem Fleiß, Eifer und Emst zeugt, den er auf das Studium des Tamil ver­ wandte", verfaßte 1713 eine ausführliche „Genealogie der malabarischen Götter", aus „eigenen Schriften und Briefen der Heiden zusammengetragen", die von W. Germann 1867 heraus­ gegeben wurde 3). In der Vorrede schreibt Ziegenbalg, daß in der 9 Über La Croze s. C. St. Jordan, ,Histoire de la vie et des ouvrages de Mr. La Croze*, Amsterdam, 1741. — F. Wiegand, ,Mathurin Veyssiöre La Croze als Verfasser der ersten deutschen Missionsgeschichte* (1902), E. Windisch, Geschichte der Sanskrit-Philologie und indischen Altertums­ kunde I. Teil (1917), S. 6 und 201; ferner mein Buch über ,G. W. von Leibniz und die China-Mission* (1920) S. 203 s. und die hier zitierte Literatur. — Im VII. Buch: ,De 1'Idolatrie des Indes* (a. a. O. S. 424s!.) bemerkt La Croze nach einem Hinweis auf die Dissertation des „savant Mr. Fabricius de Hamburg** ,De Brachmanibus Philosophis Indorum* (Imprimöe ä Hambourg l'an 1703!): ,,C*est ce que je vais faire, en me servant principalement des Ouvrages Manuscrits de feu M. Ziegenbalg, Missionaire sur la Cöte de Coromandel, du Ministere duquel Dieu s'est servi pour ötablir en ces lieux-la une Eglise de Neophytes Indiens dont nous aurons lieu de faire mention dans la suite de cet Ouvrage“ (S. 444); u. a. weist er besonders hin auf ,,le Livre Manuscrit Genealogie des Dieux du Malabar**. r) Die Ausgabe der ,Genealogie der malabarischen Götter* erschien, freilich nicht ganz vollständig, 1791 zu Berlin unter dem Titel:,Beschreibung der Religion und heiligen Gebräuche der malabarischen Hindous, nach Bemerkungen in Hindostan gesammelt* (E. Windisch, a. a. O. S. 201s.). 3) ,,Wobei er sich genötigt sah, . . . aus neueren Schriften vervoll-

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vorliegenden Arbeit „dieser Heiden Götter beschrieben werden nach Ursprung, Gestalt und Beschaffenheit, nach den vielfältigen Namen, die sie führen, nach ihren Familien, nach ihren Ämtern und Verrichtungen, nach ihren Erscheinungen, Eigenschaften und Wohnplätzen; dabei zugleich angeführt werden ihre Pagoden und was für Bediente und Heilige zugleich darinnen mit verehrt werden; ihre Bücher, die über solche Götter geschrieben, ihre Fast- und Festtage, wie auch ihre Opfer, die sie ihnen sowohl in als außer den Pagoden darbringen". — Ziegenbalg hat seiner Darstellung der malabarischen Götter-Genealogie nicht nur eine Anzahl tamulischer religiöser Schriften zugrunde gelegt, sondern auch in seiner „Korrespondenz mit den Heiden sonderlich dahin gesehen", daß er „in Briefen von allen solchen Materien schrift­ liche Nachricht erhalten möchte". In einem kurzen Vorentwurf wurde zuerst die „ganze Materie in eine Tabelle gebracht1), ständigende und erweiternde Zusätze beizufügen und zu versuchen, dadurch dem Buch den Charakter eines mythologischen Handbuchs für Südindien zu erwerben" (Vorwort, S. X). J) Tabelle (a. a. O. S. zff.). „Die ganze Genealogie der malabarischen Götter teilt sich in 4 Hauptteile: A. Paräbaravastu, das Ens supremum oder das höchste göttliche Wesen, das betrachtet wird: I. Als ein imma­ terielles Wesen, das keine Gestalt hat und mit nichts verglichen werden kann . . ., von welchem alle Götter abhängen und das da alles in allen und der einige Gott ist. II. Als ein materielles Wesen, das sich in eine sichtbare Gestalt eingeführt, um materielle Dinge zu schaffen und um von materiellen Geschöpfen erkannt zu werden. III. Als ein solches Wesen, das da in sich die männliche Kraft von der weiblichen geschieden hat und in äußerlicher Gestalt Mann und Weib geworden ist. . .: 1. Siva, der aus der männlichen Kraft entstanden ist und für den Vater aller Ausgeburten gehalten wird. 2. Sakti, die aus der weiblichen Kraft entstanden ist. ... — B. Mummürtigel, die drei größten Götter (die drei Gestalten, mürtti das griechische morphae), die von Siva entsprungen und in welchen Siva mitenthalten ist. I. Isvara (Herr), unter welchem Siva mitverstanden wird. . . . Bei der Familie Isvara's hat man zu beachten: 1. Seine Weiber, deren zwei sind: a) Pärvati (die Berggeborene); b) Ganga, welche eine Göttin des Wassers ist. 2. Seine Söhne, deren eigentlich zwei sind als: a) Vighnesvara (der alle Hindernisse Entfernende), der mit dem Elefantenrüssel abgebildet wird (GaneSa); b) Subhramanya (der Diamantgleiche; im Norden Kärtikeya). II. Vishnu (Beschützer), den alle die solcher Religion zugetan sind, für den höchsten

