Der Höchste: Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben 3161527186, 9783161527180

Die hier zusammengestellten Abhandlungen Reinhard Feldmeiers zu Texten und Themen der hellenistischen Religionsgeschicht

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Der Höchste: Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben
 3161527186, 9783161527180

Table of contents :
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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung
Erster Teil: Der Eine. Philosophie und Religion in der späteren Antike
»Göttliche Philosophie«. Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike
1. Der Philosoph als Gottesmann. Die Sakralisierung des Weisen
2. Die Sapientisierung des Heiligen im Antiken Judentum
2.1. Die Inkulturationsstrategie
2.2. Beispiele
2.2.1. Jesus Sirach
2.2.2. Der Aristeasbrief
2.2.3. Das 4. Makkabäerbuch
2.2.4. Die Sapientia Salomonis
2.2.5. Philon von Alexandria
2.3. Konsequenzen im Blick auf das Selbstverständnis des Einzelnen und der Gemeinschaft
2.3.1. Der Gottesmann als Weiser und Philosoph
2.3.2. Die Gemeinschaft der mosaischen Weisen
3. Der Beginn der Sapientisierung im Neuen Testament: Die dialektische Rezeption des Weisheitsbegriffs bei Paulus und in seiner Schule
Philosoph und Priester: Plutarch als Theologe
Philosophischer Glaube und politische Verantwortung. Plutarchs Epikurkritik in De latenter vivendo
1. Der Streit um das gelingende Leben: Der geistesgeschichtliche Hintergrund und die Intention der Auseinandersetzung
2. Ein »endloses Gewirr von Selbstwidersprüchen« – Plutarchs Wahrnehmung Epikurs und deren Ursachen
3. Γνώσθητι: Plutarchs Antimaxime
Anhang: »So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten …« – Anmerkungen zu einem Vergleich Plutarchs mit biblischen Vorstellungen
Der Gott der Toten als Gott des Lebens. Plutarchs interpretatio Platonica des Osirismythos (De Iside 76–78)
1. Der lebendige Gott. Der Vergleichspunkt
2. Das hermeneutische Programm von De Iside und dessen Implikationen
3. Plutarchs Beurteilung des ägyptischen Tierkultes
3.1 Kontext
3.2. Die philosophische Argumentation
3.3. Osiris: Der Totengott als Gott des Lebens
Der »Lenker und Herr von allem« als »Schöpfer des Rechts«. Plutarchs Theodizee
1. Thematik
2. Gattung
3. Erkenntnistheorie
4. Mythos und Logos
5. Abfassungszeit
6. Gliederung
7. Der Argumentationsverlauf
8. Würdigung: Plausibel gemachter Glaube. Plutarchs antiskeptische Hermeneutik
Bildung als Weg zu einem gelingenden Leben. Die Soteriologie der Tabula Cebetis
1. Das anthropologische Dilemma: Der sich selbst entfremdete Mensch
2. Gift und Gegengift
3. Die καθαρτικὴ δύναμις der Paideia
4. Das Ziel des Lebens: Der zur Selbstbestimmung ermächtigte Mensch
5. Paideia salvatrix
6. Die Tabula und das Neue Testament
Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele. Die Neubegründung der Unsterblichkeitshoffnung im pseudoplatonischen Axiochos
1. Consolatio mortis? Die Frage der Gattung
2. Sokrates als Seelsorger und der religious turn des Mittleren Platonismus
3. Der Argumentationsverlauf
4. Gliederung(en)
5. Transzendieren und Transzendenzbezug – Göttlicher Geist und menschliche Seele
6. Mythos und Moral
7. Nochmals: Gattung und Intention
8. Synkriseis
Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie zwischen Abgrenzung und Überbietung
Der Höchste. Das Gottesprädikat Hypsistos in der paganen Religiosität, in der Septuaginta und im lukanischen Doppelwerk
1. Vom Höchsten und Allerhöchsten. Problemanzeige
2. Der »höchste Gott« (θεὸς ὕψιστος) in der paganen Religiosität
3. Septuaginta
4. Der ›Höchste‹ im lukanischen Doppelwerk
5. Noch einmal der Höchste und der Allerhöchste. Epilog
Die stoische Zeusallegorese und das Bekenntnis zum biblischen Gott als dem »Beleber der Toten«
1. Der Gott des Lebens
2. Die Apologie des Judentums im Aristeasbrief
3. Jhwh und Zeus
Weise hinter »eisernen Mauern«. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief
1. Zum Thema
2. Die Akkulturation: Die Tora als Inbegriff der Gerechtigkeit und Weisheit
3. Die Abgrenzung: Die »eisernen Mauern«
4. Der Zusammenhang zwischen Akkulturation und Abgrenzung im Aristeasbrief
5. Die Rechtfertigung der jüdischen Sonderexistenz vor dem Forum der hellenistischen Welt
6. Die Adressaten und die Abzweckung des Aristeasbriefes
7. Tora und jüdisches Selbstverständnis nach dem Aristeasbrief
Der oberste Gott als Vater. Die frühjüdische und frühchristliche Rede vom göttlichen Vater im Kontext stoischer und platonischer Kosmos-Theologie
1. Gott als Vater im Neuen Testament
2. Die Güte des Kosmosgottes bei Dion von Prusa
3. Der Vater als Erzeuger der Seele in Plutarchs Quaestio Platonica 2
4. Die Vermittlerrolle des hellenistischen Judentums: Der Schöpfer und Erhalter als Vater bei Philon von Alexandria
5. Plutarch, Dion und das Neue Testament. Synkrisis
Wenn die Vorsehung ein Gesicht erhält. Neutestamentliche Transformation eines philosophischen Theologumenons
1. Anfragen
2. Die philosophische Herkunft: Platon, die Stoa und der Mittelplatonismus
3. Das Antike Judentum
4. Das Neue Testament
4.1. Die Fürsorge des Schöpfers
4.2. Gottes Gnadenwahl in der Briefliteratur
4.2.1. Der Römerbrief des Paulus
4.2.2. Die kosmologische Soteriologie der Paulusschule: Der Epheserbrief
4.2.3. Der 1. Petrusbrief
4.3. Das lukanische Doppelwerk
5. Zusammenfassung
Die Wirklichkeit als Schöpfung. Die paulinische Rezeption eines frühjüdischen Theologumenons
1. Die jüdische Tradition
1.1. Kosmos – Natur – All. Worte für »Welt«
1.2. Der Begriff der κτίσις im hellenistischen Judentum
2. Die paulinische Rede von der Schöpfung
2.1. Die strikte Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf
2.2. Das Stöhnen der Schöpfung und ihre sehnsüchtige Erwartung
2.3. Die eschatologische Dimension der Rede von der Schöpfung
Henoch, Herakles und die Himmelfahrt Jesu
1. Jesu Erhöhung und die Macht Gottes
2. ›Himmelfahrten‹ im Vergleich
3. Himmelfahrt als Plausibilisierung des Zusammenhangs von Erniedrigung und Erhöhung
4. Jesu Himmelfahrt als Ermächtigung der Jünger
»Unvergänglichkeit«. Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus
I. θεὸς ἄχρονος – Unvergänglichkeit als Zeitlosigkeit
II. »Der Erstling der Entschlafenen«. Chancen und Schwierigkeiten der christlichen Auferstehungsbotschaft
III. Der »lebendigmachende Geist«. Schöpfungshandeln und Eschatologie in 1. Kor 15
IV. Kreuzestheologie und Unvergänglichkeitshoffnung
1. Die Exklusivität des Prädikates in der paganen Literatur
2. »Gott schuf den Menschen zur Unvergänglichkeit« (SapSal 2,23): ἀφθαρσία als Heilsgut im Frühjudentum
3. »Das Vergängliche muss mit Unvergänglichkeit bekleidet werden.« Die paulinische Zukunftshoffnung im Kontext
V. Zusammenfassung
»Seelenheil«. Die Soteriologie und Anthropologie des 1. Petrusbriefes zwischen biblischer Überlieferung und religiöser Koine
1. »Seelenheil«
II. Die Rede von der Wiedergeburt im Kontext der religiösen Koine der späteren Antike
III. Die Überwindung der Vergänglichkeit
IV. Die Einbindung in die Gottesvolktradition
Vom Totengericht zum Jüngsten Gericht
1. Das Alte Testament
2. Das Antike Judentum
3. Das Neue Testament
3.1. Jesus und die apokalyptische Tradition
3.2. Die Wendung des Gerichtsgedankens nach außen: Der Trost
3.3. Die Wendung des Gerichtsgedankens nach innen: Die Mahnung
3.4. Heil und Gericht. Die Unterscheidung von Person und Werk bei Paulus
3.5. Allversöhnung?
Dritter Teil: Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes
Biblischer Monotheismus und Toleranz
1. Inhärente Gewalt? Die Problemstellung
2. Der biblische Monotheismus im Kontext der kaiserzeitlichen Religionsgeschichte
3. Der eine Gott Israels bei Jesus
4. Paulus
Vater versus Töpfer? Zur Identität Gottes im Römerbrief
1. Die Spannung
2. »Abba, Vater«. Synchrone Analyse von Röm 1–8
3. Gott als Vater. Diachrone Analyse
4. Der Töpfer als Vater
Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne
I. »Schmecken und sehen«
II. Gott und die Nase
III. Gott und der Gaumen
IV. Gott und die Haut
Dinge ›be-greifen‹ und Nähe ›spüren‹
»… und er rührte ihn an«. Heilung und Heil durch Berührung bei Jesus
V. Gott und das Ohr
»… den Logos aber hat nur der Mensch unter den Lebewesen« – der homo sapiens als Wesen des Wortes
»Höre, Israel …« – Gottes Wort und die Ant-wort des Menschen
»Höre mich, wenn ich rufe« – Gebet und Erhörung
Bildlosigkeit und Erzählbarkeit Gottes
VI. Gott und das Auge
»Weltbild« und »Theorie« – das anschauende Ordnen der Welt
»Schau mir in die Augen, Kleines …« – Anblick und Begegnung
Licht und Finsternis als Metaphern
»Von Angesicht zu Angesicht« – Anfechtung und endzeitliche Hoffnung
Der sehende Gott. Ausblick
Gott und die Zeit
1. Hinführung
2. Gott und die Zeit – der Kontext
2.1. Der »zeitlose Gott« und das »nicht dicht haltende Gefäß des Vergehens«. Die antike Metaphysik
2.2. »Du aber bleibst, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende.« Endlichkeit und Ewigkeit in der hebräischen Bibel
3. »Erfüllt ist die Zeit« – Gottes Gegenwart im Sohn und die Entstehung des Evangeliums
4. Menschwerdung und ewiges Leben: Paulus und Johannes
5. »Die unter uns zur Erfüllung gekommenen Ereignisse« – die Gegenwart des Heils bei Lukas
6. Epilog
Gottes Torheit? Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament
I. »Torheit und Ärgernis«. Die Kritik am Kreuz und das Zeugnis des Neuen Testaments
II. Das Zeugnis der Evangelien
1. Das Markusevangelium
1.1 »… sondern dass er diene« – Lebenshingabe als Konsequenz des Lebens (Mk 10,45)
1.2 »… zum Eckstein geworden« – Gottes Widerspruch als Zuspruch (Mk 12,1–12)
1.3 »Für euch gegeben« – das Abendmahl als Summe des Lebens Jesu
1.4 »Nimm diesen Kelch von mir« – Gethsemani (Mk 14,32–42)
1.5 »Mein Gott, warum« – Golgatha (Mk 15,20–39)
2. Die anderen Evangelien
2.1. Das Matthäusevangelium
2.2. Das Lukasevangelium
2.3. Das Johannesevangelium
III. »Das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.« Das Kreuz als göttlicher Machterweis bei Paulus
IV. Gegenbild Lebensbaumkruzifix
Der Gekreuzigte im »Gnadenstuhl«. Exegetische Überlegungen zu Mk 15,37–39 und deren Bedeutung für die Vorstellung der göttlichen Gegenwart und Herrschaft
1. Zum Thema
2. Zur exegetischen Diskussion
3. Weiterführende Überlegungen
3.1. Der Bezug zur Taufgeschichte
3.2. Der Tempelvorhang als Scheidewand zwischen Himmel und Erde
3.3. Der Sinn der Ereignisabfolge von Mk 15,37–39
4. Abschließende Überlegungen: Gottes Thron und »Gnadenstuhl«
Theodizee? Biblische Überlegungen zu einem unbiblischen Unterfangen
1. Fragen an die Frage
2. »Causam deorum agam«: Ursprung und Eigenart der Theodizeeproblematik
3. »Wer bist du denn, Mensch?« Der biblische Einwand
4. »Er bringt den Frommen um wie den Gottlosen.« Das Ringen mit Gott im Buch Hiob
5. »Dennoch bleibe ich stets an dir.« Der sogenannte Theodizeepsalm (Ps 73)
6. »Aber nicht geschieht, was ich will.« Gethsemani, Golgatha und die Kreuzestheologie
7. »Meine Macht kommt in der Schwachheit zur Vollendung.« Das unerhörte Gebet des Paulus
8. Das »Stöhnen und Seufzen« der Schöpfung. Der bleibende Skandal des Leidens
9. »Und er wird abwischen alle Tränen. «Hoffnungsbilder
Die Erfahrung der Gottesfinsternis und die Verortung des Schrecklichen in Christus
1. Das Thema
2. Der Anstoß des Kreuzes
3. Die Leidensgeschichte als Evangelium
4. Das Trostbild des Gekreuzigten
5. Der pater dolorosus und die Ermächtigung der Leidenden
Ränder des Gottesglaubens: Die Engel
1. Biblische Angelologie im Kontext der antiken Dämonologie
2. Die Engel in der Wiedergabe des Lebens Jesu in den Evangelien
3. Die Engel in den Ostererzählungen
4. Die Engel in den Vorgeschichten
5. Die Engel in der Apostelgeschichte
6. Paulus
7. Der Hebräerbrief
8. Die katholischen Briefe
9. Die Johannesoffenbarung
10. Zusammenfassung
11. Ausblick
Der Heilige. Rudolf Ottos Impulse für eine biblische Gotteslehre
1. Gottes Sohn und Gottes Zorn. Zugang
2. »Das Numinose im Alten Testamente«
3. »Das Numinose im Neuen Testamente«
4. Einwände
5. Der ›gänzlich Andere‹. Ottos theologisches Anliegen
6. Die tremenda majestas des Vaters. Ottos Zumutungen
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Verzeichnis der zitierten Literatur
Quellen
Sekundärliteratur
Stellenregister
1. Altes Testament
2. Septuaginta und Pseudepigraphen des Alten Testaments
3. Neues Testament
4. Qumran
5. Rabbinisches Schrifttum
6. Apostolische Väter
7. Griechisch-römische, jüdische und christliche Autoren
7. Sonstiges
Autorenregister
Sachregister

Citation preview

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) Tobias Nicklas (Regensburg)

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Reinhard Feldmeier

Der Höchste Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben

Mohr Siebeck

Reinhard Feldmeier, geb. 1952; Promotion und Habilitation in Tübingen; Pfarrer der bayerischen Landeskirche; 1992–95 Professur in Koblenz; 1995–2002 Professur in Bayreuth; seit 2002 Professor für Neues Testament in Göttingen; Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

e-ISBN 978-3-16-153185-9 ISBN 978-3-16-152718-0 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­ nal­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Sys­temen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­­ papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Zum Gedenken an

Frances Back (1965–2012) und

Friedrich Avemarie (1960–2012)

ΚΑΙ ΕΞΑΛΕΙΨΕΙ [Ο ΘΕΟΣ] ΠΑΝ ∆ΑΚΡΥΟΝ ΕΚ ΤΩΝ ΟΦΘΑΛΜΩΝ ΑΥΤΩΝ, ΚΑΙ Ο ΘΑΝΑΤΟΣ ΟΥΚ ΕΣΤΑΙ ΕΤΙ ΟΥΤΕ ΠΕΝΘΟΣ ΟΥΤΕ ΚΡΑΥΓΗ (Apk 21,4)

Inhalt Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... XI Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung .................................................. 1

Erster Teil

Der Eine Philosophie und Religion in der späteren Antike »Göttliche Philosophie«. Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike .......... 31 Philosoph und Priester: Plutarch als Theologe......................................... 49 Philosophischer Glaube und politische Verantwortung. Plutarchs Epikurkritik in De latenter vivendo.......................................... 61 Der Gott der Toten als Gott des Lebens. Plutarchs interpretatio Platonica des Osirismythos (De Iside 76–78)...... 79 Der »Lenker und Herr von allem« als »Schöpfer des Rechts«. Plutarchs Theodizee ................................................................................ 91 Bildung als Weg zu einem gelingenden Leben. Die Soteriologie der Tabula Cebetis...................................................... 107 Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele. Die Neubegründung der Unsterblichkeitshoffnung im pseudoplatonischen Axiochos ........................................................... 119

VIII

Inhalt

Zweiter Teil

Der Höchste Biblische Theologie zwischen Abgrenzung und Überbietung Der Höchste. Das Gottesprädikat Hypsistos in der paganen Religiosität, in der Septuaginta und im lukanischen Doppelwerk .............................. 135 Die stoische Zeusallegorese und das Bekenntnis zum biblischen Gott als dem »Beleber der Toten«................................. 151 Weise hinter »eisernen Mauern«. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief .................. 160 Der oberste Gott als Vater. Die frühjüdische und frühchristliche Rede vom göttlichen Vater im Kontext stoischer und platonischer Kosmos-Theologie .................... 178 Wenn die Vorsehung ein Gesicht erhält. Neutestamentliche Transformation eines philosophischen Theologumenons................................................ 194 Die Wirklichkeit als Schöpfung. Die paulinische Rezeption eines frühjüdischen Theologumenons .......... 208 Henoch, Herakles und die Himmelfahrt Jesu ......................................... 216 »Unvergänglichkeit«. Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus.................................. 228 »Seelenheil«. Die Soteriologie und Anthropologie des 1. Petrusbriefes zwischen biblischer Überlieferung und religiöser Koine........................ 243 Vom Totengericht zum Jüngsten Gericht .............................................. 259

Inhalt

IX

Dritter Teil

Der Heilige Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes Biblischer Monotheismus und Toleranz ................................................ 283 Vater versus Töpfer? Zur Identität Gottes im Römerbrief...................... 299 Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne................................. 313 Gott und die Zeit................................................................................... 337 Gottes Torheit? Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament .......... 356 Der Gekreuzigte im »Gnadenstuhl«. Exegetische Überlegungen zu Mk 15,37–39 und deren Bedeutung für die Vorstellung der göttlichen Gegenwart und Herrschaft................ 385 Theodizee? Biblische Überlegungen zu einem unbiblischen Unterfangen ................ 401 Die Erfahrung der Gottesfinsternis und die Verortung des Schrecklichen in Christus................................................................ 416 Ränder des Gottesglaubens: Die Engel .................................................. 434 Der Heilige. Rudolf Ottos Impulse für eine biblische Gotteslehre ......... 460 Nachweis der Erstveröffentlichungen.................................................... 479 Verzeichnis der zitierten Literatur......................................................... 483 Stellenregister ....................................................................................... 501 Autorenregister ..................................................................................... 531 Sachregister .......................................................................................... 535

Abkürzungsverzeichnis Die verwendeten Abkürzungen für Zeitschriften, Reihen und Sammelwerke folgen in der Regel den Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG 4, Tübingen 2007. Die für die Quellenschriften verwendeten Abkürzungen bzw. Kurztitel erschließen sich aus dem Quellenverzeichnis. AAWLM.G AGJU AJEC ALGM AncB ANRW AOAT APAW.PH ARW ASNU BA BAW BBB BCF BEThL BEvTh B ILL. BK BKAW BThSt BThZ BWANT BZ BZNW CBC CEFR CH COMES CPJ

Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Geistes- und Sozialwissenschaftliche Klasse Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums Ancient Judaism and Early Christianity Ausführliches Lexicon der griechischen und römischen Mythologie, hg. v. W. H. Roscher, 6 Bde. und 4 Suppl., Leipzig 1884–1924 Anchor Bible Aufstieg und Niedergang der römischen Welt Alter Orient und Altes Testament Abhandlungen der (Königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse Archiv für Religionswissenschaft Acta seminarii neotestamentici Upsaliensis Biblical Archaeologist Bibliothek der Alten Welt Bonner biblische Beiträge Biblioteca di cultura filosofica Bibliotheca ephemeridum theologicarum Lovaniensium Beiträge zur evangelischen Theologie H. L. Strack/P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München 1.1922-6.1961 Biblischer Kommentar. Altes Testament Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Biblisch-theologische Studien Berliner Theologische Zeitschrift Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Biblische Zeitschrift Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft The Cambridge Bible Commentary on the New English Bible Collection de l’École française de Rome Corpus Hermeticum Civitatum Orbis Mediterranei Studia Corpus papyrorum judaicarum

XII DBW DCLS DCLY DNP EKK EWNT FAT FGH FRLANT FTS FzB Gn. GRRS GTA HAW Hermes.E HNT HThK JETh JSHRZ JSJ JSNT.S JSSt KAT KEK KGA LCI LCL Mn.S NEB NT NT.S NTA NTD NTOA NTS ÖTBK PhAnt PRE RAC RaT RGRW RGVV RNT

Abkürzungsverzeichnis Dietrich Bonhoeffer, Werke, hg. v. E. Bethge/E. Feil/C. Gremmels, 16 Bde., München, 1986–1998 Deuterocanonical and Cognate Literature Studies Deuterocanonical and Cognate Literature Yearbook Der Neue Pauly Evangelischer-katholischer Kommentar zum Neuen Testament Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament Forschungen zum Alten Testament F. Jacoby (Hg.), Die Fragmente der griechischen Historiker, 4 Teile, Leiden u. a. 1957 ff. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Frankfurter Theologische Studien Forschung zur Bibel Gnomon Society of Biblical Literature Texts and Translations. Graeco-Roman Religion Series Göttinger Theologische Arbeiten Handbuch der Altertumswissenschaften Hermes Einzelschriften Handbuch zum Neuen Testament Herders Theologischer Kommentar Jahrbuch für Evangelikale Theologie Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Period Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series Journal of Semitic Studies Kommentar zum Alten Testament Kritisch-exegetischer Kommentar Kritische Gesamtausgabe Lexikon der christlichen Ikonographie Loeb Classical Library Mnemosyne. Supplementum Neue Echter-Bibel Novum Testamentum Novum Testamentum. Supplements Neutestamentliche Abhandlungen Das Neue Testament Deutsch Novum testamentum et orbis antiquus New Testament Studies Ökumenischer Taschenbuchkommentar Philosophia antiqua Paulys Realencyclopädie Reallexikon für Antike und Christentum Religion and Transformation in Contemporary European Society Religions in the Graeco-Roman World Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten Regensburger Neues Testament

Abkürzungsverzeichnis SAPERE SBB SBS SC SHAW.PH SJLA st STAC StT stw SVF TANZ TB TBN TgN ThBeitr ThHK ThPh ThWAT ThWNT TOBITH TRE TSAJ UB WA WMANT WUB WUNT ZAC ZBK.NT ZNW

XIII

Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia. Schriften der späteren Antike zu ethischen und religiösen Fragen Stuttgarter biblische Beiträge Stuttgarter Bibelstudien Sources chrétiennes Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse Studies in Judaism in Late Antiquity Suhrkamp Taschenbuch Studien und Texte zu Antike und Christentum Studi e testi Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Stoicorum veterum fragmenta, hg. v. H. v. Arnim, 4 Bde., Leipzig 1903–1924 = Stuttgart 1964 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter Theologische Bücherei. Neudrucke und Berichte aus dem 20. Jahrhundert Themes in Biblical Narrative Targum Neophyti Theologische Beiträge Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament Theologie und Philosophie H.-J. Fabry (Hg.), Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, 8 Bde., Stuttgart u. a. 1971–1995 G. Kittel (Hg.), Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 10 Bde., Stuttgart u. a. 1933–1979 Topoi Biblischer Theologie/Topics of Biblical Theology Theologische Realenzyklopädie Texte und Studien zum antiken Judentum/Texts and Studies in Ancient Judaism Urban Taschenbücher D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe) Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Welt und Umwelt der Bibel Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für Antikes Christentum/Journal of Ancient Christianity Zürcher Bibelkommentare. Neues Testament Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft

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Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung Desto dunkler? Fragen Solltest du mich also fragen, was Gott ist oder was für ein Wesen er hat, dann möchte ich dem Simonides folgen, der sich, als der Tyrann Hieron genau dieselbe Frage an ihn richtete, einen Tag Bedenkzeit ausbat; als er ihm am folgenden Tage dieselbe Frage vorlegte, erbat er sich zwei Tage; als er dann noch öfter die Zahl der Tage verdoppelte und Hieron verwundert fragte, warum er das eigentlich mache, gab er ihm zur Antwort: »Je länger ich überlege, desto dunkler scheint mir das Problem (res) zu sein.«1

Wer sich mit der Frage nach Gott beschäftigt oder – wie man wohl angemessener sagen muss – wer von dieser Frage gefangen genommen ist, der weiß nur zu genau, was Cicero seinen Cotta mit dieser Anekdote zum Ausdruck bringen lässt: dass das Nachdenken über Gott nie zu seinem Ende kommt, weil jede Einsicht neue Perspektiven eröffnet und jede Antwort neue Fragen nach sich zieht: deus semper maior – Gott übersteigt immer unser Begreifen. Allerdings würde der Theologe dem hier zitierten Simonides darin nicht einfach zustimmen, dass das Problem nur »desto dunkler« wird, je länger man überlegt. Denn schon lange vor uns haben Menschen in ihrem Leben Erfahrungen gemacht, die sie als Begegnungen mit übermenschlichen Mächten erlebt haben. Im Antiken Judentum wurden solche Widerfahrnisse überliefert, irgendwann niedergeschrieben und in neuen Zusammenhängen aktualisiert, sie wurden durch andere (wunderbare und erschreckende) Erfahrungen ergänzt, mit weiteren Überlieferungen verbunden und zuletzt »zu größeren Erzählzyklen und übergreifenden Geschichtsdarstellungen verbunden und im Zuge dessen […] zur heiligen Geschichte (historia sacra) umgestaltet«. 2 Die Tradierung solcher Widerfahrnisse, in denen dieser Gott zu einer vertrauten Wirklichkeit wurde, die Reflexion darüber und ihre Fortschreibung wurden auf einem »eigenen, im Alten Orient einzigartigen Weg« zuletzt zu einer Sammlung von autoritativen ›Schriften‹.3 Durch die so als »Ergebnis eines langen, leidvollen Reifungs1

Cicero, De nat. deor. I,60; Übers. W. GERLACH/K. B AYER. R. G. KRATZ, Historisches und biblisches Israel. Drei Überblicke zum Alten Testament, Tübingen 2013, 97. Zur Entwicklung von der israelitisch-judäischen Schriftkultur zur biblischen Tradition vgl. die Ausführungen S. 79 ff. 3 Ebd., 79. 2

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Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung

prozesses«4 zustande gekommene biblische Tradition entstand ein Raum der Begegnung, in dem sich Menschen hörend und gehorchend immer wieder neu orientieren konnten, wo sie sich bergen und so zugleich neu zu sich selbst und zu Gott kommen konnten. Ungleich komprimierter vollzog sich ein vergleichbarer Prozess im Neuen Testament: Die von den Schülern bewahrten Überlieferungen über Jesus von Nazareth wurden im Lichte der Ostererfahrungen (vgl. 1. Kor 15,3–8) und im Dialog mit den nun autoritativen ›Schriften‹ des späteren Alten Testaments gedeutet und als Bekenntnis zu dem als Christus, Kyrios, Gottessohn Erhöhten auf die Gegenwart der Gemeinden bezogen. Im Rückbezug auf die Zeugnisse derer, die vor uns Erfahrungen mit Gott gemacht haben, sucht die Exegese die Frage Cottas zu beantworten, quid aut quale sit deus, »was Gott ist oder was für ein Wesen er hat«. Ein Wort wie das, dass Gott »seine Wege Mose hat wissen lassen (Hifil jd ʽ), die Kinder Israel sein Tun« (Ps 103,7), bringt dabei zum Ausdruck, dass das Reden von Gott und seinem Tun zwar menschliches Reden ist, es aber letztlich als ein von Gott selbst ermöglichtes Reden verstanden wurde: Es ist das Zeugnis von dem, den die Glaubenden in Dank und Lob als ein Gegenüber erfahren haben, dem sie ihr Leben unterstellt und von dem sie deshalb als dem Grund ihres Daseins weitererzählt haben, ja, der ihnen letztlich selbst in der Klage und Anklage noch als der Schöpfer begegnen konnte, »der Lobgesänge gibt in der Nacht« (Hi 35,10). Dass solches Menschenwort als Antwort auf die Begegnung mit Gott und damit – »sprachlos, aber sprachzeugend«5 – als eine vom »ewigen Du«6 kommende Selbsterschließung verstanden wird, aus welcher Menschen verwandelt hervorgehen, eben als ›Offenbarung‹, das drückt im Neuen Testament programmatisch der Johannesprolog aus, wo der Evangelist seine Wiedergabe der Geschichte Jesu Christi mit den Sätzen einleitet, dass das »Wort«, das »am Anfang bei Gott war und das Gott war« (Joh 1,1f.), im Menschen Jesus »Fleisch geworden ist und unter uns Wohnung genommen hat« (Joh 1,14). Weil Gottes Wort Mensch wurde, weil der Höchste nicht nur der »immer Größere« war, deshalb können Menschen von ihm menschlich reden, und zwar so, dass das »Licht der Welt«, als das sich der Menschgewordene dann im Evangelium bezeichnet (Joh 8,12; 9,5; vgl. 12,35), in der Finsternis leuchtet und so ihre Wirklichkeit hell macht.7 Indem so das menschgewordene Wort zum »Licht der Menschen« wird (Joh 1,4f.), und diejenigen, die es aufnehmen, zu Gottes Kindern werden lässt (Joh 1,12f.), 4

Ebd., 142. M. BUBER, Ich und Du, Gütersloh 152010, 120. 6 Ebd., 91. 7 Vgl. auch 1. Joh 2,8: »Die Finsternis vergeht, und das Licht, das wahre, scheint bereits.« 5

Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung

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macht ›der Sohn‹ den unsichtbaren Gott als ›Vater‹ zugänglich: »Gott hat niemand jemals gesehen. Der einziggeborene Gott, der im Schoß des Vaters ist, jener hat [ihn] dargestellt« (Joh 1,18f.). Dankbar blicken Hermann Spieckermann und ich auf das zurück, was uns in den sieben Jahren gemeinsamer Arbeit an einer biblischen Gotteslehre8 im Nachdenken des göttlichen Wortes, wie es in den Schriften des Alten und Neuen Testaments bezeugt ist, über den biblischen Gott klarer, was für uns ›heller‹ geworden ist. Dass dieses Unterfangen, dessen Grenzen uns nur zu bewusst waren, von so vielen in der theologischen Wissenschaft wie in der Kirche und zum Teil sogar darüber hinaus so positiv aufgenommen wurde, hat uns überrascht und gefreut (wobei es im Rückblick besonders bewegend ist, dass die erste Rückmeldung von Friedrich Avemarie stammte). Aber es kamen und kommen – wie könnte es anders sein – auch immer wieder kritische Anfragen. Eine, die in der einen oder anderen Form wiederholt gestellt wurde, bezog sich auf den Untertitel und dessen Entfaltung: Warum sprechen wir von Gotteslehre? Verkennt dies nicht, so der Einwand, dass man eigentlich nicht von Gott, sondern nur von unseren Erfahrungen sprechen kann? Nun sollte eine genaue Lektüre unseres Buches zeigen, dass wir die biblischen Schriften durchaus als Niederschlag menschlicher Gotteserfahrungen verstanden und ausgelegt haben. Unser bewusstes Insistieren darauf, dass es beim ›biblischen Gottesglauben‹ nicht nur um den Akt, sondern auch um den Inhalt des Glaubens geht, darf deshalb nicht mit naiver Vergegenständlichung und biblizistischem Positivismus verwechselt werden. Vielmehr wollen Erfahrungen mit Gott bewahrt, reflektiert und weitergegeben werden, »damit du JHWH nicht vergißt« (Dtn 6,12). Weil »der Glaube aus der gehörten Botschaft kommt« (Röm 10,17), deshalb korrespondiert dem Glaubensakt, der fides qua creditur, notwendigerweise ein Glaubensinhalt, die fides quae creditur. Da auch dieser Band sich mit Themen beschäftigt, die dem Bereich der ›Gotteslehre‹ angehören, soll diese Hinführung zum Anlass genommen werden, das Genus einer Einleitung etwas großzügig zu interpretieren. Zu den genannten Anfragen, was wir unter Gotteslehre verstehen, werden hier in Anknüpfung an das bereits Gesagte9 noch einige Anmerkungen aus der Perspektive der neutestamentlichen Exegese nachgetragen, um von dort dann in die Themen dieses Bandes einzuführen.

8 R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011. 9 Vgl. ebd., 3–8.

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Das Licht und die Finsternis Wenn der Johannesprolog vom menschgewordenen Wort als dem Licht spricht, das in der Finsternis aufstrahlt, und damit den Gott, den noch niemand gesehen hat, darstellt, dann meint er damit nicht einen Scheinwerfer, der Gott wie einen bislang verdunkelten Gegenstand anstrahlt, sodass man ihn nun anschauen und beschreiben könnte. Das Wort, das im Anfang bei Gott war, leuchtet vielmehr auf in der Gottesfinsternis der Welt und »erleuchtet« so »jeden Menschen« (Joh 1,9). Wenn deshalb der Johannesprolog ausgerechnet im Blick auf das durch seine Inkarnation in einem zuletzt am Kreuz hingerichteten Menschen prima facie keineswegs an Herrlichkeit gewinnende göttliche Wort sagt: »Wir sahen seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit als des vom Vater Einziggeborenen« (Joh 1,14), wenn der Menschgewordene dann sogar seinen Weg in die Passion als die Verherrlichung des Menschensohns durch Gott und Gottes in ihm bezeichnet (Joh 13,31f.),10 dann wird hier deutlich gemacht, dass der unsichtbare Gott seine »δόξα voller Gnade und Wahrheit« (Joh 1,14) darin zu erkennen gibt, dass sich im menschgewordenen Wort seine Liebe zur Menschenwelt gezeigt hat (Joh 3,16). Das hier verwendete, zumeist mit »Herrlichkeit« übersetzte Wort δόξα, das in der Septuaginta zur Wiedergabe des hebräischen kābôd benutzt wird und dessen Assoziationshorizont im biblischen Griechisch dementsprechend auch Glanz, Ehre und Klarheit umfasst, bezeichnet Gottes »klarmachende Klarheit«11 und seine Verherrlichung verheißende Herrlichkeit,12 es bringt also gleichzeitig Gottes Souveränität und Einzigartigkeit zum Ausdruck wie seine ›Ausstrahlung‹, seine ›erleuchtende‹ und ›verklärende‹ Gegenwart in der Welt13 – und damit auch seine Wahrnehmbarkeit, die für Johannes nur im Sohn ›begreifbar‹ wird (Joh 20,24–29).14 Im Lukasevangelium strahlt deshalb das bei Jesu Geburt aus der Höhe hereinbrechende Licht nicht das Kind in der Krippe an; es sind vielmehr 10

Zwar spricht Jesus in dieser Szene nach dem Weggang des Judas im Aorist von der Verherrlichung, aber dies bezieht sich wohl auf »die Stunde des Abschieds Jesu im Tod […]. Die Passion wird als bereits vollbracht betrachtet (sie hat sichtbaren Ausdruck in der Fußwaschung gefunden), und die Herrlichkeit Jesu ist dadurch offenbart worden« (C. K. B ARRETT, Das Evangelium nach Johannes [KEK], Göttingen [Berlin] 1990, 441). 11 Vgl. dazu W. KRÖTKE, Gottes Klarheiten. Eine Neuinterpretation der Lehre von Gottes »Eigenschaften«, Tübingen 2001, bes. 104 ff. Krötke versteht dabei »Gottes δόξα als kommunikative Klarheit […], die in die Welt kommt, um für neue, klare Relationen zwischen Gott und den Menschen in der Zeit und im Eschaton zu sorgen« (108). 12 Vgl. Röm 5,2; 8,18; 1. Kor 15,49; Phil 3,21 u. ö. 13 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 8), 19 (zu Jes 6): Die Herrlichkeit markiert »Anteilgabe an Gott selbst, die die Fülle der Welt ausmacht«. 14 Zur Auslegung dieser Stelle vgl. die noch unveröffentlichte Habilitationsschrift von R. HIRSCH-LUIPOLD, Gott wahrnehmen. Die Sinne im Johannesevangelium, Göttingen 2010, 275–300 (»Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20«).

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die Hirten auf dem Feld, die von der »Klarheit des Herrn« umleuchtet werden15 und für welche die Grenze zur himmlischen Welt in dieser Nacht durchlässig wird.16 Dementsprechend zielt das Evangelium nicht auf die Glorifizierung des Zimmermanns aus Nazareth, sondern zeigt in immer neuen Facetten, wie durch Jesu Wort und Wirken denen, die »in der Finsternis und im Schatten des Todes sitzen«, das »Licht aus der Höhe« aufgegangen und so die prophetische Verheißung der erscheinenden Herrlichkeit Gottes von Jes 60,1f. erfüllt worden ist (Lk 1,78f.; vgl. Mt 4,16). So wird bei der größten Machttat Jesu, einer Totenauferweckung, dann auch nicht der Wundertäter gepriesen, sondern Gott, der »sein Volk besucht hat« (Lk 7,16), weil in Jesus als dem Kyrios (Lk 7,13) der rettende Gott selbst begegnet. In vergleichbarer Weise kann dann Paulus von sich als dem »verwandelten Gottesboten«17 sagen, dass Gott durch den »Dienst« der Apostel (2. Kor 4,1) die Erkenntnis seiner in Christus aufleuchtenden Herrlichkeit ermöglicht hat, einer Herrlichkeit, die darin besteht, dass der Schöpfer in einem Akt der Neuschöpfung sein Licht in den Herzen der Menschen aufstrahlen lässt: »Der Gott, der sprach: ›Aus Finsternis wird Licht leuchten‹, der hat es in unseren Herzen licht werden lassen, damit wir die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi zum Leuchten bringen« (2. Kor 4,6). Gottes Herrlichkeit bleibt bei Paulus nicht auf die Amtsträger beschränkt – nach Röm 8,28ff. hat Gott alle, die ihn lieben und die er ausgewählt, berufen und gerechtfertigt hat, dazu bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet zu werden (Röm 8,29), und ihnen so bereits jetzt an seiner Herrlichkeit Anteil gegeben (Röm 8,30: ἐδόξασεν). So ist er ihnen nahegekommen als »Gott für uns« (Röm 8,31). Das »wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, indem es in den Kosmos kommt« (Joh 1,9), ist das göttliche Wort nun allerdings nach dem Zeugnis des Neuen Testaments im Widerspruch zu seinem undankbaren und rebellischen Geschöpf, welches das in seiner Finsternis aufstrahlende Licht auszulöschen trachtet (Joh 1,5). »Je länger ich überlege, desto dunkler scheint mir das Problem zu sein« – das Dunkel, von dem das Resümee des Simonides (und durch ihn Cicero) spricht, verorten die biblischen Schriften daher weniger auf der Seite des ›Problems‹ Gott als auf der Seite der Menschen. Denn das im Johannesprolog gepriesene Kommen des göttlichen Lichtes scheint ein einziger Fehlschlag gewesen zu sein: Die Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft durch Jesu Worte und Taten 15

So lautet die schöne Übersetzung von δόξα in Lk 2,9 durch Luther. Auch der Stern im Matthäusevangelium beleuchtet nicht das Kind, sondern weist den Magiern den Weg. 17 F. B ACK, Verwandlung durch Offenbarung bei Paulus. Eine religionsgeschichtlichexegetische Untersuchung zu 2 Kor 2,14–4,6 (WUNT II/153), Tübingen 2002, 200. 16

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(Mk 1,14f.) führte nicht zur Wiederherstellung des Paradieses, sondern in die Passion. Der Gottessohn vollendete nicht das messianische Friedensreich, sondern er endete als »König der Juden« am Kreuz. Die Verblendung der Frommen, das Unverständnis der Jünger, die Verführbarkeit der Menge und der Zynismus einer auf Machterhalt bedachten Politik ballen sich im Verlauf des Evangeliums zu der Finsternis auf Golgatha zusammen, welche am Karfreitag das Licht der Weihnacht gänzlich auszulöschen scheint. Der am Anfang des Evangeliums zerrissene Himmel scheint am Ende wieder verschlossen, der in der Taufe nahegekommene Gott am Kreuz wieder fern. Der Johannesprolog resümiert dementsprechend nüchtern: »Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf« (Joh 1,11). Das Kommen des Lichtes in die Welt offenbart daher zunächst einmal deren Finsternis, die Nähe Gottes lässt die Gottesferne, ja Gottesfeindschaft der Menschen sichtbar werden (Röm 5,10; vgl. 8,7). Deshalb ist der Gottesschrecken, von dem in der Bibel immer wieder berichtet wird, nicht nur ein Erschrecken über Gott als ein »gänzlich Anderes«, 18 sondern darin beschlossen ist auch und vor allem das Erschrecken der Menschen über sich selbst, über den Abgrund, der sie von dem Heiligen trennt und der erst im Licht der göttlichen Zuwendung ausgeleuchtet wird. Schon bei Jesaja bewirkt deshalb der Anblick des auf seinem hohen Thron sitzenden J HWH Zebaoth nicht Seligkeit ob der ihm zuteil werdenden Gottesschau, sondern löst Todesangst aus: »Weh mir, ich vergehe, denn ich bin ein Mann unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen« (Jes 6,5). Solches Erschrecken setzt sich auch im Neuen Testament fort – bei Engelserscheinungen19 wie bei Begegnungen mit Jesus ist erstaunlich häufig von Furcht und Schrecken die Rede, bis hinein in den Jüngerkreis.20 Bezeichnend ist etwa die Reaktion des Petrus bei seiner ersten Begegnung mit dem Gottessohn: »›Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch.‹ Denn Schrecken hatte ihn ergriffen […]« (Lk 5,8f.).21 18 R. OTTO, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 41920, Nachdruck München 2004, 100. 19 Siehe den Beitrag »Die Ränder des Gottesglaubens« (S. 434–459). 20 Siehe den Beitrag »Der Heilige« (S. 460–478). 21 Eine solche Erfahrung kann sich in einschneidenden Lebensmomenten verdichten, aber sie ist keineswegs nur auf einen Punkt in der Biographie beschränkt. In seinem theologischen Testament, dem Römerbrief, entfaltet Paulus sein Evangelium von der Rechtfertigung allein aus Gnade und macht im fünften und sechsten Kapitel deutlich, wie in Christus bei den Glaubenden ein Machtwechsel stattgefunden hat. Nicht mehr Sünde und Tod, sondern die Gnade ist jetzt die Herrscherin (Röm 5,21), sodass die Gerechtfertigten der Sünde gestorben sind und nun in Christus für Gott leben (Röm 6,11). Damit könnte Paulus eigentlich zu dem Lobpreis der alles überwindenden Liebe des göttlichen Vaters übergehen, wie dieser dann auch in Röm 8 volltönend erklingt. Doch zuvor sieht sich der Apostel genötigt, in einer dramatischen, sich über ein ganzes Kapitel erstreckenden Pas-

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Dass Gotteserkenntnis verbunden ist mit einer Selbsterkenntnis, bei der für den Erkennenden seine fundamentale Distanz und Differenz zum Göttlichen zu Tage tritt, scheint im Übrigen auch der paganen Religiosität nicht ganz fremd gewesen zu sein, nicht nur im numinosen Gottesschrecken, sondern selbst in den Höhen metaphysischer Gotteserkenntnis. Aber dort ist es der gleißende nitor dei, der die Sterblichen blendende Glanz, durch welchen die Übermacht des Göttlichen erfahren wird,22 oder es ist die aller Zeitlichkeit enthobene Seinsfülle des mit sich schlechthin identischen Einen, welche den Menschen den Kontrast zu ihrem der Vergänglichkeit unterworfenen Leben und damit die Nichtigkeit ihrer Existenz vor Augen führt.23 Dagegen kann zwar auch im Evangelium den Hörern angesichts

sage auf die Frage des Gesetzes einzugehen. Er tut dies, um im Licht des Evangeliums die nun erst recht erkennbare Unfähigkeit des Menschen darzulegen, Gottes Willen aus eigener Kraft zu entsprechen. Dass es sich hier nicht um einen biographischen Rückblick des Paulus auf Erlebnisse seiner vorchristlichen Zeit handelt, zeigt eindeutig Phil 3,6, wo er sich als früheren Pharisäer beschreibt, der »nach der Gerechtigkeit im Gesetz untadelig war«. Aber man wird auch nicht nur sagen können, dass der Apostel hier bei seiner Antwort auf den jüdischen Einwand, wie das Gesetz zu dieser Gnadenbotschaft passt, lediglich »seinen christlichen Adressaten zumutet, sich selbst persönlich – als ›Ich‹ – in jene Situation zurückzudenken, da das Gesetz als das heilige, gerechte und gute Gebot Gottes sie definitiv unter die Herrschaft von Sünde und Tod festsprach« (U. W ILCKENS, Der Brief an die Römer, 2. Teilband: Röm 6–11 [EKK VI/2], Zürich/Neukirchen-Vluyn 21987, 98). Gewiss schildert dieser Abschnitt unter Rekurs auf Adam »die idealtypische Geschichte eines jeden Menschen, der zum Glauben kommt« (T. SÖDING, Der Mensch im Widerspruch [Röm 7], in: F. W. HORN [Hg.], Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 371–374, hier 373), und damit die Vergangenheit, wie sie sich den Gerechtfertigten als in Christus überwunden darstellt. Aber schon das Präsens der Schilderung und deren Dramatik zeigen, dass diese Verlorenheit für das hier klagende »Ich« (mit Einschluss des Apostels selbst) nicht einfach nur vergangene Vergangenheit ist, in welche als eine definitiv überwundene sich die Glaubenden nur zurückdenken sollten. Wie der Apostel auch im bisherigen Brief immer wieder davor gewarnt hat, sich aus der Christusbindung zu lösen (vgl. Röm 6,1 ff.12 ff.), so formuliert Paulus auch hier diese Vergangenheit so, dass das Bedrohungspotential einer Lebensführung ohne Christus, deren Ausweglosigkeit im Licht des Evangeliums allererst sichtbar wurde, bewusst bleibt (vgl. Röm 7,18 f.). Das Ganze gipfelt deshalb in dem Schrei des in sich selbst gefangenen und daher dem Tod verfallenen Menschen nach Erlösung: »So habe ich zwar Lust zum Gesetz Gottes, soweit es meinen inneren Menschen betrifft. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet und mich durch das Gesetz der Sünde gefangen nimmt, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch, wer wird mich aus diesem Todesleib herausreißen?« (Röm 7,22–24) 22 Vgl. Ovid, Met. IV,228–233. 23 In der furiosen Schlussrede seines Traktates über das Ε in Delphi lässt Plutarch seinen Lehrer Ammonios sagen, dass die Selbsterkenntnis des Menschen, wie sie das berühmte »Erkenne dich selbst« in Delphi fordert, nur durch die Gotteserkenntnis möglich ist. Dabei führt diese Erkenntnis Gottes als des ὄντως ὄν (»des allein wahrhaft Existierenden«) zu der korrespondierenden Einsicht, dass »wir in Wahrheit am Sein keinen

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der im Gottessohn manifest werdenden Gottesgegenwart ihre eigene Gottesferne bewusst werden, aber der in Jesu Worten, in seinen Werken und in seinem Verhalten begegnende Gott will »Leben retten« (Mk 3,4) und sucht das Verlorene (Lk 15). Weil so Gott »in Jesus Christus, im Glauben an ihn erfahrbar [wird] als die uns inmitten noch so großer Ferne immer noch näher kommende Macht«, 24 behalten nicht die Distanzerfahrung und das ihr korrespondierende Erschrecken eines Jesaja oder eines Petrus (oder auch der Jüngerinnen am Ostermorgen) das letzte Wort, sondern der Dank an Gott, der in der Auferweckung seines Sohnes aus dem Kreuz als Manifestation menschlicher Gottesfeindschaft ein Zeichen seines Sieges über Schuld und Tod gemacht und den Glaubenden daran Anteil gegeben hat (1. Kor 15,57).25 Wenn deshalb Jesus vom Sünder spricht, so wird damit nicht der Mensch auch noch religiös angeschwärzt und auf seine Verlorenheit festgelegt. Vielmehr wird er damit zu dem vergebenden Gott in Beziehung gesetzt und werden ihm so Umkehr und Heimkehr ermöglicht: »Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder« (Mk 2,17). Paradigmatisch führt das die Begegnung mit dem Oberzöllner Zachäus vor Augen, an deren Ende der lukanische Christus ebendies als den Sinn seines Kommens bezeichnet: »Denn der Menschensohn ist gekommen, das Verlorengegangene zu suchen und zu retten« (Lk 19,10). Dass Jesus diesen »Dienst« am Menschen bis zuletzt auch dort durchgehalten hat, wo er von den Menschen verworfen wurde (Mk 8,31) und die »Sünder« sich gegen ihn stellten (Mk 14,41), sodass er im scheinbaren Scheitern seines Weges zuletzt ganz der Gottesfinsternis der Welt ausgeliefert wurde, wird in dem Logion Mk 10,45 par. Mt 20,28 als die Vollendung seines ›Kommens‹ gedeutet. Formuliert ist dieses Wort, dass der Dienst des ›Menschensohns‹ in der Hingabe seines Lebens als Lösegeld für die Vielen gipfelt, zwar im Geist Jesu

Anteil haben«, dass unser Sein in der Zeit im Gegensatz zum ewigen Göttlichen das Eingeständnis des Nichtseins ist (Plutarch, De E 16–20,391–393). 24 E. JÜNGEL, Gottesgewissheit, in: DERS., Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen 2, Tübingen 32002, 252–264, hier 258. 25 Auch in Röm 7 geht der Schrei nicht ins Leere, sondern erhält postwendend eine Antwort in dem Lobpreis: »Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn« (Röm 7,25). Es ist vermutlich allererst diese Erfahrung, dass Gott den in seinem heillosen Selbstwiderspruch gefangenen Sünder vor sich selbst rettet, die es dem Apostel ermöglicht, im achten Kapitel seines Briefes ›voll in die Tasten zu greifen‹, sodass er nun mit einzigartiger Intensität das neue Leben der zu Gottes Söhnen bzw. Kindern Adoptierten darstellen und die Allmacht der göttlichen Liebe preisen kann. In diesen Jubel über die Erlösung kann er dann auch in neuer und bislang unerhörter Weite das Heilwerden der versklavten Schöpfung (Röm 8,18 ff.) und die Rettung des sich dem Evangelium verschließenden Israel (Röm 9–11) einbinden.

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(vgl. auch Mk 9,35), aber wohl aus der Perspektive von Ostern,26 als Gott mit der Auferweckung seinen Weg als σωτήρ, als der Retter, als ›Heiland‹ bestätigt hat. Deshalb kann am Ostermorgen das Erschrecken von Menschen bei der Erscheinung der Engel und ihrer Auferstehungsbotschaft mit dem Zuspruch »Fürchtet euch nicht« oder »Friede sei mit euch« überwunden werden.27 Deshalb begegnet den Jüngerinnen und Jüngern im Auferstandenen nicht der Richter, der sie bei ihrem Versagen behaftet, sondern der Meister, der sie neu in seine Nachfolge ruft. Und deshalb bekennen die Glaubenden Gott als den väterlichen und mütterlichen28 Grund ihres neuen Lebens: »Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner reichen Barmherzigkeit von Neuem zu lebendiger Hoffnung gezeugt hat durch die Auferweckung Jesu Christi von den Toten« (1. Petr 1,3).

Gott Erkennen als Erkanntsein: Die ›Suche des Herzens‹ Erkannt wird im Neuen Testament der Gott, von dem schon der Prophet sagt, dass er »kein Gefallen am Tod des Gottlosen hat« (Ez 33,11), durch seine Zuwendung in Jesus Christus, die auf die Überwindung der Gottesferne der Menschen zielt. In den Evangelien ist es deshalb den Nachfolgern Jesu »gegeben, die Geheimnisse der Herrschaft Gottes zu erkennen« (Lk 8,10; vgl. Mt 13,11). Es ist die Lern- und Lebensgemeinschaft mit dem Gottessohn, in der den Jüngerinnen und Jüngern, wie ausdrücklich betont wird, Gott erkennbar wird: »Alles ist mir von meinem Vater übergeben, und niemand erkennt recht29 den Sohn außer dem Vater, noch erkennt jemand recht den Vater außer dem Sohn und wem es der Sohn enthüllen will« (Mt 11,27 par. Lk 10,22). Ähnlich formuliert es der johanneische Christus: »Ich erkenne die Meinen, und die Meinen erkennen mich, wie mich der Vater erkennt und ich den Vater erkenne« (Joh 10,14.15a; vgl. 17,25). Daher gilt: »Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Jünger 26 Vgl. dazu die sorgfältige Analyse von R. P ESCH, Das Markusevangelium, 2. Teil (HThK II,2), Freiburg i. Br. u. a. 31984, 162–164. 27 Mk 16,6; Mt 28,10; Lk 24,36–38; Joh 20,19.21.26; vgl. Jes 6,6 f.; Lk 5,10. 28 Es ist zu beachten, dass der 1. Petrusbrief bei der Beschreibung der Wiedergeburt der Glaubenden mit den Beschreibungen von Zeugen, Gebären und Stillen gleichzeitig Metaphern aus dem väterlichen und mütterlichen Bereich verwendet (1. Petr 1,3.23; 2,2; vgl. dazu auch FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen [Anm. 8], 84 f.). Diese die Geschlechterdifferenz transzendierende Rede von Gott ist in Erinnerung zu behalten, wenn im Folgenden mit den biblischen Texten zumeist nur noch vom »Vater« gesprochen und das maskuline Personalpronomen verwendet wird. 29 Bei Matthäus steht das verstärkende ἐπιγινώσκει, bei Lukas nur das etwas schwächere γινώσκει.

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und werdet die Wahrheit erkennen« (Joh 8,31f.). »Wenn ihr mich erkannt habt, kennt ihr auch den Vater« (Joh 14,7; vgl. 10,38; 14,9; 16,3). Paulus hat das dahin gehend präzisiert, dass das Erkennen Gottes immer eine reziproke Angelegenheit und daher nur dem möglich ist, der seinerseits bereits von Gott erkannt ist (1. Kor 8,2f.; 13,12; Gal 4,9; vgl. Phil 3,12).30 Dieser erkennende Gott hat nichts mit dem von Nietzsche inkriminierten »Neugierigste[n], Über-Zudringliche[n]« zu tun, der »in meine schmutzigsten Winkel« kriecht.31 Die biblische Rede vom Erkennen Gottes drückt vielmehr seine Verbundenheit schaffende Anerkennung aus: Dass »J HWH den Weg der Gerechten kennt«, ist bereits im Psalter Grund der Hoffnung, dass deren Weg nicht wie Spreu verweht (Ps 1,6), und dass er »die Tage der Frommen kennt«, eröffnet diesen Zuversicht und Zukunft (Ps 37,18–24). Wen der biblische Gott erkannt hat, der ist von ihm angenommen, Gottes Erkennen bezeichnet »seine Gnadenwahl«. 32 Das Kompositum προγινώσκω (»vorauserkennen«) wird denn auch bei Paulus zum Synonym für die Erwählung (Röm 8,29; 11,2). So kann der Apostel zwar in 1. Kor 8,1f. im Blick auf die Gotteserkenntnis des Menschen eigenmächtiges Begreifen und Liebe einander entgegensetzen: »Das Wissen bläht auf, die Liebe aber baut auf. Wenn einer meint, er hat erkannt, [der] hat noch nicht erkannt, wie man erkennen muss« (1. Kor 8,1f.). Zugleich aber verbindet er in unmittelbarem Anschluss daran die rechte Gotteserkenntnis explizit mit der Liebe, ja, er setzt sie fast schon mit der Gottesliebe in eins: »Wenn aber einer Gott liebt, der ist von ihm bereits erkannt worden« (1. Kor 8,3). Die von Paulus betonte Reziprozität des Erkennens von Gott und Mensch ist also letztlich nichts anderes als die Gegenseitigkeit der Liebe. 33 Der 1. Johannesbrief identifiziert dann in diesem Sinn endgültig Erkenntnis und Liebe, wobei die Liebe der Glaubenden untereinander Reflex der göttlichen Liebe ist: »Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die 30 Die hier von Paulus vorausgesetzte forensische Struktur des Menschen, für den ein Erkanntwerden durch ein Anderes konstitutiv ist, hat eine bemerkenswerte Parallele bei Plutarch. Siehe unten S. 69–78. 31 F. NIETZSCHE, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, herausgegeben von G. COLLI/M. MONTINARI, Band 4: Also sprach Zarathustra, München 1980, 331. 32 R. B ULTMANN, Art. γινώσκω, ThWNT 1, Stuttgart 1933, 688–719, hier 709. 33 Die Verbundenheit von Liebe und Erkenntnis wird nochmals angedeutet in 1. Kor 13,12, wo die Aussage über das einst vollkommene Erkennen als Entsprechung zum bereits gegenwärtigen Erkanntsein am Ende des sogenannten Hohenliedes der Liebe steht: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem Rätselbild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich nur zum Teil, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.« Dass das »Dann« sich auf die ›dann‹ alles bestimmende Liebe bezieht, hatte der Apostel bereits in V. 8 angedeutet, und er unterstreicht es noch einmal im resümierenden Abschluss, der im Anschluss an die zitierte Passage die Modi des Gottesbezugs nennt und dabei der Liebe die höchste Stelle einräumt: »Nun bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Die größte von diesen aber ist die Liebe« (1. Kor 13,13).

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Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, der hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe« (1. Joh 4,7f.). Allem Erkennen voraus geht demgemäß immer ein Zusammensein mit Gott: Das ἔγνωσται (»ist bereits erkannt worden«) in 1. Kor 8,3 ist Perfekt, d. h., es ist vorzeitig und resultativ zu verstehen in dem Sinn, dass die Erkenntnis Gottes ihren Ausgangspunkt bei seinem in Christus gesprochenen »Ja« zu seinem Geschöpf nimmt (vgl. 2. Kor 1,20). Nur als »Geliebte« (1. Joh 4,7; vgl. 4,10f.) bzw. als »Geliebte Gottes« (Röm 1,7; vgl. 5,8; 8,39) erkennen die Glaubenden Gott als »den uns Liebenden« (Röm 8,37; vgl. 1. Joh 4,16). Die Besonderheit der in Christus sich ereignenden göttlichen Zuwendung besteht dabei darin, dass Gott uns, »als wir [noch] Feinde waren« (Röm 5,10), mit sich versöhnt und damit erst liebenswert gemacht hat: »Erwiesen hat Gott seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren« (Röm 5,8). »Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und seinen Sohn sandte zur Sühne für unsere Sünden« (1. Joh 4,10). Gottes Liebe, wie sie sich in Christus gezeigt hat, wird also im Gegensatz zur menschlichen Liebe nicht durch ein Anderes entzündet, das an sich bereits begehrenswert wäre. Gottes Liebe erschafft vielmehr allererst ihr liebenswertes Gegenüber, indem sie den Gottesfeind in ein Gotteskind verwandelt, wie es Martin Luther präzise auf den Begriff gebracht hat: »Amor Dei non invenit sed creat suum diligibile«. 34 Kurz: Göttlich ist diese Liebe, weil sie allein in Gott ihren Ursprung hat, als Ausdruck seiner Selbstbestimmung zur Gemeinschaft mit dem Sünder, wie sie in der Preisgabe des Sohnes durch den Vater (Röm 8,32; Joh 3,16) und der dieser korrespondierenden Hingabe des Sohns (Gal 2,20), dem ›Dienst des Menschensohns‹ (Mk 10,45 par.), Ereignis wurde. In der Teilhabe an dieser schöpferischen Liebe, die »durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist, in unsere Herzen ausgegossen ist« (Röm 5,5), können daher die Glaubenden als von Gott Geliebte wieder neu zu sich selbst kommen – als Kinder Gottes, als von Neuem Geborene, als Heilige, als neue Schöpfung. Gott Erkennen ist der Nachvollzug des Erkanntseins durch Gott, das Begreifen eigenen Ergriffenseins (vgl. Phil 3,12). »Nullus Deum habet, quin ab ipso specialius habeatur«, 35 so fasst es Bonaventura in eine prägnante Sentenz, die man etwas frei mit Ernst Käsemann wiedergeben könnte: »Man hat Gott eben nie dingfest in seiner Hand, weil er dann aufhört, Gott und unser Herr zu sein. Man hat ihn nur, wenn und

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So LUTHER in der 28. These der Heidelberger Disputation (WA 1, 365). B ONAVENTURA, Breviloquium V,1,5, in: L. M. Bello (Hg.), Bonaventura, Opera theologica selecta, Band V, Florenz 1964, 100. 35

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solange er uns hat.«36 Wahrgenommen wird die alles übersteigende Fülle der göttlichen Herrlichkeit deshalb nur als »Schatz in Gefäßen aus Ton« (2. Kor 4,7), d. h. in seinem Wirksamwerden in dem und an dem für sich glanzlosen menschlichen Gegenüber. Insofern Gott sich darin als wirkend und somit auch als wirklich erweist, dass er inmitten des fortschreitenden Verfalls des äußeren Menschen den inneren Mensch von Tag zu Tag erneuert (2. Kor 4,16–18), wird er erkennbar durch ein – so die paradoxe Formulierung des Paulus – ›Schauen auf das Nicht-Sichtbare‹. Oder um es mit dem kleinen Prinzen zu sagen: »Aber die Augen sind blind. Man muß mit dem Herzen suchen.«37

»Gott ist niemals in abstracto Gott«.38 Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis Als Erkennen des eigenen Erkanntseins ist Gotteserkenntnis nicht zu trennen von der menschlichen Selbsterkenntnis. Allerdings ist solche Selbsterkenntnis diejenige von Glaubenden, d. h., sie vollzieht sich in dem hermeneutischen Zirkel einer Selbstauslegung im Horizont des Gotteswortes und einer Schriftauslegung im Horizont der Glaubenserfahrung. Im Hören und im Beten, also im Dialog mit Gott kann »alle Lebenserfahrung […] zum Material der Gotteserfahrung werden«. 39 Daraus folgt ein Vierfaches: Zum ersten ist die Selbsterkenntnis der Glaubenden nur durch Gottes Wort als das in die Welt gekommene und allen Menschen scheinende wahre Licht (Joh 1,9) möglich. Als neue Menschen können sie sich nur dort wahrnehmen, wo sie empfangen, was sie zuvor nicht besessen haben, wo ihre adamitische Selbstbezogenheit von der göttlichen Anrede unterbrochen wird, wo sie von einem göttlichen extra nos angenommen und befreit werden. Der deus pro nobis, der »Gott für uns« (Röm 8,31), muss daher »in sich selbst, noch eine Sache für sich«40 sein, wenn denn wirklich von Gott die Rede sein soll. Insofern bezieht sich gläubige Selbsterkenntnis nicht auf das Verhältnis eines Ichs zu seinem Selbst, ist das fromme Selbstbewusstsein nicht Ausdruck einer sich selbst genügenden Innerlich-

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E. KÄSEMANN, Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche?, in: Exegetische Versuche und Besinnungen. Erster Band, Göttingen 61970, 214–223, hier 222. 37 A. DE SAINT-EXUPÉRY, Der Kleine Prinz, Düsseldorf 612005, 80. 38 KRÖTKE, Klarheiten (Anm. 11), 4. 39 G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Band 1: Prolegomena, Tübingen 1979, 199. 40 OTTO, Das Heilige (Anm. 18), 52. DERS.,

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keit, sondern verweist »selber zweifellos zuerst und unmittelbar auf ein Objekt außer mir«. 41 Ein solches »Objekt außer mir« aber, das ist das Zweite, ist Gott nicht als eine von seiner Bezogenheit auf uns zu unterscheidende Sache, sondern von ihm kann eben nur als einem auf uns bezogenen Subjekt gesprochen werden. In der Sprache Martin Bubers: Gott kann nur als ein »Du« erkannt werden, »das seinem Wesen nach nicht Es werden kann«42 und das so in all seinem Eigensein und Anderssein als »Mysterium tremendum, das erscheint und niederwirft«, doch zugleich »das Geheimnis des Selbstverständlichen« ist, »das mir näher ist als mein Ich«. 43 Diese personale Bestimmtheit Gottes spiegelt sich im Alten Testament schon in der herausragenden Bedeutung des göttlichen Eigennamens,44 dessen Heiligkeit im Neuen Testament vor allem durch die erste Bitte des Herrengebets auch für die christliche praxis pietatis zentral wird. Der Name, den Gott dort zu heiligen gebeten wird, ist in Jesu Gebet nun allerdings sein Vatername. Indem die Vatermetapher, die den Bezug auf Kinder impliziert, im Frühchristentum in einer in der Religionsgeschichte wohl einmaligen Weise zum neuen Namen des Gottes Israels wird, unterstreicht das Neue Testament, dass Gottes Beziehungswille zu seinem Wesen gehört. Eine solche Selbst- und Gotteserkenntnis hat zum einen, das ist das Dritte, soteriologische Konsequenzen. So wie nach dem Philipperhymnus Gott zu »Gottvater« wird, indem er seinen bisherigen »Namen über jedem Namen« (Phil 2,9) samt der mit diesem Namen »Kyrios« verbundenen (All-) Macht auf Jesus übertragen hat,45 so gibt er auch den zu seinen Kindern gewordenen Glaubenden an seiner Lebensfülle und Herrlichkeit Anteil. Als Gottvater wird er daher als der bekannt, angebetet und gepriesen, der seine Hoheit darin erweist, dass er die Niedrigen erhöht,46 seine Macht darin, dass er unserer Schwachheit aufhilft, seine Fülle darin, dass er die Hungrigen mit Gütern füllt, seine Freiheit darin, dass er die Versklavten zu freien Erben macht, seine Gerechtigkeit darin, dass er den Sünder gerecht macht, seine Herrlichkeit darin, dass er die Finsternis hell macht, und seine Lebendigkeit darin, dass er die Toten belebt. Weil Gott kein Ding unserer Wirklichkeit ist, sondern der, aus dem und durch den und auf den hin alles 41 OTTO, Das Heilige (Anm. 18), 11 (Hervorhebung R. Otto). Siehe dazu auch den Beitrag »Der Heilige« (S. 460–478). 42 B UBER, Ich und Du (Anm. 5), 91. Selbst dort, wo das Antike Judentum zur Explikation seines Gottesglaubens sich auf die philosophische Metaphysik bezieht, wird aus dem neutrischen ὄντως ὄν in der Septuaginta (Ex 3,14) und bei Philon das personale ὁ ὤν. 43 Ebd., 96. 44 Vgl. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 8), 17–41. 45 Vgl. ebd., 44–50. 46 Siehe den Beitrag »Der Höchste« (S. 135–150).

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existiert (Röm 11,36), deshalb spricht das Neue Testament von ihm zumeist nicht in definierenden Adjektiven, sondern in Verben und Partizipien, die ihn als den zur Sprache bringen, der schöpferisch alles Sein begründet und neuschaffend die Glaubenden (und vielleicht nicht nur diese)47 verwandelt. Im Gegenzug werden Adjektive wie unsterblich, unvergänglich, ewig, heilig, die im paganen und teilweise auch im jüdischen Kontext exklusiv Gott vorbehalten blieben, zu inklusiven soteriologischen Prädikaten.48 Zum andern kann eine solche Gottes- und Selbsterkenntnis, das ist das Vierte, dem Erkennenden nicht äußerlich bleiben. Sie umgreift und bestimmt notwendigerweise den gesamten Lebensvollzug. In diesem Sinn hatte bereits das Šĕmaʽ in Dtn 6,4f. das Bekenntnis zu dem einen Gott mit der vorbehaltlosen Gottesliebe in eins gesetzt. Gott wird demgemäß nur von dem recht erkannt, dem er seinerseits zum ›Ein und Alles‹ wird.49 Jesus nimmt das Šĕmaʽ in Mk 12,28–34 auf und ergänzt es noch durch das Gebot der Nächstenliebe als der aus der Bindung an Gott folgenden50 Bindung an den Mitmenschen, denn »die Liebe zu Gott, die seiner erfahrenen Liebe antwortet, partizipiert gewissermaßen an der Intention Gottes, mit anderen Menschen als der Liebe würdig umzugehen«. 51

Personalität und Universalität Die Rede vom Vater stellt die Personalität des biblischen Gottes ins Zentrum. Das entspricht den biblischen Schriften insofern, als diese im Blick auf Gott vorzugsweise personale Bilder verwenden. Sie tun dies jedoch nicht ausschließlich. Besonders auffällig ist es beim göttlichen Geist, der häufiger apersonal, teilweise mit geradezu materiellen Bildern und Wendungen beschrieben wird.52 Doch auch Gott selbst kann mit apersonalen Meta47 Nach Röm 8,18 ff. ist das, was an den Kindern Gottes geschieht, Hoffnungszeichen für die ganze stöhnende und seufzende Kreatur. 48 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 8), 71 f. 49 Martin Luther hat das in seiner Auslegung des ersten Gebots präzise auf den Punkt gebracht: »Was heißt ein Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Also daß ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und gläuben, wie ich oft gesagt habe, daß alleine das Trauen und Gläuben des Herzens machet beide Gott und Abegott. […] Worauf Du nu (sage ich) Dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich Dein Gott« (M. LUTHER, Großer Katechismus. Vorrede. Das erste Gebot, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1967, 560). 50 Das Gebot der Nächstenliebe wird in Mk 12,31 noch ausdrücklich dem der Gottesliebe als »zweites [Gebot]« nachgeordnet. 51 KRÖTKE, Klarheiten (Anm. 11), 175. 52 Der Geist kann ausgegossen werden, mit ihm kann man gesalbt oder getränkt werden etc.

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phern oder Symbolen zur Sprache gebracht werden, etwa im alttestamentlichen Psalter als Burg, Fels, Quelle etc. Entsprechendes findet sich auch im Neuen Testament, wenn dort Gott »Kraft«53 oder »Geist«54 genannt oder mit »Licht«55 und »Feuer«56 gleichgesetzt wird. Damit soll Gott nicht wieder vergegenständlicht werden. Solche kosmomorphen Bilder und Symbole bringen vielmehr zum Ausdruck, dass für die Glaubenden der Gott, den sie als Grund ihres Lebens bekennen, notwendig auch universal als der Grund der gesamten Wirklichkeit geglaubt wird.57 Überwinder von Schuld und Tod ist Gott als der Schöpfer, der »das Nichtseiende ins Sein ruft«. 58 Der Versuch, diese Universalität Gottes zu denken und zur Sprache zu bringen, führt dazu, dass bereits von den neutestamentlichen Schriftstellern Anleihen bei der zeitgenössischen Philosophie gemacht werden, um den Gott Israels und Vater Jesu Christi zugleich als den zu bezeichnen, »aus dem und durch den und auf den hin alles existiert« (Röm 11,36; vgl. Hebr 2,10). Mit dieser in Anlehnung an die stoische Kosmos-Theologie gebildeten Formel59 wird der biblische Gott zugleich als Ursprung und Ziel allen Seins bekannt, also in den Gottesgedanken das aufgenommen, was Schleiermacher (in Aufnahme der Polemik Fichtes gegen einen anthropomorphen Gottesbegriff) als »schlechthinige Ursächlichkeit«60 bezeichnet hat. Das tritt nun allerdings nicht in Konkurrenz zur anthropomorphen Metaphorik; vielmehr wird diese um den universalen Aspekt erweitert. Das ist gerade beim Vater zu sehen, der im Neuen Testament zwar zum Inbegriff personaler Zuwendung und Bindung wurde, zugleich aber von Anfang an mit der Schöpfung und der Herrschaft über die Welt verbunden wurde. So ist für den Jesus der Evangelien der als »Vater« angerufene Gott nicht nur sein Vater, sondern zugleich der »Herr des Himmels und der Erde« (Mt 11,25 par. Lk 10,21), dem »alles möglich« ist (Mk 14,36) und der im Herren53

Zu »Kraft« vgl. Mk 14,62 par. Zu »Geist« vgl. Joh 4,24 für den Vater; 2. Kor 3,17 f. für Christus als Kyrios. 55 Der 1. Johannesbrief kann konstatieren: »Gott ist Licht« (1. Joh 1,5), und nach 1. Tim 6,16 wohnt Gott in einem unzugänglichen Licht. Zur Verbindung von Gott und »Licht« vgl. auch die Aussagen zum göttlichen Logos im Johannesprolog (Joh 1,4 f.9) sowie Joh 8,12; weiter Lk 1,78 f.; Mt 4,16. 56 Hebr 12,29. 57 Vgl. D. LANGE, Glaubenslehre, Band 1, Tübingen 2001, 157: »Wenn der Mensch sich selbst auf einen Grund seines Daseins bezieht, muss er deshalb diesen Grund zugleich als den der Welt denken«. Dem Kollegen Lange verdanke ich auch die kritische Rückfrage, die zur Ausarbeitung dieses Abschnittes geführt hat. 58 Röm 4,17; ähnlich wird in 2. Kor 4,6 auf die Schöpfung rekurriert. 59 Vgl. E. NORDEN, Agnostos Theos. Untersuchung zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt 61974, 240–250. 60 F. D. E. SCHLEIERMACHER, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31), herausgegeben von R. SCHÄFER, Teilband 2 (KGA I/13,2), Berlin/New York 2003, 308 (§ 51). 54

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gebet um die Durchsetzung seiner Herrschaft gebeten wird (Lk 11,2 par. Mt 6,9f.). Werden so in den Evangelien noch die Vaterschaft Gottes und seine Herrschaft zusammengestellt, so wird von Paulus der Vatername selbst in 1. Kor 8,6 in Anlehnung an die in der Stoa entwickelte und vom hellenistischen Judentum rezipierte Rede vom Kosmosgott (Zeus) als dem Vater des Alls universalisiert.61 Die Schule des Paulus,62 aber auch der Hebräerbrief (Hebr 12,9) und der Jakobusbrief (Jak 1,17) sind auf diesem Weg weitergegangen, um den ›väterlichen‹ Grund des eigenen, neuen Lebens zugleich als Urgrund allen Seins zu benennen und zu bekennen. Der entscheidende Unterschied der neutestamentlichen Rede vom Vater zur Stoa und zum Mittelplatonismus besteht allerdings darin, dass mit dieser Universalisierung des Vaternamens die heilsgeschichtliche Bestimmtheit des göttlichen Bezugs auf die Wirklichkeit nicht preisgegeben wird. Vielmehr wird bereits in 1. Kor 8,6 der Gott, aus dem und durch den und auf den hin alles existiert, in Gestalt eines christologisch reformulierten Šĕmaʽ bekannt. Die Kosmos-Theologie wird also in die biblische Tradition eingebunden mit der Folge, dass nun neben die Schöpfung63 die Neuschöpfung tritt und so dem Bezug Gottes zum Kosmos eine soteriologische Finalität eingestiftet wird.64 In 1. Kor 8,6 wird das explizit nur im Bezug auf ein »wir« gesagt, also auf die Glaubenden bezogen, 65 in der auf Röm 8,14–17 folgenden Passage Röm 8,18–25 scheint das Paulus dann aber über die Kinder Gottes hinaus auf die gesamte Schöpfung zu beziehen.

Gottesglaube und Gotteslehre Solche genialen Verdichtungen komplexer theologischer Überlegungen aber fallen dem Apostel vermutlich nicht ad hoc ein. Sie sind am ehesten zu verstehen als bereits vorformulierte Kurzfassungen von Glaubensinhalten. Auch wenn Paulus im Konfliktfall betonen kann, dass der Inhalt seines Evangeliums letztlich auf einer Offenbarung Jesu Christi und nicht auf menschlicher Vermittlung beruht (Gal 1,12), so kann er doch an anderer Stelle darauf verweisen, dass er den Gemeinden das weitergegeben hat, was er selbst empfangen hat.66 Das solchermaßen Empfangene aber hat er dann eigenständig weitergedacht und entfaltet, in erster Linie wohl bei der 61

Siehe dazu den Beitrag »Der oberste Gott als Vater« (S. 178–193). Vgl. Eph 4,6: »Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist«. 63 Nach 1. Kor 8,6 kommt »das All« aus dem einen Gott, dem Vater, und existiert durch den einen Herrn Jesus Christus. 64 Siehe dazu den Beitrag »Der oberste Gott als Vater« (S. 178–193). 65 Im Blick auf Gottvater heißt es in 1. Kor 8,6, dass »wir auf ihn hin« existieren, im Blick auf Christus, dass »wir durch ihn« sind. 66 Das betont er etwa beim Auferstehungszeugnis 1. Kor 15,3–5; vgl. auch 11,2. 62

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regelmäßigen Unterrichtung seiner Schüler in den Zentren seiner Mission.67 Auf solchen Unterricht und die dort wohl auch stattfindenden Diskussionen dürfte auch ein in sich relativ abgeschlossener Argumentationsgang wie die Obrigkeitsperikope in Röm 13,1–7 zurückgehen oder eine Dichtung wie das sogenannte Hohelied der Liebe in 1. Kor 13. Beim Philipperhymnus Phil 2,6–11 ist zwar umstritten, ob der Apostel hier ein frühchristliches Christuslied zitiert oder ob er selbst der Autor dieses Textes ist, aber es leidet kaum einen Zweifel, dass er hier ein ursprünglich rein christologisch ausgerichtetes Lied nun als Begründung für seine Paränese einfügt, also in jedem Fall auf zuvor bereits Formuliertes zurückgreift. Paulus kann dementsprechend seine Tätigkeit als ein »Lehren« bezeichnen,68 und er wird von denen, die später in seinem Namen schreiben, als Lehrer bezeichnet.69 Der Apostel ist damit nicht der Erste. Es wird leicht übersehen, dass Jesus in den Evangelien nahezu ausschließlich als »Lehrer« erinnert wurde. Bereits im ältesten Evangelium, in dem des Markus, sind die Begriffe Lehrer bzw. Rabbi samt dem dazugehörenden semantischen Feld Lehren, Lehre und Lernen die mit Abstand häufigsten Bezeichnungen für Jesu Tätigkeit und deren Auswirkungen auf seine Anhänger, 70 die auf griechisch µαθηταί heißen, was wörtlich übersetzt »Schüler« bedeutet. Diese Lehre unterscheidet sich von der der Schriftgelehrten durch ihre »Vollmacht« (Mk 1,22), d. h., sie wird mittelbar auf Gott selbst zurückgeführt.71 Die anderen Evangelien führen das nur weiter aus. Bei Lukas setzt bereits der zwölfjährige Jesus die Gelehrten Israels bei seiner Diskussion mit ihnen in Erstaunen, im Hauptteil des Evangeliums sind es dann vor allem die berühmten, dem lukanischen Sondergut entstammenden Gleichnisse, Parabeln und Beispielerzählungen, die das Bild des lehrenden Jesus prägen. Das Matthäusevangelium lässt Jesus in seinen großen Reden den Willen Gottes auslegen, und 67 Nach Apg 19,9 belehrte er in Ephesus zwei Jahre lang seine »Schüler« täglich in der Schule des Tyrannus. 68 1. Kor 4,17; er kann auch die Lehre und das Lehren zu den Gaben rechnen, welche den Christen gegeben sind (Röm 12,7; 1. Kor 14,6.26). 69 1. Tim 2,7; 2. Tim 1,11; vgl. Kol 1,28. 70 Ein kurzer statistischer Überblick mag das zeigen: 12-mal wird Jesus als Lehrer (διδάσκαλος) bezeichnet, davon 10-mal im zweiten Teil. 17-mal wird das Wort lehren (διδάσκειν) verwendet, davon 15-mal für Jesu Tätigkeit. 5-mal findet sich Lehre (διδαχή). Dazu kommen 4-mal Rabbi und einmal Rabbuni, was wohl ebenfalls als Anrede an einen Lehrer zu verstehen ist. 36-mal findet sich das entsprechende µαθητής, das in unseren Übersetzungen mit Jünger wiedergegeben wird, aber wörtlich Schüler heißt, davon 32mal für die Jünger Jesu. Dazu kommt noch einmal das Verb µανθάνω, lernen. Auch im (umstrittenen) testimonium Flavianum wird Jesus als Lehrer bezeichnet (Josephus, Ant. XVIII,3,3 [§ 63]). 71 Das unterstreicht auch das Erschrecken über diese Lehre, das ein Theophaniemotiv ist.

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im Johannesevangelium wird er als ein »von Gott gekommener Lehrer« angesprochen (Joh 3,2), dessen Lehre im Endeffekt »die Lehre dessen ist, der mich gesandt hat« (Joh 7,16).72 Kurz: Jesus als ›Stifter‹ der mitgliederstärksten ›Religion‹, die es in der Menschheitsgeschichte je gegeben hat, war keine priesterliche Gestalt, er war auch kein Gesetzgeber und kein Herrscher, kein Asket und kein Visionär, und trotz seiner Wundertätigkeit passt er auch nicht in das Schema eines göttlichen Menschen,73 sondern Jesus war zuerst und vor allem eines, nämlich Lehrer. Zu dieser Lehre gehören die eigenständige Auslegung der Tora ebenso wie die für Jesus charakteristischen Dichtungen, seine Gleichnisse (vgl. Mk 4,1f.), aber selbst ein Exorzismus konnte als Ausdruck seiner ›vollmächtigen Lehre‹ verstanden werden und so Erschrecken hervorrufen (Mk 1,21–28). Zusammengefasst wird dies als die »Frohbotschaft von Gott«, deren Inhalt darin besteht, dass »die Herrschaft Gottes nahegekommen ist« (Mk 1,14f.). Wenn Jesus in diesem Sinn die Schrift auslegt und die Schöpfung deutet, Weisheitsworte und ethische Maximen prägt, sich mit Gegnern auseinandersetzt und seine Theologie in Gleichnissen narrativ verdichtet, so sprengt seine Lehre, die dann von den Jüngern bewahrt und überliefert wurde, die übliche Schultradition, denn sie lebt von der einzigartigen Vollmacht dessen, »whose mission already enacted God’s reign in the present«. 74 In diesem Sinn treibt bereits Jesus Gotteslehre, wobei sein Evangelium Gott nicht als himmlischen Gegenstand lehrt, sondern als Gegenwart des Himmels. Dieser Lehrer Gottes wird dann nach Ostern selbst zum Gegenstand der Lehre: Die διδαχὴ κυρίου in Apg 13,12 ist als Genitivus objectivus zu verstehen, aus der Lehre des Herrn ist die »Lehre über den Herrn« geworden. Das scheint schon sehr früh geschehen zu sein. Lukas schreibt bereits über die Urgemeinde, dass sie »in der Lehre der Apostel aushielt« (Apg 2,42). Dass man dies nicht einfach als Anachronismus abtun sollte, zeigt Paulus, der im Römerbrief gegenüber einer nicht von ihm gegründeten und ihm weitgehend unbekannten Gemeinde sich explizit auf »eine Lehre, die ihr gelernt habt«, berufen kann (Röm 16,17). Bereits zweieinhalb Jahrzehnte nach Jesu Tod kann also der Apostel reichsweit in den Gemeinden ganz selbstverständlich eine verbindliche Lehre voraussetzen (Röm 6,17), welche die Glaubenden untereinander verbindet und zur Abgrenzung von solchen führt, die sich gegen sie stellen (Röm 16,17). Die Schüler des Apostels betonen dann dementsprechend, dass die Christen in ihrem Glauben unter72 Unmittelbarer noch als bei den Synoptikern wird also vom vierten Evangelium Jesu Lehre auf Gott selbst zurückgeführt. 73 Das hat etwa der erste große Kritiker des Christentums, der Philosoph Kelsos in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, sehr deutlich herausgestellt (Origenes, Cels. II,33–38). 74 J. D. G. DUNN, Christianity in the Making, Band 1: Jesus Remembered, Grand Rapids (Mich.)/Cambridge (U.K.) 2003, 703.

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richtet wurden75 und dass die Lehre zu den zentralen Aufgaben eines Gemeindeleiters gehört.76 Die Quintessenz solcher Lehre findet sich im Neuen Testament in den (zum Teil hymnischen) Bekenntnissen und Bekenntnisfragmenten, ihr Gegenstand war der Glaube an Gott, den Vater und Schöpfer der Welt, und sein Handeln an und durch Christus zugunsten der Gläubigen.77 Bereits von frühester Zeit an wurde also der Inhalt des christlichen Glaubens im Rückbezug auf die Heiligen Schriften,78 aber auch in seiner Beziehung auf das Ganze der Wirklichkeit79 durchdacht, formuliert und weitergegeben. Der Inhalt der Verkündigung hatte die Gestalt einer verbindlichen und verbindenden ›Lehre‹, einer fides quae creditur, denn der Glaube musste immer wieder zurückgebunden werden an die Überlieferung der Apostel und mit den Überzeugungen und Überlegungen anderer Christgläubiger abgestimmt werden, meines Wissens ein in der antiken Religionsgeschichte analogieloser Vorgang. Die so entstehende Lehre war Orientierungspunkt und Korrektiv für die Glaubenden und bildete die Grundlage für die Verbundenheit derer, die nur so zu ihrem Gott gehören, dass sie gemeinsam als Leib Christi und Gottes Tempel ihren himmlischen Vater bekennen und preisen. Dabei schränkt solche Lehre nicht die Lebendigkeit gelebter Gottesbeziehung ein: Paulus selbst ist mit seinen ganz unterschiedlichen Briefen ein beredtes Beispiel für die schier endlose Vielfalt einer auf dieser ›Lehre‹ aufbauenden situationsbezogenen Rede von Gott, die gleichwohl in sich konsistent ist, wie etwa die Wiederholung markanter Argumentationsfiguren in verschiedenen Kontexten zeigt.80 Dem 75 Kol 2,7; Eph 4,21; 2. Thess 2,15; in diesen Zusammenhang gehört auch die Notiz im Prolog des Lukasevangeliums, dass Theophilos, dem Lukas sein Werk widmet, im Glauben unterrichtet wurde (Lk 1,4). 76 1. Tim 4,11; 6,2; vgl. 2. Tim 2,2. 77 A. V. HARNACK, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Erster Band: Die Entstehung des kirchlichen Dogmas, Tübingen 51931, 203: »So gewiss die Erlösung auf Gott selbst zurückgeführt wurde, so fest stand es, dass sie durch Jesus (ὁ σωτὴρ ἡµῶν) vermittelt sei«. 78 Ein schöner Überblick über die Vielfalt des paulinischen Schriftgebrauchs findet sich bei F. W ILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, in: H ORN (Hg.), Paulus Handbuch (Anm. 21), 479–490. 79 Beispiele dafür sind etwa der Kolosser- und der Epheserbrief, aber auch die Areopagrede Apg 17. Wie 1. Kor 8,6 zeigt, beginnt auch dies schon bei Paulus. 80 Etwa die Argumentationsfigur des beatum commercium, des »selig(machend)en Wechsels«, wie es die Theologie schon bald genannt hat: »Erkennt nämlich die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er – obgleich er reich war – um euretwillen arm geworden ist, damit ihr durch dessen Armut reich würdet« (2. Kor 8,9). »Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes losgekauft, indem er um unsertwillen zum Fluch wurde« (Gal 3,13). »[Jesus Christus] ist für uns gestorben, damit wir – ob wir nun wachen oder schlafen – zugleich mit ihm leben« (1. Thess 5,10). Paulus kann dies auch von Gottes Handeln her formulieren: »[Gott] hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden« (2. Kor 5,21). Der Erste, der dies als

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eingangs zitierten Simonides bzw. Cicero nicht ganz unähnlich betont allerdings auch der Apostel im Blick auf das »Erkennen« bzw. »Wissen« (γνῶναι) des sich in Christus als existenzverwandelnde Macht offenbarenden Gottes (Phil 3,8–11), dass solches nur möglich ist in der Dynamik einer theologia viatorum: »Nicht als ob ich es schon ergriffen hätte […], ich jage ihm aber nach, ob ich es ergreife, insofern auch ich von Christus Jesus ergriffen bin« (Phil 3,12). Im Sinne solchen ergriffenen Ergreifens ›jagen‹ auch die hier zusammengestellten 27 Studien aus zwei Jahrzehnten »ihm nach«. Bei aller Unterschiedenheit sind sie verbunden durch ihr gemeinsames Thema: die von Juden, Christen und Heiden immer wieder neu gestellte Frage nach Gott.

Der Höchste, oder: Warum Religionsgeschichte? Der über diese Zusammenstellung gesetzte Titel »Der Höchste« will programmatisch verstanden werden. Denn der Superlativ ὕψιστος (»der Höchste«) findet sich – als Attribut oder als Namensäquivalent81 – im paganen wie im jüdischen und christlichen Bereich; er kann ebenso die Überlegenheit des Zeus wie die Einzigartigkeit des biblischen Gottes bezeichnen. Dabei ist in den Inschriften bemerkenswerterweise oft nicht erkennbar, welchem von diesen beiden bzw. drei Bereichen eine entsprechende Inschrift jeweils zuzuordnen ist, weil diese oft so »strikingly uniform«82 sind. Eine solche auffällige Gleichförmigkeit zwischen paganem, jüdischem und christlichem Bereich will erklärt werden – und zwar nicht als Bestätigung postmoderner Beliebigkeit, denn in anderen Zusammenhängen werden die entsprechenden Gottesvorstellungen durchaus deutlich voneinander unterschieden, nicht selten auch aufs Schärfste einander entgegengesetzt. Wohl aber ist die Übereinstimmung in diesem Fall ein Hinweis auf die Komplexität des Verhältnisses: Die Interaktion von Juden und Christen mit der hellenistischen Kultur und Religiosität ist auch im Blick auf die Ausformulierung ihres Gottesglaubens bestimmt durch einen dialektischen Prozess von Anpassung und Abgrenzung, Abstoßung und Aneignung, Überbietung und Überformung. γλυκεῖα ἀνταλλαγή, als »süßen Wechsel«, auf den Begriff gebracht hat, ist der Diognetbrief (9,5). 81 Im paganen Bereich findet sich ὕψιστος als Prädikat in Verbindung mit Zeus oder mit dem Appellativum θεός. Im jüdischen und christlichen Bereich kann es auch absolut, also als Namensäquivalent, gebraucht werden; siehe den Beitrag »Der Höchste« (S. 135– 150). 82 S. MITCHELL, The Cult of Theos Hypsistos between Pagans, Jews and Christians, in: P. ATHANASSIADI/M. FREDE (Hg.), Pagan Monotheism in Late Antiquity, Oxford 1999, 81–148, hier 100.

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Für diese Dialektik ist die Rede vom Höchsten ein Paradebeispiel, denn das in den verschiedenen Kontexten beheimatete Prädikat ὕψιστος erlaubt es zum einen Juden und Christen als Teil einer gemeinsamen religiösen Koine, das Bekenntnis zur Einzigartigkeit ihres Gottes in einer der paganen Mitwelt vertrauten Sprache auszusagen. 83 Es nötigt sie aber zum andern zu neuem Nachdenken. Denn wenn ein solches auch für andere Gottheiten verwendetes Epitheton nun zum Beinamen, gar zum Namensäquivalent des biblischen Gottes wird, dann muss geklärt werden, wie sich das zur sonstigen Rede von Gott im biblischen Zeugnis verhält. Das bedeutet in diesem Fall, dass der Begriff des Höchsten als solcher das Gegenüber eines anderen, eines Niedrigen oder gar Niedrigsten voraussetzt. Damit aber stellt sich die Frage, wie sich die durch diesen Superlativ zum Ausdruck gebrachte Überlegenheit und damit Exklusivität des Göttlichen mit der Inklusivität der biblischen Rede von Gott verträgt. Wie ist die Hoheit und Macht eines Gottes zu verstehen, der im Evangelium mit einem Vater verglichen wird, der zu seinem Sohn sagt: »Kind [….], alles, was mein ist, ist dein« (Lk 15,31)? Solche Herausforderungen veranlassten wohl den Verfasser des lukanischen Doppelwerks, der aus hermeneutischen Gründen am häufigsten vom Höchsten spricht, von Anfang an in besonderer Weise auf die Fragen von Hoheit und Niedrigkeit, von Macht und Ohnmacht theologisch einzugehen. So zeigt sich bei diesem Gottesprädikat exemplarisch, wie das Nachdenken über Gott Grenzen transzendiert und dazu nötigt, gerade durch den Bezug auf Fremdes das Eigene wieder besser zu verstehen und neu zu sagen. Auf vergleichbare Weise wird auch in anderen Beiträgen deutlich gemacht, dass und wie neben dem jüdischen Mutterboden von Anfang an auch der Horizont der hellenistischen Geistes- und Religionsgeschichte für die Ausformulierung der neutestamentlichen Rede von Gott bestimmend gewesen ist. Auf den Vorwurf, Hermann Spieckermann und ich hätten uns in unserer Gotteslehre noch »zu wenig von den religionsgeschichtlichen Paradigmen befreit«, 84 ist daher nur zu entgegnen, dass gerade die Auseinandersetzung mit der paganen Mitwelt für die Herausbildung des biblischen Gottesglaubens von oft unterschätzter Bedeutung war. So wird in den Beiträgen etwa gezeigt, dass sich die Verbindung der Vaterschaft Gottes mit dem Schöpfungsgedanken, wie sie im Credo jeden Sonntag bekannt wird, ebenso einer spezifischen Rezeption popularphilosophischer 83

Dabei wird das Wechselverhältnis noch dadurch verkompliziert, dass dieses griechische Prädikat vermutlich selbst ein Import aus den vorderorientalischen Religionen ist und somit sich bereits einer vorauslaufenden Interaktion der griechischen Kultur mit dem Orient verdankt; nicht von ungefähr hat der ὕψιστος im hebräischen ʿEljon bereits ein direktes Äquivalent. 84 Rezension von S. FELBER, JETh 27 (2013), 244–246, hier 246.

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Vorstellungen verdankt wie die Rede vom göttlichen Heilsplan, die in dieser Deutlichkeit erst durch eine Transformation des stoischen Vorsehungsglaubens möglich wurde. Auch die Vorstellung eines Jüngsten Gerichts, bei dem jeder Einzelne für seine Taten Rechenschaft ablegen muss, findet sich so nicht im Alten Testament und ist ohne den Einfluss griechischer Religiosität (die ihrerseits von Ägypten beeinflusst sein dürfte) wohl nicht denkbar.85 In alledem geht es nicht um Anpassung, sondern um Anverwandlung. Der dargestellte Einfluss der paganen Tradition mindert deshalb nicht den Wahrheitsgehalt des biblischen Zeugnisses, sondern bestätigt diesen, insofern Wahrheit nicht aus abstrakten Richtigkeiten besteht, sondern sich nur darin als wahr erweist, dass sie sich immer wieder neu zur Geltung bringt, indem sie Menschen in ihrem Lebensvollzug ›einleuchtet‹. Wahrheit ereignet sich in der Gemeinschaft mit dem Gottessohn als Befreiung: »Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Schüler. Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien« (Joh 8,31f.). Deshalb gibt der, der sich im Evangelium als »die Wahrheit« bezeichnet,86 keine Antwort auf die Frage des Pilatus, was Wahrheit ist (Joh 18,38). Die Beschäftigung mit der Antiken Religionsgeschichte ist nun allerdings nicht nur für die Entstehung des biblischen Gottesglaubens von Bedeutung (ratio essendi), sondern auch für dessen Wahrnehmung (ratio cognoscendi). Denn die sorgfältige Beachtung der Außenperspektive, die weder zu verwechseln ist mit der ideologischen Konstruktion eines ahistorischen Kontrastbildes noch mit einer historisierenden Relativierung des mit den biblischen Schriften verbundenen Anspruchs auf Wahrheit, verhilft dazu, die Konturen des biblischen Zeugnisses umso schärfer wahrzunehmen. Für mich hat sich der innere Zusammenhang des so vielgestaltigen biblischen Gotteszeugnisses gerade auch durch den Dialog mit den außerbiblischen Zeugnissen, also gewissermaßen durch die Perspektive der ›Heiden‹, erschlossen. Das soll durch den Untertitel »Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben« unterstrichen werden.

85 Vgl. H. BRUNNER, Grundzüge der altägyptischen Religion (Grundzüge 50), Darmstadt 1983, 130: »Es scheint, daß alle Vorstellungen eines solchen Gerichts in anderen Religionen, jedenfalls um das Mittelmeer und den davon abhängigen Bereichen, von Ägypten bestimmt sind.« 86 Joh 8,45; 14,6; vgl. 1,14.17; 8,32 u. ö.

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Liebe und Lehre. Das Genus der Rede von Gott Eine weitere Anfrage, die uns von verschiedenen Seiten gestellt wurde, ist die nach dem Redegenus einer Gotteslehre. Wenn, wie 1. Kor 8,1–3 sagt, nur der den biblischen Gott erkennt, der ihn liebt und so von ihm erkannt ist, dann stellt sich die Frage, inwiefern man dann noch unter Bezugnahme auf historische Kritik und den religionsgeschichtlichen Vergleich eine Lehre über ihn verfassen kann. Steht man dabei nicht vor dem Dilemma, dass man entweder seinen ›Gegenstand‹ verfehlt, weil Gott zum ›Gegenstand‹ verobjektivierender Analyse wird, oder dass man den Anspruch auf Objektivität und damit auf Wissenschaftlichkeit preisgibt, weil man solches nicht tut? Nun kennzeichnet unseres Erachtens diese Spannung von Gottesliebe und Gotteslehre jede wissenschaftliche Theologie, die diesen Namen verdient. Hermann Spieckermann und ich haben sie als eine fruchtbare Spannung begriffen und dementsprechend in unserer Gotteslehre den – sicher im Einzelnen immer hinterfragbaren – Versuch unternommen, zum einen die uns überlieferten biblischen Schriften nach allen Regeln der exegetischen Kunst als Literatur zu analysieren und in ihren sozialen, religiösen und geistesgeschichtlichen Kontext einzuordnen, zum anderen aber zugleich immer wieder deutlich zu machen, wie gerade so Gott als Grund und Ziel des Lebens geglaubt und bezeugt wird, also daran festzuhalten, dass nach dem Selbstverständnis dieser Schriften im Menschenwort Gottes Zuspruch und Anspruch begegnen. Diese immer wieder neu auszubalancierende Verschränkung von Außenund Innenperspektive (die im Übrigen auch bei der Auslegung paganer Zeugnisse versucht wird, um deren Selbstverständnis ebenfalls so weit als möglich gerecht zu werden) bestimmt auch die in diesem Band zusammengestellten Abhandlungen. Sie sind Texten und Themen der hellenistischen Religionsgeschichte, des Antiken Judentums und des Neuen Testaments gewidmet, die entweder in unserer gemeinsamen Gotteslehre nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden konnten oder die erst später, zum Teil auch in ihrem Gefolge, entstanden sind. Neben exegetischen und religionsgeschichtlichen Untersuchungen wurden hier auch Vorträge aufgenommen, die, mehr thematisch orientiert, vor einer breiteren Öffentlichkeit gehalten wurden: auf Tagungen, vor Pfarrkonventen oder in Gemeinden. Indem sie die biblischen Texte mit Fragen und Formen gegenwärtiger Religiosität (und Irreligiosität) ins Gespräch bringen, indem sie die Sprache der Poesie einbeziehen und die christliche Ikonographie als verbum visibile auslegen, dokumentieren sie das Bemühen, die Grenzen der exegetischen und religionsgeschichtlichen Spezialisierung zu übersteigen, ohne dabei den Anspruch auf eine wissenschaftliche Fundierung des Gesagten aufzugeben. Sie wollen deshalb nicht weniger ernst genommen werden als die Beiträge zum

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Diskurs innerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen im engeren Sinn. In jedweder Gestalt dokumentieren sie das nie abgeschlossene Nachdenken darüber, was gemeint sein kann, wenn Menschen das Geheimnis ihres Lebens und ihrer Welt mit dem Wort ›Gott‹ bezeichnen.

Inhalt Systematisch ist der Band in drei Hauptteile gegliedert. Der erste widmet sich der Religionsgeschichte der kaiserzeitlichen Antike. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich in neutestamentlicher Zeit weit stärker als in den drei Jahrhunderten zuvor Philosophie und Religion aufeinander zubewegen und dabei auch zunehmend miteinander verbinden,87 wird eine Reihe von philosophischen Schriften im Blick auf ihre expliziten oder impliziten religiösen Perspektiven untersucht. Der Schwerpunkt liegt bei dem Mittelplatoniker Plutarch. Der zur Zeit des Neuen Testaments lebende Philosoph und Universalgelehrte, der vermutlich mehr als 20 Jahre in Delphi als Priester des Apollon amtierte, hat in seinen religionsphilosophischen Schriften religiöse Zeichen, Riten und Mythen als Ausdruck einer philosophischen Wahrheit gedeutet (nicht nur aus dem Bereich der griechischen Religion, sondern auch aus dem der ägyptischen und persischen). Er hat sich aber auch über die Bedeutung gelebter Religiosität für eine ethisch verantwortliche Lebensführung Gedanken gemacht und in seiner Abhandlung De sera numinis vindicta auf originelle Weise die skeptische Erkenntnistheorie für die Beantwortung eines Grundproblems der Theologie fruchtbar gemacht, wie man angesichts einer ungerechten Wirklichkeit an dem Glauben an einen zugleich gütigen wie (all-)mächtigen Gott festhalten kann. Einige der religionsphilosophischen Schriften dieses ›paganen Theologen‹88 werden hier analysiert und ausgelegt. Dazu kommen noch zwei Beiträge, welche die Neubegründung der Unsterblichkeitshoffnung im Mittleren Platonismus und die soteriologischen Bedeutung der Bildung in der Bildtafel des Kebes zum Thema haben. Der zweite Hauptteil zeichnet nach, wie Juden und Christen es in diesem Kontext unternommen haben, ihren Glauben an den Gott Israels und den Vater Jesu Christi zu reflektieren und auf neue Weise zur Sprache zu bringen. Ein Schwerpunkt ist die Rezeption einschlägiger Topoi aus der Mitwelt und deren Neubestimmung im biblischen Kontext. Neben dem »Höchsten« sind es die Neuprägung des Begriffs κτίσις für die Erschaffung der Welt, die in gewisser Weise damit verwandte Vorstellung von Gott als Grund ihrer Lebendigkeit sowie die von Platonikern und Stoikern auf je 87 88

Siehe dazu den Beitrag »Göttliche Philosophie« (S. 31–48). Siehe dazu auch den Beitrag »Philosoph und Priester« (S. 49–60).

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eigene Weise kosmologisch gedeutete Vatermetapher, des Weiteren der Vorsehungsgedanke und die Vorstellung eines Gerichtes über die Toten. Bei den hier zu beobachtenden Rezeptions- und Transformationsvorgängen tritt die soteriologische Ausrichtung der Rede von Gott in den biblischen Schriften deutlich hervor. Sie bestimmt auch andere theologische Topoi, die in Aufnahme von und in Auseinandersetzung mit bestimmten Vorstellungen der Mitwelt ausgeprägt werden: das Mythem der Himmelfahrt, das Gottesattribut der Unvergänglichkeit und die Rede vom Heil der Seelen. Wenn Gotteserkenntnis, wie gezeigt, aufs Engste mit der Liebe zu Gott und zum Nächsten verbunden wird, dann versteht es sich von selbst, dass für sie auch die ethischen Implikationen zentral sind. In diesem Sinn hatte bereits, wie erwähnt, Jesus in den Evangelien das Bekenntnis zu dem einen Gott durch die strikte Parallelisierung von Gottesliebe und Nächstenliebe entfaltet (Mk 12,29–31), und er hat die Gotteskindschaft denen zugesprochen, die ihrem himmlischen Vater durch Liebe selbst zum Feind entsprechen (Lk 6,35f.; Mt 5,45.48). Für Paulus realisiert sich Glaube durch die Liebe (Gal 5,6), und der 1. Johannesbrief betont den unlösbaren Zusammenhang von Gotteserkenntnis und Liebe (vgl. vor allem 1. Joh 4,7–21). Auch in der paganen Religiosität kann ein vergleichbarer Zusammenhang hergestellt werden, wie etwa Plutarchs Polemik gegen den Epikureismus zeigt. Auf diesen Zusammenhang von Gottesglaube und Ethik wird hier allerdings nur in einigen Beiträgen eingegangen, im ersten Hauptteil bei der Analyse von Plutarchs Kritik an der epikureischen Maxime ›Lebe im Verborgenen‹, im zweiten Hauptteil vor allem beim Jüngsten Gericht und bei der Interpretation der Tora im Geist hellenistischer Ethik, im dritten beim Verhältnis von Monotheismus und Toleranz. Die materialen Konsequenzen des Gottesglaubens für das neutestamentliche Ethos sind vorab in einer kleinen Monographie mit besonderem Akzent auf den Umgang mit Macht reflektiert und veröffentlicht worden.89 Der Bezug auf die griechisch-römische Kultur, ihre Philosophie und ihre Religiosität spielt auch im dritten Hauptteil eine nicht unwichtige Rolle. Während es aber im zweiten Hauptteil mehr um die Dynamik der Neuinterpretation biblischen Gottesglaubens in Auseinandersetzung mit der Mitwelt geht, konzentriert sich der letzte Abschnitt stärker auf die innerbiblische Perspektive. Ein Schwerpunkt liegt auf den Verbindungen von Gottesglauben und Christologie, vor allem im Blick auf die Implikationen der Passion für das Verständnis Gottes. Wie schon in unserer Gotteslehre betont wurde, zeigt sich dabei, dass für das Neue Testament gerade dort, wo die Gegenwart des Vaters im Leben des Sohnes durch dessen Sterben widerlegt zu sein scheint, dieser sich als der lebendige und lebendigmachende Gott 89 R. FELDMEIER, Macht – Dienst – Demut. Ein neutestamentlicher Beitrag zur Ethik, Tübingen 2012.

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Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung

erweist. Zwei Beiträge beschäftigen sich so mit Deutungen des Todes Jesu. Von der Offenbarung des Vaters in der Leidensgeschichte und der sich hier zeigenden Verletzlichkeit der göttlichen Liebe her erschließt sich ein eigener Blick auf das Verhältnis Gottes zum menschlichen Leid. Die beiden Beiträge zur Problematik der Theodizeefrage und zur Erfahrung von Gottesfinsternis sind in gewisser Weise das theologische Pendant zu der im ersten Kapitel vorgestellten philosophischen Theodizeeschrift Plutarchs. Die aus der Offenbarung sub contrario resultierende Souveränität und Unverfügbarkeit Gottes ist ein weiterer Schwerpunkt der hier zusammengestellten Beiträge. Einer beschäftigt sich, wie schon erwähnt, mit dem biblischen Verständnis der Einheit Gottes und der Frage der Toleranz, ein anderer mit der Unsichtbarkeit Gottes und der Frage, welche Rolle die menschlichen Sinne für seine Erkenntnis spielen, ein weiterer mit dem Verhältnis des Ewigen zur Zeit, einer mit der Identität Gottes im Römerbrief. Eine etwas ausführlichere Untersuchung ist den Engeln gewidmet, jenen Zwischenwesen, in denen man gemeinhin die Mittler zwischen Himmel und Erde sieht. Wenn die Beschäftigung mit ihnen hier pointiert mit »Ränder des Gottesglaubens« überschrieben ist, so trägt das nicht nur der Tatsache Rechnung, dass aus biblischer Perspektive die Engel in ihrer Bedeutung marginaler sind, als es ihre verbreitete Hochschätzung gemeinhin wahrnimmt, sondern es bringt vor allem zum Ausdruck, dass sie auch in ihrem Wesen und Wirken in den neutestamentlichen Schriften ambivalenter gesehen werden, als den meisten bewusst ist. Den Abschluss bildet eine Auseinandersetzung mit Rudolf Ottos Begriff des Heiligen. Otto hatte damit Gottes Unverfügbarkeit als wesentliches Moment der religiösen Erfahrung betont; in kritischer Auseinandersetzung mit seinem Klassiker »Das Heilige« werden die Impulse dieser Schrift für die Auslegung des neutestamentlichen Gotteszeugnisses bedacht. Einige der hier zusammengestellten Abhandlungen waren noch unveröffentlicht oder wurden neu verfasst, andere sind bereits erschienen und hier teils mit wenigen Ergänzungen beibehalten, teils für diesen Band überarbeitet worden. Überschneidungen ließen sich dabei nicht immer vermeiden. Sie wurden meist beibehalten, damit die Beiträge auch für sich verständlich bleiben.

Dank Zu danken habe ich all den Weggefährten, Freunden, Mitarbeitern, den Mitherausgebern von SAPERE, den Kollegen und Studierenden und nicht zuletzt meiner Frau, welche durch ihr Mitdenken, ihre Fragen und die gemeinsame Arbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten dieses Buch erst ermöglicht haben. Sie alle zu nennen, würde den Rahmen einer Einleitung

Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung

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sprengen. So seien nur die genannt, die bei seiner Fertigstellung unmittelbar beteiligt waren, nicht nur durch ihre Korrekturen, sondern auch durch ihre kritischen Rückfragen: Dr. des. Heidrun Gunkel, PD Dr. Alexa Wilke, Inga Mrozek, Felix Albrecht und Manuel Kaden. Dank schulde ich meinem langjährigen Freund Dr. Claus-Jürgen Thornton, der schon unsere Gotteslehre aufs Beste in ein vorzeigbares Buch verwandelt und dies nun auch hier wieder auf sich genommen hat. Des Weiteren danke ich Dr. Henning Ziebritzki vom Verlag Mohr Siebeck. Die wohltuend professionelle Zusammenarbeit mit ihm hat in den vergangenen Jahren immer freundschaftlichere Züge angenommen. Seiner Hartnäckigkeit verdankt sich letztlich dieses Buch, weil er sich durch mein Nein auf seine erste Anfrage nach einem Aufsatzband nicht davon abhalten ließ, erneut nachzuhaken, wofür ich jetzt im Rückblick aufrichtig froh bin. In diesen Dank schließe ich auch den Züricher Kollegen Jörg Frey ein, der mich ebenfalls zu diesem Band ermuntert und ihn in die Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament aufgenommen hat. Dass die Fertigstellung unserer gemeinsamen Gotteslehre nicht das Ende der Zusammenarbeit mit Hermann Spieckermann bedeutete, sondern nur eine neue Phase weiteren Austauschs eingeleitet hat, der sich auch in diesem Buch niedergeschlagen hat, gehört zu den in der akademischen Welt nicht unbedingt zu erwartenden kleinen Wundern. Dank sage ich endlich der Universität Göttingen und den Kollegen vom EDRIS-Zentrum mit seinem Sprecher Prof. Dr. Peter Gemeinhardt. Sie haben mir durch die Finanzierung eines Sabbaticals, in dem mich dankenswerterweise mit Frau PD Dr. Christiane Zimmermann eine andere ›Gottesfreundin‹ vertreten hat, den kostbaren Freiraum verschafft, über einzelnen Fragen und Texten noch einmal länger zu ›brüten‹ und so dieses Buch fertigzustellen.

Gedenken Gewidmet ist das Buch zwei viel zu früh verstorbenen Freunden: meiner früheren Assistentin PD Dr. Frances Back und meinem Tübinger ›Mitschüler‹ und späteren Marburger Kollegen Prof. Dr. Friedrich Avemarie. Beider Tod hat nicht nur in der Wissenschaft eine bleibende Lücke hinterlassen. Uns Zurückbleibenden bleibt neben Trauer und Klage die Hoffnung auf den Gott, »der oben thront in der Höhe«, dabei aber nicht unerreichbar über den Dingen steht, sondern »herabschaut in die Tiefe« (Ps 113,6). Indem er so auf die Stimme derer hört, die aus der Tiefe zu ihm rufen, wird der Höchste, so verheißt es das in der Widmung zitierte Wort des Sehers Johannes, zuletzt alle Tränen aus unseren Augen abwischen – wie eine Mutter.

Erster Teil Der Eine Philosophie und Religion in der späteren Antike

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»Göttliche Philosophie« Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike 1. Der Philosoph als Gottesmann. Die Sakralisierung des Weisen Unter dem Stichwort Sakralisierung des Weisen zeigen Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier1 vor allem anhand von Senecas Ep. 115, »wie die ethische Konstruktion [sc. des philosophischen Weisen] durch Schau, Erscheinung, Mythos und geistlichen Kult religiös umformuliert, sozusagen sakral aufgeladen wird«. 2 Diese Sakralisierung des Philosophen setzt sich in der Folgezeit fort, wie Cancik/Cancik-Lindemaier am Beispiel Epiktets zeigen. Ihr Fazit: Der Philosoph ist jetzt nicht nur, wie andere Philosophen vor ihm, ein umherziehender Seelen-Arzt, ein Zeuge für seine Lehre (mártys, martyría), wie ein Vater oder Bruder, sondern »von Gott gesandt«, ein ›Apostel‹ also, ein »Bote« des Zeus, ein ›Engel‹ also und Herold (kéryx). Er kommt im Auftrage Gottes, als »Helfer des Zeus« und »Aufseher« […], »wie einer, der Anteil hat an der Herrschaft des Gottes«; er steht »ganz in der Diakonie des Gottes«.3

Die von Cancik/Cancik-Lindemaier angeführten Zeugnisse für die religiöse Interpretation der Philosophengestalt lassen sich noch vielfach ergänzen, und dies nicht nur im Blick auf ihre Zahl, sondern auch auf ihren Inhalt: Die Sakralisierung beschränkt sich in der späteren Antike nicht nur wie bei den Stoikern Seneca und Epiktet auf den Philosophen an sich, sozusagen auf dessen Idealtypus; vielmehr werden (vor allem im Mittleren Platonismus und im Neuplatonismus) zunehmend auch bestimmte mehr oder weniger historische Gestalten religiös konnotiert – bis hin zu deren Stilisierung als Heilsbringer. Diese Entwicklung lässt sich besonders eindrücklich an der Transformation des Sokratesbildes nachvollziehen. Die Deutung dieses Denkers, auf den die bedeutendsten antiken Philosophen1 H. CANCIK/H. C ANCIK-LINDEMAIER, Senecas Konstruktion des Sapiens. Zur Sakralisierung der Rolle der Weisen im 1. Jh. n. Chr., in: A. ASSMANN (Hg.), Weisheit (Archäologie der literarischen Kommunikation 3), München 1991, 205–222. 2 Ebd., 217. 3 Ebd., 218.

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Erster Teil: Der Eine. Philosophie und Religion in der späteren Antike

schulen mit Ausnahme des Epikureismus zurückgehen, war schon früh zum Gegenstand philosophischer Schulstreitigkeiten geworden: Kyniker und Stoiker sahen in ihm ihr Ideal der Gelassenheit, Bedürfnislosigkeit und Standhaftigkeit verwirklicht: Für diese vorwiegend praktisch ausgerichteten Philosophien verkörperte Sokrates das Urbild des Weisen, bei dem Lehre und Handeln eins sind.4 Im Gegensatz dazu haben die Vertreter der Akademie Sokrates aufgrund seiner Deklaration des Nichtwissens und seiner dialektischen Methode als Ahnherrn ihrer Skepsis verstanden. Im Mittleren Platonismus werden diese Aspekte der Sokratesgestalt zunächst ergänzt (Plutarch) und anschließend verdrängt (Apuleius, Maximos) durch einen Sokrates, der mittels seines Daimonion5 in direkter Verbindung mit dem Göttlichen steht und als solcher zu den Menschen gesandt ist.6 Vom Ende des ersten bis zum Ausgang des zweiten Jahrhunderts, d. h. in einem Zeitraum von etwa hundert Jahren, sind uns im Bereich des Mittleren Platonismus insgesamt vier Schriften7 über das Daimonion des Sokrates überliefert, »eine Tatsache, die man, besonders im Hinblick auf das Verschwinden eines so großen Teils der philosophischen Literatur der ersten zwei Jahrhunderte, geradezu als ein Wunder bezeichnen kann«. 8 Die plötzliche Prominenz dieses religiösen Aspektes der Sokratesgestalt macht deutlich, wie der vom Gott der Weisheit selbst zum weisesten aller Menschen erklärte Philosoph9 nun vor allem als einer wahrgenommen wird, der »aufgrund seines Dämons in der Lage ist, direkt mit der Welt der Götter zu kommunizieren«. 10 Gerade als Weiser, als Philosoph, steht er in einer un4 Vgl. Diogenes Laertius VI,2,11; vgl. auch K. D ÖRING, Exemplum Socratis. Studien zur Sokratesnachwirkung in der kynisch-stoischen Popularphilosophie der frühen Kaiserzeit und im frühen Christentum (Hermes.E 42), Wiesbaden 1979. 5 Zum Daimonion als weisunggebender göttlicher Stimme vgl. Xenophon, Mem. I,1,4 ff. 6 In der Apologie bezeichnet sich Sokrates direkt als einen von Gott Gesandten (vgl. Platon, Apol. 23b). Zusammen mit dem erwähnten Daimonion ist diese Aussage der wichtigste Anknüpfungspunkt für die religiöse Interpretation der Sokratesgestalt in der späteren Antike. 7 Eine der Schriften stammt von Plutarch, eine von Apuleius und zwei von Maximos von Tyros. 8 P. DONINI, Sokrates und sein Dämon im Platonismus des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr., in: Apuleius, De Deo Socratis/Über den Gott des Sokrates. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von M. B ALTES/M.-L. LAKMANN/J. M. DILLON/P. DONINI/R. HÄFNER/L. KARFÍKOVÁ (SAPERE VII), Darmstadt 2004, 142–161, hier 142. 9 Platon, Apol. 20e–21a; vgl. Dion von Prusa, Or. 55,8. 10 DONINI, Sokrates und sein Dämon (Anm. 8), 153.160. Donini deutet dies innerhalb des Platonismus als Triumph des pythagoreischen Sokratesbildes über seinen »akademischen Rivalen«. Er weist dabei nach, dass bei Plutarch noch beide Aspekte des Sokrates vorhanden sind, dass aber dann im zweiten Jahrhundert bei Apuleius und Maximos es nur noch der Daimon ist, der interessiert – bis hin zur Annahme, dass Sokrates Visionen seines Daimons hatte (Apuleius, De Deo Socratis 20,166 f.).

»Göttliche Philosophie«

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mittelbaren Beziehung zum Göttlichen; der Philosoph wird zum Gottesmann. Nach Philostratos besitzt Sokrates aufgrund seines Daimonion schon die Fähigkeit des Vorherwissens (Vit. Ap. I,2). Als religiöser Philosoph kann Sokrates auch zum Prototyp des Seelsorgers werden, der einen Sterbenden auf den Tod vorbereitet: Es ist die »viel gerühmte Weisheit«11 des Sokrates, die in dem pseudoplatonischen Dialog Axiochos einen Sterbenden von seiner Todesfurcht befreit, indem der an das Sterbebett gerufene Philosoph dem Freund nachweist, dass der Mensch aufgrund des »göttlichen Geistes«12, den er in sich hat, nicht in den Tod, sondern in die Unsterblichkeit geht. Den religiösen Charakter dieser philosophischen Seelsorge unterstreicht der zuletzt noch erzählte Mythos, der durch den Bezug auf geheimnisvolle Tafeln mit Offenbarungen über das Jenseits die Argumentation zusätzlich plausibilisiert13 und den zu Beginn doch recht renitenten Sterbenden dazu bringt, dass er nun den Tod geradezu herbeisehnt.14 Was sich bei der Gestalt des Sokrates anbahnt, setzt sich bei jemandem wie dem Neupythagoreer Apollonios von Tyana fort, von dem Philostratos in seiner Vita Apollonii sogar sagen kann, dass er sich »der Weisheit noch göttlicher näherte als Pythagoras« (Vit. Ap. I,2), ὑποθειάζων τὴν φιλοσοφίαν (Vit. Ap. I,3). Er ist Philosoph und Wundertäter, Weiser und Heiliger, gleichermaßen erfüllt vom θεῶν πνεῦµα wie vom σοφίας ἔρως (Vit. Ap. VII,34). Beides ergänzt sich, so dass er nach dem Urteil des Eunapios »kein Philosoph mehr war, sondern bereits auf halbem Weg zwischen Göttern und Menschen«. 15 Schon mehr als auf halbem Weg zu den Göttern ist dann der von Zeus kommende Pythagoras16 selbst, der von seinen Anhängern – so der Neuplatoniker Jamblich in seiner Vita Pythagorica – nachgerade unter die olympischen Götter eingereiht und als Heilsbringer verehrt wurde. »Jeder erklärte ihn für einen anderen Olympier, der den damals Lebenden in Menschengestalt erschienen sei, um dem todgeweihten Leben aufzuhelfen, es zurechtzubringen, und um der vergänglichen Natur den heilbringenden Funken (σωτήριον ἔναυσµα) der Glückseligkeit und der Philosophie gnadenvoll zu bescheren«. 17 Jamblichs Schrift über die pythagoreische Lebensweise pro11

Ps.-Platon, Axiochos 364b. Ebd., 370c. 13 Diese platonische Tradition des den Logos abschließenden Mythos nimmt außer dem Axiochos nur noch Plutarch auf. Man könnte allenfalls auf Cicero, De re publica (»Somnium Scipionis«) verweisen; hier wird freilich der Mythos in Gestalt eines Traums dargeboten. 14 Siehe den Beitrag »Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele«, unten S. 119–132. 15 Eunapios, Vit. Soph. 454 (II,3). 16 So Philostratos, Vit. Ap. I,1: ὡς ἐκ ∆ιὸς ἥκοντα. 17 Jamblich, Vit. Pyth. 30; Übers. M. V. ALBRECHT, in: Jamblich, Pythagoras. Legende – Lehre – Lebensgestaltung, eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays verse12

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Erster Teil: Der Eine. Philosophie und Religion in der späteren Antike

filiert denn auch, den Evangelien nicht unähnlich,18 die vita dieses Heilsbringers als via für dessen Nachfolger. Wie populär diese Verschwisterung von Religion und Philosophie auch im Alltag wird, zeigen etwa die vom Satiriker Lukian als Scharlatane aufgespießten Gestalten eines Alexander von Abonuteichos und eines Peregrinus Proteus, bei denen philosophischer und religiöser Anspruch scheinbar problemlos ineinanderfließen und sich gegenseitig ergänzen.19 Philosophische Weisheit hat hier eine direkte Affinität zum Göttlichen, ja, sie kann selbst als etwas Göttliches bestimmt werden. So wie Plutarch von dem Gott Apollon sagen kann, dass er »nicht weniger Philosoph als Seher«20 sei, so sagt Dion von Prusa von den einst in Delphi ausgestellten Sprüchen der Sieben Weisen, sie wären »etwas wahrhaft Göttliches, sogar fast irgendwie göttlicher als die Orakelsprüche, welche die Pythia, auf dem Dreifuß sitzend, sagte, erfüllt vom Pneuma«. 21 Weisheit wird hier, wenn auch mit einem vorsichtigen »fast irgendwie«, als göttlicher beurteilt als die unmittelbare göttliche Eingebung! Besonders markant verkörpert Plutarch diese Synthese von Religion und Weisheit. Der Universalgelehrte war – darin eine Ausnahme in der Philosophie22 – zugleich für mindestens zwei Jahrzehnte mit großem Einsatz 23 als Priester in Delphi tätig, was sein Denken nachhaltig geprägt hat.24 Die Religion spielt denn auch in seinen Schriften durchweg eine wichtige Rolle,25 und dies nicht nur in seinen historischen, politischen, naturwissenschaftlichen und ethischen Werken. Der Priester und Philosoph verfasste auch eine Reihe von Schriften, die im engeren Sinne als theologische Traktate bezeichnet werden können hen von M. V. ALBRECHT/J. M. DILLON/M. GEORGE/M. LURJE/D. S. DU TOIT (SAPERE IV), Darmstadt 2002; vgl. dazu D. S. D U TOIT, Heilsbringer im Vergleich. Soteriologische Aspekte im Lukasevangelium und Jamblichs De vita Pythagorica, im selben Band 275–294. 18 Vgl. dazu J. M. DILLON, Die Vita Pythagorica – ein »Evangelium«?, in: Iamblich, Pythagoras (Anm. 17), 295–301. 19 Alexander macht als Seher des Asklepios ein höchst erfolgreiches Orakel auf, vergleicht sich aber zugleich mit Pythagoras und stilisiert sich durch einen goldenen Schenkel als dessen Reinkarnation. Er versteht sich denn nach Lukian auch prächtig mit allen Philosophen mit Ausnahme der kritischen Epikureer. Peregrinus Proteus wechselt mühelos die Maske des christlichen Propheten (Peregr. Prot. 11) mit der des kynischen Wanderpredigers (ebd., 15 ff.). 20 Als Aussage des Ammonios in: De E 2,385b. 21 Or. 72,12. 22 Philostratos berichtet in seinen Vitae Sophistarum (I,8) von einem Favorinus, der sich von Hadrian von dem ihm angetragenen Priesteramt mit dem Hinweis auf seinen Status als Philosoph entbinden lassen wollte. 23 Vgl. dazu K. Z IEGLER, Art. Plutarchos 2), PRE XXI,1, Stuttgart 1951, 636–962, hier 659–662. 24 Vgl. R. FELDMEIER, Philosoph und Priester. Plutarch als Theologe, in: M. B AUMBACH/H. K ÖHLER /A. M. RITTER (Hg.), Mousopolos Stephanos. Festschrift für Herwig Görgemanns (BKAW 2,102), Heidelberg 1998, 412–425 = unten S. 49–60. 25 Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken in Bildern. Studien zur literarischen, philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften (STAC 14), Tübingen 2002.

»Göttliche Philosophie«

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und die sich in vielfältiger Weise mit der religiösen Tradition auseinandersetzen und diese deuten.26 Das reicht – neben dem schon erwähnten Werk über das Daimonion des Sokrates – von einer Abhandlung über die Problematik der Entartung von Religion (De superstitione) über die Interpretation religiöser Mythen und Bräuche (De Iside et Osiride) und Symbole (De E apud Delphos) bis hin zur philosophischen Erörterung theologischer Grundsatzfragen wie dem Problem der Theodizee (De sera numinis vindicta27) oder der Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation von Gott und Mensch (De Pythiae oraculis, De defectu oraculorum).28

Diese Synthese von Religion und Philosophie bzw. Weisheit findet nun aber nicht nur auf Seiten der Philosophie statt, sondern auch und vielleicht sogar noch entschiedener von Seiten der Religion. Eine der Sakralisierung des Weisen entsprechende Sapientisierung des Heiligen lässt sich im frühen Christentum bereits relativ früh beobachten und bestimmt das Christentum bis heute. Der Ursprung dieser Entwicklung aber liegt begründet in der Übersetzung des biblischen Zeugnisses in die Sprache und Vorstellungswelt der hellenistischen Kultur durch das Antike Judentum. Die Hellenisierung des Christentums mit allen Folgen der Verbindung von biblischem Gott und griechischem Logos für die Konstituierung des sogenannten christlichen Abendlandes erfolgte auf den Spuren dieses Judentums und dessen in ihrer Kühnheit und Tragweite kaum zu überschätzender Inkulturationsleistung, die sich gerade an der Rezeption des Weisheitsbegriffs besonders gut verfolgen lässt. Das soll hier etwas näher beleuchtet werden.

2. Die Sapientisierung des Heiligen im Antiken Judentum 2.1. Die Inkulturationsstrategie In der rückblickenden Gesamtperspektive zeigt sich, dass das Antike Judentum bei der Begegnung mit der hellenistischen Welt und Kultur eine Doppelstrategie verfolgte: Zum einen grenzte man sich von der paganen Religiosität auf das Schärfste ab. Dem antiken Polytheismus wurde der biblische Monotheismus entgegengestellt, der Verehrung der Götterbilder die Kritik der anthropomorphen Rede von Gott und die strikte Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf samt der vom Judentum im Begriff der All26 Einen guten Überblick gibt der von R. H IRSCH-LUIPOLD herausgegebene Band: Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder (RGVV 54), Berlin/ New York 2005. 27 Vgl. R. FELDMEIER, Einführung und Erläuterungen zu Plutarchs De sera numinis vindicta, in: Drei religionsphilosophische Schriften. Griechisch-deutsch. Übersetzt und herausgegeben von H. G ÖRGEMANNS unter Mitarbeit von R. FELDMEIER/J. ASSMANN (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 2003, 318–339.363–382 = (1. Teil) unten S. 91–106. 28 Vgl. FELDMEIER, Philosoph und Priester (Anm. 24), 413 ff. = unten S. 50 ff.

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Erster Teil: Der Eine. Philosophie und Religion in der späteren Antike

macht ausgedrückten absoluten Souveränität des Schöpfers über seine Schöpfung.29 Doch so klar die Abgrenzung im Bereich der Religionen vorgenommen wird, so deutlich rezipierte man auf der anderen Seite die Begrifflichkeit der griechischen Weisheits- und Bildungstradition, um ebendadurch die biblische Überlieferung zu deuten und die darauf beruhende Lebensweise apologetisch zu legitimieren. 30 Termini wie σοφία, φιλοσοφία, aber auch παιδεία, λόγος/λογισµός, γνῶσις, φρόνησις, σύνεσις, ἐπιστήµη, ἀρετή, σωφροσύνη, νόµος/νοµοθεσία werden zu Schlüsselbegriffen, mit denen die religiöse Überlieferung im neuen Kontext reformuliert und damit sich selbst und anderen von Neuem verständlich gemacht wird – bis dahin, dass man sich ihrer bediente, um die pagane Religiosität anzugreifen.31 Die antike Bildungs- und Weisheitstradition wird damit auch von Seiten des Judentums und des Christentums theologisiert. Zwei Faktoren haben diese Sapientisierung biblischer Überlieferung begünstigt: Zum einen war weisheitliches Denken als die Frage nach den gründenden Ordnungen der Wirklichkeit und dem Platz des Menschen in diesem Gefüge auch den Schriften des Alten Testaments nicht fremd. Motive der altorientalischen Weisheit waren in der erzählenden, prophetischen und poetischen Überlieferung breit rezipiert worden und haben ganze Textkorpora geprägt. Dabei findet in der jüngeren Weisheit (Spr 1–9, Hiob, Kohelet, Jesus Sirach, Apokryphen und Pseudepigraphen, Weisheitstexte von Qumran etc.) eine zunehmende Theologisierung statt, die Weisheit verbindet sich mit der Offenbarung.32 In Fortführung dieser Tendenz wird dann im hellenistischen Judentum auch die Überlieferung, die ursprünglich keineswegs weisheitlichen Charakter hatte, als Ausdruck von göttlicher Weisheit gedeutet und demgemäß mit Hilfe weisheitlicher Begrifflichkeit reformuliert. Vor allem betrifft dies die Tora, d. h. den Pentateuch mit seinen Erzählungen wie mit seiner Halacha. Die Weisheit, und das meint zunehmend: die mit der philosophischen Weisheit der hellenistischen Welt identifizierte

29 Vgl. R. FELDMEIER, Nicht Übermacht noch Impotenz. Zum biblischen Ursprung des Allmachtsbekenntnisses, in: W. H. RITTER/R. FELDMEIER/W. SCHOBERTH/G. ALTNER, Der Allmächtige. Annäherungen an ein umstrittenes Gottesprädikat, Göttingen 1–21997, 13–40. 30 Das geht bis hin zur philosophischen Legitimierung der kultischen Absonderung, vgl. R. FELDMEIER, Weise hinter »eisernen Mauern«. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief, in: M. HENGEL/A. M. SCHWEMER (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum (WUNT 72), Tübingen 1994, 20–37, hier 28–33 = unten S. 169–174. 31 So polemisierte man mit den Argumenten des Xenophanes gegen den paganen Polytheismus (vgl. dazu M. H ENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. [WUNT 10], Tübingen 21973, 465 f.). 32 Den Hinweis verdanke ich dem Kollegen R. G. Kratz.

»Göttliche Philosophie«

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Weisheit, wird zum hermeneutischen Schlüssel, um die biblische Tradition im Kontext der griechisch-römischen Kultur von Neuem zu erschließen. Dabei kam dem Judentum entgegen, dass es von Zeitgenossen als Vertreter einer »barbarischen Philosophie«33 verstanden werden konnte.34 Hekataios von Abdera, der zur Zeit des Ptolemaios I. ein idealisierendes Buch über Ägypten schrieb, führt die Juden auf Mose als einen Führer zurück, der »sich durch Weisheit (φρονήσει) […] besonders ausgezeichnet« habe. Ihm schreibt er die Spezifika des Judentums zu, zum einen den bildlosen Monotheismus, der mit seiner Ablehnung des Anthropomorphismus ebenso einem philosophischen Ideal entspricht wie die Gründung seines Staates, der von den zu Priestern gemachten »Gebildetsten« (χαριέστατοι) geführt wird. »Aus diesem Grund haben die Juden auch niemals einen König, sondern die Führung des Volkes wird immer demjenigen unter den Priestern gegeben, der an Weisheit und Tüchtigkeit (φρονήσει καὶ ἀρετῇ) herauszuragen scheint.«35 Diese Sicht der jüdischen Verfassung als einer auf Weisheit und der entsprechenden Ethik gegründeten Priesterherrschaft erinnert nicht von ungefähr an die Philosophenherrschaft in der platonischen Staatsutopie.36 Von Zeitgenossen des Hekataios werden denn auch die Juden explizit als Philosophen bezeichnet. So schreibt Megasthenes, der zwischen 304/303 und 292 Gesandter des Seleukos I. Nikanor in Indien war, in seinen Indika: »Alle Aussagen über die Natur, die von den Alten gemacht worden sind, finden sich auch bei den außergriechischen Philosophen (παρὰ τοῖς ἔξω τῆς Ἑλλάδος φιλοσοφοῦσι), manches bei den Indern in der Lehre der Brahmanen, manches in Syrien in derjenigen der sogenannten Juden«. 37 Der Aristotelesschüler Klearchos von Soloi erzählt in einem (wohl fingierten) Bericht von einer Begegnung seines Lehrers Aristoteles mit einem Juden. Dabei wird explizit der philosophische Charakter dieses Juden betont und dies dann dahin gehend noch ergänzt, dass die Juden von indischen Philosophen abstammten. »Die Philosophen werden, wie man sagt, bei den Indern Kalanoi, bei den Syrern Juden genannt.« Seinem jüdi-

33 Vgl. zu diesem Stichwort auch A. D IHLE, Die griechische Philosophie zur Zeit ihrer Rezeption durch Juden und Christen, in: R. H IRSCH-LUIPOLD/M. VON ALBRECHT/H. GÖRGEMANNS (Hg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven. Ratio Religionis Studien I, Tübingen 2009, 3–19. 34 Die im Folgenden zitierten Texte finden sich bequem zugänglich bei M. S TERN (Hg.), Greek and Latin Authors on Jews and Judaism. Edited with Introductions, Translations and Commentary, Band I: From Herodotus to Plutarch (Fontes ad res Judaicas spectantes), Jerusalem 1976. 35 Hekataios von Abdera, FGH 264 F 6 (aus Diodorus Siculus, Bibl. XL,3). 36 Vgl. HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 31), 465. 37 Megasthenes, Indika, FGH 715 F 3 (aus Clemens Alexandrinus, Strom. I,72,4).

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schen Gesprächspartner attestiert ›Aristoteles‹ noch explizit, dass er nicht nur der Sprache, sondern auch der Seele nach ein Grieche sei.38 In seinem Ringen darum, in der Auseinandersetzung mit der hellenistischen Kultur die eigene Identität zu behaupten,39 konnte sich das Antike Judentum diese Fremddeutung programmatisch zu eigen machen40 und die eigene Überlieferung zunächst als Philosophie behaupten und dann auch zunehmend so deuten. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Einbahnstraße; die als Interpretament der Religion vereinnahmte Weisheit wird ihrerseits an diese Tradition gebunden, wird judaisiert. Das Folgende will einige Stufen dieser ebenso spannungsvollen wie fruchtbaren Interaktion nachzeichnen. 2.2. Beispiele 2.2.1. Jesus Sirach Diese Tendenz beginnt im Buch Jesus Sirach und vor allem in seiner Übersetzung. Das hebräische Original ist seinem Inhalt nach noch sehr traditionell von der altorientalisch-alttestamentlichen Weisheit geprägt. Dennoch ist ebendies ja schon bezeichnend, dass es nun die Weisheit ist, welche im Zentrum der jüdischen Selbstdarstellung steht. Tora und Weisheit werden erstmals direkt aufeinander bezogen. So beginnt das Sirachbuch mit der Feststellung, dass »alle Weisheit beim Herrn ist« (Sir 1,1) und dass deshalb die Furcht des Herrn der Ursprung der Weisheit ist (Sir 1,14), ein Axiom, das im Folgenden die Deutung der gesamten jüdischen Tradition mit Hilfe des Konzeptes einer theologisierten σοφία begünstigt. Diese doch kühne Vereinnahmung der ihrem Wesen nach universalen Weisheit für die jüdische Glaubensüberzeugung wird in Sir 24,1–22 (vor allem V. 3–12) damit erklärt, dass die Weisheit zwar die ganze Erde erfüllt, ihren Wohnort aber in Israel genommen hat und letztlich mit der Tora identisch ist (Sir 24,23–25). Die religiöse Besonderheit Israels wird also mit dessen exklusiver Beziehung zur Weisheit den Zeitgenossen plausibel zu machen gesucht. Kann bereits die Konzentration auf das Weisheitsthema auch als Reaktion auf die Hellenisierung verstanden werden, so wird dieser Bezug noch verstärkt durch den Übersetzer, der zugleich der Enkel des Verfassers ist. Dieser hat in seinem Prolog durch die zweimalige Zusammenstellung von σοφία und παιδεία (Prol. 3.12) die Weisheit dieses Buches, das nun auch Weisheit des Jesus Sirach heißt, in den Kontext der hellenistischen Welt 38

Klearchos, Frgm. 6 WEHRLI (aus Josephus, Ap. I,22). Terminologisch zeigt sich dies nicht zuletzt daran, dass dieser kulturelle Gegensatz durch die Bildung der oppositionellen Termini Ἑλληνισµός (2. Makk 4,13) und Ἰουδαϊσµός (2. Makk 2,21; 8,1; 14,38; 4. Makk 4,26) auf den Begriff gebracht wird. 40 So verweist Arist 31 direkt auf das Urteil des Hekataios. 39

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hineingestellt. Dementsprechend kann er die Übersetzung des Werkes auch als seinen Beitrag zu dem von ihm in Ägypten vorgefundenen Streben nach παιδεία deklarieren (Prol. 27ff.). Die jüdische Überlieferung wird nun also durch den expliziten Bezug auf die griechischen Ideale der Weisheit und der Bildung gedeutet. Dabei liegt der Schwerpunkt eindeutig im Bereich der Ethik, und dies hat damit zu tun, dass auch der Übersetzer wie schon sein Großvater die Weisheit mit der Tora identifiziert: In seinem Prolog zum Sirachbuch unterstreicht er, dass der Wandel nach dem Gesetz der Inbegriff der Weisheit ist (Prol. 35f.). Die Tora wird zur Weisheit erklärt und zugleich die Weisheit an die Tora zurückgebunden, letztlich mit ihr gleichgesetzt. Diese wechselseitige Identifikation von Tora und Weisheit wird in dem von Sir 24 abhängigen Weisheitspsalm im Baruchbuch (3,9–4,4) wiederholt; dabei wird die vom Übersetzer des Sirachbuches bereits klar beförderte Hellenisierung noch verstärkt. Baruch betont mit Hilfe griechischer Weisheits- und Erkenntnisbegriffe wie φρόνησις (3,9.14.28), σοφία (3,12), σύνεσις (3,14) und ἐπιστήµη (3,20.27.37), dass gerade das Israel gegebene Buch der Weisungen Gottes Einsicht vermittelt (4,1ff.). Dies wird im hellenistischen Judentum zum Interpretationsprogramm der gesamten biblischen Tradition: Die väterliche Überlieferung, vor allem die Tora, wird als Ausdruck einer vernünftigen Philosophie profiliert und damit hellenisiert, zugleich aber wird die Weisheit an die biblische Offenbarung zurückgebunden. Das wird noch dadurch verstärkt, dass Baruch gegen die Weisheit der Heiden polemisiert (3,23). 2.2.2. Der Aristeasbrief Einen deutlichen Schritt weiter geht der Aristeasbrief, indem er fiktional das Judentum aus der Perspektive eines ptolemäischen Hofbeamten, also eines griechisch gebildeten Heiden, deutet. Dieser berichtet seinem Bruder über eine Reise nach Jerusalem. Dort soll er im Auftrag des Königs Übersetzer für das jüdische Gesetz finden, um dieses der königlichen Bibliothek einzuverleiben. Aufschlussreich ist die Begründung, die der Aristeasbrief dafür gibt, dass diese Schriften in der weltberühmten Bibliothek Alexandrias nicht fehlen dürfen und deshalb übersetzt werden müssen: Bei diesem jüdischen Gesetz handle es sich, so die Erklärung, um eine philosophischere (φιλοσοφωτέρα) und unverfälschte, weil göttliche Gesetzgebung. (Arist 31)

Die Prädikate philosophisch und göttlich werden im Blick auf die Tora unmittelbar aufeinander bezogen, genauer noch: Weil die Gesetzgebung göttlich ist, ist sie auch philosophischer. Der dezidiert religiöse Charakter der Gesetzgebung steht also nicht im Gegensatz zum Anspruch auf ihren philosophischen Charakter, sondern verstärkt diesen! Der absolut gebrauchte

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Komparativ φιλοσοφωτέρα unterstreicht dies noch: Diese Gesetzgebung ist philosophischer als die anderen, und das impliziert natürlich, dass der pagane Nomos gegenüber der jüdischen Tora gerade im Blick auf seinen philosophischen Charakter zumindest defizient ist. Im Grunde lässt sich der ganze Aristeasbrief als eine apologetische Entfaltung dieses Satzes lesen, dass die Göttlichkeit der Gesetzgebung diese als philosophischer und damit die Juden als Weise erweist. So besteht sein erster Hauptteil nach der idealisierenden Beschreibung des Tempelkultes vor allem in einem Gespräch des fiktiven Verfassers mit dem Hohenpriester, der die von dem »weisen Gesetzgeber« Mose (139) gegebenen jüdischen Sitten und Überlieferungen erklärt, besonders die den paganen Gesprächspartnern so schwer zu vermittelnden Reinheitsgebote. Keineswegs gehe es Mose, so erfährt der Heide, um so vordergründige Dinge wie das Essen oder Nichtessen von bestimmten Tieren.41 Gerade an ganz fremdartigen Geboten wie an dem Verbot des Verzehrs von Wieseln wird dieser tiefere moralische Sinn aufgezeigt.42 Jedes Wort zielt, so das Resümee der Auslegung des Gesetzes, »auf die Gerechtigkeit und das gerechte Zusammenleben der Menschen« (169). Der hermeneutischen Voraussetzung entsprechend, dass es sich um eine philosophischere Gesetzgebung handle, werden sämtliche Vorschriften der Tora mithilfe der allegorischen Exegese ethisch gedeutet und damit auch dem kritischen Heiden plausibel gemacht. So wird selbst die kultische Abgrenzung von allen anderen Menschen durch die Speise- und Reinheitsgebote, die dem Judentum immer wieder den Vorwurf des Menschenhasses eingetragen hat,43 mithilfe philosophischer Denkfiguren als Ausdruck von dessen besonderer Weisheit und ethischer Überlegenheit legitimiert.44 Eine solche ethisierende Deutung bedeutet nun allerdings keineswegs eine Relativierung der Gültigkeit der einzelnen Gebote. Vielmehr ging es gerade um die Begründung dafür, diese unverbrüchlich zu halten. Dagegen ist der Aristeasbrief im Blick auf das, was man Theologie nennen könnte, erstaunlich weitherzig: Der biblische Gott kann vom Heiden stoisierend interpretiert und mit Zeus identifiziert werden (Arist 16). Im zweiten Teil 41 Arist 144: »Denn vertritt doch nicht die (längst) zurückgewiesene Auffassung, dass Mose wegen der Mäuse oder wegen des Wiesels und dergleichen diese Gesetze mit solcher Sorgfalt aufgestellt habe. Vielmehr ist alles um der Gerechtigkeit willen zur frommen Betrachtung und Bildung des Charakters ehrwürdig angeordnet worden« (Übers. MEISNER). 42 Da das Wiesel nach antiker Auffassung (vgl. Plutarch, De Iside 74,381a) durch die Ohren empfängt und durch die Schnauze gebiert, ist es ein Symbol für die Denunziation. Das Verbot des Verzehrs von Wieseln ist so als Stellungnahme gegen diese zu verstehen. 43 Vgl. Tacitus, Hist. V,5,1 f.: Kennzeichnend für die Juden sei ihr »adversus omnes alios hostile odium«. 44 Vgl. FELDMEIER, Weise hinter »eisernen Mauern« (Anm. 30), 28–33 = unten S. 169– 174.

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jener Schrift dokumentieren dann die Übersetzer am Königshof die Überlegenheit der auf der Tora gründenden jüdischen Weisheit, indem sie auf Fragen des Königs antworten. Diese Antworten, die nichts anderes als weisheitliche Sentenzen mit gelegentlichen religiösen Zusätzen sind, werden gerade von den Philosophen am ptolemäischen Hof mit Bewunderung zur Kenntnis genommen: Die Überlegenheit der Lebensführung wie des λόγος der jüdischen Gelehrten zeige sich gerade darin, so der Kommentar der gebildeten Heiden, dass sie Gott an den Anfang setzen (Arist 235). Unschwer kann man darin die philosophische Reformulierung der alttestamentlich-jüdischen Sentenz erkennen, dass die Gottesfurcht der Anfang der Weisheit sei (Spr 1,7; 9,10; Sir 1,14 u. ö.). Dies ermöglicht das Ideal einer Übereinstimmung von Lehre und Leben. Erneut wird so unterstrichen, dass der religiöse Charakter der jüdischen Gesetzgebung deren philosophischen Charakter steigert. 2.2.3. Das 4. Makkabäerbuch Die Gleichsetzung von jüdischer Tradition und griechischem Logos ist auch für das 4. Makkabäerbuch Programm. Mit einer eindeutigen Akzentsetzung auf der praktischen Philosophie wird die Überlieferung dementsprechend reformuliert. Erzählt wird dabei die jüdische Märtyrerüberlieferung aus der Zeit des Antiochos IV. Epiphanes, wie sie schon aus dem 2. Makkabäerbuch bekannt ist. Jetzt aber ist der Skopus der Nacherzählung die narrative Explikation der gleich am Anfang in 1,1 genannten und durch die ganze Schrift hindurch als Leitmotiv wiederholten45 These, dass der λογισµός der Herrscher über die πάθη ist. Dieses praktisch-philosophische Ideal wird von den Märtyrern verwirklicht; deshalb sind diese Märtyrererzählungen, wie gleich in der Überschrift gesagt wird, ein φιλοσοφώτατος λόγος (4. Makk 1,1). Diese relativ weitgehende Hellenisierung ist wiederum nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite sind es nicht von ungefähr Juden, deren Sterben für das väterliche Gesetz als Ausdruck der wahren Vernunft gedeutet wird, und der die Affekte beherrschende λογισµός wird denn auch als εὐσεβὴς λογισµός (1,1; 6,31; 7,16; 13,1; 15,23; 16,1; 18,2) bzw. als λογισµὸς τῆς εὐσεβείας (7,4; 8,1; vgl. 5,38) explizit theologisiert, genauer gesagt: judaisiert. Denn diese fromme Vernunft, welche zu einem richtigen Leben befähigt, ist nichts anderes als die jüdische Toraobservanz, wie dies nicht zuletzt die eigenwillige Begriffsbildung Ἰσάκειος λογισµός, Isaaksvernunft (7,14), unterstreicht. Die Weisheit als »die Erkenntnis (γνῶσις) der göttlichen und menschlichen Dinge samt ihren Ursachen« (1,16) ist ἡ τοῦ νόµου παιδεία (1,17). Dies ist die »gött45 Vgl. 4. Makk 1,3.5.7.9.13.19.29 f.34 f.; 2,3.4.6 f.9.15.24; 3,5.16; 6,31.34; 7,1.16; 13,1.3; 18,2 u. ö.

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liche Philosophie« (7,9), so wie der sie verwirklichende Märtyrer ein »Philosoph eines göttlichen Lebens« ist (7,6). Die Bezeichnung göttliche Philosophie erinnert an die oben dargestellte Göttlichkeit der Sprüche der Sieben Weisen. Die scheinbare Übereinstimmung darf jedoch nicht einen elementaren Unterschied verdecken: Im ersten Fall wird durch das Prädikat göttlich die (durchaus auch religiöse) Besonderheit einer Weisheit bzw. Philosophie zum Ausdruck gebracht, im zweiten Fall die Bindung an den Gott Israels und seinen in der Tora geoffenbarten Willen als Philosophie bezeichnet. Holzschnittartig gesagt: Im paganen Bereich prädiziert das Attribut göttlich die Philosophie, im jüdischen Bereich prädiziert philosophisch die göttliche Offenbarung. Deswegen zeigt sich gerade hier, wo beide Traditionsströme friedlich zu konvergieren scheinen, dass es in Wahrheit (zumindest von jüdischer Seite) um die Auseinandersetzung geht, wer den in der griechischen Kultur positiven Begriff der Philosophie (hier identifiziert mit der vernunftbestimmten, die Affekte beherrschenden Lebensweise) für sich reklamieren darf. Das 4. Makkabäerbuch jedenfalls zeigt das Bestreben, diesen Begriff seinen paganen Vertretern gleichsam zu entreißen und ihn exklusiv für die dem Ἑλληνικὸς βίος entgegengesetzte jüdische Lebensweise (8,8) zu reklamieren. Deutlich wird hier, was sich auch schon an den anderen Schriften zeigte, dass die Hellenisierung keine Einbahnstraße war, sondern zugleich beanspruchte, die hellenistische Weisheitstradition zu judaisieren. Dieser Anspruch implizierte natürlich zugleich die Verpflichtung, dies dann auch im Blick auf die Interpretation der biblischen Tradition zu rechtfertigen. Dies geschieht in der Weisheit Salomos und zuletzt – als Schluss- und Höhepunkt – in den Schriften Philons. 2.2.4. Die Sapientia Salomonis Noch einen Schritt weiter auf dem Weg der Verschmelzung von (philosophischer) Weisheit und biblischer Überlieferung geht die Weisheit Salomos. Unter Berufung auf Salomo, den exemplarischen Weisen der jüdischen Tradition (s. u.), findet eine einigermaßen radikale weisheitliche Reformulierung der heiligen Texte statt. Das ist das Neue gerade in ihren ersten neun Kapiteln: Der Inhalt der Bücher Genesis und Exodus wird in Gestalt eines philosophischen Diskurses wiedergegeben, der biblische Mythos wird gleichsam in den Logos transformiert.46 Die konsequente Verweisheitlichung der Religion zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass hier die ganze Schrift explizit unter dem Titel ›Weisheit‹ überliefert wird, so wie dies in ähnlicher Weise auch schon bei der Übersetzung des Sirachbuches ins Griechische der Fall war (s. o. S. 38). 46 So genügt es dann eben nicht mehr, die ›Sündenfallgeschichte ‹ zu erzählen – diese wird vielmehr als Ätiologie des Nichts und des Todes interpretiert.

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Zugleich wird die Weisheit auch innerhalb der Schrift zur Offenbarungsund Heilsmittlerin: Es ist die σοφία, die an der Schöpfung beteiligt war (SapSal 7,21), die das All verwaltet (8,2) und so Einsicht in alle Geheimnisse derselben hat (vgl. 7,18ff.; 8,8). Vor allem bedeutet Weisheit Beziehung zu Gott: So wie der Weise selbst eine Liebesbeziehung zur Weisheit hat (8,2ff.), so gilt im Gegenzug: »Gott liebt niemand außer den, der der Weisheit beiwohnt« (7,28). Es ist diese religiöse Weisheit, die dem Erkennenden Unsterblichkeit vermittelt (8,13.17), während der, welcher Weisheit und Bildung verachtet, elend ist und keine Hoffnung hat (3,11). 2.2.5. Philon von Alexandria Ihre Vollendung findet die Sapientisierung der biblischen Überlieferung in den Schriften Philons, der die Texte der Tora, vor allem die Bücher Genesis und Exodus, allegorisch ausdeutet, wobei seine Philosophie den hermeneutischen Schlüssel seiner Bibelexegese bildet. Mit dieser konsequent philosophischen relecture der biblischen Zeugnisse hat der große Alexandriner die biblische Überlieferung in einer dann für die christliche Theologie wegweisenden Art und Weise in den Kontext der hellenistischen Kultur hinein vermittelt und so zugleich neu interpretiert. Das Ergebnis ist eine kühne Synthese aus (stoisierendem) Mittelplatonismus und biblischem Text. So interpretiert Philon etwa in De opificio mundi (69–71) die Erschaffung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes (Gen 1,26), indem er diese Ebenbildlichkeit auf den »Führer der Seele, den Geist«, bezieht. Dieser Geist führt den Menschen durch den ἔρως σοφίας über die sinnlich wahrnehmbare Welt hinaus zum Intelligiblen, zur Schau der (platonischen) Ideen, und darüber hinaus noch weiter zum »höchsten Gipfel des rein Geistigen«, »… bis zum Großkönig selbst« – und dieser »Allvater« ist natürlich der biblische Schöpfergott. Das »Wir« des Gotteswortes von Gen 1,26 dient ihm dann gleichzeitig noch dazu, durch die Annahme der Mitwirkung anderer, niedrigerer Wesen die Theodizeefrage zu beantworten (Opif. 72–75). Im Folgenden sollen zwei Aspekte herausgegriffen werden, die schon vor Philon eine Rolle spielen, jedoch von diesem konsequent durchgeführt werden: die Profilierung der großen Gestalten der jüdischen Überlieferung, der Erzväter und vor allem Moses, als Weise und Philosophen sowie die entsprechende Deutung der jüdischen Gemeinschaft. 2.3. Konsequenzen im Blick auf das Selbstverständnis des Einzelnen und der Gemeinschaft 2.3.1. Der Gottesmann als Weiser und Philosoph Der jüdische Gesetzgeber wird schon im Aristeasbrief (Arist 139) und bei Aristobul zum Philosophen κατʹ ἐξοχήν: Durch σοφία und ein θεῖον πνεῦ-

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µα begabt, habe Mose auch bei Philosophen wie Sokrates, Platon und Pythagoras höchstes Ansehen genossen, ja, Platon habe seinen Werken viel entnommen.47 Der jüdische Historiker Eupolemos erklärt Mose zum »ersten Weisen«, 48 der Griechen und Phöniziern das Alphabet vermittelt habe, also zum Kulturbringer schlechthin. Aber auch der Fromme, der den mosaischen Gesetzen folgt und für diese stirbt, kann in 4. Makk 7,6 als »Philosoph eines göttlichen Lebens« bezeichnet werden. Im frühjüdischen Schrifttum ist es dann neben Mose vor allem Salomo, der aufgrund seiner Weisheit nun Karriere macht. Der Davidide, der ja schon in alttestamentlicher Tradition als Inbegriff des weisen Herrschers stilisiert werden konnte,49 wird nun zum Inbegriff des religiösen Dichters und Denkers. Deutlichstes Zeichen für die Hochschätzung dieser jüdischen Antwort auf Solon und Sokrates ist die Vielzahl von Schriften, die im Frühjudentum Salomo zugeschrieben werden: die Sprüche Salomos, die Psalmen Salomos, die Oden Salomos, der Prediger Salomo (Kohelet) und das Hohelied, nicht zu vergessen die im Blick auf unsere Fragestellung wohl markanteste Schrift, die bereits erwähnte Weisheit Salomos. Kurz: So wie im paganen Bereich der Philosoph zunehmend zum Gottesmann wird, so wird im jüdischen Bereich der Gottesmann zum Philosophen. Besonders ausgeprägt ist dies bei Philon. Dieser überträgt konsequent das Prädikat des Weisen auf maßgebliche religiöse Autoritäten. Schon Abraham wird mit seinem Auszug aus dem Vaterhaus, der als Auszug aus dem Gefängnis des Leibes gedeutet wird, zum Prototyp des »Weisen« (Migr. 9), dem die Weisheit als »Weg, Wegführer u[nd] Ziel«50 zugleich dient. In Conf. Ling. 76–82 beschreibt Philon Abraham, Jakob und Mose als die in dieser Welt fremden, exemplarischen Weisen. Vor allem aber wird Mose, der Gesetzgeber, gerne als der Weise schlechthin dargestellt: Nach Opif. 8 ist Mose »zum höchsten Gipfelpunkt der Philosophie vorgedrungen«, da er »durch göttliche Offenbarung über die meisten und wichtigsten Dinge der Natur belehrt worden ist«. 51 Erneut ist es gerade der Bezug zur göttlichen Offenbarung, also zur Religion, welche die Philosophie erst wahrhaft weise macht. Philons Interpretation der Schöpfungsberichte der Genesis ist denn auch ein höchst anspruchsvoller religionsphilosophi-

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Vgl. Eusebios von Caesarea, Praep. ev. VIII,10,4; XIII,12,1.4; vgl. auch N. W ALPseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung. Pseudo-Phokylides, PseudoOrpheus. Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter (JSHRZ IV/3), Gütersloh 1983, 135–278, hier 270 ff.274; ähnlich Philon, Quaest. Gen. IV,152. 48 Eusebios von Caesarea, Praep. ev. IX,26,1. 49 Vgl. 1. Kön 10,1–10; 2. Chr 9,1–9. 50 U. W ILCKENS, Art. σοφία κτλ. C. Judentum, ThWNT 7, Stuttgart 1964, 497–510, hier 501. 51 Philon, Opif. 8: φιλοσοφίας ἐπʹ αὐτὴν φθάσας ἀκρότητα. TER,

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scher Traktat, vorgestellt als Lehre von »Mose dem Großen«. 52 Von diesen zum exemplarischen Weisen stilisierten Repräsentanten der jüdischen Tradition fällt nun auch ein entsprechendes Licht auf deren Anhänger. 2.3.2. Die Gemeinschaft der mosaischen Weisen Philon kann das Judentum, das den Gesetzen des Mose gehorcht, als eine Art Philosophenschule verstehen, als οἱ κατὰ Μωυσῆν σοφοί, als die Gemeinschaft der »mosaischen Weisen«. 53 Dass dieses weisheitliche Selbstverständnis nicht nur ein Elitephänomen war, sondern auch die Praxis des common Judaism54 geprägt hat, zeigen die Synagoge und die Feier des Sabbats in derselben. Wie immer es um den Ursprung dieser Institution bestellt ist, der Ort der Lesung und des Gebetes wird in hellenistischer Zeit zugleich und vor allem zu einem Ort der religiösen Unterweisung, der Gottesdienst verschmilzt mit der Lehre.55 Erster Zeuge dieser Entwicklung scheint wiederum Jesus Sirach zu sein, bei dem erstmals expressis verbis vom jüdischen Lehrhaus (‫ )בית מדרשׁ‬und vom Sitz des Lehrers die Rede ist.56 Philon kann dann die Synagogen διδασκαλεῖα nennen, Schulen, in denen die πάτριος φιλοσοφία gepflegt werde, indem man die Zeit damit zubringe, die ἐπιστήµη καὶ θεωρία τῶν περὶ φύσιν zu erwerben und jede Art von Tugend einzuüben, d. h. im Klartext: Die Juden erklären die Welt und verwirklichen zugleich das Ideal der Übereinstimmung von Lehre und Leben, sind also qua Religion in der theoretischen wie in der praktischen Philosophie führend.57 Durch die dargestellte Sapientisierung hat das Judentum seine religiöse Überlieferung in die hellenistisch geprägte Kultur hinein vermittelt. Es hat sie so wohl nicht nur sich selbst verständlich gemacht, sondern ist auch anderen gegenüber von Neuem sprachfähig geworden. Anders ist die Attraktivität des Judentums für gebildete Heiden nicht zu erklären, die neben 52

Vgl. ebd., 12: µέγας Μωυσῆς. Conf. ling. 77; Josephus interpretiert dann die einzelnen Gruppierungen des Judentums als philosophische Gruppierungen, vgl. Ant. XIII,5.9 (§§ 171–173); XVIII,1,2–5 (§§ 11–17). 54 So eine Formulierung von E. P. SANDERS, Judaism. Practice and Belief, 63 BCE–66 CE, London/Philadelphia 1992, 47 ff. 55 Vgl E. SCHÜRER, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ. 175 B.C.–A.D. 135. A New English Version, Band II, revised and edited by G. V ERMES/F. M ILLAR/M. B LACK, Edinburgh 1979, 424: »For it should above all be borne in mind that the main object of these Sabbath meetings was not religious worship in the narrower sense, but religious teaching, i.e. instruction in the Torah«. 56 HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 31), 145: »[…] man wird kaum fehlgehen, wenn man vermutet, dass beide Phänomene auch mit der Entwicklung des Synagogeninstituts in Palästina zusammenhängen«. 57 Vgl. Philon, Mos. II,39 (216); vgl. auch Legat. 23 (156). 53

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dem bekannten antiken Antijudaismus ja immer bestand und die sich nicht zuletzt im Kreis der Gottesfürchtigen und Sympathisanten dokumentiert,58 die zudem auch die ersten Adressaten der frühchristlichen Mission außerhalb des Judentums waren. Es ist damit zum Wegbereiter der frühchristlichen Theologie geworden, wobei eine besondere Bedeutung zweifellos Alexandria zukommt: Dort entstanden die meisten der oben vorgestellten jüdischen Schriften, und dort beginnt auch mit Clemens und Origenes das, was man im eigentlichen Sinn christliche Theologie nennen kann.

3. Der Beginn der Sapientisierung im Neuen Testament: Die dialektische Rezeption des Weisheitsbegriffs bei Paulus und in seiner Schule Die Explikation der paulinischen Kreuzestheologie in 1. Kor 1f. ist ein frühes, in seiner Komplexität höchst eindrückliches Beispiel für den bereits zwei Jahrzehnte nach Jesu Tod zu beobachtenden Prozess der produktiven Auseinandersetzung mit den »Griechen, die Weisheit suchen« (1,22). Wohl herausgefordert durch die Korinther,59 grenzt sich der Apostel zum einen von einer zur »Wortweisheit« (1,17) bzw. »Weisheit des Kosmos« (1,20; vgl. 3,19) abqualifizierten Weisheit schroff ab und stellt dieser das Kreuz entgegen, das den nach solcher Weisheit fragenden Griechen nur als Torheit erscheinen könne (1,23; vgl. 1,18). Provokativ unterstreicht er diesen Gegensatz noch, indem er das Kreuz als das in Opposition zur Weisheit der Welt stehende Törichte Gottes bestimmt (τὸ µῶρον τοῦ θεοῦ). Damit ist das Weisheitsthema für Paulus jedoch keineswegs erledigt. Im Folgenden bleibt der Apostel nicht bei der Antithese von Weltweisheit und Torheit des Kreuzes stehen, sondern sagt von der göttlichen Torheit zugleich, dass sie »weiser als die Menschen« (σοφώτερον τῶν ἀνθρώπων) sei (1,25), eine Behauptung, die er im Folgenden durch eine durchaus anspruchsvolle Argumentation zu erhärten sucht. Mit anderen Worten: Paulus expliziert seine theologia crucis dialektisch im Horizont der (im griechischen Denken beheimateten) Weisheit, indem er zum einen die Interpretationshoheit eines remoto Christo interpretierten griechischen Weisheitsbegriffes bestreitet, andererseits aber die dieser menschlichen Weisheit widersprechende Torheit Gottes dennoch als Weisheit deutet; als Gottes weisere Weisheit ist sie gleichsam Weisheit in Potenz. Dass diese sich in der Dialektik negierender Überbietung vollziehende Rezeption des Weisheitsbegriffs keineswegs nur

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Vgl. dazu F. SIEGERT, Gottesfürchtige und Sympathisanten, JSJ 4 (1974), 109–164. Vgl. C. W OLFF, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 7), Leipzig 1996, 33. 59

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ironisch zu verstehen ist,60 sondern dass Paulus sehr bewusst den Weisheitsbegriff für die Torheit Gottes reklamiert, zeigt sich daran, dass der Apostel im Folgenden immer wieder auch den Inhalt des christlichen Glaubens und seiner Verkündigung als Weisheit bezeichnet, als »Gottes Weisheit« (1,24; vgl. auch Röm 11,33), als die »Weisheit bei den Vollkommenen« (1. Kor 2,6) bzw. als die »Weisheit Gottes im Geheimnis« (2,7), so wie ja auch »Christus uns durch Gott zur Weisheit wurde« (1,30). Gott ist »der allein Weise«, wie dann wohl ein Schüler des Paulus am Ende des Römerbriefes sagen kann (Röm 16,27).61 Allerdings bleibt dies beim Apostel, der nicht Gefahr laufen will, seine Christusbotschaft auf das Prokrustesbett eines allgemeinen Weisheitsbegriffs zu zwingen, durchweg verbunden mit einer gleichzeitigen Abgrenzung von der »Menschenweisheit« (1. Kor 2,5; vgl. 2,13) bzw. der »Weisheit dieses Äons« (2,6). Im Kontext der Christologie wird somit die schon im Judentum zu beobachtende Spannung in der Interpretation des Weisheitsbegriffs dadurch gelöst, dass dieser nun gleichsam aufgespalten wird in eine menschliche und eine göttliche σοφία.62 Damit hat Paulus innerhalb des Christentums die skizzierten Tendenzen des Antiken Judentums rezipiert, zugleich aber modifiziert. Die Paulusschule hat seine Verbindung von Christologie und Weisheit programmatisch verstärkt.63 Die dialektische Neubestimmung des Weisheitsbegriffs im Kontext der Christologie wurde allerdings vereinfacht, indem beim Weisheitsbegriff selbst die negierende Überbietung in eine mehr oder weniger unmittelbare Identifikation überführt wird:64 So kann der Kolosserbrief von Christus sagen, dass in ihm alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind (Kol 2,3). An die Stelle der paulinischen Differenzierung innerhalb des Weisheitsbegriffs tritt stattdessen die Entgegensetzung der Weisheit in Christus zu »Philosophie und leerer Täuschung« (Kol 2,8), die auf der Überlieferung der Menschen beruht und den Mächten des Kosmos und nicht Christus entspricht. Diese Unterscheidung der σοφία von der φιλοσοφία bestimmt dann die patristische Rezeption des Weisheitsbegriffs. 60

So etwa L. SCHOTTROFF, Der Glaubende und die feindliche Welt (WMANT 37), Neukirchen-Vluyn 1970, 195. 61 Zur Textkritik an dieser Stelle vgl. E. LOHSE, Der Brief an die Römer (KEK 4 15), Göttingen 12003, 417. 62 Ähnliches ist etwa beim Wahrheitsbegriff im Johannesevangelium zu beobachten. Als Missverständnis inszeniert in dem Gespräch zwischen Jesus und Pilatus (Joh 18,33– 38), wird erstmals bei der Rezeption eines zentralen theologischen Begriffs differenziert zwischen dessen abgelehnter Interpretation extra Christum (Joh 18,38) und der Neubedeutung im Rahmen der christlichen Botschaft (Joh 18,37; 14,6 u. ö.). 63 Vgl. Kol 1,9.28; 2,3; 3,16; 4,5; Eph 1,8.17; 3,10. 64 Angedeutet wird der paulinische Vorbehalt noch, wenn Kol 2,3 sagt, dass diese Weisheit in Christus verborgen ist; ähnlich könnte auch der Widerspruch der Philosophen gegen die paulinische Predigt in Apg 17 gedeutet werden.

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Ähnliches gilt auch für das lukanische Doppelwerk, das ja zumindest seinem Selbstverständnis nach auch in den weiteren Kreis der Paulusschule hineingehört. Wie im Epheser- und Kolosserbrief wird die Verweisheitlichung im lukanischen Doppelwerk zu einem die gesamte Schrift bestimmenden Programm: Jesus ist der Inbegriff des Weisen (Lk 2,41–52), während die Philosophen diese Botschaft nicht verstehen (Apg 17). Bereits in der Mitte des zweiten Jahrhunderts definiert Justin der Märtyrer den christlichen Glauben als die »allein zuverlässige und nützliche Philosophie« und profiliert sich selbst zugleich als deren Philosophen (Dial. 8,1f.). Justin, der schon vor seiner Bekehrung Philosoph war, trug dann auch als Christ den Philosophenmantel. Ein halbes Jahrhundert später sagt Clemens Alexandrinus von der wahren Philosophie, dass diese durch den Sohn gegeben sei und deshalb »Gottes Weisheit« heiße (Strom. I,90,1 – Letzteres ein klares Zitat aus 1. Kor 1). Zwar blieb diese vor allem in Alexandria bestimmend gewordene Synthese von Philosophie und Glaube nicht unwidersprochen, wie die Einsprüche eines Tatian oder eines Tertullian zeigen; Letzterer fragt unter Bezug auf Kol 2,8 im Blick auf die sapientia humana: »Quid ergo Athenis et Hierosolymis? Quid academiae et ecclesiae?«65 Aber aufs Ganze fördern derartige Einsprüche nur die bereits im Neuen Testament wirksame Differenzierung im Weisheitsbegriff, sie ändern aber nichts daran, dass die philosophische Weisheit mit dem christlichen Glauben in der Folgezeit eine enge, wenngleich keinesfalls immer spannungsfreie Verbindung eingeht. Augustin kann es auf die auch später in der Scholastik und in der Renaissance wieder zitierte Formel bringen: »pietas est sapientia«. 66

65 Praescr. 7,9. In den folgenden Ausführungen polemisiert Tertullian explizit gegen die christliche Rezeption der stoischen und platonischen Philosophie (7,11). 66 Conf. VII,20,26; Trin. XIV,1,3; vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica II-II 45,1; weiter M. Ficino, Brief an Martin Uranius vom 1. Juni 1491: »Pietas enim summa quaedam apud Deum sapientia est«.

Philosoph und Priester: Plutarch als Theologe1 Anlässlich eines Länderspiels der deutschen Fußballnationalmannschaft blickte der Kommentator etwas wehmütig zurück auf einen großen Spielmacher der 60-er Jahre, der in fast allen Bereichen gleichermaßen perfekt und zugleich Kopf der Mannschaft gewesen war, eben ein »Plutarch des Mittelfeldes«. So gezwungen, ja prätentiös dieser Vergleich auch anmutet – bemerkenswert ist, dass einem Fußballkommentator, der nach einer Metapher für ein Allroundgenie sucht, das nicht nur die einzelnen Sparten seines Genres beherrscht, sondern auch den Gesamtzusammenhang souverän überblickt, Plutarch in den Sinn kommt. Denn wie nur wenige Schriftsteller reüssierte Plutarch in den verschiedensten Bereichen, in der Naturwissenschaft ebenso wie in der Kunst, in Tierpsychologie, Medizin und Pädagogik, in Literatur und Politik, ganz zu schweigen von seinen berühmten Parallelbiographien und der Fülle seiner philosophischen und ethischen Schriften. Und doch war er kein bloßer Vielschreiber. Die Vielfalt der Stoffe wird zusammengehalten und gebändigt von dem Bemühen, die unübersichtlichen Phänomene wie die vielfältigen Überlieferungen zu sichten und zu deuten und so in einer mehrdeutigen Wirklichkeit Sinn und Plan zu entdecken. Hermeneutische Prämisse dieses Programms ist die Überzeugung, dass diese Wirklichkeit die (in der Zeit geschehene)2 Schöpfung eines Gottes ist, der sie als ἄρχων καὶ κύριος ἁπάντων (vgl. De sera 4,550a) prägt und bestimmt. Ungewöhnlich ist dabei nicht nur die religiöse Komponente als solche,3 1

Zu danken habe ich den Teilnehmern am gemeinsamen Oberseminar mit dem religionswissenschaftlichen Kollegen U. Berner für ihre Anregungen. 2 Im Gegensatz zu den meisten antiken Platonauslegern versteht Plutarch den Timaios wörtlich, geht also von der realen Schöpfung der Welt durch den Gott aus (vgl. dazu D. A. RUSSELL, Plutarch, London 1973, 65; J. M. D ILLON, The Middle Platonists, London 21996, 206–208; F. E. BRENK, An Imperial Heritage. The Religious Spirit of Plutarch of Chaironeia, in: ANRW II/36.2, Berlin/New York 1987, 248–349, hier 265 ff.). 3 Seine Porträtierung des Kleombrotos in De def. orac. 2,410b, dass er »Wissen gleichsam als Rohstoff für seine Philosophie sammelte, welche die θεολογία […] zum Ziel hatte«, enthält möglicherweise einen Hinweis auf sein eigenes Selbstverständnis (vgl. R. FLACELIÈRE, La théologie selon Plutarque, in: Mélanges de philosophie, de littérature et d’histoire ancienne offerts à Pierre Boyancé [CEFR 22], Rom 1974, 273–280, hier 278: »Je crois que Plutarque lui-même considérait la θεολογία comme la partie la plus haute,

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sondern deren Verankerung in den Mythen und Riten der ›positiven‹4 Religion, die ausgelegt und in Plutarchs Gegenwart übersetzt werden. Diese Eigenart hat sicher damit zu tun, dass Plutarch außerordentlich eng mit der praktizierten Religion seiner Zeit verbunden war, nicht nur mit den in der Kaiserzeit florierenden Mysterien,5 sondern auch und vor allem mit dem zu seiner Zeit keineswegs mehr florierenden delphischen Orakel. *** Dass Plutarch delphischer Priester war, wird häufig erwähnt. Weit seltener wird darüber nachgedacht, was dieses für sein Werk bedeutete. Dabei verdiente dies durchaus Aufmerksamkeit; denn es gibt nur wenige Philosophen, die überhaupt als Priester einer bestimmten Religion in Erscheinung treten, und meines Wissens gibt es keinen, der sich diesem Amt so verschrieben hätte wie Plutarch: Wohl mehr als zwei Jahrzehnte ›diente‹ er nach eigenen Angaben dem pythischen Apollon.6 Er verzichtete auf eine gehobene politische Karriere, die ihm bei seinen glänzenden Beziehungen wohl möglich gewesen wäre, und blieb seiner Heimatstadt und Delphi treu. Der in die Zeit seiner Priesterschaft fallende erneute Aufschwung des Orakels dürfte wohl zu einem Gutteil sein Verdienst gewesen sein.7 Die enge le τέλος de la philosophie«; ähnlich M. P. N ILSSON, Geschichte der griechischen Religion, Zweiter Band [HAW V/2,2], München 41988, 403; RUSSELL, Plutarch [Anm. 2], 75; R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarch, in: Metzler Lexikon antiker Autoren, hg. v. O. SCHÜTZE , Stuttgart u. a. 1997, 561–565, hier 563). Sicher ist dies allerdings nicht, denn Plutarch kritisiert auch die unkritische Haltung des Kleombrotos. In jedem Fall ist, wie Flacelière gezeigt hat, ›Theologie‹ für Plutarch nicht nur Mythenerzählung, sondern sie hat für die Wahrheitserkenntnis zentrale Bedeutung. 4 Unter ›positiver Religion‹ wird im Sinne des deutschen Idealismus die geschichtliche Religion verstanden (im Unterschied zum Kunstprodukt der philosophischen Vernunftreligion). 5 In Consol. ad ux. 611d–f sagt Plutarch, dass er mit seiner Frau in die dionysischen Mysterien eingeweiht ist. Aus De Iside 35,364e kann vermutet werden, dass er ebenfalls Isismyste war. Auch sonst kommt Plutarch öfters auf die Mysterien zu sprechen (vgl. Quom. quis suos 81d–e). 6 In An seni 17,792f sagt er als Greis, er habe »viele« der alle vier Jahre stattfindenden Pythien (πολλὰς Πυθιάδας) dem Apollon gedient (Πυθίῳ λειτουργοῦντα). Ziegler ist wohl darin recht zu geben, dass ›viele‹ nicht weniger als fünf, sicher aber auch mehr bedeuten kann (K. ZIEGLER, Art. Plutarchos 2], PRE XXI,1, Stuttgart 1951, 636–962, hier 660). Vermutlich hat Plutarch vorher auch schon einfachere Dienste in Delphi geleistet (vgl. BRENK, Heritage [Anm. 2] 254). 7 Es ist umstritten, ob die Bemerkungen Theons (De Pyth. orac. 29,409b–c) über eine ungenannte Person, die wesentlich dafür gesorgt habe, dass das Heiligtum aus der vorangegangenen Dürre, Öde und Armut wieder zu Glanz, Reichtum und Ehre gekommen sei, sich auf Plutarch selbst beziehen (so etwa Z IEGLER, Plutarchos [Anm. 6], 661) oder eher auf Trajan. In jedem Fall zeigt die noch erhaltene Basis einer Statue, die ihm die Ein-

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Verbindung mit dem delphischen Priesteramt prägt auch sein Werk, am auffälligsten in den Πυθικοὶ λόγοι, die – ausgehend von delphischen Fragen8 – Grundsätzliches zum Verhältnis Gott-Wirklichkeit erörtern. Vielfältig sind die Verweise auf das delphische Orakel in den Viten,9 aber auch in seinen anderen Schriften kommt Plutarch immer wieder auf Delphi als Nabel der Welt (De def. orac. 1,409e) zurück. Mit dem selbstkritischen »γνῶθι σαυτόν« und dem darauf antwortenden »Ε« (gedeutet als »du bist«, d. h. als Anerkennung des wahren Seins der Gottheit) ist die Orakelstätte Ort der Begegnung des endlichen Menschen mit dem allein wahrhaft seienden Gott.10 Diese Verbindung von Religionsphilosophie und Kult ist alles andere als selbstverständlich. Zwar spielt auch bei Plutarchs Zeitgenossen Seneca und Epiktet der Gottesbezug eine bedeutende Rolle, doch hat dieser mit den traditionellen Formen von Religion wenig zu tun, ja, er kann davon sogar explizit abgesetzt werden.11 Auch Plutarch ist keineswegs unkritisch gegenüber den Entartungen von Religiosität (s. u.), aber die göttliche Wahrheit steht für ihn nicht im Gegensatz zur ›positiven‹ Religion. Vielmehr versteht er diese mit ihren Mythen wie ihren Riten als Ausdrucksform einer durchaus glaubwürdigen Lehre, 12 in der sich der dem Menschen nicht unmittelbar zugängliche Gott, in ›rätselhafte Weisheit‹ (αἰνιγµατώδης

wohner Delphis zusammen mit den Chaironeern aufgrund eines Beschlusses der Amphiktyonenversammlung errichtet haben, wie hoch die Zeitgenossen den Einsatz des Philosophen für das Orakel geschätzt haben. 8 Es handelt sich um die Form der pythischen Weissagungen (De Pythiae oraculis), den Niedergang des Orakelwesens (De defectu oraculorum) oder das »E« an der Fassade des Apollontempels (De E apud Delphos). 9 Nur in fünf seiner griechischen Viten spielt das delphische Orakel keine Rolle (Kimon, Dion, Eumenes, Alkibiades, Pyrrhos). Wie der Vergleich mit anderen Quellen zeigt, hat Plutarch in den Viten die Bedeutung Delphis gesteigert, ins Positive gewendet und die Beziehungen zu Rom verstärkt (vgl. dazu B RENK, Heritage [Anm. 2], 330 ff.). 10 Der Mensch hat von sich aus keinen Anteil am wahren Sein: ἡµῖν µὲν γὰρ ὄντως τοῦ εἶναι µέτεστιν οὐδέν (De E 17,392a). Dagegen wird der delphische Apollon direkt mit dem ὄντως ὄν der platonischen Metaphysik identifiziert (De E 17–20,392a–394c). 11 Vgl. Seneca, Ep. 41,1: »Non sunt ad caelum elevandae manus nec exorandus aedituus ut nos ad aurem simulacri, quasi magis exaudiri possimus, admittat: prope est a te deus, tecum est, intus est.« Vgl. dazu M. P OHLENZ, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 51978, zu Seneca S. 321; zu Epiktet S. 340. Beißend ist die Kritik der Volksfrömmigkeit beim stoischen Satiriker Persius (34–62), besonders in seiner Satura secunda. 12 In De Iside 45,369b sagt er im Zusammenhang einer Mythenauslegung, dass eine »uralte Lehre« (παµπάλαιος δόξα) von den Theologen auf die Philosophen überkommen sei, die »nicht allein in Worten und Überlieferungen, sondern auch in Mysterien und Opferriten unter Barbaren wie unter Griechen« weitergegeben werde.