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nachmals selbige ausgearbeitet“ und „nach den Prinzipien dieser Heiden ausgeführt“. In der Vorrede erwähnt Ziegenbalg noch, daß er „vor zwei Jahren (1711) eine Generalbeschreibung dieses malabarischen (tamulischen) Heidentums verfertigt“ habe, die zur Zeit der Herausgabe der Genealogie durch W. Germann (1867) als verloren galt* 1),* III. dann aber als Manuskript in den Beständen der Ostindischen Missionsanstalt der Franckeschen Stiftungen zu Halle wohl verschiedentlich benutzt wurde3), allein erst auf meine Anregung hin von dem Utrechter Indologen W. Caland 1926 in wissenschaftlicher Bearbeitung herausgegeben worden Gott halten, der alles schaffe, regiere, erhalte und erlöse. Von ihm werden zehn Verwandlungen geglaubt, welche der Zeitrechnung nach auf einander folgen (Fisch, Schildkröte / Kürma - Avatära, Eber / Varäha - Avatära, Räma-Avatära usw.). Bei der Familie dieses Vishnu hat man zu betrachten: 1. Seine Weiber, deren zwei sind: a) Lakschmi, die Göttin der Schönheit und des Glücks; b) Bhümidevi, die Göttin der Erde und der Geduld. 2. Seine Söhne als a) Manmatha (Käma, der indische Cupido), der Gott der fleisch­ lichen Liebe, sein Weib ist Rati, die Lust, eine Art Venus; b) Kusa; c) Lava. III. Brahma, der nur in den Brahmanen verehrt wird, sein Weib ist Sarasvati, die Göttin der Gelehrsamkeit. — C. Grämadevatas, welches solche Götter und Göttinnen sind, die da in Feldern, Städten, Flecken und Dörfern Hut halten. I. Die Schutzgottheiten, darunter u. a. die Bhadra-Käli (Sakti von Vira-Bhadra); die Durga. II. Teufel und Riesen, vor welchen die Schutzgötter die Menschen schützen sollen (Bhütas, Räkschasas, Asuras). — D. Devas, eine Art Untergötter, . . . Allhier hat man zu beachten: I. Muppattumukködi (10000000) Devas, von denen sonderlich zu merken sind: Devendra (Indra); b) Indräni, sein Weib; Chitragupta, sein Sohn. II. Rischis welches Propheten sind. III. Melavädyas, Musikanten und Bediente, die nahe um die Götter sind. IV. Aschdha-dik-Pälakas, welche die Hüter der acht Weitenden sind (aus technischen Gründen wurden die tamulischen Worte weggelassen, können aber jederzeit in W. Germanns Ausgabe nach­ gesehen werden).“ 1) Bemerkt doch W. Germann a. a. O. S. 1 in einer kurzen An­ merkung: „Trotz aller Bemühungen hat die Auffindung dieser Schrift bis jetzt nicht gelingen wollen.“ ») So von Th. Zachariae in seiner Studie über: ,Die Parialegende bei Bartholomäus Ziegenbalg* in .Kleine Schriften* 1920, S. I2zff. (erstmals erschienen in: »Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde* (1902) S. 449ff.); s. dann auch Götting. gelehrt. Anzeigen, 1916, S. 566.

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ist1). „Es ist eine Freude“, schreibt Caland in der Einleitung, „dem verdienten Ziegenbalg, sei es auch lange nach seinem Tode, gewissermaßen ein Denkmal errichten zu können, indem wir diese Schrift jetzt endlich veröffentlichen. Daß es die Mühe lohnt, wird jeder Sachkundige zugeben; zusammen mit der ,Genealogie" liefert das Werk eine gründliche Darstellung des südlichen Hin­ duismus, so wie er sich unter den Tamulen zeigt/" Und Ziegen­ balg selbst führt sein Manuskript: ,Ausführliche Beschreibung des malabarischen Heidentums" am 28. Mai 1711 mit folgenden Worten ein: „Was diese meine Arbeit anlangt, wird ein jedweder Selbsten sehen, daß es kein Schmierwerck aus anderen Auctoribus sey, sondern alles, was ich geschrieben, habe ich entweder von wort zu wort aus ihren eigenen Büchern geschrieben und aus der malabarischen Sprache in die Teutsche übersetzet, oder ich habe es durch vielfältiges discouriren aus dieser beiden eigenem Munde in ihrer Sprache gehöret, und mir von verständigen Leuten erzehlen lassen."" Der erste Teil, „worinnen gezeigt wird, was diese Heiden in theologischen Sachen glauben und lehren"" beginnt mit einer Übersicht über die „unterschiedlichen Religionen, so unter diesen malabarischen Heiden"" sind und beschreibt dann „ihre Religionsbücher"", aus denen kürzere oder längere Abschnitte in den folgenden Kapiteln von Gott und Göttergestalten, von „Schöpfung, Ursprung und Vergänglichkeit aller Dinge"", von Sünde, Tugend, Bußarten, Fasten, Opfer, Gebet und Gebets­ formeln, Kultbräuchen und Tempeln, von Priestern und Festen, „von den Teuffein und ihren Verführungen"", „von den viel­ fältigen Wiedergeburten nach dem Tode"", „von Seligkeit und Verdamnis oder Hölle"" mitgeteilt werden. Sehr viele Stücke sind aus dem von Paranjöti in der zweiten Hälfte des 16. Jahrx) In: Verhandelingen d. Kon. Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Afdlg. Letterkunde, Nieuwe Reeks, Deel XXV, Nr. 3 (1926); der vollständige Titel lautet: „Ausführliche Beschreibung des malabarischen Heidenthums darinnen aus dieser beiden eigenen Schriften ihre Principia und Lehr-sätze sowohl in Theologicis als Philosophicis umständlich entdecket und zur dienlichen Unterricht dem geliebten Europa communicirt werden von denen Königl. Dänischen Missionariis unter den ost-indischen beiden."