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σοφία)13 gehüllt, vermittelt. Dementsprechend treten für ihn neben die klassischen Autoritäten Homer und vor allem Platon14 die religiösen Überlieferungen, um als ein ›Spiegel der Wahrheit‹ von ihm einer fortlaufenden Exegese unterzogen und dem Göttlichen angemessen, d. h. im Sinne seiner philosophischen Theologie, gedeutet zu werden.15 Dies umfasst nicht nur den griechischen und römischen Bereich, sondern (im Kontext des multikulturellen Synkretismus des Imperium Romanum) auch Orientalisches.16 *** Plutarchs Verbundenheit mit der lebendigen, praktizierten Religion zeigt sich auch in dem für ihn charakteristischen lebenslangen 17 Bemühen um die Kultivierung der Religiosität. Denn wie kaum ein anderer Bereich ist menschliche Religiosität nach Plutarch beständig von Irrtümern bis hin zu pathologischen Pervertierungen bedroht. Aus derselben Wurzel, nämlich der περὶ θεῶν ἀµαθία καὶ ἄγνοια, entspringen je nach psychischer Prädisposition zwei Extreme:18 Auf der einen Seite ist es das maßlose Zuviel der δεισιδαιµονία, bei der die an sich gute Scheu vor den Göttern zur krankhaften Götterangst degeneriert,19 die als zwanghafte Religiosität weder der

13 So eine Definition der ägyptischen θεολογία in De Iside 9,354c; zur verschlüsselten Selbstmitteilung Gottes vgl. auch H. D ÖRRIE, Gnostische Spuren bei Plutarch, in: R. VAN DEN BROEK/M. J. VERMASEREN, Studies in Gnosticism and Hellenistic Religions (FS G. Quispel), Leiden 1981, 92–116, bes. 99 f. 14 Eine fortlaufende Platonexegese findet sich in den Platonicae Quaestiones sowie im Timaios-Kommentar (De animae procreatione in Timaeo). 15 Richtig von der Gottheit reden nach De Iside 11,355c οἱ ἐξηγουµένοι τὸν µῦθον ὁσίως καὶ φιλοσόφως. Das erinnert nicht nur an die philosophische (vor allem stoische) Homerexegese, sondern vielleicht mehr noch an die Bemühungen der (alexandrinischen) Juden, die eigenen, der Mitwelt fremden und unverständlichen Traditionen und Bräuche als Ausdruck einer allgemein einsichtigen Wahrheit zu deuten und so in die Gegenwart zu übersetzen (vor allem der Aristeasbrief und Philon). Damit waren sie prägendes Vorbild für frühchristliche Theologen wie Clemens Alexandrinus und Origenes. 16 Besondere Bedeutung haben ägyptische Mythen (vgl. De Iside et Osiride). Plutarch legt aber auch den zoroastrischen Mythos aus (vgl. De Iside 45–47,369d–370c) und hat einen (verlorengegangenen) Traktat über den Gürtel der Magna Mater Kybele verfasst. Auch das Judentum wird von ihm wahrgenommen, dessen Gott mit Dionysos identifiziert (Quaest. conv. 671c ff.). 17 Von seinem Frühwerk De superstitione bis zu seinem Alterswerk De Iside et Osiride kommt er immer wieder darauf zu sprechen und gibt auch in den Viten dafür eindrückliche Beispiele. 18 De superst. 1,164e; vgl. De Iside 68,378a. 19 Vgl. H.-J. KLAUCK, Plutarch von Chaironeia. Moralphilosophische Schriften, Stuttgart 1997, 58: »Nicht von der Grundbedeutung, wohl aber vom Kontext her würde man δεισιδαιµονία bei Plutarch am besten wiedergeben mit: Glaube aus Angst vor Gott, from-

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göttlichen Güte noch der menschlichen Würde angemessen ist. Durch seine Lächerlichkeit ist solcher ›Aberglaube‹ auch Wasser auf die Mühlen der Atheisten (De superst. 12,171a), die – das ist das andere Extrem – der Hybris der ἀθεότης verfallen. Beide Haltungen sind eine Art psychischer Krankheit (vgl. De superst. 1,164e–165a), beide sind gefährlich, weil letztlich selbstzerstörerisch.20 Plutarch empfiehlt als einzig angemessene Haltung gegenüber Gott bzw. dem Göttlichen21 die εὐλάβεια, womit er im Blick auf das göttliche Gegenüber die fromme Scheu, im Blick auf das urteilende Subjekt die im Wissen um die Grenzen der eigenen Urteilsfähigkeit gründende Behutsamkeit und Gewissenhaftigkeit meint.22 *** Bemerkenswert ist dabei auch Plutarchs Sensibilität für die Fragen und Zweifel seiner Adressaten. Man könnte (in Anlehnung an Platons ἐπιµέλεια ψυχῆς23) geradezu von einer ›seelsorgerlichen‹ Haltung Plutarchs sprechen.24 Besonders deutlich tritt dies in seinem Dialog25 De sera numi-

mer Angstwahn in all seinen Formen, Religion als aus der Angst entsprungene Zwangsneurose und Zwangsritual.« 20 Plutarch betont ausdrücklich, dass die Beschäftigung des Menschen mit dem Göttlichen »nicht ungefährlich« ist (vgl. De Iside 378a: οἱ … ἐπὶ τὰ θεῖα τὴν νόησιν ὁδηγοῦντες οὐκ ἀκινδύνως). Im gleichen Zusammenhang vergleicht er den ›Aberglauben‹ mit einem Sumpf, die Gottlosigkeit mit einem Abgrund. Trauriges Beispiel ist Alexander der Große, der zuletzt in panischer Götterfurcht die Kontrolle über sich verliert. Plutarch kommentiert: »Etwas Schreckliches ist Ungläubigkeit und Missachtung der Götter; schrecklich ist aber auch die δεισιδαιµονία, die wie Wasser immer in das Tieferliegende hinabzieht …« (Alexander 75). 21 Plutarchs Terminologie im Blick auf das Göttliche ist nicht einheitlich: Neben den relativ häufigen Singular θεός kann der Plural ›die Götter‹ treten, aber auch δαιµόνιον kann immer wieder im Sinne von ›Gottheit‹ gebraucht werden, und zwar ohne die Einschränkung einer niedrigeren und somit teilweise auch negativen Seinsweise, die dem personaleren δαίµων bzw. δαίµονες eignet. Neben θεός bevorzugt Plutarch allerdings das Abstraktum τὸ θεῖον. Das Nebeneinander von θεός und τὸ θεῖον ist bezeichnend für Plutarchs Gottesbegriff, in dem sich persönliche und unpersönliche Momente mischen. 22 Vgl. dazu die aufschlussreichen Ausführungen in De sera 4–5,549e–550c. 23 Vgl. dazu H. GÖRGEMANNS, Platon, Heidelberg 1994, 132 ff. 24 Plutarch wurde sein ganzes Lebens lang von ratsuchenden Menschen angegangen: In Demosthenes 2 spricht er von »vielen«, die sich an ihn wandten und dabei zeitlich so beanspruchten, dass er erst spät dazu kam, Latein zu lernen. Dies hat auch seine ethischen Schriften geprägt, die als Ratgeber zu unterschiedlichen Lebensfragen verfasst sind (vgl. die Einleitung seiner Eheratschläge [Coni. praec. 138b]). Ziegler spricht deshalb gar von Plutarch als einem »Beichtvater und Seelenarzt« (Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung. Religionsphilosophische Schriften. Eingeleitet und neu übertragen von K. ZIEGLER [BAW], Zürich/Stuttgart 1952, 9; vgl. auch DERS., Plutarchos [Anm. 6], 656).

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nis vindicta zutage. Da es sich dabei um sein vielleicht »ausgereifteste[s] und durchdachteste[s] Werk« handelt,26 soll darauf hier etwas ausführlicher eingegangen werden: Im delphischen Tempelareal wird eine religiöse Grundfrage diskutiert, nämlich die scheinbar durch Gott nicht bzw. nicht angemessen gehinderte Wirksamkeit der Bösen, die die Vorstellung eines gerechten göttlichen Weltregiments27 ad absurdum zu führen scheint. Klarheit in dieser Frage ist für Plutarch offensichtlich so wichtig, dass er hier nicht (wie sonst fast immer) andere auftreten und ihre verschiedenen Positionen vorbringen lässt, sondern dass er selbst als Hauptsprecher agiert, der auf alle Anfragen die Antworten gibt, sodass in diesem Dialog kein Zweifel an der Position des Autors bestehen kann.28 Ungewöhnlich ist schon der Auftakt: Ein Skeptiker mit Namen Epikur entfernt sich, ohne dass man erfahren würde, was er eigentlich gesagt hat. Alles konzentriert sich vielmehr auf die Zweifel, die die Einwände des Skeptikers bei den Dialogpartnern ausgelöst haben, oder um es mit einem dort verwendeten Bild zu sagen: wo sie ›getroffen‹ und ›verwundet‹ wurden (1,548b–c). Indem er so den Ausgangspunkt bei den Anfechtungen seiner Gesprächspartner nimmt, verzichtet Plutarch auf die Erledigung dieses Problems auf der Metaebene, wie dies viele andere tun. Statt die geläufigen antiepikureischen Schulargumente abzuspulen, begibt er sich im Interesse der ›Heilung‹ der durch den ἄτοπος καὶ ψευδὴς λόγος geschlagenen Wunden auf das dornige Feld der religiösen Wirklichkeitsdeutung, um der Skepsis gerade dort, wo sie angesichts des scheinbar ungehinderten Bösen beansprucht, die einzige überzeugende Antwort zu geben, Paroli zu bieten. *** Darin zeigt sich noch ein weiterer Aspekt von Plutarchs theologischem Denken: Er betreibt Apologetik. Es ist ja der Glaube an Gott bzw. das Göttliche als die beherrschende Grundstruktur der Wirklichkeit bei gleichzeitiger Überzeugung von dessen Gerechtigkeit, also die Kombination der göttlichen Eigenschaften Macht und Güte, die der Skepsis angesichts der ethischen Defizienz der Wirklichkeit prima facie Plausibilität verleiht und 25 Weitere Teilnehmer sind sein Bruder Timon, dessen Schwiegersohn Patrokleas und ein gewisser Olympichos. 26 So H.-J. KLAUCK, Mittelplatonismus und Neues Testament. Plutarch von Chaironeia über Aberglaube, Dämonenfurcht und göttliche Vergeltung, in: DERS., Alte Welt und neuer Glaube. Beiträge zur Religionsgeschichte, Forschungsgeschichte und Theologie des Neuen Testaments (NTOA 29), Göttingen/Freiburg (Schweiz) 1994, 59–81, hier 66. 27 Plutarch spricht in diesem Zusammenhang vor allem von der πρόνοια. 28 Siehe den Beitrag »Der ›Lenker und Herr von allem‹ als ›Schöpfer des Rechts‹«, unten S. 91–106.

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die von der Gerechtigkeit der göttlichen Vorsehung Überzeugten in die Defensive drängt. Plutarch hält demgegenüber dezidiert an beiden religiösen Axiomen fest.29 Von hier aus macht er sich an die schwierige Aufgabe, das gerechte Weltregiment Gottes gegen dessen Bestreitung zu verteidigen. Denn die Überzeugung, dass keine Bestrafung der Übeltäter erfolgt, ermuntert die Bösen, entmutigt die Opfer und zerstört den Glauben an das göttliche Walten und wird folglich auf ethischem wie auf religiösem Gebiet verhängnisvolle Folgen zeitigen.30 Zugleich ist dieser Traktat philosophiegeschichtlich als das bemerkenswerte Bemühen zu verstehen, eine in ihrer Fraglichkeit immer deutlicher wahrgenommene Welt nicht im Sinne eines »kosmischen Pessimismus«31 preiszugeben, sondern mithilfe der (Religions-)Philosophie einen erneuten Zugang zu erschließen. Die Apologie erfolgt auf mehreren, einander ergänzenden Ebenen: Plutarch selbst (18,561b) unterscheidet zwischen einer argumentierenden Ebene (λόγος) und einer narrativen (µῦθος). Erstere nimmt ihren Ausgangspunkt bei grundsätzlichen Überlegungen zur Leistungsfähigkeit der menschlichen Urteilskraft im Blick auf das Göttliche. Diese bilden die Grundlage alles Folgenden;32 denn die skeptische Bestreitung einer gerechten Weltlenkung beansprucht ja implizit, diese Welt so zu durchschauen, dass sie im Negativen eine definitive Aussage über das Handeln Gottes machen kann. Dies aber ist für Plutarch eine maßlose Überschätzung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Wenn schon in den Fachwissenschaften wie Medizin oder Militärwesen der Unerfahrene sich kein Urteil über die Entscheidung des Spezialisten anmaßen kann, so gilt dies erst recht im Blick auf »die größte aller Künste«, die nur Gott beherrscht: ἡ περὶ ψυχὴν ἰατρεία (4,550a). Die sich in der Negierung so sicher dünkende Skepsis wird also nun selbst einer skeptischen Betrachtung unterzogen. Unter Berufung auf die εὐλάβεια τῶν ἐν Ἀκαδεµίᾳ φιλοσόφων (4,549e) wird die Kritik auf den Kritiker selbst zurückgewendet. Dies geschieht nicht, wie Plutarch ausdrücklich feststellt, um sich den Fragen durch einen philosophischen Kniff 29

De sera 4,550a bezeichnet den ›Herrscher und Herrn des Ganzen‹ zugleich als δηµιουργὸς δίκης. In 3,549d wird Gott als »Aufseher über die menschlichen Taten und Affekte« charakterisiert. In De Iside 45,369a–b polemisiert Plutarch gegen die Stoiker, weil sie mit ihrem Monismus Gott sogar für das Übel verantwortlich machten. 30 In De sera 2–3,548c ff. werden von den beiden ersten Gesprächspartnern diese beiden Einwände nacheinander vorgebracht. 31 Vgl. E. R. DODDS, Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst. Aspekte religiöser Erfahrung von Marc Aurel bis Konstantin (stw 1024), Frankfurt a. M. 1992, 76; zu Plutarch als ›Vorbote‹ dieses Zeitalters vgl. ebd., 20. 32 4–5,549e–550c. Plutarch leitet diese Ausführungen ein mit der Wendung ἀφʹ Ἑστίας ἀρχόµενοι, die bei ihm auch anderswo begegnet (vgl. De amic. mult. 93e) und die als sprichwörtliche Wendung den Beginn mit der Hauptsache anzeigt (vgl. K LAUCK, Schriften [Anm. 19], 206).

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zu entziehen. Vielmehr dient diese Grundlegung dazu, dass die folgende Argumentation (λόγος), hiermit »gleichsam auf Hafen und Zuflucht blickend«, nun »umso getroster« der von der Skepsis aufgeworfenen Aporie τὸ πιθανόν entgegenstellen kann, das Überzeugende als das Wahrscheinliche (5,550c). Mit der Bestimmung der göttlichen Aufgabe als ›Seelenheilung‹ wird auch bereits deutlich gemacht, dass sich das göttliche Handeln nicht im Bestrafen erschöpft, sondern auf Verbesserung abzielt.33 Diese Vorstellung bestimmt auch die folgende Argumentation, die sich nun der Deutung der Phänomene von Strafverzögerung widmet. Vom Umfang her ist dies der größte Abschnitt, der durch zwei klar abgegrenzte Fragekomplexe nochmals in eine individuelle und eine kollektive Behandlung des Vergeltungsproblems zweigeteilt ist. Aus verschiedenen Perspektiven zeigt Plutarch dabei, dass die Verzögerung der Strafe durchaus im weiterblickenden und auf Verbesserung abzielenden Planen Gottes einen guten Sinn haben kann und deshalb keineswegs zwingend auf das Fehlen jeder Vorsehung hinweist. Man hat Plutarch vorgeworfen, er versuche, sich »angesichts der Unlösbarkeit des Problems mit rationalen Methoden« in den Mythos zu retten, wobei die Härte der erfundenen Strafen direkt proportional zu seiner Verlegenheit sei.34 Doch diese Interpretation wird Plutarch nicht gerecht. Schon der Logos kann und will nichts ›lösen‹ oder ›beweisen‹. Wenn wir, so Plutarch, »sogar bei dem, was wir selbst tun, das Gewisse und die Wahrheit nicht sicher sagen können«, so gelte dies umso mehr »auf dem dunklen und viele Umwege und Verirrungen einschließenden Weg der Untersuchung über den Gott« (14,558d). Deshalb kann es nur darum gehen, »mit Behutsamkeit und Scheu« (µετʹ εὐλαβείας) zum Wahrscheinlichen und Plausiblen (πρὸς τὸ εἰκὸς καὶ πιθανόν) bedächtig den Weg zu weisen« (ebd.).35 Dieser Aufgabenstellung entsprechend versucht Plutarch daher auf den verschiedenen Ebenen (von der Psychologie bis zur Vererbungslehre, von der Naturwissenschaft bis zur Theologie, von der Geschichte bis zur Ethik) aufzuzeigen, dass die Behauptung der skeptischen Kritik, die Wahrnehmung der Phänomene ließe nur den einen von ihr gezogenen Schluss zu, durch den Aufweis einer alternativen Deutungsmöglichkeit widerlegt werden kann, ja, dass eine andere Deutung sogar näherliegend ist. Damit hat Plutarch nicht nur der Skepsis ihr Erklärungsmonopol für die Wirklichkeit bestritten, sondern auch zu ihren impliziten hermeneutischen Voraussetzungen eine positive Alternative aufgezeigt: An die Stelle des 33

Plutarch steht damit in der Tradition Platons (vgl. G ÖRGEMANNS, Platon [Anm. 23],

70). 34 35

ZIEGLER, Plutarchos (Anm. 6), 849. Vgl. weiter 5,550c; 18,561b.

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skeptischen de omnibus dubitandum tritt bei ihm eine Hermeneutik des Vertrauens.36 Mag solches auch nicht den eingefleischten Skeptiker überzeugen (der ja deshalb schon vor Beginn die Bühne verlässt), so ermöglicht die fides quaerens intellectum dem Zweifelnden einen anderen Blick auf die Wirklichkeit, der ihn in dieser durchaus Hinweise auf einen sinnvollen Gesamtzusammenhang entdecken lässt. *** Gerechtigkeit ist in dieser Welt nie vollständig realisiert.37 Deshalb findet der Logos seine Fortsetzung im Mythos.38 Das bislang fragmentarisch plausibel gemachte Walten einer gerechten göttlichen Weltlenkung wird nun gleichsam visionär verabsolutiert. Leitmotiv ist die uneingeschränkte Gerechtigkeit, die erst im jenseitigen Machtbereich der Adrasteia möglich ist (24–25,564e–f). Wie auch bei Platon wird dies deutlich als Genuswechsel gekennzeichnet; an die Stelle der für alle nachvollziehbaren Argumentation tritt die Vision, für deren Wahrheit der Erzähler nur noch persönlich einstehen kann. 39 Das 36

Aufschlussreich sind auch die Ausführungen in Amat. 13,756a–b über die zerstörerische Eigendynamik des skeptischen Zweifels. Plutarch kritisiert hier das Verlangen, das prinzipiell »über jeden Punkt Rechenschaft und Beweis fordert. Denn es genügt der väterliche und alte Glaube, über den hinaus sich kein klarerer Beweis angeben und finden lässt« (ἀρκεῖ γὰρ ἡ πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις, ἧς οὐκ ἔστιν εἰπεῖν οὐδʹ ἀνευρεῖν τεκµήριον ἐναργέστερον). Dieser Glaube ist die Basis der Frömmigkeit. »Wenn aber das, was bei ihm für glaubhaft und heilig gehalten wird, durch einen (etwas) erschüttert und ins Schwanken gebracht wird, dann wird er in allem unsicher und bedenklich.« Durch ein Euripideszitat (Frgm. 480) wird dies mit der Besonderheit des religiösen Wissens überhaupt begründet, das sich ausschließlich der Überlieferung verdankt: »Zeus – wer immer Zeus ist –, ihn kenne ich nur aus Erzählung« (οὐ γὰρ οἶδα πλὴν λόγῳ). 37 Im Rahmen des Logos hatte er dieses Problem dadurch zu entschärfen versucht, dass er in einem zweiten Gesprächsgang das individuelle Leben hin auf die Nachkommenschaft transzendiert, um wenigstens dort noch die Möglichkeit einer Kompensation offenzuhalten. Doch auch diese Antwort wirft wieder neue Probleme auf (etwa wenn ein böser Mann einen guten Nachkommen hat), weshalb Plutarch im Rahmen des Mythos nun den Nachkommen ausdrücklich die Möglichkeit einräumt, sich ihrerseits für die zu erduldenden Leiden an ihren Vorfahren schadlos zu halten. Plutarch würde wohl nicht auf diese (doch recht gezwungen anmutende) ›Lösung‹ zurückgreifen, wenn er nicht das Ungenügende seiner vorigen Antwort im Logos empfinden würde. 38 Wie beim Er-Mythos der Politeia werden die Erfahrungen eines Scheintoten in der ›jenseitigen‹ Welt erzählt. Durch die teilweise Trennung vom Körper wird Thespesios, der Protagonist des Mythos, in die Lage versetzt, den jenseitigen Strafort der Seelen zu sehen, genauer gesagt die drei Bereiche, an denen den jeweiligen Seelen, je nach Schwere ihrer Tat, ihre irdischen Untaten vergolten werden. 39 Vgl. schon in Platons Gorgias die drei ›bekenntnismäßigen‹ Formulierungen (523a; 524a–b; 526d); ähnlich die einleitende Bemerkung in De sera 18,561b, wo die Erzählung zwar als Mythos charakterisiert wird, aber gleich hinzugefügt wird: εἴ γε δὴ µῦθός ἐστιν.

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heißt aber nicht, dass diese eine Wahrheit minderer Qualität wäre. Schon durch immanente Textsignale wird der Mythos als Schlusspunkt des gesamten Dialogs hervorgehoben.40 Bestätigt wird dies durch argumentative Verknüpfungen: Das in der Vorsehung zum Ausdruck kommende Interesse des Gottes ist nur verständlich, wenn der Gegenstand seiner Zuwendung doch in irgendeiner Weise ihm ähnlich ist (17,560b ff.), sodass sich die Unsterblichkeit der Seele geradezu ›logisch‹ ergibt.41 Daraus wiederum folgt das Postulat einer jenseitigen Bestrafung: οὔσῃ δὲ τῇ ψυχῇ µετὰ τὴν τελευτὴν µᾱλλον εἰκός ἐστι καὶ τιµὰς ἀποδίδoσθαι καὶ τιµωρίας (18,560f–561a). Der Mythos wird so direkt im Logos verankert. Dabei ist die Bestrafung auch hier nicht auf Vergeltung reduziert, sondern zielt auf Verbesserung: Was im Leben an der Seele verdorben wurde, muss jetzt in einem Reinigungsprozess wieder in Ordnung gebracht werden, dessen Intensität und damit Schmerzhaftigkeit abhängig vom jeweiligen ›Verschmutzungsgrad‹ der Seele ist.42 Der Mythos dient so nicht nur der Vergewisserung, sondern auch der Ermahnung. Das macht schon der Auftakt deutlich, eine Bekehrungsgeschichte mit allen Schwarz-Weiß-Klischees einer solchen (22,563b– e). An dieser können die positiven Rückwirkungen der Gewissheit jenseitiger Bestrafung auf die gegenwärtige Lebensgestaltung abgelesen werden – bis dahin, dass der durch seine Jenseitsreise bekehrte Bösewicht den neuen Namen Thespesios (der ›Göttliche‹) erhält. Diesen pädagogischen Effekt soll zweifellos auch die ausgiebige Schilderung der jenseitigen Strafen haben.43 Der Mythos fügt sich also in jeder Hinsicht in die Gesamtanlage der Schrift ein.44 Noch eine Anmerkung zum Mythos, mit dem Plutarch hier – wie auch in anderen Dialogen45 – endet. Zu Recht wird dies auf Platon zurück40 Innerhalb der Argumentation des Logos war schon von Plutarch gezielt auf den Mythos verwiesen worden, und dieser wird denn auch von den Gesprächspartnern explizit eingefordert. 41 Εἷς οὖν ἐστι λόγος … ὁ τοῦ θεοῦ τὴν πρόνοιαν ἅµα καὶ τὴν διαµονὴν τῆς ἀνθρωπίνης ψυχῆς βεβαιῶν, καὶ θάτερον οὐκ ἔστιν ἀπολιπεῖν ἀναιροῦντα θάτερον (18,560f). 42 Daher beschreibt dieser Mythos, auch wenn er eine der schauerlichsten ›Höllendarstellungen‹ der antiken Literatur enthält, weniger den inferno als den purgatorio. Die einzige Ausnahme sind die »ganz unheilbaren Verbrecher«, die »ins Unsagbare, Unschaubare« hinabgestürzt werden (564e–f). 43 Vgl. dazu Non posse 25–26,1104a–c, wo die abschreckende Schilderung von Höllenstrafen (hier sogar bis hin zum Einflößen von δεισιδαιµονία!) mit der pädagogischen Abzweckung legitimiert werden kann. Analog bringt auch Vergil den ›Zweck‹ der in der Unterwelt gesehenen Qualen im Schrei des Phlegyas auf den Begriff: »Discite iustitiam moniti et non temnere divos« (Aen. VI,620). 44 Die Auseinandersetzung mit Brenks Einwänden gegen diesen Mythos (vgl. F. E. BRENK, In Mist Apparelled. Religious Themes in Plutarch’s Moralia and Lives [Mn.S 48], Leiden 1977, 26) muss hier aus Platzgründen unterbleiben. 45 Vgl. De genio Socratis, De facie quae in orbe lunae apparet.

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geführt. Zu Unrecht begnügt man sich fast durchweg mit diesem Hinweis; erklärt er doch nicht, warum Plutarch gerade hier dem Meister folgt. Andere Platoniker haben das nicht getan.46 Plutarchs Mythendichtung kann schon deshalb nicht als Epigonentum abgetan werden, sondern muss als eigenständige Fortführung der religiösen Dimension in Platons Werken verstanden werden. *** Plutarch war Exeget und Hermeneut religiöser Überlieferungen,47 Apologet der göttlichen Gerechtigkeit, ›Seelsorger‹ in religiösen Zweifeln und Anfechtungen sowie Dichter religiöser Gleichnisse. Das erinnert in vielem an das, was später zum Selbstverständnis christlicher Theologen gehörte. Dazu kommt, dass Plutarchs dialogisches, auf den religiösen Bereich gerichtetes Philosophieren auch bemerkenswerte theologische Affinitäten zum Christentum aufweist.48 Seine humane, persönliche, ein jenseitiges Gericht einschließende Religiosität hat der christlichen Mission unter den Gebildeten den Boden bereitet; Plutarch ist ein Wegbereiter der abendländischen Synthese zwischen Christentum und antiker Philosophie. Es ist sicher kein Zufall, dass Plutarchs Werke so zahlreich – von Christen! – überliefert wurden, gerade auch seine theologischen.49 Der Philosoph und 46

Eine Ausnahme bildet der pseudoplatonische Axiochos, der aber bewusst Platon imitiert. 47 Dies gilt nicht nur für seine religionsphilosophischen Schriften im engeren Sinn; vgl. etwa auch die Quaestiones Platonicae oder die Quaestiones Romanae. 48 Ziel des Menschen ist die alleinige Ausrichtung auf den Gott. Wie das Christentum betont auch Plutarch die Transzendenz Gottes, der wesenhaft einer (vgl. De E 20,393b–c) und gut (vgl. De def. orac. 24,423d) ist und dieser Welt als Schöpfer, Herr und Richter gegenübersteht. Auch Plutarch fragt nach der Erlösung des Menschen zu einem vollständigen gottgemäßen Dasein, das von einer dem Menschen erbsündenähnlich innewohnenden Neigung zum Bösen gehindert (vgl. De an. procr. 28,1027a), aber durch göttliche Hilfe gefördert wird (vgl. ebd., 1026e–f von Gott selbst, De gen. Socr. 22,591d ff. von Dämonen). Wie das Christentum mahnt auch Plutarch zur Selbstbescheidung im Urteilen über Gott, und im Mittelpunkt von Plutarchs Ethik steht die φιλαδελφία, was an die zentrale Bedeutung der Liebe im Neuen Testament erinnert, zumal auch Plutarch die Feindesliebe fordern kann (De cap. 9,90f). Wie das Neue Testament wendet sich auch Plutarch gegen asoziale Untugenden wie Neid, Zorn, Streben nach Reichtum etc. Vielleicht kann man im Falle Plutarchs sogar noch weiter gehen: Nach De sera reagiert Gott ja auch auf die unterschiedlichen Herausforderungen der Wirklichkeit, er lässt sich also von ihren Mängeln affizieren, und zwar um der ›Heilung‹ des in ihr Gestörten und Zerstörten willen. Diese Züge sind aus platonischer Sicht wohl eher als unorthodox einzustufen (vgl. auch D ÖRRIE , Spuren [Anm. 13], 110 f., der aufgrund anderer Überlegungen zu einer ganz ähnlichen Konsequenz kommt). 49 Bezeichnenderweise sind uns von keinem antiken Schriftsteller so viele Werke religiösen Inhalts überliefert wie von Plutarch (Überblick und Einteilung bei B RENK, Heri-

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Priester hat sich denn auch unter Theologen immer wieder erstaunlicher Wertschätzung erfreut, die in ihm geradezu so etwas wie einen ›heidnischen Vetter‹ sehen konnten.50 Um hier nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht um Vereinnahmung Plutarchs als anima naturaliter Christiana. Es gibt deutliche Unterschiede.51 Doch erst, wenn man zunächst einmal die überraschenden Gemeinsamkeiten wahrnimmt, kann man auch das Verschiedene ohne klischeebedingte Verzerrungen würdigen und deuten. In beidem kann Plutarch zu einem höchst anregenden Gesprächspartner für die christliche Theologie werden. Nicht zuletzt dies verbindet ihn mit dem durch diese Festschrift Geehrten.

tage [Anm. 2]. 255). Vom Umfang her vergleichbar sind allenfalls Ciceros drei Bücher De natura deorum sowie die beiden Bücher De divinatione. 50 Die großen Kirchenväter seit Clemens Alexandrinus haben Plutarch gekannt und benutzt. »Aus Basileios Munde […] redet von einer christlichen Kanzel herab nur Plutarch« (R. H IRZEL, Plutarch, Leipzig 1912, 83 f.). Im fünften Jahrhundert nimmt der Bischof Theodoret eine erste ›Eingemeindung‹ Plutarchs vor (vgl. ebd., 87). Im elften Jahrhundert betete der byzantinische Metropolit Johannes Mauropos, Christus möge Platon und Plutarch wegen ihrer Nähe zum Christentum von der Verdammnis erretten (ebd., 101). Melanchthon übersetzt und empfiehlt Plutarch, und Erasmus von Rotterdam stellt fest, er habe außer der Bibel nihil sanctius gelesen als Plutarch (vgl. ebd., 112 f.117). Und Dietrich Bonhoeffer hatte als letztes Buch vor seiner Hinrichtung in Flossenbürg noch seinen Plutarch dabei. 51 Kelsos und Porphyrios vermitteln einen Eindruck von den Gegensätzen zwischen Christentum und platonischem Denken (wenngleich ihre Auffassung nicht einfach mit Plutarch gleichgesetzt werden darf). Andererseits ist etwa die Theologie eines Clemens Alexandrinus wohl gar nicht so sehr von Plutarch verschieden.

Philosophischer Glaube und politische Verantwortung Plutarchs Epikurkritik in De latenter vivendo 1. Der Streit um das gelingende Leben: Der geistesgeschichtliche Hintergrund und die Intention der Auseinandersetzung Epikurs Maxime »Lebe im Verborgenen« (λάθε βιώσας), mit der sich Plutarch in De latenter vivendo auseinandersetzt, rät, in einer unberechenbaren Welt auf Ambitionen zu verzichten, durch die man nur den Neid und die Feindschaft anderer hervorrufen würde. Stattdessen soll der Weise sich zurückziehen1 und durch ein unauffälliges Dasein in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten das dem menschlichen Leben mögliche Optimum an Lust zu erreichen suchen. Der Ratschlag will also Anleitung zu einem gelingenden Leben sein2 und ist als solcher aus dem Zusammenhang von Epikurs Philosophieverständnis als ars vitae zu verstehen.3 Damit ist Epikur – bei aller Eigenheit – zunächst ein typischer Vertreter der hellenistischen Philosophie, die in der Anthropologie und Ethik gegenüber der klassischen Philosophie eine grundsätzliche Neuorientierung vornimmt. Platon und Aristoteles hatten den Menschen als Gemeinschaftswesen verstanden und dementsprechend das öffentliche Engagement als die höchste menschliche Tätigkeit aufgefasst.4 Dabei setzten sie (noch) den in die

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Vgl. Rat. sent. 14: »Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grade eintritt durch eine bestimmte Macht, Störungen zu beseitigen, und durch Reichtum, so entspringt doch die reinste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor der Masse.« 2 Vgl. M. ERLER, Epikur, in: F. RICKEN (Hg.), Philosophen der Antike, Teil 2 (UB 459), Stuttgart 1996, 40–60, hier 42. 3 Philosophie ist für ihn die »Tätigkeit, die durch Argumentation und Diskussion das glückliche Leben verschafft« (Frgm. 230 ARRIGHETTI). 4 Für Platon ist deshalb der Philosoph zum politischen Führer bestimmt (Rep. V, 473c–d; Plutarch spielt in Numa 20,9 und Cicero 52,4 darauf an). Aristoteles bestimmt gleich am Beginn seiner Nikomachischen Ethik die Staatskunst als die wichtigste Tätigkeit, die allen anderen ihren Sinn gibt (I,2,1094a 26–28).

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Polisgemeinschaft eingebundenen Menschen voraus.5 Aristoteles etwa konnte sagen: »Die Polis/der Staat besteht von Natur aus, und … von Natur aus ist der Mensch ein nach staatlicher Gemeinschaft strebendes Wesen.«6 Für Aristoteles ist die Polis dabei sogar dem Einzelnen und der Familie explizit als das πρότερον δὲ τῇ φύσει, als das Elementarere vorgeordnet: »Auch ist die Polis von Natur aus ursprünglicher als das Haus oder jeder Einzelne von uns« (Pol. I,2,1253a 19f.). Er begründet dies mit dem axiomatischen Grundsatz: »Denn das Ganze ist notwendig ursprünglicher als der Teil.«7 Damit ist der entscheidende Punkt benannt; denn um diese Frage der Vor- und Zuordnung von Teil und Ganzem werden sich sowohl in der Ontologie wie in der Gesellschaftstheorie und Ethik die kommenden Auseinandersetzungen drehen. In der hellenistischen Zeit wird die klassische Vorordnung des Ganzen vor das Teil zunächst auf den Kopf gestellt. Das hat nicht zuletzt mit den sozialgeschichtlichen Umbrüchen dieser Zeit zu tun. Denn in den vergleichsweise riesigen, von Alexanders Generälen aus dessen Weltreich herausgebrochenen und autokratisch regierten Flächenstaaten bildet sich eine hellenistische Oberschicht, die hier im Solde der Könige Karriere macht. Damit verliert die Einbindung des Menschen in eine gewachsene, überschaubare Gemeinschaft, in der er durch Abstammung und Verfassung fest umrissene Rechte und Pflichten hat, ihre Selbstverständlichkeit. Zugleich wird durch die intensive Begegnung mit anderen Kulturen der »väterliche Nomos« in seiner Gültigkeit relativiert. Der sich ohne Bezug auf eine Polis verstehende und bestimmende Mensch, der für Aristoteles noch der widernatürliche Ausnahmefall ist,8 wird nun zunehmend zum Normalfall. Folglich kann auch die Philosophie nicht mehr die Verankerung des Menschen als verantwortlichen Bürgers einer überschaubaren Polis als gleichsam naturgegebenes Konstitutivum der conditio humana voraussetzen. So unterschiedlich die Ansätze der frühhellenistischen Zeit sind – sie haben von der pyrrhonischen Skepsis9 über die Stoa bis zu Epikur dies

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Zu überlegen ist, inwieweit die vor allem bei Aristoteles so auffällige Betonung der Naturgegebenheit der Polis bereits den Verlust an Selbstverständlichkeit andeutet. 6 Pol. I,2,1253a 1–3: τῶν φύσει ἡ πόλις ἐστί, καὶ … ὁ ἄνθρωπος φύσει πολιτικὸν ζῷον. 7 Pol. I,2,1253a 20 f.: τὸ γὰρ ὅλον πρότερον ἀναγκαῖον εἶναι τοῦ µέρους. Eine analoge Vorordnung des Ganzen vor das Teil findet sich etwa auch bei Platon, Leg. X,903c. 8 Demjenigen, der nicht aufgrund äußerer Umstände, sondern aufgrund seiner Veranlagung außerhalb einer solchen Gemeinschaft lebt, dem ἄπολις διὰ φύσιν, kommt nach Aristoteles das Prädikat »Mensch« eigentlich gar nicht zu – er ist entweder über- oder untermenschlich, Gott oder Tier (Pol. I,2,1253a 3–5). 9 A. ENGSTLER, Die pyrrhonischen Skeptiker, in: F. R ICKEN (Hg.), Philosophen der Antike, Teil 2 (UB 459), Stuttgart u. a. 1996, 9–23, hier 9: »Den Pyrrhoneern ist die

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gemeinsam, dass nun nicht mehr die Gemeinschaft, sondern der auf sich selbst gestellte Einzelne und sein Verhältnis zur ganzen Wirklichkeit Ausgangspunkt und Basis aller Überlegungen ist. Zugespitzt formuliert: Die Philosophie geht nun nicht mehr vom Ganzen als dem Elementaren aus, sondern vom Teil. Konkret sah sie sich dabei vor allem vor die praktische Aufgabe gestellt, »dem Individuum, das den Rückhalt der Polis verloren hatte, den Weg zum Glück in allen Lebenslagen« aufzuzeigen.10 Insofern handelt es sich bei allen diesen Entwürfen »ursprünglich um zutiefst unpolitische Philosophien«. 11 Während allerdings die Stoa versucht, mit Hilfe der Logoskonzeption die Dimension des »Ganzen« aus der Perspektive des Einzelnen wiederzugewinnen (und dementsprechend auch eine allgemein verbindliche Ethik formuliert, die den Menschen wieder – im Kosmos – beheimaten soll), geht Epikur den Weg des Individualismus konsequent zu Ende. Wie in seiner Ontologie die einzelnen Atome das Eigentliche sind, die durch ihre zufällige Zusammenballung die sich immer wieder wandelnde Wirklichkeit entstehen lassen, so macht er in der Ethik die Lustempfindung des »Individuums« (der lateinischen Übersetzung des griechischen atomon) zur Grundlage seines gesamten Wertesystems. Ungeachtet der relativ maßvollen Konsequenzen, die Epikur selbst daraus zog, 12 bedeutet dies eine revolutionäre Verkehrung des bisherigen Denkens: Es gibt keine übergreifende Ordnung im Kosmos und keine göttliche Lenkung; dementsprechend wird auch keine absolute Verpflichtung mehr anerkannt. Zwar hält auch Epikur an den durch eine Art Gesellschaftsvertrag entstandenen Regeln des Zusammenlebens fest, aber deren Gültigkeit liegt im Nutzen für den Einzelnen begründet. Die Folgen dieser Privatisierung13 und Relativierung der Werte werden dort deutlich, wo sich Epikur zu den klassischen »Gütern« äußert. Gesetze etwa sind jetzt nicht mehr dazu da, damit man kein Unrecht tut, Skepsis ein Mittel, angesichts von Krisen öffentlicher, gemeinschaftlicher Orientierung Instanzen subjektiver, individueller Orientierung zu restituieren.« 10 H. FLASHAR/W. GÖRLER, Die hellenistische Philosophie im allgemeinen, in: H. FLASHAR (Hg.), Die Philosophie der Antike, Band 4/1–2: Die hellenistische Philosophie, 1. Halbband, Basel 1994, 1–28, hier 8. 11 K. HELD, Entpolitisierte Verwirklichung des Glücks. Epikurs Brief an Menoikeus, in: P. ENGELHARDT (Hg.), Glück und geglücktes Leben. Philosophische und theologische Untersuchungen zur Bestimmung des Lebensziels, Mainz 1985, 77–127, hier 77. 12 Das meiste, was auf dem Gebiet der materialen Ethik gegen Epikur vorgebracht wird, ist bloße Unterstellung. Epikur propagiert gerade nicht ein hemmungsloses Genussleben. Sein Lustbegriff ist vielmehr auffällig restriktiv (vgl. Men. 131 f.); es geht ihm vor allem um Vermeidung von Unlust und Unruhe durch Selbstgenügsamkeit (H. Marcuse: »negativer Hedonismus«). Höchster Wert sind die Gemütsruhe und Gelassenheit, die Ataraxie, und keineswegs die Ausschweifung! 13 Zur Privatisierung des Wertesystems bei Epikur vgl. die Ausführungen von M. HOSSENFELDER, Epikur (Beck’sche Reihe 520), München 21998, 53 ff.

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sondern damit man kein Unrecht leidet.14 Konsequenterweise haben auch die Tugenden – sosehr sie Epikur als Mittel zu einem »süßen« Leben preisen kann (Rat. sent. 5) – für ihn keinen Selbstwert.15 Dementsprechend ist auch die Ungerechtigkeit nicht mehr ein Übel an sich, sondern nur wegen ihrer schädlichen Rückwirkung auf die Seelenruhe abzulehnen.16 Wie gezeigt, spielt auch zur Zeit Plutarchs der Epikureismus in den gehobenen Schichten noch eine nicht zu unterschätzende Rolle.17 Daher fühlt sich Plutarch bemüßigt, immer wieder bei verschiedenen Themen gegen diesen Stellung zu beziehen. Neben der religiösen Problematik sind es dabei vor allem ethische und gesellschaftspolitische Fragen, bei denen Plutarch sich gegen Epikur wendet. Im schroffen Gegensatz zum Subjektivismus Epikurs betont er dabei durchweg den untrennbaren Zusammenhang von Einzelnem und Gemeinschaft. Für ihn gehört das öffentliche Engagement geradezu zum Wesen des Menschen als eines »zivilisierten und der Allgemeinheit verpflichteten und gemeinschaftsbezogenen Lebewesens« (An seni 13,791c). Dies ist nicht nur eine begrenzte Aufgabe unter anderen, sondern eine (lebenslange) Lebensweise, die den Menschen dazu bestimmt, »in der ihm zugeteilten Zeit der Gemeinschaft verpflichtet (πολιτικῶς), ethisch verantwortlich (φιλοκάλως) und den Menschen zugewandt (φιλανθρώπως) zu leben« (ebd.). Prima facie wiederholt Plutarch einfach nur die Position der klassischen Philosophie. Genaueres Hinsehen zeigt jedoch, dass er sich keineswegs auf die reaktionäre Wiederholung früherer Ansichten beschränkt. Vielmehr versucht er, diese »alten« Werte in eine veränderte Wirklichkeit zu vermitteln und sie von Neuem zu begründen. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er seine Gegenposition zu Epikurs Hedonismus nun ebenfalls im Horizont dieser Frage des Einzelnen nach einem gelingenden Leben entfaltet. Denn gerade die Suche des Menschen nach seinem Lebensglück – das wird Plutarch nicht müde aufzuzeigen – wider14

Epikur, Frgm. 183 ARRIGHETTI. In Rat. sent. 33 sagt er ausdrücklich von der Gerechtigkeit, dass sie keinen Wert an sich hat, sondern dadurch, dass sie das Zusammenleben durch den Gesellschaftsvertrag ermöglicht, ihren Wert aus diesem Nutzen bezieht. Auch die »Tugenden« sind so kein Selbstzweck, sondern Mittel zu einem angenehmen Leben. Schön kommt die hier vorgenommene Neudeutung in dem polemischen Bild des Kleanthes zum Ausdruck, dass bei Epikur die Lust auf dem Thron sitzt und die Tugenden ihr als »Mägdlein« (ancillulae) aufwarten (Cicero, De fin. II,69). 16 Vgl. Rat. sent. 34: »Die Ungerechtigkeit ist nicht an und für sich ein Übel (ἡ ἀδικία οὐ καθʹ ἑαυτὴν κακόν), sondern nur durch die aus dem Argwohn erwachsende Furcht, es werde misslingen, den für solche Angelegenheiten eingesetzten Strafrichtern verborgen zu bleiben.« 17 Vgl. B. HEININGER/R. FELDMEIER, Einleitung, in: Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von R. HIRSCHLUIPOLD/R. FELDMEIER/B. HIRSCH/L. KOCH/H.-G. NESSELRATH (SAPERE VIII), Darmstadt 2005, 33–48, hier 43–45. 15

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legt Epikur, weil der Einzelne dieses Glück eben nicht in sich selbst findet. Plutarch greift dabei bewusst den für Epikur zentralen Begriff der ἡδονή auf und reklamiert diesen exklusiv für die von ihm selbst propagierte Daseins- und Handlungsorientierung.18 Während die epikureische Leugnung der Vorsehung dieses Leben jeglicher »Freude und Lust« (χαρὰ καὶ ἡδονή) beraubt, verschafft der Gottesbezug (als Voraussetzung der Einbindung des Einzelnen in ein größeres Ganzes) erst wahres Glück.19 Geradezu sentenzenhaft bringt er es in der Auseinandersetzung mit dem Epikurschüler Kolotes auf den Begriff: »Das glückliche Leben ist ein Leben, das der Gemeinschaft verpflichtet, von der Liebe bestimmt, besonnen und gerecht ist.«20 Dementsprechend ist es gerade der Einsatz für die Gemeinschaft, der nach Plutarch die »schönsten und größten Freuden (ἡδοναί!)« verschafft (An seni 5,786b). Insofern kann Plutarch sogar sagen, dass der moralische Wert eines für andere tätigen Lebens noch übertroffen wird von dem dadurch verschafften Vergnügen!21 So kommt er zu der fast schon paradoxen Schlussfolgerung, dass die wahre »Lebenslust« nur dort erreicht wird, wo die Lust gerade nicht zum Endzweck wird. Zusammengefasst: Gegen die konsequente Individualisierung des epikureischen Hedonismus stellt also Plutarch die These auf, dass gelingendes Leben nur dort möglich ist, wo sich der Mensch als ein elementar auf Andere bezogenes Wesen versteht. Darum geht es auch in der hier vorliegenden kurzen Abhandlung, in der nun allerdings – in Abgrenzung von Epikurs Maxime – gezielt ein wesentlicher anthropologischer Aspekt dieser Problematik herausgegriffen wird, nämlich die Frage, inwieweit der Mensch seinem Wesen nach auf die Wahrnehmung durch Andere und damit auf Öffentlichkeit angewiesen ist. Dabei ist auch Plutarch durch die Schule des Skeptizismus gegangen und weiß, dass er nicht mehr wie die klassische Philosophie von einer vorgege18 Der Mittelplatoniker begibt sich im Streit mit Epikur um das ἡδέως ζῆν, die »dolce vita«, begrifflich fast schon unter die Hedonisten! So trägt auch die wichtigste Auseinandersetzung mit Epikur den bezeichnenden Titel: »Dass man nach Epikur nicht angenehm leben kann« (ἡδέως ζῆν, »angenehm [›süß‹] leben« ist ebenso wie ἡδονή ein Terminus technicus der epikureischen Philosophie!). 19 Non posse 22,1103a; der ganze Zusammenhang ist ein einziger Lobpreis der durch die Religion dem Leben eröffneten Freuden (21–22,1101c–1103a), während die epikureische Philosophie freudlos ist. 20 Adv. Col. 2,1108c: τὸ δὲ εὖ ζῆν ἐστι κοινωνικῶς ζῆν καὶ φιλικῶς καὶ σωφρόνως καὶ δικαίως, vgl. dazu das κοινὸν ἥδυσµα in De lat. viv. 6,1130b. Ein Leben, das dagegen keine Verbindlichkeiten in Form der Götter und ihrer Gerechtigkeit über sich anerkennt, wird unmenschlich und zerstörerisch (Adv. Col. 30,1124e–1125a). 21 Non posse 16,1098a: τῷ πρακτικῷ βίῳ τὸ ἡδὺ πλέον ἢ τὸ καλόν ἐστιν. Non posse 17,1098d preist dann überschwänglich im Gegensatz zu der durch den Bauch allein definierten ἡδονή und dem dieser entsprechenden βίος ἀνέξοδος καὶ ἀπολίτευτος καὶ ἀφιλάνθρωπος die »leuchtende und königliche Freude, die wahrhaft Licht und Ruhe (γαλήνη) über alles ergießt«.

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benen »natürlichen« Verankerung des Menschen in der Gemeinschaft ausgehen kann. Es kann also nur darum gehen, die eigene Weltsicht als die gegenüber Epikur überzeugendere und wahrscheinlichere zu erweisen.22 Um dies zu erreichen, kombiniert er zunächst in einer für ihn nicht untypischen Weise psychologische Beobachtungen und Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und geschichtlichen Beispielen. Diese durch die Deutung von Erfahrungen erreichte Plausibilität ist dann der Ausgangspunkt für die grundsätzlichen ontologischen Überlegungen, die nun den Anspruch seiner Position auf universelle Geltung unterstreichen, wobei sich Plutarch auch hier bewusst bleibt, dass er über Wahrscheinlichkeitsurteile nicht hinauskommt.23 Durch Einbeziehung mythologischer Elemente wird die Erörterung soteriologisch abgerundet und zugleich wieder in einer vertieften Weise auf die Existenz des Einzelnen und die Frage nach seinem Leben zurückbezogen.

2. Ein »endloses Gewirr von Selbstwidersprüchen« – Plutarchs Wahrnehmung Epikurs und deren Ursachen De latenter vivendo ist eine Streitschrift, in der von Anfang an die Fronten klar sind: Die »Lebensregel« ist »schlecht«, und es kann nur darum gehen, sie möglichst gründlich zu eliminieren.24 Dieses Urteil Plutarchs basiert allerdings keineswegs auf Unkenntnis. Er kannte nicht nur Epikurs Schriften, sondern war auch persönlich mit einigen Epikureern bekannt: »his 22 Ähnlich ist sein Vorgehen auch in De sera, wo er die Möglichkeit des Urteilens angesichts der Begrenztheit unserer Erkenntnis ausdrücklich thematisiert; vgl. dazu R. FELDMEIER, Philosoph und Priester. Plutarch als Theologe, in: M. BAUMBACH/H. KÖHLER/ A. M. RITTER (Hg.), Mousopolos Stephanos. Festschrift für Herwig Görgemanns (BKAW 2,102), Heidelberg 1998, 412–425 = oben S. 49–60, speziell S. 55 f. 23 Plutarch zieht zwar aus Epikurs Atomismus die durchaus originelle Folgerung, dass Sichtbarwerden und Ins-Dasein-Treten zusammengehören. Wenn er dies aber als die planvolle Bestimmung allen Seins behauptet, so muss er auf den Gottesbegriff rekurrieren, und hier begegnet dann auch ein assertorisches »meiner Überzeugung nach« (De lat. viv. 6,1129e–f). 24 Es wird außer dem isoliert zitierten Grundsatz λάθε βιώσας sowie einigen tendenziös dargebotenen Einzelheiten aus Epikurs Biographie nicht auf die epikureische Philosophie eingegangen. Person und Werk des Philosophen dienen von vornherein als Negativfolie. So wird gar nicht erörtert, was Epikur mit seinem Ratschlag, im Verborgenen zu leben, gemeint hat (nämlich eine Form genügsamer Selbstbescheidung). Vielmehr unterstellt Plutarch einfach, dass hier völlige Verborgenheit gemeint sei – um damit Epikur sofort eines Selbstwiderspruchs zu überführen. Diese moralische Diskreditierung Epikurs setzt sich fort in der ebenso fragwürdigen Unterstellung, dass Epikur mit seinem Ratschlag der heimlichen Unzucht Vorschub leiste. Dadurch wird der falsche Eindruck erweckt (bzw. das Vorurteil zementiert), dass Epikur ein primitiver Sinnenmensch sei.

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hostility was based not on ignorance, but on an apparently good knowledge of Epicurean philosophy«. 25 Umso auffälliger ist diese Unbedingtheit der Ablehnung bei diesem sonst so gesprächsbereiten und ausgewogenen Denker. Ehe daher der Argumentationsgang als Ganzer gewürdigt wird, soll zunächst auf Art und Ursache der Polemik Plutarchs eingegangen werden, die nicht wenig dazu beigetragen hat, dass man diese Schrift als ein wenig ernst zu nehmendes rhetorisches Übungsstück abgetan hat. Dabei wird übersehen, dass die Auseinandersetzung sich zunehmend aus der bloßen Polemik löst und Plutarch das Problem immer grundsätzlicher und auch gründlicher angeht.26 Zu Beginn vergleicht er Epikurs Philosophieren mit dem widerlichen und unsozialen Verhalten eines Philoxenos und Gnathon. Demzufolge ist der heuchlerische Widerspruch zwischen Lehre und Lebenspraxis geradezu ein Charakteristikum Epikurs, wobei die besondere Niedertracht darin besteht, dass er durch seine Lehre sich der fairen Auseinandersetzung entzieht und auf hinterhältige Weise seiner Ruhmgier frönt.27 Dieser polemische Stil hat durchaus seine Entsprechung bei der Gegenseite. Plutarch kann sich heftig darüber beklagen, dass die Epikureer die vorzüglichsten Geister als »Possenreißer, Schreihälse, Aufschneider, Knabenschänder, Mörder, Simulanten, Volksverführer und Dummköpfe«28 schmähen und beschimpfen. Diese Verunglimpfungen wiederum scheinen allerdings den Epikureern nicht nur Rhetorik zu sein, sondern die Kehrseite einer geradezu religiösen Stilisierung Epikurs, die offenbar bereits auf den Schulgründer zurückgeht29 und die Anhängerschaft geprägt hat. Für diese waren im Unterschied zu anderen Philosophenschulen gerade die treue Bewahrung der Lehren des Meisters und die Nachfolge als imitatio Epicuri bezeichnend.30 Verständlicherweise scheiden sich an Epikur deshalb besonders deutlich die Geister: Entweder man vergöttert ihn und folgt ihm nach – oder man verwirft und verdammt ihn. Vermutlich hat Epikur durch dieses autoritative Auftreten die der Vernunft nicht mögliche Letztbegründung

25 So ein Fazit der Untersuchung von J. P. HERSHBELL, Plutarch and Epicureanism, in: ANRW II/36.5, Berlin/New York 1992, 3353–3383, hier 3381. 26 Vgl. A. B ARIGAZZI, Una declamazione di Plutarco contro Epicureo. De latenter vivendo, in: DERS., Studi su Plutarco (StT 12), Florenz 1994, 115–140, hier 119: »[…] la disposizione della materia pensata è lo svolgimento è unitario: da argomenti più leggeri si passa ad argomenti sempre più profondi«. Vor allem der zweite Teil der Schrift erweist sich so als »più seria e ponderata« (123). 27 De lat. viv. 1,1128a–c. 28 Non posse 1,1086e; vgl. Adv. Col. 2,1108b. 29 Vgl. HOSSENFELDER, Epikur (Anm. 13), 19 f. 30 Vgl. HEININGER/FELDMEIER, Einleitung (Anm. 17), 44.

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seiner Philosophie zu sichern versucht.31 Für seine Gegner war dies jedoch schwerlich ein Trost, und Plutarch kann denn auch in dieser auf Kosten anderer vorgenommenen Selbststilisierung nur den Ausdruck einer seelenschädigenden Ehrsucht (φιλοτιµία) sehen: »Wer – nach Ruhm hungrig – ihn von anderen nicht zu erlangen vermag, der erzwingt ihn durch Selbstlob.«32 Durch ein solches Verhalten widerlegen die Epikureer schon formal ihren Anspruch auf Weisheit.33 Diese Widersprüchlichkeit kennzeichnet nach Plutarch die gesamte epikureische Philosophie, die er als ein »endloses Gewirr von Selbstwidersprüchen« bezeichnet.34 Diese »Selbstwidersprüche« weist Plutarch auch auf dem theoretischen Gebiet nach;35 vor allem aber will er – wie in unserer Schrift auch – Epikur auf dem Gebiet schlagen, das für diesen das Zentrum bildet, nämlich die praktische Philosophie, die »Lebenskunst« (τέχνη βίου). Denn bei aller Gegensätzlichkeit verbindet ja dies Plutarch mit Epikur, dass beide mit ihrer Philosophie Lebenshilfe geben wollen.36 Hier 31 Mit der konsequenten Ableitung aller Werte aus der »Lust« werden die Sinne zum Wahrheitskriterium erhoben (vgl. Lukrez, De rer. nat. IV,478–483). Da die Vernunft nichts weiter als ein Instrument des Menschen zur Orientierung in einer irrationalen Welt ist, kann dieses System nicht mehr rational begründet werden. »Für die Lehre bedarf es daher einer Autorität, die über die Grundgedanken entscheidet, die nicht mehr bewiesen, sondern nur noch gelernt werden können. Deswegen war Epikur bestrebt, sich selbst als eine Art letzter und unfehlbarer Instanz aufzubauen, an deren Erkenntnissen keinerlei Zweifel zulässig waren. Dazu gehörte, daß er sich als absolut selbständigen Denker stilisierte, der alles aus sich selbst gefunden habe und von keinem Vorgänger abhängig sei. Alle anderen Philosophen bedachte er mit scharfer Polemik und bissigem Spott […]. Er wollte so seiner Lehre den Anschein einer übergeschichtlichen, unwandelbaren Wahrheit verleihen, die sich ihm allein offenbart habe. Ihre Kernsätze wurden auf prägnante Formeln gebracht […], die die Schüler auswendig lernten« (H OSSENFELDER, Epikur [Anm. 13], 19). 32 Non posse 18,1100a–b. 33 Selbst dann, wenn ihre Lehre vernünftig wäre, hätten sich die Epikureer durch dieses von Neid und Eifersucht bestimmte Verhalten »ganz weit von der Weisheit« (πορρωτάτω σοφίας) entfernt (Non posse 2,1086e–f). 34 Adv. Col. 25,1121e; vgl. 3,1108d–e. Eine verlorengegangene Schrift war mit »Die Widersprüche der Epikureer« betitelt (Lampriaskatalog, Nr. 129), eine andere zeigte auf, »dass die Epikureer noch paradoxer sprechen als die Dichter« (Lampriaskatalog, Nr. 133). 35 Vor allem Adversus Colotem ist zur Hauptsache der Versuch des Nachweises, dass die Kritik des Epikurschülers Kolotes an den anderen Philosophien diesen nicht gerecht wird. 36 Zur »seelsorglichen« Dimension von Epikurs Philosophie vgl. E RLER, Epikur (Anm. 2), 42; weiter S. SUDHAUS, Epikur als Beichtvater, ARW 14 (1911), 647 f. Plutarch wurde sein ganzes Leben lang von ratsuchenden Menschen aufgesucht: In Demosthenes 2,2–4 spricht er von »vielen«, die sich an ihn wandten und dabei zeitlich so beanspruchten, dass er erst spät dazu kam, Latein zu lernen. Dies hat auch seine ethischen Schriften geprägt, die als Ratgeber zu unterschiedlichen Lebensfragen verfasst sind (vgl.

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nun erhebt Plutarch seine schärfsten Einwände gegen Epikur. Dessen Philosophie zerstöre schon dadurch, dass sie auf der unbeständigen Lust gründet, jenen Seelenfrieden, der nach Epikur ihr höchstes Ziel ist!37 Schlimmer noch ist, dass sie dem menschlichen Leben jegliche Perspektive nimmt38 und damit nicht nur trostlos ist, sondern in religiöser, ethischer und politischer Hinsicht schädlich und deshalb geradezu lebensfeindlich.39 »Mit der Beseitigung der Gesetze und Staatsverfassung zerstören sie [sc. Epikur und seine Anhänger] das menschliche Leben« (Adv. Col. 34,1127d). Die Überzeugung von dieser Lebensfeindlichkeit ist der eigentliche Grund für jene kompromisslose Ablehnung, die Plutarchs ganzes Werk durchzieht, und sie steht auch im Hintergrund dieser Auseinandersetzung, in der Plutarch immer wieder darauf hinweist, dass Epikurs Maxime die Daseinserfüllung gerade verhindert, die sie verspricht.40

3. Γνώσθητι: Plutarchs Antimaxime In Antithese zu Epikurs Rat, im Verborgenen zu leben, insistiert Plutarch darauf, dass die im Medium von »erkannt werden und erkennen« (γινώσκεσθαι καὶ γινώσκειν, De lat. viv. 6,1130a), in der gegenseitigen Wahrnehmung sich ereignende Begegnung und Interaktion des Einzelnen mit den Anderen ein für alle geradezu lebensnotwendiger und lebenserhaltender Kreislauf ist. Dementsprechend formuliert er seine eigene, in Variationen immer wieder vorgebrachte »Anti-Epikur-Maxime«: Lass dich erkennen – γνώσθητι!

die Einleitung seiner »Eheratschläge«, Coni. praec. 138b). Ziegler spricht deshalb gar von Plutarch als einem »Beichtvater und Seelenarzt« (Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung. Religionsphilosophische Schriften. Eingeleitet und neu übertragen von K. Z IEGLER [BAW], Zürich/Stuttgart 1952, 9; vgl. auch DERS., Art. Plutarchos, PRE XXI/1, Stuttgart 1951, 636–962, hier 656). 37 Eingehend begründet in Non posse 5–6,1090. 38 Ausführlich stellt dies Non posse 18–26,1100–1104 dar. 39 Zum religiösen Schaden, den die Philosophie Epikurs anrichtet, vgl. De sera 3,549b–d; De Pyth. orac. 8–11,397f–399f; De def. orac. 19,420b; Non posse 20–21,1101 u. ö.; für die ethische Seite vgl. etwa De sera 2,548c–549b; Non posse 25–31,1104a– 1107c. In Adv. Col. 31,1125e schließlich wirft er Epikur explizit vor, die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft zu zersetzen; letztendlich führen – so Plutarch – die Anhänger des »Gartens« »mit den Gesetzen selbst Krieg« (Adv. Col. 34,1127d). 40 Deswegen kann Plutarch seine Widerlegung der epikureischen Positionen geradezu als therapeutischen Akt qualifizieren. Besonders deutlich zeigt dies eines seiner theologischen Hauptwerke, De sera numinis vindicta. Dort tritt »Epikur« bereits vor Beginn des Dialogs von der Bühne ab. Im Folgenden geht es nur noch darum, die von den »absurden und falschen Argumenten« verursachten Irritationen zu überwinden (De sera 1,548b–c).

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Nach der Polemik des Auftaktes wendet sich die Schrift »der Regel selbst« zu und begründet die Gegenthese durch eine Abfolge von immer umfassenderen und immer ernsthafteren Argumenten.41 Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass jede menschliche Gemeinschaft davon lebt, dass sich ihre einzelnen Glieder gegenseitig wahrnehmen und dadurch auch von den gegenseitigen Stärken profitieren, die andernfalls ungenutzt verkümmern würden. Dies wird von Plutarch zum einen anhand von geschichtlichen Beispielen plausibel gemacht, die den Nutzen großer Einzelgestalten für Griechen oder Römer deutlich machen.42 Dabei geht es nicht nur um die großen Taten und den dadurch vom Einzelnen erreichten Ruhm,43 sondern ebenso um den Nutzen für die Allgemeinheit.44 Der Wert eines solchen Lebens beschränkt sich dabei nicht auf den unmittelbaren gesellschaftlichen und politischen Nutzen; vielmehr dient ein gutes Leben, das sich an der Trias »Gott, Gerechtigkeit und Vorsehung« (De lat. viv. 4,1129b) orientiert, auch als Vorbild für Andere, die sich an diesem in ihrer eigenen Lebensgestaltung orientieren können.45 Auch deshalb würde die Gemeinschaft Schaden erleiden, wenn der Einzelne sich mit seinen Gaben und Fähigkeiten in die Verborgenheit zurückziehen würde.46 Weit ausführlicher geht Plutarch – als Reaktion auf Epikurs Subjektivismus – auf den individuellen Aspekt dieser gegenseitigen Wahrnehmung ein, auf den Nutzen, den der Einzelne gerade als Individuum von der Wahr41 Vgl. B ARIGAZZI, Declamazione (Anm. 26), 121: »Caratteristica è la diversità di tono nel principio e nella chiusa: subito all’ inizio tono ironico e irridente, poi si fa sempre più serio e conclude gravemente con profondi pensieri religiosi che toccano l’oltretomba«. 42 Hierbei wird zwischen die politischen und militärischen Größen Themistokles, Camillus und Epameinondas auch Platon als Berater Dions eingereiht – als Beispiel für die von Plutarch im Gegensatz zu Epikur hochgeschätzte Zusammenarbeit von Philosophie und Politik. Denn im Unterschied zu Platon bevorzugt Plutarch nicht das Modell des Philosophen als Politiker, sondern das des Philosophen als Berater des Politikers. 43 In seinen »politischen Ratschlägen« lehnt Plutarch den (unrealistischen und deshalb kontraproduktiven) Verweis auf die Heldentaten der Vorfahren ebenso ab (Praec. ger. reip. 17,814a) wie das Streben nach äußerem Ruhm als Motiv des Handelns (ebd., 27, 820b–e). 44 Das angemessene Motiv für öffentliches Handeln ist die auf Dankbarkeit und Zuneigung gründende Anerkennung durch die Anderen, vgl. Praec. ger. reip. 27–28,820f– 821c. Offensichtlich spricht Plutarch hier aus, was ihn selbst zu seinem lebenslangen Einsatz für Vaterstadt und Orakel motiviert hat. 45 Ganz plastisch schildert er dies als Programm seiner Viten in der Vorrede zu seinem Aemilius Paulus (Aem. Paul. 1): Die Lebensbeschreibungen hervorragender Männer sind ein Spiegel, nach dem man sich ausrichten kann. 46 Im Übrigen zeigt sich für Plutarch auch hier wieder, dass sich Epikur in seinen Veröffentlichungen, aber auch in seinem Umgang mit Verwandten und Freunden keineswegs von seinen eigenen Grundsätzen leiten ließ, sondern sehr wohl nach Öffentlichkeit strebte.

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nehmung durch Andere hat. Gemeint ist dies nicht in dem platten Sinne des Vorteils, den man von einem geordneten Zusammenleben durchaus auch haben kann. Ein solcher wird ja auch von Epikur und seiner Schule keineswegs in Abrede gestellt.47 Ausgangspunkt aller ihrer Überlegungen aber bleibt der individuelle Nutzen. Demgegenüber betont Plutarch, dass die Person sich allererst in dem durch das gegenseitige Wahrnehmen ermöglichten Bezug der Menschen untereinander konstituiert, folglich der Bezug auf die Anderen nicht in das individuelle Belieben gestellt werden darf. Dies wird durch mehrere Überlegungen begründet. Die erste thematisiert die Möglichkeit des Menschen zur Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung. Hier stellt Plutarch die provokative These auf, dass die (dem Menschen vom delphischen Apoll aufgegebene) Selbsterkenntnis ermöglicht wird durch die Spiegelung in den Anderen; das apollinisch-sokratische γνῶθι σαυτόν wird also durch das γνώσθητι interpretiert, d. h., die Selbsterkenntnis wird als ein gemeinsamer und wechselseitiger Erkenntnisprozess verstanden. Die Wahrnehmung durch die anderen Menschen hat dabei geradezu therapeutische Funktion;48 der anfällige Einzelne wird durch die Kontrolle der Öffentlichkeit vor dem Bösen und Zerstörerischen in sich selbst49 geschützt bzw. zu dessen Bekämpfung und Überwindung angehalten. Neben der dominierenden medizinischen Begrifflichkeit fällt semantisch auch die verhältnismäßig dichte Konversionsterminologie auf: Die kritische Wahrnehmung durch Andere ist Voraussetzung für die Selbstbesinnung und Neuorientierung des Einzelnen, seine »Umkehr«, 50 die ihrerseits Bedingung seiner »Heilung« ist. Die Anderen fungieren somit als eine (heilsame) Kontrollinstanz, die den Einzelnen davor bewahrt, den eigenen Schwächen zu verfallen. Sie sind sozusagen das externe Gewissen, das die kritische Begegnung mit sich selbst und so auf dem Umweg über die Anderen die ethische Selbstbestimmung fördert. Zugespitzt: Die Heteronomie ist geradezu eine Bedingung der rechten Autonomie, während die 47 Nirgends wurde ja die Freundschaft so hoch geachtet wie in Epikurs »Garten«. Darüber hinaus wird der relative Wert des Staates durchaus anerkannt, insofern er Sicherheit und Ruhe gewährt (vgl. Rat. sent. 6). Nach Epikurs Theorie bleiben dabei aber der Andere und die Gemeinschaft Mittel zum Zweck des individuellen Glücks. 48 Plutarch demonstriert dies zunächst anhand von Menschen, die von ihren Fehlern und Schwächen beherrscht werden und daher eine Korrektur durch Andere bitter nötig hätten; zu der dabei verwendeten medizinischen Metaphorik vgl. R. H IRSCH-LUIPOLD, Gedeihen im Licht – Verderben im Dunkel. Bilder für die existentielle Bedeutung einer Ethik des Politischen, in: Plutarch, ΕΙ ΚΑΛΩΣ ΕΙΡΗΤΑΙ ΤΟ ΛΑΘΕ ΒΙΩΣΑΣ. Ist »Lebe im Verborgenen« eine gute Lebensregel? Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von U. B ERNER/R. FELDMEIER/B. HEININGER/R. HIRSCH-LUIPOLD (SAPERE I), Darmstadt 1–22001 (unveränderter Nachdruck 2011), 99–116, hier 110–114. 49 In De cap. 10,91e sagt Plutarch, dass jeder Mensch von Natur aus die unsozialen Eigenschaften Ehrgeiz, Eifersucht und Neid hat. 50 Intransitiv µετανοεῖν (2-mal) und σωφρονίζεσθαι, transitiv νουθετεῖν.

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Überbetonung des »Privaten« leicht zum Freiraum für ein unsoziales Leben und damit für Verwahrlosung wird. Die γνῶσις im Sinne von Erkennen und vor allem Erkanntwerden ist also eine zentrale anthropologische Kategorie,51 die den Menschen als ein auf Wahrnehmung durch Andere hin angelegtes Wesen ausweist, als ein forensisches Wesen, das sich einerseits am positiven Vorbild Anderer ausrichtet, andererseits in der Kritik der Anderen seiner Schwächen und Fehler innewird.52 So ermöglicht die gegenseitige Wahrnehmung zuallererst die rechte Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung. Dieses Argument im Blick auf die menschliche Selbstbestimmung wird ergänzt durch ein zweites, das man als »vitalistisch« bezeichnen könnte. Mit eindrücklichen Vergleichen aus der Alltagserfahrung macht Plutarch deutlich, wie das Erkannt- und Anerkanntwerden durch die Anderen geradezu Stimulans und Lebenselixier ist,53 dessen der Mensch durch Epikurs Ratschlag beraubt wird. Diese psychologischen Einsichten zum Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Beanspruchung und individueller Lebendigkeit54 werden im folgenden Kapitel 5 von De latenter vivendo (1129d–e) durch einen weiteren Rekurs auf die Erfahrung der im Rhythmus von Tag und Nacht pulsierenden Lebendigkeit bestätigt.55 Damit hat Plutarch sowohl im Blick auf die geistige Selbstbestimmung des Menschen wie im Blick auf seine Lebenskraft gezeigt, dass der Gegensatz von einem Leben in der Öffentlichkeit und im Verborgenen ein Gegensatz zwischen Lebensbejahung und Lebensverneinung (ἀπαυδᾶν πρὸς τὸ εἶναι) ist. Implizit war dabei schon vorausgesetzt worden, dass nicht nur der Mensch, sondern die gesamte Wirklichkeit auf Wahrnehmung hin angelegt ist. Ebendiese Verallgemeinerung wird nun auch direkt in der vorangestellten These ausgesprochen, die besagt, dass das gesamte Leben von Gott »zur Erkenntnis« gegeben sei. Geschickt begründet Plutarch diese These durch die atomistische Ontologie, also durch die von Epikur selbst übernommene 51

Vgl. dazu auch R. H IRSCH-LUIPOLD, Gedeihen (Anm. 48), 102–106. Plutarch ist keineswegs so naiv, dass er den Anderen dabei nur gute Absichten unterstellen würde. In De capienda ex inimicis utilitate (»Wie man von den Feinden Nutzen haben kann«) zeigt er gerade am Extremfall des persönlichen Feindes auf, dass dieser in seiner Rücksichtslosigkeit sogar zum besonders geeigneten Spiegel werden kann, in dem man sich ungeschminkt erkennen und verbessern kann. 53 Nicht zuletzt gegen Epikurs Maxime betont Plutarch in seinen »Gesundheitsratschlägen«, dass auch die leibliche Gesundheit gerade nicht durch Rückzug und Untätigkeit erhalten wird; solche sind vielmehr als die »größten Übel mit Krankheiten verbunden«. Stattdessen empfiehlt Plutarch, sich »vielen und menschenfreundlichen Tätigkeiten« zu widmen (De tu. san. 23,135b–d). 54 Eine (negative) Bestätigung von Plutarchs Argumentation ist etwa das Hospitalismussyndrom, bei dem der isolierte, nicht mehr durch Andere wahrgenommene und beanspruchte Mensch in verhältnismäßig kurzer Zeit verfällt. 55 Vgl. dazu HIRSCH-LUIPOLD, Gedeihen (Anm. 48), 104 f. 52

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Welterklärung!56 Dieser zufolge entsteht das Seiende nicht aus dem Nichts; vielmehr ist die sichtbare Welt durch die Zusammenballung an sich unsichtbarer Teilchen entstanden. Ins Dasein treten heißt folglich: erkennbar werden. Umgekehrt ist das Sterben gleichbedeutend mit dem Verschwinden in der Unsichtbarkeit. So weit müsste ein Epikureer wohl zustimmen. Für diesen ist das Vorhandene allerdings nur ein zufälliges Endprodukt des willkürlichen Zusammenstoßens der Atome. An anderer Stelle hat sich Plutarch mit dieser Theorie auseinandergesetzt und seine Einwände dagegen geltend gemacht.57 Hier beschränkt er sich darauf, gegen das epikureische Axiom des Zufalls als Ursache des Kosmos seinerseits Gott als letztes bestimmendes Prinzip dieser Wirklichkeit einzuführen: Dieser habe das Sein »zum Zwecke des Erkennens gegeben« (De lat. viv. 6,1129e–f). Letzteres wird von Plutarch ausdrücklich als axiomatische Voraussetzung seiner Weltdeutung kenntlich gemacht,58 die gleichwohl keine willkürliche Behauptung ist, sondern das, was sich seiner Überzeugung nach als die plausiblere Gesamtdeutung der Wirklichkeit bewährt. Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass die Bestimmung zum Erkanntwerden über das menschliche Leben hinaus das Grundprinzip der gesamten Wirklichkeit ist. Hier werden die schon angesprochenen axiomatischen Voraussetzungen der entgegengesetzten Weltdeutung deutlich, insofern sie in der entgegengesetzten Zuordnung von Teil und Ganzem bestehen! Für Epikur ist ja, wie gezeigt, in der Ontologie das einzelne Atom und dementsprechend in der Ethik der atomisierte Einzelne, das »Individuum«, Grundlage der Wirklichkeit und daher Ausgangspunkt aller Überlegungen. Für Plutarch dagegen – das macht die Einführung von »Gott« hier nochmals deutlich – entsteht die Wirklichkeit allererst durch den Zusammenschluss der für sich noch unsichtbaren und so noch nicht im Vollsinn existierenden Atome; dementsprechend kommt auch der Einzelne erst im Austausch mit Anderen, mit denen er als Gemeinschaft ein »Ganzes« bildet, zu seiner eigentlichen Existenz. 56

Vgl. Plutarchs Darstellung dieser Theorie in Adv. Col. 8,1110f–1111a. Bestätigt wird diese Übernahme von Demokrits Welterklärung durch Epikur von Lukrez in seinem Lehrgedicht De rerum natura, das auf Epikurs Hauptwerk περὶ φύσεως beruht: Die Atome sind unsichtbar (vgl. I,265 ff.); erst aus ihrer Zusammenballung entsteht die vorhandene Welt (II,95 ff.; vgl. auch II,1058 ff.; V,416 ff. u. ö.). Dabei ist wohl immer vorausgesetzt, dass diese Entstehung des Vorhandenen ein Übergang vom Unsichtbaren ins Sichtbare ist. Betont wird diese Tatsache jedoch nicht. Möglicherweise geht diese Betonung des Sichtbarwerdens als Synonym für das Ins-Dasein-Treten auf Plutarch zurück. 57 Vgl. besonders Adv. Col. 8–10,1111. Bereits in De superst. 1,164f, vermutlich einem Frühwerk, in dem man aufgrund der Ablehnung des Aberglaubens die weitestgehende Anlehnung an Epikur in Plutarchs Schriften finden zu können glaubt, wird die Atomtheorie als »falsche Ansicht« gleich von Anfang an zurückgewiesen. 58 Bezeichnend ist die Einführung mit den Worten: »Meiner Überzeugung nach …« (De lat. viv. 6,1129e).

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Dieser Antagonismus von Sein und Nichtsein wird von Plutarch nun nochmals theologisch vertieft: Dem Gott des Lichtes und der Erkenntnis tritt als Antipode der Unterweltsdaimon gegenüber.59 Eindeutig sind diese beiden einander entgegengesetzten Gottheiten Exponenten der beiden im Traktat einander gegenübergestellten Daseinshaltungen. Damit kann die Ausführung wieder explizit auf die Daseins- und Handlungsorientierung des Menschen zurückbezogen werden: Dem von Gott als Wesen der Wahrnehmung geschaffenen Menschen ist das »Erkennen und Erkanntwerden« ein angeborener Trieb. Dementsprechend liebt der Mensch das Licht, und einige Philosophen bestimmen sogar das Wesen der Seele als Licht.60 Negativ wird dies auch dadurch bestätigt, dass das Dunkel Angst einflößt. Letztlich bedeutet daher das von Epikur empfohlene Leben im Verborgenen nichts weniger, als dass man »sich dem Sein verweigert«. Die Diskussion um den Ratschlag, im Verborgenen zu leben, wird also von Plutarch systematisch zu einer Frage von Leben und Tod, von Sein oder Nichtsein hochstilisiert. Damit aber hat die durch die gegenseitige Wahrnehmung (γνῶσις) ermöglichte Gemeinschaft Heilsbedeutung. Die bereits in De lat. viv. 6,1129f–1130c einsetzende religiöse Sprache und Metaphorik verdichtet sich immer mehr und macht deutlich: Die Wahl zwischen einem verborgenen und einem öffentlichen Leben entscheidet geradezu zwischen Heil und Unheil. Ebendiese diskursiv nicht mehr wiederzugebende Unbedingtheit wird am Ende der Abhandlung durch die mythischen Bilder zum Ausdruck gebracht, welche die beiden möglichen Daseinshaltungen gewissermaßen visionär verabsolutieren. Zwar lehnt Plutarch – in Aufnahme von Epikurs Kritik an den Jenseitsmythen 61 – hier die Vorstellung jenseitiger »Höllenstrafen« ab, 62 wohl aber lässt er denjenigen, der »sich in Verborgenheit stürzt«, »sein Leben zu Grabe trägt« und »sich dem Sein verweigert«, dann auch dem Nichts des ewigen Vergessens anheimfallen – für Plutarch das »Schauerlichste am Tod«. 63 Diese »epikurei59

Auch dem liegt wohl ein für Plutarch typisches etymologisches Wortspiel zugrunde: Der Name des Unterweltgottes Hades wird in De E 21,394a ebenfalls dem »Delios«, dem »sichtbaren« Apoll, als Ἀιδωνεύς, der »Ungesehene«, entgegengesetzt. Ähnlich wird auch hier deutlich, dass die Sterbenden εἰς ἀειδές, ins Gestaltlose, gehen. 60 Plutarch unterstreicht auch dies durch eine der von ihm geliebten Etymologien: Das epische Wort für den Menschen, φώς, setzt er in Beziehung zu φῶς, «Licht«. 61 Vgl. Epikur, Her. 81. Vor allem Lukrez hat diese Kritik sich zu eigen gemacht und mit besonderem Pathos wiederholt vorgetragen (vgl. De rer. nat. I,102 ff.; III,870–1023; weiter II,37–61; VI,58 ff. u. ö.). 62 Ähnlich auch in De superstitione. An anderen Stellen ist Plutarch hier weit großzügiger und kann hingebungsvoll die Qualen der ungerechten Seelen schildern (vgl. De sera numinis vindicta; De genio Socratis) und solches auch gegenüber Epikur rechtfertigen (Non posse 25–26,1104a–c). 63 Non posse 10,1093a von der Dreiheit λήθη, ἄγνοια und σκότος.

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sche Hölle«64 wird antithetisch von der glücklichen Existenz derer abgesetzt, deren Zusammenleben mit Anderen sich in jenseitigen Gefilden in gemeinschaftlichen Erinnerungen und Gesprächen fortsetzt. Pointiert ausgedrückt: So wie nach der atomistischen Theorie alles zusammengesetzte Sein keinen Bestand hat, sondern sich wieder in seine Bestandteile auflösen muss, so sinkt auch die auf sich selbst beschränkte, ihren Transzendenzbezug negierende Existenz ins Nichts zurück, weil sie durch nichts jenseits ihrer selbst gehalten ist. Die Auflösung und die daraus resultierende Trostlosigkeit sind also für Plutarch die soteriologische Konsequenz des epikureischen Denkens, das entgegen dem eigenen Anspruch das Todesproblem nicht löst, sondern es vielmehr verschärft, weil es gerade durch diese Atomtheorie das Dasein der »Hoffnung auf Unvergänglichkeit beraubt« (Non posse 27,1105a). In provokativer Antithese zu Epikurs Kritik der Jenseitsmythen sagt Plutarch: »Daher macht weder der Cerberus noch der Cocytus die Todesfurcht grenzenlos, sondern die Drohung mit dem Nichtsein, welche für das Zugrundegegangene keine Veränderung zum erneuten Entstehen bereithält« (Non posse 29,1106e–f). Wo dagegen der übergreifende Zusammenhang als eigentlicher Seinsgrund gilt, da gibt es für die dementsprechend lebende Person auch eine Perspektive über den Tod hinaus. Ein »Leben, das auf die Gemeinschaft bezogen und von der Liebe bestimmt ist« (Adv. Col. 2,1108c), ist nicht nur ein »gutes Leben«, sondern auch eines, das stärker ist als der Tod.65

Anhang: »So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten …« – Anmerkungen zu einem Vergleich Plutarchs mit biblischen Vorstellungen Plutarchs Philosophie hat immer wieder zum Vergleich mit dem – etwa zur gleichen Zeit entstandenen – Christentum herausgefordert.66 Seine humane, persönliche Religiosität, seine Tendenz zum Monotheismus mit der Bestimmung Gottes als eines Herrn67 und Schöpfers68 der Welt, der gut ist 64

Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Gedeihen (Anm. 48), 110. In Amat. 17,761f–762a sagt Plutarch, dass Hades von allen Göttern allein dem Eros gehorcht und dass die Mythen vielleicht sogar recht haben, wenn sie den Liebenden selbst die Rückkehr aus dem Totenreich in Aussicht stellen. 66 Vgl. H. ALMQVIST, Plutarch und das Neue Testament. Ein Beitrag zum Corpus Hellenisticum Novi Testamenti (ASNU 15), Uppsala 1946. 67 Gott ist »Lenker und Herr von allem« (De sera 4,550a), der »Anfang, Ende und Mitte aller Dinge umfasst« (Adv. Col. 30,1124f als Zitat aus Platons Nomoi [Leg. IV, 715e–716a]). 68 Im Gegensatz zu den meisten antiken Platonauslegern versteht Plutarch den Timaios wörtlich, geht also von der realen Schöpfung der Welt durch den Gott aus (vgl. dazu 65

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und sich dem Bösen widersetzt, die auf die Liebe konzentrierte Ethik, Plutarchs dialogisches, besonders auch auf den religiösen Bereich gerichtetes Philosophieren und vieles andere mehr scheint doch bemerkenswerte Affinitäten zum Christentum aufzuweisen. So kommt es, dass nicht nur in der Vergangenheit Plutarch durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder von Christen »eingemeindet« wurde, sondern auch ein renommierter Plutarchforscher wie Ziegler feststellt, dass vieles bei Plutarch »eminent christlich« wirkt, und dies auf »Wurzelverwandtschaft« zurückführt.69 Die Suggestion solcher Übereinstimmungen ist groß, nicht zuletzt auch deshalb, weil vieles von der geistigen Welt, die auch Plutarch geprägt hat, im Zuge der Hellenisierung des Christentums rezipiert wurde. Doch mit vorschnellen Harmonisierungen beraubt man sich der Möglichkeit, gerade auch die jeweilige Andersartigkeit wahrzunehmen und in der Auslegung fruchtbar zu machen, eine Andersartigkeit, die etwa ein Kelsos – wie Plutarch Mittelplatoniker – in seiner schonungslosen Abrechnung mit dem Christentum sehr scharf wahrgenommen hat. So zeigt der genauere Blick neben frappanten Übereinstimmungen doch auch tiefgehende Unterschiede, wenn nicht gar Gegensätze70 zwischen dem platonischen und dem jüdischchristlichen Gottes- und Menschenbild, die vor allzu naiver Vereinheitlichung warnen. Eine umfassende vergleichende Darstellung von Plutarch und dem Frühchristentum und deren Würdigung muss einer anderen Untersuchung vorbehalten bleiben. Hier soll nur in einem direkten Vergleich mit De latenter vivendo angedeutet werden, wie ein solcher Vergleich in concreto aussehen könnte. Zunächst fallen auch hier die Gemeinsamkeiten ins Auge. Wie der Mittelplatoniker betont das Neue Testament, dass der Mensch nicht für sich selbst lebt (vgl. Röm 14,7ff.; 2. Kor 5,14f. u. ö.). Vielmehr sind die einzelnen Christen Glieder eines Leibes, die durch die Liebe miteinander verbunden sind (1. Kor 12,12–13,13). Wer sich dennoch selbstsüchtig verwirklichen will, der zerstört sein Leben (vgl. Mk 8,35 par.; Lk 12,16–21; 16,19– 31). »Wer nicht liebt, bleibt im Tod« (1. Joh 3,14). Auf verschiedene D. A. RUSSELL, Plutarch, London 1973, 65; F. E. BRENK, An Imperial Heritage. The Religious Spirit of Plutarch of Chaironeia, in: ANRW II/36.2, Berlin/New York 1987, 248– 349, hier 265 ff.). 69 ZIEGLER, Plutarch (Anm. 36), 20. 70 Diese (zumindest teilweise) Inkompatibilität wird aufgrund der abendländischen Synthese zwischen Christentum und Griechentum oft nicht deutlich empfunden. Sie dokumentiert sich aber nicht nur in der Kritik der paganen Philosophen am Christentum, sondern auch in den großen dogmengeschichtlichen Schwierigkeiten, welche die früh vollzogene Hellenisierung der Kirchen dann bereitet hat (vgl. dazu die Ausführungen in dem fragmentarisch gebliebenen letzten Werk von W. E LERT, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie. Eine Untersuchung über Theodor von Pharan und seine Zeit als Einführung in die alte Dogmengeschichte, Berlin 1957).

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Weise wird dabei auch der Öffentlichkeitsbezug thematisiert. Wegen der Gefahr des falschen Verhaltens bedarf der Gläubige der Wahrnehmung und Korrektur durch die Anderen.71 Umgekehrt soll Positives bekannt werden: Die »Talente« dürfen gerade nicht vergraben, sondern mit ihnen muss in Verantwortung vor Gott in der Welt »gewuchert« werden (Mt 25,14–30). Ein gottentsprechendes Dasein soll ausstrahlen und als Verweis auf Gott von Anderen wahrgenommen werden (vgl. Mt 5,14–16; 1. Kor 10,31–33; Phil 2,15; 1. Petr 2,12).72 Für Paulus beruht sogar das Wesen des Gläubigen darin, dass er – von Gott – erkannt ist (1. Kor 8,3; 13,12; Gal 4,9). Allerdings wird gerade an diesem letzten Punkt sofort die Andersartigkeit deutlich: Das »Erkanntwerden« (γνωσθῆναι) bezieht sich nicht wie bei Plutarch auf einen Akt bewussten Lebens im Licht der Öffentlichkeit zum Zwecke gegenseitiger Wahrnehmung und gegenseitigen Nutzens, sondern bezeichnet die für die gläubige Identität zentrale (An-)Erkenntnis durch den Gott, der den Menschen als ein von ihm radikal unterschiedenes Gegenüber beruft und sich zu ihm in Beziehung setzt.73 Gerade in diesem Selbstverständnis trennen den aus der griechischen Oberschicht stammenden, politisch engagierten Philosophen des Kaiserreiches Welten von den Vertretern einer marginalen und politisch verdächtigen Randsekte jüdischer Herkunft. Plutarchs Mensch ist der Bürger, der sich durch den Bezug zur Öffentlichkeit der Polis (sowohl in einem engeren wie in einem das ganze Imperium umgreifenden Sinn74) konstituiert. Dagegen ist der christliche Nachfolger exklusiv an das personale Gegenüber Gottes in Jesus Christus und die sich von daher verstehende Gemeinschaft der Gläubigen verwiesen (bis zu der für Plutarch sicher unverständlichen Forderung einer »Kreuzesnachfolge«). Der Christ hat dementsprechend hier »keine bleibende Polis«, sondern sucht die zukünftige (Hebr 13,14). Sein πολίτευµα ist in den Himmeln (Phil 3,20), hier ist er deshalb ein ausgegrenzter Fremder (1. Petr 1,1; 2,11).75 71 Die matthäische Gemeinderede thematisiert dies explizit (Mt 18,15 ff.), aber auch Paulus ruft zu gegenseitiger Ermahnung auf (vgl. 1. Thess 5,11). 72 Zwar kann auch einmal Verborgenheit angeraten werden (Mt 6,1–6.16–18), aber dies richtet sich nur gegen die berechnende Zurschaustellung von Frömmigkeit, die damit nicht um Gottes willen, sondern um der eigenen Selbstdarstellung willen getan wird. 73 Vgl. dazu U. SCHNELLE, Neutestamentliche Anthropologie. Jesus – Paulus – Johannes (BThSt 18), Neukirchen-Vluyn 1991. 74 Vgl. dazu G. J. D. AALDERS/L. DE B LOIS, Plutarch und die politische Philosophie der Griechen, in: ANRW II/36.5, Berlin/New York 1992, 3384–3404, hier 3385 f.: Trotz aller Unterschiede, derer sich Plutarch sehr wohl bewusst ist, ist Politik »für ihn, qua Politik, in der Polis wie im Großstaat die gleiche menschliche Aktivität; […] und für die Ausübung der politischen Aretè sieht er daher keinen wesentlichen Unterschied zwischen Polis und Großstaat […]«. 75 Vgl. R. FELDMEIER, Die Christen als Fremde. Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief (WUNT 64), Tübingen 1992.

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Ein Fazit ist hier nicht möglich, nur eine Anregung. Plutarch hat die das Abendland prägende Synthese von christlichem Glauben und hellenistischer Kultur wesentlich mit ermöglicht, und die Kirchenväter haben sich dann ja auch immer wieder auf ihn bezogen76 und das Christentum mit den Kategorien der (platonischen) Philosophie gedeutet. Sicher ging bei dieser Synthese manches verloren, und es ist sinnvoll, wenn heute der biblischjüdische Hintergrund des Christentums – etwa gegen eine einseitige Interpretation des christlichen Gottesgedankens durch die Metaphysik oder gegen die Abwertung der Leiblichkeit – wieder verstärkt zur Geltung gebracht wird. Aber die noch immer vorherrschende Sicht eines durch die Hellenisierung des Christentums eingeleiteten Abfalls vom biblischen Ursprung ist nicht nur historisch problematisch,77 sondern auch theologisch zumindest einseitig; berücksichtigt sie doch nicht, inwieweit diese Synthese auch zu einer Horizonterweiterung und zu einem vertieften Selbstverständnis des biblischen Glaubens geführt hat.

76 Seit Clemens Alexandrinus wird Plutarch von den Kirchenvätern in unterschiedlicher Intensität aufgenommen – bis hin zur weitgehenden Übernahme: »Aus Basileios Munde […] redet von einer christlichen Kanzel herab nur Plutarch« (R. H IRZEL, Plutarch, Leipzig 1912, 83 f.). 77 Palästina zurzeit Jesu war schon dreieinhalb Jahrhunderte hellenisiert (vgl. M. HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. [WUNT 10], Tübingen 31988), Paulus war hellenistischer Jude, und eine für das Christentum so zentrale Vorstellung wie die von der Auferstehung hätte sich ohne die Auseinandersetzung mit dem Hellenismus wohl kaum herausgebildet. Bereits Paulus ist Diasporajude, dessen Muttersprache Griechisch ist!

Der Gott der Toten als Gott des Lebens Plutarchs interpretatio Platonica des Osirismythos (De Iside 76–78) 1. Der lebendige Gott. Der Vergleichspunkt Dass Gott ein »Gott der Lebenden« ist, wie es Jesus im Streitgespräch mit den Sadduzäern formuliert (Mk 12,27 par.), ist gleichsam ein Axiom der biblischen Gotteslehre. Dieses erfährt seine äußerste Zuspitzung im Neuen Testament gerade durch den Bezug auf den Tod Jesu Christi, in dem sich Gott als der lebendigmachende offenbar gemacht, d. h. gerade angesichts des Todesproblems als der Gott des Lebens bestätigt hat. Geradezu formelhaft wird dementsprechend in der christlichen Missionspredigt die Bekehrung zum Christentum als Hinwendung zum »lebendigen Gott« bezeichnet (1. Thess 1,9; Hebr 9,14 u. ö.). Wenn daher der Bibelwissenschaftler bei Plutarch liest, dass Osiris als »König über die Toten« (De Iside 78,382e) der Führer der Seelen zu einem glückseligen Leben ist (78,382f–383a), während das Zerstörerische und der Tod auf eine widergöttliche Gegenmacht zurückgeführt werden (s. u.), dann weckt dies seine Neugierde und reizt ihn zu einem Vergleich. Dieser Vergleich kann hier zwar nicht in extenso durchgeführt werden, aber einige Gedanken dazu sollen immerhin versucht werden. Im Zentrum steht dabei eine Auslegung der einschlägigen Passagen bei Plutarch; der sehr viel umfangreichere Vergleichspunkt, die Rede vom Gott des Lebens im biblischen Schrifttum, kann hier nur knapp skizziert werden.1 Der hier als Axiom der biblischen Gotteslehre bezeichnete Satz, dass Gott ein lebendiger Gott bzw. ein Gott der Lebenden ist, hat im Laufe der Zeit einen signifikanten Bedeutungswandel durchlaufen. Ursprünglich wurde damit zum Ausdruck gebracht, dass der alttestamentliche Gott mit dem Bereich der Toten nichts zu tun hat. Rhetorische Fragen wie »Wer wird dir bei den Toten danken?« (Ps 6,6) oder »Wirst du an den Toten Wunder tun?« (Ps 88,11) unterstreichen ebenso wie die Feststellung: »Die Toten 1 Vgl. dazu jetzt R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, bes. S. 515–546.

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loben dich nicht« (Jes 38,18; Ps 115,17), dass Gott mit dem Bereich der Toten nichts zu tun hat. Diese Abgrenzung Gottes vom Tod wird jedoch bereits in den späten Schriften des Alten Testaments und im Antiken Judentum neu bestimmt. Aus der Perspektive einer zur creatio ex nihilo radikalisierten Schöpfungsvorstellung, welche die Bedingungen des Daseins durch den göttlichen Willen gesetzt sieht (κτίσις), wird nun auch der Bereich des Nichts und des Todes in die göttliche Machtsphäre einbezogen, entweder als Glaube an die Auferstehung der Toten (2. Makk 7,28f.) oder als Verewigung der frommen Seelen (SapSal 2,23–3,9; 6,18f.). Diese Überzeugung setzt Jesus voraus, wenn er in dem erwähnten Streitgespräch seine Gegner an die δύναµις τοῦ θεοῦ verweist, an die Macht des Gottes, den er als »Gott der Lebenden« bestimmt (Mk 12,27), also an jene schöpferische Lebensmacht, welche diejenigen, die zu Gott gehören, an der göttlichen Unsterblichkeit teilhaben lässt, wie der Evangelist Lukas diese Argumentation dann für griechische Leser übersetzt (Lk 20,36.38). Diese Gedanken denkt Paulus konsequent weiter. Paulus, der erste für uns greifbare Denker des Christentums, deutet ja das Kreuz Christi als den Ort der göttlichen Selbstoffenbarung, d. h., hier hat sich der biblische Gott als die Macht definiert, die im Tod neues Leben schafft. Von jenem göttlichen ζῳοποιεῖν her deutet der Apostel sowohl Gottes gegenwärtiges Handeln in der Schöpfung (1. Kor 15,36) wie auch die christliche Zukunftshoffnung (1. Kor 15,21.45). In Röm 4,17 definiert der Apostel Gott geradezu als den, der »das Nichtseiende ins Sein ruft und die Toten lebendig macht«. Wenn aber das göttliche Handeln dadurch bestimmt ist, dass Gott »ins Dasein ruft« und »lebendig macht«, dann stellt sich verschärft die Frage nach der Herkunft des Todes in der von diesem Gott geschaffenen Welt, überhaupt die Frage nach dem Nichtigen. So kommt es nicht von ungefähr, dass der Apostel gerade im Kontext der genannten Aussagen über Gott auch auf die Frage nach der Herkunft des Todes eingeht. Er beantwortet sie, indem er Gen 3, die Erzählung vom sogenannten ›Sündenfall‹, als Ätiologie des Todes ausdeutet: »Durch einen Menschen [= Adam] kam der Tod« (1. Kor 15,21). Paulus präzisiert diese Aussage im Blick auf die universelle Verderbnis des Kosmos noch einmal im Römerbrief: »Durch einen Menschen kam die Sünde in den Kosmos herein und durch die Sünde der Tod« (Röm 5,12). Eine solche Deutung von Gen 3 als Ätiologie des Todes erscheint zumindest den Theologen höchst vertraut, ja selbstverständlich, aber sie ist – darauf hat jüngst J. Dochhorn2 hingewiesen – nichts weniger als das. Im hebräischen Kanon des Alten Testaments ist eine solche Ausdeutung noch nicht bezeugt, und im Antiken Judentum findet sich der älteste bekannte 2 J. DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung und Kommentar (TSAJ 106), Tübingen 2005, 168–170.

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Beleg in der Sapientia Salomonis, einer wohl im ersten nachchristlichen Jahrhundert in Ägypten verfassten Schrift des dortigen Diasporajudentums. Auch in dieser wird das Handeln Gottes strikt als seinsstiftend bestimmt und dem Bereich des Todes und Vergehens antithetisch entgegengesetzt. Explizit konstatiert SapSal 1,13f.: Gott hat den Tod nicht geschaffen, noch hat er seine Freude am Verderben des Lebendigen – zum Sein hat er das All geschaffen (ἔκτισεν γὰρ εἰς τὸ εἶναι τὰ πάντα).

Unausweichlich stellt sich auch hier die Frage: unde mors et qua re? Wie bei Jesus und Paulus ist dies keine bloß spekulative Frage, denn gerade die Hoffnung des dem Tod ausgelieferten Menschen auf die lebendigmachende Macht des biblischen Gottes verlangt eine Antwort auf die bedrängende Frage nach der Möglichkeit des Nichtigen. Wie schon gesagt, bedient sich auch die Sapientia Salomonis dazu einer ätiologischen Deutung von Gen 3, wobei bezeichnenderweise nur an dieser Stelle, da es um die Herkunft des Todes geht, auf den Teufel Bezug genommen wird! Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen, und als Abbild seiner eigenen Ewigkeit [v. l. seines Wesens] 3 hat er ihn gemacht, aber durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt (φθόνῳ δὲ διαβόλῳ θάνατος εἰσῆλθεν εἰς τὸν κόσµον). (2,23 f.)

So weit zum Vergleichspunkt, der biblischen Rede vom lebendigen Gott. Auch Plutarch deutet, wie schon gesagt, Gott als Gott des Seins und des Lebens und führt dementsprechend das Nichtige und den Tod durch Rekurs auf mythische Gestalten auf eine dazu in Opposition stehende Gegenmacht zurück. Im furiosen Schlusskapitel von De E apud Delphos tut dies Plutarchs philosophischer Lehrer Ammonios, wenn er Apollon, Inbegriff des göttlichen Seins4 und zugleich die Macht, durch die alles andere Dasein Bestand hat,5 in einer Schärfe, die sich »così radicale solo in questa pagina del De E«6 findet, als »rather disreputable double«7 Pluton gegen3

RAHLFS bevorzugt die Variante ἀϊδιότης, ZIEGLER die besser bezeugte ἰδιότης; ihm schließt sich etwa Scarpat an (G. SCARPAT, Libro della Sapienza. Testo, traduzione, introduzione e commento, Band I, Brescia 1989, 198 f.). 4 Vgl. De E 17,392a: »Denn der Gott ruft jedem von uns, die wir hierherkommen, gleichsam als Gruß das ›Erkenne dich selbst‹ entgegen, und wir wiederum sprechen, dem Gott antwortend, ›Du bist‹, wobei wir ihm das wahre, nicht irrende, ihm allein zukommende Prädikat, das des Seins, als Anrede widmen.« 5 Geradezu im Sinne einer creatio continua wird die bestehende Wirklichkeit dadurch erhalten, dass das Göttliche, »auf irgendeine Weise im Kosmos gegenwärtig, mit diesem Sein (οὐσία) zusammenbindet und so die in die Vernichtung führende Schwäche des Körperlichen bezwingt« (De E 21,393f ). 6 F. FERRARI, Dio, idee e materia. La struttura del cosmo in Plutarco di Cheronea, Neapel 1995, 55. 7 F. E. BRENK, In Mist Apparelled. Religious Themes in Plutarch’s Moralia and Lives (Mn.S 48), Leiden 1977, 104.

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überstellt, den Unterwelts- und Totengott, »der finsteren Nacht und des untätigen Schlafes Herrscher und den Sterblichen von allen Göttern der Verhassteste« (21,394a; Übersetzung ZIEGLER). Im Gegensatz zum ewig seienden Gott ist dieser »über Vergehen und Werden gesetzt« und wird deshalb von Plutarch zu einem Daimon depotenziert (21,394a). Das göttlich-halbgöttliche Gegensatzpaar Apollon und Pluton ist hier Exponent des ontologischen Gegensatzes von ewigem Sein und vergänglicher Wirklichkeit. In De Iside hat Plutarch diesen Ansatz in seiner Interpretation von Osiris als Gott des Seins und Typhon/Seth (bzw. Ahriman) als einer πρὸς τὴν βελτίονα ἀεὶ δυσµαχοῦσα (erg. δύναµις), einer ewig mit der guten göttlichen Ordnungsmacht im Streit liegenden Gegenmacht (49,371a), noch einmal radikalisiert, und er hat sich nicht nur der Götternamen und der damit verbundenen Konnotationen bedient, sondern er hat, wie Paulus und der Verfasser der Sapientia Salomonis, dazu einen Mythos ausgelegt. Ich will mich nun allerdings heute nicht auf das verminte Gelände von Plutarchs Dualismus begeben,8 sondern noch etwas näher den meist weniger beachteten positiven Gegenpol betrachten. Dieser ist deswegen besonders aufregend, weil der in der ganzen Schrift als Inbegriff des wahrhaften und vernünftigen Seins gedeutete Osiris9 traditionellerweise ein Totengott ist und in diesem Sinn auch von Plutarch als Herrscher der Verstorbenen gedeutet wird (78,382e). Dies nötigt Plutarch, in Auseinandersetzung mit dem Mythos und entsprechenden Praktiken der ägyptischen Religion (vom Tierkult bis hin zur Verehrung von Mumien) das Wesen des Göttlichen gerade im Blick auf den Lebensbegriff zu profilieren. Das soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Zuvor jedoch einige Vorüberlegungen zum hermeneutischen Programm von De Iside und dessen Implikationen.

2. Das hermeneutische Programm von De Iside und dessen Implikationen In De Iside 9,354b–c formuliert Plutarch die hermeneutischen Prämissen seiner religionsphilosophischen Betrachtung: Es handle sich bei der ägyptischen Religion um Philosophie, genauerhin um eine Philosophie von Priestern, bei der vieles in Mythenerzählungen verborgen sei, »welche die Wahrheit undeutlich abspiegeln und durchscheinen lassen«. Sie ist αἰνιγµατώδης 8 Vgl. dazu die Untersuchung von K. A LT, Weltflucht und Weltbejahung. Zur Frage des Dualismus bei Plutarch, Numenios, Plotin (AAWLM.G 1993/8), Mainz/Stuttgart 1993, 26. 9 49,371a: νοῦς καὶ λόγος ὁ τῶν ἀρίστων πάντων ἡγεµὼν καὶ κύριος Ὄσιρίς ἐστιν; vgl. weiter 54,373a; 64,377a.

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σοφία τῆς θεολογίας, in Rätsel gefasste Weisheit der Rede/Lehre von Gott (9,354c). Der angemessene Umgang mit dieser Religion besteht folglich nicht nur im bloß äußerlichen Vollzug ihrer Riten und Bräuche (dass man etwa ein linnenes Gewand trägt oder sich kahl rasieren lässt), sondern darin, dass man jene religiösen Vorstellungen und Bräuche, 10 welche νόµῳ, d. h. durch überlieferte Vorschriften, empfangen wurden, nun auch λόγῳ, d. h. durch das eigene philosophische Fragen und Denken, zu verstehen und ihren Wahrheitsgehalt zu erheben sucht (λόγῳ ζητῶν καὶ φιλοσοφῶν περὶ τῆς ἐν αὐτοῖς ἀληθείας; 3,352c). Exakt dies tut der Mittelplatoniker in jener einer gewissen Klea, wohl11 einer delphischen Priesterkollegin, gewidmeten Schrift: Er bietet eine philosophische Auslegung der ägyptischen Religion (und in geringem Umfang auch der persischen) mit dem erklärten Ziel, hier eine Erkenntnis des »Ersten und Herrschenden und Intelligiblen« zu finden (ἡ τοῦ πρώτου καὶ κυρίου καὶ νοητοῦ γνῶσις), also dessen, was er als Philosoph unter dem wahren Göttlichen versteht (2,352a).12 Dass sich ein Philosoph einer Religion (und zudem einer fremden Religion) zuwendet mit dem erklärten Ziel, durch sorgfältige Auslegung der in ihr überlieferten Mythen und der von ihr praktizierten Riten eine philosophische Wahrheit nicht nur a posteriori bestätigt zu sehen, sondern diese Wahrheit aus ihnen zu erheben, ist einigermaßen ungewöhnlich. Im Allgemeinen wurde die positive Religion, wenn sie denn von den Philosophen überhaupt beachtet wurde, aus der Perspektive einer vorab feststehenden philosophischen Erkenntnis umgedeutet oder kritisiert; man lese nur, wie Seneca im 41. Brief die religiöse Tradition und Praxis gleichsam mit einem Federstrich erledigt: Wir müssen nicht die Hände zum Himmel erheben noch den Tempelhüter anflehen, dass er uns zum Ohr der Götterbilder Zutritt gewähre, als ob wir so eher erhört werden könnten: Nahe ist dir Gott, mit dir ist er, in dir ist er.13

Markant anders Plutarch: Er will die religiösen Mythen und Riten auch in ihrer Fremdartigkeit, ja Anstößigkeit als in Mythenerzählungen verborgene Philosophie (9,354b–c) verstehen und deuten. »Die Mathematiker sagen«, so beschreibt er diese Überzeugung in 20,358f–359a durch einen Ver10

3,352c: τὰ δεικνύµενα καὶ δρώµενα περὶ τοὺς θεοὺς τούτους. Vgl. H. GÖRGEMANNS, Plutarch. Religionsphilosophische Studien (Sammlung Tusculum), Zürich u. a. 2003, 340: »Wahrscheinlich bekleidete sie ein Priesteramt sowohl im Isis- als auch im Dionysos-Kult in Delphi«. 12 Dementsprechend deutet er gleich zu Beginn die ägyptischen Gottheiten. So wird etwa der Begriff ›Iseion‹ etymologisch gedeutet: »Es heißt ›Iseion‹, und das soll besagen: ›wir werden wissen‹ (εἰσόµεθα) ›das Seiende‹ (ὄν), wenn wir mit Vernunft und Frömmigkeit dem heiligen Bereich der Göttin nahen« (2,352a). 13 »Non sunt ad caelum elevandae manus nec exorandus aedituus ut nos ad aurem simulacri, quasi magis exaudiri possimus, admittat: prope est a te deus, tecum est, intus est« (Ep. 41,1; Übersetzung F. LORETTO). 11

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gleich, »der Regenbogen sei ein Scheinbild der Sonne, und er komme in seiner Buntheit dadurch zustande, dass der Sehstrahl unter der Wirkung der Wolke zurücklaufe; ebenso ist der Mythos hier bei uns das Erscheinungsbild eines Logos, ein Bild, das unser Denken auf ein Anderes hin reflektiert.« Daraus folgt dann auch sein hermeneutisches Programm: Er will, so sagt er es in 68,378a, »den Logos aus der Philosophie als Mysterienführer (µυσταγωγός) heranziehen, um alles, was in den Riten gesprochen und getan wird, in frommer Weise aufzufassen (ὁσίως διανοεῖσθαι)«. Ebendiese Haltung eines verstehen wollenden Fragens und Nachdenkens, das an die religiösen Traditionen mit der Erwartung herangeht, dort eine ἀλήθεια (3,352c), einen ἱερὸς λόγος περὶ θεῶν (3,353b), also etwas Wesentliches über Gott und die Welt zu erfahren, führt dann auch zu einer Erweiterung des eigenen Horizontes. Zwar bildet, wie es anders kaum sein kann, Plutarchs eigene philosophische Überzeugung den Hermeneuten der ausgelegten Mythen und Bräuche; aber so, wie am Beginn der »Eheratschläge« Hermes – dort wie in De Iside 54,373b Symbol des philosophischen Logos – der durch Aphrodite verkörperten ehelichen Lust zu beiderseitigem Nutzen beigesellt wird (Coni. praec. 138c–d), so handelt es sich auch hier – wenn ich die Metaphorik Plutarchs etwas weiterführen darf – bei dem Miteinander von religiösem Mythos und Ritus auf der einen und philosophischem Logos auf der anderen Seite um ein fruchtbares Ehebett, nicht um ein Prokrustesbett. Unmetaphorisch gesprochen: Die religiöse Tradition wird nicht nur als Projektionswand des schon immer Gedachten und Gewussten instrumentalisiert, sondern der Priester und Philosoph Plutarch14 bemüht sich um Verstehen – bis hin zu den ägyptischen Reinheitsvorschriften und anderen, dem griechischen Denken zunächst wenig sinnvoll erscheinenden Besonderheiten dieser Religion. Er tut dies in der Überzeugung, dass die theologische Wahrheitssuche der Weg des Menschen zum Göttlichen ist, wie er gleich am Beginn seiner Schrift feststellt: Das Verlangen nach Wahrheit, insbesondere nach der Wahrheit über die Götter, ist ein Streben nach Göttlichkeit. (2,351e)

In dieser Bereitschaft, im Anderen, Fremden, nach einer für die eigene Existenz wichtigen Wahrheit zu suchen, eröffnen sich dem Denken neue Perspektiven, sodass sich dabei auch der Standpunkt des Interpretierenden selbst verändert. Das trifft insbesondere für jene Schrift De Iside zu; Görgemanns stellt in seinem Kommentar dazu grundsätzlich fest: »Plutarchs Ontologie in De Iside ist eine Variante des Platonismus, die in dieser Form

14 Vgl. dazu R. FELDMEIER, Philosoph und Priester. Plutarch als Theologe, in: M. B AUMBACH/H. KÖHLER/A. M. RITTER (Hg.), Mousopolos Stephanos. Festschrift für Herwig Görgemanns (BKAW 2,102), Heidelberg 1998, 412–425 = oben S. 49–60.

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sonst nicht belegt ist«. 15 Das lässt sich an einigen nicht ganz unwichtigen Fragen zeigen. Das auffälligste und bekannteste Beispiel ist die schon erwähnte Deutung des Typhon/Seth (bzw. des persischen Ahriman), welcher für das Ungeordnete, das Zerstörerische verantwortlich ist und trotz seiner Unterlegenheit gegenüber dem Guten »unmöglich völlig vergehen kann« (49,371a). Inwieweit dies noch als platonisch angesehen werden kann, ist umstritten16 – in jedem Fall betreibt Plutarch nicht zuletzt aufgrund seiner Auslegung des Mythos eine eigenständige relecture Platons, wenn er sich dafür auf die zweite Weltseele in den Nomoi beruft. Ich will, wie gesagt, den Blick heute auf das positive Gegenstück richten, auf die Deutung des Osiris als Inbegriff des Göttlichen, das nicht nur selbst Exponent des Intelligiblen, des Guten, des Seins ist, sondern durch Teilgabe daran Leben ermöglicht. Das ist natürlich besonders brisant, wenn dieser Gott Osiris ist, »der über die Toten herrscht und König ist« (78,382e), also als Totengott dem Bereich des Lebens scheinbar entgegengesetzt ist. Vorbereitet wird diese Deutung durch die Auseinandersetzung mit dem ägyptischen Tierkult.

3. Plutarchs Beurteilung des ägyptischen Tierkultes 3.1 Kontext Die Auseinandersetzung mit dem Tierkult steht am Ende von De Iside, wo Plutarch nach seiner Gesamtdeutung der ägyptischen Religion nun in einer Art Anhang sich mit Missverständnissen beschäftigt, denen diese Religion ausgesetzt ist (De Iside 65ff.). In De Iside 71–76 kommt er dabei auch auf den Tierkult zu sprechen. Beim Tierkult handelt es sich um ein Phänomen der ägyptischen Religion, das in der Antike häufig auf Unverständnis und zum Teil auch auf schroffe Ablehnung stieß – nicht nur bei Juden (vgl. SapSal 11,15; 12,24) und Christen (Röm 1,23), sondern auch in der paga15

H. GÖRGEMANNS, Plutarch (Anm. 11), 352. In der gegenwärtigen Plutarchforschung wird kontrovers diskutiert, ob Plutarchs Deutung noch als eine legitime Auslegung Platons zu rechtfertigen ist. Die Meinungen reichen von glatter Bestreitung – so Karin Alt: »Für Typhon gibt es kein platonisches Analogon, auch nicht die zweite Weltseele der Nomoi« (A LT, Weltflucht [Anm. 8], 26) – bis zu vorsichtiger Bejahung – so John Dillon (J. M. DILLON, Plutarch and God. Theodicy and Cosmogony in the Thought of Plutarch, in D. FREDE/A. LAKS [Hg.], Traditions of Theology. Studies in Hellenistic Theology, Its Background and Aftermath [PhAnt 89], Leiden 2002, 223–237). In bewusster Korrektur seiner früheren Meinung sagt Dillon, dass Plutarch sich bei der Frage des Bösen zwar bewusst sei »of going against the grain of tradition« (223 in Verbindung mit Anm. 1), aber so ungewöhnlich diese Position sei, »it cannot be condemned, I think, within an ancient context, as seriously unplatonic« (233). 16

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nen hellenistischen Kultur.17 Plutarch sagt selbst, dass diese Eigenart der ägyptischen Religion »mit Gelächter und Spott überschüttet werde« (71, 379d–e), und er räumt ein, dass daran durchaus auch die religiöse Praxis mit schuld sei, insofern »in Ägypten das Volk die Tiere selbst verehrt und wie Götter umsorgt« (71,379d). Das aber hält Plutarch für problematisch, da es nicht nur diesen Kult lächerlich macht; »das ist«, so Plutarch, nur der geringste Nachteil dieser Einfältigkeit, sondern es setzt sich dadurch eine gefährliche Meinung fest, die Schwache … in schierem Aberglauben versinken lässt, während sie bei den eher energischen und kühnen Charakteren in gottloses, tierhaftes Denken umschlägt. (71,379e)18

Gegenüber diesem – wie Plutarch unterstellt – Selbstmissverständnis der religiösen Praxis geht es ihm daher darum, mit Hilfe des philosophischen Logos τὰ εἰκότα διελθεῖν (71,379e), d. h. auch gegen die gängige religiöse Praxis einen plausiblen Sinn der Riten zu erhellen. Und so sucht und findet er auch hier, in jenem für griechisches Denken vielleicht fremdartigsten Aspekt der ägyptischen Religion, eine solche philosophische Wahrheit. Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Diese Wahrheit besteht darin, dass das Göttliche sein Wesen in dieser Welt am vollkommensten im Lebendigen offenbart. Um dies zu zeigen, muss Plutarch zunächst die verschiedenen Deutungen des Tierkultes zurückweisen, welche seiner Ansicht nach unzutreffend sind. Er führt dann andere Deutungsmöglichkeiten an, von denen er am Ende (76,382c) sagt, dass er ihnen am meisten beipflichtet. 19 Für die Plausibilität einer symbolischen Deutung der Tiere verweist Plutarch auf analoge Phänomene in der griechischen Religiosität – von den Götterstatuen bis zu den von den Pythagoreern vergöttlichten Zahlen. Von Letzteren, den auch griechischem Denken vertrauten Phänomenen der Götterstatuen sowie der göttlichen Zahlen, geht Plutarch nun aus. Hier nimmt der Versuch einer eigenen philosophischen Interpretation des Tierkultes seinen Ausgangspunkt.

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Vgl. Cicero, De nat. deor. III,39. Hier und im Folgenden übernehme ich mit gelegentlichen kleinen Abweichungen die Übersetzung von H. GÖRGEMANNS. 19 Das klingt so, als hätte er sie bereits als Apologien dieses Kultes vorgefunden. Solche Deutungen besagen etwa, dass mit dem Tierkult die vernunftlose und tierische Natur besänftigt und milde gestimmt werden soll oder dass die Tiere wie das Rind wegen ihres Nutzens für den Menschen verehrt würden oder dass sie wegen bestimmter Aspekte verehrenswert wären, weil diese auf das Göttliche verweisen (wie etwa das Wiesel, von dem viele glauben, »dass es durch das Ohr begattet werde und aus dem Mund gebäre und damit ein Gleichnis für die Entstehung des Logos sei«, 74,381a). 18

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3.2. Die philosophische Argumentation Diese Deutung wird im Rückbezug auf das Vorige mit einem Schluss a minori ad maius eröffnet20: Wenn nach Meinung der angesehensten Philosophen, so Plutarch, selbst πράγµατα – das meint unbeseelte Gegenstände wie Götterbilder und körperlose wie die Zahlen – als αἰνίγµατα τοῦ θείου, als Verschlüsselungen des Göttlichen, anzusehen sind, so gelte das ἔτι µᾶλλον, »noch viel mehr«, für φύσεις, für Wesen, welchen Wahrnehmung (αἴσθησις), Lebendigkeit (ψυχή), Empfindung (πάθος) und ein bestimmter Charakter (ἦθος) eignet. Dabei unterstreicht Plutarch zunächst nochmals, was er schon in der Auseinandersetzung mit den Missverständnissen betont hatte, dass nicht die Tiere an sich zu verehren sind, »sondern durch sie bzw. in ihnen das Göttliche« (ἀλλὰ διὰ τούτων τὸ θεῖον), dessen »besonders klare, von der Natur geschaffene Spiegel sie sind«. Sie sind, wie Plutarch mit einem unbekannten Dichterzitat noch präzisiert, »des Gottes Werk, der stets in schönster Ordnung schafft ein jedes Ding« (76,382b). Die lebenden Wesen sind also deshalb bessere Bilder des Göttlichen, weil hier nicht Menschen versuchen, mit toten Materialien das Göttliche darzustellen, sondern weil das Göttliche sich in den lebenden Wesen als Lebensprinzip selbst darstellt. Daraus ergibt sich dann der geradezu axiomatische Grundsatz, »dass nichts Unbeseeltes dem Beseelten und nichts Empfindungsloses dem Empfindenden überlegen ist, selbst wenn man alles Gold und alle Smaragde der Welt zusammentrüge« (76,382b). Aber Plutarch geht noch einen Schritt weiter, wenn er diesen Grundsatz im Folgenden dazu benützt, sogar die religiöse Verehrung von Tiermumien zu rechtfertigen: Nicht in Farben, Formen und feinem Schliff liegt das Göttliche, sondern alles, was am Leben nicht teilhat und teilzuhaben nicht befähigt ist, steht an Rang und Würde noch unter den Kadavern; ein Wesen aber, das lebt und schaut und aus sich selbst den Ursprung der Bewegung hat und Eigenes und Fremdes unterscheidet – dieses Wesen hat einen Ausfluss und Anteil von der Schönheit des Denkenden in sich aufgenommen, »von dem die Welt gelenkt wird«, wie Heraklit sagt. (382b)

Insofern es hierbei, wie Hirsch-Luipold schön beobachtet hat, dem Leben eben nicht, wie es platonischer Tradition entspräche, das wahre Sein gegenübergestellt wird, sondern die Leblosigkeit,21 wird noch einmal nachhaltig herausgestellt, dass es das Lebendige ist, das dem Göttlichen ontologisch 20 Zum Folgenden vgl. besonders die Auslegung des Textes bei R. H IRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken in Bildern. Studien zur literarischen, philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften (STAC 14), Tübingen 2002, bes. 211 ff. 21 R. HIRSCH-LUIPOLD, Denken in Bildern (Anm. 20), 219: »Als Gegensatz zu der anderswo bei Plutarch als Werden und Vergehen qualifizierten Sphäre des irdischen Lebens erscheint hier nicht das wahre Sein, wie man es in Anschluss an Platon erwarten würde, sondern die Leblosigkeit.«

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am nächsten steht. Darum stellt nicht das Kunstwerk als die ästhetische Objektivation des menschlichen Geistes, nicht einmal die pythagoreische Mathematik als höchste geistige Tätigkeit die vollkommenste Abbildung des göttlichen Wesens dar, sondern die Lebewesen; denn diese partizipieren aufgrund ihrer Lebendigkeit unmittelbar am göttlichen Sein und sind deshalb der »klarere Spiegel«. In jenem Versuch der Deutung der ägyptischen Tierverehrung deutet sich eine Ontologie an, die durch die verschiedenen Stufen der Partizipation am Göttlichen hierarchisch gegliedert ist und dies in der Doppelheit von göttlicher Teilgabe (ἀπορροή) und Teilhabe (µοῖρα) des Seienden am Göttlichen auf den Begriff bringt! Diese ontologische Partizipation gründet im Logos, durch den das Göttliche im Seienden anwesend ist: Als Inbegriff des Göttlichen ist Osiris »der gemeinsame Logos der Dinge im Himmel und im Hades« (61,375d– e). Das äußert sich in der Befähigung des Seienden zur Selbstorganisation in Form der eigenen Wahrnehmung, der Bewegung aus eigenem Antrieb und der Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem; durch den Logos wird die Materie zum Organismus. In dieser Fähigkeit der Materie zur Selbstorganisation bringt sich das Göttliche zur Darstellung, deshalb bildet das Lebendige in dieser Wirklichkeit die dem Göttlichen am nächsten stehende Seinsstufe. In der Verehrung der Tiere wird folglich nicht, wie es der oberflächlichen Kritik erscheint, das Tierisch-Vernunftlose vergöttlicht, sondern das Göttliche in den Formen des Lebendigen verehrt. Wenn aber das Göttliche sich gerade in der Gestalt des Lebendigen am adäquatesten darstellt, wenn sein Wesen im Lebendigen seinen ›Ausfluss‹ hat (der Begriff der ἀπορροή ist eine bewusst an den zeugenden Samenfluss erinnernde Metaphorik, vgl. 53,372f), dann hat dies Folgen für das Verständnis des Göttlichen: Dessen eigenes Wesen spiegelt sich im Leben, ja, ist Leben. 3.3. Osiris: Der Totengott als Gott des Lebens Die Brisanz dieser Schlussfolgerung wird sofort deutlich, wenn Plutarch im Folgenden auf Osiris zu sprechen kommt. Osiris wurde ja, wie gesehen, in der gesamten bisherigen Schrift als Inbegriff des ewigen und unveränderlichen Göttlichen gedeutet. Dass ebendieser ewige und unveränderliche Osiris nach dem von Plutarch selbst referierten Mythos getötet und zerstückelt worden ist, hat Plutarch schon dadurch erklärt, dass sich dies nicht auf die Seele, sondern den Körper des Osiris beziehe, also die »Abbilder« des ὂν καὶ νοητὸν καὶ ἀγαθόν in der Sinnenwelt (54,373a). Was allerdings zu erklären bleibt, ist das Wesen des Osiris überhaupt; denn dieser ist ja ein Totengott, wie auch Plutarch explizit festhält, wenn er sagt, dass er nach der Priesterlehre der Gott ist, der »über die Toten herrscht und König ist« (78,382e). Dies könnte, so führt er aus, leicht so

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verstanden werden, als sei er ein Gott der Unterwelt, der in und unter der Erde zuhause ist, wo auch die Toten bestattet werden. Diese Interpretation des Osiris als eines Gottes, der für den Bereich des Todes zuständig ist, aber würde die gesamte bisherige Deutung des Osiris in Frage stellen, die sich ja im Kapitel zuvor noch einmal dezidiert in der Selbstdarstellung des Göttlichen im Lebendigen gezeigt hat. Deshalb hält Plutarch noch einmal grundsätzlich fest: »Aber in Wirklichkeit ist Osiris weit weg von der Erde, unberührt, unbefleckt und rein von jeder Substanz, die Verfall und Tod ausgesetzt ist.« Der Gott steht damit in einem deutlichen Gegensatz zur Welt des Vergehens und Werdens, wie auch die mit α-privativum gebildeten Prädikate einer negativen Theologie unterstreichen (vgl. ähnliche Aussagen in De E). Er steht ontologisch so weit über dieser Welt, dass selbst bei den menschlichen Seelen, solange sie an den Körper gebunden sind, die µετουσία τοῦ θεοῦ auf das Minimum eines durch die Philosophie ermöglichten undeutlichen Traumbildes reduziert wird: Menschliche Seelen, die bei uns in Körper und Leidenschaften eingeschlossen sind, haben keine Gemeinschaft mit dem Gott, außer dass sie ein undeutliches Traumbild von ihm erfassen durch das Denken mithilfe der Philosophie.

Auf dem Hintergrund der platonischen σῶµα-σῆµα-Vorstellung (Gorg. 493a) wird das Leben auf dieser Erde als Begrabensein verstanden. Dies ermöglicht die Deutung des Todes als Erlösung aus dem Grab der irdischen Existenz. Von hier aus wird dann Osiris gedeutet: Als Totengott ist er gleichsam die Negation der Negation; durch den Tod wird der Tod überwunden. Das erinnert prima facie an die eingangs zitierten paulinischen Aussagen, dass sich Gott im Tod Jesus Christi als der lebendige und lebendigmachende Gott erwiesen hat, sodass gerade durch die Teilhabe an dessen Tod Leben erlangt wird (Röm 6). Doch zeigt genaueres Hinsehen, dass die hier im Hintergrund stehende Vorstellung eine völlig andere ist. Beim Apostel ist es der Wille des Gottes, der aus dem Nichts Sein und aus dem Tod Leben hervorgehen lassen kann (Röm 4,17), also desjenigen, der als Schöpfer die Bedingungen der Wirklichkeit gesetzt hat und diese entsprechend seinem Heilswillen auch verändern kann, bis die zerstörerischen Mächte und zuletzt sogar der Tod als der »letzte Feind« beseitigt sind (1. Kor 15,26). Osiris dagegen bedient sich des natürlichen Todes, um »die in Körper und Leidenschaften eingeschlossene« menschliche Seele zum wahren Leben jenseits der Welt des Körpers zu befreien. Dementsprechend fährt Plutarch fort: »Aber wenn sie [sc. die menschlichen Seelen], vom Körper gelöst, hinübergehen zum Unsichtbaren, Unanschaubaren, Leidlosen, Reinen, dann ist dieser Gott ihnen Führer und König.« Um es noch einmal zusammenzufassen: Osiris ist der »König der Verstorbenen«, aber als solcher ist er gerade nicht Exponent des Todes, sondern

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er befreit zu einem wahren Leben jenseits der Vergänglichkeit und Begrenztheit der irdischen Existenz, er ist als »König der Verstorbenen« Gott des Lebens. So endet dieser Abschnitt – und vermutlich auch das ganze Buch22 – mit einem eschatologischen Ausblick einer visio beatifica der ebendurch den Tod von Osiris erlösten Seelen:23 »Sie [sc. die menschlichen Seelen] hängen gleichsam an ihm, sie schauen und ersehnen ohne Sättigung die für Menschen unaussprechliche, nicht mitteilbare Schönheit.« Zu Beginn wurde auf die erstaunlichen Analogien zwischen jüdischer, christlicher und mittelplatonischer Theologie hingewiesen. Solche Analogien sind kein Zufall; sie wurden gerade im Bereich des Antiken Judentums und des Frühchristentums durch die Übersetzung biblischen Denkens in den Kontext der hellenistischen Sprache und Kultur vorbereitet und ermöglicht.24 Aus ihnen ging nicht zuletzt das hervor, was man das christliche Abendland nennt. Doch geht es nicht nur um die Gemeinsamkeiten. Der Vergleich lässt auch gerade dort, wo scheinbar das Gleiche im Blick auf Gott gesagt wird, noch einmal die Unterschiede plastisch hervortreten. Eine möglichst präzise und von Klischees absehende Wahrnehmung des Fremden dient auch der Exegese, insofern durch einen religionsgeschichtlichen Vergleich wiederum der Blick für die Besonderheiten der biblischen Tradition geschärft wird.

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Vgl. H. GÖRGEMANNS, Plutarch (Anm. 11), 343 Anm. 2. Nachdem er einen derart scharfen Gegensatz zwischen dem Göttlichen und unserer Wirklichkeit herausgemeißelt hat, fühlt sich Plutarch offensichtlich noch zu einer letzten Klarstellung herausgefordert, insofern Isis als Sinnbild der Materie zwar allen möglichen Irritationen und Einschränkungen in dieser Wirklichkeit unterworfen ist (wie sie durch Typhon/Seth als das zerstörerische Prinzip dargestellt sind), dass sie aber ihrem Wesen nach auf die Partizipation an dieser göttlichen Ordnung hin angelegt ist: »Nach ihm, so besagt die alte Lehre, begehrt Isis stets in Liebe, sie eilt ihm nach, vereinigt sich mit ihm und erfüllt hier bei uns alles, was am Werden teilhat, mit lauter Schönheit und Gutem« (78,382f–383a). 24 Vgl. dazu auch den Beitrag »Die stoische Zeusallegorese und das Bekenntnis zum biblischen Gott als dem ›Beleber der Toten‹«, unten S. 151–159. 23

Der »Lenker und Herr von allem« als »Schöpfer des Rechts« Plutarchs Theodizee 1. Thematik Der Dialog Über die späte Strafe der Gottheit ist unter den religionsphilosophischen Werken Plutarchs vielleicht das bedeutendste.1 Gekleidet in die Form eines Berichtes an seinen römischen Freund Quietus, wird ein Gespräch geschildert, als dessen Teilnehmer Plutarchs Bruder Timon, sein Verwandter Patrokleas sowie ein Olympichos genannt werden.2 Aus Kap. 12,556f 1 und 17,560c 10 ist zu schließen, dass dieses Gespräch in Delphi stattfand. Es wurde ausgelöst durch die Angriffe eines gewissen Epikuros3 gegen den Vorsehungsglauben, welche – wie der Titel der Schrift schon andeutet – die gerechte göttliche Lenkung der Welt problematisierten. Dieses seit G. W. Leibniz mit dem Kunstwort Theodizee benannte Problem4 setzt einen 1 K. ZIEGLER, Art. Plutarchos 2), PRE XXI/1, Stuttgart 1951, 636–962, hier 850; vgl. weiter das Urteil von P. H. DE LACY/B. EINARSON, On the Delays of the Divine Vengeance. Introduction, in: Plutarch’s Moralia (LCL), Band VII: 523C–612B, London 1959, 170–179, hier 170: »This is perhaps the most admired of Plutarch’s philosophical writings«; ähnlich H.-J. K LAUCK, Mittelplatonismus und Neues Testament. Plutarch von Chaironeia über Aberglaube, Dämonenfurcht und göttliche Vergeltung, in: DERS., Alte Welt und neuer Glaube. Beiträge zur Religionsgeschichte, Forschungsgeschichte und Theologie des Neuen Testaments (NTOA 29), Göttingen/Freiburg (Schweiz) 1994, 59–81, hier 66: das »ausgereifteste und durchdachteste Werk«. 2 Möglicherweise umfasst die Gruppe aber noch mehr Teilnehmer, die sich nicht aktiv an der Diskussion beteiligen (vgl. 12,556e–f ). 3 Über den Namen siehe Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften. Griechischdeutsch. Übersetzt und herausgegeben von H. GÖRGEMANNS unter Mitarbeit von R. FELDMEIER/J. ASSMANN (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 22009, 363 Anm. 1 zu Kap. 1. 4 Das Problem als solches ist alt (vgl. Homer, Od. I,32–34). Im sechsten Jahrhundert v. Chr. hatten Solon (Eunomia 48 f.) und Theognis (I,377–380) in ihren Dichtungen die Frage gestellt, warum es den Guten genauso oder noch schlechter als den Bösen ergeht. Während Theognis bei der staunenden, fast anklagenden Anfrage an Zeus haltmacht, versucht Solon ähnlich wie Plutarch dieses Problem in seinen Dichtungen zu lösen und entwirft das Bild der über die Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Verstandes erhabenen Gottheit (Zeus bzw. Dike), die alles sieht und alle Übeltaten manchmal sofort, manchmal

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Gottesbegriff voraus, der durch die Eigenschaften Macht und Güte konstituiert wird, wobei die göttliche Macht die Möglichkeit, die göttliche Güte die Verpflichtung zum Eingreifen beinhaltet. Plutarch teilt diese Voraussetzung; explizit definiert er zu Beginn seines Traktates (4,550a) das göttliche Wesen5 sowohl als »Lenker und Herr von allem« (ἄρχων καὶ κύριος ἁπάντων) wie als »Meister der Kunst, Recht zu schaffen« (δηµιουργὸς δίκης). Das Theodizeeproblem hat allerdings noch eine weitere, oft übersehene Voraussetzung, die gerade bei Plutarch klar zur Sprache kommt: Es ist die Konzeption der Vorsehung (πρόνοια), durch welche die Gottheit als Inbegriff und Garant einer vernünftigen und durch die Vernunft nachvollziehbaren Weltordnung behauptet wird. Diese von der Stoa besonders konsequent durchgeführte Vorstellung wird von Plutarch zwar im Sinne der platonischen Philosophie modifiziert,6 aber im Kern beibehalten. Doch diese Konzeption gerät mit der alltäglichen Erfahrung des Bösen in Konflikt. Bereits in der Antike wurde in einer – Epikur zugeschriebenen – Sentenz7 der dadurch entstehende Widerspruch im Gottesgedanken selbst auf den Begriff gebracht: »Entweder will Gott die Übel aufheben und kann nicht, oder er kann und will nicht, oder er will nicht und kann nicht, oder er will und kann.« Jede dieser Lösungen aber führt in die Aporie: Wenn er will und nicht kann, ist er schwach, und das trifft für Gott nicht zu. Wenn er kann und nicht will, ist er neidisch, und das ist ebenso unvereinbar mit Gott. Wenn er nicht kann und nicht will, ist er neidisch und schwach und dementsprechend kein Gott. Wenn er aber will und kann, wie das allein angemessen für Gott ist – wo kommen dann die Übel her, und warum hebt er sie nicht auf? später, aber jedenfalls aufs Genaueste und Peinlichste ahndet (Elegie an die Musen 17 ff.; Eunomia 15 ff.). Als Argument gegen die Vorsehung taucht es später bei den Skeptikern auf (z. B. in der Rede des Cotta in Cicero, De nat. deor. III,79–85, oder bei Sextus Empiricus, Pyrrh. hyp. III,9–12). Zum speziellen Problem der Strafverzögerung seit Solon, seiner Behandlung in der Stoa und deren Einfluss auf Plutarch vgl. G. MÉAUTIS, Des délais de la justice divine de Plutarque. Traduction nouvelle, précédée d’une introduction et accompagnée de notes explicatives, Lausanne 1935, 9 ff. 5 Plutarch spricht wechselweise von (ὁ) θεός, (οἱ) θεοί, τὸ θεῖον und τὸ δαιµόνιον. 6 Plutarch lehnt vor allem den in der Stoa mit dem Vorsehungsgedanken verbundenen Determinismus ab; vgl. M. B ALDASSARRI, La difesa della provvidenza nello scritto plutarcheo De sera numinis vindicta, The Ancient Word 25,2 (1994), 147–158, hier 151 (zuvor bereits in: DERS., Studi di filosofia antica, Band I, Como 1990, 115–135). 7 H. USENER, Epicurea, Leipzig 1887 = Stuttgart 1966, 252 f., Frgm. 374. Die Zuschreibung dieser Argumentation an Epikur durch Laktanz (De ira dei XIII,20 f.) ist allerdings fraglich. Epikur hatte keinen ethischen Gottesbegriff. Seine Götter verbringen ihr Leben in selbstzufriedener Seligkeit, ohne sich um das Elend und den Schmutz dieser Wirklichkeit zu scheren – ebendarin besteht ihre Glückseligkeit (Men. 123 f.)! Daher teilte Epikur die Voraussetzungen der zitierten Argumentation nicht. Laktanz steht mit seinem Bericht allein (vgl. W. SCHMID, Art. Epikur, RAC 5, Stuttgart 1966, 681–819, hier 786). G. ARRIGHETTI (Epicuro, Opere [BCF 41], Turin 1973) nimmt bezeichnenderweise diesen Text auch nicht in seine Edition der Epikurfragmente auf.

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Gleichgültig, ob damit die Existenz von Göttern überhaupt bestritten wird oder nur ihre Fürsorge für die Welt8 – immer wird das Vorhandensein von Übeln zum Argument gegen die Überzeugung, dass diese Welt von einer guten Gottheit regiert wird. Da für Plutarch das Konzept der Vorsehung geradezu Synonym für die heilsame Präsenz des Göttlichen in der Welt ist,9 sieht er sich – wie wenige Jahrzehnte vorher bereits der Stoiker Seneca in seiner Schrift De providentia – zu einer Apologie der πρόνοια genötigt. Eine solche ist nicht nur aus religiösen Gründen unverzichtbar, sondern auch aus ethischen; denn die Überzeugung vom gerechten Walten der Vorsehung ist – das macht er vom Auftakt der Schrift bis zum Schlussmythos deutlich – für das menschliche Zusammenleben unentbehrlich, ihre Bestreitung zerstört die Grundlage jeder Ethik.10 Nicht ganz eindeutig ist, gegen wen sich Plutarch aktuell wendet. Der Auftakt des Dialogs nennt den Namen Epikur. Auch wenn damit ein Zeitgenosse Plutarchs gemeint ist, suggeriert er doch den Schulgründer. Nun sind zwar die Epikureer bekannt als eingeschworene Gegner des Vorsehungsglaubens,11 aber die Theodizee ist für sie, gerade aufgrund ihrer Gottesvorstellung, eigentlich kein Thema. Da zudem die epikureische Philosophie, mit der Plutarch sehr wohl vertraut ist,12 sonst in diesem Dialog 8

Ennius, Scenica, Frgm. 316–318 V AHLEN (aus der Tragödie Telamo): »Ego deum genus esse semper dixi et dicam caelitum, sed eos non curare opinor quid agat humanum genus; nam si curent, bene bonis sit, male malis, quod nunc abest«; siehe weiter die Argumentation bei Aetius, Placita philosophorum I,7,10. 9 Vgl. E. VALGIGLIO, Divinità e religione in Plutarco, Genua 1988, 35: »L’intervento benevolo di Dio, a favore del mondo, e soprattutto dell’uomo, prende il nome sia di πρόνοια semplicemente …, sia di θεῶν (θεοῦ) πρόνοια«; ähnlich G. DEL CERRO CALDERÓN, El problema del mal y la providencia en Plutarco y en la Biblia, in: M. G ARCÍA VALDÉS (Hg.), Estudios sobre Plutarco. Ideas religiosas. Actas del III Simposio internacional sobre Plutarco, Oviedo 30 de abril a 2 de mayo de 1992, Madrid 1994, 223–234, hier 225: »En efecto, la Providencia se porta con los hombres como una madre y los colma de favores, que van desde el nacimiento a la felicidad pasando por la salud y las riquezas«. Zur Präsenz des Göttlichen vgl. auch J. O AKESMITH, The Religion of Plutarch. A Pagan Creed of Apostolic Times. An Essay, London 1902, 98: Plutarch »[…] succeeds in bringing the Divine Nature, by the exercise of intelligence, into an intimate relation with humanity which the Platonic Demiurgus never attains«. 10 Siehe vor allem 2–3,548c–549e. 11 Vgl. die Zusammenstellung bei B ALDASSARRI, Difesa (Anm. 6), 147 f. 12 Der Lampriaskatalog nennt allein acht Schriften, die sich mit Epikurs Philosophie auseinandersetzen, von denen drei erhalten sind (Non posse suaviter vivi secundum Epicurum, Adversus Colotem, De latenter vivendo). Plutarchs Ablehnung Epikurs war also, wie Jackson Hershbell resümiert, »[…] based not on ignorance, but on an apparently good knowledge of Epicurean philosophy« (J. P. H ERSHBELL, Plutarch and Epicureanism, in: ANRW II/36.5, Berlin/New York 1992, 3353–3383, hier 3381); vgl. weiter R. FLACELIÈRE, Plutarque et l’épicurisme, in: Epicurea in memoriam Hectoris Bignone. Miscellanea philologica, Genua 1959, 197–215, und U. B ERNER, Plutarch und Epikur, in:

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keinerlei Rolle spielt, andererseits aber das hier verhandelte Problem der unzureichenden Bestrafung der Bösen offenbar auch von der akademischen Skepsis als Argument gegen den Vorsehungsglauben angeführt werden konnte,13 ist die Vermutung möglich, dass die Auseinandersetzung mit »Epikur« (zumindest auch) auf die Religionskritik der akademischen Skepsis zielt, die Plutarch als Bestandteil seiner eigenen Tradition nur indirekt, auf dem Umweg über den »Erzketzer« Epikur, angreift. Ein solches Vorgehen wäre für Plutarch nicht unüblich.14

2. Gattung Der Traktat hat die Form eines philosophischen Dialogs. Allerdings ist der dialogische Charakter schon dadurch verzerrt, dass die Gesprächspartner nicht viel mehr als die Stichworte für die Monologe Plutarchs liefern. Dem entspricht die Art, wie die Partner zu Wort (bzw. nicht zu Wort) kommen: Der Auslöser des Gesprächs, jener »Epikur«, ist am Beginn bereits weggegangen; seine Argumente, die gleich als »absurd oder falsch« (1,548c) bezeichnet werden, sind gar nicht direkt berichtet,15 und Plutarch erklärt ihre Widerlegung für sachlich überflüssig; nur ihre seelische Schadenswirkung gelte es zu verhüten: »Es genügt, wenn wir die Vorstellung, die sie [sc. die Gegner der Vorsehung] vertreten, von unserem eigenen Geist abschütteln, bevor sie dort ihre verderbliche Wirkung entfalten kann« (1,548c). Plutarch konzentriert seine Schrift also bewusst auf die Überwindung der Zweifel am Vorsehungsglauben;16 die Gegenposition blendet er als schädlich und wertlos aus, um dann die eigene Position zu begründen. Diese Konzentration auf die Binnenperspektive zeigt die apologetische Orientierung des Dialogs. Der Aufbau und die Abfolge von polemischer Widerlegung (refutatio) als Vorspann der eigentlichen Beweisführung (probatio), die auch innerhalb des Traktates wiederkehren, zeigen den rhetorischen Charakter, Plutarch, ΕΙ ΚΑΛΩΣ ΕΙΡΗΤΑΙ ΤΟ ΛΑΘΕ ΒΙΩΣΑΣ. Ist »Lebe im Verborgenen« eine gute Lebensregel? Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von U. BERNER/R. FELDMEIER/B. HEININGER/R. HIRSCH-LUIPOLD (SAPERE I), Darmstadt 1– 2 2001 (unveränderter Nachdruck 2011), 117–139, zu De sera 132 ff. 13 Vgl. die Rede des Skeptikers Cotta in Cicero, De nat. deor. III,79–85, der eben mit Hinweis auf die mangelhafte Vergeltung die »mundi divina in homines moderatio« bestreitet, sowie Sextus Empiricus, Pyrrh. hyp. III,9 ff. 14 P. H. DE LACY, Plutarch and the Academic Sceptics, Classical Journal 49 (1953/ 54), 79–85, hier 84, hat gezeigt, dass Plutarch seine Auseinandersetzung mit der akademischen Skepsis öfters als Kritik am Epikureismus tarnt. 15 Man hat vermutet, dass der Anfang verlorengegangen ist, aber das ist unwahrscheinlich (vgl. MÉAUTIS, Délais [Anm. 4], 52 f.). 16 Vgl. 3,549b 11.

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der auch sonst für Plutarchs Widerlegungsschriften charakteristisch ist.17 Dabei praktiziert Plutarch durchaus die advokatische Technik der Diskreditierung des Gegners; gerne benutzt er die dialektischen Kunstgriffe der Skepsis, wozu vor allem der Nachweis von Selbstwidersprüchen in der gegnerischen Argumentation gehört.18 Dies wirft auch ein Licht auf die Vielfalt der Antworten innerhalb des Traktates, die wegen ihrer Unvereinbarkeit19 die Ausleger immer wieder befremdet haben. Es geht Plutarch hier gerade nicht um eine konsistente Beweisführung für ein gerechtes Walten der Vorsehung, denn eine solche ist – da ist er mit der Skepsis völlig einig – dem begrenzten menschlichen Erkenntnisvermögen gar nicht möglich. Vielmehr geht es ihm nur um den Aufweis, dass sich für die Erfahrungen, die zum Zweifel an der Vorsehung führen, auch andere plausible Erklärungen finden lassen. Für diese Plausibilität benutzt er den Begriff »Wahrscheinlichkeit« (τὸ εἰκός), teilweise auch den von der akademischen Skepsis (Karneades) benutzten Begriff des »Überzeugenden, Einleuchtenden, Plausiblen« (τὸ πιθανόν).

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Vgl. besonders den Aufbau von De latenter vivendo; dazu B. HEININGER/R. FELDEinleitung, in: Plutarch, »Lebe im Verborgenen« (Anm. 12), 33–48, hier 37 f., wo auf die Nähe zur Gerichtsrede hingewiesen wird. 18 Klassisch zeigt dies der Auftakt in De latenter vivendo (1,1128a–c), wo Epikur vorgeworfen wird, mit der Maxime »Lebe im Verborgenen« sich selbst berühmt gemacht zu haben (Non posse 18,1100a–b). Ebenso zielt der Vorwurf in den anderen epikureischen Schriften, dass die hedonistische Philosophie Epikurs gerade das wahre Lebensglück zerstöre (vgl. Non posse 5–6,1090), auf den Nachweis eines Selbstwiderspruchs. In De sera findet sich diese Technik etwa in Kap. 13 am Beginn der Auseinandersetzung mit dem Einwand des Timon gegen Sippenhaftung und Kollektivschuld. Plutarch begegnet diesem (sofort als ἀτοπία qualifizierten) Argument zunächst dadurch, dass er die historische Zuverlässigkeit vieler Beispiele in Zweifel zieht, die Timon hierfür anführt. Auch wenn Timon darauf besteht, dass der Einwand nicht von der Anzahl der historisch verbürgten Beispiele abhängig sei, so bleibt doch der Eindruck schlampig recherchierter Argumente. Plutarch stößt nach und fragt, was Timon denn von der Ehrung von Nachkommen berühmter Männer halte. Als dieser naiv die Sitte für gut erklärt, konstatiert Plutarch einen Selbstwiderspruch: Wenn er die Belohnung von Nachkommen für die guten Taten der Vorfahren bejahe, dann müsse er auch die Bestrafung für die bösen Taten der Ahnen anerkennen. Zwar ist, wie auch Plutarch weiß, ein solcher Gegenangriff noch nicht der Beweis für die Richtigkeit der eigenen Position; er bezeichnet ihn selbst als provisorische Verteidigungsmaßnahme (14,558d: »gleichsam ein Bollwerk …, das gegen jene übermäßig scharfen Krittler aufgerichtet ist«). Dennoch hat er damit, rhetorisch geschickt, schon einmal eine erste Bresche in die gegnerische Argumentation geschlagen. 19 So verteidigt Plutarch zunächst die Strafverzögerung, dann bestreitet er sie; er behauptet, dass die unheilbar Bösen sofort von der Gottheit getötet würden (6,551d 11), um dann wenig später ihre vorläufige Aussparung als Instrument der Vorsehung zu rechtfertigen (6–7,552c–553c) usw. MEIER ,

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3. Erkenntnistheorie Diese Methode hängt mit Plutarchs Erkenntnistheorie zusammen. Auch wenn er letztlich »Dogmatiker« ist, bedeutet dies nicht, dass er die (rhetorisch abqualifizierte) Gegenposition unterschätzen würde. Gerade De sera zeigt, dass er durchaus die Kritik der Skepsis wahrnimmt und seine Überzeugungen in Auseinandersetzung mit dieser neu zu begründen sucht.20 Das wird schon am Beginn der Schrift deutlich, wo er seinen erkenntnistheoretischen Ansatz als Grundlage der gesamten Argumentation21 vorstellt: Wenn schon – so wendet er dort gegen den Kritiker ein – in Fachwissenschaften wie Medizin oder Militärwesen der Unerfahrene sich kein Urteil über die Entscheidung des Spezialisten anmaßen kann, so gelte dies a minori ad maius erst recht im Blick auf »die größte aller Künste«, die nur Gott beherrscht, nämlich die der Seelenheilung.22 Die sich in der Bestreitung der Vorsehung so sicher dünkende (und darin wieder dogmatisch auftretende) Religionskritik wird ihrerseits einer skeptischen Revision unterzogen; unter Berufung auf die »Behutsamkeit der Philosophen in der Akademie« (εὐλάβεια τῶν ἐν Ἀκαδεµείᾳ φιλοσόφων) wird die Kritik auf die Kritiker zurückgewendet. In Kap. 14 kommt Plutarch auf diese Überlegungen zurück23 und unterstreicht, dass den Menschen eine gesicherte Einsicht in das Wirken Gottes unerreichbar ist. Plutarch teilt also mit seinen Gegnern die Überzeugung, dass das Göttliche dem menschlichen Erkennen entzogen ist. Aber während diese die Vorsehung bestreiten, hat Plutarch mit der akademischen εὐλάβεια »gewissermaßen einen bergenden Hafen in Sicht«, um nun »umso zuversichtlicher« den aufgeworfenen Aporien »das Wahrscheinliche und Einleuchtende« (τὸ εἰκὸς καὶ τὸ πιθανόν) entgegenzustellen (14,558d), was für ihn heißt: seine Überzeugung von einem gerechten Walten der Vorsehung als die plausiblere Deutung der Wirklichkeit zu etablieren. Zu diesem Zwecke begibt er sich – und das ist die Stärke dieser Schrift – auf das dornige Feld der religiösen Wirklichkeitsdeutung. Er bietet der Skepsis dort Paroli, wo sie angesichts des Bösen beansprucht, die einzige überzeugende Antwort zu geben. 20 Zur Vertrautheit Plutarchs mit der Skepsis vgl. J. SCHROETER, Plutarchs Stellung zur Skepsis (Abhandlungen zur Geschichte des Skeptizismus 1), Leipzig 1911. Zur Kritik an Schroeters Versuch, Plutarch selbst zum Skeptiker zu machen, siehe D E LACY, Sceptics (Anm. 14), 83. 21 4–5,549e–550c. Plutarch leitet diese Ausführungen ein mit der sprichwörtlichen Wendung »vom Herd beginnend« (ἀφʹ ἑστίας ἀρχόµενοι, siehe Plutarch, Schriften [Anm. 3], 365 Anm. 4 zu Kap. 3 und H.-J. K LAUCK, Plutarch von Chaironeia. Moralphilosophische Schriften, Stuttgart 1997, 206), die den Beginn mit der Hauptsache anzeigt. 22 4,550a: ἡ περὶ ψυχὴν ἰατρεία. 23 14,558d: »Wir aber wollen aufs Neue gleichsam den Anfang des Garnknäuels wieder aufnehmen …«

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4. Mythos und Logos Wie in De genio Socratis und De facie in orbe lunae24 mündet auch hier die Argumentation in einen Schlussmythos. Zu Recht wird dies in der Forschung auf Platons Vorbild zurückgeführt. Zu Unrecht begnügt man sich zumeist mit diesem Hinweis. Erklärt er doch nicht, warum und in welcher Weise Plutarch hier dem Meister folgt. Andere Platoniker haben das, soweit wir feststellen können, nicht getan.25 Plutarchs Mythendichtung muss als eigenständiges Wiederaufgreifen der religiösen Dimension in Platons Werken verstanden werden. Das zeigt sich schon daran, dass der Mythos nicht einfach an den Logos angehängt ist, sondern in diesem argumentativ vorbereitet wird und mit ihm verschränkt ist. Als Klammer ist jene Passage wesentlich, wo Olympichos einwirft, dass Plutarch bei seiner Argumentation eine »gewaltige Voraussetzung« mache, nämlich die Fortdauer der Seele (17,560a–b). Der Einwand kommt an dieser Stelle ziemlich abrupt, aber er gibt Plutarch die Gelegenheit, die Grundzüge seiner Vorgehensweise darzulegen: Die gesamte Darlegung sei – so betont er – von Anfang an von der Überzeugung ausgegangen, dass Gott uns das Angemessene zuteilt. Dieser »Glaube« an eine gerechte Vorsehung liegt also dem Logos axiomatisch zugrunde. Die Zuwendung Gottes zum Menschen, die sich sogar in der Fürsorge für die Toten äußert, setze aber – so folgert Plutarch – die Annahme einer Fortdauer der Seele voraus, denn es sei mit dem Gottesgedanken nicht zu vereinen, dass sich die göttliche Fürsorge auf so Geringwertiges und Kurzlebiges wie das vergängliche menschliche Leben richte. Aus der Vorsehung folgt deshalb: Der Mensch hat etwas Göttliches in sich, ist Gott ähnlich und daher »dauerhaft und fest« (17,560b–c). »Es ist also ein einziger Gedankengang, der gleichzeitig die Vorsehung Gottes und das Überdauern der Seele begründet, und man kann nicht an dem einen festhalten, wenn man das andere aufgibt« (18,560f ). Dieser Zusammenhang macht es nun aber weiter wahrscheinlich, dass es im Jenseits zu einer göttlichen Vergeltung komme: »… wenn die Seele nach dem Tod weiterexistiert, so ist es besonders plausibel (µᾶλλον εἰκός), dass Ehrungen und Strafen ihr in diesem Zustand zuteil werden« (18,560f ). Im Rahmen der folgenden Ausführung, die Aspekte des Verhältnisses diesseitiger und jenseitiger Strafe behandelt, deutet Plutarch an, dass er davon mehr zu erzählen wisse. Ehe er jedoch zum »Mythos« kommt,26 besteht er bezeichnenderweise darauf, zuvor die verbleibenden Wahrscheinlichkeitsgründe nachzutragen (18,561b). 24

Mit einem angedeuteten Schlussmythos endet auch De latenter vivendo. Eine Ausnahme bildet der pseudoplatonische Axiochos, der aber Platon imitiert. 26 Plutarch ziert sich etwas und lehnt zunächst die Bitte der Zuhörer, davon zu erzählen, mit dem Hinweis ab, dass dies den anderen wie ein Mythos vorkommen könne, 25

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Logos und Mythos setzen sich also gegenseitig voraus und begründen sich wechselseitig: Einerseits bringt der Mythos narrativ jenen Zusammenhang der Wirklichkeit mit Gott zur Sprache, den der argumentierende Logos axiomatisch voraussetzt und plausibel zu machen sucht, ohne ihn beweisen zu können. Insofern erweist sich der Mythos als die Vollendung des Logos.27 Andererseits setzt aber auch der Mythos den philosophischen Diskurs voraus, da dieser dem in Frage gestellten Glauben an eine gerechte Vorsehung erst wieder den Weg frei und dessen Aussagen als vernünftige Postulate wahrscheinlich machen muss. Ohne solchen vorbereitenden Logos wäre der Mythos nur fromme Behauptung, unbegründetes »DichterErschleichnis«28.

5. Abfassungszeit Terminus a quo der Abfassung der Schrift ist das vaticinium ex eventu des im Mythos (Kap. 29) geweissagten Ausbruchs des Vesuvs (24.–26. 8. 79 n. Chr.). Falls mit dem »guten Kaiser«, dessen Ende durch Krankheit dort ebenfalls angekündigt wird, Titus gemeint ist (und ein anderer kommt zwischen Nero und Trajan kaum in Frage), so ist der Dialog nach dessen Tod am 13. 9. 81 geschrieben. Allerdings ist eine weit spätere Abfassung noch wahrscheinlicher. Der Dialog steht den delphischen Dialogen nahe, die Plutarch wohl als Priester am Apollonheiligtum verfasst hat. Da er dieses Priestertum in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre angetreten hat,29 dürfte der Dialog frühestens um diese Zeit entstanden sein. Falls der Adressat der Schrift jener Titus Avidius Quietus ist, der 91/92 Prokonsul von Achaia war, wäre der terminus ad quem dessen Todesjahr 107.

weshalb er sich lieber »auf Argumente der Wahrscheinlichkeit (τῷ εἰκότι) beschränke« (18,561b). Auf weiteres Drängen erklärt er sich dann bereit, den Mythos zu erzählen – »wenn es denn ein Mythos ist«, wie er gleich einschränkt, um die mit dem Mythosbegriff verbundene Assoziation des bloß Fiktiven abzuwehren. Auch in De facie in orbe lunae wird der Schlussmythos lange vorher angekündigt und durch theoretische Überlegungen vorbereitet (vgl. 26,940f mit der verstümmelten Einleitung 1,920b). Dies unterstreicht, dass der Schlussmythos nicht Zutat ist, sondern das mit Spannung Erwartete. 27 Olympichos sagt denn auch am Ende der Argumentation ausdrücklich, dass ein endgültiges Urteil über den Wert von Plutarchs Ausführungen erst nach dem Mythos möglich ist (22,563b); vgl. das Urteil von M ÉAUTIS, Délais (Anm. 4), 53, der Mythos sei »… le couronnement et la conclusion …« des Traktates. 28 Die Formulierung stammt von F. N IETZSCHE, Lieder des Prinzen Vogelfrei. An Goethe, in: DERS., Die fröhliche Wissenschaft. Mit einem Nachwort von Walter Gebhard, Stuttgart 71986, 305. 29 ZIEGLER, Plutarchos (Anm. 1), 660.

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6. Gliederung Wie auch bei einigen platonischen Dialogen30 ist die Darlegung zweigeteilt in Logos und Mythos,31 d. h. in einen (ausführlicheren) argumentierenden Teil, der dialogisch angelegt ist und sich auf die Frage einer innerweltlichen Vergeltung konzentriert, sowie einen narrativen, der dies in der Schilderung einer Himmelsreise durch die jenseitige Bestrafung der Seelen ergänzt. Der Logos lässt sich seinerseits zweiteilen: Ein erster Gesprächsgang bietet zwei unterschiedliche Erklärungsmodelle für die verspätete Vergeltung im Blick auf das individuelle Leben, ein zweiter thematisiert das Problem einer zwar innerweltlichen, aber über das individuelle Leben hinausreichenden kollektiven Vergeltung. Mit seinen Schilderungen der jenseitigen Bestrafung der in diesem Leben nicht gesühnten Untaten gibt der Schlussmythos einen visionären Ausblick auf die Vollendung der immanent immer nur bruchstückhaft erschließbaren göttlichen Gerechtigkeit. Mit diesem klar markierten Genuswechsel (18,561b) wird die Argumentation von der Erzählung, der philosophische Diskurs von der religiösen Schau unterschieden. Daraus ergibt sich folgende Gliederung: Exposition: Die Problematik der Strafverzögerung (Kap. 1–3) 1. »Epikurs« Eindruck (1) 2. Die dadurch provozierten Anfechtungen (2–3) 2.1 Unterminierung der Ethik (2) 2.2 Zerstörung des Glaubens an die Vorsehung (3) 2.3 Die »dritte Welle« (wird verschoben) Logos: Strafe und Strafverzögerung im Diesseits (Kap. 4–21) 1. Erste Apologie: Der Horizont der individuellen Existenz (4–11) 1.1 Der erkenntnistheoretische Ausgangspunkt: Das Wahrscheinlichkeitsurteil der akademischen εὐλάβεια (4) 1.2 Der erste Argumentationsstrang: Sinn der Strafverzögerung (5–8) 1.21 Gottes vorbildliche Besonnenheit (5) 1.22 Gottes weiterblickende Förderung – Die Chance des Einzelnen auf Heilung bzw. Reifung (6) – Der mögliche Nutzen der Bösen für die anderen (7) 1.23 Die bessere Entsprechung von Vergehen und Vergeltung (8) 1.3 Der zweite Argumentationsstrang: Das sich selbst bestrafende Böse; insofern wird die Strafe gar nicht verzögert (9–11) 2. Zweite Apologie: Der Horizont der kollektiven Existenz (Kap. 12–21) 2.1 Der dritte Einwand: Die Haftung von Nachkommen ist ungerecht (12) 2.2 Erstes Argument: Die Akzeptanz der Verdienste der Vorfahren (13) 2.3 Erneute Präzisierung des erkenntnistheoretischen Ausgangspunktes: Das Wahrscheinlichkeitsurteil der akademischen εὐλάβεια (14) 30 31

Gorgias, Politeia, Phaidon und Phaidros. In 18,561b nimmt Plutarch selbst diese Einteilung vor.

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Erster Teil: Der Eine. Philosophie und Religion in der späteren Antike 2.4 Zweites Argument: Gemeinschaft als Korporation (15–16) 2.41 Die Polis als Kollektivwesen (15) 2.42 Das Geschlecht als zusammenhängende Einheit (16) 2.5 Erster Verweis des Logos auf den Mythos: Die Wahrscheinlichkeit einer Fortdauer der Seele und einer jenseitigen Vergeltung (17–18) 2.6 Drittes Argument: Die Heilung moralischer Erbschäden (19–21)

Mythos: Die jenseitige Vollendung der Gerechtigkeit (Kap. 22–33) 1. Die paränetische Einleitung: Die wunderbare Bekehrung des Schurken Thespesios (22) 2. Die Vision des Thespesios während seines Scheintodes (23–33) 2.1 Die Schau der Seelen der Gestorbenen (23) 2.2 Auftreten eines Jenseitsführers (24) 2.3 Das Wirken der Vergeltung (25–32) 2.31 Überblick über die drei Weisen der Vergeltung (25a) 2.32 »Poine« als innerweltliche Strafe (25b) 2.33 Die jenseitige Strafe der »Dike« als Reinigung der Seelen (26) 2.34 Weitere Stationen der Himmelsreise (27–29): – Der Ort der Lethe (27) – Das Orakel der Nacht (28) – Delphi und die Sibylle (29) 2.35 Intensivierte Schilderung der Qualen der Bestraften (30) 2.36 Die Genugtuung für die bestraften Nachkommen (31) 2.37 Die Wiedergeburt der Seelen in Tierkörpern (32) 2.4 Die Rückkehr des Thespesios ins Leben (33)

7. Der Argumentationsverlauf Wenn Plutarch dem Vorwurf der unzureichenden göttlichen Vergeltung als Erstes entgegenhält (Kap. 4), dass die höchste aller Künste, nämlich die nur von Gott beherrschte »Seelenheilung«, der menschlichen Urteilskraft nicht zugänglich sei, so will er damit nicht nur zur εὐλάβεια anleiten, sondern er gibt auch inhaltlich dem Traktat eine neue Ausrichtung: Die Erörterung der göttlichen Gerechtigkeit darf sich eben nicht, wie die Gegner voraussetzen, nur auf den Aspekt der Revanche (ἀντιλυποῦν) beschränken. Vielmehr zielt das göttliche Handeln über die bloße Vergeltung hinaus auf die bestmögliche Heilung des in dieser Welt Verkehrten ab.32 Als Richter ist Gott zugleich immer auch Arzt, und die medizinische Metaphorik bestimmt denn auch mindestens ebenso die gesamte Darlegung wie die juridische. Im ersten Hauptabschnitt des Logos versucht Plutarch entsprechend seinem erkenntnistheoretischen Grundsatzprogramm den Nachweis, dass der 32

Plutarch steht damit in der Tradition Platons. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Straf- und Gerechtigkeitskonzeption vgl. T. J. S AUNDERS, Plutarch’s De sera numinis vindicta in the Tradition of Greek Penology, in: O. D ILIBERTO (Hg.), Il problema della pena criminale tra filosofia greca e diritto romano, Neapel 1993, 56–94, hier 63–94.

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Schluss von der Strafverzögerung auf eine fehlende Gerechtigkeit der Gottheit keineswegs die einzige Deutungsmöglichkeit dieses Phänomens ist. Plausibler (µᾶλλον εἰκός, 5,551b; vgl. 6,551d) sei es vielmehr, darin gerade einen Ausdruck der überlegenen göttlichen Güte und Gerechtigkeit zu sehen. Das wird in einem ersten Abschnitt (Kap. 5) im Blick auf die göttliche Vorbildfunktion dargelegt. Wie die gesamte Natur dadurch zum Kosmos wird, dass sie sich an die Gottheit als das »Modell alles Guten« angleicht und so an deren Wohlordnung Anteil gewinnt, so ist auch den Menschen die Angleichung (ἐξοµοίωσις) an Gott als Maß und Ziel ihrer Daseins- und Handlungsorientierung aufgegeben (5,550d–e). Gerade durch seine Zurückhaltung beim Strafen leitet nun aber Gott dazu an, bei der Durchsetzung des Rechtes nicht dem Affekt nachzugeben, sondern sich an seiner vernunftgemäßen Bedächtigkeit zu orientieren. Der eventuelle Schaden einer zögerlichen Bestrafung einiger weniger Übeltäter wird so durch den moralischen Nutzen für viele mehr als wettgemacht. Ein zweiter Abschnitt (Kap. 6–7) thematisiert das Wesen des göttlichen Rechtsverfahrens, indem entsprechend der programmatischen Aussage von 4,550a nun entfaltet wird, wie für das göttliche Handeln neben dem vergeltenden immer auch ein therapeutisches Moment konstitutiv ist, weshalb auch hier die dem Verzögerungsvorwurf zugrunde liegende Reduktion des Rechtes auf die bloße Vergeltung in die Irre führt. Das geht so weit (Kap. 7), dass selbst ein unverbesserlicher Übeltäter noch einen Nutzen für die anderen haben kann. Bis hierher hat Plutarch sich bemüht, die Verzögerung der Strafe zu rechtfertigen. In einem neuen Ansatz (Kap. 9–11) zieht er in Zweifel, ob es eine solche Verzögerung wirklich gibt. Er argumentiert so: Wer sich dem Bösen ausliefert, dessen Leben verliert Halt und Wert, was sich subjektiv in der ständigen Bedrängnis durch Reue, Scham, Angst und Selbsthass äußert. Folglich setzt das Böse, gleichsam mit innerer Notwendigkeit, aus sich selbst bereits die Strafe für den Übeltäter heraus: »So erzeugt sittliche Schlechtigkeit das Schmerzhafte, Strafende gleichzeitig mit sich selbst; sie büßt nicht nachträglich, sondern unmittelbar in der Freveltat schon das Unrecht« (9,554a). Das bisher Strafverzögerung genannte Phänomen stellt sich so in einem ganz anderen Licht dar: Die später Bestraften »verbüßen ihre Strafe nicht nach längerer Zeit, sondern in längerer Zeit; die Strafe ist ausgedehnter und nicht später« (9,554c–d). Die Verzögerung der Strafe erscheint so als deren Steigerung. In letzter Konsequenz bedürfe es daher gar keines eigenen Vergeltungsaktes mehr. »Ja, ich meine, wenn es erlaubt ist, dies auszusprechen, dass die Urheber solcher Schandtaten keinen Gott und keinen Menschen als Rächer brauchen, sondern dass es genügt, dass ihr Leben vom Bösen durch und durch verderbt und zerrüttet ist« (11,556d). Schließlich greift der Dialog auf einen weiteren, eingangs angekündigten, aber zurückgestellten Einwand zurück: den Vollzug der Strafe an den Nachkommen eines Übeltäters. Dabei macht Timon klar, dass ein solches

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Vorgehen in keiner Weise die Gerechtigkeit der Vorsehung beweise, sondern diese erst recht in Frage stelle: Falls der Schuldige schon einmal selbst bestraft wurde, bestehe für eine nochmalige Strafe keine Rechtsgrundlage; falls die Vorsehung aber bisher eine Bestrafung versäumt habe, so wäre es erst recht misslich, wenn sie ihr eigenes Versäumnis nun durch die Bestrafung Unbeteiligter wiedergutzumachen suche. Das Problem der kollektiven Haftung hat eine lange Vorgeschichte. Trotz vielfacher Kritik33 war diese Vorstellung offensichtlich nie ganz verschwunden, sodass Plutarch sie zustimmend aufnehmen kann. Sein Hauptargument lautet (Kap. 15): Eine Polis sei aufgrund ihrer diachronen und synchronen Verflechtungen und der daraus resultierenden gemeinsamen Empfindungen und Interessen ihrer Bürger weit mehr als nur eine Ansammlung Einzelner; vielmehr sei sie »ein einheitliches, zusammenhängendes Ding wie ein Lebewesen« (15,559a). Darum trage die Gemeinschaft »für alles, was sie als Kollektivwesen tut oder getan hat, die Schuld und das Verdienst, solange die Gemeinsamkeit, welche die Einheit schafft und durch ihre Verflechtungen zusammenknüpft, diese Einheit aufrechterhält« (15,559a). Erst recht ist dies auf ein Geschlecht übertragbar (Kap. 16), das zudem ja aufgrund gemeinsamer Herkunft einschlägige Erbanlagen teile. Deshalb sei die Bestrafung der Nachkommen therapeutisch gesehen eine gerechte Sache: »In den Söhnen von verruchten Menschen ist von Geburt her der Wesenskern der Väter mit anwesend, nicht wirkungslos schlummernd, sondern als Triebkraft des Lebens …; und daher ist es nicht anstößig …, dass sie als Kinder auch deren Erbe antreten« (16,559e). Argumentativ ist dies wohl der problematischste Teil des Traktates. Zwar hat Plutarch den Vorwurf der Ungerechtigkeit einer Vergeltung an Anderen insofern pariert, als er eine anthropologische Alternative zu dem dieser Anfrage zugrunde liegenden Individualismus aufgezeigt hat: Der einzelne Mensch ist Teil eines größeren Ganzen und partizipiert als solcher nicht nur an den Vorteilen dieser Zugehörigkeit zu Familie, Sippe oder Stadt, sondern ist auch Teil einer Verantwortungsgemeinschaft. Der zentralen Frage allerdings, warum die Gottheit überhaupt die Strafe an den Nachkommen statt an den Tätern vollzieht, ist er ausgewichen. Er behilft sich zunächst mit der schon erwähnten Unterbrechung (Kap. 17–18), wo er 33 In archaischer Zeit war sie offenbar selbstverständlich (auch die älteren Teile des Alten Testaments setzen sie voraus). Noch bei Aischylos (Thebanische Trilogie, Orestie) findet sich die Vorstellung einer durch die Generationen weitergegebenen Schuld. Erster Beleg einer Kritik an dieser Vorstellung findet sich bei Theognis I,731 ff.; fast zur gleichen Zeit wird sie auch bei dem alttestamentlichen Propheten Ezechiel kritisiert (vgl. Ez 18). Bei Euripides ist die Vorstellung einer Erbschuld bis auf Rudimente verschwunden (vgl. W. SCHMID/O. STÄHLIN, Geschichte der griechischen Literatur, Band I,3 [HAW VII/1,3], München 1961, 713); er hat sie sogar offen kritisiert (von Plutarch in Kap. 12, 556e zitiert).

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auf die Unsterblichkeit der Seele und den Schlussmythos verweist. Sodann führt er nochmals seine Theorie einer analogen Vererbbarkeit der Disposition zu bestimmten Krankheiten und zu bestimmten Lastern aus (Kap. 19– 21). Aufgrund dieser Voraussetzung kann er dann eine Strafe an den Nachkommen entweder als Präventivmaßnahme für Andere (die sonst unter dem Bösen zu leiden hätten) oder als Prophylaxe für den Gefährdeten selbst rechtfertigen.34 Plutarch weiß wohl um die Brüchigkeit seiner Argumentation an dieser Stelle. Er betont abschließend nochmals, dass die unterschiedlichen Weisen des göttlichen Eingreifens sich letztlich dem menschlichen Urteilsvermögen entzögen und allein Sache des tiefer blickenden Gottes seien: »Wir können die Gründe nicht erschließen, aus denen es bei manchen besser ist, sie trotz einer Untat unbehelligt zu lassen, bei manchen aber, ihnen schon während der Planung den Weg zu verlegen« (21,562e). Für die Überzeugung, dass göttliche Gerechtigkeit die Welt lenkt, kann der Sprecher nur noch persönlich einstehen.35 Im Schlussmythos wird sie narrativ expliziert. Den Auftakt bildet eine in Schwarz-Weiß-Farben geschilderte Bekehrungsgeschichte: Ein exemplarischer Schurke und Wüstling wird, nachdem er nach einem Unfall drei Tage scheintot gewesen war, zu einem vorbildlichen Gerechten.36 Ursache dafür sind die in jenem Zwischenzustand gemachten Erfahrungen. Bei einer Himmelsreise erfährt er, dass Zeus seine Tochter Adrasteia (›die Unentrinnbare‹) als oberste Rächerin eingesetzt und ihr drei Vollzugsgehilfinnen beigesellt habe: Poine (»Buße«), Dike (»Recht«) und Erinys (»Rache, Verderben«). Diese drei verkörpern die drei Möglichkeiten der gerechten Vergeltung: Am glimpflichsten kommen diejenigen weg, die schon zu Lebzeiten von der Poine bestraft werden, denn deren Strafe trifft nur Leib und Besitz. Wer dagegen in diesem Leben ungeschoren davonkommt, den nimmt Dike zur Seelenbehandlung in Empfang, während die ganz Verruchten, die in die Hände der Erinys fallen, für immer verloren sind. Erzählerisch ausgeführt wird nur die mittlere Stufe, das Läuterungsgericht über die Seelen.37 34 20,562d: ἰατρείας ἕνεκα. Gott »verhängt häufig eine Strafe als eine ärztliche Maßnahme« und »beseitigt das Übel, bevor es ausbricht«. 35 Vgl. schon in Platons Gorgias die drei »bekenntnishaften« Formulierungen (523a; 524a–b; 526d); ähnlich die einleitende Bemerkung in De sera 18,561b, wo die Erzählung zwar als Mythos charakterisiert wird, aber gleich hinzugefügt wird: »wenn es denn ein Mythos ist«. 36 Möglicherweise soll dies auch nochmals unterstreichen, dass die göttliche Gerechtigkeit mit ihrer auf Verbesserung abzielenden Langsamkeit im Recht ist. 37 Insofern beschreibt dieser Mythos, auch wenn er eine der schauerlichsten »Höllendarstellungen« der antiken Literatur enthält, weniger das inferno als das purgatorio. Die einzige Ausnahme sind die »völlig Unheilbaren«, die »ins Unnennbare und Unsichtbare« hinabgestürzt werden (25,564f ). Durch die rigorose Androhung jenseitiger Strafe soll moralisches Verhalten im Diesseits geradezu erzwungen werden (vgl. dazu Non posse 25–26,1104a–c, wo die abschreckende Schilderung von Höllenstrafen mit der pädagogi-

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In zwei Abschnitten (Kap. 26 und 30–32) werden die Strafen ausgemalt; sie steigern sich zu wahrhaften Folterqualen, immer in Entsprechung zu den Vergehen, die gesühnt werden müssen. Dazwischen (Kap. 27–29) sind einige andere Jenseitsoffenbarungen eingefügt. Die im Logos immer nur tastend erahnte göttliche Gerechtigkeit wird dem Menschen hier durch eine visionäre Schau gewiss. Zugleich ist die praktische Wirkung dieser Himmelsreise zu beachten: Wenn ein exemplarischer Wüstling und Schurke durch die Schau der göttlichen Vergeltung zu einem verwandelten Leben geradezu wiedergeboren wird,38 dann bestätigt diese radikale Lebensänderung nochmals die am Eingang des Traktates behauptete unmittelbare ethische Relevanz solcher religiösen Überzeugung (und damit auch ihre gesellschaftliche Notwendigkeit).

8. Würdigung: Plausibel gemachter Glaube. Plutarchs antiskeptische Hermeneutik Der Versuch, das gerechte Walten der göttlichen Vorsehung im Weltverlauf zu verteidigen, ist kühn und kann sicher niemals ganz befriedigend gelingen. Es ist ein Leichtes, gegen jedes der hier vorgebrachten Argumente Gegeneinwände zu formulieren, zumal einige von Plutarchs Auslassungen in der Tat gewagt sind. Das gilt nicht nur für seine im besonderen Maße zeitgebundenen naturwissenschaftlichen Theorien. Man kann – und konnte auch bereits zu Plutarchs Zeit – philosophisch fragen, inwieweit die Kombination der beiden theologischen Axiome (All-)Macht und Güte sinnvoll ist, ob nicht die ganze Problematik auf falschen Voraussetzungen beruht.39 Des Weiteren wäre aus der Perspektive des biblischen Glaubens schen Absicht legitimiert wird – hier sogar bis hin zum Einflößen von δεισιδαιµονία!). Analog bringt auch Vergil den Zweck der in der Unterwelt gesehenen Qualen im Schrei des Phlegyas auf den Begriff: »Discite iustitiam moniti et non temnere divos« (Aen. VI,620). 38 Die Verwandlung bestätigt der dem Scheintoten verliehene neue Name: Thespesios (»Göttliches, Wunderbares kündend«). Dieser bezieht sich natürlich auf ihn als Erzähler des Mythos, drückt aber zugleich die Verwandlung seiner Existenz aus, die vom Orakel für die Zeit nach seinem Tod angekündigt wurde (22,563d; vgl. 24,564c). 39 Epiktet etwa hält zwar an der Güte der Götter fest, bestreitet aber ihre Macht, die äußere Wirklichkeit zu ändern; vgl. Diss. I,1,7 ff.: »Wie es nun recht und billig ist, haben die Götter von allen Dingen allein das Stärkste und alles Beherrschende in unsere Macht gegeben: den richtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindrücke. Alles andere haben sie nicht in unsere Macht gegeben. Weshalb wollten sie das? Ich glaube, sie hätten auch andere Dinge in unsere Macht gestellt, wenn sie es gekonnt hätten. Doch sie konnten es einfach nicht (ἀλλὰ πάντως οὐκ ἠδύναντο) … Was aber sagt Zeus? ›Epiktet, wenn es möglich gewesen wäre, dann hätte ich dein bisschen Körper und deinen unbedeutenden Besitz als frei und ungehindert geschaffen.‹«

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gegen die Selbstverständlichkeit Einspruch zu erheben, mit der Plutarch auch für das Unbegreifliche und Schreckliche in der Geschichte einen göttlichen Sinn postuliert. Der alttestamentliche Hiob etwa hat gegen ein vergleichbares (Weg-)Rationalisieren von Unrecht und Leiden aus der Perspektive der Betroffenen Einspruch erhoben und dabei auf einem Gott insistiert, der nicht qua Vorsehung mit diesem Weltlauf identifiziert werden kann.40 Unbeschadet der Möglichkeiten grundsätzlicher Kritik an Plutarchs Apologie und ihren Voraussetzungen muss doch die Leistung des Priesters und Philosophen gewürdigt werden. Es wird diesem kühnen Unterfangen nicht gerecht, wenn man De sera zunächst als Beweisführung für die göttliche Vorsehung einstuft, dann die diesbezüglichen Unzulänglichkeiten feststellt und daraufhin Plutarch vorwirft, er versuche, sich »angesichts der Unlösbarkeit des Problems mit rationalen Methoden« in den Mythos zu retten, wobei die Härte der erfundenen Strafen direkt proportional zu seiner Verlegenheit sei.41 Wie bereits gezeigt, ist sich Plutarch von Anfang an bewusst, dass es bei der behandelten Problematik keinen sicheren Beweis geben kann – weder für noch gegen das Wirken der Vorsehung. Zweimal hatte er deshalb an hervorgehobener Stelle, nämlich am Beginn der beiden Argumentationsstränge des Logos, deutlich gemacht, dass es angesichts der Begrenztheit der menschlichen Urteilskraft nur darum gehen kann, zu einem Wahrscheinlichkeitsurteil zu kommen, sich »mit Behutsamkeit und Ruhe dem Wahrscheinlichen und Einleuchtenden zu nähern«42. Dieser Aufgabenstellung entsprechend versuchte er daher auf den verschiedenen Ebenen (von der Psychologie bis zur Vererbungslehre, von der Naturwissenschaft bis zur Theologie, von der Geschichte bis zur Ethik) aufzuzeigen, dass die antireligiöse Deutung der Wirklichkeit keineswegs die einzig mögliche sei, ja, dass diese sogar häufig in sich widersprüchlich sei und daher weniger plausibel als die von ihm selbst vorgeschlagene »fromme« Interpretation der Phänomene. Plutarch lässt sich also durchaus auf die Skepsis ein und bedient sich des vor allem von Karneades entwickelten Instrumentariums des Wahrscheinlichkeitsurteils. Seine Intention ist allerdings der Skepsis entgegengesetzt: Er akzeptiert nicht die Haltung des prinzipiellen Zweifels, der seiner Meinung nach eine destruktive Eigendynamik auslöst.43 Er versucht im Gegenteil eine neue Begründung 40

Vgl. dazu R. FELDMEIER, Theodizee? Biblische Überlegungen zu einem unbiblischen Unterfangen, BThZ 18,1 (2001), 24–39 = unten S. 401–415. 41 ZIEGLER, Plutarchos (Anm. 1), 849. 42 14,558d; vgl. 5,550c; 18,561b. 43 In Amat. 13,756a–b kritisiert Plutarch das Verlangen, prinzipiell »über jeden Punkt Rechenschaft und Beweis« zu fordern. Denn »es genügt der väterliche und alte Glaube, über den hinaus sich kein klarerer Beweis angeben und finden lässt«. Dieser Glaube ist die Basis der Frömmigkeit. »Wenn aber das, was bei ihm für glaubhaft und heilig gehal-

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seiner religiösen und ethischen Überzeugungen jenseits der skeptischen Kritik am Dogmatismus. Bezeichnend für diese Neuausrichtung ist die Ersetzung des Begriffs der ἐποχή – Terminus technicus der Skepsis für den bewussten Verzicht auf ein Urteil angesichts der einander widerstreitenden Plausibilitäten44 – durch den der εὐλάβεια. Als geforderte »Behutsamkeit« stellt dieser ebenfalls die Begrenztheit des eigenen Urteilsvermögens in Rechnung, respektiert aber zugleich mit frommer Scheu die religiöse Überlieferung und kommt so unter Vermeidung der religiösen Extreme Aberglaube und Atheismus zu einer demütigen, aber doch von der Vernunft nachvollziehbaren Anerkennung des Göttlichen.45 Damit hat Plutarch zu den hermeneutischen Voraussetzungen der Skepsis eine positive Alternative aufgezeigt: An die Stelle des de omnibus dubitandum tritt eine fides quaerens intellectum. Mag solches nicht den eingefleischten Zweifler überzeugen (der ja deshalb auch schon vor Beginn des Dialogs die Bühne verlässt), so eröffnet eine solche Hermeneutik besonnenen Vertrauens dem Angefochtenen die Möglichkeit, die Wirklichkeit noch einmal mit anderen Augen zu sehen und in ihr trotz aller Unzulänglichkeiten Hinweise auf einen letztlich von der Vorsehung bestimmten, sinnvollen Gesamtzusammenhang zu entdecken.46 Und dies ist gewiss nicht wenig!

ten wird, durch einen (etwas) erschüttert und ins Schwanken gebracht wird, dann wird er in allem unsicher und bedenklich.« 44 Anschauliches Beispiel dafür sind die beiden, von Cicero in De re publica aufgenommenen und von Laktanz bezeugten, einander widersprechenden Reden des Karneades über die Gerechtigkeit, die dieser in Rom gehalten hatte, um zu zeigen, dass jede Position widerlegbar ist (Laktanz, Inst. V,14,4: »… ut alios quidlibet adserentes posset refutare«). 45 Bezeichnend sind seine Ausführungen zur Beurteilung eines umstrittenen Wunders in Camillus 6,6: »In solchen Dingen ist Leichtgläubigkeit und völliger Unglaube gleich bedenklich wegen der menschlichen Schwachheit, die keine Grenze kennt und sich nicht selbst beherrscht, sondern sich zu Aberglauben und blinder Verängstigung, ein andermal wieder zur Missachtung des Göttlichen und zur Überheblichkeit hinreißen lässt. Aber die Behutsamkeit (εὐλάβεια) und das Meiden des Übermaßes sind das Beste.« (Siehe auch Plutarch, Schriften [Anm. 3], 365 Anm. 4 zu Kap. 4.) 46 DE LACY/EINARSON, Plutarch’s Moralia, Band VII (Anm. 1), 170 f., bringen Beispiele für eine entsprechende, bis in unsere Zeit hineinreichende Wirkungsgeschichte dieses Traktates.

Bildung als Weg zu einem gelingenden Leben Die Soteriologie der Tabula Cebetis 1. Das anthropologische Dilemma: Der sich selbst entfremdete Mensch Die Tabula Cebetis will den Weg zur Eudaimonie, zu einem glückenden Leben, weisen. Damit gehört sie zunächst hinein in den breiten Strom der praktischen Philosophie der Antike, die beansprucht, ars vitae zu sein.1 Die Besonderheit der Tabula liegt zum einen in ihrer Form: Sie besteht zur Hauptsache aus einer Bildbeschreibung, der Beschreibung und gleichzeitigen Auslegung einer allegorischen Darstellung des Lebens, genauer: der Wege und Irrwege des Menschen bei seiner Suche nach Glück.2 Bemerkenswert ist auch der damit verbundene Inhalt, weil die Tabula den Menschen als ein Wesen sieht, das sich selbst verfehlt, wenn ihm nicht der Weg zur Überwindung seiner Selbstentfremdung gezeigt wird. Dieses anthropologische Dilemma gründet darin, dass die Möglichkeit des Menschen, seine Bestimmung zu verwirklichen und durch den angemessenen Gebrauch seiner Vernunft, wie ihn der abschließende Logos vorführt, »sein eigener Herr« zu werden (22,2), von vornherein unterbunden wird. Zwar erhält jeder Mensch vor seinem Eintritt ins Leben von einem Daimon eine Anweisung,3 welche den Menschen zeigt, »was für einen Weg sie gehen müssen, wenn sie im Leben wohlbehalten ans Ziel kommen wollen« (4,3). Diese Vorstellung einer göttlichen Weisungsinstanz (die mit einer ›positiven‹ 1 Für Epikur ist Philosophie eine »Tätigkeit, die durch Argumentation und Diskussion das glückliche Leben verschafft« (Frgm. 230 ARRIGHETTI). Auch der Mittelplatoniker Plutarch bezeichnet seine Philosophie als τέχνη περὶ βίον (Quaest. conv. 613b; vgl. auch Plutarchs Auseinandersetzung mit Epikur in Non posse suaviter vivi secundum Epicurum, deren Pointe gerade darin besteht, dass der Mittelplatoniker das erklärte Ziel der epikureischen Philosophie, nämlich ἡδέως ζῆν, exklusiv für seine Philosophie reklamiert!). 2 Vgl. dazu auch L. KOCH, Der Weg zur Bildung. Die Tabula Cebetis aus pädagogischer Sicht, in: Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von R. HIRSCH-LUIPOLD/R. FELDMEIER/B. HIRSCH/L. KOCH/H.-G. NESSELRATH (SAPERE VIII), Darmstadt 2005, 194–221. 3 4,1: πρόσταγµα, vgl. 24,3.

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Religion mit ihren Riten und ihrem Kult nichts zu tun hat und davon sogar explizit abgegrenzt werden kann4) findet sich zu dieser Zeit häufiger, sowohl im Mittelplatonismus5 als auch in der Stoa: »… ein heiliger Geist wohnt in uns, als Beobachter und Überwacher unserer bösen und guten Taten … In einem jeden guten Menschen ›wohnt ein Gott (welcher Gott, ist ungewiss)‹.«6 In diesem Sinn scheint auch hier die Bezeichnung ∆αίµων auf eine solche göttliche Autorität hinzuweisen; 7 in jedem Fall wird sowohl durch den Begriff des Daimon wie durch seine Rolle – er steht als Urheber der Anweisungen noch außerhalb des Lebenszyklus und teilt dort jedem Menschen das Gleiche mit – unterstrichen, dass es hierbei um mehr als nur um individuelle Selbstbestimmung geht. Das schließt nicht aus, dass diese göttliche Macht dann auch im Inneren des Menschen als Ermöglichung vernünftiger Selbstbestimmung vernehmbar wird, wobei allerdings diese Individuation des Göttlichen im einzelnen Menschen vom Daimon selbst terminologisch unterschieden bleibt: Aus dem προστάττει ὁ ∆αίµων des Anfangs (4,3) wird in 30,1–32,2 προστάττει/κελεύει τὸ ∆αιµόνιον. Diese göttliche Wegweisung wird jedoch zunächst, wie gesagt, beim Eintritt ins Leben sofort dadurch konterkariert, dass die Personifikation der Täuschung, die Ἀπάτη, den Menschen einen Trank verabreicht, durch welchen sie den ins Leben Tretenden ihre »Macht« (δύναµις) einflößt, die in »Irrtum und Unwissenheit« besteht (5,2f.). Und zwar, so wird eigens betont, müssen ausnahmslos alle Menschen diesen verhängnisvollen Täuschetrank trinken8 – wenn auch in unterschiedlicher Intensität.9 Aufgrund der daraus resultierenden (universellen) Verblendung gerät die Anweisung des 4 Vgl. Seneca, Ep. 41,1: »Wir müssen nicht die Hände zum Himmel erheben noch den Tempelhüter anflehen, dass er uns zum Ohr der Götterbilder Zutritt gewähre, als ob wir so eher erhört werden könnten: Nahe ist dir Gott, mit dir ist er, in dir ist er (›prope est a te deus, tecum est, intus est‹).« 5 Gerade an der Gestalt des Sokrates und seines Daimonion konnte zur Zeit der Tabula diese göttliche Stimme im Menschen deutlich gemacht werden, wie Plutarch, De genio Socratis, und Apuleius, De Deo Socratis, bezeugen. 6 Seneca, Ep. 41,2: »… sacer intra nos spiritus sedet, malorum bonorumque nostrorum observator et custos … In unoquoque virorum bonorum ›(quis deum incertum) habitat deus‹« (Vergil, Aen. VIII,352), vgl. weiter Seneca, Ep. 31,11; 41,5; 73,16. 7 Theologische Themen spielen zwar in dieser Schrift keine Rolle, wohl aber wird häufig eine religiös konnotierte Motivik benützt; vgl. die Diskussion neupythagoreischer und im Zusammenhang der Mysterien stehender Motive bei R. J OLY, Le Tableau de Cébès et la philosophie religieuse (Collection Latomus 61), Brüssel/Berchem 1963, 36– 51. 8 5,3; vgl. 6,1: πάντες πίνουσι τὸν πλάνον. 9 6,1; dies ist wohl eine Anspielung auf den Er-Mythos in Platons Politeia (Rep. X,621a), wo die Seelen aus dem Fluss der Lethe ebenfalls µέτρον τι trinken. Je mehr eine Seele davon trinkt, so heißt es dort, desto mehr vergisst sie. Möglicherweise ist das hier ebenfalls impliziert, explizit gesagt wird es aber nicht.

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Daimon, die den Weg zur Rettung weisen würde, völlig in Vergessenheit.10 Stattdessen wird der solchermaßen orientierungslos gewordene Mensch zum Spielball von Mächten wie »Meinungen, Begierden und Lüsten« (6,2). Diese verführen die nun ohne vernünftige Einsicht nach Eudaimonie suchenden Menschen mit (falschen) Glücksversprechen, sodass sie »sinnlos umherirren« (6,3) und folglich den in Gestalt von Hetären auftretenden Begierden verfallen, die sie zugrunde richten (9f.). Befreiung aus diesen Abhängigkeiten ist den Menschen aus eigener Kraft nicht möglich. »Gleichsam in die Hände von Feinden gefallen …, können sie sich«, so formuliert es resümierend noch einmal der Rückblick auf den Lebensweg in 24,2f., »aus diesen schlimmen Fesseln, mit denen sie gebunden sind, nicht selbst befreien«; sie erleiden Schiffbruch, eben weil die göttliche Wegweisung durch den Täuschetrank unwirksam gemacht wurde (ebd.). Der solchermaßen geblendete und in die Irre gehende Mensch muss deshalb ›gereinigt‹ und ›geheilt‹ werden. Den Weg dazu will die Tabula zeigen. Dieses Anliegen schlägt sich schon in ihrem ungewöhnlichen Aufbau nieder, der zwar die aus platonischer Tradition vertraute11 Zweiteilung von Mythos und Logos 12 übernimmt, sie jedoch sowohl im Blick auf die Anordnung der Teile wie im Blick auf ihre jeweilige Länge auf den Kopf stellt: Nicht der Logos bildet den Hauptteil der Schrift, die durch einen kürzeren Mythos abgeschlossen würde, sondern der am Anfang stehende, etwa dreimal so lange und sehr eindrücklich vor Augen gestellte Mythos über die Wege und Irrwege des Lebens prägt diese Schrift. Dagegen klappt der Logos, eine nicht eben originelle Abhandlung über das Gute und das Schlechte, nach. Man hat deswegen vermutet, dass es sich beim Logos um ein vom Verfasser der Tabula übernommenes Traditionsstück handelt.13 Doch selbst wenn man die Spannungen so erklären könnte, bleibt immer noch die Frage offen, was Pseudo-Kebes dazu bewogen hat, die beiden Teile überhaupt in dieser Weise einander zuzuordnen. Die Annahme schriftstellerischen Ungenügens greift zu kurz, da genaueres Zusehen zeigt, dass die beiden Teile durchaus planvoll miteinander verschränkt sind: So antwortet erst der 10 In 24,3 wird nochmals an diese Weisung erinnert, allerdings mit dem klaren Hinweis, dass sie vergessen ist. Erst ab 30,1 kommt sie – dann allerdings massiv – zur Geltung. 11 Neben Platons eigenen Schriften (Gorgias, Politeia, Phaidon) wären der pseudoplatonische Axiochos sowie einige Schriften Plutarchs zu nennen (De sera numinis vindicta, De facie in orbe lunae, De genio Socratis), eventuell auch noch das »Somnium Scipionis« am Ende von Ciceros De republica. 12 Die gesamte Bildbeschreibung wird einleitend in 3,1 und rückblickend in 33,1 als µῦθος bezeichnet. Dem folgt der λόγος (so bezeichnet in 41,1), ein Dialog, der more Socratico die Gesprächsteilnehmer maieutisch zur Erkenntnis von Gut und Böse führt. 13 So etwa H. V. ARNIM, Art. Kebes 2), PRE XI/1, Stuttgart 1921, 102–105.

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Logos inhaltlich auf die über Gelingen und Scheitern des Lebens entscheidende ›Sphinxfrage‹ des Anfangs, »was gut, was schlecht und was weder gut noch schlecht ist im Leben« (3,3).14 Die Frage ist, warum dieser Logos, der im Spannungsbogen der Schrift prima facie eine auffällige Antiklimax darstellt, erst nach dem Mythos zu stehen kommt und erst hier die am Beginn des Mythos aufgeworfenen Fragen nach dem wirklich Guten und Schlechten beantwortet. Anders formuliert: Warum wurde diese Beschreibung eines geheimnisvollen alten Bildes am Tempel des Kronos und dessen Deutung als Sinnbild des Lebens durch einen Greis, der seinerseits einst als Jüngling von einem »steinalten Mann« darüber belehrt wurde, der philosophischen Beantwortung der Frage nach dem, was im Leben gut und böse ist, vorgeordnet? Diese auffällige und ganz ungewöhnliche Zuordnung von Mythos und Logos muss direkt mit dem Gesamtanliegen der Schrift zu tun haben. Der Mythos entfaltet hier nicht, wie bei Platon, durch einen Genuswechsel zum Abschluss das narrativ, was der Logos axiomatisch voraussetzt und durch seine Argumentation plausibel zu machen versuchte. Vielmehr führt der Mythos den Menschen zum Logos hin, bereitet ihn darauf vor. Pointiert formuliert: In der Tabula geht es um die Erziehung des Menschen zu dem Wesen, das zu seiner Bestimmung, der Selbstbestimmung qua Vernunft, allererst befähigt werden muss. Um dies näher zu begründen, soll im Durchgang durch den Text auf dessen dialektisches Verhältnis von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung geachtet werden.

2. Gift und Gegengift Ausführlich schildert die Tabula am Beginn die vielfältigen Möglichkeiten des Menschen, in die Irre zu gehen: In der ersten Ringmauer sind es zunächst die Gaben der launischen Tyche (7,1–8,4), die den Menschen, der nach dem Täuschetrank den Meinungen, Begierden und Lüsten orientierungslos ausgeliefert ist, von sich abhängig machen wollen, damit er dann, wenn er etwas erhalten hat, von Lastern umgarnt und durch diese zum Dienen gezwungen wird (9,4). Das Verhältnis des Habenden zum Gehabten ist reziprok: Während er noch meint, die vermeintlichen Güter sich einzuverleiben, wird er selbst von ihnen verschlungen (οὐκ ἤσθιεν, ἀλλʹ ὑπʹ αὐ14

Die sorgfältige Disposition der ganzen Schrift zeigt sich auch daran, dass die erste Frage der Gesprächsteilnehmer zum Inhalt des Bildes, was denn der Daimon den ins Leben Tretenden befiehlt, damit sie den rechten Weg gehen und ihr Leben retten können (4,3–5,1), am Beginn ohne Antwort bleibt, um sie dann ab 30,1 wieder aufzugreifen und sie nun zu beantworten (siehe dazu R. H IRSCH-LUIPOLD , Text und Übersetzung, in: Die Bildtafel des Kebes [Anm. 2], 119 Anm. 25 zur Übersetzung).

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τῆς κατησθίετο) und im Zusammenhang damit erniedrigt und zum Bösen angestiftet (9,1–4). Die Folge ist das endgültige Abgleiten ins Elend, wo der Mensch zuletzt der Vergeltung samt ihren Begleiterinnen übergeben wird (10,1–4). Damit steckt sein Leben in einer Sackgasse – falls ihm nicht eine Gegenmacht in Gestalt der Μετάνοια entgegentritt (10,4) und ihn »aus den Übeln herausreißt« (11,1). Dasselbe wiederholt sich mutatis mutandis in der zweiten Ringmauer, in der nun nicht mehr die Gefahren der Abhängigkeit von materiellen Gütern im Vordergrund stehen, sondern die der falschen, zum Selbstzweck gewordenen Anhäufung von Wissen, der Pseudobildung. Auch hier bedarf es eines Anstoßes zum Umdenken, der Μεταµέλεια.15 Erst nach dem Passieren dieser Abzweigungen in die Irrwege bzw. der Umkehr aus diesen kann der Mensch zur wahren Paideia gelangen, wobei die »Enthaltsamkeit« und die »Standhaftigkeit« unterstützend zu Hilfe kommen (16,1–5). Dieses Auftreten einer personifizierten Enthaltsamkeit und Standhaftigkeit zeigt schon, dass bei alledem die menschliche Selbsttätigkeit nicht ausgeschaltet ist, handelt es sich doch bei Ἐγκράτεια und Καρτερία um Personifikationen von Kräften, die durchaus das eigene ethische Bemühen des Menschen repräsentieren.16 Ein Blick auf die zeitgenössischen Schriften zur praktischen Philosophie macht aber deutlich, wie auffällig in der Tabula zunächst die menschliche Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit in den Hintergrund treten: Musonius etwa leitet seine Diatriben mit der axiomatischen Feststellung ein: »Von Natur aus sind wir Menschen alle so veranlagt, dass wir frei von Verfehlungen (ἀναµαρτήτως) und tugendhaft leben können; jeder hat diese Möglichkeit.« Ähnliches findet sich bei seinem Schüler Epiktet, etwa am Beginn seines Enchiridion, das mit der Unterscheidung zwischen dem, was in unserer Macht steht, und dem, was nicht in unserer Macht steht, einsetzt (Ench. 1). Dementsprechend beginnen Senecas Epistulae Morales mit der Aufforderung zur Selbstbefreiung (1,1: »Ita fac, mi Lucili: vindica te tibi«). Während diese zeitgenössischen ethischen Entwürfe die Fähigkeit des Menschen, sich von fremden Einflüssen zu befreien und sein Leben in eigener Regie vernünftig zu gestalten, axiomatisch voraussetzen, problematisiert die Tabula ebendiese Voraussetzung und fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit im Sinne vernünftiger Selbstbestimmung. Dementsprechend richtet sich das Hauptaugenmerk der Tabula auf ebendiese Bedingungen und Bedingthei15

So im Rückblick 35,4, beim ersten Durchgang war davon noch nicht die Rede. So erklärt es sich ja auch, dass der Mensch, der sein Lebensziel erreicht hat, als Sieger gekrönt wird, weil er »die schwierigsten Kämpfe bestanden« hat (22,1), während umgekehrt denjenigen, die das Lebensziel verfehlt haben, vorgeworfen wird, dass sie eben den Aufstieg zur Entbehrung nicht gewagt haben und umgekehrt sind (27,3). Deren Versuch, die Bildung für ihr Scheitern verantwortlich zu machen, wird denn auch strikt als Verleumdung derselben zurückgewiesen (28,1 f.). 16

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ten, und das heißt: auf die Aktivitäten von Mächten, die auf den Menschen im Guten wie im Schlechten Einfluss nehmen. Deshalb geht es nicht an, die Personifikation der Mächte nur mit dem Stilmittel der Allegorisierung zu erklären – ganz abgesehen davon, dass auch die Wahl einer solchen Form der Darstellung sprechend ist. Dies gilt umso mehr, als auch innerhalb des Dargestellten gerade durch das auffällige Motiv des zweifachen Trankes dieser Aspekt der Fremdbestimmung17 – zunächst als Verhinderung, dann als Ermöglichung der Selbstbestimmung – verstärkt wird. Denn die Metapher des Trankes hat ihre Pointe ja darin, dass sich der Mensch durch Trinken quasi substantiell etwas einverleibt bzw. einverleibt bekommt, was er nicht von selbst hat, was aber in sein Inneres eindringt und dieses bestimmt. Dass es sich bei dem so Aufgenommenen um eine ›Macht‹ (δύναµις) handelt, strapaziert zwar das Bild etwas – die in der SAPEREAusgabe gewählte Übersetzung ›Essenz‹ in 19,1.4 versucht, dies irgendwo zwischen Medizin (vgl. 19,2f.) und Magie plausibel zu machen –, unterstreicht aber umso drastischer, dass dieses Einverleibte nun über den Menschen Macht gewinnt. Beim ersten Trank wird ausdrücklich betont, dass der Trinkende sich selbst entzogen wird, sodass er nicht mehr über sich bestimmen kann: »Die Menschen aber finden aufgrund der Unwissenheit und des Irrtums, die sie von der Täuschung zu trinken bekommen haben, nicht heraus, welcher Art der wahre Weg im Leben ist, sondern irren planlos umher. Ebenso werden, wie du siehst, auch die vorher Hineingegangenen herumgetrieben, wohin es sich gerade trifft« (6,3; vgl. weiter 14,3; 24,2f.). Deshalb bedarf der Mensch eines Gegenmittels, das ihn wieder die Weisung des Daimons hören lässt und so zur Selbständigkeit befreit, er bedarf der »reinigenden Mächte« (14,3: καθαρτικὰς δυνάµεις), welche die verhängnisvolle δύναµις der Täuschung zu neutralisieren vermögen. Über eine solche καθαρτικὴ δύναµις aber verfügt die am Ende des Weges auftretende (18,1ff.) und den zu ihr Kommenden mit ihrer Essenz tränkende Paideia (19,1.4), die im Unterschied zur Scheinpaideia die »Wahre Paideia« heißt. Auch deren »Macht« muss wieder eingeflößt werden, wie die Formulierung in 19,4 »sie tränkt ihn mit ihrer Essenz (Macht)« unterstreicht, die wörtlich 5,2 wiederholt: ποτίζει τῇ ἑαυτῆς δυνάµει. Flößt in 5,4 die Täuschung dem ins Leben Tretenden gleichsam ihr betäubendes Gift ein,18 so tut in 19,1.4 dasselbe die Paideia mit ihrem Heilmittel,19 17

Diese Hinweise auf die Fremdbestimmung – als Ermöglichung der Selbstbestimmung! – sind m. E. ernst zu nehmen. Daraus resultiert zu einem Gutteil der Unterschied zur Deutung von K OCH, Weg (Anm. 2), 202–204. 18 In ähnlich negativer Weise kann auch die biblische Tradition vom Trinken des Kelchs oder Weins des göttlichen Zorns sprechen (vgl. Ps 75,9; Jes 51,17; Apk 14,10; 18,3 u. ö.), wobei die Wirkung dieses Getränkes mit Taumeln (Jes 51,17.22) beschrieben werden kann, also ebenfalls als Verlust an Selbstbestimmung. 19 Auffällig ist die Häufung medizinischer Metaphorik in 19,1–4.

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welches als »Gegengift«20 den Menschen entgiftet. Wer von den Menschen diese Essenz erhält und wer nicht und nach welchen Kriterien diese Auswahl erfolgt, wird nirgends gesagt. Wichtig ist nur, dass es allein die Paideia ist, welche den Menschen wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zuführen kann, wie der abschließende Logos noch einmal explizit unterstreicht: »Zu einem vortrefflichen Menschen macht … die Bildung« (39,3). Auf diese Weise geheilt, kann der Mensch dann zu den Tugenden eingehen (19,1) und alle Übel der Unwissenheit und Täuschung von sich stoßen (19,4f.). Um es noch einmal pointiert zu sagen: Während in der zeitgenössischen praktischen Philosophie die Freiheit als menschliche Möglichkeit a priori vorausgesetzt wird, scheint diese in der Tabula erst a posteriori möglich zu werden. Der verblendete Mensch muss zur Freiheit befreit werden. Das leistet die Paideia, und darum geht es im Mythos.

3. Die καθαρτικὴ δύναµις der Paideia Nirgends wird explizit gesagt, was denn unter jenem eingeflößten Mittel der Paideia konkret zu verstehen ist. Der Text enthält allerdings klare Hinweise darauf, dass es sich bei jener δύναµις der Paideia um die Tabula selbst handelt. Denn das ausgelegte Bild bleibt ja nicht bloß ein äußeres Bild, das man als unbeteiligter Betrachter anschauen könnte. Vielmehr eignet diesem Bild eine geheimnisvolle Macht: Als Orientierung bezüglich der über »Glück und Heil« (3,4) entscheidenden Lebensfrage, »was gut, was schlecht und was weder gut noch schlecht ist im Leben« (3,3), zieht es den Betrachter gleichsam in sich hinein, sodass dieser nun vor die Entscheidung gestellt ist, ob er den im Bild dargestellten Weg selbst gehen will.21 Dabei bleibt ihm nur die Wahl zwischen Untergang und Rettung (3,1–4). »Wer freilich diesen Ratschlägen zuwiderhandelt oder sie missachtet, geht als schlechter Mensch jämmerlich zugrunde« (32,5). Daher auch der dringende Appell des Alten an seine Gesprächsteilnehmer (und durch sie an die Leser): »Passt also gut auf und verschließt eure Ohren nicht!« (3,4) Unterstrichen wird dies auch durch die immer wieder bemerkte Auffälligkeit, dass dieser Traktat, der kein im engeren Sinn religiöses Thema (Gott/Götter, Mythen, Riten, Gebet etc.) zum Gegenstand hat, sich deutlich religiöser Motivik (Heiligtum des Kronos, Daimon) sowie einer auffällig

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In 26,3 wird dafür zweimal der Begriff ἀντιφάρµακον verwendet. Vgl. dazu auch R. HIRSCH-LUIPOLD, Einleitung, in: Die Bildtafel des Kebes (Anm. 2), 1–67, hier 31 f.; KOCH, Weg (Anm. 2), 215. 21

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religiös konnotierten Sprache bedient.22 Nicht zuletzt trifft dies für die wiederholt vorkommende Opposition zwischen ›gerettet werden‹ und ›zugrunde gehen‹ zu, durch welche dem Leser von Anfang an klargemacht wird: tua res agitur. Wie bei der legendären Sphinx setzt die Begegnung mit diesem Bild ein Geschehen in Gang, bei dem es um alles oder nichts geht und von dem man sich nicht mehr dispensieren kann: »Die Darlegung (ἡ ἐξήγησις) ähnelt nämlich dem Rätsel, das die Sphinx dem Menschen zur Lösung vorzulegen pflegte: Wenn einer es verstand, dann war er gerettet, wenn es aber einer nicht verstand, fand er durch die Sphinx seinen Untergang. Ebenso verhält es sich mit dieser Darlegung« (3,2). »This is cunning writing, but not cunning for cunning’s sake: its aim is to maximise the chances that the moral message contained in the exposition of the tablet will be taken seriously, as a programme for action in the reader’s own life.«23 Die auffällige Parallelität zwischen der reinigenden Macht der Paideia und der rettenden Wirkung des Bildes, sofern man den in ihm vorgezeichneten Weg geht, macht es daher wahrscheinlich, dass es ebendie Beschreibung und Deutung dieses machtvollen Bildes selbst ist, durch welche die ›Macht‹ der Paideia mitgeteilt wird, mitgeteilt, insofern die dort erzählte und gedeutete Geschichte zur eigenen Geschichte wird, weil die Identifizierung mit dem Dargestellten zum Weg zur eigenen Identität wird. Dementsprechend resümiert der Alte dann auch am Schluss: »Dies also ist die Geschichte, ihr Fremden, die auf der Bildtafel für uns dargestellt ist« (33,1).

4. Das Ziel des Lebens: Der zur Selbstbestimmung ermächtigte Mensch Wo solches gelingt, wo der Mensch nach dem Bild der Tabula gebildet und so durch deren Einfluss gereinigt, geheilt, ›gerettet‹ wird, da hat dies die Umkehrung des Machtverhältnisses zwischen ihm und der Wirklichkeit zur Folge: Unwissenheit und Irrtum und die in ihrem Gefolge auftretenden Laster, die den Menschen bisher »zerfressen, gemartert und geknechtet haben, diese alle hat er besiegt und von sich geschleudert. Dadurch ist er sein eigener Herr geworden, sodass nun diese ihm dienen wie zuvor er 22 Wie auch in Senecas Brief 41 (siehe oben Anm. 4) ist die religiöse Dimension eine Funktion der Ethik. Anders J OLY, Tableau (Anm. 7): Er deutet die Tabula komplett religiös als eine neupythagoreische Vision des jenseitigen Lebens; zur Kritik siehe M. V. ALBRECHT, Rez. R. Joly, Le Tableau de Cébès et la philosophie religieuse, Brüssel/Berchem 1963, Gn. 36 (1964), 755–759. 23 M. TRAPP, On the Tablet of Cebes, in: R. SORABJI (Hg.), Aristotle and After, London 1997, 159–180, hier 160.

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ihnen« (22,2). Diese neu gewonnene Freiheit wird in mehreren Aspekten vorgeführt. Zunächst wird der »Sieg« (23,3–24,1) durch den vergleichenden Rückblick auf das Leben derer profiliert, die jene Befreiung nicht erfahren haben, sondern »gleichsam in die Hände von Feinden gefallen« und »mit schlimmen Fesseln gebunden« sind (24,2f.). Ein solches versklavtes Leben ist, wie explizit nochmals unterstrichen wird, auch die Vergangenheit dessen, der jetzt zum Ziel gekommen ist (25,1–3). Im Rückblick auf dieses bisherige Leben vermag der bislang nur von Meinungen Geleitete nun selbst den vernünftigen Weg zu erkennen.24 Diese Erkenntnis hat dann unmittelbare Folgen für das Leben: Der bei der Paideia und durch sie bei der Glückseligkeit Angekommene ist nun »überall sicher wie der Bewohner der korykischen Grotte, und überall, wo er auch hinkommen mag, wird er in allen Dingen gut und in aller Sicherheit leben« (26,1); er triumphiert über die »Bestien« (θηρία), die bisher sein Leben bedroht haben (26,2): »Er beherrscht (κυριεύει) nämlich alle und ist über ihnen allen, die ihm vorher Leid zugefügt haben« (26,3). Demonstriert wird diese Umkehrung der Machtverhältnisse noch einmal in einem erneuten Durchgang durch die Stationen des Weges, den die Tabula bisher beschrieben hatte.25 Dieser Weg ist der Gleiche – aber weil der Mensch, der ihn geht, ein anderer geworden ist, dient das, was ihn bisher verführt und geknechtet hat, jetzt zum Nutzen (30,1–32,5). Weil er »den Blick auf die beständige und sichere Gabe gerichtet« hat (31,6), die er von der Paideia erhalten hat (32,1f.), macht er sich von den Geschenken der unberechenbaren Tyche nicht mehr abhängig und kann sie deshalb ohne Schaden genießen; jene verführenden Hetären, die sich beim ersten Durchgang auf ihn gestürzt und ihn sich unterworfen haben, sind zwar noch da, aber sie haben keine Macht mehr über ihn (32,3)! Diese allem Bisherigen entgegengesetzte Welterfahrung ist dadurch möglich, dass die bislang durch das Gift der Täuschung zum Verstummen gebrachte Stimme des Daimon sich nun beständig zu Gehör bringt und dem Menschen die richtige Richtung weist: Geradezu gebetsmühlenartig wird in diesem Abschnitt zehnmal die Wendung προστάττει/κελεύει (τὸ ∆αιµόνιον) wiederholt (und dann nochmals in 33,2). Indem der Mensch auf diese göttliche Anordnung hört – pointiert gesagt: indem er gehorcht –, wird er »sein eigener Herr«. Damit ist dem Menschen auch das Gelingen seines Lebens möglich, das er nun selbst in der Hand hat. Durch die Macht der Paideia »bekränzt«, so 23,4, ist er nun fähig, die Hoffnung auf Glückseligkeit nicht in anderen, sondern in sich selbst zu haben. Das aber ist, so wird nochmals unterstrichen, die unmittelbare Folge dessen, dass er nun von jenem verhängnisvollen Zustand der Täuschung befreit ist, in dem er das, was nicht 24 25

25,1 f.; vgl. dazu K OCH, Weg (Anm. 2), 211 f. Zum Folgenden vgl. H IRSCH-LUIPOLD, Einleitung (Anm. 21), 22 f.

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gut war, für Güter hielt und das, was nicht schlecht war, für Übel (25,2). Dieser Thematik des wahren Guten und Bösen, die bereits im Mythos wiederholt anklingt, nimmt sich der Logos ausführlich an, indem er am Beispiel scheinbarer Güter (Leben und Reichtum) und deren Gegenteil ausführt, was wirklich gut, was böse und was weder das eine noch das andere ist.

5. Paideia salvatrix Es ist die ›Bildung‹ nach dem Bild und Programm der Tabula, welche den durch die Verblendung sich selbst entfremdeten Menschen wieder reinigt, heilt und so seiner (göttlichen) Bestimmung und damit seinem wahren Glück zuführt. Das Originelle ist dabei nicht der ›Lerninhalt‹: Dass alle äußeren Dinge für sich keinen Wert besitzen und dass vernünftiges Denken (und die entsprechende Selbstbestimmung) das einzige Gut, Unvernunft das einzige Übel ist – dieses Schlussresümee der Tabula (41,3) kann man so oder ähnlich bei anderen zeitgenössischen Denkern ›sokratischer‹26 Provenienz auch lesen. Dass wahre Bildung auf die Menschwerdung des Menschen zielt, ist ebenfalls eine in der Antike weit verbreitete Ansicht,27 die sich schon sprachlich daran zeigt, »daß παιδεία im Lateinischen durch ›humanitas‹ wiedergegeben werden kann«. 28 Selbst die Vorstellung, dass es der Paideia bedarf, um den in Irrtum und Verblendung gefangenen Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen und so zu befreien, konnte man bereits aus Platons Höhlengleichnis herauslesen.29 Originell ist die Tabula nicht im Blick auf ihre ›Erziehungsziele‹, sondern darin, dass sie sich auf die Voraussetzungen der Freiheit konzentriert und sich um deren Ermöglichung bemüht. Dies geschieht durch eine dramatische Bildbeschreibung, die den Menschen in das Beschriebene einbeziehen und ebendadurch aus seinen Irrtümern und Abhängigkeiten befreien, ihn verändern, ›bilden‹ will. Dies ist die »wahre Bildung«, welche durch die pointierte Entgegensetzung zum bloßen Wissenserwerb der Scheinbildung scharf 26 Diese etwas ungenaue Kategorisierung bezeichnet wohl am besten das Charakteristikum der Ethik des Pseudo-Kebes, der sich ja schon durch seinen Namen als Sokratesschüler vorstellt. Alle weitergehenden Versuche, dies aufgrund der Begrifflichkeit oder bestimmter Vorstellungen näher als kynisch, platonisch oder stoisch festzulegen, scheitern ebenso wie der Versuch, die explizite Anknüpfung an Pythagoras und Parmenides für diese Frage fruchtbar zu machen (vgl. dazu T RAPP, Tablet [Anm. 23], 168 ff.). 27 Vgl. Seneca, Ep. 89,13: Der Weise und Philosoph ist nichts anderes als ein »generis humani paedagogus«. 28 P. B LOMENKAMP, Art. Erziehung, RAC 6 (1966), 502–559, hier 515. 29 Rep. VII,518b ff. Vgl. den Auftakt des Höhlengleichnisses 514a mit der Gegenüberstellung von παιδεία und ἀπαιδευσία.

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profiliert wird. Eine jenseits aller ›Tyrannei der Zwecke‹ den Menschen selbst bildende Paideia, eine ›humanistische Bildung‹ hat – das unterstreicht die religiöse Sprache – für die Tabula soteriologische Qualität, und es ist sicher kein Zufall, dass gerade der Humanismus der Renaissance, welcher die Menschenbildung als ein entscheidendes Element des abendländischen Selbstverständnisses in der frühen Neuzeit zur Geltung gebracht hat, die Tabula hoch geschätzt hat.

6. Die Tabula und das Neue Testament Die Tabula wurde christianisiert. Nicht nur, dass ihre Abbildung das Titelblatt des griechischen Neuen Testaments von Erasmus zierte – es gab sogar eine Tabula Cebetis Christiani.30 Möglich wurde dies vor allem durch die Synthese der Tabula mit dem biblisch-weisheitlichen Motiv des breiten und des schmalen Weges,31 eine Synthese, deren Resultat in Gestalt einer Zwei-Wege-Darstellung, auf welcher der ›breite Weg‹ von verführenden Gestalten gesäumt ist, noch die Schulzimmer meiner Kindheit schmückte. Eine solche Synthese ist – bei aller theologischen Fragwürdigkeit ihres Ergebnisses in Gestalt moralisierender Religiosität – nicht ohne Anhalt an der frühchristlichen Briefliteratur. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Das eine ist der pseudopaulinische Epheserbrief, der gegen Ende des ersten Jahrhunderts verfasst worden sein dürfte. Der unbekannte Verfasser begründet dort seine Paränese mit der Erneuerung der christlichen Existenz durch den Bezug zu Christus (4,17f.20–23): Dies nun sage und bezeuge ich im Herrn, dass ihr nicht mehr wandelt, wie auch die Heiden in der Nichtigkeit ihres Sinnes wandeln, verdunkelt in ihrem Denken, entfremdet von dem Leben aus Gott durch die Unwissenheit, die sich in ihnen befindet (διὰ τὴν ἄγνοιαν τὴν οὖσαν ἐν αὐτοῖς) … Ihr aber habt so Christus nicht gelernt (ἐµάθετε), wenn ihr denn von ihm gehört habt und in ihm unterrichtet wurdet (ἐν αὐτῷ ἐδιδάχθατε), wie es in Jesus Wahrheit ist, abzulegen den alten Menschen eures früheren Lebenswandels, der sich selbst zugrunde richtet durch die Begierden der Täuschung (κατὰ τὰς ἐπιθυµίας τῆς ἀπάτης), erneuert zu werden im Geist eures Denkens …

Bei allen Unterschieden zur Tabula fallen an einigen Punkten dann doch überraschende Konvergenzen auf. Das Leben wird auch in Eph 4,17.22 mit der Wegmetapher beschrieben (›Wandel‹, ›wandeln‹). Wie die Tabula kontrastiert auch der Epheserbrief der Wahrheit (Eph 4,20; vgl. 4,24) die uni30 Siehe B. HIRSCH, Ins Bild gesetzt – Rezeption der Tabula Cebetis in der Kunst der Renaissance, in: Die Bildtafel des Kebes (Anm. 2), 183–193, hier 185. Eine Abbildung des Titelblatts findet sich im selben Band auf S. 226. 31 Mt 7,13; breit ausgeführt wird dieses Motiv im Frühchristentum erstmals in der Didache (Did 1,1–6,3) und im Barnabasbrief (Barn 18,1b–20,2).

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verselle Unwissenheit (4,18) bzw. Täuschung (4,22) und entfaltet im Kontext dieser Opposition seine Paränese. Die Folge von Unwissenheit und Täuschung besteht auch in Eph 4,19.22 in der Abhängigkeit von den »Begierden der Täuschung« (Eph 4,22). Dies wiederum hat in Eph 4,22 wie in der Tabula die Zerstörung des Lebens zur Folge; analog ist Rettung durch Neuorientierung möglich (4,17.22f.). Ermöglicht wird diese Neuorientierung nach Eph 4,20f. durch eine den Menschen verändernde Belehrung und Unterrichtung, eine bemerkenswerte ›Pädagogisierung‹ der Heilsbotschaft, die ein Erbe der Diasporasynagoge 32 ist und eine gewisse Affinität zur Funktion der Paideia der Tabula aufweist. Das andere Beispiel ist der Titusbrief. Seinen hymnisch geprägten Lobpreis der »Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters« (Tit 3,4–7) profiliert der Autor in 3,3 durch einen kontrastierenden Rückblick auf die frühere Existenz der zum Glauben Gekommenen: Denn auch wir waren einst verblendet, ungehorsam, gingen in die Irre, durch vielerlei Begierden und Lüste versklavt, brachten das Leben in Bosheit und Neid zu, abscheulich, einander hassend.

Wie der Epheserbrief bedient sich auch der Titusbrief einiger Motive, die an die Tabula erinnern: Die Menschen waren verblendet, d. h., ihre vernünftige Selbstbestimmung fehlte (ἀνόητοι), sie gingen deshalb in die Irre, und als Folge dieser Verirrung waren sie durch ihre Affekte ›versklavt‹. Das ist umso bedeutsamer, als zuvor (2,11f.) die Wirkung der göttlichen Gnade als Erziehung (χάρις … παιδεύουσα) zur Abkehr von den »Begierden dieser Welt« (κοσµικαὶ ἐπιθυµίαι) vorgestellt wurde. Man darf solche Parallelen angesichts der erwähnten fundamentalen Unterschiede nicht überbetonen, zumal es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die frühchristlichen Autoren die Tabula gekannt hätten. Die dargelegten Entsprechungen zeigen aber, dass das Frühchristentum bei dem Versuch, die eigene Heilsbotschaft der Befreiung aus Sünde und Tod in einem neuen Kontext verständlich zu machen, sich an eine Anthropologie anlehnen konnte, wie sie in der Tabula vorliegt. Besonders markante Entsprechungen waren 1. die Plausibilisierung der Rede von der Sünde durch die Vorstellung eines Verblendungszusammenhangs, in den ausnahmslos alle Menschen eingebunden sind;33 2. die dadurch bedingte Abhängigkeit von der Welt qua Begierden, welche versklavt und das Leben zerstört; 3. die Profilierung der davon befreienden Heilsbotschaft durch den Erziehungsgedanken, der offenbar auch für Christen zunehmend attraktiv wurde.34 32

Vgl. das ἅγιον πνεῦµα παιδείας in SapSal 1,5. Vgl. das emphatische πάντες in Tabula 3,5; 4,1 mit dem in Röm 3,23 (3,12). 34 In Hebr 12,5–11 wird (ausgehend von Spr 3,11) der παιδεία-Begriff auf Gottes Handeln angewandt, wenig später kann dann 1. Clem 21,8 im Kontext der Kindererziehung von der ἐν Χριστῷ παιδεία sprechen. 33

Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele Die Neubegründung der Unsterblichkeitshoffnung im pseudoplatonischen Axiochos 1. Consolatio mortis? Die Frage der Gattung Der Axiochos wurde bislang zumeist der literarischen Gattung der consolatio mortis zugerechnet.1 In einer solchen geht es um philosophischen Trost angesichts des Todes. Das ist zwar in etwa auch das Thema des Axiochos. Der pseudoplatonische Dialog2 fällt jedoch innerhalb dieser Literaturgattung gleich in dreifacher Hinsicht aus dem Rahmen. Zum einen geht es in ihm nicht um die Tröstung der Hinterbliebenen, sondern um die Versöhnung eines Sterbenden mit seinem eigenen bevorstehenden Tod. Zum zweiten handelt es sich nicht um einen realen Fall, sondern um Fiktion. Zum dritten ist der Axiochos die einzige philosophische consolatio, die nicht Argumente verschiedener Schulen positiv aufnimmt.3 Zwar kennt und zitiert der pseudoplatonische Dialog die unterschiedlichen Argumentationen4 und erweist sich insofern als »a curious blending of Epicurean 1 J. SOUILHÉ, Platon. Œuvres complètes, Band XIII,3: Dialogues apocryphes, Paris 1930, 119: »L’Axiochos est littérairement construit comme un discours de consolation«; ähnlich J. P. HERSHBELL (Hg.), Pseudo-Plato, Axiochus (GRRS 6), Chico 1981, 19 f., siehe dazu auch die Einleitung von I. M ÄNNLEIN-ROBERT, Einführung in die Schrift, in: Ps.Platon, Über den Tod. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von I. MÄNNLEIN -ROBERT/O. SCHELSKE/M. ERLER u. a. (SAPERE XX), Tübingen 2012, 3–41, hier 13–15. 2 Zur Verortung des Dialogs in ›Platonikerkreisen‹ vgl. M ÄNNLEIN-ROBERT, Einführung (Anm. 1), 15. 3 Das meint wohl W. KIERDORF, Art. Konsolationsliteratur, DNP 6, Stuttgart 1999, 709–711, hier 710, wenn er sagt, dass der Axiochos die einzige consolatio sei, die nicht die Argumente verschiedener Schulen benutzt. Das ist zwar insofern zu präzisieren, als auch der Axiochos die unterschiedlichsten philosophischen Argumente gegen die Todesfurcht (vor allem platonischer und epikureischer Provenienz) zusammenstellt. Aber während unterschiedliche Argumente in den anderen Schriften nur dann angeführt werden, wenn sie die beabsichtigte tröstende Wirkung unterstützen, ist das im Axiochos markant anders. 4 Von der Akademie nimmt Sokrates etwa die Idee, dass der Tod vom Elend des Lebens befreit und in einen besseren Zustand führt; aus dem Brief Epikurs an Menoikeus stammt die Argumentation, dass der Tod uns nichts angeht, weil dort, wo die Lebenden

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and Platonic views on the soul and afterlife«. 5 Aber der Dialog setzt den Sterbenden als Gesprächspartner gezielt ein, um die bis dahin geläufigen Antworten der Philosophie auf die Todesfrage kritisch zu hinterfragen, ja, um sie als wirkungslos zu destruieren, sodass Sokrates genötigt wird, am Schluss eine eigene Antwort zu geben, die dem Gesprächsverlauf die entscheidende Wendung gibt. Es geht somit in dieser Schrift nicht eigentlich um Trost, sondern um die Frage, welche Philosophie für die Bewältigung der Todesfurcht taugt – und welche nicht!6 Insofern ist die Frage der Gattung und damit der Intention dieser Schrift noch einmal neu zu stellen. Zuvor soll die Schrift selbst näher betrachtet werden, die Rolle des Sokrates, der Verlauf der Argumentation und die Bedeutung des göttlichen Geistes.

2. Sokrates als Seelsorger und der religious turn des Mittleren Platonismus In den Kommentaren wird das Auftreten des Sokrates keiner besonderen Beachtung gewürdigt, scheint es sich doch gleichsam von selbst damit zu erklären, dass der unbekannte Verfasser des Axiochos Platon imitiert, der in seinen Dialogen durchweg seinen Lehrer als maßgeblichen Gesprächspartner auftreten lässt. Doch man könnte fragen, ob das Auftreten des Sokrates hier lediglich durch die Imitation eines platonischen Dialogs bedingt ist oder ob nicht umgekehrt die Form des platonischen Dialogs (auch) deshalb gewählt wurde, um Sokrates auftreten zu lassen. Wie dem auch sei – auf jeden Fall wird man sagen müssen, dass niemand geeigneter wäre, auf das Problem der Todesfurcht und des Sterbens eine philosophische Antwort zu geben, als Sokrates, hatte dieser doch nach seiner Verurteilung zum Tod sich als völlig furchtlos erwiesen: »Denn darüber besteht allgemeine Übereinstimmung, daß kein Mensch je unter allen denen, die in der Erinnerung leben, den Tod in würdigerer Art ertragen hat.«7 Für unseren Zusammenhang besonders interessant ist die Begründung, die er in der Apologie, der dem historischen Sokrates wohl noch am nächsten stehenden Schrift Platons, dafür gibt: Sein Daimonion,8 so sagt Sokrasind, der Tod nicht ist und dort, wo der Tod ist, die Lebenden nicht sind (vgl. Diogenes Laertius X,124 f.). 5 HERSHBELL, Axiochus (Anm. 1), 1. 6 Vgl. A. LOHMAR, Sterblichkeit, Annihilation und die Furcht vor dem Tod. Das Problem des Axiochos und die Irrelevanz der epikureischen Thanatologie, in: Ps.-Platon, Über den Tod (Anm. 1), 155–181, hier 172–181, der von dem »Problem der Annihilation« spricht. 7 Xenophon, Mem. IV,8,2; Übers. J AERISCH. 8 Zum Daimonion des Sokrates vgl. auch Xenophon, Mem. I,1,2–9.

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tes dort, das ihn bislang immer vor allem Schlimmen bewahrt hatte, habe ihn an diesem Morgen nicht daran gehindert, zum Gericht zu gehen, obgleich er dort jetzt zum Tode verurteilt wurde. Dieses Schweigen könne er nur so deuten, dass der nun über ihn beschlossene Tod kein Übel sei (Apol. 39e–40b). Der Tod wird also gleichsam durch ein argumentum e silentio zu einem göttlich approbierten Gut. Sokrates plausibilisiert seine Schlussfolgerung durch folgende Überlegung: Denn eines von beiden ist das Totsein, entweder soviel als nichts sein noch irgendeine Empfindung von irgendetwas haben, wenn man tot ist; oder, wie auch gesagt wird, ist es eine Versetzung und Umzug der Seele von hinnen an einen anderen Ort. 9

Gleicht das eine, so führt der Sokrates der Apologie weiter aus, einem besonders erholsamen Schlaf, so bedeutet die Alternative die Chance, mit den Größen der Vergangenheit Umgang zu haben und diese nach Möglichkeit ebenso auszufragen, wie er das bisher bei den Athenern getan hat. Beides aber, so folgert er, kann nur ein Gewinn sein (Apol. 40d–41d). Die Alternative aut exitus aut transitus hat bereits in der Apologie ein Gefälle dahin gehend, dass der Übergang in die Welt der Toten als die positivere Möglichkeit vorgestellt wird. In seinem späteren Dialog Phaidon, mit dem der Axiochos enge Berührungen aufweist,10 lässt Platon denn auch Sokrates nur noch zugunsten der zweiten Möglichkeit, der Unsterblichkeit der Seele, argumentieren (67b–68b). Auf diese religiöse Dimension der Sokratesgestalt greift der Mittlere Platonismus zurück, ja, er steigert sie noch. Religionsgeschichtlich ist das ein bemerkenswerter Vorgang. Sokrates hat ja mit Jesus Christus gemeinsam, dass er ein Lehrer war, der keine Schriften, wohl aber Schüler hinterlassen hatte. Hinzu kommt noch, dass beide an ihrer Überzeugung gegen jeden Widerstand bis zur äußersten Konsequenz, der bewussten Annahme einer ungerechten Verurteilung und der damit verbundenen Hinrichtung, festgehalten und so ihre Lehre durch den Tod gleichsam besiegelt haben. Durch das Zusammenspiel aller drei Faktoren konnte der eine wie der andere zum Exponenten recht unterschiedlicher Gruppierungen werden, die sich jeweils auf ihn als Autorität beriefen, indem sie bestimmte Aspekte seiner Lehre und seines Lebens als maßgeblich in den Vordergrund stellten. Wird etwa für die Akademie der Sokrates des »Ich weiß, dass ich nichts weiß« zum Propagator der skeptischen Infragestellung alles sicheren Wissens, so wird der anspruchslose Sokrates mit seinem unbedingten Einsatz für das Gute für die Stoa zum »Ideal von Selbstkontrolle«, 11 der die Einheit von gelehrtem und gelebtem Ethos verkörpert. Im Mittleren 9

Apol. 40c; Übers. SCHLEIERMACHER. Vgl. die Auflistung von H ERSHBELL, Axiochus (Anm. 1), 1. 11 M. ERLER, Sokrates’ Rolle im Hellenismus, in: H. KESSLER (Hg.), Sokrates. Nachfolge und Eigenwege (Sokrates-Studien V), Zug 2001, 201–232, hier 205 f. 10

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Platonismus sind es nun nicht mehr nur Erkenntnistheorie oder Ethik, also die theoretische oder die praktische Philosophie, denen das Hauptinteresse gilt. Zunehmend gewinnt die religiöse Sphäre, die in den Schriften Platons angelegt ist, aber in der an der Erkenntnistheorie interessierten skeptischen Akademie zurückgedrängt wurde, wieder an Bedeutung.12 Eindrücklich lässt sich dieser religious turn des Mittleren Platonismus im Blick auf Sokrates durch die Tatsache dokumentieren, dass aus dem ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhundert noch vier Abhandlungen über das Daimonion des Sokrates als Ausdruck der unmittelbaren Verbundenheit des Philosophen mit der göttlichen Sphäre erhalten sind.13 Die Kompetenz des Philosophen in Sachen Transzendenz wird besonders dort interessant, wo der Mensch an seine Grenze kommt, also beim Problem des Todes. Gerade der Axiochos zeigt, dass Philosophie nur noch dort als wahr anerkannt wird, wo sie sich als Anleitung zu einem gelingenden Leben auch im Angesicht des Todes bewährt; die ars vitae vollendet sich als ars moriendi. Zwar wird im Axiochos Sokrates (noch) nicht wie in den wohl späteren Schriften über das Daimonion geradezu als Mittler zur Transzendenz stilisiert. Andererseits erweist sich die Weisheit des Sokrates aber auch nicht mehr wie in den authentischen platonischen Dialogen darin, dass er mit seinen kritischen Rückfragen die Wissensansprüche der anderen überprüft, sondern sie bewährt sich nun darin, dass Sokrates als Lieferant fertiger Antworten auftritt,14 von Antworten, die durch die kritischen Rückfragen des Sterbenden daraufhin überprüft werden, inwiefern sie in der Lage sind, eine Hoffnungsperspektive zu erschließen und so den Sterbenden von seiner Todesfurcht – also nicht von einer Unwissenheit, sondern von einem schädlichen Affekt! – zu befreien. Diese ›seelsorgerliche‹ Aufgabe15 hatte er am Beginn des Dialogs als Aufforderung zu einer frommen Tat (ἐφʹ ὅσια) charakterisiert. 12 Zu dieser Entwicklung vgl. R. FELDMEIER, »Göttliche Philosophie«. Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike, in: R. HIRSCH-LUIPOLD/M. V. ALBRECHT/ H. GÖRGEMANNS (Hg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven. Ratio Religionis Studien Bd. I, Tübingen 2009, 99–116 = oben S. 31–48. 13 Vgl. Apuleius, De Deo Socratis/Über den Gott des Sokrates. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von M. B ALTES/M.-L. LAKMANN/J. M. D ILLON/P. D ONINI/R. H ÄFNER /L. K ARFÍKOVÁ (SAPERE VII), Darmstadt 2004, und dort insbesondere den Beitrag von Donini (P. D ONINI, Sokrates und sein Dämon im Platonismus des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr., 142–161). Vgl. außerdem Plutarch, On the daimonion of Socrates. Human Liberation, Divine Guidance and Philosophy. Edited by H.-G. N ESSELRATH. Introduction, Text, Translation and Interpretative Essays by D. RUSSELL/G. CAWKWELL/W. DEUSE /J. D ILLON/H.-G. N ESSELRATH a.o. (SAPERE XV), Tübingen 2010. 14 Vgl. MÄNNLEIN -ROBERT, Einführung (Anm. 1), 31–37. 15 Zum Axiochos als »Heilgespräch« siehe M. ERLER, Zur literarisch-philosophischen Einordnung des Dialogs, in: Ps.-Platon, Über den Tod (Anm. 1), 99–115, hier 105–110.

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Es ist diese Neubestimmung der Philosophie als philosophia medicans,16 die diese Schrift trotz ihrer immer wieder zu Recht festgestellten Begrenztheit so interessant macht. Der Axiochos ist ein frühes Zeugnis für die folgenreiche Neuorientierung eines sich außerhalb Athens und damit auch jenseits der akademischen Skepsis neu formierenden Platonismus. Diese Neuorientierung deutete sich bereits in Ciceros Übersetzung des Timaios und der damit ausgelösten Timaios-Renaissance an, und in gewisser Weise gehört der Axiochos in diesen Kontext.17 Denn seine Kernaussage kann man gut deuten als interpretierende Paraphrase des Abschnittes Tim. 90b–c, wo Platon sagt, dass der Mensch in seinem Streben nach Erkenntnis und Wahrheit unsterbliche und göttliche Gedanken in sich trägt und so einen göttlichen Daimon in sich beherbergt. Das wird unter Rekurs auf das zwischenzeitlich von der Stoa als Kategorie für die Gegenwart des Göttlichen in der Welt und besonders im Menschen etablierte πνεῦµα (s. u.) von Neuem plausibilisiert und in der Auseinandersetzung mit der existentiellen Problematik des Todes auf die – bei Platon in diesem Zusammenhang ebenfalls angedeutete18 – Unsterblichkeit hin zugespitzt.

3. Der Argumentationsverlauf Der ›religious turn‹ bestimmt den Argumentationsverlauf. Die Exposition schildert zunächst, wie Sokrates von einem gewissen Kleinias zu dessen Vater (und seinem Freund) Axiochos gerufen wird, weil dieser im Sterben liegt und darüber verzweifelt. Die Art und Weise, wie der Sohn die Einladung formuliert, stellt gleich die Weichen für das Folgende: Das Sterben, so sagt Kleinias, ist der ›Kairos‹, der Ernstfall, an dem sich zeigt, was die Weisheit des Philosophen wirklich wert ist (364b). Das wird vom Sterbenden selbst noch einmal in negativer Hinsicht bestätigt, wenn er auf die Vorhaltungen des Sokrates, dass er sich als »einer, der auf Argumente hört« und zudem Athener ist, gefälligst zusammenzunehmen habe, entgegnet, dass angesichts der (drastisch ausgemalten) Realität des nahenden Todes die bisher auch ihn überzeugenden philosophischen Lehrsätze ihre Überzeugungskraft eingebüßt hätten, weil sie ihm nicht hülfen, seiner Todesfurcht Herr zu werden (365c).

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Vgl. ebd., 104 f. Zur philosophiegeschichtlichen Einordnung des Axiochos vgl. MÄNNLEIN-ROBERT, Einführung (Anm. 1), 6–9. 18 Platon sagt allerdings deutlich zurückhaltender, dass der Mensch solche göttlichen und unsterblichen Gedanken in sich trägt, »soweit überhaupt die menschliche Natur der Unsterblichkeit fähig ist« (Tim. 90c; Übers. SCHLEIERMACHER). 17

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Nach dieser Abwehr seiner Zurechtweisung beginnt Sokrates zu argumentieren. Zunächst wirft er dem Sterbenden vor, seine Klage sei widersprüchlich, da die von ihm lautstark bedauerte Zerstörung seines Lebens von ihm als Toter gar nicht mehr erfahren werden könne. Stattdessen folgert er, dass der Tod nur die Auflösung des Körpers bedeute, während »wir Seele sind, ein unsterbliches Lebewesen, eingeschlossen im sterblichen Gefängnis« (365e). Diese Seele aber leidet hier und »ersehnt den himmlischen und ihr verwandten Ort und dürstet danach im Begehren nach der Lebensweise und dem Tanz dort« (366a). Folglich ist Sterben als »das Fortgehen vom Leben eine Veränderung von einem Übel zu etwas Gutem hin« (366b). Das ist die klassische platonische Lehre von der im Leib begrabenen unsterblichen Seele. Bemerkenswert ist nun allerdings, dass das beim Sterbenden zunächst überhaupt nicht verfängt: Grimmig fragt er zurück, warum Sokrates, wenn er denn wirklich das glaubt, was er da sagt, dann noch am Leben bleibt. Die philosophische Schulmeinung als solche, das wird hier deutlich gemacht, vermag nicht Trost zu spenden – auch wenn sie die platonische, also ›richtige‹ Ansicht wiedergibt. Nachdem Sokrates dem Sterbenden den Tod nicht schmackhaft machen konnte, geht er gleichsam den umgekehrten Weg und versucht im nächsten Gesprächsgang, das Leben madig zu machen, indem er (unter Berufung auf den »weisen Prodikos«, 366c) in aller Ausführlichkeit die unzähligen Leiden von der Wiege bis zur Bahre vor Augen malt, Qualen, aus denen allein der Tod befreit.19 Besonders auffällig ist die heftige Abqualifizierung jeder politischen Betätigung, die nicht nur in der Argumentation des Sokrates einen breiten Raum einnimmt, sondern sich sogar verselbständigt, insofern der Sterbende der heftigen Absage an den Sinn jeder politischen Betätigung durch Berufung auf eigene Erfahrungen als praktizierender Politiker lebhaft zustimmt, ohne dass dabei erkennbar würde, was das alles noch mit seiner Situation, dem bevorstehenden Tod, zu tun hat.20 Auf das Thema des Todes lenkt erst wieder Sokrates zurück, indem er – ziemlich künstlich durch eine erneute Berufung auf den bereits im letzten Argument zitierten Prodikos – die klassische epikureische Argumentation paraphrasiert, »dass der Tod weder etwas mit den Lebenden noch mit den Toten zu tun hat«, weil während des Lebens der Tod noch nicht da ist und nach Eintritt des Todes die Lebenden nicht mehr da sind (369b–c). Das führt dann wieder zu einer heftigen Gegenreaktion des Sterbenden, der dieses ganze Aufgebot an philosophischer Argumentation als ein »für junge 19 Zu diesem ›Lob des Todes‹ vgl. H.-G. N ESSELRATH, Axiochos und das Lob des Todes in griechischer Rhetorik, Philosophie und Dichtung, in: Ps.-Platon, Über den Tod (Anm. 1), 117–126. 20 Eher könnte man fragen, ob dies ein Hinweis auf die Erfahrungen des uns unbekannten Autors ist.

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Leute aufbereitetes Geschwätz« abtut. Sein »Leid erträgt keine schlauen Überlegungen«, so begehrt er auf, ihn verlange es nach Argumenten, »die die Seele erreichen können« (369d–e). Daraufhin kommt es zur vierten Argumentation (369e–d), auf die unten noch eigens eingegangen wird. Sie unterscheidet sich in ihrer Wirkung diametral von den bisher vorgebrachten Argumenten. Während diese nicht nur nichts ausrichteten, sondern den Widerstand des Sterbenden nur vergrößerten, ist das plötzlich völlig anders. Der Todkranke hat nach der – bemerkenswert knappen! – Darlegung des Sokrates über den göttlichen Wesenskern des Menschen nicht nur mit einem Schlag jede Todesfurcht verloren, sondern er redet jetzt nur noch »von den Dingen am Himmel«, sodass er, »ein neuer Mensch geworden«, sich nun geradezu nach dem Tod sehnt (370d–e). Dieser radikale Umschlag ist der nervus rerum der Schrift. Der abschließende Mythos, der unter Zuhilfenahme platonischer Motive das jenseitige Geschick der guten und schlechten Seelen schildert, ist eine Dreingabe, die zwar eine bestimmbare Funktion hat (s. u.), aber für das Hauptanliegen der Schrift – die Begründung einer Unsterblichkeitshoffnung – nichts Entscheidendes mehr beiträgt. Sokrates führt denn auch in diesen Mythos eher beiläufig ein: »Aber wenn du noch eine andere Rede/ Darlegung willst …« (371a). Dem entspricht dann auch der Abschluss, in dem er es mehr oder weniger dem Belieben des Axiochos anheimstellt, ob er einer solchen Erzählung Glauben schenken mag, während Sokrates selbst – reichlich unplatonisch – in seinem Resümee durch ein relativierendes relata refero sich sogar von diesem Mythos distanziert und dabei noch einmal unterstreicht, dass das für ihn Entscheidende die vernünftige Begründung der Unsterblichkeitshoffnung ist: Das nun hörte ich von Gobryas, du aber, Axiochos, kannst dir deine Meinung dazu bilden. Ich nämlich weiß, vom Verstand in die andere Richtung gezogen, nur dieses ganz sicher, dass jede Seele unsterblich ist. (372a)

4. Gliederung(en) Nach formalen Gesichtspunkten ist der Dialog zwei- bzw. viergeteilt:21 Nach der Exposition, die das Problem des Todes als die entscheidende Bewährungsprobe der Weisheit vorstellt (364a–365c), folgen vier Gesprächsgänge mit philosophischen Argumenten gegen die Todesfurcht (365d– 370d), gefolgt von einem Mythos vom jenseitigen Geschick der Seele (371a–372a). Den Schluss bildet die Demonstration des Erfolgs (372a). Diese Gliederung entspräche der klassischen Aufteilung von Logos und Mythos, wie sie von mehreren platonischen Dialogen (Gorgias, Politeia, 21

Vgl. dazu auch M ÄNNLEIN -ROBERT, Einführung (Anm. 1), 16 f.

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Phaidon) bekannt ist. Was jedoch anders ist als in den platonischen Dialogen, ist die markante Zweiteilung der Argumentation des Sokrates, die geradezu einem Bruch gleichkommt: Während die ersten drei Argumentationsgänge wirkungslos, ja kontraproduktiv sind, ist dem vierten durchschlagender Erfolg beschieden. Diese Bruchlinie markiert nicht von ungefähr die Preisgabe der klassischen philosophischen Antworten auf das Todesproblem und die Einführung eines religiösen Elements, des »göttlichen Geistes/Hauches«. Die durch die Übernahme der traditionellen Form eines platonischen Dialogs mit Logos und Mythos bedingte Gliederung wird also überlagert von einer anderen, deren Gliederungsparameter der existentielle Erfolg der Argumentation im Blick auf die Tröstung des Sterbenden ist. Dieser Parameter trennt dann einen ersten Teil, in welchem die Antworten des Sokrates (die er rückblickend als bloßes Zitat kennzeichnet22) scheitern, von einem zweiten Teil, der durch ein neues Argument, das dann durch den Mythos verstärkt wird, den Sterbenden umstimmt. So gesehen ist die oben gebotene Gliederung zu modifizieren: Nach der Exposition lässt sich der Hauptteil aufteilen in 1. Die misslingende Argumentation (365a–369d) 2. Die gelingende Argumentation (369d–372a).23 Den Umschlag leistet, wie gezeigt, vor allem der vierte Argumentationsgang mit dem Verweis auf den göttlichen Geist. Dessen Bedeutung für die Argumentation wurde bislang noch wenig beachtet.

5. Transzendieren und Transzendenzbezug – Göttlicher Geist und menschliche Seele Die Zielrichtung des vierten Argumentationsganges ist am Beginn noch gar nicht erkennbar. Der Einstieg scheint sich zunächst erneut an die Argumente Epikurs anzulehnen, wenn Sokrates dem aufbegehrenden Axiochos noch einmal klarzumachen versucht, dass seine Todesfurcht widersinnig ist weil er im Tod gar nicht mehr den Verlust empfinden kann, den er jetzt fürchtet (369e–370a). Doch ehe der Sterbende protestieren kann, fährt

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In 366b–c fällt auf, dass Sokrates die Argumente, die er bisher angeführt hatte und von denen der Leser bis dahin den Eindruck gewinnen musste, dass es seine eigenen seien, nun als Position des Prodikos kennzeichnet und sich dabei zugleich von ihrem Urheber durch die Aussage, dass Prodikos sein Wissen nur gegen Geld weitergibt, distanziert. Nach dem dritten Argument bescheinigt dann der Sterbende dem Sokrates, dass er alles nur »dem jetzt gerade aktuellen Gerede entnommen habe« (369d). 23 Ähnlich auch SOUILHÉ, Dialogues (Anm. 1), 118 f.; HERSHBELL, Axiochus (Anm. 1), 8 f.

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Sokrates fort, indem er – auch hier wieder reichlich unvermittelt – sein eigentliches Thema mit den Worten einführt: Dazu kommen noch die vielen schönen Reden über die Unsterblichkeit der Seele. (370b)

Auf diese Ankündigung folgt die wohl originellste24 Passage des Dialogs, in der Sokrates mit wenigen, kühnen Strichen zu begründen sucht, dass man das Wesen des Menschen nicht verstehen kann, wenn man in ihm nur ein Stück der sterblichen Natur sieht: Denn eine sterbliche Natur würde ja doch nicht so sehr die Ausführung großer Werke unternehmen, dass sie auf wilde Tiere, überlegen an Kraft, herabblickt, dass sie Meere befährt, Städte baut, Verfassungen einsetzt, zum Himmel hinaufsieht und den Umlauf der Sterne und die Bahnen der Sonne und des Mondes betrachtet, ihre Auf- und Untergänge, ihr Abnehmen und schnelles Zunehmen, ihre Tag- und Nachtgleichen und zweimaligen Wendungen und die Winterstürme der Pleiaden und die Winde des Sommers und die Regengüsse und das plötzliche Aufziehen von Gewittern und dass sie die Vorkommnisse des Kosmos für die Ewigkeit kalendarisch registriert, wenn nicht wirklich ein göttlicher Hauch in der Seele wäre, durch den sie die Gabe, all dies zu erfassen und zu erkennen, bekäme.

Das Todesproblem führt also zu einer intensivierten Selbstreflexion, und diese wiederum weist, angeleitet von Tim. 90b–c, den nach sich fragenden Menschen über sich hinaus. Denn seine Fähigkeit, die Welt mit einem alles umgreifenden Verstand (περίνοια) zu erfassen, kann man nur damit erklären, dass er in seiner Seele an der göttlichen Transzendenz partizipiert. Dass dieser Transzendenzbezug mit der Kategorie des Geistes auf den Begriff gebracht wird, dürfte sich stoischem Einfluss verdanken. Die Stoa hatte die Gottheit mit dem πνεῦµα identifiziert25 und mithilfe des alles durchwirkenden πνεῦµα die Gegenwart des Göttlichen in der Welt erklärt.26 Geradezu potenziert ist dieser Geist im Menschen gegenwärtig: Dieser erhält, so sagt es etwa Seneca, durch den göttlichen spiritus seine ratio und wird so zum Vernunftwesen.27 Der spiritus sacer kann deshalb von ihm geradezu als ›Gott in uns‹ bezeichnet werden (Ep. 41,1f.). Nicht nur Juden und Christen haben diese Kategorie gerne aufgegriffen, sondern auch der Mittlere Platonismus. Während allerdings die monistische Stoa diesen Geist als eine immanente Größe verstand, kommt er im Platonismus aus

24 Ob diese Argumentation auf den Verfasser des Axiochos zurückgeht, kann nicht entschieden werden. Wahrscheinlicher ist, dass der Verfasser sich hier einer Tradition bedient, die auch an anderer Stelle anklingt, am deutlichsten bei Philon, Det. 87–90; vgl. auch Cicero, Tusc. I,63. 25 Der erste scheint Kleanthes gewesen zu sein (SVF 1, 121, Nr. 533). 26 Vgl. die Poseidonios zugeschriebene Aussage, dass Gott ein geistig wahrnehmbares und feuerähnliches πνεῦµα sei, das sich in alles verwandeln und allem angleichen kann (SVF 2, 299, Nr. 1009). 27 »Ratio autem nihil aliud est quam in corpus humanum pars divini spiritus mersa« (Ep. 66,12).

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der Transzendenz28 und verbindet den durch ihn bestimmten Menschen mit dieser – der Mensch hat qua Geist an der göttlichen Jenseitigkeit und damit an der Ewigkeit Anteil.29 Das wird im Axiochos anthropologisch plausibilisiert. Der Geist ist hier nicht nur, wie in der Stoa, Vernunft und Gewissen, sondern eine Macht, die den von ihr ›begeisterten‹ Menschen befähigt, ja geradezu nötigt, ständig seine vorgegebene Welt zu übersteigen und sich ihrer zu bemächtigen – angefangen bei der Zähmung der wilden Tiere über die Eroberung der Erde bis hin zur Berechnung und damit Verfügbarmachung der kosmischen Phänomene auf der Erde und am Himmel. In summa: Der Mensch ist ein Kulturwesen, weil er im Handeln und Erkennen unablässig seine Grenzen transzendiert, und dieser Drang zum Transzendieren verweist auf einen transzendenten Grund seiner Existenz – er ist, so könnte man sagen, ein ζῷον (θεῖον) πνεῦµα ἔχον. Deshalb kann der Sokrates des Axiochos dann aus seiner Analyse der menschlichen Natur unmittelbar die Folgerung ziehen: Du wandelst dich nicht zum Tode, sondern zur Unsterblichkeit hin. (370c)

Damit hat Sokrates, wie gezeigt, im Gespräch mit dem Sterbenden durchschlagenden Erfolg – im markanten Unterschied zum Anfang des Dialogs, wo er der Sache nach schon einmal das Gleiche gesagt hatte, aber dort noch ohne die nun dargebotene anthropologische Begründung der Unsterblichkeit durch die ›immanente Transzendenz‹ eines in der menschlichen Seele vorhandenen göttlichen Geistes. Der Axiochos vertritt somit eine Philosophie, die sich religiöser Motive bedient, allerdings mit den geläufigen Formen praktizierter Religiosität so gut wie nichts zu tun hat.30

28 Das hat er mit dem Geist im Judentum und Christentum gemeinsam, was auch die seit Philon sichtbare Affinität beider zum Platonismus erklärt. 29 Es ist zu fragen, inwieweit der »göttliche Geist/Hauch« die stoisierende Interpretation des sokratischen Daimonion ist. Dafür könnte sprechen, dass Sokrates zuletzt im Mythos sagt, dass diejenigen im Jenseits ein glückliches Leben führen werden, »die in ihrem Leben ein guter Daimon inspiriert hat« (371c: ἐν τῷ ζῆν δαίµων ἀγαθὸς ἐπέπνευσεν). Hier werden der Daimon und das Pneuma in Form der ›Begeisterung‹ miteinander verbunden. 30 Die überlieferte Religion besteht darin, dass sie die tradierten Riten »scrupulosa cura« exekutiert (Valerius Maximus I,1,8), und zwar allein aus dem Gehorsam gegenüber der Überlieferung der Vorfahren, »nulla ratione reddita« (Cicero, De nat. deor. III,6).

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6. Mythos und Moral Dass daraufhin noch ein Mythos angeführt wird, ließe sich natürlich wiederum einfach mit dem Vorbild Platons erklären.31 Aber auch hier scheint diese formale Erklärung zu kurz zu greifen, zumal der Mythos zwar das Argument noch einmal verstärkt, aber für die Begründung, wie gesehen, von merkwürdig untergeordneter Bedeutung ist. Zudem lag die Verwendung eines Mythos für einen Platoniker keineswegs so nahe, wie das uns Heutigen erscheinen mag: Unseres Wissens hat außer Plutarch32 kein Platoniker mehr die Tradition des Schlussmythos im eigentlichen Sinn33 aufgegriffen. Und dass der Mythos nur erzählt wurde, um den Heilungsprozess zu unterstützen,34 scheint eher fraglich. Denn dass sich der Mythos so auffällig auf die Schilderung des Totengerichts konzentriert und dabei keineswegs nur das Glück in den Gefilden der Seligen beschreibt, sondern mit den Schrecken des Tartaros endet, hat gewiss nur eine bedingt tröstende Wirkung35 und scheint eher darauf hinzudeuten, dass der Axiochos damit gezielt die ethische Dimension nachträgt (371c–372a).36 Die bisherige Argumentation begründet die Hoffnung des Menschen auf Unsterblichkeit ja allein durch die ihn bestimmende Fähigkeit, qua Vernunft seine Grenzen zu transzendieren. Das aber ist ethisch zumindest indifferent und scheint im Mythos (zumindest auch) korrigiert zu werden. Das Entscheidende aber bleibt die Argumentation mit dem »göttlichen Hauch«, die an die Stelle der Todesfurcht die Zuversicht treten lässt und damit dem vom Sterbenden aufgestellten Kriterium für die Wahrheit einer philosophischen Argumentation Genüge tut, dass er ›die Seele erreicht‹ (369d–e), also sich als existentiell unmittelbar relevant erweist.

31 Zur Bedeutung des Mythos für die Philosophie Platons vgl. H. G ÖRGEMANNS, Platon, Heidelberg 1994, 68–73. 32 De sera numinis vindicta, De facie quae in orbe lunae apparet, De genio Socratis; angedeutet ist ein Mythos noch am Ende von De latenter vivendo. 33 Neben Plutarch könnte man höchstens noch das »Somnium Scipionis« in Cicero, De republica, als weitere Parallele ansehen. 34 So MÄNNLEIN -ROBERT, Einführung (Anm. 1), 17, sowie E RLER, Einordnung (Anm. 15), 109, und S. GROSSE, Die Macht der Bilder an der Schwelle zum Jenseits. Sterbetrost im Dialog Axiochos, in der Bilder-Ars und bei Martin Luther, in: Ps.-Platon, Über den Tod (Anm. 1), 183–206, hier 184. 35 Nicht von ungefähr ist es ein zentrales Ziel der epikureischen Philosophie, von solchen Vorstellungen zu befreien! 36 Dass es dabei noch ein ›Upgrade‹ für diejenigen gibt, die in die Mysterien eingeweiht wurden, muss wohl als Werbeeinlage betrachtet werden.

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Erster Teil: Der Eine. Philosophie und Religion in der späteren Antike

7. Nochmals: Gattung und Intention Noch einmal zur Gattungsfrage und damit auch zur Intention dieser Schrift. Das Bisherige hat gezeigt, dass der Axiochos nicht einfach trösten will. Dazu hätte es der zahlreichen abgelehnten Argumente gar nicht bedurft, zumal diese im Verhältnis zur positiven Argumentation einen auffällig breiten Raum einnehmen. Hinzu kommt, dass der Mythos mit der Schilderung des Gerichts über die Seelen auch nur bedingt als Trost verstanden werden kann. Eher hat es den Anschein, als sollte die Schrift aufzeigen, welche Philosophie angesichts des Todes eine hilfreiche Antwort zu geben vermag – und welche nicht. Die Gestalt des Sterbenden, die der Dialog als entscheidende Urteilsinstanz einführt, erweist sich aus dieser Perspektive als ein durchaus raffinierter rhetorischer Kunstgriff, um durch die Fiktion eines unmittelbar Betroffenen den Wert oder Unwert eines jeweiligen Arguments feststellen zu lassen. Insofern kehrt sich hier in gewisser Weise die Rollenverteilung der platonischen Dialoge um: Es ist nun Sokrates, der die Antworten gibt, und der Gesprächspartner, der sie auf ihre Wirksamkeit und damit auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft. Insofern ließe sich der Dialog wohl am besten als eine Art Werbeschrift verstehen, welche den (Mittleren) Platonismus als die einzige Philosophie darstellt, welche auf die ›letzten Fragen‹ eine positive Antwort zu geben vermag, weil sie in ihrer Interpretation der platonischen Philosophie die Unsterblichkeitshoffnung als Überwindung der Todesfurcht von Neuem plausibel zu machen vermag.

8. Synkriseis Die Deutung des menschlichen Wesens durch dessen Partizipation am göttlichen Geist hat der Axiochos mit anderen Schriften seiner Zeit gemeinsam. Gemeinsamkeiten und Unterschiede sollen zuletzt anhand zweier Paralleltexte kurz angedeutet werden. Bereits hingewiesen wurde auf den Stoiker Seneca, bei dem der Geist das Wesen des Menschen als Mensch konstituiert, und zwar als ein sich durch die Vernunft selbst bestimmendes animal rationale. Die den Kosmos durchdringende und bestimmende göttliche Vernunft verdichtet sich gleichsam im menschlichen Bewusstsein (Seneca, Ep. 66,12), insofern sie dort selbstreflexiv wird, wie vor allem Senecas Ausführungen im 41. Brief zeigen: Der heilige Geist (spiritus sacer) ist der Gott, der »dir nahe ist, mit dir ist, in dir ist« (Seneca, Ep. 41,1), und zwar als »Beobachter und Wächter unserer bösen und guten Taten« (41,2), d. h. als Gewissen. Auch hier wird der Geist aus dem Wesen des Menschen abgeleitet, indem seine im Geistbesitz gründende Überlegenheit über die Welt dargetan wird, hier nun allerdings nicht im Sinne des aktiven Begreifens und Unterwerfens, sondern

Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele

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als innere Freiheit von dieser, als eine Freiheit, die aus der durch den Geist ermöglichten vernünftigen Selbstbestimmung kommt. Eine weit schwierigere Frage ist, inwieweit das bei Seneca mit der Hoffnung auf Unsterblichkeit verbunden ist. Im 102. Brief bezeichnet er diese Hoffnung zunächst als einen schönen Traum, aus dem er aber durch die Anfrage des Lucilius aufgewacht ist, um ihn später weiterzuträumen (Ep. 102,2). Es ist daher die Frage, ob die späteren Passagen im selben Brief (102,21–30) nur dieser fortgesetzte Traum sein sollen; denn dort begründet gerade der in das Unendliche sich ausdehnende Geist (102,21) im Menschen die Hoffnung, dass der Tod nur der dies aeterni natalis ist, der Geburtstag zum ewigen Dasein (102,26), der von der Zwangsgemeinschaft mit dem stinkenden und abstoßenden Körper befreit (102,27). Eindeutiger ist dies im Frühchristentum. Bei Paulus bewirkt der Geist wie beim Stoiker Freiheit (2. Kor 3,17), und er ist wie beim Platoniker Grundlage der Hoffnung auf ein ewiges Leben (Röm 8,9–17.26f.). Beides ist sicher kein Zufall; die gegenüber dem Alten Testament sehr viel häufigere Bezugnahme auf den Geist Gottes im Neuen Testament hat nicht nur mit dem charismatischen Charakter des frühen Christentums zu tun, sondern auch damit, dass die Rede vom Geist bereits dem hellenistischen Judentum (vgl. vor allem Philon) und dann auch dem Frühchristentum die Möglichkeit bot, die Anwesenheit des Göttlichen im Menschen und die ethischen und soteriologischen Konsequenzen der Gottesgegenwart auch für hellenistische Adressaten verständlich zu machen.37 Allerdings zeigt schon die Tatsache, dass in Röm 8,9–11 der Geist auch als Geist Gottes und als Geist Christi bezeichnet werden kann, dass der Geist für Paulus eine theologische und nur am Rande dann auch eine anthropologische Größe ist.38 Auch dort, wo der Geist im Menschen »wohnt«, bleibt er als von Gott bzw. von Christus gegeben (Röm 5,5; 11,8 u. ö.) kein bloßes intra nos (Seneca, Ep. 41,2). Er ist nicht »in der Seele vorhanden« (Ps.-Platon, Axiochos 370c), sondern eröffnet »denen in Christus Jesus« (Röm 8,1) einen neuen, unmittelbaren Zugang zu Gott als einem bleibenden Gegenüber, in der Sprache der Reformatoren: zu dem Gott extra nos. Deshalb spricht der Apostel nirgends von einem »Gott in dir« (Seneca, Ep. 41,1) bzw. von »Gott in uns«, 39 sondern davon, dass der durch den Geist 37 Vgl. dazu R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, 203–249. 38 Für Paulus kann der Geist auch der Geist des Menschen sein, der aber vom Geist Gottes geprägt wird (vgl. Röm 8,16). 39 Paulus kann dies höchstens im Blick auf Christus selbst sagen, wenn man die paulinische Aussage von 2. Kor 5,19 mit Hofius nicht als coniugatio periphrastica versteht (O. HOFIUS, »Gott war in Christus«. Sprachliche und theologische Erwägungen zu der Versöhnungsaussage 2Kor 5,19a, in: I. U. D ALFERTH/J. FISCHER/H.-P. GROSSHANS [Hg.], Denkwürdiges Geheimnis [FS E. Jüngel], Tübingen 2004, 225–236, vgl. bes. 232 f.).

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Erster Teil: Der Eine. Philosophie und Religion in der späteren Antike

»in euch« nahegekommene Gott als »Abba, Vater« angerufen werden kann (Röm 8,15; Gal 4,6) und so zum »Gott für uns« wird (Röm 8,31). Bei Seneca ist der Geist die Möglichkeit für die vom Menschen durch Selbstbestimmung qua Vernunft zu verwirklichende Bestimmung zur Freiheit. Dagegen ist der Mensch bei Paulus gerade dort frei, wo er vom Geist ergriffen, »getrieben« (Röm 8,14; vgl. Gal 5,18) und so in eine neue Beziehung zu Gott versetzt wird, sodass aus dem gefallenen und versklavten Geschöpf Gottes Kind und Erbe wird, das Gott als »Vater« anrufen kann und so durch den Geist an der göttlichen Schöpferkraft (Röm 8,11) und Herrlichkeit (Röm 8,17) partizipiert. Diese für das christliche Geistverständnis konstitutive Relationalität im Bezug auf ein göttliches Gegenüber zeigt sich bei Paulus am deutlichsten in der sogenannten reziproken Immanenzformel, welche nicht einseitig die Einwohnung des göttlichen Geistes im Glaubenden ausdrückt, sondern die Gegenseitigkeit der Beziehung unterstreicht: Wie der Geist in den Glaubenden wohnt, so sind diese »im Geist« (Röm 8,9).40

40 Mit dieser reziproken Immanenz drückt auch der 1. Johannesbrief das »Bleiben« Gottes »in uns« und das der Gläubigen »in ihm« aus, führt dies aber ausdrücklich auf den von Gott gegebenen Geist zurück (1. Joh 4,13).

Zweiter Teil Der Höchste Biblische Theologie zwischen Abgrenzung und Überbietung

»Der Höchste« Das Gottesprädikat Hypsistos in der paganen Religiosität, in der Septuaginta und im lukanischen Doppelwerk1 1. Vom Höchsten und Allerhöchsten. Problemanzeige Als der Kölner Dom im Jahr 1880 endlich fertiggestellt war und eingeweiht wurde, wohnte auch das deutsche Kaiserpaar dem feierlichen Eröffnungsgottesdienst bei. Am nächsten Tag stand in der Zeitung zu lesen: »Die Allerhöchsten gaben dem Höchsten die Ehre«. 2 Man könnte das als ein weiteres Beispiel unfreiwilliger Komik abtun, an denen die Geschichte des zweiten Reiches nicht ganz arm ist. Aber das wäre wohl zu einfach. In gewisser Weise ist in dieser auf den ersten Blick skurrilen Geschichte das deutsche Verhängnis präfiguriert. Denn das liebenswürdige, aber oft etwas belächelte Volk der Dichter und Denker, als das die Deutschen noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von ausländischen Reisenden beschrieben wurden, bewältigte in dessen zweiter Hälfte seine Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Frankreich und England, indem es sich zunehmend in einen militärisch-industriellen Koloss verwandelte, der sich nicht zuletzt im Kaiser als dem »Allerhöchsten« inszenierte. Die martialischen Verse von Arndts 1812 geschriebenem Lied »Der Gott, der Eisen wachsen ließ«, dessen ursprünglicher Sitz im Leben der antinapoleonische Freiheitskampf war, bekamen eine neue Bedeutung, wenn aus diesem Eisen in Krupps Waffenschmiede die ›dicke Bertha‹ gegossen wurde. Wenn man nun sang: »Deutschland, Deutschland über alles«, wurde aus der Liebeserklärung eines exilierten Freiheitsdichters an seine unterdrückte Heimat das Triumphlied von Unterdrückern – Transformationen, deren schlimme Folgen bekanntlich das Ende des Kaiserreiches noch überdauern sollten.

1 Überarbeitete und erweiterte Fassung eines Beitrags zur Septuagintatagung in Wuppertal 2012, veröffentlicht in: W. KRAUS/S. KREUZER (Hg.), Die Septuaginta. Text, Wirkung, Rezeption, Tübingen 2014 (WUNT 325), 544–558. 2 Diese hübsche Geschichte hat mir der Heidelberger Kollege Herwig Görgemanns erzählt.

136 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Nun geht es hier nicht darum, über die neuere deutsche Geschichte zu räsonnieren. Jene kuriose Zeitungsnotiz und ihr Kontext wurden nur erwähnt, weil sich hier zeigt, welche problematischen Implikationen es haben kann, wenn der Superlativ zum Attribut, gar zum Namensäquivalent wird. Der Begriff des Höchsten, gar dessen hypertrophe Steigerung zum Allerhöchsten setzt ja notwendigerweise ein Niedrigeres als Gegenüber voraus. Auf unsere Fragestellung übertragen heißt das: Was impliziert es für andere, wenn Gott der Höchste genannt wird? Wird damit sein Wesen primär in seiner Überlegenheit und Übermacht gesehen, sodass alles andere durch die Differenz zu ihm als unterlegen, ja minderwertig bestimmt ist? Dass solche Überlegungen im Blick auf den biblischen Gott nicht ganz abseitig sind, zeigt der Blick in das Neue Testament. Zwar finden sich dort keine expliziten Reflexionen zu den Gottesepitheta und somit auch nicht zum Höchsten, aber die auffallende Zurückhaltung der meisten neutestamentlichen Schriften im Blick auf die Übertragung von Machtprädikaten auf Gott muss gerade angesichts ihrer Geläufigkeit im paganen wie im jüdischen Bereich als ein durchaus beredtes Schweigen gedeutet werden. Das hat nichts mit dem heute in Kirche und Theologie Mode gewordenen Gerede von der Ohnmacht Gottes zu tun, welches meistens Macht per se negativ konnotiert. Das Neue Testament geht durchweg von der Macht Gottes aus: Jesus tritt in Vollmacht auf und verkündigt den Anbruch der Königsherrschaft Gottes, das Evangelium ist nach Paulus »Macht Gottes« (1. Kor 1,18; Röm 1,16), und selbst die sich am Kreuz offenbarende ›Schwäche Gottes‹ ist, wie der Apostel in 1. Kor 1,25 betont, allemal stärker als alle Stärke der Menschen, von der proleptischen Zelebration des über Rom, die »Hure Babylon«, triumphierenden »Allmächtigen« in der Johannesoffenbarung ganz zu schweigen.3 Aber auch wenn die neutestamentlichen Schriften durchweg betonen, dass Gott alles möglich (Mk 10,27 par.; 14,36) bzw. ihm kein Ding unmöglich ist (Lk 1,37), so meiden sie doch, wie gesagt, in auffälliger Weise die entsprechenden Gottesepitheta: So spricht Jesus trotz der für seine Botschaft zentralen Ankündigung der βασιλεία τοῦ θεοῦ, der Königsherrschaft Gottes, nicht von Gott als König.4 Auch andere Herrscherprädikate finden sich in den neutestamentlichen Schriften gar nicht oder sehr selten; selbst die griechische Wiedergabe des göttlichen Eigennamens mit Kyrios (»Herr«) wird im Blick auf Gott zumeist nur noch in Zitaten und Anspielungen verwendet und ansonsten auf Christus übertragen (vgl. bes. Phil 2,6–11). Ebenso vermeiden die neutestamentlichen Schriften außerhalb der Johan3

Vgl. dazu R. FELDMEIER, Macht – Dienst – Demut. Ein neutestamentlicher Beitrag zur Ethik, Tübingen 2012, bes. 13–44. 4 Die einzige Ausnahme könnte die formelhafte Wendung Mt 5,35 sein, dass Jerusalem die »Stadt des großen Königs« ist.

»Der Höchste«

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nesoffenbarung bis auf eine Stelle bei Paulus das Prädikat ›Pantokrator‹ (»der Allmächtige«). Auch das in den Spätschriften der Septuaginta relativ häufige δεσπότης (»Herrscher«) wird im Neuen Testament nur einmal für Gott verwendet, ebenfalls in der Offenbarung (Apk 6,10).5 Der Grund für diese »theologische Vorsicht«6 dürfte im Gespür für die oben skizzierte Gefahr liegen, dass in den Bezeichnungen Gottes als Herrscher, König, Höchster, Allmächtiger etc. nicht mehr die Macht durch ihren Bezug auf den sich im Sohn als Vater offenbarenden Gott bestimmt wird, sondern dass umgekehrt Gott zum Prädikatsbegriff von Übermacht wird.7 Insofern verwundert es nicht, dass auch das Prädikat des Höchsten im Neuen Testament nur sehr spärlich rezipiert wird: Insgesamt kommt es nur neunmal vor. Von diesen neun Belegen finden sich nun allerdings sieben im lukanischen Doppelwerk – fünf im Evangelium und zwei in der Apostelgeschichte. Der Höchste begegnet also im Neuen Testament vorzugsweise bei Lukas, und da vor allem in Texten, die wie die Vorgeschichte Lk 1f. in besonderer Weise von der Hand des Evangelisten geprägt sind. Im Blick auf die eingangs gemachte Problemanzeige hinsichtlich des Superlativs als Wesensaussage stellt sich nun allerdings die Frage, warum ausgerechnet der Evangelist, der am entschiedensten die Hinwendung Gottes zu den Niedrigen betont hat (verwiesen sei nur auf das Magnifikat Lk 1,46–55) und dessen Schrift deshalb nicht von ungefähr zum Evangelium der lateinamerikanischen Befreiungstheologie wurde, das Prädikat des ›Höchsten‹ wiederholt rezipiert hat. Das Folgende wird zeigen, warum das für Lukas nicht nur kein Widerspruch ist, sondern sogar zusammenhängt. Das setzt allerdings eine Neudeutung der Rede vom ›Höchsten‹ im Kontext des Evangeliums voraus. Um diese deutlich zu machen, wird zunächst die pagane Verwendung des Epithetons ὕψιστος skizziert, dann dessen Verwendung im Antiken Judentum, vor allem in der Septuaginta. Auf diesem Hintergrund soll dann die spezifisch lukanische Rezeption dieses Gottesprädikates im Doppelwerk dargestellt werden.

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Hinzu kommt die zweimalige Verwendung für Christus (2. Petr 2,1; Jud 4). M. B ACHMANN, Göttliche Allmacht und theologische Vorsicht. Zu Rezeption, Funktion und Konnotationen des biblisch-frühchristlichen Gottesepithetons pantokrator (SBS 188), Stuttgart 2002. 7 Wie Hermann Spieckermann und ich in unserer Gotteslehre gezeigt haben, wird schon im Alten und erst recht im Neuen Testament durchweg differenziert zwischen einer dem Gegenüber zugute kommenden, es heilenden, ihm dienenden und es ermächtigenden Macht, im Neuen Testament die Macht der Gottesherrschaft bzw. des Evangeliums, und der gewaltsamen Eigenmächtigkeit dessen, was dann mythologisch Teufel, anthropologisch Fleisch und theologisch Sünde heißt; vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, bes. 149–202. 6

138 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung

2. Der »höchste Gott« (θεὸς ὕψιστος) in der paganen Religiosität8 Ὕψιστος begegnet in der Antike in der Regel als Attribut zu θεός oder zu einem bestimmten Götternamen, seltener ist sein absoluter Gebrauch als Äquivalent für den Namen eines Gottes oder für das Appellativum θεός. Unter den Göttern ist es zumeist Zeus, dem bereits in den homerischen Epen zunächst das bedeutungsgleiche Epitheton ὕπατος,9 später dann auch ὕψιστος beigelegt wird.10 Spätestens seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, wenn nicht früher, finden sich Weiheinschriften an einen ›höchsten Gott‹, die auf einen entsprechenden Kult hindeuten:11 Mitchell führt 81 Inschriften an, die dem ›höchsten Zeus‹, dem ∆ιὶ ὑψίστῳ, gewidmet sind,12 sowie 197 für eine entsprechende Verehrung eines θεὸς ὕψιστος. Letztere beziehen sich in einigen Inschriften eindeutig auf pagane Gottheiten, sie sind aber erstaunlich häufig auch jüdischen (und später auch christlichen) Ursprungs, sodass die Theorie vertreten werden konnte, sie kämen ursprünglich aus dem biblischen Bereich.13 Diese in der Rede vom ›Höchsten‹ sich zeigende Vermengung von paganer und jüdischer Religiosität hat irritiert, und so wurde und wird immer wieder versucht, klar zwischen jüdischen und paganen Inschriften zu unterscheiden. Aber gerade beim θεὸς ὕψιστος ist das bei nicht wenigen Inschriften kaum möglich.14 Selbst an einer Stelle, wo der »höchste Zeus« 8 Vgl. zum Folgenden auch C. H. D ODD, The Names of God, in: DERS., The Bible and the Greeks, London 21954, 3–24. 9 Zur weiteren Verwendung von ὕπατος für den mit Zeus identifizierten Kosmosgott in der Zeit des Neuen Testaments vgl. Ps.-Aristoteles, De mundo 6,397b. 10 F. CUMONT, Art. ὕψιστος, PRE IX/1, Stuttgart 1914, 444–450, hier 444. 11 Vgl. dazu S. MITCHELL, The Cult of Theos Hypsistos between Pagans, Jews and Christians, in: P. ATHANASSIADI/M. FREDE (Hg.), Pagan Monotheism in Late Antiquity, Oxford 2002, 81–148, hier 108–110. 12 Die erstaunliche Popularität des θεὸς ὕψιστος dürfte noch dadurch gefördert worden sein, dass es auch eine semitische Gottheit gab, die als ›der Höchste‹ bezeichnet und im Griechischen dementsprechend mit ὕψιστος wiedergegeben wurde: Philon von Byblos bezeugt ὕψιστος als Übersetzung der Transliteration Ἐλιοῦν, die uns im alttestamentlichen ʿEljon wiederbegegnen wird. Aber auch Ba‛al kann als der Höchste prädiziert werden; vgl. dazu M ITCHELL, Theos Hypsistos (Anm. 11), 128–148; vgl. weiter C. COLPE, Art. Hypsistos, RAC 16, Stuttgart 1994, 1039–1044. 13 COLPE, Hypsistos (Anm. 12), 1043. 14 C. MAREK, Der höchste, beste, größte, allmächtige Gott. Inschriften aus Nordkleinasien, Epigraphica Anatolica 32 (2000), 129–146: Die Epigramme zeigen, wie »in den Provinzen des Ostens […] in den Äußerungen, den Gebeten Einzelner zu ›ihrem‹ Gott heidnische, christliche und jüdische Epiklesen und Formeln konvergieren« (135). Gerade das Prädikat des Höchsten wurde »aus Gemeinschaften, die den jüdischen benachbart waren, übertragbar, wie man es sich in beide Richtungen gut vorstellen kann« (C OLPE, Hypsistos [Anm. 12], 1047). Das führt dazu, wie Mitchell feststellt, »that most ›pagan‹ or

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angerufen wird, findet sich in den Reihen der Verehrer dieses Ζεὺς ὕψιστος ein ἀρχισυνάγωγος, also der Vorsteher einer Synagoge! 15 Das zeigt nach Mitchell, dass man mit der Fixierung auf die Unterschiede zwischen jüdischer und paganer Gottesverehrung den Befund zumindest einseitig wahrnimmt, weil man sich nicht mit der zunächst näher liegenden Frage beschäftigt, warum die Inschriften trotz unterschiedlicher religiöser Provenienz so »strikingly uniform«16 sind, dass die Entscheidung bezüglich ihrer Zuordnung oft schwerfällt. Das Attribut des Höchsten oder seine Verabsolutierung zum Namensäquivalent scheint gerade wegen seiner »strong tendency to abstraction«17 für viele attraktiv gewesen zu sein und zugleich wegen seines unspezifischen Charakters besonders geeignet, für verschiedene Götter in unterschiedlichen Kulten verwendet zu werden. Es spricht manches dafür, dass diese Gottesbezeichnung ursprünglich aus dem vorderen Orient kommt18 – Philon von Byblos verweist auf eine entsprechende Gottheit (τις Ἐλιοῦν καλούµενος Ὕψιστος),19 während im genuin griechischen Bereich für das vergleichbare Phänomen eher die parallele Form eines ›Megatheismus‹ üblich gewesen zu sein scheint, wie es etwa in Apg 19,34 begegnet.20 Für uns ist wichtig, dass in einem mit dem Prädikat des Höchsten verbundenen Kult eine Tendenz zur Monolatrie angelegt ist. Damit zeigt sich beim θεὸς ὕψιστος für die Zeit des Neuen Testaments eine bemerkenswerte Entwicklung in der paganen Religiosität, insofern der Monotheismus, der in früheren Jahrhunderten auf die philosophische Theorie beschränkt blieb, nun in Gestalt eines entsprechenden Kultes, eines »quasi-monotheistic worship«, 21 auch immer deutlicher die religiöse Praxis bestimmt.22 Insofern durch das Epitheton ὕψιστος der jeweils verehrte Gott als der Höchste ausgezeichnet und hervorgehoben, zugleich aber durch die Ab›Jewish‹ examples of the term Theos Hypsistos are formally indistinguishable from one another« (MITCHELL, Theos Hypsistos [Anm. 11], 112). 15 MITCHELL, Theos Hypsistos (Anm. 11), 100. 16 Ebd. 17 Ebd., 101. 18 Vgl. H.-J. ZOBEL, Art. ‫עליון‬, ThWAT 6, Stuttgart u. a. 1989, 131–151, hier 133 f. 19 Eusebios, Praep. ev. I,10,14. 20 Vgl. dazu A. CHANIOTIS, Pagan Monotheism in the Roman Empire, Cambridge 2010. 21 MITCHELL, Theos Hypsistos (Anm. 11), 127. 22 Wolfgang Wischmeyer versucht das Phänomen mit der Kategorie eines »pantheonalen Monotheismus« zu erfassen, worunter er »die sich zunehmend durchsetzende Tendenz zu einem jeweils im lokalen Kult verankerten Monotheismus« versteht, »dem aber in philosophischer, ästhetischer und literarischer Hinsicht die Fülle der sich auf das Pantheon beziehenden sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung steht«; W. W ISCHMEYER, ΘΕΟΣ ΥΨΙΣΤΟΣ. Neues zu einer alten Debatte, ZAC 9 (2005), 149–168, hier 153 f.

140 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung straktion zumindest unmittelbar seiner Einbindung in ein polytheistisches Pantheon entkleidet wurde, bot die Rede vom (θεὸς) ὕψιστος einen nahezu idealen Anknüpfungspunkt für das hellenistische Judentum (und in dessen Gefolge später dann auch für das Christentum), seinen eigenen, den biblischen Gott, so zur Sprache zu bringen, dass man sich damit einerseits zu dessen Einzigartigkeit bekannte, dies aber zugleich mit einem Terminus tat, der »also at home in pagan contexts«23 und somit der Mitwelt auch besser vermittelbar war. Das wurde noch dadurch erleichtert, dass der Höchste an den ihm gewidmeten paganen Kultorten nur sehr selten in anthropomorpher Form dargestellt wurde und es in seinem Kult anscheinend auch keine Tieropfer gab.24

3. Septuaginta Auf diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass der ›Höchste‹ in die Septuaginta Eingang gefunden hat. Das hat auch mit einer parallelen innerbiblischen Entwicklung zu tun. Denn wo ὕψιστος in der Septuaginta ein hebräisches Äquivalent hat, da ist dieses bis auf ganz wenige Ausnahmen ʿEljon. ʿEljon aber wird in der Hebräischen Bibel ab dem vierten Jahrhundert zunehmend rezipiert und ersetzt zusammen mit dem Appellativum Elohim sowie (El) Schaddaj zunehmend das Tetragramm, wohl aufgrund der universalistischen Tendenz der Weisheitsliteratur, besonders bei ʿEljon verbunden mit einem immer exklusiver verstandenen Monotheismus, der im Gott Israels den einzigen Gott sah.25 Diese Entwicklung spiegelt sich in der höchst ungleichen Verteilung der Rede vom ›Höchsten‹ in der Septuaginta wider: Während man den ὕψιστος im Pentateuch und bei den Propheten so gut wie nicht findet,26 kommt er mehr als 20-mal in den Psalmen und ganze 44-mal bei Jesus Sirach vor. Relativ häufig (15- bzw. 13-mal) begegnet der Höchste auch in den beiden Fassungen des Buches Daniel. Dass sich gerade der Höchste solch zunehmender Beliebtheit erfreut, hat neben den oben ausgeführten Entwicklungen in der hellenistischen Welt und in der frühjüdischen Weisheitsliteratur auch damit zu tun, dass sich im Griechisch sprechenden Judentum die Tendenz zeigt, für den Gott der 23

MITCHELL, Theos Hypsistos (Anm. 11), 100. Ebd., 107 f. 25 Vgl. K. SCHÖPFLIN, Die Hellenisierung der jüdischen Gottesbezeichnung. Ein Versuch anhand von Beobachtungen am spätbiblischen Buch Tobit, in: T. G EORGES/F. ALBRECHT/R. FELDMEIER , Alexandria (COMES 1), Tübingen 2013, 309–336, hier 313. 26 Im Pentateuch gibt es nur vier Bezeugungen in der Genesis und je eine im Buch Numeri und im Deuteronomium. Dazu kommt dann noch eine Bezeugung im 2. Königebuch. Vergleichbar dürftig ist der Befund bei den Propheten: einmal bei Micha, zweimal bei Jesaja, einmal bei Baruch. 24

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Bibel vorzugsweise solche Abstrakta zu benutzen, die dessen Macht und Überlegenheit zum Ausdruck bringen sollen: κύριος (Herr), παντοκράτωρ (Allmächtiger), κτίστης (Schöpfer), δεσπότης (Herrscher) oder eben ὕψιστος, der Höchste. So verwendet die Septuaginta ὕψιστος nicht nur als Übersetzung von ʿEljon, sondern wiederholt auch dort, wo sich kein hebräisches Äquivalent findet.27 Darüber hinaus wird ὕψιστος zunehmend absolut gebraucht, es wird also zum Namensäquivalent. Das setzt sich auch in späteren jüdischen Schriften fort. So wird in dem Roman Joseph und Aseneth28 der ὕψιστος geradezu zum Synonym für den Gott Israels. Diese Entwicklung bleibt nicht auf den griechischen Sprachraum begrenzt: In den aramäischen Texten von Qumran wird ʿEljon nie im status emphaticus verwendet, d. h., es wird als ein nomen sacrum betrachtet.29 Und in dem gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts entstandenen 4. Esrabuch wird Altissimus, die lateinische Übersetzung von ὕψιστος, neben Dominus zur häufigsten Gottesbezeichnung. Dabei ist der Gebrauch der Epithetons zwar vielfältig, aber es lassen sich in den jeweiligen Schriften Schwerpunkte ausmachen, was jeweils mit dem ›Höchsten‹ assoziiert wird. In den Psalmen stehen vor allem der Lobpreis30 und die Vertrauensäußerung31 im Mittelpunkt: »Wer in der Hilfe des Höchsten wohnt und im Schutz des Gottes des Himmels übernachtet, der wird zum Herrn sagen: Mein Beschützer bist du und meine Burg, mein Gott; auf ihn werde ich hoffen« (Ps 90,1 LXX). Dagegen ist das Thema

27 An den beiden Fassungen des Buches Tobit kann man sogar innerhalb der Überlieferung eines Buches diese Entwicklung beobachten, wenn eine spätere griechische Überarbeitung der Erstübersetzung den Höchsten wiederholt einfügt. Nach heutigem Erkenntnisstand ist die längere Fassung die Übersetzung eines semitischen Originals, das vermutlich aramäisch war, während die Kurzfassung eine sprachlich geglättete und gekürzte griechische Bearbeitung der Langform darstellt; vgl. B. EGO, Tobit (JSHRZ II/6), Gütersloh 1999, 873–1007, hier 876. Der Vergleich der beiden Versionen zeigt, dass die Kurzform mehr die Transzendenz und Überlegenheit Gottes über seinen Herrschaftsbereich betont, etwa indem Gott stärker durch seinen Engel vertreten wird. Seinen theologischen Ausdruck findet das in entsprechenden Gottesnamen: Nur in der Kurzfassung wird »der Heilige« zum eigenen Namen Gottes, und ὕψιστος, das in der Langform nur einmal vorkommt, findet sich in der Kurzform dreimal (vgl. SCHÖPFLIN, Hellenisierung [Anm. 25]). 28 Zur näheren Gattungsbestimmung vgl. M. V OGEL, Einführung in die Schrift, in: Joseph und Aseneth. Herausgegeben von E. R EINMUTH. Eingeleitet, ediert, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von E. REINMUTH/S. ALKIER/B. BOOTHE/U. B. F INK/C. GERBER/K.-W. NIEBUHR/A. STANDHARTINGER/M. VOGEL/J. K. ZANGENBERG (SAPERE XV), Tübingen 2009, 3–31, hier 6–11. 29 T. MURAOKA, A Grammar of Qumran Aramaic (Ancient Near Eastern Studies. Supplement 38), Leuven u. a. 2011, § 46, 157 f. 30 Ps 7,28; 9,3; 12,6; 46,3; 91,1; vgl. weiter Ps 148,1; Sir 17,27; 47,8; 50,17; Dan LXX 2,19. 31 Ps 20,8; 77,35; 82,19; 90,1; 91,9; 96,9; weiter SapSal 5,15.

142 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Anrufung und Erhörung32 häufiger in Jesus Sirach zu finden, übertroffen nur noch von der in diesem Buch fast schon stereotypen Rede vom Gesetz bzw. den Anordnungen des Höchsten.33 Das Buch Daniel betont in beiden Versionen die Macht und Herrschaft des Höchsten,34 um deutlich zu machen, dass allen scheinbar triumphierenden Mächten zum Trotz Gott der Herr der Geschichte ist und bleibt. In eine ähnliche Richtung weist auch die andere Apokalypse, die vom Höchsten spricht, das 4. Esrabuch.35 Auch andere jüdische Schriften wie das Testament Abrahams oder die Testamente der Zwölf Patriarchen verwenden ὕψιστος nicht nur als Prädikat, sondern auch absolut, d. h. als Synonym für Gott. Das ist jedoch kein einliniger Trend. Auffällig ist, dass ein so stark hellenistisch geprägter Autor wie Philon den Begriff weitgehend vermeidet. Warum das so ist, sieht man dort, wo er den ὕψιστος in Gen 14,18, also in der von ihm ausgelegten Tora, vorfindet und sich dementsprechend damit auseinandersetzen muss. Der jüdische Religionsphilosoph verwahrt sich dort explizit gegen die mögliche polytheistische Ausdeutung des Begriffs, indem er unterstreicht, dass die Rede vom Höchsten keinesfalls bedeute, dass »es einen anderen, Nicht-Höchsten gebe; denn« – so fügt er gleich hinzu – »Gott ist einzig […], und es gibt keinen außer ihm«. Stattdessen deutet er den Höchsten in einer etwas gezwungen anmutenden interpretatio Platonica so, dass ein »hohes, über die Materie hinausgehendes und in der Höhe schwebendes Denken über Gott die Vorstellung vom Höchsten weckt« (Leg. all. III,82). Dass freilich von den spärlichen Vorkommen des Epithetons ὕψιστος bei Philon sich die Mehrzahl in seinen apologetischen Schriften findet,36 bestätigt das oben Gesagte, dass man gerne gegenüber Heiden die Besonderheit des jüdischen Gottes mit dem ›Höchsten‹ zum Ausdruck brachte. Der Überblick hat gezeigt: Mit der Verwendung des Superlativs ὕψιστος als Gottesattribut können in den Schriften der Septuaginta und des Antiken Judentums unterschiedliche Aspekte der göttlichen Hoheit hervorgehoben werden. Das lässt sich in sechs Punkten zusammenfassen: 1. In den Psalmgebeten steht bei der Anrufung des Höchsten die Bergung in der göttlichen Überlegenheit im Vordergrund. 2. Dieses Vertrauen in den Höchsten bestimmt auch die Weisheitsschrift eines Jesus Sirach. Zugleich aber unterstreicht das dort gehäuft vor32

Sir 37,15; 39,5; 46,5; 47,5; 50,19; vgl. weiter Ps 56,3; Dan LXX 2,18. Sir 7,15; 9,15; 19,17; 23,23; 24,23; 28,7; 29,11; 38,34; 41,8; 42,2; 44,20; 49,4. Zu dieser Rede vom Gesetz kann man auch noch die von der Vergeltung bzw. Belohnung durch den Höchsten rechnen; vgl. Sir 12,2.6; 23,18; 31,6. 34 Dan LXX 4,11.21.34; 7,18.27; Dan θ 3,99; 4,14.31; 5,18.21; 7,18.27; vgl. Ps 17,14; 45,5. 35 Dort wird dieser Geschichtsplan als die via Altissimi (4. Esr 4,2.11; 5,34; vgl. 12,4) dem angefochtenen und mit seinem Gott hadernden Seher enthüllt. 36 Einmal in In Flaccum (46), dreimal in der Legatio ad Gaium (157.278.317). 33

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kommende Syntagma »das Gesetz des Höchsten« bzw. die Äquivalente »Bund des Höchsten« und »Gebote des Höchsten«, dass die Bindung an diesen Höchsten zugleich zum Gehorsam verpflichtet. 3. Wo das Vertrauen in Gottes gerechtes Walten angesichts geschichtlicher Schrecken in die Aporie geraten ist, da wird in den apokalyptischen Schriften Daniel und 4. Esra der verborgene »Ratschluss des Höchsten« (Dan 4,21), die via Altissimi (4. Esr 4,1.11; 7,79) geoffenbart, die den angefochtenen Glaubenden versichert, dass der Höchste trotz aller Schrecken diese Welt in seinen Händen hat und in ihr zuletzt dem »heiligen Volk des Höchsten« die Herrschaft übergeben wird (Dan 7,18.27). Selbst ein Nebukadnezar muss zuletzt die Macht dieses ›höchsten Gottes‹ preisen (Dan 3,32). 4. Geht es in der Apokalyptik beim ›Höchsten‹ vor allem um die göttliche Macht über die Geschichte, so wird in Joseph und Aseneth mit der Rede vom Höchsten die – gegenüber allem Götzendienst scharf profilierte – unvergleichliche Einzigartigkeit des biblischen Gottes als Schöpfer und Ursprung allen Lebens zum Ausdruck gebracht. 5. Bei Philon kann der Höchste zum Ausdruck göttlicher Transzendenz und damit zugleich zum Exponenten einer entsprechenden Transzendenzbestimmung des Menschen werden. Man wird das Bisherige bei aller Vorsicht dahin gehend zusammenfassen können, dass von Gott als dem Höchsten immer wieder im Zusammenhang seiner Verbundenheit mit seinem Volk gesprochen wird. Das ist noch deutlicher bei einem weiteren Aspekt der Fall, der sich vor allem in den späten Schriften findet und der dann im lukanischen Doppelwerk bestimmend wird, nämlich 6. die Verwendung des Namensäquivalents ὕψιστος als Genitivattribut für Menschen oder Menschengruppen. Wie schon beim »Gesetz des Höchsten« werden diese durch ihre Verbindung mit dem Höchsten ausgezeichnet und ausgesondert. Im Psalter findet sich das einmal, wenn Ps 81,6 LXX (noch mit kritischem Unterton) von den »Söhnen des Höchsten« spricht. Jesus Sirach kann ganz positiv sowohl von den »Knechten des Höchsten« (Sir 4,10) wie von der »Gemeinde des Höchsten« (Sir 24,2) und dem »Volk des Höchsten« (Sir 50,19) sprechen.37 Im Buch Daniel finden sich in beiden Versionen mehrmals die »Heiligen des Höchsten« o. ä. (Dan 3,99; 7,18.22.25.27), dazu kommen noch die »Knechte des Höchsten« (Dan 3,26). In Joseph und Aseneth heißt die ägyptische Priestertochter nach ihrer Bekehrung die »Tochter des Höchsten« (JosAs 21,4), die Israeliten sind die »Söhne des Höchsten« (JosAs 16,14), Joseph ist »Prophet des Höchsten«38 37 38

wird.

Vgl. auch noch die »Stadt des Höchsten« in 4. Esr 10,54. JosAs 22,13; vgl. 8,2, wo Joseph der durch den höchsten Gott Gesegnete genannt

144 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung und dessen Vater Jakob/Israel »Freund des Höchsten« (JosAs 23,10). Diese inkludierende Rede vom Höchsten scheint ein Spezifikum der biblischen Texte und der von ihnen geprägten Literatur zu sein.

4. Der ›Höchste‹ im lukanischen Doppelwerk Dass gerade Lukas in seinem Doppelwerk mehrmals vom Höchsten spricht, erklärt sich zum einen aus seiner Hermeneutik. Der auctor ad Theophilum ist wie kein anderer neutestamentlicher Schriftsteller bestrebt, die christliche Botschaft den Gebildeten seiner Zeit so zu vermitteln, dass diese zwar an die Tradition des Frühchristentums und das Zeugnis der Schriften gebunden bleibt, zugleich aber so profiliert und aufbereitet wird, dass sie auch paganen Rezipienten unter deren eigenen Denkvoraussetzungen plausibel wird.39 Für diese Technik einer Doppelkodierung40 ist der ὕψιστος bestens geeignet; denn er bringt, wie gesagt, die Einzigartigkeit des biblischen Gottes in einer der Septuaginta entnommenen, aber zugleich auch der paganen Mitwelt vertrauten Sprache zum Ausdruck. Wie sehr sich der Evangelist dieses doppelten Bezugs seiner Rede vom Höchsten bewusst ist, zeigt sich daran, dass religiöse Außenseiter – die Dämonen in Lk 8,28 und die heidnische Magd mit dem Wahrsagegeist in Apg 16,17 – dieses Prädikat immer als Attribut zu θεός verwenden, also in der Form, wie dies auch im paganen Bereich üblich ist. Dagegen sprechen die ›Insider‹ – vom Engel Gabriel (Lk 1,32.35) über Zacharias (Lk 1,76), Jesus (Lk 6,35) bis zum Diakon Stephanus (Apg 7,48) – immer in typisch jüdischer Weise absolut vom Höchsten, d. h., dort ist ὕψιστος Namensäquivalent. Zugleich hat der Evangelist bei der Übernahme dieses Gottesprädikates deutlich einen eigenen theologischen Akzent gesetzt, der sich auch in der schon angedeuteten sprachlichen Besonderheit niederschlägt, dass vom Höchsten zumeist in Form eines Genitivattributs die Rede ist: Nur einmal wird ὕψιστος im Nominativ verwendet, nämlich in der Verteidigungsrede des Stephanus, wo der nicht zuletzt wegen seiner Tempelkritik angeklagte Diakon (Apg 6,13) betont, dass der Höchste, dessen Thron der Himmel und dessen Fußschemel die Erde ist (Jes 66,1f.), nicht in Bauwerken wohnt, die mit Händen gemacht sind (Apg 7,48f.). Hier wird also das Moment der 39 Deutlich wird das bereits in dem sich an antike Geschichtswerke anlehnenden Prolog Lk 1,1–4. 40 Vgl. dazu R. FELDMEIER, Endzeitprophet und Volkserzieher. Lk 3,1–20 als Beispiel für prophetisch-weisheitliche Doppelkodierung, in: C. G EORG-ZÖLLER/L. HAUSER/F. R. PROSTMEIER (Hg.), Jesus als Bote des Heils. Heilsverkündigung und Heilserfahrung in frühchristlicher Zeit (FS D. Dormeyer zum 65. Geburtstag) (SBB 60), Stuttgart 2008, 72– 84.

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Überlegenheit, das im ὕψιστος steckt, gezielt eingesetzt, um durch den Kontrast von höchstem Gott und irdischem Tempel die religiöse Bedeutung des Letzteren zu relativieren. An allen anderen Stellen wird dagegen vom Höchsten im Genitiv gesprochen. Das ist nicht ohne Bedeutung; denn der Genitiv kontrastiert nicht, sondern er verbindet, und durch diese Betonung des inkludierenden Moments wird bei Lukas das Prädikat des Höchsten soteriologisch konnotiert. Das erste Mal ist bei Lukas in der ›Verkündigung Mariens‹ vom Höchsten die Rede, wo der Engel Gabriel Maria ankündigt, dass sie den »Sohn des Höchsten« gebären wird (Lk 1,32). Dies geschieht aufgrund einer Schwangerschaft, die verursacht ist durch den Heiligen Geist, der über sie kommt, und – so im synonymen parallelismus membrorum – durch die »Kraft des Höchsten«, die sie überschatten wird (Lk 1,35). Dadurch entsteht in ihr ein »Heiliges«, das »der Sohn Gottes genannt wird« (Lk 1,35). Dieser Sohn – so hatte der Engel noch betont – wird »ein Großer« sein, weil Gott ihm den »Thron Davids« gibt, sodass er »herrschen wird über das Haus Jakob in Ewigkeit und seiner Herrschaft kein Ende sein wird« (Lk 1,32f.). Wenn Maria diese Schwangerschaft mit dem Sohn Gottes aufgrund der Beschattung mit der Kraft des Höchsten wenig später in Form eines Lobpreises kommentiert, so stellt sie sich nicht selbst in den Mittelpunkt, sondern ihre »Seele macht den Herrn groß«, der die »Niedrigkeit seiner Magd angesehen hat« (Lk 1,46.48),41 und ihr Geist jubelt über den »Mächtige[n, der] an mir Großes getan hat« (Lk 1,49). Seine Größe und Macht erweist der Höchste am Beginn des Evangeliums also gerade dadurch, dass er diejenige erhöht, die sich selbst als »Magd des Herrn« (Lk 1,38) versteht. Das setzt sich fort bei dem, den der Engel den »Sohn des Höchsten« nennt (Lk 1,32; vgl. auch 8,28). Der Sohn des Höchsten ist Jesus nicht als Übermensch – so möchte der Teufel die Gottessohnschaft verstehen (vgl. Lk 4,1–13) –, sondern als der, durch den sich der »Besuch des Aufgangs in der Höhe« ereignet hat zur Erleuchtung derer, die »in der Finsternis und im Schatten des Todes sitzen« (Lk 1,78f.). Dementsprechend umstrahlt bei der Geburt Jesu die göttliche Herrlichkeit nicht das Kind in der Krippe, sondern die Hirten auf dem Feld (Lk 2,9). Ihnen, die am unteren Ende des gesellschaftlichen Spektrums leben, verkündigt der »Engel des Herrn« die Geburt des Retters (Lk 2,8–12) und tut die »Menge der himmlischen Heerscharen« kund, dass solche »Ehre für Gott in den Höhen« zugleich »Frieden auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens« bedeutet (Lk 2,14). 41

Das bezieht sich vordergründig auf die äußere Niedrigkeit des galiläischen Mädchens, aber schon die Antwort Marias an den Engel – Lk 1,38: »Siehe, die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deiner Rede« – zeigt, dass dieser äußeren Niedrigkeit auch eine innere Haltung entspricht.

146 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Mit der Geburt des »Sohnes des Höchsten« greift also die Herrlichkeit Gottes »in den Höhen« auf die Erde aus und verwandelt diese.42 Durch ihren Bezug auf Jesus sind dann auch andere Menschen mit dem Höchsten verbunden. Der erste ist Johannes der Täufer. Dieser wird im Benedictus des Zacharias der »Prophet des Höchsten« genannt (Lk 1,76), weil sein Auftreten den Weg des Herrn vorbereitet. »Söhne des Höchsten« (Lk 6,35) werden dann die Nachfolger Christi genannt, insofern sie ihre Feinde lieben. Dadurch sind sie als die ›Söhne des Höchsten‹ den dreimal zuvor genannten ›Sündern‹ (Lk 6,33f.) entgegengesetzt, und so wie Letzteren die vier einleitenden Weherufe gelten, welche die Erniedrigung der Hohen ankündigen (Lk 6,24–26), so gelten ihnen die vier Seligpreisungen mit der Verheißung der Erhöhung der Niedrigen (Lk 6,20b–23). Dem entspricht es dann auch, dass die in dem Syntagma »Söhne des Höchsten« zum Ausdruck gebrachte Verbundenheit der Nachfolgenden mit Gott ihre Pointe nicht in der Nachahmung der göttlichen Überlegenheit hat, sondern darin, dass sie im Verhalten gegenüber ihren Feinden die Güte Gottes als des Schöpfers (Lk 6,35: χρηστός) und die Barmherzigkeit Gottes als des Vaters (Lk 6,36: οἰκτίρµων) spiegeln.43 Die hier sichtbar werdende soteriologische Neuqualifikation der Rede vom Höchsten bleibt bezeichnenderweise auch in den beiden Fällen erhalten, wo Außenstehende in Aufnahme der paganen Rede vom »höchsten Gott« auf das Prädikat ὕψιστος rekurrieren. So wird in Lk 8,28 Jesus von den Dämonen der Sohn des Höchsten genannt als der, der den von ihnen Besessenen »gerettet hat« (Lk 8,36). Noch expliziter findet sich das in der Erzählung in Apg 16,16ff., wenn die mit einem Wahrsagegeist ›begabte‹ Magd Paulus und Silas (und Lukas?44) als »Sklaven des höchsten Gottes« bezeichnet und dies durch die Aussage präzisiert, dass diese den »Weg der Rettung« verkündigten. Der Überblick über das lukanische Doppelwerk zeigt: Auf das Prädikat des Höchsten rekurriert der Evangelist nicht, um einen überlegenen Gott der Niedrigkeit der Menschen entgegenzusetzen, sondern vom ὕψιστος 42 Das wird vom Evangelisten noch einmal aufgenommen, wenn Lukas in seiner Version der Einzugsgeschichte die Akklamation des Volkes bewusst noch einmal an den Lobgesang der Engel am Anfang anpasst: »Gesegnet sei, der kommt, der König, im Namen des Herrn, im Himmel Friede und Herrlichkeit in den Höhen« (hier wird »der Name Gottes in der jüdischen Weise durch die Ortsbezeichnung ersetzt«; G. B ERTRAM, Art. ὕψος κτλ., ThWNT 8, Stuttgart 1964, 600–619, hier 617). Durch seine Passion und Erhöhung richtet Jesus als der ›Kommende‹ nun den himmlischen Frieden auf und bringt die göttliche Herrlichkeit; vgl. F. B OVON, Das Evangelium nach Lukas, 4. Teilband (EKK III/4), Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf 2009, 34. 43 Die Güte über Undankbare und Böse dürfte sich auf Gottes bewahrendes und erhaltendes Wirken in der Schöpfung beziehen; so hat es auch Matthäus gedeutet (Mt 5,45). 44 Die Erzählung gehört zum sogenannten Wir-Bericht.

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spricht er (bis auf die bewusste Ausnahme in Apg 7,48) in Form eines Genitivattributes, um die Zugehörigkeit von Menschen zu ihm und dessen Verbundenheit mit ihnen zu betonen.45 Die lukanische Rede vom Höchsten zielt somit nicht auf die religiöse Sanktionierung einer Hierarchie, sondern im Gegenteil auf die Erhöhung der Niedrigen. Das passt zu weiteren Beobachtungen, die man gerade beim dritten Evangelium machen kann. Bereits im Magnifikat der Maria, das in Gestalt eines Psalms eine Art Präludium für das sich im Evangelium dann entfaltende Handeln Gottes darstellt, ist Gott der »Mächtige« (Lk 1,49: ὁ δυνατός) als der, der »die Mächtigen von Thronen gestoßen hat« (Lk 1,52), und der ὕψιστος, also der »Höchste« (Lk 1,32.35), als der, der »Niedrige erhöht hat« (Lk 1,52). Dementsprechend findet sich in diesem Evangelium gleich zweimal im Munde Jesu der Grundsatz, dass derjenige, der sich selbst erniedrigt, erhöht werden wird, und zwar jeweils als Schlussfolgerung aus einer Parabel, also an prominenter Stelle (Lk 14,11; 18,14). Die hierbei verwendete Form ὑψωθήσεται ist ein passivum divinum, das auf das Handeln Gottes verweist, und von diesem Handeln legt auch Jesu Verkündigung Zeugnis ab: Es sind die sich Erniedrigenden wie der verlorene Sohn oder der bußfertige Zöllner, die wieder angenommen werden, und es sind die sich Überhebenden wie der zu Hause gebliebene zweite Sohn oder der selbstgerechte Pharisäer, die in Gefahr stehen verlorenzugehen. In diesem Sinne kann Jesus Lk 16,15 auch sagen, dass »alles, was bei den Menschen hoch ist, vor Gott ein Gräuel ist«. Bei Lukas ist nun aber nicht nur die Verkündigung Jesu davon geprägt, dass der Höchste den Niedrigen erhöht und den Hohen erniedrigt, sondern auch der im Evangelium verkündigte Jesus reflektiert in seinem ganzen Verhalten diesen Gott. Der Gottessohn hatte ja am Anfang seines Weges die vom Teufel angebotene Weltherrschaft (Lk 4,5–8) ausgeschlagen und war den Weg der Niedrigkeit gegangen, und er lehnt auch im Folgenden jede Demonstration seiner Macht ab (Lk 11,29–32; 23,8–11). Dieser Weg der heimatlosen Wanderschaft46 hat nun aber seinen Fluchtpunkt nicht in Kreuz und Auferstehung wie bei den anderen Evangelien, sondern in der ἀνάληµψις, der »Hinaufnahme«, wie es programmatisch in Lk 9,51 heißt.47 Alles läuft also auf die nur bei Lukas als Auffahrt in den Himmel inszenierte Erhöhung zu, welche die Vollendung des göttlichen Handelns an Jesus ist. Die Rezeption dieses sowohl aus der jüdischen wie aus der griechisch-römischen Tradition bekannten Mythems einer Entrückung in den 45 Während der lukanische Jesus von den Söhnen des Höchsten spricht, nennt eine Heidin die Missionare »Knechte des höchsten Gottes« (Apg 16,17). 46 Man vergleiche damit nur die beiden programmatischen Szenen, die am Anfang des Reiseberichtes stehen (Lk 9,53.58). 47 Das Verb ἀναλαµβάνειν bezeichnet bei Lukas die Himmelfahrt (Apg 1,2.11.22).

148 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Himmel ist ein weiteres Beispiel für die lukanische Technik der Doppelkodierung.48 Zwar mag der bibelfeste Leser gleich an die Himmelfahrt des Elia denken (2. Kön 2,1ff.), vielleicht auch noch an entsprechende jüdische Henochüberlieferungen. Zugleich aber wird damit im Sinne eines per aspera ad astra, wie dies besonders bei Herakles zu sehen ist, dessen göttlicher Teil nach seinen irdischen Leiden und Mühen von seinem Vater Zeus an den Himmel entrückt wird, auch für Rezipienten aus dem griechisch-römischen Kulturkreis das Leiden Jesu als Durchgang zur Aufnahme in die göttliche Sphäre plausibel gemacht. Durch die Einbindung in das Evangelium findet nun aber zugleich eine Neudeutung dessen statt, was eine solche Versetzung in den Himmel bedeutet: Der zur Rechten Gottes Erhöhte schüttet den vom Vater empfangenen Geist über die Jünger aus (Apg 2,33) und wird für sie zum Retter (Apg 5,31). Im Gegensatz zur Apotheose eines Herakles oder Romulus besteht somit die Pointe der Himmelfahrt Jesu nicht darin, dass der Erhöhte nun unter den Gestirnen fern allem irdischen Elend glänzt (vgl. Ovid, Met. IX,271f.), sondern vielmehr darin, dass durch ihn nun auch die Glaubenden mit der am Anfang genannten »Macht des Höchsten« (δύναµις ὑψίστου) ermächtigt werden, indem sie mit der »Macht aus der Höhe (ἐξ ὕψους δύναµις) bekleidet werden« (Lk 24,49; vgl. Apg 1,8). Indem die Niedrigen durch den Erhöhten an der himmlischen Herrlichkeit und Machtfülle Anteil erhalten, wird deutlich, dass Jesu Erhöhung ihre Pointe in der Überwindung der Distanz von Hohem und Niedrigem hat. In diesem Sinn wird auch sonst bei Lukas das Wortfeld ὕψος κτλ. benutzt: So hieß es am Ende des Benedictus, dass durch Gottes herzliches Erbarmen »uns der Aufgang aus der Höhe (ἐξ ὕψους) heimsuchen wird« (Lk 1,78), und in der Weihnachtsgeschichte preisen, wie bereits erwähnt, die himmlischen Heerscharen Gott in der Höhe (ἐν ὑψίστοις) und verkündigen zugleich den Menschen auf Erden Frieden (Lk 2,14). Den von Jesus bei seiner Himmelfahrt unterstrichenen Zusammenhang von seiner Erhöhung und der Teilgabe an der »Kraft aus der Höhe« (Lk 24,49) unterstreicht dann Petrus in seiner Pfingstpredigt noch einmal explizit, wenn er das Pfingstereignis mit den Worten kommentiert, dass der zur Rechten Gottes Erhöhte nun den vom Vater empfangenen Geist ausgegossen hat (Apg 2,33). Zum einen also wird bei Lukas »Höhe fast zum Ersatzwort für Gott«, 49 zum anderen gilt auch hier wieder, was oben vom Höchsten gesagt wurde: Der Skopus der Rede von der Höhe ist nicht primär die Distanz, 48 Vgl. R. FELDMEIER, Henoch, Herakles und die Himmelfahrt Jesu, in: M. J ANSSEN/ F. S. J ONES/J. WEHNERT (Hg.), Frühes Christentum und Religionsgeschichtliche Schule. FS zum 65. Geburtstag von Gerd Lüdemann (NTOA 95), Göttingen 2011, 63–74 = unten S. 216–227. 49 Vgl. B ERTRAM , ὕψος κτλ. (Anm. 42), 603.

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sondern die Zuwendung und die darin gründende Überwindung des Gefälles von hoch und niedrig. In summa: Gott ist im lukanischen Doppelwerk der Höchste nicht als der allem Niedrigen Entgegengesetzte, Ferne, sondern als der die Niedrigen Erhöhende.

5. Noch einmal der Höchste und der Allerhöchste. Epilog Kommen wir noch einmal auf die Einweihung des Kölner Doms und damit zu den ›Allerhöchsten‹ zurück. Als Substantiv kommt das entsprechende griechische Wort ὑπερύψιστος in der Antike so gut wie nicht vor,50 und die absurde Prädizierung eines Menschen als ›Allerhöchster‹ blieb einem sehr viel späteren Kaiserkult vorbehalten. Wohl aber gibt es im Neuen Testament das entsprechende Verb ὑπερυψόω. Dieses wird zwar nicht von Lukas, wohl aber von Paulus verwendet. Das neutestamentliche Hapaxlegomenon, das auch sonst in der Gräzität außerordentlich selten ist, beschreibt im Philipperhymnus (Phil 2,6–11) Gottes Reaktion darauf, dass Jesus Christus sich selbst seiner Hoheit entäußert und bis zum Tod am Kreuz erniedrigt hat. Indem er ihm seinen eigenen Kyrios-Namen, den ›Namen über jedem Namen‹, und damit die Macht über Himmel, Erde und Unterwelt verleiht, hat er ihn zum ›Allerhöchsten‹ eingesetzt. Das aber geht keineswegs zu Lasten von Gottes Hoheit, sondern geschieht vielmehr »zu[m Erweis de]r Herrlichkeit Gottes [als] des Vaters«, wie der Schlusssatz des Hymnus unterstreicht. Für den Apostel, als dessen Schüler sich Lukas versteht und den er vielleicht auch zeitweilig begleitet hat,51 ist Gottes Herrlichkeit die Herrlichkeit Gottes als des Vaters, und das heißt, sie ist nicht die exklusive Übermacht des Herrschers, sondern inklusiv. Ihre Pointe besteht darin, dass dieser Vater den, der sich seiner Hoheit entäußert und bis zum Tod am Kreuz erniedrigt hat, zum ›Allerhöchsten‹ erhöht hat – und mit ihm dann auch diejenigen, die »in Christus« zu seinen Kindern geworden sind.52 Ein Schüler des Apostels kann dann von dem über alle Mächte erhöhten Christus (vgl. Kol 1,15–20) sagen, dass in Christus »die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt und ihr in ihm vollendet werdet, 50 Lediglich ein patristischer Beleg lässt sich anführen: Gregor von Nyssa, Antirheticus adversus Apollinarium, in: Gregorii Nysseni opera, Band III/1, hg. v. F. M ÜLLER, Leiden 1958, 221. 51 Ob Paulus auch historisch der Lehrer des Lukas war, ist umstritten, wird aber heute wieder häufiger vertreten; vgl. dazu C.-J. T HORNTON, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen (WUNT 56), Tübingen 1991; ähnlich M. W OLTER, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 7 f. In jedem Fall zeigt die Darstellung des Paulus in der Apostelgeschichte, dass Lukas in Paulus die maßgebliche Gestalt des frühen Christentums sah. 52 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 7), 68–72.91 f.

150 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung der das Haupt jeder Macht und Gewalt ist« (Kol 2,9f.). In dieser Tradition hat dann Lukas die durch die Septuaginta vorbereitete Möglichkeit, das Prädikat des Höchsten nicht exklusiv, sondern inkludierend zu verstehen, aufgegriffen und im Sinne seines christologisch vermittelten Gottesgedankens an Schlüsselstellen eingefügt.

Die stoische Zeusallegorese und das Bekenntnis zum biblischen Gott als dem »Beleber der Toten« 1. Der Gott des Lebens Wenn der Jesus der synoptischen Evangelien in seinem Streitgespräch mit den Sadduzäern über die Frage der Auferstehung von Gott sagt, dass er »nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen« sei (Mk 12,27 parr.), so ist diese nachgerade axiomatisch klingende Verbindung von Gott und Leben – im Übrigen die einzige derartige Aussage über Gott, die sich in den Evangelien im Munde Jesu findet – in zweifacher Weise bemerkenswert: Zum einen wird damit das Bekenntnis zu Gott als Schöpfer so profiliert, dass dieser nicht neutral Herr über Leben und Tod ist, sondern als Urheber der Lebendigkeit ganz auf die Seite des Lebens gerückt und dem Tod entgegengesetzt wird. Im Kontext der Auseinandersetzung impliziert diese Zuordnung bereits, das ist das zweite, eine soteriologische Zuspitzung des Schöpfungsgedankens; denn die Pointe der Aussage besteht in der theologischen Begründung einer Hoffnung auf Auferstehung.1 Nun ist die enge Verbindung von Gott und Leben bereits alttestamentlich breit bezeugt. Als der »lebendige Gott« ist der Schöpfer auch der Ursprung des Lebens. Am bekanntesten ist wohl die Formulierung von Ps 36,10: »Bei dir ist die Quelle des Lebens« (vgl. auch Jer 2,13). Deshalb kann der Beter in Ps 70[71],20 im Blick auf sich selbst bekennen, dass Gott ihm das Leben gegeben hat (ἐζῳοποίησάς µε), und dasselbe sagt in Neh 9,6 das Volk im Blick auf das All: σὺ ζῳοποιεῖς τὰ πάντα (LXX 2. Esdr 19,6). Schon im Alten Testament gilt deshalb: »Leben gehört zu dem Guten, das Gott selbst ist und gibt, während der Tod als Macht des Bösen strikt gegen Gott steht.«2 Aber die Benennung, ja ›Definition‹ Gottes als die sich schöpferisch mitteilende Lebendigkeit, wie sie in dem Syntagma »Gott der Lebendigen« zum Ausdruck kommt, ist doch ein Phänomen, das sich erst in frühjüdischer Zeit – und dann auch im Neuen Testament – findet. Besonders markant geschieht das dort, wo der Gott als der lebendigmachende Gott in letzter 1 Vgl. dazu R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, bes. 515–524. 2 Ebd., 538.

152 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Konsequenz zu dem Gott wird, der auch die Toten lebendig macht. Man kann das schön in dem frühjüdischen Bekehrungsroman Joseph und Aseneth beobachten. Dort wird der den »toten und stummen Götzenbildern« (JosAs 8,5; 11,8; 12,5) entgegengesetzte »lebendige Gott« (JosAs 8,6; 11,10; 19,8) zugleich als der »Beleber des Alls« (ζῳοποιῶν τὰ πάντα) angerufen (JosAs 8,9; 12,1 vgl. LXX 2. Esdr 19,6). Als solcher wird er dann auch als der »Beleber der Toten« gepriesen (ζῳοποιῶν τοὺς νεκρούς, JosAs 20,7). Letztere Wendung ist dann im Antiken Judentum geradezu zu einer liturgischen Formel geworden.3 So bekennt im zentralen Gebet des Judentums, im Achtzehn-Bitten-Gebet, die erste Benediktion Gott als »Spender guter Gaben und Schöpfer des Alls«. In der zweiten Benediktion wird dieser dann bekannt als der, der nicht nur »die Lebenden versorgt aus Gnaden«, sondern den Seinen auch dann noch die Treue hält, wenn sie »im Staube schlafen«. Diese eschatologische Zuspitzung verdichtet sich in der gleich viermal vorkommenden Prädikation Gottes als mĕḥayyēh mētîm, als »Beleber der Toten«, eine Formel, die sich auch in Röm 4,17 findet, wo Paulus den Glauben Abrahams als Vertrauen auf den Gott bestimmt, der »die Toten lebendig macht (ζῳοποιῶν τοὺς νεκρούς) und das Nichtseiende ins Sein ruft«. Deutlich ist zu erkennen, wie in frühjüdischen und frühchristlichen Texten im Gefolge einer eschatologischen relecture des Schöpfungsglaubens (vgl. 2. Makk 7,28f.) das Bekenntnis zum Schöpfer so reformuliert wird, dass dessen Lebensmacht dem Tod entgegengesetzt wird und so die Hoffnung auf Auferstehung zu begründen vermag. Dabei wird im Griechischen mit ζῳοποιεῖν ein Verb verwendet, das zwar auch in der Profangräzität vorkommt, dort aber (neben ζῳογονεῖν) vor allem für das Zeugen von Tieren oder das Wachstum von Pflanzen verwendet wird.4 Vorgeprägt durch das Übersetzungsgriechisch der Septuaginta, wo das Verb einige Male das Hifil oder Piel von ḥyh mit Gott als Subjekt wiedergibt, wird dagegen im Antiken Judentum und im frühen Christentum ζῳοποιεῖν fast schon zu einem Terminus technicus für das Handeln Gottes, wobei die Pointe darin besteht, dass mit dem einen Verb, wie besonders deutlich in der paulinischen Begründung der Auferstehungshoffnung in 1. Kor 15 zu sehen ist, sowohl die gegenwärtige Schöpfertätigkeit Gottes in der Belebung der Natur (1. Kor 15,36) wie die künftige Wiederbelebung der Toten bezeichnet (1. Kor 15,22.45) und somit beides, Schöpfung und Neuschöpfung, auf ein und dieselbe Wirksamkeit Gottes zurückgeführt werden kann.

3

Vgl. dazu auch O. H OFIUS , Eine altjüdische Parallele zu Röm. iv. 17b, NTS 18 (1971/72), 93 f. 4 Vgl. R. B ULTMANN, ζάω κτλ., E. Der Lebensbegriff im NT, ThWNT 2, Stuttgart 1935, 862–877, hier 876.

Die stoische Zeusallegorese

153

Die Zuspitzung des Gottesgedankens auf das Hervorbringen von Leben hat eine bemerkenswerte Parallele in der hellenistischen Philosophie. Bereits bei Platon findet sich eine Etymologie des Namens Zeus, die den zweifachen Dativ von Zeus, ∆ιί und Ζηνί, so deutet, dass durch ihn alles lebt: διʹ ὃν ζῆν ἀεί (Krat. 396a–b). Noch etwas geschickter wird dieselbe Etymologie dann von den Stoikern anhand des doppelten Akkusativs, ∆ία und Ζῆνα, durchgeführt;5 als der, durch den alles lebt, wird Zeus dort zum Synonym für das kosmische Lebensprinzip.6 Im zweiten Kapitel der wohl in neutestamentlicher Zeit entstandenen Epidrome des Cornutus heißt es dementsprechend: Wie wir [Menschen] von der Seele geleitet werden, so hat auch der Kosmos eine Seele, die ihn zusammenhält, und diese wird ZEUS genannt, weil sie im primären Sinne und fortwährend lebt (zôsa) und Ursache des Lebens (zên) der Lebewesen (zônta) ist. Deswegen wird von Zeus auch behauptet, dass er [als König] über alle Dinge herrsche (basileúein), wie auch in uns [Menschen] von der Seele und unserer Natur gesagt werden könnte, dass sie über uns [als Könige] herrschen (basileúein). Wir nennen ihn Día, weil durch (diá) ihn alle Dinge entstehen und erhalten bleiben.7

Diese Parallelen sind schwerlich Zufall. Vielmehr dürfte die philosophische Deutung des höchsten Gottes Zeus als Herr der Welt und zugleich als Ursprung und Grundlage des Lebens das Frühjudentum veranlasst haben, nun seinerseits den von ihm in Abgrenzung zum paganen Polytheismus immer entschiedener als Schöpfer und Herrn der Welt bekannten Gott Israels zugleich als den lebenspendenden Urheber und Erhalter des Alls zu profilieren. Das wichtigste Zeugnis für den Beginn dieser Synthese, die zu der eingangs skizzierten Neuakzentuierung des biblischen Gotteszeugnisses geführt hat, ist der frühjüdische Aristeasbrief.

5 Diogenes Laertius VII,147; Cornutus, Theol. graec. 2; vgl. ferner Chrysippos, SVF 2, 312, Nr. 1062; siehe dazu auch C. ZIMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden u. a. 2007, 436–438. 6 Das kann dann auch auf andere Götter übertragen werden, vgl. die Deutung des Osiris bei Plutarch, De Iside; vgl. dazu R. FELDMEIER, Osiris. Der Gott der Toten als Gott des Lebens (De Iside Kap. 76–78), in: R. H IRSCH-LUIPOLD (Hg.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder (RGVV 54), Berlin/New York 2005, 215–227 = oben S. 79–90. 7 Cornutus, Theol. graec. 2,1 f.; Übers. F. BERDOZZO, Text, Übersetzung und Anmerkungen, in: Cornutus, Die Griechischen Götter. Ein Überblick über Namen, Bilder und Deutungen. Herausgegeben von H.-G. N ESSELRATH. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von F. B ERDOZZO/G. B OYS-STONES/H.-J. KLAUCK/I. RAMELLI/A. V. ZADOROJNYI (SAPERE XIV), Tübingen 2009, 29–138, hier 33.

154 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung

2. Die Apologie des Judentums im Aristeasbrief Der sogenannte Aristeasbrief gibt vor, unter Ptolemaios II. Philadelphos, d. h. am Beginn des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, von einem Hofbeamten namens Aristeas verfasst zu sein als Bericht an seinen Bruder Philokrates über eine Gesandtschaft zu dem Hohenpriester Eleazar in Jerusalem. Grund dieser Gesandtschaft war der vom König aufgegriffene Vorschlag des Vorstehers der königlichen Bibliothek Demetrios von Phaleron, auch das jüdische Gesetz in die Bibliothek aufzunehmen, »da dies eine philosophische und reine, weil göttliche Gesetzgebung ist« (Arist 31). Da das Gesetz aber in der hebräischen Sprache geschrieben sei, bedürfe es einer Übersetzung (Arist 11). Um die dafür nötigen Übersetzer – 72 an der Zahl, d. h. sechs aus jedem Stamm – in Jerusalem zu requirieren, wird Aristeas zum dortigen Hohenpriester gesandt. Die Übersetzer kommen denn auch nach Alexandria und vollbringen dort ihr Werk in 72 Tagen. Diese Gründungslegende der Septuaginta hat dem Aristeasbrief seit jeher die Aufmerksamkeit seitens der Theologie und Judaistik gesichert. Da jener Bericht aber trotz seiner vorgeblichen Verfasserschaft durch einen ptolemäischen Hofbeamten in Wahrheit von einem alexandrinischen Juden, vermutlich gegen Ende des zweiten Jahrhunderts, verfasst wurde,8 stellt er zugleich ein höchst aussagekräftiges Zeugnis für die Inkulturation des Judentums in die hellenistische Welt dar. Die zitierte Eingangsbestimmung, dass das jüdische Gesetz »eine philosophische und reine, weil göttliche Gesetzgebung« sei (Arist 31), enthält im Grunde das Programm der Schrift in nuce. Denn diese versucht, in zwei Blöcken nachzuweisen, dass das Judentum mit der hellenistischen Kultur nicht nur kompatibel ist, sondern dass es deren Ideale geradezu in ihrer höchsten Form verkörpert. In diesem Sinn erklärt der Jerusalemer Hohepriester dem fragenden Heiden Aristeas den Sinn der Tora und dabei vor allem die tiefere Bedeutung (Arist 143: λόγος βαθύς) der in heidnischen Augen wegen der mit ihnen verbundenen sozialen Absonderung besonders anstößigen Speise- und Reinheitsgebote (130–169). Dabei wird mit keinem Wort die Notwendigkeit in Frage gestellt, die konkreten Gebote gleichsam bis zum letzten Jota und Häkchen auch zu erfüllen; aber die Begründungen, die von dem Hohenpriester Eleazar gegeben werden, haben mit der ursprünglichen Bedeutung der Gebote nichts mehr zu tun. Vielmehr wird die kultische Halacha – meist durch kühne Allegorese – als Realisierung

8

Vgl. die Zusammenstellung der Indizien für jüdische Verfasserschaft bei K. BROAristeas. Der König und die Bibel, Stuttgart 2008, 5–42. Ähnlich N. M EISNER, Aristeasbrief (JSHRZ II/1), Gütersloh 21977, 35–87, hier 42; die Übersetzungen aus dem Aristeasbrief stammen, soweit nicht anders angegeben, von Meisner. DERSEN,

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von ethischen Normen gedeutet, wie diese von jedem gebildeten Heiden anerkannt werden: Denn vertritt doch nicht die (längst) zurückgewiesene Auffassung, dass Mose wegen der Mäuse und des Wiesels und dergleichen diese Gesetze mit solcher Sorgfalt aufgestellt habe. Vielmehr ist alles um der Gerechtigkeit willen zur frommen Beachtung und zur Bildung des Charakters ehrwürdig angeordnet worden. (Arist 144)

Das wird anhand der verschiedenen Gebote vorgeführt. Gerade das Verbot, Wiesel zu essen, ist ein hübsches Beispiel für diese Auslegung. Nach einer antiken Vorstellung empfängt das Wiesel durch die Ohren und gebiert mit dem Mund. Das wird vom Hohenpriester auf das (am Königshof nicht unproblematische) Denunziantentum gedeutet. Das Verbot, Wiesel zu essen, richtet sich also in Wahrheit gegen die Denunziation (Arist 165–167). So ist es nur konsequent, wenn der Hohepriester auch in der Absonderung der Juden von allen anderen Menschen nichts anderes sieht als die vom Gesetzgeber Mose verfügte Trennung der wahren Weisen von der Welt, um deren Kontamination mit der Verderbtheit der Heidenvölker zu verhindern: Da nun der Gesetzgeber als Weiser, der von Gott zur Erkenntnis aller Dinge befähigt wurde, (dies) [sc. die Vielgötterei der anderen Völker, R. F.] alles klar erkannte, umgab er uns mit undurchdringlichen Wällen und eisernen Mauern, damit wir uns mit keinem anderen Volk irgendwie vermischen, (sondern) rein an Leib und Seele bleiben und – befreit von den törichten Lehren – den einzigen und gewaltigen Gott überall in der ganzen Schöpfung verehren. (Arist 139)9

Die sich darin spiegelnde überlegene Ethik und Weisheit des Judentums wird dann auch von den 72 Übersetzern noch einmal eindrucksvoll bestätigt, wenn sie vom König zunächst an sieben aufeinanderfolgenden Tagen zu einem Festmahl eingeladen werden. Die Fragen, die der König dabei jedem der Übersetzer stellt, werden von diesen zu seiner vollsten Zufriedenheit beantwortet (Arist 187–292). Selbst die heidnischen Philosophen müssen den Juden applaudieren, sodass der König bereits am Anfang die im Gottesbezug gründende Überlegenheit der jüdischen Weisheit anerkennt: Ich glaube, diese Männer sind sehr tüchtig und von tiefem Wissen, da sie aus dem Stegreif solche Fragen richtig beantworten, wobei alle ihre Reden mit Gott beginnen. (Arist 200)

Nachdem der Letzte geendet hat, bringt ›Aristeas‹ noch einmal in Form einer abschließenden Akklamation die Anerkennung aller zum Ausdruck:

9

Vgl. dazu auch R. FELDMEIER, Weise hinter »eisernen Mauern«. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief, in: M. HENGEL/A. M. SCHWEMER (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum (WUNT 72), Tübingen 1994, 20–37 = unten S. 160–177.

156 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Sobald er [der letzte Übersetzer mit seiner Antwort] aufgehört hatte, brach lauter und freudiger Beifall los, der längere Zeit anhielt. Als er sich gelegt hatte, ergriff der König einen Becher und ließ sich zu Ehren aller Anwesenden und ihrer Reden einschenken. Schließlich sagte er: »Euer Kommen war für mich höchst segensreich, denn ich ziehe großen Nutzen aus der Lehre, die ihr mir für das Regieren erteiltet.« (Arist 293 f.)

Vorausgesetzt ist, dass jüdische Identität auf der Befolgung der Tora und dem dadurch sichergestellten Bezug des ganzen Lebens auf Gott beruht. Das wird hier allerdings vom Hohenpriester nicht heilsgeschichtlich mit Gottes Erwählung begründet, sondern anthropologisch mit einer unterschiedlichen Daseins- und Handlungsorientierung, welche die Unterscheidung zweier Menschenklassen nach sich zieht, der »Menschen Gottes« auf der einen und der »Menschen der Speisen, Getränke und Kleidung« auf der anderen Seite. In dieser Unterscheidung der Menschen je nach deren existentieller Orientierung könnte man die augustinische Trennung zweier civitates nach dem Prinzip des frui Deo versus frui mundo präfiguriert sehen: Daher nennen uns die Oberpriester der Ägypter, die in vieles Einblick haben und vertraut sind mit (solchen) Dingen, »Menschen Gottes«. Diese (Bezeichnung) steht den übrigen nicht zu, es sei denn, jemand verehrt den wahren Gott; sie sind vielmehr Menschen der Speisen, Getränke und Kleidung, denn all ihr Streben richtet sich darauf. Bei uns aber hat dies gar keinen Wert; wir betrachten das ganze Leben lang Gottes Herrschaft. (Arist 140 f.)

Dem apologetischen Anliegen des Aristeasbriefs entsprechend wird dabei der konsequente Gottesbezug der »Menschen Gottes« als Ausdruck einer überlegenen Weisheit gedeutet.10 Etwas zugespitzt könnte man also sagen, dass der Aristeasbrief die jüdische Lebensweise damit verteidigt, dass er die Juden als die besseren Heiden profiliert. Das gilt nun interessanterweise auch in dem Bereich, bei dem man von einem frommen Juden eine deutliche Abgrenzung erwartet hätte, beim Gottesgedanken. Zwar ist der pagane Polytheismus für Juden indiskutabel (vgl. Arist 137f.), aber zwischen dem philosophischen Monotheismus und dem jüdischen Gottesglauben sieht der Verfasser des Aristeasbriefs doch eine erstaunlich weitreichende Übereinstimmung. Genaueres Hinsehen zeigt freilich, dass es auch hier nicht einfach zur bloßen Anpassung, sondern zu einer eigenständigen Synthese kommt.

10

Unwillkürlich denkt der mit der Schrift vertraute Leser an das viel zitierte Wort, dass die Furcht des Herrn der Anfang der Weisheit ist (Ps 111,10; Spr 1,7; 9,10; 16,4; vgl. Sir 1,14.16.18.20.26; Hi 28,28). Wohl nicht von ungefähr hatte sich auch der fiktive Heide am Beginn seines Berichtes gegenüber seinem Bruder ähnlich geäußert (Arist 2).

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3. Jhwh und Zeus Am Anfang des Briefes wird die Begegnung von Aristeas und seinem König geschildert. Der Hofbeamte, der sich sogleich gegenüber seinem Bruder als ein besonders um die Frömmigkeit bemühter Mann zu erkennen gibt (Arist 2f.), macht sich dabei zum Anwalt der nach der Eroberung Palästinas versklavten Juden. Dazu benutzt er das Anliegen des Königs, das jüdische Gesetz übersetzen zu lassen, um diesem nahezulegen, die von seinem Vater in die Sklaverei verkauften Juden – angeblich über 100000 (Arist 19.37) – freizulassen bzw. freizukaufen. Um seinen König dafür günstig zu stimmen, rekurriert der Höfling in doppelter Weise auf Gott: zum einen, indem er ihn dem König gegenüber deutet, zum andern, indem er für den Erfolg seiner Absichten zu ihm betet. Was die Deutung anlangt, so erklärt er dem König kurzerhand, dass der jüdische Gott derselbe sei, den er auch verehrt und der ihm als Herr der Welt seine Herrschaft verliehen hat, eine Gleichsetzung, die dann auch innerhalb der Schrift immer wieder von verschiedenen Seiten bestätigt wird:11 Befreie doch edel und großzügig die Leidenden, denn der Gott, der dir das Reich regiert, hat ihnen das Gesetz auferlegt, wie ich erfahren habe! (Arist 15)

Doch die Gleichsetzung geht noch weiter: Als Bewahrer und Schöpfer des Alls verehren sie nämlich Gott, und den (verehren) alle Menschen: Wir nennen ihn nur anders: ›Zeus‹ [Ζῆνα καὶ ∆ία]. So haben die Alten nicht ungeschickt angedeutet, daß der, durch den alles belebt wird [διʹ ὃν ζῳοποιοῦνται τὰ πάντα] und entsteht, auch alles leitet und regiert. (Arist 16)

Der Verfasser des sogenannten Aristeasbriefs ist nicht der erste Jude, der die stoische Zeusallegorese rezipiert. Der vermutlich älteste erhaltene Beleg findet sich bei Aristobul in einem von Eusebios von Caesarea in seiner Praeparatio evangelica (XIII,12,3–8) zitierten Fragment, der damit die in allem wirkende Macht Gottes beschreibt und im Zusammenhang damit die Übereinstimmung des biblischen Gotteszeugnisses mit dem der Philosophen (die von Mose abgeschrieben hätten) propagiert.12 Allerdings 11 Gegenüber dem Jerusalemer Hohenpriester bezeichnet der König die Befreiung der Juden als ein »Weihegeschenk für den größten Gott […], der uns das Reich in Frieden und höchstem Ruhm erhalten hat« (Arist 37). In seiner Antwort bestätigt wiederum der Hohepriester dem König, dass er »Frömmigkeit gegen unseren Gott« hegt (Arist 42; Übers. BRODERSEN, Aristeas [Anm. 8]). Als die Schriftrollen gebracht werden, fällt der König vor ihnen auf die Knie (Arist 177), und der älteste Priester unter den Übersetzern wünscht ihm die Unterstützung des allmächtigen Gottes (Arist 185). Die Worte der jüdischen Weisen empfehlen denn auch dem König die Nachahmung Gottes (Arist 188 ff., wobei der Singular wohl bewusst nicht spezifiziert wird). 12 Vgl. N. W ALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten. Aristobulos, Demetrios, Aristeas (JSHRZ III/2), Gütersloh 21980, 257–299, hier 274–276.

158 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung tut er das nicht so entschieden wie der Aristeasbrief, der diesen Weg am konsequentesten beschritten hat, indem er den durch die philosophische Allegorese als kosmisches Lebensprinzip gedeuteten Zeus von dem Hofbeamten (und das heißt natürlich: von jenem unbekannten jüdischen Verfasser) mit dem Gott Israels gleichsetzen lässt. Verstärkt wird das noch dadurch, dass in der Erläuterung für das belebende Wirken dieses Gottes das von der Septuaginta her vertraute Verb ζῳοποιεῖν verwendet wird: Er belebt das All. Zugleich wendet sich der fiktive Heide im Gebet an diesen Gott, damit dieser den Sinn des Königs so beeinflusst, dass er die gefangenen Juden befreit (was der König dann in der Tat auch tut). Der ›Hofbeamte‹ müht sich dabei nicht wenig, die Möglichkeit einer Beeinflussung Gottes qua Bittgebet mit der philosophischen Annahme einer auch ohne menschliche Intervention vernünftigen und gerechten göttlichen Weltlenkung in Einklang zu bringen, wenn er sein Gebet um die Beeinflussung des Königs mit den Worten begründet: Kurze Zeit besann er [sc. der König, R. F.] sich, und ich betete innerlich zu Gott, er möge seinen Sinn auf die Befreiung aller lenken. Denn das menschliche Geschlecht ist ja eine Schöpfung Gottes und wird wieder von ihm verändert und gewandelt. Daher rief ich auf mancherlei Weise den an, der die Herzen regiert, damit er [sc. der König, R. F.] gezwungen würde, nach meiner Bitte zu handeln. Denn da ich die Befreiung von Menschen angeregt hatte, hoffte ich stark, daß Gott die Bitte erfüllen werde. Was nämlich Menschen für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit fromm (selbst) zu wirken glauben, die Taten und Vorhaben führt (in Wahrheit) der alles regierende Gott aus. (Arist 17 f.)

Die Beweisführung, die die Erhörung des Gebets als notwendige Konsequenz aus der Güte und Allwirksamkeit Gottes abzuleiten sucht, mutet einigermaßen gezwungen an. Theologisch bedeutsam ist, dass hier die Macht Gottes eindeutiger soteriologisch konnotiert ist, als dies in den philosophischen Quellen sonst der Fall ist: In Arist 20f. heißt es ausdrücklich, dass Gott den König dazu bewegte, »zur Rettung so großer Massen« zu werden. Auch als »Beleber des Alls« und somit als Gott aller Menschen bleibt dieser Gott doch der heilige Gesetzgeber, wie es das Ende des Berichtes noch einmal andeutet (Arist 313–315), also der Gott Israels. Dementsprechend ist sein Wirken nicht auf die Fürsorge des Kosmosgottes beschränkt, sondern gipfelt zumindest indirekt in der providentia specialis des die Juden von Neuem aus ihrer Sklaverei in Ägypten befreienden Gottes (vgl. Arist 20–24).

4. Stoische Götterallegorese als Praeparatio evangelica? Im Aristeasbrief wird also die stoische Zeusallegorese direkt auf den Gott der Juden bezogen und dieser dabei mithilfe des Verbs ζῳοποιεῖν als Beleber und Lenker des Alls bestimmt. Zugleich bleibt er der Gott, der das in

Die stoische Zeusallegorese

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Ägypten gefangene Volk der Juden in die Freiheit führt. Diese programmatische Verschmelzung von philosophischer Theologie und biblischem Gottesglauben blieb nicht ohne Folgen. Denn die im Aristeasbrief zu beobachtende Rezeption der philosophischen, vor allem stoischen Allegorese des Zeus ermöglichte es dem hellenistischen Judentum nicht nur, seinen Gott als Schöpfer und Herrn der Welt in einer der paganen Mitwelt (oder doch zumindest den in dieser Welt lebenden Juden) plausibel zu machen. Damit einher ging auch eine begriffliche Präzisierung des Gottesgedankens, insofern der biblische Gott von seiner schöpferischen Lebensmacht her als der lebendigmachende Gott geglaubt und bekannt wurde. Im Aristeasbrief richtet sich das noch ganz auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Juden und ihrer an der Tora orientierten Lebensweise im Ptolemäerreich. Aber die um diese Zeit auch im Judentum längst virulente Frage nach einem Leben nach dem Tod wird sich bald der Argumentation des Aristeasbriefs bedienen. Auf Joseph und Aseneth, eine vermutlich ebenfalls in Alexandria entstandene Schrift,13 die den »lebendigen Gott« als »Beleber des Alls« und dann in letzter Konsequenz auch als den »Beleber der Toten« bekennt, wurde oben schon hingewiesen. Wenig später wird die wohl ebenfalls im alexandrinischen Judentum verfasste Sapientia Salomonis von der Schöpfung sagen, dass Gott alles zum Sein geschaffen hat, und daraus folgern, dass der Tod nicht zu Gottes Werken gehört (SapSal 1,13f.), sondern durch den Neid des Teufels in die Welt kam (2,24). Für den Menschen heißt das, dass Gott ihn zum Abbild seiner Ewigkeit und zur Unvergänglichkeit geschaffen hat (2,23) und dass deshalb die Seelen der Gerechten in Gottes Hand sind (3,1) und sie somit im Gegensatz zur Trostlosigkeit der Existenz der Gottlosen (vgl. 2,1ff.) Hoffnung auf Unsterblichkeit haben (3,4). Von Zeus und der Allegorese seines Namens ist in diesen Texten, die eine deutlich schärfere Abgrenzung der Juden von ihrer paganen Umgebung propagieren, nicht mehr die Rede. Aber der (ältere) Aristeasbrief und die Wiedergabe der einschlägigen Passage durch Josephus (Ant. XII,2,2 [§ 22]) zeigen zumindest, dass diese Allegorese den gebildeten Juden bekannt war und dass man sich damit konstruktiv auseinandergesetzt hat. Auch dort, wo diese Auseinandersetzung nicht mehr thematisiert wird, profitiert man von der Zuspitzung des eigenen Gottesgedankens, und zwar gerade dort, wo man die überlieferungsgeschichtlich junge eschatologische Hoffnung auf eine Überwindung des Todes mit dem überlieferten Glauben an den Schöpfer zu begründen suchte. 13 Vgl. M. VOGEL, Einführung in die Schrift, in: Joseph und Aseneth. Herausgegeben von E. REINMUTH. Eingeleitet, ediert, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von E. REINMUTH/S. ALKIER/B. B OOTHE/U. B. FINK/C. GERBER/K.-W. NIEBUHR/A. STANDHARTINGER/M. VOGEL/J. K. ZANGENBERG (SAPERE XV), Tübingen 2009, 3–31, hier 11–13.

Weise hinter »eisernen Mauern« Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief 1. Zum Thema Die Metapher des eisernen Vorhangs als Bild für rigorose Abgrenzung gibt es nicht erst in der Moderne. Im Aristeasbrief, dem pseudepigraphischen Briefroman eines Diasporajuden, der in der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts in Alexandria lebte,1 wird die Absonderung von allen anderen Menschen »mit undurchdringlichen Wällen und eisernen Mauern« (ἀδιακόποις χάραξι καὶ σιδηροῖς τείχεσιν) zu einem entscheidenden Kennzeichen jüdischer Identität gemacht, eine Absonderung, die sich nach der Darstellung des Aristeasbriefes vor allem durch die Einhaltung der Speisegebote der Tora vollzieht. Es ist auffallend, dass diese rigorosen Worte in einem Text stehen, dessen zentrales Thema die Übersetzung der Tora ins Griechische ist, der also gerade einen Akt der Überwindung von trennenden Schranken beschreibt und der dem heidnischen Herrscher wie der überlegenen hellenistischen Kultur positiv gegenübersteht. Diese Spannung lohnt näheres Zusehen. Zunächst die entscheidenden Sätze, die in Arist 139 im Zusammenhang mit einer Polemik gegen den paganen Polytheismus fallen: Da nun der Gesetzgeber als Weiser, der von Gott zur Erkenntnis aller Dinge befähigt wurde, dies alles klar erkannte [nämlich den heidnischen Polytheismus], umgab er uns mit undurchdringlichen Wällen und eisernen Mauern, damit wir uns mit keinem der anderen Völker (ἔθνη) irgendwie vermischten, (sondern) rein an Leib und Seele bleiben und – befreit von den törichten Lehren – den einzigen und gewaltigen Gott überall in der ganzen Schöpfung verehren.2

1

Zur Diskussion um die Datierung vgl. E. SCHÜRER, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ. 175 B.C.–A.D. 135. A New English Version, Band III/1, revised and edited by G. VERMES/F. MILLAR/M. GOODMAN, Edinburgh 1986, 679–684. 2 Die deutsche Wiedergabe des Aristeasbriefes folgt mit einigen Abänderungen der Übersetzung von N. M EISNER, Aristeasbrief (JSHRZ II/1), Gütersloh 1973, 35–87, hier 45 ff.

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Die Sätze bringen auf den Begriff, was die Gebote der Tora, gerade auch die von der Mitwelt isolierenden Reinheitsgebote, für die Diasporajuden bedeuteten: Sie waren gelebter Ausdruck ihres Erwählungsbewusstseins und zugleich verbindliche Lebensform, um sich von der paganen Umgebung zu unterscheiden. Die oben schon angedeutete Spannung dieser Aussagen zu dem Gesamtanliegen der Vermittlung zwischen jüdischem Glauben und hellenistischer Kultur zeigt sich auch hier, wenn ebenjener Mose als ein »Weiser« vorgestellt wird, genauer sogar als ein weiser »Gesetzgeber, der von Gott zur Erkenntnis aller Dinge befähigt wurde« und aus ebendieser höheren Erkenntnis heraus seine Anordnungen erlassen habe. Ein solcher Anspruch auf Weisheit und göttliche Erkenntnis impliziert aber den Anspruch auf Vernünftigkeit und damit letztlich auf allgemeine Anerkennung. Dies aber lässt sich eben nicht ohne Weiteres mit der Absonderung von allen anderen Menschen durch »eiserne Mauern« auf einen Nenner bringen. Wenn der Aristeasbrief dennoch beides zusammen beansprucht, so zeigen sich hier mit besonderer Deutlichkeit zwei einander widerstreitende Grundtendenzen, die für das Judentum in der hellenistischen Zeit (und hier wieder besonders für das Diasporajudentum) überhaupt charakteristisch sind: Einerseits ist das Bedürfnis zu erkennen, die Tora und die dadurch bedingte Lebensweise vor dem Forum der (griechischen) Vernunft zu rechtfertigen und so der eigenen Glaubensüberzeugung und Existenz einen allgemein anerkannten Platz zuzuweisen, womit zumindest in Alexandria auch die Bemühung um die volle Gleichberechtigung mit der griechisch-makedonischen Oberschicht verbunden war.3 Auf der anderen Seite aber ist das Bestreben erkennbar, sich zugleich von allen anderen abzugrenzen, um nicht die Grenzen zur paganen Gesellschaft zu verwischen und sich dann in diese hinein aufzulösen. Das Folgende will versuchen darzustellen, wie der Verfasser des Aristeasbriefes versucht, die entgegengesetzten Tendenzen, die Vernünftigkeit und universale Gültigkeit der Tora einerseits und den Partikularismus der durch sie bestimmten Lebensweise andererseits, 3 Die Juden waren zwar als eigenes πολίτευµα gegenüber der autochthonen Bevölkerung bevorzugt, jedoch gegenüber der griechischen Oberschicht ebenso benachteiligt: »The Jews of Alexandria, like other foreign groups constituted as politeuma in Greek cities, were ›citizens‹ only in relation to each other as members of the politeuma. Their status vis-à-vis the Greeks was that of metics, aliens with the right of domicile. They occupied an intermediate position between the Greek citizens of Alexandria and the wholly unprivileged Egyptians, who lacked any sort of franchise. They enjoyed the rights of residence and organized civic life, but they were not an integral part of the Greek body politic« (E. M. SMALLWOOD , The Jews under Roman Rule. From Pompey to Diocletian [SJLA 20], Leiden 1976, 230). Dem Bemühen der Juden um Gleichberechtigung wurde endgültig erst durch den Brief des Claudius (CPJ 153) ein Ende gesetzt. Die übergroße Anerkennung, die dem Hohenpriester und den Übersetzern durch die ptolemäischen Hofbeamten und vor allem durch den König zuteil wird, spiegelt deutlich den Wunsch der Juden nach Gleichberechtigung.

162 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung miteinander zu vermitteln und so den Platz des Diasporajudentums zwischen Akkulturation und Abgrenzung zu bestimmen.

2. Die Akkulturation: Die Tora als Inbegriff der Gerechtigkeit und Weisheit Der Aristeasbrief ist nicht der erste, der die Tora mit der Weisheit identifiziert. Bereits in frühhellenistischer Zeit wurde die Weisheit in einen engen Zusammenhang mit Gottes Geboten gebracht.4 Das alexandrinische Diasporajudentum nimmt diese Tradition auf und führt sie weiter aus. Aristobul5 versucht aufzuzeigen, dass die Tora all das verkörpert, was dem Gebildeten seiner Zeit wert und heilig ist: »Die Anlage unseres Gesetzes ist nämlich ganz auf Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und die übrigen der Wahrheit gemäßen Güter ausgerichtet.«6 Die durch eine solche Deutung herbeigeführte Nähe zur hellenistischen (Popular-)Philosophie erklärt Aristobul kurzerhand damit, dass die griechischen Philosophen von Mose abgeschrieben hätten.7 Mit Zitaten griechischer Schriftsteller, die die Wahrheit der jüdischen Gotteslehre bestätigen sollen, und durch die Übernahme der allegorischen Methode zur Erklärung anstößiger Bibelstellen versucht Aristobul, seine Deutung auch im Einzelnen zu begründen. Diese Tradition wird im alexandrinischen Judentum fortgesetzt und kommt bei Philon zu ihrem Höhepunkt. So werden von ihm etwa die Erzväter durchweg als vorbildliche Weise gezeichnet,8 und die Juden kann er als οἱ κατὰ Μωυσῆν σοφοί bezeichnen (Conf. ling. 77). All dies dokumentiert das Bemühen des Diasporajudentums, das jüdische »Gesetz« und den jüdischen Glauben vor dem Forum der hellenistischen Welt plausibel zu machen. Höhepunkt dieser Bemühungen ist die Übersetzung der Tora in die herrschende griechische Weltsprache, »ein einzigartiges Phänomen in der 4 So etwa Spr 1–9, wo die personifizierte Weisheit Gottes Willen verkündigt; zu den möglichen vorhellenistischen Quellen siehe M. HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (WUNT 10), Tübingen 31988, 275 ff. Um 200 wird diese Weisheit dann von Ben Sira endgültig mit der Tora identifiziert (vgl. Sir 24, vor allem V. 23). 5 N. W ALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten. Aristobulos, Demetrios, Aristeas (JSHRZ III/2), Gütersloh 21980, 257–299, hier 261ff. Die hier zusammengestellten fünf Fragmente sind Eusebs Praeparatio evangelica entnommen. In der Forschung besteht noch keine Einigkeit darüber, ob Aristobul älter ist als der Aristeasbrief oder ob er von diesem abhängig ist (zur Diskussion vgl. SCHÜRER, History [Anm. 1], 580.682 f.). 6 Übers. W ALTER, Fragmente (Anm. 5), 276. 7 Ebd., 270 f.274; Philon ist ihm gefolgt (vgl. Quaest. Gen. IV,152). 8 Vgl. R. FELDMEIER, Die Christen als Fremde. Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief (WUNT 64), Tübingen 1992, 65 f.

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griechischen Welt und […] praktisch ohne Parallele. Kein vergleichbares ›heiliges Buch‹ der Barbaren wurde u[nseres] W[issens] ins Griechische übersetzt.«9 Zugleich entstand dadurch ein literarisches Werk, das dem griechischen Leser von Stil und Inhalt her fremd erscheinen musste.10 Der Aristeasbrief nun will zum einen dieses revolutionäre Unterfangen rechtfertigen, zugleich aber will er den gebildeten Lesern eine Erklärung der nun vorliegenden Tora bieten. Der Aristeasbrief ist so ein Empfehlungsschreiben für jene in Alexandria unter Ptolemaios II. angefertigte Übersetzung der Tora. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass dieses Empfehlungsschreiben vorgibt, der briefliche Bericht eines Hofbeamten unter Ptolemaios II. Philadelphos (285–246) namens Aristeas an seinen Bruder Philokrates11 über seine Gesandtschaft nach Jerusalem12 zu sein. Die Legitimation der Übertragung der Tora sowie ihre Erklärung bemühen also einen fiktiven Heiden als Verfasser! Gleich zu Beginn wird von diesem über das jüdische »Gesetz« gesagt, dass es sich um »eine philosophische und reine, weil göttliche Gesetzgebung« handelt.13 Das Problem der Nichtberücksichtigung dieser göttlichen Gesetzgebung in der antiken Literatur wird hier mit dem Respekt der antiken Schriftsteller vor dieser heiligen und reinen θεωρία begründet und dafür auf das Zeugnis des Hekataios von Abdera verwiesen (Arist 31), also wiederum auf einen paganen Schriftsteller als Gewährsmann.14 Das ist bezeichnend für den gesamten Brief, der durchweg von

9

M. HENGEL, Die Septuaginta als »christliche Schriftensammlung«, in: W. P ANNENSCHNEIDER (Hg.), Verbindliches Zeugnis, Teil 1: Kanon – Schrift – Tradition, Freiburg i. Br. u. a. 1992, 34–127, hier 86. 10 Dementsprechend wird die Septuaginta auch in vorchristlicher Zeit in der griechischen und römischen Literatur kaum zur Kenntnis genommen. Eine Ausnahme ist Pseudo-Longinus, De sublimitate (möglicherweise auch noch Hekataios und Ocellus Lucanus; vgl. M. STERN [Hg.], Greek and Latin Authors on Jews and Judaism. Edited with Introductions, Translations and Commentary, Band I: From Herodotus to Plutarch [Fontes ad res Judaicas spectantes], Jerusalem 1976, 361). 11 Beide Gestalten sind aus der Geschichte nicht bekannt (vgl. S CHÜRER, History [Anm. 1], 677). 12 Der erste Teil berichtet über die Gesandtschaft an den Hohenpriester Eleazar in Jerusalem. Dort soll der Hohepriester Männer benennen, die für die königliche Bibliothek das jüdische Gesetz übersetzen können. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht das Festmahl des Königs mit diesen Übersetzern, in dessen Verlauf er jedem eine Frage stellt, die immer zu seiner großen Zufriedenheit beantwortet wird. 13 Arist 31: … διὰ τὸ καὶ φιλοσοφωτέραν εἶναι καὶ ἀκέραιον τὴν νοµοθεσίαν ταύτην, ὡς ἂν οὖσαν θείαν; vgl. schon die Aussagen über das ehrwürdige göttliche Gesetz in Arist 3.5. 14 Dabei lässt sich nicht sicher sagen, auf welches Werk sich Aristeas bezieht und ob es sich um ein echtes oder um ein pseudepigraphisches Werk handelt (zur Diskussion siehe SCHÜRER, History [Anm. 1], 671 ff.). Zwei größere Fragmente werden von STERN, Authors (Anm. 10), 20 ff., vorgestellt, von denen eines (aus Diodorus Siculus XL,3) wohl BERG/T.

164 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung dem Bemühen bestimmt ist, das jüdische Gesetz und den jüdischen Kult dem hellenistischen Denken als vernünftig darzubieten, ja mehr noch: Die jüdische Überzeugung und die ihr korrespondierende Lebensweise sind Inbegriff und Ziel dessen, was die pagane Philosophie als gut und wahr erkannt hat. Das beginnt schon mit der euphorischen, ganz unrealistischen Beschreibung Jerusalems in Arist 83ff., wo die Stadt, das Land, der Tempel und die Priesterschaft als schlechthin vorbildlich angepriesen werden. Dies ist nur die Hinführung zum Höhepunkt des ersten Hauptteils, der ausführlichen Erklärung des »Gesetzes« durch den Hohenpriester Eleazar (128–169). In erster Linie geht dieser dabei auf Bestimmungen der Speisegebote ein,15 die in den Augen der paganen Zeitgenossen als besonders unverständlich, ja anstößig galten,16 zumal damit in die eine Schöpfung eine völlig willkürliche Unterscheidung eingeführt werde.17 In seiner Antwort stellt daher der Hohepriester zunächst einmal grundsätzlich fest, dass Mose mit seinen Einzelweisungen in Wahrheit nicht an Mäusen, Wieseln und dergleichen gelegen sei, sondern dass sich darin ein tieferer (und das heißt: ein ethischphilosophischer) Sinn ausdrücke: »Vielmehr ist alles um der Gerechtigkeit willen zur frommen Betrachtung und zur Bildung des Charakters ehrwürdig angeordnet worden.«18 So sind die zum Verzehr nicht zugelassenen, verbotenen Vögel Raubtiere, weshalb das Verbot ihres Verzehrs in Wahrheit gegen die Gewalt und die Vernichtung fremden Lebens gerichtet ist (145–147). Indem Mose sie unrein nannte, »setzte er durch sie ein Zeichen, dass diejenigen, denen das Gesetz auferlegt ist, in ihrer Seele Gerechtigkeit üben und echt ist, während die Echtheit des zweiten, von Josephus (Ap. I,183 ff.) zitierten umstritten ist. 15 Bezeichnend ist der einleitende Kommentar des Aristeas: »Ich glaube nämlich, dass viele gerne wissen möchten, was es mit den Bestimmungen in der Gesetzgebung über Speisen und Getränke sowie über die als unrein angesehenen Tiere auf sich hat« (Arist 128). 16 Wie sehr gerade die Speisegebote zur Isolation der Juden in der Gesellschaft beigetragen haben, zeigt 3. Makk 3,4 ff. Pagane Zeugnisse bestätigen das. Schon Hekataios von Abdera, der über die Juden (noch) eher positiv urteilt, sagt von Mose, dass dieser wegen der Vertreibung aus Ägypten einen asozialen und intoleranten Lebenswandel eingeführt habe (STERN, Authors [Anm. 10], 26, Z. 25 f.). 17 Vgl. Arist 129: »Wir fragten nämlich, weswegen man glaube, manche (Tiere) verunreinigten durch (ihren) Genuss und manche sogar schon durch die (bloße) Berührung, wenn doch alle von einem Ursprung herkommen« (µιᾶς καταβολῆς οὔσης; MEISNER, Aristeasbrief [Anm. 2], 62 übersetzt sinngemäß richtig: »wo die Schöpfung doch eine Einheit sei«). 18 Arist 144. In Arist 143 geht der Hohepriester nochmals auf das Problem der Einheit der Schöpfung im Blick auf die Reinheitsgebote ein. Er unterscheidet zwischen einem natürlichen Sinn der Dinge (φυσικὸς λόγος), worin sie alle vor Gott gleich seien, und einem »tiefen« Logos der Einzeldinge (λόγος βαθύς), dem zufolge man einige benutzen und andere vermeiden müsse. Letzteres ist Begründung der ethischen Auslegung der Gebote.