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hunderts verfaßten Lokalpuräna von Madura: ,Die vierundsechzig Spielwerke der Götter', das die Wundertaten des Siva beschreibt, übernommen worden sowie einzelne Abschnitte aus der den groben Polytheismus ablehnenden Dichtung Tschiwawaikkium und aus dem Buch Aschära Kowei. Dem südindischen volkstümlichen Erzählungsgut entstammen verschiedene Geschichten von Ver­ suchungen der Gläubigen, womit „die Götter ihre Treue prüfen". So wird auch die dem äivaitischen Legendenkreis1) angehörige Geschichte (aus dem Tehründawäschagum) von dem gerechten König aus dem Hause Tschoren, der um einer Kuh willen sich selbst und seinen Sohn opfert, ausführlich erzählt. Wiewohl B. Ziegenbalg seine Quellen sehr sorgfältig angibt, ist die ihm vorgelegene Rezension malabarischer Bücher heute nur schwer noch erreichbar. Im „zweiten Theil" wird dann „gezeiget, was diese Heiden in philosophischen Sachen glauben und lehren", von ihrer Chronologie und Kosmographie, „worin viel Merk­ würdiges vorkommt, das uns an Ktesias sonderbare Mitteilungen über Indien erinnert", ferner „von ihren 18 verflossenen großen Welt-Zeiten und was vor notable Sachen darinnen vorgegangen", „von ihren vielfältigen Geschlechtern oder Zünfften", „ihren Speisen und Eß-Ceremonien", aber auch „von ihrer Physica, Medicina, Chymie und Alchymie, Musica, Astrologia, Oratoria oder Brieff-art", ihrer „Wahrsage-Kunst aus den Vögeln", „von ihrer Wahrsagerei-Kunst aus den Liniamenten und äußerlichen Merckmahlen des Leibes" und endlich „von ihren Kriegen". In dem Abschnitt „von ihrer Agricultura oder Ackerbau" wird auch auf das ,Büchlein Ererubadu', einem Lobgedicht auf den Pflug, Bezug genommen und das Kapitel „von Poesie und Poeten" der Malabaren beginnt mit den bezeichnenden Worten: „Es ist unter diesen Heiden keine Kunst gemeiner als die Poesie, denn alle ihre Religions-bücher sind in der Poesie geschrieben, und alles was heut zu Tage unter ihnen gesungen wird, das muß poetisch sein." W. Caland schließt seinen Vorbericht über seine Ausgabe damit, daß er ausdrücklich betont: „Die ausführliche Beschreibung r) Vgl. dazu die ausführliche und ergänzungsreiche Besprechung der Ausgabe W. Calands in Gött. gel. Anz. 1927, S. 329.

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des malabarischen Heydenthums verdient nicht weniger als die Genealogie herausgegeben zu werden, da sie von der größten Bedeutung für unsere Kenntnis des südlichen Hinduismus ist“1).* 3 4 5 Von den im Kapitel über ,Ethica und Sitten-Lehre* aufgezählten Sittenbüchern hat Ziegenbalg nach seiner Mitteilung „das Büchlein Nidiwunpa vor 3 Jahren (also 1708) verteutschet nach Dennemarck gesand“ (a. a. O. S. 36)2). Auch dieses überaus sauber geschriebene Oktav-Heftchen, das noch zwei andere Traktate ,Köndei Wendei* 3) und ,Ulaga Nidi* 4) in Übersetzung enthält, wurde von mir an derselben Stelle wie das malabarische Heidentum aufgefunden und durch die Leitung der Franckeschen Stiftungen zu Halle ebenfalls W. Caland zur Bearbeitung übermittelt, der sie auch 1930 unter dem Titel: ,B. Ziegenbalgs Kleinere Schriften* 5) veröffentlicht hat. Ziegenbalg gab den einzelnen Traktaten je eine Vorrede bei, die auch missionsgeschichtlich von Bedeutung sind; lesen wir doch in der Vorrede zu ,Konneiwehnten* den charakteristischen Satz: „So habe ich dieses kleine Büchlein aus 9 In: »Over Ziegenbalgs Malabarisches Heidenthum* door W. Caland (Mededeelingen der Kon. Akademie van Wetenschappen. Afdlg. Letter­ kunde Deel 57, Serie A, Nr. 4) S. 17. 9 Der vollständige Titel lautet: ,Nidi Wunpa oder Malabarische Sitten-Lehre bestehende in sechs und neunzig feinen Gleichniszen und Lebens-Reguln, so da vor mehr als sieben hundert Jahren von einem Ostijndischen beyden in Malabarische versen geschrieben aber nunmehro von Wort zu Wort in die hochteutsche Sprache versetzet worden von Barth. Zigenbalg, Tranguebahr 1708/ 3) Auch hier lautet der vollständige Titel: ,K6ndei Wenden oder Malabarische Moralia so da nach Aussage der Malabarischen Poeten vor 750 jähren von der Göttin der Weisheit Auwiar genant, ausgeschrieben sein sollen, bestehende in neuntzig versen oder Sittenlehren aus der Malabarischen spräche in hochteutsche versetzet* von Barth. Ziegenbalg (1708). 4) Berth. Ziegenbalg gab seiner kleinen Schrift folgenden Titel: ,Ulaga Nidi oder Weltliche Gerechtigkeit, bestehende in fünff und sechzig lebensreguln, so da vor sehr langen Jahren von einem heydnischen poeten, der sich Ulaga Näden genennet hat, in Malabarischen versen ausgeschrieben worden, nunmehro in die hochteutsche Sprache versetzet* (1708). 5) Ebenfalls erschienen in den Verhandelingen der Kon.Akademie van Wetenschappen te Amsterdam Afdlg Letterkde N R.Deel XXIX, Nr. 2 (1930).

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ihrer Sprache ins teutsche übersetzen wollen, um zu zeigen, wie diese heyden in ihrem leben offtmahls die allermeisten Christen zu beschämen pflegen/* Noch harren zwei weitere Handschriften Ziegenbalgs der sachkundigen Drucklegung: die ,Bibliotheca Malabarica* aus dem Jahre 1708 in vier Teilen: „1. Beschreibung der Tamil Bücher und Aufsätze von Ziegenbalg selber abgefaßt; 2. die der römisch-katholischen in Tamil verfaßten Schriften; 3. die der eigentlichen Tamil Bücher“ (ein ziemlich vollständiger Überblick über die Tamilliteratur); „4. die der ,Mohrischen oder Mohametanischen* ins Tamil übersetzten Bücher*)• Sodann enthält auch das noch vorhandene »Journal einer merkwürdigen Reise*, „die zur Verkündigung des Evangelii 1719 auf der Küste Coromandel unter den malabarischen Heiden getan wurde*', nach W. Caland manches Interessante und verdient auch einmal herausgegeben zu werden. Dem leider im Alter von 36 Jahren (1719) verstorbenen deutschen königlich dänischen Missionarius Barth. Ziegenbalg, dessen Schriften „von Sitten und Bräuchen der Tamulen ein völlig korrektes Bild bieten .. . mit einer Fülle des Details in vollständig zuverlässiger Gestalt, wie sie bisher in gleicher Ausdehnung nirgendwo sonst vorlag** (Albr. Weber)2), gebührt endlich der ihm so langversagte Platz unter den ersten bedeutenden Er­ forschern der indischen Religionsgeschichte 3). x) a. a. O. S. 4. — Die Bibi. Malad, wurde bereits 1880 von Germann in den Missionsnachrichten der Ostindischen Missionsanstalt (Jahrg. XXXII) veröffentlicht. a) Literar. Centralbl. 1868, Nr. 9, S. 226s.; wieder abgedr. in: .Indische Streifen* (1869), II, S. 387L. 3) E. Windisch a. a. O. (1917/20), S. 198; 201. — Th. Benfey, Ge­ schichte der Sprachwissenschaft u. oriental. Philologie in Deutschland* (1869), S. 260s. — W. Germann, .Ziegenbalg und Plütschau. Die Gründungs­ jahre der Trankebarischen Mission* (1868), II, S. 191 ff. — R. F. Merkel, .Mission und Wissenschaft* (1921), S. 10; 22. Ferner vgl. meinen Aufsatz in .Forschungen und Fortschritte*, 1933, S. 2348.: .Ein vergessener Reli­ gionsforscher Bartholomäus Ziegenbalg (1683—1719)* sowie die Heraus­ gabe von Briefen B. Ziegenbalgs im .Deutschen Pfarrerblatt* 1938. — Für den weitreichenden Einfluß der Korrespondenz B. Ziegenbalgs und seiner in die Heimat gesandten Manuskripte ist ihre vielfache Ver­ wertung bei M. V. La Croze, .Histoire du Christianisme* (1724) charakte-

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Eine weitere Quelle für die Kenntnis südindischer Religionen wurden die von der Dänisch-Hallischen Mission in vielen Bänden herausgegebenen »Ausführlichen Berichte aus Ostindien'1), deren erster Band mit den zwölf ersten Kontinuationen wohl der wichtigste, weil darin die sehr ausführliche,Malabarische Correspondentz' enthalten ist, die auf Grund der in die Heimat gesandten brieflichen Berichte der Trankebarischen Sendboten zusammen­ gestellt wurde und in vielen Teilen noch auf Ziegenbalg zurück­ geht2). Welch lebhaftem Interesse diese einzelnen Hefte mit ihren ristisch, z. B. S. 430; 432; 452; 455; 460 u. ö. sowie die Abschnitte aus den tamulischen Büchern »Diragala Sakkarum* (S. 470s.); ,Arubaddupalu diru VileiadeF (S. 486s.) u. a. sowie bei der lateinischen Bearbeitung von Rad. Cudworth ,Systema Intellectuale huius universi' durch Joh. Lor. Mosheim (1733), wo S. 989 ausdrücklich auf einen von B. Ziegenbalg in »den Kgl. Dänischen Missionarien Berichten aus Ostindien* (Tom. I, part. I, p. 47) erstatteten Bericht hingewiesen wird. x) »Der Königl. Dänischen Missionarien aus Ost-Indien eingesandter Ausführlichen Berichten*, I. Teil; Vom Ersten ausführlichen Bericht an bis zu dessen zwölfter Continuation in verschiedenen Auflagen gesammelt. — Eingehend benutzt wurden sie von Jac. Brücker in seiner »Historia critica Philosophiae* (Lips. 1744) Tom. IV, 2 p. 826K. zu s. Ausführungen in dem Kapitel: ,De Philosophia gentis Malabaricae*. 2) a. a. O. S. 44ff., woselbst die Vorrede zu der Übersetzung des Büchleins ,Nidi Wunpa* abgedruckt wird, sowie S. 337 ff. die religions­ geschichtlich beachtenswerten Antworten auf eine Reihe von Fragen, z. B. ,Ob das Malabarische Gesetz nur eine Religion ausmache oder in viele Secten zerteilet sey?* (S. 371 ff.). — »Was in diesem Lande vor Bücher unter jedermann gebräuchlich sind?* (wertvolle Angaben über tamulische Schriften), S. 374ff. — »Was vor Götter unter den Malabaren überhaupt verehret werden ?' (S. 379!!.). — »Was die Malabaren von der Schöpfung glauben ?* (S. 383s ). In den beigefügten Anmerkungen wird hier eine Fülle religionsgeschichtlich bedeutsamen Materials geboten. Vgl. dazu E. Windisch a. a. O. S. iof., woselbst in Anlehnung an A. Webers Aufsatz: »Eine angebliche Bearbeitung des Yajurveda* (Zeitschr. d. Deutsch. Morgld. Ges.» Bd. VII, 1853) auf diese ,,kurzen Briefe eines malabarischen Korre­ spondenten** (wahrscheinlich B. Ziegenbalg) »»über die Lebensweise und die religiösen Anschauungen der Brahmanen“ hingewiesen wird. ,,Da sie aus dem Jahre 1718 und aus den Berichten eines verständigen Brahmanen stammen, würden sie einen neuen Abdruck verdienen.** Dieser angebliche Yajurveda, wobei der Name Yajurveda oft sehr frei verwendet wird, findet sich in Bd. IV der »dänischen Missionsberichte aus Ostindien* (Halle 1742,