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niemanden im Vertrauen auf die eigene Kraft unterdrücken« (147). Umgekehrt ist die Zweihufigkeit der Klauen der zum Verzehr zugelassenen Haustiere »ein Zeichen dafür, alle Handlungen nach ihrer Rechtlichkeit zu beurteilen. Denn die Kraft des ganzen Leibes und seine Tätigkeit leiten sich her von den Schultern und Schenkeln. Er zwingt also, mit Unterscheidungsvermögen alles auf Gerechtigkeit zielend zu vollenden« (150 f.). Ähnliches gilt auch vom Wiederkäuen, das »für die Einsichtigen auf die Erinnerung verweist. Das Wiederkäuen ist nämlich nichts anderes als ein Gedenken an Leben und Bestehen« (153 f.). Ein entsprechender ›tieferer‹ Sinn wird dann auch in anderen kultischen Bräuchen entdeckt: Mäuse sind schädlich, weil sie Symbol der Verunreinigung sind (164), das unreine Wiesel, das nach Meinung des Verfassers durch die Ohren empfängt und durch die Schnauze gebiert, verkörpert das (in Ägypten besonders verhasste) politische Denunziantentum (165 ff.) usw.

Nach diesen Erläuterungen, die freilich gerade nicht von der wörtlichen Befolgung dieser Weisungen entbinden, sondern diese rechtfertigen wollen, kann dann der Hohepriester zusammenfassend feststellen: »Unser Gesetz befiehlt uns …, niemandem mit Wort und Tat Böses anzutun. Auch hierüber haben wir dich also kurz informiert, dass alles zum Zwecke der Gerechtigkeit festgesetzt ist und dass durch die Schrift nichts zufällig oder nur um des Erzählens willen angeordnet ist, sondern damit wir zeitlebens auch in unseren Taten gegen alle Menschen Gerechtigkeit üben, eingedenk Gottes des Herrschers. Auch bezüglich der Speisen und der unreinen Schlangen und Tiere zielt jedes Wort auf die Gerechtigkeit und das gerechte Zusammenleben der Menschen« (168f.). Am Ende dieser Belehrung zeigt sich dann auch Aristeas überzeugt (170) und fühlt sich veranlasst, seinem Bruder die Erhabenheit und den natürlichen (bzw. vernünftigen) Sinn des Gesetzes (τὴν σεµνότητα καὶ φυσικὴν διάνοιαν τοῦ νόµου) mitzuteilen (171). Hier wird – wie schon bei Aristobul und später bei Philon – die von der stoischen Homerexegese entwickelte Methode der allegorischen Interpretation auf die Tora angewandt.19 Damit wird eine von der hellenistischen 19

F. SIEGERT, Drei hellenistisch-jüdische Predigten II (WUNT 61), Tübingen 1992, 55 ff., hat sehr schön den Ursprung der jüdischen Schrifthermeneutik in der stoischen Homerexegese aufgezeigt und begründet: »Beide Kulturen, die griechische wie die jüdische, hatten ein gemeinsames Problem: ihr klassischer Autor – Homer (oder was man ihm zuschrieb) bzw. Mose (oder was seine Autorität mit ihm teilte) – war nicht mehr auf dem Stand der Zeit. Dem einen wie dem anderen wurde vorgeworfen, das Göttliche zu vermenschlichen (Problem der Anthropomorphismen) und rohe, unsittliche Anschauungen zu vertreten […]. Es war die Stoa, die in ihrer Abgrenzung gegen den Platonismus und in ihrer Suche nach einem Altersbeweis ihrer Dogmen […] Homer in Schutz nahm und die bereits vorhandenen Ansätze einer ›Rettung‹ Homers durch Interpretation methodisch aufgriff. Gemäß einer alten […] Anschauung von der Inspiriertheit der Dichter und der Überlegenheit der Vorzeit stellten sie die These auf, Homer habe mehr und oftmals auch anderes im Sinn gehabt, als seine Worte dem allgemeinen Verständnis preisgäben; er verfüge über höheres Wissen, das nur Geschulte zu entschlüsseln vermöchten – durch Allegorisieren« (58 f.).

166 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Popularphilosophie stark beeinflusste ›Physik‹ und Ethik zum Hermeneuten der gesamten Tora gemacht, um so dieses ›Gesetz‹ als Gipfel der Weisheit auszuweisen. Eine ähnliche Funktion hat dann auch der zweite Hauptteil dieser Schrift, der die Befragung der aus Jerusalem abgesandten Übersetzer durch den König schildert (187–294). Jeder der 72 Männer erhält im Verlauf von sieben Tagen (und im Rahmen eines Festbanketts) vom König eine Frage vorgelegt, die sich jeweils um ein wichtiges Problem aus dem Bereich der Ethik, der Politik oder der Philosophie dreht, zugespitzt auf das rechte Verhalten des Königs als Herrscher und Mensch. Diese Fragen werden durchweg zur größten Zufriedenheit des Königs beantwortet. Der Verfasser des Aristeasbriefes hat dabei offensichtlich ohne Bedenken hellenistische Fürstenspiegel ausgeschrieben20 und sie durch eine jeweils angehängte Erwähnung Gottes »theologisiert«, um die überlegene Weisheit der jüdischen Gelehrten darzustellen. Dementsprechend legt er auch Wert darauf, dass nach den verschiedenen Befragungen nicht nur der König, sondern auch sein ganzer Hofstaat und hier besonders die Philosophen in Bewunderung und Lob ausbrechen und so die geistige und moralische Überlegenheit der Juden bestätigen. So heißt es etwa am Schluss eines solchen Befragungsgangs: »Mit lauter Stimme dankte der König ihnen allen und lobte sie, wobei die (übrigen) Anwesenden mit einstimmten, besonders jedoch die Philosophen. Denn sowohl in der Lebensführung als auch in der Redekunst waren sie ihnen weit voraus, da sie (stets) Gott an den Anfang setzten.«21

Nun erfolgt die Schilderung der Übersetzung der Tora durch jene 72 Weisen, also der Anfertigung der ›Septuaginta‹. Nach deren (vollkommener) Ausführung wird sie dem König vorgelesen, der daraufhin die »Einsicht des Gesetzgebers« sehr bewundert (312). Nochmals wird – nun vom König – die Frage aufgeworfen, warum dieses Gesetz nicht von nichtjüdischen Gelehrten erwähnt wird. Als Antwort wird daraufhin auf die (magische) Heiligkeit dieses Gesetzes verwiesen, dessen Zitierung durch einen paganen Schriftsteller für diesen fatale Folgen haben könne, wie anhand mehrerer Beispiele dargelegt wird (313–316), besonders dann, wenn die benützte Übersetzung ungenau ist (315). Die einzig richtige Übersetzung dagegen ist die von den 72 Weisen angefertigte, die nach der Darstellung des Aristeasbriefes von Jerusalem, der Diasporagemeinde und von dem königlichen Hof, also von den maßgeblichen Gremien der Juden wie der alexandrinischen Gesellschaft, anerkannt ist. Wie die gleichzeitige Verfluchung all derer, die diese Übersetzung überarbeiten wollen (311), vermuten lässt, richtet sich der Aristeasbrief damit vielleicht auch schon gegen die Ende 20

Vgl. A. P ELLETIER, Lettre d’Aristée à Philocrate. Introduction, texte critique, traduction et notes, index complet des mots grecs (SC 89), Paris 1962, 47 f.; G. ZUNTZ, Aristeas Studies I. »The Seven Banquets«, JSSt 4 (1959), 21–36, hier 21 ff. 21 Arist 235, ähnlich 200 f.296; vgl. weiter 220.247.274.293.

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des zweiten Jahrhunderts vor allem in Palästina beginnenden Versuche, die Septuaginta kritisch zu überarbeiten.22 In seinem Bemühen um Akkulturation geht der Aristeasbrief an einem Punkt vielleicht sogar noch weiter als andere Diasporajuden, wenn er gleich am Beginn seiner Schrift – freilich in der Maske eines ptolemäischen Hofbeamten – auch im Blick auf den Gott der Tora erstaunlich weitherzig23 formuliert: Als Bewahrer und Schöpfer des Alls verehren sie nämlich Gott, und den (verehren) alle Menschen: Wir nennen ihn nur anders: »Zeus«. (16)

Damit wird immerhin der biblische Gott, vermittelt über die ›natürliche Theologie‹ eines Schöpfers und Erhalters des Alls, mit dem obersten Gott des griechischen Pantheons gleichgesetzt.24 Der Gott der Philosophen und der Gott Israels sind eins. Zugleich wird jener Hofbeamte Aristeas (und werden mit ihm überhaupt die Gebildeten am Königshof) als Verehrer des wahren Gottes porträtiert. Er ist – in der späteren Terminologie – ein ›Gottesfürchtiger‹. Der ideale Grieche ist sozusagen ein ›anonymer Jude‹, wie umgekehrt der gebildete Jude das hellenistische Menschenideal verkörpert.25

3. Die Abgrenzung: Die »eisernen Mauern« Das Bemerkenswerte am Aristeasbrief ist nun dies, dass er – in scheinbarem Widerspruch zu dem hier dokumentierten Bemühen, die Tora vor dem Forum der paganen Philosophie als vernünftig zu rechtfertigen – zugleich aufs Schroffste an der völligen Absonderung der Juden von allen anderen Menschen festhält. Und nicht nur das: Im Zusammenhang mit den eingangs zitierten Ausführungen werden dabei die anderen, die Griechen und 22

Vgl. dazu HENGEL, »Schriftensammlung« (Anm. 9), 55. Aristobul (JSHRZ III/2, 275 f.) ersetzt in einem von ihm zitierten Gedicht des Aratos »Zeus« durch θεός und begründet dies mit dem Urteil der Philosophen, dass es bei Gott vor allem auf den angemessenen Begriff ankäme (Eusebios, Praep. ev. XIII 12,6). 24 Pseudo-Aristeas benutzt dabei die stoische Etymologie von Dis aus διά und Zeus aus ζῆν (vgl. HENGEL, Judentum und Hellenismus [Anm. 4], 481 f.). Begünstigt wurde dies dadurch, dass »Zeus« auch in der hellenistischen Philosophie bereits zur Bezeichnung der einen, höchsten Gottheit werden konnte, wie etwa der Zeushymnus des Kleanthes zeigt. Auch in gebildeten jüdischen Kreisen lässt sich eine gewisse Neigung zur Angleichung des jüdischen Gottesbegriffs an die griechische universalistische Gottesvorstellung feststellen (vgl. die Ausführungen von H ENGEL, a.a.O., 483 f.). 25 Das Gebet und das Bekenntnis des Aristeas (Arist 17 f.20) würde jedem frommen Juden wohl anstehen, und auch der Hohepriester in Jerusalem lobt ausdrücklich die Ehrfurcht, die der König gegen »unseren Gott« hege (42). Auch die königlichen Hofbeamten sprechen von dem einen Herrscher des Alls (Arist 19; ähnlich der König in Arist 37). 23

168 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung erst recht die Ägypter und andere Völker, sowohl religiös wie ethisch als minderwertig hingestellt. Unbekümmert um monotheistische Tendenzen in der von ihm fleißig bemühten philosophischen Tradition26 und selbst ohne Rücksicht auf seine eigenen Aussagen, dass alle den höchsten Gott anbeten,27 behauptet er nun, dass nur die Juden den einen Gott anbeten würden (132f.). Alle anderen Menschen dagegen – hier nimmt der Aristeasbrief einen Topos der jüdischen Heidenpolemik auf 28 – würden Vielgötterei betreiben und das Werk ihrer Hände oder Schlimmeres wie lebende und tote Tiere vergöttlichen (134–138). Diese »Hohlheit« und »Nichtigkeit«29 der anderen Menschen, die sich in dieser falschen Gottesverehrung dokumentieren, gebieten den Juden die Abgrenzung, um von diesen µάταιοι δόξαι nicht infiziert zu werden, wie die eingangs zitierte Passage deutlich macht (138f.). Der Aristeasbrief geht aber noch weiter: Die falsche Gottesverehrung hat auch, wie im Folgenden gezeigt wird, ethische Konsequenzen: Da die anderen Menschen nicht den wahren Gott verehrten, würde sich bei ihnen alles nur um Essen, Trinken und Kleidung drehen. Daraus resultiert dann die Trennung der Menschen in zwei verschiedene Gattungen: Das eine sind die Juden, die sogar von den Oberpriestern der Ägypter als »Menschen Gottes« bezeichnet werden – eine Bezeichnung, die, wie der Aristeasbrief ausdrücklich betont, auch nur diesen allein zusteht (140)! Alle anderen dagegen sind Menschen der Speisen, Getränke und Kleidung; denn all ihr Streben richtet sich darauf. (140 f.)

Nochmals werden dem antithetisch die Juden entgegengestellt: Bei uns aber hat dies [sc. Speisen, Getränke und Kleidung] gar keinen Wert; wir betrachten das ganze Leben lang Gottes Herrschaft. (141)

Daraus folgt dann nochmals wie von selbst als Konsequenz die jüdische Absonderung durch die »eisernen Mauern« (vgl. 139) der Reinheitsgebote: Damit wir nun nicht besudelt und durch schlechten Umgang verdorben werden, zäunte er uns von allen Seiten mit Reinheitsgeboten ein (περιέφραξεν ἁγνείαις) in Bezug auf Speisen und Getränke und Berühren, Hören und Sehen. (142)

26 Vgl. auch die Aussage des (vom Verfasser des Aristeasbriefes in das Festbankett eingeführten) Philosophen Menedemos von Eretria, der seine Übereinstimmung mit den Aussagen des jüdischen Weisen folgendermaßen ausdrückt: »Da die Vorsehung das All regiert und sie der richtigen Auffassung sind, dass der Mensch ein Geschöpf Gottes ist, folgt, dass alle Macht und Schönheit der Rede mit Gott einsetzt« (Arist 201). 27 Vgl. Arist 16; wie gezeigt, wird diese rechte Gottesverehrung auch an Aristeas und anderen Mitgliedern des Hofes beispielhaft gezeigt. 28 Vgl. Jes 44,9–20; Jer 10,3–5; SapSal 13 f.; EpJer 7 ff. 29 So Arist 137 über die Griechen. Gegenüber Ägyptern und anderen Völkern wird diese Abwertung noch gesteigert (Arist 138: πολυµάταιοι; vgl. Röm 1,21).

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Auch in der folgenden allegorischen Auslegung der Reinheitsgebote kehrt dieses Motiv wieder – wiederum verbunden mit der bewussten Absetzung von der verderbten Lebensweise (fast) aller anderen, wobei diese pauschal sexueller Ausschweifungen und Verirrungen bis hin zur Blutschande bezichtigt werden: Die Paarhufigkeit der erlaubten Haustiere verweist nicht nur auf die Forderung, im Blick auf die Gerechtigkeit zu unterscheiden (διαστέλλειν), sondern zeigt auch an, »dass wir uns von allen Menschen unterscheiden (διεστάλµεθα). Denn die meisten übrigen Menschen beflecken sich durch Geschlechtsverkehr, wobei sie großes Unrecht begehen, und ganze Länder und Städte rühmen sich dessen (noch). Sie verkehren nämlich nicht nur mit Männern, sondern beflecken auch Mütter und Töchter. Wir aber halten uns davon fern (διεστάλµεθα). (150–152)

4. Der Zusammenhang zwischen Akkulturation und Abgrenzung im Aristeasbrief Das Bisherige hat gezeigt, dass das Verhältnis des Aristeasbriefes zur umgebenden hellenistisch-paganen Welt zweifach zu bestimmen ist: Auf der einen Seite tut der Autor alles, um das Judentum als religiös und ethisch überlegen, ja einzigartig zu erweisen. Wichtige Schlüsselbegriffe hat er dem Wertesystem seiner paganen Umgebung entnommen. Der Briefroman scheut sich nicht, das Judentum weitgehend mithilfe popularphilosophischer Kategorien zu beschreiben, zu erklären und damit als attraktiv darzustellen.30 Die Deutung der Tora dokumentiert so die weitgehende Akkulturation seines Verfassers an hellenistisches Denken und Empfinden. Auf der anderen Seite aber rechtfertigt jener anonyme Diasporajude des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ohne jede Einschränkung die jüdische Absonderung von anderen Gruppen,31 und er zögert nicht, dies durch eine schroffe Ablehnung der paganen Religiosität und Lebensweise zu begründen, wobei er offensichtlich auch keine Bedenken hat, auf die einschlägigen Klischees der traditionellen Heidenpolemik zurückzugreifen und dem frommen und

30 Hier ist der Aristeasbrief wegweisend: Philon und Josephus sind ihm gefolgt, indem sie sowohl das Judentum als Ganzes wie die einzelnen jüdischen Bewegungen in Analogie zu hellenistischen Vorbildern, vor allem zu Philosophenschulen, erklären. 31 Auch hierin ist der Aristeasbrief ein typischer Vertreter des Diasporajudentums, das zum einen die griechische Sprache annimmt und sich mit der griechischen Kultur intensiv auseinandersetzt, andererseits aber an seinem von der Tora vorgeschriebenen Lebenswandel festhält. Ein bemerkenswertes Zeugnis über dieses Verhalten auch einfacher Menschen gibt eine Abrechnung aus dem Zenonarchiv (CPJ 10), die zeigt, wie ein jüdischer Tagelöhner strikt den Sabbat einhält.

170 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung gottesfürchtigen Juden den götzendienerischen und lasterhaften »Heiden« gegenüberzustellen.32 Dabei versucht dieser Briefroman jedoch auch, die aufgezeigten, einander ja direkt widerstreitenden Tendenzen auf eine spezifische Weise miteinander zu verbinden. Denn er bemüht sich nicht nur, das Judentum und seine Geschichte positiv darzustellen und die Tora durch die allegorische Interpretation hellenistischem Denken plausibel zu machen. Das tun auch andere Juden seiner Zeit wie Aristobul. Der Verfasser des Aristeasbriefes geht hier aber weiter als seine Glaubensgenossen (soweit die dürftige Quellenlage ein solches Urteil erlaubt), indem er versucht, auch die spezifisch jüdische Lebensform mit den besonders anstößigen Reinheitsgeboten und die dadurch bedingte Absonderung der Juden von allen anderen Menschen vor dem Forum der hellenistischen Welt zu begründen. Es ist hilfreich, sich die Argumentation des Hohenpriesters nochmals im Zusammenhang zu vergegenwärtigen. An den Beginn der Ausführungen wird der allgemeine Grundsatz gestellt, dass der Umgang mit Anderen den Charakter eines Menschen prägt, und zwar sowohl im Guten wie im Schlechten (130). Als Nächstes stellt der Hohepriester – zunächst ohne erkennbaren Zusammenhang mit Ersterem – fest, dass die zentralen Anliegen der jüdischen Gebote εὐσέβεια und δικαιοσύνη seien (131). Damit wiederum, so die weitere Ausführung, sei vor allem der strikte Monotheismus gemeint (132). Dazu gehöre auch der Glaube an die Omnipräsenz Gottes, der alles Schlechte sehe, und zwar nicht nur dasjenige Böse, das gerade getan wird, sondern auch das, das geplant wird (133). Indem der eine Gott so als ›Herzenskenner‹33 vorgestellt wird, wird implizit deutlich gemacht, dass der jüdische Monotheismus auch eine ethische Dimension hat. Von diesem jüdischen Selbstverständnis werden nun auf das Schärfste alle anderen Menschen abgesetzt, die den verschiedensten Götzen anhängen (134–138) und – als Folge davon – der Sinnlichkeit ergeben seien (140f.). Auf dem Hintergrund dieser Entgegensetzung wird nun die Funktion des in Arist 130 aufgestellten Grundsatzes deutlich, dass der Umgang mit anderen Rückwirkungen auf den eigenen Charakter hat: Er entpuppt sich nun als Obersatz in einem Schlussverfahren, der – mit dem Untersatz verbunden, dass alle anderen Menschen religiös und ethisch verderbt sind – die conclusio ergibt, dass für die Juden die Absonderung von allen anderen sowohl aus religiösen (139) wie aus ethischen Gründen (142) eine allgemein einsichtige Notwendigkeit ist.

32

Hier wird nun bezeichnenderweise nicht mehr zwischen Griechen und Ägyptern unterschieden! 33 Die Bezeichnung Gottes als καρδιογνώστης (vgl. Apg 1,24; 15,8) findet sich im Aristeasbrief zwar nicht, wohl aber die damit bezeichnete Vorstellung.

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Der dieser Argumentation zugrunde liegende Gegensatz zwischen den Weisen und den Unverständigen ist samt den hier entfalteten religiösen und ethischen Implikationen ein gängiger Topos der jüdischen Weisheit.34 Der Verfasser nimmt hier – wie auch anderswo35 – eine jüdische Tradition auf, deren konkrete Ausprägung aber im Kontext popularphilosophischer Vorstellungen erfolgt. Da dies für das Vorgehen und das Verständnis des Aristeasbriefes nicht unwichtig ist, soll es im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt werden.

5. Die Rechtfertigung der jüdischen Sonderexistenz vor dem Forum der hellenistischen Welt Die Antithese zwischen dem wahren Weisen, dem Philosophen, auf der einen und der in Vorurteilen und Irrtum befangenen Masse auf der anderen Seite ist auch eine Grundfigur philosophischer Argumentation. Für Platon und Aristoteles hat dies H.-D. Voigtländer aufgezeigt: »›Die Vielen‹ dienen dort, wo nicht von der politischen Masse im Staat die Rede ist, dem philosophischen Denken in fester antithetischer Begriffsprägung als Nicht-Philosophen zur Folie; vor dieser Folie soll die höhere Wahrheit in ihrer Besonderheit und besonders zugleich in ihrem Bezug auf den Bios, in dem der Mensch die wahre Eudaimonie verwirklichen soll und dessen meist radikale Änderung, die von der höheren Wahrheit aus nötig geworden ist, dann protreptisch gefordert ist, klar und eindringlich heraustreten.«36 Dabei sind es zwei Kritikpunkte, die häufig hervortreten und auch die Argumentation des Aristeasbriefes prägen: 1. Im Zusammenhang mit dem elitären Selbstbewusstsein der Philosophen begegnet immer wieder die Kritik an den religiösen Überzeugungen der Menge. Besonders die Kritik an der Volksreligion hat eine lange Tradition. Schon Platon hatte deren Reinigung nach philosophischen Kriterien empfohlen (Rep. II,379a). Nach Epikur ist nicht der gottlos (ἀσεβής), der nicht an die Götter glaubt, sondern der, der die Überzeugungen der Menge mit ihnen verbindet (ὁ τὰς τῶν πολλῶν δόξας θεοῖς προσάπτων).37 Verstärkt äußert sich diese Kritik in der hellenistischen Zeit als Kritik am Polytheismus, verbunden mit der Betonung des Monotheismus als einziger wirklich adäquater Gottesverehrung. Panaitios hatte eine dreifache Art von 34

Spr 3,35; 8,1 ff.; 10,13 f.; 11,29; 12,1.15 f.23; 13,16.20; 14,6–8; 15,20–24 u. ö. Für die Weisheit ist diese Gegensatzbildung überhaupt charakteristisch; vgl. auch die Entgegensetzung Gerechter – Gottloser bzw. Frevler, Reicher – Armer etc. 35 Vgl. Arist 132, wo das Bekenntnis zum Monotheismus an Dtn 6,4 anklingt. 36 H.-D. VOIGTLÄNDER, Der Philosoph und die Vielen, Wiesbaden 1980, 618. 37 Epikur, Men. 123.

172 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Religion unterschieden: die als Person gedachten Naturkräfte, die Staatsreligion und den Mythos (tripertita theologia). Dabei ging er als Stoiker davon aus, dass allein der Logos Repräsentant der wahren Gottheit ist.38 Von daher erscheinen die anderen Arten der Religion zumindest als mit Irrtum vermischt. Poseidonios hat diesen Gedanken weitergeführt und ihn in sein Entwicklungsschema eingefügt: Nach ihm kannten die ersten Menschen nur den bildlosen Kult,39 den sie erst im Laufe der Zeit verloren hatten. Aufgabe der Philosophie sei es, diese reine Form der Gottesverehrung zu erneuern. Besonders interessant ist dabei die Tatsache, dass vermutlich40 Poseidonios den bildlosen Kult der Juden als erhalten gebliebenes Zeugnis dieser ursprünglichen reinen Gottesverehrung betrachtete: Mose, ein ägyptischer Priester, sei – so Poseidonios – mit seinen Anhängern nach Judäa gezogen, weil er mit der ägyptischen Religion nicht zufrieden gewesen sei: »Weder die Ägypter noch die Libyer hätten eine richtige Ansicht von der Gottheit, wenn sie dieselbe wilden Tieren oder dem Vieh ähnlich bildeten; aber auch die Hellenen, die ihre Götter in Menschengestalt formten, seien im Unrecht. Denn dieses eine Wesen sei Gott, das uns alle, Erde und Meer umfasse und das wir Himmel, Welt, Natur des Seienden nennen.«41

Poseidonios nennt hier Argumente, wie sie auch der Aristeasbrief benützt. Das gilt besonders für die Kritik an den Tiergöttern der Ägypter; bei der Kritik an den menschengestaltigen Göttern der Griechen (Arist 135ff.) bedient sich der Aristeasbrief zusätzlich der Argumente des Euhemerismus, der die Götter als Divinisierung früherer Wohltäter erklärt hatte.42 2. Ebenso alt ist die philosophische Kritik an der Lebensführung der Masse, die der Sinnlichkeit verhaftet sei und der die philosophische Existenzweise entgegengesetzt wird. Besonders bei Stoikern und Kynikern findet man immer wieder die Kritik an einer Lebensführung, die Kleider, 38 Vgl. M. P OHLENZ, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 1978, 198. 39 Nach Herodot (Hist. I,131) geht diese Vorstellung bereits auf die Perser zurück; vgl. SIEGERT, Predigten II (Anm. 19), 76. 40 Der im Folgenden zitierte Text ist bei Strabon XVI,2,35 ff. überliefert; vgl. W. THEILER, Poseidonios. Die Fragmente, Band I: Texte, Berlin/New York 1982, Frgm. 133; zur Herkunft dieses Abschnittes vgl. die Zusammenfassung der Diskussion bei W. T HEILER , Poseidonios. Die Fragmente, Band II: Erläuterungen, Berlin/New York 1982, 96 f.; siehe auch POHLENZ, Stoa (Anm. 38), 234. 41 Strabon XVI,2,35; Übers. nach E. NORDEN, Jahve und Mose in hellenistischer Theologie, in: Festgabe für Adolf von Harnack, Tübingen 1921, 292–301, hier 292 f.; vgl. POHLENZ, Stoa (Anm. 38), 234. Interessanterweise werden im Folgenden von Poseidonios die Beschneidung und die Speisegebote als Aberglaube und Folge späterer Entartung kritisiert. 42 Vgl. dazu die Ausführungen von M. P. N ILSSON, Geschichte der griechischen Religion, Zweiter Band: Die hellenistische und römische Zeit (HAW V/2,2), München 31974, 283 ff. Zur Aufnahme dieser Kritik im Judentum vgl. H ENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 4), 484 f. 5

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Speise und Trinken, Ehrgeiz und anderes in den Mittelpunkt stellt und so an der göttlichen Vernunft vorbeilebt. So heißt es im Zeushymnus des Kleanthes: Ihr [sc. der göttlichen Vernunft] zu entweichen versuchen die Menschen, die Böses erwählten, ziehen nur Unheil sich zu. Nach Gutem streben sie alle, aber für Gottes Gesetz sind Augen und Ohr verschlossen. Folgten sie ihm in Vernunft, dann hätten sie seliges Leben. Aber sie selbst sind ohne Vernunft; es lockt sie ein Wahnbild hierhin und dorthin. Es müht sich der eine in törichtem Wettstreit, Ruhm zu erlangen und Ehre, den andern treibt die Gewinnsucht ziel- und wahllos umher, der dritte kennt einzig das Streben, Lust zu verschaffen dem Leib, ihm süßes Nichtstun zu gönnen. Gutes ersehnt sich ein jeder, doch irre gehen sie alle, streben gerade nach dem, was dem wahren Guten zuwider. 43

In Abgrenzung von dieser törichten Masse wird vom weisen Menschen die ganze Ausrichtung seines Lebens auf Gott verlangt. 44 Wenn daher der Aristeasbrief sagt, für die Juden stellten Speise, Trank und Kleidung »keinen Wert« dar (Arist 141: ἐν οὐδενὶ ταῦτα λελόγισται), stattdessen betrachteten sie vielmehr ihr ganzes Leben lang die Herrschaft Gottes (περὶ δὲ τῆς τοῦ θεοῦ δυναστείας διʹ ὅλου τοῦ ζῆν ἡ σκέψις αὐτοῖς ἐστιν), so formuliert er ein Ideal, das in ähnlicher Weise45 auch die kynisch-stoische Diatribe als Lebensziel preist.46 Die Strategie des Aristeasbriefes besteht also darin, dass er bewusst auf einen philosophischen Topos anspielt, auf die Unterscheidung zwischen dem Weisen und der von fehlerhaften Überzeugungen beherrschten Menge (mitsamt den entsprechenden ethischen Implikationen). Diese Unterscheidung ermöglicht es ihm, innerhalb der paganen Welt selbst eine grundsätzliche Trennung durchzuführen: Auf die eine Seite kommt all das zu stehen, was dem Verfasser des Aristeasbriefes als wertvoll und gut erscheint, und dieses wird mit der jüdischen Gottesverehrung und der daraus entspringenden Weisheit und dem Ethos der Tora identifiziert. Umgekehrt wird alles 43

SVF 1, 122, Nr. 537,18–27. Übers. von P OHLENZ, Stoa (Anm. 38), 110. Vgl. Epiktet, Diss. I,9,1 ff., wo allerdings das Ideal des einfachen, von den Fesseln der irdischen Existenz sich nicht abhängig machenden Lebens sich kritisch gegen die Lebensführung der Philosophen selbst wendet. 45 Nur die Anspielung auf die Gottesherrschaft verrät jüdisches Gepräge. 46 Sehr schön zeigt dies – allerdings in der Anklage – Epiktet in dem oben schon erwähnten Text: »Wir aber denken ja über uns selbst [im Gegensatz zur Gottverwandtschaft, die das wahre Wesen des Menschen ausmacht] wie Bäuche, wie Eingeweide, wie Schamteile, weil wir von Furcht und Begierde beherrscht sind. Die dafür nützlich sein können, denen schmeicheln wir, und vor denselben Leuten haben wir Angst« (Diss. I,9,26). Im Aristeasbrief klingt dieses Ideal bereits am Anfang in der Anrede des Aristeas an seinen Bruder an (Arist 5–8). 44

174 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung das, was der Verfasser in der paganen Welt ablehnt, einseitig mit den anderen identifiziert und so als Wesensmerkmal des »Heidentums«47 behauptet. Im Ergebnis stehen sich dann die Juden (samt den paganen Weisen als ›anonymen Juden‹!) als wahre philosophische Gemeinschaft und die anderen Menschen als Götzen- und Bauchdiener gegenüber. Mit dieser Unterscheidung innerhalb der paganen Welt nach den in dieser zum Teil selbst anerkannten religionsphilosophischen und ethischen Kriterien kann nun der Verfasser des Aristeasbriefes die kultisch bedingte Absonderung der Juden als Ausdruck bzw. Konsequenz ihrer religiösen und ethischen Überlegenheit einsichtig machen. Das Judentum wird dabei gewissermaßen mit dem Ideal der hellenistischen Welt identifiziert, die Juden verkörpern nach der Darstellung des Aristeasbriefes in geistig-religiöser wie in ethischer Hinsicht das, was die anderen erstreben. Das zeigt sich auch daran, dass der Anerkennung durch den König, seine Hofbeamten und die Philosophen, also gewissermaßen durch den ›edelsten Teil‹ der hellenistischen Welt, im ganzen Werk eine so große Bedeutung zukommt.48

6. Die Adressaten und die Abzweckung des Aristeasbriefes Der Aristeasbrief ist sicher auch eine Propagandaschrift, die den griechischmakedonischen Mitbürgern den hohen Wert des Judentums vermitteln49 und damit nicht zuletzt zur gesellschaftlichen Anerkennung der Juden in 47 Der Aristeasbrief spricht nicht direkt von den »Heiden«. Die einzige Stelle, wo der Begriff τὰ ἔθνη begegnet, ist bezeichnenderweise jene bemerkenswerte Passage Arist 139, in der der Hohepriester die Absonderung der Juden von allen anderen Völkern rechtfertigt. Allerdings wird das auch hier so formuliert, dass es den Juden geboten sei, sich »mit keinem der anderen Völker (µηδενὶ τῶν ἄλλων ἔθνων) zu vermischen«. Der Begriff der anderen ἔθνη impliziert aber doch wohl, dass man sich terminologisch auch als ἔθνος verstehen kann. Die Rede von den »Heiden« ist – mit Anführungsstrichen – dennoch gerechtfertigt, weil der Aristeasbrief die Juden explizit von allen Nichtjuden als eine besondere, den anderen religiös und ethisch überlegene Gemeinschaft unterscheidet. 48 Selbst die sonst verachteten Ägypter werden da zu Kronzeugen, wenn ihre Oberpriester die Juden »Menschen Gottes« nennen (Arist 140). Im Gegensatz zur Kritik der Ägypter und ihres Kultes als dumm (138) heißt es nun, dass die ägyptischen Priester »in vieles Einblick haben und vertraut sind mit (göttlichen) Dingen« (140). 49 Vor allem in der frühhellenistischen Zeit wurden die Juden zum Teil als »barbarische Philosophen« betrachtet (Hekataios von Abdera, Megasthenes, Klearchos von Soloi), und der Monotheismus in Verbindung mit einem ethischen Rigorismus und einer eng verbundenen Gemeinschaft übte auf die Umgebung einen gewissen Reiz aus (vgl. H ENGEL, Judentum und Hellenismus [Anm. 4], 464 ff.). Andererseits verstärkte sich gerade in Ägypten und vor allem in Alexandria – nicht zuletzt aufgrund politischer und sozialer Entwicklungen – die Ablehnung der Juden, und zwar sowohl durch die Griechen wie durch die Ägypter. Alexandria ist der Ursprungsort des antiken Antijudaismus.

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Alexandria bzw. im Ptolemäerreich beitragen sollte. Man kann jedoch fragen, ob die paganen Mitbürger wirklich die Hauptadressaten und Leser dieses Werkes waren. So unbedingt überzeugend ist der Versuch ja nicht, das jüdische Heiligkeitsgesetz mit seinen Reinheits- und Speisegeboten als Ausdruck ethischer und religiöser Überlegenheit darzustellen. Gebildete Griechen – auch wenn sie im Aristeasbrief umworben werden – haben wohl kaum den Juden das hier beanspruchte religiöse und ethische Wahrheitsmonopol zugestanden. Die sehr viel häufigere Reaktion – das zeigen auch die antiken paganen Schriftsteller – ist jedenfalls die Zurückweisung dieses Absolutheitsanspruchs als asoziale Überheblichkeit.50 Die Leser und primären Adressaten dieser Schrift dürften also weniger unter den griechischen Alexandrinern als unter Juden zu suchen sein. Dabei führt der Aristeasbrief einen Zweifrontenkrieg. Auf der einen Seite ist deutlich das Bemühen wahrzunehmen, die von der jüdischen Oberschicht in Alexandria vollzogene positive Auseinandersetzung mit der hellenistischen Kultur zu verteidigen. Das war nötig geworden, denn bei nicht wenigen Juden war dies durch das Verhalten der Jerusalemer Oberschicht unter Antiochos IV. Epiphanes diskreditiert worden, sodass sie einen Bruch mit der griechischen Tradition forderten.51 Zugleich verfolgt der Aristeasbrief auch den Zweck, den gebildeten Juden die Ehrwürdigkeit und den Sinn ihres ›Gesetzes‹ nach den in ihrer Umgebung gültigen Maßstäben – genauer nach den Maßstäben der von den Juden bewunderten und nachgeahmten griechischen Oberschicht – verständlich zu machen. Im Grunde ist die ganze Schrift auch ein Versuch, die Erwählung Israels und das Bewusstsein seiner Aussonderung durch Gott unter völlig veränderten Bedingungen für das Diasporajudentum neu zu formulieren und zu begründen. Dies dürfte angesichts der Sogwirkung, die die hellenistische Bildung gerade auf gebildete jüdische Kreise selbst in Palästina52 und erst recht in der Diaspora53 auslöste, auch nötig gewesen sein. Der Aristeasbrief ist eine

50 Zu Hekataios s. o. Anm. 16; die dort schon anklingende negative Haltung zur jüdischen Lebensweise verstärkt sich in der Folgezeit – typisch ist etwa das Urteil von Tacitus, Hist. V,4 f., dass die Juden Bräuche hätten, die im Gegensatz zu allen Menschen stünden (V,4,1) und sie daher zwar untereinander zusammenhielten, gegenüber allen anderen Menschen aber feindlich gesinnt seien (V,5,1: »… sed adversos omnes alios hostile odium«). 51 Vgl. HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 4), 482. 52 Zu erinnern ist nur an den Versuch nach 175 v. Chr., aus Jerusalem eine hellenistische Polis zu machen, ein Versuch, der ja gerade von der Jerusalemer Oberschicht ausging (vgl. 1. und 2. Makkabäer). Schon vor dem Reformversuch polemisiert Sirach gegen solche Assimilation (41,8). 53 Philon wendet sich immer wieder erbittert gegen Apostaten, kann es aber nicht verhindern, dass selbst sein eigener Neffe, Tiberius Alexander, vom Judentum abfällt (und prompt eine Bilderbuchkarriere macht!).

176 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung auch nach innen gerichtete Apologie, sein Ziel ist hier die Vergewisserung der eigenen Identität durch eine zeitgemäße Interpretation der Tora.54 Das charakteristisch Jüdische dabei ist die Tatsache, dass diese Identität über das »Gesetz«, also über den Gehorsam gegen Gottes Weisung und die daraus resultierende Prägung der Lebensform, erreicht wird. Während die Begründungen und Erklärungen für die Tora bedenkenlos der paganen Philosophie entnommen werden, während pagane Traditionen und Überzeugungen überall zur Deutung des eigenen Glaubens herangezogen werden können bis dahin, dass selbst J HWH als Himmelsgott von dem fiktiven Hofbeamten Aristeas mit Zeus als oberster Gottheit und Weltschöpfer identifiziert wird, geht der Aristeasbrief im Blick auf den Gehorsam gegenüber dem konkreten Gebot der Tora keinerlei Kompromisse ein – gegenüber der Tora in ihrer griechischen Übersetzung, die nicht zuletzt durch diese Auslegung legitimiert wird! Das aber bedeutet unweigerlich eine Grenze für die Bemühung um Akkulturation und führt damit zu einer Belastung des Verhältnisses zu den Anderen. Zugleich ist nur dadurch die bemerkenswerte (und auch damals schon mit konkreten Nachteilen55 und wenig später auch mit viel Leid für die Betroffenen verbundene56) Tatsache zu verstehen, dass das Judentum als eigene Gruppe bestehen blieb und sich nicht in seine Umgebung hinein auflöste.

7. Tora und jüdisches Selbstverständnis nach dem Aristeasbrief Der Welt der griechisch-makedonischen Oberschicht Ägyptens ist der Verfasser des Aristeasbriefes zwar in Loyalität und Bewunderung verbunden, er steht ihr aber auch in kritischer Distanz gegenüber. Dabei repräsentiert er eine um ihren Stand und ihre Anerkennung ringende Minderheit. Als Apologie dieser Minderheit gebraucht der Briefroman die anderen als Mit54 Es ist kein Zufall, dass dies gerade in Ägypten besonders ansteht. Hier stehen die Juden zwischen den Schichten und Blöcken, weit über der autochthonen Bevölkerung, aber zugleich ohne Zugang zum begehrten Bürgerrecht (keine ἰσοπολιτεία). Hier sind die Anfechtungen zur Assimilation besonders groß – sowohl durch Bedrohung wie durch Verlockung –, und so wird es besonders nötig, seinen geistigen Ort zu finden. 55 Die religiös bedingte Absonderung der Juden war wohl einer der Hauptgründe, dass der alexandrinischen Judenschaft die volle bürgerliche Gleichberechtigung im Normalfall nicht möglich war, da die damit verbundenen Pflichten für einen orthodoxen Juden aus Glaubensgründen nicht einfach zu erfüllen waren (vgl. S MALLWOOD, Jews [Anm. 3], 234 f.; M. KASHER, The Jews in Hellenistic and Roman Egypt. The Struggle for Equal Rights [TSAJ 7], Tübingen 1985, 280). 56 Man denke nur an die Pogrome unter Flaccus, dann wieder im Jahr 66 n. Chr. und zuletzt an die weitgehende Ausrottung der alexandrinischen Juden nach dem Aufstand von 115–117.

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tel zum Zweck der eigenen Selbstdarstellung, und dies in doppelter Hinsicht: Auf der einen Seite werden sie als »Heiden« einseitig mit negativen Erscheinungen identifiziert und so gewissermaßen angeschwärzt, damit auf diesem dunklen Hintergrund das angebliche Eigene umso heller leuchten kann. Dieses vorgegebene Eigene aber ist ja, wie gezeigt, häufig gerade das Spezifische der Anderen. In Wahrheit knüpfen die Juden immer wieder an das »Heidentum« an. Diese Tatsache war dem Diasporajudentum auch immer bewusst und bedurfte der Rechtfertigung. Aristobul oder Philon sahen sich daher genötigt, ihre Anknüpfung an die hellenistische Welt durch den Vorwurf des Diebstahls der Philosophen auf diese zurückzuspiegeln und so das, was am »Heidentum« bewundert und anerkannt wurde, als in Wahrheit jüdisch zu behaupten. Der Aristeasbrief geht etwas eleganter vor: Er lässt die Vertreter der hellenistischen Welt vom König bis zu den Philosophen auftreten, damit diese durch ihre Anerkennung der überlegenen jüdischen Weisheit deren Eigenständigkeit und Unvergleichlichkeit bestätigen. Der Aristeasbrief ist also von einer typisch »sektiererischen« Strategie bestimmt: Die Anderen werden entweder als Negativfolie konstruiert oder als Steigbügelhalter vereinnahmt, um die Wahrheit des eigenen »Gesetzes« umso heller leuchten zu lassen. Ein solches ideologisches Vorgehen hinterlässt ein gewisses Unbehagen. Damit soll nicht die geistesgeschichtliche Leistung dieses sich auf der Grenze zwischen zwei Welten bewegenden alexandrinischen Juden geschmälert werden: Jenseits aller situationsbedingten Strategien mit ihren Einseitigkeiten, Verzerrungen und Widersprüchen ist dieses Werk ein frühes und eindrückliches Zeugnis für das Ringen des Diasporajudentums, zwischen der überlegenen hellenistischen Geisteswelt und dem Glauben der Väter ein Gespräch zu ermöglichen. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist eine Synthese, die sich griechischem Denken weit öffnet und zugleich die eigenen Wurzeln in der Tora nicht preisgibt, sondern diese allem Assimilierungsdruck zum Trotz ganz zentral in den Mittelpunkt des jüdischen Selbstverständnisses rückt. Diese Verbindung von bemerkenswerter Offenheit und zugleich rigoroser Traditionsgebundenheit hat es den jüdischen Adressaten ermöglicht, sich und ihren Glauben in einer veränderten Situation neu zu verstehen und ihm so treu zu bleiben. Nicht zuletzt waren es ägyptische Juden wie der Verfasser des Aristeasbriefes, mit denen jener für das Christentum und für das abendländische Denken insgesamt so wichtige Brückenschlag zwischen biblischem Glauben und griechischem Geist beginnt. Dazu gehört sicher auch, dass die Ethik zur Norm der Tora wird (vgl. Mt 7,12; 22,40 par.; Röm 13,10; Joh 15,12 u. ö.), ja zum Maßstab des Gottesgedankens (vgl. 1. Joh 4,8.16). Es ist bemerkenswert, dass die ethische Interpretation der Tora durch Jesus und das frühe Christentum geistesgeschichtlich vorbereitet wurde durch eine produktive Auseinandersetzung des Judentums mit der paganen Welt.

Der oberste Gott als Vater Die frühjüdische und frühchristliche Rede vom göttlichen Vater im Kontext stoischer und platonischer Kosmos-Theologie1 1. Gott als Vater im Neuen Testament Es ist ein Spezifikum der neutestamentlichen Rede von Gott, dass die Metapher ›Vater‹ nicht nur ein Gottesepitheton unter anderen ist, sondern – in einer in der Religionsgeschichte wohl analogielosen Weise – zum Namensäquivalent für Anrede und Bezeichnung des biblischen Gottes geworden ist. Nach dem einhelligen Zeugnis aller Evangelien ruft Jesus in seinen Gebeten seinen Gott als Vater an,2 er spricht von ihm als »(meinem) Vater« oder »deinem/eurem (himmlischen) Vater« oder vergleicht ihn mit einem Vater (Lk 15,11–32). In dem von ihm seinen Jüngern übergebenen Gebet, dem Vaterunser, wird »Vater« dann auch zur Gottesanrede der Jünger. Die dem jesuanischen »Abba, Vater« in Mk 14,36 entsprechende Anrufung Gottes durch die im Sohn adoptierten ›Gotteskinder‹ in Gal 4,6

1 Die Grundlage dieser Ausführungen bildet ein Vortrag bei einer von Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipold (Bern) in der Nähe Göttingens veranstalteten Ratio-Religionis-Tagung zu Plutarchs Theologie. 2 Mt 26,42; Mk 14,36 par. Mt 26,39; Lk 22,42; Lk 10,21 f. par. Mt 11,26 f.; Lk 11,2 par. Mt 6,9; Lk 23,(34).46; Joh 11,41; 12,27; 17,1. Auch wenn ein Gutteil dieser Gebete später gebildet worden sein dürfte, waren solche Nachbildungen doch nur möglich, weil es eindeutige Vorbilder gab. »Wir haben es also mit einem völlig eindeutigen Kennzeichen der ipsissima vox Jesu zu tun« (J. JEREMIAS, Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 59); vgl. auch M. H ENGEL, Abba, Maranatha, Hosanna und die Anfänge der Christologie, in: DERS., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV (WUNT 201), Tübingen 2006, 496–534; C. Z IMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden u. a. 2007, 41. Nur so erklärt es sich auch, warum die aramäische Anrede Abba als Ausweis der durch Christus ermöglichten Gotteskindschaft von Paulus nicht nur in den von ihm gegründeten galatischen Gemeinden (Gal 4,6), sondern auch in der fremden römischen Gemeinde (Röm 8,15) vorausgesetzt wird. Die ursprüngliche Beheimatung der alttestamentlichen Anrede Gottes als Vater im Königtum würde gut zum Messiasanspruch Jesu und seiner im Neuen Testament breit bezeugten Davidsohnschaft (Röm 1,3) passen.

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und Röm 8,15 sowie das (vermutlich bereits vorpaulinische)3 Syntagma θεὸς πατήρ »Gottvater« bestätigen, dass bereits für den Apostel Paulus die Metapher fast schon zu einem nomen proprium geworden ist. Der Philipperhymnus beschreibt dies in geradezu dramatischer Weise als einen aus dem Christusgeschehen resultierenden doppelten Namenswechsel: Indem der sich bis zum Tod am Kreuz erniedrigende Christus von Gott zum ›Allerhöchsten‹ eingesetzt und dabei ihm der Titel Kyrios übertragen wird, der als »Name über jedem Namen« das griechische Äquivalent für das Tetragramm der hebräischen Bibel darstellt (vgl. Phil 2,9–11), erweist darin, wie der Schlusssatz des Hymnus betont, Gott seine Ehre als Vater (Phil 2,11). Christiane Zimmermann spricht daher zu Recht bei Paulus von der »Vaterschaft als zentrale[r] Qualität Gottes«. 4 In den Evangelien lässt sich dann entsprechend eine schrittweise Ersetzung des Appellativums θεός durch »Vater« beobachten: Bei Johannes, dem jüngsten Evangelium, findet sich πατήρ bereits deutlich häufiger als θεός.5 In diesem Zusammenhang lässt sich noch eine zweite Entwicklung beobachten. Während Paulus und die unter seinem Einfluss stehende Briefliteratur vorzugsweise das Syntagma θεὸς πατήρ »Gottvater« oder θεὸς und πατήρ parallel verwendet, wird das absolute »Vater« als Synonym für Gott, das sich vorher nur an wenigen (allerdings meist zentralen) Stellen findet,6 dann im Johannesevangelium bestimmend.7 Gottes Vaterschaft ist das Herzstück der christlichen Rede von Gott. Diese Entwicklung ist umso erstaunlicher, als das Alte Testament, die (alleinige) Heilige Schrift der frühen Christen, die Anrede sowie die Be3 Gal 1,1; Phil 2,11; Kol 3,17; 1. Thess 1,1; 2. Tim 1,2.4; Tit 1,4; 1. Petr 1,2; 2. Petr 1,17; Jud 1 u. ö.; vgl. dazu G. SCHNEIDER, Gott, der Vater Jesu Christi, in der Verkündigung Jesu und im urchristlichen Bekenntnis, in: DERS., Jesusüberlieferung und Christologie. Neutestamentliche Aufsätze 1970–1990 (NT.S 67), Leiden 1992, 3–38, bes. 32. 4 C. ZIMMERMANN, Gott und seine Söhne. Das Gottesbild des Galaterbriefs (WMANT 135), Neukirchen-Vluyn 2013, 152; vgl. 153: »Auch wenn Paulus die Vater-Bezeichnung an sich nur selten verwendet, so nimmt das Motiv der Vaterschaft jedoch an exponierter Stelle im Präskript (Gal 1,1 f.) und im Gebetsanruf der Glaubenden in der Briefmitte (Gal 4,6) eine zentrale Stellung ein. Gott ist Vater des präexistenten Sohnes, mit dessen Hilfe er die Menschen befreit, seine Vaterschaft allen Glaubenden gegenüber konstituiert und offenbart.« 5 Dort stehen insgesamt den ca. 300 Belegen für θεός bereits ca. 180 für πατήρ gegenüber. Dabei ist allerdings die Verteilung innerhalb der Evangelien keineswegs gleichmäßig. Vielmehr lässt sich im Vergleich der Evangelien noch einmal eine signifikante Steigerung beobachten: Im Markusevangelium, dem ältesten Evangelium (70 n. Chr.), finden sich erst vier Belege für Gott als Vater, beim zweitältesten, dem Lukasevangelium (etwa 80–85) sind es 17, im Matthäusevangelium (um 90) sind es dann schon 44 und beim jüngsten, dem Johannesevangelium (um 100), finden sich schließlich 120 Belege (ohne 8,19a; 16,17). 6 Vgl. Mk 13,32 par.; 14,36 par.; Mt 11,27 par. Lk 10,22; Lk 11,2; Gal 4,6; Röm 8,15. 7 Dementsprechend wird Gott im Apostolicum zweimal, im Nicaenum sogar sechsmal als »Vater« bekannt.

180 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung zeichnung Gottes als Vater bis auf ganz wenige Ausnahmen meidet, wohl in bewusster Abgrenzung von den Religionen der Mitwelt von Babylon über Ugarit bis Ägypten, denen die Bezeichnung des obersten Gottes im Pantheon als Vater durchaus vertraut war. Die zunehmende ›Umbenennung‹ Gottes von θεός und κύριος zu ›Vater‹ ist ein komplexer Vorgang,8 der – wie schon beim Philipperhymnus zu sehen war – primär mit der Christologie zu tun hatte. Zwar haben neuere Untersuchungen gezeigt, dass die Anrede Gottes als Vater im damaligen Judentum nicht einzigartig war,9 aber es ist doch »one of the most striking features of Jesus’ teaching«, dass Jesus Gott nicht nur als Vater anrief, sondern auch von ihm so als Vater sprach, dass »the memory of Jesus’ teaching on God as Father is deeply embedded in the Jesus tradition«. 10 Die Schlüsselstellung Jesu für die Rede vom göttlichen Vater spiegelt sich auch in den theologischen Reflexionen von Paulus bis Johannes, in denen entschieden daran festgehalten wird, dass die in der Vateranrede der Glaubenden zum Ausdruck kommende Gottesnähe durch den »Sohn (Gottes)«, also christologisch, vermittelt ist.11 Die dabei zu beobachtende geradezu exponentielle Zunahme der Rede von Gott als Vater ist nun aber nicht allein aus der Entfaltung der Christologie zu erklären, sondern hat wohl auch mit der Wechselwirkung mit der paganen Mitwelt zu tun, welche als Resonanzboden der christlichen Botschaft zur Popularität und auch teilweisen Neuakzentuierung der Vorstellung von der göttlichen Vaterschaft beigetragen hat. Im Kontext der griechisch-römischen Welt war die Rede vom obersten Gott als »Vater« seit Langem ein geläufiges Gottesepitheton,12 das vor allem Zeus/Jupiter als 8 Den Weg vom Gott Israels zum neutestamentlichen Vater haben Hermann Spieckermann und ich in unserer Gotteslehre nachgezeichnet; vgl. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, 51–92. 9 Vgl. L. DÖHRING, God as Father in Texts from Qumran, in: F. ALBRECHT/R. FELDMEIER (Hg.), The Divine Father. Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity (TBN 18), Leiden/Boston (Mass.) 2014, 107–135, bes. 130–132. 10 J. D. G. DUNN, Christianity in the Making, Band 1: Jesus Remembered, Grand Rapids (Mich.)/Cambridge (U.K.) 2003, 548. 11 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 8), 66–84. Dieser Mittelbarkeit der Vaterschaft Gottes entspricht es im Blick auf das ›kindliche‹ Gegenüber, dass bereits im Alten Testament nie vom »Sohn Jhwhs« bzw. den »Söhnen Jhwhs« die Rede ist. Dementsprechend werden auch im Neuen Testament die Glaubenden nur »Söhne/Kinder Gottes«, einmal bei Lukas »Söhne des Höchsten« (Lk 6,35) genannt. Beide Prädikate können auch auf Jesus bezogen werden, ebenso wie die umschreibende Bezeichnung »Sohn des Hochgelobten« (Mk 14,61). Jesu Besonderheit wird vor allem mit dem absoluten »der Sohn« ausgedrückt (Mt 1/Lk 10, sonst im Johannesevangelium und im Hebräerbrief) bzw. mit der Rede vom »einzig geborenen Sohn« (Joh 1,14; 3,16.18; Hebr 11,17; 1. Joh 4,9). Aber auch er wird niemals als υἱὸς κυρίου bezeichnet. 12 Zeus wird bei Homer geradezu stereotyp als πατὴρ θεῶν τε ἀνδρῶν τε, der »Vater der Götter und Menschen« bezeichnet, ein Epitheton, das auch die Überlegenheit und

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Herrn13 des Pantheons auszeichnete. Von der Theogonie aber war es nicht weit zur Kosmogonie, und so konnte die Rede vom göttlichen Vater in den philosophischen Kosmologien des Platonismus und der Stoa den engeren Bereich der mythischen Religion verlassen und das Weltverhältnis Gottes im Blick auf das, was man später als creatio prima und creatio continua bezeichnete, die Urheberschaft des Seienden sowie göttliche Herrschaft über den Kosmos und die darin beschlossene Fürsorge für die Wirklichkeit, ausdrücken. Bei Platon wird vor allem im Timaios der Demiurg mit dem Vaterprädikat bezeichnet.14 Im stoischen Kleantheshymnus wird Zeus als »Vater« angerufen. Zur Zeit des Neuen Testaments wird diesem Topos der göttlichen Vaterschaft nicht nur verstärkte Aufmerksamkeit zuteil, sondern er wird auch in einer neuen und vertieften Weise durchdacht, sowohl im Platonismus wie in der Stoa. Das soll zunächst in zwei Abschnitten anhand von zwei markanten Exponenten der Philosophie des ersten nachchristlichen Jahrhunderts gezeigt werden: Dion von Prusa (genannt Chrysostomos) und Plutarch von Chaironea. Bei Dions Reden steht vor allem die zwölfte, die »Olympische Rede oder vom Ursprung der Gottesvorstellung« im Mittelpunkt, in welcher der von Musonius stoisch geprägte Rhetor dem als Vater benannten Zeus Eigenschaften zuschreibt, die ihn in eine bemerkenswerte Nähe zu bestimmten Aspekten des biblischen Gottesgedankens rücken. Bei Plutarch sind es seine Erörterungen in der Quaestio Platonica 2, in denen der Mittelplatoniker den Schöpfergott als Vater noch einmal in eine besondere Beziehung zum Menschen rückt, die sich qualitativ grundlegend von seiner Beziehung zu allem anderen von ihm Geschaffenen unterscheidet. Zwar gehören Plutarch und Dion von ihren Lebensdaten her in die Spätzeit des Neuen Testaments,15 aber da die Überlieferungslage bei den Schriften der beiden besser ist als bei den meisten anderen Zeitgenossen, bieten sie besonders aufschlussreiches Material für das Verständnis der göttlichen Vaterschaft in den beiden zur Zeit des Neuen Testaments maßgeblichen Philosophenschulen. Dass dieser Vergleich dennoch keinen AnachronisHerrschaft des Obersten der Olympier auf den Begriff bringt. Dieses Gottesepitheton »Vater« wird dann breit bei den griechischen und römischen Dichtern aufgenommen (vgl. die zahlreichen Belege bei K. F. H. BRUCHMANN, Epitheta Deorum quae apud Poetas Graecos leguntur [ALGM Suppl. 1], Leipzig 1893 = Hildesheim 1965, 137–139 sowie I. B. CARTER, Epitheta Deorum quae apud Poetas Latinos leguntur [ALGM Suppl. 2], Leipzig 1902 = Hildesheim 1965, 53 f.). 13 Vgl. Hesiod, Theogonie. Werke und Tage. Griechisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von A. V. SCHIRNDING (Sammlung Tusculum), München/Zürich 42007, 47 ff. 14 Vgl. Tim. 28c; 37c; 41a; vgl. weiter Rep. VI,506e; VII,517b.c u. ö. 15 Dion von Prusa ist ca. 40 n. Chr. geboren; das letzte Zeugnis von ihm datiert aus den Jahren 110/111. Plutarch ist ca. 45 n. Chr. geboren, sein Todesjahr dürfte nach 120 liegen.

182 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung mus darstellt, wird in einem weiteren Abschnitt gezeigt, der sich mit der Rede vom göttlichen Vater bei dem jüdischen Religionsphilosophen Philon von Alexandria beschäftigt, der vor der Entstehung der neutestamentlichen Schriften gelebt hat (ca. 20 v. Chr. bis nach 40 n. Chr.). Dabei wird deutlich werden, dass das bei Dion und Plutarch breit Entfaltete nicht nur in der Frühzeit des Neuen Testaments bereits bekannt, sondern auch schon im gebildeten Judentum für die Deutung des biblischen Gottes rezipiert worden war. Daher können durch den abschließenden Vergleich zwischen den Philosophen (unter Einschluss Philons) und den neutestamentlichen Schriftstellern noch einmal holzschnittartig Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Rede vom göttlichen Vater hervorgehoben werden.

2. Die Güte des Kosmosgottes bei Dion von Prusa Dion von Prusa greift, wenn er vom göttlichen Vater spricht, vor allem auf die berühmte Bezeichnung des Zeus als »Vater der Götter und Menschen« bei Homer zurück (Or. 4,22; 36,32; 53,12). Er kann als Autoritäten aber auch Hesiod oder Pindar zitieren16 oder sich ganz allgemein auf eine Vielzahl von Dichtern beziehen, die »übereinstimmend den ersten und größten Gott Vater und König nennen« (Or. 36,36). Mit der allegorischen Neudeutung der überlieferten Götter reagierte erstmals Theagenes von Rhegion (spätes 6. Jh. v. Chr.) auf die Mythenkritik des Philosophen Xenophanes, der die homerischen Götter als Diebe, Ehebrecher und Betrüger bezeichnet hatte. Theagenes und seine Nachfolger betonten stattdessen, dass diese homerischen Texte einen tieferen Sinn hätten, den es zu entdecken gilt. Dieser allegorischen Methode als Instrument der Mythenerklärung bediente sich später besonders die Stoa.17 In diesem Zusammenhang erfolgte dann auch eine entsprechende Interpretation der Vaterschaft des Zeus. Diese bezeichnete bei Homer und überhaupt in der mythischen Tradition ja selten Zeus als Erzeuger – von den Göttern hat der Kronide nur wenige gezeugt, und mit der Erschaffung der Menschen wird er in den überlieferten Mythen kaum in Verbindung gebracht. Vielmehr bezog sich die Rede von der universalen Vaterschaft des Zeus schon bei Homer primär auf dessen Herrschaft über die Menschen und Götter.18 Die Stoa, die Zeus mit ihrem Kosmosgott identifizierte, bezog die Vaterschaft dann auch auf dessen Vorsehung, eine Herrschaft also, 16

In Or. 12,24 bezieht er sich auf Hesiod, in Or. 12,81 auf Pindar. Vgl. M. P. NILSSON, Geschichte der griechischen Religion, Zweiter Band: Die hellenistische und römische Zeit (HAW/V 2,2), München 21961, 257–268. 18 Vgl. H.-G. NESSELRATH, »Vater Zeus« im griechischen Epos, in: ALBRECHT/FELDMEIER , Divine Father (Anm. 9), 37–55. 17

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die neben dem Aspekt der gesetzmäßigen Bestimmung immer auch den der Fürsorge beinhaltet. Bereits Kleanthes hatte in diesem Sinn Zeus als Vater bezeichnet (SVF 1, Nr. 537,30), insofern er als κοινὸς λόγος die in allen Dingen wirkende Vernunft ist, die als κοινὸς νόµος diese durch vernünftige Gesetzmäßigkeit geordnete Wirklichkeit bestimmt (SVF 1, Nr. 537,8.20). Der Stoiker Cornutus interpretiert die homerische Rede vom »Vater der Götter und Menschen« dahin gehend, dass »die Natur des Kosmos Ursache der Existenz dieser Wesen ist, so wie ein Vater seine Kinder zeugt«, 19 betont also auch den Gedanken der Schöpfung. In der kaiserzeitlichen Stoa konnte es noch zu einer Vertiefung des religiösen Elements kommen, sodass nun die Vaterschaft Gottes stärker auch dessen persönliche Fürsorge zum Ausdruck brachte. So spricht der stoische Philosoph Epiktet, ein Zeitgenosse Dions, von Gott als πατὴρ … ὁ κηδόµενος, als dem »Vater, der sich kümmert« (Diss. III,24,16) und der als solcher auch als »Helfer und Beistand« angerufen werden kann (Diss. II,18,29). »Solche Töne bringen Epiktet in die Nähe einer persönlichen Frömmigkeit, wie sie das Christentum pflegt«. 20 Dion spitzt das im Blick auf den göttlichen Vater noch zu, indem er wiederholt die Vaterschaft des obersten Gottes durch die Begriffe κηδεµονία (Fürsorge) und πρᾳόν (Milde) und ihre Derivate ›definiert‹ (vgl. Or. 1,39; 2,75; 53,12). Zwar ist ihm auch die Macht des Zeus als Kosmosgott wichtig, aber diese bringt Dion bezeichnenderweise durchweg durch andere Epitheta21 zum Ausdruck: Vorzugsweise verwendet er das Prädikat »König« (βασιλεύς), das noch zum »großen König aller Könige« (Or. 2,75) gesteigert werden kann, aber auch mit Äquivalenten wie ἄρχων, Herrscher, oder πρύτανις, Fürst (Or. 12,22). Die Vaterschaft Gottes ist für ihn dagegen eindeutig mit dessen Güte verbunden. Geradezu axiomatisch heißt es in der ersten Rede: »König« heißt er [Zeus als oberster Gott] wegen seiner Herrschaft und Macht, »Vater« vermutlich wegen seiner Fürsorge und Milde. (Or. 1,40; Übers. W. E LLIGER)

Dementsprechend spielt die bei der Ausdeutung des Vater-Epithetons im Anschluss an den platonischen Timaios für Philon oder Plutarch im Vordergrund stehende Schöpfertätigkeit des göttlichen Vaters im Sinne der Ur-

19 Cornutus, Theol. graec. 9,1, in: Die Griechischen Götter. Ein Überblick über Namen, Bilder und Deutungen. Herausgegeben von H.-G. N ESSELRATH. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von F. B ERDOZZO/G. B OYS-STONES/H.-J. KLAUCK/ I. RAMELLI/A. V. ZADOROJNYI (SAPERE XIV), Tübingen 2009, 39. 20 H. GÖRGEMANNS, Religiöse Philosophie und philosophische Religion in der griechischen Literatur der Kaiserzeit, in: DERS., Philologos Kosmos. Kleine Schriften zur antiken Literatur, Naturwissenschaft, Philosophie und Religion, hg. v. R. H IRSCH-LUIPOLD/ M. B AUMBACH (STAC 73), Tübingen 2013, 249–268, hier 254. 21 Vgl. Or. 12,75: ἐπωνυµίαι.

184 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung heberschaft eine eher untergeordnete Rolle.22 Nicht der bei Platon parallel zum »Vater« gebrauchte »Macher« bestimmt das Verständnis der Metapher, sondern der von Homer parallel gebrauchte »König« als Metapher für die Weltherrschaft des obersten Olympiers. Dabei ist entscheidend, dass die beiden mit dem Doppelausdruck König und Vater zum Ausdruck gebrachten Eigenschaften der Herrschaft und der Fürsorge nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern miteinander verschränkt werden: So wie die Weltherrschaft des Zeus Bedingung der Möglichkeit seiner Fürsorge für den Kosmos ist, so bestimmt im Gegenzug seine Vaterschaft das Wesen seiner Herrschaft – und kann gerade deshalb auch für menschliche Herrscher zum Vorbild ihrer Machtausübung werden: Das Wesen des Zeus und die Art seiner Herrschaft läßt Homer an vielen Stellen deutlich werden, wenn er in aller Kürze Macht und Gesinnung des Zeus umreißen will, tut er das häufig mit der immer wiederkehrenden Wendung »Vater von Menschen und Göttern«. Damit will er sagen, daß die Sorge der Könige wie die eines besorgten Vaters sein müsse [πατρικὴ καὶ κηδηµονική], also getragen von Liebe und Freundlichkeit [µετ’ εὐνοίας καὶ φιλίας], und daß man Menschen niemals anders leiten und regieren dürfe als mit liebevoller Sorge, da auch Zeus sich nicht zu gut sei, Vater der Menschen genannt zu werden. (Or. 53,12; Übers. W. ELLIGER)

Wie stark das Vaterprädikat das Verständnis des Zeus prägt, zeigt die Art und Weise, wie Dion den Bildhauer Phidias das ikonographische Programm seiner Zeusstatue vorstellen lässt, indem er ihn von anderen Göttern, die Homer zum Teil als »furchterregend und schrecklich« (Or. 12,73) vor Augen stellt, gerade aufgrund seiner Vaterschaft abgrenzt: Unser Gott aber ist friedlich und in allen Zügen freundlich […]. Denn von allen Göttern wird Zeus allein ›Vater‹ und ›König‹ genannt […]. ›König‹ heißt er auf Grund seiner Herrschaft und Macht, ›Vater‹, denke ich, wegen seiner fürsorgenden Milde […]. Herrschaft und Königtum will die wuchtige Majestät der Gestalt offenbaren, den Vater und seine Fürsorge die milde Freundlichkeit. (Or. 12,74–77; Übers. W. E LLIGER)

Wer die Geschichten kennt, die Homer über Worte, Taten und Verhalten des »Vaters der Götter und Menschen« erzählt, der würde nicht unbedingt auf den Gedanken kommen, ihn von den anderen Göttern ausgerechnet aufgrund seiner Milde, Friedlichkeit und Freundlichkeit zu unterscheiden. Eindeutig steht hier die lange Tradition der stoischen Allegorese im Hintergrund, welche Zeus als den obersten Gott und Weltherrscher mit dem durch Fürsorge die Welt leitenden und erhaltenden stoischen Kosmosgott identifiziert und die homerischen Texte dementsprechend durch diese Brille liest. In einer allegorischen Auslegung des homerischen Zeus wird dieser so zum einen zum »Spender des Lebens«, anknüpfend an die übliche stoische Zeusallegorese, die anhand des doppelten Akkusativs ∆ία und

22

Vgl. Or. 36,60, weiter Or. 12,77.

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Ζῆνα23 den Gott als kosmisches Lebensprinzip versteht. Zugleich aber wird er zum »Vater, Retter und Beschützer der Menschen in einem« (Or. 12,74; Übers. W. ELLIGER). Die besondere Bedeutung der Vaterschaft des Zeus wird noch dadurch unterstrichen, dass Dion hervorhebt, dass Zeus »allein« von allen Göttern Vater genannt (Or. 1,39; 12,75) und bisweilen auch im Gebet so angesprochen wird (Or. 36,36). Dion kann dann auch die Vaterschaft des Zeus als Ausdruck einer Verwandtschaft der Menschen mit Gott verstehen,24 wobei diese allerdings nicht einfach gegeben ist. Die dazu vorhandene Anlage muss vielmehr in einem Gott entsprechenden Verhalten realisiert werden. Den Schlechten und Unedlen spricht Dion deshalb die Auszeichnung einer Gottesverwandtschaft ebenso ab wie den Feigen und Unfreien – nur die »guten Menschen« sind Gottes Verwandte (Or. 4,22).25

3. Der Vater als Erzeuger der Seele in Plutarchs Quaestio Platonica 2 Wenn Plutarch von dem Gott als Vater spricht, dann ist sein Gewährsmann nicht Homer oder ein anderer der Dichter, sondern Platon. Vor allem im Timaios wird von diesem der Schöpfer des Alls entweder einfach als πατήρ (Tim. 37c 7; 42e 6f.) oder mit dem Hendiadyoin als ποιητὴς καὶ πατήρ (Tim. 28c 3f.) bzw. δηµιουργὸς (καὶ) πατήρ (Tim. 41a 7; vgl. Politikos 273b 1f.) bezeichnet. Die Pointe der platonischen Rede vom göttlichen Vater besteht dementsprechend darin, dass dieser Gott den Kosmos hervorgebracht hat. Darauf nimmt Plutarch Bezug, wenn er seine Quaestio Platonica 2 mit der im Anschluss an Tim. 28c 3f. formulierten Frage eröffnet, warum Platon den obersten Gott (ἀνωτάτος θεός) mit einem Doppelausdruck als »Vater des Alls und Schöpfer (ποιητής)« bezeichnet. Im platonischen Prätext Tim. 28a 4f. bezieht sich der Ausdruck als Hendiadyoin auf Gott als Ursache (αἴτιον) der Welt. Plutarch dagegen nimmt eine Neuakzentuierung der platonischen Aussage vor, indem er die beiden Namen 23 Diogenes Laertius VII,147; Cornutus, Theol. graec. 2; vgl. ferner Chrysippos, SVF 2, 312, Nr. 1062; siehe dazu auch Z IMMERMANN, Namen (Anm. 2), 436–438. 24 Or. 4,22, vgl. Or. 12,77: ξυγγένεια. Wie die Dichter Gott den Vater und König aller vernunftbegabten Wesen nennen, so zeigt die »Lehre der Philosophen« die »gute und den Menschen zugetane Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch« (Or. 36,36–38). 25 Merkwürdigerweise schließt Dion an dieser Stelle auch Sklaven aus, was zu seinem sonstigen Werk nicht so recht passt, da er in seinen Reden immer wieder eine bemerkenswerte Parteinahme für Unterprivilegierte zeigt. Dafür, dass deshalb die Sklaverei hier metaphorisch gemeint sein könnte, spricht, dass Dion im Anschluss an diese Aussagen den Feigen und Unfreien die Gemeinschaft »mit den Göttern und guten Menschen« abspricht.

186 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung nun nicht mehr einem neutrischen αἴτιον, also einer unpersönlichen Ursache zuschreibt, sondern Gott – und zwar dem »obersten Gott«, was der platonische Schöpfer aller Wirkungsgeschichte des Timaios zum Trotz wohl nicht ist.26 In dieser Personalisierung zeigt sich bereits ein Theologisierungsprozess der Ontologie, der für den Platonismus der Kaiserzeit insgesamt charakteristisch ist.27 Diese Theologisierung gibt den folgenden Ausführungen eine neue Ausrichtung, indem Plutarch auf seine Ausgangsfrage, warum Platon den obersten Gott Vater nennt, drei mögliche Antworten diskutiert, wobei die dritte Antwort, welche für ihn richtige Aspekte der ersten und der zweiten Antwort kombiniert, seiner Meinung nach diejenige ist, welche der Ansicht Platons am meisten entspricht. Diese wird von ihm dann noch im Blick auf die Implikationen für die Seelenlehre und das darin beschlossene Gottesverhältnis ausgedeutet. Zunächst zur ersten Antwort, die man als die klassisch mythische bezeichnen könnte, insofern bei der Vaterschaft noch an einen realen Zeugungsakt gedacht ist: Ist es etwa deswegen, weil er der Vater der gezeugten Götter und der Menschen ist, wie ihn Homer bezeichnet, Schöpfer aber der vernunftlosen und unbeseelten Dinge? (1000e)

Diese Deutung scheint freilich für Plutarch derart unpassend zu sein, dass er es nicht einmal für nötig hält, dazu explizit Stellung zu beziehen. Dass er sie überhaupt erwähnt, hängt wohl damit zusammen, dass Plutarch hier eine Unterscheidung zwischen dem »Schöpfer/Macher« und dem »Vater« vorgespurt sieht, die für seine Auseinandersetzung mit der im Folgenden referierten stoischen Position von Bedeutung ist. Die zweite Deutung interpretiert die beiden Begriffe »Macher« und »Vater« als Hendiadyoin und deutet Vater, »eine Metapher gebrauchend«, als »Urheber« (αἴτιον) des Kosmos (1000f). Der Fortschritt zur ersten Deutung besteht darin, dass hier eine übertragene, und das heißt: eine philosophische, Deutung der Vatermetapher geboten wird. Der Nachteil dieser Deutung besteht in den Augen des Mittelplatonikers natürlich darin, dass sie monistisch ist, indem das gesamte Sein in gleicher Weise auf einen einzigen göttlichen Ursprung zurückgeführt wird. Deshalb führt Plutarch die dritte, seiner Meinung nach richtige Deutung, die in gewisser Weise 26 Zur platonischen Gottesvorstellung im Timaios vgl. H. GÖRGEMANNS, Kosmologie – Kosmogonie – Schöpfung. Entwicklung der Grundkonzepte im griechischen Denken, in: DERS., Philologos Kosmos (Anm. 20), 303–323, hier 310: »Diese Welt ist von einem intelligent planenden Wesen konstruiert, das er [sc. Platon] (wie Xenophon) ›Demiurgos‹ nennt; aber die Schilderung dieses Schöpfungsvorganges gleitet manchmal ins Humoristische ab, wenn dieser Demiurg hämmert, nietet, biegt und schweißt. Dies ist kein Gott, den man ernsthaft verehren könnte«. 27 Vgl. F. FERRARI, Gott als Vater und Schöpfer. Zur Rezeption von Timaios 28c3–5 bei einigen Platonikern, in: A LBRECHT/FELDMEIER, Divine Father (Anm. 9), 57–69.

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Aspekte der ersten und der zweiten Antwort kombiniert, mit der Frage ein, ob man nicht logischerweise zwischen Vater und Schöpfer unterscheiden müsse: Oder unterscheidet er den Vater vom Schöpfer und die Erzeugung von der Entstehung? Während nämlich das Geborene auch entstanden ist, kann man im Gegenzug keineswegs sagen, dass der Erzeuger auch etwas hervorgebracht hat, denn die Entstehung von Beseeltem ist Geburt. (1001a)

Aus dem bereits am Beginn in 1000e Gesagten wird also die Deutung aufgegriffen, dass zwar die ganze Wirklichkeit auf Gottes Wirken zurückzuführen sei, dass dabei aber zwei Formen göttlicher Wirksamkeit zu unterscheiden sind: Erschaffen und Erzeugen. Plutarch nimmt das in 1001c wieder auf. Er unterscheidet zwischen zwei göttlichen Tätigkeiten, die er auf die beiden Gottesbezeichnungen verteilt. Daraus resultiert dann auch eine zwiefache Stellung des Seienden zu diesem göttlichen Ursprung: Das eine sind die Dinge, die Ergebnis des Machens sind und – wie jedes Produkt – nach ihrer Fertigstellung völlig unabhängig von ihrem Urheber existieren (1001a). Das ist bei etwas Erzeugtem anders – bei ihm bleibt ein Teil des Erzeugers selbst erhalten: Dem Geborenen dagegen ist der Ursprung und das Vermögen (δύναµις) des Erzeugers beigemischt und hat sich mit seiner Natur vereint, als Stückchen und Teil des Erzeugers. (1001a)

Diese Unterscheidung von γένεσις (Entstehung) und γέννησις (Geburt) wird nun auf den Kosmos als Ganzen übertragen. Dieser ist deshalb »Kosmos«, weil Gott der Materie Anteil an seiner Göttlichkeit und Lebendigkeit, d. h. an seinem Wesen gegeben hat. Er ist somit nicht nur ein Werk, sondern ein Teil Gottes. Deshalb heißt Gott nicht nur Schöpfer, sondern auch Vater. »Mit der biologischen Metapher [sc. Gott als Vater] will Plutarch eine ontologische Beziehung zwischen dem Gott Vater und der Weltseele herstellen.«28 Da nun der Kosmos nicht Produkten gleicht, die geformt oder zusammengefügt wurden, sondern in ihm ein großer Anteil an Lebendigkeit und Göttlichkeit ist, welchen der Gott von sich selbst der Materie einsäte und mit ihr vermischte, so legt er ihm mit Recht zugleich die Bezeichnung Vater des Kosmos, weil dieser ein Lebewesen wurde, und Schöpfer bei. (1001b)

»Hinter der biologischen Metapher steht eine ziemlich präzise philosophische These: nach Plutarch überträgt Gott der Weltseele einen Teil seiner selbst«. 29 Nach Meinung Plutarchs entspricht dies, wie gesagt, am ehesten 28

F. FERRARI, Der Gott Plutarchs und der Gott Platons, in: R. H IRSCH-LUIPOLD (Hg.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder (RGVV 54), Berlin/New York 2005, 13–25, hier 20. 29 Ebd.

188 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung der Ansicht Platons. Plutarch selbst geht jedoch noch weiter und fordert dazu auf, aus diesem doppelten Ursprung weitere Folgerungen für die ontologische Beschaffenheit des auf die eine oder andere Weise Hervorgebrachten zu ziehen. Denn der sich einem doppelten göttlichen Handeln verdankende Kosmos besteht demzufolge aus zwei unterschiedlichen Entitäten, aus Leib und Seele. Dabei wurde der Leib von Gott aus der Materie, die sich dafür anbot, geformt und zusammengefügt. Das Ungestaltete (ἄπειρον) erhielt so eine konkrete Gestalt. Anders verhält es sich dagegen mit der Seele: Die Seele aber, die am Geist (νοῦς) Anteil hat und an der Vernunft (λογισµός) und an der harmonischen Ordnung, ist nicht nur ein Werk Gottes, sondern auch ein Teil, und sie entstand nicht durch ihn, sondern von ihm und aus seinem Wesen (1001c).

Die Seele stammt also unmittelbar aus Gott: Gott ist deshalb nicht ihr Produzent, sondern ihr Vater, und dementsprechend ist er auch in anderer Weise mit ihr verbunden. Auch wenn Plutarch an anderer Stelle den einen Gott und die Vielgestaltigkeit der sichtbaren Wirklichkeit einander antithetisch entgegensetzen kann (man lese dazu einmal die furiose Schlussrede des Ammonios in De E 16–20,391e–394), so ist doch für sein gesamtes Denken eher die entgegengesetzte Tendenz charakteristisch,30 eine Intensivierung und Personalisierung der Beziehung Gottes zum Menschen, die sich auch im Gottesbild niederschlägt. Die »Auffassung einer wesenhaft menschenfreundlichen Gottheit bildet den Kern der Religiosität Plutarchs. […] Diese wohlwollende Zuwendung unterscheidet den plutarchischen Gott von dem platonischen Demiurgen, der nur dafür sorgt, etwas Gutes zu schaffen, und sie trägt dazu bei, die Figur eines persönlichen Gottes zu entwerfen.«31 Das Entscheidende für den Platoniker ist dabei, dass der Mensch durch seine besondere Beziehung zum Schöpfergott, welche mit der Vatermetapher ausgedrückt wird, an diesem Gott Anteil hat, und hier fällt wie auch an anderer Stelle die erstaunliche Nähe zu den Ausführungen des Juden Philon auf.

30 Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken in Bildern. Studien zur literarischen, philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften (STAC 14), Tübingen 2002, 285: »Die phänomenale Welt geht aus der wahrhaft seienden noetischen Welt hervor und ist deren Verwirklichung in der Materie. Insofern fußt die gesamte materiale Welt auf der hinter ihr stehenden noetischen Welt«. 31 F. FRAZIER, Göttlichkeit und Glaube. Persönliche Gottesbeziehung im Spätwerk Plutarchs, in: HIRSCH-LUIPOLD, Gott und die Götter (Anm. 28), 111–137, hier 136 f.

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4. Die Vermittlerrolle des hellenistischen Judentums: Der Schöpfer und Erhalter als Vater bei Philon von Alexandria Durch den eingangs skizzierten Überschritt der religiösen Vatermetapher in die Philosophie fand eine Metaphorisierung der mythologischen Redeweise statt, welche die polytheistischen Konnotationen der Rede vom Göttervater zumindest in den Hintergrund treten ließ und damit trotz des negativen Befundes im Alten Testament im Blick auf die Rede von Gott als Vater dem Antiken Judentum die Rezeption der Vatermetapher entschieden erleichtert hat. Neben anderen frühjüdischen Schriften32 findet sich vor allem bei Philon wiederholt und in unterschiedlichen Zusammenhängen die Rede von Gott als Vater. Zum einen verwendet Philon im Anschluss an Platon (Tim. 28c 3f.) das Hendiadyoin »Vater und Schöpfer« (δηµιουργός bzw. ποιητής),33 um Gott als Urheber der Welt zu bezeichnen. Eine göttliche Kraft aber ist auch die weltschöpferische, die als Quelle das wahrhaft Gute hat. Denn wenn einer die Ursache erforschen will, warum eigentlich dies All geschaffen wurde, so scheint er mir das Ziel nicht zu verfehlen, wenn er behauptet – wie übrigens auch schon einer der Alten [nämlich Platon, Tim. 29e] gesagt hat –, gütig sei der Vater und Schöpfer; deshalb hat er seine vollkommene Natur nicht der Materie vorenthalten, die aus sich selbst nichts Edles hat, aber die Fähigkeit besitzt, alles zu werden. (Opif. 21; Übers. J. COHN)

Außer auf Platon kann Philon sich aber auch zugleich auf die (von den Stoikern längst allegorisch gedeutete) ›mythische Theologie‹ eines Homer zurückbeziehen, um mit der Vatermetapher im eher stoischen Sinn auch die spezifische Qualität der Weltlenkung des Kosmosgottes näher zu bestimmen: Denn dass der Vater und Schöpfer um das Geschaffene sich kümmert, lehrt die Vernunft; denn ein Vater hat doch die Erhaltung seiner Kinder im Auge. (Opif. 10; Übers. J. COHN)

Damit setzt der göttliche Vater auch bei Philon zumindest implizit Maßstäbe für den Umgang mit Macht: Gott ist kein Tyrann, der Grausamkeit, Gewalttätigkeit und Taten verübt wie der Gebieter einer rohen und harten Herrschaft, sondern er ist ein König, der sich eine sanfte und gesetzliche Herrschaft erworben hat, und so lenkt er mit Gerechtigkeit den ganzen Himmel und die ganze Welt. Und für einen König gibt es keine vertrautere Bezeichnung als »Vater«; was nämlich in Verwandtschaften die Eltern den Kindern gegenüber sind, das ist der König einem Staat gegenüber, Gott der Welt gegenüber; deshalb wird bei dem angesehensten und gefeiertsten aller Dichter, bei Homer, Zeus der »Vater der Götter und Menschen« genannt. Gott verbindet die zwei schönsten Vorzüge der Natur auf Grund unbeweglicher Gesetze in unauflöslicher Vereinigung miteinander, die Führerstellung mit der Stellung eines Fürsorgers. (Prov. II,15; Übers. L. FRÜCHTEL) 32

Vgl. SapSal 14,3; Josephus, Ant. VII,14,11 (§ 380). Vgl. Abr. 75; Decal. 64; Virt. 179.213 f. u. ö. Philon kann dann sogar in Anlehnung an Homer vom »Vater der Götter und Menschen« sprechen (Spec. leg. II,165). 33

190 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Doch die Schöpfertätigkeit des göttlichen Vaters bezieht sich für den jüdischen Religionsphilosophen nicht nur allgemein auf dessen ordnende Prägung und fürsorgliche Erhaltung des Seins als Ganzem, sondern sie impliziert auch eine besondere Beziehung zum Menschen, der dadurch zu dem »ihm verwandtesten und liebsten Geschöpf« wird: Es könnte aber einer nach dem Grunde fragen, weshalb der Mensch das letzte Stück der Weltschöpfung ist; denn nach allen anderen Werken hat ihn der Schöpfer und Vater geschaffen, wie die heiligen Schriften erzählen. Diejenigen nun, die tiefer in den Sinn der Gesetze eingedrungen sind und ihren Inhalt möglichst gründlich erforschen, geben als Grund an, dass Gott den Menschen durch Gewährung der Vernunft, die ja die beste Gabe war, mit sich selbst verwandt machte und deshalb auch alles Übrige ihm nicht missgönnen wollte, dass er also für ihn als das ihm verwandteste und liebste Geschöpf alles in der Welt vorher bereitstellte, weil er wollte, dass ihm zugleich nach seiner Erschaffung keines der Dinge fehlte, die zum Leben und zum guten Leben notwendig sind. (Opif. 77; Übers. J. COHN)

Der Mensch verdankt sich somit auch bei Philon einer doppelten, klar unterschiedenen Schöpfertätigkeit, wie Philon aus Gen 2,7 folgert: Von Gott als dem Schöpfer stammt er nach seiner körperlichen Seite, von Gott als dem Vater aber nach seiner geistigen, und dementsprechend ist er zusammengesetzt aus einer doppelten Natur, einer irdisch-sterblichen und einer himmlisch-unsterblichen, gottverwandten: [Mose] sagt aber, das Gebilde des sinnlich wahrnehmbaren Einzelmenschen sei aus irdischer Substanz und göttlichem Hauche [πνεῦµα θεῖον] zusammengesetzt; der Körper sei dadurch entstanden, dass der Meister [τεχνίτης] Erdenstaub nahm und eine menschliche Gestalt daraus bildete, die Seele aber stamme nicht von einem geschaffenen Wesen her, sondern vom Vater und Lenker des Alls; denn was er einblies, war nichts anderes als ein göttlicher Hauch, der von jenem glückseligen Wesen zum Heile unseres Geschlechts herniederkam, damit dieses, wenn es auch hinsichtlich seines sichtbaren Teiles sterblich ist, doch wenigstens in seinem unsichtbaren Teile die Unsterblichkeit besitze. Darum kann man eigentlich sagen, dass der Mensch auf der Grenze stehe zwischen der sterblichen und unsterblichen Natur, da er an beiden soviel, wie nötig ist, teilhat, und dass er zugleich sterblich und unsterblich geschaffen ist, sterblich in Bezug auf seinen Körper, unsterblich hinsichtlich seines Geistes. (Opif. 135; Übers. J. COHN)

Philon verbindet also die beiden Traditionen des Platonismus und der Stoa miteinander, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass er sich gleichermaßen auf Homer wie Platon beziehen und von da aus den biblischen Gott als Vater deuten kann: zum einen in Bezug auf die fürsorgliche Erhaltung der Welt, zum andern im Blick auf seine spezielle Schöpfertätigkeit in Bezug auf den Menschen, den er – das ist Philons lectio Platonica der biblischen Gottesebenbildlichkeit – mit einer ihm verwandten Seele bzw. Geist ausstattet. Wenn sich Anleihen an den kosmisch konnotierten Vatergedanken bereits bei Paulus finden (vgl. 1. Kor 8,6) und diese dann auch im weiteren Schrifttum des Neuen Testaments wiederkehren – verwiesen sei nur auf die ebenfalls stoisierende Rede vom »Vater aller, der über allem und durch al-

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les und in allem ist« bei einem Schüler des Apostels (Eph 4,6), auf den »Vater der Geister« in Hebr 12,9 und »Vater der Lichter (= Gestirne)« in Jak 1,1734 –, so erklärt sich diese bereits in den ersten Jahrzehnten des frühen Christentums einsetzende Hellenisierung der Rede vom göttlichen Vater wohl am ehesten durch die Vermittlerrolle des hellenistischen Judentums. Sie zeigt aber auch, wie sich die Theologie des Frühchristentums im Kontext der griechisch-römischen Welt in dem vom Antiken Judentum vorgespurten Prozess von Aneignung, Abgrenzung und Überbietung herausgebildet hat. Das sei im Folgenden noch kurz skizziert.

5. Plutarch, Dion und das Neue Testament. Synkrisis Deutlich war bei dem platonischen Philosophen wie bei dem stoisch geprägten Redner das Bemühen, stärker als in der jeweiligen Schultradition, in der sie standen, Gott und Mensch in ein unmittelbareres, geradezu persönliches Verhältnis zu bringen, das auch die Teilhabe an der Göttlichkeit implizierte. Neben die in der Philosophie schon länger dominierende Tendenz einer Singularisierung des Göttlichen, die zu einem inklusiven Monotheismus führt – »Einer ist Gott, doch er trägt viele Namen«35 –, tritt hier nun zusätzlich die einer Personalisierung der Gottesvorstellung, die sich auch des durch die Vatermetapher evozierten Assoziationshorizontes der Verwandtschaft und Zuwendung bediente, ja, vermutlich dadurch mitbedingt war. Während Plutarch durch die platonische Tradition vor allem die Verbindung der Vatermetapher mit dem Schöpfungsgedanken vorgegeben ist und er diesen so präzisiert, dass dadurch die spezielle Verbundenheit der menschlichen Seele mit Gott zum Ausdruck gebracht wird, durch welche der Mensch als Verwandter Gottes über alle anderen Lebewesen hinausgehoben ist, drückt die Vaterschaft Gottes für den Stoiker, für die er sich als autoritative Tradition auf Homer und andere Dichter beruft, vor allem die Herrschaft des höchsten Gottes über die Welt aus. Deren spezifische Qualität wird von Epiktet und Dion als Vertreter der späten Stoa durch den 34

FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 8), 86–90. Ps.-Aristoteles, De mundo 7,401a. Nach Cicero findet sich die Zurückführung der Wirklichkeit auf ein höchstes Prinzip schon bei dem Sokratiker Antisthenes (455–360 v. Chr.), der zum Verhältnis zum Polytheismus der Volksreligion sagt: »Atque etiam Antisthenes in eo libro qui Physicus inscribitur popularis deos multos, naturalem unum esse dicens« (Cicero, De nat. deor. I,32). Dion von Prusa verweist in seiner Or. 31,11 auf Leute, »die behaupten, Apollon, Helios und Dionysos seien derselbe Gott, auch ihr glaubt so, viele aber ziehen sogar einfach alle Götter zu einer einzigen Macht und Gewalt zusammen, so dass es keinen Unterschied macht, diesen oder jenen Gott zu ehren.« Weitere Beispiele bei ZIMMERMANN, Namen (Anm. 2), 534–541. 35

192 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Gedanken der Vaterschaft dahin gehend näher bestimmt, dass Güte, Milde und Menschenfreundlichkeit die Art und Weise der göttlichen Herrschaft bestimmen und so zum Vorbild für den menschlichen Umgang mit Macht werden. Wenn auch keine direkten Abhängigkeiten zwischen den beiden besprochenen Gestalten und dem Neuen Testament nachweisbar (und solche auch nicht wahrscheinlich) sind, so dokumentieren Plutarch und Dion doch das Klima, in dem – nicht zuletzt durch Vermittlung des hellenistischen Judentums – das Neue Testament sein Bekenntnis zu Gott als dem Vater ausgeformt und reflektiert hat.36 In diesem Kontext war es allererst möglich, dass die Rede von Gott als Vater in 1. Kor 8,6 und Eph 4,6 (und in gewisser Weise auch in Hebr 12,9) kosmologisch konnotiert wurde, ganz zu schweigen von Jak 1,17, wo sich dieser »Vater der Lichter« mit einer geradezu metaphysisch klingenden ›Definition‹ Gottes verbindet: Alle gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab von dem Vater der Lichter, bei dem nicht eine einzige Veränderung ist noch eine durch Wandlung bedingte Verfinsterung.

Gerade die Vateranrede, die am unmittelbarsten die Zuwendung Gottes und seine Verbundenheit mit den Gläubigen zum Ausdruck bringt, wird so auf den ganzen Kosmos bezogen, dem dadurch, wie 1. Kor 8,6 zeigt, eine soteriologische Finalität eingestiftet wird, die es Paulus ermöglicht, die Zukunft der Gotteskinder (vgl. Röm 8,14–17) und die Zukunft der stöhnenden und seufzenden Schöpfung (Röm 8,18ff.) miteinander zu verbinden. Zugleich zeigen sich bei diesen Parallelen gewichtige Unterschiede. Denn wenn bei Paulus wie bei Philon und Plutarch die Pointe der Vaterschaft Gottes darin besteht, dass er dem Menschen an seinem Wesen Anteil gibt, so gründet sich diese Teilhabe bei den beiden Mittelplatonikern auf der Abstammung der menschlichen Seele aus dem göttlichen Geist. Dagegen spricht Paulus von ›Adoption‹ und der damit begründeten Auszeichnung der Glaubenden, durch Christus zu »Erben durch Gott« (Gal 4,6f.) bzw. zu »Erben Gottes« gemacht worden zu sein (Röm 8,14–17). Nach Jakobus ist es das »Wort der Wahrheit«, durch welche die Glaubenden von Gott neu gezeugt und geboren werden (Jak 1,18; ähnlich in 1. Petr 1,3.23; 2,2). Die Teilhabe an Gottes Wirklichkeit gründet also nicht auf einer ontologisch vorgegebenen Verwandtschaft mit dem Göttlichen, sondern auf einem Akt der Erwählung, durch welche die Glaubenden zu einer »neuen Schöpfung« (2. Kor 5,17; Gal 6,15) werden. Die Pointe der Rede vom göttlichen Vater ist somit nicht die Protologie, die Herleitung aus einem göttlichen Ursprung, sondern die Eschatologie, die Verwandlung in 36 Vgl. NILSSON, Geschichte (Anm. 17), 400: »So hat die Philosophie dem Christentum den Boden bereitet durch ihre Hinwendung zu den Grundsätzen von der Erhabenheit und Allgegenwart Gottes, von Sanftmut, Mitleid, Barmherzigkeit und Bruderliebe«.

Der oberste Gott als Vater

193

eine himmlische Existenzweise (vgl. Phil 3,21; 1. Kor 15,35–57). Ähnliches gilt auch für die stoische Vorstellung einer durch ein Gott entsprechendes Verhalten erreichbaren Gotteskindschaft. Der Evangelientradition ist solches zwar nicht fremd (Lk 6,35f.; Mt 5,45.48), aber auch hier ist die Möglichkeit zur Gotteskindschaft durch die in der Nachfolge Christi gründende Verheißung bedingt und nicht ein in der Natur des Menschen angelegtes und von ihm zu verwirklichendes ethisches Ideal. Des Weiteren wird die Güte und Liebe des göttlichen Vaters im Neuen Testament nicht aus der Wohlordnung der Natur erschlossen, sondern in der Deutung des Christusgeschehens als Selbstoffenbarung Gottes erkannt (vgl. Röm 8,31–39; Joh 3,16; 1. Joh 4,8.16; weiter Lk 15,11–32). Paulus rezipiert zwar in 1. Kor 8,6 die Rede vom Kosmosgott als Vater, aber er integriert sie bezeichnenderweise sofort in das Grundbekenntnis des Judentums zu dem einen Gott und Herrn, das Šĕmaʽ jisra’el von Dtn 6,5, das er dabei aber zugleich christologisch so reformuliert, dass nun Gott der Vater als Grund und Ziel der Schöpfung bekannt wird, Christus als der Herr (Kyrios) aber als Mittler von Schöpfung und Neuschöpfung.37 Selbst dort, wo zur Plausibilisierung auf die in der Natur erkennbare Fürsorge des Schöpfers und Erhalters rekurriert wird, ist dies nur ein Gleichnis für die a minori ad maius daraus erschlossene Güte Gottes gegenüber denen, die durch Christus nicht nur seine Geschöpfe sind, sondern seine Kinder (Mt 6,25–33).

37 Ähnlich bildet die stoisierende Formel in Röm 11,36 den Lobpreis über den Gott, der an seiner Erwählung trotz des Ungehorsams seines Volkes festhält. Insofern ist dies auch ein Beitrag zur heute wieder diskutierten Frage nach der Hellenisierung des Christentums; vgl. C. M ARKSCHIES, Hellenisierung des Christentums. Sinn und Unsinn einer historischen Deutungskategorie (Forum Theologische Literaturzeitung 25), Leipzig 2012.

Wenn die Vorsehung ein Gesicht erhält Neutestamentliche Transformation eines philosophischen Theologumenons 1. Anfragen Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherisch dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mit mir den Stab der deutschen Wehrmacht auszurotten. Die Bombe … hat eine Reihe mir treuer Mitarbeiter sehr schwer verletzt, einer ist gestorben. Ich selbst bin völlig unversehrt … Ich fasse dies als eine Bestätigung des Auftrags der Vorsehung auf, mein Lebensziel weiter zu verfolgen … Ich … danke der Vorsehung und meinem Schöpfer nicht deshalb, weil er mich erhalten hat …, sondern ich danke ihm nur deshalb, dass er mir die Möglichkeit gab …, in meiner Arbeit weiter fortzufahren.

Mit diesen Worten hat Adolf Hitler in einer Rundfunkansprache am 21. Juli 1944 das Scheitern des Attentats vom 20. Juli kommentiert.1 Theologisch erschreckend ist die Selbstverständlichkeit, mit der jemand wie Hitler mithilfe des Begriffs der Vorsehung sich auf eine göttliche Weltlenkung beziehen und das gescheiterte Attentat als Auftrag zur Fortsetzung seiner verbrecherischen Politik verstehen konnte, wie der Schlusssatz der Rede noch einmal unterstreicht: »Ich ersehe daraus einen Fingerzeig der Vorsehung, dass ich mein Werk weiter fortführen muß und weiter fortführen werde.«2 Das Beispiel zeigt, dass der Begriff der Vorsehung alles andere als unproblematisch ist, dass er zumindest in den Giftschrank der theologischen Wissenschaft gehört. Grund genug, nach Herkunft und Bedeutung dieser Kategorie zu fragen, umso mehr, als der Begriff der göttlichen Vorsehung (griech. πρόνοια; lat.: providentia) nicht biblischen Ursprungs ist. Es gibt für ihn in biblischer Zeit kein hebräisches Äquivalent, und dementsprechend findet sich das griechische Wort πρόνοια auch in der Septuaginta nicht in den Texten, die aus dem Hebräischen übersetzt sind. Zwar bezeugt das Alte Testament in vielfältiger Weise die ordnende und leitende Präsenz Gottes in seiner Schöpfung (vgl. Ps 65,7ff.; 104,2ff. u. ö.), in der Geschichte seines Volkes und im Leben des einzelnen Gläubigen (Ps 23; 121; 1 W. MICHALKA (Hg.), Deutsche Geschichte 1933–1945. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Frankfurt a. M. 1993, 329. 2 Ebd., 330.

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Spr 16,9). Dabei kann auch von einem göttlichen Ratschluss gesprochen werden, der trotz aller menschlichen Pläne geschieht (Spr 19,21), oder die Rede von Gott kann sich gar dem Gedanken einer Allkausalität nähern: »Ich bin der Herr und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der Herr, der dies alles tut« (Jes 45,7; vgl. 1. Sam 2,6–8; Am 3,6). Aber diese Aussagen über die göttliche Fürsorge und Leitung werden nicht in einem eigenen Theologumenon als Vorsehung systematisiert. Das bleibt zunächst auch im Antiken Judentum so. Ob man sagen kann, dass dieses fast bis in die neutestamentliche Zeit hinein »kein originäres Interesse an dem Thema der göttlichen Vorsehung«3 hat, wäre gerade im Blick auf die Apokalyptik einer intensiveren Diskussion wert (vgl. Dan 2). Doch auch hier gilt: Der Begriff der Vorsehung findet sich nicht. Gleiches trifft auch für das Neue Testament zu,4 so dass der entsprechende Artikel im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament knapp feststellen kann, »dass der Gedanke der Vorsehung im NT keinen Ausdruck gefunden hat«. 5 Der Überblick zeigt ein Doppeltes: Zum einen finden sich in der biblischen Tradition Elemente, die man unter dem Vorsehungsbegriff subsumieren könnte. Zum anderen nötigt die Tatsache, dass die biblische Tradition selbst diesen Begriff nicht verwendet, zur Vorsicht; denn was nicht entsprechend auf den Begriff gebracht ist, von dem kann man nicht ohne Weiteres voraussetzen, dass es so begriffen werden will und begriffen werden soll. Diese Warnung ist gerade im Blick auf die bis heute anhaltende Wirkungsgeschichte der Rede von der göttlichen Vorsehung angebracht. Denn der Begriff πρόνοια/providentia, mit dem der bis heute in der Theologie wie in der Frömmigkeit verbreitete Vorsehungsgedanke ausgedrückt wird, ist ein philosophisches Theologumenon, das über seine Rezeption im hellenistischen Judentum Eingang in die frühchristliche Theologie gefunden hat. Er lässt sich dementsprechend auch verhältnismäßig leicht wieder aus dieser lösen. Er hatte und hat die Tendenz, in der Maske gläubiger Frömmigkeit einen Schicksalsglauben zu etablieren, der dem biblischen Gotteszeugnis im Kern widerspricht. Das zeigt sich schon bei einem Lebensnerv des Glaubens, beim Gebet. Schon der Philosoph und Redner Maximos von Tyros hatte das Gebet abgelehnt, weil die Gottheit es nicht zulassen könne, dass die durch ihre Vorsehung zum Wohl des Ganzen regierte Welt durch das Gebet des Einzelnen beeinträchtigt würde (Or. 5,4c–f ), und der Christ 3 W. SCHRAGE, Vorsehung Gottes? Zur Rede von der providentia Dei in der Antike und im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 2005, 31. 4 Das Wort πρόνοια findet sich im Neuen Testament nur zweimal: In Röm 13,14 bezeichnet es die Intentionalität des ›Fleisches‹, in Apg 24,2 die politische Fürsorge. 5 J. B EHM, Art. προνοέω, πρόνοια, ThWNT 4, Stuttgart 1942, 1004–1010, hier 1010. Behms Behauptung eines »implicite« vorhandenen Vorsehungsglaubens ist allerdings viel zu unspezifisch.

196 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Origenes berichtet von Gläubigen, die wegen des Glaubens an eine allwissende Vorsehung jede Form des Bittgebets als anmaßende Einflussnahme auf die Gottheit einstellten (De orat. 1,5,2). Bis heute ist dieser sich als Frömmigkeit verstehende Fatalismus weit verbreitet. Demgegenüber zeigen bereits die Bitten des Herrengebets, dass Gottes Wille geschehe und sein Reich komme (Mt 6,10 par. Lk 11,2), dass in dieser Welt eben noch nicht so einfach alles nach Gottes Willen geschieht und seiner Herrschaft untersteht. Dass sich der Vorsehungsgedanke relativ mühelos instrumentalisieren lässt, wie das Eingangsbeispiel zeigt, unterstreicht nur noch einmal die generelle Problematik einer Vorstellung, welche es erlaubt, das Faktische religiös zu legitimieren. Es gibt daher gute Gründe, die Rede von der Vorsehung in der biblischen Theologie, ja in der Theologie überhaupt zu problematisieren. So forderte Carl Heinz Ratschow: »die theologische Rede von der Vorsehung [sei] sowohl hinsichtlich dieses Begriffes wie hinsichtlich seiner teleologischen Folgen aufzugeben«6. Diese Konsequenz wird hier nicht gezogen, weil es im Neuen Testament Äquivalenzbildungen zum Vorsehungsbegriff gibt, die eine kritische Rezeption und kreative Transformation der philosophischen Vorstellung bezeugen. Deshalb wird hier weiter von der Vorsehung, genauer: von einer Vorbestimmung und einem Vorsatz Gottes gesprochen, allerdings in einem engen, durch die Aussagen der biblischen Schriften gedeckten Rahmen. Da das Profil der neutestamentlichen Rede nur auf dem Hintergrund ihres religionsphilosophischen Kontextes sichtbar wird, soll dieser zunächst etwas ausführlicher dargestellt werden.

2. Die philosophische Herkunft: Platon, die Stoa und der Mittelplatonismus Als Ursache der Wohlordnung der Welt wird die göttliche Vorsehung (τοῦ θείου ἡ προνοίη) erstmals bei dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot genannt (Hist. III,108,2–4). Auch wenn in der Folgezeit immer wieder Zweifel an einer solchen Wohlordnung und dem gerechten Wirken der Götter geäußert werden, etwa von Dichtern wie Aischylos oder Euripides, so halten doch maßgebliche Philosophen wie Platon (Apol. 41c–d; Rep. X,612e–613b und vor allem Leg. X,899d–904d) und Xenophon (Mem. IV,3) daran fest, dass diese Welt von Gott bzw. den Göttern wohlgeordnet und verwaltet wird.

6 C. H. RATSCHOW, Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes. Gedanken zur Lehrgestaltung des Providentia-Glaubens in der evangelischen Dogmatik, in: DERS., Von den Wandlungen Gottes, Berlin 1986, 182–243, hier 233.

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Im Timaios hat Platon sogar die gesamte Entstehung der Welt als eines beseelten und vernünftigen Wesens auf die göttliche πρόνοια zurückgeführt (30c; vgl. 44c). Dabei wird der Glaube an eine persönliche Zuwendung und Fürsorge der Götter, die sogenannte providentia specialis, aus der grundsätzlichen Überzeugung von einer guten Einrichtung der gesamten Welt, der sogenannten providentia generalis, abgeleitet. So folgert der platonische Sokrates in seinem Abschiedswort an die Richter in Apol. 41c–d aus der Gewissheit, dass »dem guten Mann kein Böses widerfährt, weder im Leben noch im Tod«, da »seine Schicksale nie ohne die Fürsorge der Götter sind«, dass selbst das ungerechterweise über ihn verhängte Todesurteil nicht durch Zufall (ἀπὸ τοῦ αὐτοµάτου) geschah, sondern für ihn besser sein muss. Im 10. Buch der Nomoi hat Platon diesen Gedanken der Vorsehung noch einmal grundsätzlich und unter besonderer Betonung der Bedeutung des ›Ganzen‹ für die Ordnung der Welt ausgeführt: Gott wird geradezu definiert als der fürsorgliche Erhalter des Ganzen (ὁ τοῦ παντὸς ἐπιµελουµένος, Leg. X,903b 4f.; 904a 3f.). Auch Aristoteles setzt eine solche Überzeugung zumindest bei seinen Zuhörern voraus (Eth. Nic. X,9,1179a 23–32). Die Stoa hat diesen Topos übernommen und die πρόνοια zu einem Schlüsselbegriff ihrer Kosmologie und Ethik gemacht. Der hier geradezu zu einem »Dogma«7 gewordene Begriff der Vorsehung bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass der Kosmos ein sinnvoll geordnetes Ganzes ist, das von der göttlichen Weltvernunft sinnvoll gelenkt wird, die mit dem Schicksal identifiziert werden kann.8 Klassisch formuliert wird das stoische ›Glaubensbekenntnis‹ von dem Stoiker Balbus in Ciceros Schrift De natura deorum (II,75): »Ich behaupte daher, dass die Welt und alle Teile der Welt durch die Vorsehung gebildet und von ihr alle Zeit verwaltet werden.« Aufgrund seiner Teilhabe an der göttlichen Vernunft kann der Mensch die generelle Zweckmäßigkeit des Kosmos einsehen; dementsprechend muss er sich auch dem, was ihm persönlich widerfährt, als einer von der Vorsehung zugeteilten Notwendigkeit bejahend unterwerfen. Andernfalls würde er seine bestimmungsgemäße Freiheit und so letztlich das Gelingen seines Lebens, seine εὐδαιµονία, verfehlen, für den Stoiker das wahre Übel. Programmatisch hat es Kleanthes ausgedrückt: Führ du mich Zeus, und du Pepromene [das personifizierte Schicksal, R. F.], wohin der Weg von euch mir ist bestimmt! Ich folg euch ohne Zaudern. Sträub ich mich, so handl’ ich schlecht – und folgen muss ich doch.9

7

BEHM, προvοέω (Anm. 5), 1007. Vgl. SVF 1, 44,37; 45,2; 2, 264,19; 268,16; 280,15 u. ö. 9 SVF 1, 118, Nr. 527. Übers. M. P OHLENZ, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 51978, 106. 8

198 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Zwar gibt es etwa zwischen Chrysippos und Kleanthes Unterschiede bei der Frage der Integration der Übel und des Bösen in die göttliche Determination, doch cum grano salis ist die Vorsehung letztlich für den Stoiker die göttliche Vernunft, welche die Welt sinnvoll strukturiert und welche der Mensch aufgrund seiner eigenen Vernunft (νοῦς) zu erkennen vermag und zu bejahen hat. Wohl unter stoischem Einfluss spielt auch im Mittleren Platonismus die Vorstellung der göttlichen Vorsehung eine wichtige Rolle. Da dort allerdings das Göttliche nicht immanent als Weltvernunft gedacht wird, sondern als höchstes Sein, das selbst »jenseits des Seienden« (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας) ist (vgl. Platon, Rep. X,609b), dient das Konzept der Vorsehung nun dazu, die Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Göttlichen in der Welt zu erklären. Für den delphischen Priester Plutarch etwa, neben dem Juden Philon von Alexandria der bedeutendste Mittelplatoniker, ist die Vorsehung geradezu das Synonym für die heilsame Präsenz des Göttlichen in der Welt. Hier liegt der Akzent nicht nur auf der gesetzmäßig bestimmten Ordnung des Kosmos (wenngleich auch dieser Aspekt mit dem Vorsehungsgedanken verbunden bleibt); zentral wird nun auch der Aspekt der Zuwendung des transzendenten, aber zugleich persönlich vorgestellten Gottes zur Welt, wofür Plutarch in seiner Apologie der Vorsehung De sera numinis vindicta vor allem das Bild des Arztes verwendet, der sich um die Heilung der Schäden bemüht. Diese innerphilosophische Modifikation des Vorsehungsgedankens, die man etwas holzschnittartig als eine Akzentverschiebung von der Determination durch ein weltimmanentes Gesetz zu der Führung durch einen transzendenten Gott beschreiben könnte, impliziert eine gewisse Personalisierung des Vorsehungsgedankens, die es dem hellenistischen Judentum und in seinem Gefolge dann dem frühen Christentum erleichterte, ihn theologisch zu rezipieren.

3. Das Antike Judentum Die philosophische Lehre von der Vorsehung scheint für das Antike Judentum Herausforderung und Chance zugleich gewesen zu sein, das in den Psalmen oder bei den Propheten bezeugte Weltregiment des biblischen Gottes auf den Begriff zu bringen und theologisch zu systematisieren. Spätestens seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert übernimmt das hellenistische Judentum den Begriff und damit die Vorstellung der Vorsehung (vgl. Arist 201). Die Auseinandersetzung des jüdischen Religionsphilosophen Philon mit seinem Neffen Tiberius Alexander, der seine erstaunliche Karriere zu einem der mächtigsten Männer des römischen Reiches wohl als Apostat vom Judentum machte, trägt den bezeichnenden Titel »Über die Vorsehung«; in Auseinandersetzung mit den kritischen Einwänden des

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Neffen versucht Philon, den jüdischen Gottesglauben mithilfe des paganen Vorsehungsglaubens zu verteidigen. Diese zeige sich, so Philon in Aufnahme stoischer Gedanken, als eine überall sichtbare göttliche Fürsorge für das Geschaffene, die sich für ihn aus dem Schöpfungsgedanken ergibt (Prov. I,40, vgl. auch Opif. 171; Spec. leg. III,189; Legat. 336; Jos. 236 u. ö.). Bemerkenswert ist die personale Einfärbung, die der Vorsehungsgedanke dabei erfährt. So schreibt Philon in seiner Schrift über die Vorsehung von der göttlichen Herrschaft (Prov. II,2–6 [II,15]): Gott ist kein Tyrann, der Grausamkeit, Gewalttätigkeit und Taten verübt wie der Gebieter einer rohen und harten Herrschaft, sondern er ist ein König, der sich eine sanfte und gesetzliche Herrschaft erworben hat, und so lenkt er mit Gerechtigkeit den ganzen Himmel und die ganze Welt. Und für einen König gibt es keine vertrautere Bezeichnung als ›Vater‹; was nämlich in Verwandtschaften die Eltern den Kindern gegenüber sind, das ist ein König dem Staat gegenüber, Gott der Welt gegenüber. Gott verbindet die zwei schönsten Vorzüge der Natur aufgrund unbeweglicher Gesetze in unauflöslicher Vereinigung miteinander, die Führerstellung und die Stellung eines Fürsorgers. Wie also Eltern verkommene Söhne nicht im Stich lassen, sondern aus Mitleid mit ihrem Unglück sie pflegen und warten …, ebenso sorgt Gott als der Vater der vernunftbegabten Natur für alle, die Anteil an der Vernunftkraft haben, er hegt auch für die schuldhaft Lebenden Fürsorge, indem er zugleich diesen Gelegenheit zur Besserung gibt …

Bemerkenswert ist, dass sich die göttliche Regierung nicht zuletzt auch in der Bewahrung des jüdischen Volkes vor dessen Feinden manifestiert. Bezeichnend dafür ist das Reuegebet des Flaccus, der als Präfekt Ägyptens in Alexandria die antijüdischen Pogrome geduldet und befördert hatte. Gegen Ende seines Lebens soll er nach Philon vor Gott bekannt haben (Flacc. 170): König der Götter und Menschen, so lässt du also das Volk der Juden nicht ohne deine Fürsorge (οὐκ … ἀµελῶς ἔχεις), noch lügen sie im Blick auf deine Vorsehung (τὴν ἐκ σοῦ πρόνοιαv) – vielmehr: Wer immer sagt, sie hätten dich nicht als Vorkämpfer und Verteidiger, der vergeht sich an der wahren Lehre.

Die kosmologische Dimension des philosophischen Vorsehungsbegriffes verschmilzt hier wie auch in anderen frühjüdischen Schriften mit der heilsgeschichtlichen. Durch diese Integration einer persönlich vorgestellten Vorsehung in die biblische Erwählungs- und Heilsgeschichte findet eine theologische Transformation des Vorsehungsgedankens statt, die für die christliche Rezeption bestimmend wird.

4. Das Neue Testament 4.1. Die Fürsorge des Schöpfers In der klassischen Dogmatik umfasst die Lehre von der Vorsehung auch die Fürsorge Gottes für seine Schöpfung und deren Geschöpfe. Als Begründung dienen dicta probantia aus dem Neuen Testament: »Schaut auf die

200 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Vögel unter dem Himmel: Sie säen weder, noch ernten sie, noch sammeln sie in Scheunen, und euer himmlischer Vater nährt sie! Seid ihr nicht viel mehr als sie?« (Mt 6,26 par. Lk 12,24) »Werden nicht zwei Spatzen um ein As verkauft? Und [doch] fällt nicht einer von ihnen zur Erde ohne euren Vater! Alle eure Haare des Kopfes sind gezählt. Fürchtet euch nun nicht! Wie viel unterscheidet ihr euch von Spatzen!« (Mt 10,29–31 par. Lk 12,6f.) Nun kann man diese Jesusworte als Ausdruck für einen biblischen Vorsehungsglauben deuten; man muss sich aber, wie gesagt, darüber im Klaren sein, dass es sich hierbei nicht um eine quellensprachliche Beschreibung, sondern um eine an die Texte herangetragene Deutekategorie handelt, und sich dementsprechend davor hüten, damit auch die anderen Implikationen der Rede von der Vorsehung in das Neue Testament einzutragen. Dieser Hinweis ist wichtig, weil es durchaus auch Texte im Neuen Testament gibt, in denen bewusst Äquivalente zum Begriff der Vorsehung gebildet bzw. verwendet werden. Dass man bei der Rede der göttlichen Fürsorge keinen Anlass dafür sah, auf den Vorsehungsgedanken zu rekurrieren, warnt davor, zu schnell verschiedene Phänomene unter den Allgemeinbegriff der Vorsehung zu subsumieren. Dem entspricht im Blick auf die eben angeführten Texte auch eine exegetische Beobachtung: Formgeschichtlich handelt es sich bei den zitierten Jesusworten um einen Zuspruch. Der Gottessohn lädt ein zum Vertrauen in den Schöpfer und Herrn der Welt als himmlischen Vater – gerade angesichts von Erfahrungen, die zum Sorgen Anlass geben. Begründet ist dieser Zuspruch dementsprechend nicht durch eine Analyse der Wohlordnung des Seienden, welches der menschlichen Vernunft mehr oder weniger ungetrübt die in ihm waltende göttliche Vernunft zu erkennen gibt, sondern von der Gewissheit der Macht Gottes, die Jesus mit seinem Tun, Reden und nicht zuletzt auch in seinem Leiden bezeugt. Wer mit der von diesem Gottessohn zugemuteten und zugesprochenen ›Hermeneutik des Vertrauens‹ in diese Schöpfung blickt, dem erschließt sie sich als ein Ort der von Gottes Güte gehaltenen creatio continua. Ein solcher Blick auf die Schöpfung stärkt das Vertrauen in die Güte des Schöpfers, das die Gläubigen von der Sorge befreit: »Euer Vater weiß, wessen ihr bedürft« (Mt 6,8). »Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er kümmert sich um euch« (1. Petr 5,7). »Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten behilflich ist, denen, die nach [Gottes] Vorsatz berufen sind« (Röm 8,28). Die zuletzt zitierte Stelle Röm 8,28 mit der Wendung »die nach [Gottes] Vorsatz berufen sind« zeigt nun aber auch, wo im Neuen Testament auf die Vorsehung Gottes Bezug genommen wird: nicht im Blick auf die zweckmäßige Ordnung der Welt oder auf das Schicksal, sondern im Blick auf das göttliche Heilshandeln. Das ist besonders bei den neutestamentlichen Schriftstellern aus dem Umkreis des Paulus der Fall, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die neutestamentliche Botschaft im Kontext hellenisti-

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schen Denkens verständlich zu machen. Außer dem Apostel selbst und einem anonymen Schüler, dem wir den Epheserbrief verdanken, sind dies der 1. Petrusbrief und der Verfasser des lukanischen Doppelwerks. Dabei ist noch einmal daran zu erinnern, dass das griechische Wort πρόνοια nirgends im Neuen Testament in der Bedeutung der göttlichen Vorsehung vorkommt; das erste christliche Zeugnis ist der gegen Ende des ersten Jahrhunderts verfasste 1. Clemensbrief (24,5). Stattdessen finden sich jedoch im Neuen Testament eine Reihe von Verben und Substantiven, die mit der Vorsilbe προ- gebildet sind wie προγιγνώσκειν/πρόγνωσις, προτίθηµι/πρόθεσις, προωρίζειν etc. Sie alle sprechen von einem den Ereignissen vorauslaufenden Wollen und Planen Gottes. Diese terminologische Veränderung ist wohl kaum zufällig: Der für die Vorsehung klassische Begriff der πρόνοια setzt das seit Anaxagoras dem griechischen Denken vertraute Axiom voraus, dass die Weltvernunft ein ordnendes göttliches Prinzip ist, an dem der Mensch teilhat, so dass er im Nach-Denken der göttlichen VorPlanung die Vernünftigkeit der kosmischen Ordnung erkennen kann. Dagegen orientiert sich die im Neuen Testament verwendete Begrifflichkeit an dem souveränen göttlichen Willen, an Gottes Bestimmen, Erwählen, Erkennen. Man wird also aus dem Fehlen des Begriffs der πρόνοια und der gleichzeitigen Bildung von Äquivalenten schließen dürfen, dass die neutestamentlichen Autoren den in der Mitwelt etablierten und definierten Begriff der Vorsehung bewusst meiden und stattdessen eine eigene, enger an die biblische Tradition angelehnte Terminologie bildeten, welche bei allem Bemühen, Gottes Handeln als ein planmäßiges zu verstehen, doch zugleich der Souveränität des biblischen Gottes Rechnung zu tragen sucht. Dementsprechend geht es dort nicht um die Ordnung der Welt oder die Determination des Schicksals, sondern um den Heilswillen. 4.2. Gottes Gnadenwahl in der Briefliteratur10 4.2.1. Der Römerbrief des Paulus In diesem Sinn kann Paulus in dem schon teilweise zitierten Text Röm 8,28–30 die Providenzaussagen direkt auf die Glaubenden beziehen: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten behilflich ist, denen, die nach [seinem] Vorsatz (κατὰ πρόθεσιν) berufen sind. Denn diejenigen, die er zuvor erkannt hat (προέγνω), die hat er auch vorbestimmt (προώρισεν) zur Angleichung an das Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene unter vielen Brüdern wäre. Die er aber vorbestimmt hat (προώρισεν), die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Die Vorbestimmung Gottes wird zum einen durch das Wort πρόθεσις ausgedrückt, welches das Prae der göttlichen Gnadenwahl als einer vorauslau10

Zum Folgenden vgl. auch die gute Darstellung bei SCHRAGE, Vorsehung (Anm. 3).

202 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung fenden göttlichen ›Setzung‹ beschreibt, zum andern durch die diese präzisierenden Verben προγιγνώσκειν und προωρίζειν, welche die entsprechende Wahrnehmung, Zuwendung und Aussonderung des Gegenübers bezeichnen. In der paulinischen Argumentation führt dabei eine Linie von der göttlichen Vorbestimmung über Erwählung/Berufung und Rechtfertigung bis hin zu der schon gegenwärtigen Teilhabe an der eschatologischen Herrlichkeit (Röm 8,30). Die Pointe der Rede von der Vorherbestimmung ist hier die Heilsgewissheit als Vertrauen darauf, dass die Glaubenden sich auf Gott und seine Zusage mehr verlassen können als auf sich selbst. Ebendeshalb können sie gewiss sein, dass sie nichts mehr von der in Christus sich zeigenden Liebe Gottes zu scheiden vermag, wie es in Röm 8,35–39 dann geradezu triumphal festgehalten wird. Die Personalisierung des Vorsehungsgedankens ist durch die vom Kontext vorgegebene Verbindung mit der Gotteskindschaft (Röm 8,14–16.21.29) und der Liebe Gottes des Vaters (Röm 8,15.31ff.) besonders markant. Wo der Glaube so entschieden auf Gott zurückgeführt wird, stellt sich verschärft das Problem des Unglaubens, besonders dort, wo Israel als das zuerst berufene Volk sich diesem Glauben verweigert. Dies wird vom Apostel in Röm 9–11 im Blick auf Gottes Vorbestimmung durchdacht. Er betont zunächst sehr schroff, dass so, wie Gott die einen zur Herrlichkeit vorher-bereitet hat (προητοίµασεν), so die anderen zum Verderben (Röm 9,23f.). Der einzige Grund ist jeweils Gottes Wille: »Bei wem er es nun will, da erbarmt er sich, und bei wem er es nun will, den verstockt er« (Röm 9,18). Der Apostel hat dies nicht spekulativ aus dem Gottesbegriff geschlossen; vielmehr ergibt sich dies für ihn aus dem Nachdenken über den Weg, den Gott bei der Ausbreitung seines Evangeliums gegangen ist. Die Ablehnung Israels kann er dabei nur als Verstockung verstehen, deren Berechtigung zu bezweifeln dem Geschöpf nicht zusteht. Allerdings will der Apostel nicht nur den Status quo verstehen, sondern es geht ihm durchaus darum, die Identität dieses scheinbar willkürlich verstockenden Gottes mit dem Vater zu verstehen, dessen Offenbarung als Evangelium für jeden Glaubenden Röm 1–8 zum Gegenstand hatte.11 Deshalb bleibt Paulus nicht bei diesem Rekurs auf Gottes unhinterfragbaren Willen stehen; hat er in Röm 9 zunächst gegen den Vorwurf der göttlichen Ungerechtigkeit kompromisslos die absolute Souveränität Gottes in seinem erwählenden Handeln betont, so blickt das Ende des Exkurses auf das Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl (Röm 11,25), in der sich Gott selbst treu bleibt bis dahin, dass er sich der Verstockung Israels bedient, um auch den Heiden Zugang zum Heil zu verschaffen – das Heil, das zuletzt wieder Israel einbezieht, dessen Berufung Gott niemals widerrufen hat. Das letzte Wort 11 Siehe dazu den Beitrag »Vater versus Töpfer? Zur Identität Gottes im Römerbrief«, unten S. 299–312.

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behält deshalb nicht die Verwerfung, sondern die Versöhnung (Röm 11,28–36), und das so entschieden, dass so, wie die Aussagen in Röm 9 als Belegstellen für die Lehre von der doppelten Prädestination verwendet werden konnten, so die Spitzenaussage dieses Textes in Röm 11,32 (»Gott hat alle unter den Unglauben verschlossen, damit er sich aller erbarme«) als dictum probans der Lehre von der Allversöhnung. 4.2.2. Die kosmologische Soteriologie der Paulusschule: Der Epheserbrief In aller Ausführlichkeit wird die Vorbestimmung Gottes zur Erwählung von einem unter dem Namen des Apostels schreibenden Schüler in der Eingangseulogie des Epheserbriefes (1,3–14) weiter ausgeführt. Waren die Aussagen des Paulus noch auf die Erörterung konkreter Fragen bezogen, so wird in diesem Text, der in auffälliger Dichte von der Vorherbestimmung und dem Geheimnis von Gottes Ratschluss und von seiner Gnadenwahl in Christus spricht, um die Erlösung im Willen und Vorsatz Gottes zu verankern, die göttliche Vorbestimmung zu einem eigenen Thema. Von ihr heißt es, dass Gott sie letztlich schon »vor der Grundlegung der Welt« festlegte (1,4), sie sich aber jetzt, da die Zeit erfüllt ist, realisiert (1,10). Der Gedanke der Vorbestimmung samt der Präzisierung, dass diese bereits vor aller Schöpfung feststeht, unterstreicht, dass die »Erlösung durch sein [sc. Jesu] Blut« (1,7) aus der Perspektive Gottes nicht als momentane Gegenmaßnahme gegen eine unerwartet aufgetretene Störung in der Schöpfung zu verstehen ist, sondern als souveräne Initiative Gottes, die in seinem ewigen Ratschluss gründet. Der Vorbestimmungsgedanke macht klar, dass Gottes Erlösungshandeln in Christus nicht fremdbestimmte Reaktion, sondern selbstbestimmte Aktion ist. Neben die mit der Vorsilbe προ- gebildeten Vorsehungsäquivalente προωρίζειν (1,5.11), προτίθηµι (1,9) und πρόθεσις (1,11) treten weitere Termini, die den göttlichen Willen ins Zentrum rücken: εὐδοκία (1,5.9), θέληµα (1,5.9.11; vgl. 1,1) und βουλή (1,11). Erstmals wird auch von einer göttlichen οἰκονοµία, einem Heilsplan, gesprochen (1,10; vgl. 3,2.9). Damit ist noch ein Zweites deutlich: In der Deutung des Christusgeschehens als einer göttlichen Selbstbestimmung »vor der Grundlegung des Kosmos« (1,4) kommt nun zunehmend der gesamte Kosmos in den Blick, der von Gott geschaffen ist und bestimmt wird. Das ist ja auch der Ort des philosophischen Vorsehungsgedankens. Aber während dieser sich auf die feststehende Ordnung des Seienden bezieht, geht es bei den christlichen Äquivalenzbildungen um eine in Christus festgelegte und so zielgerichtete Bewegung hin auf die Erlösung als Einswerden mit Gott: Das »Geheimnis seines [sc. Gottes] Willens« ist, so sagt es Eph 1,9f., der »Heilsplan der Erfüllung der Zeiten, das All in Christus zusammenzufassen, das im Himmel und das auf der Erde, in ihm«.

204 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung 4.2.3. Der 1. Petrusbrief Diese verschiedenen, über das Neue Testament verstreuten Aspekte der göttlichen Vorbestimmung finden sich im 1. Petrusbrief zusammengefasst. Bereits in seinem Präskript kommt der Brief darauf zu sprechen. Auf die Nennung von Absender und Adressaten in 1,1 folgt in 1,2 eine triadische Formel, in der in dreifacher Weise auf das Wirken von Vater, Sohn und Geist als Grund des Heils Bezug genommen wird. Wenig überraschend beginnt diese Reihe mit Gottvater, durchaus überraschend wird diesem »Gottvater« die Vorbestimmung12 (πρόγνωσις θεοῦ πατρός) zugeschrieben! Die erste explizit theologische Aussage dieses Briefes verweist auf Gottes Vorbestimmung – deutlicher kann man deren zentrale Bedeutung kaum hervorheben. Diese πρόγνωσις wird als Verb erneut in 1,20 aufgenommen (προεγνωσµένου). Dort heißt es im Blick auf den Loskauf durch das Blut Christi, dass Christus als das makellose Lamm »ausersehen wurde vor der Gründung der Welt«. Wie im lukanischen Doppelwerk (s. u. 4.3.) wird damit die Passion Jesu auf Gottes Vorbestimmung zurückgeführt, wie im Epheserbrief wird betont, dass dieses Erlösungsgeschehen dem ewigen, vor allem Sein feststehenden Willen Gottes entspricht. Der 1. Petrusbrief gehört bei aller Selbständigkeit doch in den weiteren Bereich der paulinisch geprägten Briefliteratur, und wie im Römer- und im Epheserbrief steht auch hier im Zentrum die göttliche Vorbestimmung zum Heil. Ebenso wie Paulus in Röm 9f. kann der 1. Petrusbrief aber im Konfliktfall auch den Unglauben auf ein göttliches Verstockungshandeln zurückführen. In der grundlegenden Passage zur Ekklesiologie des Briefes in 1. Petr 2,4–10 geht der Verfasser von der doppelten Wirkung des »lebendigen Steines« Jesus Christus aus, der »zwar von den Menschen verworfen ist, bei Gott aber auserwählt kostbar« (2,4). Während die Glaubenden zu ihm hinzutreten, um sich als »lebendige Steine« zu einem »geistlichen Haus« und einer »heiligen Priesterschaft« bauen zu lassen (2,5), und so zum Volk Gottes werden (2,9f.), wird derselbe Stein für andere zum »Stein des Anstoßes und Fels des Ärgernisses« (2,7). Der 1. Petrusbrief resümiert: »[An ihm] stoßen sich die, welche dem Wort nicht gehorchen, wozu sie auch bestimmt sind« (2,8). Damit wird auch der Unglaube auf Gottes Vorbestimmung zurückgeführt. Das ist die Kehrseite der Überzeugung, dass die Erwählten sich durch Gottes Erbarmen berufen wissen. Freilich dürfte der Anlass für diese Aussage die Vergewisserung der Glaubenden sein, dass auch der menschliche Widerstand gegen Gott, der ›Ungehorsam‹, nicht eine Grenze der göttlichen Vorbestimmung darstellt. Der weitere Verlauf des Briefes lässt kein Interesse daran erkennen, eine allgemeine 12 Zum Verständnis von πρόγνωσις als »Vorbestimmung« siehe den Beitrag »Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung«, oben S. 10 mit Anm. 32.

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Vorbestimmung zum Unheil festzuschreiben. In einer gewissen Spannung zu der Aussage von 2,8 hält der Brief im Folgenden die Christen dazu an, die feindliche Mitwelt mit Wort und Verhalten so zu beeindrucken, dass sie für das Evangelium gewonnen wird (2,12; 3,1f.15f.). Der 1. Petrusbrief kennt auch das Motiv der göttlichen Fürsorge: Am Ende in 5,7 steht die ermunternde Aufforderung »alle eure Sorge werft auf ihn«, die mit der Zusage begründet wird: »denn er kümmert sich um euch«, eine knappe Variante der aus den Evangelien bekannten Aufforderung zum Nichtsorgen (Lk 12,22–32/Mt 6,25–34). Diese war bei Lukas und bei Matthäus ja begründet worden mit den zitierten Aussagen über den Gott, der die Lilien auf dem Feld kleidet und die Vögel unter dem Himmel nährt und ohne den kein Haar vom Haupt fällt. Hier wie dort ist bemerkenswert, dass diese Aussagen, die am ehesten dem klassischen Verständnis von Vorsehung entsprechen, nicht mit einer entsprechenden Terminologie verbunden werden. Diese bleibt im 1. Petrusbrief wie im ganzen Neuen Testament allein der Soteriologie vorbehalten. 4.3. Das lukanische Doppelwerk In anderer Akzentuierung wird die Vorbestimmung Gottes im lukanischen Doppelwerk zum Ausdruck gebracht. Lukas ist bekanntlich der Evangelist, der sich am konsequentesten um die Inkulturation der Jesusüberlieferung in die griechisch-römische Kultur und deshalb auch um die Übersetzung der christlichen Botschaft in diesen Kontext bemüht hat. In diesem Zusammenhang ist auch sein Bestreben zu verstehen, die Passion des Gottessohnes auf die göttliche Vorherbestimmung zurückzuführen und so dem Anstoß des Kreuzes in einem vorauslaufenden Planen Gottes einen theologischen Ort zu geben. Der Evangelist kann dabei auf das apokalyptische »muss« (δεῖ) in den Leidensweissagungen zurückgreifen (Mk 8,31 par. u. ö.), welches die Unausweichlichkeit des Konfliktes zwischen dem Beauftragten Gottes und der so ganz anders strukturierten Welt zum Ausdruck bringt, ein Konflikt, welchen Gott zulässt, ja, in dem er seinen Willen verwirklicht. Lukas versucht diesen Gedanken noch zu präzisieren und theologisch zu vertiefen, indem er das dahinterstehende göttliche Wollen und Planen thematisiert. Dies geschieht im Evangelium vor allem in den vom Evangelisten gestalteten Rahmentexten. Bereits in der Vorgeschichte prophezeit Simeon den Widerstand, der sich gegen dieses Kind richten wird (Lk 2,34f.). Zum Auftakt des Wirkens Jesu wird dieser Widerstand in der vom Evangelisten völlig umgestalteten Antrittspredigt in Nazareth im Tötungsversuch der Nazarener proleptisch inszeniert (vor allem Lk 4,23–30). Bei der Verklärungsszene fügt der Evangelist die Notiz ein, dass Mose und Elia mit Jesus über »seinen Exodus sprachen, den er in Jerusalem erfüllen sollte« (Lk 9,31), d. h., die himmlischen Gestalten, die Repräsentanten von

206 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Tora und Propheten, deuten Jesu Tod und seine Erhöhung als Erfüllung des Alten Testaments. Dementsprechend belehrt der Auferstandene seine Jünger über die schriftgemäße Notwendigkeit dieses Leidens und Sterbens, zunächst die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,25–27), dann noch einmal alle bei einer Erscheinung in Jerusalem, indem er dartut, »dass alles erfüllt werden musste, was im Gesetz des Mose und bei den Propheten und in den Psalmen über mich geschrieben ist«, wobei er ihnen »den Verstand (νοῦς) öffnet, um die Schriften zu verstehen«, deren Inhalt eben in der Voraussage besteht, »dass Christus leidet und am dritten Tag von den Toten aufersteht« (Lk 24,44–46). Der Schriftbeweis belegt die Konsistenz des göttlichen Willens auch in der Passion, die Petrus bei seiner Pfingstpredigt dann explizit auf »Gottes festgelegten Willen und Vorbestimmung« zurückführt (Apg 2,22–24): Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, einen Mann, bei euch ausgewiesen von Gott durch Machttaten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn mitten unter euch getan hat, wie ihr selbst wisst, diesen, der durch den festgelegten Willen und die Vorbestimmung Gottes preisgegeben wurde, habt ihr durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und getötet. Ihn hat Gott auferweckt, indem er die Wehschmerzen des Todes aufgelöst hat, weil es auch nicht möglich war, dass er von ihm [sc. dem Tod] festgehalten wurde.

Der Rekurs auf den schon vorher feststehenden Willen Gottes und seine Vorbestimmung zielt auch im lukanischen Doppelwerk auf Gottes Handeln im Geschick Jesu Christi: Der Sohn Gottes ist zwar von den Menschen getötet worden, die dafür verantwortlich gemacht werden. Zugleich aber entsprach dieses Geschehen dem Wollen und Planen Gottes, der in diesem von Menschen bewirkten Unheil seine lebendigmachende Schöpfermacht (vgl. Apg 17,25–28) erweist, indem er »die Wehschmerzen des Todes aufgelöst« (Apg 2,24) und den getöteten Jesus zum ἀρχηγὸς τῆς ζωῆς, zum »Fürsten/ Urheber des Lebens«, eingesetzt hat (Apg 3,15). Insofern hat sich die Passion Jesu zwar scheinbar kontingent zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte ereignet, in ihr verwirklicht sich aber zugleich das vorausschauende Planen Gottes, wie die Urgemeinde in Apg 4,22 bekennt (vgl. Lk 22,22; 24,25–27): Wahrlich, sie haben sich versammelt in dieser Stadt wider deinen heiligen Knecht Jesus, welchen du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Völkern von Israel, zu tun, was deine Hand und dein Rat zuvor bedacht haben, dass es geschehen solle.

5. Zusammenfassung An Lukas zeigt sich auch noch einmal, worin die Verwandlung des Vorsehungsgedankens im Neuen Testament besteht: Vorbestimmung zielt nicht auf eine ›gesetzmäßige‹ Erklärung des Verhältnisses Gottes zur ›Welt‹

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oder zur ›Natur‹ durch die Annahme eines alles determinierenden Weltplans. So wie das Neue Testament überhaupt alle Schicksalsbegriffe wie τύχη, εἱµαρµένη, µοῖρα κτλ. meidet, so auch die damit oft verbundene πρόνοια. Das menschliche Schicksal wird in Dank und Bitte, in Lob und Klage – gegebenenfalls bis zum anklagenden Widerstand – aus Gottes Hand genommen, aber es wird nirgends Gottes Vorsehung als unmittelbarer Ausdruck einer göttlichen Notwendigkeit gedeutet. Vorsehungsäquivalente sind im Neuen Testament vielmehr beschränkt auf den Kontext des Heilszuspruchs. Da aber geht es nicht um Bestätigung des Bestehenden, sondern um den göttlichen Willen, der nicht selten im expliziten Widerspruch zur Realität einer sich von diesem Gott lossagenden und seine Ordnungen pervertierenden Schöpfung steht. Vorbestimmung im neutestamentlichen Sinn zielt somit gerade nicht auf die Sanktionierung des Faktischen, sondern auf den Zuspruch der Verlässlichkeit des biblischen Gottes, der seiner gefallenen Schöpfung gerade dadurch treu bleibt, dass er ihr widerspricht. Der Vorsehungsglaube verleiht dem Faktischen religiöse Dignität. Damit repräsentiert er, so die prägnante Formulierung Jörg Rüpkes,13 die göttliche Macht ohne Gesicht. Auf diese Weise aber wird er nur zu leicht zur Maske des Unmenschlichen. Wohl auch deswegen wird der Begriff der Vorsehung im Neuen Testament vermieden. Die in Auseinandersetzung damit entwickelte Vorstellung einer göttlichen Vorbestimmung hat das Gesicht des Gottessohns erhalten, und das heißt, sie steht in einer von Streit und Leid pervertierten Welt für die Gegenmacht des göttlichen Erbarmens.

13 Vgl. J. RÜPKE, Göttliche Macht ohne Gesicht. Eine religionswissenschaftliche Sondierung, in: R. G. KRATZ/H. SPIECKERMANN (Hg.), Vorsehung, Schicksal und göttliche Macht. Antike Stimmen zu einem aktuellen Thema, Tübingen 2008, 1–22.

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Die Wirklichkeit als Schöpfung Die paulinische Rezeption eines frühjüdischen Theologumenons 1. Die jüdische Tradition 1.1. Kosmos – Natur – All. Worte für »Welt« Das Wort »Schöpfung« ist heute auch außerhalb des eigentlich religiösen Kontextes geläufig: In verschiedenen Zusammenhängen wird derzeit ganz unbefangen von der Bedrohtheit der Schöpfung gesprochen und von der Notwendigkeit ihrer Bewahrung. Ich nehme das immer noch mit einem gewissen Erstaunen wahr; denn wenn man Anfang der 70-er Jahre im gesellschaftlichen Diskurs das Wort »Schöpfung« verwendete, dann galt dies als Ausweis rückschrittlicher Apologetik, nicht fortschrittlicher Ökologie. Hier ist nicht der Ort, diesen Paradigmenwechsel und die darin zum Ausdruck kommende Veränderung der Weltwahrnehmung näher zu kommentieren, so reizvoll das sein könnte. Die oben gemachte Feststellung soll hier nur als Hinweis darauf dienen, dass die uns gegenwärtig wieder so vertraute Rede von der Schöpfung so selbstverständlich keineswegs ist – und dass ihre Bedeutung vom jeweiligen Kontext entscheidend mitbestimmt wird. Das ist nicht erst heute so; die Prägung des Wortes κτίσις »Schöpfung« als Inbegriff des Seienden ist eine theologische Leistung des Diasporajudentums, mit der dieses – in Auseinandersetzung mit anderen Weltbildern – die Implikationen des biblischen Glaubens für sein Wirklichkeitsverständnis auf den Begriff gebracht hat, eine Leistung, von der auch das Christentum profitiert hat. Beides soll hier kurz skizziert werden. Spricht man in der griechischsprachigen Antike von der Wirklichkeit als Ganzer, so sagt man entweder generalisierend τὸ ὄν »das Sein« bzw. τὰ πάντα »das All« oder bedient sich qualifizierterer Begriffe wie κόσµος oder φύσις. Qualifizierter sind letztere Begriffe, insofern beiden ein jeweils spezifischer Assoziationshorizont eignet: Bei κόσµος, das bekanntlich auch Schmuck und Ordnung heißt, steht die Vorstellung der Wohlordnung des Ganzen im Vordergrund; bereits Platons Timaios hatte die Welt so als Ergebnis einer Gestaltung durch die göttliche Vernunft gedeutet, und für die Stoiker ist dieser Kosmos gerade als die vom Logos durchwaltete und so vernünftig bestimmte Welt Gegenstand religiöser Verehrung und norma-

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tive Instanz der Daseins- und Handlungsorientierung in einem (vgl. Seneca, Ep. 41). Auch der Begriff φύσις kann einen solchen normativen Gehalt haben (vgl. das stoische ὁµολογουµένως τῇ φύσει ζῆν/secundum naturam vivere), wobei allerdings mit dem Begriff φύσις (als Derivat von φύειν »wachsen lassen«, »erzeugen«) primär die Assoziation von »Natur« im Sinne der sich selbst erhaltenden und fortpflanzenden Lebendigkeit verbunden ist. Das hellenistische Judentum (und in seinem Gefolge das Christentum) hat alle diese Begriffe vorgefunden und sich ihrer bedient. Nun sind solche Wörter nicht neutral: Die Sprache prägt das Denken, und wer bestimmte Begriffe verwendet, begreift damit seine Welt auf eine spezifische Weise. Konkret: Wer vom Kosmos, von der Natur, vom Seienden spricht, deutet damit die Wirklichkeit als in sich bestehendes bzw. sich selbst reproduzierendes System. Das Göttliche wird dem zugeordnet. Das kann durchaus so geschehen, dass man dieses Göttliche als Ursprung des Seienden definiert und als Bedingung der Möglichkeit seiner Ordnung oder Lebendigkeit. Doch auch in diesem Fall wird das, was Gott ist bzw. die Götter sind, im Bezug darauf bestimmt, was man in dieser Wirklichkeit vorfindet. Erst recht gilt das dort, wo Gott bzw. die Götter Exponenten der in der Welt waltenden Mächte sind – letztlich sind Gott bzw. die Götter nichts anderes als »Grundgestalten der Wirklichkeit«, wie es Hermann Kleinknecht gesagt hat,1 oder um mit Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff zu reden: Als in der Wirklichkeit wirksame Macht ist das Göttliche »das κρεῖττον uns gegenüber« und damit »Prädikatsbegriff«. 2 Diese bereits in der Begrifflichkeit angelegte Vorordnung der Ontologie vor die Theologie aber ließ sich nicht ohne Weiteres mit dem biblischen Gottesglauben in Einklang bringen, der in Gott den souveränen Schöpfer und Herrn sah und dessen Weltüberlegenheit etwa in dem vom Frühjudentum gebildeten oder doch geprägten Gottesprädikat παντοκράτωρ auf den Begriff brachte,3 das dann im christlichen Glaubensbekenntnis zwischen die Prädikate »Vater« und »Schöpfer« tritt. Schon früh gab es verschiedene Versuche, dieses Gottesverständnis in die griechische Begrifflichkeit zu übersetzen. In gewisser Weise genial ist die Personalisierung der Ontologie in der Septuaginta-Übersetzung von Ex 3,14: Aus τὸ ὄν wird die göttliche Selbstvorstellung: ἐγώ εἰµι ὁ ὤν. Ähn1

H. KLEINKNECHT, Art. θεός. A. Der griechische Gottesbegriff, ThWNT 3, Stuttgart 1938, 65–79, hier 68. 2 U. V. W ILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Der Glaube der Hellenen, Band I, Berlin 1931, 17 f. 3 Vgl. R. FELDMEIER, Nicht Übermacht noch Impotenz. Zum biblischen Ursprung des Allmachtsbekenntnisses, in: W. H. RITTER/R. FELDMEIER/W. SCHOBERTH/G. ALTNER, Der Allmächtige. Annäherungen an ein umstrittenes Gottesprädikat, Göttingen 1–21997, 13–42.

210 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung liches tut Philon, wenn er über der platonischen Welt der Ideen noch einen ›Großkönig‹ als höchsten Gipfel des Geistigen annimmt.4 Eine andere Möglichkeit ist die Neuinterpretation der Begriffe durch den veränderten Kontext. Um das Gemeinte gleich an Paulus zu exemplifizieren: Der Apostel spricht relativ häufig vom Kosmos, wenn er das bezeichnen will, was das deutsche Wort »Welt« meint. Allerdings meint κόσµος für Paulus nicht wie in der paganen Tradition die Welt als unmittelbaren Ausdruck der göttlichen Ordnung und somit als zu verehrende und normative Größe; als die von Gott geschaffene Welt (Röm 1,20) ist der Kosmos vielmehr von seinem Schöpfer zu unterscheiden. So kann er dann auch als die durch die Sünde des Menschen kontaminierte Wirklichkeit5 in Opposition zu Gott treten: Er kann sich der Gotteserkenntnis verweigern, sodass die σοφία τοῦ κόσµου in expliziten Gegensatz zur Weisheit Gottes tritt (1. Kor 1,20f.). Die Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis wird hier faktisch immer verfehlt.6 Dementsprechend versklaven die Mächte des Kosmos den Menschen (Gal 4,3). Doch trotz dieser Widergöttlichkeit bleibt der Kosmos Gottes Schöpfung und damit auch Adressat des göttlichen Versöhnungshandelns (2. Kor 5,19). Der bemerkenswerteste Vorgang aber war wohl die Tatsache, dass das Diasporajudentum einen eigenen Begriff für das Ganze der Wirklichkeit geprägt hat, und zwar bezeichnenderweise vor allem dort, wo es diese Wirklichkeit in Beziehung zu seinem Gott in den Blick nimmt. Dieser Begriff ist der der κτίσις, ebendas, was wir im Deutschen mit »Schöpfung« wiedergeben. 1.2. Der Begriff der κτίσις im hellenistischen Judentum Dabei ist, um die im Folgenden ausgeführte These gleich vorwegzunehmen, weder das Wort κτίσις noch die Vorstellung einer göttlichen Weltschöpfung etwas spezifisch Jüdisches. Spezifisch jüdisch ist vielmehr die Verbindung der Schöpfungsaussage mit dem Begriff κτίσις. Was ist gemeint? Dass die Welt durch einen Gott bzw. die Götter gemacht wurde, wird in zahlreichen antiken Schöpfungsmythen dargestellt – archaisch als Zeugung und Kampf der Götter bei Hesiod (Theog. 116ff.), reflektierter als Überwindung des Chaos durch das ordnende Wirken eines Gottes am Beginn von Ovids Metamorphosen (Met. I,5ff., bes. I,21ff.). Diese Überzeugung wurde dann auch wiederholt philosophisch ausgedeutet, wie etwa Platons Timaios und dessen wiederholte Kommentierung im Platonismus, aber 4 Opif. 71. Dabei ist Philon insofern biblischem Denken verpflichtet, als für ihn dieser oberste Gott zugleich der Schöpfer der Ideen und der Welt ist und über beidem steht (vgl. Opif. 15 ff.). 5 Vgl. Röm 5,12 (s. u. Anm. 13). 6 Röm 1,18 ff., zur Deutung s. u. Abschnitt 2.1.

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auch der Preis der göttlichen Weltherrschaft im Zeushymnus des Stoikers Kleanthes zeigen. Als Begriff für das schöpferische göttliche Handeln wurde – neben Verben wie ποιεῖν, πλάσσειν und θεµελιοῦν – vor allem δηµιουργός samt seinen Derivaten verwendet (so etwa bei Platon in Tim. 40c oder Rep. VII,530a). Bemerkenswerterweise hat jedoch die Septuaginta ebendiesen Begriff, der eine deutliche Affinität zum Verfertigen eines Handwerkers hat, kein einziges Mal für die Schöpfertätigkeit Gottes verwandt.7 Stattdessen hat sie das hebräische ‫ ברא‬mit κτίζειν und dessen Derivaten wiedergegeben. Nun ist, wie gesagt, auch dieser Begriff schon in der Profangräzität gebräuchlich. Das Verb hat dort die Bedeutung »gründen«, »errichten«, das Substantiv kann dementsprechend die Gründung oder Ansiedlung (etwa einer Kolonie), also die »Setzung« eines Gemeinwesens durch die Absicht und den Willen eines Gründers, bezeichnen.8 Es ist also durchaus nicht das Wort, das einem Griechen als Erstes einfiele, wenn er an Schöpfung denkt! Ehe darauf näher eingegangen wird, noch eine weitere sprachliche Beobachtung: Für κτίσις als Bezeichnung der Welt als des Resultats der göttlichen Schöpfertätigkeit, also für unser Wort »Schöpfung«, scheint es im Alten Testament kein hebräisches Äquivalent zu geben; in der Septuaginta kommt κτίσις nur viermal in Texten vor, die aus dem Hebräischen übersetzt wurden, und dort wurde der Begriff von den Übersetzern interpretierend eingefügt.9 Dagegen findet er sich vergleichsweise häufig in ursprünglich griechisch verfassten Schriften wie Judith, Sapientia Salomonis und 3. Makkabäer sowie in den Pseudepigraphen, dreimal auch in Sirach. Die Verwendung des Substantivs zeigt eine Ontologisierung der Schöpfungsvorstellung und damit eine nicht unbedeutende Hellenisierung der jüdischen Theologie. Wenn nun aber die göttliche Schöpfungstätigkeit mit κτίζειν »gründen« wiedergegeben und deren Resultat, die ganze Welt, als göttliches Gründen, als κτίσις, bezeichnet wird,10 so bedeutet dies gegenüber allen anderen Begriffen für die Welt und Wirklichkeit eine klare Neuinterpretation, und zwar in folgenden Aspekten: 1. Diese Welt hat nicht aus sich selbst Bestand, ihr Wesen besteht nicht darin, dass in ihr eine Ordnung waltet oder dass sie Leben hervorzubringen vermag, sondern sie wurde durch einen göttlichen Willensakt hervorgebracht und wird durch diesen erhalten. »Die Beständigkeit des Universums 7

W. FÖRSTER, Art. κτίζω κτλ., ThWNT 3, Stuttgart 1938, 999–1034, hier 1022. H. G. L IDDELL/R. SCOTT, A Greek-English Lexicon, Oxford 91996, 1003: founding, settling. 9 Laut E. HATCH/H. A. REDPATH, A Concordance to the Septuagint, Oxford 1897, s. v., gibt κτίσις in Ps 103[104],24; 104[105],21 ‫» קנין‬Eigentum«, in Spr 1,13; 10,15 ‫חון‬ »Güter« wieder. 10 Im Wort κτίσις ist noch das Moment des göttlichen Setzens bestimmender als in κτίσµα. 8

212 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung beruht nicht auf sich selbst, sondern ist begründet, gesetzt. Das Universum ist das Abbild der Beständigkeit der Liebe und der Treue des Schöpfers.« 11 2. Als Schöpfer ist dieser Gott ihr souveräner Herr, der in seinen Möglichkeiten nicht vom Seienden eingeschränkt ist, sondern es aus dem Nichts hervorruft. In diesem Sinn unterscheidet etwa Philon in Somn. I,76 zwischen δηµιουργός und κτίστης: »Wie … die aufgehende Sonne das Verborgene an den Körpern zeigt, so brachte auch Gott, der alles geschaffen hat, es nicht nur ans Licht, sondern er schuf auch das, was vorher nicht war, da er nicht nur Werkmeister (δηµιουργός), sondern ein Schöpfer (κτίστης) ist.« 3. Insofern κτίσις die ganze Wirklichkeit als Verwirklichung eines souveränen göttlichen Willens bezeichnet, setzt dieser Wille auch die Bedingungen für das, was möglich ist. Nur so ist eine Aussage von Gott wie die in SapSal 5,17: »und er wird die Schöpfung zur Waffe machen in Abwehr der Feinde« vorstellbar oder auch die »Hoffnung wider Hoffnung« eines Abraham, der sich nicht an den Möglichkeiten des Seienden orientiert, sondern an dem Gott, der das Nichtseiende ins Sein ruft (Röm 4,17f.). Nicht zufällig entwickelt sich in diesem Denkzusammenhang dann die Überzeugung von einer Auferstehung der Toten (ebd.; vgl. 2. Makk 7,28f.). 4. Insofern der Zusammenhang von Schöpfer und Schöpfung nicht in einer ontologischen Verbundenheit, sondern im göttlichen Willen gründet, kann sich dieser Gott dann auch zu seiner Schöpfung willentlich in Beziehung setzten; die Ontologie wird der Theologie nachgeordnet. Das frühe Christentum hat sich diese theologische Errungenschaft des Antiken Judentums im Blick auf sein Wirklichkeitsverständnis zu eigen gemacht. Vor allem dessen erster großer Denker Paulus hat dies zugleich im Horizont seiner Theologie fruchtbar weiter entfaltet. Ich will im Folgenden skizzieren, wie der Apostel vor allem im Römerbrief dieses Theologumenon rezipiert und welche Implikationen dies für das Verhältnis von Gott und Welt und damit für das Verständnis der Wirklichkeit hat.

2. Die paulinische Rede von der Schöpfung 2.1. Die strikte Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf In Röm 1,18–3,20 entfaltet Paulus seine These von der Rechtfertigung aus Glauben bekanntlich zunächst nach ihrer negativen Seite hin, indem er zeigt, dass die Menschheit Gott ungehorsam war und deshalb unter Gottes Zorn steht. In 1,18–32 wird dies zuerst am Beispiel der Heiden vorgeführt. Diese kennen zwar nicht die Tora, aber es wäre ihnen möglich gewesen, 11 R. BRÁGUE, Die Weisheit der Welt. Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken, München 2006, 64.

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Gottes Macht und seine Gottheit aus seinen Schöpfungswerken zu erkennen (1,19f.); der Kosmos erscheint hier geradezu als Ort der Selbstoffenbarung Gottes. Doch diese Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis wurde und wird faktisch immer verfehlt, weil die Menschen »die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in das Bild eines vergänglichen Menschen und das von Vögeln und Vierfüßlern und Kriechtieren verkehrt haben« (1,23). Die Argumentation entstammt dem apologetischen Arsenal der Diasporasynagoge; sie rechtfertigt die bildlose jüdische Gottesverehrung durch Kontrastierung mit den anthropomorphen und theriomorphen Götterbildern. Das ist, wie gesagt, Polemik, der es mehr um den Effekt zu tun ist denn darum, dem religiösen Gegner gerecht zu werden.12 Doch hinter der Polemik steckt ein ernsteres Anliegen. Über die bloße Kritik anderer Religiosität hinaus hat diese Abgrenzung auch den Zweck, deutlich zu machen, dass der biblische Gott nicht in irgendeiner Weise ein Aspekt von Welt ist, eben nicht ein wie auch immer gearteter »Prädikatsbegriff«, sondern der ihr frei gegenüberstehende Schöpfer und Herr. Ihm als dem Ursprung allen Seins (Röm 4,17: καλῶν τὰ µὴ ὄντα ὡς ὄντα) gebührt im Gegensatz zu allem Geschaffenen allein Anbetung. Der Apostel bringt dies denn auch sehr klar auf den Begriff, wenn er seinen Vorwurf dahin gehend präzisiert, dass die Heiden »der Schöpfung anstelle des Schöpfers religiöse Verehrung erwiesen« und damit »die Wahrheit Gottes in Lüge verkehrt haben« (1,25). Dem polemischen Charakter dieser Ausführungen gemäß ist hier alles auf die Entgegensetzung von Schöpfer und Schöpfung konzentriert. Aber diese Entgegensetzung erschließt schon die Weltwahrnehmung in spezifischer Weise; denn so kommen gerade auch das Leid und das Elend dieser Welt mit aller Deutlichkeit in den Blick. Diese Schöpfung steht, so sagt es Röm 1, unter Gottes Zorn, sie ist, wie Paulus dann in Röm 5 und nochmals in Röm 8 entfaltet, durch die Sünde kontaminiert und dem Vergehen unterworfen. Mit erstaunlicher Schärfe nimmt der Apostel die Unvollkommenheiten der Schöpfung wahr, und er gibt dafür auch im Rückgriff auf Gen 3 eine heilsgeschichtliche Erklärung. Damit ist er – neben den Verfassern der Sapientia Salomonis und der Apokalypse des Mose – der erste uns bekannte Theologe aus dem Bereich des Antiken Judentums, der die negativen Aspekte der »sehr gut« geschaffenen Welt durch Rückgriff auf die Urgeschichte erklärt und Gen 3 als Ätiologie des Nichtigen, des Bösen und des Todes deutet.13 Als Folge der adamitischen Übertretung ist die Verdammnis über alle Menschen gekommen (Röm 5,18), die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen (8,20). 12 Zu den Götterbildern vgl. Porphyrios, Περὶ ἀγαλµάτων; speziell zu der auch im paganen Bereich umstrittenen Tierverehrung vgl. Plutarch, De Iside 71–76. 13 Vgl. erneut Röm 5,12: »Durch einen Menschen kam die Sünde in den Kosmos und durch die Sünde der Tod« (s. o. Anm. 5); verkürzt findet sich dieselbe Aussage nochmals in 1. Kor 15,21a.

214 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Doch dies ist nur die eine, gleichsam die dunkle Seite der Medaille. Schon die Polemik von Röm 1,18–32 hat ja ihren Sinn letztlich darin, das paulinische Evangelium von der Rechtfertigung allein aus Glauben verständlich zu machen. Denn die strikte Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf ermöglicht eine neue Bestimmung des Verhältnisses beider, die der Schöpfung zugute kommt. Damit sind wir beim nächsten Text, in dem der Apostel näher auf die Schöpfung eingeht, bei Röm 8,18ff. 2.2. Das Stöhnen der Schöpfung und ihre sehnsüchtige Erwartung Röm 8 ist der Zielpunkt des ersten Hauptteils des Römerbriefs, wo Paulus das neue Leben als Folge der Rechtfertigung schildert. Rechtfertigung bedeutet in letzter Konsequenz, das entfaltet 8,1–17, die υἱοθεσία, die Einsetzung derer, die in Christus sind, zu Söhnen Gottes. Das heißt: Aus Geschöpfen werden Kinder! Als solche haben sie Frieden mit Gott und Zugang zu ihm (vgl. 5,1f.), sie sind mit seinem Geist erfüllt und haben so bereits jetzt an der lebendigmachenden Macht Gottes teil (8,9ff.), sie sind der Teilhabe an der göttlichen Herrlichkeit gewiss (8,17). Die Gottesgegenwart bestimmt bereits so das Leben der Glaubenden, dass die bedrängenden Aspekte der Schöpfung in den Hintergrund treten. Dementsprechend heißt es in 8,18 weiter: »So bin ich der Überzeugung, dass die Leiden der Gegenwart nicht ins Gewicht fallen gegenüber der künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.« Nun liegt es nahe, angesichts des Leidens in und an der Welt dies als Befreiung der frommen Seelen von der Nichtigkeit des irdischen Jammertals zu verstehen. So aber will der Apostel die ἀπολύτρωσις τοῦ σώµατος ἡµῶν, von der er in 8,23 spricht, keineswegs verstanden wissen. Vielmehr nimmt er gerade aus der Perspektive des in der Gottesgemeinschaft begründeten Heils noch einmal in aller Schärfe die Unerlöstheit der ganzen Schöpfung wahr, eben ihr Stöhnen und Seufzen (8,20). Was Paulus dabei genau mit κτίσις meint, ist umstritten – am ehesten dürfte damit hier die außermenschliche Schöpfung gemeint sein,14 die geradezu als ein lebendes Wesen wahrgenommen wird, das leidet und in diesem Leiden sich letztlich nach Gottes Eingreifen sehnt. Ihr Seufzen wird von Paulus als Zeichen von ἀποκαραδοκία, als Ausdruck einer sehnsüchtigen Erwartung gedeutet, der Hoffnung auf Befreiung von der Sklaverei des Vergehens. Und diese Hoffnung ist nicht vergebens – eben weil sie sich auf Gott den Schöpfer richtet. Als Schöpfer steht dieser 14

κτίσις wird hier jedenfalls von den Christen unterschieden. Der Bezug auf die Engel passt nicht, da diese ja nicht der Nichtigkeit unterworfen sind. Vertreten wird auch der Bezug auf die außerchristliche Menschheit, aber auch das überzeugt bei näherem Zusehen nicht; die Menschheit soll ja missioniert werden und partizipiert daher nicht nur an der Offenbarung der Kinder Gottes. Zum Ganzen vgl. U. W ILCKENS, Der Brief an die Römer, 2. Teilband (EKK VI/2), Düsseldorf 42003, 153.

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Gott zum einen selbst über dem universellen Verhängnis der Nichtigkeit und des Vergehens, zum andern bleibt er das Ziel des durch ihn geschaffenen Alls (11,36; vgl. 1. Kor 8,6). Er hat zwar diese Schöpfung der Nichtigkeit unterworfen, aber »auf Hoffnung hin« (Röm 8,20). Anders also als das schlechthin jenseitige Göttliche der platonischen Metaphysik bleibt der von seiner Schöpfung strikt unterschiedene Schöpfer mit dieser verbunden, weil er als ihr Ursprung und Ziel sie an sich gebunden hat. Damit ist klar, was der positive Sinn der paulinischen Entgegensetzung von Schöpfer und Schöpfung ist: An die Stelle eines seinsmäßigen Zusammenhangs des Göttlichen mit der Wirklichkeit, welche deren Mängel gegenüber der göttlichen Vollkommenheit immer nur als ontologische Defizite interpretieren kann, tritt die strikte Unterscheidung beider – und zwar die Unterscheidung als Bedingung der Möglichkeit von Beziehung und damit von Gemeinschaft. An die Stelle gleichbleibender Ontologie tritt die Geschichte; als Schöpfung wird diese Welt eingebunden in die von Gott bestimmte Heilsgeschichte zwischen Fall und Gericht bzw. Erlösung.15 2.3. Die eschatologische Dimension der Rede von der Schöpfung Die Rede von der Schöpfung hat also bei Paulus letztlich eine soteriologische Pointe, sie macht deutlich, »daß die Schöpfung als ganze und vor allem der Mensch als ihr durch die Liebe des Schöpfers in besonderer Weise ausgezeichneter Teil es von Anfang an mit dem Erlöser zu tun haben«. 16 Deswegen kann der Apostel dann auch umgekehrt seine Erlösungshoffnung unter Rekurs auf Gottes Schöpfungshandeln plausibel machen – im Auferstehungskapitel 1. Kor 15 im Blick auf das Wirken Gottes in der Schöpfung, das immer wieder aus Totem Lebendiges entstehen lässt, in Röm 4 unter Bezug auf die creatio ex nihilo. Gott ist als der Schöpfer der Erlöser. Und als der Erlöser bleibt er der Schöpfer, der in Christus als der die Glaubenden von Neuem Schaffende gegenwärtig und wirksam ist. Deshalb kann Paulus in 2. Kor 5,17 die Spitzenaussage formulieren, dass für diejenigen, die in Christus sind, das Alte vergangen und Neues geworden ist, dass hier bereits die neue Schöpfung gegenwärtig ist. 15 Vgl. O. W ISCHMEYER, ΦΥΣΙΣ und ΚΤΙΣΙΣ bei Paulus. Die paulinische Rede von Schöpfung und Natur, in: DIES., Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments, hg. v. E.-M. BECKER (WUNT 173), Tübingen 2004, 207–228, hier 210: »κτίσις ist also weder geschichtslos gleichbleibende noch sich nach inneren Notwendigkeiten entwickelnde Natur, sondern das mächte- und epochenmäßig strukturierte Schöpfungswerk, das ins Dasein gerufen ist und auf Vernichtung – so die Mächtesphäre des Todesbereiches – oder auf Vollendung wartet.« 16 O. HOFIUS, Christus als Schöpfungsmittler und Erlösungsmittler. Das Bekenntnis 1 Kor 8,6 im Kontext der paulinischen Theologie, in: U. SCHNELLE/T. SÖDING (Hg.), Paulinische Christologie, Göttingen 2000, 47–58, hier 56.

Henoch, Herakles und die Himmelfahrt Jesu 1. Jesu Erhöhung und die Macht Gottes Wenn das Neue Testament von Jesu Auferstehung spricht, dann verwendet es eine apokalyptische Kategorie, d. h., nach der Überzeugung der ersten Christen hat sich an Jesus das bereits vollzogen, was im Horizont frühjüdischer Apokalyptik für das Ende der Zeiten erwartet wird. Insofern hat das, was an Jesus geschehen ist, für die Zukunft der Glaubenden, ja aller Menschen universelle Bedeutung.1 In den meisten Schriften des Neuen Testaments – von den vorpaulinischen Hymnen über Paulus und seine Schule, die Evangelien, den Hebräerbrief und den 1. Petrusbrief bis zur Johannesoffenbarung – wird diese universelle Bedeutung des Auferstandenen durch das Theologumenon seiner ›Erhöhung zur Rechten Gottes‹ ausgedrückt, auffallend häufig unter explizitem oder implizitem Bezug auf Ps 110,1.2 Was damit gemeint ist, kann an dem vielleicht ältesten Text zu diesem Thema gesehen werden, der dieses Geschehen in hymnischer Form preist, am Philipperhymnus. Der Hymnus wurde erstmals von E. Lohmeyer aufgrund der stilistischen Unterschiede zum Kontext, seiner rhythmischen Gliederung und seiner unpaulinischen Wendungen als ein vorpaulinisches Traditionsstück und damit überlieferungsgeschichtlich als einer der ältesten Texte des Neuen Testaments erkannt.3 Erzählt wird die Geschichte dessen, 1 Vielleicht am besten macht dies Paulus in seinem Auferstehungskapitel 1. Kor 15 deutlich, wenn er in V. 20–28 die universalen Folgen des Auferstehungsgeschehens schildert mithilfe des dramatischen Szenarios einer Unterwerfung des Alls unter Gottes Herrschaft durch den Auferstandenen, den er als »Erstling (der Entschlafenen)« bezeichnet (V. 20.23), d. h., das Geschick Jesu markiert den Beginn der Entmachtung des Todes (Röm 5,12–21; 1. Kor 15,50–57) und damit der Erneuerung der gesamten Schöpfung. 2 Dieser ist der am meisten zitierte Psalm im Neuen Testament und nach Lev 19,18 auch die am meisten zitierte Schriftstelle; vgl. M. HENGEL, »Setze dich zu meiner Rechten!« Die Inthronisation Christi zur Rechten Gottes und Psalm 110,1, in: DERS., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV (WUNT 201), Tübingen 2006, 281–367. 3 Vgl. E. LOHMEYER, Kyrios Jesus. Eine Untersuchung zu Phil. 2,5–11 (SHAW.PH 1927/28,4), Darmstadt 1962, 4–10. Die meisten Ausleger sind Lohmeyer gefolgt; vgl. unter den neueren Kommentaren U. B. M ÜLLER, Der Brief des Paulus an die Philipper (ThHK 11/I), Leipzig 22002, 92–95; N. W ALTER, Der Brief an die Philipper, in: DERS./ E. REINMUTH/P. LAMPE, Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon (NTD 8/2), Göttingen 1998, 56–58. Für unseren Zusammenhang ist es zweitrangig, wel-

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der, obgleich er in göttlicher Gestalt war, sich erniedrigt hat und gehorsam den Weg bis ans Kreuz gegangen ist. Im Gegenzug wird dieser erhöht, wobei er allerdings nicht nur wieder in seine ursprüngliche Göttlichkeit eingesetzt, sondern weit darüber hinaus zu einzigartiger Höhe erhoben wird. Das drückt sich darin aus, dass der am Kreuz den Sklaventod Gestorbene nun den Namen Kyrios erhält. Als »Name über jedem Namen«, vor dem sich die gesamte Schöpfung mit Einschluss der Toten 4 anbetend beugt, kann dieser Kyriosname nur Gottes Eigenname sein, das Tetragramm, das schon die Septuaginta mit Kyrios übersetzt.5 Wenn nun im Namen Jesu »jedes Knie sich beugt, derer im Himmel und auf der Erde und unter der Erde«, diesem Jesus also eine Ehrung zuteil wird, wie sie nur Gott selbst zukommt,6 dann wird damit auch im Blick auf die Stellung Jesu pointiert deutlich gemacht, dass er als der Erhöhte an Gottes (All-)Macht teilhat, ja, dass er Gottes Stelle einnimmt. Wie weitgehend das im Neuen Testament gemeint ist, zeigt sich daran, dass dem Erhöhten von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht Tätigkeiten zugeschrieben werden, die bislang exklusive Domäne des einen Gottes Israels waren. Es geht also um eine ungeheure Machtfülle, die gerade dem zuteil wird, der sich bis zum Äußersten erniedrigt, also auf seine Macht verzichtet hatte. Genau besehen betrifft das nicht nur Christus, sondern auch Gott selbst. Denn möglich wird die paradoxe Karriere7 durch das Handeln dessen, der chen Umfang das Lied ursprünglich hatte und welche Zusätze von Paulus stammen; vor allem V. 8c wird zumeist als ein paulinischer Zusatz angesehen; dagegen O. H OFIUS, Der Christushymnus Philipper 2,6–11. Untersuchungen zu Gestalt und Aussage eines urchristlichen Psalms (WUNT 17), Tübingen 1976, 4–12. 4 Entgegen der lange üblichen dämonologischen Deutung (vgl. E. K ÄSEMANN, Kritische Analyse von Phil. 2,5–11, in: DERS., Exegetische Versuche und Besinnungen. Erster Band, Göttingen 61970, 51–95, hier 85–88; J. GNILKA, Der Philipperbrief [HThK X,3], Freiburg i. Br. u. a. 41987, 126–130) hat O. Hofius in seiner Untersuchung plausibel machen können, dass es sich um die Schöpfung mit Einschluss der Toten handelt; vgl. HOFIUS, Christushymnus (Anm. 3), 53 f.; zur alttestamentlichen Vorlage vgl. 45 f. 5 Zwar findet sich in den wenigen jüdischen Septuagintapapyri, die wir besitzen, noch das Tetragramm in althebräischen Buchstaben, aber das sind vermutlich sekundäre Einfügungen; vgl. R. H ANHART, Textgeschichtliche Probleme der LXX von ihrer Entstehung bis Origenes, in: M. HENGEL/A. M. SCHWEMER (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum (WUNT 72), Tübingen 1994, 1–19, hier 8 f. Der Sprachgebrauch Philons zeigt, dass längst Kyrios für das Tetragramm gelesen wurde, vermutlich bereits seit den ersten Übersetzungen des hebräischen Textes; vgl. HENGEL, Inthronisation (Anm. 2), 310. Das macht auch die bisweilen vorgeschlagene Zurückführung des Kyriostitels auf christliche Redaktionstätigkeit unwahrscheinlich; gegen sie spricht auch, dass das Neue Testament Kyrios als Gottesbezeichnung zurückdrängt. 6 Wie O. Hofius überzeugend nachgewiesen hat, bildet die sowohl in prophetischer Tradition wie in den Psalmen bezeugte eschatologische Huldigung vor J HWH den Hintergrund von Phil 2,9–11; siehe H OFIUS, Christushymnus (Anm. 3), 41–55. 7 Vgl. W ALTER, Brief an die Philipper (Anm. 3), 59.

218 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung bisher diesen Namen trug und der der Selbsterniedrigung Jesu dadurch entspricht, dass er seinerseits nicht auf seiner göttlichen Einzigartigkeit als »ein einziger Herr« (Dtn 6,4 LXX: κύριος εἷς) bestanden hat, sondern Jesus mit seinem Namen auch an seiner Gottheit und Herrschaft Anteil gibt. Damit aber wird der ›alte‹ Gott nicht entehrt, sondern er findet im Gegenteil in der Erhöhung des Erniedrigten seine Ehre, und zwar seine Ehre als Vater, wie er nun in Phil 2,11 genannt wird. Es geht somit in diesem zentralen christologischen Zeugnis um Macht. Das bestätigt auch der Kontext, in dem der Apostel gegenüber dem sonst üblichen Imponiergehabe, bei dem der eine den anderen aussticht, betont, die Einheit der Christen werde erreicht, indem sie ihre Liebe zueinander dadurch zeigen, dass jeder, statt sich selbst in Ruhmsucht zu überheben, in Demut die anderen als sich selbst überlegen betrachtet (Phil 2,2f.). Ein solches dem ›natürlichen‹ bellum omnium contra omnes diametral entgegengesetztes Verhalten kann nur denen zugemutet werden, die ›in Christus‹ sind (Phil 2,5), d. h., die in einem völlig neuen Bezugssystem existieren. Dieses Bezugssystem wird nun durch den Hymnus erläutert als eine Wirklichkeit, in der gerade derjenige, der nicht auf der eigenen Überlegenheit insistiert (Phil 2,6), sondern sich ›entäußert‹, Sklavengestalt annimmt (Phil 2,7) und sich erniedrigt (Phil 2,8), zur höchsten Höhe erhöht wird. Das gilt dann auch für diejenigen, die von dieser neuen Wirklichkeit Gottes geprägt sind. Deren Demut ist nicht Schwäche, sondern eine andere Form der Stärke. In diesem Sinn kann dann auch der Apostel von sich selbst sagen: »Ich vermag alles durch den, der mich ermächtigt« (Phil 4,13). Besonders markant ist hier der Gebrauch des außerordentlich seltenen Verbs ἐνδυναµοῦν (»in etwas mächtig sein«), das schon von seiner Semantik her Gottes Macht als Ermächtigung des Gegenübers zur Sprache bringt, so wie es der Hymnus an Christus schildert. Paulus bezeugt immer wieder diese ermächtigende Macht Gottes im Evangelium.8 Die Erhöhung Christi bringt also die universale Dimension der Auferstehung zur Geltung, und zwar nicht zuletzt im Blick auf ein neues Verständnis der Macht Gottes. In diesen Zusammenhang gehört auch die Erzählung von Jesu Himmelfahrt im lukanischen Doppelwerk. Ehe dies im 4. Abschnitt näher ausgeführt wird, soll in zwei Zwischenschritten zunächst das Himmelfahrtsmotiv 8 Die Stärkung durch Gottes ermächtigende Macht hat der Apostel in den eigenen Bedrängnissen immer wieder erlebt. Vor allem im 2. Korintherbrief findet sich wiederholt die Übersetzung der Kreuzestheologie in die eigene Lebenserfahrung (vgl. 2. Kor 1,8–11; 4,7–11). Der locus classicus für die ›einwohnende‹ Macht Gottes ist die sogenannte Narrenrede (vgl. bes. 2. Kor 11,1–12,10), wo der Apostel von Christus die Auskunft erhält, dass dessen Kraft sich gerade in seiner Schwachheit vollendet und der sich gerade deshalb seiner Schwachheit rühmt, weil er in ihr mächtig ist (2. Kor 12,9 f.); vgl. dazu U. HECKEL, Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2 Kor 10–13 (WUNT II/56), Tübingen 1993.

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in den religionsgeschichtlichen Kontext seiner Zeit gestellt und daraufhin ein Blick auf die hermeneutische Strategie des auctor ad Theophilum9 geworfen werden, die bei diesem Motiv besonders deutlich hervortritt.

2. ›Himmelfahrten‹ im Vergleich Die Himmelfahrt Jesu wird nur im lukanischen Doppelwerk erzählt. Allerdings gibt es außerhalb des Neuen Testaments durchaus Vorbilder für eine derartige narrative Ausgestaltung der Erhöhung. Als biblische Vorlage bot sich natürlich Elia an, der Prophet, der nach seinem von Verfolgungen begleiteten Einsatz für den einen Gott Israels im feurigen Wagen gen Himmel fuhr (2. Kön 2,1–16). Die Geläufigkeit dieser Tradition in neutestamentlicher Zeit zeigt sich auch daran, dass in der frühjüdischen Literatur wiederholt auf diese Entrückung Elias Bezug genommen wird (Sir 48,9.12; 1. Makk 2,58; vgl. 1. Hen 93,8). Der Bezug auf Elia bot sich für Lukas umso mehr an, weil auch sonst die prophetische Tradition für seine Christologie eine besondere Rolle spielt.10 Auch in manchen Einzelheiten weist die Entrückung des Elia auffällige Entsprechungen zur Himmelfahrt Jesu auf. So lässt der gen Himmel fahrende Gottesmann Elisa als seinen Erben zurück, wobei besonders bemerkenswert ist, dass der Nachfolger auch den Geist des Propheten übertragen bekommt (2. Kön 2,9f.15), ein Zug, der ebenfalls in der späteren Überlieferung bewusst erhalten bleibt (Sir 48,12). In vergleichbarer Weise setzt Jesus beim Abschied seine Jünger ein, um sein Werk fortzuführen, und verheißt ihnen dafür den Heiligen Geist (Apg 1,8; vgl. Lk 24,48f.; Apg 1,5), den er an Pfingsten über sie ausgießt. Aber auch von anderen Gestalten der biblischen Überlieferung werden Entrückungen berichtet. Hier ist vor allem Henoch zu nennen. Die kryptische Notiz in Gen 5,24, dass Henoch mit Gott wandelte, von Gott hinweggenommen und seitdem nicht mehr gesehen wurde, hat die fromme Phantasie immer wieder gereizt und eine eigene Henoch-Literatur hervorgebracht. Im Slawischen Henochbuch wird geschildert, wie der entrückte Henoch, nachdem er von Gott Offenbarungen empfangen hat, wieder auf die Erde zurückkommt, um das Volk über das, was er unmittelbar von Gott erfahren hat, zu belehren. Daraufhin wird er erneut (und diesmal endgültig) entrückt: 9 Ob dieser mit dem Paulusbegleiter identisch ist, ist bis heute umstritten. Kritisch etwa J. WEHNERT, Die Wir-Passagen der Apostelgeschichte. Ein lukanisches Stilmittel aus jüdischer Tradition (GTA 40), Göttingen 1989; positiv C.-J. T HORNTON, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen (WUNT 56), Tübingen 1991, und der neue Kommentar von M. WOLTER, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 4–10. 10 Vgl. G. NEBE, Prophetische Züge im Bilde Jesu bei Lukas (BWANT 127), Stuttgart u. a. 1989.

220 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Als Henoch zu seinem Volk gesprochen hatte, sandte der Herr eine Finsternis auf die Erde, und es war finster und bedeckte die Männer, die bei Henoch standen. Und die Engel eilten und trugen ihn hinauf in den höchsten Himmel, wo ihn der Herr aufnahm und vor sein Angesicht stellte in Ewigkeit. Und die Finsternis verschwand von der Erde, und es wurde Licht. Und obgleich das Volk sah, verstand es nicht, wie Henoch hinweggenommen worden war. Und sie verherrlichten Gott. (2. Hen 57,1–3)

Auch hier gibt es einige Parallelen: Es ist der von Gott selbst unterwiesene Offenbarungsträger (vgl. Lk 10,21f.), der aus der Mitte derer, die von ihm belehrt wurden, wieder in den Himmel aufgenommen wird, und zwar zu einer ewigen Gottesnähe. Beide Male sind Engel beteiligt (vgl. Apg 1,10), und wie bei Lukas die Jünger das Geschehen nicht verstehen, sondern belehrt werden müssen (Apg 1,11), so versteht auch hier das Volk das Geschehen nicht. Aber beide Male endet das Geschehen mit dem Lobpreis Gottes (Lk 24,53). Trotz dieser Parallelen verbietet sich angesichts der Eigenständigkeit der lukanischen Erzählung eine direkte Ableitung aus einer bestimmten Tradition. Lukas hat nicht einfach eine Vorlage nachgeahmt, sondern er hat sich bestimmter Motive bedient, um die Erhöhung Jesu sinnfällig vor Augen zu stellen. Dabei ist zu beachten, dass sich solche Motive keineswegs nur in der jüdischen Überlieferung finden. Häufiger sind Himmelfahrten in der paganen Tradition, und im Kaiserkult spielen sie bei der Apotheose der Kaiser, die nicht der damnatio memoriae anheimfallen, eine wichtige Rolle.11 Damit konnte das mythische Element natürlich auch »zum Werkzeug einer vom politischen Kalkül gesteuerten Massenpropaganda«12 werden, aber das war keineswegs dessen ursprünglicher Sinn. Eine Erhöhung in den Himmel ist vielmehr der Lohn für außerordentliche Tüchtigkeit und Verdienste. Vor allem in der Himmelfahrt des sich selbst auf dem Berge Oeta verbrennenden Herakles dürfte mancher der gebildeteren Leser des Lukas eine Entsprechung zu dem gesehen haben, was von Jesus berichtet wird, zumal auch bei Herakles die Himmelfahrt die Vollendung eines Lebens darstellt, das keineswegs von göttlicher Unbeschwertheit geprägt war, sondern von Mühen und Leiden. Dabei ist es nicht unwichtig, dass Herakles, der ursprünglich so etwas wie der »starke Hans«13 der archaischen Tradition gewesen sein dürfte, immer mehr ›veredelt‹ wurde. Seine Taten wurden als Befreiung der Menschheit von Geißeln gedeutet; Ovid lässt in seinen Metamorphosen Herakles 11 J. ROLOFF, Die Apostelgeschichte (NTD 5 19), Göttingen 32010, 25: »In der römischen Kaiserzeit wurde die Entrückung zum stehenden Requisit der Herrscherapotheose […]. Erst dann konnte ein verstorbener Kaiser als unter die Götter versetzt erklärt werden, wenn der römische Senat Zeugen fand, die die leibliche Entrückung in den Himmel bestätigen konnten.« 12 Ebd. 13 P. KRETSCHMER, Mythische Namen. 5. Herakles, Glotta 8 (1917), 121–129, hier 126.

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sogar von Zeus als den vindex terrae gepriesen werden, als den Erretter der Erde.14 Zudem führt man die Mühen und Leiden in einer philosophischen Deutung auf eine bewusste Entscheidung für den schweren Weg der Tugend zurück, der Heros wird also ethisch als Vorbild gedeutet.15 Wenn nun die Himmelfahrt auch noch durch den (freilich nur den menschlichen Teil des Halbgottes betreffenden) Tod hindurch erfolgt, wodurch der zuvor als Mensch Leidende in einen Gott verwandelt wird, und wenn dann noch diese Erhöhung selbst mit den Worten beschrieben wird: Und der allmächtige Vater entrafft ihn durch hohles Gewölke, Im Vierrossegespann, zu den strahlenden Sternen ihn führend (Met. IX,271 f.),

so bedarf es keiner großen Phantasie, um sich hier an das dem Leiden und Sterben folgende »Sitzen zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters«, erinnert zu fühlen! Lukas hat auch die Himmelfahrt des Herakles nicht kopiert. Wie bei den alttestamentlich-jüdischen Parallelen finden sich aber Entsprechungen. Wenn nun Lukas als Einziger im Neuen Testament die Erhöhung Jesu Christi durch ein Mythem narrativ expliziert, das sowohl der biblisch-jüdischen Tradition wie der paganen Tradition vertraut war und daher sowohl von Juden wie Heiden dechiffriert werden konnte, so ist das kein Zufall, sondern entspricht einer hermeneutischen Strategie, die das gesamte Doppelwerk bestimmt. Auch an anderen Stellen macht sich der auctor ad Theophilum mit bemerkenswertem Geschick die Möglichkeit zunutze, gleichzeitig einen Bezug zur biblischen wie zur hellenistischen Tradition herzustellen. So ist es wahrscheinlich, dass Lukas auch hier die Chance ergriff, die christliche Botschaft der Erhöhung eines am Kreuz gestorbenen Menschen zur Rechten Gottes sowohl Juden wie Griechen plausibel erscheinen zu lassen. Dies soll zunächst skizziert werden.

3. Himmelfahrt als Plausibilisierung des Zusammenhangs von Erniedrigung und Erhöhung Das Lukasevangelium beginnt mit dem Prolog und einer Widmung an »Exzellenz Theophilos«. Durch diesen Auftakt, der die »beststilisierte [Satzperiode] des ganzen N.T.«16 darstellt und der den Gepflogenheiten der 14 Met. IX,241; zitiert nach: Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Herausgegeben und übersetzt von H. BREITENBACH (BAW), Zürich 21964, 468. 15 Ausführlich geschieht dies im Prodikos-Mythos, den etwa Xenophon ausführlich referiert (Mem. II,1,21–34, in: Xenophon, Erinnerungen an Sokrates. Griechisch-deutsch. Herausgegeben von P. J AERISCH [Sammlung Tusculum], München/Zürich 41987). 16 E. NORDEN, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Leipzig 1913 (Nachdruck Darmstadt 61974), 316.

222 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung historischen Literatur seiner Zeit entspricht,17 unterstreicht Lukas seinen Anspruch, mit den Gebildeten seiner Zeit auf Augenhöhe zu verkehren.18 Zugleich aber macht er mit der unmittelbaren Fortsetzung, die die Leser und Hörer in den Jerusalemer Tempel und zu einem dort opfernden Priester entführt, deutlich, dass er die im Folgenden von ihm erzählte Geschichte an die Traditionen des Gottesvolkes zurückbindet. Trotz seiner Bemühung, die Jesustradition in die griechisch-römische Welt zu vermitteln, gibt also ›Lukas‹ die Verankerung seiner Verkündigung in der biblischen und jüdischen Überlieferung keineswegs preis, sondern verstärkt sie eher noch.19 Am Beginn des Doppelwerks hat er beides nebeneinandergestellt, zunächst den Prolog, dann die Ankündigung der Geburt des Täufers durch eine Engelserscheinung im Tempel. Im Folgenden verschränkt Lukas beide Aspekte. So hat er gerade dort, wo er biblische Traditionen aufnimmt, nicht selten zugleich einen bewussten Bezug zu Motiven, Formen und Inhalten der hellenistischen Weisheitstraditionen hergestellt. Daniel Marguerat hat dies an einigen Texten beobachtet und als »ambivalence sémantique« auf den Begriff gebracht.20 Über Marguerat hinaus verstehe ich das als Ausdruck einer Inkulturations- und Missionsstrategie, die das gesamte Doppelwerk prägt und die ich als Doppelkodierung bezeichne. Ein wesentlicher Aspekt ist die Sapientisierung der Überlieferung, die Lukas vornimmt.21 So wird etwa gleich am Anfang, als Zwischenstück zwischen der Geburtsgeschichte und dem Hauptteil des Evangeliums, der 12-jährige Jesus mithilfe einer Gattung der hellenistischen Biographie22 als 17

Vgl. Tacitus, Hist. I,1–3; Josephus, Bell., Praef. 1–3. Hieronymus stellte in diesem Sinne fest: »Inter omnes Evangelistas Lucas Graeci sermonis eruditissimus fuit« (Ep. 19). 19 Auch wenn der Weg der Ausbreitung des Christentums über Athen nach Rom führt, wird Jerusalem nicht einfach zurückgelassen, sondern bleibt als Ursprung und Zentrum (mit) bestimmend. 20 D. MARGUERAT, Luc-Actes entre Jérusalem et Rome. Un procédé lucanien de double signification, NTS 45 (1999), 70–87. 21 Bereits der lexikalische Befund deutet an, dass das Thema Bildung und Weisheit im lukanischen Doppelwerk eine größere Rolle spielt als in der anderen Erzählüberlieferung des Neuen Testaments: Der Begriff σοφία findet sich bei Markus einmal, bei Matthäus dreimal, bei Johannes überhaupt nicht, im Lukasevangelium sechsmal sowie noch weitere viermal in der Apostelgeschichte. Φιλόσοφος findet sich im Neuen Testament nur einmal in der Apostelgeschichte (17,18), wo Paulus auf dem Areopag vor stoischen und epikureischen Philosophen den christlichen Glauben verteidigt. Es ist dies auch das einzige Mal, dass philosophische Richtungen im Neuen Testament namentlich genannt werden. 22 N. KRÜCKEMEIER, Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2.40–52) und die biographische Literatur der hellenistischen Antike, NTS 50 (2004), 307–319, hier 307 f.: »Was Lukas von den drei anderen Evangelisten trennt, das verbindet ihn aber mit den Verfassern biographischer Literatur in der griechischen Antike […]. Die Jugendepisode ist in der antiken biographischen Literatur zwar nicht obligatorisch, aber dennoch sehr häufig anzutreffen«. 18

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»Modell der frommen Weisheit«23 porträtiert. Zugleich aber spielt die Episode wiederum im Jerusalemer Tempel, Jesus diskutiert mit Schriftgelehrten. Die Perikope Lk 2,41ff. hat so zum einen ihre nächsten Parallelen in den Jugendepisoden von Philostrats Vita Apollonii (I,9) oder Jamblichs Vita Pythagorica (5.8.12),24 zum andern wird sie dezidiert im jüdischen Kontext verankert: Der Tempel ist »das, was meines Vaters ist« (Lk 2,49). Diesem Anfang des Doppelwerkes entspricht gegen Ende die Episode, wo Paulus in Athen vor stoischen und epikureischen Philosophen predigt, und zwar mit Argumenten der Popularphilosophie, die jedoch so formuliert sind, dass sie zugleich als Wiedergabe des biblischen Gottes- und Christuszeugnisses verstanden werden können (Apg 17). Auch zahlreiche andere Texte und Textkomplexe, die bislang kaum oder gar nicht in dieser Hinsicht beachtet wurden, sind unter der Perspektive einer Verbindung von biblisch-jüdischer (prophetischer) Tradition und hellenistischer Bildung noch einmal neu zu bedenken. So bezieht sich die Vorgeschichte in Lk 1 f. mit den Psalmen, den Engeln und den prophetischen Gestalten Hannah und Simeon nicht nur auf die jüdische Erwartung eines Messias zurück, sondern sie knüpft zugleich – vielleicht im Gegenüber zu Augustus – »an die aurea-aetas-Erwartung der römischen Bukolik« an, »wie sie erstmals in Vergils 4. Ekloge bezeugt ist«. 25 Zur dort angekündigten Geburt des göttlichen Kindes passt auch die von Lukas angedeutete Entstehung des Kindes in einer Jungfrau aus dem Heiligen Geist. Der bei den Synoptikern nur bei Lukas vorkommende Hoheitstitel σωτήρ bezeichnet zwar in erster Linie den Gott Israels und die Erfüllung seiner Heilsverheißungen,26 aber σωτήρ ist eben auch ein seit der hellenistischen Zeit gebräuchliches Herrscherprädikat. Im folgenden Kapitel wird der Vorläufer Jesu, Johannes der Täufer, von Lukas in Übereinstimmung mit der ihm überkommenen Tradition als ein apokalyptischer Prophet vorgestellt, zugleich aber hat der Evangelist durch Hinzufügungen und Bearbeitung der Überlieferungen des Markusevangeliums und der Logienquelle den Täufer so profiliert, dass hellenistische Leser hier das ihnen vertraute Bild eines kynischen Wanderpredigers wiedererkennen konn-

23 F. B OVON, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband (EKK III/1), Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989, 158. 24 Vgl. KRÜCKEMEIER, Jesus (Anm. 22), 311. 25 Vgl. W OLTER, Lukasevangelium (Anm. 9), 127. Weniger sicher sind andere Züge, die aber ebenfalls ins Auge stechen. So nimmt das Magnifikat der Maria zwar unzweifelhaft auf alttestamentliche Traditionen, besonders auf das Lied der Hannah in 1. Sam 2, Bezug; die dort gemachten Aussagen über Gottes Handeln weisen aber auch frappante Ähnlichkeiten mit denen über Zeus am Beginn von Hesiods Werke und Tage auf. 26 Das hat F. J UNG, ΣΩΤΗΡ. Studien zur Rezeption eines hellenistischen Ehrentitels im Neuen Testament (NTA N.F. 39), Münster 2002, gezeigt.

224 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung ten.27 Die Aufforderung zur ›Umkehr‹, zum ›Umdenken‹ hat Lukas zwar in seinen Quellen bereits vorgefunden (vgl. Mk 1,15), aber der Begriff µετάνοια usw., der auch in der zeitgenössischen Moralphilosophie paganer Provenienz verwendet werden kann28 und dort vielleicht auf kynischen Einfluss zurückgeht, wird bei ihm in auffälliger Weise zu einem Vorzugswort.29 Möglicherweise soll ja eine der auffallendsten Besonderheiten der Gliederung des Lukasevangeliums, der große Reisebericht, in diesem Sinne auch Jesus selbst als heimatlosen Wanderprediger charakterisieren, wie dies der Kyniker ist.30 Das von Jesus dabei vertretene Ethos, das besonders geprägt ist von der Kritik am Reichtum, kann zwar auf die jüdische Armenfrömmigkeit zurückgeführt werden, passt aber auch zur Sapientisierung des Christusbildes: So wie Habgier »die lukanische Ursünde«31 ist, so kann auch der Kyniker Diogenes sagen, dass die Liebe zum Geld (φιλαργυρία) die Mutterstadt (µητρόπολις) aller Übel ist (Diogenes Laertius VI,50; vgl. 87). Nach Dion von Prusa ist die in Lk 12,15 angeprangerte πλεονεξία das µέγιστον κακόν (Or. 17,7).32 Die Urgemeinde mit ihrer Gütergemeinschaft wird dann den Gegenentwurf zu einem von Habgier bestimmten Leben verwirklichen – und verkörpert damit das Ideal des κοινὰ τῶν φίλων,33 das nach Seneca die Lebensweise der noch ganz nach den Weisungen der Philosophie lebenden ersten Menschen war, ehe – gleichsam als Sündenfall – die avaritia einbrach und den idealen Urzustand zerstörte.34 Man könnte so 27

Vgl. R. FELDMEIER, Endzeitprophet und Volkserzieher. Lk 3,1–20 als Beispiel für prophetisch-weisheitliche Doppelkodierung, in: C. GEORG-ZÖLLER/L. HAUSER/F. R. PROSTMEIER (Hg.), Jesus als Bote des Heils. Heilsverkündigung und Heilserfahrung in frühchristlicher Zeit (FS D. Dormeyer zum 65. Geburtstag) (SBB 60), Stuttgart 2008, 72–84. 28 In der Tabula Cebetis tritt sogar eine personifizierte Metanoia auf und weist dem verirrten Menschen den rechten Weg; siehe oben S. 111. Vgl. R. H IRSCH-LUITPOLD u. a. (Hg.), Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens (SAPERE VIII), Darmstadt 2005, 78–81. 29 Verb und Substantiv (µετάνοια bzw. µετανοεῖν) zusammen finden sich bei Markus dreimal, bei Matthäus siebenmal, im lukanischen Doppelwerk 25-mal. 30 Vgl. Lk 9,58 mit Epiktet, Diss. III,22. 31 B OVON, Evangelium nach Lukas 1 (Anm. 23), 175. 32 Überhaupt weist der gesamte Argumentationszusammenhang von Lk 12,13–34 bis hinein in die Beispielerzählung eine Reihe von überraschenden Entsprechungen zur Behandlung des Topos der Habgier in der paganen Literatur auf, vor allem zur 17. Rede Περὶ πλεονεξίας des Dion von Prusa, sodass man mit A. J. Malherbe an dieser Stelle von der »Christianization of a Topos« sprechen kann; vgl. A. J. M ALHERBE, The Christianization of a Topos (Luke 12:13–34), NT 38 (1996), 123–135, der die Parallelen im Einzelnen aufzeigt. Sein Resümee: »The similarities of the popular conventions associated with covetousness are numerous and striking« (135). 33 Platon, Rep. IV,424a; Aristoteles, Eth. Nic. VIII,11,1159b; Cicero, De off. I,51; im hellenistisch-jüdischen Bereich vgl. Philon, Abr. 235. 34 Nach Ep. 90 folgten die ersten Menschen der Natur. So besaßen alle alles, ehe die Habsucht die Gemeinschaft auseinanderriss und damit selbst diejenigen arm machte, die

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fortfahren: Zwar betont der Auferstandene beim Gang nach Emmaus, dass das Leiden Jesu nach »allen Schriften« so geschehen musste (Lk 24,25– 27), zugleich aber nimmt Lukas mit seiner Deutung des Todes Jesu auch Motive des noble death der griechischen Tradition auf.35 Selbst der auferstandene Jesus zitiert in der dritten Version seiner Erscheinung vor Paulus ein griechisches Sprichwort, wie es sich ähnlich auch in den Bakchen des Euripides findet, um die Zwecklosigkeit des Widerstandes gegen ihn plausibel zu machen.36 Die zentrale Rolle, die der Geist bei Lukas sowohl im Evangelium als auch in der Apostelgeschichte spielt, hängt zwar mit der schon bei Paulus zu beobachtenden charismatisch-prophetischen Prägung des frühen Christentums zusammen, dürfte aber auch durch die prominente Rolle eines »heiligen« oder »göttlichen Geistes« in philosophischen Schriften dieser Zeit bedingt sein,37 die vermutlich durch das gebildete hellenistische Judentum, für uns am deutlichsten greifbar bei Philon, auch für Christen vermittelt wurde. Diese für Lukas charakteristische Verbindung eines biblischen Motivs mit einem hellenistischen liegt auch bei der Himmelfahrt vor. Das Mythem der Himmelfahrt dient dabei zunächst einmal der Plausibilisierung der christlichen Botschaft, dass der Gottessohn, der den Weg in die Niedrigkeit sich am meisten bereichert hatten (Ep. 90,3: »Desierunt enim omnia possidere, dum volunt propria«). Die Realisierung dieses Ideals in einer philosophisch geprägten Gemeinschaft wird Jamblich in seiner Vita Pythagorica für die ursprüngliche pythagoreische Gemeinschaft behaupten, und dies mit Wendungen, die in manchem an Formulierungen der Apostelgeschichte erinnern. »Gesetze und Vorschriften nahmen sie [sc. die Anhänger] von ihm [sc. Pythagoras] an, als wären es göttliche Gebote, und befolgten sie in allen Stücken. So blieben sie einmütig der ganzen Versammlung der Gefährten treu, verehrt und glückselig gepriesen von ihrer Umgebung. Die Güter machten sie, wie schon erwähnt, zum gemeinsamen Eigentum und zählten Pythagoras von nun an zu den Göttern als einen guten Daimon und großen Menschenfreund« (Vit. Pyth. 30, zitiert nach: Jamblich, Pythagoras. Legende – Lehre – Lebensgestaltung. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von M. V. ALBRECHT/J. M. DILLON/M. GEORGE/M. LURJE/D. S. DU T OIT [SAPERE IV], Darmstadt 22008, 49). Wenngleich dieser letzte Text aus dem Ende des dritten bzw. dem Anfang des vierten Jahrhunderts stammt und eine Beeinflussung durch die Darstellung der Apostelgeschichte nicht auszuschließen ist, so macht die Verwendung des Motivs der Gütergemeinschaft durch den paganen Neuplatoniker doch deutlich, welche Attraktivität dieses Ideal der Gütergemeinschaft gerade aus philosophischer Perspektive hatte – deshalb dürfte es Lukas bewogen haben, das Urchristentum in dieser Weise zu stilisieren. Mit diesem Begriff der Stilisierung soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Darstellung des Lukas auch Anhaltspunkte an der historischen Urgemeinde gehabt haben kann. Doch auch in diesem durchaus wahrscheinlichen Fall ist das Bild, das uns Lukas malt, idealisiert und nach dem dargestellten Ideal stilisiert (vgl. dazu ROLOFF, Apostelgeschichte [Anm. 11], 89–91). 35 Vgl. W OLTER, Lukasevangelium (Anm. 9), 688. 36 Apg 26,14; vgl. Euripides, Bacchae 794. 37 Vgl. Ps.-Platon, Axiochos 370c; Seneca, Ep. 41,2.

226 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung des Leidens und Sterbens gegangen ist, zur Rechten Gottes erhöht wurde, und zwar sowohl gegenüber den Juden, die daran Anstoß nehmen, als auch gegenüber den Griechen, denen solches eine Torheit ist (vgl. 1. Kor 1,23). Gegenüber den Juden macht Lukas immer wieder deutlich, dass sich in der Erniedrigung und Erhöhung Jesu das Handeln des Gottes Israels vollendet, den das Lied der Hannah als den gepriesen hatte, der den Hohen erniedrigt und den Niedrigen erhöht (1. Sam 2,7 f.; vgl. Lk 1,51–53). Deshalb kann der Auferstandene den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus sagen, dass das, was ihm widerfuhr, nach »allen Schriften« geschah.38 Zugleich deutet er gegenüber den Griechen die Erhöhung als Vollendung eines heldenhaften, um der Gerechtigkeit willen Leiden und Feindschaft ertragenden Lebens.39 Aus hellenistischer Perspektive ist Himmelfahrt die Inszenierung des Ideals per aspera ad astra, durch die Christus zum »Fürsten und Heiland/Retter (σωτήρ)« wird (Apg 5,31).

4. Jesu Himmelfahrt als Ermächtigung der Jünger Doch Lukas übernimmt nicht nur die Himmelfahrt, um Jesu Erhöhung zu plausibilisieren, sondern er modifiziert sie auch, um durch sie die Erhöhung zu deuten. Um dies zu verstehen, muss die Himmelfahrt in den Gesamtkontext seines Werkes gestellt werden. Sie ist für Lukas kein isoliertes Mirakel, sondern letzte Konsequenz der Wirksamkeit Gottes, dessen Vergegenwärtigung in Jesus das gesamte Evangelium bezeugt. 40 Dieser Grundzug des göttlichen Wesens und Handelns bildet nicht nur die Grundlage der lukanischen Paränese,41 sondern auch der Christologie. Schon am Beginn des Reiseberichts Lk 9,51 wird der Weg Jesu unter das Stichwort der ἀνάληµψις gestellt, der »Aufnahme«. Die Himmelfahrt42 bildet somit von 38 Vgl. Lk 24,26 f.; vgl. Apg 2,29–36 u. ö. Zur Begründung nimmt das Doppelwerk auch wiederholt auf Ps 110,1 Bezug: Zitiert wird der Psalm in Lk 20,42 f. und Apg 2,34 f., auf ihn angespielt wird in Lk 22,69. 39 Dass Jesus als ein Gerechter gelitten hat, wird im Doppelwerk wiederholt betont; vgl. Lk 23,47; Apg 3,14, ferner Lk 23,14 f.; Apg 4,27; 22,14. 40 Paradigmatisch werden bereits im Magnifikat die Erniedrigung der Hohen und die Erhöhung der Niedrigen als Grundzug göttlichen Handelns bekannt (Lk 1,52). Entsprechend diesem Vorzeichen vergegenwärtigt der lukanische Christus einen Gott, der das Verlorene sucht und rettet (Lk 19,10), während ihm im Gegenzug die menschliche Selbstüberhebung ein Gräuel ist (Lk 16,15). 41 Vgl. Lk 14,11; 18,14, Letzteres Resümee einer einschlägigen Beispielgeschichte, wie sie sich auch sonst bei Lukas finden, wo gerade der scheinbar Minderwertige, der Außenseiter, der ›Schlechte‹ sich als der erweist, der Gott entspricht. 42 Das Substantiv ἀνάληµψις ist zwar ein neutestamentliches Hapaxlegomenon, aber das entsprechende Verb bezeichnet in Apg 1,2.11.22 mit einem passivum divinum Jesu Aufnahme in den Himmel.

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Anfang an den Fluchtpunkt der Passion. Und als Fluchtpunkt des Weges Jesu ist sie dann auch Ausgangspunkt der Geschichte der Kirche. Die Himmelfahrt ist das Scharnier zwischen den beiden Büchern des Doppelwerks. Dabei wird das Mythem in doppelter Weise modifiziert. Zum einen geht es nicht nur um die bloße Erhöhung eines Einzelnen. Beide Himmelfahrterzählungen gipfeln vielmehr darin, dass der zum Himmel Fahrende seinen zurückbleibenden Jüngern verheißt, dass er nach seinem Weggang auf sie die »Verheißung seines Vaters« sendet, nämlich den Geist, den er an Pfingsten über sie ausgießt (Apg 2,33; vgl. 1,5.8; 2,38) und der als der »Geist Jesu« (Apg 16,7; vgl. 8,39) eine neue Form seiner Gegenwart ist. Von diesem Geist erfüllt (Apg 2,4; 4,8.31; 6,3.5; 7,55 u. ö.), können die von Jesus Ausgesandten deshalb »bis an die Enden der Welt« gehen (Apg 1,8), weil ihr Herr nun nicht mehr wie in seiner Zeit als Irdischer nur an einem Punkt bei ihnen ist, sondern als der Erhöhte durch seinen Geist überall. Die Pointe der Himmelfahrt ist also nicht, wie das sowohl in der jüdischen als auch in der griechischen Tradition der Fall ist, die Entrückung eines Heroen oder Gottesmannes in eine den normalen Sterblichen unzugängliche himmlische Welt, bei der dieser das Irdische zurücklässt, sondern vielmehr die universale und zugleich intensivierte Gegenwart Jesu. Diese neue Gegenwart Jesu hat auch insofern Folgen für diejenigen, die auf der Erde zurückbleiben, als der zum Himmel fahrende Jesus seinen zurückbleibenden Jüngern verheißt, dass sie »bekleidet werden mit Macht aus der Höhe« (Lk 24,49) bzw. dass sie »die Kraft des auf sie kommenden Geistes empfangen« (Apg 1,8).43 Wie bei Paulus zielt also die Erhöhung darauf ab, dass die Zurückbleibenden nun in neuer Weise Anteil an der göttlichen δύναµις erhalten. In summa: Die Himmelfahrt Jesu zielt im lukanischen Doppelwerk auf die Ermächtigung der Nachfolger.

43 Zur christlichen Gemeinde als Teilhaberin an Gottes Macht vgl. auch Lk 12,32; 22,29.

»Unvergänglichkeit« Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus I. θεὸς ἄχρονος – Unvergänglichkeit als Zeitlosigkeit Zwischen dem mittleren Säulenpaar des Apollontempels in Delphi, über der Tür zur Cella,1 befand sich ein Gebilde in Form eines Ε. Niemand wusste mehr um die Bedeutung dieses aus archaischer Zeit stammenden2 Zeichens – für den delphischen Priester und mittelplatonischen Philosophen Plutarch ein Anreiz, das geheimnisvolle Symbol zum Gegenstand eines seiner Pythischen Dialoge zu machen. Fünf Gesprächsteilnehmer versuchen sich in der Deutung, wobei die Palette von der verschlüsselten Tyrannenkritik über Astronomie und Orakeldeutung bis zur pythagoreischen Zahlenmystik reicht. Das krönende Schlusswort hat Plutarchs Lehrer Ammonios. Dieser deutet das Ε als Anrede an den delphischen Gott: εἶ = »Du bist«. Damit antworte der Mensch auf die berühmte Aufforderung des Orakels: γνῶθι σαυτόν – »Erkenne dich selbst«. Selbsterkenntnis bedeute folglich, dass der Mensch den Gott als wahrhaft seiend, als das ὄντως ὄν, anerkenne und dabei innewird, dass er selbst keinen Anteil am wahren Sein hat: ἡµῖν µὲν γὰρ ὄντως τοῦ εἶναι µέτεστιν οὐδέν (De E 17,392a). Dieser Antagonismus zwischen Gottes wahrem Sein und der Nichtigkeit des Menschen, ja allen naturhaften Daseins ist so elementar, dass er in dieser Schrift zuletzt in die Gegenüberstellung zweier Gottwesen mündet: In äußerster Zuspitzung wird im Schlussabschnitt dem Lichtgott Apollo als Inbegriff wahren Seins Pluton gegenübergestellt, der dunkle Anti-Gott der Unterwelt, weniger Gott denn ein über die »Natur mit ihrem Vergehen und Werden gesetzter

1

Auf den Revers hadrianischer Münzen ist dies noch sichtbar, vgl. F. IMHOOF-B LUGARDNER, A Numismatic Commentary on Pausanias, 2 Bde., London 1885–1887, TafeI X, Nr. XXII und XXIII (Inschrift der Münze auf S. 118). 2 Das Zeichen war ursprünglich aus Holz, die Athener hatten es durch eines aus Erz ersetzt, Livia, die Gemahlin des Augustus, schließlich durch ein goldenes, vgl. Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung. Religionsphilosophische Schriften. Eingeleitet und neu übertragen von K. Z IEGLER (BAW), Zürich/Stuttgart 1952, 21. MER /P.

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Daimon«. 3 Antithetisch werden beiden die Attribute Licht und Finsternis, Freundlichkeit und Hass, Erkenntnis und Vergessen, Lebenslust und Totenklage zugeteilt. Eigentliche Ursache für diese Polarisierung von seiendem Gott und nichtiger Wirklichkeit aber ist die Zeit, jenes »nicht dicht haltende Gefäß des Vergehens und Werdens« (De E 19,392e). Der durch diese sich ständig vollziehende Übergang vom Werdenden ins Gewordene ist nichts anderes als eine ἐξοµολόγησις τοῦ µὴ ὄντος, Eingeständnis des Nichtseins. Existenz in der Zeit bedeutet φθορά, Zersetzung, Auflösung, Verwesung. Gott ist demgegenüber κατʹ οὐδένα χρόνον, er ist ἄχρονος und so – in seiner als Zeitlosigkeit definierten Ewigkeit – ἄφθαρτος, unverderblich und unvergänglich. Gleich dreimal wird solche ›Unvergänglichkeit‹ als die differentia specifica des Göttlichen im Gegensatz zur Welt hervorgehoben.4 Nun ist die Unterscheidung von Sein und Werden schon in Platons Timaios Voraussetzung der ganzen Kosmologie (vgl. Tim. 27d–28a), und dementsprechend wird auch von Platon das Göttliche als ›eigentliches Sein‹ von der Erfahrungswelt als Ort des Werdens und Vergehens abgegrenzt.5 Ziel ist die Unterscheidung des sich ewig gleichen Göttlichen von der veränderlichen und deswegen unbeständigen Welt des Werdens.6 In dem vorgestellten Text von Plutarch ist dieser Bruch jedoch radikaler.7 Obgleich der Philosoph und Priester sonst durchaus daran festhält, dass diese Welt auch Abdruck der göttlichen Schönheit und Güte ist,8 nimmt er doch andererseits das Nichtige in ihr derart intensiv wahr, dass es ihm geradezu als eigenständige Macht begegnet. So wird die von Platon in seinen Nomoi 3 In De Iside (46,369d) wird Plutarch ihn dann sogar als φαῦλος δηµιουργός und als κακὸς δαίµων bezeichnen. 4 Es ist nicht ganz eindeutig, ob Plutarch hier seine eigene Überzeugung vertritt oder ob er im Munde seines Lehrers die Position des alexandrinischen Mittelplatonismus referiert (vgl. aber auch De Iside 78,382e – f ). Für unsere Fragestellung ist dies zweitrangig. Aufschlussreich ist in jedem Fall, dass in der mit dem Neuen Testament kontemporären Philosophie das Dasein in der Zeit derart scharf abgewertet werden kann. 5 Das Göttliche wird ἐπέκεινα τῆς οὐσίας verortet, »jenseits des Seienden« (Platon, Rep. VI,509b). Aristoteles setzt den Bereich des Himmels mit seinen immer gleichen Kreisbewegungen der Welt des Werdens und Vergehens als unvergänglich entgegen (De caelo 280–284). 6 Zwar kommt auch im Timaios der Welt des Werdens und Vergehens für sich kein wahres Sein zu, aber sie ist andererseits als Ausdruck der Ideen eines δηµιουργὸς ἀγαθός auch κόσµος καλός (Tim. 29a). 7 Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass bei der Prädizierung des Göttlichen vorwiegend Adjektive mit α-privativum verwendet werden – häufig gleich in Dreierreihen, vgl. die bemerkenswert dichte Häufung negativer Prädikate in De E: ἀγένητος (ungeworden), ἀκίνητος (unbewegt), ἄχρονος (zeitlos), ἀνέγκλιτος (unwandelbar), ἄκρατος (ungemischt) und vor allem ἄφθαρτος. 8 Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken in Bildern. Studien zur literarischen, philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften (STAC 14), Tübingen 2002.

230 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung erwogene, aber verworfene Existenz einer bösen Seele als einer eigenständigen Ursache des Schlechten (Leg. X,896d 5ff.) von Plutarch in seiner Timaios-Exegese ausdrücklich bejaht.9 Im Spätwerk De Iside verdichtet sich dann das Zerstörerische und Böse fast teufelsgleich in der Gestalt des Typhon10 bzw. im Abschnitt über den zoroastrischen Mythos in der des Ahriman (De Iside 45–46,369b ff.). Davon wird das ›wahrhaft seiende‹ Göttliche als ἄφθαρτος – d. h. als unvergänglich und nicht korrumpierbar – aufs Schärfste abgegrenzt. Damit hat Plutarch, wie Karin Alts Untersuchung über Weltflucht und Weltbejahung im Mittel- und Neuplatonismus zeigt, erstmals die Geschlossenheit der platonischen Kosmologie verlassen.11 Er ist dabei Exponent einer allgemeinen Zeitströmung. »Zu Beginn der Kaiserzeit war die Welt müde geworden« – so hatte bereits Nilsson diese Epoche charakterisiert.12 Noch pointierter hat der Oxforder Altphilologe E. R. Dodds die dargestellte Radikalisierung im Seinsverständnis als Ausdruck der Krise der spätantiken Gesellschaft gedeutet, wobei ihm gerade Plutarch ein Beleg dafür ist, dass noch vor der ökonomischen Krise eine »moralische und geistige Unsicherheit«13 auftrat, die diese begleitete und teilweise sogar mit auslöste. Ein »kosmischer Pessimismus«14 nehme überhand, und als Folge der zunehmenden Entfremdung von der Welt werde immer stärker der Gegensatz von himmlischer und irdischer Welt betont.15 Auch wenn die polemische Deutung der späteren Antike als »Zeitalter der Angst« diese Zeit in einseitiger Verzerrung nur als Epoche des Verfalls wahrnimmt, so ist daran doch so viel richtig, dass Existenz in der Zeit nicht mehr nur Unbeständigkeit, sondern dezidiert Vergehen bedeutet; das geschichtliche Dasein wird zum Synonym von φθορά. Dementsprechend wird der Bereich des Göttlichen jetzt zunehmend durch die Negation zur Wirklichkeit in der Zeit definiert: eben als κατʹ οὐδένα χρόνον, als ἄχρονος und deshalb ἄφθαρτος.

9

De an. procr. 6,1014d (unter fälschlicher Berufung auf Platon); siehe dazu K. ALT, Weltflucht und Weltbejahung. Zur Frage des Dualismus bei Plutarch, Numenios, Plotin (AAWLM.G 1993/8), Mainz/Stuttgart 1993, bes. 14–29. 10 De Iside 45,369a; vgl. ALT, Weltflucht (Anm. 9), 26: »Für Typhon gibt es kein platonisches Analogon«. 11 Dementsprechend wird auch deutlich radikaler der Gedanke einer jenseitigen, geistigen Existenz und damit das Ziel einer Weltüberwindung erfasst, vgl. A LT, Weltflucht (Anm. 9), 197 f. 12 M. P. NILSSON, Geschichte der griechischen Religion, Zweiter Band: Die hellenistische und römische Zeit (HAW V/2,2), München 41988, 324. 13 E. R. DODDS, Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst. Aspekte religiöser Erfahrung von Marc Aurel bis Konstantin (stw 1024), Frankfurt a. M. 1992, 20. Zum Wandel der Weltanschauung als einer Ursache des ökonomischen Niedergangs vgl. 17. 14 Ebd., 76. 15 Ebd., 22 ff.

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Der dualistischen Zuspitzung in der Ontologie entspricht eine soteriologische: Nicht zufällig tritt ja zu seiner Zeit mit Gnosis und Hermetik ein Typus von Religiosität auf, der auf die Überwindung des irdischen Daseins zielt. Auch einige in der Kaiserzeit besonders florierende Mysterien, vor allem die der Isis, später des Mithras,16 verheißen die Bezwingung des Schicksals, radikale Erneuerung des Lebens und ein besseres Dasein in einer jenseitigen Welt.17 Analog besteht bei Plutarch das Ziel des menschlichen Daseins in der Überwindung der irdischen Existenz durch den Aufstieg der Seele und deren Verwandlung in einen Daimon, wenn möglich sogar – als ἀρίστη ἐξαλλαγή, als »höchste Verwandlung« – in der unmittelbaren Vereinigung mit dem transzendenten Göttlichen.18 Umgekehrt bejammern in den Jenseitsmythen die nicht erlösungsfähigen Seelen ihre erneute Geburt als trostlose Iteration eines nichtigen Seins!19

II. »Der Erstling der Entschlafenen«. Chancen und Schwierigkeiten der christlichen Auferstehungsbotschaft In diese Welt tritt das frühe Christentum hinein, und auf den ersten Blick scheint es für die hier aufgeworfenen Existenzprobleme die ideale Antwort zu haben, denn es verkündigt einen Gottessohn, der von den Toten auferweckt wurde und damit für seine Anhänger als »Erstling der Entschlafenen« (1. Kor 15,20) zum Unterpfand einer Hoffnung über den Tod hinaus wurde. Die christliche Missionspredigt hat ihre Botschaft durchaus bewusst vor diesem Hintergrund profiliert. Bereits im 1. Thessalonicherbrief, dem ältesten uns erhaltenen neutestamentlichen Schreiben, grenzt Paulus die Gläubigen dezidiert ab von den Übrigen, die angesichts des Todes keine 16

Ein sinnfälliges Beispiel für dieses Daseinsgefühl ist etwa die Symbolik in den Mithrasheiligtümern. Der Gott ist zumeist von den Fackelträgern Cautes (mit der erhobenen Fackel) und Cautopates (mit der gesenkten) gerahmt, die ursprünglich als Symbol der aufgehenden und untergehenden Sonne den mit der im Zenit stehenden Sonne gleichgesetzten Mithras rahmten. Erstaunlich häufig wird jedoch die Reihenfolge umgekehrt: Nun steht links, sozusagen am Beginn der Bildsequenz, Cautopates mit der gesenkten Fackel, Symbol für die Vergänglichkeit des Daseins, während rechts Cautes das durch den Gott gewonnene neue Leben symbolisiert, nicht selten unterstrichen durch weitere Attribute wie ein Ährenbündel oder einen Pinienzapfen, das Symbol der Wiedergeburt; vgl. M. CLAUSS, Mithras. Kult und Mysterien, München 1990, 106. 17 Vgl. bereits Hymn. Homer. II (Demeter) 480–482. 18 De def. orac. 10,415b; vgl. De gen. Socr. 22,591d ff.; De fac. 30,944c ff.; De Iside 78,382e –f. In Amat. 19,764f–765a bewirkt dies der Eros als göttlicher Retter und erlösender µυσταγωγός aus dieser als ›Hades‹ bezeichneten Welt. 19 De gen. Socr. 22,591c; De fac. 29,944c.

232 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Hoffnung haben (οἱ µὴ ἔχοντες ἐλπίδα) und deshalb trauern müssen (1. Thess 4,13). Die Verkündigung dieser festen Hoffnung war sicher einer der Gründe für den enormen Erfolg der frühchristlichen Mission. Genaueres Hinsehen zeigt freilich, dass die auf den ersten Blick so ›passende‹ Auferstehungsbotschaft neue Fragen aufwirft. Denn die Deutung der Erscheinungen Jesu Christi als Auferstehung bedeutete etwas sehr anderes als die bloße Bestätigung einer individuellen Weiterexistenz. Zwar stieß auch der in der antiken Welt geläufige Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, ob mit oder ohne philosophisches Gewand, immer wieder auf Skepsis, doch konnte und kann die Vorstellung, dass irgendetwas in uns aus einem ›göttlichen Hauch‹ besteht und deshalb irgendwie weiterexistiert,20 eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen – bis heute (man lese nur die Umfragen zum Glauben der Deutschen). Die Vorstellung eines Gottes jedoch, der nicht über und jenseits von allem Vergehen steht, sondern am Kreuz seines »Sohnes«, und d. h. inmitten von Tod und Vergänglichkeit, sein Heil schafft, ist Torheit und Ärgernis, weil es der Vorstellung vom Göttlichen samt deren soteriologischen Implikationen widerspricht, wie schon Paulus festgestellt hat (1. Kor 1,23) und wie es Kritiker immer wieder dem Christentum vorgeworfen haben.21 Mit dieser Art von Anfragen sah sich Paulus wohl auch in Korinth konfrontiert. Die dortigen Gläubigen schätzten zwar nach allem, was wir aus den Korintherbriefen wissen, die mit ihrer Bekehrung einhergehende pneumatische Daseinssteigerung; mit der Vorstellung einer Auferstehung der Toten scheinen jedoch viele Gemeindeglieder Schwierigkeiten gehabt zu haben. Paulus zitiert in 1. Kor 15,12 ihre Position: »Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht.« Ob damit nun eine völlige Bestreitung der Auferstehung seitens der Korinther ausgedrückt werden soll oder ob diese die leibliche Auferstehung nur spiritualisiert haben22 – in jedem Fall muss sich Paulus der in V. 35 zitierten kritischen Frage stellen: »Wie werden die Toten auferweckt?«23 In Auseinandersetzung damit präzisiert er seine Vorstellung von der Auferstehung. Wie sehr die paulinische Argumentation durch diesen Kontext bestimmt ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie sich ganz auf die Vergänglichkeitsthematik konzentriert, 20 Der pseudoplatonische Dialog Axiochos, der wohl der erste Zeuge der religiösen Neuorientierung des Mittleren Platonismus ist, spricht von einem in uns vorhandenen θεῖον πνεῦµα (370c), das sich im menschlichen Hang zur Transzendierung der vorgegebenen natürlichen Grenzen dokumentiert und Garant der Unsterblichkeit ist. 21 Aus dem Mittleren Platonismus wäre etwa Kelsos zu nennen (vgl. vor allem Origenes, Cels. VII,32.35). 22 Gegen die völlige Bestreitung spricht, dass Paulus die Korinther an die von ihnen aufgenommene Botschaft vom auferstandenen Jesus erinnern und damit argumentieren kann, dass sie diese Botschaft empfangen haben und in ihr stehen (1. Kor 15,1 ff.). 23 Nach C. WOLFF, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 7), Leipzig 1996, 402, ist diese Frage der Hauptgrund für die Auferstehungsbestreitung.

»Unvergänglichkeit«

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während der sonst bei Paulus so zentrale Zusammenhang von Sünde und Tod (vgl. Röm 5,12; 7,13) erst ganz am Ende zur Sprache kommt (1. Kor 15,56). Stattdessen bedient Paulus sich hier – den Griechen ein Grieche werdend – mehr als irgendwo sonst hellenistischer Terminologie. Ich will im Folgenden am Beispiel der ja auch im eingangs zitierten Plutarchtext zentralen ἀφθαρσία, der göttlichen ›Unvergänglichkeit‹, zeigen, wie sich Paulus auf die Fragen und Vorstellungen seines Gegenübers einlässt und in diesem Horizont auf der Grundlage seiner Kreuzestheologie eine Antwort gibt. Dabei ist auch auf einen wesentlichen Aspekt des paulinischen Gottesverständnisses als Voraussetzung seiner Wirklichkeitsdeutung einzugehen.

III. Der »lebendigmachende Geist«. Schöpfungshandeln und Eschatologie in 1. Kor 15 Angesichts der Bestreitung der Auferstehung der Toten durch Mitglieder der korinthischen Gemeinde (15,12) zitiert der Apostel zunächst als feste Tradition das Evangelium von Tod und Auferstehung Jesu Christi, verbürgt durch die Erscheinungen des Auferstandenen vor einem großen Kreis von Zeugen, bestätigt noch durch seine eigene Begegnung mit dem Auferstandenen (15,1–11). In einem weiteren Abschnitt macht er dann deutlich, inwieweit die Auferstehung zur unverzichtbaren Basis des christlichen Glaubens gehört (15,13–19). Jesu Geschick als »Erstling der Entschlafenen« (15,20) entscheidet dabei über das aller Glaubenden, ja, in letzter Konsequenz über die gesamte Schöpfung. Paulus schildert dies durch ein dramatisches Kampfszenario in den Versen 23–28, wo Christus diese Welt von den zerstörerischen Mächten zurückerobert, bis sich Gottes Herrschaft auch gegen den Tod als »letzten Feind« durchgesetzt hat und der Vater »alles in allem« ist. Es geht also bei der Auferstehung letztlich um das Verhältnis des Schöpfers zu seiner Schöpfung. Dementsprechend rekurriert der Apostel gerade auch in seinen Ausführungen zur christlichen Zukunftshoffnung immer wieder auf Gottes Schöpfermacht. Bereits in 15,22 hat er festgestellt, dass das Verhängnis der durch Adam verursachten Todesmacht dadurch aufgehoben wird, dass »in Christus alle lebendig gemacht werden«. Im passivum divinum wird hier göttliches Handeln umschrieben. Das ist bemerkenswert in Verbindung mit dem hier verwendeten Verb ζῳοποιεῖv – »lebendig machen«. Dieses Verb beschreibt bereits in der Septuaginta einige Male das Handeln Gottes.24 Das Frühjudentum formt daraus 24 Ζῳοποιεῖν gibt in der Septuaginta das Hifil oder Piel von ‫ חיה‬wieder, zumeist mit Gott als Subjekt. Nur dieser kann »töten und lebendig machen«: 2.[4.] Kön 5,7; vgl. auch 1. Sam [1. Reg] 2,6: ζῳογονεῖ; ἐζῳοποίησάς µε, dankt der Beter in Ps 70[71],20, und in

234 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung ein Gottesprädikat, das gerade angesichts der Todeswirklichkeit die lebenschaffende Schöpfermacht hervorhebt: Gott ist ‫ – מחיה מתים‬so heißt es gleich viermal in der zweiten Benediktion des Šĕmone ʽEsre, er ist der ζῳοποιῶν τοὺς νεκρούς (JosAs 20,7), eine Wendung, die auch Paulus in Röm 4,17 übernimmt, wenn er Gott aufgrund der Auferstehung Jesu Christi als ζῳοποιῶν τοὺς νεκροὺς καὶ καλῶν τὰ µὴ ὄντα ὡς ὄντα definiert, als den, »der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft«. 25 Dieser aus dem Nichts das Seiende schaffende und aus dem Tod das Leben hervorbringende Gott ist also die Macht, welche die Auferstehung Jesu bewirkt hat und ebendadurch mitten in dieser todverfallenen Wirklichkeit die Möglichkeit neuen Lebens eröffnet hat. Von diesem archimedischen Punkt aus geht Paulus nun die Fragen an, welche die Korinther am meisten bewegen: »Wie« soll Auferstehung möglich sein, wie soll man sich das vorstellen, und mit welchem Leib soll das geschehen (1. Kor 15,35–49)? In seiner Antwort macht der Apostel konsequent das lebenschaffende und den Tod überwindende Handeln des Schöpfers in Christus zum Schlüssel seines Wirklichkeitsverständnisses. Das zeigt gleich der Auftakt V. 36–38, wo der Apostel die Skeptiker zunächst an die Natur verweist, in der ein Korn erst sterben muss, damit es lebendig gemacht werden kann: ζῳοποιεῖται – hier wird dasselbe Wort, mit dem Paulus die Totenauferweckung beschreibt, für das Wirken des Schöpfers beim Entstehen der Pflanze verwendet, wiederum im passivum divinum. Paulus verweist also bei der Frage nach dem »Wie« der Auferstehung zunächst auf die Vorgänge in der Natur, und zwar so, wie diese ähnlich auch von den Gebildeten der damaligen Zeit gesehen wird; auch Plutarch, der in der Naturwissenschaft seiner Zeit bestens bewandert ist, war der Ansicht, dass die neue Pflanze aus dem verfaulenden Samenkorn hervorgeht.26 Wenn der Apostel nun allerdings sagt, dass das Korn sterben muss, um lebendig gemacht zu werden (V. 36), dann qualifiziert er diesen biologischen Vorgang weniger als Naturprozess denn als einen Akt göttlichen Schöpfungshandelns, näherhin als einen Akt der creatio continua.27 Durch den Hinweis auf das Sterben des Samenkorns wird der Naturvorgang dabei speziell in der Perspektive der Selbstoffenbarung des Schöpfers am Kreuz wahrgenommen, der gerade durch den Tod Jesu neues, verwandeltes Leben Neh 9,6 bekennt das Volk beim Bußgebet vom Schöpfer des Himmels und der Erde: σὺ ζῳοποιεῖς τὰ πάντα (LXX 2. Esdr 19,6). 25 Auch diese Zusammenstellung hat eine frühjüdische Parallele in 2. Makk 7,28 f., vgl. O. HOFIUS, Eine altjüdische Parallele zu Röm. iv. 17b, NTS 18 (1971/72), 93 f. 26 Vgl. Plutarch, Frgm. XI ex Comm. in Hesiodum 84. 27 Dass Schöpfung in Röm 4,17 als creatio continua begriffen wird, zeigt sich an den präsentischen Partizipien ζῳοποιῶν und καλῶν, durch die Gottes Schöpferhandeln nicht als einmaliger Akt (der Vergangenheit) bezeichnet wird, sondern als eine Eigenschaft Gottes, die sich als ständig wirksam erweist.

»Unvergänglichkeit«

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ermöglicht hat. So zeigt sich bereits in dem ganz ›normalen‹ Vorgang des Säens und Wachsens die Schöpfermacht des aus dem Absterbenden neues Leben schaffenden Gottes. Das ist die Antwort auf das »Wie« der Auferstehung im Blick auf ihre Möglichkeit;28 zugleich kann am Beispiel des Samens auch die zweite Frage beantwortet werden, die nach dem Leib. So wie die wachsende Pflanze etwas anderes ist als das in der Erde vergehende Samenkorn und doch aus diesem stammt, so verhält es sich auch mit dem alten und neuen Leib. Das Einzelbeispiel des Samens wird dann in den Versen 39–41 explizit auf alles Sein ausgeweitet,29 womit grundsätzlich unterstrichen wird, dass das gesamte Dasein nicht aus eigenem Vermögen existiert, nicht durch verschiedene Naturmächte oder die sie repräsentierenden Gottheiten, sondern durch die sich unablässig verwirklichende und so Wirklichkeit schaffende schöpferische Macht Gottes. So wird die ganze Wirklichkeit zum Hinweis auf den lebenschaffenden Gott, weshalb Paulus nun in den Versen 42f. die Auferstehung in Analogie zu dieser schöpferischen Wirksamkeit Gottes in der Natur verständlich machen kann: So ist es auch in der Auferstehung: Es wird gesät im Zustand der Vergänglichkeit, auferweckt im Zustand der Unvergänglichkeit. Es wird gesät im Zustand der Unehre, auferweckt im Zustand der Herrlichkeit. Es wird gesät im Zustand der Schwachheit, auferweckt im Zustand der Macht. Es wird gesät ein belebter Leib (σῶµα ψυχικόν), es wird auferweckt ein geistlicher Leib (σῶµα πνευµατικόν).30

Bereits in den ersten drei Paaren werden den Bestimmungen der menschlichen Existenz mit Unvergänglichkeit, Macht und Herrlichkeit drei Charakteristika der göttlichen Wirklichkeit gegenübergestellt. Aber die Pointe ist ebendies, dass Macht, Herrlichkeit und Unvergänglichkeit nun nicht mehr Wesenseigenschaften Gottes im Gegensatz zur menschlichen Nichtigkeit bezeichnen, sondern dass diese Gottesprädikate im Akt der Auferweckung dem Menschen zugeeignet und so zu Wesenseigenschaften des erneuerten Menschen werden. Zugespitzt wird diese Reihung von Aussagen im formal auffallenden vierten Paar:31 Dem σῶµα ψυχικόν, der belebten Leiblichkeit des Menschen in seiner irdischen und damit vergehenden Lebendigkeit, steht der Geistleib, das σῶµα πνευµατικόν, gegenüber, der 28 Vgl. die ähnliche Argumentation Jesu bei der Sadduzäerfrage in Mk 12,18–27, bes. V. 24.26 f. 29 Vgl. C. B URCHARD, 1 Korinther 15,39–41, ZNW 75 (1984), 233–258, speziell 237 f. 30 Die zweite und dritte Entgegensetzung erinnern an die in 1. Kor 1,26 ff. durch die theologia crucis vorgenommene Neubewertung der Wirklichkeit, ergänzt um die für die Bestimmung des neuen Lebens zentrale Opposition von φθορά und ἀφθαρσία. Lediglich die ἀτιµία hat keine direkte Entsprechung, wohl aber ein Äquivalent in dem negierten εὐγενεῖς bzw. dem τὰ ἀγενῆ von 1,26.28. 31 Vgl. P. V. GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Bildfelduntersuchung (NTOA 18), Freiburg (Schweiz) u. a. 1993, 301.

236 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Mensch, der zur Sphäre des Gottesreiches gehört und deswegen dem Vergehen entnommen ist. Exegetisch begründet Paulus die Doppelung des Leibes in den Versen 44b–49 durch eine christologische relecture von Gen 2,7, der Erschaffung des Menschen, bei der er eine Stufung annimmt und zwischen zwei Adamsgestalten unterscheidet. Der erste Adam war ψυχὴ ζῶσα (so übersetzt die Septuaginta die ‫ נפשׁ חיה‬von Gen 2,7), also nur belebtes Wesen. Dagegen wurde Christus als letzter Adam zum πνεῦµα ζῳοποιοῦν – also zum belebenden, zum lebenschaffenden Geist des Schöpfers.32 Ebenjener göttliche Geist, den ja die Korinther bereits erfahren haben und den sie seiner ekstatischen Wirkung wegen so sehr schätzen, wird hier als πνεῦµα ζῳοποιοῦν mit der Schöpfungskraft identifiziert, die durch Christus zum Lebensprinzip für den verwandelten Leib wird, sodass vom erneuerten Menschen die Unvergänglichkeit ausgesagt werden kann. Spannend ist, wie Paulus hier die christliche Heilsbotschaft im Kontext der Frage von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit ganz neu zur Sprache bringen kann. Die sonstigen Themen des Paulus wie etwa die Rechtfertigung tauchen höchstens am Rand auf (1. Kor 15,56). Mit dem Rekurs auf die schöpferische Wirksamkeit Gottes macht der Apostel im griechisch geprägten Kontext seine Eschatologie mit neuen Worten und Gedanken plausibel. Dabei tritt gerade durch die Nähe der Thematik von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit zur antiken Metaphysik, wie wir sie im Eingangstext kennengelernt haben, auch die fundamentale Andersartigkeit der paulinischen Rede von Gott deutlich zutage. Diese zeigt sich schon auf den ersten Blick in dem bemerkenswerten Tatbestand, dass jenes Prädikat der Unvergänglichkeit, das in der Rede des Ammonios den ontologischen Gegensatz des Göttlichen zur menschlichen Wirklichkeit auf den Begriff brachte, bei Paulus zum soteriologischen Prädikat wird. Diese Transformation eines exklusiven Gottesprädikates zu einem inklusiven soteriologischen Prädikat zeigt auf eindrückliche Weise, wie Paulus seine Kreuzestheologie in einen neuen Kontext hinein vermittelt. Damit dies noch deutlicher wird, soll die Vorstellung der Unvergänglichkeit, wie angekündigt, in ihren geistes- und religionsgeschichtlichen Kontext eingebunden und diesem gegenüber profiliert werden.

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Gen 2,7 LXX: πνοὴ ζωῆς. In den folgenden Versen (15,47–49) wird nun der erste Adam als der ›irdische‹ dem letzten als dem ›himmlischen‹ (= Christus) gegenübergestellt: »Wie wir das Bild des irdischen (Adam) getragen haben, so werden wir auch das Bild des himmlischen (Adam) tragen.«

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IV. Kreuzestheologie und Unvergänglichkeitshoffnung 1. Die Exklusivität des Prädikates in der paganen Literatur Das Begriffsfeld von ἄφθαρτος und ἀφθαρσία hat in der hebräischen Bibel keine Äquivalente. In der Septuaginta findet es sich nur in zwei relativ späten hellenistischen Schriften, der Sapientia Salomonis und dem 4. Makkabäerbuch. Charakteristisch dagegen ist es für die pagane Religiosität. Der erste, der geradezu eine Vorliebe für dieses Prädikat hat, ist Epikur,33 der dadurch (zusammen mit dem zweiten Prädikat µακάριος) die völlige Weltunabhängigkeit der Götter auf den Begriff bringt: Weil diese sich in keiner Weise von der Welt affizieren lassen, sind sie glücklich und unvergänglich. Es handelt sich also um ein exklusives Gottesprädikat, das die Entgegensetzung von Transzendenz und Immanenz ausdrückt. Auch dort, wo im Gegensatz zu Epikur die Vermittlung von Göttlichem und Menschlichem zentral wurde, bleibt für dieses Prädikat die Negation der menschlich-irdischen Wirklichkeit bestimmend, wie ja gerade der furiose Schluss von De E apud Delphos zeigt, welcher den lichten Gott des Seins gegen den dunklen Daimon des Vergehens als eine allem Werden und Vergehen entnommene Vollkommenheit profilierte, der ebendeshalb auch ἄφθαρτος, unverderblich und unvergänglich, ist, wie gleich dreimal in diesem Zusammenhang hervorgehoben wird. Auf den Menschen dagegen wird dieses Prädikat nur relativ selten angewandt, und wenn dies im Mittelplatonismus geschieht, dann nur für das Göttliche in ihm, an dem er gerade im Gegensatz zu seiner irdischen Existenz vermittels seiner Seele Anteil hat.34 Zusammengefasst: Unvergänglichkeit ist im paganen Sprachgebrauch ein exklusives Gottesprädikat, das geradezu durch die Negation des Irdischen definiert ist.35 Umso auffälliger ist seine Verwendung in 1. Kor 15, wo die Pointe gerade nicht mehr in der Abgrenzung von Gott und Welt besteht, sondern die soteriologische Konsequenz von Gottes Zuwendung zur Welt auf den Begriff gebracht wird. Bei aller noch zu würdigenden Eigenständigkeit greift Paulus damit aber auch auf die Tradition des hellenistischen Diaspora33 Bei Platon findet es sich noch nicht. Aristoteles bezeichnet damit die völlige Verschiedenheit der Himmelskörper und ihrer Bewegung von der Erde. 34 Nur sehr selten kann bisweilen eine Unvergänglichkeit der Seele angedeutet werden (vgl. Plutarch, De sera 23 ff.,563e ff.), aber dies setzt einen Prozess radikaler Entweltlichung voraus, den Plutarch geradezu als ein doppeltes Sterben bezeichnen kann: Erst muss der Leib sterben, dann die Seele, bis dann der von allem Irdischen gereinigte göttliche νοῦς wieder in das göttliche Sein eingeht (vgl. De fac. 28,943a ff.: So wird auch der Mensch aus Dreiheit und Zweiheit wieder Einheit). 35 Auch Paulus kann das Prädikat der Unvergänglichkeit für Gott verwenden, vgl. Röm 1,23, dort allerdings in Aufnahme der frühjüdischen Götzenbilderpolemik.

238 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung judentums zurück, das als Erstes den Gott der Bibel im hellenistischen Kontext bezeugte. Das soll zunächst noch skizziert werden. 2. »Gott schuf den Menschen zur Unvergänglichkeit« (SapSal 2,23): ἀφθαρσία als Heilsgut im Frühjudentum Den Übergang von der Exklusivität des paganen Prädikates zur Inklusivität seiner Verwendung im jüdisch-christlichen Kontext kann man sehr schön beim jüdischen Religionsphilosophen Philon von Alexandria beobachten. Zum einen wird hier in hellenistischer Tradition die Negation der Endlichkeit zum Synonym für Gott: Dieser kann einfach ὁ ἄφθαρτος heißen.36 Allerdings bleibt Philon hier nicht stehen, sondern er überträgt das Prädikat auch auf Gottes νοῦς (Leg. all. III,31), seinen λόγος (Heres 79; Conf. ling. 42) und überhaupt auf die göttlichen Kräfte (Cher. 51), also auf die Aspekte des göttlichen Wesens, die der Welt zugewandt sind und in dieser wirken. Von hier aus ist es kein großer Schritt mehr zur Zueignung dieser Unvergänglichkeit an den Menschen. Sie gründet in der Schöpfung nach Gottes Ebenbild, durch die der Mensch als Idee Gottes, als Gattung »von Natur unvergänglich« war (φύσει ἄφθαρτος). Durch die Hinwendung zum Leiblichen – so versteht Philon den ›Sündenfall‹ – ging diese Unvergänglichkeit der Gattung zwar als schöpfungsgemäße Ausstattung verloren (Opif. 152), sie bleibt aber erhalten als Bestimmung des einzelnen Menschen, der danach streben soll, »bei dem Ungewordenen und Unvergänglichen [d. h. bei Gott] das körperlose und unvergängliche Leben zu erlangen«. 37 In der Beschreibung der Art und Weise, wie dies geschieht, kann Philon relativ unbekümmert bei verschiedenen philosophischen Schulen Anleihen machen.38 Dabei rezipiert er aber nicht nur. Wenn er etwa Platons Gleichnis vom Aufstieg in die Welt der Ideen weiterspinnt als Aufstieg darüber hinaus »zum höchsten Gipfel des Geistigen«, dem »Großkönig« (Opif. 71), so zeigt diese Modifikation, dass Philon trotz seiner konsequenten Übersetzung des jüdischen Glaubens in die hellenistische Vorstellungswelt an den personalen Zügen des biblischen Gottesbildes festhält. Exakter noch: Dieser 36 Leg. all. III,31.36; Sacr. 63.95; Immut. 26; Heres 15.118.205, vgl. weiter Gig. 15.45.61 und Ebr. 110. Philon betont dabei ausdrücklich, dass Gott selbst jenseits der Zeit steht. Dies bedeutet, dass ihm die Grenzen der Zeit unterworfen sind, mit anderen Worten: dass er jeder Zeit gleich unmittelbar ist (Immut. 32). 37 Gig. 15, vgl. Heres 35; Post. 135; Plant. 44; Ebr. 136 u. ö. 38 An nicht wenigen Stellen sind seine Ausführungen stoisch, wenn er die Annäherung an Gott mittels Vernunft und Tugend beschreibt. Aristotelisch ist der Vergleich der Aktivität Gottes mit einem Magneten, der durch sich selbst, seine Vollkommenheit und Unvergänglichkeit, in der Seele ein Verlangen nach dem wahren Gut weckt und das Ersehnte also anzieht (Gig. 44 f.). Aber als Platoniker kann er natürlich in diesem Zusammenhang auch den Meister zitieren mit seiner Konzeption einer ὁµοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν (Fug. 63).

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Gott ist im Gegensatz zum platonischen höchsten Sein ein sich mitteilender Gott. Das hat Folgen für die Soteriologie, denn dieser seinem Wesen nach barmherzige Gott grenzt sich auch mit seiner Unvergänglichkeit gerade nicht vom Menschen ab, sondern teilt diese mit.39 Im Blick auf die uns hier interessierende Frage formuliert Philon grundsätzlich in Mut. 79: »Gott will anstelle des Kleinen und Vergänglichen mit Großem und Unsterblichem begnaden« (χαρίζεσθαι). Auch wenn dies das Bemühen des Menschen um die ›Tugenden‹ – gemeint ist die Befolgung der Tora – beinhaltet,40 wird doch andererseits dieser Gott unterstützend wirksam: »Ohne göttliche Gnade«, so Ebr. 145, »ist es weder möglich, dem Machtbereich des Sterblichen zu entkommen, noch im Machtbereich des Unvergänglichen immer zu verharren.«41 Dies ist nicht Defizitanzeige, sondern tröstlicher Zuspruch, dass der Mensch in seinem Bemühen nicht allein gelassen ist,42 sondern den gütigen Herrn der Welt auf seiner Seite weiß. Hier findet zweifellos eine Hellenisierung biblischen Denkens statt. Gleichzeitig aber – und das wird meist weit weniger deutlich gesehen – zeigt sich hier auch eine ›Biblisierung‹ der hellenistischen Unvergänglichkeitsvorstellung. In anderen Schriften des hellenistischen Judentums geschieht dies weniger reflektiert, dafür umso deutlicher: Nach der Sapientia Salomonis ist der Mensch aufgrund seiner Gottesebenbildlichkeit von Gott auf Unvergänglichkeit hin angelegt (SapSal 2,23), und diese kann trotz des zwischenzeitlichen Verlustes aufgrund des Sündenfalls durch die ›Befolgung der Gesetze‹ wieder befestigt werden (SapSal 6,18). Für die Märtyrerlegenden des 4. Makkabäerbuches bedeutet das Festhalten an der Tora und am Gott Israels inmitten einer vom Tod beherrschten, verdorbenen Welt unzerstörbares, ewiges Leben, ja, sie verwandelt schon im Sterben zur Unvergänglichkeit.43 In dem hellenistischen 39 Zum Zusammenhang von Gottesgedanke und Soteriologie bei Philon siehe D. ZELLER, Charis bei Philo und Paulus (SBS 142), Stuttgart 1990, bes. 49 ff.65 ff. 40 Vgl. Heres 205; Migr. 18 f.; Abr. 55; Plant. 114 u. ö. 41 Ähnlich in Congr. 109: »Aus Gnade« gewährt Gott das unsterbliche Erbe und nimmt auf in das unvergängliche Geschlecht (vgl. Mut. 79 u. ö.). 42 In diesem Zusammenhang ist auch das von Philon gerne verwendete Bild von der Unvergänglichkeit als göttlicher Speise zu beachten, die dem danach begehrenden Menschen gereicht wird: So definiert er den θεῖος λόγος als eine ἄφθαρτος τροφή für die Seele, die im Gegensatz zu einer auf die Sinnenwelt fixierten »den Himmel anzuschauen liebt« (Heres 79; vgl. Det. 85). In Det. 116 ist die ›Weisheit Gottes‹ »Amme, Pflegerin und Ernährerin derer, die nach unvergänglicher Nahrung begehren«. Auch wenn die Darreichung dieser Speise immer wieder vom vorauslaufenden menschlichen Bemühen abhängig gemacht wird, so ist doch zum einen der Anfang des Begehrens von Gott dem Schöpfer in den Menschen gelegt, zum anderen kommt dessen Erfüllung dem sich bemühenden Menschen wiederum als göttliche Gegengabe zu. 43 Das 4. Makkabäerbuch, eine popularphilosophische Überhöhung jüdischer Märtyrerlegenden aus der Seleukidenzeit, dürfte aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert stammen. Durch ihre Standhaftigkeit, so das 4. Makkabäerbuch, seien die Märtyrer der

240 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Bekehrungsroman Joseph und Aseneth44 hat der Jude als wahrer Gottesverehrer am Segen und damit an Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit teil (8,5; 15,5; 16,16).45 Dementsprechend wird auch die sich bekehrende Heidin als Mitglied des Gottesvolkes mit unvergänglicher Jugend und Schönheit begabt (16,16; vgl. auch 18,9).46 Bei allen Unterschieden ist doch den Texten gemeinsam, dass das Prädikat der Unvergänglichkeit seine Pointe nicht in der ontologischen Entgegensetzung von Gott und Mensch hat, sondern in der konsequenten Einbeziehung des Menschen in den göttlichen Lebensbereich und der daraus resultierenden schöpferischen Verwandlung des Menschen.47 3. »Das Vergängliche muss mit Unvergänglichkeit bekleidet werden. « Die paulinische Zukunftshoffnung im Kontext Wenn Paulus in 1. Kor 15 den Glaubenden die Verwandlung in ein σῶµα πνευµατικόν und damit eine durch die Gemeinschaft mit Gott ermöglichte unvergängliche Gestalt in Aussicht stellt, fußt er auf diesen Traditionen des hellenistischen Judentums. Allerdings hatte schon der Vergleich mit dem Samenkorn, das zuvor sterben muss, damit es durch Gottes Handeln in eine Pflanze verwandelt wird, einen anderen Akzent gesetzt.48 Dies macht deutlich, dass die kreuzestheologische Argumentation, die bereits in 1. Kor 1 ἀφθαρσία teilhaftig geworden (4. Makk 17,12). Die Begründung ist eine Mixtur aus hellenistischem und jüdischem Denken: Der Sieg in dem als Wettstreit gedeuteten Martyrium wird durch Tugend und Tüchtigkeit (ἀρετή) der »Athleten der göttlichen Gesetzgebung« (τῆς θείας νοµοθεσίας ἀθληταί, 17,16; vgl. 17,15) errungen, die nichts anderes als ihre Frömmigkeit (θεοσέβεια) ist. Nach 4. Makk 9,22 wird der wegen seiner Frömmigkeit zu Tode gefolterte Jüngling noch im Sterben »im Feuer umgewandelt zur Unvergänglichkeit« (ἐν πυρὶ µετασχηµατιζόµενος εἰς ἀφθαρσίαν). 44 Die Datierung ist auch hier unsicher; sie schwankt zwischen dem ersten vorchristlichen und dem Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts. 45 Die alltäglichen Vorgänge des Essens, Trinkens und Salbens erhalten ihre Besonderheit durch den Segen, vgl. C. B URCHARD, Joseph und Aseneth (JSHRZ II/4), Gütersloh 1983, 579–735, hier 604 f. 46 Nach B URCHARD, Joseph und Aseneth (Anm. 45), 604 ff. verdankt sich diese Verwandlung in ein vollkommenes Geschöpf allein der Tatsache, dass Aseneth nun als Jüdin zur Gemeinschaft der wahren Gottesverehrer gehört und durch das Leben in diesem Bereich am Segen teilhat. 47 Nach SapSal 4,10–13 wird der Gerechte von Gott entrückt, verändert und vollendet, Joseph und Aseneth schildert eine die ganze Person verwandelnde Erneuerung durch Gott (16,16; 18,9). 4. Makk 9,22 spricht direkt von Verwandlung. 48 Der Vergleich ist auch in der jüdischen Tradition geläufig, um die Auferstehung plausibel zu machen; vgl. die Belege für die rabbinische Tradition bei B ILL. III, 475 und G. STEMBERGER, Zur Auferstehungslehre in der rabbinischen Literatur, Kairos N.F. 15 (1973), 239–262. Die christologische und von 1. Kor 15 wohl unabhängige Verwendung desselben Bildes in Joh 12,24 macht es wahrscheinlich, dass es diese Tradition bereits in neutestamentlicher Zeit gab.

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Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit den Korinthern war und die er am Beginn des Auferstehungskapitels nochmals als Grundlage des Glaubens in Erinnerung gerufen hat, auch hier die paulinische Darlegung bestimmt. Mit dem Hinweis auf das Sterben wird zum einen unterstrichen, dass die Unvergänglichkeit in keiner Weise eine Voraussetzung in unserer gegenwärtigen Existenz hat, auch nicht als Wiederherstellung eines idealen Urzustandes derselben; diese Welt ist φθορά, und von dieser gilt: »Die Vergänglichkeit erbt nicht die Unvergänglichkeit.« (1. Kor 15,50) Zugleich wird deutlich, dass sich das neue Leben exklusiv dem todüberwindenden Handeln Gottes in der Auferweckung des Gekreuzigten verdankt: Allein dadurch, dass im ›letzten Adam‹ als dem ›lebendigmachenden Geist‹ nun endgültig die Macht der von Gott trennenden Sünde gebrochen und damit der Zugang zur Lebensgemeinschaft mit Gott eröffnet ist, kann aus der irdisch-vergänglichen Lebensgestalt ein σῶµα πνευµατικόν werden, d. h., der todgeweihte Mensch wird durch Gottes Handeln auferweckt zu einer vom Tod befreiten Existenz. Dieses neue Leben, das betont der Apostel, umgreift alle Christen, ob tot oder lebendig: So wie die bereits Gestorbenen als ἄφθαρτοι auferweckt werden, so werden die noch Lebenden in eine andere Existenzweise verwandelt. Grundsätzlich gilt: »Wir alle werden verwandelt werden. … Es muss nämlich dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet werden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit.« (V. 51c.53)49 Paulus illustriert dieses die irdischen Bedingungen transzendierende Geschehen durch das Bild des An- und Umziehens, das wiederum beides beinhaltet: Kontinuität und Diskontinuität. Wie schon beim lebendig gemachten Samen wird hier durch das passivische Überkleidetwerden deutlich, dass es sich um ein im göttlichen extra nos gründendes Widerfahrnis handelt, das die Person des Glaubenden mit Gott verbindet und ihn so durch das Wirken des schöpferischen Geistes in das Ebenbild Christi verwandelt (vgl. Phil 3,21; Röm 8,29). Deshalb endet die Ausführung nicht effektvoll mit dem höhnischen Triumph der Verse 54f. über den bereits entmachteten Tod, sondern mit dem Dank an den Gott, der uns in Christus diesen Sieg gibt (1. Kor 15,57).

V. Zusammenfassung Ordnet man die paulinische Rede von der Unvergänglichkeit in den dargelegten religionsgeschichtlichen Kontext ein, so lässt sich ein Dreifaches feststellen:

49 So in Form eines Grundsatzes in V. 53; dieser Satz wird nochmals – nun im vorweggenommenen Rückblick V. 54 – nahezu wörtlich wiederholt.

242 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung – Die Rede von der Unvergänglichkeit ist nicht die Sprache der hebräischen Bibel, auch nicht die der Jesustradition. Der Apostel profiliert hier seine Botschaft im Kontext der sich in der späteren Antike immer drängender stellenden Frage nach einer Überwindung des ›Daseins zum Tode‹ als Evangelium von der todüberwindenden Heilstat Gottes in Jesus Christus. – Dabei bleibt Paulus aber geprägt durch sein biblisch-jüdisches Erbe: ἄφθαρτος ist in 1. Kor 15 nicht mehr exklusives Gottesprädikat, ja – es wird dort überhaupt nicht mehr als Gottesprädikat verwendet, sondern wie das hellenistische Judentum bringt er mit der ›Unvergänglichkeit‹ die soteriologische Konsequenz von Gottes Weltzuwendung auf den Begriff. – Neu ist die Gewissheit, dass die heillose Entfremdung von Gott und Mensch in dem eschatologischen Akt der Auferweckung Jesu Christi überwunden und deshalb die Wende der Welt bereits im »Erstling der Entschlafenen« (1. Kor 15,20) eingeleitet ist.50 Eindeutiger noch als in der jüdisch-hellenistischen Weisheit verdankt sich die Möglichkeit unvergänglichen Lebens allein dem Handeln des göttlichen Gegenübers: Sucht man in 1. Kor 15 auf der Seite Gottes nach Äquivalenten zur ἀφθαρσία, dann sind dies keine Eigenschaften, sondern ein auf das Gegenüber zielendes Wirken: ἐγείρειν und ζῳοποιεῖν, Auferwecken und Lebendigmachen! In Christus, so formuliert Röm 7,24f. die göttliche Antwort auf die Ausweglosigkeit unserer Existenz, reißt uns Gott aus diesem Leib des Todes.51 Dieses rettende Handeln meint keine Bewahrung vor dem Tod. Vielmehr schafft Gottes Geist in der vergänglichen Existenz etwas Neues. Denn dieser Geist bewirkt das reziproke Sein des lebendigmachenden Gottes ἐν ἡµῖν und unser Sein ἐν Χριστῷ. Er ist so die Bedingung der Möglichkeit für die Partizipation des sterblichen Menschen an der todüberwindenden Lebensmacht.52 »Wenn aber Christus in euch ist«, so bringt dies Röm 8,10f. auf den Begriff, »ist zwar euer Leib tot wegen der Sünde, τὸ δὲ πνεῦµα ζωή – der Geist aber Leben wegen der Gerechtigkeit. Wenn aber der Geist dessen, der Christus von den Toten erweckte, in euch wohnt, wird derjenige, der Christus von den Toten erweckte, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen (ζῳοποιήσει) – durch den in euch wohnenden Geist.« Unvergänglich ist dieses Leben, weil – wie Röm 8,31–39 triumphiert – nichts mehr uns scheiden kann von dieser Liebe Gottes, auch nicht mehr der Tod. 50

Den Gläubigen wurde dies in der »Erstlingsgabe des Geistes« (Röm 8,23) schon ›angezahlt‹. 51 Vgl. dazu die Auferstehungsdarstellung im Chora-Kloster, Istanbul. 52 Vgl. auch Gal 6,8.

»Seelenheil« Die Soteriologie und Anthropologie des 1. Petrusbriefes zwischen biblischer Überlieferung und religiöser Koine Der folgende Vortrag will darlegen, dass der 1. Petrusbrief weit stärker, als dies gemeinhin wahrgenommen wird, Vorstellungen der religiösen Koine seiner Zeit rezipiert, um damit gerade den eschatologischen Aspekt seiner Heilsbotschaft im Kontext der hellenistischen Welt plausibel zu machen. Dies wird hier in bewusst provozierender Zuspitzung am Begriff der Seele und an der Vorstellung der Wiedergeburt samt den damit verbundenen dualistischen Tendenzen aufgezeigt. Zugleich soll durch das Aufzeigen solcher Entsprechungen auch angedeutet werden, welchen Transformationen diese Vorstellungen durch ihre Aufnahme in einen christlichen Kontext unterzogen werden, sodass sie zu einem Sprachgewinn für die frühchristliche Theologie (und vielleicht nicht nur für diese) werden.

1. »Seelenheil« Es ist bemerkenswert, dass der zumindest im Deutschen so geläufige Begriff »Seelenheil« (σωτηρία ψυχῶν) in der antiken Literatur das erste Mal im 1. Petrusbrief begegnet (1,9). Und es ist fast ebenso bemerkenswert, dass dies kaum beachtet wird. Im Gegenteil: Schon die Übersetzung von σωτηρία ψυχῶν mit »Seelenheil« wird zumeist in Frage gestellt. Die im Gefolge der Metaphysikkritik in der Theologie üblich gewordene Perhorreszierung jeglicher Seelenvorstellungen hat offensichtlich auch die Exegese des 1. Petrusbriefes so beeinflusst, dass in den meisten Kommentaren trotz aller Indizien, die in eine andere Richtung weisen, geradezu kategorisch jeder Bezug zwischen dem 1. Petrusbrief und einer griechisch geprägten Seelenvorstellung abgelehnt wird (und damit auch die Annahme, dass es bei der σωτηρία ψυχῶν um das Heil der Seele geht). Dabei wird das, was angeblich im 1. Petrusbrief mit ψυχή gemeint ist, nicht aus dem Brief selbst erhoben; vielmehr wird der Auslegung eine traditionsgeschichtliche Ableitung vorgeordnet und aus dieser dann deduziert, dass die »Seele« im 1. Petrusbrief nur das Äquivalent für Leben bzw. für das Personalpronomen

244 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung sein kann. Geradezu beispielhaft zeigt dies die Untersuchung von Dautzenberg zum Begriff σωτηρία ψυχῶν, die bis in die neuesten Kommentare hinein immer wieder zustimmend zitiert wird.1 Dautzenberg kommt dort zu dem Ergebnis: »Für eine Schätzung der Seele als des höheren Wesens im Menschen und gleicherweise für einen Gegensatz zum Leib bietet die in 1 Petr 1,9 zugrunde liegende jüdisch-christliche Tradition indes keinen Anhaltspunkt«. 2 Näheres Zusehen zeigt indes, dass die gesamte Argumentation brüchig ist. Das beginnt schon damit, dass Dautzenberg von vornherein nur die »jüdisch-christliche Tradition« in den Blick nimmt, wobei »jüdisch« für ihn vor allem die (hebräisch und aramäisch geschriebenen) Qumranschriften bedeutet, nicht aber die Schriften des griechisch sprechenden Judentums, allen voran die Werke des jüdischen Religionsphilosophen Philon, in denen sich immerhin eine ausgeprägte Seelenlehre findet.3 Dautzenbergs Argumentation beruht also auf einer petitio principii, da durch die willkürliche Beschränkung des zum Vergleich herangezogenen Materials das Ergebnis bereits vorbestimmt ist. Untermauert wird dies von Dautzenberg durch einen weiteren Fehlschluss, der darauf basiert, dass ein striktes ›Entweder-oder‹ zwischen einer griechisch-dualistischen Seelenvorstellung und dem biblischen Verständnis behauptet wird: Entweder bezeichne, so Dautzenberg, ψυχή einfach Leben, Existenz – dies entspreche vor allem jüdisch-christlicher Tradition –, oder sie bezeichne philosophisch-dualistisch den höheren, im Gegensatz zum Leib stehenden Teil des Menschen. Da nun Letzteres so für den 1. Petrusbrief nicht zutreffe, so müsse eben Ersteres gemeint sein. Doch so einfach ist das nicht. Natürlich kann man beim 1. Petrusbrief nicht die ganze platonische Seelenvorstellung erwarten – diese wäre schon mit der für ihn zentralen Eschatologie inkompatibel –, aber das heißt noch lange nicht, dass der Begriff der Seele bei ihm nur »ein Äquivalent für das Personalpronomen« sei. 4 Zu diesen 1 Das reicht von den Kommentaren von L. GOPPELT, Der erste Petrusbrief (KEK 12,18), Göttingen 11978, und N. BROX, Der erste Petrusbrief (EKK XXI), Zürich/NeukirchenVluyn 21986, bis hin zum neuesten Kommentar von J. H. E LLIOTT, 1 Peter. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 37B), Garden City (N.Y.) 2000, 344. 2 G. DAUTZENBERG, σωτηρία ψυχῶν (1 Petr 1,9), BZ N.F. 8 (1964), 262–276, hier 274. 3 Zwar kann man nicht zeigen, dass der 1. Petrusbrief Philon gekannt hat, aber die Vertrautheit des Briefes mit hellenistisch-jüdischen Traditionen, wie sie vor allem bei Philon begegnen, ist unbestreitbar, wie ich am Beispiel der Fremdheitsmetapher gezeigt habe (R. FELDMEIER, Die Christen als Fremde. Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief [WUNT 64], Tübingen 1992, 60–72). Sie zeigt sich auch wieder bei diesem Thema, sowohl beim Seelenheil wie bei der Wiedergeburt. 4 BROX, Petrusbrief (Anm. 1), 67; ähnlich G OPPELT, Petrusbrief (Anm. 1), 104, Anm. 63, und E LLIOTT, 1 Peter (Anm. 1), 344: »a Semitism standing for a reflexive pronoun«. Wenn Brox als Begründung anführt: »Die Vorstellung von der im Gegensatz zum

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Fehlschlüssen kommen weitere Ungenauigkeiten: So verschwendet Dautzenberg keinen Gedanken daran, wo der Ausdruck σωτηρία ψυχῶν herkommen könnte, wo es eine gleiche oder ähnliche Wendung gibt. Zumindest irreführend ist auch die als zusätzliche Begründung aufgeführte Behauptung, dass der 1. Petrusbrief »nicht an der Unterscheidung zwischen dem inneren und äußeren Menschen interessiert«5 sei. Der Begriff des inneren Menschen kommt auch bei Paulus nur zweimal vor (1. Kor 5,12; 2. Kor 4,16; dazu noch Eph 3,16), und eine Formulierung wie 1. Petr 3,4, die in expliziter Entgegensetzung zum äußerlichen Schmuck vom »verborgenen Menschen des Herzens« spricht, dem das »Unvergängliche eines sanftmütigen und ruhigen Geistes« eigne, kommt der paulinischen Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Menschen doch bemerkenswert nahe. Ein unbefangener Blick auf die Stellen, an denen der 1. Petrusbrief von der ψυχή spricht, zeigt demgegenüber ein deutlich anderes Bild. Schon in 1,9 klingt zwar die Rede von der σωτηρία ψυχῶν an andere neutestamentliche Texte wie Mk 8,35 an – aber einmal abgesehen von der Frage, ob nicht auch dort schon der Begriff Seele mehr meint als nur »Leben«: Für jeden griechischen Leser oder Hörer dürfte sich auf dem Hintergrund der antiken Seelenvorstellung (die auch dem Diasporajudentum geläufig war) bei diesem Ausdruck die Vorstellung des »Seelenheils« mit einiger Wahrscheinlichkeit nahelegen, zumal damit die Heilsbotschaft von der Wiedergeburt zu einem unvergänglichen Erbe (1,3f.), welche der Vergänglichkeit allen Fleisches entgegengesetzt wird (1,23f.), auf den Begriff gebracht wird. Diese Vermutung bestätigt auch der Blick auf diejenige frühjüdische Literatur, die Dautzenberg ausgeklammert hat, obgleich sie dem 1. Petrusbrief weit näher steht als etwa Qumran, vor allem6 Philon von Alexandria. Der jüdische Religionsphilosoph verwendet zwar nicht den prägnanten Ausdruck σωτηρία ψυχῶν, wohl aber spricht er an verschiedenen Stellen vom Heil der Seele: So interpretiert er Ex 15,1 (die Vernichtung der Ägypter durch Gott) dahin gehend, dass Gott der Seele im Kampf gegen die Leidenschaften und vernunftlosen Triebe beisteht und sie so mit σωτηρία begnadet (Ebr. 111). Philons Auslegung der Geschichte von Abrahams Auszug (Gen 12,1–3) beginnt mit der bemerkenswerten Feststellung: »Gott, der die Seele des Menschen reinigen (καθῆραι) will, gibt ihr als Erstes die Leib unsterblichen Seele, die das Bessere im Menschen darstellt, ist dort [sc. im Frühjudentum und im Frühchristentum] unbekannt«, so ist diese Behauptung im Blick auf das hellenistische Judentum in jedem Falle falsch (vgl. nur Philon) und auch im Blick auf das Frühchristentum fraglich. Auch hier greift die Fragestellung wieder zu kurz: Natürlich findet sich im 1. Petrusbrief nicht die gleiche Seelenvorstellung wie im Mittleren Platonismus, aber es ist durchaus des Nachdenkens wert, warum er überhaupt im Blick auf die Gottesbeziehung so oft von der Seele spricht (s. u.). 5 DAUTZENBERG, σωτηρία ψυχῶν (Anm. 2), 274 f. 6 Es gilt allerdings nicht nur für Philon; vgl. TestHiob 3,5.

246 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Gelegenheit zum Heil (σωτηρία) durch die Umsiedelung aus drei Orten: dem Leib, der sinnlichen Wahrnehmung und dem vorgetragenen Wort« (Migr. 2). Diese beiden Belege sind deshalb besonders aufschlussreich, weil sie nicht nur vom Heil der Seele sprechen, sondern dies auch noch in einer Weise erläutern, die ganz unmittelbar an die nächsten beiden Stellen erinnert, an denen der 1. Petrusbrief von der Seele spricht: In 1,22 fordert er, dass die »Seelen« im Dienst an der Wahrheit gereinigt werden sollen. Und der Kampf der Seele gegen Leidenschaft und Zügellosigkeit, von dem Philon wiederholt spricht (vgl. außer Ebr. 111 auch Quaest. Gen. IV,74; Opif. 79.81), hat eine Entsprechung in 1. Petr 2,11, wo vom Kampf der fleischlichen Begierden gegen die »Seele« die Rede ist. Seelenheil, Reinigung der Seele, Kampf zwischen den Begierden und der Seele – diese doch relativ eindeutigen Entsprechungen zwischen Philon und dem 1. Petrusbrief zeigen m. E. zweifelsfrei, dass der 1. Petrusbrief hier, von der Diasporasynagoge beeinflusst, in der Tat an so etwas wie eine »Seele« als das »höhere Selbst« des Menschen denkt. Das passt auch gut zu den weiteren Stellen, an denen der 1. Petrusbrief den Begriff ψυχή verwendet, auch wenn diese für sich genommen weniger eindeutig sind.7 Ψυχή scheint also im 1. Petrusbrief durchaus das anthropologische Korrelat von Gottes Weltzugewandtheit zu bezeichnen, die »Seele«, und zwar sowohl passiv als Empfängerin des errettenden Heilshandelns (1,9; 2,25; 4,19) als auch aktiv als das zu reinigende (1,22), Gott zu unterstellende (4,19) und im Kampf gegen die »fleischlichen Begierden« zu bewahrende Selbst (2,11). Indem der 1. Petrusbrief dies ψυχή nennt, kann er bei seinen im griechischen Kultur- und Sprachbereich beheimateten Adressaten an den Assoziationshorizont dieses Begriffs anknüpfen, der im Platonismus und dann auch in der Diasporasynagoge den Menschen bezeichnet, sofern er zu Gott in Beziehung steht. Und nicht nur dies: Mit dem Begriff der Seele ist auch die für den 1. Petrusbrief zentrale Vorstellung des Heils als eines über diese vergehende Wirklichkeit hinausgehenden, »unvergängli7 So wird Christus – das ist der Zielpunkt des Hymnus in Kapitel 2 – als Hirt und Bischof der »Seelen« bezeichnet, zu dem die Glaubenden aus der Verirrung des früheren Lebens umgekehrt sind (2,25). In 4,19 heißt es, dass die verfolgten Christen ihre »Seelen« dem gerechten Schöpfer anvertrauen sollen. Die einzige Ausnahme scheint die Wendung in 3,20 zu sein, dass acht »Seelen« vor der Sintflut in die Arche Noahs gerettet worden sind. Das kann zunächst nur das Leben der durch die Arche vor dem Ertrinken Bewahrten bedeuten. Zu beachten ist jedoch, dass diese Anspielung auf die Sintflutgeschichte bewusst als »Antitypos« zu der im folgenden Vers daran exemplifizierten Rettung durch die Taufe gestaltet ist. Dies aber macht es wahrscheinlich, dass auch hier der Begriff ψυχή mit Bedacht verwendet wird: Wenn es heißt, dass die acht ψυχαί »durch (!) Wasser gerettet wurden« (διεσώθησαν διʹ ὕδατος; διά heißt auch »durch« im Sinne von »mittels«, während bei der näherliegenden Präposition ἐκ dieses Wortspiel nicht möglich gewesen wäre), dann spielt diese Kombination von ψυχή und σῴζειν gerade auf die durch die Taufe sich ereignende σωτηρία ψυχῶν an.

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chen« Lebens besser einsichtig zu machen. Zwar wird – und das ist ganz klar zu sehen – die Unsterblichkeit nicht wie im zeitgenössischen Mittleren Platonismus mit der wesensmäßigen Partizipation der Seele am Göttlichen begründet,8 sondern eschatologisch mit Gottes Heilstat in Christus, die als »lebendige Hoffnung« bereits die Gegenwart der Glaubenden bestimmt. Dennoch finden sich im 1. Petrusbrief m. E. bereits Ansätze für eine dualistische Anthropologie. Explizit wird der Seele zwar nicht der Körper bzw. das Fleisch gegenübergestellt, wohl aber partizipiert sie als Adressatin des Heils an der göttlichen Herrlichkeit und damit auch an Gottes Unvergänglichkeit (s. u.), während das Fleisch dezidiert die Sphäre der Vergänglichkeit (1,24), des Leidens (4,1) und des Todes (3,18; 4,6) ist. Am bemerkenswertesten ist die grundsätzliche Aussage in 2,11, die den zweiten Hauptteil einleitet. Hier wird davon gesprochen, dass die fleischlichen Begierden Krieg führen, allerdings nicht, wie Paulus sagen würde (vgl. Gal 5,16f.), gegen den (göttlichen) Geist, sondern gegen die (menschliche) Seele (2,11)! Hier liegt eine deutlich hellenisierte Anthropologie vor. Dieser entspricht in der Soteriologie des 1. Petrusbriefes die Aufnahme des Motivs der Wiedergeburt.

II. Die Rede von der Wiedergeburt im Kontext der religiösen Koine der späteren Antike Soweit wir aufgrund der spärlichen Quellenlage uns ein Urteil erlauben können, begegnet die Metapher der Wiedergeburt im Sinne einer religiös bedingten Verwandlung des menschlichen Daseins erst seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Dann aber findet sie in relativ kurzer Zeit eine bemerkenswerte Verbreitung; sie kann in paganen Mysterien die Folgen der Initiation bezeichnen, in jüdisch-hellenistischen Texten die Verwandlung in der Gottesgemeinschaft und im Frühchristentum die Aneignung des durch Jesus Christus gebrachten Heils ausdrücken, von ihrer Popularität in gnostischen und hermetischen Texten (vgl. CH 13) ganz zu schweigen. Aus dem jüdischen Bereich stellt Philon, Quaest. Ex. II,46, die überlieferungsgeschichtlich wohl älteste, zugleich im Blick auf den 1. Petrusbrief interessanteste Parallele dar. Es handelt sich um eine Auslegung von Ex 24,16b, wo der jüdische Religionsphilosoph die Überlieferung, dass Mose am siebten Tag zu Gott emporgerufen wurde, allegorisch auslegt als Hinweis auf eine »zweite Geburt« durch Gott selbst, welche der ersten Geburt 8

Vgl. den pseudoplatonischen Traktat Axiochos, dessen Thema die Begründung der Unsterblichkeit der Seele in der Auseinandersetzung mit menschlicher Todesangst ist. Dort wird vom θεῖον πνεῦµα gesprochen, das in der Seele ist und ihre Unsterblichkeit begründet (370c). Bei Plutarch vgl. etwa De sera 17,560b–c.

248 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung durch »vergängliche Eltern« (corruptibiles parentes) gegenübergestellt ist. Durch diese zweite Geburt wird die Seele vom Körper befreit und der »heiligsten Natur der Hebdomade« teilhaftig. Die weitere Verwendung dieser Metaphorik im hellenisierten Diasporajudentum bezeugt auch PseudoPhilon, De Jona, wo sowohl der im Bauch des Fisches zu Gott umkehrende Prophet (25f. [§§ 95.99]) wie auch die sich bekehrenden Einwohner der Stadt Ninive (46 [§ 184]) als Wiedergeborene bezeichnet werden.9 Verwandt sind auch die Aussagen in dem wohl ebenfalls in Ägypten entstandenen Bekehrungsroman Joseph und Aseneth; dort werden von der ägyptischen Priestertochter im Zusammenhang mit ihrem Übertritt zum Judentum die Verben ἀναζῳοποιεῖν (8,11; 15,5; 27,10), ἀνακαινίζειν (8,11; 15,5.7) und ἀναπλάσσειν (8,11; 15,5) als Ausdruck des göttlichen Handelns an ihr verwendet. Traditionsgeschichtlich etwas jüngeren Datums sind die paganen Belege, die aus dem Umkreis der Mysterien stammen. Markantester Beleg ist das 11. Buch der Metamorphosen (»Goldener Esel«) des Apuleius. Die Erlösung eines gewissen Lucius von seiner Eselsgestalt durch Isis präfiguriert die Wiedergeburt durch die Einweihung in die Mysterien. Durch diese Einweihung ist der Protagonist vom blinden Schicksal befreit und unter den Schutz einer »sehenden Gottheit«10 gestellt, welche als numen invictum (XI,7,1) und omnipotens dea (XI,16,3) ihrem Anhänger sowohl in diesem Leben wie im Totenreich durch eine Art Klientelverhältnis Vorteile gewährt. Diese Rettungstat wird kommentiert von einem Priester, der zum Schluss in einen Makarismus ausbricht (XI,16,4: »felix hercules et ter beatus …«) und den Geretteten als »gleichsam Wiedergeborenen« (»renatus quodam modo«) bezeichnet. Nochmal werden die Mysten von einem Priester als »gleichsam Wiedergeborene zu einem neuen Leben« bezeichnet (XI,21,7), und Lucius feiert denn auch seine Einweihung als neuen Geburtstag (XI,24,4f.). Die Verbreitung der Wiedergeburtsmetaphorik im Zusammenhang mit der Einweihung in die Mysterien bezeugt auch eine Inschrift im Mithräum von Santa Prisca in Rom, welche den Tag der Initiation als neuen Geburtstag bezeichnet; ebenso verweisen einige Taurobolium-Inschriften auf den Geburtstag des Mysten.11 Bezeugt ist die Terminologie der Wiedergeburt als ein Spezifikum der Mysterien auch – allerdings erst rückblickend im vierten Jahrhundert – durch Sallustios.12 9

Vgl. dazu F. S IEGERT, Drei hellenistisch-jüdische Predigten II (WUNT 61), Tübingen 1992, 163 f.166 f.207. 10 XI,15; dieses Sehen der Gottheit ist die bewusste Antithese zur caecitas Fortunae. 11 Vgl. dazu W. B URKERT, Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt, München 1990, 84. 12 De deis et mundo 4,10 – dort erhalten die Wiedergeborenen (ἀναγεννώµενοι) nach dem Fasten Milch, vgl. 1. Petr 2,2 f. (vgl. K. W YSS, Die Milch im Kultus der Griechen und Römer [RGVV 15,2], Gießen 1914).

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Im Neuen Testament findet sich die Vorstellung außerhalb des 1. Petrusbriefes vor allem im Nachtgespräch Jesu mit Nikodemus in Joh 3; hier (bes. Joh 3,5) wird wie in Tit 3,5 damit die Taufe gedeutet (vgl. weiter Joh 1,13). Im Gegensatz zu diesen Texten, welche Wiedergeburt und Taufe aufeinander beziehen, betont Jak 1,18 ebenso wie der 1. Petrusbrief mit der Wiedergeburt ohne expliziten Taufbezug die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. Die mit der Metapher der Wiedergeburt bezeichneten Vorstellungen sind allerdings derart disparat, dass es nicht den Anschein hat, als könnten sie einem einheitlichen Typus zugeordnet werden.13 Noch hypothetischer sind alle Versuche, zwischen den verschiedenartigen Zeugnissen direkte Abhängigkeiten nachzuweisen.14 Insofern ist den meisten heutigen Auslegungen zunächst einmal recht zu geben, wenn sie die direkte Ableitung und Deutung der Rede von der Wiedergeburt im 1. Petrusbrief aus diesen Parallelen ablehnen. Weniger überzeugend ist allerdings die weitere Behandlung, die sie diesem Thema zukommen lassen: Entweder begnügt man sich damit, die Wiedergeburt im 1. Petrusbrief aufgrund von Joh 3,5 und Tit 3,5 kurzerhand mit der Taufe zu identifizieren 15 und somit die Wiedergeburtsaussagen einfach unter die neutestamentlichen Taufaussagen zu subsumieren,16 ohne noch weiter auf diese doch einigermaßen drastische Metaphorik eines Neubeginns des ganzen Daseins einzugehen. Oder man führt pflichtschuldigst die religionsgeschichtlichen Parallelen an, um sofort apologetisch die Andersartigkeit der Wiedergeburtsvorstellung im 1. Petrusbrief aufzuzeigen und daraufhin die Wiedergeburt durch andere Theologumena wie Neuschöpfung zu ersetzen,17 wenn man nicht gleich die Nutzlosigkeit eines religionsgeschichtlichen Vergleichs an diesem Punkt 13 Vgl. die Darlegungen von B URKERT, Mysterien (Anm. 11), vor allem 83–86. Die Zeugnisse für das Ritual der Wiedergeburt sind laut Burkert »teils zu vage, teils zu vielgestaltig, um einer einfachen und zugleich umfassenden Theorie Vorschub zu leisten« (84). 14 Im Blick auf Zusammenhänge und Abhängigkeiten neutestamentlicher Texte warnt B URKERT: »Daß die Konzeption des Neuen Testaments von heidnischer Mysterienlehre direkt abhängig sei, ist philologisch-historisch bislang unbeweisbar« (ebd., 86). 15 Vgl. H. FRANKEMÖLLE, 1. Petrusbrief, 2. Petrusbrief, Judasbrief (NEB 18+20), Würzburg 1987, 33.40; BROX, Petrusbrief (Anm. 1), 62 u. a. 16 So etwa U. SCHNELLE, Art. Taufe II, TRE 32, Berlin/New York 2001, 663–674, bes. 671. 17 Ein schönes Beispiel ist die Argumentation von Goppelt, der zwar feststellt, dass die Metapher der Wiedergeburt der hellenistischen Welt entstammt, dem aber nicht weiter nachgeht, sondern stattdessen konstatiert, dass diese Rede von der Wiedergeburt »auf einen Motivzusammenhang aus dem Selbstverständnis der Qumrangemeinde« zurückgehe, wobei der »den hellenistischen Menschen fremde Terminus der ›Neuschöpfung‹ […] durch den allgemein verständlichen Begriff ›Wiedergeburt‹ ersetzt« wurde (GOPPELT, Petrusbrief [Anm. 1], 94; vgl. auch die Ausführungen von J. M ICHL, Die katholischen Briefe [RNT 8,2], Regensburg 21968, 109–113).

250 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung betont.18 Einer angemessenen Wahrnehmung der für den 1. Petrusbrief zentralen Wiedergeburtsaussagen ist dies sicher nicht dienlich. Denn bei der Auswertung des religionsgeschichtlichen Befundes geht es ja nicht nur um den (oft recht hypothetischen) Versuch, Abhängigkeiten zu konstatieren. Es kann aber auch nicht darum gehen, immer gleich die (zweifellos vorhandene) Andersartigkeit der christlichen Rede von der Wiedergeburt herauszustellen. Fruchtbarer ist vielmehr die elementare Frage, warum zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt die Vorstellung der Wiedergeburt gleichsam in Mode kommt. Welches geistesgeschichtliche »Klima« und welche Bedingungen – eventuell auch gesellschaftlicher und ökonomischer Art – führen dazu, dass die umfassende Erneuerung des gegenwärtigen Lebens, dessen Metamorphose zu einer anderen Existenz zum Inbegriff des Heils wird, sodass sich religiöse Botschaften unterschiedlicher Provenienz mit der Verheißung einer Wiedergeburt profilieren können? Um es noch einmal klar zu sagen: Es kann durchaus überlegt werden, inwieweit die Wiedergeburt im 1. Petrusbrief etwas mit der Taufe zu tun hat. Die Tatsache aber, dass der 1. Petrusbrief dort, wo er von Wiedergeburt spricht, nichts von der Taufe sagt, und dort, wo er auf die Taufe zu sprechen kommt, nichts von der Wiedergeburt, legt es methodisch nahe, zunächst einmal jeden Komplex für sich auszulegen. In jedem Fall darf man nicht, von unserem Vorverständnis einer (sakramentalen) Tauflehre ausgehend, die Wiedergeburt nur als mehr oder weniger belangloses Synonym behandeln. Ähnliches gilt für den möglichen Bezug zu anderen Theologumena wie Neuschöpfung. Wie immer der Bezug des 1. Petrusbriefes dazu oder auch zu den unterschiedlichen neutestamentlichen, jüdischen und paganen Parallelen zu bestimmen ist19 – in jedem Fall ist erst einmal wahrzunehmen, dass dieser im Namen des Säulenapostels verfasste Hirtenbrief die christliche Existenz mit einer Metapher beschreibt, welche dezidiert nicht aus der biblischen Tradition stammt, wohl aber aus der religiösen Koine seiner Zeit. Dies ist umso bemerkenswerter, als dieser Metaphorik bei der Bestimmung der christlichen Existenz eine Schlüsselrolle zukommt: In 1,3 wird Gott als 18 Bezeichnend dafür ist das Urteil von Brox, dass der Blick auf eventuelle religionsgeschichtliche Parallelen »für das genaue Verständnis […] nichts Unentbehrliches« beitrage, da die Metapher der Wiedergeburt »zu neutral und zu flexibel« sei, »um in jedem Fall eine religionsgeschichtliche Herkunft mitzuschleppen«. Man könne in ihr daher nicht mehr als nur ein Bild für einen »einschneidenden (religiös-existentiellen) Neubeginn« sehen (BROX, Petrusbrief [Anm. 1], 61 f.; etwas vorsichtiger ist K. H. SCHELKLE, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief [HThK XIII,2], Freiburg i. Br. u. a. 1980, 38, der jedoch zu einem ähnlichen Ergebnis kommt). 19 Hier gibt es durchaus Unterschiede, die hier nicht näher zu erläutern sind, die sich aber jeder klarmachen kann, der die Wiedergeburtsvorstellung des 1. Petrusbriefes zum einen mit der im 11. Buch der Metamorphosen, zum andern mit Philon, Quaest. Ex. II,46, vergleicht.

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ἀναγεννήσας, als der Vater, der Erzeuger des neuen Seins, bestimmt,20 in 1,23 sind die Glaubenden aus dem »unvergänglichen Samen« seines »lebendigen Wortes« von Neuem geboren, und in 2,2 wachsen sie als »eben geborene Säuglinge« durch das λογικὸν γάλα, die »Wortmilch«, zum Heil (εἰς σωτηρίαν). Zeugung, Geburt, Stillen – diese väterliche und mütterliche Aspekte umgreifende Entfaltung der Metapher der Wiedergeburt im 1. Petrusbrief betont, dass das neue Sein in einem ganz elementaren und umfassenden Sinn durch Gott bedingt und bestimmt ist und dass zugleich die Wiedergeborenen in ein qualitativ neues Verhältnis zu diesem Gott gesetzt sind (s. u.). Der Sinn dieser den ganzen Abschnitt 1,3–2,3 prägenden Rede von der Wiedergeburt aber ist, wie eingangs schon gesagt, das Bemühen des 1. Petrusbriefes, die eschatologische Existenz der Christen in einem neuen Kontext plausibel zu machen. Dieses Schreiben spricht ja in seiner Eschatologie nicht mehr von dem Reich Gottes, auch nicht mehr von der neuen Schöpfung, sondern es personalisiert die christliche Heilsbotschaft vom Einbruch des Eschaton mit der Metapher einer neuen Geburt. Die Pointe der Eschatologie ist folglich der Loskauf aus dem nichtigen Lebenszusammenhang (1,18f.) und die Überwindung der Vergänglichkeit (1,23–25), also die Überwindung der mit der ersten Geburt gesetzten Bedingungen. Genaueres Hinsehen zeigt, dass der 1. Petrusbrief auch gezielt seine Rede von der σωτηρία in diese Richtung profiliert hat. Bereits der Auftakt der Eulogie 1,3f. bedient sich zwar einer christlichen, vor allem der aus den Paulusbriefen bekannten Terminologie, aber dabei wird doch eine Akzentverschiebung vorgenommen, die in der Summe dem Ganzen eine neue Ausrichtung gibt. Gott wird hier als der vorgestellt, der »uns von Neuem gezeugt hat«. Die neue Existenz besteht also darin, dass die Adressaten in ein unmittelbares Verhältnis zu diesem Gott gesetzt sind; aus Geschöpfen werden Kinder, und das bedeutet, dass sie wesensmäßig (geradezu »genetisch«) an diesem Gott partizipieren. Das bestätigt sich bereits in der Näherbestimmung der Neuzeugung als »zu einer lebendigen Hoffnung«. Diese Betonung der Hoffnung als Zentrum, ja Seinsgrund der christlichen Existenz hat der 1. Petrusbrief mit anderen Schriften des Neuen Testaments gemeinsam, welche das Christentum in die hellenistische Welt vermitteln.21 Ungewöhnlich dagegen ist das Prädikat »lebendig«, das im Folgenden mehrmals 20

Das im Zusammenhang mit Gottes Handeln verwendete Partizip Aorist ἀναγεννήσας betont den ingressiven Aspekt dieser Tätigkeit: Es handelt sich nicht um eine immer schon vorhandene »Eigenschaft« Gottes, sondern dieses Neuzeugen/Wiedergebären gründet in einem bestimmten Geschehen in der Vergangenheit. Damit kann die Taufe gemeint sein, aber das wird nicht gesagt. 21 Neben den Paulusbriefen (und hier vor allem dem Römer- und dem 1. Thessalonicherbrief) und der Apostelgeschichte sind noch die Deuteropaulinen Epheser-, Kolosserund Titusbrief sowie der Hebräerbrief zu nennen.

252 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung wiederkehrt: Neben der Hoffnung kennzeichnet es in 1,23 den göttlichen Logos, in 2,4 Christus als den lebendigen Stein. Alle drei so prädizierten Größen haben aber ihre Pointe darin, dass sie mit dem neuen Leben der Glaubenden aufs Engste verbunden sind: Die lebendige Hoffnung ist Ziel der Wiedergeburt und so dann die »Hoffnung in euch« (3,15), das »lebendige Wort« ist das Wort, das als göttlicher Same die neue Existenz begründete (1,23) und als Gottes Wort »zu euch als Evangelium« kam (1,25), der »lebendige Stein« ist jener Stein, an den sich die Glaubenden als »lebendige Steine« anschließen, um zusammen mit ihm zu einem »geistlichen Haus« zu werden (2,4f.). Das Prädikat »lebendig« ist also synekdochische Redeweise: Es prädiziert mit dem Heilsgut auch dessen Empfänger, die nun durch das Wort, die Hoffnung und den »lebendigen Stein« Christus an Gottes eigener unvergänglicher Lebendigkeit teilhaben (und deshalb neu gezeugt sind). Das führt auch der folgende Vers (1,4) auf eine bezeichnende Weise näher aus. Wenn dort vom »Erbe« die Rede ist, so entstammt dies zwar der alttestamentlich-jüdischen Tradition,22 nimmt aber im Kontext des 1. Petrusbriefes auf das durch die Wiedergeburt begründete Kindschaftsverhältnis Bezug23 und spricht zudem den »Fremden« eine neue Beheimatung zu.24 Dieses Erbe wird seinerseits durch die drei Prädikate »unvergänglich, unbefleckt und unverwelklich« näher bestimmt. Eine solche Reihung von negierenden, vorzugsweise mit α-privativum gebildeten Prädikaten ist für die negative Theologie der antiken Metaphysik kennzeichnend25 und wurde dann auch im hellenistischen Diasporajudentum gerne zur Beschrei-

22 Traditionsgeschichtlich steht hier die alttestamentliche Vorstellung von Israels »Erbteil« im Hintergrund, die dort ursprünglich auf das verheißene Land bezogen ist. Allerdings wurde diese Vorstellung schon im Frühjudentum eschatologisiert, wenn den Erwählten die Erde zum Erbe verheißen wird (vgl. bes. 1. Hen 5,6–8). PsSal 14,10 sagt, dass die Frommen »Leben in Freude« erben werden; ähnlich spricht 1QS XI,7 f. davon, dass die Erwählten »am Los der Heiligen« ihr (Erb-) Teil haben werden. In diesem Sinn spricht dann auch das Neue Testament vom »Erben« des ewigen Lebens (Mk 10,17 par.), der Gottesherrschaft (Mt 25,34; 1. Kor 6,9 f.; 15,50; Gal 5,21), des Heils (Hebr 1,14) bzw. vom »(ewigen) Erbe« als der den Christen verheißenen eschatologischen Heilsgabe (vgl. Apg 20,32; Eph 1,14; 5,5; Kol 3,24; Hebr 9,15). 23 Schon bei Paulus findet sich immer wieder die Verbindung mit der Kindschaft (vgl. Röm 8,14–17; Gal 4,6 f.). 24 Im Kontext des Briefeingangs entspricht dieses »Erbe« zugleich der eingangs betonten Fremdlingschaft und Zerstreuung der Christen. Bedingte die Erwählung in dieser Welt die gesellschaftliche Entbergung und Stigmatisierung, das »Fremdsein«, so führt die daraus resultierende Wiedergeburt umgekehrt zu einer ewigen Beheimatung durch und bei Gott; vgl. auch 2,25, wo als Pointe des Christushymnus die Heimkehr »zum Hirten und Bischof eurer Seelen« gepriesen wird. 25 In der paganen Tradition findet sich die Zweierreihe häufig, zum Teil auch die Dreierreihe (vgl. Aristoteles, De caelo 270a; 277b; 282a–b; Plutarch, De E 19,392e; 20,393a u. ö.).

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bung der Überweltlichkeit des biblischen Gottes aufgegriffen. 26 Dies gilt vor allem für die Unvergänglichkeit,27 aber auch für die Unbeflecktheit.28 Alle drei Prädikate zusammen bestimmen in einer Art negativer Theologie das Göttliche durch seine Unabhängigkeit von dem, was als das Wesen dieser Welt gesehen wird, nämlich der in Zerstörung, Beschmutzung und Alterung sich zeigende Sog der Vergänglichkeit, die alles Schöne und Gute zunichte macht.29 Der 1. Petrusbrief übernimmt dies – auch hier vermutlich wieder durch die Vermittlung der Diasporasynagoge –, 30 aber er prägt sie 26

Besonders häufig findet sich dies bei Philon von Alexandria, auch bei ihm vor allem Zweierreihen, aber auch wie hier Dreierreihen mit dem Prädikat der Unvergänglichkeit (vgl. Leg. all. I,51 [zweimal] u. ö.). 27 Für Aristoteles ist die Unvergänglichkeit gerade die göttliche Eigenschaft, welche Gott in einen unaufhebbaren, wesensmäßigen Gegensatz zu unserer Welt des Werdens und Vergehens setzt. Bei Epikur ist »unvergänglich« zusammen mit »glückselig« das entscheidende Gottesprädikat, das gerade in Antithese zur irdischen Welt die Andersartigkeit der Götter betont. Dieses Prädikat wird jedoch auch im Mittleren Platonismus übernommen, auch hier im Sinne der Überweltlichkeit. Allein Philon verwendet das Wort ca. 150-mal, und auch bei Plutarch kennzeichnet es die Sphäre des Göttlichen im Gegensatz zur Welt des Werdens und Vergehens (vgl. die Schlussrede des Ammonios in De E apud Delphos). 28 Das Prädikat kann die kultische Reinheit bezeichnen (vgl. Plutarch, Numa 9,5; De Iside 79,383b; De Pyth. orac. 3,395e; vgl. weiter Philon, Spec. leg. I,113.250; Fug. 118), hat aber im Blick auf das Wesen des Göttlichen auch eine ontologische Dimension, insofern dieses sich nicht durch den Kontakt mit dem Menschlichen befleckt (vgl. Plutarch, De E 20 fin.,393c; Apuleius, De Deo Socratis 4,128). Als Gottesprädikat begegnet ἀµίαντος auch beim jüdischen Religionsphilosophen Philon; »unbefleckt« ist bei Philon dann aber auch alles, was zu Gott gehört – von seinem Namen über seine Weisheit bis zu der mit ihm verkehrenden Seele und der Tugend (vgl. Leg. all. I,50; Cher. 50; Det. 169; Migr. 31; Fug. 50.114; Somn. II,185; Spec. leg. IV,40). Dadurch gewinnt der Begriff ἀµίαντος auch noch weit stärker als ἄφθαρτος eine ethische Bedeutung: In jüdischer Tradition bezeichnet ἀµίαντος etwa geschlechtliche Unberührtheit (kultische Reinheit wird damit in 2. Makk 14,36 und 15,34 ausgedrückt, geschlechtliche Unberührtheit in SapSal 3,13; 8,19 f., vgl. im Neuen Testament Hebr 13,4), wie umgekehrt sexuelle Vergehen (TestRub 1,6; TestLev 7,3; 9,9; 14,6; 16,1; TestBen 8,2 f.; vgl. TestIss 4,4; SapSal 14,26) oder Götzendienst (Sib V,392; 4. Makk 5,36; 7,6; PsSal 2,3; 8,22) oder überhaupt Leidenschaften (vgl. Philon, Cher. 51) den Menschen bzw. seine Seele beflecken. 29 Vgl. Plutarch, De E 19–21,392 f., wo die überweltliche göttliche Vollkommenheit wie in 1. Petr 1,4 durch das Stilmittel der dreifachen negativen Prädizierung ausgedrückt wird, wobei auch hier die Unvergänglichkeit besonders wichtig ist: 19,392e: ἀίδιον καὶ ἀγένητον καὶ ἄφθαρτον; 20,393a: ἀκίνητον καὶ ἄχρονον καὶ ἀνέγκλιτον. Zur Zusammenstellung von Unvergänglichkeit und Reinheit als Charakteristikum des Göttlichen vgl. weiter 20,393d: οὐκοῦν ἐν τ΄ εἶναι καὶ ἄκρατον ἀεὶ τῷ ἀφθάρτῳ καὶ καθαρῷ προσήκει. Für den zwei Generationen später lebenden Mittelplatoniker Apuleius, De Deo Socratis 4,128, besteht die Erhabenheit der Götter darin, »dass sie durch keinerlei Berührung mit uns befleckt werden«. 30 Auch hier finden sich wieder bei Philon zahlreiche Parallelen, der, wie gesagt, die hier verwendeten Prädikate ἀµάραντος und vor allem ἄφθαρτος als Prädikate der himmlischen Wirklichkeit verwendet. Aus alledem kann allerdings nicht gefolgert werden, dass

254 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung neu: Wenn ebendas den von Gott von Neuem Gezeugten zugeteilte Erbe »in den Himmeln« unvergänglich, unbefleckt und unverwelklich genannt wird, so bezeichnen diese göttlichen Eigenschaften nun nicht mehr das Göttliche an sich in seinem unaufhebbaren Gegensatz zum Menschlichen, sondern das Heil. Auch dies hat Vorläufer in den Traditionen der Diasporasynagoge. 31 Noch entschiedener aber als bei den uns bekannten Vertretern des hellenistischen Judentums werden im 1. Petrusbrief diese metaphysischen Prädikate, welche die göttliche Sphäre durch die Negation der irdisch-menschlichen Wirklichkeit definieren, zu inklusiven soteriologischen Prädikaten. Den Erwählten wird durch die göttliche Neuzeugung die Teilhabe an der unzerstörbaren göttlichen Lebensfülle gewährt!32 Insofern beschreibt die im Neuen Testament einzigartige Formulierung von 2. Petr 1,4, die von der Teilhabe an der göttlichen Natur spricht, einigermaßen adäquat, worum es bei der Wiedergeburt in 1. Petrusbrief geht. Bestätigt wird dies bei der zweiten Erwähnung der Wiedergeburt in 1,23– 25, wo der Zeugung aus dem vergänglichen Samen antithetisch die Neuzeugung durch den unvergänglichen Samen entgegengesetzt wird (V. 23). Die Rede von einer göttlichen σπορά verstärkt die kühne Zeugungsmetader 1. Petrusbrief direkt von Philon abhängig ist. Dazu sind zu viele Zeugnisse des Diasporajudentums verlorengegangen. Es könnte durchaus auch nur dasselbe Milieu der Diasporasynagoge sein, dessen Traditionen Philon und den 1. Petrusbrief beeinflusst haben. Speziell im Blick auf 1. Petr 1,4 sticht etwa auch der Bezug zur Sapientia Salomonis ins Auge, in der alle drei Begriffe als Prädikate himmlischer Größen begegnen: ἄφθαρτος in 12,1 vom göttlichen Geist, in 18,4 vom Licht des göttlichen Gesetzes; ἀµίαντος in 4,2 im Zusammenhang des Bildes vom Wettkampf als Metapher für tugendhaftes Leben (»unverwelklicher Preis« für den Sieg) und ἀµάραντος in 6,12(13) für die Weisheit. 31 Man kann sich das gut an dem Gottesprädikat schlechthin, der Unvergänglichkeit, klarmachen: Nach der Sapientia Salomonis ist der Mensch aufgrund seiner Gottesebenbildlichkeit von Gott auf Unvergänglichkeit hin angelegt (2,23), und diese kann trotz des zwischenzeitlichen Verlustes aufgrund des Sündenfalls durch die »Befolgung der Gesetze« wieder befestigt werden (6,18). Für die Märtyrerlegenden von 4. Makk 9,22 bedeutet das Festhalten an der Tora und am Gott Israels inmitten einer vom Tod beherrschten, verdorbenen Welt unzerstörbares, ewiges Leben, ja, sie verwandelt schon im Sterben zur Unvergänglichkeit. Nach dem hellenistischen Bekehrungsroman Joseph und Aseneth hat der Jude als wahrer Gottesverehrer am Segen und damit an Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit teil (8,5; 15,5; 16,16). Dementsprechend wird auch die sich bekehrende Heidin als Mitglied des Gottesvolkes mit unvergänglicher Jugend und Schönheit begabt (16,16; vgl. auch 18,9). Bei Philon bedeutet die Schöpfung nach Gottes Ebenbild, dass der Mensch als Idee Gottes, als Gattung »von Natur unvergänglich« war (φύσει ἄφθαρτος). Durch die Hinwendung zum Leiblichen – so versteht Philon den »Sündenfall« – ging diese Unvergänglichkeit der Gattung zwar als schöpfungsgemäße Ausstattung verloren (Opif. 152), sie bleibt aber erhalten als Bestimmung des einzelnen Menschen, der danach streben soll, »bei dem Ungewordenen und Unvergänglichen [d. h. bei Gott] das körperlose und unvergängliche Leben zu erlangen« (Gig. 15; vgl. Heres 35; Post. 135; Plant. 44; Ebr. 136 u. ö.). 32 Siehe Anm. 28–31.

»Seelenheil«

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phorik von 1,3 noch. In unserem Zusammenhang kann das nur bedeuten: So wie aus dem vergänglichen Samen die vergängliche Existenz entsteht, ebendas wie Gras vergehende und verblühende Fleisch, so wird durch jenen Samen (der mit dem lebendigen und bleibenden göttlichen Wort [V. 24] gleichgesetzt wird, welches seinerseits in V. 25 als das »euch verkündigte Evangelium« identifiziert wird) ein unvergängliches Leben hervorgebracht. Insofern das Neue im Wort der Verheißung gründet, ist es zwar noch nicht gegenwärtig, wohl aber stellt es als »lebendige Hoffnung« (1,3) bzw. »Hoffnung in euch« (3,15) inmitten der vergehenden Welt des Fleisches bereits die Beziehung zu Gottes unvergänglichem Leben her. Im Blick auf das oben zur Seele Festgestellte gewinnen auch jene Formulierungen aus dem Jesajabuch eine neue Bedeutung. Bezeichnet jenes wie Gras vergehende Fleisch im alttestamentlichen Kontext einfach die Ohnmacht der Menschen gegenüber Gottes Macht, so ist das Fleisch nun die Sphäre der Vergänglichkeit und des Todes (vgl. 3,18; 4,6) im Gegensatz zu Gottes Ewigkeit und Lebendigkeit.

III. Die Überwindung der Vergänglichkeit Die Pointe der Rede von der Wiedergeburt ist die Gewissheit, dass die Bedingungen dieser nichtigen, vergehenden dunklen Welt nicht mehr das Leben der Glaubenden begrenzen, weil diesem Leben mitten in der vergehenden Welt durch Gottes lebendigmachendes Handeln in Christus (1,3; 3,18 u. ö.) ein neuer Horizont eröffnet ist. Dies wurde gleich am Anfang dahin gehend ausgeführt, dass die Wiedergeburt zu einem »unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe« erfolgt, »das im Himmel für euch aufbewahrt ist«. Diese Überwindung der Vergänglichkeit qua Wiedergeburt wird gerade im grundlegenden Hauptteil durch scharfe Kontraste unterstrichen, nicht nur anhand der im 1. Petrusbrief fast schon stereotypen Antithese von gegenwärtigem Leiden und künftiger Herrlichkeit (1,6f.11; 4,13f.; 5,1.10), sondern gerade durch die pointierte Entgegensetzung von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit. Anhand der Aussagen zur Wiedergeburt aus unvergänglichem Samen (1,23–25) wurde dies ja schon ausführlich dargestellt. Bestätigt wird dies auch durch andere Texte sowie die zahlreichen antithetischen Formulierungen des Briefes.33 Als markantes 33

So etwa die Entgegensetzung von Eckstein und Stolperstein (2,6–8), von Licht und Finsternis (2,9), von Verirrung und Umkehr (2,25), von nichtigem Äußerem und unvergänglichem Innerem (3,3 f.), von äußerem Abwaschen des Schmutzes und Reinigung des Gewissens (3,21) und nicht zuletzt auch die Warnungen vor dem Rückfall in das frühere Leben, das von den »Begierden« geprägt war (1,14; 2,11; 4,2 f.). Vgl. weiter auch die Warnung vor dem wie ein hungriges Raubtier umherstreifenden Teufel (5,8), nicht zu

256 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Beispiel möchte ich die erste hymnische Passage 1. Petr 1,18–21 mit ihrem Preis des Loskaufs durch das Blut Christi herausgreifen. Bei der Auslegung konzentriert sich das Interesse zumeist auf die Frage, ob hier bei der Deutung des Todes Jesu in erster Linie Vorstellungen aus dem Bereich der Sühne oder aus dem des Sklavenloskaufs maßgeblich sind. Weniger beachtet werden die aufs Ganze gesehen doch markanten neuen Akzente, welche der Autor des 1. Petrusbriefes bei seiner Rezeption dieser traditionellen Motive gesetzt hat: 1. Der Loskauf erfolgt aus »eurem nichtigen, von den Vätern überlieferten Lebenswandel« (1,18), eine an Schärfe kaum mehr zu überbietende Entgegensetzung zum mos maiorum. 2. Ausdrücklich wird betont, dass dieser Loskauf »nicht durch Vergängliches« geschah. 3. In Antithese dazu wird bei dem »Lamm«, durch dessen Blut dies geschieht, durch zwei mit α-privativum gebildete Prädikate dessen Überlegenheit über die irdischen Bedingungen unterstrichen, verstärkt noch durch die Angabe, 4. dass die gesamte Erlösung in einem göttlichen Ratschluss »vor der Grundlegung des Kosmos gründet«, also allem Geschaffenen vorausliegt und somit über dieses auch hinauszuführen vermag (1,20). Zusammenfassend ist festzustellen: Mit seiner Betonung der Teilhabe an der göttlichen Unvergänglichkeit im Gegensatz zur nichtigen und vergänglichen Welt partizipiert der 1. Petrusbrief an dem Bedürfnis der späteren Antike nach Transzendierung dieser vergehenden Welt; deshalb ist es für ihn keineswegs »überflüssig«, das »Bleiben« des Wortes Gottes im Gegensatz zu dem wie Gras verwelkenden »Fleisch« hervorzuheben.34 Das Prädikat der Unvergänglichkeit sowie dessen Synonyme, die den Gegensatz des göttlichen Heils zur Nichtigkeit und Vergänglichkeit der vorfindlichen Welt unterstreichen, versuchen in einem neuen Kontext verständlich zu machen, was die Tat Gottes bei der Auferweckung Jesu Christi mit dem christlichen Selbstverständnis zu tun hat. Die Hellenisierung ist also weitreichender und für die Soteriologie des 1. Petrusbriefes zentraler, als gemeinhin wahrgenommen wird.

vergessen die bereits erwähnte, für den 1. Petrusbrief charakteristische Entgegensetzung von gegenwärtigem Leiden und künftiger Herrlichkeit. 34 Typisch für die Ausblendung dieser Dimension ist der Kommentar von Brox, der glaubt, zu dieser Ausführung über das »Bleiben« des Gotteswortes anmerken zu müssen, dass diese »etwas überflüssig anmutet, weil dieser Topos im Zusammenhang so wesentlich nicht ist und er auch von niemand bestritten wurde«. Zudem interessiere die »Kurzlebigkeit des Menschen […] den Verfasser im ganzen Brief sonst nicht«; sie bilde hier nur einen »rhetorischen Kontrast zur Dauerhaftigkeit des Wortes« (B ROX, Petrusbrief [Anm. 1], 88).

»Seelenheil«

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IV. Die Einbindung in die Gottesvolktradition Die Soteriologie des 1. Petrusbriefes ist allerdings nicht nur vom hellenistischen Konzept der Wiedergeburt als Überwindung der Nichtigkeit und Todgeweihtheit des Daseins bestimmt. Umgriffen sind die Darlegungen des ersten Hauptteils 1,3–2,3 von 1,1f. und 2,4–10, die in Rückbindung an alttestamentlich-jüdische Traditionen die Einbindung der »Wiedergeborenen« in das Gottesvolk betonen. Das zeigt bereits die Adressatenangabe als »erwählte Fremde in der Zerstreuung«. Die einigermaßen ungewöhnliche Anrede als »Fremde« bringt zum einen die Situation der Christen auf den Begriff: Sie sind in der antiken Gesellschaft Fremdkörper, Außenseiter, stigmatisiert und kriminalisiert. Doch ist diese Anrede als Fremde nicht nur situationsbeschreibend, sondern auch situationsdeutend, insofern hier im gezielten Rückgriff auf eine schmale alttestamentlich-jüdische Tradition35 die Außenseiter in eine Reihe mit denen gestellt werden, die durch Gottes Ruf in die Fremde herausgerufen wurden – von den Erzvätern (vgl. Gen 17,8; 23,4; 28,4; 35,27; 36,7; 37,1) über einzelne Fromme (vgl. Ps 39,13; 119,19.54) bis hin zum ganzen Volk (1. Chr 29,10ff.; vgl. Lev 25,23). Im Frühjudentum wird diese Tradition vor allem bei Philon von Alexandria als Selbstbezeichnung der Juden breit aufgenommen.36 Dieser Bezug zur Gottesvolktradition wird noch doppelt verstärkt, zum einen durch das Motiv der Erwählung als Grund der Aussonderung, zum anderen durch die διασπορά, den Terminus technicus für die Zerstreuung des Gottesvolkes unter die Völker. Die Erweiterung der Anrede in V. 2 mit den Anspielungen auf Ex 24,7f. nimmt auf den Bundesschluss am Sinai und damit auf die Konstituierung des Gottesvolkes Bezug. Diese Thematik verschwindet auch im Folgenden nicht ganz. Sie begegnet etwa bei der Metapher des Erbes (1,4), beim Verweis auf die prophetischen Weissagungen (1,10–12; vgl. 1,24f.) oder bei der Aufforderung zur Gott entsprechenden Heiligung, wo Lev 11,44f. zitiert wird, das Resümee jenes Kapitels, das die das Gottesvolk von der Mitwelt ausgrenzenden Speisegebote enthält. Dennoch tritt die Gottesvolkthematik in 1,3–2,3 auffällig zurück, um dann im Schlussabschnitt des ersten Hauptteils (2,4–10) umso deutlicher wieder in den Vordergrund zu treten: Das geschieht bereits in 2,4f. mit den Anspielungen auf die Gemeinde als Gottes geistliches Haus und seine Priesterschaft, in 2,6–8 mit der Erwähnung der Grundlegung des Baues auf dem Zion, und vor 35

Ausführlich dargestellt ist dies bei F ELDMEIER, Fremde (Anm. 4), bes. 39–74. Philon bezeichnet in zahlreichen Schriften den »Weisen« als Fremdling auf Erden, wobei im Kontext deutlich wird, dass er damit fast immer den Gehorsam gegen die zur höchsten Tugend erziehende jüdische Tora meint (vgl. bes. Conf. ling. 75–82, weiter Heres 267; Agric. 63 ff.; Somn. I,45; Congr. 22 ff. u. ö.). Besonders aufschlussreich für den Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung ist Quaest. Gen. IV,39. 36

258 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung allem ist dies dann in 2,9f. der Fall, wo neben dem »erwählten Geschlecht« und der »königlichen Priesterschaft« ganze dreimal der in der Septuaginta fast durchweg als Synonym für Israel gebrauchte heilsgeschichtliche Begriff λαός sowie einmal ἔθνος ἅγιον auf die Gemeinde angewandt wird, Letzteres an der Septuaginta-Stelle, auf die der 1. Petrusbrief hier anspielt, der Theophanie Gottes am Sinai im Kontext des Bundesschlusses, Äquivalent für λαός (Ex 19,6; vgl. 23,22). Die Gottesvolkthematik spielt also im Briefeingang und im Schlussteil des ersten Hauptteils eine dominante Rolle und rahmt damit jenen Block 1,3–2,3, der von den Aussagen zur Wiedergeburt bestimmt ist. Diese Verzahnung beider Motive macht deutlich, dass sie vom 1. Petrusbrief bewusst komplementär aufeinander bezogen sind: Legt die Rede von Wiedergeburt und Seelenheil den Akzent auf die himmlische, gleichsam »vertikale« Dimension der Soteriologie als Überwindung des Elends der conditio humana und macht dies unter Zuhilfenahme von Vorstellungen der zeitgenössischen religiösen Koine plausibel, so unterstreicht der Rekurs auf die alttestamentlich-jüdische Gottesvolkthematik, dass die in der Gesellschaft diskreditierten und kriminalisierten Fremden Glieder einer Gemeinschaft sind: Die zur »lebendigen Hoffnung« Wiedergeborenen sind zugleich »lebendige Steine« in Gottes »geistlichem Haus« (2,5). Zudem wurzelt diese Gemeinschaft in den Traditionen des alten Bundes und bezieht sich auf die prophetischen Verheißungen, ist also heilsgeschichtlich verortet. Und endlich erhalten die »erwählten Fremden« damit auch als identifizierbare Gruppe in der Gesellschaft einen Ort, wie vor allem der zweite Hauptteil des Briefes ausführt. Durch diese Rahmung wird also einem individualistischen, einem geschichtslosen und einem weltflüchtigen Missverständnis des Heils gewehrt, dessen (befreiende!) Transzendenz durch Wiedergeburt und Seelenheil so massiv betont wurde.

Vom Totengericht zum Jüngsten Gericht 1. Das Alte Testament Steht man vor dem Tympanon einer romanischen Kirche mit seiner Darstellung des im Endgericht die Menschheit scheidenden Christus oder betrachtet man die Verzweiflung von Michelangelos anima dannata, hört man das Confutatis maledictis in Mozarts Requiem oder liest gar Dantes Schilderung des inferno, so drängt sich der Eindruck auf, als ob das Totengericht und dessen Konsequenzen, vor allem die jenseitige Qual der Sünder, zu den Grundelementen christlicher Eschatologie gehörten. Dieser Eindruck ist insofern nicht falsch, als die Erwartung eines Jüngsten Gerichts trotz mancher Kritik seit der Aufklärung1 noch immer zur christlichen Lehre gehört. Was freilich die oben erwähnten Ausgestaltungen dieser Erwartung anlangt, so sind im Blick auf die maßgebliche Gründungsurkunde des Christentums, die christliche Bibel, gewichtige Modifikationen vorzunehmen. Das beginnt schon mit den Jenseitsstrafen: Ob man nun mit Brunner die Hölle für eine ägyptische Erfindung hält2 oder mit Nilsson für eine griechische3 – sie ist in jedem Fall keine biblische. In der »Schrift« der frühen Christen, im Alten Testament, findet man nichts Entsprechendes. Dabei ist die Vorstellung, dass Gott Richter ist, auch dem Alten Testament nicht fremd. In Israel wurden schon früh mit Gott Recht schaffende 1 Bereits im Jahr 1770 ließ das aufgeklärte Kathedralkapitel von Saint-Lazare im burgundischen Autun das romanische Tympanon mit einer der großartigsten Darstellungen des Jüngsten Gerichts zugipsen, da diese Darstellung als unzeitgemäß galt. Der so vom eigenen Klerus dem Zeitgeist angepasste Bau konnte dann ohne Schwierigkeiten am 10. Dezember 1793 für den Kult der Vernunft umgewidmet werden (vgl. F.-B. S EREXHE, Studien zur Architektur und Baugeschichte der Kirche Saint-Lazare in Autun, Diss. masch., Freiburg i. Br. 2005, 249 f.). 2 H. BRUNNER, Grundzüge der altägyptischen Religion (Grundzüge 50), Darmstadt 1983, 130: »Es scheint, daß alle Vorstellungen eines solchen Gerichts in anderen Religionen, jedenfalls um das Mittelmeer und den davon abhängigen Bereichen, von Ägypten bestimmt sind«; vgl. 133: Die einschlägigen Wandbilder sind die »Urbilder mittelalterlicher Höllendarstellungen«. 3 Vgl. M. P. NILSSON, Geschichte der griechischen Religion, Erster Band: Die Religion Griechenlands bis auf die griechische Weltherrschaft (HAW V/2,1), München 31967 = 1992, 815–826.452–456.

260 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung und Recht setzende Funktionen verbunden; die hebräische Wurzel špt (‫ )שׁפט‬bedeutet sowohl ›richten‹ als auch ›herrschen‹. Das zeigen schon die mit Verben des Richtens gebildeten (teils theophoren) Eigennamen,4 die zum Teil relativ alt, vor allem aber seit der Davidszeit häufiger belegt sind.5 Wie in anderen altorientalischen Kulturkreisen findet sich auch in Israel die Institution des Ordals, des Gottesgerichts und Gottesurteils (vgl. Ex 22,6–12; 1. Kön 8,31f.) als einer letztinstanzlichen Regelung bei besonders schwierigen Rechtsfällen: In Appellationen des Beschuldigten (1. Sam 24,13; Ri 11,27) wie des Beschuldigers (Gen 16,5; Ex 5,21) wird dann auch erstmals das Verb špt mit JHWH als Subjekt verwendet.6 »Schaffe mir Recht, Herr, nach meiner Gerechtigkeit und Unschuld!« (Ps 7,9); so wie dieser berufen sich viele Beter auf den Recht schaffenden Gott.7 Erzählerisch dargestellt wird im Pentateuch wie in den Geschichtsbüchern auch immer wieder das strafende Eingreifen Gottes bei Vergehen Einzelner: Zu nennen wären hier etwa Mirjam, die zur Strafe für ihr Aufbegehren gegen Mose aussätzig wird (Num 12), Mose und Aaron, die wegen ihres Zweifels nicht mehr ins Gelobte Land dürfen (Num 20,1–13), Achan, für den nach seinem Diebstahl zunächst das ganze Volk leiden muss (Jos 7), Saul, den Gott nach seinem Ungehorsam verwirft und seinen Feinden preisgibt (1. Sam 15ff.), oder David, der nach der Ermordung des Uria und dem Ehebruch mit Batseba mit dem Tod des Kindes bestraft wird (2. Sam 11f.). Neben diese göttlichen Einzelaktionen tritt aber zunehmend auch die Vorstellung vom Gericht Gottes als einem endgültigen, die gesamte Schöpfung umfassenden göttlichen Eingreifen. Sowohl in den Psalmen wie bei den Propheten zeigt sich eine Entwicklung hin zu einem universalen Gericht als Neuordnung der Wirklichkeit. Besonders von denen, die selbst unter Ungerechtigkeit und Bedrängnis leiden, kann dieses richtende Eingreifen Gottes geradezu als Heilsereignis herbeigesehnt werden. So beginnt Ps 94 mit dem Ruf nach dem Richter: Gott der Vergeltung, J HWH, Gott der Vergeltung, erscheine! Erhebe dich, Richter der Welt. Vergelte den Stolzen ihr Tun. (Ps 94,1 f.)

4 Vor allem mit ‫ דין‬und ‫שׁפט‬, so z. B. der Stamm Dan, Davids Kanzler Joschafat (2. Sam 8,16), Davids Sohn Schefatja (2. Sam 3,4). 5 K. SEYBOLD, Art. Gericht Gottes I, TRE 12, Berlin/New York 1984, 460–466, hier 460. 6 Vgl. H. NIEHR, Herrschen und Richten. Die Wurzel špt im Alten Orient und im Alten Testament (FzB 54), Würzburg 1986, 373. 7 Vgl. Ps 7,7.9.12; 17,1 f.; 35,24; auch Hi 16,18–21; 19,25; 29–31 u.ö.

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Ps 96 zieht dann alle Register, um mit einem »neuen Lied« JHWH als den Richter der Welt zu preisen: Singt J HWH ein neues Lied, singt J HWH, alle Welt. Singt J HWH und lobt seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil! … J HWH ist König. Er hat den Erdkreis gegründet, dass er nicht wankt. Er richtet die Völker recht. Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich, es brause das Meer und seine Fülle, das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist, es sollen jubeln alle Bäume im Wald vor J HWH; denn er kommt, zu richten das Erdreich. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.

Dieses Gericht kann aber auch – vor allem in prophetischer Tradition – als Gottes negative Reaktion auf die ausbleibende Liebe seines Volkes (vgl. Hos 6,4–6; 11,1–7) zu einem Unheilsgeschehen werden. Der »Tag JHWHs«, der ursprünglich Ausdruck der Erwartung heilbringender Epiphanie war, wird in Am 5,18–20 zu einem Strafgericht, das sich in der Gerichtsprophetie Zephanjas zum Schreckensszenario eines dies irae steigert:8 Nahe ist der Tag J HWHs, der große, nahe (ist er) und eilt gar sehr … Ein Tag des Zornes ist jener Tag, ein Tag der Not und Bedrängnis, ein Tag der Verwüstung und Vernichtung, ein Tag der Finsternis und Dunkelheit, ein Tag des Gewölks und Wolkendunkels, ein Tag der Trompete und des Kriegsgeschreis über die festen Städte und die hohen Zinnen. (Zeph 1,14–16; Übers. SPIECKERMANN)

Das alles bezieht sich noch auf das Volk Israel und die Völkerwelt. Erst in sehr späten Texten oder Textzusätzen, die wohl alle aus hellenistischer Zeit stammen, deutet sich im Alten Testament die Vorstellung an, dass der Einzelne einst in einem göttlichen Gericht für seine je eigenen Taten einstehen muss und danach beurteilt wird. Zu den frühesten Belegen gehört in seiner vorliegenden Gestalt der sogenannte Prediger Salomo (Kohelet). In Anbetracht der Nichtigkeit alles menschlichen Tuns und der Undurchschaubarkeit Gottes empfiehlt sein Verfasser, sich nicht um eine ungewisse 8

Vgl. dazu H. SPIECKERMANN, Dies irae. Der alttestamentliche Befund und seine Vorgeschichte (1989), in: DERS., Gottes Liebe zu Israel. Studien zur Theologie des Alten Testaments (FAT 33), Tübingen 2001, 34–46.

262 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Zukunft Gedanken zu machen, sondern sich hier und jetzt mit Gottes Gaben dankbar zu bescheiden.9 So rät der Prediger auch dem Jüngling angesichts der Vergänglichkeit von Leben und Lebensfreude, die er in 12,1–7 mit eindringlicher Poesie vor Augen stellt, zu einem beherzten carpe diem: Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend. Und lass dein Herz guter Dinge sein in deinen jungen Tagen. Tu, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt. (Pred 11,9a)

Diese programmatische Aufforderung zum Genießen, die vermutlich die Vorlage für das bekannte studentische Trinklied Gaudeamus igitur, iuvenes dum sumus bildete,10 erschien einem Späteren offenbar so bedenklich, dass er sich genötigt sah, die moralisierende Warnung hinzuzufügen: aber wisse, dass Gott dich um all dieser Dinge willen vor Gericht ziehen wird. (Pred 11,9 fin)

Der Einwurf stört den Zusammenhang, der im folgenden Vers 10 mit der Aufforderung, Unmut vom Herzen und Übel vom Leib fernzuhalten, die weisheitliche Ermunterung zu besonnenem Daseinsgenuss fortsetzt und so bruchlos an V. 9a anschließt. Vermutlich von derselben Hand,11 in jedem Fall aber im selben Geist wurde dann auch der letzte Satz des Buches hinzugefügt: Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse. (Pred 12,14)

Die dem sonstigen Argumentationsduktus des Predigers widersprechenden Formulierungen verstehen eindeutig das Gericht Gottes als einen gesonderten forensischen Akt, bei dem der Mensch für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird. Die Ausbildung dieser Vorstellung verdankt sich sehr wahrscheinlich der Hellenisierung des Judentums. Allerdings ist damit nicht gesagt, dass man sich dieses Gericht als ein individuelles Totengericht im Sinne der einschlägigen Jenseitsmythen vorstellte. Wahrscheinlicher ist, dass der Verfasser dieser Zusätze beim Gericht an ein endgül9 Vgl. Pred 3,19.22: »Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: Wie dies stirbt, so stirbt auch er, und einen Atem haben sie alle. Und es gibt keinen Vorzug des Menschen vor dem Vieh, denn alles ist Nichtigkeit … Und ich sah, dass es nichts Besseres gibt, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil. Denn wer wird ihn dahin bringen, dass er sehe, was nach ihm geschehen wird?« 10 Das hat H. W. HERTZBERG, Der Prediger (KAT XVII,4), Gütersloh 1963, 208, wahrscheinlich gemacht; das Gegenstück dazu ist Pred 12,1–7, dem das »post molestam senectutem nos habebit humus« entspricht. 11 Vgl. A. LAUHA, Kohelet (BK XIX), Neukirchen-Vluyn 1978, 209.

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tiges Gericht Gottes über die gesamte Welt denkt, ein »Jüngstes Gericht«, bei dem dann auch die Taten der Einzelnen beurteilt werden. Das ist zumindest die Gestalt, in der sich seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. in der jüdischen Apokalyptik die alttestamentliche Eschatologie vom Tag JHWHs mit den entsprechenden zeitgenössischen Vorstellungen verbindet. Diese Apokalyptik stellt eine krisenbedingte relecture und Radikalisierung der alttestamentlichen Prophetie dar. Die Wirklichkeit wird als Ort des Unheils wahrgenommen, Erlösung kann man sich nun nur noch so vorstellen, dass die bisherige Geschichte von Gott zu ihrem gewaltsamen Ende gebracht und eine neue Welt heraufgeführt wird. Das Ende der Geschichte wird als endgültige Abrechnung Gottes mit der sündigen Menschheit erwartet. Der »große und schreckliche Tag« (Joel 3,4; Mal 3,23) wird in Mal 3,13–21 auch als der Tag verstanden, an dem es zur endgültigen Scheidung unter den Menschen kommt. Während »alle Verächter und Gottlosen Stroh sein werden«, das der Tag anzünden wird (Mal 3,19), werden die Gerechten, die in Gottes »Gedenkbuch« stehen (Mal 3,16), Heil erlangen, das noch in ganz alttestamentlichen Wendungen zugesprochen wird: Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, und Heil ist unter ihren Flügeln. (Mal 3,20)

Mal 3 ist noch nicht eindeutig zu entnehmen, inwieweit dieses Heil für die Gerechten und eventuell das Unheil für die Gottlosen sich auch auf ein Leben nach dem Tod erstreckt. In dem um die Mitte des zweiten Jahrhunderts vollendeten Danielbuch, das angesichts der Martyrien unter Antiochos IV. Epiphanes an der Vorstellung einer göttlichen Gerechtigkeit nur noch unter Einbeziehung der eschatologischen Perspektive festhalten kann, ist diese Frage dann entschieden. Dan 7 schildert, wie von dem »Hochbetagten« über die Weltmächte »Gericht gehalten« wird, bei dem »die Bücher12 aufgetan« werden (Dan 7,10) mit dem Ergebnis, dass zuletzt die Feinde des Gottesvolkes vernichtet werden und für das »Volk der Heiligen des Höchsten« ein ewiges Königtum aufgerichtet wird (Dan 7,26f.). Zwar steht Dan 7,26f. noch ganz in der prophetischen Tradition des Tages JHWHs, aber das Öffnen der Bücher impliziert doch bereits den Gedanken einer individuellen Vergeltung für bestimmte Taten. Das wird am Ende des Danielbuches noch einmal aufgenommen in der Aussage, dass es bei der Auferstehung zur endgültigen Scheidung von Frevlern und Gerechten kommt:

12

Gemeint sind die Verzeichnisse der Taten und vor allem der Untaten (vgl. Jes 65,6).

264 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Und viele, die im Staube der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande. (Dan 12,2)

Ein Gerichtsakt im eigentlichen Sinn scheint hier allerdings nicht mehr stattzufinden, aber in Verbindung mit Dan 7 ist das doch wohl so zu verstehen, dass die Einzelnen diesen beiden Gruppen entsprechend ihrem Verhalten zugeteilt werden. Der Blick auf die Schriften des Alten Testaments zeigt so zum einen, dass die Vorstellung eines individuellen Totengerichts in die biblische Überlieferung erst relativ spät eingedrungen ist. Zum andern erweist sich, dass die Rezeption in einen neuen Kontext auch den Mythos verwandelt. Daniel erwartet nicht mehr in einem die Wirklichkeit gleichsam doppelnden Jenseits den Ausgleich für die offenen Rechnungen des Diesseits, sondern er erwartet die Aufrichtung von Gottes Reich in dieser Welt und die Auferstehung der Toten, bei der die Gerechten Heil erfahren. Die individualisierte Gerichtsvorstellung wird nun zum integralen Bestandteil einer universalgeschichtlichen Eschatologie, in der die Treue Gottes zu seiner Erwählung und zu seinem Volk weiterhin eine entscheidende Rolle spielt (vgl. Dan 7,27; 12,1). Damit findet sich hier erstmals jenes Vorstellungskonglomerat zusammengestellt, das Gottes endgültiges Eingreifen gegenüber der ganzen Welt mit einem Gericht über den Einzelnen und der entsprechenden Vergeltung in der Vorstellung eines »Jüngsten Tages« kombiniert. Das wird vom Antiken Judentum und vom Frühen Christentum aufgenommen und weiter modifiziert.

2. Das Antike Judentum Die vielfältigen Ausformungen der Eschatologie im Antiken Judentum und im Zusammenhang damit die unterschiedlichen Konzeptionen eines Endgerichts wurden in verschiedenen einschlägigen Untersuchungen dargestellt.13 Hier sollen paradigmatisch drei Texte vorgestellt werden: Der erste ist ein Passus aus dem 4. Esrabuch, einer frühjüdischen Apokalypse, die gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. entstanden sein dürfte und angesichts der Zerstörung Jerusalems mit der Theodizeefrage ringt. Der zweite ist eine 13 Klassisch: P. VOLZ, Eschatologie der jüdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter. Nach den Quellen der rabbinischen, apokalyptischen und apokryphen Literatur (2. Auflage des Werkes: Jüdische Eschatologie von Daniel bis Akiba, Tübingen 1903), Tübingen 1934, speziell zur Gerichtsvorstellung 272–309; B ILL. IV,2, 1199–1212; vgl. weiter M. REISER, Die Gerichtspredigt Jesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund (NTA N.F. 23), Münster 1990, 28–152.

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Textparaphrase aus dem ältesten Targum, dem Targum Neophyti. Entstanden vermutlich ebenfalls gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts,14 stellt er eine (teilweise paraphrasierende und aktualisierende) Übertragung der hebräischen Bibel in die aramäische Umgangssprache dar. Der letzte Text stammt aus der Mischna, jener zur Heiligen Schrift parallel überlieferten mündlichen Tradition, die im zweiten Jahrhundert n. Chr. endgültig redigiert und zum »Corpus des jüdischen Religionsgesetzes« wird.15 Zunächst zur dritten Vision des 4. Esrabuches. Sie ist ein besonders markantes Beispiel dafür, wie die unterschiedlichsten eschatologischen Vorstellungen kombiniert werden können. Die traditionelle Erwartung einer Wiederherstellung der davidischen Monarchie (vgl. PsSal 17) findet sich hier in eschatologischer Zuspitzung wieder als das vom Messias aufgerichtete 400-jährige Zwischenreich. Daneben tritt die durch den Hellenismus vermittelte und aus den platonischen Mythen bekannte Vorstellung eines individuellen Gerichts über die vom Körper losgelösten Seelen der Gestorbenen, das hier – in jüdischer Einfärbung – wiedergegeben wird: Wenn der Urteilsspruch vom Höchsten ausgegangen ist, daß ein Mensch sterben soll, wenn sich der Geist vom Körper trennt, damit er wieder zu dem gesandt werde, der ihn gegeben hat, dann betet er zuerst die Herrlichkeit des Höchsten an. Wenn er nun einer der Verächter war, die den Weg des Höchsten nicht beachtet, sein Gesetz verachtet und die Gottesfürchtigen gehaßt haben – diese Seelen gehen nicht in die Kammern ein, sondern müssen sogleich unter Qualen umherschweifen, immer klagend und traurig auf sieben Arten. [Es folgt nun die Schilderung der sieben Leiden, deren letztes und höchstes darin besteht, in der Konfrontation mit Gottes Herrlichkeit in Beschämung, Schande und Furcht zu vergehen.] Für die aber, die die Wege des Höchsten beachtet haben, gilt diese Ordnung, wenn sie sich von diesem vergänglichen Gefäß trennen sollen: […] Zuerst schauen sie mit großem Jubel die Herrlichkeit dessen, der sie aufnimmt. Dann werden sie auf sieben Stufen zur Ruhe gelangen [… Es folgt eine Auflistung von sechs Stufen …], die siebte, die größer ist als alle voraus genannten, dass sie mit Zuversicht jubeln, ohne Verwirrung vertrauen und ohne Furcht sich freuen. Denn sie eilen, das Angesicht dessen zu schauen, dem sie in ihrem Leben dienten und von dem sie in der Herrlichkeit Lohn empfangen sollen. (4. Esr 7,78b–98)16

Das ist allerdings ein Zwischenzustand, der unmittelbar nach dem Tod einsetzt (4. Esr 7,75). Dem folgt dann noch die prophetisch-apokalyptische Vorstellung einer endgültigen Erneuerung der ganzen Schöpfung, wobei der Tag JHWHs nun mit der hellenistischen Vorstellung eines Gerichts nach den Werken samt der definitiven Scheidung der Seelen an die Orte endgül14

Vgl. G. STEMBERGER, Die Geschichte der jüdischen Literatur. Eine Einführung (Beck’sche Elementarbücher), München 1977, 82. 15 Ebd., 69. 16 Übers. J. SCHREINER, Das 4. Buch Esra (JSHRZ V/4), Gütersloh 1981, 292–412, hier 352–355.

266 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung tiger Pein bzw. Freuden angereichert wird. Dabei stehen sich nun paradisus und gehenna, Himmel und Hölle, gegenüber: Der Höchste offenbart sich auf dem Richterthron (dann kommt das Ende); das Erbarmen vergeht (die Barmherzigkeit entfernt sich), die Langmut verschwindet, nur das Gericht bleibt. Die Wahrheit besteht, der Glaube erstarkt, das Werk folgt nach, der Lohn zeigt sich, die gerechten Taten erwachen, die ungerechten schlafen nicht mehr. Dann erscheint die Grube der Pein und gegenüber der Ort der Ruhe. Der Ofen der Hölle zeigt sich und gegenüber das Paradies der Wonne. (4. Esr 7,33–36)17

Die Rede vom Gericht hat hier eine mehrfache Stoßrichtung: Zum einen begründet sie die Paränese, wie auch die Schlussbemerkung des Buches nochmals unterstreicht, wo dem Seher nun positiv beschieden wird, dass sein Einsatz für Gottes Tora (›Gesetz‹) belohnt werden wird: Denn du hast das Deinige verlassen, dich dem Meinigen gewidmet und mein Gesetz erforscht. Du hast dein Leben auf die Weisheit ausgerichtet und die Einsicht deine Mutter genannt. Deshalb habe ich dir das gezeigt; es gibt einen Lohn beim Höchsten. (4. Esr 13,54–56)18

Vorherrschend aber ist der Trost darüber, dass Gott zu einer heillosen Geschichte nicht schweigt, sondern für Gerechtigkeit sorgt, gerade auch für diejenigen, die zu seinem Volk gehören und seinem Gesetz treu geblieben sind. Damit wird die vom Seher gestellte Theodizeefrage beantwortet. Insofern kann man auch im Blick auf das 4. Esrabuch das Urteil bestätigen, dass in der frühjüdischen Literatur »das Wort Gericht in der Hauptsache ein fröhliches Wort« ist.19 Der Heilscharakter des Gerichts wird auch deutlich im Targum Neophyti. TgN Gen 4,1–720 fügt in Gen 4 der Erzählung vom Brudermord des Kain ein letztes Streitgespräch zwischen den Brüdern hinzu. Kain, zornig über die Bevorzugung Abels, bestreitet eine ethische Grundstruktur der Wirklichkeit: Mit Liebe/Barmherzigkeit wurde die Welt nicht geschaffen, und sie wird nicht regiert nach den Früchten der guten Werke […]. Es gibt kein Gericht, und es gibt keinen Richter!

Die Folge dieser (vermutlich epikureischen)21 Einstellung ist der Mord. Dem setzten die Frommen im Munde Abels ihr Bekenntnis entgegen: 17

Übers. ebd., 346 f. Übers. ebd., 399. 19 VOLZ, Eschatologie (Anm. 13), 92; vgl. REISER, Gerichtspredigt (Anm. 13), 293. 20 In: A. DÍEZ MACHO, Neophyti 1. Targum Palestinense MS de la Biblioteca Vaticana, Band I: Génesis. Edición príncipe, introducción general y versión castellana, Madrid/ Barcelona 1968, 21.23. 21 Vgl. G. STEMBERGER, Das klassische Judentum. Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit (70 n. Chr. bis 1040 n. Chr.) (Beck’sche Elementarbücher), München 1979, 191 f. 18

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Ich sehe, dass die Welt mit Liebe/Barmherzigkeit geschaffen wurde, und sie wird regiert nach den Früchten der guten Werke […]. Es gibt ein Gericht, und es gibt einen Richter.

Auch hier steht die Theodizeefrage im Hintergrund. Bemerkenswert ist aber, dass das Gericht hier nicht nur als Ausdruck einer ausgleichenden und die irdischen Defizite kompensierenden Gerechtigkeit dargestellt wird, sondern dass es positiv als unmittelbarer Ausdruck der göttlichen Liebe bzw. Barmherzigkeit (rachamin/‫ )רחמין‬verstanden wird. Das rabbinische Judentum knüpft an diese Traditionen an. Auch hier gibt es die Überzeugung vom großen Endgericht über die Sünder, dem »Tag Gogs (und Magogs)«, 22 und die Hoffnung auf die damit verbundene Befreiung Israels. Auch hier kann die Aussicht auf das Gericht noch tröstlich sein. Aber entsprechend der zentralen Bedeutung, welche die Tora und ihre Befolgung im rabbinischen Judentum erhält, dient jetzt der Gerichtsgedanke vorwiegend der Begründung der Paränese, wie der Mischnatraktat Avot zeigt,23 dessen besondere Bedeutung schon daran deutlich wird, dass er als einziger mischnischer Traktat liturgische Verwendung im Synagogengottesdienst gefunden hat.24 In diesem Traktat wird das menschliche Leben als eine Leihgabe verstanden, für die jeder Einzelne seinem Schöpfer verantwortlich ist: Alles ist auf Bürgschaft gegeben und das Netz über alle Lebenden gespannt. (mAv 3,16)

Im Bild von Gott als dem borgenden und alles in seinem Schuldbuch verzeichnenden Krämer wird dies gleichnishaft ausgeführt, um dann zu resümieren: Denn das Gericht ist ein Gericht der Wahrheit, und alles ist zum Mahl [der Gerechten] bereitet. (mAv 3,16)

Die irdische Existenz ist deshalb letztlich nichts anderes als ein »Vorzimmer« zu diesem endzeitlichen Mahl: Rabbi Jaʽakov sagte: Diese Welt gleicht einem Vorzimmer vor der zukünftigen Welt. Rüste dich zu im Vorzimmer, damit du hineinkommen darfst in den Speisesaal. (mAv 4,16) 22

Vgl. dazu B ILL. III, 831–840. K. MARTI/G. B EER, Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung. Mit eingehender geschichtlicher und sprachlicher Einleitung und textkritischem Anhang, Seder 4: Nezikin, Traktat 9: ’Abôt (Väter), Berlin 1927. Die Datierung des Traktates ist umstritten. 24 Zum liturgischen Gebrauch von Mischna Avot vgl. ebd., XV. 23

268 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Über die Berechtigung des Eintritts in den »Speisesaal«, d. h. in die zukünftige Welt, wird im Gericht entschieden; das menschliche Dasein ist so letztlich nichts anderes als ein Dasein zum Gericht. In einer markanten, R. Elʽazar ha-Kappar, einem Zeitgenossen von Rabbi Jehuda ha-Nasi (ca. 200 n. Chr.), zugeschriebenen Passage (mAv 4,22) wird diese Ausrichtung auf das Gericht als den alles bestimmenden Horizont der menschlichen Existenz geradezu eingehämmert: Die Geborenen sind bestimmt zu sterben und die Gestorbenen wieder aufzuleben und die Wiederauflebenden gerichtet zu werden, um zu erfahren, kundzutun und bewusst zu werden, dass Er – Gott, Er – der Bildner, Er – der Schöpfer, Er – der Wissende, Er – der Richter, Er – der Zeuge, Er – der Gerichtsherr und Er – der einst richten wird. Gepriesen sei Er! Denn vor ihm gibt es kein Unrecht, kein Vergessen, kein Personansehen und keine Annahme von Bestechung: Denn alles gehört ihm. […] Denn ohne deinen Willen bist du geschaffen, ohne deinen Willen geboren, ohne deinen Willen lebst du, ohne deinen Willen stirbst du, und ohne deinen Willen wirst du dereinst Rechenschaft und Rechnung ablegen vor dem König der Könige der Könige,25 dem Heiligen, gepriesen sei Er!

In allen drei Texten wurde auf den Schöpfungsgedanken rekurriert. Während aber im 4. Esrabuch und im Targum Neophyti zugleich die Verantwortung des Schöpfers für die Gerechtigkeit der von ihm geschaffenen Welt betont wird, der Gerichtsgedanke also zumindest indirekt auch auf die Theodizeefrage antwortet, wird in den Passagen von Mischna Avot nur noch die Verantwortung des Menschen vor dem richtenden Gott herausgestellt. »So ist die Ethik von dem mächtigen Gerichtsgedanken getragen.« 26

3. Das Neue Testament 3.1. Jesus und die apokalyptische Tradition Käsemanns Diktum, dass die Apokalyptik die Mutter der christlichen Theologie sei,27 bestätigt sich auch im Blick auf den Gerichtsgedanken. Das zeigt schon die prophetische Gestalt, die nach dem Zeugnis der Evangelien als Vorläufer Jesu an der Schwelle zum Neuen Testament steht, Johannes der Täufer. Im Zentrum seiner Verkündigung steht der Ruf zur Umkehr (Mk 1,4 par.), der in der von Lukas und Matthäus verwendeten Logienquelle mit dem kommenden Zorngericht begründet wird:

25

Diese Formel, die den Titel der orientalischen Großkönige »König der Könige« nochmals steigert, findet sich auch in mAv 3,1. 26 VOLZ, Eschatologie (Anm. 13), 305. 27 E. KÄSEMANN, Die Anfänge der christlichen Theologie, in: DERS., Exegetische Versuche und Besinnungen. Zweiter Band, Göttingen 31970, 82–104, hier 100.

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Schlangenbrut! Wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem kommenden Zorn entrinnt? Bringt angemessene Früchte der Umkehr hervor. Und fangt nicht an, bei euch zu sagen: Wir haben Abraham als Vater. Ich sage euch: Gott kann Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist die Axt schon an die Wurzel der Bäume gelegt. Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. (Lk 3,7–9 par. Mt 3,7–10)

Hier ist die Gerichtsankündigung der Apokalyptik bis zum Äußersten gesteigert, indem zwar nicht Gottes Treue zu seinen Verheißungen, wohl aber jeder menschliche Anspruch auf das göttliche Heil radikal in Frage gestellt wird. Dem Bewusstsein, als Glied des Gottesvolkes Adressat der Verheißung zu sein, kann der Täufer entgegensetzen, dass Gott seine Verheißungen gegenüber Abraham auch durch einen schöpferischen Neubeginn mit »diesen Steinen« erfüllen kann! Dass dieser radikale Außenseiter nach dem Zeugnis aller Evangelien der Vorläufer und Wegbereiter Jesu ist, ist auch im Blick auf die Rede vom Gericht kein Zufall: Wie Reiser in seiner gründlichen Studie zur Gerichtspredigt Jesu gezeigt hat, gibt es in den synoptischen Evangelien eine beträchtliche Anzahl von Worten, die vom Gericht sprechen, sowohl in der Logienquelle wie im Markusevangelium, aber auch im Sondergut, vor allem bei Matthäus.28 Nicht wenige dürften authentische Jesusworte sein, die angesichts des allen drohenden Verderbens von allen die Umkehr verlangen (vgl. Lk 13,1–5). Wie beim Täufer soll die Gerichtspredigt Israel aufrütteln, was Jesus vor allem durch die Gegenüberstellung zu den Heiden darstellt, die im Falle einer verweigerten Umkehr sonst anstelle der »Söhne des Reichs« am Heil teilhaben dürfen (vgl. Mt 8,11f. par. Lk 13,28f.).29 Zu solcher Predigt gehört auch die immer wieder ausgesprochene Warnung vor dem Untergang (Lk 10,15 par. Mt 11,23; Lk 13,3.5; vgl. Mt 18,34) und der Verdammnis, dem »Heulen und Zähneklappern« in der »Finsternis draußen« (Mt 8,12 par. Lk 13,28). Das Besondere der Botschaft Jesu besteht allerdings darin, dass Gottes Reich mit dem Auftreten Jesu bereits anbricht und dass sich deshalb Heil und Unheil an der Stellung zu ihm, zu seiner Person und seiner Botschaft, entscheiden. »So ist das Proprium der Botschaft Jesu in dem schlichten Satz ausgesprochen: ›Selig ist, wer an mir nicht zu Fall kommt!‹«30 Man kann mit Reiser sicher hinzufügen: »Dieser Satz impliziert den anderen: Aber wehe dem, der an mir zu Fall kommt!« Dass das im Evangelium aber nicht explizit ausgesprochen wird, ist wohl kein Zufall: Der vorherrschende Ton bei Jesu Botschaft vom Gericht ist nicht die Drohung, sondern die Einladung, die sich an alle richtet, Sünder wie Gerechte 28

Vgl. die Auflistung bei REISER, Gerichtspredigt (Anm. 13), 294 f. Nach REISER, ebd., 216–226, ist es ursprünglich nur ein Drohwort gegen Israel, aus dem dann in einem neuen Kontext eine Verheißung für die Heiden wurde. 30 Ebd., 307. 29

270 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung (vgl. Mt 11,28–30). Die Bestätigung dieser Frohbotschaft Jesu durch die Auferstehung war dann auch die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass der Tod Jesu nicht einfach als weitere Besiegelung der Verlorenheit der Welt verstanden wurde, sondern als »Lösegeld für die Vielen« (Mk 10,45 par.) und damit auch als die Rettung vom kommenden Zorngericht. Das schließt aber, wie sich in allen neutestamentlichen Schriften zeigt, nicht aus, dass es noch ein Gericht gibt. Zum einen ist das der bleibende Trost für die Opfer (3.2.). Zum andern unterstreicht der Verweis auf das Gericht die bleibende Verantwortung (3.3.). Werden sowohl in den tröstenden wie in den mahnenden Texten das Gericht und sein Ausgang schematisch im Sinne eines Entweder-oder dargestellt, das nur die Alternative von Errettung und Untergang/Verdammnis zu kennen scheint, so zeigt sich ein anderes Bild, wo der konkrete Fall eines gefallenen Gemeindegliedes oder eines versagenden Mitarbeiters verhandelt wird. Indem Paulus sowohl an der göttlichen Heilszusage wie an der Verantwortung des Menschen für seine Taten vor dem göttlichen Richter festhält, kommt es zu einer neuen, spezifisch christlichen Modifikation der Rede vom Gericht, indem zum ersten Mal Person und Werk unterschieden werden (3.4.). In diesem Zusammenhang kann dann beim Apostel erstmals etwas anklingen, worauf später das Theologumenon der Allversöhnung aufbaut (3.5.). 3.2. Die Wendung des Gerichtsgedankens nach außen: Der Trost Wie schon in der jüdischen Literatur wird das Gericht von denen erhofft und erfleht, die unter der Gewalt anderer Menschen leiden und von Gott die Aufrichtung einer gerechten Welt erwarten. So kann die Vergeltung im Gericht sowohl beim lukanischen Jesus wie bei Paulus zu einem Gegenstand der Verheißung für die bedrängten Gläubigen werden: Sollte Gott nicht für seine Auserwählten Rache schaffen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, und wird er es bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen in Kürze Rache verschaffen! (Lk 18,7 f.) Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn; denn es ist geschrieben: Die Rache gehört mir, ich werde vergelten, spricht der Herr. (Röm 12,19 unter Zitierung von Dtn 32,35)

Vor allem die Johannesoffenbarung ist von diesem Gedanken geprägt. Ihr Seher sieht sich am Beginn eines satanischen Ausrottungskampfes durch Rom, die »Hure Babylon«, die« trunken ist vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu« (Apk 17,5f.). Als das fünfte Siegel gebrochen

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wird, hört er die Seelen der Märtyrer unten am Altar mit lauter Stimme schreien: Wie lange noch, heiliger und wahrhaftiger Herrscher, richtest du nicht noch rächst du unser Blut an den Bewohnern der Erde? (Apk 6,10)

Die Visionszyklen mit ihren gewalttätigen Bildern von Untergang und Zerstörung sind gleichsam die göttliche Antwort auf diesen Ruf: Angesichts der Leiden und der Ungerechtigkeiten gehört es für den Seher zum Kommen von Gottes neuer Welt dazu, dass »kaputt gemacht werden, die die Erde kaputt machen« (Apk 11,18). Und so schildert er ein Gericht, das sich zum einen über die ganze Erde erstreckt, das sich dann aber im Besonderen auf Rom als die »Hure Babylon« konzentriert und das endlich auch eine Abrechnung über jeden Toten nach dem Verzeichnis seiner Taten beinhaltet (Apk 20,11–15). Auch hier zeigt sich also bei der Ausmalung des Gerichts wieder die Kombination unterschiedlicher Traditionen, eine Addition sachlogisch kaum miteinander vereinbarer Aspekte, die sich in den darauffolgenden Hoffnungsbildern fortsetzt: Die alte nationale Hoffnung auf ein erneuertes Davidsreich spiegelt sich in der Erwartung eines 1000-jährigen Zwischenreiches (Apk 20,1–6), nach dem das Endgericht am »großen Tag Gottes« kommt (Apk 16,14), wobei sich auch hier eine Spannung zeigt zwischen dem Gericht allein nach den Taten, wie diese in den Büchern über die Werke aufgezeichnet sind (Apk 20,12), und der Erwählungstradition, der zufolge diejenigen gerettet werden, die im »Buch des Lebens« verzeichnet sind. In dieses Buch des Lebens sind die Erwählten nach Apk 13,8 aber bereits »von der Grundlegung der Welt an« eingetragen worden, d. h., ihre Rettung wurde bereits vor jedem menschlichen Tun von Gott festgelegt. Der Gerichtsgedanke wird hier vor allem gegen die Anderen gewandt, die Ungläubigen und Verfolger, und hat so für die bedrängten Christen tröstende und bestätigende Funktion. Daneben gibt es andere Texte, und diese sind wohl im Neuen Testament in der Mehrzahl, bei denen sich die Rede vom Gericht nach innen richtet, wie etwa in den einleitenden sieben Sendschreiben der Offenbarung (Apk 2f.). 3.3. Die Wendung des Gerichtsgedankens nach innen: Die Mahnung Auch bei dieser Wendung dominiert ein Schwarz-Weiß-Schema, nun allerdings nicht in der Gegenüberstellung von den bedrängenden Feinden außen und der bedrängten Gemeinde innen, sondern indem zwei Daseins- und Handlungsorientierungen samt den entsprechenden Konsequenzen kontrastiert werden. So kann Paulus den Gegensatz zwischen einem Leben nach dem Geist und einem nach dem Fleisch in Form eines Tugend- und Lasterkatalogs verdeutlichen und damit die Frage verbinden, wer das Reich

272 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Gottes erbt (Gal 5,16–25). In den Worten Jesu werden zwei, die enge und die weite Pforte bzw. der breite und der schmale Weg (vgl. Mt 7,13f. par. Lk 13,23f.), das Haus auf dem Felsen und das auf dem Sand (Mt 7,24–27 par. Lk 6,47–49), das Unkraut und der Weizen (Mt 13,24–30.36–43) oder die guten und die schlechten Fische (Mt 13,47–50), samt den daraus folgenden eschatologischen Konsequenzen einander gegenübergestellt. Besonders einprägsam und deshalb auch wirkmächtig waren narrative Texte. Dafür zwei Beispiele. Das eine ist die Erzählung vom reichen Mann und vom armen Lazarus: Es war aber ein reicher Mann, und er kleidete sich in Purpur und feines Leinen, wobei er sich jeden Tag prächtig vergnügte. Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag [wörtlich: war hingeworfen] vor seinem Portal, mit Geschwüren bedeckt, und hätte sich gerne mit dem gesättigt, was vom Tisch des Reichen fiel. Es kamen aber auch die Hunde und leckten seine Geschwüre. Es geschah aber, dass der Arme starb und von den Engeln in den Schoß Abrahams fortgetragen wurde. Es starb aber auch der Reiche und wurde bestattet. Und in der Unterwelt hob er seine Augen auf – er war in Folterqualen – und sieht Abraham von Ferne und Lazarus in seinem Schoß. Und er erhob seine Stimme und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und schicke Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers in Wasser tauche und meine Zunge abkühle; denn ich leide Schmerzen in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Kind, denke daran, dass du dein Gutes in deinem Leben empfangen hast und Lazarus in gleicher Weise das Böse. Jetzt aber wird er hier getröstet, du aber leidest Schmerzen. Außerdem ist zwischen uns und euch eine große Kluft gesetzt, sodass diejenigen, die von hier zu euch durchgehen wollen, es nicht können, ebenso wenig wie jene, die von dort zu uns übersetzen. (Lk 16,19–26)31

In dieser für das Lukasevangelium typischen Kontrasterzählung32 werden zwei Menschen gegenübergestellt, die in unmittelbarer Nachbarschaft beieinander, aber nicht miteinander leben, da sie durch ihre jeweiligen Lebensumstände aufs Schärfste voneinander getrennt sind: Der Reiche, kostbar gekleidet, lebt prächtig und in Freuden, der Arme vor seinem Portal dagegen ist im tiefsten Elend. Dann kommt durch den Tod beider der entscheidende Einschnitt. Es wechselt die Bühne, und ohne dass explizit von einem Gericht gesprochen wird, sind beide in einer Art Jenseits mit zwei Bereichen: Der Arme wird dort von Engeln in Abrahams Schoß getragen, sodass ihn nach einem Erdenleben voller Qual Geborgenheit und Frieden zuteil werden. Entgegengesetzt ist das Geschick des Reichen, auf den sich die Erzählung nun konzentriert. Er, der im Unterschied zum Armen noch nicht einmal mit Namen genannt wird, ist nun in der Unterwelt (wörtlich: Hades). 31

Die Fortsetzung der Erzählung, bei der der Reiche um die Benachrichtigung seiner Brüder bittet, kann für unseren Zusammenhang weggelassen werden. 32 Vgl. Pharisäer und Frau (Lk 7,36–50), barmherziger Samariter und Priester/Levit (Lk 10,25–37), Maria und Martha (Lk 10,38–42), die zwei Söhne (Lk 15,11–32), Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9–14), die zwei Mitgekreuzigten (Lk 23,32–43).

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Von dem im Schoß Abrahams geborgenen Armen durch einen tiefen Graben getrennt, Spiegelbild jenes Grabens, der die beiden zu ihren Lebzeiten voneinander trennte, leidet er namenlose Pein. Die hier rezipierte Eschatologie mit einer unmittelbaren Vergeltung im Jenseits verrät ebenso wie die Bezeichnung der Unterwelt als Hades paganen Einfluss, und es gibt vergleichbare Erzählungen in ägyptischer, griechischer und jüdischer Überlieferung.33 Der Vergleich mit diesen Vorlagen zeigt allerdings einen bemerkenswerten Unterschied: Die Parallelen begründen das unterschiedliche Geschick durchweg moralisch. Das fehlt bei Lukas weitgehend.34 Offenbar wird die Hinwendung zum Reichtum allein, auch ohne dezidiertes Fehlverhalten, als hinreichender Grund für die jenseitige Bestrafung angesehen, weil sie eine Blindheit gegenüber Gott (Lk 12,16–21) und dem Nächsten (Lk 16,19–26) zur Folge hat. Das passt zu den vorhergehenden Versen, in denen der Evangelist vor »Geldgier« warnt und »Mammonsdienst« als Götzendienst bezeichnet (Lk 16,13f.). Durch die Personifizierung als der »Mammon der Ungerechtigkeit« (Lk 16,9) bzw. der »ungerechte Mammon« (Lk 16,11) wird der Reichtum als eine Macht dargestellt, die den Menschen bestimmt und ihn so in Gegensatz zu dem Gott bringt, dessen Barmherzigkeit sich nach dem Magnifikat gerade darin zeigt, dass er die

33

Einige Züge der Erzählung erinnern an eine ägyptische Vorlage (vgl. J. A. F ITZThe Gospel according to Luke. X–XXIV [AncB 28A], New York u. a. 1985, 1126 unter Verweis auf H. GRESSMANN, Vom reichen Mann und armen Lazarus. Eine literaturgeschichtliche Studie [APAW.PH 7], Berlin 1918), die möglicherweise durch ägyptische Juden nach Palästina gebracht wurde, wo sie in der Erzählung vom armen Sohn eines frommen Juden und dem Sohn eines reichen Zolleinnehmers rezipiert wurde (B ILL. II, 231 f.; vgl. F. B OVON, Das Evangelium nach Lukas, 3. Teilband: Lk 15,1–19,27 [EKK III/3], Zürich/Neukirchen-Vluyn 2001, 114). Auch in der griechischen Welt gibt es ähnliche Erzählungen, etwa bei Lukian in seinem Gallus und im Cataplus, Letzterer verbunden mit einer entsprechenden Hadesreise, wo die Wendung des Geschicks erlebt wird (die Parallelen finden sich aufgelistet bei W. ECKEY, Das Lukasevangelium. Unter Berücksichtigung seiner Parallelen, Teilband 2, Neukirchen-Vluyn 2004, 719–721). Gleich wie dieser Text des Satirikers Lukian zu beurteilen ist, in jedem Fall kannte er diese Kontrastierung mit entsprechender Umkehrung des Geschickes nach dem Tode; es gehörte offenbar »zum rhetorischen Gepäck philosophischen Zuschnitts« (B OVON, a.a.O., 115). Auch wenn man zwischen der lukanischen Beispielerzählung und diesen Traditionen gewichtige Unterschiede feststellen kann (vgl. dazu M. W OLTER, Das Lukasevangelium [HNT 5], Tübingen 2008, 557 f.), so leidet doch die Verwandtschaft der Motive keinen Zweifel. 34 Beim Armen wird dazu gar nichts gesagt, beim Reichen tritt der Gesichtspunkt einer speziellen Schuld höchstens indirekt hervor, wenn er seinen Genüssen frönt, während der Arme draußen vergeblich sich nach seinen Abfällen sehnt. Auch die spätere Begründung, die Abraham ihm für seinen Zustand gibt, spricht nicht von Schuld, sondern davon, dass er in seinem Leben Gutes empfangen hat so wie Lazarus Schlechtes. MYER ,

274 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Mächtigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhöht, die Hungrigen mit Gütern füllt und die Reichen leer wegschickt (Lk 1,51–54).35 Die Parteinahme Gottes für die »Geringen« als Folge seiner Barmherzigkeit ist auch im Matthäusevangelium der Grund für das Gericht, welches das erste Evangelium häufiger und härter als die anderen Evangelien betont.36 Das hat seinen Grund darin, dass dieses Evangelium im Besonderen die Kirche durch christliche Lehrer bedroht sieht, die – vermutlich durch einen Missbrauch der Gnadenverkündigung – die ἀνοµία, die Toravergessenheit, fördern (Mt 24,11 f.; vgl. 7,15–23). Gegen diese ›billige Gnade‹ (Bonhoeffer) betont der Evangelist den verpflichtenden Charakter der Nachfolge Christi. Seine bisweilen etwas penetrante Vorliebe für »Heulen und Zähneklappern«37 ist dem Bemühen geschuldet, mit allen Mitteln gegen das »Erkalten der Liebe« (vgl. Mt 24,12) vorzugehen, weil solches für den Evangelisten gleichbedeutend mit dem Abfall von Jesus ist. Deshalb lässt er seinen Christus auch am Ende seiner letzten Rede, die zugleich das Schlusswort der Lehre des Irdischen ist, noch einmal in der großen Erzählung vom Endgericht die Identität von Barmherzigkeit und Nachfolge Christi einschärfen: Wenn aber der Menschensohn kommt in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und vor ihm werden alle Völker versammelt, und er wird sie voneinander absondern, wie ein Hirt die Schafe von den Ziegen sondert, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Ziegen zur Linken. Dann wird der König denen zur Rechten sagen: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, erbt die Herrschaft, die euch seit Grundlegung des Kosmos bereitet ist. Denn ich habe gehungert, und ihr gabt mir zu essen, ich war durstig, und ihr habt mich getränkt, ich war ein Fremder, und ihr habt mich gastlich aufgenommen, ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet, ich war krank, und ihr habt nach mir gesehen, ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und genährt oder durstig und dich getränkt? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und gastlich aufgenommen oder nackt und haben dich bekleidet? Wann haben wir dich krank gesehen oder im Gefängnis und sind zu dir gekommen? Dann wird der König ihnen sagen: Amen, ich sage euch, was ihr einem von meinen geringsten Geschwistern getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er auch denen zur Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist. Denn ich habe gehungert, und ihr gabt mir nicht zu essen, ich war durstig, und ihr habt mich nicht getränkt, ich war ein Fremder, und ihr habt mich nicht gastlich aufgenommen, nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet, krank und im Gefängnis, und ihr habt nicht nach mir gesehen. Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungernd oder dürstend oder fremd oder nackt oder krank 35 Ähnlich werden (ebenfalls ohne moralische Begründung) in der Feldrede die Armen seliggepriesen, und über die Reichen wird das Wehe ausgerufen (Lk 6,20.24). Schmithals verkennt diesen Zusammenhang, wenn er hier nur »eine naive Antwort auf die drängende Frage nach (Gottes) Gerechtigkeit« sehen will (W. SCHMITHALS, Das Evangelium nach Lukas [ZBK.NT 3,1], Zürich 1980, 171). 36 Vgl. Mt 7,21–27; 13,24–30.36–43.47–50; 16,27; 18,32–35; 21,43 f. u. ö. 37 Vgl. außer Mt 8,12 Q weiter Mt 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30.