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religionskundlichen Berichten begegneten, darf daraus entnommen werden, daß bereits 1717 zu London der erste Teil der ,Malabari­ schen Korrespondentz' (Hallische Missionsberichte Bd. I, S. 337h.) von Phillips ins Englische übertragen wurde unter dem Titel: An Account of the Religion, Manners, and Leaming of the People of Malabar in the East-Indies. In several Leiters written by some of the most learned Men of that Country to the Danish Missio­ naries (London, 1717) In der Folgezeit sind dann die in den ver­ schiedenen Berichten enthaltenen wichtigen Mitteilungen über Land, Leute und Geschichte dieses Missionsgebietes in der von Joh. Lucas Niekamp 1740 herausgegebenen ,Kurtzgefaßten MissionsGeschichte*1) übersichtlich zusammengefaßt worden und findet sich darin ein ziemlich umfangreiches Kapitel (X): ,Von der Malabaren Religion und Götzendienst', ferner ,von ihren Sitten und Ge­ bräuchen', ,ihren Wissenschaften und Künsten'2). Wie der Einfluß S. 1251 ff.), der vom ,Hauptinhalt des Yadsur-Vedam, eines von den vier Gesetzbüchern der Brahmanen* handelt. 1) Der vollständige Titel lautet: ,,Kurtzgefaßte Missions-Geschichte oder Historischer Auszug der Evangelischen MissionsBerichte aus Ost-Indien von dem Jahr 1705 bis zu Ende des Jahres 1736, mit zwei dazu nöthigen Land-Charten und einer Vorrede H. Gotthilf Aug. Franckens. Ausgefertiget von Joh. Lucas Niekamp/* Halle, 1740. — Ferner sei hingewiesen auf: Conrad Daniel Kleinknecht, .Von den Neu-bekehrten Malabarischen Christen in Ost indien auf der Königl. Dänischen Küsten Coromandel* . . . in einem aufrichtigen Sendschreiben und dessen Fortsetzung an einen Christlichen Politicum. . . . Kurzer Auszug der sämtlichen in Halle bisher gedruckten Ost-Indischen Berichte. Augspurg, 1749. — Die bei J. Char­ pentier a. a. O. S. 230 zitierte Schrift: [Craufurd, Qu.], Sketches chiefly relating to the History, Religion, Leaming, and Manners of the Hindoos (London, 1790) war mir leider nicht zugänglich. 2) a. a. O. S. 75 ff. Es ist eine sehr sorgfältige Zusammenstellung der in den einzelnen Missionsberichten enthaltenen Angaben, die auch heute noch einen gewissen Wert haben; sie beginnt mit den charakteristischen Worten: ,,So höchst abgeschmackt die Malabarischen Götter-Historien auch immer heraus kommen: so mögen sie doch noch leicht so gut an einander hangen, als der alten Griechen und Römer ihre Mythologien, auf deren Erlernung man unter den Christen so viel Zeit und Mühe gewandt hat“ (S. 75). Voraus geht ein Kapitel: .Von der Malabaren Wissenschaften und Künsten* (S. 65ff.) und es folgt ein Kapitel: .Von der Malabaren Sitten und Gebräuchen* (S. u6ff.). 4

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dieser femländischen Nachrichten auch auf die wissenschaftliche Betrachtung sich erstreckte, ist ferner darin ersichtlich, daß sowohl M. L. La Croze wie auch Erz. von Som in seiner unter Leitung von J. Alb. Fabricius und in dessen ,Opusculorum . . . Sylloge* (1738) veröffentlichten Dissertation: ,De Brachmanibus Philosophis Indorum*, Hamburg (1708) sie eingehend benutzt. Mathurin Veyssiere La Croze, der erste Sekretär der Preuß. Akademie der Wissenschaft, „Fhomme le plus savant de Berlin, un vrai magasin de Science" stand mit Ziegenbalg selbst in Korrespondenz und ließ sich aus Halle dessen Manuskripte senden, um sie für sein Buch: ,Histoire du Christianisme des Indes‘ (La Haye, 1724)T) ausführlich zu verwerten. Wie er Abr. Rogers und Ph. Baldaeus bekannte Werke sowie die Beschreibung der Indian. Malabaren Religionsbeschaffenheit durch Vinc. Maria d. S. Catharina de Siena heranzieht, so bringt er viele Auszüge aus Ziegenbalgs Manuskripten, der Genealogie und dem Malabarischen Heiden­ tum; auch aus desselben Verfassers ,Bibliotheca Malabarica4 entnimmt er „einige Extracte", dem Tschiwawaikkium, Gnanawunpa, Divagaram und dem Buch Diragala Sakkarum. La Croze unterläßt nicht zu bemerken, wie „H. Ziegenbalg erstaunt war über die hohen Gedanken, welche über den Horizont eines Volkes, welches mit nichts als grober und abscheulicher Abgötterei um­ geben ist, zu sein schienen2); dieser Leute Bücher werden sogar auch von dem gemeinen Volk gelesen und hochgeschätzt". Mit Th. Spizelius und P. Catroux (Allgemeine Historie des großen Mogols) vertritt er die Ansicht, daß „die alten Indianer Colonien der Ägypter gewesen; kann doch der Ursprung des Indianischer! Aberglaubens nirgends hergeleitet werden, als aus der Quelle des ’) Die deutsche Ausgabe erschien bereits 1727 zu Halle unter dem Titel: ,,M. V. La Croze Abbildung des Indianischen Christen-Staats. Aus dem Frantzösischen in das Teutsche übersetzt, mit vielen Anmerkungen und Erläuterungen vermehrt von Gg. Christ. Hohnstedt." a) „II (Ziegenbalg) y trouvoit, outre l’Unitö de Dieu bien ötablie, & le Culte des Idols rejettö avec mepris & Indignation, une Ovation de pensdes & de sentimens, qui ne lui sembloit pas naturelle ä une Nation, au milieu de laquelle il voioit pratiquer une Idolatrie si grossere" (a. a. O. S. 461).