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oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch, was ihr nicht einem von diesen Geringsten getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden zur ewigen Strafe weggehen, die Gerechten aber in das ewige Leben. (Mt 25,31–46)

An dieser Gerichtsschilderung wird deutlich, dass es bei diesem Thema nicht um eine Spekulation über Zukunft und Jenseits geht, sondern um Ermahnung für die Gegenwart: Jetzt soll Barmherzigkeit gegenüber den »Geringsten« geübt werden. Wie in Ägypten, Griechenland und im Judentum hat der Verweis auf das Gericht primär eine paränetische Funktion. Die Besonderheit dieser Gerichtsschilderung und das spezifisch Christliche besteht darin, dass es Christus ist, der das Gericht vollzieht, und zwar so, dass die Urteilsbegründungen restlos auf die Person des Richters bezogen werden: »Ich habe gehungert, und ihr gabt mir zu essen (bzw. nicht zu essen), ich war durstig, und ihr habt mich getränkt (bzw. nicht getränkt), ich war ein Fremder …«38 Der »Menschensohn« (Mt 25,31) identifiziert sich in seiner Souveränität als »König« (Mt 25,34.40) so mit den Geringsten, dass er geradezu leibhaftig betroffen ist, wenn dem Geringsten Gutes erwiesen oder verweigert wird. Das Gericht nach dem Maßstab der Barmherzigkeit ist gewissermaßen die letzte Konsequenz der Menschwerdung Gottes im »Menschensohn«. 39 Wenn es beim Urteil dann heißt: »Kommt her« (25,34) bzw. »Geht weg von mir« (25,41), so bestätigt das nur die im Verhältnis zu den Geringsten bereits bestehende oder verweigerte Gemeinschaft und gewährt oder verweigert daraufhin Zukunft. Wer sich der göttlichen Güte dagegen bemächtigen möchte, ohne ihr im Verhältnis zum Mitmenschen, vor allem zum bedürftigen Mitmenschen, zu entsprechen, der hat den in seinem Sohn sich als barmherzigen Vater offenbarenden Gott schon immer verfehlt, wie vor allem der matthäische Jesus wiederholt betont.40

38 Insgesamt sechsmal findet sich bei der ersten und ausführlichsten Auflistung das finite Verb in der ersten Person Singular (in V. 36a elliptisch) und das entsprechende Reflexivpronomen »mich« bzw. »mir«. 39 Es wurde immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, dass Vorstufen zu dieser Identifizierungsaussage im Grunde schon bei den Propheten angelegt sind (vgl. Jes 1,10– 20, wo deutlich gemacht wird, dass wahrer Gottesdienst immer auch Dienst am Nächsten, vor allem am »Geringsten«, ist) und in frühjüdischen Texten ausgeführt werden; verwiesen sei nur auf den antithetischen parallelismus membrorum Spr 14,31, wo das Verhalten zu den Geringen sowohl im Guten wie im Schlechten als Verhalten gegenüber Gott selbst interpretiert wird: »Wer dem Hilflosen Gewalt antut, lästert dessen Schöpfer; aber wer sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott.« 40 Besonders markant geschieht dies am Schluss der Bergpredigt (Mt 7,21–23) und der Gemeinderede (Mt 18,23–35).

276 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Beide Texte dienen der Begründung der Paränese und stellen zu diesem Zweck zwei Verhaltensweisen und deren Konsequenzen einander schroff antithetisch gegenüber, um den Adressaten die Alternative einzuschärfen und sie zur Entscheidung zu rufen. Das Interessante beim Vergleich beider Texte ist, dass man das Gericht höchst unterschiedlich ausmalen konnte: Bei Matthäus findet am Ende der Zeit ein »Jüngstes Gericht« statt, bei Lukas tritt die Vergeltung sofort nach dem Tod ein; bei Matthäus wird vom Menschensohn über alle Völker das Gericht gehalten, bei Lukas geht es um Individuen. Sind die Vorlagen des Matthäus bei der jüdischen Apokalyptik zu suchen, so diejenigen des Lukas, wie Paralleltexte aus der ägyptischen und griechischen Literatur zeigen, im außerbiblischen Bereich. Offensichtlich gibt es keine fixierte Vorstellung vom Gericht. Die konkreten Ausgestaltungen sind eher Variablen, die Konstante ist die Aussage, dass der Mensch verantwortlich ist vor einem Gott, der nur so verehrt sein will, dass dabei zugleich der Nächste – und darunter vor allem der Bedürftige und Geringe – geliebt wird. 3.4. Heil und Gericht. Die Unterscheidung von Person und Werk bei Paulus Nun besteht die Pointe des Evangeliums bei aller Ernsthaftigkeit der Umkehrforderung nicht in der Ermahnung, sondern im Zuspruch; denn es bezeugt das Wunder der Gnade, dass die Ermordung des letzten Gottesboten nicht das Ende der Beziehung Gottes zu den Menschen bedeutet, sondern einen Neuanfang markiert. In der Stiftung des Herrenmahls deutet der in den Tod gehende Jesus selbst sein Sterben als die Aufrichtung von Gottes »Bund« (Mk 14,24 par. Mt 26,28) bzw. als die Stiftung eines »neuen Bundes« (1. Kor 11,25; Lk 22,20). Man sollte nicht ausschließen, dass das in Ansätzen bereits auf den historischen Jesus zurückgeht. Das würde es zumindest besser verständlich machen, warum die frühchristliche Gemeinde im Licht der Auferstehung die Passion als göttliche Heilstat verstehen konnte.41 Vor allem Paulus, der erste große Denker des frühen Christentums, hat die gottgewirkte Wende des Unheils ins Zentrum seiner Theologie gestellt, wenn er sagt, dass Gott »den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht hat, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden« (2. Kor 5,21). Gottes Gerechtigkeit besteht darin, dass er »den, der aus dem Glauben an Jesus [lebt], gerecht macht« (Röm 3,26). Darin gründet die Zuversicht, dass niemand mehr die Glaubenden verklagen kann, weil Gott selbst sie freigesprochen hat, und niemand mehr sie verurteilen 41

»Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und wunderbar in unseren Augen« – so in Mk 12,10 f. der »unpassende« Abschlussvers der auf Jesu Tod hin allegorisierten Parabel von den bösen Winzern (Mk 12,1–9), der das mit der Vernichtung des Bösen endende Unheilsgeschehen des Mordes mit den Worten des 118. Psalms als Gottes Neubeginn mit den Menschen preist.

Vom Totengericht zum Jüngsten Gericht

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kann, weil Christus für sie eintritt (Röm 8,33f.). Durch Christus sind die Glaubenden somit vom (künftigen) Zorngericht befreit (Röm 5,8f.; vgl. 1. Thess 1,10; 5,9f.), das der Welt als Ganzer noch bevorsteht. Die »vollkommene Liebe [Gottes] treibt die Furcht aus«, sodass »wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts«, so sagt dasselbe der 1. Johannesbrief (1. Joh 4,17f.). Im Blick auf das Gericht kann das Johannesevangelium seinen Christus sogar sagen lassen, dass in der Gemeinschaft mit ihm das Gericht bereits ausgesetzt ist: Amen, Amen, ich sage euch, wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist bereits aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. (Joh 5,24)42

Die Pointe dieser Aussagen besteht nun allerdings darin, dass dieser Freispruch nur aufgrund der Gemeinschaft mit Christus, also in der Bindung an ihn, erfolgt. Der befreiende Glaube aber ist nach Paulus ein Glaube, der notwendigerweise »in der Liebe tätig wird« (Gal 5,6). Deshalb warnt der Apostel immer wieder davor, den durch die Bindung an Christus erfolgten Freispruch als Freibrief zum Sündigen zu interpretieren (vgl. Röm 6,1f.) und so dem Fleisch eine ἀφορµή, einen Brückenkopf (bei der Eroberung des Menschen), zu ermöglichen (vgl. Gal 5,13). Das würde – horribile dictu – Christus zum »Diener der Sünde« machen (Gal 2,17). Der Prediger der Rechtfertigung allein aus Glauben macht deshalb unmissverständlich deutlich, dass diejenigen, die sich in falsch verstandener Freiheit aus der Bindung an Christus lösen und eigenmächtig »Werke des Fleisches« tun, sich selbst aus dem Machtbereich der befreienden Gnade entfernen und deshalb »das Reich Gottes nicht erben werden« (Gal 5,19–21). Wenn aber der Freispruch im Gericht nicht der Freibrief zu willkürlichem Handeln ist, sondern die Verantwortung für den Mitmenschen einschließt (vgl. Gal 6,2), dann muss auch das Tun bei der Begegnung mit Gott zum Thema werden – im Schlechten wie im Guten! Deshalb kann Paulus auch im Zusammenhang mit dem christlichen Handeln noch einmal explizit den Gerichtsgedanken aufgreifen. Dabei ist es bezeichnend, dass der Apostel dieses Gericht nicht nur Gott zuschreibt (Röm 14,9; vgl. 2,5f.), sondern auch Christus: Denn wir müssen alle vor dem Richtstuhl Christi erscheinen, damit jedem vergolten wird entsprechend dem, was er in seiner irdischen Existenz getan hat, es sei gut oder schlecht. (2. Kor 5,10)43

42

Μεταβέβηκεν (»er ist bereits hinübergegangen«) ist ein (resultatives) Perfekt.

278 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Der Apostel betont hier, dass in einem Endgericht von Gott bzw. von Christus die Taten (der Glaubenden) noch differenziert beurteilt werden, ohne dass damit unmittelbar die Frage von Heil und Verdammnis verbunden wird. In 1. Kor 3 macht der Apostel im Blick auf die Arbeit an der Gemeinde deutlich, dass der »Tag«, d. h. der Gerichtstag, offenlegen wird, was eines jeden Werk wert ist. Falls die Prüfung positiv ausfällt, empfängt er Lohn, im entgegengesetzten Fall »wird er Schaden nehmen, er selbst aber wird gerettet werden, aber wie durch das Feuer hindurch« (1. Kor 3,13–15). Auch wenn diese Aussage sich auf christliche Gemeindeleiter bezieht und nicht einfach auf alle Christen übertragbar ist, so deutet sich hier doch an, dass eine Person sehr wohl nach ihren Werken beurteilt wird und dementsprechend Schaden erleidet, dass aber der grundsätzliche göttliche Freispruch davon unberührt bleibt. Allerdings kann der Apostel schon zwei Verse weiter dann doch demjenigen, der den Tempel Gottes zerstört, die Vernichtung durch Gott androhen (1. Kor 3,17). Das zeigt, wie aspekthaft der Apostel selbst innerhalb eines einzigen Argumentationszusammenhangs verschiedene Vorstellungen nebeneinander verwenden kann, die sachlogisch kaum zusammenstimmen und deshalb auch nicht ohne Weiteres geeignet sind, systematisiert zu werden.44 Dennoch deutet sich in der Argumentation von 1. Kor 3 erstmals etwas Neues an, das später in der christlichen Theologie als die Unterscheidung von Person und Werk wichtig werden sollte.45 Diese Unterscheidung ist bei Paulus nicht anthropologisch begründet, sondern theologisch, insofern der Mensch im Gegensatz zu dem, was er gemacht hat und damit auch aus sich gemacht hat, noch einmal aus der Perspektive Gottes als sein von ihm bejahtes Gegenüber zur Geltung kommt. Dabei wird sein Tun nicht unwichtig – wer gut gebaut hat, empfängt Lohn (1. Kor 3,14), wer dagegen schlecht gebaut hat, der erleidet Schaden (1. Kor 3,15). Letzteres ist ein durchaus schmerzlicher Prozess, wie die Metapher des Feuers andeutet, ein Prozess, der freilich letztlich dazu dient, die Person selbst nicht im Feuer vergehen zu lassen. 43 Analog kam dann auch der johanneische Christus seiner Zusage, dass der, der an ihn glaubt, schon durch das Gericht hindurchgegangen ist, die Aussage hinzufügen, dass dem Menschensohn die Vollmacht gegeben wurde, das Gericht zu halten: »Es kommt die Stunde, in welcher alle in den Gräbern seine Stimme hören werden, und die Gutes getan haben, werden zur Auferstehung des Lebens herauskommen, die Schlechtes getan haben, zur Auferstehung des Gerichts« (Joh 5,28b–29). 44 Das betont zu Recht immer wieder M. KONRADT, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1 Thess und 1 Kor (BZNW 117), Berlin/New York 2003; vgl. zu diesen Texten bes. S. 462–471 sowie noch einmal als Resümee S. 524. Konradt weist auch darauf hin, dass Paulus »Gerichtsrekurse nicht einsetzt, um allgemein zu Glaubenswerken zu motivieren« (470). 45 Dieser Ansatz scheint mir von Konradt zu wenig beachtet.

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In eine ähnliche Richtung weist auch die Argumentation des Apostels zwei Kapitel später im Fall des Blutschänders, der nach der Weisung des Paulus aus der Gemeinde ausgeschlossen und dem Satan übergeben werden soll. Trotz dieses ›Banns‹ hält Paulus daran fest, dass dessen »Geist«, also der von Gott angenommene Mensch, im Endgericht gerettet wird: »Denn das ist ja die seltsamste und erstaunlichste Aussage in diesem seltsamen Abschnitt, daß die Übergabe an den Satan nicht einfach mit dem ›Verderben des Fleisches‹ endet und so den Übeltäter im Nichts versinken läßt, sondern erfolgt, ›damit der Geist am Tag des Herrn gerettet wird‹. […] Es geht darum, daß am Ende, in welcher Weise auch immer, das πνεῦµα dem eschatologischen Verderben entzogen wird. […] Gerettet wird […] das mit der ›neuen Schöpfung‹ (2Kor 5,17) bzw. dem ›inneren‹ = neuen Menschen (2Kor 4,16) dem Sünder ›von Gott geschenkte Ich‹, das ›Teil des Gottesgeistes‹ ist«. 46 Ohne die Forderung Gottes nach der Heiligkeit der Gemeinde und die Verantwortung des Glaubenden für seine Taten aufzuheben, nimmt Paulus den Menschen hier noch einmal aus der Perspektive des erwählenden Gottes in den Blick und unterscheidet ihn so von seinem Werk und der darauf ihre Identität gründenden Person. 3.5. Allversöhnung? »Liegt es somit nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an dem erbarmenden Gott«, ob jemand gerettet wird (Röm 9,16), so kann man dies zum Ausgangspunkt einer Prädestinationslehre machen – oder darauf die Überzeugung einer letztendlichen ›Allversöhnung‹ gründen. So hat man sich denn auch dort, wo man Letzteres, die Lehre von der ἀποκατάστασις πάντων, vertrat, auf einschlägige Passagen des Apostels berufen. Das wichtigste dictum probans findet sich im großen Auferstehungskapitel in 1. Kor 15,20–28. Der apokalyptisch geprägte Abschnitt schildert die ›Rückeroberung‹ der gefallenen Schöpfung durch Christus. Diese gipfelt negativ in der Ausmerzung aller gottfeindlichen Mächte mit dem Tod als dem »letzten Feind« (1. Kor 15,26), um dann positiv in die Vision der vollkommenen Gottesgegenwart zu münden, bei der zuletzt Gott wieder »alles in allem« ist (1. Kor 15,28). Wo aber Gott alles in allem ist, da scheint für Hölle, Tod und Teufel (und damit auch für die Verdammten) kein Platz mehr zu sein. Paulus selbst verfolgt diesen Gedanken allerdings nicht weiter, sondern begründet im Folgenden nur die Auferweckung der Glaubenden zum Heil, wie auch die gesamte Gerichtsthematik hier überraschenderweise ausfällt.

46 W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther, 1. Teilband: 1Kor 1,1–6,11 (EKK VII/1), Zürich/Neukirchen-Vluyn 1991, 377 f.

280 Zweiter Teil: Der Höchste. Biblische Theologie – Abgrenzung und Überbietung Zwei weitere einschlägige Texte finden sich im Römerbrief, dem theologischen Testament des Paulus. Dort entfaltet er in den Kapiteln 1–8 seine Rechtfertigungsbotschaft, gipfelnd in der Zusage der Gotteskindschaft und dem damit verbundenen Erbe (Röm 8,12–17). Damit könnte der Apostel seine Ausführungen eigentlich schließen (bzw. mit dem hymnischen Preis der Liebe Röm 8,31–39 zu Ende bringen). Stattdessen aber geht er in einem Zwischenabschnitt ausgiebig auf das Stöhnen und Seufzen der Kreatur ein, und dies nicht, um sie als dunkle Kontrastfolie einer massa perditionis von den Geretteten abzuheben. Im Gegenteil: Die Glaubenden werden von Paulus als ›Mitleidende‹ mit der unerlösten Schöpfung zusammengebunden. Als solche, die ebenfalls erst »auf Hoffnung gerettet« sind (Röm 8,24), werden sie deshalb für die gefallene Schöpfung zum Hoffnungszeichen: Denn auch die Schöpfung selbst wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. (Röm 8,21)

Es folgt in Röm 9–11 die große theologische Auseinandersetzung mit Israel, das sich zum Großteil der Christusbotschaft verschlossen hat. Im Gegensatz zu relativ harten früheren Formulierungen47 ringt der Apostel hier mit der Frage, was mit Gottes Treue zu seinem Volk ist, und erkennt zuletzt das »Geheimnis«, dass Israels Verstockung Gottes Umweg ist, um die »Fülle der Völker« zum Heil zu bringen (Röm 11,25f.). Doch bedeutet das für das Gottesvolk nicht das Ende – zuletzt wird durch den vom Zion kommenden Erlöser selbst »ganz Israel gerettet werden« (Röm 11,26f.). So kann Paulus das Kapitel mit dem Lobpreis Gottes abschließen, der »alle unter den Ungehorsam eingeschlossen hat, damit er sich über alle erbarme« (Röm 11,32). Das sind, wie gesagt, Andeutungen, die der Apostel nicht weiter systematisiert und die er mit den anderen, bei ihm deutlich häufigeren Aussagen, dass die Welt dem Zorngericht entgegengeht und dass selbst die Übeltäter unter den Christen das Reich Gottes nicht erben werden, nicht zum Ausgleich bringt. Insofern steht es dem Theologen nicht zu, sie nach eigenem Belieben zu Schlüsseltexten der neutestamentlichen Eschatologie zu erklären. Wohl aber ist es legitim, sie als Ausdruck einer Zuversicht zu erwähnen, die sich dem Apostel bezeichnenderweise dort erschließt, wo er nicht die Konsequenzen des menschlichen, sondern die des göttlichen Tuns durchdenkt.

47

Vgl. bes. 1. Thess 2,15, aber auch Gal 3,19 f.

Dritter Teil Der Heilige Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes

Biblischer Monotheismus und Toleranz1 1. Inhärente Gewalt? Die Problemstellung Und Israel lagerte in Schittim. Da fing das Volk an zu huren mit den Töchtern der Moabiter; die luden das Volk zu den Opfern ihrer Götter. Und das Volk aß und betete ihre Götter an. Und Israel hängte sich an den Baal-Peor. Da entbrannte des H ERRN Zorn über Israel, und er sprach zu Mose: Nimm alle Oberen des Volks und hänge sie vor dem HERRN auf im Angesicht der Sonne, damit sich der grimmige Zorn des H ERRN von Israel wende. Und Mose sprach zu den Richtern Israels: Töte ein jeder seine Leute, die sich an den Baal-Peor gehängt haben. Und siehe, ein Mann aus Israel kam und brachte unter seine Brüder eine Midianiterin vor den Augen des Mose und der ganzen Gemeinde der Israeliten […]. Als das Pinhas sah, der Sohn Eleasars, des Sohnes des Priesters Aaron, stand er auf aus der Gemeinde und nahm einen Spieß in seine Hand und ging dem israelitischen Mann nach in die Kammer und durchstach sie beide, den israelitischen Mann und die Frau, durch ihren Leib. Da hörte die Plage auf unter den Israeliten. (Num 25,1–8; Übers. LUTHER)

Diese schaurige Erzählung aus dem vierten Buch Mose klingt wie das Worst-Case-Szenario eines intoleranten religiösen Fundamentalismus. Nicht von ungefähr war jener rabiate Pinhas dann auch das Leitbild der Zeloten,2 jener religiös begründeten und zugleich auch kulturell und ökonomisch motivierten jüdischen Widerstandsbewegung gegen die Weltmacht Rom. In diesen ›Eiferern für Gott‹, was ihr Name Zeloten zum Ausdruck bringen soll, die in Gestalt der Sikarier, der ›Dolchmänner‹, auch eine bis dahin unbekannte Form von Terroranschlägen erfanden, könnte man cum grano salis die ersten Vorläufer von Bewegungen wie Al-Qaida sehen.

1 Es handelt sich hierbei um die für den Generalkonvent Stade im Blick auf das Thema Toleranz überarbeitete Fassung eines Beitrags, der unter dem Titel »Der christliche Monotheismus und die Integration der Fremden« veröffentlicht wurde in: M. ROTHGANGEL/E. ASLAN/M. J ÄGGLE (Hg.), Religion und Gemeinschaft. Die Frage der Integration aus christlicher und muslimischer Perspektive (RaT 3), Göttingen 2013, 93–108. 2 Vgl. M. HENGEL, Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr. (AGJU 1), Leiden 21976, 151–181; 3., durchgesehene und ergänzte Auflage hg. v. R. DEINES/C.-J. T HORNTON (WUNT 283), Tübingen 2011, 150–179.

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Dritter Teil: Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes

Es sind solche, in ihrer scheinbar ungebrochenen religiösen Verherrlichung von Gewalt gleichermaßen erschreckenden wie unappetitlichen Geschichten, die den Monotheismus, wie er sich in den sogenannten abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam findet, in den Ruf gebracht haben, dass ihm im Gefolge seiner Unterscheidung von wahrer und falscher Religion eine Tendenz zu Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen und damit auch ein Hang zu Gewalt innewohne. Der Ägyptologe Jan Assmann hat das als den »Preis des Monotheismus« bezeichnet, der auf der »mosaischen Unterscheidung« von Gott und Götzen beruhe, die besonders im Christentum und im Islam aggressiv wirksam werde. »Indem Gott […] den Christen und Muslimen gebietet, die Wahrheit über den Erdkreis zu verbreiten, werden alle diejenigen ausgegrenzt, die sich dieser Wahrheit verschließen. Erst in dieser Form wird das dem Monotheismus innewohnende Ausgrenzungspotential gewalttätig.«3 Nun kann man natürlich in der Bibel leicht Beispiele finden, die zeigen, dass die Ausgrenzung keineswegs die einzige Möglichkeit des Umgangs mit dem Anderen ist. Wo es etwa konkret um das Verhältnis zu Fremden geht, können schon im Alten Testament ganz andere Stimmen laut werden als die eben Gehörte, besonders in den dann auch für das Neue Testament maßgeblich werdenden prophetischen Traditionen.4 So wird im alttestamentlichen Heiligkeitsgesetz nicht nur geboten, den »Nächsten«, also den Volksgenossen, zu lieben wie sich selbst (so in dem wohlvertrauten Wort in Lev 19,18), sondern nahezu gleichlautend wird dieses Gebot wenige Verse später auch im Blick auf den Fremdling wiederholt: Auch ihn soll man lieben wie sich selbst (so in dem meist weniger bekannten Wort Lev 19,34). Das verstärkt sich noch im Neuen Testament, in dem von Jesus von Nazareth die Liebe zum Fremden zur Liebe zum Feind gesteigert wird (Mt 5,43–48 par. Lk 6,32–36). Doch so wichtig und richtig diese Einwände sind – und wir werden darauf zurückkommen –, so haben dennoch diejenigen, die im biblischen Monotheismus eine Tendenz zur Ausgrenzung sehen, nicht nur unrecht. Mit 3 J. ASSMANN, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003, 31. Diese Unterscheidung ist zwar, wie die Bezeichnung »mosaische Unterscheidung« zeigt, im Alten Testament für die sogenannten abrahamitischen Religionen grundgelegt, aber Assmann nimmt das Judentum zum Teil von diesen Vorwürfen aus, da dieses in erster Linie sich selbst ausgrenzt. Das aber, so Assmann, gelte für Christentum und Islam nicht mehr. 4 So zeigen etwa die Erzählungen von Elia und der Witwe von Sarepta oder von Elisa und dem Syrer Naeman, dass die lebensrettende Macht des Gottes Israels sich auch und gerade an Heiden als heilsam erweist (und der lukanische Jesus hat sich in seiner Antrittspredigt in Nazareth in Lk 4,16–30 in ebendiesem Sinn auf die beiden Prophetenwunder bezogen). Das Buch Jona bezeugt ebenso Gottes Erbarmen über die Völker wie der zum Licht der Völker eingesetzte jesajanische Gottesknecht (Jes 42,6).

Biblischer Monotheismus und Toleranz

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dem biblischen Glauben an den einen Gott ist in der Tat eine Exklusivität verbunden, die deutlicher als andere Religionen zwischen denen unterscheidet, die drinnen sind, und denen, die draußen stehen. Das kann man nicht wegdiskutieren, und das soll man auch nicht wegdiskutieren. Mit diesem Punkt, der das Wahrheitsmoment in Assmanns Analyse darstellt, möchte ich hier anfangen. Ich werde dabei allerdings auch zeigen, dass es ein Kurzschluss ist, wenn diese theologische Exklusivität mit gesellschaftlicher Ausgrenzung der Anderen oder gar mit Gewalt gegen diese gleichgesetzt wird. Zwar leidet es keinen Zweifel, dass diese religiöse Exklusivität in der Geschichte des Christentums immer wieder zur Gewalt gegen Andersgläubige geführt hat. Aber das geschah ebendort, wo Religion und Macht in einer Weise verbunden wurden, wie es dem christlichen Glauben (und vielleicht nicht nur diesem) widerspricht. Dabei ist es sekundär, ob dies in der verblendeten Meinung geschah, damit wirklich die Sache Gottes zu vertreten, oder ob die Religion für die eigenen Interessen instrumentalisiert wurde. Vermutlich ging immer wieder eines in das andere über. Das Grundproblem religiöser Gewalt ist nicht die bessere oder schlechtere Absicht, die dahintersteht, sondern die ihr zugrunde liegende Ideologisierung des Gottesglaubens. Denn Gott erkennt nur, wer von ihm erkannt ist, wie Paulus immer wieder gesagt hat,5 und das heißt: Den biblischen Gott hat nur der, der von ihm gehabt wird, wie Theologen von Bonaventura6 bis Ernst Käsemann immer wieder betont haben: »Man hat Gott eben nie dingfest in seiner Hand, weil er dann aufhört, Gott und unser Herr zu sein. Man hat ihn nur, wenn und solange er uns hat.«7 Unser Gott und Herr aber ist der Vater Jesu Christi nicht, wo wir unter Berufung auf ihn Andere abwerten oder gar gegen sie gewaltsam vorgehen. Für mich selbst war es nun allerdings bei der Vorbereitung dieses Beitrags eine Entdeckung, dass Intoleranz vom biblischen Gotteszeugnis her nicht nur nicht gedeckt ist (was zu erwarten war), sondern dass die Einzigartigkeit Gottes, wie sie dann die christliche Trinitätslehre zu verstehen sucht, ein gegenteiliges Verhalten geradezu fordert. Um das zu erläutern, muss zunächst im Kontext der Antiken Religionsgeschichte skizziert werden, was es mit dem biblischen Monotheismus auf sich hat.

5

Vgl. den Beitrag »Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung«, oben S. 10–12. Breviloquium V,1,5: »nullus deum habet, quin ab ipso specialius habeatur«. 7 E. KÄSEMANN, Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche?, in: DERS., Exegetische Versuche und Besinnungen. Erster Band, Göttingen 6 1970, 214–223, hier 222. 6

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Dritter Teil: Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes

2. Der biblische Monotheismus8 im Kontext der kaiserzeitlichen Religionsgeschichte Wenn man das Besondere des Judentums und des Christentums gegenüber den anderen Religionen im Römischen Reich zu bestimmen sucht, dann sieht man den entscheidenden Unterschied zumeist darin, dass die Mitwelt viele Götter kannte und verehrte, Juden und Christen dagegen nur den einen Gott. Das ist grundsätzlich richtig. Aber es ist nicht eindeutig genug, insofern es bei diesem Unterschied nicht nur um Quantität geht. Der biblische Monotheismus ist unterbestimmt, wenn man ihn auf die Frage reduziert, ob das Göttliche in der Einzahl oder in der Mehrzahl existiert. Das ist schon deshalb ungenau, weil der Gottesglaube, wie ihn die biblischen Schriften bezeugen, eine lange Geschichte hat, in welcher der exklusive Monotheismus eine verhältnismäßig späte Erscheinung darstellt. Vor allem aber wäre der biblische Monotheismus als bloße göttliche Einzahl auch deshalb nur unzureichend erfasst, weil sich die Überzeugung, dass hinter allem letztlich eine Gottheit steht, auch in der paganen Religion zunehmend Geltung verschafft hat.9 Seit dem fünften vorchristlichen Jahrhundert ist in der Philosophie die Zurückführung der Wirklichkeit auf ein höchstes Prinzip bezeugt, das auch Zeus oder Apollon oder anders genannt werden kann.10 Einer ist Gott, doch er trägt viele Namen. (Ps.-Aristoteles, De mundo 7,401a).11

In neutestamentlicher Zeit lässt sich dann zunehmend auch in der praktizierten Religion die »Tendenz zur Singularisierung der Gottesvorstellung«12 beobachten, der sich durch die Bindung an eine bestimmte Gottheit, die als Inbegriff aller sonst verehrten Götter gedacht wird, auszeichnet. Diese lässt 8

Zum Folgenden siehe R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, bes. 93–125. 9 Vgl. A. FÜRST, »Einer ist Gott«. Die vielen Götter und der eine Gott in der Zeit der Alten Kirche, WUB 11/1 (2006), 58–63. 10 Nach Cicero findet sich die Zurückführung der Wirklichkeit auf ein höchstes Prinzip schon bei dem Sokratiker Antisthenes (455–360 v. Chr.), der zum Verhältnis zum Polytheismus der Volksreligion sagt: »Atque etiam Antisthenes in eo libro qui Physicus inscribitur popularis deos multos, naturalem unum esse dicens« (Cicero, De nat. deor. I,32). 11 Vgl. auch Dion von Prusa, der in Or. 31,11 auf Leute verweist, »die behaupten, Apollon, Helios und Dionysos seien derselbe Gott, auch ihr glaubt so, viele aber ziehen sogar einfach alle Götter zu einer einzigen Macht und Gewalt zusammen, sodass es keinen Unterschied macht, diesen oder jenen Gott zu ehren.« Weitere Beispiele bei C. Z IMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden u. a. 2007, 534–541. 12 A. FÜRST, Monotheismus und Monarchie. Zum Zusammenhang von Heil und Herrschaft in der Antike, ThPh 81 (2006), 321–338, hier 330.

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sich etwa in der Selbstvorstellung der Isis in den Metamorphosen des Apuleius13 oder später in der Sonnentheologie des Macrobius beobachten.14 Beide Strömungen, der philosophische und der religiöse Monotheismus, konnten sich vor allem im Bereich des Mittleren Platonismus miteinander verbinden. Ein Beispiel aus neutestamentlicher Zeit ist der Mittelplatoniker Plutarch, der zum einen gut platonisch den höchsten Gott als Inbegriff des Seins deutet, ihn aber zugleich mit Apollon identifiziert,15 also mit dem Gott, dem er als Priester in Delphi vermutlich mehr als 20 Jahre gedient hat.16 Ein anderes Phänomen ist der Kult des höchsten Gottes.17 Der (inklusive) Monotheismus ist also in der späteren Antike ein relativ verbreitetes Phänomen, bei dem man mit Recht fragen kann, ob er eine Alternative zum Polytheismus oder nicht vielmehr dessen ›Reifezustand‹ darstellt.18 Diese Überzeugung, dass hinter allen Göttern letztlich eine einzige Gottheit steht, hat wohl je und je die Akzeptanz des jüdischen und dann auch des christlichen Monotheismus durch die Mitwelt befördert,19 die Eigenart des biblischen Monotheismus ist jedoch von daher nicht zu erfassen, und es ist nicht ohne Problematik, dass man den biblischen Gott immer wieder mit dem 13 Apuleius, Met. XI,5: »Sieh mich an, Lucius! Von deinem Gebet gerufen bin ich da, die Mutter der Natur, Herrin aller Elemente, Keimzelle der Geschlechter, – Geisterfürstin, Totenkönigin, Himmelsherrin – Inbegriff der Götter und Göttinnen […]; ein Wesen bin ich, doch in vielen Gestalten, wechselnden Bräuchen, mancherlei Namen betet mich der ganze Erdkreis an. Dort bei den uralten Phrygern bin ich die Göttermutter von Pessinus, hier bei den attischen Autochthonen Pallas Athene, da bei den umbrandeten Cyprioten Venus von Paphos; bin kretischen Pfeilschützen Diktynna-Diana, dreisprachigen Siziliern Höllen-Proserpina, alten Eleusiniern aktäische Ceres; Juno rufen mich die einen und Bellona die anderen, Hekate diese und Rhamnusia jene; doch die Äthiopier beiderseits, die der Sonnengott im Aufgang mit steigenden und im Untergang mit fallenden Strahlen beleuchtet, und die Ägypter mit ihrer mächtigen alten Weisheit verehren mich mit den eigentlichen Bräuchen und heißen mich mit meinem echten Namen Königin Isis« (Übers. BRANDT/EHLERS); vgl. H.-J. KLAUCK, »Pantheisten, Polytheisten, Monotheisten« – eine Reflexion zur griechisch-römischen und biblischen Theologie, in: DERS., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum (WUNT 152), Tübingen 2003, 3–53, bes. 7–23. 14 Vgl. Macrobius, Saturn. I,16,44–17,7a, bes. 17,2.4. 15 Plutarch, De E 19–21,392e–394a. 16 Vgl. R. FELDMEIER, Philosoph und Priester. Plutarch als Theologe, in: M. B AUMBACH/H. KÖHLER /A. M. RITTER (Hg.), Mousopolos Stephanos. Festschrift für Herwig Görgemanns (BKAW 2,102), Heidelberg 1998, 412–425, hier 413 f. = oben S. 50 f. Zum Verhältnis des einen Logos zu den dienenden Kräften vgl. Plutarch, De Iside 66–67, 377e–378a; vgl. auch den Mittelplatoniker Kelsos bei Origenes, Cels. VIII,2. 17 Vgl. dazu den Beitrag in diesem Band »Der Höchste« = oben S. 135–150. 18 Vgl. C. S. LEWIS, The Allegory of Love. A Study in Medieval Tradition, Oxford u. a. 1965, 57: »Monotheism should not be regarded as the rival of polytheism, but rather as its maturity.« 19 Vgl. FÜRST, »Einer ist Gott« (Anm. 9), hier 63: »Es gab einen heidnischen Trend zum Monotheismus, der einer Bekehrung zum Christentum wohl nicht selten den Weg geebnet und von dem das Christentum vermutlich nicht wenig profitiert hat.«

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mit sich selbst identischen Göttlichen – und das heißt: mit einer höchsten Weltvernunft – gleichgesetzt hat. Das klingt für viele von Ihnen vermutlich wie eine lebensferne Spekulation, aber man kann sich die bis heute andauernden Folgen eines solchen Gottesverständnisses schnell daran klarmachen, dass im Gefolge dieses Gottesverständnisses der Mensch als Ebenbild des Vernunftgottes allein durch seine Vernunft bestimmt wurde,20 als eine res cogitans, die der gesamten übrigen Welt als der res extensa, der vernunftlosen Materie, entgegengesetzt wird, die zum bloßen Objekt wird, über das der Mensch, der sich von seinem überlegenen Denkvermögen her definiert, nach Belieben verfügen kann. Den Erfolg dieser Haltung sehen wir heute vor allem in den Naturwissenschaften, die im Gefolge dieses Denkens entwickelt wurden und die heute wegen ihrer unbestreitbaren Leistungen weltweit in Geltung stehen. Ohne deren Leistung schmälern zu wollen, wird uns doch auch die Problematik einer solchen Vergöttlichung der Vernunft, die die vielgestaltige Wirklichkeit auf Objekte ihres Begreifens reduziert und dementsprechend behandelt – berühmt ist das Dictum Hegels, dass der Hain zu Hölzern wird21 –, heute auch immer mehr bewusst. Dieses Denken hat nicht nur Folgen für unseren Umgang mit der Natur, sondern auch für den Umgang mit anderen Kulturen, also für die Frage der Toleranz. Der französische Philosoph Emmanuel Lévinas – wohl nicht zufällig ein bekennender Jude – hat immer wieder darauf hingewiesen, dass das Ideal der Einheit als Selbstidentität auf Vereinheitlichung abzielt und damit letztlich auf die Unterwerfung des Anderen. »In einer Zivilisation, die ihr Bild hat an einer Philosophie des Selben, vollzieht sich Freiheit als Reichtum [d. h., im Modus des Habens und Verfügens, R. F.]. Die Vernunft, die das Andere reduziert, ist Aneignung und Macht.«22 Verstehen heißt auch hier BeGreifen als ›In-den-Griff-Nehmen‹, bedeutet die Bemächtigung des Anderen durch die Aufhebung seiner Andersartigkeit. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist jedenfalls ein anderer als der Gott der Philosophen, wie schon Blaise Pascal, als Philosoph und Naturwissenschaftler Zeitgenosse und Antipode von Descartes, in seinem Mémorial festgestellt hat. Deshalb kann der Jakobusbrief, was den Glauben an einen einzigen Gott betrifft, provokativ sagen, dass auch die Dämonen 20

Vgl. DESCARTES, Meditationes III. G. W. F. HEGEL, Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie (1802), in: DERS., Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Band 2: Jenaer Schriften (1801–1807), Frankfurt a. M. 1970, 287–433, hier 289 f. 22 E. LÉVINAS, Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: DERS., Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, Freiburg i. Br./ München 31992, 185–208, hier 190. 21

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glauben, dass Gott einer ist – und dennoch zittern, weil ihnen das bloße Wissen um die göttliche Einzahl nichts nützt (Jak 2,19). Die Besonderheit des biblischen Bekenntnisses zu dem einen Gott besteht vielmehr darin, dass die Glaubenden sich von diesem Gott erwählt wissen und auf diese Zuwendung nun ihrerseits mit der Hingabe ihres ganzen Lebens antworten. Das zum jüdischen Glaubensbekenntnis gewordene Šĕmaʽ betont ja nicht nur, dass Gott der eine Herr ist, sondern es fasst das diesem Bekenntnis entsprechende Handeln des Menschen wohl erstmals mit dem Begriff der allumfassenden Liebe zusammen, indem es dem Bekenntnis zu dem einen Gott sofort hinzufügt: Und du sollst den H ERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. (Dtn 6,5)

Nicht die göttliche Einzahl allein ist also das Spezifikum des alttestamentlichen Monotheismus, sondern der Bindungswille Gottes, der zu »unserem Gott« (Dtn 6,4) bzw. »deinem Gott« (Dtn 6,5) wird und den deshalb die Glaubenden als ihren einzigen Gott und Herrn mit ganzem Herzen und ganzer Seele und ganzer Kraft lieben. Man kann sich diese Liebesbindung an einer späteren jüdischen Legende verdeutlichen, dem Martyrium Rabbi Aqibas. Aqiba wurde wegen seiner Beteiligung am Bar-Kochba-Aufstand von den Römern zu Tode gefoltert. Der babylonische Talmud beschreibt sein Sterben mit den Worten: Da sprachen seine Schüler zu ihm: Unser Lehrer, es ist genug! Er aber sprach: Mein lebelang habe ich mich wegen dieses Verses gesorgt »Liebe Jahve […] von deiner ganzen Seele«, Dt 6,5, d. h. auch wenn er die Seele (das Leben) nimmt. […] Und jetzt, da mir die Gelegenheit kommt, sollte ich ihn nicht erfüllen? Dann sprach er das ‫» ֶא ָח ד‬Einer« lang gedehnt aus, bis seine Seele bei dem Wort ‫ אחד‬ausging. Da ging eine Bath-Qol aus, welche sprach: Heil dir, R. ʽAqiba, daß deine Seele bei dem Wort ‫ אחד‬ausgegangen ist!23

Während sich monotheistische Aussagen und auch Akklamationen24 in der Mitwelt des Frühjudentums und Frühchristentums häufiger finden, ist diese allumfassende Gottesliebe ohne Parallelen – eine Liebe, die alle anderen religiösen Bindungen ausschließt und deren Verrat deshalb in dem eingangs zitierten Text auch als ›Hurerei‹ bezeichnet wird.25 23

bBer 61b, zitiert aus B ILL. I, 177. Vgl. C. MARKSCHIES, Heis Theos – ein Gott? Der Monotheismus und das antike Christentum, in: M. KREBERNIK/J. VAN OORSCHOT (Hg.), Polytheismus und Monotheismus in den Religionen des Vorderen Orients (AOAT 298), Münster 2002, 209–234, hier 213.215; die »εἷς-θεός-Akklamation« (215) findet sich nicht nur im jüdischen, christlichen und samaritanischen Kontext, sondern ist auch in paganen Inschriften bezeugt. 25 Vgl. B ILL. I, 173: Das Beten des Šĕmaʽ wird zum Ausdruck dafür, »daß der Israelit die Gottesherrschaft auf sich nimmt«. Das ebenso wie der Aristeasbrief aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. stammende Jubiläenbuch macht das an Abraham paradigmatisch deut24

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Zugleich hat die Bindung an den Gott Israels immer eine kollektive Komponente: Dem einen Gott entspricht das in seiner Verehrung vereinte Volk. In einer geradezu axiomatisch klingenden Begründung des alttestamentlichen Gebotes der Kultzentralisation kann der jüdische Historiker Flavius Josephus deshalb den einen Gott und das eine Volk als zwei Seiten einer Medaille präsentieren: Gott ist einer, und das Geschlecht der Hebräer ist eins. (Josephus, Ant. IV,8,5 [§ 201])26

Es sind also vier Komponenten, die den frühjüdischen Monotheismus in neutestamentlicher Zeit bestimmen: 1. Der zu dem einen Gott Gehörende weiß sich von diesem erwählt. 2. Seine Antwort darauf ist eine einzigartige Gebundenheit an den einen Herrn, die keine konkurrierenden Bindungen an andere Götter zulässt. 3. Zugleich weiß er sich durch diesen Gott mit anderen zum Volk Gottes verbunden. 4. Die Bindung an Gott als seinen Herrn beinhaltet dann auch den Gehorsam gegen seinen in der Tora niedergelegten Willen. In summa: Der eine und einzige Gott ist Gott als der, der sich an sein Volk bindet und sein Volk an sich. Der hierin zum Ausdruck kommende Beziehungswille des biblischen Gottes ist geradezu das Signum seiner Personalität und damit seiner Einzigartigkeit. Das wird an der Erzählung deutlich, in der Gott sich erstmals Mose offenbart, der Erzählung vom brennenden Dornbusch in Ex 3. Ehe er seinen Eigennamen, das Tetragramm, nennt und ihn durch das berühmte »Ich bin, der ich bin« deutet, stellt er sich als der »Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs« vor. Das bedeutet: Als Erstes nennt Gott seinen Beziehungsnamen, d. h., er ›definiert‹ sich geradezu durch seine Bindung an die Erzväter und macht so deutlich, dass dieser Bezug für sein Verständnis zentral ist. Das Neue Testament wird das dann auf das Äußerste zuspitzen, indem es den im Alten Testament wohl bewusst wegen seiner polytheistischen Konnotationen weitgehend gemiedenen Vaternamen zum Eigennamen Gottes macht. Indem dort ›Vater‹ nicht nur zu einem Gottesprädikat unter anderen wird, sondern zum alles bestimmenden Eigennamen Gottes, bringt das Neue Testament zum Ausdruck, dass die Bindung an ein Gegenüber, das ebendadurch aus einem gefallenen Geschöpf zu einem Kind Gottes wird, für Gott wesentlich ist, ja, dass er gerade so als Vater er selber ist. lich. In einem Gebet, das der Patriarch nach seiner Bekehrung spricht, bittet er Gott, dass er nicht den früher angebeteten Göttern, die jetzt als »böse Geister« bezeichnet werden, wieder anheimfällt (Jub 12,19 f.). 26 Vgl. weiter Philon, Spec. leg. IV,159; zum Zusammenhang des Bekenntnisses zu dem einen Gott und der Einheit des Volkes vgl. auch G. L ANGER, »Hear, O Israel: The Lord Our God, the Lord is One« (Deut 6:4), Journal of Ancient Judaism 1/2 (2010), 215–226.

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Als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, als der Gott Israels und Vater Jesu Christi, als unser Vater im Himmel ist der eine Gott der Bibel etwas kategorial Anderes als das absolute ἕν (»Eines«) der platonischen Metaphysik, das gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich von der Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit als schlechthin nur mit sich selbst identisch abhebt,27 und er ist ebenso etwas ganz Anderes als eine Isis oder ein Helios, die als Inbegriff und Zusammenfassung der unterschiedlichsten Gottheiten auftreten. Auch wenn im zeitgenössischen Mittelplatonismus die Gottheit eine personalere Färbung erhalten kann,28 so würde man doch nicht deren Einzigartigkeit in ihrem Beziehungswillen sehen, wie dies beim Gott der Bibel der Fall ist. Das aber ist nicht ohne Rückwirkung auf die Art und Weise, wie an diesen Gott geglaubt und wie er bezeugt wird, also auch für den Zusammenhang von Monotheismus und Toleranz. Dazu sei im Folgenden das am Alten Testament und am Antiken Judentum Gezeigte an einigen zentralen Texten des Neuen Testaments noch weitergeführt und präzisiert. Zunächst zu Jesus.

3. Der eine Gott Israels bei Jesus Wie das Judentum seiner Zeit setzt auch Jesus den Monotheismus im Sinne der Einzigkeit des Gottes Israels selbstverständlich voraus.29 Die Einzigkeit Gottes ist aber für ihn nicht eine theoretische Gegebenheit, sondern eine ihn bestimmende Wirklichkeit, die sich unablässig im Ringen mit anderen Mächten bewähren muss, indem die in Jesu Worten und Werken anbrechende Gottesherrschaft den »Starken« überwindet (Mk 3,27 parr.), den Satan stürzt (Lk 10,18) und die Gebundenen befreit (Mt 12,28 par. Lk 11,20). Jesus lehrt also nicht den einen Gott, sondern er lebt aus der Verbundenheit mit ihm als seinem ›Ein und Alles‹ und bringt ebendiese Einzigkeit seines Vaters durch seine Worte und sein Wirken zur Geltung im Widerstreit mit den Mächten, welche an Gottes Stelle treten und die Schöpfung versklaven wollen, damit dieser eine Gott auch für andere zum ›Ein und Alles‹ werden kann. Das zeigt gleich am Anfang der Evangelien die Versuchungsgeschichte (Lk 4,1–13 par. Mt 4,1–11; vgl. bes. Lk 4,8 par. Mt 4,9). Nachdem Gott 27 In neutestamentlicher Zeit wird dies etwa in Plutarchs Schrift De E apud Delphos dargestellt. Vgl. dazu oben S. 228–231. 28 Vgl. dazu den Beitrag in diesem Band: »Der oberste Gott als Vater. Die frühjüdische und frühchristliche Rede vom göttlichen Vater im Kontext stoischer und platonischer Kosmos-Theologie« = oben S. 178–193. 29 Vgl. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 8), 95–97.111. 117 f.

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ihn in der Taufe als seinen geliebten Sohn bezeichnet und mit der Gegenwart seines Geistes ausgezeichnet hat, kommt der Teufel und will den Gottessohn aus dieser Gottesbindung herauslösen. Mit den versucherischen Worten »Wenn du der Sohn Gottes bist …« will er ihn dazu verlocken, seine Gottessohnschaft im Sinne des eigenmächtigen Gebrauchs seiner Vollmacht zu leben. Der Versucher will also einen Sohn ohne Vater, einen Gottessohn ohne Gott. Jesus kontert, indem er dreimal mit Worten der Schrift betont, dass er sein Leben ganz Gott unterstellt. Nicht zufällig stammen alle drei von Jesus zitierten Worte aus dem Umfeld des Šĕmaʽ, welches das Bekenntnis zu dem einen Gott im Sinne vorbehaltloser Gottesliebe interpretiert. Ebendieses Šĕmaʽ ist es dann auch, mit dem Jesus auf die Frage nach dem höchsten Gebot in einem Dialog antwortet, der in seiner ältesten Fassung bei Markus noch die Form eines glückenden Schulgesprächs hat. Auf die Frage des Schriftgelehrten wird dort von Jesus das Bekenntnis Israels zitiert, und zwar das einzige Mal im Neuen Testament auch mit dessen Anfang: Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist ein Herr. (Mk 12,29; vgl. Dtn 6,4)

Das wird im folgenden Vers 30 zunächst durch Dtn 6,5, durch das Gebot der Gottesliebe, erläutert: Daher30 sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand und mit all deiner Kraft. (Mk 12,30)

Dem stellt Jesus dann aber Lev 19,18 als »zweites (Gebot)« zur Seite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Mk 12,31)

Meistens sieht man in dem Text nur die »Quintessenz der ethischen Unterweisung Jesu«.31 Die markante Präzisierung, die Jesus mit seiner Auslegung des Šĕmaʽ durch das Doppelgebot der Liebe im Blick auf die Frage der Einzigkeit Gottes vorgenommen hat, ist dagegen bislang kaum gewürdigt worden.32 Das ist nicht ganz unverständlich. Bereits Lukas und Matthäus 30

Das καί ist als καί explicativum zu verstehen. J. GNILKA, Das Evangelium nach Markus, 2. Teilband (EKK II/2), Zürich/NeukirchenVluyn 51999, 167; vgl. auch J. ERNST, Das Evangelium nach Markus (RNT), Regensburg 1981, 354 f. 32 Bezeichnend ist das Urteil H. Merkleins in seinem Aufsatz über die Einzigkeit Gottes, der feststellt, die Gottesverkündigung Jesu könne aufgrund dieser Stelle »kaum erklärt werden«, da das Thema der Einzigkeit Gottes hier nur »in paränetischer Abzweckung 31

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streichen den ersten Teil des Šĕmaʽ in der Antwort Jesu.33 Für sie kommt es allein auf die Zusammenstellung der beiden Liebesgebote an. Liest man jedoch Mk 12,28–34, ohne sich die Blickrichtung von den späteren Seitenreferenten vorgeben zu lassen, so beantwortet Jesus dort die Frage nach dem höchsten Gebot mit dem Bekenntnis zu dem einen Gott Israels, um dieses Bekenntnis zunächst – wie in der alttestamentlichen Vorlage – durch das Gebot der Gottesliebe zu explizieren und dieses dann durch das der Nächstenliebe zu ergänzen.34 Nun könnte man immer noch annehmen, dass Jesus das »Höre, Israel« nur als Einleitung zum Gebot der Gottesliebe, zu Dtn 6,5 (gleichsam der Vollständigkeit halber), mitzitiert. Dass dem nicht so ist, zeigt nicht nur eine jüdische Parallele wie der Aristeasbrief, der mit den Stichworten »Frömmigkeit« und »Gerechtigkeit« die Gebote zusammenfasst (Arist 131), dem aber das Bekenntnis zu Gott als dem einen Herrn voranstellt, sondern auch die (von den Seitenreferenten Matthäus und Lukas ebenfalls ausgelassene) Reaktion des Schriftgelehrten. Denn dieser stimmt Jesus ausdrücklich zu, indem er dessen Antwort auf seine Frage nach dem obersten Gebot noch einmal bekräftigend wiedergibt und dies mit den Worten einleitet: Ausgezeichnet, Meister, ganz richtig sagst du, dass er [sc. Gott] einer ist und dass es keinen außer ihm gibt. (Mk 12,32)

erscheint« (H. MERKLEIN, Die Einzigkeit Gottes als die sachliche Grundlage der Botschaft Jesu, in: DERS., Studien zu Jesus und Paulus, Band 2 [WUNT 105], Tübingen 1998, 154–173, hier 155). Demgegenüber ist davon auszugehen, dass das Verhältnis genau umzukehren ist: Im markinischen Text expliziert das Doppelgebot die Einzigkeit Gottes. Das wird zwar von einigen Kommentaren erkannt; vgl. W. SCHMITHALS, Das Evangelium nach Markus. 9,2–16,20 (ÖTBK 2/2), Gütersloh 21986, 541: »[Das] eine Gebot der Liebe ist ebenso ungeteilt wie Gott selbst und zugleich integrierender Teil des Glaubens an den einen Gott«; ähnlich C. S. M ANN, Mark. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 27), New York 1986, 479; allerdings wird in beiden Kommentaren nicht klargemacht, was dies für den Monotheismus bedeutet. 33 Vermutlich hatten sie aufgrund der nach dem Jüdischen Krieg erfolgten endgültigen Trennung von Christen und Juden Schwierigkeiten damit, Jesus bei der Frage nach dem höchsten Gebot das zentrale jüdische Bekenntnis »Höre, Israel« zitieren zu lassen. Das trifft auch dann zu, wenn – wofür die Dichte der minor agreements gerade bei dieser Szene sprechen könnte – den Seitenreferenten eine parallele (Q?) Version vorgelegen hätte. Auch dann hätten sie sich bewusst gegen den ihnen ebenfalls bekannten Markustext entschieden. 34 Angedeutet war dies bereits in Mk 10,17–22, wenn Jesus bei der Frage nach dem ewigen Leben auf den »einen Gott« verweist und dessen Willen durch die Gebote der zweiten Tafel des Dekalogs interpretiert; Mt 19,19 fügt dem sogar Lev 19,18, das auch in Mk 12,21 zitierte Gebot der Nächstenliebe, hinzu.

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Der Schriftgelehrte verstärkt also das Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes, indem er den von Jesus zitierten Text Dtn 6,4 durch eine Anspielung auf Dtn 4,35 und Jes 45,21 ergänzt, die beiden Texte, die in einer im Alten Testament sonst nicht mehr zu findenden Eindeutigkeit die Einzigkeit Gottes betonen.35 Zugleich wird das Doppelgebot der Liebe vom Schriftgelehrten bei der Wiedergabe der Antwort Jesu leicht gekürzt und seine beiden Teile durch ein »und« verbunden. Das Doppelgebot erläutert für ihn also das Bekenntnis zu dem Gott Israels als dem einzigen Gott. Dass diese Interpretation von Jesu Antwort – Verstärkung des Bekenntnisses zur Einzigkeit Gottes bei gleichzeitiger Zusammenfassung des Doppelgebotes – die Intention Jesu korrekt wiedergibt, bestätigt dieser durch das im Evangelium einzigartige Lob seines Gesprächspartners: »Du bist nicht fern vom Reich Gottes« (Mk 12,34). Für den Jesus des ältesten Evangeliums besteht also das höchste Gebot darin, die Einzigkeit Gottes anzuerkennen, wobei das anschließende Doppelgebot der Liebe ausführt, wie Jesus dies verstanden wissen will: Wer Gott als den Einen und Einzigen anerkennt, der erkennt ihn zugleich als den an, der ihm ›Ein und Alles‹ ist, den er mit »ganzem Herzen« und »ganzer Seele« und »ganzem Verstand« und »aller Kraft« liebt, wobei diese Liebe notwendig den Mitmenschen mit einbezieht. Um die ganze Tragweite dieses Textes zu verstehen, will ich ihn noch einmal in den Kontext des zeitgenössischen Judentums stellen. Die Verbindung von Gottesdienst und Hinwendung zum Nächsten als Zusammenfassung der beiden Dekalogtafeln findet sich dort ebenfalls, wie sich nicht nur im oben zitierten Aristeasbrief zeigen lässt.36 Die Besonderheit der Antwort Jesu besteht aber zum einen darin, dass er die Zusammenstellung der beiden Liebesgebote dem Šĕmaʽ, dem Bekenntnis zu dem einen Gott, zuordnet und zusammen mit diesem als das »höchste Gebot« bezeichnet (Mk 12,31b). Zum anderen werden von Jesus nur diese beiden Gebote zitiert, und zwar wörtlich. Das ist deshalb bedeutsam, weil beide Gebote in ihrem alttestamentlichen Prätext explizit als Gottesrede eingeführt sind (Dtn 6,1.6; Lev 19,1). Somit zitiert Jesus in seiner Antwort Gott selbst, der die Liebe (in ihren vertikalen und horizontalen Bezügen) als Inbegriff seines Willens nennt. Bei der vorauszusetzenden Kongruenz von Gottes Willen und Wesen kann daher der biblische Gott, so wie ihn Jesus versteht, nur selbst ein Liebender sein. Gottes Beziehungswille ist somit für den Jesus des ältesten Evangeliums die Pointe des biblischen Monotheismus. 35 Vgl. A. Y. COLLINS, Mark. A Commentary (Hermeneia), Minneapolis 2008, 573: »The response of the scribe in v. 32 strengthens this affirmation of monotheism.« 36 Auch bei Philon können die beiden Dekalogtafeln unter die Leitworte εὐσέβεια bzw. ὁσιότης und φιλανθρωπία bzw. δικαιοσύνη gestellt werden (Philon, Spec. leg. II,63; Virt. 51.95); weitere Beispiele aus Josephus bei K. B ERGER, Die Gesetzesauslegung Jesu. Ihr historischer Hintergrund im Judentum und im Alten Testament, Band 1: Markus und Parallelen (WMANT 40), Neukirchen-Vluyn 1972, 151–165.

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Die Präzisierung der Einzigkeit des biblischen Gottes durch seinen Liebeswillen entwickelt nun allerdings eine ganz eigene Dynamik, welche in der Bindung an diesen Gott die Grenzen der Aburteilung und Diskriminierung anderer durchbricht. Es ist gerade für den hier zu untersuchenden Zusammenhang von Monotheismus und Toleranz höchst bedeutsam, dass in den Evangelien des Lukas und des Matthäus denjenigen das höchste Prädikat der Gottessohnschaft zugesprochen wird, welche ihrem himmlischen Vater so entsprechen, dass sie die Liebe zum Nächsten auch auf ihre Feinde und Verfolger ausdehnen. So heißt es in der sechsten Antithese der Bergpredigt, die eine Parallele in der Feldrede des Lukas hat: Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und sollst deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und betet für eure Verfolger, damit ihr Söhne werdet eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. […] Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. (Mt 5,43–45.48)

Hier wird klar erkennbar, dass die Bindung an den einen Gott zwar exklusiv ist, dass die Folge dieser Exklusivität aber die Inklusion der Mitmenschen ist, selbst derer, die unbequem, ja schädlich sind. Ähnliches findet sich auch bei Paulus.

4. Paulus Wie unmittelbar das Gottesverständnis mit der Einheit der Gemeinde zusammenhängt, kann man sich an einer bemerkenswerten Auseinandersetzung im 1. Korintherbrief klarmachen. Kurz zum Hintergrund: In der Antike wurden Tiere häufig am Tempel geschlachtet. Das aber heißt, sie galten als Opfertiere, auch wenn man häufig zumindest Teile des Fleisches für sich selbst verwendete, zunächst das Tempelpersonal, das dann aber auch das, was es selbst nicht benötigte, auf dem Markt verkaufte. Dort konnten es auch Christen erwerben. Weil es keine Götter gibt außer dem einen Gott, so argumentierten einige, könne man schadlos auch das vom Tempel stammende Fleisch essen. Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden, gäbe es nicht andere Gemeindemitglieder, die hier noch unsicher sind. Für sie ist das Fleisch noch immer Opferfleisch, d. h., für sie würde, da sie sich erst vor Kurzem vom Heidentum abgewandt haben, der Verzehr dieses Flei-

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sches so etwas wie einen Rückfall in die alte Religion bedeuten. Wenn nun die einen ohne Rücksicht auf ihre Mitchristen Opferfleisch essen, dann zerstören sie die in der Bindung an den einen Gott gründende Einheit der Gemeinde. Vielleicht kann man sogar zugespitzt sagen: Indem sie den Glauben ihrer Geschwister gefährden, fördern sie durch ihren abstrakten Monotheismus faktisch wieder den Polytheismus. Das aber steht im Widerspruch zu dem einen Gott, der gerade darin einzigartig ist, dass er die Glaubenden durch die Gemeinschaft mit sich zu einem Leib verbindet. Deshalb, so Paulus weiter, hat derjenige, der sich in scheinbar sicherem Wissen auf die göttliche Einzahl beruft, von dem einen Gott noch gar nichts begriffen. Der Apostel formuliert das in der für ihn charakteristischen Prägnanz: Das Wissen bläht auf, die Liebe aber baut auf. (1. Kor 8,1)

Will heißen: Nur der hat Gott recht erkannt, der verstanden hat, dass Gottes Einzigartigkeit letztlich in seinem Bindungswillen besteht; einer ist Gott als der Einende. Deshalb entspricht man diesem einen Gott nur, wenn man selbst die Einheit der Gemeinde durch Rücksicht auf die schwächeren Geschwister bewahrt (1. Kor 8,13). Auch bei Paulus bleibt dies nicht auf die Geschwister beschränkt. Der Glaube, der sich in der Liebe äußert (vgl. Gal 5,6), bewährt sich auch in der Zuwendung zu denen, die draußen sind, im Blick auf die Feinde. Der am Beginn der Paränese des Römerbriefes geforderte »vernünftige Gottesdienst« (Röm 12,1) gipfelt deshalb in der Aufforderung: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, sondern seid vor allen Menschen auf das Gute bedacht. Wenn für euch irgend möglich, haltet mit allen Menschen Frieden! Wenn dein Feind hungert, speise ihn, wenn es ihn dürstet, tränke ihn! […] Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem. (Röm 12,17 f.20 f.).

5. Trinität und Toleranz Es hat sich gezeigt, dass der Monotheismus, so wie er sich im Laufe des Alten Testaments herausgebildet hat und dann auch für das Neue Testament selbstverständlich geworden ist, nicht nur eine quantitative Sache ist, schon gar nicht das von aller Vielgestaltigkeit unserer Wirklichkeit abgegrenzte ἕν der Metaphysik, das im Ideal des mit sich selbst identischen höchsten Seins, wie anfangs angedeutet, unsere ganze abendländische Kultur nach-

Biblischer Monotheismus und Toleranz

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haltig bestimmt hat. Die vorgestellte biblische Tradition versteht vielmehr die Einheit Gottes nicht als Identität mit sich selbst, sondern als eine in sich differenzierte Einheit, die liebend auf das Gegenüber ausgreift und im Anderen zu sich selbst kommt. Das Bekenntnis zu dem einen Gott führt deshalb nicht zu ausgrenzendem Herrschaftswissen, sondern zu liebender Rücksichtnahme. Wie aber passt dazu Num 25, unsere schaurige Eingangsgeschichte? Zunächst einmal ist sie in aller Anstößigkeit ernst zu nehmen als Ausdruck dafür, dass die Liebe zu Gott nichts ist, was andere Bindungen neben sich verträgt. In einer Gesellschaft, in der Glaube leicht mit einer Do-it-yourselfReligiosität verwechselt wird, mag diese Geschichte, die auf drastische Weise zeigt, dass Liebe den Liebesverrat nicht einfach tolerieren kann, erst einmal als Provokation stehenbleiben. Wenn die Einzigkeit Gottes darin besteht, dass er liebt und als solcher geliebt wird, dann kann ein solches Gottesverhältnis nie neutral sein. Liebe, die diesen Namen verdient, kennt nur Treue oder Abfall, Erwählung oder Verwerfung. Das impliziert auch eine Scheidung von denen, die sich nicht an diesen Gott gebunden wissen. Das hat Assmann richtig gesehen. Das geht freilich nicht, ohne dann auch sofort hinzuzufügen, dass diese Erzählung von Num 25 diese Botschaft auf eine sehr problematische Weise bezeugt, indem sie – zumindest sprachlich – die Gewalt verherrlicht. Man kann dafür ebenso wie für ähnliche Texte etwa in der Johannesoffenbarung insofern ein gewisses Verständnis aufbringen, als es nicht die Henker waren, die solche Geschichten erzählt haben, sondern die Opfer, nicht zuletzt, um die Erfahrung von Leiden und Ohnmacht zu kompensieren. Dennoch bleiben solche Geschichten höchst missverständlich und vor allem auch gefährlich missbrauchbar, wenn sie, aus ihrem ursprünglichen Sitz im Leben herausgelöst, nicht mehr von den Opfern, sondern von den Tätern erzählt werden und so aus einer Trostgeschichte eine Handlungsanweisung wird. Insofern bedürfen sie der innerbiblischen Sachkritik, damit sie nicht das biblische Gotteszeugnis verdunkeln und verzerren. Denn dem Geheimnis des Gottes, der sich so durch seinen Bindungswillen definiert, dass er dann im Neuen Testament sogar den tödlichen Widerstand der Menschen gegen seinen »geliebten Sohn« ausgehalten hat, um aus dem Unheil der Kreuzigung die Geschichte seines Heils zu machen, entspricht nur ein Verhalten, das seinerseits bereit ist, den keineswegs immer liebenswerten real existierenden Mitmenschen in all seiner Andersartigkeit zu ertragen, auch dort, wo er lästig wird, ja, wo er Schaden zufügt. Genau das meint das Wort Toleranz, das vom lateinischen tolerare kommt und Ertragen, Erdulden, Erleiden bedeutet. Solches Tolerieren ist nicht die Gleichgültigkeit eines anything goes, sondern die harte Arbeit einer das bloße Hinnehmen transzendierenden, positiven Hinwendung zum Anderen, die dessen Anderssein nicht ablehnt, sondern respektiert. Nur so

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Dritter Teil: Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes

wird der Kreislauf von Ausgrenzung und Abschottung, von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen und das Böse mit Gutem überwunden. Nach der Bergpredigt des Matthäus ist eine solche das »Perpetuum mobile des Teufels« (so Jean Paul in seiner »Kriegserklärung gegen den Krieg«) unterbrechende Liebe nichts Geringeres als die Entsprechung zur Vollkommenheit des himmlischen Vaters (Mt 5,48). Wer den Feind liebt und so Frieden schafft, heißt deshalb Sohn Gottes, Kind Gottes (Mt 5,9.45). In diesem Zusammenhang sei noch auf die bislang kaum gewürdigte Tatsache hingewiesen, dass Paulus alle Briefe – auch dort, wo er wie im Galaterbrief oder im 2. Korintherbrief mit den Gemeinden im Streit um die Wahrheit des Evangeliums liegt – mit dem Zuspruch des »Friedens Gottes« eröffnet und sie auch fast immer mit dem Verweis auf Gott als den »Gott des Friedens« beendet (Röm 15,33; 16,20; 1. Kor 14,33; 2. Kor 13,11; Phil 4,9; 1. Thess 5,23). »Gott des Friedens« ist bei Paulus mit Abstand das häufigste Syntagma im Blick auf Gott. Der Einzigartigkeit des biblischen Gottes als eines Gottes des Friedens aber entspricht eben nur der Schalom. Um das Bisherige im Blick auf die Frage nach Monotheismus und Toleranz noch einmal zusammenzufassen: Besteht die Einzigkeit des biblischen Gottes in seinem Beziehungswillen, so kann das Bekenntnis zu ihm nur diesen Willen in Wort und Tat bezeugen. Der 1. Johannesbrief denkt das zu Ende, wenn er sagt: Gott ist Liebe. (1. Joh 4,8.16)

Durch die Trinitätslehre hat die christliche Theologie versucht, sich dem Geheimnis des in seinem Beziehungswillen einzigartigen Gottes zu nähern. Dieses Geheimnis soll geglaubt werden, darauf darf gehofft werden, es will auch allen Menschen bezeugt werden. Dagegen stünde der Versuch, dessen Anerkennung mit Gewalt zu erzwingen, im Widerspruch zum Wesen des Gottes, dessen Einzigartigkeit ja gerade darin besteht, dass er, wie es Paulus in 2. Kor 13,11 noch einmal zuspitzt, der »Gott der Liebe und des Friedens« ist.

Vater versus Töpfer? Zur Identität Gottes im Römerbrief 1. Die Spannung Der Titel »Vater und Töpfer« benennt in pointierter Zuspitzung eine Spannung im Blick auf die Identität Gottes im Römerbrief. In Röm 9 vergleicht Paulus Gott im Blick auf sein erwählendes und verwerfendes Handeln mit einem Töpfer, der mit seinem Ton nach Belieben umgehen kann, ohne seinem Material dafür Rechenschaft schuldig zu sein (9,21). Dies überträgt Paulus auf das Verhältnis Gott – Mensch. Anlass für diese Ausführung ist die Frage nach Israel und damit nach der Treue Gottes zu den an die Väter ergangenen Verheißungen. Paulus macht deutlich, dass »nicht alle aus Israel Israel sind« (9,6), dass Gottes Kinder nicht »die Kinder des Fleisches sind, sondern die Kinder der Verheißung, die er als Nachkommenschaft anerkennt« (9,8). Die Erwählung gründet also nicht in der Abstammung und auch nicht im Verhalten eines Menschen, sondern allein in Gottes Berufung (9,12). Die scheinbare Beliebigkeit des göttlichen Erwählens unterstreicht Paulus, indem er – im Rückgriff auf Mal 1,2f. – Gott sagen lässt: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst. (Röm 9,13)

Die Frage, inwieweit dies ungerecht ist (9,14), kontert der Apostel wieder mit der Schrift, in diesem Fall mit Ex 33,19: Denn zu Mose sagt er: »Ich habe Erbarmen, mit wem ich Erbarmen habe, und ich habe Mitleid, mit wem ich Mitleid habe.« (Röm 9,15)

Diese Aussage wird von Paulus nicht abgemildert, sondern noch verstärkt: Es liegt nun nicht an dem [Menschen], der will oder läuft, sondern an Gott, der sich erbarmt. (Röm 9,16)

Paulus sieht keine Veranlassung, dies zu rechtfertigen; vielmehr hält er lapidar fest: Bei wem er es nun will, über den erbarmt er sich, und bei wem er es will, den verstockt er. (Röm 9,18)

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Den sich geradezu aufdrängenden Einwand, dass die Anklage gegen den Menschen dann ungerecht ist, weil niemand Gottes Willen widerstehen kann, formuliert der Apostel im Diatribenstil selbst, um ihn dann umso entschiedener zurückzuweisen: O Mensch, wer bist du denn, dass du Gott zur Rechenschaft ziehst? Sagt etwa der Ton zu dem Töpfer: Warum hast du mich so geformt? Hat denn nicht ein Töpfer alle Verfügungsgewalt über den Ton, aus derselben Masse in dem einen Fall ein edles Gefäß zu machen und in dem anderen ein unedles? (Röm 9,20 f.)

Man tut sich zunächst schwer, in diesem Bild des Töpfers den Gott wiederzuerkennen, von dem bisher im Römerbrief die Rede war. Der erste Teil des Römerbriefes läuft zu auf die Adoption der Glaubenden: Aus gefallenen Geschöpfen werden Gotteskinder, die, vom Geist getrieben, Gott als »Abba, Vater« anrufen. Diese Gottesgemeinschaft wird in den Schlussversen des achten Kapitels in geradezu hymnischer Sprache als die göttliche Liebe besungen, die stärker ist als alle Mächte und Gewalten, als Gegenwart und Zukunft, als Leben und Tod (8,38f.). Wie kann der Gott der allmächtigen Liebe in Röm 8 derselbe sein wie der Gott scheinbar schrankenloser Willkür in Röm 9? Dieser Frage widmen sich die folgenden Ausführungen. Zunächst wird im Durchgang durch Röm 1–8 gezeigt, was die Rede von Gott als Vater in diesem Zusammenhang meint. Die synchrone Analyse wird vertieft durch eine diachrone, die – konzentriert auf die Vatermetapher – die paulinischen Aussagen vor dem Hintergrund der biblischen wie der außerbiblischen Traditionen noch einmal profiliert. Das Schlusskapitel wird dann versuchen, den liebenden Vater und den souveränen Töpfer als Aspekte des einen Gottes zusammenzudenken.

2. »Abba, Vater«. Synchrone Analyse von Röm 1–8 Im ersten Teil des Römerbriefes legt Paulus seine Rechtfertigungsbotschaft durch steten Rückgriff auf die alttestamentliche Überlieferung dar. In einem großen Spannungsbogen entfaltet Röm 1–8 die Eingangsthese, nach der das Evangelium die »Macht Gottes zum Heil für jeden Glaubenden ist« (1,16). Zunächst macht Paulus dabei auf dem dunklen Hintergrund der Gottferne der Menschheit unter dem Zorn Gottes (1,18–3,20) deutlich, wie Gott in Christus die Verlorenheit der Menschheit überwindet, indem er durch die Hingabe Jesu Christi Sühne schafft (3,21–28). Ebendarin erweist sich seine Gerechtigkeit, wie zweimal betont wird (3,25.26), eine Gerechtigkeit, die darin besteht, dass Gott

Vater versus Töpfer?

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selbst gerecht ist und den gerecht macht, der aus dem Glauben an Jesus lebt. (Röm 3,26)

Dieser Spitzensatz deutet schon an, dass das Wesen Gottes darin besteht, sich in Jesus Christus dem Gegenüber mitzuteilen, dieses umzuwandeln und so Heil zu schaffen: Gottes Gerechtigkeit ist eine kommunikative Eigenschaft, d. h., sie ist untrennbar verbunden mit Gottes Zuwendung, die den Sünder in ihren Machtbereich einbezieht und ihn so Gott recht macht. Indem sich der Mensch darauf verlässt und als Glaubender sich nicht mehr seines Tuns (3,27), sondern der Gnade Gottes rühmt (5,2.11; vgl. 15,17; 1. Kor 1,31 u. ö.), wird seine ganze Existenz neu gegründet: In Röm 8,14– 17 und Gal 4,4–7 wird Paulus dies dahin gehend resümieren, dass aus Sklaven »Söhne Gottes« bzw. »Kinder Gottes« geworden sind, und in 2. Kor 5,17 sowie Gal 6,15 kann er dafür die Kategorie der »neuen Schöpfung« verwenden. Doch bei allem Neuschaffen ist dieser rechtfertigende Gott kein anderer als der Gott Israels, wie Paulus in geradezu unablässiger Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift deutlich macht. Es ist derselbe Gott, an den schon Israels Stammvater Abraham glaubte als denjenigen, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft. (Röm 4,17)

Der Gott der Rechtfertigung wird hier in der Sprache von Schöpfung und Neuschöpfung beschrieben, um deutlich zu machen, dass sich in der Rechtfertigung »der Griff des Schöpfers nach seiner gesamten Schöpfung«1 bekundet. Durch die Mitteilung seiner Gerechtigkeit schafft Gott neues Leben und bezieht den todverfallenen Menschen in den Bereich seiner schöpferischen Lebendigkeit ein (vgl. 5,10). Als deus iustificans ist Gott auch der deus vivificans. Dieses Thema wird dann im fünften Kapitel breit entfaltet, das in Auseinandersetzung mit der sogenannten Sündenfallgeschichte – übrigens neben SapSal 2, der Apokalypse des Mose und 1. Kor 15 der erste Beleg für eine Rezeption von Gen 3 als Ätiologie des Todes2 – Christus als Antitypos zu Adam darstellt: So wie Adam durch sein Vergehen den Tod über die ganze Menschheit brachte, so wird durch Christus für die Glaubenden das Verhängnis der Sünde und des Todes überwunden: denn wenn durch die Übertretung des einen [sc. Adam] der Tod zum Herrscher wurde – durch den einen, um wie viel mehr werden diejenigen, die das Übermaß der Gnade und das Geschenk der Gerechtigkeit empfangen haben, im Bereich des Lebens zu Herrschern werden – durch den einen Jesus Christus. (Röm 5,17)

1

E. KÄSEMANN, An die Römer (HNT 8a), Tübingen 31974, 117. Vgl. J. DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung und Kommentar (TSAJ 106), Tübingen 2005, 165–172. 2

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Dieser Herrschaftswechsel von der Sünde zur Gerechtigkeit und damit zugleich vom Tod zum Leben wird dann im sechsten Kapitel noch einmal ausgiebig dargestellt, wobei die Vergebung der Sünden direkt als Neubelebung der Totgewesenen gedeutet wird (6,13). Das Kapitel schließt mit der resümierenden Entgegensetzung: »Der Lohn der Sünde ist Tod – die Gabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn« (6,23). Das siebte Kapitel des Römerbriefes schildert noch einmal die Verfallenheit des Menschen an die Sünde und seine daraus resultierende Selbstzerrissenheit. Es gipfelt in einer bewegenden Klage des adamitischen Ichs über seine Unfähigkeit, das Gute, das es will, zu tun, einer Klage, die in dem Schrei mündet: Ich elender Mensch! Wer wird mich herausreißen aus diesem dem Tod verfallenen Leib? (Röm 7,24)

Der Schrei nach Befreiung erhält in den folgenden Versen seine unmittelbare Antwort im Dank und im Zuspruch: Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn […]. Nun gibt es keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind; denn das Gesetz des Geistes des Lebens hat dich in Christus Jesus befreit vom Gesetz der Sünde und des Todes. (Röm 7,25–8,2)

Gott hat in Christus die Antwort auf die Verlorenheit des Menschen gegeben als (θεὸς) δικαιῶν (3,26; 4,5) und θεὸς ζῳοποιῶν (4,17; vgl. 8,11), d. h. als derjenige, der sich darin als der Gerechte und Lebendige erweist, dass er in seinem Sohn an seiner Gerechtigkeit und seiner Lebendigkeit Anteil gibt. Das wird nun im achten Kapitel noch einmal gebündelt und zugespitzt, indem die Gottesgemeinschaft derer, die »in Christus Jesus« sind (8,1), durch die Gegenwart des Geistes erklärt wird, der von Gott kommt, aber zugleich – wie in 8,9–11 gleich dreimal betont wird – in den Glaubenden wohnt, so wie diese ihrerseits »in Christus Jesus« sind. Diese reziproke Immanenz – die Glaubenden sind »in Christus Jesus« (8,1.2.39), Christus (8,10) bzw. der Geist Gottes (8,9.11) ist/wohnt in ihnen – zeigt zunächst, dass es das Wesen des Glaubens ist, in Gott zu sich selbst zu kommen und so aus versklavten Geschöpfen zu Kindern Gottes zu werden: Denn welche von Gottes Geist getrieben werden, diese sind Söhne Gottes. Denn ihr habt nicht einen Geist der Sklaverei empfangen, der Furcht bewirkt, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Kindern einsetzt, durch welchen wir rufen: Abba, Vater. Dieser Geist bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. (Röm 8,15 f.)

Vater versus Töpfer?

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Paulus verwendet für diesen Vorgang den Begriff υἱοθεσία, den Terminus technicus für die Adoption.3 Die Entfaltung der Rechtfertigung läuft also darauf zu, dass Gott die Glaubenden als Kinder adoptiert. Zugleich werden die Glaubenden zu Söhnen/Kindern Gottes, die in der Gemeinschaft mit ihm auch an dem Anteil gewinnen, was zu ihm gehört: Wenn wir aber Kinder sind, dann auch Erben, und zwar Erben Gottes, aber Miterben Christi. (Röm 8,17)

Auch wenn die Vorstellung des Erbes durch die alttestamentliche Tradition von Israels ‫ נחלה‬beeinflusst sein dürfte, so stellt die Rede von den »Erben Gottes« doch ein kühnes Theologumenon dar: Als Gerechtfertigte und zu Gotteskindern Adoptierte beerben die Glaubenden Gott. Bereits 8,11 hatte diesen Gedanken im Hinblick auf die Teilhabe an Gottes schöpferischer Lebendigkeit4 ausgeführt: Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird derjenige, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch den in euch wohnenden Geist.

Angesichts der Leiden der Christen und der ganzen Schöpfung, welche die Zuversicht des Glaubens problematisieren (8,18–25), spitzt Paulus diese Zusage noch einmal in 8,31f. aufs Äußerste zu: Wenn Gott für uns ist – wer könnte gegen uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle preisgegeben hat – wie sollte er uns nicht auch mit ihm alles schenken?

Dass Gott als Vater im Sohn, in der Preisgabe seines Sohnes an die Verlorenheit der Menschen, den Sündern »alles schenkt«, ist ein Grundgedanke der paulinischen Theologie, den der Apostel immer wieder in einer Argumentationsfigur darstellt, die von der späteren Tradition als beatum commercium, als seligmachender Wechsel, bezeichnet wurde: Christus ist arm geworden, damit wir reich würden (2. Kor 8,9); Christus wurde zum Fluch, um uns vom Fluch loszukaufen (Gal 3,13); Gott hat den, der nicht die Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden (2. Kor 5,21); Christus ist gestorben, damit wir mit ihm leben (1. Thess 5,10). Nicht nur die Glaubenden kommen also im geistgewirkten Bezug zu Gott zu sich selbst, sondern Gott bindet sich in Christus 3

Vgl. E. SCHWEIZER, Art. υἱοθεσία, ThWNT 8, Stuttgart 1969, 400–402; vgl. E. LOHDer Brief an die Römer (KEK 4 15), Göttingen 12003, 239. 4 Vgl. D. ZELLER, Der Brief an die Römer (RNT), Regensburg 1985, 160: »So folgert er aus unserem Kindsein, daß uns auch die Teilhabe am Leben Gottes zusteht.« SE ,

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so an die Seinen, dass er im Bezug zu seinen ›Kindern‹ zu sich selbst kommt – eben als der ›Vater‹.5 Wenn die Glaubenden Gott als Vater anrufen, so ist dies also Reaktion auf Gottes vorauslaufende Gegenwart und Wirksamkeit in ihnen, Antwort auf ihr »Ergriffensein« durch Gottes Geist. Man kann sich die geradezu ungeheuerlichen Konsequenzen von diesem mit der Kindschaft verbundenen »Beerben Gottes« auch an dem bemerkenswerten Sachverhalt deutlich machen, dass zahlreiche Attribute, die im religionsgeschichtlichen Kontext als exklusive Gottesattribute fungieren und damit die differentia specifica des Göttlichen gegenüber dem Menschlichen auf den Begriff bringen (unsterblich, unvergänglich, ewig, heilig etc.), im Corpus Paulinum fast durchweg zu inklusiven soteriologischen Prädikaten werden, welche nun den Status der Gerechtfertigten bezeichnen.6 Die Anrufung Gottes als Vater ist also nicht nur der Gebrauch eines Gottesepithetons unter anderen. Als Vater können Gott nur die »Kinder« anrufen, mit denen er sich derart verbunden hat, dass sie zu den Seinen und er zu dem Ihren geworden ist. Damit partizipieren sie, wie gezeigt, an Gott selbst. Das schöne Wort des Vaters im Gleichnis vom verlorenen Sohn in Lk 15,31: »Kind, […] alles, was mein ist, ist dein« hat seine Parallele in dem zitierten paulinischen Spitzensatz, dass Gott als Vater uns mit seinem Sohn alles schenkt (Röm 8,32). Dazu gehört dann auch seine Gerechtigkeit, wie vor allem der Römerbrief zeigt.7 In letzter Konsequenz ist dieser als »Abba, Vater« angerufene Gott der Gott der Liebe. Das war bereits in 5,8–11 angeklungen, wo der Apostel die Rechtfertigung als Überwindung der Gottferne durch Gottes Feindesliebe deutet. In dem triumphalen Ausblick am Ende des achten Kapitels des 5 Neben den beiden formelhaften Wendungen αββα ὁ πατήρ kommt πατήρ noch 22mal bei Paulus vor. Es ist neben κύριος (das aber zumeist in alttestamentlichen Zitaten begegnet und im Sprachgebrauch des Paulus bereits weitgehend auf Christus übergegangen ist) und dem nur einmal belegten παντοκράτωρ (der in 2. Kor 6,18 aus einem Zitat aus 2. Sam 7,8 LXX stammt) die einzige nominale Bezeichnung Gottes bei Paulus (vgl. C. ZIMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont [AJEC 69], Leiden u. a. 2007, 129 f.). Insofern ist es nicht ganz verständlich, warum P. G. K LUMBIES in seiner Monographie Die Rede von Gott bei Paulus in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext (FRLANT 155, Göttingen 1992) der Rede von Gott als Vater bei Paulus so gut wie keine Aufmerksamkeit schenkt. N. R ICHARDSON (Paul’s Language about God [JSNT.S 99], Sheffield 1994) betont zwar, dass der Vaterbegriff für Paulus wichtig sei (314), legt jedoch nicht die einschlägigen Stellen aus und entfaltet folglich auch nicht, was der Vatername für Paulus bedeutet. 6 Vgl. R. FELDMEIER, Θεὸς ζῳοποιῶν. Die paulinische Rede von der Unvergänglichkeit in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext, in: I. D ALFERTH/J. FISCHER/H.-P. GROSSHANS (Hg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre (FS E. Jüngel), Tübingen 2004, 77–91 = oben S. 228–242. 7 In 1. Kor 15 geht es vor allem um Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit.

Vater versus Töpfer?

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Römerbriefes wird dann die Allmacht dieser göttlichen Liebe geradezu hymnisch besungen: Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? […] Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, noch Engel, noch Herrschaften, noch Gegenwärtiges, noch Künftiges, noch Mächte, noch Hohes, noch Tiefes, noch irgendein anderer Bestandteil der Schöpfung uns scheiden kann von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn. (Röm 8,35.38 f.)

3. Gott als Vater. Diachrone Analyse Paulus war überzeugt, dass der als »Abba, Vater« angerufene Gott ebender Gott ist, an den schon Abraham glaubte und der in den Schriften bezeugt ist. Nun ist aber die Anrede Gottes als Vater im biblischen Kontext weit weniger selbstverständlich, als es den Christen heutzutage zumeist scheint. Schon ein kurzer Blick in die Konkordanzen des Alten und Neuen Testaments zeigt ein auffälliges Missverhältnis: Während die Rede von Gott als Vater im Neuen Testament ca. 260-mal vorkommt und in gewisser Weise dort den Eigennamen Gottes ersetzt,8 ist sie im Alten Testament ausgesprochen selten: Sie findet sich dort 17-mal, wobei die meisten Belege Gott als dem Vater Israels, fünf Gott als dem Vater des davidischen Königs gelten. Im Vergleich dazu wird das Tetragramm über 6800-mal und elohim immerhin ca. 2600-mal verwendet. Auch wenn die Anrede Gottes als Vater im Antiken Judentum häufiger wird, gilt doch auch hier bis in neutestamentliche Zeit, dass »die Bezeichnung Gottes als Vater relativ und die Anrede Gottes als Vater sehr selten«9 verwendet wird, deutlich geläufiger wird die Vateranrede im Judentum erst seit der frühchristlichen Zeit in der tannaitischen Literatur, den Targumim

8

Vgl. ZIMMERMANN, Namen (Anm. 5), 41–166. M. HENGEL, Abba, Maranatha, Hosanna und die Anfänge der Christologie, in: DERS., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV (WUNT 201), Tübingen 2006, 496– 534, hier 530; vgl. auch J. JEREMIAS, Abba, in: DERS., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 15–67. Wenn dann in späterer Zeit im Judentum die Gottesanrede awinu malkenu gebräuchlich wird, dann drückt dies etwas Analoges zu der hier dargestellten christologischen Vermittlung der Vateranrede aus: Gott ist nicht unmittelbar Vater, sondern für das Glied des von ihm erwählten Volkes, das seiner Herrschaft unterstellt ist bzw. sich ihm unterstellt. Bemerkenswerterweise fehlt die Königsanrede im Munde Jesu (s. u.). 9

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und in den synagogalen Gebeten,10 allen voran im Šĕmone ʽEsre.11 Zu einer angemessenen Interpretation dieses Sachverhaltes gehört als Erstes, dass zur Deutung der Sprödigkeit des Alten Testaments gegenüber der Vatermetapher nicht in erster Linie das Neue Testament als Referenzpunkt gewählt werden sollte, wie das in der neutestamentlichen Exegese seit Jeremias immer wieder geschieht, wobei fast zwangsläufig das Neue (und Überlegene) in Jesu Gottesverhältnis hervorgehoben wird. 12 Primärer Referenzpunkt muss vielmehr der religiöse Kontext des Alten Orients und die Geläufigkeit des Vaterepithetons in den Religionen der Mitwelt von Babylon über Syrien bis Ägypten sein.13 Vor diesem Hintergrund ist dann die Zurückhaltung des Alten Testaments als eine bewusste Verweigerung zu verstehen, begründet wohl in der Vermeidung der bei der Rede vom göttlichen Vater naheliegenden Assoziation des Konnexes eines göttlichen Erzeugers mit dem von ihm Hervorgebrachten: genealogisch auf der Stufe des Mythos, kosmologisch auf der Stufe des Logos.14 In diesem Sinn präzisiert das hellenistische Judentum sein Gottesverständnis dahin gehend, dass es in der strikten Unterscheidung von Gott und Welt geradezu das Proprium des biblischen Glaubens gegenüber der paganen Umwelt sah. In Anlehnung an frühjüdische Polemik besteht für Paulus der Sündenfall der heidnischen Welt darin, 10

Zur tannaitischen Literatur vgl. E. T ÖNGES, Unser Vater im Himmel. Die Bezeichnung Gottes als Vater in der tannaitischen Literatur (BWANT 147), Stuttgart 2003. 11 In der vierten und sechsten Bitte nach der palästinischen Rezension, in der fünften und sechsten Bitte nach der babylonischen. 12 Zumindest implizit ist dabei die Vorstellung einer Diskontinuität zwischen dem alttestamentlichen Gott und dem Gott Jesu vorausgesetzt, wie dies programmatisch K. HOLL formuliert hatte (Urchristentum und Religionsgeschichte, in: DERS., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Band II: Der Osten, Tübingen 1928, 1–32); vgl. A. STROTMANN, »Mein Vater bist du!« (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Texten (FTS 39), Frankfurt a. M. 1991, 4: »Die Vaterschaft Gottes in den frühjüdischen Schriften wird als dunkler Hintergrund gebraucht, vor dem sich dann umso strahlender die Einzigartigkeit der jesuanischen Rede von Gott als (seinem) Vater abheben kann.« 13 Vgl. dazu auch G. V ANONI, »Du bist doch unser Vater« (Jes 63,16). Zur Gottesvorstellung des Ersten Testaments (SBS 159), Stuttgart 1995, 32–37. 14 Bereits G. QUELL, Art. πατήρ, ThWNT 5, Stuttgart 1966, 959–974, hier 966, hatte zum Vaterepitheton kritisch angemerkt: »Die Bezeichnung Gottes als Vater betont durch Anwendung eines biologischen Begriffes die Gemeinschaft mit der Gottheit in massivster Weise als generative Blutsgemeinschaft und verringert dadurch das Distanzgefühl des Geschöpfes vor dem Schöpfer merkbar«. Selbst der Platonismus kann über die Vatermetapher eine ontologische Beziehung zwischen seinem transzendenten Gott und der Weltseele herstellen: »Mit der biologischen Metapher [sc. Gott als Vater] will Plutarch eine ontologische Beziehung zwischen dem Gott Vater und der Weltseele herstellen« (F. FERRARI, Der Gott Plutarchs und der Gott Platons, in: R. H IRSCH-LUIPOLD [Hg.], Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder [RGVV 54], Berlin/ New York 2005, 13–25, hier 20).

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dass der unvergängliche Gott in der Gestalt vergänglicher Wesen erfasst wird (Röm 1,23), ein Einwand, der letztlich nicht nur den Polytheismus, sondern die gesamte antike Religiosität trifft; auch die Philosophie »rechnete die Theologie zur Physik, zur Lehre von der Natur, die Götter und Menschen einschließt«. 15 Im Gegensatz dazu konzentrieren sich nach Philon die Verehrer des biblischen Gottes darauf, in Abgrenzung von den Anhängern der paganen Religiosität, welche »die Welt mehr als den Schöpfer bewundern«, hinter dem Geschaffenen die »Macht des Schöpfers und Vaters anzustaunen« (Opif. 7). Was der polemische Topos negativ ausdrückt, sagt das Theologumenon der creatio ex nihilo (vgl. 2. Makk 7,28; Röm 4,17; Hebr 11,3) positiv: Zwischen Gott und Kreatur gibt es keine wie auch immer geartete Verwandtschaft. Durch seine Zurückhaltung gegenüber der Rede von Gott als Vater unterstreicht das Alte Testament, dass der eine Gott Israels nicht auf irgendeine Weise ein Teil des Kosmos ist, sondern sein Schöpfer; als solcher aber steht er allem Geschaffenen als dessen souveräner Herr gegenüber. Auch die vorexilische Königsideologie, die Gott den Vater des Davididen nennt und die in exilischer und nachexilischer Zeit das Vater-SohnVerhältnis auf das Volk überträgt, setzt eine solche Unterscheidung voraus. 16 Das Neue Testament steht in dieser Tradition. Der durch die Zahl der Vorkommen sich aufdrängende Eindruck, die Rede von Gott als Vater sei dort selbstverständlich, täuscht, wie eine differenzierte Wahrnehmung der 170 Belege in den Evangelien zeigt: Im ältesten Evangelium, bei Markus (ca. 70 n. Chr.), finden sich nur vier Belege, beim zweitältesten Lukas (ca. 80–85) sind es bereits 17, beim drittältesten Matthäus (ca. 90) 44 und beim jüngsten Johannes (ca. 100) sind es 120 (ohne Joh 8,19a; 16,17). Grob gesprochen verdreifacht sich in jedem Jahrzehnt zwischen 70 und 100 das Vorkommen. Auch im Neuen Testament lässt sich somit eine Entwicklung zu einer immer entschiedeneren Deutung Gottes als Vater beobachten. Dazu kommt ein Zweites: Im Neuen Testament ist Gott zunächst ausschließlich der Vater Jesu. Erst durch die Bindung an den »einzig geborenen Sohn« wird Gott für die Glaubenden dann auch zu »unserem Vater«, 15 Vgl. A. DIHLE, Natur und Gerechtigkeit bei den Griechen, in: Akademie-Journal 2/2002, 67–72, hier 71; vgl. DERS., Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit. Von Augustus bis Justinian, München 1989, 31: »Die facettenreiche Religiosität, die dem Betrachter in den räumlich wie zeitlich weit auseinanderliegenden Dokumenten der Zivilisation des Kaiserreiches begegnet, reicht von den krassesten Formen der Magie bis zu sublimen Spekulationen philosophischer Theologie. Immer aber war sie eine an der Natur, an der kosmischen Ordnung orientierte Religiosität, mochte man auch die wahren Gesetze dieses Kosmos in der Nachfolge Platons jenseits der erfahrbaren Wirklichkeit der Sinnenwelt suchen.« 16 Vgl. A. B ÖCKLER, Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, Gütersloh 2000, bes. 175–394.

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wie schon bei Paulus zu sehen war (vgl. Gal 4,5–7; Röm 8,14–17). Zugleich können, wohl auch in Anlehnung an alttestamentliche Traditionen,17 etwa bei Matthäus auch die paränetischen Konnotationen der Vater-SohnBeziehung betont werden: Söhne Gottes werden die Nachfolger durch ihre tätige Entsprechung zu Wesen und Willen des Vaters (Mt 5,9.45). Bei alledem bleibt die Unterscheidung zwischen Jesu Gottesverhältnis und dem der Glaubenden konstitutiv, nie wird das Gottesverhältnis Jesu und das seiner Nachfolger in einem gemeinsamen »unser Vater« zusammengebunden.18 Noch bei Johannes, dem jüngsten Evangelium, das die Vaterbezeichnung bereits abundierend verwendet, hält der auferstandene Christus an dieser strikten Unterscheidung fest: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. (Joh 20,17)

Dieser strikte christologische Bezug der Vatermetapher (die eine strukturelle Parallele in der jüdischen Anrufung Gottes als awinu malkenu hat) und die damit gesetzte Gleichzeitigkeit von göttlicher Freiheit und göttlicher Bindung ist auch im Blick auf das damit implizierte Gottesverhältnis zu beachten. Es verbietet sich die heute verbreitete Trivialisierung der Rede vom Vater. Nicht familiäre Vertraulichkeit ist die Pointe der Rede von Gott als Vater, sondern Gottes souveräne Selbstbestimmung zur Bindung in Jesus Christus, durch die er den Glaubenden in ein neues Verhältnis zu sich setzt. Als Antwort auf diese Zuwendung rufen die Berufenen Gott als Vater an. Durch diese Einbeziehung in die Gottesgemeinschaft Jesu Christi werden die Glaubenden zu Kindern Gottes adoptiert und so »dem Bildnis seines Sohnes gleichgestaltet« (Röm 8,29). Eine kurze Zwischenbemerkung zum Assoziationshorizont der Vatermetapher: Der Wechsel von der alttestamentlichen Gottesbezeichnung »Herr« zu »Vater« im Neuen Testament markiert eine deutliche Akzentverlagerung. Sowohl »Herr« als auch »Vater« sind schließlich dialektische Begriffe, die den Bezug auf ein Gegenüber implizieren. Aber während das Gegenüber des Herrn der Knecht bzw. Sklave ist, ist es beim Vater das Kind, wie dies Paulus in Röm 8 und Gal 4 auch explizit ausführt. Damit wird der Akzent im Gottesbild von der Macht auf die Zuwendung verschoben. Die Frage der göttlichen Macht und Autorität ist dadurch keineswegs obsolet, schon deshalb nicht, weil dem Vater in der Antike eine große Autorität eignet.19 Allerdings ist diese göttliche Macht jetzt als die Macht 17

Vgl. ebd., 394. Das Herrengebet in seiner matthäischen Bearbeitung ist die Lehre des Gottessohnes an seine Nachfolger, wie sie zusammen Gott anrufen sollen. Auch bei Matthäus wird sonst strikt unterschieden zwischen dem Vater Jesu Christi und dem Vater der Jünger. 19 Vgl. dazu D. GALL, Aspekte römischer Religiosität. Iuppiter optimus maximus, in: R. G. KRATZ/H. SPIECKERMANN (Hg.), Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder. Polytheis18

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des Vaters bestimmt. Hinzu kommt aber zweitens: Der unmittelbarste Ausdruck für die Macht Gottes in der Septuaginta, der Kyriostitel als Übersetzung des Tetragramms, wird im Neuen Testament zumeist nur noch in Zitaten und Anspielungen für Gott selbst verwendet. In der Hauptsache wird »Kyrios« zum Titel des erhöhten Christus. Er, der nicht in göttlicher Gestalt blieb, sondern Sklavengestalt annahm, wie es der Philipperhymnus sagt (Phil 2,6f.), erhielt als Antwort Gottes auf seine Selbsterniedrigung den »Namen über alle Namen« und damit die Erhöhung zur göttlichen Allmacht (Phil 2,10f.). Diesem »Kyrios Christos« gegenüber aber kann derselbe Paulus, der gegenüber »Gottvater« die Gotteskindschaft der Glaubenden betont, sich und seine Mitarbeiter (Röm 1,1; Gal 1,10; Phil 1,1; vgl. Kol 4,12), ja jeden Christen (1. Kor 7,22) als »Sklaven Jesu Christi« bezeichnen. Beides gehört zusammen: Der Herr der Welt wird zum Vater und die Glaubenden zu seinen Kindern, der bis zum Tod am Kreuz Erniedrigte wird zum Herrn, dessen Herrschaft für seine Knechte Freiheit bedeutet (1. Kor 7,22f.; vgl. Gal 5,1.13). Es ist ein eigenes Thema, wie die göttliche (All-)Macht durch diese doppelte Neubestimmung – der »Höchste« wird zum »Vater«, der »Erniedrigte« zum »Herrn« – neu definiert wird. Noch ein Letztes ist zu beachten: Die Anrufung Gottes als Vater bleibt auch in Röm 1–8 primär von der Christologie bestimmt. Schon die beiden Verwendungen der Metapher in 1,7 und 6,4 dokumentieren dies, in 1,7 sogar in Gestalt einer binitarischen Formel. Vor allem aber gilt dies für 8,15, wo Paulus – wie in Gal 4,6 – den Gebetsruf auf Aramäisch zitiert und ihn mit einer eigenwilligen griechischen Übersetzung versieht (die den aramäischen status emphaticus mit Artikel wiedergibt). Dies aber ist exakt die Form, die uns als Gottesanrede Jesu aus den Evangelien vertraut ist (Mk 14,36 par.). Damit wird die Vateranrede bis in den aramäischen Wortlaut hinein unmittelbar auf Jesus zurückgeführt; es ist sein Gottesverhältnis, in das die Glaubenden eintreten. Zwar kann Paulus mit Gottvater auch – in Anlehnung an die religiöse Koine, vor allem an stoische Formulierungen – den Gedanken des Schöpfers und Erhalters verbinden (1. Kor 8,6; vgl. Röm 11,36), aber auch dieser Schöpfer bleibt der Vater Jesu Christi. Damit wird noch einmal in zweifacher Weise der Unterschied, ja Gegensatz zu dem sonstigen Gebrauch des Vaterepithetons deutlich: 1. Gott ist als Vater der sich in Jesus Christus und damit der sich in Freiheit selbst bindende Gott. 2. Als Vater bestimmt Gott Gegenwart und Zukunft der Glaubenden: die Gegenwart durch Loskauf, die Zukunft durch das Erbe.

mus und Monotheismus in der Welt der Antike (FAT II/17), Band II, Tübingen 2006, 69– 92, hier 77.

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4. Der Töpfer als Vater Die Anfrage an das Gottesbild von Röm 9–11 klang schon mehrmals an: Wie kann der Gott, dessen Hingabe und Treue in Röm 1–8 so konsequent entfaltet wird, zusammengedacht werden mit dem willkürlichen Töpfer? Stellt nicht schon der Wechsel der Metaphorik – vom Vater zum Hersteller, vom Kind zum Gegenstand – einen Bruch dar? Gewiss könnte man Röm 1–8 im Blick auf Röm 9 so verstehen (und hat es auch oft so verstanden), dass es nur die »nach Gottes Vorsatz« Berufenen sind, denen diese Verheißungen gelten (vgl. 8,28–30), während die anderen weiterhin unter dem Zorn stehen. Damit fielen in der Tat viele Probleme weg: Röm 1–8 beschriebe den Zustand der Geretteten, Röm 9 thematisierte im Anschluss daran das Verhältnis Gottes zu denen, die nicht zu den Glücklichen gehören. Eine solche exklusive Lesart hat sicher Anhalt an einigen Formulierungen des Paulus (vgl. 8,28–30), aber sie fügt sich nicht ohne Weiteres zu anderen, wie 8,18–22, in denen Paulus die Perspektive des in Christus gekommenen und die Christen jetzt schon »auf Hoffnung hin« bestimmenden Heils auf die ganze Schöpfung bezieht (ähnlich wie auch 1. Kor 15,21–28). Man kann m. E. die Ausführungen des Paulus dort keineswegs so verstehen, als ob das »ängstliche Harren der Kreatur auf die Offenbarung der Kinder Gottes« (Röm 8,19, nach der Lutherbibel) dazu bestimmt wäre, ohne positive Antwort zu bleiben. Im Gegenteil: 8,21 konstatiert ausdrücklich, dass »auch die Schöpfung selbst befreit werden wird zur Freiheit des Glanzes der Kinder Gottes«. Das würde sich auch zu Röm 11, vor allem V. 32, fügen, wo der Apostel deutlich macht, »dass allein dem Erbarmen Gottes das letzte Wort zusteht«. 20 Damit aber verschärft sich noch einmal die Frage: Warum schreibt Paulus dann Röm 9 so, wie er das tut, als einen Text, der die entscheidenden dicta probantia für die Lehre von der gemina praedestinatio, also auch für die Vorbestimmung zur Verdammnis, bereitgestellt hat? Bei den Ausführungen des Paulus ist zunächst zu beachten, dass es sich nicht um eine vom Apostel systematisch entworfene Dogmatik handelt. Paulus denkt vielmehr gerade im Römerbrief den oft so geheimnisvollen Wegen Gottes (11,33–36) nach: dem Weg seiner Offenbarung am Kreuz und dem Weg der Verstockung des Gottesvolkes, dem die Verheißungen der Väter gelten. Beides will er auf dem Hintergrund der Schrift deuten, um dort »Gott auf die Spur zu kommen«. 21 Da hatte sich ihm schon früher im Blick auf das Kreuz Jesu gezeigt, dass der am Kreuz Hängende zwar

20 21

LOHSE, Römer (Anm. 3), 324. ZELLER, Römer (Anm. 4), 202.

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verflucht ist, wie es die Schrift sagt, dass dieser Fluch aber aufgrund der göttlichen Bestätigung Jesu in der Auferstehung nun so verstanden werden muss, dass er Christus anstelle der schuldigen Menschen getroffen hat und deshalb für die Sünder Segen bewirkt (Gal 3,13). Diese Botschaft von Gottes rechtfertigendem Handeln entfaltet Paulus in Röm 1–8. In Röm 9– 11 stellt sich nun das Problem des sich der Christusbotschaft verschließenden Israel, dem die Verheißungen der Väter gelten. Paulus hatte dieses Thema im 1. Thessalonicherbrief und im Galaterbrief noch vorwiegend polemisch behandelt. Jetzt, nachdem er so deutlich die Identität des Gottes Israels mit dem Vater Jesu Christi herausgearbeitet und alles von der Verheißung Gottes und nicht von »jemandes Wollen oder Laufen« (Röm 9,16) abhängig gemacht hatte, stellt sich grundsätzlich die Frage, wie es um Gottes Treue zu seinen früheren Verheißungen und damit um seine Treue angesichts des menschlichen Abfalls steht. Darauf bezieht sich die eingangs skizzierte Argumentation: die Unterscheidung zwischen dem Israel der Abstammung und dem Israel der Verheißung sowie die Betonung der Souveränität des göttlichen Erwählungshandelns. Hier bringt der Apostel entschieden zur Geltung, was oben zur Vaterschaft gesagt wurde: Der Vater ist der in keiner Weise gebundene Gott, auch nicht an die leiblichen Nachkommen des von ihm erwählten Volkes. Das Täuferwort, dass Gott dem Abraham aus Steinen Kinder erwecken kann (Lk 3,8 par. Mt 3,9), würde wohl auch Paulus unterschreiben können. Dass die Freiheit Gottes gerade mit dem Bild des Töpfers begründet wird, liegt wohl wieder an der Schrift, wo dieses Bild sogar in der Verbindung mit der Rede von Gott als Vater verwendet wird (Jes 64,7), auch wenn beim Propheten der Rekurs auf den Schöpfer dessen Verpflichtung für die von ihm Geschaffenen betont, während bei Paulus die Pointe gerade in seiner Unabhängigkeit besteht. Gottes Gnade, das unterstreicht es, ist nicht einklagbar, auf sie hat niemand ein Anrecht. Allerdings ist, wie gesehen, Gott als Vater nicht nur der von aller Gebundenheit Freie, sondern auch der sich in Freiheit Bindende. Es ist daher bezeichnend (und hier steht auch der Töpfer letztlich unter dem Vorzeichen des in Röm 1–8 vorgestellten Vaters), dass die Verteidigung der absoluten Freiheit Gottes nicht das letzte Wort ist. Paulus zeigt vielmehr im Folgenden, dass Gottes verstockendes Handeln nicht Willkür war, sondern dass sich darin auf verborgene Weise der Heilswille Gottes durchsetzte, indem »durch ihren [sc. Israels] Fehltritt das Heil zu den Heiden« kommt (11,11), und dass auf diesem Umweg das Erbarmen Gottes sich zuletzt wieder seinem Volk zuwendet (11,31). Gott hat alle in Unglauben eingeschlossen, damit er sich über alle erbarmt. (Röm 11,32)

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Dieses Resümee bedeutet nicht einfach ein »Ende gut, alles gut«. 22 Der Satz, dass Gott alle unter den Unglauben eingeschlossen hat, hält noch einmal fest, was der ganze Brief betont hatte, dass nämlich die Menschheit Gott fern, ja feind ist und niemand zu Gott kommen kann. Vater ist Gott nur als der, welcher diese Feindschaft überwindet, indem er sie im Sohn selbst erträgt, also im Wunder der Gnade. »Hier ist der verborgene, der unbekannte, der unbegreifliche Gott, dem kein Ding unmöglich ist, Gott der Herr, der als solcher unser Vater ist in Jesus Christus.«23

22

Vgl. H. L IETZMANN, An die Römer (HNT 8), Tübingen 41933: »Mit diesem tröstlichen und fröhlichen Ergebnis endet die c. 9 begonnene Untersuchung«. 23 K. B ARTH, Der Römerbrief, 11. unveränderter Nachdruck der neuen Bearbeitung von 1922, Zürich 1940, 407.

Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne I. »Schmecken und sehen« Die Frage nach der Sinnlichkeit im Bereich der Bibel entspricht dem verbreiteten Bedürfnis nach unmittelbarer, »konkreter«, »ganzheitlicher« Erfahrung. Das ist durchaus zu bejahen, wenn denn Exegese das Bemühen ist, das Zeugnis der Bibel mit gegenwärtiger Wirklichkeitswahrnehmung ins Gespräch zu bringen. Ein Gespräch aber, sofern es nicht zum kaschierten Monolog verkümmern soll, ist nur möglich zwischen unterschiedenen Partnern. In diesem Sinn ist Exegese zugleich Anwalt des biblischen Textes auch in seiner Andersartigkeit und Fremdheit. Das wird hier gleich eingangs so deutlich betont, weil die Versuchung nicht gering ist, die lange Tradition christlicher Problematisierung der menschlichen Sinne und Sinnlichkeit dadurch kompensieren zu wollen, dass man nun – im Kontext unserer Erlebnisgesellschaft – durch eine entsprechende Auswahl einschlägiger biblischer Passagen ebendiesen Sinnen einen bevorzugten Platz in der religiösen Erfahrung einräumt. Was es damit auf sich hat, wird im Folgenden zu untersuchen sein. Vorab sei gegenüber einer allzu sinnenfreudigen relecture der biblischen Texte nur daran erinnert, dass die hebräische Bibel mit ihrem Bilderverbot – im schroffen Gegensatz zu den sie umgebenden Religionen orientalischer wie hellenistischer Provenienz – der Anschauung als einem zentralen sinnlichen Zugang zur Gottheit zumindest sehr reserviert gegenübersteht. Denn das Bilderverbot markiert nicht nur die äußere Abgrenzung gegenüber fremden Kulten, sondern mit ihm verbindet sich ein qualitativ anderer Gottesbezug. Stellt man doch nicht einfach das eigene Gottesbild neben die fremden Bilder, sondern verbietet – unseres Wissens analogielos – überhaupt jede bildliche Darstellung Gottes, um der Gefahr der unangemessenen Verendlichung des Herrn und Schöpfers der Welt zu begegnen (vgl. Jes 40,12–25; 46,5–9; Röm 2,19–25) bzw. umgekehrt einer Divinisierung weltlicher Phänomene zu wehren (vgl. Ex 20,4f.; Dtn 5,8f.). Wegen dieser unausweichlichen Vergegenständlichung des Bildes und deren Unangemessenheit im Blick auf Gott ist auch nicht das Auge zentrales Sinnesorgan des alttestamentlichen Glaubens, sondern das Ohr als Empfänger des erschließenden Wortes. »Höre, Israel« – so beginnt denn

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auch das bis heute zentrale jüdische Bekenntnis (Dtn 6,5). J HWHs Medium ist das Wort, nicht das Bild. Das Bilderverbot wahrt also die Unverfügbarkeit und damit auch die Freiheit des persönlich begegnenden Gottes. Das bleibt auch so im Neuen Testament: Der Glaube und die Unsichtbarkeit Gottes gehören zuhauf (vgl. Joh 1,18; Röm 8,24; Hebr 11,1). Zwar kann der Hymnus des Kolosserbriefes Christus als »Bild des unsichtbaren Gottes« preisen (Kol 1,15), doch die Vermittlung dieses »Bildes« geschieht bezeichnenderweise nicht durch das Auge, sondern durch das Ohr und hat Treue und Dienst zur Folge (Kol 1,23). Und die Pointe der ›sinnlichsten‹ Auferstehungsgeschichte, die vom ungläubig die Wunden betastenden Thomas, endet ja bekanntlich mit der milden Zurechtweisung des Zweiflers und der korrespondierenden Seligpreisung derer, »die nicht sehen und doch glauben« (Joh 20,29). Auch als Inkarnierter ist der biblische Gott nur in der persönlichen Begegnung zugänglich, als sich selbst mitteilendes Subjekt und gerade nicht als be-greifbares Objekt. Wurzelt so das Bilderverbot im biblischen Gottesglauben, so fällt auf der anderen Seite auf, dass die Bildlosigkeit mitnichten die menschliche Sinnlichkeit aus der religiösen Erfahrung ausblendet. Im Gegenteil: Wer mit offenen Augen in die biblischen Schriften blickt, dem fällt auf, dass sie im Zusammenhang der Beziehung zum bildlosen Gott ganz unbefangen in Metaphern sprechen können, die alle Sinne des Menschen mit einbeziehen: Vom Schmecken seiner Freundlichkeit ist da die Rede (Ps 34,9; 1. Petr 2,3) und vom Ertasten Gottes (Apg 17,27), vom Hören natürlich und auch vom Sehen: In Christus wird dieser unsichtbare Gott – wenn auch sub contrario – sichtbar (Joh 1,18; Hebr 1,3 u. ö.) und so sogar darstellbar, wie die Kreuze in unseren Kirchen zeigen. Selbst die Nase wird aus der Interaktion Gott-Mensch nicht ganz ausgeschlossen (vgl. 2. Kor 2,14–16), und der johanneische Christus spricht ganz direkt vom Essen seines Fleisches und vom Trinken seines Blutes (Joh 6,52– 58). Der bildlose Gott wird also durchaus ›mit Leib und Seele‹ aufgenommen. Dass uns dies fremd erscheint, hat nicht zuletzt mit geistesgeschichtlichen Entwicklungen zu tun, die im Gefolge der Akkulturation des jüdischchristlichen Glaubens an die hellenistisch-römische Welt den christlichen Umgang mit den menschlichen Sinnen geprägt haben. Es ist hilfreich, sich diesen Hintergrund zumindest holzschnittartig zu vergegenwärtigen, um unser eigenes, nicht eben unkompliziertes Verhältnis zu dieser Materie zu durchschauen. In der orientalisch und hellenistisch geprägten Mittelmeerwelt, in der Götterstatuen allgegenwärtig waren und nicht nur eine zentrale religiöse, sondern auch eine wichtige politische und soziale Bedeutung hatten, blieb die Besonderheit der anschauungslosen jüdischen und christlichen Gottes-

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verehrung nicht unbemerkt. Sie fiel auf, und zwar in erster Linie negativ. Die Ablehnung verdichtete sich in der Anschuldigung der »Gottlosigkeit« sowie – weil die religiöse Besonderheit auch soziale Folgen hatte – im parallelen Vorwurf des »Menschenhasses«. Typisches Beispiel ist Tacitus, der im Kern die gleichen Vorwürfe gegen Juden (vgl. Hist. V,5) wie Christen (vgl. Ann. XV,44) erhebt. Es gab jedoch besonders in frühhellenistischer Zeit auch gebildete Griechen, die den bildlosen jüdischen Kult als eine »philosophische« Gottesverehrung respektierten. So nennt der Aristotelesschüler Theophrast die Juden ein »Philosophengeschlecht« (De pietate, bei Porphyrios, De abst. II,26). Nach einer Ausführung, die vermutlich auf den genialen Poseidonios zurückgeht, haben die Juden gar mit ihrer bildlosen Gottesverehrung als einziges von allen Völkern die ursprüngliche, wahre Gotteserkenntnis beibehalten (Strabon XVI,2,35). Jene Philosophen verstanden also den jüdischen Kult als eine der menschlichen Vernunft entsprechende Gottesverehrung. Für die in der hellenistisch geprägten Welt unter Anpassungszwang stehenden und um Anerkennung ihrer Besonderheit ringenden Juden waren diese wohlwollenden philosophischen Deutungen eine Chance, den Glauben der Väter auch im neuen Kontext verständlich zu machen. Die Synthese zwischen biblischem Glauben und griechischem Denken, die das christliche Abendland ermöglichte, wurde hier vorbereitet. Ohne diese großartigen Leistungen der alexandrinischen Juden schmälern zu wollen, ist doch auch zu sehen, dass sich diese philosophische Anerkennung insofern als Danaergeschenk erwies, als damit die bildlose Gottesverehrung, die die Unverfügbarkeit und Freiheit des begegnenden Gottes sichern will, nun im Sinne einer »vernünftigen« Gottesverehrung interpretiert wird. Das Verständnis Gottes orientiert sich zunehmend an der ewigen Wirklichkeit »jenseits des Seienden« (Platon, Rep. VI,509b), die nur der Vernunft zugänglich ist und im Gegensatz zu der vom Irrtum beherrschten Welt der Erscheinungen steht. Mit der Angleichung an diese Metaphysik drang in das Gottesverständnis des Frühjudentums (wie auch in das des ihm hier folgenden Frühchristentums) eine Abwertung der sinnlich erfassbaren Wirklichkeit und damit auch der sie wahrnehmenden Sinne ein. Die körperlichen Sinne galten nur mehr als Quelle allen Irrtums, der von der göttlichen Wahrheit wegführt. Das hatte dann auch unmittelbare Konsequenzen für das Menschenbild und die Ethik, insofern der Leib und die menschliche Sinnlichkeit überhaupt negativ qualifiziert werden. Schon Platon hatte Leib und Sinnlichkeit als Quelle des Irrtums und der Verirrungen der göttlichen Bestimmung der Seele entgegengesetzt (vgl. Phaidon 79c–80b), und im Mittleren Platonismus sowie erst recht im Neuplatonismus verstärkte sich diese Abwertung alles Sinnlichen und Leiblichen noch: »Es ist unmöglich, dass derselbe

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einerseits Gott und andererseits die Lust und den Körper liebt … Deshalb muss man jeden, der den Körper liebt, wie einen Gottlosen und Befleckten von sich weisen« (Porphyrios, Ad Marcellam 14). Der Leib wird hier gerade zu dem Feind des Menschen, den er bis zur Verstümmelung bekämpfen muss (ebd., 33f.). Während dieser antisinnliche Zug der antiken Metaphysik durch die Anschaulichkeit der allgegenwärtigen Götterstatuen ausbalanciert wurde, in denen auch viele Philosophen eine Spiegelung der göttlichen Harmonie und Erhabenheit sehen konnten, fehlt im Judentum wie im frühen Christentum dieses Gegengewicht. Bildlosigkeit wird zum Synonym für »reine« Geistigkeit, wobei diese »Reinheit« gerade in der Antithese zu allem sinnlich Wahrnehmbaren besteht. So ist dann für den – auch für die Herausbildung der christlichen Theologie bedeutsamen – jüdischen Religionsphilosophen Philon von Alexandria (ca. 20 v. Chr. bis nach 40 n. Chr.) nunmehr der körperlose Geist beziehungsweise die unkörperliche Idee des Menschen ein Ebenbild Gottes (Opif. 69.134), und der »Sündenfall« besteht konsequenterweise auch nicht mehr in der Überhebung des ganzen Menschen gegen Gott, sondern in der »Wollust des Körpers« (ebd., 152). Mit dieser Verlagerung des Bösen in das Leibliche und vor allem in die Sexualität wird dann auch – ein klassischer Fall von Projektion – die Frau zum Anlass (ebd., 151.156) und so zuletzt zur Hauptschuldigen des »Sündenfalls« (Sir 25,32; 1. Tim 2,14). Gegenüber dem älteren biblischen Zeugnis ist dies eine nicht unbedeutende Akzentverschiebung, die viel zur Abwertung alles Körperlichen und somit auch der menschlichen Sinne beigetragen hat. Ihren Höhepunkt erreicht diese Entwicklung im zweiten Jahrhundert gerade in dem stark philosophisch geprägten Zweig des frühen Christentums, in der Gnosis. Dieser erschien die körperliche Welt als so minderwertig und gottfern, dass man sie nicht einmal mehr als Gottes Schöpfung gelten lassen wollte, sondern im Gegenteil in ihr den Bereich des Bösen sah. Auch wenn die Kirche im antignostischen Kampf durch die Betonung der Geschöpflichkeit der Welt solcher blanken Verteufelung der leiblichen und sinnlichen Wirklichkeit einen Riegel vorgeschoben hat, so hat sie sich doch der (spät-)antiken Abwertung der Sinnlichkeit im Bereich der Erkenntnis und der Ethik nicht ganz entziehen können. Für das vorgenommene Thema ergibt sich somit eine doppelte Folgerung: Zum einen ist das Bilderverbot zu beachten als bleibend aktueller kritischer Einspruch gegen eine religiöse Überhöhung zwischenmenschlicher, gesellschaftlicher oder natürlicher Phänomene (nicht zuletzt aufgrund des Bedürfnisses nach ›konkreter‹ religiöser Erfahrung). Denn solches läuft Gefahr, den Schöpfer durch ein Geschöpf zu ersetzen. Nicht nur die Vergötzung politischer Führer und Systeme oder die heute allgegenwärtige Idolbildung, sondern auch die verschiedenen Spielarten gegenwärtiger Na-

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turmystik oder die Suche nach Übermenschlichem in der eigenen Innerlichkeit markieren solche Versuche, des Göttlichen unmittelbar habhaft zu werden. Andererseits ist es ein legitimes Anliegen, nach dem Stellenwert der menschlichen Sinne als unverzichtbarem Bestandteil des ganzen Menschen gerade auch in der Interaktion Gott-Mensch zu fragen. Die Ausblendung der sinnlichen Bezüge aus dem Gottesverhältnis ist jedenfalls nicht biblisch, sondern in der Akkulturation an die hellenistisch geprägte Welt begründet. Eine Aufarbeitung des gesamten Komplexes steht noch aus und ist hier nicht einmal ansatzweise möglich. Das Folgende beschränkt sich auf einige Beobachtungen zu der Art und Weise, wie biblische Texte im Zusammenhang der Begegnung von Gott und Mensch von den fünf Sinnen reden. Unter den Überschriften »Gott und die Nase«, »Gott und der Gaumen«, »Gott und die Haut«, »Gott und das Ohr« sowie »Gott und das Auge« sollen Anregungen zur Wahrnehmung eines oft übersehenen Aspektes der biblischen Rede von Gott gegeben werden.

II. Gott und die Nase Die Nase ist von allen Sinnesorganen dasjenige, welches man auf den ersten Blick am wenigsten mit der Gottesbeziehung in einen Zusammenhang bringen würde. Ein Blick in die Konkordanz zeigt jedoch, dass dies ein Vorurteil ist. Zwar wird man nicht sagen können, dass dem Geruchssinn in der Bibel eine zentrale Bedeutung zukomme, aber andererseits gibt es doch eine nicht ganz unbeträchtliche Anzahl von Stellen, die in einem theologischen Zusammenhang vom Geruch sprechen, und zwar sowohl von Gottes Riechen wie von dem der Menschen. Es ist hilfreich, zum Aufschlüsseln dieser Bildsprache ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Geruchssinn vorauszuschicken. Für viele Tiere ist gerade dieser Sinn außerordentlich wichtig, etwa für die Nahrungssuche oder zum Wahrnehmen nahender Gefahren. Darüber hinaus aber – und das wird gerne übersehen – ist der Geruchssinn zentral für die soziale Interaktion vieler Tiergemeinschaften. Am ›Stallgeruch‹ wird die Zugehörigkeit zu einer Familie, einem Rudel oder einem Schwarm erkennbar. Gegenseitiges Beriechen begründet deshalb Bindungen oder stabilisiert sie (zum Beispiel Mutter-Kind). Duftmarken sollen entweder Partner anlocken oder Konkurrenten abschrecken. Durch den Geruch vermittelt man sich also einem Gegenüber, bzw. man nimmt selbst einen anderen wahr, und zwar qualifiziert als Freund oder Feind. Wenngleich beim Menschen der Geruchssinn vergleichsweise unterentwickelt ist, ist gerade seine soziale Bedeutung auch im zwischenmenschlichen

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Bereich nicht unbekannt, wie verschiedene sprachliche Ausdrücke zeigen. So drückt die gebräuchliche Wendung, dass ich jemand »nicht riechen kann«, eine besonders heftige Ablehnung aus. Was ich nicht mag, das »stinkt mir«, davon habe ich »die Nase voll«, und was besonders übel ist, »stinkt zum Himmel«. Gerade durch den Bezug auf den Geruch wird also eine ganz elementare Antipathie auf den Begriff gebracht. Umgekehrt weckt der Wohlgeruch Sympathie. Und weil Schweiß- und Mundgeruch nicht eben anziehend wirken, lebt eine ganze Branche ausgesprochen gut davon, für des Menschen Leib angenehmere Gerüche herzustellen. Wie die Kosmetik eine Person für das Auge akzeptabler machen soll, so das Parfüm für die Nase. Sympathie und Antipathie haben offenbar mehr mit dem Geruch zu tun, als man sich das gemeinhin bewusst macht (vgl. P. Süskind, Das Parfum). Auch in der Bibel ist dieses Phänomen der durch die Nase vermittelten Sympathie oder Antipathie nicht unbekannt. So werfen in Ex 5,21 die beim Pharao in Ungnade gefallenen Aufseher Mose und Aaron vor, dass sie durch die Intervention der beiden »bei dem Pharao und seinen Dienern in so üblen Geruch gebracht« wurden. Und dem murrenden Volk wird in Num 11,18–20 Fleisch zugesagt, »bis ihr’s nicht mehr riechen könnt und es euch zum Ekel wird«. Bei Paulus findet sich in 2. Kor 2,14–16 die aufregendste, aber auch schwierigste Ausführung zu diesem Thema. Hymnisch wird dort Gott gepriesen, der »uns stets im Triumphzug in Christus mitführt und den Geruch seiner Erkenntnis durch uns mitteilt an jedem Ort« (2,14). Die Wirkung dieses »Geruchs seiner Erkenntnis« ist allerdings eine zweifache, je nach Empfänger: »Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, und unter denen, die zugrunde gehen. Den einen ein Geruch aus dem Tod zum Tod, den andern ein Geruch aus dem Leben zum Leben« (2,15f.). Bemerkenswert ist, dass die Wirkungsweise der göttlichen Selbstmitteilung mit der Metapher der Geruchswahrnehmung beschrieben wird: Gott selbst wird mit der Nase wahrgenommen! Der Hintergrund dieser Vorstellung ist kaum mehr zu erhellen. In der exegetischen Literatur wird immer wieder darauf verwiesen, dass es im Frühjudentum eine Tradition gibt, die in Anlehnung an die im Kult erzeugten Wohlgerüche (Weihrauch) die göttliche Präsenz als Wohlgeruch aufgefasst hat (so wie ja auch teuflische und dämonische Präsenz nach dem Volksglauben am Schwefelgestank erkennbar ist). Vielleicht ist hier auch konkret an einen beim Triumphzug mitgeführten Weihrauchkessel gedacht. Damit wird freilich nur ungenügend erklärt, warum dieser Geruch auf die unterschiedlichen Adressaten in so gegensätzlicher Weise wirkt. Oder liegt hier ein Anklang an die Opfersprache (siehe unten) vor? Was aber könnte damit gemeint sein? Mehr als durch ungesicherte Ableitungsversuche ist dem Verständnis dieses Abschnittes mit der Beobachtung gedient, dass Paulus von solch einer doppelten, entgegengesetzten Wirkung dersel-

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ben Sache gerade dort spricht, wo es um die Wirkung der Verkündigung des sich in der Niedrigkeit des Kreuzes offenbarenden Gottes geht (vgl. 1. Kor 1,18–25). Nun geht es ja auch in unserem Abschnitt um die Vermittlung der Gotteserkenntnis (2,14). Indem deren Wirkung mit der eines (Wohl-)Geruchs verglichen wird, kann der Apostel zum einen deutlich machen, dass Gottes Offenbarung in der Gemeinde nicht bei sich bleibt, sondern ausströmt, den Raum durchdringt, »an jedem Ort« (2,14) wirkt. Zugleich aber will er offensichtlich auf die die ganze Person auch in ihren Affekten, ihrem Unterbewusstsein, umgreifende, »ganzheitliche« Wirkung dieser Mitteilung abheben, die dem Inhalt der Offenbarung entsprechend gegensätzlich ist: Während die einen in der Existenz der Gemeinde dem Gott begegnen, der seine Kraft in der Schwachheit offenbart, sodass ihnen hier der Frühlingsduft des den Tod überwindenden, neu knospenden Lebens entgegenweht, erscheint anderen die Verehrung Gottes im Gekreuzigten als Negation des Lebens und seiner Würde (mit dementsprechend pervertierter Ethik und Religiosität). Ihnen sticht folglich in der auf das Kreuz ausgerichteten Gemeinschaft nur modriger Verwesungsgeruch (wenn nicht gar ekliger Leichengestank) in die Nase. »[N]icht daß man gegen sie [sc. die ersten Christen] auch nur einen Einwand nötig hätte … Sie riechen […] nicht gut.«1 In ebendieser unmittelbaren, elementaren Reaktion – gewissermaßen auf Gottes eigenen Geruch – entscheidet die Person dann auch über sich selbst: Dem einen eröffnet sich gerade da das Leben, wo dem anderen der Tod begegnet. Auch wenn die Geruchsmetapher hier zweifellos etwas strapaziert wird, ermöglicht sie es doch dem Apostel, die affektive Tiefendimension des ambivalenten Verhältnisses zu der in der Gemeinde begegnenden »Torheit des Kreuzes« auszudrücken. Eine vorwiegend positive Bedeutung hat die Rede von der Geruchswahrnehmung Gottes, die ausschließlich in der Opfersprache beheimatet ist: »Aber den Widder sollst du … in Rauch aufgehen lassen auf dem Altar; denn es ist dem HERRN ein Brandopfer, ein wohltuender Geruch, ein Feueropfer für den HERRN« (Ex 29,17f.). Insgesamt 43-mal findet sich im Alten Testament diese feste Wortverbindung, die hier mit »wohltuender Geruch« wiedergegeben ist. Was immer dahinter an religionsgeschichtlichen Vorstellungen steht (Götterspeisung durch Opfer; vgl. Gilgamesch XI 159–161) – in der Bibel scheint damit ein durchaus sinnliches (gar ›schnüffelndes‹?) Behagen Gottes an den menschlichen Gaben ausgedrückt zu werden. Solches ist 1 F. NIETZSCHE, Der Antichrist 46, in: DERS., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, herausgegeben von G. C OLLI/M. MONTINARI, Band 6, München 1980, 223; vgl. 59 (S. 248).

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keineswegs selbstverständlich. Die Bibel kennt durchaus auch einen göttlichen Widerwillen gegen den Opfergeruch als Begleiterscheinung seiner Abwendung und damit des Unheils: »Und ich will eure Städte wüst machen und eure Heiligtümer verheeren und will den lieblichen Geruch eurer Opfer nicht mehr riechen« (Lev 26,31; vgl. Am 5,21). Insofern ist das göttliche Wohlgefallen am Opfer immer Ausdruck seiner zuwendenden Wahrnehmung der Geber und begründet oder bestätigt somit die positive Beziehung zu den Opfernden. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, die Implikationen dieses Anthropomorphismus für das Gottesverständnis zu durchdenken, zumal diese sensorische Empfänglichkeit nach dem biblischen Zeugnis den lebendigen Gott von den toten Götzen unterscheidet, zu deren Charakteristika es unter anderem gehört, dass sie eben nicht riechen können (Dtn 4,28; Ps 115,6). Wir müssen uns hier mit dem vergleichsweise bescheidenen Ergebnis begnügen, dass mit der Geruchsmetaphorik die affektive und damit auch die persönliche Komponente der göttlichen Zuwendung (bzw. Abwendung) unterstrichen wird. Die Metapher vom »wohlriechenden (Opfer-)Duft« (so in der Septuaginta) wird dann auch im Neuen Testament noch zweimal aufgenommen. In Eph 5,2 wird sie auf die in der Liebe begründete Selbsthingabe Christi als Opfer bezogen, in Phil 4,18 wird die Gabe an Paulus als gottgefälliges Opfer und »lieblicher Geruch« bezeichnet. Auch wenn es sich hier um die Übernahme einer formelhaften Wendung aus dem Alten Testament handelt, wird damit doch das göttliche Wohlgefallen auf besonders intensive Weise zum Ausdruck gebracht.

III. Gott und der Gaumen Wie die Nase ist auch der eng mit ihr verbundene Gaumen nicht eben ein prominentes Organ der religiösen Wahrnehmung. Doch schon das aus der Abendmahlsliturgie vertraute Psalmwort »Schmecket und sehet, wie freundlich der HERR ist« (Ps 34,9) zeigt, dass die Frage nach »Gott und Gaumen« so abwegig nicht ist, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Wieder ist es hilfreich, sich dieser Metaphorik auf dem Umweg über unsere Alltagserfahrungen anzunähern. Durch den Mund nehmen wir Dinge der Außenwelt in uns auf, die uns am Leben erhalten und wachsen lassen. Da aber keineswegs alles zuträglich ist, auch wenn es dem Auge so scheint (Pilze, Beeren etc.), haben die auf der Zunge und im Rachenraum angesiedelten Geschmackszellen die Funktion einer sensorischen Letztinstanz bei der Beurteilung dessen, was man dem Körper zuführen kann oder gar zuführen sollte und was man besser wieder ausspuckt, weil es unbekömmlich oder gar schädlich ist.

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Mag diese Funktion wegen der zunehmenden Bearbeitung der Speisen durch die unterschiedlichsten Gewürze und Zubereitungsarten sowie durch die kulturelle Überformung unseres Geschmacks teilweise gestört sein, so ist sie doch keineswegs gänzlich außer Kraft gesetzt. Noch immer werden viele Schadstoffe schon aufgrund ihres Geschmacks als unangenehm bis unerträglich wahrgenommen, und deshalb wird ihre Aufnahme abgelehnt. Doch nicht nur als Kontrolleur hat der Gaumen vitale Bedeutung, sondern auch als Animateur: Regt der Wohlgeschmack doch den Appetit und damit die lebenserhaltende Nahrungsaufnahme an, sodass der Gaumen auch mit dem Begehren engstens verbunden ist (wenn mir etwa das Wasser im Mund zusammenläuft). Dabei steuert der Körper durch Geschmack und Begehren auch sein Bedürfnis nach bestimmten Stoffen wie beispielsweise Salz. Dass solche Überlegungen über die biologische Funktion des Geschmackssinns auch dem Frühjudentum nicht fremd waren, zeigt ein Text wie das Testament Ruben, dem zufolge zu den Geistern, die die schöpfungsmäßige Grundausstattung des Menschen bilden, auch ein »Geist des Geschmacks« gehört, »mit dem der Genuss von Speisen und Getränken auftritt. Und die Kraft wird durch ihn geschaffen, denn in den Speisen ist die Grundlage der Kraft« (2,7). Gerade aus dem Bereich der Geschmacksempfindung hat unsere Umgangssprache eine Vielzahl von Bildern zum Beschreiben von qualifizierten Erfahrungen übernommen: Ein Vergnügen wird »schal«, eine Niederlage ist »herb«, eine unangenehme Sache stößt mir »sauer« auf, eine Verleumdung ist »widerlich« und das Todesgeschick »bitter«. Umgekehrt sind ein Baby oder ein kleines Tier, die besonders unsere Brutpflegeinstinkte affizieren, »süß«. Eine Arbeit »schmeckt mir« (oder auch nicht). Wer über ein kulturentsprechendes ästhetisches Urteilsvermögen verfügt, dem wird »Geschmack« bescheinigt, und der entgegengesetzte Vorwurf der »Geschmacklosigkeit« umfasst nicht nur den ästhetischen Bereich im engeren Sinn (Kunst und Lebensstil), sondern kann auch Defizite im sozialen Umgang bezeichnen. Bei aller Vielfalt des Ausdrucks und der Bezüge ist doch all diesen Metaphern gemeinsam, dass sie durch den Verweis auf die Geschmacksempfindung den unterschiedlichen Grad von »Bekömmlichkeit« ausdrücken, den eine Erscheinung, ein Verhalten, eine Einstellung, ein Widerfahrnis etc. haben. Die Bildsprache macht so deutlich, ob und in welcher Intensität etwas als positiv oder negativ – oder genauer: als lebensfördernd oder als lebensmindernd – erlebt wird. Es wird sich zeigen, dass dies auch für die biblische Bildsprache gilt, und das sogar in besonderer Weise. Dabei kann auf beides Bezug genommen werden – das Wohlschmeckende wie das Schlechte. Beispiel für Letzteres ist die mehrmals wiederkehrende formelhafte Wendung vom »Schmecken des Todes« (Mk 9,1; Mt 16,28; Lk 9,27; Joh 8,52; Hebr 2,9).

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Doch wie immer es um deren Herkunft bestellt ist – in jedem Fall wird damit die Unmittelbarkeit des Kontaktes mit diesem Widerfahrnis betont, möglicherweise auch seine Unbekömmlichkeit (wie unser Wort vom »bittern« Tod). Für den biblischen Zusammenhang ist weiter zu beachten, dass diese Wendung immer nur negiert begegnet, also als Heilsverheißung. Die weiteren Ausführungen werden sich auf einige aufschlussreiche Passagen konzentrieren, welche die Geschmacksmetapher positiv aufnehmen. 1. Im Alten Testament spielen Kosten und Schmecken in religiösen Zusammenhängen eine geringe Rolle. Die bekannte Ausnahme ist das eingangs zitierte Psalmwort aus unserer Abendmahlsliturgie. Dort, in Psalm 34, preist der Sänger den Gott, der für seine bedrängten Gerechten eintritt. An den Zuspruch, dass der Engel des Herrn schützend sein Lager um den Bedrängten aufschlägt (V. 8), schließt sich in V. 9 die Aufforderung an: »Schmecket und sehet, wie freundlich der HERR ist.« Wie diese optische und sensorische Kostprobe der göttlichen Güte aussieht, wird nicht erläutert. 2. Eine etwas größere Rolle spielen Geschmacksmetaphern im Frühjudentum und im Urchristentum, wo sie auch eindeutig übertragene Bedeutung haben. So kann der große alexandrinische Religionsphilosoph Philon (ein Zeitgenosse Jesu) unter Verweis auf Dtn 8,3 von der Speisung durch das göttliche Wort sprechen, wobei er diese ausdrücklich auf eine »Ernährung« des Gott entsprechenden Menschen bezieht, der im Gegensatz zur elenden, weil »nicht kostenden« Masse (Congr. 174) durch die »süße« (166f.), »allnährende Kost der Weisheit« in »Wohlergehen und Freudigkeit« lebt (174). 3. Auch der Hebräerbrief vergleicht das göttliche Wort mit einem Nahrungsmittel, wobei er zwischen Milch (für die Anfänger) und fester Speise (für die »Vollkommenen«) unterscheidet (5,12–14); 5,14 hebt in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Unterscheidungsfunktion der Sinne im Blick auf die Bekömmlichkeit (gut und böse) ab. Auf dieses Bild wird nochmals Bezug genommen in der berüchtigten Passage Hebr 6,4–6, die die Unmöglichkeit einer zweiten Buße behauptet. Der Hebräerbrief begründet dies damit, dass es unmöglich ist, »die, die einmal erleuchtet worden sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und Anteil bekommen haben am Heiligen Geist und geschmeckt haben das gute Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt und dann doch abgefallen sind, wieder zu erneuern durch Buße, da sie für sich selbst den Sohn Gottes abermals kreuzigen und zum Spott machen«. Neben Begriffe, die die existentielle Umwandlung (Erleuchtung, Teilhabe am Geist) hervorheben, tritt die zweimalige Betonung des Kostens. Durch diesen Rekurs auf den Gaumen soll offensichtlich unterstrichen werden, dass die himmlischen Gaben bereits in ihrer »Köstlichkeit« wahrgenommen und aufgenommen wurden, weshalb ein späterer Abfall für den Hebräerbrief umso unverständlicher und unverzeihlicher ist.

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4. Noch breiter werden das Bild und die damit verbundenen Vorstellungen im 1. Petrusbrief ausgeführt. Dieser hatte zunächst das Neuwerden der Existenz durch den Gottesbezug mit einer Neuzeugung (1,3) sowie dann einer Neugeburt (1,23) verglichen. Konsequent werden in 2,2 die Glaubenden als »neugeborene Säuglinge« angesprochen, d. h. als solche, die, ganz auf die Zuwendung angewiesen, nur als Empfangende leben (vgl. unser »Säugling«). Ebendeshalb aber »begehren« sie, und zwar die »vernünftige, lautere Milch« (2,2). Die etwas verkünstelte Formulierung ist in ihrer Aussage klar: Die geistliche »Speise« ist benötigtes und deshalb begehrtes Lebenselixier und wird als solches geradezu einverleibt, sodass dabei der neue Mensch – »zum Heil« – wächst. Zu diesem Begehren nach Gottes Zuwendung und dem dadurch bedingten Wachstum tritt nun als letzte Komponente noch der Wohlgeschmack hinzu: denn »ihr habt gekostet, dass der Herr liebreich ist« (2,3 in Anspielung auf Ps 34,9). Eine Anspielung auf das Abendmahl (vgl. Joh 6) ist angesichts des Milchbildes eher unwahrscheinlich. In jedem Fall ist dieser Zusatz nicht notwendig. Dennoch kommt ihm als Begründung besonderes Gewicht zu. Das ist deshalb aufschlussreich, weil sich der 1. Petrusbrief häufiger als jede andere biblische Schrift mit dem Leiden seiner Adressaten an einer sie ablehnenden Gesellschaft auseinandersetzen muss. Dennoch jammert dieses Sendschreiben nicht, sondern es preist Gott und weckt trotz aller Schwierigkeiten Freude an der Nachfolge. Dementsprechend wird hier der Glaube als ein Genießen des »liebreichen Herrn« dargestellt. Nebenbei bemerkt werden dabei mit Gott nicht nur väterliche (vgl. 1,3: Zeugung), sondern gerade beim Genuss auch mütterliche Aspekte (Ernährung durch Milch) verbunden. 5. Unverkennbar ist auch in der biblischen Bildsprache der Vitalitätsbezug: Empfänglichkeit, Einverleibung, Wachstum und nicht zuletzt Verlangen und Genuss gehören dazu. Vorzugsweise begegnet die Metapher in neutestamentlicher Zeit in Zusammenhängen, die sich auf den neuen, geistigen, inneren Menschen beziehen, der des ständigen »Stoffwechsels« mit Gott bedarf, wenn er nicht am »Tod vom Brot allein« (D. Sölle) absterben will. Dabei scheuten sich Juden und Christen nicht, vom »Kosten« und »Schmecken« Gottes und seiner Gaben zu reden. Sie rückten ihren Glauben, der sie nicht selten teuer zu stehen kam, in die Nähe von Gaumenfreuden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass auch Jesus die Freuden des Gottesreiches als Festmahl beschrieben hat (Mk 14,25 par.; Mt 8,11/Lk 13,29; vgl. auch Mt 22,1–10; Lk 14,16–23), und die Rabbinen konnten sogar über die dort aufgetischten Leckereien (einschließlich des Weins) spekulieren! Auch unser Abendmahl ist ja eine (allzu dürftige?) Vorwegnahme solcher erhofften Freuden. Wenn etwas provokativ von »geistlichen Leckereien« gesprochen wurde, so soll mit diesem dem Bereich der Geschmacks-

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empfindung entnommenen Bild deutlich gemacht werden, wie sinnlich die Ausdrucksweise hier ist. Bei aller Ernsthaftigkeit und Strenge haben Juden und Christen sich eben auch, nein: zuerst ihres Gottes gefreut, und deshalb haben sie die Zugehörigkeit zu ihm eben auch – genossen!

IV. Gott und die Haut Dinge ›be-greifen‹ und Nähe ›spüren‹ In der Haut befinden sich die Sinneszellen des Tastsinns. Besonders zahlreich in der Hand (und dort in den Fingerspitzen), nehmen sie Berührungsreize wahr und ermöglichen so, Gegenstände in ihrer Konsistenz, Oberflächenstruktur und Dreidimensionalität zu erleben, sie zu be-greifen. Damit ergänzt der Tastsinn das Auge; im Extremfall (Finsternis, Blindheit) kann er dieses auch teilweise als Wahrnehmungs- und Orientierungsorgan ersetzen. Neben diese Erkenntnisfunktion im Blick auf Gegenstände kommt der Berührung (und deren Wahrnehmung) auch eine zentrale Bedeutung in der persönlichen Begegnung zu – vom Händedruck bis zur Umarmung. Das gilt für den Berührten wie für den Berührenden – durch die Hand, durch den Arm, durch die Haut des ganzen Leibes kommt es zu einer unvergleichlichen Intensität der Nähe (weshalb wohl im Hebräischen das Wort jd ʽ, »erkennen«, auch das emotionale Kennenlernen bis hin zum Geschlechtsverkehr bezeichnet). Die Berührung hat geradezu etwas Magisches an sich, wie alle Liebenden und Geliebten (nicht nur die Pärchen) wissen: ein um die Schulter gelegter Arm – und die Tränen versiegen, der Niedergeschlagene fasst neuen Mut. Ein Tier zum Streicheln – und ein verstörtes Kind entspannt sich, lächelt bald wieder. Ein kurzes Streifen im Vorübergehen, ein Streichen über das Haar – im eingespielten Löwenrudel wie in der erprobten Ehe das vergewissernde Signal: Wir stehen zusammen. Neben dem Wort kann die Berührung die unmittelbarste Brücke zum Du sein, Gemeinschaft stiftend und Kraft einflößend, beruhigend und belebend in einem. Eben wegen dieser intimen Kraft bedarf die Berührung auch in besonderem Maße der Behutsamkeit und des gegenseitigen Einverständnisses. Ihren Zauber entfaltet sie nur in einer Atmosphäre der Zuneigung und des Vertrauens. Wo solches fehlt, ist Berührung nur zudringliches Betätscheln oder Begrapschen – und solches ist nicht nur in sexuellen Zusammenhängen widerlich. In der Bibel kann die Berührung beides sein: Be-greifen der Gegenständlichkeit einer Sache und Vermittlung von Nähe. Ersteres findet sich etwa in Lk 24,39, wo der Auferstandene seine Jünger auffordert, sich auch

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durch das Betasten von seiner Wirklichkeit zu überzeugen. Ähnlich betont 1. Joh 1,1 angesichts der Bestreitung der Realität der Menschwerdung (vgl. 2. Joh 7), dass das »Wort des Lebens« auch wirklich erschienen ist und nicht nur gehört und gesehen, sondern auch »mit Händen betastet« wurde. Wichtiger aber ist auch in biblischen Zusammenhängen der zweite Aspekt der Berührung, die Herstellung persönlicher Nähe. Dies soll hier an Jesu Verhalten gezeigt werden. »… und er rührte ihn an«. Heilung und Heil durch Berührung bei Jesus Wenn man die Evangelien mit einem geschärften Blick für das Phänomen der Berührung durchliest, ist man überrascht, wie oft Jesus Menschen berührt. Neben dem zusprechenden Wort scheint die Berührung ein zentraler Modus der Zuwendung Jesu zu den Menschen gewesen zu sein. Besonders häufig findet sich dies im Zusammenhang von Krankenheilungen, wo Jesus die Hilfesuchenden anrührt (Mk 1,31 par.; 7,33; 9,27 par.; vgl. Lk 22,51) und sich dabei auch vor Schwerkranken wie etwa Leprösen (Mk 1,41 par.) und sogar vor Toten (Mk 5,41 par.; Lk 7,14) nicht scheut. Umgekehrt wird auch Jesus häufig von Hilfesuchenden angefasst (Mk 5,27–31 par.; 6,56 par.; Lk 6,19) oder um Berührung gebeten, sei es zum Zweck der Heilung (Mk 3,10 par.; 5,23 par.; 8,22) oder der Segnung (Mk 10,13 par.). Dahinter stehen sicher auch magische Vorstellungen, wie etwa die heimliche »Kraftanzapfung« in Mk 5,25–34 zeigt. Angesichts der »magischen« Wirkung von gelingenden Berührungen sollte man freilich mit vorschnellem aufgeklärten Naserümpfen vorsichtig sein. Vor allem aber darf man sich durch das zeitgenössische Gewand nicht vom eigentlichen Kernpunkt dieser Handlungen Jesu ablenken lassen: Durch die Berührung überwindet Jesus die tiefe Entfremdung des Kranken von seiner Umgebung und vermittelt Zuwendung und Gemeinschaft. Besonders wichtig ist dies nicht zufällig bei den unheilbar Kranken, deren religiöse Verurteilung und soziale Isolation etwa beim Aussatz die Leiden der Krankheit noch potenzierte. Es ist dies – man soll sich da nicht täuschen – keineswegs nur ein antikes Phänomen. Auch unsere ›aufgeklärte‹ Gesellschaft verdrängt Krankheit und Tod aus ihrem Bewusstsein und damit die Kranken aus ihrer Mitte. Das geht bis dahin, dass man Todkranke nicht mehr berühren möchte (von Toten ganz zu schweigen). Dabei wird dieser Ab- und Ausgrenzungsmechanismus nicht selten noch durch moralische (AIDS) oder psychologische (Krebs) Unterstellungen legitimiert, wodurch dem Kranken wie zu Jesu Zeiten die Schuld für seine Krankheit selbst zugeschoben wird. In solchen Zusammenhängen kann man zumindest erahnen, wie unendlich wohltuend die scheinbar so geringfügige Geste ist, dass Jesus die Kranken berührt und sich dabei selbst vor den Leprakranken nicht ekelt.

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Damit wird nicht nur Kraft übertragen, sondern auch die »Unberührbarkeit« der Kranken gezielt durchbrochen und werden diese als Personen wieder anerkannt. Dabei ist zu beachten, dass solches nicht durch den Privatmann Jesus geschieht (wenngleich auch das nicht nichts wäre!). Nach dem Zeugnis der Evangelien handelt hier der Messias und Gottessohn. In seiner Berührung wird folglich Gottes eigene Zuwendung bis ins Leibliche hinein erfahren, was nicht nur körperliche Folgen hat (Heilung), sondern auch religiöse und soziale (erneute Eingliederung in Gottes Volk). Die Berührung der ›Unberührbaren‹ gehört somit zu Jesu Botschaft und Auftrag. Es wäre einer Überlegung wert, inwiefern solches Berühren etwa in der Seelsorge an Kranken noch mehr zur ›Leibhaftigkeit‹ unserer Verkündigung beitragen könnte. Sinnvoll ist dies wohl vor allem in einem ritualisierten Zusammenhang, etwa beim Segensgestus, der jeden Eindruck von Zudringlichkeit ausschließt.

V. Gott und das Ohr »… den Logos aber hat nur der Mensch unter den Lebewesen« – der homo sapiens als Wesen des Wortes Wie alle anderen Sinne dient auch das Gehör zunächst dem Erfassen der Außenwelt. Das Spezifikum des akustischen Vermögens ist es, dass es durch die Wahrnehmung von Schallwellen erfolgt. Damit aber ist dieser Sinn wie kein anderer auf Ereignisse bezogen; denn Schallwellen werden nur ausgesandt von Gegenständen, die sich bewegen oder bewegt werden. Zum einen sind dies Bewegungen, durch welche Lebewesen oder Gegenstände (meist unabsichtlich) mit anderen in Berührung kommen und so ein Geräusch erzeugen, das dann etwa einem Tier den anschleichenden Räuber anzeigt. Mindestens ebenso bedeutsam aber sind die Laute, die absichtlich von einem Lebewesen erzeugt werden, um durch Zirpen, Summen, Brummen, Rasseln, Zischen, Quaken, Zwitschern, Blöken, Wiehern, Fauchen, Schnauben, Bellen, Heulen, Schreien oder Kreischen sich anderen Lebewesen – vorzugsweise Artgenossen – in einer bestimmten Absicht mitzuteilen. Besonders bei uns Menschen ist das Ohr (zusammen mit der Zunge als »Sender«) das Kommunikationsorgan schlechthin. Deutlicher als jeder andere Sinn dient es über die bloße Wahrnehmung der Außenwelt hinaus dem wechselseitigen Austausch, der gezielten Kommunikation durch akustische Signale. Schon biologisch ist ja der Aufstieg des »Mängelwesens« homo sapiens zur weltbeherrschenden und weltverändernden Spezies nicht erklärbar ohne seine Fähigkeit, gerade auf akustischem Wege eine hochdifferenzierte Kommunikation und im Zusammenhang damit dann auch das entsprechende sprachbestimmte Denkvermögen auszubilden.

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Das griechische Wort »Logos«, das sowohl »Wort«, »Rede«, »Gespräch« wie auch »Überlegung«, »Argument«, »Grund«, »Denkvermögen« und »Vernunft« bedeutet, spiegelt etymologisch diese Einsicht wider, dass unser Sprach- und unser Denkvermögen unmittelbar zusammenhängen, dass Wort und Gedanke, Reden und Denken einander bedingen. Wenn daher Aristoteles sagt: »Den Logos aber hat nur der Mensch unter den Lebewesen« (Pol. I,2,1253a 9f.), so ist diese Bestimmung weit präziser als die einschränkende Übersetzung »Vernunfttier« (animal rationale), weil sie Denken und Verständigungsfähigkeit als menschliches Wesensmerkmal benennt. Doch nicht nur als Medium des Denkens im Sinne der Weltbemächtigung ist das Wort zentral. Die zitierte Definition des Menschen steht bei Aristoteles am Beginn seiner Aufzeichnungen zur Staatstheorie und hat ihre Pointe gerade in der sozialen und politischen Bedeutung von Sprache. Denn der Mensch – so die andere, im gleichen Zusammenhang gegebene Definition – »ist ein von Natur zum [staatlichen] Gemeinschaftsleben bestimmtes [und befähigtes] Lebewesen« (Pol. I,2,1253a 3). Gemeinschaft aber, gar im Sinne der hier gemeinten staatlichen Verfasstheit, lebt von der Möglichkeit sprachlicher Verständigung, wie Aristoteles im Anschluss an diese Definition sofort ausführt. Im Unterschied zur instinktgesteuerten Biene und anderen Herdenwesen muss der Mensch seine Gemeinschaft immer erst herstellen. Er kann dies dank seiner Sprache (die Aristoteles als Weiterentwicklung der Natur von der bloßen »Stimme« anderer Lebewesen deutlich abgrenzt), durch die er das Nützliche vom Schädlichen, das Gute vom Bösen und das Gerechte vom Ungerechten zu unterscheiden vermag. Ebendiese sprachlich ermöglichte Urteilskraft ist unabdingbare Voraussetzung, um in Abstimmung mit anderen eine Sozialordnung und damit eine staatliche Gemeinschaft zu bilden (Pol. I,2,1253a,11–18). Als Gemeinschaftswesen sind wir also unverzichtbar auf das Wort angewiesen; die Alternative zum Gemeinschaft stiftenden und ordnenden Logos wäre nur die lebenvernichtende Gewalt (weshalb der Asoziale wegen seiner Bindungslosigkeit »von Natur aus kriegsbegierig« ist – so Pol. I,2,1253a 6). In den bisherigen Ausführungen wurde schon deutlich, dass die Sprache und damit Reden und Hören nicht nur Mittel der Wahrnehmung sind, sondern dass sie – mehr als jeder andere Sinn – unser Personsein selbst allererst konstituieren. Das lässt sich auch entwicklungspsychologisch nachweisen: Wie man bei jedem kleinen Kind beobachten kann, ereignet sich im Angesprochenwerden und im Antworten, im Zuhören und im eigenen Reden jene Begegnung, in der der Mensch zum »Du« und dadurch dann zum »Ich« wird (und so erst im Vollsinn zur »Person«). Diese geradezu lebensnotwendige Rolle des ansprechenden Wortes wird eindrücklich bestätigt durch den berüchtigten Versuch des Kaisers Friedrich II., von dem Salimbene de Parma in seiner Chronik berichtet: Weil er herausfinden wollte, welches die himmlische Ursprache des Menschen sei,

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hatte der Staufer befohlen, Säuglinge ohne Ansprache und »Schöntun« (d. h. wohl sprachadäquate Zuwendungen, die ja auch bei Taubstummen als Wortersatz dienen können) aufzuziehen, was bekanntlich den baldigen Tod der ansonsten wohl versorgten Kinder zur Folge hatte. Der Mensch ist also von Anfang an auf das Hören und Gehörtwerden angewiesen. Ja, dieses Angewiesensein macht auch positiv unser Menschsein aus; denn nur dadurch, dass ich mich Anderen mitteile und ihnen meinerseits »mein Ohr leihe«, kann immer wieder die Isolation des Ich durchbrochen und die Brücke zum Du geschlagen werden. Nur durch Aus-sprache ist »Existieren« in des Wortes eigentlicher Bedeutung möglich (von lat. exsistere: »auftauchen«, »heraustreten«, »ausbrechen«). Wo ich keine Anrede mehr vernehme und mir niemand mehr zuhört, da beginnt die Beziehungslosigkeit und damit der Tod. Der Mensch lebt vom Wort! Diese elementare Bedeutung der sprachlichen Kommunikation für den Menschen als Gemeinschaftswesen schlägt sich auch in Worten unserer Alltagssprache nieder, die wichtige Bereiche der zwischenmenschlichen Interaktion auf verschiedenen Ebenen durch den Bezug auf Hören und Antworten wiedergeben: Ich ge-horche den Vorschriften und trage Ver-antwortung für Andere; ich gebe eine Zu-sage und halte mein Ver-sprechen, ich stelle mich einem An-spruch, ich ent-spreche bestimmten Erwartungen und lebe im Wider-spruch zu Anderen, dementsprechend ge-höre ich zu einer Gemeinschaft oder nicht usw. »Höre, Israel …« – Gottes Wort und die Ant-wort des Menschen Die Wichtigkeit des Wortes für die Begegnung und Verständigung schlägt sich in geradezu potenzierter Form in der Bibel nieder: Nach dem ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,4a) ist das ganze All allein durch Gottes Wort geworden, und in Anlehnung daran kann dann der Johannesprolog Jesus Christus als »das Wort« Gottes bezeichnen (Joh 1,1f.). Solche Hochschätzung des Wortes hat natürlich ihren Grund in den Glaubenserfahrungen des Gottesvolkes, insofern dessen Verhältnis zu Gott nicht primär in der Divinisierung naturhafter oder sozialer Mächtigkeiten und Wirkkräfte gründet (vgl. die alttestamentliche Polemik gegen den Wetter-, Kriegs- und Fruchtbarkeitsgott Ba‛al). Vielmehr ist es nach dem Zeugnis der Bibel Gott selbst, der sich seinem Volk erschlossen, und zwar sprachlich erschlossen, hat: »Und J HWH sprach zu Abram« – so beginnt nach Gen 12,1 die eigentliche Heilsgeschichte als Weg Gottes mit bestimmten Menschen. Diese Geschichte findet ihren alttestamentlichen Höhepunkt in der Erwählung, d. h. in einem Akt personaler Zuwendung, durch den sich Gott an diesen Haufen entlaufener Fronarbeiter bindet als »ihr Gott« und seinerseits diese Hebräer als »sein Volk« auf sich verpflichtet.

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Wie sehr das in der Erwählung gründende Verhältnis auf sprachlicher Kommunikation basiert und immer wieder auf diese abzielt, zeigt jene Passage, in der Gott bei seiner Erscheinung am Sinai dem Mose seinen Plan zur Erwählung des Volkes erstmals kundtut. Nach der Erinnerung an seine Rettungstat beim Auszug heißt es weiter: »›Werdet ihr nun auf meine Stimme hören und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern … Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.‹ Mose kam und berief die Ältesten des Volkes und legte ihnen alle diese Worte vor, die ihm der Herr geboten hatte. Und alles Volk antwortete einmütig und sprach: ›Alles, was der Herr geredet hat, wollen wir tun.‹ Und Mose sagte die Worte des Volkes dem Herrn wieder« (Ex 19,5–8). »Der Glaube [kommt] aus dem Hören/dem Gehörten« – so drückt Paulus diesen Sachverhalt formelhaft-prägnant aus (Röm 10,17). »Glaube« im biblischen Sinn heißt somit in erster Linie: »ganz Ohr sein«. Durch das gehörte Wort »sieht« man erst recht, wie der Psalmist bekennt: »Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege« (Ps 119,105). Und Dtn 8,3 formuliert geradezu klassisch die bleibende Angewiesenheit auf Gottes sprachliche Zuwendung in dem Grundsatz, »daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von allem, was aus Gottes Mund geht«. Wiederholt wird dieser Grundsatz bezeichnenderweise von Jesus in jenem berühmten Streitgespräch mit dem Teufel, in welchem der Versucher darauf abzielt, die Kommunikation Vater-Sohn zu unterbinden und Jesus auf die Eigenmächtigkeit zu fixieren. Jenem Versucher, der einen Gottessohn ohne Gott (und damit eine Steigerung des »Sündenfalls« von Gen 3,4f.) will, hält Jesus dieses Wort vor (Mt 4,4/Lk 4,4): Nicht Macht und Selbstbestätigung, sondern das Hören auf Gottes Wort ist für den Gottessohn die Grundlage seiner Existenz, so unverzichtbar wie der physische Stoffwechsel. Indem Jesus mit diesem Wort die Versuchung abweist, wird auch deutlich, dass dieses »Leben vom Wort« immer auch bedeutet, dass das ganze Leben auf Gott bezogen und ihm unterstellt wird, dass also das Hören auch ein Ge-horchen impliziert. Andersherum gesagt: Gottes Wort zielt auf menschliche Ant-wort. Deshalb folgen auf die Rettung am Schilfmeer und die Zusage Gottes am Sinai in Ex 20 auch jene berühmten »zehn Worte« (wie die Zehn Gebote im Judentum heißen), die den mit dem Bundesschluss verbundenen An-spruch formulieren. »Höre, Israel« – mit dieser Aufforderung beginnt denn auch das berühmte Gebot der Gottesliebe (Dtn 6,4f.). Dieses Šĕmaʽ jisra’el ist nicht nur bis heute das tägliche Gebet des frommen Juden, sondern es wird auch von Jesus zitiert – als Antwort auf die Frage nach dem wichtigsten Leitsatz für eine Gott entsprechende Daseins- und Handlungsorientierung (Mk 12,29f.)! Weil solches Hören aber nicht selbstverständlich ist, weil Gottes Wort immer wieder über-hört wird

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(vgl. Jer 7,13; Ez 3,7; Sach 7,11 u. ö.), wird in der prophetischen Verkündigung regelmäßig der gebieterische Weckruf wiederholt: »Höret des Herrn Wort« (vgl. Jes 1,10; 28,14; 66,5; Jer 2,4; 7,2; 19,3; 22,2.29; Ez 6,3; 13,2; 16,35; 21,3; 25,3; 36,1; 37,4; Hos 4,1; Am 7,16). »Höre mich, wenn ich rufe« – Gebet und Erhörung Die Kommunikation Gott-Mensch ist allerdings keine Einbahnstraße. Im Gegensatz zu den Götzen, die nicht hören (Ps 115,6; 135,17; Dan 5,23; Apk 9,20), ist Israels Gott ein Gott, der hört: »Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören?« (Ps 94,9). Grundlage allen Lobens, Bittens und Klagens ist daher die Gewissheit, dass der angerufene Gott die Worte seines Gegenübers wahrnimmt. Besonders wichtig wird das dort, wo das Volk oder der Einzelne in Not geraten sind. Hier dominiert die Zuversicht, dass der Gott, der schon in Ägypten das Wehklagen seines Volkes erhört hat (vgl. Ex 2,24), auch »die Stimme meines Flehens hört. Er neigte sein Ohr zu mir, darum will ich ihn mein Leben lang anrufen« (Ps 116,1f.). »Die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Schreien/Gebet« – dies ist die gemeinsame Überzeugung des Alten und des Neuen Testaments (Ps 34,16/1. Petr 3,12). In Jesu Worten: »Wer da bittet, der empfängt« (Mt 7,8). So ist es nur folgerichtig, dass dort, wo dieser Gott verborgen bleibt, sein Zuhören und Eingreifen immer wieder erbeten oder gar eingeklagt wird: »Herr, höre mein Gebet/Flehen/Weinen« (Ps 5,2; 39,13; 55,2f.; 61,2; 84,9; 102,2f.; 145,19), »Herr, neige dein Ohr und erhöre mich« (Ps 86,1; 88,3; 102,3; 116,2; 2. Kön 19,16), »verbirg dein Ohr nicht vor meinem Schreien« (Klgl 3,56), »lass deine Ohren merken auf meine Stimme« (Ps 130,2) – mit solchen oder ähnlichen Worten (vgl. Dan 9,17–19) wird immer wieder auf der Zuwendung Gottes insistiert. Dabei muss das nicht einmal das wohlgeordnete und festgesetzte Wort sein – wie an den Psalmen gesehen, hört Gott auch auf das Weinen und Schreien der Seinen, und selbst das unvermögende Stammeln wird vom Geist aufgenommen und vor Gott vertreten (Röm 8,26f.). So ist das Gespräch mit Gott das Lebenselixier des Glaubens – das Hören, aber auch das Reden, und hier nicht nur die Bitte, sondern auch und sogar zuerst der Dank, das Bekenntnis und der Lobpreis: »Wer lebt, der lobt dich« (Jes 38,19). Im Danken und Loben, in der Freude über Gott, wird dieser zum Mittelpunkt des Daseins. »Gott loben, das ist unser Amt« – diese Liedzeile (EG 288,5) beschreibt ziemlich exakt, was schon im Alten Testament der Sinn der menschlichen Existenz ist!2 2 Vgl. H. W. W OLFF, Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von B. J ANOWSKI, Gütersloh 2010, 316–319.

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Bildlosigkeit und Erzählbarkeit Gottes In aller Kürze sei noch auf ein Letztes hingewiesen. Wie im ersten Abschnitt schon ausführlich erläutert, kann dieser sich selbst mitteilende Gott nicht im Bild dargestellt werden, weil jedes Bild verendlicht, festlegt und die Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf verwischt. Dennoch entbehrt der biblische Gott mitnichten der ›Anschaulichkeit‹. Nur ist diese aus dem Bild in das Wort verlagert, genauer: in die Erzählung. Selbst der Mensch gewordene Gott ist der im Evangelium erzählte und erzählbare Gott. Die biblische Religion ist geradezu dadurch gekennzeichnet, dass sie immer neue Erzählungen und auch Erzählformen hervorgebracht hat, die Gottes Wirken zum Inhalt haben. Im Wortbezug wahren die biblischen Schriften die Freiheit und Unverfügbarkeit des erwählenden Gottes, dem der Mensch als Zuhörender zugeordnet ist, als ein Zu-hörer, der Gottes Zu-spruch mit Lob und Dank und seinem An-spruch mit Ge-hor-sam und Ver-antwort-ung ent-spricht.

VI. Gott und das Auge Nach den bisherigen Ausführungen zum Bilderverbot und besonders nach dem Abschnitt über Wort und Hören liegt die Vermutung nahe, dass der Höhepunkt der Ausführungen über Gott und die menschlichen Sinne bereits überschritten ist, sodass es jetzt beim Auge nur noch um Abgrenzungen gehen kann. Daran ist so viel richtig, dass Gottes Reden, wie gezeigt, der entscheidende Modus seiner Selbstmitteilung ist, dem der Mensch als Hörender zugeordnet wird. Hingegen wird jede bildliche Darstellung Gottes von der Bibel bekanntermaßen abgelehnt. Dennoch wird hier der Abschnitt »Gott und das Auge« an das Ende der Ausführungen gerückt, und zwar aus Gründen, die im Folgenden deutlich gemacht werden. Wie immer zuvor die Vorüberlegungen zur alltäglichen Bedeutung dieses Sinnes. »Weltbild« und »Theorie« – das anschauende Ordnen der Welt Auch das Sehen dient – wie jeder andere Sinn – sowohl der Wahrnehmung des Vorhandenen wie der zwischenmenschlichen Verständigung. Ins Auge fällt zunächst der erste Aspekt, die Wahrnehmung; denn das Auge ist des Menschen wichtigstes Orientierungsorgan, das ihm den »Überblick« über seine Welt verschafft. Dementsprechend reden wir vom »Weltbild«, und unser Wort »Theorie« als Inbegriff der verstandesmäßigen Weltdeutung ist vom griechischen θεωρεῖν = »schauen«, »anschauen«, »betrachten« abgeleitet. Nicht von ungefähr spielen denn auch Metaphern des Sehens eine hervorragende Rolle in Ausführungen über Denken und Erkennen. In zwei

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berühmten Gleichnissen in der Politeia, im Sonnen- (Rep. VI,508a–509b) und im Höhlengleichnis (VII,514a–517a), beschreibt Platon den Weg zur wahren Erkenntnis mithilfe des Vergleichs mit Sonne/Licht (als Ermöglichung des Sehens) und dem Sehen selbst. Die große Zeit der Rationalität nannte sich selbst »Aufklärung« bzw. – noch eindeutiger – in Frankreich »Le siècle des lumières«, in England »Enlightenment«. Selbst in unserer Alltagssprache scheinen vernünftiges Denken und klares Sehen geradezu zu Synonymen werden zu können. So sagen wir, dass »mir ein Licht aufgeht« und dass eine Ausführung »erhellend« ist. »Übersicht«, »Scharfblick« und »Weitsicht« zeichnen den überlegenen Verstand aus, »Kurzsichtigkeit« den unterlegenen. Wer klug ist, hat einen »hellen« Kopf, wer etwas versteht, verfügt über »Einsicht«, »Überblick« und »Durchblick«. Doch ist diese Parallelisierung von Sehen und Verstehen nicht ohne Gefahren; denn die scheinbare Evidenz des vor Augen Liegenden verleitet zur Überbewertung der sichtbaren Oberfläche der Dinge und verführt eben so zur ›Oberflächlichkeit‹. In einer Zeit sintflutartiger Überschwemmung mit Bildern werden die negativen Seiten der Fixierung auf das Sichtbare immer offenkundiger, da die Betäubung durch die unmittelbare Gewalt des sichtbar Gemachten unsere Einkehr, Konzentration und Besinnung stört und damit gerade das eigentliche Denken behindert. Hinzu kommt, dass das scheinbar so eindeutig vor Augen Liegende auch täuschen kann, nicht nur bei dem Stab, der im Wasser gebrochen erscheint. Werbung und Propaganda leben ja gerade davon, mit geschickt ausgewählten und arrangierten Bildern Tatsachen zumindest zu beschönigen. Schon bei Platon bedürfen die in der Höhle Gefangenen der Philosophie (und damit des korrigierenden Wortes), um sich von den täuschenden Schatten vor ihren Augen zu lösen und von der scheinbaren zur wahren Erkenntnis zu gelangen (die dann aber wieder als ein – besseres – Sehen vorgestellt wird). »Schau mir in die Augen, Kleines …« – Anblick und Begegnung Optische Signale spielen aber auch eine nicht unbedeutende Rolle in unserem Zusammenleben. Aussehen, Kleidung, Frisur – durch unseren bewusst gestalteten An-blick versuchen wir, andere auf uns aufmerksam zu machen und für uns einzunehmen. Besonders unmittelbar wirkt der direkte Blick in fremde Augen. Stammesgeschichtlich handelt es sich um ein Aggressionssignal, das etwas Einschüchterndes und Bezwingendes an sich hat, wie man besonders deutlich im Umgang mit Tieren beobachten kann. Diese empfinden den stark parallelen Blick unserer Augen als besonders stechend. Nicht einmal der Panther Baghira vermag deshalb in Kiplings Dschungelbuch dem Blick des kleinen Menschenjungen Mowgli standzuhalten. Auch im zwischenmenschlichen Bereich kennt jeder die eigentümliche Spannung, die ein ›Augenduell‹ hervorruft. Dementsprechend gilt in

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bestimmten Stadtteilen New Yorks als erste Überlebensregel, niemandem länger in die Augen zu schauen. Umgekehrt muss man, wenn man befehlen will, nach Napoleon vor allem zu den Augen sprechen. Doch nicht nur Aggressivität und Machtanspruch vermittelt das Auge. Beim Flirt ist der direkte Blick die Aufforderung zur Kontaktaufnahme. Und der »tiefe Blick« in die Augen des Anderen drückt Zuwendung und Sympathie aus. Humphrey Bogarts legendärer Satz in der deutschen Synchronisation von »Casablanca« spricht (wenn auch im zeitbedingt machohaften Gewand) die Sprache der Verliebten, und im Schlager trällert es hundertfach: »Wenn ich in deine Augen schau …« (»When I look into your eyes …«). Licht und Finsternis als Metaphern Zu berücksichtigen sind endlich noch die außerordentlich starken affektiven Konnotationen, die gerade mit der optischen Wahrnehmung von Helligkeit und Dunkelheit verbunden sind. So wie Licht für alles Leben positiv und für uns Augenmenschen als Orientierungshilfe unverzichtbar, Finsternis hingegen negativ und bedrohend ist, so verbindet sich mit der Helligkeit die Vorstellung des Hilfreichen, Erfreulichen und Guten, mit der Finsternis die Assoziation des Furchteinflößenden, Zerstörerischen und Bösen. Nicht zufällig ist daher das Licht bzw. der Gegensatz Licht-Finsternis in den meisten Religionen sehr wichtig, in nicht wenigen sogar zentral: Bei vielen Völkern (von den Ägyptern bis zu den Azteken) ist der Lichtspender Sonne oberste Gottheit oder verkörpert diese zumindest. Dualistische Systeme wie der Parsismus haben im Mittelpunkt den Antagonismus zwischen gutem Lichtgott und bösem Finsternisgott, der auch auf das Judentum (Qumran) und das Urchristentum (Johannesevangelium) eingewirkt hat. Auch unsere religiösen Bräuche nehmen das Lichtsymbol auf – im Osterfeuer etwa und vor allem im Adventskranz, an dem in einer eindeutigen Gegenbewegung gegen die zunehmende Dunkelheit des Winters erst ein Licht, dann zwei, dann drei, dann vier Lichter entzündet werden, bis der Kranz schließlich in der Mittwinternacht in einen hell erleuchteten Christbaum mündet, der gerade in der längsten Nacht des Jahres den Sieg des Lichtes über das Dunkel symbolisiert. »Von Angesicht zu Angesicht« – Anfechtung und endzeitliche Hoffnung Zu Herkunft und Bedeutung des Bilderverbotes wurde das Entscheidende schon im ersten Abschnitt gesagt. Ist der alttestamentliche Gott durch das Verbot seiner bildlichen Darstellung somit auch dem analysierenden, taxierenden und beurteilenden Auge entzogen, so kann die Bibel andererseits doch teilweise recht unbefangen von einer visuellen Wahrnehmung Gottes sprechen.

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Dabei lassen sich allerdings zwei gegenläufige Entwicklungslinien unterscheiden. Zum einen wird die wohl alte Auffassung zurückgedrängt, dass Gott sich legendären Gestalten der Vergangenheit wie den Erzvätern (vgl. Gen 32,31) und vor allem Mose (Ex 24,11) gezeigt hat und mit ihnen »von Angesicht zu Angesicht« verkehrt ist (Num 12,6–8). Dies geschieht entweder dadurch, dass man das Geschehen als ein vergangenes, in der Gegenwart nicht mehr wiederholbares historisch isoliert (vgl. Dtn 34,10) oder es gleich implizit widerruft (Ex 33,20). Doch diese Zurückdrängung der visuell-sensorischen Aspekte in der Gottesbegegnung zugunsten der göttlichen Transzendenz ist nur die eine Seite des biblischen Gottesbezuges. Auf der anderen Seite finden sich – vorzugsweise in den Psalmen – Bitten um eine Gottesschau: »Verbirg nicht dein Angesicht vor mir«, heißt es immer wieder im Psalm (Ps 27,9; 69,18; 102,3; 143,7), oder positiv: »Lass dein Angesicht leuchten …« (Ps 4,7; 31,17; 67,2; 80,4.8.20; 119,135; Dan 9,17; vgl. Num 6,26). Die Bedeutung dieser Wendung ist klar: So wie das »Verbergen des Angesichts« durch Gott als radikaler Abbruch jeder Beziehung Synonym für Unheil ist, so steht das zugewandte Angesicht für Gnade und Heil (weshalb das »Ergebnis« solcher Schau nach Ps 34,6 auch strahlende Freude ist). Weniger klar ist, wie dieses »Zeigen« und »Leuchten« des Angesichts vorzustellen ist. Da der Ausdruck »Gottes Angesicht sehen« häufig Terminus technicus für die Begegnung mit Gott im Kult ist, mag sich der Ausdruck ursprünglich auf ein im Tempel aufgestelltes Götterbild bezogen haben, das freilich für die biblischen Texte keine Rolle mehr spielt. So sagt man zu Recht, dass die Wendung »übertragen« zu verstehen sei. Doch was heißt das? Doch gewiss nicht, dass sie einfach ohne besondere Bedeutung nachgeplappert würde (siehe unten S. 336: »Der sehende Gott. Ausblick«)! Außerdem: Die Wendungen sind oft so konkret, dass es den Anschein hat, als wurden hier »eigentliche« und metaphorische Rede ineinanderübergehen. Wenn es etwa in Ps 17,15 heißt: »Ich aber will in Gerechtigkeit schauen dein Antlitz, mich sättigen beim Erwachen an deiner Gestalt« (Übers. H.-J. KRAUS), so scheint dies doch auf eine Erscheinung Gottes, eine Theophanie, hinzudeuten. Ähnliche Aussagen finden sich in den Psalmen wiederholt als Wunsch oder Zusage (vgl. Ps 11,7; 27,4). Auch in Ps 42f. könnte trotz kultischer Bezüge (42,5) mehr gemeint sein als bloß die Teilnahme am Tempelgottesdienst, wenn der Beter die Gottesschau als Ziel all seiner Sehnsüchte geradezu herausschreit: »Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?« (Ps 42,3) Noch mehr gilt dies für Hiob, der mit dem Tempel nichts zu tun hat und der doch mitten in der tiefsten Anfechtung mit geradezu triumphierendem Trotz auf seiner zukünftigen Gottesschau besteht: »Und ist meine Haut auch noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde

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ich doch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen, und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust« (Hi 19,26f.; vgl. 33,26). In Hi 42,5 wird denn auch ausdrücklich auf eine erfolgte Gottesschau Bezug genommen. Sowohl Ps 42f. wie das Hiobbuch sprechen vom Sehen Gottes im Zusammenhang der Anfechtung über den verborgenen Gott, dessen Gegenwart der Beter nicht mehr erfährt. Ähnlich verlangt der Schrei des dritten Jesaja geradezu nach dem sichtbaren Erscheinen: »Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab …« (Jes 63,19/64,1). Mag der biblische Gott nicht darstellbar sein, so wächst doch gerade im Leiden an seiner Verborgenheit die Sehnsucht nach visueller Begegnung als Vollendung der Gemeinschaft mit ihm. War es daher schon bei den Propheten Kennzeichen der anbrechenden Heilszeit, dass J HWH sein Angesicht nicht mehr verbergen wird (Ez 39,29; vgl. Jes 54,8), so wird diese Hoffnung aufgenommen und weitergeführt in eschatologischen Texten des Frühjudentums und des Urchristentums, in denen die nun ganz real verstandene Gottesschau zur endzeitlichen Erfüllung gehört. So ist es nach der pharisäischen Apokalypse 4. Esr 7,98 die siebte und höchste Freude der Gerechten, dass sie »dessen Angesicht sehen, dem sie gedient haben«. Im Neuen Testament ist die Sache insofern etwas anders, als sich Gott sozusagen in Jesus Christus selbst dargestellt hat, weshalb dieser auch als sein »Ebenbild« bezeichnet werden kann (vgl. 2. Kor 4,4; Kol 1,15; Hebr 1,3). Dennoch erfolgt auch diese Selbstdarstellung Gottes noch verborgen in der Niedrigkeit des Gekreuzigten. Die »Finsternis« hat das hier aufscheinende Licht »nicht ergriffen« (Joh 1,5), der helle Schein ist vorerst nur »in unsere Herzen gegeben« (2. Kor 4,6) und verweist auf das noch ausstehende endgültige Kommen der Gottesherrschaft, in der dann alle Verborgenheit Gottes ein Ende haben wird. Dementsprechend verheißt der Bergprediger denen, die reinen Herzens sind, dass sie »Gott schauen werden« (Mt 5,8). Paulus stellt dem »Stückwerk« unserer gegenwärtigen Erkenntnis das zukünftige Sehen »von Angesicht zu Angesicht« gegenüber (1. Kor 13,9.12), und nach 1. Joh 3,2 werden die Kinder Gottes einst »Gott sehen, wie er ist«. Und endlich findet die Vollendung der neuen Welt ihren Höhepunkt darin, dass die Geretteten »sein [nämlich Gottes] Angesicht sehen werden« (Apk 22,4). In all diesen Texten geht es bei dem Schauen um die Unmittelbarkeit der Gottesbegegnung, die keine Verborgenheit mehr kennt. Bemerkenswert ist die starke Konzentration auf das Angesicht Gottes. Dies unterstreicht nochmals, dass das ersehnte Schauen Gottes eben nicht die oben unter »›Weltbild‹ und ›Theorie‹ – das anschauende Ordnen der Welt« vorgestellte registrierende und beurteilende Wahrnehmung meint. Das Bedürfnis der Beter, Gottes Angesicht zu sehen, drückt vielmehr immer zugleich den Wunsch aus, dabei auch von Gott angeschaut und wahrgenommen zu

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werden, um gerade so mit ihm in eine möglichst unmittelbare Beziehung zu treten (vgl. oben »›Schau mir in die Augen, Kleines …‹ – Anblick und Begegnung«). In 1. Kor 13,12 bringt Paulus diese Reziprozität des Anschauens auf den Begriff, wenn er sagt, dass »ich erkennen werde, wie auch ich erkannt bin« (vgl. Gal 4,9). Kurz: Wenn der Glaubende Gott zu sehen begehrt, so will er ihn nicht »sich anschauen«, sondern er will mit ihm in Blickkontakt treten, um ihm möglichst unmittelbar zu begegnen. Dabei steht – noch einmal sei es betont – dieses Sehen nicht in Konkurrenz zum Wort, sondern es ist die Vollendung des »Glaubens, der aus dem Hören kommt« (Röm 10,17). Der sehende Gott. Ausblick Wie beim Riechen und Hören wird auch das Sehen von Gott selbst ausgesagt. Positiv drückt es seine Zuwendung und Hilfe aus (Ex 3,7; Ps 102,20– 23; 113,6–9 u. ö.), kann aber auch sein richterliches und strafendes Einschreiten meinen (Ex 5,21; Jer 5,3; Am 9,8). In jedem Fall wird damit sein aktiver Bezug zu unserer Welt zum Ausdruck gebracht (vgl. Ps 33,13–15). Gott riecht, hört, sieht – wir pflegen diese Aussagen als metaphorisch zu bezeichnen. Das ist auch richtig – nur: Was heißt das? Metaphern sind ja alles andere als willkürlich. Geglückte Metaphern sind sogar zuhöchst präzise, sie sind »treffend« und können sich so als weit exakter erweisen als die sogenannte eigentliche Rede. Daher wäre es sehr wohl weiterer Überlegungen wert, welches Gottesverständnis dieses Reden von seinem Hören, Sehen und Riechen impliziert, welche »Leibhaftigkeit« hier dem zukommt, der ja immer noch in vielen Vorstellungen als ein schemenhafter »Obergeist« ohne jede Leiblichkeit und jeden Bezug zur Sinnlichkeit herumspukt. Dabei wären noch mehr als bisher auch christologische Überlegungen einzubeziehen. All dies aber sprengt die Möglichkeiten dieses Beitrags.

Gott und die Zeit 1. Hinführung In der scharfsinnigen Studie Weltgeschichte und Heilsgeschehen1 hat der Philosoph Karl Löwith in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts die These vertreten, dass die Frage nach einem Zusammenhang von Heil und Geschichte selbst in der säkularisierten Form des dialektischen Materialismus2 bedingt ist durch die jüdisch-christliche Eschatologie. Daß wir […] die Geschichte im ganzen auf Sinn und Unsinn hin befragen, ist selbst […] geschichtlich bedingt: jüdisches und christliches Denken haben diese maßlose Frage ins Leben gerufen. Nach dem letzten Sinn der Geschichte ernstlich zu fragen, überschreitet alles »Wissenkönnen« und verschlägt uns den Atem; es versetzt uns in ein Vakuum, das nur Hoffnung und Glaube auszufüllen vermögen. Die Griechen waren bescheidener. Sie maßten sich nicht an, den letzten Sinn der Weltgeschichte zu ergründen. Sie waren von der sichtbaren Ordnung und Schönheit des natürlichen Kosmos ergriffen. 3

Der Vergleich Herodots mit dem etwa gleichzeitig entstandenen Deuterojesaja lässt für Löwith die Gegensätze in der Wahrnehmung von Geschichte scharf hervortreten: Griechische Philosophen und Historiker waren überzeugt, daß, was immer sich künftig ereignen wird, nach dem gleichen logos ablaufen und von gleicher Art sein wird wie vergangenes und gegenwärtiges Geschehen.4

Dagegen sei nach jüdischer und christlicher Geschichtsauffassung die Vergangenheit ein Versprechen der Zukunft. Folglich wird die Interpretation der Vergangenheit rückwärtsgewandte Prophetie, sie stellt die Vergangenheit dar als eine sinnvolle »Vorbereitung« der Zukunft. 5

Es muss jetzt nicht erörtert werden, inwieweit die Kontrastierung von griechischer Kosmologie und hebräischem Geschichtsdenken einer Relativierung bedarf.6 Man wird Löwith in jedem Fall darin zustimmen können, dass 1 K. LÖWITH, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart u. a. 51953 (erschienen zunächst englisch unter dem Titel Meaning in History). 2 Vgl. ebd., 38–54. 3 Ebd., 13 f. 4 Ebd., 15. 5 Ebd. 6 Vergils Äneis etwa lässt sehr wohl eine teleologische Geschichtsbetrachtung erkennen.

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eine Antwort auf die von ihm als »maßlos« empfundene Frage nach Heil und Geschichte nicht aus dem Geschichtszusammenhang selbst evident ist, sondern ein Jenseits der Geschichte voraussetzt, eben »Hoffnung und Glaube«. Diese von Löwith abschätzig gemeinte7 Formulierung soll hier Anstoß sein, nach der Bedingung der Möglichkeit solcher Hoffnung und solchen Glaubens zu fragen, hier formuliert als die Frage nach Gott und der Zeit. Diese Zuspitzung auf die Frage nach Gott und der Zeit verdankt sich den Überlegungen eines anderen jüdischen Philosophen. Ich erinnere mich noch gut an den Vortrag, den Hans Jonas hier in Tübingen anlässlich der Verleihung des Dr. Leopold-Lucas-Preises über den ›Gottesbegriff nach Auschwitz‹ hielt. Anlass war der Anstoß des in der Geschichte möglich gewordenen Unheils: Die Mutter des Preisträgers war ebenso wie die Mutter des Preisstifters in Auschwitz ermordet worden.8 In seinem »Stück unverhüllter spekulativer Theologie«9 versucht Jonas eine positive Antwort zu geben auf den »längst verhallten Schrei« jener Schatten »zu einem stummen Gott«, 10 nach einem Gott, der, darauf insistiert Jonas, in jüdischer Tradition nur »eminent der Herr der Geschichte«11 sein kann. In Aufnahme des kabbalistischen Gedankens des Zimzum bestimmt er Gottes Verhältnis zu seiner Schöpfung als eine Selbstzurücknahme, welche den Dingen erst die Möglichkeit des Eigenseins einräumt.12 Denn nur ein Gott, der sich im Verzicht auf Allmacht von seinem zeitlichen Gegenüber abhängig macht, kann nach Jonas noch als gütiger Gott mit der Geschichte zusammengedacht werden: »Es ist ein Gott, der in der Zeit hervorgeht, anstatt ein vollständiges Sein zu besitzen, das mit sich selbst identisch bleibt in Ewigkeit«. 13 Nur dann, wenn »der Ewige sich verzeitlicht«, 14 kann er nach Jonas affizierbar sein, und nur als ein verletzlicher, als mitleidender Gott kann er in einer positiven Beziehung zu dieser Wirklichkeit stehen.15 Jonas beschränkt sich explizit auf die jüdische Tradition, die in seiner Deutung unter Verzicht auf jedwede eschatologische Dimension »im Diesseits den Ort der göttlichen Schöpfung, Gerechtigkeit und Erlösung sieht«. 16 Wir 7 Glaube und Hoffnung gehören für ihn zu den »blinden ›Wünschbarkeiten‹« Jakob Burckhardts, vgl. LÖWITH, Weltgeschichte (Anm. 1), 33. 8 Vgl. H. J ONAS, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme (st 1516), Frankfurt a. M. 1987, 7. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Ebd., 14. 12 Vgl. ebd., 46. 13 Ebd., 27. 14 Ebd., 29. 15 Vgl. ebd., 29. 16 Ebd., 14.

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werden daher den von ihm eingeschlagenen Weg nach einiger Zeit verlassen und dies auch markieren. Zuvor aber werden wir seine ›spekulative Theologie‹ einer ›Verzeitlichung‹ Gottes im Blick auf die Aussage positiv aufnehmen, dass der in einer oft heillosen Geschichte Heil stiftende Gott nicht leid- und zeitlos gedacht werden kann. Dieser Ausgangspunkt legt sich nicht zuletzt deshalb nahe, weil auch das Neue Testament Gott aufgrund des Ereignisses eines Justizmordes zu verstehen sucht und dies in letzter Konsequenz durch die Vorstellung der Inkarnation tut, mit Jonas gesprochen: einer ›Verzeitlichung‹ Gottes. Jonas profiliert seine Überlegungen in Auseinandersetzung mit der metaphysischen Tradition. Dieser Spur wird diese Darstellung zunächst folgen, um daraufhin am Markusevangelium deutlich zu machen, wie Jesu Rede von der erfüllten Zeit mit dem Selbsterweis Gottes als ›Vater‹ zusammenhängt. Die soteriologischen Konsequenzen im Blick auf die christologische Neubestimmung des Verhältnisses von menschlicher Endlichkeit und göttlicher Ewigkeit werden dann vor allem anhand der theologischen Ausführungen in den Briefen des Paulus dargestellt. Nachdem am Rande noch auf die entsprechende Transformation der Jesusüberlieferung im vierten Evangelium eingegangen wird, sollen Überlegungen zur Geschichtstheologie im lukanischen Doppelwerk den Abschluss bilden.

2. Gott und die Zeit – der Kontext 2.1. Der »zeitlose Gott« und das »nicht dicht haltende Gefäß des Vergehens«. Die antike Metaphysik »Deum … aeternum esse cunctorum ratione degentium commune iudicium est«, so formuliert es Boethius am Ende seiner Schrift über den Trost der Philosophie: »Dass Gott ewig ist, ist eine Einsicht, die jeder Vernünftige teilt« (Boethius, Cons. V,6,5–7). Der letzte große Vertreter der römischen Spätantike formuliert hier, was sich nach seiner Überzeugung jenseits der Frage von Heidentum und Christentum, Monotheismus oder Polytheismus gleichsam mit Vernunftnotwendigkeit aus dem Begriff des Göttlichen ergibt: Während wir Menschen jenem Reich der Schatten entgegentaumeln, »wo wir alle versinken, die sterblich auf Erden geboren«, um es mit den Worten des in jenes Schattenreich hinabsteigenden Orpheus zu sagen (Ovid, Met. X,18), sind die Götter diesem Vergehen entnommen. Das unterschiedliche, ja entgegengesetzte Verhältnis zur Zeit markiert geradezu die differentia specifica zwischen der Sphäre des Göttlichen und den Menschen, weshalb wir auch die Sterblichen, die Götter dagegen die Unsterblichen heißen. Der Unterschied von göttlicher Ewigkeit und menschlicher Endlichkeit wurde zunächst rein quantitativ gedacht: Während die Men-

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schen Generation um Generation altern und sterben, bleiben die Götter des Mythos ewig jung. Doch schon bald, d. h.: wenn diese Vorstellung vom griechischen Logos durchdacht und auf den Begriff gebracht wird, wird die göttliche Ewigkeit auch qualitativ unserem Sein in der Zeit entgegengesetzt, da auch die bloße zeitliche Unbegrenztheit das Göttliche der Abfolge der Zeit unterwerfen würde. Noch einmal Boethius: Was die Bedingungen der Zeit erleidet, mag es auch, wie Aristoteles vom Weltall urteilte, niemals begonnen haben zu sein noch aufhören und mag sich sein Leben in die Unendlichkeit der Zeit erstrecken, ist dennoch nicht so beschaffen, dass man es mit Recht für ewig ansehen dürfte. Denn es umgreift und umfasst nicht den ganzen Raum des unendlichen Lebens zugleich, sondern hat das Zukünftige noch nicht, das Geschehene nicht mehr. Was also die ganze Fülle des unbegrenzbaren Lebens in gleicher Weise umgreift und besitzt, wem nichts Zukünftiges fern ist und nichts Vergangenes verflossen, das kann mit Recht ewig geheißen werden, und dies muss notwendig seiner mächtig, gegenwärtig, immer bei sich sein und die Unendlichkeit der beweglichen Zeit gegenwärtig haben. (Cons. V,6,18–31)

Jene »praesens infinitas mobilis temporis« wurde in der philosophischen Metaphysik so gedacht, dass das Verhältnis des Göttlichen zur Zeit durch strikte Negation, d. h. als Zeitlosigkeit, bestimmt wurde. Ein eindrückliches Beispiel aus neutestamentlicher Zeit ist der Dialog De E apud Delphos, in dessen furiosem Finale Plutarch seinen Lehrer Ammonios über das göttliche Sein räsonnieren lässt. Dieses sei ebendeshalb wahres Sein, so der alexandrinische Mittelplatoniker, weil es, dem Wandel der Zeit entrückt, κατʹ οὐδένα χρόνον ist, d. h., weil es im strikten Gegensatz zur stetigen Veränderung alles Zeitlichen mit sich selbst identisch bleibt (Plutarch, De E 20,393a). Dieser Antagonismus zwischen Gottes wahrem Sein und unserem zeitlichen Dasein ist so elementar, dass die Rede zuletzt in der dramatischen Gegenüberstellung zweier Gottwesen mündet: Dem Lichtgott Apollon als Inbegriff wahren Seins wird Pluton gegenübergestellt, der dunkle »andere Gott« der Unterwelt, weniger ein Gott denn ein über die »Natur mit ihrem Vergehen und Werden gesetzter Daimon« (21,394a). Antithetisch werden beiden die Attribute Licht und Finsternis, Freundlichkeit und Hass, Erkenntnis und Vergessen, Lebenslust und Totenklage zugeteilt. Ursache dieser fast gnostisch anmutenden Polarisierung von seiendem Gott und nichtiger Wirklichkeit aber ist ebendie Zeit, jenes »nicht dicht haltende Gefäß des Vergehens und Werdens« (19,392e). Der durch die Zeit sich unablässig vollziehende Übergang vom Werdenden ins Gewordene ist die ἐξοµολόγησις … τοῦ µὴ ὄντος, das Eingeständnis des Nichtseins. Unsere Existenz in der Zeit bedeutet φθορά, Auflösung, Vernichtung;17 Gott dagegen ist als Inbegriff wahren Seins ἄχρονος (20,393a) 17 Zeitlichkeit ist unwiederbringlicher Selbstverlust. Deshalb gilt von unserem Dasein: ἡµῖν µὲν γὰρ ὄντως τοῦ εἶναι µέτεστιν οὐδέν (De E 17,392a).

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und in dieser als Zeitlosigkeit definierten Ewigkeit ἄφθαρτος, unverderblich und unvergänglich.18 Das schließt nicht aus, dass dieser Gott auf die zeitverhaftete Wirklichkeit qua Vorsehung Einfluss nimmt,19 aber dies ist nur das zeitliche Wirken einer selbst ›zeitjenseitigen‹ Ewigkeit. Die in etwa zur gleichen Zeit entstandene pseudoaristotelische Schrift De mundo versucht dies genauer zu erfassen, indem sie zum einen betont, »dass alles von Gott her und durch Gott besteht« (6,397b), zugleich aber im Interesse einer absoluten Transzendenz eines Gottes, der »sich ›durcherstreckt‹ von einer grenzenlosen Ewigkeit zur anderen« (7,401a), zwischen dem vom Weltbezug unberührten göttlichen Wesen (οὐσία) und dessen allein im Kosmos wirksamer Kraft (θεία δύναµις) unterscheidet (6,397b–398a). 2.2. »Du aber bleibst, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende.« Endlichkeit und Ewigkeit in der hebräischen Bibel Die antike Metaphysik wird gerne als Negativfolie verwendet, gegenüber der die biblischen Aussagen abgegrenzt und profiliert werden. Abgesehen von dem Problem, dass dabei Texte völlig unterschiedlicher Gattungen und Reflexionsstufen kontrastiert werden, wird doch zu leicht übersehen, dass es eine Reihe von elementaren Übereinstimmungen gibt, die auch zur biblischen Rede von Gott unverzichtbar dazugehören: 1. Bereits das Alte Testament teilt die allgemein-menschlichen Erfahrungen des Vergehens in der Zeit: »Ist doch der Mensch gleichwie nichts; seine Zeit fährt dahin wie ein Schatten« (Ps 144,4). 2. Der irdischen Vergänglichkeit wird häufig Gottes Ewigkeit gegenübergestellt: »Deine Jahre währen für und für. Du hast vorzeiten die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst; sie werden veralten wie ein Gewand, wie ein Kleid wirst du sie wechseln … Du aber bleibst, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende« (Ps 102,25b–28). »Meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie Gras. Du aber, HERR, bleibst ewiglich und dein Name für und für« (Ps 102,12f.; vgl. 90,2). 18 Gleich dreimal wird solche ›Unvergänglichkeit‹ als die differentia specifica des Göttlichen im Gegensatz zur Welt hervorgehoben: Dabei ist nicht ganz eindeutig, ob Plutarch hier seine eigene Überzeugung vertritt oder ob er im Munde seines Lehrers die Position des alexandrinischen Mittelplatonismus referiert (vgl. aber auch De Iside 78, 382e–f ). Für unsere Fragestellung ist dies zweitrangig. Aufschlussreich ist in jedem Fall, dass in der Philosophie zur Zeit des Neuen Testaments das Dasein in der Zeit derart scharf abgewertet werden kann. 19 Gerade Plutarch hat in seinem Dialog De sera numinis vindicta eine Apologie der Vorsehung geschrieben; vgl. dazu R. FELDMEIER, Einführung, in: Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften. Griechisch-deutsch. Übersetzt und hg. v. H. G ÖRGEMANNS unter Mitarbeit von R. FELDMEIER/J. ASSMANN (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 2003, 318–339 = oben S. 91–106.

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3. Wie dieses ewige Sein Gottes zu verstehen ist, wird nicht gesagt, aber es wird wohl nicht nur als unbegrenzte zeitliche Ausdehnung vorgestellt. Ein Wort wie »Denn tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag, der gestern vergangen ist, und wie die Nachtwache« (Ps 90,4; vgl. 2. Petr 3,8) deutet bereits die Inkommensurabilität von Gottes Ewigkeit und menschlicher Zeit an.20 Letztlich setzt wohl jeder Versuch, Gott als Schöpfer alles Seienden und so auch als den Herrn der Geschichte zu denken, voraus, dass dieser Gott, in dessen Buch »alle Tage geschrieben sind, die noch werden sollen und von denen keiner war« (Ps 139,10), nicht selbst der consecutio temporum unterworfen sein kann.21 Es gibt also durchaus gewichtige Gemeinsamkeiten zwischen dem biblischen und dem metaphysischen Reden von Gott. Der entscheidende Unterschied wird sichtbar, wenn man die Gattungen ansieht: Die alttestamentlichen Aussagen entstammen vor allem den Psalmen, sie stehen im Kontext der Hinwendung des endlichen Menschen zum ewigen Gott. Das aber heißt, die Zeit ist nichts, was isoliert für sich betrachtet wird (von der schon Augustin sagte, dass er nicht wüsste, was sie sei). Von der Zeit wird nur gesprochen als der Lebenszeit, die von dem Gott kommt und bestimmt wird, zu dem der Beter sagen kann: »Du bist mein Gott, meine Zeit steht in deinen Händen« (Ps 31,16). Damit aber steht sie auch nicht Gott als bloßes Vergehen gegenüber, sondern gehört zu dem von ihm geschaffenen Dasein. Die Pointe der Gegenüberstellung von Endlichkeit und Ewigkeit ist somit nicht die Festschreibung der Diastase von Zeitlosem und Zeitlichem, vielmehr setzten die Beter Gottes Ewigkeit zu ihrer Vergänglichkeit in eine heilvolle Beziehung: »Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darübergeht, so ist sie nicht mehr da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Die Gnade des Herrn aber währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten« (Ps 103,15– 17). Von dieser »Gnade des Herrn«, d. h. der Zuwendung des ewigen Gottes zum endlichen Menschen, kann deshalb im Antiken Judentum und dann auch im Neuen Testament auch die Überwindung des Gegensatzes von Ewigkeit und Vergänglichkeit erhofft werden. So sagt etwa der 1. Petrusbrief in Anlehnung an Jes 40,6–8: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle seine Pracht wie Grasblüte. Das Gras ist verdorrt und die Blüte ge20 Vgl. H.-J. KRAUS, Psalmen, 2. Teilband (BK XV/2), Neukirchen-Vluyn 51978, 798: »Gottes Ewigkeit […] und menschliche Zeit sind letztlich inkommensurabel – das ist die Intention dieser grandiosen Aussage«. Ps 84,11 drückt eine vergleichbare ›Zeitverdichtung‹ im Blick auf die menschliche Zeiterfahrung in der Gottesnähe aus. 21 Auch Philon denkt Gott zwar jenseits der Zeit, setzt ihn dieser aber einfach antithetisch entgegen. Als Schöpfer ist er auch der Ursprung der Zeit (Opif. 7 [26]; Leg. all. I,2,2); er lebt zwar selbst nicht in Abhängigkeit von der Zeit – für ihn gibt es »nicht Vergangenes und Zukünftiges, sondern nur Gegenwärtiges« –, wohl aber ist sein Leben als Ewigkeit »Urbild und Muster der Zeit« (Immut. 31).

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fallen, das Wort des Herrn aber bleibt in Ewigkeit« (1. Petr 1,24f.). Dieses Wort aber ist der »unvergängliche Same«, aus dem die Glaubenden wiedergeboren wurden (1. Petr 1,23). Weil sich Gott als der Vater Jesu Christi an den Glaubenden als neuzeugende Lebensmacht erwiesen hat und so auch deren Vater wurde, haben auch diese am »unvergänglichen Erbe« teil (1. Petr 1,3f.). Wie es zu diesen Aussagen kommen kann, soll im Folgenden entfaltet werden.

3. »Erfüllt ist die Zeit« – Gottes Gegenwart im Sohn und die Entstehung des Evangeliums Am Beginn des ältesten Evangeliums in Mk 1,15 wird die Botschaft Jesu in dem Summarium zusammengefasst: »Erfüllt ist die Zeit (καιρός) und nahegekommen die Herrschaft Gottes. Kehrt um und glaubt der frohen Botschaft.« Gleichgültig, ob dieses Wort von Jesus selbst stammt oder ob der Evangelist damit Jesu Botschaft zusammenfasst – die Rede von der ›erfüllten Zeit‹ spricht deutlich anders von der Zeit als die zitierte antike Tradition. Die Zeit wird auch hier nicht ›an sich‹ thematisiert, als ›leere Zeit‹ gleichsam, die dann nichts anderes ist als der endlose Wechsel von γένεσις καὶ φθορά. Vielmehr ist sie ›gefüllte Zeit‹. Die Potenz zu solcher Erfüllung eignet nicht der Zeit selbst:22 Das Summarium nennt im synthetischen Parallelismus membrorum zum ›Erfülltsein‹ der Zeit das ›Gekommensein‹ der Gottesherrschaft, d. h., es spricht von der Zeit im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Machterweis Gottes, welcher die (bis dahin unerfüllte) Zeit zu ihrer Erfüllung bringt. Die Vorstellung einer Erfüllung der Zeit stammt aus der jüdischen Apokalyptik. 23 Die dort für das Ende der Zeit erwartete Erfüllung der Zeit hat sich nach dem Zeugnis des Neuen Testa22 Vgl. C. LINK, Gott und die Zeit, in: DERS., Die Spur des Namens. Wege zur Erkenntnis Gottes und zur Erfahrung der Schöpfung, Neukirchen-Vluyn 1997, 91–119, hier 92: »Die Zeit, verstanden als linear fortschreitende oder zyklisch zu ihren Anfängen zurückkehrende Verlaufszeit, hat keine Kraft, sich selbst zu erfüllen«. 23 4. Esr 4,36 f. spricht davon, dass Gott mit dem Maß die Zeiten gemessen und mit der Zahl gezählt hat und dass das Ende kommt, wenn das festgesetzte Maß erfüllt ist (»dum impleatur praedicta mensura«); vgl. weiter 2. Bar 40,3; Tob 14,5. Hier wird eine wohl schon im Alten Testament angelegte Tendenz zu einem planmäßigen Handeln Gottes in der Geschichte (vgl. J. B ARTON, Die Lehre von der rechten Zeit, in: M. B EINTKER/ E. MAURER/H. STOEVESANDT/H. G. ULRICH, Rechtfertigung und Erfahrung, Gütersloh 1995, 287–295) situationsbedingt auf eine Art Erlösungsfahrplan zugespitzt, welcher der als heillos erlebten Gegenwart einen Fluchtpunkt in der Zukunft gibt und so deren scheinbar sinnlose Leiden als die ›Wehen‹ des kommenden Zeitalters und damit als Vorstufe des endzeitlichen Heils zu interpretieren erlaubt.

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ments bereits jetzt in Jesu Auftreten ereignet, wie in dem zitierten Summarium das resultative Perfekt von πεπλήρωται und ἤγγικεν unterstreicht. In einem in Q überlieferten Logion kann Jesus sein Wirken als Herrschaftsantritt Gottes interpretieren: »Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist Gottes Herrschaft bereits unter euch erschienen« (Lk 11,20 par. Mt 12,28).24 Es ist also die machtvolle Gegenwart Gottes in Jesus, welche der Grund dafür ist, dass das ganze Evangelium unter das Vorzeichen gestellt werden kann, dass hier die Zeit erfüllt ist. Dies gilt es im Blick auf die Frage nach Gott und der Zeit noch näher zu erfassen. Das Evangelium spricht ja kaum direkt von Gott, sondern meist nur in Bezug auf andere auf ihn bezogene Größen wie Gottes Reich, Gottes Sohn, Gottes Geist etc. Als Protagonist kommt Gott nur zweimal vor, am Beginn des ersten und an dem des zweiten Hauptteils des Evangeliums, bei der Taufe und bei der Verklärung. Da aber besteht dieses göttliche Reden und Handeln ausschließlich im Verweis auf Jesus. Nota bene: Gottes einzige direkte Aktivität im Evangelium besteht darin, dass er, der eine Gott Israels, auf ein Anderes seiner selbst verweist. Und indem er dieses Andere als »geliebten Sohn« anspricht, an dem er Wohlgefallen hat, wird deutlich, dass dieser Mensch Jesus für Gott nicht im äußerlichen Sinn ein Gegenüber ist wie das vom Urbild getrennte Abbild in einem Spiegel, und er ist auch nicht von ihm ablösbar wie ein Werk nach seiner Vollendung von seinem Schöpfer. Ja, dieses Verhältnis ist nicht einmal so zu interpretieren wie die vom göttlichen Wesen abgetrennte Hypostase einer θεία δύναµις bei Pseudo-Aristoteles. Mit der doppelten ›Liebeserklärung‹ identifiziert sich Gott vielmehr mit diesem Menschen; die Metapher des Sohnes betont, dass die damit eingegangene Beziehung für Gott wesentlich ist, dass er gerade im Bezug zu diesem ›Sohn‹ erst seine Identität als ›Vater‹ erweist.25 In seiner Tübinger Antrittsvorlesung hat Martin Hengel überzeugend nachgewiesen, dass der Titel ›Gottessohn‹ im Blick auf Jesus Christus nichts mit den Göttersöhnen der griechischen Mythologie oder des hellenistisch-römischen Herrscherkultes zu tun hat, sondern dass die Sohnesmetapher in alttestamentlich-jüdischer Tradition die Zusammengehörigkeit dieses Menschen mit und seine Zugehörigkeit zu Gott ausdrückt.26 Ebenso entschieden ist der im Neuen Testament als Vater bezeichnete Gott von allen sonst mit dem Epitheton ›Vater‹ versehenen Gottheiten zu unterscheiden – der Vater Jesu Christi hat weder etwas mit dem πατὴρ θεῶν τε 24 Der Aorist ἔφθασεν unterstreicht dabei den Aspekt des Ereignisses; vgl. H. W EDER, Gegenwart und Gottesherrschaft. Überlegungen zum Zeitverständnis bei Jesus und im frühen Christentum (BThSt 20), Neukirchen-Vluyn 1993, 29. 25 Das will das Symbol zum Ausdruck bringen, wenn es später vom Sohn sagt: »genitum non factum est«. 26 Vgl. M. HENGEL, Der Sohn Gottes, in: DERS., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV (WUNT 201), Tübingen 2006, 74–145.

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ἀνδρῶν τε der mythischen Theologie27 zu tun noch mit dem gerne als pater omnipotens apostrophierten Kosmosgott der philosophischen Theologie,28 von dem mit der Jupiterchiffre als pater patriae interpretierten Imperator der politischen Theologie29 ganz zu schweigen. Um es in aller Schärfe zu sagen: Der biblische Gott steht dieser Welt nicht als Vater gegenüber, sondern als Schöpfer und Herr. Deshalb verhält sich auch das Alte Testament gegenüber dem in der altorientalischen Mythologie beliebten Vater-Epitheton so spröde, und auch das Judentum ist zunächst zurückhaltend. Wenn dann vor allem in nachchristlicher Zeit die Gottesanrede »unser Vater und unser König« (awinu malkenu) gebräuchlich wird, dann drückt dies (unerachtet der Frage, inwieweit dies auch Reaktion auf das Christentum sein kann) etwas Analoges zu der hier dargestellten christologischen Vermittlung der Vateranrede aus: Gott ist nicht unmittelbar Vater, sondern für das von ihm erwählte Volk, das seiner Herrschaft unterstellt ist bzw. sich ihm unterstellt. Die Häufigkeit der Gottesbezeichnung ›Vater‹ im Neuen Testament darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch für die Autoren des Neuen Testaments der Gott Israels keineswegs selbstverständlich ›Vater‹ ist. Gott wird im Neuen Testament erst zum Vater, er erweist sich erst im Anderen, in diesem Menschen Jesus von Nazareth, als Vater. Die Doppelung der Identifizierung unterstreicht dabei, dass dieser Selbsterweis Gottes zum einen in dem vollmächtigen Handeln Jesu erfolgt, welches der erste Teil des Evangeliums schildert, der mit der Taufperikope eingeleitet wird. Er erfolgt aber auch und erst recht in dem ohnmächtigen Leiden und Sterben des Sohnes, welches der zweite Teil des Evangeliums erzählt, der mit der Verklärungsszene eingeleitet wird. Hier wird die Identifikation sogar noch gesteigert, indem der Mensch Jesus bereits, von himmlischen Gestalten umgeben, an der göttlichen Herrlichkeit partizipiert. Es ist ein und derselbe Vater, der sich durch sein lebenbewahrendes Handeln in Jesus (vgl. Mk 3,4) wie durch sein lebendigmachendes Handeln an Jesus als der Vater erweist, dem alles möglich ist (Mk 14,36 par.). Zu ›unserem Vater‹ wird der Vater Jesu Christi nur durch den Glauben an den »einzig geborenen Sohn«, wie das Johannesevangelium dann Jesus nennt. Die Glaubenden empfangen durch Christus die υἱοθεσία, die Einsetzung zu Gotteskindern, und können dann auch selbst Gott als »Abba, Vater« anrufen, wie es Paulus sagt (Gal 4,5–7; Röm 8,14–17). Dieser exklusive christologische Bezug der Vater-Metapher und die damit gesetzte Gleich27

So die Bezeichnung des Zeus bei Homer. So Zeus etwa bei Ovid oder Vergil; die beiden Attribute Vaterschaft und Allmacht finden sich bereits im Zeushymnus des Kleanthes. Bei Platon findet sich die Vatermetapher etwa in Rep. VI,506e; VII,517b.c u. ö. Vor allem im Timaios wird der oberste Gott als Weltschöpfer mit dem Vaterprädikat bezeichnet (vgl. Platon, Tim. 28c; 37c; 41a u. ö.). 29 Vgl. P. ZANKER, Augustus und die Macht der Bilder, München 21990, 235 f. 28

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zeitigkeit von göttlicher Freiheit und göttlicher Bindung ist strikt zu beachten – in keiner neutestamentlichen Schrift wird das Gottesverhältnis Jesu und das seiner Nachfolger in einem gemeinsamen ›unser Vater‹ zusammengebunden!30 Von daher verbietet sich auch die plumpe Zudringlichkeit so manchen kirchlichen Umgangs mit der Vater-Metapher, die wenig mit dem neutestamentlichen Zeugnis und dafür umso mehr mit einer Infantilisierung der Rede von Gott zu tun hat. Paulus zögert nicht, unmittelbar nach seinem überschwänglichen Preis der Liebe des göttlichen Vaters in Christus in Röm 8 im folgenden Kapitel mit schneidender Schärfe die absolute Souveränität Gottes zu betonen, sobald der Mensch sich anschickt, eigenmächtig die göttliche Zuwendung einzufordern. In summa: Nur im Gegenüber zum Sohn ist Gott der Vater,31 und nur durch den Glauben an Jesus Christus als den Herrn, d. h. durch den von Gott selbst gewirkten, vertrauenden und gehorsamen Verzicht auf Eigenmächtigkeit, sind die Glaubenden Gottes Söhne, seine Kinder. Das wahrt die Freiheit Gottes, das begründet aber auch die »herrliche Freiheit der Gotteskinder« (Röm 8,21), die sich der befreienden Überwindung der Gottferne im Sohn verdankt, die aus gefallenen Geschöpfen Kinder und Erben macht. Damit sind wir wieder bei unserer Fragestellung nach Gott und der Zeit. Um das Ergebnis in Anlehnung an Hans Jonas zu formulieren: ›Vater‹ heißt der Gott, der sich in diesem Menschen Jesus verzeitigt und so affizierbar macht. Weil Gott in der Identifikation mit dem Sohn zur Welt kommt und so sich als ›Gottvater‹ erweist, ist im Auftreten des ›Sohnes‹ die Zeit erfüllt. Deshalb hat der Evangelist Markus es 40 Jahre nach Jesu Tod unternommen, dieses Stück vergangene Geschichte des Jesus von Nazareth zugleich als die Geschichte des ›Zur-Welt-Kommens‹ des ewigen Gottes nachzuerzählen, und andere christliche Lehrer sind ihm darin gefolgt. ›Evangelium‹ wird spätestens im zweiten Jahrhundert zur Gattungsbezeichnung dafür, dass der ewige Gott sich sowohl im Handeln und Reden wie im Leiden und Sterben dieses Menschen festgelegt, gebunden, ›verzeitlicht‹ hat. So wird dieses Stück menschlicher Geschichte zur Heilsgeschichte – nicht als Identifikation von Geschichte und Heil, sondern als Erzählung von dem in die Geschichte gekommenen Heil. Wie ausschließlich dabei die vergangene Geschichte Jesu Gottes zukünftiges Handeln bestimmt, kann daran abgelesen werden, dass im Urchristentum Jesu Erwartung des kommenden Gottesreiches durch die Erwartung der Wiederkunft 30

Das von Matthäus eingefügte Possessivpronomen der ersten Person Plural beim Herrengebet bezieht sich auf die Nachfolger, die der Bergprediger dieses Gebet lehrt. Ansonsten spricht gerade auch der Bergprediger immer nur von »deinem/eurem himmlischen Vater/Vater in den Himmeln«. 31 Das hat die westliche Kirche zu Recht mit ihrem entschiedenen Festhalten am filioque unterstrichen.

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Christi abgelöst wird. Der Wiederkommende ist der Gekommene, weil sich in seinem Leben die Zeitenwende vollzogen hat. Diese ›Verzeitlichung‹ des ewigen Gottes ist jedoch, und hier spätestens verlassen wir den von Jonas gewiesenen Weg, nicht als Verzicht auf Gottes Allmacht zu verstehen. Das Vorzeichen des Evangeliums, dass die Zeit erfüllt und Gottes Herrschaft gekommen ist, muss auch hier gelten – und es ist ja kein Zufall, dass wir das Allmachtsprädikat im Munde Jesu gerade in der Nacht der Anfechtung in Gethsemani hören. Jesus hält dort daran fest, dass der sich verbergende Gott auch in der Ohnmacht seines Leidens der allmächtige Vater ist, dessen Reich kommt. Das setzt freilich eine Differenzierung im Machtbegriff voraus. Während klassischerweise der Machtbegriff zum Hermeneuten des Gottesbegriffs wird,32 bestimmt im Neuen Testament ebenjene Verzeitigung Gottes im Sohn das Verständnis der Macht. So ist die von Jesus als Frohbotschaft angesagte Gottesherrschaft und deren Äquivalent, der allmächtige Gott, alles andere als ein Synonym für unterwerfende Übermacht, vielmehr ist gerade auch Gottes Macht geprägt von der göttlichen ›Affizierbarkeit‹. Im Evangelium wird dies von Jesus auch klar auf den Begriff gebracht, wenn er angesichts der Machtphantasien seiner Jünger der üblichen menschlichen Selbstbehauptung durch Gewalt den Dienst als das Verhalten dessen, der ein Großer und der Erste genannt zu werden verdient, entgegenstellt, den Dienst, der sich in seiner Lebenshingabe für die Vielen vollendet (Mk 10,42–45 par.). Dementsprechend deutet Jesus seine Selbstausteilung im Abendmahl als Gottes Bundesschluss und verweist im Zusammenhang damit noch ein letztes Mal auf die Gottesherrschaft (Mk 14,22–25 par.). Die Macht Gottes ist hier Korrelat seiner Selbstbindung, ja seiner heilvollen Hingabe an das Gegenüber. Dies stellt eine soteriologische Zuspitzung der Rede von Gottes Macht im Neuen Testament dar, mit der diese gleichwohl beansprucht, der alttestamentlichen Gottesoffenbarung aufs Genaueste zu entsprechen. Das lässt sich an dem Streitgespräch zeigen, das Jesus gegen Ende seines Lebens mit den Auferstehungsleugnern führt. Jesus geht in seiner Antwort davon aus, dass der Gott der Heiligen Schrift, auf den sich auch die Gegner berufen, sich durch seine Selbstbindung an die Erzväter festgelegt hat. Dadurch hat er sich zwar noch nicht als Vater, wohl aber schon als »der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs« definiert (Ex 3,6; Mk 12,26 par.). Diese in der Erwählung eingegangene Bindung, diese von Gott selbst gewählte Abhängigkeit aber ist nach Jesu Interpretation nicht Schwäche, sondern gehört zum Erweis göttlicher δύναµις (Mk 12,24). 32

»Alles, was mächtiger ist, heißt Gott«, so formuliert es prägnant der attische Dichter Menander (τὸ κρατοῦν γὰρ πᾶν νοµίζεται θεός), Frgm. 201, ed. R. KASSEL/C. AUSTIN, Berlin 1998, 146; πᾶν anstelle von νῦν beruht dabei auf einer Konjektur W. A. H IRSCHIGs.

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Denn die Pointe der göttlichen Macht, welche die Auferstehungsleugner nicht begreifen, besteht nach Jesus gerade darin, dass Gott für die Menschen, an die er sich gebunden hat, selbst in deren Tod ein »Gott der Lebendigen« bleibt (Mk 12,27),33 und das heißt, dass ihr vergangenes Leben mit seiner schöpferischen Lebendigkeit verbunden bleibt und deshalb bei ihm Zukunft hat. Gottes berühmte Selbstoffenbarung vor Mose als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs wird in der Deutung Jesu zur typologischen praeparatio evangelii, welche zugleich die Kontinuität der biblischen Gottesoffenbarung erweist: Die Identifikation des lebendigen Gottes mit dem sterblichen Menschen ermöglicht dem Menschen die Teilhabe an seiner schöpferischen Lebensmacht, gerade angesichts des Todes erweist sich der biblische Gott als ein Gott der Lebendigen. Wenn dies aber schon für den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs gilt, dann noch viel mehr für den im ›geliebten Sohn‹ sich als Vater erweisenden Gott. Die Macht des Vaters, die sich in Jesus Christus als Lebensmacht durchsetzende Gottesherrschaft ist es, die das Leben des gestorbenen Jesus zur »erfüllten Zeit« macht. Insofern ist der auferweckte Christus, wie Paulus sagt, der »Erstling der Entschlafenen« (1. Kor 15,21). Die ›Verzeitlichung‹ des ewigen Gottes zielt auf die Verewigung derer, die zu ihm gehören. Paulus, der erste große Denker des Christentums, hat die Konsequenzen dieses Selbsterweises Gottes als Vater im Sohn auch im Blick auf den Zeitaspekt, im Blick auf Endlichkeit und Ewigkeit, noch intensiver thematisiert.

4. Menschwerdung und ewiges Leben: Paulus und Johannes Die Metapher von der ἀπαρχὴ τῶν κεκοιµηµένων deutet schon an, dass die in Christus bereits geschehene Zeitenwende die Zukunft aller Glaubenden vorwegnimmt, wie Paulus durchweg betont (vgl. 1. Thess 4,12; 1. Kor 15,22; Röm 8,11 u. ö.). Deshalb kann der Apostel ähnlich wie das Evangelium von der »Fülle der Zeit« sprechen, die sich im Kommen des Sohnes ereignet: Als aber die Fülle der Zeit (χρόνος) kam, sandte Gott seinen Sohn aus – geworden aus einer Frau, geworden als einer unter dem Gesetz –, damit er die unter dem Gesetz loskaufe, damit wir die Einsetzung zu Söhnen empfangen. (Gal 4,4)

Es ist die Gegenwart des Vaters im Sohn, welche die Erfüllung brachte, die darin besteht, dass die Glaubenden in Christus zu Kindern Gottes werden und als solche zu ›Erben‹, d. h. solche, die an Gottes Wesen Anteil gewinnen. Im Gegenzug heißt dies: In Christus erweisen sich Gottes Eigenschaften als kommunikative Eigenschaften. Das ist ja bekanntermaßen die Pointe der paulinischen Rechtfertigungsbotschaft, dass sich Gottes Gerechtigkeit 33

Vgl. auch SapSal 15,3.

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darin erweist, dass er uns gerecht macht (Röm 3,26). Es ist auch die Pointe der göttlichen δύναµις, dass sie sich gerade in der Schwäche des Apostels als ermächtigende Macht zur Geltung bringt (vgl. 2. Kor 12,9f.). 34 Und es ist die Pointe der paulinischen Eschatologie, dass sich inmitten eines Daseins zum Tode das »Leben Jesu« am »sterblichen Fleisch« Geltung verschafft, wie Paulus in 2. Kor 4,10f. sagt, sodass der Erfahrung des Vergehens ›all Morgen ganz frisch und neu‹ die Erfahrung der Erneuerung entgegentritt: Deshalb werden wir nicht müde; denn wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch unser innerer Mensch Tag für Tag erneuert. (2. Kor 4,16)

Diese Erfahrung der Erneuerung ist der vorweggenommene, jetzt schon gegenwärtige Anbruch der göttlichen Herrlichkeit und Ewigkeit im vergänglichen Leben, wie die Fortführung noch unterstreicht, wo Paulus die Realpräsenz der göttlichen Ewigkeit in der Vergänglichkeit durch die Unterscheidung von Sichtbarem und Unsichtbarem plausibilisiert: Denn die Gegenwart, deren Trübsal kaum ins Gewicht fällt, bewirkt bei uns eine alles Maß sprengende, ewige Fülle an Herrlichkeit, [bei uns,] die wir nicht auf das Sichtbare schauen, sondern auf das Unsichtbare. Denn das Sichtbare ist der Zeitlichkeit unterworfen (πρόσκαιρα), das Unsichtbare aber ist ewig. (2. Kor 4,17 f.)

Um diese Erfahrung eines futurischen Präsens, in welchem die Gegenwart »als Vorwegnahme der Zukunft, als Hineinscheinen der Zukunft in sie«35 erlebt wird, theologisch zu erklären, bedient sich Paulus einer Argumentationsfigur, die in der späteren Dogmatik als das beatum commercium bezeichnet wird. Diesen ›seligen Wechsel‹ dekliniert der Apostel in seinen Briefen in verschiedenen Zusammenhängen durch: Christus ist arm geworden, damit wir reich würden (2. Kor 8,9), Christus wurde zum Fluch, um uns vom Fluch loszukaufen (Gal 3,13), Gott hat den, der nicht die Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden (2. Kor 5,21). In seinem Sohn nimmt Gott selbst das auf sich, was uns von ihm trennt, und gibt stattdessen Anteil an dem, was sein Wesen im Gegensatz zu uns ausmacht. Das betrifft auch das Verhältnis von Gottes Ewigkeit zu unserer Sterblichkeit: Christus ist gestorben, damit wir mit ihm leben (1. Thess 5,10). In der Auferweckung des Gekreuzigten hat sich der lebendige Gott als der Lebendigmachende erwiesen, und als dieser ist er auch in der Gegenwart der Glaubenden schon wirksam und erfahrbar (vgl. 2. Kor 1,9–11).

34 Vgl. dazu U. HECKEL, Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2 Kor 10–13 (WUNT II/56), Tübingen 1993. 35 M. THEUNISSEN, Ὁ αἰτῶν λαµβάνει. Der Gebetsglaube Jesu und die Zeitlichkeit des Christseins, in: DERS., Negative Theologie der Zeit (stw 938), Frankfurt a. M. 31997, 321–377, hier 356.

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Man kann die Konsequenzen dieses ›seligen Wechsels‹ exegetisch schön beobachten an der Art und Weise, wie Paulus mit dem Begriff der göttlichen Ewigkeit und verwandten Attributen umgeht. ›Ewig‹, αἰώνιος, ist ja von Haus aus Gottesprädikat, wie das Boethius-Zitat deutlich machte. Aber es wird von Paulus im Blick auf Gott nur einmal verwendet, in dem – textkritisch unsicheren! – Schluss des Römerbriefes Röm 16,26. Ansonsten qualifiziert ›ewig‹ die Heilsgabe, vor allem das ewige Leben. 36 Ähnliches zeigt der Blick auf andere Prädikate. Die Unsterblichkeit (ἀθανασία) ist das klassische Gottesattribut schlechthin,37 und bereits der deuteropaulinische 1. Timotheusbrief schreibt sie wieder allein Gott zu (1. Tim 6,16). Paulus dagegen spricht von Unsterblichkeit nur im Kontext der eschatologischen Verwandlung unserer sterblichen Existenz durch Christus (1. Kor 15,53f.). Ähnlich verhält es sich mit der Unvergänglichkeit, mit ἄφθαρτος und ἀφθαρσία, die in der Rede des Ammonios in De E die differentia specifica göttlichen Seins zum zeitlichen Dasein auf den Begriff brachte: Bis auf eine Ausnahme, bei der der Apostel wohl auf die Götzenpolemik der Diasporasynagoge rekurriert (Röm 1,23), wird auch damit nicht Gott, sondern das zugeeignete Heilsgut bezeichnet.38 Es zeigt sich also: Gerade bei den Zeitattributen werden exklusive Gottesprädikate zu inklusiven soteriologischen Prädikaten. Sucht man auf der Seite Gottes nach Äquivalenten zu den Begriffen der Ewigkeit, Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit, dann sind dies keine Adjektive, sondern Verben und Partizipien, die mit ἐγείρειν, ζῳοποιεῖv etc. ein Wirken Gottes ausdrücken, welches in Christus die Todverfallenheit des menschlichen Gegenübers, ja der ganzen unter der »Sklaverei des Vergehens« (δουλεία τῆς φθορᾶς) stöhnenden Schöpfung überwindet! Diese Zeitenwende wird zwar noch erwartet, der Tod als »letzter Feind« muss noch endgültig vernichtet werden, wie 1. Kor 15,26 sagt – aber zugleich ist der Sieg durch Gott schon errungen, hat Gott durch seinen Sohn den Glaubenden daran bereits Anteil gegeben (1. Kor 15,57). Weil Gott in Christus war und die Welt mit sich versöhnt hat,39 weil Gott seine Ewigkeit nicht für sich behalten hat, sondern an dieser teilgibt, sodass sie sich bereits jetzt gegen die Erfahrung von Zerfall und Schwäche durchsetzt, deshalb kann der Apostel sogar die radikalste apokalyptische Zukunftsvorstellung, die der Neuschöpfung, aufnehmen und sagen, dass, wer »in Christus« ist, bereits jetzt καινὴ κτίσις ist (2. Kor 5,17; vgl. Gal 6,15). Andere Schriften wie der 1. Petrusbrief drücken diese eschatologi36

Vgl. auch das ewige Haus in den Himmeln in 2. Kor 5,1. Unsterblich ist das Menschliche nur, insofern es am Göttlichen Anteil hat. 38 1. Kor 9,25; 15,42.50.52.53.54; vgl. Röm 2,7. 39 2. Kor 5,19; vgl. O. HOFIUS , »Gott war in Christus«. Sprachliche und theologische Erwägungen zu der Versöhnungsaussage 2Kor 5,19a, in: I. U. D ALFERTH/J. FISCHER/H.-P. GROSSHANS (Hg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre (FS E. Jüngel), Tübingen 2004, 225–236. 37

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sche Existenzverwandlung mit dem schon erwähnten, ähnlich radikalen Bild der Neuzeugung und Wiedergeburt aus (1. Petr 1,3.23; 2,2). Auch im Johannesevangelium wird dieses Bild der erneuten Geburt im Nachtgespräch mit Nikodemus aufgenommen (Joh 3,1–17). Noch deutlicher als bei Paulus zeigt sich in diesem Evangelium die »Verschmelzung der temporalen Horizonte«. 40 Gerade dadurch, dass der uranfängliche göttliche Logos (Joh 1,1) Fleisch wurde (Joh 1,14), sich also radikal ›verzeitlichte‹, ist im ›Sohn‹ die chronologische Zeitenfolge gesprengt. Ein Wort wie »Wahrlich, wahrlich, ehe Abraham entstand, bin ich« (Joh 8,58) ist nur dann kein Unsinn, wenn Jesus die ›Verzeitlichung‹ des zeitübergreifenden göttlichen Logos ist. An diesem zeitübergreifenden Wesen des Sohnes können nach dem Zeugnis des Evangeliums die im Glauben mit ihm Verbundenen partizipieren, sodass auch für sie der Unterschied von Gegenwart und Zukunft in der Beziehung zu Christus aufgehoben ist. So realisiert sich jetzt schon an den Glaubenden, was für die Endzeit erwartet wird, wie der johanneische Christus mit zugespitzten, scheinbar paradoxen Aussagen deutlich macht: »Amen, Amen, ich sage euch, dass der, welcher meine Worte hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, ewiges Leben hat; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist schon vom Tod in das Leben hinübergegangen« (Joh 5,24; vgl. 8,51). Das perfektische µεταβέβηκεν unterstreicht, dass auch hier die Pointe der Rede von der Ewigkeit darin besteht, dass sie nicht mehr die differentia specifica zwischen Gott und Mensch markiert, sondern im ›ewigen Leben‹ dem menschlichen Gegenüber mitgeteilt wurde.41

5. »Die unter uns zur Erfüllung gekommenen Ereignisse« – die Gegenwart des Heils bei Lukas Sosehr Johannes die Geschichte Jesu deutet, stilisiert, umformt und auf die eigene Gegenwart bezieht, so wenig wird doch die Geschichte als solche obsolet. Auch Johannes verwendet die Form des Evangeliums, das Heil des 40 J. FREY, Die johanneische Eschatologie, Band 2 (siehe Anm. 41), 296; vgl. ebd. 297: »Wenn die einzelnen Heilsereignisse (Kreuz und Auferstehung, Auferstehung und ›Aufstieg‹ zum Vater etc.) im 4. Evangelium einerseits erzählerisch voneinander unterschieden und andererseits in theologischen Begriffen wie ›Erhöhung‹, ›Verherrlichung‹ zusammengefaßt werden können, dann ist dieser Sachverhalt literarisch im Phänomen der Horizontverschmelzung, christologisch aber in der Einheit und im zeitübergreifenden Wesen der Person Jesu begründet.« 41 Siehe dazu auch das dreibändige Werk von J. FREY zur johanneischen Eschatologie: Die johanneische Eschatologie, Band 1: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus (WUNT 96), Tübingen 1997; Band 2: Das johanneische Zeitverständnis (WUNT 110), Tübingen 1998; Band 3: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten (WUNT 117), Tübingen 2000.

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ewigen Lebens bleibt auch für ihn untrennbar verknüpft mit der Geschichte dieses durch den Tod hindurch erhöhten Menschen Jesus. Dass die theologische und soteriologische Deutung den Geschichtsbezug sogar noch intensivieren kann, ist sehr schön am lukanischen Doppelwerk zu sehen. Dessen Verfasser, der sich zumindest selbst wohl als der Paulusschule zugehörig verstand, hat in gewisser Weise die markinische Konzeption des Evangeliums mit der paulinischen Überzeugung verbunden, dass im Wirken der Apostel der erhöhte Herr selbst gegenwärtig und durch seinen Geist wirksam ist. Dementsprechend wird der Heilige Geist bei Lukas zur Schlüsselkategorie. Bereits die Entstehung des Gottessohnes ist vom Geist bewirkt (Lk 1,35), Jesu Messianität wird im Doppelwerk als Salbung durch den Geist gedeutet,42 »voll des Geistes« (4,1) vermag Jesus der Versuchung des Teufels zu widerstehen (4,1–13), von der »Kraft des Geistes« (4,14) ist Jesu Leben bestimmt (vgl. 10,21), und nach seiner Erhöhung empfängt er den Geist wieder vom Vater (Apg 2,33), um ihn an Pfingsten über seine Jünger auszugießen und so die Kirche zu gründen (Apg 2,1ff.), in der dieser Geist den Glaubenden in der Taufe vermittelt wird. Verbindet so der Geist gleichsam in vertikaler Hinsicht Gott, Christus und die Glaubenden, so in horizontaler, diachroner Hinsicht die Heilsgeschichte des Alten Bundes, die Geschichte Jesu und die der beginnenden Kirche. Diese pneumatologische Reformulierung der Jesusüberlieferung hat sehr wahrscheinlich auch mit dem lukanischen Bemühen zu tun, die Christusbotschaft in den geistigen Horizont von Menschen wie der »Exzellenz Theophilos« zu übersetzen (Lk 1,3). Der Begriff πνεῦµα bietet sich dafür an, denn vor allem in der Stoa und davon beeinflusst im Mittleren Platonismus ist es der »göttliche Hauch«, womit die Gegenwart des Göttlichen in der Welt,43 vor allem aber auch auf sehr vielgestaltige Weise beim Menschen als θεῖον πνεῦµα (Ps.-Platon, Axiochos 370c) bzw. spiritus sacer (Seneca, Ep. 41,2f.), auf den Begriff gebracht wird. Lukas nützt diese Chancen des Geistbegriffs, um die Gegenwart Gottes in Jesus und Jesu Gegenwart in seiner Kirche im hellenistischen Kontext plausibel zu machen. Zugleich aber, und diese Doppelkodierung ist gerade für dieses Evangelium typisch, unterstreicht der häufig redaktionelle Verweis auf den Geist Gottes die Rückbindung an die ebenfalls auf den Geist zurückgeführte prophetische Verheißung, die sich in Jesus als Christus erfüllt (Lk 4,21; Apg 10,43). Damit kommt ein zweites Element ins Spiel. Die ›Spiritualisierung‹ der Christologie führt zu einer Intensivierung des Geschichtlichen, denn die Geschichte Jesu, das macht vor allem die von Lukas redaktionell als Vorzeichen der Wirksamkeit Jesu gestaltete Erzählung von der Antrittspredigt in Nazareth deutlich (Lk 4,16–30), ist gegen42 43

Lk 4,18 (unter Bezug auf Jes 61,1 als Salbung mit dem Geist gedeutet); Apg 10,38. Vgl. Ps.-Aristoteles, De mundo 4,10,394b.

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wärtige Erfüllung der prophetischen Verheißungen. Ein Zitat über das »Gnadenjahr des Herrn« aus Jes 61,1f. wird abgeschlossen mit der Feststellung: »Heute ist die Schrift vor euren Ohren erfüllt« (Lk 4,21). Im Lukasevangelium ersetzt dies die Ansage von der erfüllten Zeit und der nahegekommenen Gottesherrschaft in Mk 1,14f. Programmatisch wird hier Jesu Geschichte als das erfüllte ›Gnadenjahr‹ und damit als Heilsgeschichte gedeutet. Dementsprechend bezeichnet Lukas gleich am Beginn des Prologs den Inhalt seines Evangeliums als Bericht von den »unter uns zur Erfüllung gekommenen Ereignissen« (Lk 1,1). Dieser Geschichtsbezug prägt das Doppelwerk: Lukas will diese Erfüllungsgeschichte von ihrem Verlauf her möglichst genau wiedergeben, um so die Zuverlässigkeit der christlichen Lehre darzutun, in der sein Adressat unterwiesen wurde (1,3f.). Weit expliziter als jeder andere Evangelist deutet er die Jesusgeschichte durch den Rekurs auf Gottes Vorbestimmung,44 sodass dieses Geschehen ganz unmittelbar den Stempel einer Äußerung Gottes trägt (vgl. auch 9,51). Zugleich verbindet er sie durch entsprechende Querverweise mit der allgemeinen Geschichte; so macht er deutlich, dass mit Christus »a new era in human existence«45 beginnt. In konsequenter Fortführung dieser Deutung hat er es auch als erster Christ unternommen, in seiner Apostelgeschichte diese Erfüllung der Verheißungen in ihrem geschichtlichen Fortwirken interpretierend nachzuzeichnen. Hat Markus deutlich gemacht, dass durch Gottes Identifikation mit dem Menschen Jesus dessen besondere Geschichte zur Heilsgeschichte wird, so zeigt Lukas, wie durch den vom Vater dem Sohn übergebenen und von diesem ausgesandten Geist diese Verbindung von Vater und Sohn auf die allgemeine Geschichte ausgreift. Der von der sich ausbreitenden Kirche verkündigte Christus ist durch den Geist als der Herr der Kirche gegenwärtig und vermittelt so Gottes Gegenwart. Der Geist ist gleichsam das geschichtlich wirksame Jenseits der Geschichte, durch den sich in der Gegenwart der »Weg des Heils« (Apg 16,17) realisiert; die Begriffe σωτήρ, σωτηρία und σωτήριον sind nicht von ungefähr lukanische Vorzugswörter. Dieses Heil aber ist der Einbruch der Zukunft Gottes mitten in diese Zeit. Die prophetischen Verheißungen, die sich in Jesus erfüllen, sind die Verheißungen der Endzeit, wie es programmatisch bei der Antrittspredigt gesagt wird (Lk 4,16ff.), und der von Jesus über seine Jünger ausgegossene Geist signalisiert ja den Anbruch »der letzten Tage«, wie Petrus bei 44

Vgl. Lk 22,22; Apg 2,23; 4,28; 10,42; dazu gehört auch der gegenüber den synoptischen Seitenreferenten abundierende Gebrauch von δεῖ (Lk 2,49; 4,43; 9,22; 13,33; 17,25; 19,5; 21,9; 22,37; 24,7.26.44; Apg 1,16.21; 3,21; 4,12; 5,29; 9,6.16; 14,22; 15,5; 16,30; 17,3; 19,21; 20,35; 23,11; 24,19; 25,10; 27,24). 45 J. A. FITZMYER, The Gospel according to Luke. I–IX (AncB 28), New York u. a. 2 1981, 145.

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der Pfingstpredigt sagt (Apg 2,17). Lukas hat wiederholt diesen Anbruch der Endzeit in der Geschichte Jesu betont, wenn er etwa Jesus sagen lässt, dass mit seinem Auftreten und dem seiner Bevollmächtigten schon der Satan vom Himmel gestürzt ist (Lk 10,18), oder wenn er in Lk 17,21 auf die Frage nach dem Wann und dem Wie des Kommens der Gottesherrschaft antwortet: »Die Herrschaft Gottes ist mitten unter euch.«46 Deshalb wird in diesem Evangelium immer wieder mit dem markanten σήµερον die Gegenwart des Heils in der Begegnung mit diesem Gottessohn betont – von der Engelsverkündigung vor den Hirten (Lk 2,11) bis zum Schächer am Kreuz, dem der selbst Sterbende zusagt, noch »heute« mit ihm im Paradies zu sein (Lk 23,43). Dieses ›Heute‹ der erfüllten Zeit qualifiziert die Gegenwart der Glaubenden neu, von ihm lebt die Kirche, das bezeugt sie bis zur geweissagten »Zeit der Wiederherstellung« (Apg 3,21) in Wort, Tat und Verhalten.

6. Epilog O du gefräßige Zeit und du, o neidisches Alter, Alles reißt ihr herunter, und wenn euer Zahn es geschändet, Laßt ihr allmählich alles in schleichendem Tode zerfallen –

nicht nur Ovid (Met. XV,234–236) kann mit poetischer Sprachgewalt das Elend der Vergänglichkeit besingen. Mit vergleichbarer sprachlicher Wucht und zugleich überraschender Sensibilität für die auch in der außermenschlichen Wirklichkeit erfahrbaren Schmerzen kann Paulus »die Leiden dieser Zeit« zur Sprache bringen und vom Seufzen und Stöhnen einer der »Nichtigkeit« (µαταιότης) unterworfenen Schöpfung sprechen (Röm 8,18ff.). Die Erfahrung der Gegenwart des Heils blendet also nicht die Leiden an der Zeit und in der Zeit aus, im Gegenteil: Das erhoffte Heil lässt die Heillosigkeit und deren Widerspruch zum Lebenswillen Gottes noch schroffer hervortreten. Deshalb kommt Paulus gerade dort, wo er zu seinem großartigen Lobpreis der Liebe Gottes ansetzt, auf das Thema Zeit und Leid zu sprechen. Hier macht er deutlich, dass die »Sklaverei der Vergänglichkeit« nicht unabänderliches Schicksal ist, sondern dass der Gott, der sich in seinem Sohn als der lebendigmachende Vater erwiesen hat (Röm 8,9–17), auch Grund der Hoffnung für seine sich nach Erlösung sehnende Kreatur ist (Röm 8,18ff.). In 1. Kor 15,21–28 wird dieser von Gott in Christus bestimmte Ausgang der Geschichte im Szenario eines dramatischen Endkampfes gegen die Mächte des Todes geschildert. Es ist dies eine der wenigen Stellen, an der der Apostel explizit auf die Rede vom Reich Gottes

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Jesu.

Das Wort bezieht sich zumindest im jetzigen Kontext eindeutig auf die Gegenwart

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zurückgreift: Gerade dann, wenn durch Christus zuletzt Gott alles in allem ist, ist die Zeit erfüllt. Das wiederum hat dann auch wieder unmittelbare Folgen für unsere gegenwärtige Zeiterfahrung. In der Hand dieses Gottes verliert die Zeit ihren Charakter als bloße Vergänglichkeit im Gegensatz zur Ewigkeit (einer Vergänglichkeit, die es dann als letzte Gelegenheit verzweifelt auszukaufen und rücksichtslos auszunützen gilt, wie schon SapSal 2 mit erstaunlicher Aktualität beschreibt). Das »Versprechen der Zukunft«, um noch einmal Löwith zu zitieren, das in Jesus Christus bereits Gegenwart wurde, erschließt vielmehr die Zeit als Lebenszeit, die gelassen und dankbar verbracht werden kann, weil dieses endliche Leben nicht im Nichts versinkt, sondern von Gottes Ewigkeit umgriffen ist.

Gottes Torheit? Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament I. »Torheit und Ärgernis«. Die Kritik am Kreuz und das Zeugnis des Neuen Testaments Ihr macht euch der Täuschung schuldig, wenn ihr den Sohn Gottes sogar die wahre Vernunft (Logos) nennt; denn obgleich ihr den Sohn Gottes als Weltvernunft (Logos) ankündigt, zeigt ihr keineswegs die reine und heilige Vernunft, sondern einen Menschen, der aufs Schmählichste zum Tod geschleppt und gekreuzigt worden ist. (Cels. II,31)

So lautet der Vorwurf des mittelplatonischen Philosophen Kelsos, der um 170 n. Chr. als Erster das Christentum einer vollständigen philosophischen Widerlegung unterzog, die er in provokativer Antithese zum christlichen Bekenntnis zu Christus als dem göttlichen Logos (Joh 1,1ff.) den Ἀληθὴς λόγος nannte, das wahre Wort bzw. die wahre Vernunft. Besonders die christliche Botschaft vom heilbringenden Leiden und Sterben des Gottessohnes wird von ihm immer wieder als blanker Unfug attackiert. Dass ein solches Urteil nicht auf die gelehrte Welt beschränkt blieb, zeigt das berühmte Spottkruzifix vom Palatin, ein antikes Graffito, auf welchem der christliche Gott von einem Anhänger als gekreuzigter Esel angebetet wird.1 Ob rohes Graffito oder philosophische Abhandlung – beide bezeugen das Unverständnis gegenüber einem Glauben, der Gott nicht in Gestalt von überlegener Macht, Vernunft oder Schönheit anbetet, sondern in Gestalt eines hingerichteten Verbrechers. Diese »Torheit des Wortes vom Kreuz« (1. Kor 1,18) war von Anfang an eines der Hauptargumente der antiken Welt gegen die christliche Botschaft – und sie ist es bis heute geblieben. Auch dem Neuen Testament ist dieses Befremden nicht unbekannt. Für die Jünger Jesu war die Kreuzigung Jesu zunächst nur Katastrophe, das Scheitern aller Erwartungen und Hoffnungen, wie ihre Flucht bei Jesu Verhaftung zeigt. Und doch war dies nicht das Ende der Jesusbewegung; vielmehr kam es zur Bildung einer Gemeinschaft, die trotz zunehmender Unterdrückung und Verfolgung in weniger als drei Jahrhunderten sich im 1 Zur Abbildung vgl. J. LEIPOLDT, Umwelt des Urchristentums, Band III: Bilder zum neutestamentlichen Zeitalter, Berlin 1967, Abb. 213.

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gesamten römischen Reich durchsetzen sollte, um zuletzt zur größten Religionsgemeinschaft in der Geschichte der Menschheit zu werden. Zu dieser völlig unerwarteten Wende kam es deshalb, weil der als Verbrecher vom römischen Statthalter Hingerichtete nach dem Zeugnis des Neuen Testaments den Seinen als Auferstandener erschien und sie wieder in seinen Dienst nahm.

Die Auferstehung war allerdings nicht einfach das Happy End einer schlimmen Geschichte durch das wunderbare Eingreifen eines deus ex machina.2 Als eine solche nachträgliche Korrektur eines unverständlichen Dramas, das zuvor schon hätte verhindert werden können, würde sie die Absurdität des Kreuzes nur noch verschärfen. Könnte man die gewaltsame Hinrichtung eines Gerechten nach dem Beispiel des Sokrates noch als Ausdruck der Unbeugsamkeit des Gewissens vor der Macht und somit als Zeichen menschlicher Größe auch im Scheitern deuten, so ist der Glaube an einen Gott, der seinem »geliebten Sohn« (Mk 1,9 par.; 9,7 par.) nicht zu Lebzeiten in dessen Not beisteht, sondern ihm den grausamsten und »schändlichsten Tod«3 zumutet, nicht nur Torheit, sondern auch Ärgernis, ein Skandalon, verschärft dadurch, dass nach dem Gebot ebendieses Gottes der am Kreuz Hängende verflucht ist.4 2

Der ›Gott aus der Maschine‹ konnte im antiken Theater auftreten, um die den Menschen unlösbaren Probleme gleichsam mit Zauberhand wieder ins Reine zu bringen. 3 Cicero nennt die Kreuzigung ein »supplicium crudelissimum taeterrimumque«, vgl. In Verrem V,165; zum Ganzen siehe M. HENGEL, Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross, London/Philadelphia 1977. 4 Dtn 21,22 f., zitiert von Paulus in Gal 3,13.

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Die Auferstehung war also nicht einfach die Lösung aller Fragen; in gewisser Weise begannen sie damit erst. Denn Auferstehung heißt ja, dass Gott sich hinter seinen gekreuzigten Sohn gestellt hat und ebendas, was hier an Heillosem geschah, als sein Heil behauptete. Die Verkündigung der Auferstehung implizierte also, dass die von Jesus in Wort und Tat bezeugte Gegenwart Gottes durch das Kreuz gerade nicht widerlegt, sondern im Gegenteil definitiv bestätigt worden war. Beredtester Ausdruck für diese Überzeugung ist der Name Jesus Christus, in dem der Titel Christus (= »der Gesalbte«, die griechische Übersetzung des hebräischen ›Messias‹) zum Eigennamen jenes hingerichteten galiläischen Zimmermannes Jesus von Nazareth wird, also das Leben und Sterben dieses Menschen als Heil der Welt verstanden wird. Dass eine solche positive Deutung möglich sei, wird zunächst aufgrund der Erscheinungen vorausgesetzt und deshalb behauptet. So sagt etwa der Auferstandene den trauernden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus: »O ihr Unverständigen und zu stumpf im Herzen, um dem zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht Christus dies alles leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?« Anschließend berichtet der Erzähler: »Und anfangend bei Mose und allen Propheten legte er ihnen aus, was in allen Schriften über ihn gesagt ist« (Lk 24,25–27). Was da »in allen Schriften« über die Passion gesagt wird und warum Christus leiden musste, wird hier noch ebenso wenig präzisiert wie bei der von Paulus in 1. Kor 15,3f. zitierten Formel, der gemäß Christus für unsere Sünden starb »nach den Schriften« und ebenso »nach den Schriften« am dritten Tag auferstand. Wohl aber ist damit die Richtung gewiesen. Die Deutungen des Todes Jesu beruhen also auf zwei Voraussetzungen: Die erste ist eine neue Erfahrung der Gegenwart des Gekreuzigten, die andere das Zeugnis des alttestamentlichen Gotteswortes, in dessen Zusammenhang dieses Ereignis gestellt und aus dem es gedeutet wird. Wenn hier durchweg im Plural von ›Deutungen‹ des Todes Jesu gesprochen wird, dann deshalb, weil die dabei gegebenen Antworten durchaus vielfältig sind. Zum Teil ergänzen sie sich, aber sie lassen sich doch in ihrer Vielgestaltigkeit nicht einfach auf einen Nenner bringen. Der Gekreuzigte kann zunächst einfach in eine Reihe mit den anderen von Israel abgelehnten Gottesboten gestellt und den jüdischen Adressaten zum Vorwurf gemacht werden.5 Damit verbunden werden Motive vom leidenden Gerechten und seiner Erhöhung, vor allem in Form des Kontrastschemas, das der Verwerfung durch die Menschen Gottes anderes Urteil entgegenstellt (Apg 3,13–15; 4,10; 5,30f. u. ö.). Vertieft wird dies durch die relecture der 5

Dies erfolgt vor allem in Aufnahme der deuteronomistischen Tradition vom gewaltsamen Prophetenschicksal (Mk 12,1 ff.; Apg 7,51 f.; 1. Thess 2,14 f.); vgl. dazu O. H. STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten (WMANT 23), NeukirchenVluyn 1967, 265–279.

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Passion im Spiegel der Psalmen, später auch der Propheten, welche den Zusammenhang von gottverlassenem Leiden und Errettung aus dem Todesbereich in den Heiligen Schriften verortet.6 Ganz allgemein wird festgestellt, dass dieses Sterben »für viele«, »für uns« etc. geschah (Mk 10,45 par.; 14,24 par.; 1. Kor 11,24; 1. Joh 3,16 u. ö.). Bisweilen wird dabei an die alttestamentlichen Sühnetraditionen angeknüpft und die damit verbundene Opfervorstellung (Mk 10,45 par.; Röm 3,21ff.; Hebr 9,1–10,18 u. ö.), wobei das dadurch erreichte ›Ergebnis‹ wiederum sehr unterschiedlich akzentuiert werden kann: Vergebung der Sünden (Mt 26,28; 1. Kor 15,3), Befreiung vom Zorn und Leben mit Christus (1. Thess 5,9f.), Rechtfertigung (Röm 3,24–26; 5,9 u. ö.), Versöhnung mit Gott (2. Kor 5,14ff.; Röm 5,10f.), ewiges Heil (Hebr 5,10), Zugang zu Gott (1. Petr 3,18) etc. Einen eigenen Akzent setzt die Deutung des durch den Tod Jesu erfolgten Loskaufs, bei der Sühnemotive noch durch Motive des (sakralen?) Sklavenloskaufs ergänzt werden (Gal 3,13; 1. Petr 1,18). Jesu Tod kann auch im apokalyptischen Horizont als Beginn der Endzeitereignisse (vgl. Mt 27,51–53; 1. Kor 15,20ff.), als Brechung der Todesmacht (1. Kor 15,20.54–57) und Befreiung von der Vergänglichkeit (1. Kor 15,42–54; 1. Petr 1,18ff.) verstanden werden. Bilder wie das vom Hirten, der sein Leben für seine Schafe lässt (Joh 10,11–16), oder vom Weizenkorn, das erst in die Erde fallen und sterben muss, ehe es Frucht bringt (Joh 12,24; vgl. 1. Kor 15,36f.), plausibilisieren den Tod Jesu auf ihre Weise als ein den Menschen zugute kommendes Ereignis. Urchristliche Hymnen preisen die Fleischwerdung und Erniedrigung des präexistenten Gottessohnes, der dann die Erhöhung durch Gott entspricht: Der Gekreuzigte wird zum Herrn der Welt, ihm wird ein »Name über jedem Namen« verliehen (Phil 2,5–11), und er hält »alle Gewalt im Himmel und auf Erden« in seinen Händen (Mt 28,18). Am konsequentesten wird der Gedanke der durch die Erniedrigung bedingten Erhöhung im Johannesevangelium entfaltet: Dort markiert bereits der Tod am Kreuz die Vollendung des Gesandten7 und ist deshalb selbst schon identisch mit seiner Erhöhung.8

6 Besonders auffällig geschieht dies beim durchgehenden Bezug der synoptischen Kreuzigungserzählung auf Ps 22, aber auch andere Psalmen fließen in die Wiedergabe der Passion ein (vgl. Ps 118,22 f. in Mk 12,10 f. par.; Ps 42,6.12; 43,5 in Mk 14,34 par.; Ps 69,22 in Mk 15,23.36 par.; Ps 31,6 in Lk 23,45). Bei den Prophetentexten kommt vor allem dem vierten Gottesknechtslied (Jes 53) eine besondere Bedeutung zu (vgl. bes. Apg 8,32 f.; 1. Petr 2,22–25). 7 Bezeichnend dafür ist Jesu letztes Wort am Kreuz bei Johannes: »Es ist vollbracht« (19,30). 8 ›Erhöhen‹ bezeichnet in bewusster Doppeldeutigkeit im Johannesevangelium sowohl das Hochziehen des patibulum (Querbalken) mit dem Gekreuzigten als auch die Erhöhung Jesu zu Gott.

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Es ist also eine überraschende Vielfalt von Deutungen, die uns im Zusammenhang des Todes Jesu begegnet. Auf den ersten Blick könnte diese Pluralität verwirrend wirken, als wüssten die neutestamentlichen Schriften nicht so recht, was denn die richtige Deutung sei. So entstand immer wieder das Bedürfnis nach Vereinheitlichung. Solche Versuche sind jedoch problematisch, weil sie den Reichtum der biblischen Antworten verkürzen. Und sie sind unnötig: Nicht die Vielfalt von Deutungen ist verdächtig, sondern die Einförmigkeit – ist Letztere doch Zeichen ideologischer Gleichschaltung,9 wohingegen die bemerkenswerte Mannigfaltigkeit der Deutungen darauf hinweist, dass das Ereignis der Begegnung mit dem Auferstandenen das Primäre ist, das dann im Dialog mit der Heiligen Schrift aus verschiedenen Perspektiven gedeutet wurde. Die folgenden Ausführungen zeichnen einige Aspekte dieser Deutungen nach. Sie beschränken sich auf zwei Schwerpunkte: Der erste ist die Deutung des Leidens und Sterbens Jesu in den Evangelien, hier vor allem im ältesten, dem Markusevangelium, das in besonderer Weise die Passion in den Mittelpunkt der Darstellung des Lebens Jesu stellt10 und dabei auch den inneren Zusammenhang dieses Todes mit Jesu Leben, seinen Taten, Worten und seinem Verhalten, deutlich macht. Den zweiten Schwerpunkt bilden die Briefe des Apostels Paulus. Während die Evangelien vorwiegend in narrativer Form das Leiden und Sterben Jesu deuten, macht der Apostel das Kreuz zum Maßstab des christlichen Redens über Gott und den Menschen.

II. Das Zeugnis der Evangelien 1. Das Markusevangelium 1.1 »… sondern dass er diene« – Lebenshingabe als Konsequenz des Lebens (Mk 10,45) Mk 10,32–45 ist die letzte einer Sequenz aus drei Szenen, in welchen jeweils auf eine Leidensweissagung Jesu ein direkter oder indirekter Widerstand der Jünger erfolgt, der wiederum von Jesus korrigiert wird (8,31ff.; 9,31ff.). Was die Jünger in allen drei Szenen dem Leidensweg Jesu entgegensetzen, sind ihre nur allzu menschlichen Bedürfnisse: Sie wollen das Leiden vermeiden, streben nach Anerkennung und Einfluss; kurz gesagt: Es geht ihnen um Selbstbehauptung. In diesem Fall sind es die Zebedäus9

Diese Einsicht verdanke ich einem Gespräch mit dem Prager Kollegen Petr Pokorný – wohl nicht zufällig die Einsicht eines Mannes, der hinter dem eisernen Vorhang gelebt und in Auseinandersetzung mit ideologischer Geschichtsdeutung gewirkt und Theologie getrieben hat. 10 M. Kählers berühmtes Dictum, dass die Evangelien Passionsgeschichte mit verlängerter Einleitung sind, trifft auf das Markusevangelium im Besonderen zu.

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söhne, die zur Rechten und Linken Jesu mit ihm auf dem Thron sitzen (und herrschen und richten) wollen. In seiner Antwort lehnt Jesus unter Bezug auf sein eigenes Leben und Sterben das sich in ›Unterdrückung‹ und ›Machtmissbrauch‹ manifestierende Leben auf Kosten der anderen ab. Wer so anderen den eigenen Willen aufzwingt und ihre Möglichkeit zur Selbstentfaltung abschneidet, nimmt nicht nur dem Nächsten die Luft zum Atmen, sondern lässt auch das eigene Leben durch Beziehungsverlust verkümmern: Wer Gewalt ausübt, verliert den anderen als Partner; Herrschen kann man nur über ein ›Es‹, nicht über ein ›Du‹. Dem setzt Jesus provokativ das ›Dienen‹ entgegen. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse des anderen, die auch die Zurücknahme der eigenen, unmittelbaren Wünsche bedeuten kann, die harte Arbeit der Ausrichtung auf das Gegenüber, gepaart mit Sensibilität und Leidensfähigkeit. Solches ›Dienen‹ ermöglicht es, dass wirkliche Gemeinschaft entsteht – und dass sie erhalten bleibt. Jesus begründet dies in V. 45 durch den Verweis auf die Haltung, die sein eigenes Leben geprägt hat: Auch er hat sich nicht bedienen lassen, sondern hat gedient; gerade als ›Herr‹ und ›Lehrer‹ hat er nicht von anderen, sondern für andere gelebt. Mit einem ›und‹ wird diese zweite Aussage noch präzisiert: Der Dienst führt in letzter Konsequenz zur Hingabe des Lebens als »Lösegeld für viele«. Die Rede vom Lösegeld spielt vermutlich auf die Vorstellung des Todes Jesu als Sühne an. Sühne meint dabei nicht, wie ein verbreitetes Missverständnis unterstellt, die Versöhnung einer erzürnten Gottheit durch ein blutiges Opfer. Vielmehr geht es bereits bei der alttestamentlichen Sühne um die von Gott selbst eingeräumte Möglichkeit, dass das durch Schuld verwirkte Leben durch die stellvertretende Lebenshingabe (im Alten Testament: eines Tieres) wieder mit ihm versöhnt wird.11 Dieses Heilsgeschehen wird hier zum Vorzeichen, unter dem das Leben und Sterben Jesu Christi gedeutet wird. Dabei wird die alttestamentliche Sühne zugleich endgültig überboten: Gott identifiziert sich selbst mit dem Opfer als seinem Sohn. Gott selbst tritt also für uns ein, ›dient‹ selbst, um unser in Schuld- und Verblendungszusammenhänge verstricktes und verwirktes Leben auszulösen: »… er wandt zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz, er ließ’s sein Bestes kosten«. 12 So wird aus dem Unheilsgeschehen der Kreuzigung Heilsgeschichte, aus dem gewaltsam 11 H. GESE, Die Sühne, in: DERS., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, Tübingen 21983, 85–106, speziell 100: »Der Mensch als solcher, in seiner Gottferne, ist angesichts der Offenbarung der göttlichen Doxa dem Tod verfallen. Aber Gott eröffnet einen Weg zu sich hin in der zeichenhaften Sühne, die sich in dem von ihm offenbarten Kult vollzieht.« Die Thesen Geses wurden von seinem Schüler B. J ANOWSKI bestätigt in der ausführlichen Studie: Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament (WMANT 55), Neukirchen-Vluyn 1982. 12 So M. Luther in dem Lied »Nun freut euch, lieben Christen g’mein« (EKG 341,4).

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endenden Leben frohe Botschaft, Evangelium. Das aber ist kein Akt göttlicher Willkür, sondern hat seine eigene Theo-Logik: Nicht die am Kreuz vordergründig triumphierende Ungerechtigkeit und Gewalt und deren Folge, der Tod, behalten das letzte Wort, sondern ebenjener ›Dienst‹, die Hingabe, weil dies der schöpferischen Macht der göttlichen Liebe entspricht und deshalb stärker ist als Schuld, Verderben, Tod. An diesem Heil gewinnt Anteil, wer sich in die Nachfolge dieses Jesus begibt. So schafft die Lebenshingabe Jesu Heil »für die Vielen«. 1.2 »… zum Eckstein geworden« – Gottes Widerspruch als Zuspruch (Mk 12,1–12) In gleichnishafter Form deutet die Erzählung von den bösen Winzern Mk 12,1–12 den Tod Jesu. Sie erzählt von einem Menschen, der einen sorgfältig angelegten Weinberg Pächtern überlässt und verreist. Als die Pacht fällig wird, sendet er einen Knecht, um sie in Empfang zu nehmen. Doch dieser wird misshandelt und ohne die Pacht zurückgeschickt. Ähnlich geht es anderen Abgesandten, wobei sich der Konflikt durch das Verhalten der Pächter dramatisch zuspitzt – bis hin zum Mord. Nach der Misshandlung und Ermordung vieler Knechte sendet der Besitzer zuletzt seinen Sohn in der Hoffnung, dass dieser respektiert wird. Doch damit verrechnet er sich gründlich: Überzeugt, mit der Tötung des Erben den Weinberg endgültig in den eigenen Besitz zu bringen, töten die Pächter auch diesen letzten Gesandten, den »geliebten Sohn« des Weinbergbesitzers, wie es ausdrücklich heißt. Die Folge ist ein fürchterliches Strafgericht über die Übeltäter und die Übergabe des Weinbergs an andere. Vermutlich handelte es sich ursprünglich um eine Parabel, mit der Jesus selbst seine ihn verklagenden Gegner vor den Folgen des Widerstandes gegen ihn warnte.13 Unter Bezug auf alttestamentliche Traditionen (vor allem der vom gewaltsamen Geschick der Gottesboten14) macht Jesus deutlich, dass der aktuelle Konflikt nur Ausdruck und Zuspitzung eines Antagonismus ist, der bereits die ganze bisherige Heilsgeschichte bestimmt hat: Auf der einen Seite stehen die Propheten, die das Volk immer wieder zur Umkehr gerufen haben. In deren Reihe stellt Jesus sich selbst, wobei er als der »Sohn« zugleich eine Sonderstellung beansprucht. Auf der anderen 13

In einer rekonstruierbaren Grundform (zwei Knechte, Sohn) lässt sich diese Erzählung durchaus als ein im damaligen Kontext nachvollziehbares Geschehen verstehen. Erst durch die vermutlich nachträgliche Allegorisierung kommt es zu den Übersteigerungen. Für die Parabel sprechen auch nicht allegorisierbare Züge wie etwa der ins Ausland gehende Herr oder auch dessen ›Verrechnen‹ bei der Sendung des Sohnes, die sich nicht übertragen lassen; vgl. dazu R. FELDMEIER, Heil im Unheil. Das Bild Gottes nach der Parabel von den bösen Winzern (Mk 12,1–12), ThBeitr 25 (1994), 5–22. 14 S. o. Anm. 5.

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Seite identifiziert Jesus seine Gegner mit jenem Teil des Gottesvolkes, der mit zunehmendem Widerstand auf diese Boten reagiert und deshalb jetzt, bei der Ablehnung des letzten und entscheidenden Gesandten, mit dem endgültigen Gericht Gottes zu rechnen hat. Gegenüber den hier aufgenommenen alttestamentlichen und frühjüdischen Traditionen wird dieser Widerstand noch dadurch verstärkt, dass er nicht nur durch die Ablehnung der Gottesboten motiviert ist, sondern durch die Gier der Winzer, sich selbst des Erbes zu bemächtigen. Nach Jesu Tod war es nicht schwer, in jener Gerichtsparabel eine Deutung der Passion zu sehen, zumal bereits eine Reihe von Metaphern (Weinberg und der Bezug zu Jes 5, Herr, Knechte, Früchte), welche auf eine Übertragung hin angelegt waren, die Allegorisierung der Parabel erleichterte. Man sah in ihr nun eine bildhafte Verschlüsselung der Ereignisse der Passion, durch welche Jesus selbst sein Sterben gedeutet hatte. Deren Pointe bestand zunächst ganz im Sinne der Parabel in der Gerichtsansage: Die Tötung Jesu wird als heilloser Endpunkt einer Unheilsgeschichte gesehen, in welcher Gottes Boten von seinem halsstarrigen Volk immer wieder abgelehnt, verfolgt und getötet wurden. Die Erzählung sagt: Jetzt ist der Bogen überspannt, die Geduld des Herrn ist definitiv zu Ende. Er wird kommen, »die Winzer vernichten und den Weinberg anderen geben«. Diesem zu seinem schlimmen Ende gekommenen Geschehen wird nun aber in den Versen 10f. noch ein Schriftwort aus Ps 118,22f. angefügt: »Habt ihr nicht diese Schrift gelesen: ›Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist dies geschehen und ist wunderbar in unseren Augen‹?« Ohne Vorbereitung wird an die zu ihrem schlimmen Ende gekommene Geschichte ein jubilierender Lobpreis angefügt, der sozusagen auf einer anderen Ebene das Geschehen weitererzählt, jetzt als ein wunderbares Heilsgeschehen. Das klingt wie ein Widerspruch – und ist es in gewissem Sinne auch. Das Schriftwort entstammt Ps 118. Dieser Psalm, ein sogenanntes ›Danklied des Einzelnen‹, blickt zurück auf das Leiden des Beters, aus welchem ihm Gott herausgeholfen hat. In V. 21 wird dieses abgeschlossen mit dem individuellen Dank an Gott. In V. 22 beginnt nun eine Gemeinschaft zu sprechen, vermutlich die Gemeinde, die das, was diesem Beter widerfahren ist, als Heilsgeschehen preist: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist dies geschehen und ist wunderbar in unseren Augen.« Verworfen wurde der Stein von den Bauleuten, weil Gott sich scheinbar von ihm abgewandt und ihn seinem Leid überlassen hatte. Die unerwartete Rettung erscheint letztlich als Rettung aus dem Machtbereich des Todes, wie das Bekenntnis des Beters V. 17f. unterstreicht: »Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen. Der Herr züchtigt mich, aber er gibt mich nicht dem Tode preis.« Diese Rettungsmacht Gottes hat sich im Geschick des Beters

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geoffenbart, sein scheinbar schon dem Tod preisgegebenes Leben ist so zum Hoffnungszeichen für andere geworden. Deshalb wird aus dem verworfenen Stein nicht einfach wieder nur ein normaler Stein, sondern sogar ein tragender Stein des ganzen Gebäudes. So weit Ps 118. Dieser Psalm, der als Schlusspsalm des Passahhallels jedem frommen Juden vertraut war, wird nun auf Jesus übertragen. Er, der nicht nur vor dem Tod bewahrt, sondern aus dem Tod gerettet wurde, ist nun in noch viel umfassenderem Sinn der Offenbarer der göttlichen Rettungsmacht. Hob die Gerichtsparabel Mk 12,1–9 die Ablehnung, ja Auflehnung der Menschen hervor, welche in die Katastrophe führte, so behält dennoch das Unheil nicht das letzte Wort, weil eben nicht nur vom Menschen die Rede ist, sondern – Gott sei Dank – auch von Gott. Die Untat des Mordes am geliebten Sohn, die eigentlich die letzte Brücke zwischen Gott und seinem Volk zerstört hat, wird nun zur Grundlage eines Neuanfangs. Kurz: Nicht die im Handeln der Winzer sich zeigende mörderische Gier und Gewalt der Nachkommen Kains bestimmen den Ausgang der Geschichte, sondern das Handeln Gottes, das aus dem, was menschliche Schuld zertrümmert hat, einen neuen Bau errichtet – mit dem verworfenen Stein Jesus Christus als Eck- oder Schlussstein. Das wird hier geschildert, nein: nicht geschildert, sondern jubilierend gepriesen, wie man überhaupt von dem, was sich da ereignet hat, eigentlich nur im Modus des Lobpreises angemessen sprechen kann. 1.3 »Für euch gegeben« – das Abendmahl als Summe des Lebens Jesu Mk 14,22–25 schildert, wie Jesus während des Passahmahls, in dem das Heilsereignis des alten Bundes gefeiert wird, das Brot nimmt, es austeilt und auf seinen Leib deutet. Dasselbe wiederholt sich dann beim Wein, der als »Blut des Bundes« gedeutet wird, das »für viele« vergossen wird. Diese Deutung des Sterbens als eines Heilsereignisses »für viele« nimmt die schon in 10,45 erwähnte alttestamentliche Sühnetradition auf, die – nochmals sei es der vielen Missverständnisse wegen gesagt – nicht die Besänftigung eines wütenden Gottes durch ein blutiges Opfer meint: »Nicht […] der Mensch ergreift hier die Initiative, um Gott umzustimmen und ihn wieder zu versöhnen, sondern Gott schenkt dem Menschen in der Situation des selbstverschuldeten Schadens die Möglichkeit neuen Lebens mit der neuen Gemeinschaft.«15 Was aber in Mk 10,45 nur im einzelnen Wort anklang, wird jetzt als die das Passahmahl ersetzende Gemeinschaftsfeier des Heilstodes Jesu eingesetzt (vgl. 1. Kor 11,23–26). Zu beachten ist schon der Kontext der Szene. Der Heilszuspruch des Abendmahls ist umgeben vom ausgesprochen heillosen Verhalten derjenigen, denen diese Lebenshingabe zugute kommt: Unmittelbar zuvor wird 15

H.-J. ECKSTEIN, Glaube, der erwachsen wird, Holzgerlingen 62002, 26.

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der »Verrat« des Judas angekündigt, unmittelbar danach sagt Jesus den anderen Jüngern ihr Versagen voraus, und trotz heftiger Dementis fliehen sie dann bei Jesu Verhaftung und lassen ihren Meister im Stich. Ja, je näher sie Jesus stehen, desto tiefer ist der Fall: Die drei Vertrautesten, Petrus, Jakobus und Johannes,16 lassen Jesus in seiner Anfechtung in Gethsemani allein und schlafen alle drei dreimal; und von diesen Dreien ist es nochmals Petrus, unter allen Jüngern im Evangelium Jesu markantestes Gegenüber, der ihn dann noch dreimal verleugnet. Die Jünger erweisen sich also als dieser Hingabe völlig unwert. In diesem Kontext des Versagens erfolgt der Zuspruch des Heils! Dieses wird präzisiert, indem Jesus sein Blut als »Blut des Bundes« bezeichnet. Das spielt auf den Bundesschluss am Sinai an, wo Mose die Hälfte des Blutes der geopferten Tiere an den Altar sprengt (also den Ort Gottes), mit der anderen Hälfte das Volk besprengt und dazu sagt: »Siehe, das ist das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat« (Ex 24,8). Gott bindet sich dort an diese entlaufenen Lohnarbeiter, macht sie zu seinem Volk und verheißt ihnen Land und Schutz. Bund heißt also: Gott wendet sich von sich aus zu, bindet sich an Menschen. Die weitere Geschichte zeigt, dass Gott diesem Bund trotz allen Versagens der Menschen treu bleibt, dass er zwar immer wieder die Verwerfung ansagt, aber zugleich immer wieder den Weg zum Menschen sucht.17 Es gibt vor allem bei den Propheten (vgl. Jer 31,31ff.) dann auch die Aussage, dass Gott diesen Bund erneuern, dem zum Gehorsam unfähigen Menschen ein erneuertes Herz geben wird. Im Zusammenhang dieser Hoffnung interpretiert Jesus seinen Tod: Sein Sterben hat also zentrale Bedeutung für Gottes Verhältnis zu den Menschen – in ihm besiegelt Gott seine Zuwendung zum Menschen inmitten von dessen Schuldzusammenhängen. Die Parallelen unserer Abendmahlsüberlieferung bei Lukas und Paulus unterstreichen dies noch, indem sie hier vom »neuen Bund« sprechen.18 Der stellvertretende Charakter dieses Sterbens wird noch unterstrichen durch die Hinzufügung, dass das Blut Jesu »für viele vergossen« sei. Wie schon Mk 10,45 stellt dies den Tod in den Zusammenhang des ganzen Lebens Jesu, das ein Leben aus Gottes Nähe für andere war. So ist auch der Tod letzte Konsequenz der Selbsthingabe; Jesus liefert sich sozusagen »mit Haut und Haaren« aus, um so Gemeinschaft zwischen Gott und den Men16 Allein diese drei haben Jesus in den ungewöhnlichen Situationen begleitet (Mk 5,37; 9,2; 14,33; vgl. 13,3). 17 Markant wird die ›Zerrissenheit‹ Gottes in der Selbstaussage in Jer 31,20 ausgedrückt: »Ist Ephraim nicht mein teurer Sohn und mein liebstes Kind? Denn sooft ich ihm auch drohe, muss ich doch seiner gedenken; darum bricht mir das Herz, dass ich mich seiner erbarmen muss, spricht J HWH.« 18 1. Kor 11,25; Lk 22,20: καινὴ διαθήκη; lateinisch heißt dies novum testamentum – daher unsere Bezeichnung »Neues Testament« für die Bezeugung dieses in Jesus Christus geschlossenen neuen Bundes.

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schen zu stiften, eben den »Bund«. Gerade dadurch verkörpert er Gottes andere Wirklichkeit, seine Herrschaft, die nicht auf Gewalt über andere basiert, sondern auf der Existenz für andere. Ebendieser mit dem Tod besiegelte Einsatz für die anderen, die Liebe wird nun zur Grundlage des Bundes Gottes mit dem Menschen. So macht die Abendmahlsszene am Beginn der Passion deutlich: Auch das äußerste von Menschen zu verantwortende Unheil macht die Ansage der guten Nähe Gottes, die frohe Botschaft von seiner im Auftreten Jesu anbrechenden Herrschaft, nicht rückgängig. Der Gott der Verkündigung Jesu, der die Sünder heilen will, der das Verlorene sucht und dem abtrünnigen Sohn entgegenläuft, dieser Gott bleibt sich treu – gerade auch angesichts des äußersten menschlichen Versagens.19 Die Abendmahlsszene schließt mit einem sogenannten ›eschatologischen Ausblick‹ in Form eines feierlichen Amenwortes: »Wahrlich, ich sage euch: Ich werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken bis zu jenem Tag, wenn ich es von Neuem trinke im Reich Gottes.« Damit wird von jenem irdischen Mahl aus verwiesen auf das Reich Gottes, das hier in jüdischer Tradition durchaus als ein fröhliches Festmahl mit gutem Essen und Wein vorgestellt wird. Die durch die Lebenshingabe gestiftete neue Gemeinschaft hat also das von Jesus angesagte Reich Gottes zum Fluchtpunkt. 1.4 »Nimm diesen Kelch von mir« – Gethsemani (Mk 14,32–42)20 Bei der Deutung der Passion Jesu wird oft der Eindruck erweckt, als handle es sich um die Erfüllung eines Heilsplans, der von Jesus einfach ausgeführt wird. Ein solcher Eindruck ist zumindest sehr ungenau; denn er unterschlägt die Dramatik dieses Geschehens, die besonders in den Erzählungen des ältesten Evangeliums noch sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Dies zeigen die beiden eindrücklichsten Szenen der Leidensgeschichte, der Gebetskampf von Gethsemani und das Sterben auf Golgatha. Im Landstück Gethsemani, unmittelbar vor seiner Verhaftung, überfällt den Gottessohn jähes Entsetzen, das mit der bisher so fraglosen Gewissheit seines Weges ins Leiden schwer zu vereinen ist. Als träfen sie ihn völlig unvorbereitet, so fallen die Schatten des Kommenden auf ihn und füllen alles mit ihrem Dunkel: »Und er begann«, so heißt es, »sich zu entsetzen und in Angst zu geraten.« Seine Not, die Jesus das einzige Mal im Evangelium ausdrückt, formuliert er in Worten des Doppelpsalms 42f.: »Und er sagt zu ihnen: Ganz voll Trauer ist meine Seele bis in den Tod.« Thema des Psalms ist die Klage über die Verborgenheit Gottes, die von den Gegnern in der wiederholten Frage dem Beter höhnisch vorgehalten wird: 19

In gewisser Weise setzt das Abendmahl so auch Jesu Mähler mit den Sündern fort, in denen er diesen Gottes gute Nähe vermittelt hat. 20 Vgl. dazu R. FELDMEIER, Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemaneerzählung als Schlüssel der Markuspassion (WUNT II/21), Tübingen 1987.

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»Wo ist nun dein Gott?« (Ps 42,4.11) Dieser kann sie nur klagend an Gott weitergeben, kulminierend in der Anklage: »Warum hast du mich verworfen?« (Ps 43,2) Dies weist schon darauf hin, dass auch die Traurigkeit des Gottessohnes ihren eigentlichen Grund in der Verborgenheit des Vaters hat. »Praeludium mortis« – so hat J. A. Bengel diese Gethsemaniszene genannt, das Vorspiel des Todes, und in der Tat erlebt Jesus hier das, was den eigentlichen Schrecken seines Todes ausmacht: seine völlige Verlassenheit, die in seinem gottverlassenen Sterben kulminieren wird. Gegen die Verlassenheit sucht er das einzige Mal im Evangelium den Trost menschlicher Gemeinschaft: »Bleibt hier und wacht.« Der noch beim Abendmahl so klar bejahte Wille Gottes wird fraglich: »Und ein kleines (Stück) weitergehend, fiel er auf die Erde und betete (lange), dass, wenn es möglich ist, diese Stunde an ihm vorüberginge. Und er sprach: ›Abba, Vater, alles ist dir möglich. Trag diesen Kelch an mir vorbei.‹« Gemeinhin interpretiert man dies so, dass den Gottessohn nun doch plötzlich Todesangst überfällt. Das klingt zwar menschlich anrührend, geht aber am Eigentlichen des Gebetes vorbei.21 Daher muss von dieser doch etwas platten Deutung Abstand genommen und gefragt werden, worum es hier denn in Wirklichkeit geht. Ein erster Schlüssel ist die Metapher des Kelches, um dessen Vorübergehen Jesus hier betet. Dieser meint nirgends im Alten oder Neuen Testament einfach das Leiden oder das Todesgeschick, sondern den Zorn Gottes!22 Es besteht kein Grund, diese Bedeutung nicht auch hier anzunehmen. Gottes Zorn aber wird in der Bibel vor allem in seiner Verborgenheit und Abwendung erfahren. Dort, wo Gott sich abwendet und den Menschen dem Untergang preisgibt, ist sein Zorn wirksam (vgl. Röm 1,18ff.). Wenn aber der Gottessohn gerade so mit dem Vater zusammengehört, dass er die Menschen zu ihm zurückführt, dass er Gottes Herrschaft in dieser Welt aufrichtet, dann ist die für ihn und seine Botschaft verschlossene Welt sein Scheitern, die Infragestellung seines ganzen Lebens. Er, der als der Menschensohn sich ganz auf die Seite der Menschen gestellt hat, er21 Das zeigen schon drei Schwierigkeiten dieses scheinbar naheliegenden Verständnisses: 1. Im Kontext des Evangeliums entbehrt diese Deutung nicht einer gewissen Komik – erst hat Jesus so vollmundig seinen Tod angekündigt, ja gefeiert und den Widerspruch der Jünger aufs Schärfste zurückgewiesen (vgl. Mk 8,33), und nun will er auf einmal nicht mehr. 2. Selbst wenn man solches Jesus zutrauen würde, dann bliebe weiter zu fragen, warum die christliche Gemeinde dieses ja für ein heldenhaftes Sterben wenig taugliche Gebetsringen in Gethsemani nicht unterschlagen hat, sondern es als längste Einzelerzählung der Passion wiedergegeben hat, obgleich der klagende Jesus für die heidnischen Kritiker ein gefundenes Fressen war! 3. Und vor allem: Wenn Jesus wirklich nur Todesangst hatte und sein Sterben hätte vermeiden wollen, dann hätte er nicht in einem derart dramatischen Gebetsringen an die göttliche Allmacht appellieren müssen; es hätte genügt, wenn er sich am Ölberg in die Büsche bzw. Ölbäume geschlagen hätte – dann hätten die Häscher ihn nie gefunden, und die Passion hätte nicht stattgefunden. 22 Vgl. Jes 51,17; Jer 25,15; Ps 75,9; Apk 14,10; 18,6 u. ö.

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fährt nun die Trennung von Gott, seinen Zorn über die von ihm abgewandte Welt. Um die Rettung aus dieser Bedrängnis bittet Jesus in Gethsemani. Deshalb appelliert er auch an Gottes Allmacht! Von daher erschließt sich auch die ›Stunde‹ als die Stunde des Gerichtes. Womit Jesus hier in Gethsemani also ringt, ist die Verborgenheit Gottes, sein Schweigen dazu, dass statt der von Jesus angekündigten Gottesherrschaft nun die Finsternis triumphiert. Gerade jetzt, in der Passahnacht, in der Nacht der göttlichen Rettungswunder, ruft er seinen Vater an, und zwar mit der einzigartigen, intimen Anrede »Abba«. Wie die Psalmisten insistiert Jesus gerade auf der Nähe des fern gewordenen Gottes. Zwar hält Jesus am Ende des Gebetes fest: »Aber nicht (entscheidet), was ich will, sondern was du (willst)« und macht so deutlich, dass er sich in jedem Fall dem Willen des Vaters unterwirft. Aber zugleich macht er klar, dass dieser Wille Gottes seinem eigenen Willen entgegensteht, und er bittet im dreifachen Gebetsringen darum, dass dieser Wille Gottes, der ihn so schreckt, sich ändern soll. Aber es erscheint kein stärkender Engel, wie wir es vielleicht aufgrund einer späteren Einfügung in das Lukasevangelium von den Altarbildern her kennen, und erst recht hören wir keine Stimme vom Himmel wie bei Taufe und Verklärung. In geradezu anstößiger Sachlichkeit berichtet das Evangelium von Jesu Rückkehr zu den schlafenden Jüngern und deren Ermahnung, von seinem zweiten Gebet und der erneuten Rückkehr. Und noch ein drittes Mal wiederholt sich diese Bewegung zwischen einem verschlossenen Himmel und den unbegreiflich teilnahmslos schlafenden Gefährten – ein Hin und Her zwischen zwei Mauern des Schweigens, beendet erst durch das Kommen des die Häscher anführenden Verräters. Auf dem Hintergrund der einzigartigen Gottesnähe Jesu kann dieses Schweigen Gottes nur als Verwerfung verstanden werden, und exakt dies drückt Jesus aus, wenn er zuletzt feststellt, dass »der Menschensohn in die Hände der Sünder preisgegeben wird«. Jener Ausdruck vom »Preisgeben in die Hände« ist ursprünglich in der Bannformel des Heiligen Krieges beheimatet und meint die Übereignung der Feinde zum Vernichtungsgericht. In späterer Zeit, vor allem bei den Propheten und im deuteronomistischen Geschichtswerk, wird diese Wendung dann aber auch für das Gericht über das ungehorsame Volk verwendet: Gott wendet sich von Israel ab und gibt es so seinen Feinden preis. Die Anwendung der Formel auf Jesus macht deutlich: In der Preisgabe durch den Vater erleidet der »Menschensohn« das Gericht, ein Gericht, das ihm im Schweigen des Himmels und in der Teilnahmslosigkeit seiner Vertrauten als totale Verlassenheit begegnet. Die Gemeinde hat dieses Gebetringen als längste Erzählung der Passionsgeschichte überliefert, weil gerade in jener Verzweiflung Jesu deutlich wird, dass die Passion kein heldenhafter Opfergang war, sondern das Zerbrechen des Gottessohnes an der Gottferne dieser Welt, der eben auch dieses Zerbrechen noch gegen alle Anfechtung als Gottes Willen auf sich nahm. So zeigt Gethsemani die

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Innenperspektive der Leidensgeschichte – und verweist zugleich über sich hinaus auf die göttliche Rechtfertigung dieses Vertrauens. 1.5 »Mein Gott, warum« – Golgatha (Mk 15,20–39) Diese Rechtfertigung des Vertrauens erfährt freilich nicht mehr der Irdische. Die Finsternis von Gethsemani bleibt bis Golgatha bestehen, symbolisiert in der Dunkelheit, die über seinem Sterben liegt. Diese Erzählung von der Kreuzigung Jesu23 beginnt damit, dass Jesus zur Kreuzigung hinausgeführt wird (V. 20). Diese Hinrichtungsart wurde vermutlich von den Persern erfunden; die Römer übernahmen sie von den Puniern. Wegen ihrer besonderen Grausamkeit und Schande – der so Hingerichtete verendete qualvoll vor aller Augen – galt sie als die elendeste Todesart, die im Allgemeinen nur an besonders niederstehenden Menschen (Sklaven, später auch an Freigelassenen und Fremden) angewandt wurde. Bei Jesus ist dies darin begründet, dass er als Aufrührer gekreuzigt wurde. Für diesen politischen Hintergrund sprechen auch weitere Einzelheiten der Kreuzigung: Die Inschrift über dem Kreuz (causa poenae) bezeichnet Jesus als König der Juden, d. h. als Aufrührer gegen Rom (15,26). Ebenso dürften jene mit Jesus gekreuzigten Räuber (15,27) jüdische Widerstandskämpfer sein, die von den Römern nicht als Feinde anerkannt wurden (und damit Anrecht auf ein Minimum an Schonung durch das Kriegsrecht hatten), sondern als »Räuber« zur schlimmsten Verbrecherkategorie gerechnet wurden. Üblich war, dass der Verurteilte den Querbalken (patibulum) selbst zur Hinrichtungsstätte tragen musste, wo er dann an diesem festgebunden oder festgenagelt und an dem bereits an der Hinrichtungsstätte festgerammten Pfahl hochgezogen wurde. Warum man einen Vorbeigehenden nötigte, den Querbalken für Jesus zu tragen (V. 21), ist nicht sicher. Jesus wird zu einem Ort namens ›Golgotha‹ gebracht, dessen Name mit »Schädelstätte« übersetzt wird (V. 22). Ihm wird mit Myrrhe versetzter Wein angeboten, ein Rauschmittel, das die Leiden lindern soll (V. 23). Warum Jesus dies ablehnt, wird nicht gesagt – will er dem Leiden ohne Betäubung standhalten? In äußerster Knappheit wird die Kreuzigung berichtet. Zugleich wird das Aufteilen 23 Bei dieser Erzählung handelt es sich – wie auch sonst im Evangelium – nicht einfach um einen Geschichtsbericht. Zwar dürfte es eine Grundschicht gegeben haben, die von den Vorgängen des Sterbens Jesu erzählte und dabei auch konkrete Erinnerungen aufbewahrte, aber diese Grundschicht wurde dann überarbeitet, indem durch den Verweis auf die Psalmen (vor allem Ps 22) und durch eingearbeitete apokalyptische Motive (Stunde, Finsternis, Zerreißen des Tempelvorhangs) dieses schreckliche Geschehen zugleich interpretiert wurde. Da Wiedergabe und Deutung im Erzählen verschmolzen, ist es bei einzelnen Versen umstritten, was nun genau Geschichtsbericht und was Deutung ist. Für uns ist nur wichtig, dass das Geschehen gerade so erzählt wurde, um es im Lichte der Heiligen Schriften zu deuten und zugleich seine Bedeutung für diese Welt durch die apokalyptischen Motive herauszustellen.

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der Kleider des Delinquenten berichtet (V. 24). Vermutlich war dies ein römischer Brauch. Unterstrichen wird damit auch die Entwürdigung des Hingerichteten, der nun entblößt den Blicken der Neugierigen preisgegeben ist. Dieser Zug wird mit Worten des Psalms 22 wiedergegeben. Wir werden diesem Psalm noch öfters wieder begegnen – am deutlichsten in Jesu Schrei, bei dem er diesen Psalm zitiert. Die Wiedergabe der Passion mit den Worten des Psalms macht deutlich, dass all das, was hier erzählt wird, die Erfüllung dessen ist, was im alttestamentlichen Gotteswort verheißen ist. Und das heißt zugleich: Das Sterben, so heillos und gottverlassen es auch zu sein scheint, so heillos und gottverlassen es auch von Jesus selbst erlebt wird, entspricht letztlich doch Gottes Willen. Explizit wird unterstrichen, dass es sich beim Zeitpunkt der Kreuzigung um die dritte Stunde handelt (V. 25). Das Motiv der Stunde kehrt dann wieder – von der sechsten bis zur neunten Stunde legt sich eine Finsternis über die ganze Erde (V. 33), in der neunten Stunde stirbt Jesus (V. 34–37). Was immer hier an historischer Erinnerung über den Zeitpunkt des Sterbens Jesu vielleicht noch bewahrt wurde, wissen wir nicht. Dieses Motiv der jeweils im Dreistundentakt voranschreitenden Ereignisse ist in jedem Fall auch ein gewichtiges Deuteelement: Ähnlich wie der Verweis auf die Psalmen zeigt es, dass das Geschehen bei aller scheinbaren Widersinnigkeit doch in Wahrheit nach Gottes Plan abläuft. Genauer noch: Da die Stundeneinteilung vor allem bei Ereignissen begegnet, die eine apokalyptische Dimension andeuten – der Finsternis und dem Zerreißen des Tempelvorhangs –, unterstreicht sie die universale Bedeutung dieses Todes. Die Letzten, die noch ihren üblen Part bei der Leidensgeschichte Jesu spielen, sind die Vielen, die bei der Kreuzigung dabei sind – von den Vorbeigehenden über die Hohepriester bis hin zu den Mitgekreuzigten (V. 29– 32)! Sie alle machen sich über den Sterbenden lustig, und zwar so, dass sie damit sein jämmerliches Geschick als offenkundige Widerlegung seines Anspruchs interpretieren.24 Aber Gott bleibt stumm. Stattdessen breitet 24 Zunächst sind dies einfach die Vorübergehenden (V. 29). Auch ihr höhnisches Kopfschütteln entstammt Psalm 22 (V. 8), ein spöttisches Bedauern über die gefallene Größe dessen, der doch den Tempel einreißen wollte. Das Motiv des Tempels wird wieder aufgenommen in Mk 14,38, wo im Zerreißen des Tempelvorhangs Gott gewissermaßen auf seine Weise darauf reagiert. Doch dies geschieht erst nach Jesu Tod. Der Lebende wird nur mit der spöttischen Aufforderung konfrontiert: »Rette dich selbst« (V. 30). Damit werden nun auch Jesu Anspruch als Retter, sein bisheriges vollmächtiges Auftreten und seine damit verbundene Verkündigung der angebrochenen Gottesherrschaft höhnisch gegen den hilflos am Kreuz Hängenden gewandt. Dieses Motiv, dass das Kreuz das bisherige Leben Jesu widerlegt, gerade auch seine Wunder und Machttaten, wird noch einmal aufgegriffen und verstärkt im Spott der Hohenpriester: »Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten! Der Messias (Christus), der König Israels, soll nun vom Kreuz steigen, damit wir sehen und glauben« (V. 31 f.). Auch dieses Motiv findet sich im Psalm, wenn die kopfschüttelnden Feinde dort dem Leidenden vorhalten:

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sich über Jesu Sterben Finsternis aus (V. 33). Auch das ist eine Reaktion des Himmels, die allerdings zunächst nur bestätigt, dass sich hier das Gericht über die Welt vollzieht (vgl. Mk 13,24f.). Zugleich aber wird diese Dunkelheit durch die Angabe »von der sechsten bis zur neunten Stunde« beschränkt. Die neunte Stunde aber, das erfährt man im Folgenden, ist die Todesstunde. Der Gottessohn stirbt zwar in der Finsternis, aber mit seinem Tod bricht das Licht wieder an – ein Hinweis, dass dieser Tod nicht die Dunkelheit der Welt fortsetzt, sondern ihr das Licht bringt. Doch dies liegt jenseits der Erfahrungen des Irdischen. Dieser stirbt den bitteren Tod mit dem klagend-anklagenden Schrei: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen« (V. 34). Auch das ist wieder Psalmensprache, und natürlich weiß jeder Fromme, dass dieser Psalm letztlich im Preis des göttlichen Rettungshandelns mündet. Aber es ist dennoch nicht statthaft, die Klage dieses Wortes einfach auszublenden25 – es gehört eben zum Doppelcharakter der Passion, dass sie im Tiefsten Ausdruck der göttlichen Rettungsmacht ist, zugleich aber aus der menschlichen Perspektive Auslieferung an die Gottesferne, wie auch noch einmal die letzte kleine Szene, das sogenannte Eliamissverständnis, unterstreicht (V. 35f.).26 Mit einem letzten Schrei stirbt Jesus (V. 37). Dass Jesus mit »lauter Stimme« stirbt – ein Ausdruck, der gerne für die Himmelsstimme verwendet wird –, mag wieder ein verborgener Hinweis auf die andere, die göttliche Dimension dieses Geschehens sein, die nun im Folgenden dargestellt wird: Denn jetzt, nach Jesu Tod, erfolgt der Umschwung: Das Licht kehrt wieder, der Vorhang des Tempels zerreißt (V. 38), und ausgerechnet ein heidnischer Militär, der Führer des Hinrichtungs»Er klage es dem Herrn, der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm« (Ps 22,9). Das Geschick des leidenden Gerechten wird also hier wie dort gegen sein Gottvertrauen ausgespielt: Wenn Gott ihm nicht heraushilft, so die Schlussfolgerung, dann hat Gott also kein Gefallen an ihm, dann ist der Leidende von Gott verlassen. Das Matthäusevangelium hat dies noch einmal zugespitzt, indem Jesus dort vorgehalten wird: »Wenn du Gottes Sohn bist, rette dich selbst und steig herab vom Kreuz« (Mt 27,40; vgl. auch V. 43). In jenem »Wenn du Gottes Sohn bist« klingt noch einmal die Stimme des Teufels an, der am Anfang des Evangeliums die Demonstration göttlicher Macht als Erweis der Gottessohnschaft eingeklagt hatte. Er feiert jetzt im Spott der Menschen seinen Triumph. 25 Andernfalls hätte man Jesus eben einen anderen, ›positiveren‹ Vers in den Mund gelegt. 26 Das Leben des Sterbenden soll mit einem Reizmittel verlängert werden, um Elia noch eine letzte Gelegenheit zum Eingreifen zu geben. Es ist umstritten, ob Elia hier als der Nothelfer des bedrängten Frommen oder als der Vorläufer des Messias erwartet wird – beides entspricht frühjüdischer Tradition. Doch letztlich ist dies zweitrangig; entscheidend ist, dass dem Himmel mit der Lebensverlängerung noch eine letzte Gelegenheit zum Eingreifen gegeben wird und dass diese himmlische Hilfe ausbleibt. Dies unterstreicht szenisch nochmals, dass der am Kreuz Hängende allein bleibt.

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kommandos, bekennt den Gekreuzigten als Gottes Sohn (V. 39). Das Zerreißen des Tempelvorhangs stellt eine Parallele zur Taufe am Anfang des Evangeliums dar: Dort zerriss der Himmel, nach einer frühjüdischen Vorstellung der Vorhang vor Gottes Thron, und Gott stellte sich hinter diesen Menschen Jesus. Sein Geist kam auf Jesus herab, d. h., in ihm war Gott gegenwärtig. Nun zerreißt der Vorhang des Tempels, der nach dem Zeugnis von Philon und Josephus mit seinen Stickereien das Himmelsgewölbe abbildete.27 Analog zum himmlischen Vorhang grenzte er den Ort, wo Gott in der Welt gegenwärtig wird, vom Rest der unheiligen Welt ab. Diese Trennung wird durch Jesu Tod aufgehoben. Wenn im Anschluss daran der Gekreuzigte zum ersten Mal von einem Menschen und öffentlich als Gottessohn bekannt wird, so macht beides zusammen deutlich, dass der Gekreuzigte nun der Ort der Gottesgegenwart in dieser Welt ist. Nicht mehr in der Abgeschiedenheit des Allerheiligsten ist Gott zu finden, sondern hier, in dem Leben dieses eben so gottverlassen Verstorbenen. So macht auch die am Ende berichtete – oder genauer: nur angedeutete – Auferstehung in Mk 16,1–8 deutlich, dass das, was nach menschlichen Maßstäben ein Scheitern Jesu war, aus der Perspektive Gottes die Vollendung seines Weges als Gottessohn in diese Welt ist. Deshalb befiehlt der Engel auch den Frauen, den Jüngern mit der Botschaft von der Auferstehung den Auftrag mitzugeben, dem Auferstandenen in Galiläa wieder zu begegnen. Damit werden die, welche ihrem Herrn nicht die Treue gehalten, sondern ihn verleugnet und verlassen haben, wieder in seine Gemeinschaft aufgenommen. Im Rückblick zeigt sich, dass die Passion gewissermaßen auf zwei Ebenen erzählt wurde: Auf der menschlichen Ebene ist sie der Weg in den Tod, ein Scheitern an der Verblendung und der Bosheit der Menschen. Wer nur dies sieht, für den ist die Verehrung des Gekreuzigten nur Torheit und Ärgernis, wie Paulus in 1. Kor 1,23 sagt. Aber zugleich wird schon bei der Wiedergabe der Passion deutlich gemacht, dass dieses Geschehen für die Glaubenden noch eine andere Dimension hat, weil hier auch von dem Gott erzählt wird, der gerade in der Preisgabe seines Sohnes die Welt nicht an ihren eigenen Unheilszusammenhang preisgibt. Die Parabel von den bösen Winzern hatte es im Bild gesagt: Wo die menschliche Geschichte zu ihrem schlimmen Abschluss gekommen ist, wird von Gott ein neuer Bau errichtet – mit dem von den Menschen verworfenen Stein Jesus Christus als tragendem Eck- oder Schlussstein.28 27

Belege bei R. FELDMEIER, Der Gekreuzigte im »Gnadenstuhl«. Exegetische Überlegungen zu Mk 15,37–39 und deren Bedeutung für die Vorstellung der göttlichen Gegenwart und Herrschaft, in: M. P HILONENKO (Hg.), Le Trône de Dieu (WUNT 69), Tübingen 1993, 213–232 = unten S. 385–400. 28 Vgl. dazu die Ausführungen in 1. Petr 2,4 ff., die das Bild ekklesiologisch weiter ausdeuten.

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2. Die anderen Evangelien 2.1. Das Matthäusevangelium Am deutlichsten lehnt sich das Matthäusevangelium in der Wiedergabe der Passion an die Markusvorlage an. Allerdings verwendet es bei Jesu Tod zusätzliche apokalyptische Motive. So öffnen sich nach Jesu Tod die Gräber, und Tote gehen umher (Mt 27,52f.). Das unterstreicht, dass Jesu Tod die Wende der Zeit herbeigeführt hat. Genauer noch: Gerade dort, wo der Tod im Sterben des Gottessohnes scheinbar seinen endgültigen Triumph feiert, hat er seine definitive Niederlage erlitten. Das führt das vom Evangelisten bewusst gesetzte Finale aus, die Verabschiedung Jesu von seinen Jüngern auf dem Berg: Der jüngst am Kreuz so elend Gestorbene verweist jetzt auf seine allumfassende Macht (»Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden«). Als Herr über Himmel und Erde sendet er seine Jünger mit dem Taufbefehl als Missionare in alle Welt, verbunden mit der abschließenden Zusage des Weltenherrn: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt« (28,18–20). Dieser Abschluss setzt den Sieg Christi über die Mächte des Bösen eindrucksvoll in Szene. Allerdings ist dies keineswegs nur Ausdruck einer ungebrochenen Herrlichkeitstheologie, die das Kreuz sozusagen hinter sich gelassen hat. Näheres Zusehen zeigt sehr wohl noch die bleibenden Spuren der Passion in der Gestalt dieses Jesus und seiner Anhänger. Das beginnt schon damit, dass explizit nur elf Jünger genannt werden, die mit Jesus den Berg hinaufsteigen (28,16) – die Vollzahl der Zwölf ist zerstört, der Verräter hat in das symbolische Gottesvolk eine Lücke gerissen. Und auch die Elf bilden keinen Triumphzug – als die Jünger Jesus sehen, fallen sie zwar anbetend nieder, zugleich aber zweifelten einige. Wer das ist, wird nicht gesagt, soll wohl auch gar nicht gesagt werden – deutlich wird nur: Mit der Erscheinung des Auferstandenen ist nicht alles plötzlich klar; die Schatten der Anfechtung begleiten auch nach Ostern die von ihrem auferstandenen Herrn ausgesandten Jünger. Wichtiger aber noch ist das Verständnis jener auf den ersten Blick so triumphal eindeutigen Aussage: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.« Man muss diese Aussage am Ende des Evangeliums als bewusste Antithese zum Anfang lesen, bei dem der Versucher dem Gottessohn die Herrschaft über alle Reiche dieser Welt anbot (4,8f.). Diese Art von Weltherrschaft, die auf Gewalt basiert und deren zerstörerisches Wesen schon in der Gestalt des Herodes vorgestellt worden war, der zur Absicherung seiner Macht die Anderen für sich sterben lässt (2,16), lehnt der Gottessohn ab. Diese Ablehnung prägt sein Leben – von der Ablehnung der Zeichenforderung (12,28ff.) bis zum Verzicht auf himmlischen Beistand bei der Passion (26,53). Wie es die Armen im Geiste sind und die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denen der matthäische Christus in den Seligpreisungen der Bergpredigt das Himmelreich verheißen hat (5,3.10),

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so wie es die Sanftmütigen sind, denen er ebendort den Besitz der Erde verheißen hatte (5,5), so ist auch dieser Christus als Weltherrscher nicht die Übersteigerung eines Tiberius und Pilatus, nicht ein potenzierter Herodes. Nein, wenn der Christus, der den Weg zum Kreuz gegangen ist, nun zum Herrscher über Himmel und Erde eingesetzt ist, dann muss diese Herrschaft eine Alternative zur irdischen Macht sein: Es ist die Weltherrschaft dessen, der mit seinem Verzicht auf Gewalt am Kreuz scheinbar den Kürzeren gezogen hat und widerlegt wurde. Matthäus ließ ja die höhnenden Stimmen der Lästerer bei der Kreuzigung bewusst wieder an die Frage des Versuchers anklingen: »Wenn du Gottes Sohn bist, dann …« (27,40; vgl. 4,3.6). Dieser gewaltsam getötete ›Sanftmütige‹ (11,29; 21,5) ist durch die Auferstehung von Gott bestätigt und zum wahren Herrscher der Welt eingesetzt. Das heißt: Nicht der vergewaltigenden Übermacht gehört die Zukunft, sondern der menschlichen Herrschaft des Menschensohns, der Barmherzigkeit übt. Und als solcher ist er bei seiner Gemeinde bis zur Vollendung der Welt (28,20; vgl. 18,20). Diese Barmherzigkeit verlangt der Menschensohn dann auch in seinen Reden; das Gebot der Liebe bis hin zur Feindesliebe ist verpflichtend für seine Nachfolger, wie der Erhöhte noch einmal ausdrücklich einschärft: »Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe« (28,19). Dies ist ein expliziter Rückverweis auf seine Lehre vom Willen Gottes, deren Zentrum das Liebesgebot ist (22,37–40; vgl. 7,12), das sich in Barmherzigkeit, Vergebungsbereitschaft, Feindesliebe und vielem anderen konkretisiert. Dies ist dann auch der Maßstab des Gerichtes, das der erhöhte Menschensohn über diese Welt halten wird (25,31– 46), nicht als unberührbarer Herrscher über allem, sondern als der, der von der Not der Geringen leibhaftig betroffen ist, wie er in der Urteilsbegründung ausdrücklich feststellt: »Was ihr getan habt einem meiner geringsten Geschwister, das habt ihr mir getan (bzw. nicht getan)« (25,40.45). 2.2. Das Lukasevangelium Ist der matthäische Christus der Lehrer des göttlichen Willens, so ist der Christus des Lukasevangeliums der Heiland. Dieses altmodische Wort bedarf jedoch der Präzisierung, um es von aller falschen Süßlichkeit zu reinigen. Denn Süßliches ist diesem Evangelium fremd: Er hat Gewalt geübt mit seinem Arm, er hat zerstreut, die hochmütig sind in der Gesinnung ihres Herzens, er hat die Mächtigen von den Thronen herabgestürzt und die Niedrigen erhöht, er hat die Hungrigen mit Gütern gefüllt und die Reichen leer weggeschickt. (Lk 1,51–53)

Dieses Magnifikat der Maria, mit dem die Geburt des Erlösers angekündigt wird, klingt eher nach einem Revolutionsprogramm denn nach der Einleitung zu einer Weihnachtsgeschichte. Die Geburt im Stall während der Schätzung des Augustus zeigt die Ankunft eines alternativen Herrschers an,

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der den Armen und Weinenden Freude ansagt, der aber den Reichen und Selbstgefälligen Gottes Gericht ankündigt (vgl. Lk 6,20–26). Dieser Jesus isst mit Zöllnern und hat Frauen im Gefolge, er heilt selbst den ihn verhaftenden Kriegsknecht noch (22,51) und kann dem mitgekreuzigten Schächer verheißen, dass er mit ihm im Paradies sein wird (23,43). Und auch wenn das Gebet für die Henker (23,34) nicht ursprünglich ins Evangelium gehören sollte, wie die Textkritik nahelegt, so ist es doch kein Zufall, dass es gerade dem lukanischen Christus in den Mund gelegt wird. »Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist« (19,10) – das ist die Zusammenfassung der lukanischen Heilsbotschaft, und so wie der Menschensohn das sucht, was zugrunde geht, so hat der lukanische Christus auch Gott als den porträtiert, der sich der Verlorenen annimmt (am deutlichsten in den weitgehend dem Sondergut entstammenden Gleichnissen vom Verlorenen, Lk 15). Aber das ist nur die eine Seite: Wie schon im Magnifikat angedeutet, ist dieser Jesus auch ein Prediger, der jede falsche Versöhnung mit Unrecht und Verkehrtheit, jeden faulen Frieden in seinem Namen von sich weisen kann: »Ihr meint, dass ich gekommen bin, der Welt Frieden zu bringen? Nein, sage ich euch, sondern Entzweiung« (12,51). Und in seiner Verkündigung wird auch dieser kritische Zug immer wieder deutlich – erinnert sei nur an Weherufe über die Reichen und Satten (6,24–26), an Beispielerzählungen wie die vom reichen Mann und armen Lazarus (16,19–31), vom reichen Kornbauern (12,16–21) oder vom Pharisäer und Zöllner (18,9–14). Dieser prophetische Christus, der noch beim Abendmahl in der Lukasversion sein Leben bewusst als Dienst deutet (22,27), der sich mitten in den Streit dieser Wirklichkeit hineingestellt hat und an ihrem Widerstand zerbrochen ist, dieser Christus wird von Gott erhöht, wie es bei Lukas im Bild der Himmelfahrt Jesu gleichnishaft verdeutlicht wird (Lk 24,51; Apg 1,9–11). Himmelfahrt heißt, so deutet es dann Petrus in der Apostelgeschichte explizit aus, dass Christus zur Rechten Gottes erhöht und damit zum Sieger über alle lebenzerstörenden Gewalten eingesetzt ist (Apg 2,32–35). Das aber ist nicht ein privates Ereignis, als ob Jesus nun eben einen göttlichen Anerkennungspreis für seine Mühen und Verdienste erhalten würde. Auf Himmelfahrt folgt Pfingsten, nicht nur im Kirchenjahr, sondern auch im lukanischen Doppelwerk. Der zur Rechten Gottes erhöhte »Fürst des Lebens« (Apg 3,15; 5,31) verheißt seinen Jüngern die Kraft aus der Höhe (Lk 24,49) bzw. die Macht des Geistes, der sie dann zum Dienst befähigt (Apg 1,8). Damit ist auch schon die theologische Gestalt genannt, die für Lukas die Gläubigen mit diesem erhöhten Jesus zusammenbindet: der Heilige Geist. Dieser Geist, der schon in den Propheten des Alten Bundes wirkte, der in der Jungfrau das Kind entstehen ließ und der Jesus sein ganzes Leben lang prägte und beseelte, bis er ihn am Kreuz mit den Worten »Vater, meinen Geist befehle ich in deine Hände« wieder Gott zurückgab – dieser Geist der Gegenwart Gottes

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war keine Exklusivgabe an Jesus Christus, und er bleibt nach seinem Tod nicht fern im Himmel, sondern er wird gerade als Folge dieses Leidens und Sterbens über die Glaubenden ausgegossen. Eine Folge ist dann auch, dass sich Verwirrung und Trauer in große Freude und Lobpreis verwandeln, wie es der strahlende Schluss des dritten Evangeliums feststellt (Lk 24,52f.) und wie dies im Lobpreis in der Pfingstrede des Petrus noch einmal wiederholt wird (Apg 2,26). 2.3. Das Johannesevangelium Die Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium bedürfte einer eigenen, ausführlichen Darstellung, die den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde. Daher hier nur einige Hinweise: Blicken die synoptischen Seitenreferenten auf den Christus nach seiner Kreuzigung, der von Gott erhöht wurde, so versucht das Johannesevangelium, diese Erhöhung bereits in der Darstellung des Irdischen deutlich zu machen.29 Wenn Jesus etwa in den für das vierte Evangelium so charakteristischen ›Ich-bin-Worten‹ von sich sagt, dass er das Brot des Lebens oder das Licht der Welt sei, der gute Hirte oder die Tür oder der Weg, die Wahrheit und das Leben, so wird in all diesen Worten deutlich, dass für die Glaubenden in dem erhöhten Jesus Christus das Heil schon gegenwärtig ist, als ›Lebens-Mittel‹ und Lebensweg. Das geht bis dahin, dass der Tod für den, der zu diesem Jesus gehört, bereits überwunden ist, wie immer wieder unterstrichen wird. »Wer an den Sohn glaubt, der hat schon das ewige Leben« – so drückt es Joh 3,36 aus, Entsprechendes wird schon in 3,15ff. gesagt, und 5,24 präzisiert dies noch: »Amen, ich sage euch, wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen.« Im Glauben an diesen Sohn partizipieren die Glaubenden auch an der bereits geschehenen Überwindung der Welt, deren Grund Gottes Liebe zu dieser Welt ist (3,16). So lässt der Glaube Jesu Anhänger auch in den Ängsten bereits an der Siegeszuversicht des Erhöhten teilhaben: »In diesem Kosmos seid ihr bedrängt. Aber seid zuversichtlich: Ich habe den Kosmos besiegt« (16,33b).

29

Vgl. hierzu oben S. 359, Anm. 8.

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III. »Das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.« Das Kreuz als göttlicher Machterweis bei Paulus Wird in den Evangelien vorwiegend erzählend entfaltet, inwiefern gerade das Leiden des Gottessohnes Grundlage für die Hoffnung auf Überwindung des Dunkels dieser Welt ist, so ist Paulus derjenige urchristliche Denker, der mit größter Konsequenz den Tod Jesu zum Ausgangspunkt seiner Theologie gemacht hat. Am deutlichsten geschieht dies im 1. Korintherbrief, und aus diesem Brief soll hier ein Text ausführlicher behandelt werden, in dem der Apostel zu Fragen der Gemeinde aus der Perspektive der Offenbarung Gottes am Kreuz Stellung nimmt. Zunächst zum Kontext: Nach dem Präskript geht Paulus auf das erste Problem der korinthischen Gemeinde ein, auf die ihm von den »Leuten der Chloe« berichteten Spaltungen in der Gemeinde (1,11). Paulus sieht in diesen Streitereien und Parteibildungen offensichtlich ein menschliches Geltungs- und Weisheitsstreben am Werk, welches das Heilsereignis des Kreuzes Christi zu »entleeren« droht (V. 17). Dies ist der konkrete Anlass für den folgenden Einschub, in welchem der Apostel in Antithese zum korinthisch-menschlichen Streben nach Weisheit sein Verständnis des Kreuzes als Grund aller christlichen Existenz entfaltet. Hier wird schon deutlich, dass der Apostel selbst zentrale theologische Erörterungen immer im Bezug auf eine bestimmte Situation entfaltet. Die Ausführung erfolgt in drei Argumentationsgängen, einem grundlegend theologischen, welcher Gottes Offenbarung am Kreuz in Antithese zum menschlichen Streben nach Weisheit und Macht entfaltet (1,18–25), sowie zwei weiteren, welche die Kreuzestheologie plausibel zu machen suchen im Blick auf die Erfahrungen der Gemeinde – zunächst im Blick auf ihre soziale Zusammensetzung (1,26– 31), dann im Blick auf die an ihr erfolgte Mission (2,1–5). Der Apostel begnügt sich also angesichts des Kreuzes nicht mit einem bloßen credo quia absurdum,30 sondern er versucht durchaus, die theologischen Konsequenzen der ihm durch die Offenbarung vorgegebenen Aufgabe zu durchdenken. Paulus beginnt in V. 18 mit einer Antithese: Die Botschaft vom Kreuz hat eine entgegengesetzte Wirkung, je nach Adressat. Den einen, die er als die Verlorenen bezeichnet, erscheint die Verehrung eines Gottes am Kreuz als »Torheit«. Erinnert sei nur an die Aussagen des Kelsos und das Spottkruzifix. Ihnen zugrunde liegt ein Gottesbegriff, der Göttliches im Wesent30

Dieses Wort wird Tertullian zugeschrieben, bei dem es sich allerdings nur der Sache nach findet, vgl. De carne Christi 5: »Crucifixus est dei filius; non pudet, quia pudendum est. Et mortuus est dei filius; credibile est, quia ineptum est. Et sepultus resurrexit; certum est, quia impossibile« (»Gekreuzigt ist Gottes Sohn: Das beschämt nicht, weil es schändlich ist. Und gestorben ist Gottes Sohn: Das ist glaubhaft, weil es unpassend ist. Und nach seinem Begräbnis stand er wieder auf: Das ist sicher, weil unmöglich«).

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lichen als eine dem Menschen überlegene Macht versteht, wie dies etwa der Spruch des attischen Dichters Menander auf den Begriff bringt: »Alles Mächtigere wird Gott genannt.«31 Wenn aber die Pointe des Gottesbegriffs gerade die Übermacht ist, dann kann das Kreuz nur als Verirrung des Denkens, als bloße Narretei erscheinen. Dem wird vom Apostel entgegengehalten, dass sich denen, die gerettet werden, dieses Kreuz als die Macht Gottes erweist. Wohlgemerkt: Auch der sich am Kreuz offenbarende Gott ist nicht einfach ohnmächtig, sondern er ist eine ›Macht‹, und zwar für uns, wie der Apostel eigens hervorhebt. Dies ist die These, die im Folgenden entfaltet wird. Dabei dient in V. 19 das Wort aus Jes 29,14 »Ich werde die Weisheit der Weisen zugrunde richten und den Verstand der Verständigen zunichte machen« zunächst als Beleg dafür, dass das, was sich in der Begegnung der ›Weisen‹ mit dem Gekreuzigten ereignet hat, bereits in der Schrift vorausgesagt wurde. Eine Bestätigung für dieses Schriftwort findet der Apostel bereits in der Tatsache, dass der Gekreuzigte gerade nicht von den Weisen erkannt wurde (V. 20). Dies deutet er so, dass Gott die Weisheit dieser Welt als Torheit erwiesen hat. So hat es Gott gefallen, auf seine eigene Weise die Glaubenden zu retten, durch die Torheit der Verkündigung, wie Paulus in V. 21 feststellt, wobei er den Vorwurf der Torheit nicht etwa apologetisch zu entkräften sucht, sondern ihn provokativ zum Kennzeichen seiner Botschaft und darüber hinaus der göttlichen Offenbarung selbst macht. Wurde im ersten Argumentationsgang die entgegengesetzte Wirkung des Wortes vom Kreuz aus der Perspektive des erwählenden Gottes entfaltet, so ergänzt Paulus dies in den Versen 22–24 aus der Sicht des empfangenden Menschen. Es sind ganz bestimmte Vorstellungen über das, was göttlich ist und was nicht, die den Zugang zu Gottes Selbstoffenbarung versperren. Dem Juden wird dabei die Suche nach Zeichen zugeschrieben, also die Bestätigung durch einen über das menschliche Maß hinausgehenden Machterweis, dem Griechen die Suche nach Vernünftigkeit und Intelligenz (V. 22). Das setzt Schwerpunkte insofern, als der Selbsterweis Gottes durch seine Machttaten in der jüdischen Tradition eine wichtige Rolle spielt, ebenso wie im hellenistischen Bereich der Gottesbegriff zumindest in der gebildeten Religion eng mit der Weltvernunft verbunden ist. Doch geht es weniger nur um Spezifika des Jüdischen und Hellenistischen – auch im paganen Bericht spielt der Machtgedanke im Blick auf das Göttliche eine entscheidende Rolle –, sondern um das, was das Denken des »Kosmos« bzw. »dieses Äons« sich unter dem Göttlichen vorstellt, nämlich die Steigerung von Welt durch Verneinung ihrer Grenzen (via negationis) oder durch Verabsolutierung ihrer Stärken (via eminentiae). In alledem macht 31 Frgm. 201, ed. R. KASSEL/C. AUSTIN, Berlin 1998, 146: τὸ κρατοῦν γὰρ πᾶν νοµίζεται θεός. Zur Konjektur von πᾶν anstelle von νῦν siehe oben S. 347, Anm. 32.

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sich der Mensch selbst sein Bild vom Göttlichen, entworfen aus den eigenen, eingestandenen oder uneingestandenen, auf Gott projizierten Machtgelüsten. Und ebendiese Haltung (und nicht nur ein intellektuelles Defizit) lässt das Kreuz als Ort der göttlichen Offenbarung als Ärgernis und Torheit erscheinen. »Wir aber verkündigen Christus, den Gekreuzigten« – mit dieser Entgegensetzung in V. 23a macht der Apostel deutlich, dass Gott sich nicht einfach als höchste Steigerung von Welt denken lässt. Im Gegenteil: Er macht die Weisheit der Welt zur Torheit (1,20), er macht das, was etwas ist, »zuschanden« (1,28). Und so erweist sich das, was den einen als Torheit und Ärgernis erscheint, den zu Gott Gehörenden als Weisheit und Kraft (V. 24). Während das Kreuz von außen nur Anstoß erregt und abstößt, erschließt sich denen, die Gott berufen hat, denen er also gerade auf diesem scheinbar so ungöttlichen Weg begegnet ist, ein neues Verstehen, eine neue Einsicht, und – nicht zu vergessen – auch eine neue Kraft. So kommt der Apostel dann am Ende zu der Schlussfolgerung, dass das ›Törichte Gottes‹, wie er die Offenbarung am Kreuz nennt, sich dennoch als weiser erweist als die Weisheit der Menschen und das Schwache Gottes als stärker als die Stärke der Menschen (V. 25). Diese Feststellung ist wichtig. Verbreitet ist heute eine unverantwortliche Rede von der Ohnmacht Gottes, die sich auf die Kreuzestheologie beruft und damit wohl nur den eigenen kirchlichen und theologischen Einflussverlust rechtfertigen will, oft gepaart mit einer ersatzweisen Ermächtigung des Menschen: »Gott hat keine Hände als unsere Hände …«. Das aber entspricht nicht der Theologie des Paulus. Seine Kreuzestheologie nötigt vielmehr dazu, die Torheit Gottes als etwas zu verstehen, das klüger ist als unsere eigene Klugheit, und Gottes Schwäche als etwas, das stärker ist als unsere Macht und die Mächtigkeiten dieser Welt. Deshalb bedeutet die wahre Gotteserkenntnis das Anerkennen Gottes, ein hörendes, vernehmendes, ein gehorchendes Sich-Einlassen auf Gott, auf den Weg, den er selbst geht. Das war der eigene Weg des Paulus gewesen, als die Erscheinung des Auferstandenen seine eigene Vorstellung von Gott durchkreuzt und ihn genötigt hat, ganz neu über Gott nachzudenken. Dabei war ihm das, was ihm bisher als heilig und gut galt, plötzlich als Unrat, ja als Kot erschienen, wie Paulus in Phil 3,7ff. einigermaßen drastisch formuliert. Zugleich galt es nun, das, was ihm bisher als Unrat erschienen war, nämlich die Verehrung Gottes im Gekreuzigten, aufgrund der Auferstehung mit Gott zusammenzudenken, die Niedrigkeit als Offenbarung der Herrlichkeit. Es galt, den Tod als Sieg des Lebens zu verstehen. Worin aber besteht diese größere Stärke und Weisheit der Schwäche und Torheit Gottes? Paulus sagt dies hier nicht direkt. Dennoch ist eine verstehende Annäherung an die »im Geheimnis verborgene Weisheit Gottes« (2,7) möglich. Sowohl am Anfang (V. 18) wie am Ende (V. 24) des Exkurses wird betont, dass das Kreuz »für uns (V. 24: für die Berufenen)

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Macht und Weisheit« bedeutet. Mit anderen Worten: Gottes Gottheit besteht nicht darin, dass er sich als die allem anderen überlegene absolute Macht und Intelligenz profiliert. Das Wort vom Kreuz zeigt vielmehr den Gott, der sich auf den von Tod, Sünde, Daseinsverfehlung, Verblendung und Unerlöstheit gekennzeichneten Weg des menschlichen Lebens eingelassen hat, um gerade dort seine schöpferisch verwandelnde Größe zu zeigen: Macht Gottes heißt, dass Gott sich in unsere Ohnmacht begibt, damit wir Ohnmächtigen ermächtigt werden; Weisheit Gottes heißt, dass Gott sich auf die Verblendungen und Verkehrtheiten der Welt eingelassen hat, damit wir Toren weise werden; Herrlichkeit Gottes heißt, dass Gott sich auf das Stumpfe und Dunkle unseres Lebens eingelassen hat, um ihm Glanz zu verleihen. Die Pointe der Kreuzestheologie ist es also, dass Gott seine Gottheit nicht für sich behalten hat oder bestenfalls in einem Akt souveräner Herablassung dem Menschen etwas abgibt. Vielmehr hat sich Gott in seinem Sohn mit Haut und Haaren in das menschliche Elend begeben, um so dem Menschen dort, wo er sich befand, nämlich in der Gottferne, an seiner göttlichen Lebensfülle Anteil zu geben. In 2. Kor 8,9 fasst der Apostel selbst diesen Zusammenhang noch einmal präzise zusammen: »Erkennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, weil er, obgleich er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch dessen Armut reich werdet.«32 Das ist die heilsame Weisheit Gottes, die Paulus dann in 1. Kor 2,6–9 als die im Geheimnis verborgene göttliche Weisheit preist. Eine Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt wird, ist die, ob Gott nicht auch anders die Welt hätte erlösen können als durch das Kreuz. Nun ist das eine spekulative Frage, aber man kann sie wohl bejahen. Nur: Gott hat es eben nicht anders gewollt. Paulus schreibt: »Weil die Welt in der Weisheit Gottes durch Weisheit Gott nicht erkannt hat, gefiel es Gott, durch die Torheit der Verkündigung die Gläubigen zu retten.« Der Apostel spekuliert nicht abstrakt über die göttlichen Möglichkeiten, sondern er versucht, den Weg Gottes zu verstehen, so wie er ihm im Geschick Jesu Christi vorgegeben ist. Von hier aus aber erscheint das Kreuzesgeschehen keineswegs nur als ein absurdes Geschehen, das man wohl oder übel glauben ›muss‹, sondern als etwas, womit Gott den Verblendungszusammenhang unseres Lebens unterbrochen hat, um gerade dort, wo wir als Sünder von Gott getrennt sind, uns an ihm selbst und seiner Lebenskraft Anteil zu geben. Holzschnittartig gesagt: Gott beweist seine Gottheit nicht dadurch, dass er sich von aller ›Verunreinigung‹ mit unserer Welt, ihren Mängeln und ihrer Vergänglichkeit fernhält, sondern indem er das Nichtige überwindet. Und das ist nicht nur eine Sache des Denkens, sondern vor allem eine Sache des Lebens. Diese Kraft bestätigt 32 Vgl. auch die entsprechende Argumentationsfigur im Blick auf den von Christus stellvertretend auf sich genommenen Fluch in 2. Kor 5,21 und Gal 3,13.

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sich nicht zuletzt auch immer wieder in den Erfahrungen der Glaubenden, gerade auch im Umgang mit Schwächen und Leid, wie Paulus am Beispiel seiner eigenen chronischen Krankheit deutlich machen kann (2. Kor 12,7– 9). Sie bestätigt sich aber auch in den Erfahrungen der Gemeinde. An ebendiese Erfahrungen knüpft der Apostel im Folgenden an, wenn er seine Argumentation durch zwei Rekurse auf die Sozialstruktur der Gemeinde und auf sein Wirken als Missionar an ihr untermauert, Erfahrungen, welche die analogia crucis im Lebenszusammenhang der Korinther aufzeigen. Das geschieht zunächst, wie gesagt, auf der Ebene der Gestalt der Gemeinde (1. Kor 1,26–31). Gottes freies Rettungshandeln, sein »Erwählen«, welches das Seiende zunichte macht und das Nichtseiende erhebt, wie V. 28 dies nochmals (unter Bezug auf Schöpfungsterminologie?) grundlegend formuliert, zeigt sich in der sozialen Schichtung der Gemeinde: Es war vorzugsweise das »Törichte und Schwache des Kosmos«, das Gott angenommen hat. Nota bene: Es waren vor allem Törichte und Schwache, aber nicht ausschließlich! Auch Schwäche an sich führt noch nicht zur Erwählung. Es gibt in der Gemeinde auch Edle und Weise! 33 Kreuzestheologie ist nicht das Ressentiment der Zu-kurz-Gekommenen. Vielmehr denkt sie Gottes Selbstoffenbarung am Kreuz so, dass Gott gerade am ›Nichtseienden‹ seine schöpferisch-verwandelnde Macht erweist. Ob Weisheit, Macht oder gesellschaftliche Stellung – Gott ist nicht die Verlängerung und religiöse Überhöhung irdischer Größe, sondern deren Durchkreuzung. Er kehrt die Machtverhältnisse um, stürzt und schafft neu, um in einer gewaltbestimmten und gewaltförmigen Wirklichkeit, die ihr Wesen am Kreuz als zerstörerischen Widerspruch gegen Gott gezeigt hat, sein Reich aufzurichten, das Reich seiner alternativen Macht. Als Ziel dieses göttlichen Handelns in der Berufung der Gemeinde wird angegeben, dass »kein Fleisch sich vor Gott rühmen soll« (V. 29), sondern vielmehr der, der sich rühmt, »rühme sich im Herrn« (V. 31). Bei jenem ›Rühmen‹, καυχᾶσθαι, geht es darum, worauf ich mich verlasse, worauf mein Stolz, mein Selbstverständnis, meine Identität beruhen. Hier nun zielt die Kreuzestheologie darauf, dass der Mensch gerade nicht auf sich selbst baut, sondern sich ganz von Gott her versteht, im Vertrauen auf ihn gründet. Nun ist so etwas leicht missverständlich und wurde auch missverstanden als Aufforderung zur zwanghaften Selbstverleugnung und Selbstverkleinerung, welche den Menschen entwertet zugunsten eines Übergottes, dem er sich bedingungslos unterwerfen soll. Genau das ist hier nicht gemeint. Die beiden Aussagen zum Rühmen – negativ V. 29, positiv V. 31 – rahmen den Vers 30, in welchem wiederum deutlich gemacht wird, dass das Sein in Christus gera33 Vgl. die Exzellenz Theophilus, dem Lukas sein Evangelium widmet (Lk 1,3), aber auch Paulus selbst stammt, wenn er denn das Bürgerrecht besaß, nicht eben aus der untersten Schicht.

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de darin seine Pointe hat, dass die Erwählten die göttlichen Eigenschaften und Mächtigkeiten zugeteilt erhalten. Der Spitzensatz V. 30 lautet: Von [Gott] her seid ihr in Christus Jesus, der uns zur Weisheit von Gott wurde, zur Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung.

Die Pointe ist also der entlastende Zuspruch, dass die Glaubenden nichts mehr aus sich selbst machen müssen, weil Gott ihnen durch ihr Sein »in Christus« an seinem Wesen teilgegeben hat. In Christus fällt erneut Glanz auf dieses Leben (vgl. 2. Kor 4,6): Befreit aus dem Irrtum, hat er wieder teil an Gottes Weisheit, befreit aus der Isolation, ist er Gott wieder gerecht geworden, erlöst aus der Verderbnis, ist er einbezogen in den Bereich der göttlichen Heiligkeit. Und so baut der Glaubende nicht auf das, was er sich selbst beschaffen kann, sondern auf den sich ihm gnädig mitteilenden Gott: Er rühmt sich des Herrn. Auch im dritten Argumentationsabschnitt 2,1–5 rekurriert Paulus nochmals auf die Erfahrungen seiner Adressaten, jetzt auf seine Missionierung unter ihnen. Auch hier verweist er auf die eigene ›Schwäche‹, die im Gegensatz zur Weisheit steht. Diese beurteilt er aber nicht als Defizit, sondern als notwendige Gestalt einer Verkündigung, welcher es nicht auf die Faszination durch Darstellung der eigenen Überlegenheit ankommt, die allemal das Gegenüber entmächtigt, sondern auf den Aufweis der anderen Macht Gottes, die dem Gegenüber an sich teilgibt, sich mitteilt. Deswegen will Paulus in seiner Verkündigung nichts anderes kennen als Christus, den Gekreuzigten, den er in Schwäche und Furcht und Zittern repräsentiert – damit gerade so Gottes Geist und Macht wirksam werden. Mit dem »Erweis des Geistes und der Kraft« (1. Kor 2,4) können außergewöhnliche Machttaten gemeint sein (vgl. Röm 15,18f.); wahrscheinlicher aber meint der Apostel die gerade in ihrer Niedrigkeit so erfolgreiche Verkündigung und Missionierung. Es sind, so könnte man frei paraphrasieren, nicht die klugen religiösen Denker, nicht die trainierten Redner und gewandten Entertainer, welche die Menschen gewinnen, sondern der in seiner Schwäche Christus entsprechende Apostel, der sozusagen das ganze römische Reich von Osten nach Westen für seinen gekreuzigten und auferstandenen Herrn ›erobert‹. Noch einmal wird deshalb am Ende das Stichwort von der ›Macht Gottes‹ aufgenommen, auf welcher allein der Glaube gründet (2,5). Paulus deutet also Gottes Selbstoffenbarung am Kreuz so, dass Gott gerade am ›Nichtseienden‹ seine schöpferisch-verwandelnde Macht erweist. Von hier aus erschließen sich dann auch die weiteren Aspekte der paulinischen Theologie. Wenn denn Christus, wie es in 1. Kor 1,30 heißt, uns von Gott her zur Gerechtigkeit wurde, dann enthält dies in nuce bereits all das, was Paulus dann im Galater- und im Römerbrief als seine Rechtfertigungsbotschaft entfaltet. Rechtfertigung, so schreibt der Apostel etwa in Röm 4,17, ereignet sich aufgrund des Glaubens an den Gott, »der die Toten

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lebendig macht und das Nichtseiende ruft, dass es sei«, der also mit seiner schöpferischen Energie das Tote in Leben verwandelt. Dieser Gott ist es auch, der den Sünder wieder zu sich ins rechte Verhältnis setzt, der uns gerecht macht, rechtfertigt, der, wie es vor allem der Römerbrief zeigt, uns aus Feinden wieder zu Kindern macht, weshalb das Kreuz nicht Forderung Gottes ist, sondern Gabe, Ausdruck seiner Liebe (Röm 5,8). In Christus findet wieder der ›fröhliche Wechsel‹ statt, in dem Gott sich in den Bereich der Heillosigkeit und Verkehrtheit begibt, um uns an seiner Heiligkeit und Wahrheit Anteil zu geben: Gott hat, so resümiert Paulus in 2. Kor 5,21, »den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden«. Auf diesen Gott richtet sich dann auch die Hoffnung der Glaubenden. Wenn der Tod der Sünde Sold ist, dann bedeutet die Überwindung des Todes auch, dass wir an der Lebenskraft des Schöpfers wieder Anteil erhalten, dass sozusagen der Zugang zum Paradies (als Bild göttlicher Lebensfülle) wieder offen ist. Im großen Auferstehungskapitel von 1. Kor 15 führt der Apostel dies noch einmal breit aus, wenn dort die große Verwandlung beschrieben wird, welche das Elend unserer Existenz in Herrlichkeit umwandelt, unsere Sterblichkeit in Unsterblichkeit, unsere Schwäche in Kraft, unsere Schäbigkeit in Glanz und unsere Vergänglichkeit in Unvergänglichkeit. Dort wird das, was eigentlich Gottes Wesen im Gegensatz zur Welt ausmacht, nämlich die Freiheit vom Tod und Vergehen, uns zugeeignet, zugeeignet durch den Gott, der selbst nicht mehr in seinem So-Sein durch Prädikate definiert wird, sondern der durch Verben bezeichnet wird, die sein verwandelndes Verhalten uns gegenüber bezeichnen: Gott ist der, der auferweckt und lebendig macht, bei ihm ist also – mit der Bildsprache des Psalters ausgedrückt – die Quelle des Lebens (Ps 36,10).

IV. Gegenbild Lebensbaumkruzifix Am Beginn stand ein antikes Spottkruzifix, welches das Befremden gegenüber dem Kreuz sinnenfällig zum Ausdruck brachte: Es wird als sinnlose Vergöttlichung des Ohnmächtigen, ja des Toten empfunden. Dagegen sah und sieht der Glaube hinter diesem Bild des Todes das schöpferische Leben, weil hier der Gottessohn sein Leben als Hingabe und Dienst für andere vollendet hat und der lebendigmachende Gott ebendies bestätigt hat, indem er gerade dort gegenwärtig ist und an seiner Lebensfülle Anteil gibt. Am Kreuz richtet der lebendigmachende Gott inmitten von Schuld und Versagen und Verblendung und Tod seine Herrschaft auf. Diese gewissermaßen unsichtbare Dimension des Kreuzes bringen vielleicht am deutlichsten die sogenannten Lebensbaumkruzifixe zum Ausdruck.

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Am gotischen Kreuz hängt der Gestorbene, aber aus dem Kreuzesstamm quellen Zweige und Blätter hervor, wachsen Früchte hervor. Der Marterpfahl, der Christus den Tod gebracht hat, ist hier zum Lebensbaum geworden. Das Kreuz ist somit als Antitypos zum Paradiesesbaum gestaltet: Die Schlange hatte ja den Menschen versprochen, wenn sie eigenmächtig von den Früchten dieses Baumes äßen, würden sie wie Gott. Folge dieses Versuches der Menschen, sich selbst Göttlichkeit zu verschaffen, war der Verlust des Paradieses mit den Schmerzen bei Arbeit und Geburt und zuletzt immer und immer: der Tod. Nun, da der Gottessohn sich seiner göttlichen Macht entäußerte, zum Menschen wurde und den Tod erduldete, hat er den Menschen die Früchte gebracht, die Leben gewähren, ewiges Leben.

Der Gekreuzigte im »Gnadenstuhl« Exegetische Überlegungen zu Mk 15,37–39 und deren Bedeutung für die Vorstellung der göttlichen Gegenwart und Herrschaft 1. Zum Thema Im Herbst 1981 hielt Prof. Günther Zuntz aus Cambridge in Tübingen einen Vortrag unter der Überschrift: »Ein Heide las das Markusevangelium«. 1 Die bewusst gewählte Doppeldeutigkeit dieses Themas deutet bereits an, worin sein besonderer Reiz bestand: Zum einen war es eine Darstellung dessen, wie jenes älteste Evangelium auf einen der jüdisch-christlichen Tradition fernstehenden antiken Hörer wirken musste. Zum andern aber, und auch das machte Zuntz deutlich, war die Gestalt des antiken Heiden zugleich eine Maske, hinter die der Vortragende selbst schlüpfen konnte, um mit der Stimme jenes fiktiven Heiden sagen zu können, was ihn an jenem Text fesselte – und was ihm fremd war.2 Auf den hochinteressanten Vortrag kann hier nur verwiesen werden. Lediglich ein Punkt soll hier näher betrachtet werden, da er direkt in die Fragestellung dieser Untersuchung hineinführt. Denn jener ›Heide‹ zeigte sich zwar – im Gegensatz zu manchem heutigen Ausleger – fasziniert von der fremdartigen und eigenwilligen Wucht jenes Werkes, das »Evangelium nach Markus« heißt:3 In seinen Augen war es »ein seiner Darstellungskunst bewußter Meister«, der hier »ein erstaunliches Amalgam von Mythos und 1 Er ist veröffentlicht in: H. CANCIK (Hg.), Markusphilologie (WUNT 33), Tübingen 1984, 205–222. 2 Ebd., 206: »Gestehe ichs denn: ich hatte lange, sehr lange, den Wunsch gehegt, es [sc. das Markusevangelium] einmal so zu lesen, als hätte ich es nie vorher gekannt und nie gehört von Wellhausen oder K. L. Schmidt oder Bultmann et hoc genus omne; es zu lesen, wie ein Zeitgenosse es mochte gelesen haben: ungelehrt und unvoreingenommen, mit unabhängiger Sympathie.« 3 Vgl. ebd., 207: »Der Eindruck, durch Vorkenntnisse kaum getrübt – war stark. Ein großer Gegenstand – so schien mir – ist hier vorgeführt mit überlegener Zielsicherheit und Konzentration; vom fortissimo des mirakulösen Eingangs, im Entfalten eines Themas von unerschöpflicher Bedeutung, bis zum tragischen Ende und einem letzten tröstenden Lichtblick.«

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Realismus, von unmittelbar menschlicher Erfahrung und Transzendenz« geschaffen hat.4 An einigen wenigen Stellen aber schien es jenem ›Heiden‹, dass die Harmonie des Ganzen grob gestört worden sei, und er schloss daraus, dass dafür keinesfalls der Verfasser des Werkes selbst verantwortlich sein könne. Eine dieser von Zuntz kritisierten Stellen war Mk 15,38, jener Verweis auf die Zerspaltung des Tempelvorhangs. Für Zuntz ist diese kurze Szene ein unpassendes »Flickstück«, das den Zusammenhang zwischen 15,37 und 15,39 zerreißt und daher wohl nur als sekundäre Angleichung an Mt 27,51 verstanden werden könne.5 Diese Ausführung reizte zum Widerspruch. Das Thema dieses Kongresses hat mich bewogen, die damals von mir als Antwort auf Günther Zuntz skizzierten Überlegungen nochmals zu überdenken und als mögliche Interpretation dieses Textes und seiner theologischen Implikationen zur Diskussion zu stellen.

2. Zur exegetischen Diskussion Das sogenannte Zerreißen des Tempelvorhangs wird heute vor allem in zweierlei Weise gedeutet: Die eine Deutung versteht das Geschehen polemisch als Vorzeichen der Tempelzerstörung, als Ablösung des ›alten Opferdienstes‹ und ähnlich.6 Die andere Interpretation streicht die soteriologische Bedeutung dieses Geschehens heraus: Das Zerreißen des Vorhangs sei die Eröffnung des Zugangs für die Nichtpriester und Heiden, ja mehr noch die endgültige Erschließung des Zugangs zu Gott, die weitere Sühnopfer überflüssig macht.7 Grundsätzlich ist zu sagen, dass beiden Deutungen eine gewisse Plausibilität zukommt. Sie lassen jedoch Fragen offen, wie auch immer wieder zugegeben wird.8 Zumindest unsicher ist bei der ersten Deutung die Vor-

4

Ebd., 213. Ebd., 216. 6 Vgl. E. LOHMEYER, Das Evangelium des Markus (KEK I,2), Göttingen 171967, 347; R. P ESCH, Das Markusevangelium, 2. Teil (HThK II,2), Freiburg i. Br. u. a. 1977, 502; J. GNILKA, Das Evangelium des Markus, 2. Teilband (EKK II/2), Zürich u. a. 1979, 323 f.; J. ERNST, Das Evangelium nach Markus (RNT), Regensburg 1981, 473. 7 Vgl. O. HOFIUS, Art. καταπέτασµα, EWNT 2 (1981), 656 f., hier 657: »Unter den Deutungsvorschlägen […] verdient die soteriologische Interpretation den Vorzug: Jesus hat durch seinen stellvertretenden Sühnetod den Menschen ein für allemal den Zugang zu Gott erschlossen, so daß sie weiterer Sühnopfer nicht bedürfen«; ähnlich V. T AYLOR, The Gospel according to St. Mark, London 21980, 596. 8 Vgl. P ESCH, Markusevangelium 2 (Anm. 6), 498: »Die Deutung des Zeichens ist umstritten und schwierig.« 5

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aussetzung, dass der Vorhang zerstört worden sei;9 ebenso lässt sich im Blick auf das Markusevangelium die Annahme nicht sehr überzeugend begründen, dass die Zerstörung des Tempels so wichtig gewesen sei, dass ihre Vorankündigung an dieser zentralen Stelle, sozusagen als erstes und unmittelbarstes Ergebnis des Todes Jesu, hätte auftauchen müssen.10 Zumindest müsste man daher diese Deutung des Geschehens mit der zweiten soteriologischen Interpretation verbinden, wie das auch immer wieder vorgeschlagen wird.11 Auch bei dieser zweiten Deutung gibt es allerdings eine Unsicherheit, zumindest wenn sie das Geschehen im kultischen Sinn deutet: Es kann, wie unten noch gezeigt wird, keineswegs als sicher gelten, 9

Das Verb σχίζω bezeichnet ebenso ein Sich-Spalten, Zertrennen wie ein Zerreißen, Zerspringen (vgl. W. B AUER/K. und B. ALAND, Griechisch-deutsches Wörterbuch, Berlin/New York 61988, 1590), muss also nicht von vornherein die Zerstörung implizieren; auch das Zerreißen des Himmelsgewölbes in Mk 1,10, auf das unten noch eigens eingegangen wird, meint ja nur die Öffnung, nicht die Zerstörung des Himmels (vgl. JosAs 14,2). Auch der Zusatz εἰς δύο weist nicht notwendig auf die Zerstörung hin. Bei Polybios etwa kann σχίζεσθαι εἰς δύο (µέρη) das Sich-Aufteilen eines Wasserlaufs bezeichnen (II,16,11). So kann auch hier das ἐσχίσθη εἰς δύο einfach sagen, dass sich der – sonst ja immer geschlossene Vorhang – völlig öffnet. Das ist besonders deshalb zu bedenken, weil der Tempelvorhang (sowohl der vor dem Heiligen wie der vor dem Allerheiligsten) mit großer Wahrscheinlichkeit zweibahnig war (vgl. T. A. BUSINK, Der Tempel von Jerusalem von Salomo bis Herodes, Band 2: Von Ezechiel bis Middot, Leiden 1980, 1125, Anm. 221: »Es unterliegt wohl nicht dem Zweifel, daß der Vorhang [des Heiligen wie der des Allerheiligsten] zweibahnig gewesen sein muß«). Ein Zerreißen im eigentlichen Sinn in zwei Teile wäre in diesem Fall gar nicht möglich – es sei denn, man nimmt an, diese Begebenheit wäre von jemand gebildet worden, der mit den Gegebenheiten des Tempels gar nicht vertraut war. Dann aber wäre das Interesse am Vorhang zu erklären. Es sollte daher die Möglichkeit zumindest berücksichtigt werden, dass es sich um ein – freilich machtvolles und wunderbares – Zerteilen des Vorhangs handeln könnte, um ein (gewaltsames) Aufreißen. In diesem Fall würde die Deutung der Begebenheit als ein nur auf die Zerstörung des Tempels hinweisendes Strafwunder weiter an Überzeugungskraft einbüßen. Nicht bestritten werden sollte allerdings, dass dieses Zeichen dann auch in dieser Weise verstanden werden konnte (vgl. Josephus, Bell. VI,5,3 [§§ 293–295], nach dem die Öffnung des Osttores des Innenheiligtums eines der Vorzeichen der Tempelzerstörung war). 10 Die Behauptung etwa von G NILKA, Markus 2 (Anm. 6), 324, der »polemische Charakter der analogen Ankündigungen in 15,29b; 14,58; 13,2« spreche für diese Deutung, überzeugt nicht. Mk 15,29b und 14,58 sind keine Ankündigungen, sondern Anklagen der Gegner Jesu, die beim Prozess ausdrücklich als Falschzeugen bezeichnet werden. Mk 13,2, der Beginn der kleinen Apokalypse, kündigt zwar die Zerstörung des Tempels an, setzt diese jedoch nicht in Beziehung zu Jesu Passion. 11 Vgl. GNILKA, Markus 2 (Anm. 6), 324: »Beide Interpretationen sind zusammenzunehmen und bilden keinen Gegensatz«; ähnlich E. H AENCHEN, Der Weg Jesu, Berlin 1968, 538: »[…] der Weg ins Allerheiligste ist frei und der Tempelglaube dem Untergang geweiht«; vgl. schon Hieronymus, Comm. in Mt. IV,236 (zu Mt 27,51): »Velum templi scissum est, et omnia legis sacramenta quae prius tegebantur, prodita sunt, atque ad gentium populum transierunt.«

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dass es der innere Vorhang vor dem Allerheiligsten gewesen sein müsse, der sich geteilt habe. Unabhängig davon bleibt doch beiden Interpretationen als Mangel gemeinsam, dass keine von ihnen eine überzeugende Antwort auf die Anfrage von Zuntz gibt, warum das Zerspalten des Vorhangs ausgerechnet an dieser Stelle berichtet wird, wo es offensichtlich den Zusammenhang zwischen der Notiz über Jesu Sterben in V. 37 und dem sich darauf beziehenden12 Bekenntnis des Hauptmannes in V. 39 unterbricht. Dieser zweimalige massive Orts- und Perspektivwechsel wirkt in der Tat wie ein doppelter Bruch, und es ist das Verdienst von Zuntz, dies in aller Schärfe so herausgestellt zu haben. Zuntz erhält dabei in gewisser Weise sogar Schützenhilfe von den beiden synoptischen Seitenreferenten, die auffälligerweise beide an diesem Punkt ihre Vorlage verändern: Der erste Evangelist reichert diese Begebenheit an mit weiteren wunderbaren Geschehnissen wie einem Erdbeben, dem Zerspringen der Felsen, der Öffnung von Gräbern, der Auferstehung und Erscheinung von Toten (Mt 27,51–53), um dann das Bekenntnis des Hauptmanns (und weiterer Umstehender) ausdrücklich auf alle diese Begebenheiten zu beziehen. Lukas zieht die Notiz von der Zerteilung des Vorhangs vor und lässt die Begebenheit im Zusammenhang mit der Sonnenfinsternis, also bereits vor Jesu Tod, stattfinden (Lk 23,44f.). Sowohl bei Matthäus wie bei Lukas wird also die Zerteilung des Tempelvorhangs als ein Zeichen verstanden, das Jesu Tod begleitet und dabei dessen universelle Bedeutung dartut,13 wobei offensichtlich beide Male eine Korrektur als notwendig erachtet wurde, um die Schwierigkeit der markinischen Darstellung abzumildern. Wenn man nun nicht zu der ebenso bequemen wie unbefriedigenden Ausflucht greifen will, der Evangelist Markus habe es eben nicht besser gekonnt, und auch nicht damit zufrieden ist, diese schwierige Stelle durch literarkritische Dekomposition scheinbar14 zu entschärfen, so stellt sich nun allerdings erst recht die Frage, was diese derart auffällig zwischen Jesu Tod und dessen Kommentierung durch den heidnischen Militär eingeschobene Szene an dieser Stelle bedeutet. Bei der Deutung dieser Begebenheit

12 Ἰδὼν δὲ ὁ κεντυρίων … ὅτι οὕτως ἐξέπνευσεν … Dass sich V. 39 auch noch auf V. 38 bezieht, ist auch deswegen unwahrscheinlich, weil sich Golgatha auf der Rückseite des Tempeleingangs befand. 13 Das Phänomen der den Tod eines berühmten Mannes begleitenden Zeichen begegnet ähnlich auch im paganen Bereich (vgl. Sueton, Vit. Caes. 1,81 – dort allerdings als Vorzeichen; bemerkenswert ist, dass vor Caesars Tod unter anderem auch die Türen des Schlafzimmers seiner Gattin Calpurnia aufspringen). 14 Das Problem wird dadurch nur scheinbar gelöst; denn die Frage, wie es dann zur Komposition des vorliegenden Textes kam, wird zumeist nicht oder nur unzureichend beantwortet.

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ist also, um dies nochmals zu betonen, weit mehr als bisher üblich ihre Stellung im Zusammenhang der Ereignisse beim Tode Jesu zu berücksichtigen. Die Frage nach der Bedeutung dieses scheinbaren Einschubs verschärft sich noch weiter, wenn man sieht, dass auch der von Zuntz postulierte Zusammenhang von V. 37 und V. 39 so einleuchtend nicht ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Warum sollte gerade das Sterben Jesu mit einem lauten Schrei den Hauptmann zu einem Bekenntnis zu ihm als Gottessohn veranlassen? Die Auskunft, ein solcher Schrei bei einem Gekreuzigten sei ungewöhnlich und habe daher – als »Schrei des Sieges«15 – dieses Bekenntnis veranlasst, mutet eher merkwürdig an.16 Nicht zufällig haben sich auch hier die Seitenreferenten zu einer Korrektur genötigt gesehen: Bei Matthäus sind es, wie schon erwähnt, die zahlreichen wunderbaren Begebenheiten, die das Bekenntnis veranlassen (Mt 27,54), und auch bei Lukas bezieht sich der Hauptmann ausdrücklich auf die mirakulösen Ereignisse Sonnenfinsternis und Spaltung des Vorhangs zurück und beschränkt sich überdies darauf, den Gestorbenen als Gerechten zu prädizieren (Lk 23,47). Wie also hängen diese drei Begebenheiten von Mk 15,37–39 zusammen? Was bedeutet die Spaltung des Vorhangs für die Deutung von Jesu Tod? Zu fragen ist also, ob dieser auf den ersten Blick so störende Einschub zwischen V. 37 und V. 39 nicht in Wahrheit diese beiden so nicht einfach zusammengehörigen Ereignisse des Todes und der Gottessohnprädikation zusammenbinden soll, kurz: ob nicht die Unterbrechung der Erzählung in einem tieferen Sinn die Voraussetzung für die Möglichkeit ihres Fortgangs ist.

3. Weiterführende Überlegungen 3.1. Der Bezug zur Taufgeschichte Auszugehen ist zunächst von folgenden weiteren Beobachtungen: Wie schon oft bemerkt, hat die Gottessohnprädikation für die Struktur des Evangeliums eine zentrale Bedeutung. Am Beginn, am Wende- und Scheitel-

15

So etwa W. GRUNDMANN, Das Evangelium nach Markus (ThHK 2), Berlin 71977, 435 f.; ähnlich W. SCHMITHALS, Das Evangelium nach Markus (ÖTBK 2), Gütersloh/ Würzburg 1979, 699 f. 16 J. W ELLHAUSEN (Das Evangelium Marci, Berlin 21909, 132) hat diese ›Erklärung‹ als »albern« abgetan.

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punkt17 und am Ende begegnet jene Prädikation jeweils in spezifischer Weise:18 1. Am Beginn wird sie Jesus bei der Taufe allein geoffenbart (Mk 1,11), 2. in der Mitte wird sie – von zwei Leidensweissagungen gerahmt – in der Verklärung den drei bevorzugten Jüngern kundgetan (Mk 9,7), allerdings mit der Auflage, davon bis zur Auferstehung zu schweigen (Mk 9,9), 3. am Schluss wird sie durch das Bekenntnis des Hauptmanns sozusagen öffentlich proklamiert19 (Mk 15,38). Bemerkenswert ist, dass zwischen der Taufszene und den beiden anderen Szenen jeweils eine besondere Verbindung besteht.20 Hier soll auf eine auffällige und bisher wenig beachtete Beziehung aufmerksam gemacht werden, die zwischen der Taufe Jesu und der Erzählung von seinem Tod besteht: Beide Male geht der Gottessohnprädikation ein Geschehen an Jesus voraus (Taufe, Tod), und dem folgt ein Zerreißen – das eine Mal ist es der Himmel (1,10), das andere Mal der Tempelvorhang (15,38).21 Auf den ersten Blick mag diese Parallele gezwungen anmuten – aber genaueres Hinsehen zeigt, dass dieser Aspekt durchaus bedeutsamer sein dürfte, als es zunächst den Anschein hat. 3.2. Der Tempelvorhang als Scheidewand zwischen Himmel und Erde 1. Wie angekündigt, ist hier zunächst nochmals auf die Frage zurückzukommen, welcher der beiden einander recht ähnlichen Vorhänge22 sich hier

17 Die Zweiteilung des Markusevangeliums (von 1,1–8,26 und 8,27–16,8) ist weitgehend anerkannt. Die Verklärung erfolgt also direkt auf das Messiasbekenntnis, die erste Leidensweissagung und die darauf bezogene Jüngerparänese. 18 PESCH, Markusevangelium 2 (Anm. 6), 502 spricht von dem »aretalogische[n] Spannungsbogen der Gottessohnprädikationen«. 19 Vgl. dazu die Ausführungen von G NILKA, Markus 2 (Anm. 6), 325. 20 Die Verklärungsszene hat mit der Taufszene gemeinsam, dass es Gott selbst ist, der Jesus dieses Prädikat zuspricht und sich zugleich hinter ihn stellt: in 1,11 mit der Aussage »an dir habe ich Wohlgefallen«, in 9,7 mit der Aufforderung »auf ihn hört«. 21 Das Verb σχίζω begegnet im Markusevangelium nur an diesen beiden Stellen. 22 Beide Vorhänge des Tempels waren laut Philon und Josephus so gewirkt, dass sie in symbolischer Darstellung der vier Grundelemente das All abbildeten; vgl. Bell. V,5,4 (§§ 212 f.): Vor den goldenen Torflügeln »hing ein ebenso langer Vorhang (καταπέτασµα), ein babylonisches Gewebe, buntgewirkt aus violetter Wolle, weißem Linnen, scharlachroter und purpurner Wolle, eine wunderbare Arbeit. Dabei hatte man diese Zusammenstellung des Materials nicht ohne Überlegung gewählt, denn sie sollte gleichsam Abbild des Alls sein. Denn mit dem Scharlachrot schien das Feuer auf versteckte Weise angezeigt, mit dem weißen Linnen die Erde, mit dem Violett die Luft, mit dem Purpur das Meer. Dabei war in zwei Fällen der Vergleich aufgrund der Farbe, beim weißen Linnen aber und beim Purpur aufgrund der Herkunft angestellt; denn jenes liefert die Erde, dieser stammt aus dem Meer« (Übers. O. MICHEL/O. B AUERNFEIND, Flavius Jose-

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zerteilt haben soll. Zumeist nimmt man heute an, es habe sich um den inneren Vorhang gehandelt, der das Allerheiligste vom Heiligen trennt. Dabei wird jedoch zugegeben, dass vom Begriff wie vom Text her keine klare Entscheidung möglich ist.23 Die Begründung lautet, dass dieser innere Vorhang (gerade auch im kultischen Sinn) der weitaus wichtigere sei.24 Dies ist in der Tat ein gewichtiges Argument, wenngleich hier zu berücksichtigen ist, dass bei den späteren, nachsalomonischen Tempelbauten die Abgrenzung zwischen dem Heiligen (‫ )היכל‬und dem (nicht mehr die Lade beherbergenden) Allerheiligsten (‫ דביר‬bzw. ‫ )קדשׁ קדשׁים‬abgeschwächt wird und infolgedessen zunehmend das Heilige im Verhältnis zum Allerheiligsten an Bedeutung gewinnt.25 Dies dürfte sich auch auf die Bedeutung der Vorhänge ausgewirkt haben. Auf der anderen Seite gibt es aber auch gute Gründe, die sich zugunsten des äußeren Vorhangs anführen lassen: Nur dieser äußere Vorhang war sichtbar, als öffentliches Zeichen hätte also nur seine Zerteilung einen Sinn ergeben. »Es ist […] kaum sinnvoll, ein Zeichen zu erwähnen, das nicht oder nur von wenigen Priestern hätte gesehen werden können.«26 Interessanterweise hat bereits Origenes27 auch aus diesem Grund jene Notiz auf

phus, De bello Judaico, Band II,1, Darmstadt 1963, 139.141); ganz ähnlich deutet Philon, Mos. II,88, den Vorhang und seine Elemente. 23 Terminologisch kann καταπέτασµα beides bedeuten. Josephus nennt beide Vorhänge unterschiedslos καταπέτασµα. Philon unterscheidet einmal terminologisch und nennt den äußeren Vorhang κάλυµµα (Mos. II,101); zweimal (Spec. leg. I,231.274) wird bei ihm der äußere Vorhang als τὸ πρότερον καταπέτασµα vom inneren unterschieden; an anderen Stellen aber wird auch bei ihm der äußere Vorhang einfach als καταπέτασµα bezeichnet. 24 Typisch ist die Argumentation von H OFIUS (καταπέτασµα [Anm. 7], 657) und GNILKA (Markus 2 [Anm. 6], 324): Da einzig jenem inneren Vorhang kultische Bedeutung zukomme, könne nur dieser gemeint sein. 25 Vgl. BUSINK, Tempel (Anm. 9), 821: »Die Durchbrechung der Trennungswand zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten, das Zumachen der Türöffnung mittels einem Vorhang statt Türflügeln, deutet darauf, dass nun dem Heiligen eine grössere Heiligkeit zugesagt wurde als zur Zeit des salomonischen Tempels, als das Debir noch die Behausung der Lade war. Ezechiel hatte dem Debir des salomonischen Tempels seine Selbständigkeit im architektonischen Sinne genommen; er stand nichtsdestoweniger noch im Banne der geschlossenen Behausung Jahwes. Serubbabel öffnet das Allerheiligste […], wenn auch, wie anzunehmen ist, in geringer Breite, nach dem Heiligen zu.« Diese Entwicklung setzt sich beim herodianischen Tempel fort (vgl. ebd., 1125). 26 LOHMEYER, Markus (Anm. 6), 347. 27 Nach Origenes, Comm. in Mt. 138, ist es das »velum … a foris«, das zerreißt, und ebendarauf bezöge sich wahrscheinlich die in Mt 27,54 berichtete Reaktion des Hauptmanns und der Wächter. »Verisimile est enim quoniam viderunt quomodo velum templi erat ›conscissum usque deorsum‹« (ebd., 140).

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den äußeren Vorhang bezogen (und bis heute gibt es Exegeten, die ihm hierin folgen28). Bei geöffneten Torflügeln war der Vorhang in jedem Fall vom Vorhof der Männer aus zu sehen. Aber durch das große Tor war er sicher auch vom Frauenhof aus zu sehen, durch das korinthische Tor vermutlich auch noch vom äußersten, den Heiden zugänglichen Hof aus. Zumindest möglich war wohl auch noch ein Blick vom Ölberg auf den Eingang zum Heiligtum und damit auch auf den Vorhang. Golgatha dagegen lag, wie schon erwähnt, auf der entgegengesetzten Seite, sodass ein mit der Geographie Jerusalems einigermaßen Vertrauter nicht den Kenturion als Zeugen annehmen konnte.