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ägyptischen Gottesdienstes“1); so scheint auch der Ägypter Osiris deutlich der Indianische Isuren zu sein. Noch ziemlich unklar sind die damaligen Vorstellungen über den „Gesetzgeber der Indier Xaca oder Chaca“, den ja freilich, wie LaCroze be­ merkt, „die malabarischen Heiden nicht kennen. Doch kann man vermuten, daß es dieselbe Persönlichkeit sei, die die Alten unter dem Namen Boudda gekannt haben“2).3 Seine Darstellung schließt LaCroze mit den Worten: „Je me contente d’avoir donne une Idee, aussi exacte qu’il m’a £te possible, de la Religion de ces Idolatres“ (a. a. O. S. 519). Ausdrücklich erwähnt werden auch B. Ziegenbalgs Berichte („quas nuperrime ex Colonia Danorum Transgebarensi in ora Coromandalensi ad Berolinates scripsit“) in der bereits erwähnten Dissertation Frz. von Som: ,De BrachmanibusPhiloso'phis Indorum‘ (1708), als deren weitere Quellen u. a. Abr. Roger, Henry Lord, Walther Schultzes), Athan. Kircher und Joh. Marshall genannt sind. Ausgehend von den wenigen Nachrichten antiker Schrift*) „Les anciens Indiens ont 6t6 des Colonies d'Egypte" . . . „FOrigine des Superstitions des Indes ne peut etre attribuöe qu’a celles des Egyptiens" (S. 427). „Au reste, il ne saut pas s’attendre ä trouver ici une conformitö totale entre les moeurs & la Religion des Indiens & des Egyptiens. Les dogmes & les coütumes s'altdrent en passant d'un Peuple ä Fautre" (S. 428). „L’Osiris des Egyptiens paroit assez marque dans Flsuren des Indiens" (S. 430). 2) „Cet Homme n’est point connu chez les Paiens du Malabar." . . . „II saut donc qu'ils en aient perdu la memoire, ou qu’il leur soit connu sous un autre nom." „On a lieu de soupconner que c’est le meme personnage que les Anciens ont connu sous le nom de Boudda." Nach den Angaben von P. Dominique Fernandez Navarette in dessen ,Traittez Historiques de FEmpire de la Chine* referiert La Croze weiterhin (S. 505) über die Buddhatradition in China und Ceylon: „...la personne de Xaca, dont Fldole a 4t6 nommöe F08 aprfcs son Apotheose . . . il est n6 dans File de Ceylan. Son Pöre, qui 6toit Roi du lieu oü il naquit, s’appelloit Cing Fan Vuang, & sa Mdre Mo Je (= Mäyä). Quelques Europöens mettent le tems de sa naissahce Vers la vingt-neuvidme annöe du regne de Salomon.** 3) Gemeint ist: ,Ost-indische Reyse . . . wie auch . . . Beschreibung der fümehmsten Ost-Indischen Landschaften . . . alles beschrieben durch W. Schnitzen.* Aus dem Niederländischen . . . übergesetzt durch J. D. Amsterdam, 1676.

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steiler1) über die Brahmanen wird hier erstmals der Versuch einer Charakteristik2)3 derselben sowie ihrer religiösen Anschau­ ungen unternommen: „Hodie Bramines summum Deum Wistnou appellare dicuntur vel Peremael vel Eswara denique, sed et aliis millenis affirmant venire nominibus“3). Noch weist der Verfasser darauf hin, wie man bestrebt war, die Philosophie und Theologie der Brahmanen mit der jüdischen und griechischen Philosophie in Verbindung zu bringen, und er schließt seine Ausführungen mit den an Ziegenbalg erinnernden Worten: „Sed juvat manum jam tollere de tabula, & reliqua lectoris ingenio atque industrial perquirenda committere, Deo autem humillimas persolvere gratias, quod se non intestatum relinquere gentibus, nobis vero plenam ac salutatem in Christo lucem indulgere voluerit, qua x) Der Verfasser erwähnt bereits den Hinweis auf die Brachmanen bei Clemens Alex. Strom. I, 305; 888 III, 451. — Plin. Hist, natur. VI, 17; bei Origenes und Porphyrius. — Vgl. jetzt B. Breioer et F. Börner »Fontes Historiae Religionum Indicarum' (Bonn, 1939) s. v. 2) Die einzelnen Abschnitte behandeln: I. De nomine, origine et patria sede Brachmanum; II. De Brachmanum veterum Theologia; III. De veterum Brachmanum philosophia et moribus; IV. De recentioribuS Brachmanibus sive Bramanibus. 3) Und auf S. 356 lesen wir: ,,De Brachmanibus hisce copiose inprimis tradidit Abraham Rogerius qui per decennium inter Ipsos versatus est; tum itinerum in Indiam Orientalem & finitimas regiones scriptores eximii Thevenotus, Tabemetius, Bemeriusque, Petrus de Valle, Henricus Lord, Waltherus Schultze, aliique; quibus addi possunt Kircherus in China illustrata, Johannes Marhallus in Epistola ad Cogan (Memoriis litterariis Trevultii collectis mense Junio A. 1701 p. 402 edit. Amst.) & Barth. Ziegen­ balg Epistola tertia (Editae sunt Germanice a Joachimo Langio Ecclesiaste & Rectore Berolinensi, Lipsiae, 1708) earum quas nuperrime ex Colonia Danorum Transgebarensi in ora Coromandalensi ad Berolinates scripsit.“ -— ,,Ex bis difficile foret bene longam neque fortasse injucundam de recentioribus Brachmanibus fabulam texere, ipsorumque mores & Philosophiam ac Theologiam persequi, & qua parte vel cum Judaeis (Thomas Burnet, ,Conformit6 des Coutumes des Indiens Orientaux avec celles des Juifs & des autres peuples d’Antiquit6‘, Bruxelles, 1704) vel cum Philosophis Graecorum conspirent, vel ab his dissideant, tum veteres illi Brachmanes tum Bramines hodiemi, subtilius disputare" — worauf dann die oben zitierte Stelle folgt.

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utinam digne vivere studeamus, nec plerique Christianorum multis ethnicis pejores esse videamur“J). Eine das religiöse Gebiet eng berührende vergleichende Studie ,Conformite des Coütumes des Indiens orientaux, avec celles des Juifs & des autres Peuples de FAntiquite' erschien 1704 zu Brusselles von De la Crequiniöre, deren „idee generale“ es ist, „de rechercher ce que les Indiens ont decommun avecles peuples de Fantiquite, mais plus particulierement avec les Juifs“ und bespricht zunächst die Sitte der Beschneidung, der Opferund Gebetsformen, wobei ihm wiederholt die persönliche Kenntnis Indiens (S. 78 u. ö.) zu statten kommt3). Er erwähnt die Tempel „dediez ä Priape“3), ihre „Dieux Penates“, „Eaux lustrales“ x) In den ,Essais historiques sur Finde, pröcödes d’un Journal de voyages et d'une Description göographique de la cdte de CoromandeF. Par M. de la Flotte (Paris, 1769) wird auch S. 141s. der dänischen Mission gedacht: Le gouvernement de Dänemark entretient depuis 1707, dans cette colonie, des Missionnaires qui prechent FEvangile aux idolätres; mais ils n’ont pas encore eu la satisfaction de faire beaucoup de prosölytes. Les Danois sont les seuls de tous les Europöens qui etabli une Imprimerie dans Finde; ils ont publik une traduction de FEvangile en langue Malabare. Auf S. iößfs. sind ,Essais de la Religion des Indiens* enthalten (auch „les quatre Vedam** werden in der Anm. erwähnt, welche „sont pröcieusement gardös dans FEcole de Benarös & dans la Pagode de Cangivarom**). De la Flotte gibt an, daß er seine Darstellung der indischen Mythologie (Brama, Vichenou, Routren ou Siven), „ainsi que plusieurs autres articles sur la religion des Indiens d’un manuscrit** verdanke „apportö de Pondichöry en 1767, & qui a ötö dirigö par les soins de M. Porcher, ancien Gouverneur de KarikaF* (S. 167 Anm.); er beschreibt auch S. 212ff.: »Pagodes ou Temples des Indiens* und ,Sentiments des Indiens sur le Paradis*; ,De l’Enfer*; .Sentiments des Indiens a Fögard de l’Ame* etc. a) Charakteristisch für diese rein äußerliche Vergleichsmethode ist z. B. folgende Stelle (a. a. O. S. 52): „Les gentils Indiens recherchent encore Fombre, & Fobscuritö, dans leurs temples, qu’ils appellent Pagodes.... Abraham chercha ögalement Fobscuritö, pour rendre ses devoirs a Dieu, & pour le prier, & FEcriture marque, qu’il planta un bois a Bersaböe, pour y invoquer la nom du Seigneur le Dieu ötemel.** 3) Von dem Linga-Kult hat der Verfasser offenbar keine klare Vor­ stellung erhalten können, da er ihn in diesem Zusammenhang hätte er­ wähnen müssen. Darüber s. H. Goetz .Epochen der indischen Kultur* (1929) s. v.

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und besonders den Ganges, für den „les Indiens ont une veneration tonte particuliere, qu’ils regardent meme comme un Dien, & ä qui ils fönt tous les jours des sacrifices"1); er glaubt, daß diese Ver­ ehrung darin begründet sei, weil „les anciens s’imaginoient, que chaque riviere, ou chaque fleuve, avoit une Divinite particuliere, qui lui dtoit attachee, & qui presidoit ä ses eaux" (S. 82). In einem weiteren Abschnitt über die ,Metempsycose‘ wird als Prophet dieser neuen Philosophie „un Philosophe Indien appelle Phoe, ne dans File Leiion" bezeichnet2).3 Eine merkwürdige Parallele zu der neutestamentlichen Perikope von den zehn Jung­ frauen stellt er in einer indischen Hochzeitszeremonie fest (S. 107s.), sodaß $ich ihm die Vermutung nahelegt, „que Jesus Christ tira cet exemple des autres nations qui etoient proche la Judee; & dont les Juifs pouvoient connoitre les maximes, & les ceremonies" (S. 112). Nach kürzeren Mitteilungen über die Kastenordnungen, abergläubische Vorbedeutungen u. a. geht der Verfasser über zur Beschreibung der Witwenverbrennung, der Fakirgestalten sowie der Priester („appellez Brahmes") in ihrer Bedeutung für die indischen Religionslehren und fügt dann noch ,Reflexions sur les Voyages* an mit Ratschlägen zum Verständnis fremder Religions­ arten (S. 242 ff.). Als religionsgeschichtliche Quelle zur indischen Frömmigkeit wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch die Schrift von Henry Lord: ,A Discoverie of the sect of the Banians, Containing their History, Law, Liturgie, Casts, Customes, and Ceremonies. Gathered from their Bramanes teachers of that Sect: As the particulars were comprized in the Books of their Law, called the Shasteri (London, 1630) 3) vielfach ausgewertet, zumal sie aus 1) a. a. 0. S. 76s. r) a. a. O. 8.8ZL.; auch von Buddha hat der Verfasser nur eine sehr un­ deutliche Vorstellung, wenn er z.B. (S.88) schreibt: „Phoecomposaquarante volumes, qui resterent dans les Indes, jusqu'ä Fan soixante & cinq de JesusChrist; que les disciples de ce Philosophe les porterent en Chine soüs le regne d’Hiaomim-Hoamti; les Chinois les traduisirent aussi-töt en leur langue.“... 3) Der gemeinsame Titel dieser ziemlich seltenen Schrift lautet: ,A Display of two forraigne sects in the East Indies viz: The sect of the

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18jähriger persönlicher Berührung mit der Bevölkerung von Guzzarat1) hervorgegangen ist. Durch Thomas Kerridge, den Präsidenten der englischen Handelskompagnie, war er mit den Brahmanen der Banians wie auch mit den Daros der persischen Feueranbeter in persönliche Berührung gekommen; von den ersteren erhielt er ihren , Shast er**, von den letzteren ihren ,Zundavastaw*. Nach der Tradition seiner Gewährsmänner berichtet Lord in der ersten Schrift über den Schöpfungsmythus der Welt und der ersten Menschen durch das höchste göttliche Wesen (Brammon)3), das sich dann in einem zweiten Weltzeitalter manifestiert in den Gottheiten Bremaw, Vystney und Ruddery. Aus dem Gesetzbuch des Manu (Shaster) werden sodann mora­ lische Vorschriften mitgeteilt und „unter Hinweis auf abend­ ländisch-philosophische Vorstellungen“ 3) die Lehre von der Metempsychose berührt, um schließlich an Hand der wichtigsten Abschnitte des Shaster die religiös-kultischen Erscheinungsformen sowie die soziale Gliederung dieser indischen Sekte darzulegen4). Banians the Ancient Natives of India and the sect of the Persees the Ancient Inhabitants of Persia together with the Religion et Maners of each sect. Collected into two Bookes by Henry Lord; sometimes resident in East India and Preacher to the Noble Company of Merchants trading thether* (1630) (mit bildlichen Darstellungen: Bramane of the Banians; Daroo of the Persees u. a. mythologischer Erzählungen). r) Über den »Jainismus in Gujarät' s. die Darstellung bei H. v. Glasenapp, .Der Jainismus. Eine indische Erlösungsreligion * (1925), S. 48 ff. *) „The first mans name was Pourous, and the womans name was Parcoutee, and they liued conioyned together as Man and Wife. ... These two liuing in this coniunction, had foure sonnes; the first was called Brammon, the second Cuttery, the third Shuddery, the fourth Wyse. These four brethren were of Natures distinct each from the other; the foure Elements claiming in each of thema different predominance: For Brammon was of an earthly Constitution, and therefore Melancholly; and Cuttery was of a fiery Constitution, and therefore of a Martiall spirit. Shuddery was of a flegmaticke Constitution, and therefore of a peaceable or conversable disposition; Wyse was of an ayery temper, and therefore full of contriuements and inuentions" (P. p. 4/5). 3) a. a. O. S. soff. 4) a. a. O. S. söff.: ,Of the second Tract of the Booke deliuered to Bremaw, containing their Ceremoniall Law, in their Washings, Annointings,

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Die französische Übersetzung von Henry Lord’s ,A Discoverie of the sect of the Banians' ist auch als Dissertation historique sur la Religion des Banjans‘ in dem sechsbändigen Foliowerk ,Ceremonies et Coutumes religieuses des peuples idolatres* (Tom. I, 2, Amsterdam, 1723) im Auszug enthalten zusammen mit einer Dissertation sur les moeurs et sur la religion des Bramines, dressee sur les Memoires du Sieur Roger Hollandois'1). Gleich im Vor­ wort stellt der Herausgeber die Theses auf: „Les Brachmanes si fameux dans FAntiquite n’etoient pas seulement une Secte des Philosophes. . . . Leurs sages que Fon surnomma Gymnosophistes, parce qu'ils alloient presque nuds, avoient tant de conformite pour les Dogmes avec les Philosophes d’Egypte dont Pithagöre emprunta la plus grande partie des siens, qu'on ne peut douter que les Gymnosophistes des Indes ne soient une Cdlonie d’Egyptiens, dont la posterite subsiste encore aujourd’hui. LeDogme distinctif des uns et des autres ötoit la Metempsycose*'2). Offerings under greene Trees, Prayers, Pilgrimages, Inuocations, Adorations together with the formes of their Baptizings, Marriages, and Burrials, customary amongst them.* r) Voraus geht eine größere Abhandlung, betitelt: ,Conformit6 des Coutumes des Indiens Orientaux avec celles des Juifs & des autres Peuples*, deren Verfasser als anonym (M. de la. , .) gelten soll und den die Ab­ sicht leitete, ,,de recherecher ce que les Indiens ont de commun avec les Peuples de l’antiquitö, mais plus particulierement avec les Juifs* * und dabei ganz unmögliche Parallelen herausfindet. — Doch wird als Verfasser dieser Schrift in der von Somschen Dissertation ,De Brachmanibus* ein Thomas Burnet genannt, der sie unter demselben Titel 1704 zu Bruxelles heraus­ gegeben hat. 3) Auf S. 27 wird der Vedam genannt, ,,öcrit en la langue Samscortam, divisö en quatre parties ä savoir, Rogo-Vedam qui traite de la prömiöre Cause, de la premiöre Matiere; des Anges; de FAme; des Recompenses & des Peines . . . Issoure-Vedam qui traite des Puissances qui dominent & gouvement toutes. choses; Sama-Vedam qui est une Morale pour exciter ä pratiquer les Vertues, ä fuir les vices & ä hair les möchants: & Addaravana-Vedam qui traitoit des Ceremonies Religieuses, des Temples, des Sacrifices, & des Petes** (vgl. dazu W. Caland „Ontdekkingsgeschiedenis von den Veda* (Verslagen en Mededeelingen d. Koninkl. Academie v. Wetenschappen, Afdlg Letterkde, 5 R., D. III, Amsterdam 1918); s. dazu auch Th. Zachariae in ,Gött. gel. Anzeigen*, 1921, 148ff. —

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In dem Abschnitt: ,Des Dogmes' (Des Femmes des Vistnou et d'Eswara; Des dix formes corporelles de Vistnou; Origine de TOiseau Garrouda, et d’Annemonta u. a.) ,et des Pratiques Religieuses des Bramines' werden auch am Schluß die von Adr. Roger zuerst mitgeteilten ,Proverbs de BarthrouherrF erwähnt; überhaupt ist bemerkenswert, welch zutreffendes Urteil der Herausgeber auch über A. Roger fällt: „Je me suis plus attachö ä cet Auteur qu’ä aucun autre, parce que sa qualite de Theologien a du Finteresser davantage ä la connaissance de la Religion des Bramines, que des personnes qui exer^oient la Medecine ou le Commerce.