Dieses Argument der Sichtbarkeit sollte bedacht werden, auch wenn man diese Begebenheit nicht für historisch hält. Denn es muss in jedem Fall gefragt werden, was dieses Geschehen für einen antiken Leser oder Hörer symbolisieren soll, zumal gerade der zweite, äußere Vorhang die für die nichtpriesterliche Öffentlichkeit entscheidende Trennwand zum eigentlichen Heiligtum bildete. 2. Es hat sich also ergeben, dass entgegen der landläufigen Meinung der heutigen Exegese mindestens ebenso viel dafür spricht, Mk 15,38 auf den äußeren Vorhang zu beziehen. Eine eindeutige Klärung der Frage aber scheint nicht möglich zu sein. Das aber zieht die weitere Frage nach sich, ob die Beantwortung dieser Frage für das Verständnis der Notiz wirklich entscheidend ist. Kann also jenes Geschehen auch gedeutet werden, wenn besagter Vorhang nicht eindeutig identifizierbar ist? Es spricht einiges dafür, dass dies in der Tat der Fall ist. Um dies zu begründen, ist näher auf die zeitgenössische Deutung des Tempels und seiner Abtrennung durch einen bzw. zwei Vorhänge einzugehen. a) In seiner Beschreibung der mosaischen Stiftshütte, die offensichtlich am Modell des Tempels orientiert ist, sagt Josephus,29 dass die Dreiteilung des Stiftszeltes als Nachahmung des Kosmos (µίµησις τῆς τῶν ὅλων φύσεως) zu verstehen sei (Ant. III,6,4 [§ 123]). Dabei entspreche das Allerheiligste dem Himmel, während der den Priestern zugängliche Rest des Heiligtums die den Menschen zugänglichen Bereiche Land und Meer abbildeten. Der Vorhang vor dem Allerheiligsten trennt also nach Josephus symbolisch den Himmel von der Erde.30 Diese Deutung wird auch durch Philon in gewisser Weise bestätigt, wenn er diesen Vorhang vor dem Allerheiligsten als Scheidewand zwischen der veränderlichen und der un-

28

In neuester Zeit etwa E RNST, Markus (Anm. 6), 473. Ant. III,6,4 (§ 123); 7,7 (§§ 179 ff.). 30 Obgleich Josephus das so explizit nicht sagt, kann man wohl mit Hofius folgern: »In diesem Schema symbolisiert dann der Vorhang zwischen Hekhal und Debhir, den Josephus im gleichen Zusammenhang schildert und symbolisch deutet, die Trennung zwischen Himmel und Erde« (O. HOFIUS, Der Vorhang vor dem Thron Gottes [WUNT 14], Tübingen 1972, 22). 29

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veränderlichen Welt deutet.31 Dahinter steht die Vorstellung vom Tempel als imago mundi, die religionsgeschichtlich weit verbreitet32 und auch im Frühjudentum geläufig ist.33 b) Es hat nun aber den Anschein, als könnte nicht nur der innere Vorhang als Trennwand zwischen Himmel und Erde verstanden werden, sondern als könnte man Entsprechendes auch von dem äußeren Vorhang sagen. In einem scheinbaren Widerspruch zu seinen eben zitierten Äußerungen in den Antiquitates kann Josephus in De bello Judaico sagen, dass das äußere Tor des Tempels, also der Eingang zur Vorhalle, der keine Türflügel hatte, in seiner Offenheit die Offenheit des Himmels abbildete, der, »obzwar verborgen, so doch nicht verschlossen ist« (V,5,4 [§ 208]). Das ist besonders interessant im Zusammenhang mit der folgenden Aussage, dass auf dem sichtbaren,34 äußeren Vorhang das Himmelsgewölbe abgebildet gewesen sei: »Auf das Gewebe war das ganze sichtbare Himmelsgewölbe (ἡ οὐράνιος θεωρία), mit Ausnahme der Bilder des Tierkreises, aufgestickt.«35 Das aber legt nahe, dass auch dieser, das Innere des Heiligtums den Blicken entziehende Vorhang in jener Zeit in Analogie zum Himmel verstanden werden konnte: So wie das Himmelsgewölbe den himmlischen Sitz und Thron Gottes von der irdischen Welt abgrenzt, so trennt eine Abbildung des Himmels in Form eines Vorhangs den irdischen Ort der Gegenwart 31 Vgl. vor allem Quaest. Ex. II,91 (zu Ex 26,31a, dem Vorhang vor dem Allerheiligsten): »What is ›the veil‹? By the veil the inside (of the tabernacle) is set off and separated from the things outside, for the inside is holy and truly divine, while the outside, though it is also holy, does not attain the same nature or a similar one. Moreover, it indicates the changeable parts of the world which are sublunary and undergo changes of direction, and the heavenly (region) which is without transient events and is unchanging« (R. MARCUS, Philo, Supplement II: Questions and Answers on Exodus [LCL], Cambridge [Mass.]/London 1953, 140). Vgl. dazu H OFIUS, Vorhang (Anm. 30), 23: »Das ist zweifellos eine philosophische Abwandlung jener Deutung des Vorhangs vor dem Allerheiligsten, die wir bei Josephus bezeugt fanden und die ein älteres Stadium jüdisch-hellenistischer Stiftszelt-Symbolik repräsentiert.« Der von Hofius dafür ebenfalls herangezogene Philon-Text Mos. II,74 ff. gehört allerdings nicht ganz hierher, weil er die entscheidende Abgrenzung dem äußeren Vorhang (bzw. seinen fünf Säulen) zuschreibt (s. u.). 32 Für die ägyptischen Tempel wird dies von J. Assmann dargestellt (J. ASSMANN, Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart u. a. 1984, vor allem 43 ff.; ähnlich E. HORNUNG, Geist der Pharaonenzeit, Zürich/München 1989, 115 ff.). 33 Bei Philon (vgl. Quaest. Ex. II,85; Mos. III,6) und Josephus (Ant. III,6,4 [§ 123]; 7,7 [§§ 179 ff.]) wird dies auch explizit gesagt. Für das rabbinische Judentum hat das im Einzelnen B. Ego aufgezeigt (B. E GO, Im Himmel wie auf Erden. Studien zum Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt im rabbinischen Judentum [WUNT II/34], Tübingen 1989, vor allem 21 ff.; dort auch weitere Literaturangaben); vgl. auch J. R. B ROWN, Temple and Sacrifice in Rabbinic Judaism (The Winslow Lectures), Evanston (Ill.) 1963, bes. 7 f. 34 Bei den geöffneten Türflügeln des inneren Tores. 35 Bell. V,5,4 (§ 214) (Übers. M ICHEL/B AUERNFEIND [Anm. 22]).

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Gottes, das Tempelgebäude,36 von der übrigen Welt ab. Man mag fragen, ob dies wirklich die ursprüngliche Bedeutung des solchermaßen bestickten Tempelvorhangs war37 – für die anstehenden Fragen ist dies sekundär. Entscheidend ist, dass in neutestamentlicher Zeit Josephus (der Spross einer Jerusalemer Priesterfamilie!) diesen den Himmel abbildenden Vorhang in Analogie zur Funktion seines Urbildes verstehen konnte, als Scheidewand zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Bereich.38 Interessant ist, dass sich auch für diese Vorstellung in der Stiftszeltsymbolik Philons ein Beleg finden lässt: Die fünf Säulen des äußeren Vorhanges markieren die Grenze (ἡ µεθόριος χώρα) zwischen Sinnenwelt und Geisteswelt!39 Die Spannung zwischen beiden Aussagen – einmal ist der Tempel der von der Welt abgetrennte himmlische Bereich, das andere Mal stellt er als imago mundi in sich den gesamten Kosmos dar – erklärt sich aus der Betrachtungsweise, je nachdem, ob das Heiligtum von außen oder von innen in den Blick kommt: Von außen stellt es sich als ein von der Welt streng abgegrenzter heiliger Bereich Gottes dar, von innen als Symbol des gesamten, von Gott beherrschten Kosmos. Der gleiche Doppelcharakter findet sich bezeichnenderweise auch bei ägyptischen Tempeln (und nicht nur dort40): In der Semantik des ägyptischen Tempels tritt ein Widerspruch hervor, der wohl in der Struktur des Heiligen begründet ist. Von außen betrachtet ist der Tempel ein streng abgeschirmter Bezirk, eine Enklave des Heiligen in einer profanen Welt, ein festverschlossenes Gefäß der göttlichen Strahlkraft, die auf geheimnisvolle Weise an diesem Punkt der 36 Von Josephus wird der ναός als ἅγιον ἱερόν, als heiligster Tempel der Gesamtanlage, bezeichnet. 37 Die Bestickung des äußeren Vorhanges könnte dafür sprechen, dass im herodianischen Tempel dem Vorhang in der Tat diese Bedeutung von Anfang an zugeschrieben wurde. 38 Nicht zufällig wird solches gerade in einer Zeit betont, da zunehmend das dualistische Urbild-Abbild-Denken prägend wird, und so auch das Verhältnis von irdischem und himmlischem Heiligtum bestimmt; vgl. dazu vor allem E GO, Himmel (Anm. 33), passim. 39 In Mos. II,81 f. beschreibt Philon die Stiftshütte des Mose. Zwar stellt für ihn auch hier das Allerheiligste die wahre Geisteswelt dar, aber die Grenze zur Sinnenwelt wird von den fünf Säulen der Vorhalle markiert, die zum äußeren Vorhang gehören: »Deshalb wies er [sc. Mose] das Grenzgebiet den fünf Säulen zu [sc. des äußeren Vorhangs, vgl. Ex 26,36 f., worauf sich Philon bezieht]; denn ihre Innenseite ist dem Allerheiligsten des Zeltes zugewandt, das sinnbildlich die Geisteswelt darstellt, ihre Außenseite aber dem unbedachten Raum und dem Hof, die das Sinnbild der sinnlichen Welt sind« (Übers. L. COHN/I. HEINEMANN/M. ADLER/W. T HEILER, Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Band 1, Berlin 21962, 317). 40 Ähnliches scheint auch für die babylonischen Tempel zu gelten; vgl. G. E. W RIGHT, The Significance of the Temple in the Ancient Near East, Part III: The Temple in Palestine-Syria, BA 7 (1944), 66 f. Ausführlich geht auch G. Widengren auf diese symbolische Bedeutung der Tempel im Nahen Osten und deren Beziehung zu Jerusalem ein (G. W IDENGREN, Aspetti simbolici dei templi e luoghi di culto del vicino oriente antico, Lumen 7 [1960], 1–25, bes. 13 ff.).

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Erde Wohnung genommen hat. Von innen betrachtet aber ist dieses aus der Welt ausgegrenzte Gefäß des Heiligen seinerseits die ganze Welt […]. Der Tempel ist ein Himmel auf Erden, und er ist Himmel und Erde. Er ist ein Gefäß des Heiligen in der profanen Welt, und er ist die Welt, die der allgegenwärtige Gott bis an ihre Grenzen erfüllt. 41

c) Von daher erklärt es sich, dass beiden Vorhängen eine ganz ähnliche Bedeutung zugeschrieben werden kann! Zwar ist das Allerheiligste der Ort der Gegenwart Gottes, der vom inneren Vorhang von der im Heiligen symbolisch dargestellten Menschenwelt abgetrennt wird. Die Funktion der Abgrenzung und Verhüllung des Heiligen kann aber auch dem äußeren Vorhang zugeschrieben werden, der das Heiligtum als Ganzes von der Menschenwelt abgrenzte, zudem sichtbar war und mit seinen Stickereien das Himmelsgewölbe abbildete! Für unsere Überlegungen ist daher als Ergebnis wichtig, dass – welchen Vorhang man immer annimmt – dieser in jedem Fall nach zeitgenössischer jüdischer Tradition in Entsprechung zum »Himmel« (gleich Firmament) als die Scheidewand zwischen Gott und Welt verstanden werden konnte. d) Das ist besonders bemerkenswert, weil umgekehrt auch der Himmel in der frühjüdischen Literatur mit einem Vorhang gleichgesetzt werden konnte. Im Anschluss an bestimmte biblische Texte, die den »Himmel« als eine Art ausgespanntes »Firmament« verstanden,42 wurde dort der »Himmel« als eine Art Vorhang gesehen, der den heiligen himmlischen Bereich von der irdischen Welt scheidet.43 Es spricht einiges dafür, dass dabei ein direkter Zusammenhang mit der Stiftszeltsymbolik besteht.44

41 ASSMANN, Ägypten (Anm. 32), 45 f.; vgl. auch H ORNUNG, Geist (Anm. 32), 115: Die Tempel sind zum einen »Nahtstellen zwischen dieser Welt und dem jenseitigen Reich der Götter und der Toten«, zum anderen aber »spiegelt der Tempel den gesamten Kosmos, der von göttlichen Kräften durchwaltet ist«. 42 Vgl. Jes 40,22: »Er [sc. Gott] thront (‫ )הישׁב‬über dem Kreis der Erde, und die darauf wohnen sind wie Heuschrecken; er spannt den Himmel aus wie einen Schleier und breitet ihn aus wie ein Zelt, in dem man wohnt«; vgl. dazu G. V. RAD, Art. οὐρανός, ThWNT 5, Stuttgart 1954, 501 f.: ‫ שׁמים‬ist schon im Alten Testament weithin ein Synonym für ‫רקיע‬, Firmament. 43 B ILL. III, 532. Bei der schon bei Paulus begegnenden Vorstellung von mehreren Himmeln (vgl. 2. Kor 12,2) kann der erste Himmel als Vorhang gedeutet werden; vgl. weiter HOFIUS, Vorhang (Anm. 30), 23–27. M. Philonenko hat mich auf eine verwandte Vorstellung in der vermutlich nicht lange nach 70 n. Chr. entstandenen Apokalypse Abrahams (zur Datierung vgl. B. PHILONENKO-SAYAR/M. PHILONENKO, Die Apokalypse Abrahams [JSHRZ V/5], Gütersloh 1982, 415–460, hier 419) aufmerksam gemacht, wo in 15,4 der Himmel als eine vorhangähnliche Trennwand vorgestellt ist. Dementsprechend wird dann in 19,3 ff. berichtet, wie sich die »ausgebreiteten Himmel« öffnen und den Blick in die Welt Gottes freigeben. 44 Vgl. HOFIUS, Vorhang (Anm. 30), 25: »Die Idee eines Vorhangs zwischen Himmel und Erde ist so fest in der symbolischen Deutung des Stiftszeltes verankert, daß sie nur in Verbindung mit dieser Deutung entstanden sein kann.«

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Derartige Vorstellungen lassen sich zwar frühestens seit der Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts quellenmäßig belegen, doch warnt Hofius davor, die Entstehung dieser Vorstellung erst in diesem Zeitraum anzunehmen: »Die relativ späte Bezeugung sagt ja noch nichts über das Alter der Wilon-Idee selbst.«45 3.3. Der Sinn der Ereignisabfolge von Mk 15,37–39 Hier ist jetzt nochmals an die eingangs erwähnte auffällige Parallelität jener beiden Erzählungen von Jesu Taufe und Jesu Tod46 im Markusevangelium zu erinnern: Am Anfang des Evangeliums, bei der Taufe, spaltet sich einem Vorhang gleich der Himmel, die Scheidewand zwischen Gottes himmlischem Heiligtum und der Menschenwelt, und Gott offenbart dem Menschen Jesus (und ihm allein) dessen Gottessohnschaft. Am Ende des Evangeliums nun spaltet sich bei Jesu Tod ein Vorhang im Tempel, die Trennwand des irdischen Heiligtums Gottes von der Welt, und nun wird Jesus von einem Menschen coram mundo als Gottessohn bekannt! a) Verbindet man diese Übereinstimmungen mit den oben gemachten traditionsgeschichtlichen Beobachtungen, denen zufolge der Himmel als Vorhang, der Tempelvorhang aber als Entsprechung zum Himmel verstanden werden konnte, so liegt die Vermutung nahe, dass der Zusammenhang der Ereignisabfolge von Mk 15,37–39 analog zu Mk 1,10f. zu interpretieren ist. Das aber hieße, dass das Zerspalten des Vorhangs als ein die Gottessohnprädikation bestätigendes Handeln Gottes 47 zu verstehen ist. Man kann dies wohl noch präzisieren: Was am Anfang in dem nur für Jesus sichtbaren Geschehen durch den geöffneten Himmel und die Taube symbolisiert wird, das wird nun am Ende durch das Zerteilen des Tempelvorhangs (der im Falle des äußeren Vorhangs sogar den Himmel abbildete!) öffentlich ausgedrückt. Und wie das Zerteilen des Vorhangs das Geschehen sozusagen unter irdischen Bedingungen darstellt, so wird nun auch die göttliche Stimme des Anfangs, die Jesus seine verborgene Würde zusprach, abgelöst durch das erste Bekenntnis eines Menschen zu diesem Gekreuzigten als dem Gottessohn. 45 Ebd., 26. »Wilon« ( ‫ )וילון‬wird in rabbinischen Texten der Vorhang zwischen Erde und himmlischem Bereich genannt. 46 Man muss sich sicher davor hüten, die Entsprechungen zu übertreiben. Bemerkenswert scheint mir jedoch, dass auch die Taufe ein symbolischer Tötungsakt ist und dass Jesus in den Evangelien (Mk 10,38 f. par.; Lk 12,50) die Metapher der Taufe als Bild für seinen (Gerichts-) Tod gebraucht (vgl. dazu G. DELLING, βάπτισµα βαπτισθῆναι, in: DERS., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Göttingen 1970, 236–256). 47 Für ein direktes Handeln Gottes spricht im Übrigen auch, dass der Vorhang – wie ausdrücklich betont wird – sich von oben nach unten spaltet.

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Wir haben es also mit einer doppelten Bewegung zu tun: zum einen von der Verborgenheit der Gottessohnprädikation bei der Taufe (über die bis Ostern zu verschweigende Offenbarung an die drei Jünger bei der Verklärung) bis zum öffentlichen Bekenntnis des Hauptmanns. Parallel zu dieser Bewegung von der Verborgenheit in die Öffentlichkeit gibt es eine Bewegung von der Unmittelbarkeit göttlichen Handelns (Teilen des Himmels und der Prädikation durch den Vater selbst) hin zur irdisch vermittelten Offenbarung (Zerreißen des Tempelvorhangs, menschliches Bekenntnis).48 Die Vermutung liegt nahe, dass sich in dieser doppelten Bewegung auch der Weg vom verborgenen Gottessohn zu der sich öffentlich zu ihm bekennenden Gemeinde niederschlägt.

Möglich aber ist dies nur dadurch, dass Gott selbst die Grenze durchbricht, und zwar nicht einfach in dem Sinn, dass damit die Grenze zwischen Gottes Heiligkeit und der Unheiligkeit der Menschen beseitigt wäre. Meines Erachtens zeigt die Stellung dieser Notiz zwischen dem Tod Jesu und seiner Prädikation als Gottessohn deutlich, dass sich dieses Geschehen zunächst ausschließlich auf den Gekreuzigten bezieht. Wenn die Abtrennung des Heiligtums (oder des Allerheiligsten) gerade in dem Moment sich spaltet und öffnet, da der Gottessohn den Fluchtod stirbt, so muss dies wohl so verstanden werden, dass Gott die Grenze zwischen seiner Herrlichkeit und Heiligkeit und jenem so elend und heillos Gestorbenen beseitigt. Für den Leser des Markusevangeliums49 kommentiert das Bekenntnis so den Zusammenhang von Jesu Tod und Gottes Reaktion. Die Gottessohnschaft ist hier letztlich (wie ja auch in der Taufe) begründet in einem Akt der göttlichen Identifikation mit diesem Menschen Jesus von Nazareth. b) Die oben erwähnten und durchaus bedenkenswerten soteriologischen Ausdeutungen dieses Geschehens als Eröffnung des Zugangs zu Gott, als Sühnegeschehen, als Offenbarung für die Heidenwelt50 etc. sollten als (mögliche) Explikationen der soteriologischen Implikationen dieses Geschehens von diesem selbst unterschieden werden;51 sie sind die Folge der göttlichen Rechtfertigung des Gekreuzigten, deren erster Akt ebenjenes Zerteilen des Vorhangs ist (dem als endgültige Bestätigung die – bei Markus nur angedeutete – Auferstehung folgt). Dies hat auch Folgen für die weitere Deutung: Man kann nun nicht einfach allgemein sagen, der Zugang zu Gott bzw. zum Heiligtum wäre nun offen (sowenig seit Jesu Taufe der Himmel offensteht). Vielmehr muss präziser gesagt werden, dass in Jesus Christus, in 48 Auch hier dürfte die Verklärung mit der Wolke und den himmlischen Gestalten eine Art Mittelposition einnehmen. 49 Die Frage, ob die Sequenz Mk 15,37–39 vormarkinisch ist oder sich markinischer Redaktion verdankt, soll hier nicht erörtert werden. In jedem Fall passt diese Art der Darstellung mit ihren schroffen Gegensätzen gut zu Markus. 50 Vgl. HOFIUS, καταπέτασµα (Anm. 7), 657; GNILKA, Markus 2 (Anm. 6), 324; ERNST, Markus (Anm. 6), 473. 51 Am ehesten tut das noch P ESCH, Markusevangelium 2 (Anm. 6), 498, wenn er diesem Zeichen in erster Linie Beglaubigungsfunktion zuschreibt. Die vorwiegend negative Ausdeutung dieses Zeichens überzeugt jedoch nicht.

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der Verkündigung von ihm im Evangelium, nun der Zugang zu Gott möglich ist. Der Gottessohn als der Gekreuzigte (und Auferstandene) ist Ort der Begegnung Gottes. Das impliziert natürlich letztlich auch die Infragestellung des Tempels als eines besonderen Ortes der göttlichen Gegenwart und des Kultes als einer besonderen Möglichkeit der Versöhnung mit Gott. Insofern ist diesem Text möglicherweise auch eine indirekte Tempelkritik des Markusevangeliums zu entnehmen.52 Weit unsicherer scheint mir die Deutung des Geschehens als Vorzeichen der Tempelzerstörung. Vielleicht kommt diese Deutung auch sekundär nach dem Jüdischen Krieg dazu, wie etwa die entsprechende Übersteigerung dieser Begebenheit im Nazoräerevangelium zeigt. 53 c) Zusammenfassend scheint es also, als ob diese Notiz von der Zerteilung des Tempelvorhangs, die von Zuntz und seinem ›Heiden‹ als grobe Unterbrechung des Erzählzusammenhangs empfunden wurde, in Wahrheit die unerlässliche Bedingung dafür sei, dass dieser Erzählzusammenhang über den Tod hinaus überhaupt weitergehen kann. Gerade an dem Punkt, wo angesichts des Todes und damit des endgültigen Scheiterns dieses Menschen alles besiegelt scheint, kommt es durch Gottes Handeln zum Umschlag und darauf bezogen zu dem Bekenntnis des Kenturion, das jenes vergangene Leben Jesu54 aufs Engste mit Gott zusammenbringt und ihm so Zukunft zuspricht. Das ist die Voraussetzung dafür, dass dieses (vergangene) Leben nun, wie es in 1,1 programmatisch heißt, als die gute Botschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, erzählt werden kann. Dieses Leben kann nun als »Evangelium« verkündigt werden, wie es Markus – unseres Wissens als Erster – getan hat. Ist diese Deutung richtig, dann hat das auch Konsequenzen für die Rede von Gott. Dies soll noch kurz im Folgenden dargestellt werden.

4. Abschließende Überlegungen: Gottes Thron und »Gnadenstuhl« Nach alttestamentlichem Verständnis ist nicht nur der Himmel der Ort, wo Gott als Himmelskönig wohnt und thront,55 sondern auch der Tempel kann 52 Vgl. die Polemik der »Hellenisten«, wie sie etwa in Apg 7,48–50 ihren Niederschlag fand. 53 Dem Nazoräerevangelium zufolge soll die Oberschwelle des Tempels zusammengebrochen sein; vgl. E. HENNECKE, Neutestamentliche Apokryphen, Tübingen 21924, 31 (Nr. 23 unter Berufung auf Hieronymus). 54 Das könnte auch der tiefere Sinn jenes Präteritum bei der Gottessohnprädikation sein, das unmittelbar natürlich zunächst dem Tod des Prädizierten Rechnung trägt. 55 Vgl. V. RAD, οὐρανός (Anm. 42), 504 ff. (dort die Belege); auch dem Neuen Testament ist diese Vorstellung nicht unbekannt, vgl. Mt 5,34; 23,22; Apg 7,49 (= Jes 66,1).

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als ‫מקום כסאי‬, als Ort des Throns, bezeichnet werden.56 Soweit ich sehen kann, werden diese untereinander durchaus verschiedenen, zum Teil sogar miteinander konkurrierenden57 Vorstellungen erst in späterer Zeit ausgeglichen und systematisiert, sodass nun bewusst zwischen einem oberen und einem unteren Thron unterschieden und beide zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden.58 Dahinter steht vor allem die Vorstellung einer Entsprechung von himmlischem und irdischem Heiligtum. Solche Konzepte sind auch für die neutestamentliche Literatur bezeugt – am deutlichsten im Hebräerbrief, aber auch anderswo.59 Es lässt sich zwar nicht nachweisen, dass das Markusevangelium derartige Vorstellungen voraussetzt. Wohl aber legen der dargelegte innere Zusammenhang der Ereignisabfolge in Mk 15,37–39 und die Entsprechung zur Taufperikope die Vermutung nahe, dass jenes Zerteilen des Vorhangs auf dem Hintergrund der Vorstellung vom Tempel als Ort der göttlichen Gegenwart, Heiligkeit und Herrschaft zu verstehen ist. Als erste und einzige unmittelbare Reaktion Gottes in der Passion muss diese aus ihrem Doppelbezug zum gottverlassenen Sterben Jesu Christi wie zum Tempel als Ort göttlicher Gegenwart so gedeutet werden, dass dadurch ein innerer Zusammenhang zwischen beidem hergestellt wird. Damit sind – fast im Sinne einer christologischen inclusio – der Anfang und das Ende des Evangeliums aufeinander bezogen: Der Anfang macht deutlich, dass der Gott, der über dem Himmelsgewölbe thront, in diesem Jesus gegenwärtig, wirkend, erfahrbar ist.60 »Die Zeit ist erfüllt und die Herrschaft Gottes nahegekommen« – so lautet dementsprechend die programmatische Botschaft Jesu in 1,15. Die Zerteilung des Tempelvorhangs und das Bekenntnis des Kenturion am Ende zeigen, dass dieser Gott auch nicht mehr – verhüllt und abgetrennt von der unheiligen Welt – in seinem Heiligtum auf dem Zion wohnt. Die Öffnung des Tempelvorhangs und die darauffolgende Gottessohnprädikation des Gestorbenen zeigen vielmehr, dass nun der Gekreuzigte der Ort ist, an dem Gott begegnet. Hier ist er gegenwärtig, umgreift er die Welt auch und gerade in ihrer schlimmsten 56 Ez 43,7 (vom neuen Tempel); vgl. Jer 17,12, wo der »Ort unseres Heiligtums« als »Thron der Herrlichkeit« ( ‫ )כסא כבוד‬bezeichnet wird. 57 So ist etwa in Jes 66,1 die Aussage »Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße« in den Dienst einer Tempelkritik gestellt, wie die Fortsetzung zeigt: »Wo ist ein Haus, das ihr mir bauen könnt, wo eine Stätte als mein Rastplatz?« Vgl. hierzu auch Apg 7,48–50. 58 Belege für die rabbinische Zeit bei E GO, Himmel (Anm. 33), 73 ff. 59 Vgl. die Zusammenfassung der diesbezüglichen Vorstellungen des Hebräerbriefes bei HOFIUS, Vorhang (Anm. 30), 71–73. Solche Vorstellungen begegnen aber auch in der Apokalypse; angedeutet sind sie wohl schon in Gal 4,26. 60 Die Verklärung am Scheitelpunkt des Werkes unterstreicht dies nochmals – jetzt aber schon in der Ausrichtung auf das Leiden.

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und unheiligsten Seite, an dem Ort, an dem sie sich seines eigenen Sohnes entledigt. Dieser heillose Ort ist jetzt der Ort, an dem er gefunden wird, hier richtet er seine Herrschaft auf, hier ist sein »Gnadenstuhl«. Mit »Gnadenstuhl« wird im Deutschen ein Motiv der mittelalterlichen Ikonographie bezeichnet (franz. »propitiatoire«). Gottvater sitzt hier hinter und über dem Gekreuzigten. Der deutsche Terminus »Gnadenstuhl« unterstreicht, dass es sich hier um eine Darstellung des göttlichen Thronens handelt, wie aus dem Bild selber auch ersehen werden kann. Dieser über dem Himmelsgewölbe thronende Gott hat nun allerdings nicht die üblichen Herrschaftssymbole wie Szepter und Reichsapfel in der Hand. Zwischen seinen Händen hält er vielmehr seinen gekreuzigten Sohn, den er der Welt darreicht!61 Darstellungen des Spätmittelalters gehen sogar noch weiter, indem sie den gekrönten Gott als trauernden Vater zeigen, der seinen getöteten Sohn auf dem Schoß hält.62 Mir scheint, dass diese Darstellungen ein durchaus adäquater Ausdruck sind für die kreuzestheologische Neuinterpretation der Vorstellung von der Gegenwart und Herrschaft Gottes, wie sie in der Markuspassion begegnet.

61

Vgl. dazu W. BRAUNFELS, Art. Dreifaltigkeit, LCI 1, Freiburg i. Br. u. a. 1968, 525–537, hier 535. 62 Besonders eindrücklich ist die Darstellung von T. Riemenschneider im Gesprenge des Münnerstädter Altars.

Theodizee? Biblische Überlegungen zu einem unbiblischen Unterfangen1 1. Fragen an die Frage Unter der Theodizeefrage versteht man im Allgemeinen die Infragestellung der Existenz Gottes angesichts der Übel und Leiden in der Welt. Klassisch wurde diese Position bereits in der Antike in einer – wohl fälschlicherweise – Epikur zugeschriebenen Sentenz formuliert: Entweder will Gott die Übel aufheben und kann nicht, oder er kann und will nicht, oder er will nicht und kann nicht, oder er will und kann. Wenn er will und nicht kann, ist er schwach – und das trifft für Gott nicht zu. Wenn er kann und nicht will, ist er neidisch – und das ist ebenso unvereinbar mit Gott. Wenn er nicht kann und nicht will, ist er neidisch und schwach – und dementsprechend kein Gott. Wenn er aber will und kann, wie das allein angemessen für Gott ist – wo kommen dann die Übel her, und warum hebt er sie nicht auf?2

Sowohl Kritiker wie Apologeten3 sind sich dabei darin einig, dass der Glaube an einen Gott, der aufgrund seiner Allmacht die Möglichkeit habe einzugreifen und wegen seiner Güte und Gerechtigkeit zu solchem Eingreifen verpflichtet sei, mit der real existierenden Welt entweder gar nicht4 1 Für Anregungen bei unserer gemeinsamen Vorlesung »Gott und das Leid« danke ich meinem Kollegen Wolfgang Schoberth. 2 H. USENER, Epicurea, Stuttgart 1966, 252 f., Frgm. 374. Die Zuschreibung dieser Argumentation an Epikur durch Laktanz (De ira dei XIII,20 f.) ist allerdings fraglich. Epikur hatte keinen ethischen Gottesbegriff. Seine Götter verbringen ihr Leben in selbstzufriedener Seligkeit, ohne sich um das Elend und den Schmutz dieser Wirklichkeit zu scheren – ebendarin besteht ihre Glückseligkeit (und ihr Vorbildcharakter für den Weisen)! Daher dürfte sich Epikur das Theodizeeproblem auch gar nicht gestellt haben; G. ARRIGHETTI (Epicuro, Opere [BCF 41], Turin 1973) nimmt bezeichnenderweise diesen Text auch nicht in seine Edition der Epikurfragmente auf. Eher stammt die Argumentation aus der akademischen Skepsis, wo diese Frage in der Diskussion um die Vorsehung offenbar eine Rolle spielte (vgl. etwa die Ausführungen des akademischen Skeptikers Cotta bei Cicero, De nat. deor. III,79–85). 3 Vgl. A. KREINER, Das Theodizee-Problem und Formen seiner argumentativen Bewältigung, Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur 12 (2001), 147–157.211–220. 4 Vgl. G. STREMINGER, Gottes Güte und die Übel der Welt, Tübingen 1992, der den ›skeptischen Gegenbeweis‹ zu den klassischen Theodizeen so zusammenfasst (13):

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oder nur aufgrund der Bemühungen seines Apologeten vereinbar sei. In jedem Fall aber habe sich jeder Glaube an einen gerechten und (all-)mächtigen Gott vor dieser Anfrage zu rechtfertigen. Allein – die Behauptung, das Theodizeeproblem sei geradezu zwangsläufig »ein Begleitphänomen aller theistischen Religionen«, 5 verliert bei genauerer Prüfung schnell ihre Selbstverständlichkeit. Zu denken gibt schon, dass in allen drei ›abrahamitischen‹ Religionen an Gottes Güte und Allmacht auch angesichts der Übel in der Welt festgehalten werden konnte und kann, ohne Gottes Existenz infrage zu stellen. Dies nur auf tumbe Gläubigkeit und mangelnde Reflexion zurückzuführen, wäre nicht nur arrogant, sondern auch falsch: Der mittelalterlichen Scholastik kann man ebenso wenig mangelndes Reflexionsniveau vorwerfen wie den hinter Mischna und Talmud stehenden Rabbinen oder den arabischen Aristotelikern. Daher scheint es geraten, vor jedem Versuch einer Antwort auf die Theodizeefrage zunächst die Frage selbst und ihre Implikationen etwas näher zu betrachten.

2. »Causam deorum agam«: Ursprung und Eigenart der Theodizeeproblematik ›Theodizee‹ ist ein griechisch-französisches Kunstwort, das Gottfried Wilhelm Leibniz in Anlehnung an Formulierungen aus dem Römerbrief (Röm 3,5) geprägt und dann im Titel seines gleichnamigen Buches verwendet hat.6 Da das Übel in der Welt deren Vernünftigkeit – und damit auch die Möglichkeit der Vernunft, diese zu begreifen – infrage stellt, muss Leibniz seine aus dem Gottesbegriff deduzierte Überzeugung plausibel machen, dass es sich bei der bestehenden Welt um die beste aller möglichen Welten handelt. Dieser Kontext des aufgeklärten Denkens ist wichtig: Es geht dort, wo der Begriff der Theodizee geprägt wurde, weder primär um Gott noch »1. Wenn der christliche Gott existiert, so weiß er aufgrund seiner Allwissenheit um die Existenz von Übeln. 2. Aufgrund seiner Allmacht kann er sie verhindern. 3. Aus der Existenz Gottes folgt die Nicht-Existenz von Übeln und aus der Existenz von Übeln die Nicht-Existenz Gottes. 4. Es gibt Übel. Also existiert der christliche Gott nicht.« Streminger schließt sich dieser Position im Grunde an: »Angesichts des Scherbenhaufens traditioneller Theodizeen ist die Hoffnung, daß es einen gütigen Gott gibt, unbegründet. Da nichts Übernatürliches existiert, an das Menschen sich mit guten Gründen um Hilfe wenden könnten, sind sie auf sich allein gestellt« (395). 5 KREINER, Theodizee-Problem (Anm. 3), 147. 6 G. W. LEIBNIZ, Essais de theodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal (1710), in: C. J. G ERHARDT (Hg.), Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Band 6, Hildesheim/New York 1978 (Nachdruck von 1885).

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um das menschliche Leid, sondern vor allem um die Fähigkeit der Vernunft, diese Welt zu begreifen.7 Immanuel Kant hat die Sache mit gewohnter Präzision auf den Begriff gebracht: »Unter einer Theodicee versteht man die Vertheidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt. Man nennt dieses«, so fährt Kant in feiner Kritik fort, »die Sache Gottes verfechten; ob es gleich im Grunde nichts mehr als die Sache unserer anmaßenden, hierbei aber ihre Schranken verkennenden Vernunft sein möchte […]«. 8 Diese Einsicht ist für uns insofern wichtig, als Macht und Güte Gottes zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen sind, um die Theodizeefrage zu stellen. Wie Kant scharf beobachtet hat, handelt es sich primär um ein Dilemma der diese Welt begreifen wollenden Vernunft. Wie eingangs gesehen, wurde die mit dem Begriff Theodizee gemeinte Frage bereits in der Antike gestellt.9 Auch dort handelt es sich primär um ein Problem, das aus der philosophischen Weltdeutung erwächst. Denn die alte Frage, wie sich die Götter zum Leid in der Welt verhalten,10 wird erst dort zum Einwand gegen die Existenz der Gottheit(en), wo diese mit dem Logos identifiziert werden und so – qua ›Vorsehung‹ – Garanten für eine vernünftige und von der Vernunft einsehbare Ordnung der Wirklichkeit sind. Die skeptische Bestreitung einer solchen Ordnung aufgrund der sinnlos erscheinenden Übel hat dann im Gegenzug gerade in neutestamentlicher Zeit Philosophen veranlasst, Apologien der göttlichen providentia bzw. πρόνοια zu verfassen,11 also die Harmonie des Kosmos verteidigende Theodizeen.12 Gleichgültig, ob im Endeffekt Gott be- oder entlastet wird und wie dies je7

Vgl. W. SCHOBERTH, Gottes Allmacht und das Leiden, in: W. H. RITTER/R. FELDSCHOBERTH/G. ALTNER, Der Allmächtige. Annäherungen an ein umstrittenes Gottesprädikat, Göttingen 21997, 43–67, hier 55: »Wie sich bei Leibniz zeigt, entsteht die spezifische Theodizee-Frage nicht aus dem existenziellen Druck des Leidens, sondern ist ein Dilemma der Vernunft selbst.« 8 I. KANT, Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee, in: Kants Werke, Band VIII: Abhandlungen nach 1781, Berlin 1968, 255. 9 Siehe oben Anm. 2. 10 Schon Zeus verteidigt sich am Beginn der Odyssee gegen die Anklage der Menschen, dass die Götter an ihrem Schicksal schuld seien (I,32–34), und macht stattdessen den Menschen selbst verantwortlich. Dies ist eine Antwort, die immer wieder auf die Theodizeefrage gegeben wurde (und wird), auch wenn sie nur bedingt überzeugt: Schon in der Odyssee erhebt Athene im Blick auf Odysseus dagegen Einspruch. 11 Vor allem sind dies der Stoiker Seneca (De providentia) und der Mittelplatoniker Plutarch (De sera numinis vindicta). 12 J. EBACH, Theodizee. Fragen gegen die Antworten, in: F. HERMANNI/V. STEENBLOCK (Hg.), Philosophische Orientierung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Willi Oelmüller, München 1995, 215–239, unterscheidet zwischen der Theodizee als dem Versuch einer Antwort anstelle Gottes (und zugunsten einer Harmonie der Welt) und der Theodizee als einer Frage, »auf die – gegen alle anderen möglichen Antwortinstanzen – allein von Gott Antwort erwartet werden kann« (217). MEIER /W.

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weils geschieht13 – gemeinsam ist allen diesen Versuchen, dass der Mensch Gott mit seiner Vernunft verklagt, ihn mit derselben verteidigt und qua Vernunft über ihn richtet: »causam deorum agam« – so verspricht Seneca am Anfang seiner Schrift De providentia, »ich werde die Sache der Götter vertreten«, und nimmt auch gleich vollmundig das Urteil vorweg: »in gratiam te reducam cum diis« – »ich werde dich wieder mit den Göttern versöhnen«.

3. »Wer bist du denn, Mensch?« Der biblische Einwand Was sollen wir nun sagen? Ist etwa bei Gott Ungerechtigkeit? […] O Mensch, wer bist du denn, der du rechtend Gott entgegentrittst? Sagt etwa das Gebilde zu dem, der es gemacht hat: »Warum hast du mich so gemacht?« Oder hat nicht der Töpfer Macht über den Lehm, um aus derselben Masse einmal ein Gefäß zu machen, das zu einem ehrenvollen Gebrauch dient, ein anderes aber zu einem unehrenhaften? (Röm 9,14.20 f.)

Mit diesem schneidenden »Nein« tritt der Apostel Paulus sämtlichen menschlichen Versuchen entgegen, Gott für sein Wirken nach unseren Maßstäben von Recht und Gerechtigkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Der Mensch ist ein Stück Ton in den Händen seines Bildners, und sowenig sich ein Nachttopf beschweren kann, dass er keine Vase geworden ist, so wenig hat der Mensch das Recht, Gott das vorzuwerfen, was dieser über ihn beschlossen hat. Auch wenn es in Röm 9–11 nicht primär um das Problem des Leidens geht,14 so ist diese bedingungslose Absage des Apostels an jeden Versuch des Menschen, nach seinen Maßstäben über Gott zu richten (vgl. auch Röm 3,5f.), von unmittelbarer Relevanz für das, was wir Theodizee nennen, zumal die Gottesreden im Hiobbuch, die direkt auf die Infragestellung von Gottes Gerechtigkeit aufgrund des Leidens reagieren, in dieselbe Richtung weisen.15 So wird denn auch nirgends im Neuen Testament der 13 Auch die Argumentationsweise dieser antiken Theodizeen berührt sich mit derjenigen der Aufklärung: Plutarch versucht, wie später Leibniz, seine axiomatisch vorausgesetzte Überzeugung einer gerechten Weltordnung gegen die skeptischen Einwände plausibel zu machen, bemüht sich also um eine metaphysische Lösung des Theodizeeproblems; Seneca geht davon aus, dass die Lösung nur in der Haltung des Menschen zum Leiden liegen kann, das ihm zur Erziehung dient und deshalb bei rechter Einstellung überhaupt kein Übel ist. Das erinnert in manchem an die praktische Theodizee Kants, der zufolge es eben nicht darauf ankommt, Gott zu rechtfertigen, sondern seinen Willen zu tun. 14 In dem Abschnitt Röm 9–11 geht es um die göttliche Erwählung und Verwerfung. Anlass ist Israels Verstockung, deretwegen der Apostel »große Traurigkeit und Schmerzen in seinem Herzen« hat (Röm 9,2)! 15 Hi 38–41; vgl. auch Jes 45,9.

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Versuch gemacht, Gott angesichts der Leiden in der Welt zu verteidigen, obgleich diese Frage, wie bei Seneca und Plutarch zu sehen ist, zu dieser Zeit durchaus die Gemüter bewegte. Was aber dann? Soll hier ein brutaler Verweis auf die göttliche Übermacht den leidenden und fragenden Menschen einschüchtern und mundtot machen? Und wie wäre solch eine autoritäre Zurückweisung einer existentiellen Frage theologisch zu verstehen und – etwa in der Seelsorge – zu vermitteln? Wie fügt sich der Verweis auf Gottes unbedingte Souveränität zur paulinischen ›Frohbotschaft‹, etwa zu dem strahlenden Lobpreis der Liebe Gottes und der damit eröffneten Perspektive für die stöhnende Kreatur im vorangehenden Kapitel (Röm 8,18–39)? Wie passt der souveräne göttliche Töpfer in Röm 9,20ff. zum erbarmenden Vater in Röm 8,14ff.? Diese Frage stellt sich umso mehr, als die Bibel keineswegs das Übel in der Welt ausblendet oder es nicht mit Gott in Beziehung bringt. Im Gegenteil: Während die Theodizeen verschiedener Couleurs bemüht sind, den Gottesbegriff von jeder Kontamination durch Leid und Übel freizuhalten, wird der biblische Gott etwa in den Klagepsalmen mit bemerkenswerter Intensität damit in Zusammenhang gebracht, ja dafür haftbar gemacht – bis hin zu dem klagend-anklagenden Schrei: »Warum hast du mich verlassen/ vergessen/verstoßen« (Ps 22,2; 42,10; 43,2; 88,15 u. ö.). Solche Fragen, Klagen, solches Schreien findet sich auch – und gerade! – im Munde derer, die Gott besonders nahe sind, im Munde der Propheten (Jer 15,18) oder des Gottessohnes (Mk 15,34; Mt 27,46).

4. »Er bringt den Frommen um wie den Gottlosen.« Das Ringen mit Gott im Buch Hiob Ein besonders markantes Beispiel ist das Buch Hiob, das aufgrund der Erfahrung ungerechten Leidens in einzigartiger Schärfe Gott selbst anklagt und seine Güte grundsätzlich in Frage stellt: »Er bringt den Frommen um wie den Gottlosen. Wenn seine Geißel plötzlich tötet, so spottet er über die Verzweiflung der Unschuldigen« (Hi 9,22f.). Eine Besonderheit des Hiobbuches ist nun allerdings, dass es dort durchaus den Versuch einer Verteidigung Gottes angesichts des Leidens, also einer ›Theodizee‹, gibt: In weisheitlicher Tradition nehmen die Freunde Hiobs in immer heftigeren Gegenreden gegen die Vorwürfe des leidenden und aufbegehrenden Hiob die gerechte göttliche Weltordnung in Schutz. Doch wie später ein Iwan Karamasow in seiner ›Empörung‹ begehrt Hiob auf gegen die Rechtfertigung des Bösartigen und Gemeinen und Sinnlosen durch den Verweis auf Gottes überlegenen Willen. Solches Unterfangen verteidigt, wie Hiob seinen Freunden vorwirft, Gott mit Unrecht und Trug (Hi 13,7). Und so

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verfehlen sie nicht nur Gott, sondern sie reden auch doktrinär am leidenden Menschen vorbei. Indem solche Theodizee Gott auf Kosten des Leidenden entlastet und Letzteren selbst für sein Leiden verantwortlich macht, potenziert sie dessen Leid: »Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt ihr nicht satt werden von meinem Fleisch?« (Hi 19,22) Schlimmer noch: Indem sie dem Leidenden das (an-)klagende Wort zu verbieten suchen, nehmen sie ihm die einzige Möglichkeit, sein Geschick noch vor Gott zu bringen, sie entfremden ihn noch weiter von seinem Gott! Trotz ihres religiösen Gewandes erweist sich die Argumentation der Freunde Hiobs so als inhuman. Insofern sind sie Ideologen oder wie Hiob sagt: »Lügenkleisterer« und »Götzenärzte«.16 Demgegenüber verbittet sich Hiob solche Verharmlosungen und insistiert darauf, dass Gott ihm als Feind erscheint.17 Allerdings – und das ist das Aufregende – verbittet nicht nur Hiob sich die Theodizee, sondern auch Gott selbst; den Freunden wird vom Allmächtigen (gleich zweimal!) beschieden: »Ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob« (Hi 42,7.8). Das muss immer mitgehört werden, auch dort, wo der aufbegehrende Hiob zunächst von Gott in zwei großen Reden – dem schneidenden ›Nein‹ des Apostels hierin durchaus vergleichbar – in seine Schranken verwiesen wird. Ihm wird deutlich gemacht, dass die Bestreitung der Güte der Schöpfung allein aus der Perspektive seines eigenen Leidens eine Anmaßung war. Gegen den Anthropozentrismus der Anklage machen die Gottesreden in aller Härte deutlich, dass Gott und die von ihm eingerichtete Schöpfung nicht auf die von Hiob erwünschten Eigenschaften reduzierbar sind: Sie hat eigene, auch uns Menschen sinnlos und ungebändigt erscheinende Elemente. Andererseits sind die Reden – immerhin redet Gott mit Hiob! – nicht nur Einschüchterung: In den Fragen wird auch deutlich, dass die von Hiob als bedrohlich empfundene göttliche Übermacht zugleich die Macht ist, welche die Chaoselemente vom ungestümen Meer (Hi 38,8ff.) bis hin zu den Untieren Behemot und Leviathan (Hi 40,15ff.) bändigt und so die Welt zum bewohnbaren Kosmos macht.18 16 Hi 13,4; zur Übersetzung vgl. J. E BACH, Streiten mit Gott. Hiob, Teil 1: Hiob 1–20, Neukirchen-Vluyn 1996, 108. 17 Vgl. H. SPIECKERMANN, Die Satanisierung Gottes. Zur inneren Konkordanz von Novelle, Dialog und Gottesreden im Hiobbuch, in: I. K OTTSIEPER/J. VAN OORSCHOT/ D. RÖMHELD/H. M. W AHL (Hg.), »Wer ist wie du, HERR, unter den Göttern?« (FS O. Kaiser), Göttingen 1994, 431–444, hier 439: »Die Frage, wieso der allmächtige und gerechte Gott das Leiden der Unschuldigen zulasse, erreicht nicht die theologische Abgründigkeit des Hiobbuches. Das in ihm unausweichliche Problem ist noch bedrückender: Gott als Feind des Menschen, Gott, der die auf Recht und Gerechtigkeit von ihm selbst gegründete Ordnung der Welt grundlos, willkürlich zerstört.« 18 Noch weiter in der Interpretation dieser auf den ersten Blick nur abweisenden Gottesreden gehen W. DIETRICH/C. LINK, Die dunklen Seiten Gottes, Band 2: Allmacht und Ohnmacht, Neukirchen-Vluyn 2000, 128: »Hier [sc. in diesen beiden Reden und der Reaktion Hiobs darauf] geht es offenbar nicht um ein neues begriffliches Wissen von Gott,

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Und vor allem: Trotz dieser Zurechtweisung wird der aufbegehrende Hiob zuletzt von Gott selbst vor seinen Freunden ins Recht gesetzt. Im Gegensatz zu diesen hatte Hiob von Gott recht geredet! Recht geredet deshalb, weil er nicht im Interesse einer letztlich eigenmächtigen Doktrin Gott und eine schlimme Wirklichkeit harmonisiert hat (und damit, wie die Leserinnen und Leser aufgrund des Prologs im Himmel wissen, Gott und Satan identifiziert hat). Vielmehr hat Hiob, noch im äußersten Widerspruch, an Gott festgehalten. In der dramatischsten Passage des ganzen Buches droht Hiob Gott – mit Gott, er droht dem als Feind erfahrenen Gott mit dem geglaubten ›Löser‹, der ihn ins Recht setzen, ja rächen wird (Hi 19,25–27). Nicht eine objektive Erklärung der Welt und des Bösen kann – das macht die Dramatik des Hiobbuches deutlich – das Problem des Leidens und des Bösen in der Welt lösen. Nur von Gott selbst kann die Problematisierung seiner Güte und Gerechtigkeit überwunden werden, indem er diese Ambivalenz eines geglaubten gütigen und eines als feindlich erfahrenen Gottes überwindet und seiner guten Nähe gewiss macht.19 Das setzt freilich voraus, dies macht das Buch Hiob deutlich, dass an diesem Gott festgehalten wird, und sei es im Ringen mit ihm. Wo Gott um jeden Preis (auch um den der Lüge) als Garant einer kosmischen Harmonie verteidigt wird, da bleibt der Mensch mit dem Leid allein. Wo Gott dagegen auch im Schmerz an- und eingeklagt wird, da kann gerade dort seine heilsame Gegenwart erfahren werden. Das bezeugen drei im Folgenden vorgestellte Gebete, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie vordergründig nicht erhört werden.

5. »Dennoch bleibe ich stets an dir.« Der sogenannte Theodizeepsalm (Ps 73) Das erste Gebet ist Psalm 73, der einen anderen klassischen Topos der Theodizee behandelt: das Glück der Gottlosen im Gegensatz zum Leiden des Gerechten. Dieser Anstoß – in den Versen 2–12 wortreich dargelegt – löst die Frage des Beters aus: »Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt und meine Hände in Unschuld wasche?« (V. 13) Eine Antwort darauf ist dem Angefochtenen nicht möglich, wie ausdrücklich festgehalten wird: »Und ich gedachte, dieses zu erkennen, Mühsal war es in meinen Augen« (V. 16). Damit könnte eigentlich die Angelegenheit erledigt sondern um eine neue Erfahrung mit Gott: die Erfahrung, daß er nicht über dem Leiden seiner Schöpfung, ihrer Ohnmacht und Schwachheit entzogen, sondern (auch) mitten in ihm zu finden ist, daß er sich sozusagen ›vor Ort‹, in der Situation des Geschöpfes, als Gott definiert«. 19 Vgl. EBACH, Streiten (Anm. 16), 167: »Die ›Formel‹ ›Gott gegen Gott‹ ist kaum eine befriedigende Lösung des ›Theodizeeproblems‹; sie ist aber die angemessenste Form, die Frage richtig zu stellen, und zwar als Frage an Gott, nicht als Aussage über Gott.«

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sein – aber sie ist es bezeichnenderweise nicht. Die Unfähigkeit des Menschen zum Begreifen löst nicht Resignation aus, sondern vielmehr sucht auch hier der Angefochtene den Kontakt mit Gott selbst: »Und ich gedachte, dieses zu erkennen, Mühsal war es in meinen Augen – bis ich zu den Heiligtümern Gottes kam, bis ich prüfend auf ihre [sc. der Gottlosen] Zukunft schaute« (V. 16f.). Die Antwort, die er sich selbst nicht zu geben vermag, erhält er am Heiligtum: Hier wird ihm deutlich, dass die gegenwärtige Wirklichkeit keineswegs die ganze Wahrheit ist und das scheinbare Wohlergehen der Bösen so flüchtig und unsicher ist wie ein Traum. Das klingt zunächst nach der typisch weisheitlichen Lösung, wie sie ähnlich auch Hiobs Freunde vertreten, dass das Böse am Ende bestraft wird. Entscheidender Unterschied ist, dass der Beter sich nicht selbst den Lauf der Welt erklärt, sondern ihm am Heiligtum eine neue, tiefere Sicht der Wirklichkeit eröffnet wird, die zunächst eine negative Pointe hat: Wer sich von Gott als Lebensquelle abgesondert hat, mit dem kann es nicht gut ausgehen. Kein Weisheitssatz wird hier formuliert, sondern das Widerfahrnis eines Perspektivwechsels, der die Wirklichkeitserfahrung neu qualifiziert. Dies ermöglicht dann auch die Spitzenaussagen des Psalms 73, die sich in den Versen 22–26 finden und in der Formulierung der Lutherübersetzung bekannt sind: »Dennoch bleibe ich stets bei dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand …« Ob dies schon ursprünglich Bestandteil des Psalms war oder ob hier spätere Beter ihre eigenen Erfahrungen noch ergänzt haben, ist zunächst unerheblich – in jedem Fall wird hiermit jener am Heiligtum eröffnete Perspektivwechsel noch einmal positiv vertieft, indem der Beter die Gottesgemeinschaft geradezu in Antithese zu allem preist, was sonst erfülltes Leben ausmacht: »Was ist mir im Himmel? Und bei dir frage ich nicht nach der Erde. Wenn mir Leib und Herz vergehen – Gott ist mein Teil auf ewig« (V. 25f.). Das zuvor als so problematisch empfundene eigene Leiden (V. 13) ist nun gegenüber dem Glück der Gottesgegenwart auf eine geradezu provokative Weise gleichgültig geworden! Dabei wird auch hier nicht erklärt. In Worten wie ›bleiben‹, ›gehalten sein‹, ›geführt werden‹, ›angenommen sein‹, ›Trost und Teil‹ etc. drückt sich aus, dass der Beter von Neuem der Nähe Gottes gewiss wurde und deshalb der Anstoß hinfällig geworden ist.20 Als Ergebnis im Blick auf den Umgang mit dem Leiden im Alten Testament kann festgehalten werden: 1. Im Unterschied zur Theodizee wird angesichts des Leidens nicht über Gott verhandelt, sondern mit ihm. 2. Gott wird nicht mit einer als heillos erlebten Wirklichkeit harmonisiert. Seine Souveränität wird anerkannt und dennoch seine geglaubte Güte 20 Darin liegt auch die besondere Bedeutung dieses Psalms in der Seelsorge an Schwerkranken und Sterbenden, wo nichts schlimmer ist, als auf die ›Warum-Frage‹ mit Erklärungen zu antworten.

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gegen die Erfahrung seiner Fremdheit eingeklagt. So wird die Spannung in Gott selbst hineinverlagert und zugleich ein (durchaus spannungsreicher) Bezug zwischen Gott und der eigenen Situation hergestellt. 3. Dabei kann sich ein grundlegender Perspektivwechsel ereignen. Im Ringen mit Gott kann die Ambivalenz der Gotteserfahrung überwunden und neue Gewissheit erlangt werden – sodass im Extremfall das eigene Leiden und selbst der Tod irrelevant werden können. 4. Der Normalfall bleiben allerdings der Wunsch und die Erwartung, dass die Übel beseitigt werden. Es geht in den Gebeten nicht um fromme Aussöhnung mit einem unabänderlichen Schicksal, sondern um Gottes Eingreifen.

6. »Aber nicht geschieht, was ich will.« Gethsemani, Golgatha und die Kreuzestheologie Das Gebet Jesu im Landgut Gethsemani ist die jähe Unterbrechung seines scheinbar so selbstverständlichen Weges ins Leiden. Als träfen sie ihn völlig unvorbereitet, überfallen den Gottessohn die Schatten des Todes und lösen Trauer und Schrecken aus. Das einzige Mal sucht er – freilich vergeblich – die Gemeinschaft seiner engsten Vertrauten. Wie immer es um den historischen Kern dieser Erzählung bestellt ist – schon ihre bewusste Stilisierung zur längsten Einzelerzählung der Passionsgeschichte verbietet es, hierin nur die anrührende Erinnerung an einen menschlichen Zug des Menschensohns zu sehen. Die aus den Endzeittexten bekannte ›Stunde‹ und der Kelch des Gotteszornes, um deren Vorübergehen Jesus betet, machen ebenso wie die zuletzt über sich selbst ausgesprochene Verwerfungsformel »preisgegeben wird der Menschensohn in die Hände der Sünder« deutlich, dass Gott den Triumph des Bösen zulässt und so ihm fremd geworden ist. Der am Beginn des Evangeliums geöffnete Himmel ist jetzt verschlossen. Diese theologische Anfechtung, die für den irdischen Jesus bis zuletzt bestehen bleibt, bis zum Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz, ist über alles psychische und physische Leiden hinaus der eigentliche Grund für das Entsetzen Jesu in Gethsemani.21 So viel zum Anlass der Bitte. Diese selbst wird doppelt wiedergegeben, zunächst erzählend in indirekter Rede, dann in direkter: »Und er ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde und betete, dass – wenn möglich – die Stunde an ihm vorbeiginge. Und er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir weg. Aber nicht geschieht, was ich will, sondern was du (willst)« (Mk 14,35f.). Den Auftakt des Gebetes bildet die 21 Zum Ganzen siehe R. FELDMEIER, Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemaneerzählung als Schlüssel der Markuspassion (WUNT II/21), Tübingen 1987.

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Anrede Gottes als Vater, intensiviert durch die Doppelung des aramäischen Wortes und seiner Übersetzung. Betont diese invocatio Gottes Güte, so die sich anschließende pars epica die göttliche Allmacht und damit Gottes Fähigkeit, eingreifen zu können. Dem folgt die eigentliche Bitte, gerahmt durch zwei Einschränkungen: »wenn es möglich ist« und »aber nicht geschieht, was ich will, sondern was du willst«. Zumeist wird Jesu Gebet von diesen Einschränkungen her interpretiert als Bereitschaft, sich Gottes Willen unterzuordnen.22 Eine solche Deutung unterschlägt das Gegeneinander von Jesu Wille und Gottes Wille. Gewiss erkennt der Gottessohn an, dass letztlich der Wille Gottes entscheidet – aber dies ist keineswegs die implizite Rücknahme der eigenen Bitte, die immerhin doppelt geäußert und in einem dreifachen Ringen mit dem Vater wiederholt wird. Dementsprechend darf auch das Ende der ganzen Szene nicht so verstanden werden, dass Jesus in angeblich frommer Demut auf Frage, Klage und Bitte verzichtet. Vielmehr hält er fest, dass der Vater sich gegen ihn gewandt hat. Er hält dies als Gottes Willen fest und unterwirft sich dem – aber so, dass in Aufnahme der alttestamentlichen Bannformel die Preisgabe des Menschensohnes durch Gott23 und damit dessen Ferne, ja Feindlichkeit unterstrichen wird! In gewisser Weise verschärft diese Erzählung die Gottesfrage noch. Der Gottessohn erkennt zwar Gottes Souveränität an und hält daran fest, dass auch in seiner Verwerfung der gute Wille des Vaters geschieht – aber er wird daran bis zuletzt leiden, bis zum anklagenden Schrei am Kreuz, der für den Sterbenden ohne Antwort bleibt. Eine Rechtfertigung erfährt jenes Vertrauen Jesu nicht mehr durch ein göttliches Eingreifen im Horizont seines irdischen Lebens,24 sondern erst dort, wo Gott in der Auferweckung des Gekreuzigten diese Passion als seinen Weg bestätigt. Diese eschatologische Neuqualifikation aber geschieht für uns ›auf Hoffnung hin‹; der Anbruch des kommenden Reiches ist, um es mit einer Formulierung der Reformatoren zu sagen, verborgen sub contrario. Wohl auch deshalb hat die christliche Gemeinde dieses scheinbar vergebliche Gebetsringen nicht unterschlagen oder wenigstens abgemildert (obgleich heidnische Kritiker es immer wieder als Widerlegung des An-

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Bereits das Matthäusevangelium gibt diese Interpretationsrichtung vor, wenn es Jesus beim zweiten Gebetsgang sagen lässt: »Mein Vater, wenn dieser [Kelch] nicht an mir vorübergehen kann, außer dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille« (Mt 26,42). 23 Mk 14,41 formuliert dieses Geschehen in der Form des passivum divinum, d. h., der Vater gibt den Sohn an das Böse preis! 24 Dies ist wohl die Pointe des sogenannten Eliamissverständnisses (Mk 15,35 f.): Auch die Verlängerung des Lebens durch ein Reizmittel nützt nichts, keine rettende Gestalt erscheint.

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spruches Jesu anführten25), sondern es in seiner ganzen Anstößigkeit als längste Einzelerzählung der Passion überliefert. Die Anfechtung des Gottessohnes war ihr wohl Zeugnis dafür, dass im Licht von Ostern selbst die äußerste Erfahrung von Gottesfinsternis doch zuletzt von Gottes Zuwendung umgriffen ist,26 sodass Gott nun nicht mehr im Tempel, sondern in dem so heillos Gestorbenen gegenwärtig ist.27 Die paulinische theologia crucis denkt dies noch weiter im Blick auf die soteriologischen Konsequenzen: In der Auferweckung des zum Fluch gewordenen (Gal 3,10) Gekreuzigten hat sich der Vater Jesu Christi als θεὸς ζῳοποιῶν geoffenbart, als der Schöpfer, der seine lebenschaffende Macht darin bestätigt, dass er sich auf den Tod einlässt und gerade so dem »Sog ins Nichts entgegentritt«28 und uns todverfallene Menschen an seiner unvergänglichen göttlichen Lebendigkeit teilhaben lässt (1. Kor 15,20–57).

7. »Meine Macht kommt in der Schwachheit zur Vollendung.« Das unerhörte Gebet des Paulus Die Passionsgeschichte ist Zusage der Gegenwart Gottes im Leiden. Solche Glaubensgewissheit muss sich immer wieder gegen die Schatten der Gottesferne, gegen die Erfahrung eines feindlich erscheinenden Gottes durchsetzen. Ein Beispiel für die existentielle Aneignung dieser in der Passion sich offenbarenden, Leid überwindenden göttlichen Macht gibt Paulus in 2. Kor 12,6–9, dem Schluss- und Höhepunkt der sogenannten ›Narrenrede‹.29 In provokativer Antithese zur Selbstempfehlung seiner

25 Vgl. schon den Mittelplatoniker Kelsos, der dieses Klagen in seinem Ἀληθὴς λόγος als Widerlegung von Jesu Göttlichkeit deutet, da es das Fehlen eines das Leiden überwindenden (Origenes, Cels. II,23 f.) oder es zumindest gelassen ertragenden (ebd., VII,63) göttlichen Geistes dokumentiere. 26 Das bestätigt im Übrigen auch die Wirkungsgeschichte jener Erzählung bis in die moderne Literatur hinein (Thomas Mann, Gottfried Benn, Hermann Hesse, Rainer Maria Rilke u. a.). Wie keine andere biblische Erzählung scheint diese Szene geeignet, sich in der Zerrissenheit des eigenen Lebens mit dem angefochtenen Beter zu identifizieren und dabei (in aller Gebrochenheit) auch wieder den Blick auf Gott zu richten. 27 Zu dieser Interpretation des Zusammenhangs von Mk 15,37–39 vgl. R. F ELDMEIER, Der Gekreuzigte im »Gnadenstuhl«. Exegetische Überlegungen zu Mk 15,37–39 und deren Bedeutung für die Vorstellung der göttlichen Gegenwart und Herrschaft, in: M. P HILO NENKO (Hg.), Le Trône de Dieu (WUNT 69), Tübingen 1993, 213–232 = oben S. 385– 400. 28 DIETRICH/LINK, Die dunklen Seiten Gottes (Anm. 18), 123. 29 Zur folgenden Darstellung der paulinischen Argumentation vgl. die vorzügliche Exegese dieser Rede von U. HECKEL, Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2 Kor 10–13 (WUNT II/56), Tübingen 1993.

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Gegner30 durch Wunder und Offenbarungen rühmt sich Paulus seiner Schwachheit, d. h., er macht einen Haupteinwand gegen seine apostolische Existenz zu ihrem Hauptwesenszug. Diese kühne Argumentation31 mündet in einer Art Antigeschichte von jenem »Pfahl im Fleisch«, offensichtlich einer chronischen Krankheit, die den Apostel plagt.32 Dreimal habe er – so Paulus – zum Herrn um Heilung von jener Krankheit gefleht, die er auf das letztlich von Gott veranlasste Wirken des ›Satansengels‹ zurückführt, worin er also Gott selbst als gegen sich handelnd erlebt. Doch der Bitte des Apostels wird nicht entsprochen. Stattdessen erhält er von Christus die Antwort: »Es genügt dir meine Gnade; denn meine Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung« (2. Kor 12,9). Statt der erbetenen Heilung widerfährt ihm eine Offenbarung, in der Christus selbst bestätigt, dass die Schwachheit des Apostels nicht Zeichen seines Getrenntseins von ihm ist, sondern er gerade in dieser Schwäche dem selbst ›in Schwachheit‹ gestorbenen Christus entspricht. So gibt er der diese Schwachheit überwindenden göttlichen Lebensmacht Raum zum Wirken, einer Macht, die eben nicht in der Selbstüberhebung, sondern im Nutzen für andere, in der οἰκοδοµή (2. Kor 10,8; 12,19; 13,10), ihre Pointe hat.33 Deswegen ist er dort, wo er schwach ist, mächtig (2. Kor 12,10). Im Kontext der Kreuzestheologie können so das Leiden und das unerfüllte Gebet zu dem Ort werden, wo Gottes heilvolle Gegenwart erfahren wird und seine Macht sich offenbart. Wie schon im Geschick Christi kommt diese heilsame Gottesnähe nicht 30 Dem Apostel war von anderen urchristlichen Verkündigern sein Apostolat bestritten worden, da sein schwaches Auftreten seine Christuszugehörigkeit infrage stelle (10,2), die, so setzen jene ›Überapostel‹ offenbar voraus, durch den Erweis besonderer Stärke bestätigt werde. 31 Die Leitfigur der paulinischen Argumentation ist dabei, dass er dort, wo er mit dem zurücktritt, was fasziniert und Eindruck macht, dem Wirken Gottes Raum gibt. Gerade so aber erweist er sich als Diener Christi, der nicht sich selbst darstellt, sondern auf seinen Herrn verweist und so etwas bewirkt. Dabei spielt er auch ironisch mit den Erwartungen seiner Ankläger: So erwähnt er Damaskus, aber während jeder den Verweis auf seine Christusvision erwartet, berichtet er von der Flucht vor dem König Aretas. Zu ihrem Höhepunkt kommt die Apologie im 12. Kapitel, wo Paulus dann doch noch auf die offenbar als Beweis des Geistes und der Kraft eingeforderten Visionen zu sprechen kommt. Dabei berichtet er zunächst über sich selbst distanziert in der dritten Person von einer Entrückung in das Paradies, bei der er unaussprechliche Worte hörte. Er macht also klar, dass er durchaus etwas anzubieten hätte, was ihm Anerkennung als Visionär verschaffen könnte. Doch ebendiese Anerkennung lehnt er ab, weil solches niemandem nützen würde. Lieber will er, wie er in 12,6 nochmals unterstreicht, sich seiner Schwachheit rühmen. 32 Vgl. U. HECKEL, Der Dorn im Fleisch, ZNW 84 (1993), 65–92. 33 Vgl. HECKEL, Kraft (Anm. 29), 316: »Das Leiden und Sterben wird nicht mehr wie in den alttestamentlichen Klagepsalmen als Gottverlassenheit erfahren, sondern auf dem christologischen Hintergrund gesehen (II Kor 4,9.10 f.), als Analogie zur Passion Jesu verstanden und als Schwach-Sein in ihm sowie als Leiden mit ihm und als Gemeinschaft seiner Leiden erkannt (II Kor 13,4; Röm 8,17; Phil 3,10 f.).«

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nur dem einzelnen Leidenden zugute, sondern wird zur Offenbarung auch für andere.34

8. Das »Stöhnen und Seufzen« der Schöpfung. Der bleibende Skandal des Leidens Kreuzestheologie bezeugt die Gegenwart der göttlichen Macht inmitten von Leiden und Tod. Das bedeutet keine Verharmlosung des Dunkels der Welt, im Gegenteil: Wenn Paulus in Röm 8,18 gegen »dieser Zeit Leiden« die durch Christi Lebenshingabe eröffnete Hoffnung auf die künftige Herrlichkeit anführt, dann schärft gerade diese Perspektive der Hoffnung seinen Blick für das Stöhnen und Seufzen der ganzen Schöpfung. Das »Stöhnen der Kreatur« wird von Paulus als Ausdruck eines allen Geschöpfen gemeinsamen »sehnsüchtigen Wartens« auf Erlösung verstanden, eines Wartens, an dem auch die Christen als »auf Hoffnung hin Gerettete« noch teilhaben, weshalb sie sich ebenfalls »in Geduld« nach der »Erlösung des Leibes« sehnen (Röm 8,19–25). So wichtig daher die Hoffnung auf künftige Herrlichkeit ist, welche die erfahrenen Leiden relativieren kann (Röm 8,18) – bis dahin, dass die zu Christus Gehörenden mitten im Leiden die göttliche Macht erfahren (2. Kor 12,10) und der göttlichen Gegenwart so gewiss werden, dass sie sich sogar im Leiden freuen können35 –, so würde man doch die neutestamentliche Heilsbotschaft entscheidend verkürzen, wenn man sie nur als Hilfe für eine individuelle Bewältigung des Leidens verstehen würde. Die gegenwärtige Heilserfahrung ist nur deshalb tröstlich, weil die in die Herzen gegebene »Anzahlung des Geistes« (2. Kor 1,22) den Blick auf Gottes vollständiges Heil eröffnet. So insistiert gerade das Skandalon des Kreuzes darauf, dass die Passionen dieser Welt nicht Gottes Willen entsprechen und noch der befreienden göttlichen Antwort harren. Der Inthronisation des Lammes, mit der im Himmel die ersehnte36 Lösung des siebenfach versiegelten Rätsels dieser Welt beginnt (Apk 5), korrespondiert auf Erden noch der Schrei der Opfer: »Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht?« (Apk 6,10). In summa: Als Offenbarung der den lebensfeindlichen Mächten widersprechenden Schöp34 In 2. Kor 13,4 bringt Paulus diesen Zusammenhang nochmals christologisch auf den Begriff: »Denn [Christus] wurde gekreuzigt aus Schwachheit, aber er lebt aus Gottes Kraft. Auch wir sind schwach in ihm, aber wir werden leben mit ihm aus Gottes Kraft – für euch!« 35 Vgl. Mt 5,11 f.; Apg 5,41; 1. Petr 1,6; 4,13 f. Zur gesamten Tradition vgl. H. M ILLAUER, Leiden als Gnade. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zur Leidenstheologie des ersten Petrusbriefes, Bern/Frankfurt a. M. 1976. 36 Vgl. das Weinen des Sehers in Apk 5,4, als zunächst niemand würdig ist, diese Siegel zu lösen.

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fermacht Gottes rechtfertigt das Kreuz nicht die Leidensgeschichte dieser Erde, sondern verweist auf die in Christus begonnene Vollendung und ist so auch Widerspruch gegen eine »von Gottes Leben entfremdete« Wirklichkeit (Eph 4,18). Deshalb bietet das Buch mit den sieben Siegeln auch nicht die Erklärung (und Rechtfertigung) der bestehenden Welt, sondern seine Öffnung setzt die Erneuerung der Welt in Gang.

9. »Und er wird abwischen alle Tränen.« Hoffnungsbilder Auch dort, wo sich der hoffnungsvolle Blick auf Gottes Zukunft richtet, wird also die notvolle Gegenwart nicht ausgeblendet. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Art und Weise, wie das Neue Testament vom zukünftigen Heil spricht. Die Ausmalung ist karg; ausführliche Schilderungen mit den Wonnen des Paradieses etwa sucht man vergebens. Vielmehr dominieren gewalttätige Bilder voller Spannung und Kampf. Die noch vom Tod und seinen Mächten unterjochte Welt wird in einem Feldzug von Christus wieder zurückerobert, die lebensfeindlichen Gewalten werden ausgemerzt (1. Kor 15,23–26). Die Endzeitreden der synoptischen Evangelien bezeugen ebenso wie die Johannesoffenbarung, dass der ›Geburt‹ der neuen Welt die endzeitlichen ›Wehen‹ vorangehen. Die Ordnung des alten Kosmos wird zerbrechen, und Christus wird Gericht halten. Mit diesen apokalyptischen Bildern unterstreicht das Neue Testament, dass diese Welt eben noch alles andere als heil ist und dass die erhoffte Erlösung kein glattes Hinübergleiten dieser bisweilen unerträglichen Welt in einen paradiesischen Zustand sein kann. Erlösung ist nur möglich als radikale Umgestaltung dieser oft so heillosen Welt. Die gestörte Schöpfung muss richtig gemacht, sie muss ›gerichtet‹ werden. Solches Richten aber – und das ist die Kehrseite – ist bei allem Schrecken doch letztlich »ein Akt der Gnade« (E. Jüngel), weil hier der erbarmende Gott seine verkehrte Welt (und unser verkehrtes Leben) wieder ›richtig‹ werden lässt. Deshalb treten zu diesen gewalttätigen Bildern dann auch die heiteren, die prächtigen, die zärtlichen, die (meist nur in wenigen, andeutenden Strichen) das Ergebnis dieses Ringens Gottes um seine Schöpfung skizzieren: Da wird von der Hochzeit gesprochen (Apk 19,7) und vom Festmahl (Mt 8,11 par.), von der geradezu surrealistischen Herrlichkeit der Gottesstadt mit Riesenperlen als Toren und durchsichtigem Gold als Boden (Apk 21,18ff.) und von dem Gott, der wie eine Mutter alle Tränen von den Augen seiner Geschöpfe abwischen wird (Apk 21,4). Ihren theologischen Grund haben solche Bilder in dem einen Bild des Gekreuzigten, in dem die christliche Verkündigung den Gott erkennt, der sich mitten in diesem Leiden und Sterben als die den Tod

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und seine Handlanger überwindende Liebe definiert hat. Deswegen ist auch nicht die himmlische Gottesstadt, sondern der Gekreuzigte zum zentralen Hoffnungssymbol des Christentums geworden. Vor allem die Kunst des Hoch- und Spätmittelalters hat immer wieder in ihren verschiedenen Kreuzesdarstellungen versucht, dieses Geschehen als Heilsgeschehen zu interpretieren. Das ist deshalb besonders bemerkenswert, weil gerade das Mittelalter inmitten von universalen Katastrophen wie der Pest nicht Gottes Existenz bestritt, sondern noch einmal ganz neu Gottes Gegenwart im leidenden Christus als Grund der Hoffnung bedachte.

Die Erfahrung der Gottesfinsternis und die Verortung des Schrecklichen in Christus1 1. Das Thema Das Thema dieser Tagung »Die Erfahrung der Unzuverlässigkeit Gottes und die Bergung des Schrecklichen in Christus«2 hat unter Ihnen einige Unruhe hervorgerufen. Wir Professoren hätten uns da ein Thema ausgesucht, mit dem Laien nicht viel anfangen könnten, so hieß es etwa in einer Rückmeldung. Dazu ist zunächst zu sagen, dass das Thema nicht von uns formuliert wurde, sondern uns von der Leitung Ihrer Tagung vorgegeben wurde. Und obgleich auch wir zunächst einmal geschluckt haben, als wir die Formulierung das erste Mal hörten, haben wir uns dann zum andern doch entschlossen, die Herausforderung anzunehmen, die in dieser Frage nach der Erfahrung der Unzuverlässigkeit Gottes steckt. Das Thema ist unseres Erachtens zwar etwas provokativ formuliert, entspringt aber gerade nicht müßiger theologischer Spekulation, sondern trifft ins Zentrum abgründiger Erfahrungen, die gläubige Menschen mit ihrem Gott machen können. Daher wollen wir uns diesem Thema stellen, indem wir zum einen sorgfältig auf das Zeugnis der biblischen Überlieferung hören, zum andern aber auch die vielfältigen Erfahrungen beachten, welche die Glaubenden gerade in Zeiten der persönlichen oder geschichtlichen Krisen mit diesem biblischen Zeugnis gemacht haben. Dass gerade Hermann Spieckermann und ich diese Frage vorgelegt bekommen, ist wohl kein Zufall. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir beide sieben Jahre lang ein Buch über das biblische Verständnis von Gott geschrieben. Wir haben uns dort auch den sperrigen Themen gestellt, die man heute eher übersieht oder marginalisiert, wie dem Zorn Gottes, dem Gericht Gottes und Gottes Verborgenheit samt den entsprechenden menschlichen Erfahrungen. Wir haben dabei zum einen gezeigt, dass (entgegen dem verbreiteten Klischee, dass Zorn und Liebe, Gericht und Barmherzigkeit jeweils 1

Bei diesem Beitrag handelt es sich um den neutestamentlichen Teil eines Doppelvortrags, den Hermann Spieckermann und ich bei der Tagung der Zisterziensererben am 15. 4. 2013 im Kloster Loccum gehalten haben. Der Vortragsstil wurde beibehalten. 2 So lautet der ursprüngliche Titel.

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auf die verschiedenen Testamente verteilt seien) diese Themen im Alten wie im Neuen Testament gleichermaßen zur Rede von Gott dazugehören. So ist das biblische Buch, das im Verhältnis zu seiner Länge am häufigsten und differenziertesten vom Zorn Gottes spricht, der Grundtext der reformatorischen Gnadenbotschaft, der Römerbrief. Wir haben aber zugleich deutlich gemacht, dass die Rede von Gottes Zorn, seinem Gericht und seiner Verborgenheit – und zwar wiederum in beiden Testamenten – von einer markanten Asymmetrie bestimmt ist: So können die biblischen Schriften zwar sowohl vom Zorn Gottes wie von seiner Liebe sprechen, aber nur im letzteren Fall kann das Syntagma der »Liebe Gottes« auch umgestellt und von dem »Gott der Liebe« gesprochen werden (2. Kor 13,11), ja, der 1. Johannesbrief kann sogar zweimal sagen: Gott ist Liebe (4,8.16). Von einem ›Gott des Zorns‹ ist dagegen in der Bibel nirgends die Rede, geschweige denn, dass dort gesagt werden könnte: ›Gott ist Zorn‹. Vielmehr ist es bereits im Alten Testament geradezu eine Art Gottesdefinition, dass der H ERR »barmherzig ist und langsam zum Zorn«. 3 An diesem Beispiel wird schon deutlich, dass Zorn und Liebe keineswegs in gleicher Weise Gottes Wesen zum Ausdruck bringen, sondern dass die biblische Rede von Gott immer von einem Übergewicht der Barmherzigkeit Gottes bestimmt ist, während Zorn und Gericht nur Ausdruck für die – freilich mitunter erschreckenden – Folgen seiner missachteten Liebe sind. Die Frage nach Gottes Zuverlässigkeit bzw. nach der Erfahrung seiner scheinbaren Unzuverlässigkeit verstehen wir daher so, dass wir noch einmal zu einer kritischen Überprüfung unserer Auslegungen herausgefordert werden, indem wir uns jetzt einmal dezidiert fragen, wie die Bibel mit den Erfahrungen umgeht, welche die Dominanz der Güte Gottes infrage zu stellen scheinen. Der Neutestamentler konzentriert sich dabei vor allem auf die Kreuzestheologie, zum einen, wie sie in der Schrift bezeugt, zum andern, wie sie in der christlichen Kunst in die jeweilige Lebenswirklichkeit übersetzt wird.

2. Der Anstoß des Kreuzes In der ca. 170 nach Christus verfassten ersten philosophischen Widerlegung des Christentums, dem »Wahren Vernunftwort« (Ἀληθὴς λόγος) des Mittelplatonikers Kelsos, spielt die Kritik an der Passionsgeschichte eine entscheidende Rolle. Geradezu fassungslos geht der Philosoph die Passionserzählungen der Evangelien durch und fragt, wie man darin etwas Göttliches finden könne (Cels. II,35). In dieser Weise die Schwäche und das Leiden 3 Die Gnadenformel ist an folgenden Stellen belegt: Joel 2,13; Jon 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Neh 9,17; die veränderte Fassung liegt in unterschiedlicher Form vor in Ex 34,6 f.; 20,5 f. = Dtn 5,9 f.; 7,9 f.

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mit Gott zu verbinden, sei nicht nur töricht, sondern geradezu »böse und unheilig« (Cels. VII,14). So kommt Kelsos zu dem Schluss: »Sie [sc. die Christen] werden nun eindeutig widerlegt, weil sie nicht Gott, nicht einmal ein göttliches Wesen (Daimon), sondern einen Toten verehren« (VII,68). Was der Philosoph mit Argumenten macht, das tun wenige Jahrzehnte später kaiserliche Pagen auf dem Palatin in Form des Spottes. Eine Ritzung in die Wand zeigt einen Alexamenos, vermutlich einen christlichen Kollegen, bei der Anbetung eines gekreuzigten Esels 4 – Unterschrift: »Alexamenos verehrt (seinen) Gott«. Diese Karikatur ist im Übrigen die älteste Darstellung des gekreuzigten Christus. Diese frühen Reaktionen von Nichtchristen auf das Kreuz machen uns in aller Schärfe auf etwas aufmerksam, an das wir uns vielleicht schon zu sehr gewöhnt haben: dass der Gekreuzigte ein ›Skandalon‹ ist, wie Paulus sagt (»Ärgernis und Anstoß«, 1. Kor 1,23). Doch genau diesen Anstoß stellt Paulus ins Zentrum seiner Botschaft. In provokativer Abgrenzung von der offensichtlichen Begeisterung der Korinther für die Möglichkeiten religiöser Daseinssteigerung, für himmlische Weisheit und außerordentliche Geistesgaben betont der Apostel: »Ich kam zu der Überzeugung, dass ich bei euch nichts kenne als Jesus Christus, und diesen als den Gekreuzigten« (1. Kor 2,2). Dementsprechend lassen auch die von Jesus berichtenden Evangelien sein Leben auf die Passion zulaufen, obgleich diese Darstellung, die Jesu Auftreten trotz anfänglicher Erfolge in dieser Weise enden lässt, von vielen als Widerlegung der ganzen christlichen Verkündigung verstanden wurde und wird – nicht nur damals. Die zunehmende Präsenz von lieblichen Engeln oder lächelnden Buddhas in deutschen Wohnzimmern und Gärten zeigt, dass die Darstellung eines Gehenkten als religiöses Symbol den religiösen Bedürfnissen auch unserer Zeitgenossen nicht eben entgegenkommt. Dabei hätte man das Ganze durchaus auch anders darstellen können. Gewiss, Jesus von Nazareth ist am Kreuz gestorben, daran war nicht zu rütteln, und das war nun einmal kein sehr ruhmvolles Ende – aber unüberwindlich wäre diese Schwierigkeit wohl nicht gewesen, um dennoch ein Heldenepos daraus zu machen. Die Antike kannte durchaus den edlen Tod in verschiedenen Formen, sie wusste darum, dass man durch Leiden und Sterben zur Herrlichkeit eingehen konnte. Der Tod des Herakles, der sich nach seiner Entscheidung für den schweren Weg der Tugend und einem Leben voller Kämpfe, Mühen und Leiden, durch die er nach Ovid zum vindex terrae (»Befreier der Erde«, Met. IX,241) wurde, zuletzt aufgrund unerträglicher Schmerzen selbst verbrennt, ist ein schönes Beispiel für das, was man in einem lateinischen Wortspiel per aspera ad astra nennt (»durch Widrigkeiten zu den Sternen«). Der römische Dichter Ovid besingt in 4 Dargestellt findet sich dieses Spottkruzifix in dem ebenfalls in diesem Band abgedruckten Beitrag »Gottes Torheit?«, siehe S. 357.

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seinen Metamorphosen, wie der »allmächtige Vater« (gemeint ist Zeus) den göttlichen Teil seines Sohnes bei dessen Selbstverbrennung in den Himmel erhöht: Und der allmächtige Vater entrafft ihn durch hohles Gewölke, im Vierrossegespann, zu den strahlenden Sternen ihn führend. (Met. IX,271 f.)

So hätte man ja auch bei der Darstellung des Gottessohnes erwarten können, dass er in seiner Passion triumphiert, »spottend und lachend des Verhängnisses« (Cels. II,33), um noch einmal Kelsos zu zitieren. Und wenn einem die mythische Überlieferung zu dick aufgetragen erschien, so hätte man doch die innere Überlegenheit betonen können, indem man den Tod Jesu so geschildert hätte, wie das Sterben des Sokrates von seinen Schülern berichtet wird: als souveräner Abschied des von einer göttlichen Macht erfüllten Gerechten, der gewiss ist, dass nicht die Verblendung und Bösartigkeit der Menschen das letzte Wort behalten werden, sondern Wahrheit und Gerechtigkeit, und der deshalb befiehlt, dem Heilgott Asklepios einen Hahn zu opfern, weil seine unsterbliche Seele nun zu ihrer wahren Heimat eingeht (Platon, Phaidon 118a). Doch wie viel anders erzählt gerade das älteste Evangelium vom Tod des Gottessohnes! Schon die äußeren Umstände von der entehrenden Behandlung durch die Soldaten bis zum Spott der Vorübergehenden haben ja nur ein Ziel: die Erniedrigung des Verurteilten ungeschminkt vor Augen zu stellen. Und Jesus selbst bleibt von diesem Geschehen keineswegs unberührt. Kein seiner Sache unerschütterlich gewisser Übermensch wird hier dargestellt, selbst die ihn auszeichnende »stetige Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins«5 scheint dem Gottessohn abhanden gekommen zu sein. In der längsten Erzählung der Passionsgeschichte wird stattdessen minutiös geschildert, wie Jesus im Garten Gethsemani Zittern und Entsetzen überfällt. »Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Bleibt hier und wacht!« – mit diesen Worten bittet er sogar (das einzige Mal im Evangelium) seine engsten Vertrauten um Beistand, freilich vergeblich. Vergeblich auch fleht er zu seinem himmlischen Vater, den Kelch an ihm vorübergehen zu lassen. Der am Anfang seines Weges geöffnete Himmel scheint wieder verschlossen, statt einer göttlichen Antwort findet er dreimal die schlafenden Gefährten, und als am Ende die Häscher kommen, angeführt ausgerechnet von einem seiner eigenen Anhänger, da weiß er, dass er nun von Gott preis5

F. D. E. SCHLEIERMACHER, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31), hg. v. R. SCHÄFER, Teilband 2 (KGA I/13,2), Berlin/New York 2003, 52, § 94: »Der Erlöser ist sonach allen Menschen gleich vermöge der Selbigkeit der menschlichen Natur, von Allen aber unterschieden durch die stetige Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins, welche ein eigentliches Sein Gottes in ihm war.«

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gegeben ist (Mk 14,41). Diese göttliche Preisgabe findet dann vielfachen Widerhall bei den Menschen, bis hinein in den engsten Jüngerkreis: So wie schon Petrus, Jakobus und Johannes im Ölbaumgarten nicht mit ihm beten und wachen, sondern schlafen, so wie schon Judas als einer der Zwölf die Häscher anführt, so verlassen dann auch alle anderen ihren Meister und fliehen über alle Berge. Das Versagen der Jünger verdichtet sich zuletzt noch einmal bei Petrus, dem markantesten Gegenüber Jesu im Evangelium, der mit seiner Verleugnung noch eine besonders jämmerliche Rolle spielt (Mk 14,66–72). Und so hält nichts mehr das Unheil auf – die religiösen Autoritäten wollen seinen Tod, die Menge, die Jesus bei seinem Einzug noch mit Hosianna begrüßte, verlangt jetzt seine Kreuzigung, der Statthalter lässt sich zu einem Justizmord drängen, und die Soldaten treiben ihren brutalen Mutwillen mit dem Verurteilten. Aufgehängt zwischen Verbrechern, stirbt er zuletzt den nicht nur entehrenden und unendlich qualvollen, sondern den auch von der Schrift verfluchten Tod am Kreuz (Gal 3,13; vgl. Dtn 21,23). Er stirbt mit dem Wort verzweifelter Klage, ja Anklage: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen« (Mk 15,34 = Ps 22,2). Gewiss, Jesu letztes Wort ist kein Fluch, sondern – formuliert mit den Worten des 22. Psalms – noch immer ein Gebet, das zeigt, dass er selbst in der tiefsten seiner Anfechtungen noch zu Gott spricht und so an ihm festhält. Und es ist sicher auch nicht unwichtig, dass dieser Psalm mit dem Preis der Rettung endet. Aber es ist doch eine problematische Verharmlosung der von Jesus erfahrenen Gottesfinsternis, wenn man vom Ende des Psalms her den anklagenden Schrei in ein Gebet getroster Ergebenheit umdeutet. Wenn der Evangelist das gewollt hätte, so hätte er jederzeit andere Worte wählen können, wie das Lukas und Johannes dann auch getan haben. Markus aber hat diese Worte überliefert, und es ist wohl kein Zufall, dass dieses Gebet das einzige Gebet Jesu in den Evangelien ist, in dem dieser seinen Gott nicht als Vater anruft.6 Das alles zeigt, dass das, was Jesus in Wort und Tat verkündigt hat, die frohe Botschaft, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist, durch die Passion definitiv widerlegt zu sein scheint. Verleumdung und Verrat durch die engsten Vertrauten, Verurteilung und Verwerfung durch die Menschen, denen er Gott nahebringen wollte, Verlassenheit und Verzweiflung nicht zuletzt über Gott selbst, dessen einst über ihm geöffneter Himmel nun verschlossen scheint – all das Schreckliche, was ein Mensch an abgrundtiefer Verlorenheit erfahren kann, ist in diese in knapp zweieinhalb Kapiteln erzählte Geschichte hineingepackt und verdichtet sich in diesem letzten Schrei: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« 6 Wie sehr die Vateranrede dazugehört, zeigt Lukas, der in Lk 23,46 Jesus als letztes Wort am Kreuz Ps 31,6 zitieren lässt, aber gegen den alttestamentlichen Prätext als Anrede den Vokativ πάτερ hinzufügt.

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Nun denken Sie wahrscheinlich alle: Aber das war doch nicht das Ende. Die Geschichte Jesu geht doch noch weiter, da kommt doch noch die Auferstehung. Das ist gewisslich wahr. Aber die Auferstehung wäre doch gründlich missverstanden, wenn man in ihr nur ein Happy End sähe, das zeigen soll, dass am Ende alles halb so schlimm war. Das würde ja die Absurdität des vorher Geschehenen nur noch steigern: Warum war ein so schreckliches Leiden überhaupt nötig? Warum hat Gott nicht vorher eingegriffen? Was ist das für ein Gott, der solches geschehen lässt? Zudem zeigt auch die Art und Weise, wie das älteste Evangelium die Auferstehung erzählt, dass diese nicht einfach im Sinne eines »Ende gut, alles gut« zu verstehen ist. Denn als die Frauen, die als Letzte Jesus treu geblieben sind, am Ostermorgen zum Grab kommen und vom Engel die Botschaft von der Auferstehung vernehmen, da reagieren sie keineswegs erfreut und gehorchen der Weisung des Engels, diese Botschaft weiterzusagen. Vielmehr werden sie von Entsetzen ergriffen und laufen davon, »denn sie fürchteten sich« – so lautet der ursprüngliche Schluss des Evangeliums. Dieses Entsetzen unterstreicht noch einmal: Mit der Auferstehung hat Gott nicht wie in einem Computerspiel auf den Reset-Knopf gedrückt, um eine verkorkste Runde noch einmal von Neuem zu spielen. Vielmehr macht Gott durch die Auferweckung des Gekreuzigten deutlich, dass dieser getötete Mensch zu ihm gehört – und zwar gerade als der Gekreuzigte! Wenn Lukas und Johannes berichten, dass der Auferstandene an seinen Wunden erkannt wird (Joh 20,20.24–27; Lk 24,40), dann machen sie auf ihre Weise klar, dass der Schrecken des Kreuzes nicht einfach vorbei ist, sondern dass das Kreuz und die Wunden, die es geschlagen hat, forthin von dem zur Rechten Gottes Erhöhten nicht mehr zu trennen sind! Deshalb betont der Apostel in dem schon zitierten Wort: »Ich kam zu der Überzeugung, dass ich bei euch nichts kenne als Jesus Christus, und diesen als den Gekreuzigten« (1. Kor 2,2). Noch im letzten Buch der Bibel ist es dann unter allen Wesen im Himmel allein das geschlachtete Lamm, das die Rolle mit den sieben Siegeln öffnen und so zum Throngenossen Gottes und damit zum Erlöser der Welt werden kann (Apk 5). Deswegen ist nicht das Osterlicht, sondern das Kreuz zum zentralen Symbol des Christentums geworden! Die spannende Frage ist nun: Warum hat ein Paulus, dem das Popularitätsproblem eines gekreuzigten Gottessohnes nur zu bewusst war (vgl. 1. Kor 1,18), dennoch so entschieden das Kreuz ins Zentrum seiner Theologie gestellt? Warum war den Evangelien, allen voran dem ältesten, dem des Markus, die Ausrichtung des Lebens Jesu auf die Passion so wichtig, dass man sie geradezu als Passionsgeschichte mit verlängerter Einleitung bezeichnen konnte7 und sie dafür riskiert haben, dass der ›göttliche‹ Eindruck, 7 M. KÄHLER, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus (TB 2), München 31961, 60.

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den Jesus als Lehrer, Heiler und Exorzist gemacht hat, wieder zunichte wurde? Warum war ihnen diese Einbindung des Schrecklichen in ihrer Verkündigung des Heils so wichtig, dass es ohne sie kein Evangelium gab?

3. Die Leidensgeschichte als Evangelium Hermann Spieckermann und ich waren im letzten Monat in Texas zu Vorträgen eingeladen. Im Hotel habe ich mir eines Morgens, als mich der Jetlag nicht schlafen ließ, einen evangelikalen Sender im Fernsehen angeschaut. Die Sendung hieß Believer’s voice of victory. Da saß ein sympathischer junger Mann in einer Wohnküche mit nichts als der Bibel in der Hand und redete anscheinend frisch von der Leber weg über das Leben. Ich war zunächst fasziniert, wie locker und unverkrampft er das biblische Zeugnis zur Sprache brachte, ohne alle komplizierten Fremdwörter und theologischen Purzelbäume, einfach ganz nah an den Problemen unseres Alltags dran. Da können wir mit unserer oft verquasten Sprache schon noch etwas lernen. Aber je länger ich zuhörte, desto unbehaglicher wurde mir zumute. Denn die in immer neuen Varianten wiederholte Botschaft lautete: Wer Jesus hat und immer mehr wird wie Jesus, der wird dadurch instand gesetzt, seine Probleme zu lösen: die psychischen sowieso, denn die hat ja nur der, bei dem etwas mit Gott nicht in Ordnung ist, aber auch die körperlichen, die oft genug von einer gestörten Psyche kommen, und die familiären, ja sogar die ökonomischen, die von falschen Begierden kommen. Believer’s voice of victory – eine solche Siegesbotschaft klingt zunächst ansprechend, aber je länger ich zugehört habe, desto mehr kam mir diese Reduktion des Evangeliums auf eine success story unbarmherzig vor. Denn was ist mit denen, die nicht eine solche Erfolgsgeschichte vorweisen können? Menschen wie du und ich, die bei aller Ernsthaftigkeit der Nachfolge an ihren Anfragen und Anfechtungen, ihren Brüchen und Blessuren leiden, weil diese nicht so einfach zu beseitigen sind? Menschen wie du und ich, die auch mit dem Versuch, ein anderer Mensch zu werden, nur mit dem Apostel sagen können: »Nicht dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich’s wohl ergreifen möchte, nachdem ich von Christus Jesus ergriffen bin« (Phil 3,12)? Menschen wie du und ich, die nur mit Bonhoeffer bekennen können: »In mir ist es finster, aber bei dir ist das Licht«8 und die bei allem Gottvertrauen doch auch immer wieder mit dem Vater des fallsüchtigen Knaben rufen: »Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben« (Mk 9,24)?

8 D. BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft (DBW 8), Gütersloh 1998, 204.

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Da finde ich es sehr tröstlich, dass der Jesus, der im Evangelium vor Augen gestellt wird, nicht als einer porträtiert wird, dessen Leben eine alle Schwierigkeiten überwindende Erfolgsgeschichte ist. In den Evangelien werden vielmehr mit geradezu schmerzhafter Genauigkeit alle die Schrecken ausgemalt, die Jesus erlitten hat, werden alles Leid und alle Trauer und auch alle Anfechtung geschildert, denen der Gottessohn ausgeliefert war. Wenn dann genau dies als die »Frohbotschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes«, überschrieben wird (Mk 1,1), dann kann man das wohl nur so verstehen, dass das im Evangelium und als Evangelium verkündigte Heil wesentlich damit zu tun hat, dass der Gottessohn nicht ein von all dem Schrecklichen und all dem Elend unserer conditio humana unberührbarer Übermensch ist. Der Hebräerbrief hat das in das schöne Wort gefasst, dass Christus mit unserer Schwachheit mitleiden kann, weil er in allem versucht worden ist wie wir (Hebr 4,15), und dass deshalb der Sinn seines Leidens auch darin bestand, das Mitleiden zu lernen: »Daher musste er in allem seinen Geschwistern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hohepriester vor Gott, um die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn worin er selbst als Versuchter gelitten hat, vermag er den Versuchten zu helfen« (Hebr 2,17f.).9 Die Jünger, die bei der Passion so schlimm versagt haben, verdankten diesem Mitleiden und Mitleid ihres Meisters die Chance zum Neuanfang, und für Paulus zeigt sich im Tod Jesu die göttliche Feindesliebe, welche die Sünde überwunden und neue Gemeinschaft mit Gott ermöglicht hat (vgl. Röm 5,1–11). Was ich bisher vorgetragen habe, entspricht – wenn auch mit einer etwas anderen Akzentsetzung – in etwa dem, was man gemeinhin die durch Christi Leiden ermöglichte Überwindung von Schuld und Versöhnung mit Gott nennt. Doch ich möchte bei der Auslegung der Passion im Blick auf unsere Fragestellung noch weiter gehen. Denn wenn das stellvertretende Leiden des Gottessohnes als Mitleiden verstanden wird, dann hat das auch Konsequenzen für die abgründigen Erfahrungen der Anfechtung und der Verzweiflung, zu denen der als Vater angerufene Gott zu schweigen scheint. Die folgenden beiden Abschnitte versuchen in diesem Sinne nachzuzeichnen, wie Menschen dort, wo sie im »Land und Schatten des Todes« saßen, ausgerechnet vom Bild des Gekreuzigten her »ein Licht aufgegangen ist« (Mt 4,16), weil sie in der Verletzlichkeit der göttlichen Liebe einen Ort gefunden haben, an dem sie das ihnen widerfahrene Schreckliche zur Spra9

Man fühlt sich hier unwillkürlich an das wunderbare Wort der karthagischen Königin Dido erinnert, die – als die zerzauste Schar der Trojaner an ihrer Küste angespült wurde – zu Äneas sagt: »non ignara mali miseris succurrere disco« (»Wohl mit Leiden vertraut, lern ich, zu helfen den Armen«; Vergil, Aen. I,630); Vergil, Aeneis. Lateinisch-deutsch. In Zusammenarbeit mit M. GÖTTE herausgegeben und übersetzt von J. GÖTTE (TusculumBücherei), München 61983.

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che bringen konnten. Damit war das Leiden nicht einfach verschwunden. Aber die Passionsgeschichte und ihre Auslegung geben doch ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Menschen, die sich in dieser Geschichte Christi geborgen haben, wieder zu Gott und sich selbst finden konnten.

4. Das Trostbild des Gekreuzigten Das soll im Folgenden vor allem am Beispiel der christlichen Ikonographie konkretisiert werden, und zwar zunächst an den Wandlungen der Kreuzesdarstellung. Wie schon gesagt: Die älteste Kreuzesdarstellung stammt aus der Pagerie des Palatin, etwa aus dem Jahr 200, und ist bezeichnenderweise ein Spottkreuz. Wenn das Kreuz in folgenden Jahrhunderten von Christen dargestellt wird, dann erscheint es zunächst nur als Kreuzessymbol, als Siegeszeichen mit Monogramm und Lorbeerkranz, als die sogenannte crux invicta. Dagegen wird der Crucifixus, der am Kreuz hängende Christus, noch lange Zeit nicht dargestellt. Selbst in spätantiken Passionszyklen fehlt er noch10 – vermutlich wegen der Schrecklichkeit des Geschehens, das die Menschen damals noch aus eigener Anschauung kannten. Erst gegen Ende der Spätantike gibt es dann erste Darstellungen des Gekreuzigten. Zu einem zentralen Motiv der christlichen Ikonographie wird der Gekreuzigte dann aber zum ersten Mal in der Romanik. Dort zeigen die Darstellungen den vom Tod unbesiegten, am Kreuz geradezu thronenden Christus. Diese Majestas Domini, die »Majestät des Herrn«, spiegelt sich besonders in spanischen Darstellungen, die dort als »El Crucifijo en Majestad« bezeichnet werden. Dabei wird nicht selten die Souveränität des am Kreuz thronenden Christus noch dadurch unterstrichen, dass er eine Königskrone trägt. Solche Kruzifixe stellen »den Gekreuzigten vor die Gemeinde als den am Kreuz Lebenden, den Überwinder, den Sieger über die finstersten Mächte der Erde«. 11 Auch das ist ein Bild des Zuspruches und des Trostes in der Angst und im Leiden. Aber das Triumphkruzifix hat irgendwann nicht mehr genügt. Das Hochmittelalter war eine Zeit der Katastrophen: Kriegswirren, Naturkatastrophen, Hungersnöte und über allem der Schrecken des »schwarzen Todes«, der in immer wieder ausbrechenden Epidemien ganze Landstriche entvölkerte, überzogen das Leben periodisch mit ihrem Grauen. Das spiegelte sich dann auch im Christusbild. Nicht mehr die Hoheit des allmächtigen Gottessohnes wird nun ins Zentrum gerückt, sondern die Niedrigkeit des 10

Vgl. P. HINZ, Deus Homo. Das Christusbild von seinen Ursprüngen bis zur Gegenwart, Band I: Das erste Jahrtausend, Berlin 1973, 85.87. 11 P. HINZ, Deus Homo. Das Christusbild von seinen Ursprüngen bis zur Gegenwart, Band II: Von der Romanik bis zum Ausgang der Renaissance, Berlin 1981, 21.

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leidenden und sterbenden Menschensohns: »Nicht mehr der am Kreuz Lebende und Siegende und vom Kreuz königlich Herrschende, nicht mehr der Triumphchristus, sondern der Leidende, Sterbende und Gestorbene, der Passionschristus entspricht dem gotischen Verständnis des Wortes vom

Abb. 1: Romanischer Crucifixus, Braunschweiger Dom

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Kreuz«. 12 Das geht so weit, dass man dem am Kreuz Hängenden die tödlichen Beulen der Pest auf den Leib geschnitzt hat.

Abb. 2: Pestkruzifix, St. Georg, Köln 12 Ebd., 68. Das Folgende lehnt sich an die äußerst erhellenden Ausführungen von Paulus Hinz an.

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Die Schrecken des »Schwarzen Todes«, die alles zerstören, aller Jammer und alle Not erhalten so am Leib des Gekreuzigten gleichsam einen Ort. Indem der Gottessohn als der Gekreuzigte an den unsäglichen Leiden der Pestkranken teilhat, werden diese, wenn sie sich in die qualvolle Agonie Christi versenken, dessen inne, dass sie in ihrem eigenen Schmerz nicht verlassen sind, sondern als Leidende zu dem gehören und mit dem verbunden bleiben, der all ihre Not und Verzweiflung selbst am Kreuz erlitten und in dem Gott so Leiden und Tod überwunden hat. Sie, die aufgrund ihrer Krankheit oft auch noch aus der Gesellschaft der Menschen ausgeschlossen

Abb. 3: Schmerzensmann, Münster Heilsbronn

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werden, haben nun den Gottessohn in ihrer Mitte. In diesem Sinn lässt C. F. Meyer in seiner Dichtung Huttens letzte Tage den an einer ekligen Krankheit dahinsiechenden Humanisten bei der Betrachtung des leidenden und sterbenden Christus sagen: Je länger ich’s betrachte, wird die Last mir abgenommen um die Hälfte fast, denn statt des einen leiden unser zwei: mein dorngekrönter Bruder steht mir bei.13

Diese Verortung des Schrecklichen in Christus kann auch noch einmal sehr deutlich an der vielleicht bekanntesten Kreuzigungsdarstellung überhaupt gesehen werden, am zentralen Bild des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald, der für das Seuchenhaus der Antoniter gemacht ist. Auch hier hat der grotesk überdimensionierte Leib des Gekreuzigten die Gestalt einer Pestleiche, aufgebläht, zerfetzt, von Geschwüren bedeckt. In diesem Zusammenhang wird dann auch der »Schmerzensmann« als der Bruder aller Leidenden zu einem bestimmenden Andachtsbild der gotischen Altäre. Ist es beim Pestkruzifix die furchtbare Krankheit, die ihren Ort in Christus erhält, so sind es beim Schmerzensmann die Schrecken der Gewalt, die Menschen einander antun. Doch ob Krankheit oder Unrecht – mitten in der Dunkelheit des Leidens und der diese oft begleitenden Erfahrungen von Gottesfinsternis soll die Meditation des Gekreuzigten einen neuen Zugang zu Gott eröffnen und so Trost spenden.

5. Der pater dolorosus und die Ermächtigung der Leidenden Es bleibt noch ein letztes Problem und damit auch eine letzte Vertiefung. Die Passion Jesu stellt, das hat bereits der Kritiker Kelsos sehr scharf gesehen, auch die Frage nach dem Verständnis des Göttlichen. Das mittelalterliche Motiv des Gnadenstuhls hat die Darreichung des Gekreuzigten durch den mit ihm verbundenen Gottvater als die Pointe der Trinität zur Darstellung gebracht. Damit aber wird das Göttliche selbst vom Leiden ›kontaminiert‹, und das ist, wie Kelsos betont, in jeder Hinsicht unangemessen, ja gottlos; denn für ihn und die hinter ihm stehende metaphysische Tradition ist es geradezu ein Axiom, dass das Göttliche »jenseits allen Leidens« ist.14 Eben in

13 C. F. MEYER, Huttens letzte Tage. Eine Dichtung = DERS., Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, besorgt von H. ZELLER/A. ZÄCH, Band 8, Bern 1970, LXVI: Das Kreuz, 134. 14 Cels. VI,65: »Denn er leidet nichts, was mit einem Namen begreifbar; er ist außerhalb jeden Leidens.«

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Abb. 4: Gnadenstuhl, St. Jakob, Rothenburg o. d. Tauber

dieser Apathie besteht ja die göttliche Überlegenheit, sie ist Bedingung einer Seligkeit, wie sie Hölderlin in ›Hyperions Schicksalslied‹ besingt: Ihr wandelt droben im Licht Auf weichem Boden, selige Genien! Glänzende Götterlüfte

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Rühren euch leicht, Wie die Finger der Künstlerin Heilige Saiten. Schicksallos, wie der schlafende Säugling, atmen die Himmlischen.

Der zweite Teil des Liedes macht allerdings sofort deutlich, woher dem Dichter solches Wissen zukam: Der Wandel der seligen Genien droben im Licht ist nichts anderes als das Kontrastbild zum unaufhaltsamen Niedergang unseres Daseins: Doch uns ist gegeben, Auf keiner Stätte zu ruhn, Es schwinden, es fallen, Die leidenden Menschen Blindlings von einer Stunde zur andern, Wie Wasser von Klippe Zu Klippe geworfen, Jahr lang ins Ungewisse hinab.15

In der Entgegensetzung zwischen dem ›weichen Wandel‹ der seligen Genien und dem ständigen Absturz der leidenden Menschen klingt die Trauer über die Ausweglosigkeit der conditio humana an, eine Trauer, die sich bei Rilke in einem seiner letzten Gedichte zu einer resignierenden Klage über die unendliche Gleichgültigkeit des Göttlichen verdichtet: Schön wie ein Schwan auf seiner Ewigkeit grundlosen Fläche: so zieht der Gott und taucht und schont sein Weiß.16

Das ist so ziemlich das exakte Gegenbild des Gottes, der in der Auferweckung seine unlösbare Verbundenheit mit Jesus als dem Gekreuzigtem erwiesen hat. Indem der Sohn mit Haut und Haaren am Elend der Menschen teilhat, treffen die Schrecken dieser Welt auch den Vater, der »in Christus war, als er die Welt mit sich versöhnte« (2. Kor 5,19).17 Und so finden mit dieser »Verortung des Schrecklichen in Christus« die Erfahrungen, die uns an der Güte Gottes zweifeln und manchmal auch verzweifeln 15 F. HÖLDERLIN, Gedichte. Herausgegeben und mit Erläuterungen versehen von J. SCHMIDT, Frankfurt a. M. 1984, 44 f. 16 R. M. RILKE, So angestrengt wider die starke Nacht, in: DERS., Sämtliche Werke, Zweiter Band: Gedichte, Zweiter Teil, Frankfurt a. M. 1956, 53. 17 Zu diesem Verständnis der paulinischen Konstruktion in 2. Kor 5,19 vgl. O. H OFIUS, »Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung« (2Kor 5,19), ZNW 71 (1980), 3–20, hier 7. Entscheidendes Argument ist neben der Wortstellung die Tatsache, dass die Kopula im Imperfekt steht, was im Zusammenhang mit einer conjugatio periphrastica kaum einen Sinn machte; vgl. auch die Übersetzung der Vulgata: »deus erat in Christo mundum reconcilians sibi«.

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lassen, letztlich ihren Ort in Gott selbst. Tilmann Riemenschneider hat dieses Geheimnis des göttlichen Mitleidens darzustellen gewagt, indem er in mehreren seiner Skulpturen das Motiv des Gnadenstuhls mit dem der Pietà gleichsam zu einem pater dolorosus verschmolzen hat:

Abb. 5: T. Riemenschneider: Gnadenstuhl, Bode-Museum, Berlin

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Gott trägt die Krone, er ist der Beherrscher der Welt. Aber er herrscht nicht als ein allem Leid enthobener Monarch, sondern als Vater, der den getöteten Sohn auf seinem Schoß hat und so an dem festhält, der an der Verblendung und Verstocktheit der Menschen zerbrochen ist. So richtet er seine Herrschaft auf, die der Sohn in Wort und Tat verkündet hat, nicht als ein Herrscher, der von Anderen Opfer fordert, sondern als einer, der sein Liebstes hingibt um der Anderen, der Rettung seiner verlorenen Schöpfung willen (Joh 3,16; Röm 8,31f.). Das Schreckliche erhält hier in der Verletzlichkeit des göttlichen Mitleidens seinen Ort. Weil der Herr der Welt sich in Christus als mitleidender Vater erweist, deshalb darf auch in der erlittenen Gottesfinsternis und durch alle Anfechtung hindurch auf sein Reich gehofft werden als die endgültige Durchsetzung der Macht der Liebe . Um nicht missverstanden zu werden: Das sind keine Antworten, die das Theodizeeproblem ›lösen‹. Solange wir jenseits von Eden leben, gehören auch Erfahrungen sinnlos erscheinenden Leides und die Anfechtung über die Verborgenheit Gottes zu unserem Leben. Der Versuch, solche Gottesfinsternis wegzurationalisieren, ist unerträglich, ganz besonders im religiösen Gewand. Der biblische Psalter enthält nicht von ungefähr nicht nur Dank- und Vertrauensgebete, sondern auch erstaunlich viele an Gott gerichtete Klagen, im Extremfall auch Anklagen. Und noch im letzten Buch der Bibel ertönt der klagend-fragende Ruf der Gequälten: »Wie lange noch, Herr?« (Apk 6). Aber die Fragen, Klagen, ja Anklagen sind doch von dem Vertrauen bestimmt, dass sie sich nicht an ein ewiges Schweigen richten, ein Vertrauen, das aus dem Wunder der immer wieder gemachten Glaubenserfahrung gespeist wird, dass dort, wo die Glaubenden auch in der Nacht ihres Leidens nicht von ihrem Gott gelassen haben, das Licht einer neuen Gottesnähe wieder aufleuchten konnte, bisweilen sogar mit unerwarteter Helligkeit. Der erste Zeuge dafür ist Paulus, der wie der Gottessohn selber dreimal zu seinem Gott gefleht hat, dass er ihn von seinen Leiden befreien möge (2. Kor 12,7f.). Auch das dreifache Gebet des Apostels wurde nicht erhört in dem Sinn, dass das Leiden beseitigt wurde. Paulus musste die Schläge des Satansengels – irgendeine schlimme Krankheit – weiterhin ertragen, begleitet vom Spott der ›Überapostel‹, die in seinen Schwächen den Erweis für sein spirituelles Defizit sahen. Doch wird ihm gerade dort, wo seine Leiden nicht einfach verschwinden, eine Antwort des Christus zuteil, der »aufgrund von Schwachheit gekreuzigt wurde, aber aufgrund der Kraft Gottes lebt« (2. Kor 13,4), ein Wort, das seitdem unzählige Christinnen und Christen in ihrem Leiden getröstet und gestärkt hat: »Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Macht vollendet sich in der Schwachheit« (2. Kor 12,9). Deswegen kann der Apostel zuletzt kühn resümieren: »Wenn immer ich schwach bin, bin ich mächtig« (2. Kor 12,10). Auch der Apostel kennt also die Believer’s voice of victory. Nur besteht sie bei ihm nicht darin, dass in Christus alle Probleme gelöst wer-

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den, sondern dass er mitten im Leiden die Gegenwart seines Herrn erfährt, der ihm nicht nur seine Krankheit ertragen hilft, sondern seine Schwäche in Kraft verwandelt. Deshalb kann selbst der des Kämpfens und der Anfeindungen müde Apostel (vgl. Phil 1,23) in seinem Brief aus dem Gefängnis immer wieder zur Freude aufrufen (Phil 2,17f.; 3,1; 4,4), ja, er kann für sich inmitten seiner Leiden provokativ geradezu so etwas wie Allmacht in Anspruch nehmen, die ihm inmitten seiner äußeren Ohnmacht von Gott zuwächst: Ich bin zu allem fähig durch den, der sich in mir als Macht erweist. (Phil 4,13)

Ähnliche Erfahrungen haben seitdem unzählige Christinnen und Christen gemacht. Es berührt mich immer wieder, wenn ich sehe, dass die ergreifendsten und getrostesten Glaubenslieder in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges geschrieben wurden, in einer Zeit endloser Gewalt und sinnloser Leiden. Und wenn Sie die Kirchenlieder des vergangenen Jahrhunderts durchgehen, so werden Sie merken, dass die eindrücklichsten in den dunklen Jahren der Naziherrschaft geschrieben wurden – denken Sie nur an Bonhoeffers im Gefängnis geschriebenes »Von guten Mächten wunderbar geborgen« oder an Jochen Kleppers »Die Nacht ist vorgedrungen«. Diese Lieder, deren Verfasser ebenso wenig wie Jesus oder Paulus ein Happy End erlebten, wurden gerade so zu Zeugen dafür, dass uns vom Angesicht des Gottes, der in unserem Dunkel wohnen will, die Rettung herkommt: Du, Herr, in deiner Himmel höchster Pracht wardst ein Gefährte meiner Nacht!18

18 J. KLEPPER, Kyrie. Geistliche Lieder, Witten 111960, 25, Weihnachtslied »Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht?«, Vers 3.

Ränder des Gottesglaubens: Die Engel1 1. Biblische Angelologie im Kontext der antiken Dämonologie Das lange unangefochtene Theorem einer einlinig fortschreitenden Säkularisierung ist längst der Wahrnehmung einer Rückkehr des Religiösen gewichen, die sich allerdings in Mitteleuropa derzeit nicht als Rückkehr zu der Form eines kirchlich gebundenen Christentums vollzieht. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Konjunktur der Engel. Wenn heute in Deutschland mehr Menschen an Engel glauben als an Gott,2 dann hat sich diese Form von Religiosität zumindest zu einem Gutteil vom christlichen Glauben gelöst. Damit geht nicht selten eine der modernen Konsumgesellschaft affine Transformation des Religiösen einher: »Der Glaube an und die Kommunikation mit Engeln ist eine Form moderner Spiritualität, die alle Kosten aus dem Verhältnis zur Transzendenz minimiert und, bei uneingeschränkter Wahlfreiheit, den möglichen Gewinn maximiert.«3 Die Herauslösung der Engel aus dem Kontext der christlichen Tradition, bei der aus Boten Gottes eigenständige Geistwesen werden, wird dadurch begünstigt, dass aus biblischer Sicht die Engel schon von ihrer Bedeutung her nicht zum Zentrum des Gottesglaubens gehören: Ihre Rolle in der Bibel ist – aufs Ganze gesehen – doch deutlich begrenzter, als es die landläufigen Vorstellungen von Engeln wahrhaben wollen. Dazu passt auch, dass ihr ›Stammbaum‹ nicht sonderlich ›orthodox‹ ist: Religionsgeschichtlich betrachtet sind sie ein Amalgam aus depotenzierten Restbeständen der polytheistischen Frühzeit (s. u.) und religiösem Neuimport aus der Mitwelt. Was Letzteres betrifft, so deutet schon der Name ›Engel‹ an, dass hier die in der Antike weit verbreitete Vorstellung von den Götterboten im Hintergrund steht. Solche ἄγγελοι (»Boten«, »Engel«) können in den antiken Religionen Vögel sein, die den Raum zwischen Himmel und Erde bevöl1 Gekürzte und überarbeitete Fassung zweier Vorträge, die am 20. November 2012 bei der 25. Tagung der ›Apologetischen Reihe‹ mit dem Thema »Engel – unterwegs im Auftrag Gottes?« in Rothenburg ob der Tauber gehalten wurden. Die Vortragsform wurde zum Teil beibehalten. 2 S. MURKEN/S. NAMINI, Himmlische Dienstleister. Religionspsychologische Überlegungen zur Renaissance der Engel (EZW-Texte 196), Berlin 2007, 4. 3 Ebd., 85.

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kern, etwa der Adler des Zeus.4 Daneben aber übernehmen auch spezielle Botengötter diese Vermittlung.5 In der griechischen und römischen Welt, die hier als Kontext des Frühjudentums und des Neuen Testaments besonders beachtet wird,6 ist – neben Iris7 – Hermes mit seinen Flügelschuhen und seinem Flügelhelm der Götterbote schlechthin, dessen Namen bereits Platon mit seiner Funktion als Dolmetscher zwischen den Göttern und den Menschen in Verbindung bringt.8 Doch er ist nicht der einzige: »[…] otherworldly messengers designated by the term angelos (Latin: angelus) were also a feature of Roman-era cosmological speculation and belief, and the objects of religious piety, outside of Christianity and Judaism.«9 Allerdings beschränkt sich die Tätigkeit von Engeln in der Bibel nicht nur auf die Überbringung einer Botschaft. Sie können auch durch ihre Präsenz und ihr Handeln Gott in seiner machtvollen Gegenwart verkörpern. Daher muss man im Blick auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund der biblischen Engelsvorstellungen auch die antike Dämonologie hinzuziehen. 10 Denn je mehr die Götter bzw. dann auch der Gott oder ›das Göttliche‹ transzendent vorgestellt werden, desto wichtiger werden die vermittelnden Gestalten, die das Göttliche in der Welt vergegenwärtigen. Klassisch ausgedrückt ist das in der von Sokrates referierten Rede der Diotima in Platons Gastmahl, dass sich Götter und Menschen nicht mischen und deshalb niedrigere Gottwesen (δαίµονες) zwischen beiden vermitteln müssen: »Denn alles Dämonische ist zwischen Gott und dem Sterblichen« (Platon, Symp. 202e). Die Aufgabe eines Daimon besteht dementsprechend darin, »zu verdolmetschen und zu überbringen den Göttern, was von den Menschen, und 4 Vgl. Homer, Il. XXIV,290–292: »Flehe darum nun gleich zum idäischen, finsterumwölkten Herrscher Kronion, der nieder doch schaut auf Trojas Gelände. Bitt ihn, den schnellen Vogel als Boten (ἄγγελος) dir fliegen zu lassen« (vgl. auch Homer, Il. XXIV, 314–321). 5 Diese können etwa in den Zauberpapyri beschworen werden; vgl. die Belege bei W. GRUNDMANN, Art. ἄγγελος, ThWNT 1, Stuttgart 1933, 72–75, hier 73 f. 6 Zu den Parallelen in den früheren Kulturen vgl. B. SCHIPPER, Angels or Demons? Divine Messengers in Ancient Near Egypt, in: F. V. R EITERER/T. NICKLAS/K. SCHÖPFLIN (Hg.), Angels. The Concept of Celestials Beings – Origins, Development and Reception (DCLY 2007), Berlin/New York 2007, 1–20; M. H UTTER, Demons and Benevolent Spirits in the Ancient Near East. A Phenomenological Overview, in: ebd., 21–34. 7 Sie ist vor allem in der Ilias die Botin der olympischen Götter. 8 Vgl. Platon, Krat. 407e: Hermes bedeute Dolmetscher (τὸ ἑρµηνέα εἶναι) und Bote (καὶ τὸ ἄγγελον); vgl. dazu W. SPEYER, The Divine Messenger in Ancient Greece, Etruria and Rome, in: REITERER et al. (Hg.), Angels (Anm. 6), 35–47, bes. 37–39. 9 R. CLINE, Ancient Angels. Conceptualizing Angeloi in the Roman Empire (RGRW 172), Leiden/Boston 2011, 167. 10 Vgl. SPEYER, Messenger (Anm. 8), 42: »In Greece spirits/demons (sometimes also called angeloi) particularly fulfill functions that are characteristic of angels in Judaism and in Christian contexts.«

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den Menschen, was von den Göttern kommt« (ebd.) – die Affinität zum Götterboten Hermes, wie er von Platon in Krat. 407e gedeutet wird, ist unverkennbar. In den Umkreis solcher Grenzgänger und Mittler gehört dann auch die Vorstellung, dass einzelne Menschen einen gottähnlichen Begleiter haben, der sie behütet, der aber auch im Falle ihrer Ermordung deren Tod rächt und die Mörder zur Verantwortung zieht.11 Die Überzeugung von der Existenz einer persönlichen Schutzgottheit war in verschiedenen Religionen verbreitet.12 Im griechischen Bereich ist sie erstmals deutlich greifbar bei Hesiod (Opera et dies 121–126), wo die Gestorbenen des Goldenen Zeitalters zu δαίµονες und damit zu Schutzgeistern der Sterblichen werden (φύλακες θνητῶν ἀνθρώπων). Im abendländischen Kulturbereich wurde die Vorstellung eines dem Einzelnen zugesellten göttlichen Wesens vor allem durch Sokrates salonfähig gemacht, der nach dem Zeugnis seiner Schüler Platon und Xenophon ein Daimonion hatte, das diesen im Sinne des Gottes (gemeint ist Apollon) geleitet hat.13 Das Daimonion bzw. der Daimon ist hier also Repräsentant des Göttlichen im Individuum. 14 Diese Vorstellung wird im Platonismus weiter entfaltet.15 Dabei spielt vor allem im Mittleren Pla11 So kann etwa im ersten nachchristlichen Jahrhundert, also in neutestamentlicher Zeit, der platonische Philosoph und Universalgelehrte Plutarch zum einen von dem Daimon Caesars sprechen, den dieser im Leben hatte und der dann auch seinen Mord rächte: »Sein großer Daimon indes, der ihn im Leben geleitet, blieb ihm auch nach dem Tode noch treu als Rächer des Mordes, er spürte durch alle Länder und Meere hinter den Mördern her, bis er sie sämtlich ereilt und auch die letzten zur Strafe gezogen« (Caesar 69). Gleichsam als Gegenstück erzählt er auch die Geschichte vom Caesarmörder Brutus, der des Nachts bei seiner Überfahrt nach Griechenland eine unheimliche Gestalt neben sich entdeckt, die auf seine Frage, wer von den Göttern oder Menschen er wäre, ihm antwortet: »Brutus, ich bin dein böser Daimon. Bei Philippi [dem Ort seiner Niederlage und seines gewaltsamen Todes] wirst du mich wiedersehen« (Plutarch, Brutus 36,7; vgl. 48, wo dieser ihm nochmals erscheint, allerdings stumm bleibt). Hier tritt immer mehr neben die Tyche, die Schicksalsgöttin, der Glaube an einen den einzelnen Menschen begleitenden und sein individuelles Geschick bestimmenden Daimon. 12 Nach Nilsson findet sich eine Schutzgottheit etwa auch im Persischen, vgl. M. P. N ILSSON, Geschichte der griechischen Religion, Zweiter Band: Die hellenistische und römische Zeit (HAW V/2,2), München 41988, 210 ff. 13 Vgl. Platon, Apol. 40a. Dort macht sich der Daimon nach der Aussage des Sokrates nur dadurch bemerkbar, dass er Sokrates an bestimmten Taten hindert, also sich als abwehrende Kraft manifestiert; anders stellt es Xenophon dar, dem zufolge das Daimonion dem Sokrates auch positive Weisungen gab, vgl. Mem. I,1,4; Platon, Apol. 31. 14 Auch andere Menschen werden nach Platon von einem Daimon (als dem von ihnen beim Eingang in das Leben erlosten Geschick) geführt; vgl. Platon, Phaidon 107d; Rep. X,617e–621b. 15 Vgl. bes. Plutarch, De def. orac. 13,416c–e, der sich auf Vorstellungen der verlorenen Dämonologie des Platonschülers und zweiten Nachfolgers in der Leitung der Akademie, Xenokrates, bezieht.

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tonismus Sokrates wegen seines Daimonion eine wichtige Rolle: Allein aus den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. sind uns von Plutarch, Apuleius und Maximos von Tyros noch vier Schriften über das Daimonion des Sokrates erhalten.16 Indem die Daimones als Mittlerwesen zwischen den immer jenseitiger und vollkommener vorgestellten Göttern (bzw. dem zunehmend als Einheit gedachten transzendenten Göttlichen) und den davon unterschiedenen Menschen stehen, können sie aber auch an der Unvollkommenheit der Menschenwelt teilhaben und deshalb auch für die negativen Seiten des Lebens verantwortlich gemacht werden.17 Daimones sind also in religiöser und ethischer Hinsicht Zwitterwesen, und dementsprechend gibt es neben hilfreichen Gottwesen auch mehr oder weniger schädliche oder böse Daimones, während das griechische Wort Daimon ursprünglich einfach neutral ein Gottwesen bezeichnet. Engel und verwandte Geistwesen sind aber nicht nur außerhalb der Bibel in verschiedener Gestalt und Funktion anzutreffen, sondern sie spielen auch in dieser durchaus unterschiedliche Rollen. Im Alten Testament heißen sie allerdings oft Boten (malakim). Ihre Bezeichnung kann auch iš/ anašim (»Mann/Männer«) sein oder bene elohim (»Gottheiten«). Letzteres deutet schon an, dass sie wohl ursprünglich Gottheiten eines Pantheons sind und im Zuge der Herausbildung des biblischen Monotheismus depotenziert wurden. Dazu gehören wohl auch die Seraphim, die nach Jes 6,1–3 über Gottes Thron stehen.18 Hier finden sich erstmals im Alten Testament geflügelte Geister, und auch das später immer wieder erwähnte Stehen von Engeln vor Gottes Thron (s. u.) dürfte von daher beeinflusst sein. Die Bezeichnung malak (»Bote«, »Engel«) kommt vor allem einer Gestalt zu, die als einzige schärfer umrissen ist, nämlich dem »Engel Jahwes«. Dessen Besonderheit besteht darin, dass er eine Art Schutzengel für das Gottesvolk ist.19 So schickt Gott nach Ex 23,20ff. seinen Engel vor Israel her:

16 Vgl. dazu P. DONINI, Sokrates und sein Dämon im Platonismus des 1. und 2. Jahrhunderts, in: Apuleius, De Deo Socratis/Über den Gott des Sokrates. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von M. B ALTES/M.-L. LAKMANN/J. M. D ILLON/P. DONINI/R. HÄFNER/L. KARFÍKOVÁ (SAPERE VII), Darmstadt 2004, 142–161. 17 Schön dargestellt sind die Daimones bei Plutarch, De Iside 25,360e; vgl. weiter N ILSSON, Geschichte der griechischen Religion 2 (Anm. 12), 210 ff. 18 Vgl. H. W ILDBERGER, Jesaja, 1. Teilband: Jesaja 1–12 (BK X/1), Neukirchen-Vluyn 2 1980, 237 f. 19 G. V. RAD, Art. ἄγγελος, ThWNT 1, Stuttgart 1933, 75–79, hier 75 f.: Es ist »ein ausgesprochenes Organ des besonderen Gnadenverhältnisses Jahwes zu Israel […]; er ist die Person gewordene Hilfe Jahwes für Israel.«

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Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe. […] Ja, mein Engel wird vor dir hergehen und dich bringen zu den Amoritern, Hetitern, Perisitern, Kanaanitern, Hiwitern und Jebusitern, und ich will sie vertilgen. (Ex 23,20.23)

Hier sind die helfenden Aktionen Gottes und die seines Engels – der als ›Bote JHWHs‹ ja ganz unmittelbar mit ihm verbunden ist – praktisch nicht zu unterscheiden.20 Der Engel/Bote J HWHs hat als Vergegenwärtigung Gottes eine uneingeschränkt positive Bedeutung, was für die weitere Ausbildung der Engelsvorstellungen nicht unbedeutend ist. Während sonst im Neuen Testament »die Engel« überraschend oft ambivalent bis negativ konnotiert sein können, ist das beim »Engel des Herrn« nie der Fall. Ebendieser »Engel des Herrn«, der uns in den Weihnachtsgeschichten des Lukas (Lk 1,11; 2,9) und des Matthäus begegnet (Mt 1,20.24; 2,13.19), der in der Apostelgeschichte die Apostel (Apg 5,19) und Petrus befreit (Apg 12,7), der den Philippus zum Kämmerer schickt (Apg 8,26) und der dem Kornelius erscheint,21 ist maßgeblich für die verbreitete Überzeugung verantwortlich, dass die Engel im Neuen Testament uneingeschränkt gut sind. Ehe darauf näher eingegangen wird, zuvor noch ein paar Bemerkungen zur Häufigkeit und zur Ausdifferenzierung der Engelvorkommen im Alten Testament und im Antiken Judentum. Im Blick auf die Häufigkeit gibt es eine klare Tendenz: Während in der Frühzeit des Alten Testaments Engelsgestalten selten sind, nehmen diese (neben anderen Mittlergestalten wie der Weisheit und dem Geist) in nachexilischer Zeit immer mehr an Zahl und Bedeutung zu. Man vergleiche in dieser Hinsicht nur einmal die spärlichen Vorkommen derselben in den ersten beiden Büchern des Pentateuch mit dem wohl im zweiten vorchristlichen Jahrhundert entstandenen Jubiläenbuch, in dessen Wiedergabe der Geschichte von der Schöpfung bis zum Sinai nun Engel und Dämonen eine entscheidende Rolle spielen. Die Gemeinderegel von Qumran sieht die gesamte Wirklichkeit durch zwei von Gott eingesetzte Geistwesen bestimmt, durch den »Fürsten des Lichts« und den »Engel der Finsternis« (1QS III,13– IV,26). Diese auffällige Zunahme von Mittlerwesen und damit auch der Engel dürfte auch hier die Folge der immer stärkeren Transzendentalisie-

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So spricht der masoretische Text in Ri 6,11–24 in 6,11.21 f. vom Engel J HWHs (bzw. in V. 20 vom Engel Gottes), verwendet dann aber in den Versen 6,14.16.23 das Tetragramm. Diese auch anderswo zu beobachtende »confusion of identity between the angel and God himself« (J. D. M ARTIN, The Book of Judges [CBC], Cambridge 1975, 83) wird von der Septuaginta weitgehend beseitigt; außer in V. 23 spricht sie durchgängig vom Engel J HWHs und verwendet Kyrios als Übersetzung des Tetragramms dort, wo im Hebräischen ein »ich« steht. 21 In Apg 10,3 ist es der »Engel Gottes«.

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rung des Göttlichen sein.22 Das verstärkt sich noch einmal in der Apokalyptik, die geprägt ist von der Erfahrung der Verborgenheit Gottes in einer scheinbar von anderen Mächten bestimmten Geschichte. In ihr zeigt sich ein deutlich gestiegenes Interesse an individuell ausdifferenzierten Mittlerwesen, in welchen der in den Schrecken der Geschichte nicht mehr erfahrbare Gott wieder nahekommt. In der ersten biblischen Apokalypse, im Buch Daniel, gibt es deshalb nicht nur verschiedene Engel,23 sondern sie tragen dort auch das erste Mal so etwas wie Eigennamen: Michael, der Schutzengel Israels (Dan 10,13.21; 12,1), und der aus der Weihnachtsgeschichte des Lukas bekannte Gabriel (Dan 8,15f.; 9,21). Im Neuen Testament ist dann nicht von ungefähr die Johannesoffenbarung das biblische Buch, in welchem Engel am häufigsten begegnen und die größte Rolle spielen (s. u.). Die frühjüdische Angelologie ist also von einer bemerkenswerten Dialektik bestimmt. Zum einen werden die Engel/Boten/Geistwesen ganz dem ›Herrn der Heerscharen‹ zu- und untergeordnet. Zum anderen sind es gerade der immer stärker betonte Monotheismus und die damit einhergehende Transzendenz Gottes, welche die Herausbildung von Mittlergestalten mit zumindest bedingter Selbständigkeit fördern. Das gilt nicht nur im positiven Sinn für die Gegenwart des Göttlichen, sondern auch im negativen für die Erklärung des Bösen. Wie in der paganen Dämonologie wird mit ihnen erklärt, wie das Böse in die gute Schöpfung kam. So erklärt Philon die Möglichkeit, dass der von Gott geschaffene Mensch Böses tut, indem er den Plural aus Gen 1,26 (»lasset uns Menschen machen«) auf die Mitwirkung untergeordneter Wesen bei der Schöpfung des Menschen deutet (Philon, Opif. 72–76). Zunächst zu den positiven Funktionen, zu denen auch die Ausbildung der heute wieder populären Vorstellung eines Schutzengels gehört. Diese hat einen Vorläufer in Ps 91,11: »denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich auf Händen tragen, dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt«. Agieren hier die Engel noch als verlängerter Arm Gottes, so findet sich erstmals im Buch Tobit die Vorstellung eines bewahrenden Engels, der einer individuellen Gestalt als Begleiter zugeordnet wird und als relativ eigenständiger Aktant auftritt. Die wohl gegen Ende des dritten oder zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts entstandene Erzählung berichtet, wie der Engel Raphael unerkannt in der Gestalt eines Menschen den jungen Tobit auf seiner gefahrvollen Reise begleitet und ihn beschützt. Auch Raphael lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass er von Gott kommt, wie aus seiner Vorstellung am Ende, als er sich zu erkennen gibt, deutlich wird: 22

Vgl. dazu V. RAD, ἄγγελος (Anm. 19), 77–79. Sie umgeben zu Hunderttausenden dienend Gottes Thron, fungieren als Schutzengel anderer Länder (Dan 10,13.20) und als »Wächter« (Dan 4,10.14.20). 23

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Ich bin Raphael, einer der sieben Engel, welche stehen und vor die Herrlichkeit des Herrn hintreten. (Tob 12,15)

Wird in dieser Funktion noch nicht näher darauf eingegangen, was das Stehen und Hintreten vor Gottes Herrlichkeit bedeutet, so wird das in der anderen Version genauer erläutert: Ich bin Raphael, einer der sieben heiligen Engel, die die Gebete der Heiligen hinauftragen und vor die Herrlichkeit des Heiligen hintreten. (Tob 12,15)

Dieser Aussage zufolge bedeutet das Hintreten vor Gottes Herrlichkeit, dass dieser Engel mit sechs anderen wie die platonischen Daimones eine Mittlergestalt ist, die interzessorisch vor Gott für die »Heiligen«, wohl die Mitglieder des Gottesvolkes, eintritt. Damit wird er noch nicht aus dem göttlichen Bereich herausgelöst – wie sein Name und der der anderen ›Erzengel‹ zeigt, sind sie noch nicht im eigentlichen Sinn Individuen. Vielmehr begegnet in ihnen ein bestimmter Aspekt des einen und einzigen Gottes: So wie Raphael Gott als den Heilenden repräsentiert,24 so manifestiert sich in Gabriel Gottes Macht, in Uriel Gottes Licht und in Michael (wörtlich: »Wer ist wie Gott?«) Gottes Unvergleichlichkeit. Die negative Seite der Mittlerwesen bringt am deutlichsten die sich zunehmend herausbildende Vorstellung einer eigenständigen widergöttlichen Macht zum Ausdruck, die im Vergleich von 2. Sam 24,1 mit 1. Chr 21,1 zu sehen ist, wo aus dem »Zorn J HWHs« der »Satan« wird. Der Feind der Menschen kann aber auch andere Namen wie Teufel, Belial, Beelzebul oder Mastema tragen. Dieser dunkle Schatten Gottes 25 gehörte ursprünglich zu seinem Hofstaat, wie in Hi 1f. zu sehen ist, wo der Satan noch unter die »Söhne Gottes« gerechnet wird. Die immer wichtiger werdende Vorstellung vom Engelfall als Ätiologie der widergöttlichen Macht löst die Theodizee durch die Angelologie, unterstreicht damit aber zugleich, dass es sich beim Bösen nicht um ein Gott ganz entzogenes Prinzip handelt, sondern um einen Teil der Schöpfung, der seine Abhängigkeit vom Schöpfer leugnet, ohne sich doch völlig aus dessen Machtbereich lösen zu können.26 24 Zu Raphael als heilendem Engel im Buch Tobit vgl. F. V. R EITERER, An Archangel’s Theology. Raphael’s Speaking of God and the Concept of God in the Book of Tobit, in: REITERER et al. (Hg.), Angels (Anm. 6), 255–275, hier 273. 25 Zum Teufel als dunklem Schatten Gottes vgl. auch H. SPIECKERMANN, Die Satanisierung Gottes. Zur inneren Konkordanz von Novelle, Dialog und Gottesreden im Hiobbuch, in: I. KOTTSIEPER/J. VAN OORSCHOT/D. RÖMHELD/H. M. WAHL (Hg.), »Wer ist wie du, HERR, unter den Göttern?« (FS O. Kaiser), Göttingen 1994, 431–444. 26 Vgl. C. LOSEKAM, Die Sünde der Engel. Die Engelfalltradition in frühjüdischen und gnostischen Texten (TANZ 41), Tübingen 2010.

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Neben dem Teufel wird die negative Seite im Neuen Testament durch die Dämonen repräsentiert, die im Gegensatz zu den Engeln ebenfalls eindeutig schlecht sind. Diese Dämonen können auch im Neuen Testament gelegentlich zu Beelzebul/Teufel/Satan in Beziehung gesetzt werden (vgl. Mk 3,22–30 parr.), sie sind aber eigentlich etwas anderes, nämlich Schadensgeister, die den Menschen zerstören. Interessanterweise sind es aber nicht nur die Dämonen, die zum Teufel als einer Art höllischem Gegenentwurf zu dem ›Herrn der Heerscharen‹ gehören können, sondern auch Engel (Mt 25,41).

2. Die Engel in der Wiedergabe des Lebens Jesu in den Evangelien Die Frage, inwieweit der historische Jesus selbst an Engel ›geglaubt‹ hat, ist nicht eindeutig zu klären. Die Tatsache, dass in den Überlieferungen der Evangelien immer wieder wie selbstverständlich auf Engel Bezug genommen wird, und zwar auch in Texten, bei denen eine Herkunft vom historischen Jesus erwägenswert ist, lässt vermuten, dass er wie die meisten Juden seiner Zeit27 die Existenz eines himmlischen Hofstaates vorausgesetzt hat. Andererseits fällt auch auf, dass sie in seiner Verkündigung, und hier wieder besonders in den überlieferungsgeschichtlich vermutlich älteren Teilen, keine prominente Rolle spielen, geschweige denn, dass sie als eigenständige Aktanten während Jesu Tätigkeit aufträten. Besonders wichtig waren sie für Jesus offenbar nicht. Allerdings nimmt dann in den das Leben Jesu deutenden synoptischen Evangelien die Bedeutung der Engel zu: zum einen bei der Wiedergabe des Lebens Jesu, zum andern und vor allem in den dieses Leben deutenden, weitgehend redaktionell gestalteten Rahmenteilen. Bei Markus, dem ältesten Evangelium, wird in Jesu Worten eher nebenbei auf Engel verwiesen. Das Logion Mk 8,38 (par. Mt 10,33; Lk 9,26)28 spricht davon, dass sich der Menschensohn dessen, der sich »seiner und seiner Worte in diesem ehebrecherischen Geschlecht schämt«, ebenfalls schämen wird, »wenn er in die Herrlichkeit seines Vaters mit seinen heiligen Engeln kommt«. Die Engel sind hier Bestandteil von Gottes himmlischer Welt. Ihre Aufgabe ist die Begleitung des Menschensohnes bei seinem Kommen, d. h., sie sind offenkundig Beteiligte an dem vom wie27 Ausnahmen sind die Sadduzäer, bei denen die Leugnung der Existenz von Engeln wohl gerade deshalb als Besonderheit erwähnt wird (vgl. Apg 23,8), weil dies im damaligen Judentum eine Ausnahme bildete. 28 Dieses Logion hat eine eigenständige Doublette in Lk 12,8 f. und ist daher wohl in zwei Quellen unabhängig überliefert worden.

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Dritter Teil: Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes

derkommenden Menschensohn durchgeführten Gericht. Ihre Funktion bei diesem Geschehen, die in Mk 8,38 noch nicht ausgeführt wird, aber auch die Teilnahme an der Bestrafung zu implizieren scheint, wird in der apokalyptischen Rede in Mk 13,26f. dahin gehend präzisiert, dass sie auf Geheiß des Menschensohnes zum Heil der Erwählten tätig werden, indem sie diese inmitten der endzeitlichen Schrecken von überall her zusammensammeln. Auf die Frage, wie sie beschaffen sind, gibt die Antwort Jesu auf die Anfrage der Sadduzäer etwas näher Auskunft (Mk 12,18–27):29 Wenn Jesus dort von den Auferstandenen sagt, dass sie weder heiraten noch geheiratet werden, weil sie »wie die Engel in den Himmeln« sind (Mk 12,25 par. Mt 22,30; Lk 20,36), dann setzt er voraus, dass es eine eigene himmlische Seinsweise gibt, in welche die Glaubenden verwandelt werden und die bereits jetzt den Engeln eignet.30 Zusammenfassend kann man sagen, dass die Engel dort, wo Jesus bei Markus von ihnen spricht, als himmlische Geistwesen vorgestellt werden, die als Begleiter Gottes bzw. des Menschensohnes diesem als Handlanger zu- und untergeordnet sind. Sie treten vor allem in der Endzeit in Erscheinung und stehen da deutlich unter Gott: Sie wissen etwa nicht, wann Gott das Ende der Zeit heraufführt (Mk 13,32). Im Unterschied zu anderen Texten (s. u.) wird allerdings die Zugehörigkeit der Engel zu Gott nirgends infrage gestellt. Nichts deutet an, dass sie eigeninitiativ tätig werden könnten. Das zeigt sich auch daran, dass sie keine eigenen Namen haben, sondern einfach generalisierend von

29 Diese Antwort geht nach Meinung vieler Ausleger auf den historischen Jesus zurück, und zwar deshalb, weil sich hier kein Bezug auf Jesu eigene Auferstehung findet, sondern weil vielmehr auf die Engel verwiesen wird, was sonst im Neuen Testament nirgends mehr geschieht; vgl. dazu O. SCHWANKL, Die Sadduzäerfrage (Mk 12,18–27 parr.). Eine exegetisch-theologische Studie zur Auferstehungserwartung (BBB 66), Frankfurt a. M. 1987, 587. Schwankl kommt dort zu dem Fazit: »Die Authentizität in dem Sinn, daß der Text ein bestimmtes, einmaliges Gespräch festhält, bleibt letztlich unsicher, ist aber anzunehmen«. 30 Der Verzicht auf eine Heirat dürfte hier damit zusammenhängen, dass sie im Gegensatz zum sterblichen Menschen der Reproduktion qua Geschlechtsverkehr nicht bedürfen, und ist damit ein Hinweis auf ihre Unsterblichkeit. Gemäß dieser Logik erklärt Gott im Äthiopischen Henochbuch den gefallenen Geistern: »Aber ihr wart vorher geistig, des ewigen, unsterblichen Lebens teilhaftig für alle Generationen der Welt. Und darum habe ich für euch keine Frauen geschaffen; denn die Geistigen des Himmels (haben) im Himmel ihre Wohnung« (1. Hen 15,6 f.); Philon formuliert einen ähnlichen Gedanken philosophisch: Die ursprünglich von Gott nach seinem Bild geschaffene Idee des Menschen war »weder männlich noch weiblich, von Natur aus unvergänglich« (Philon, Opif. 134), d. h., als eine geistige Größe war sie frei von der an die Körperlichkeit gebundenen Geschlechtlichkeit. Unsicher ist, inwieweit hierher auch bBer 17a gehört: »In der künftigen Welt gibt es weder … Beischlaf noch Vermehrung.«

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»den Engeln« gesprochen wird. Als Einzelne treten sie erst in den späteren Evangelien auf, und dort erhalten sie dann auch einen Namen.31 Im Lukasevangelium (ca. 80–85 n. Chr. verfasst) begegnen in den Worten Jesu schon etwas häufiger Verweise auf Engel. Wie bei Markus begleiten sie den Menschensohn bei seiner Wiederkunft (vgl. Lk 9,26), und sie gehören auch sonst ganz auf Gottes Seite, ja können fast synonym mit ihm verwendet werden.32 Eine in der gesamten Bibel singuläre Vorstellung, die aber Parallelen im paganen und im jüdischen Bereich hat, ist die Überbringung des Toten, der der Seligkeit gewürdigt wird, durch Engel an den Ort des Heils – bei Lukas tragen die Engel den armen Lazarus in den Schoß Abrahams (Lk 16,22). Vermutlich ist hier die Vorstellung der Seelenbegleiter aufgenommen, eine Funktion, die in der Odyssee dem Hermes zugeschrieben wird (Homer, Od. XXIV,1.14), der dementsprechend auch Hermes Psychopompos heißen und in dem ihm gewidmeten homerischen Hymnus in dieser Funktion auch als ἄγγελος bezeichnet werden kann.33 Eine weitere Besonderheit des Lukasevangeliums ist der stärkende Engel im Garten Gethsemani (Lk 22,43). Allerdings fehlt diese Szene in den ältesten Textzeugen, sodass von dieser einzigen Szene, in der Jesus zu Lebzeiten mit einem bestimmten Engel direkten Kontakt hat, heute häufig angenommen wird, dass sie nicht zum ursprünglichen Evangelium dazugehört. Doch ob die Szene nun eine sekundäre Hinzufügung ist oder nicht34 – dass das so anstößige Schweigen des Himmels zur Bitte des Gottessohnes in Mk 14,32–42 von Lukas oder einem frühen Abschreiber durch die Erscheinung eines Engels durchbrochen wird, bestätigt in jedem Fall die These, dass Engel den verborgenen Gott vergegenwärtigen. Der Evangelist Matthäus, der sein Evangelium vermutlich noch etwas später als Lukas verfasst hat, legt Jesus eine Reihe von zusätzlichen Engelworten in den Mund. Dabei muss nicht jedes dieser Worte vom Evangelisten gebildet worden sein. Aber auch wenn es sich in dem einen oder 31

Das ist in der Vorgeschichte des Lukasevangeliums und in der Johannesoffenbarung der Fall. 32 In der Gleichnistrilogie vom Verlorenen kann Jesus im Blick auf den umkehrenden Sünder in Lk 15,7 von der Freude im Himmel sprechen, in Lk 15,10 von der Freude der Engel im Himmel, während das dritte Gleichnis der Trilogie, die Parabel vom verlorenen Sohn, im Bild des Vaters deutlich macht, dass es sich um Gottes eigene Freude handelt. Himmel, Engel und Gott sind hier schon fast Synonyme (vgl. auch Lk 12,8). 33 Hymn. Homer. IV (Hermes) 571 f. Der Hermes Psychopompos kann sich dann auch mit der entsprechenden etruskischen Gottheit verbinden, und auf etruskischen Sarkophagen sind denn auch häufig geflügelte Seelenbegleiter zu sehen, die unserer landläufigen Vorstellung von Engeln schon sehr ähnlich sind. 34 M. W OLTER, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 723. Wolter kommt nach dem Abwägen der äußeren und inneren Kriterien im Blick auf die Frage der Zugehörigkeit zur ursprünglichen Fassung des Lukasevangeliums zum Schluss: »Es muss also bis auf weiteres bei einem non liquet bleiben.«

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anderen Fall um ältere Überlieferung handelt, so ist doch bedeutsam, dass hier ein verstärkter Bezug auf Engel für die Wiedergabe der Jesusüberlieferung wichtig wird. Am auffälligsten ist, dass die im ältesten Evangelium nur einmal bezeugte Vorstellung von den Engeln als Handlangern im Jüngsten Gericht von Matthäus wiederholt verwendet wird (Mt 13,39–42.49f.; 16,27; 24,30f.; 25,31f.). Verstärkt werden hier die Engel nicht nur zum Heil tätig, sondern sie bringen alle Menschen vor den Thron des zu Gericht sitzenden Menschensohnes (Mt 25,31f.; vgl. 16,27), und sie führen dann auch das Gericht aus, indem sie die Übeltäter in den Feuerofen werfen, wo Heulen und Zähneklappern sein wird (Mt 13,41f.49f.). Auch hier handeln sie ganz in Gottes Auftrag. Aber es ist doch bemerkenswert, dass die Engel hier in erster Linie die Strafen exekutieren, also gleichsam als Henkersknechte fungieren. Darüber hinaus finden sich bei Matthäus noch einige weitere Besonderheiten im Blick auf die Engelsvorstellungen: – Eine wirkungsgeschichtlich enorm folgenreiche Besonderheit ist das Wort Mt 18,10, das später zum locus classicus für die christliche Schutzengelvorstellung wurde: Im Zusammenhang der Gemeinderede warnt Jesus dort davor, die Kleinen zu verachten, »denn ihre Engel in den Himmeln sehen immer das Angesicht meines Vaters in den Himmeln«. Genaueres Hinsehen zeigt allerdings, dass dieses Wort keineswegs sagt, dass generell jeder und jede einen Schutzengel hat, sondern vielmehr, dass die »Geringen« bzw. »Kleinen« bei Gott besondere himmlische Fürsprecher haben. Das entspricht der matthäischen Theologie, welche die Kleinen in eine besondere Nähe zu Christus und zu Gott rückt.35 – In der Erzählung vom Endgericht gibt es nicht nur die guten Engel, die als Begleiter des Menschensohnes mit diesem zum Gericht kommen (Mt 25,31f.), sondern es gibt auch ihr Gegenstück, die Engel des Teufels, die mit diesem und den Verdammten in das »ewige Feuer« geworfen werden (Mt 25,41; vgl. 25,46). Hier deutet sich zum ersten Mal eine Systematisierung der Geisterwelt mit einem höllischen Gegenreich an, wobei interessanterweise nicht die Dämonen das Gegenstück zu den himmlischen Engeln bilden, sondern eben die Teufelsengel.36 – Bei seiner Verhaftung wehrt Jesus den gewaltsamen Widerstand des Petrus mit dem Wort ab, dass er, wenn er gewollt hätte, von seinem Vater »mehr als zwölf Legionen Engel«, also die himmlischen Heerscharen, hätte erbitten können (Mt 26,53). Möglicherweise ist das eine Erinnerung an den Engelsdienst von Mt 4,11; in jedem Fall wird hier 35 Vgl. das Wort des zu Gericht sitzenden Menschensohnes in Mt 25,40.45, wenn er sein Urteil mit den Worten begründet: »Was ihr getan habt/nicht getan habt einem von diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan/nicht getan.« 36 In ähnlicher Weise spricht Apk 12,7–9 vom Drachen und seinen Engeln, den Michael mit seinen Scharen im Kampf aus dem Himmel geworfen hat.

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ein Motiv der Erhöhungschristologie, dass Christus der Herr über die Mächte ist,37 nun schon auf den Irdischen übertragen, um die Passion als einen bewussten Weg des Machtverzichtes zu deuten.

3. Die Engel in den Ostererzählungen Der Durchgang hat gezeigt, wie Jesu Botschaft in der Wiedergabe durch die Evangelisten zunehmend mit Elementen frühjüdischer Engelfrömmigkeit angereichert wird. Das beschränkt sich aber nicht nur auf die Worte Jesu. Noch wichtiger ist, dass in den Rahmenhandlungen der Evangelien nun auch verstärkt Engel auftreten. Schwerpunkt ihres Auftretens sind in allen vier Evangelien die Auferstehungserzählungen. Im ältesten Evangelium, bei Markus, beschränkt sich das auf eine einzige Szene ganz am Schluss. Als die Frauen am Ostermorgen kommen, um den Leichnam Jesu zu salben, sehen sie im Grab einen »Jüngling« mit einem weißen Gewand, der ihnen die Auferstehung verkündigt (Mk 16,5– 7). Diese Erscheinung wird nicht einmal Engel genannt. Das leuchtende Gewand, der Schrecken der Frauen, der zur Theophanie gehörende Zuspruch, sich nicht zu entsetzen, das Wissen um die Auferstehung sowie der Auftrag, den der »Jüngling« den Frauen gibt, lassen allerdings keinen Zweifel daran, dass es sich um die Erscheinung eines himmlischen Boten handelt. Bezeichnend ist, dass der Himmelsbote nicht etwa österliche Freude auslöst, sondern Entsetzen. Die Frauen, die sich als Einzige selbst von den Schrecken der Kreuzigung nicht davon abbringen ließen, Jesus die Treue zu halten, gehorchen dem Auftrag des Engels nicht, sondern laufen in Furcht davon. Dieser Schrecken begleitet auch die Engelserscheinungen in den anderen Evangelien und ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich bei den Engeln nicht um putzige Putten handelt, die einer schrecklichen Geschichte zuletzt doch noch ein österliches Happy End verpassen. Vielmehr zeigen sie als Gottesboten den Einbruch von Gottes Macht in eine vom Tod bestimmte Welt an, welcher diejenigen, die damit konfrontiert werden, in ihren Grundfesten erschüttert. Auch Lukas erzählt von dieser Engelserscheinung vor den Frauen. Er hat sie allerdings etwas gesteigert: Nun begegnen den Frauen statt einer Gestalt deren zwei (vgl. auch Joh 20,12), und das Gewand dieser Gestalten ist »blitzend« (Lk 24,4).38 Der auctor ad Theophilum weiß aber noch von 37 In einigen Texten wird diese Herrschaft Christi auch explizit auf die Engel bezogen (1. Petr 3,22; Hebr 1,4; 2,5–8). 38 Diese Gestalten werden ebenfalls zunächst auch nur »Männer« genannt (Lk 24,4), freilich dann beim Gang nach Emmaus durch den einen Jünger als Engel identifiziert (Lk 24,23).

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einer zweiten Engelserscheinung im Kontext der Auferstehungsberichte zu berichten, nämlich bei seiner Himmelfahrtserzählung, freilich noch nicht in seinem Evangelium, sondern in deren Doublette in der Apostelgeschichte: Während im Evangelium nur Jesus zu den Jüngern spricht und diese nach seiner Entrückung dann voller Freude nach Jerusalem zurückkehren, erscheinen den Aposteln in der Apostelgeschichte dann noch einmal zwei Männer in weißen Kleidern,39 welche den nach oben starrenden Jüngern die Auferstehung deuten und die Wiederkunft Jesu verheißen (Apg 1,10f.). Das deutet schon an, dass der zur Rechten Gottes erhöhte Jesus bis zu dieser Wiederkunft durch andere Gestalten in seiner Gemeinde repräsentiert wird, nämlich in erster Linie durch den Geist, dann aber auch – bisweilen auch in Zusammenarbeit mit ihm – durch Engel (s. u.). Sind der bzw. die Engel bei Markus und Lukas bei der Auferstehung strikt auf ihre Funktion als Boten beschränkt, so gestaltet Matthäus diese kargen Erzählungen in Mt 28,1–8 zu einer dramatischen Theophanie um, in welcher der »Engel des Herrn« die zentrale Rolle spielt: Begleitet von einem großen Erdbeben, kommt dieser zunächst vom Himmel herab und wälzt den Stein vom Grab weg, um sich dann auf diesen zu setzen (Mt 28,2). Vor seinem überirdischen Glanz (»wie ein Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee«) entsetzen sich die Wachen und werden wie tot (Mt 28,3f.). Dagegen nehmen die Frauen, anders als bei Markus, die Botschaft des Engels mit Freude auf und sagen diese den Jüngern weiter (Mt 28,5– 8). Die Vergegenwärtigung der Gegenwart Gottes durch den Engel hat also bei Matthäus eine doppelte Wirkung, je nachdem, auf wen sie trifft: Während die bewaffneten Handlanger der irdischen Macht beim Erscheinen des Engels zusammenbrechen, werden die frommen Frauen mit Freude erfüllt. Die Engelserscheinung vor den Frauen an Ostern war offensichtlich so fest mit den Auferstehungserzählungen verbunden, dass auch das Johannesevangelium von der Erscheinung zweier Engel vor Maria Magdalena berichtet, welche die zum Grab Kommende fragen, warum sie weint (Joh 20,12f.). Die beiden spielen allerdings im Fortgang der Geschichte keine Rolle mehr, weil nun Jesus selbst der Jüngerin erscheint und mit ihr spricht. Das Johannesevangelium ist für unsere Fragestellung auch deswegen interessant, weil es sich sonst dem Trend immer häufigerer Engelserscheinungen widersetzt und die Engel kaum erwähnt. Bis auf eine Stelle in Joh 1,51, die in einem Menschensohnwort auf die Jakobsleiter anspielt, sind die Engel im Evangelium sonst ohne Bedeutung. 40 Das erklärt sich vermut39

Unklar ist, ob es sich um dieselben Boten handelt wie in Lk 24,4–7. Die Notiz in Joh 5,4, wonach der Teich Bethesda dadurch wundertätig wird, dass ein Engel das Wasser bewegt, ist textkritisch sekundär. Sonst wird nur noch einmal in Joh 12,29 ein Engel erwähnt, als ein Teil des Volkes die Himmelsstimme für die Stimme eines Engels hält, der mit Jesus redet. 40

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lich damit, dass die in diesem Evangelium ganz besonders betonte Einheit Jesu mit Gott für Mittlergestalten eigentlich keinen sinnvollen Ort mehr lässt. Dass der Evangelist aber dennoch bei seiner Wiedergabe der Ostererzählungen von der Erscheinung zweier Engel am Grab berichtet, obgleich diese im Fortgang der Erzählung keine Rolle mehr spielen, unterstreicht noch einmal, dass die Erscheinung eines oder zweier Engel zum festen Bestand der Ostertradition gehören. Als Manifestationen der göttlichen Wirklichkeit signalisieren sie durch ihr Erscheinen, dass das vergangene Leben dieses Jesus von Nazareth nicht mit dem Tod gescheitert ist, sondern dass Gott mit ihm verbunden bleibt und dass deshalb auch die Geschichte Jesu mit den Nachfolgenden weitergeht.

4. Die Engel in den Vorgeschichten Dass dieses Leben Jesu nicht nur über den Tod hinaus mit Gott verbunden bleibt, sondern auch in einzigartiger Weise von diesem herkommt, wird von allen Evangelisten betont (vgl. Johannesprolog). Narrativ entfaltet wird das aber nur von Lukas und Matthäus in ihren Vorgeschichten, die wir aus dem Weihnachtsevangelium kennen, wobei neben dem Heiligen Geist den Engeln eine entscheidende Rolle zukommt, die dort jeweils sogar dreimal (bei Matthäus eventuell viermal) auftreten. Bei Lukas wird dabei auch erstmals ein Engel mit Namen genannt. Zunächst erscheint dem hochbetagten Priester Zacharias der »Engel des Herrn«, um ihm die Geburt eines Sohnes anzukündigen, die des späteren Johannes des Täufers. Dieser »Engel des Herrn« ist, wie gesehen, schon im Alten Testament der Repräsentant von Gottes heilbringender Gegenwart, und in diesem Sinn begegnet er auch hier.41 Als der Priester die Botschaft des Himmelsboten anzweifelt, macht dieser mit einem »Ich bin Gabriel, der vor Gott steht« deutlich, dass er als Gesandter unmittelbar von Gott herkommt, und untermauert seine Vollmacht auch gleich damit, dass er den Zweifler bis zum Eintreffen des Verheißenen verstummen lässt (Lk 1,19 f.). Sechs Monate später erscheint dann derselbe Gabriel (der nur an diesen beiden Stellen im Neuen Testament mit Namen genannt wird) der Maria, um ihr die noch wunderbarere jungfräuliche Geburt Jesu anzukündigen (Lk 1,26–38). Dass hier gerade der Engel mit Namen Gabriel (»Kraft Gottes«) auftritt, bringt zum Ausdruck, was der Engel dann auch im Zusammenhang seiner Ankündigungen sagt: Bei Gott ist kein Ding unmöglich (Lk 1,37). Der »Engel des Herrn« erscheint dann bei Lukas zum dritten Mal in der 41 Auch wenn im Griechischen kein Artikel steht, wird er hier – mit der Lutherübersetzung und gegen die Einheitsübersetzung – mit einem Artikel wiedergegeben, denn der ἄγγελος κυρίου verweist auf ebendiesen Engel des Herrn im Alten Testament zurück.

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eigentlichen ›Weihnachtsgeschichte‹, um den Hirten die Geburt des Heilands zu verkündigen (Lk 2,9–12). Unmittelbar darauf hört man die Menge der himmlischen Heerscharen Gott loben (Lk 2,13) – nun macht die Präsenz des gesamten »himmlischen Heeres« deutlich, dass in der Geburt dieses Kindes die Grenze zwischen der himmlischen Welt und den »Menschen des [göttlichen] Wohlgefallens« durchlässig wird. Bei Matthäus erscheint der »Engel des Herrn« dreimal dem Joseph im Traum. Das erste Mal hält er ihn davon ab, sich von Maria wegen ihrer Schwangerschaft zu trennen (Mt 1,20), das zweite Mal bewegt er ihn zur Flucht vor Herodes (Mt 2,13), und das dritte Mal fordert er ihn nach dem Tod des Herodes auf, wieder »ins Land Israel« zurückzukehren (Mt 2,19 f.). Da alle drei Engelserscheinungen im Traum erfolgen, geht vielleicht die im Traum geschehende und mit einem passivum divinum ausgedrückte Anweisung an die drei Weisen, nicht mehr zu Herodes zurückzukehren, ebenfalls auf einen Engel zurück; explizit gesagt wird das allerdings nicht. Zu den Vorgeschichten im weiteren Sinn gehört auch die Versuchung Jesu, die im ältesten Evangelium noch in dessen Prolog steht. In einer kurzen Notiz wird dort erwähnt, dass die Engel, nachdem der Gottessohn die Versuchung durch den Teufel bestanden hatte, kommen und ihm dienen (Mk 1,13 par. Mt 4,11). Der Sinn dieser rätselhaften Notiz besteht vermutlich in der Anspielung auf das Paradies, in dem nach einigen frühjüdischen Texten die Engel den ersten Menschen vor dem ›Sündenfall‹ dienten.42 Der knappe Hinweis auf das Mythem des Engelsdienstes im Prolog des Markusevangeliums hat also Verweischarakter. Er soll deutlich machen, dass das Bestehen der Versuchung durch den, den Gott zuvor als seinen »geliebten Sohn« geoffenbart hat, die Wiederkehr des ursprünglichen Heilszustandes einläutet.43 So unterstreicht der Dienst der Engel die einzigartige Bedeutung dessen, der im folgenden Evangelium im Mittelpunkt steht, weil er nicht nur ein göttlicher Bote ist, sondern der Sohn Gottes. Damit wird das schon bei der Passionsgeschichte Festgestellte weiter bestätigt: In den Geburtsgeschichten der synoptischen Seitenreferenten tritt der »Engel des Herrn« als göttlicher Bote auf, um die Gegenwart Gottes im Leben Jesu bereits an dessen Beginn zu betonen. Dabei wird bei Matthäus mehr die direkte Bewahrung und Leitung herausgestellt. Lukas, der den Engel des Herrn mit Gabriel identifiziert, lässt ihn für ausgewählte Menschen das Handeln Gottes an ihnen bzw. für sie deuten. Sowohl am Ende wie am Anfang des Lebens Jesu signalisiert also das Auftreten der Engel, dass hier mehr erzählt wird als nur die Geschichte eines Menschen: Es geht 42

Vgl. J. J EREMIAS, Art. Αδαµ, ThWNT 1, Stuttgart 1933, 141–143, hier 141; vgl. R. PESCH, Das Markusevangelium, 1. Teil (HThK II,1), Freiburg i. Br. u. a. 1976, 95. 43 Jesus tritt dann auch gleich im nächsten Vers auf und verkündigt den Anbruch des Reiches Gottes als Evangelium.

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hier um eine Geschichte, in die der ›Herr der Heerscharen‹ selbst einbezogen ist.

5. Die Engel in der Apostelgeschichte Auch in der Apostelgeschichte finden sich häufiger Engel. Wie erwähnt, treten sie schon bei der Himmelfahrt auf, um den Jüngern das Geschehen zu deuten (Apg 1,10f.). Im Fortgang ist es neben dem Heiligen Geist der Engel des Herrn, welcher nach Jesu Weggang die göttliche Gegenwart bei der Gemeinde verkörpert. Er greift nun nicht mehr nur deutend ein wie in den Vorgeschichten des Evangeliums, sondern bewahrend oder lenkend. Erstmals geschieht das in Apg 5,19, wo er die inhaftierten Apostel aus dem Gefängnis befreit; das Gleiche wiederholt sich dann alleine bei Petrus, als Herodes (Agrippa) ihn gefangennehmen lässt (Apg 12,7–11). Im Gegenzug kann der »Engel des Herrn« auch strafend gegen einen Feind der christlichen Gemeinden vorgehen: In Apg 12,23 wird berichtet, wie er den sich überhebenden König Herodes so schlägt, dass er stirbt. Eine weisende Funktion nimmt der »Engel des Herrn« in Apg 8,26 ein, wo er dem Philippus befiehlt, sich auf die Straße von Jerusalem nach Gaza zu begeben, auf der er den Eunuchen trifft. Dies ist die erste Taufe eines Heiden, und bemerkenswert ist hier, dass die leitende Rolle des Engels im Fortgang der Erzählung bruchlos vom Geist übernommen wird (Apg 8,29.39). Ein vergleichbares Zusammenspiel von Engel und Geist zeigt sich bei der Bekehrung des Hauptmanns Kornelius, die das, was mit der Taufe des Eunuchen begann, nun gleichsam durch die Beteiligung des ›Erzapostels‹ Petrus44 offiziell werden lässt: Dem römischen Militär Kornelius erscheint der »Engel des Herrn« und befiehlt ihm, nach Petrus zu schicken (Apg 10,3; vgl. 10,7.22; 11,13), der seinerseits durch den Geist die korrespondierenden Anweisungen erhält (Apg 10,19). Bei dem entscheidenden Punkt der frühchristlichen Geschichte, der Ausweitung der Heilsverkündigung auch auf die Heiden, stellt also jeweils der »Engel des Herrn« in Übereinstimmung mit dem Wirken des Geistes die Weichen. Eine weitere Besonderheit im Blick auf die Engel findet sich in der Stephanusrede: Dort, wo im Alten Testament in Ex 3 von einer Erscheinung Gottes vor Mose im Dornbusch die Rede ist, wird nun von der Erscheinung eines Engels gesprochen (Apg 7,30.35), während Gott selbst 44 Petrus ist nicht nur im Evangelium Jesu markantestes Gegenüber, sondern er wird am Ende von Jesus auch beauftragt, nach Ostern seine Geschwister zu stärken (Lk 22,31 f.). Petrus ist es dann auch, der im ersten Teil der Apostelgeschichte zumeist die Initiative ergreift und handelt, entscheidet, spricht (vgl. Apg 1,15; 2,14; 3,6.12; 4,8; 5,3.8 f.29; 9,32).

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nur noch spricht (Apg 7,31–34). Vergleichbares findet sich dann noch einmal in Apg 7,38 im Blick auf die Gesetzgebung am Sinai und in 7,53, wo die Engel im Plural genannt werden. Hier ist sehr schön zu sehen, wie der Anthropomorphismus des frühen Alten Testaments mit Hilfe der Angelologie mit der Transzendenz Gottes (vgl. Apg 7,48–50) in Übereinstimmung gebracht wird. Engel spielen also in der Apostelgeschichte eine nicht ganz unwichtige Rolle. Schaut man allerdings auf die Verteilung der Engelserscheinungen innerhalb der ganzen Schrift, so fällt auf, dass die Engel praktisch nur im ersten Teil auftreten, dagegen im zweiten Teil, der den Reisen des Paulus gewidmet ist, kaum mehr.45 Die Vermutung liegt nahe, dass sie bereits in der von Lukas rezipierten Paulusüberlieferung keine Rolle gespielt haben, und dies mag wiederum damit zusammenhängen, dass der Apostel selbst zu Engeln ein eher sprödes Verhältnis hatte, wie seine Briefe zeigen.

6. Paulus Wie vermutlich auch für Jesus steht für den Apostel die Existenz von Engeln als himmlischen Wesen außer Frage. 46 Er kennt sogar einen Erzengel (1. Thess 4,16) und setzt eine eigene Sprache der Engel voraus (1. Kor 13,1), vermutlich die Glossolalie,47 aber Engel spielen bei ihm keine eigenständige Rolle. Wo er allerdings auf sie Bezug nimmt, da eignet ihnen ein auffällig ambivalenter Charakter.48 Das zeigt sich schon daran, dass für Paulus ein Engel nicht eo ipso etwas Gutes sein muss: So spielt er in seiner ›Narrenrede‹ auf den Mythos an, dass sich der Satan in einen Engel des Lichtes verkleidet hat (2. Kor 11,14), und er schreibt in derselben Rede sein Leiden dem Wirken eines Satansengels zu (2. Kor 12,7). Dagegen hat er zuvor, als er von seiner Entrückung ins dritte Paradies sprach (2. Kor 12,1–5), die eigentlich dort zu erwartenden himmlischen Heerscharen mit keinem Wort erwähnt. Teilt Paulus die Meinung, dass es 45 Bei den Berichten über die Reisen des Apostels findet sich nur einmal ein Verweis auf einen Engel, als Paulus seine Gefährten im Seesturm damit tröstet, dass ihm in der Nacht von einem Engel mitgeteilt wurde, dass er vor den Kaiser gestellt werden wird und dass daher das Schiff den Sturm überstehen wird (Apg 27,23). Ansonsten kommt nach Apg 10 kein Engel mehr vor. 46 Vgl. Röm 8,38; 1. Kor 4,9; 11,10; 13,1. 47 Vgl. C. W OLFF, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 7), Leipzig 2 2000, 313. 48 Vgl. O. E VERLING, Die paulinische Angelologie und Dämonologie. Ein biblischtheologischer Versuch, Göttingen 1888, 118. Schon Everling hatte festgestellt: »Dem Apostel des scharfen, principiellen ›Entweder-oder‹ zerfallen die Engel nicht in entweder böse oder gute, entweder sündige oder absolut sündlose Geister«.

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gefallene Engel gibt, mit einem Gutteil der frühjüdischen Tradition, so fällt doch auf, dass Paulus die Engel auch dort, wo sie zu Gottes himmlischer Welt gehören, relativ weit von Gott abrückt: – Im spannungsgeladenen Auftakt des Galaterbriefes sagt Paulus unter anderem in Gal 1,8, dass für den Fall, dass ein »Engel vom Himmel« ein anderes Evangelium verkündigen würde als er, dieser verflucht sein soll. Das hypothetische Erwägen einer solchen Möglichkeit ist natürlich Rhetorik – Paulus zieht das ebenso wenig als ernsthafte Möglichkeit in Betracht wie den anderen Fall, dass er selbst das Evangelium verfälscht. Aber allein die Tatsache, dass Paulus die Möglichkeit erwägen kann, dass selbst ein solch guter Engel, ebenso wie Paulus selbst, der Fehlerhaftigkeit verfallen könnte, und Paulus diesen dann hypothetisch verflucht, besagt schon einiges.49 Man mache sich nur einmal klar, wie undenkbar es für Paulus wäre, im Blick auf Gott, auf Christus oder den Geist von deren falscher Verkündigung zu sprechen und diese dann auch noch zu verfluchen! – Eine vergleichbare Degradierung von Engeln findet sich zwei Kapitel später: In Gal 3,19 sagt Paulus, dass das Gesetz von Engeln übermittelt wurde. Das steht im Gegensatz zur Verheißung an Abraham, die direkt von Gott kommt (Gal 3,18). Die Vermittlung durch die Engel begründet also die Inferiorität des mosaischen Gesetzes gegenüber der Verheißung. Während in den Evangelien das, was die Engel sagen, unmittelbar von Gott stammt, signalisiert für Paulus die Vermittlung durch Engel gerade eine Distanz zu Gott selbst und impliziert damit auch die deutlich geringere theologische Dignität des von Mittlerwesen Vermittelten. – In 1. Kor 4,9 gehören die Engel, zusammen mit dem Kosmos und den Menschen, zu denen, vor denen die Apostel ein Schauspiel geworden sind. Sie stehen also dem, was die Apostel im Auftrag Gottes tun, in merkwürdiger Distanz, wenn nicht gar in Gegnerschaft gegenüber, wie die Parallelisierung mit dem Kosmos und den Menschen vermuten lässt. Dass es sich bei diesen Engeln um »widergöttliche Mächte« handelt,50 wird zumindest nicht gesagt.51 Doch auch wenn dem so wäre, fällt doch auf, dass Paulus derart negativ von Engeln reden kann, ohne sich genö49 Vgl. auch D. A. KUREK-CHOMYCZ/R. B IERINGER, Guardians of the Old at the Dawn of the New. The Role of Angels according to the Pauline Letters, in: R EITERER et al. (Hg.), Angels (Anm. 6), 325–355, hier 339. 50 So W OLFF, Korinther (Anm. 47), 87; ähnlich W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther, 1. Teilband: 1Kor 1,1–6,11 (EKK VII/1), Zürich/Neukirchen-Vluyn 1991, 342 Anm. 171: »Die Engelmächte repräsentieren aber wie in 1Kor 6,3 und 11,10 kaum die göttliche Welt, sondern sind dem κόσµος zuzurechnen«. 51 Zurückhaltender ist daher D. ZELLER, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen 2010, 184.

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tigt zu sehen, diese durch ein Adjektiv explizit als böse qualifizieren zu müssen. – Wenn es dann in 1. Kor 6,3 heißt, dass die Engel von den Glaubenden gerichtet werden, dann setzt das voraus, dass es bei den Engeln etwas zu richten gibt. Zumeist wird diese Aussage auf die gefallenen Engel gedeutet,52 aber abgesehen davon, dass hier nicht gesagt wird, dass es sich um diese Engel handelt, sind die Teilnehmer am Engelfall ja eigentlich schon von Gott gerichtet.53 – Auch die Aussage in 1. Kor 11,10, dass die Frauen ihren Kopf »wegen der Engel« bedecken sollten, rückt – wenn es sich auf die Gefährdung durch lüsterne Engel bezieht54 – Engel erneut ins Zwielicht. – Die große Distanz, ja Spannung zwischen der von Christus bestimmten neuen Wirklichkeit und den Engeln spiegelt sich auch in der merkwürdigen Aussage von Röm 8,38, dass uns »weder Engel noch Mächte noch Gewalten« von der Liebe Gottes zu scheiden vermögen. Das stellt die Engel wiederum in eine Ecke mit anderen Mächten, die »den Erwählten irgendwie gefährlich werden könnten«. 55 Sie werden hier zu Teilen des »von Gott gelöste[n] Universum[s]«, 56 deren Aktivität sich gegen die Gottesbeziehung der Glaubenden (und damit indirekt auch gegen Gott selbst) richtet. Aufs Ganze gesehen fällt auf, dass sich bei Paulus keine einzige uneingeschränkt positive Aussage über die Engel findet! Man hat den Eindruck, dass Paulus mit ihnen nicht allzu viel anfangen kann, weil sie für ihn in den Bereich nicht unproblematischer Zwischenwesen gehören. Erstaunlich häufig sind sie negativ konnotiert, für den Glauben haben sie keine erkennbar positive Bedeutung. Dieser überraschende Befund ist wohl am ehesten so zu deuten, dass für den Apostel der Zugang zu Gott unmittelbar durch Christus eröffnet wird. In ihm als dem Sohn kommt Gott als liebender Vater nahe (vor allem Gal 4,6f.; Röm 8,14–17). Dafür braucht es keine Engel – so wie übrigens für den Apostel auch die im Zusammenhang mit der Übermittlung des Gesetzes durch die Engel nur hier verwendete, später 52

So W OLFF, Korinther (Anm. 47), 115; ZELLER, Korinther (Anm. 51), 213 Anm. 101. So urteilt denn auch SCHRAGE, Korinther (Anm. 50), 411 zurückhaltender, wenn auch etwas ratlos: »An welche Engel Paulus denkt, läßt sich nicht genauer sagen, vor allem wohl an böse Engelmächte. Ist sonst von einem Gericht an Engeln die Rede, dann durch Gott und nicht unter menschlicher oder christlicher Mitwirkung«. 54 Erwogen von ZELLER, Korinther (Anm. 51), 359 f. und anderen. Die alternative Deutung dieser rätselhaften Notiz wäre, dass die Engel Hüter der Ordnung sind (bevorzugt von W OLFF, Korinther [Anm. 47], 254). 55 D. ZELLER, Der Brief an die Römer (RNT), Regensburg 1985, 168. 56 E. KÄSEMANN, An die Römer (HNT 8a), Tübingen 41980, 243; ähnlich U. W ILCKENS, Der Brief an die Römer, 2. Teilband: Röm 6–11 (EKK VI/2), Neukirchen-Vluyn 2 1987, 177; E. LOHSE, Der Brief an die Römer (KEK 4 15), Göttingen 12003, 260. 53

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in der Christologie so prominente Kategorie des Mittlers (Gal 3,19f.) ebenfalls negativ konnotiert ist und der Gottunmittelbarkeit in Christus entgegengesetzt wird.57 Während also die Engel, vor allem der »Engel des Herrn«, in den Evangelien des Neuen Testaments zumeist ein Teil der himmlischen Welt sind und so die heilvolle Gegenwart Gottes verkörpern, gehören für Paulus die Engel in den Bereich der Geschöpfe. Als solche haben sie auch an den Ambivalenzen der Geschöpflichkeit teil: Sie können gefallene Engel sein, und selbst wenn sie noch zum Himmel gehören, garantiert dies noch nicht, dass sie eindeutig auf Gottes Seite stehen! »[T]here is no clear distinction into good and bad angels, their ›character‹ depends on the task assigned to them.«58 Ob der Apostel damit indirekt gegen eine religiöse Überschätzung der Engel argumentiert wie vermutlich einer seiner Schüler,59 ist unsicher und eher fraglich.

7. Der Hebräerbrief Relativ häufig spricht der Hebräerbrief von den Engeln, vor allem in den ersten beiden Kapiteln. Das bezieht sich hauptsächlich auf die Engel als den himmlischen Hofstaat (vgl. 12,22), um ihnen gegenüber immer wieder die Überlegenheit des »Sohnes« zu betonen (1,4–7.13; 2,5–9). Jesu Menschwerdung bestand darin, dass er für kurze Zeit niedriger war als die Engel (2,16). Die Engel bilden hier also nur eine Art Kontrastfolie, auf der die Einzigartigkeit Christi profiliert wird. Auch hier ist nicht zu erkennen, ob die dezidierte und massive Überbietung der Engel gleich in den ersten beiden Kapiteln sich auch gegen eine religiöse Überschätzung etwa in Gestalt eines Engelskultes richten. Eine eigenständige theologische Dignität scheint Engeln jedenfalls auch in diesem Brief nicht zuzukommen. Vielmehr sind sie nach Hebr 1,14 gesandt zum Dienst an denen, die das Heil erben sollen, sind also auch den Glaubenden untergeordnet.

8. Die katholischen Briefe Im 1. Petrusbrief werden die Engel zweimal genannt. Im einleitenden Teil des Schreibens macht der Autor seinen bedrängten Adressaten die Einzigartigkeit ihrer Erwählung und des daraus resultierenden Status der Wieder57

Vgl. Gal 3,19 f. mit Gal 3,26. KUREK-CHOMYCZ/B IERINGER, Guardians (Anm. 49), 330. 59 Kol 2,18 scheint vor einem Engelskult zu warnen. Das ist allerdings umstritten. Die Entscheidung hängt davon ab, ob man bei der θρησκεία ἀγγέλων das ἀγγέλων als Genitivus objectivus versteht, was mir einleuchtend scheint. 58

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geburt klar, indem er hervorhebt, dass nicht nur die weissagenden Propheten, sondern sogar die Engel das, was den Christen nun verkündigt wird, zu schauen begehren (1. Petr 1,12). Das zweite Mal kommen die Engel in einem Bekenntnisfragment vor, das die Erhöhung Christi zur Rechten Gottes zum Inhalt hat (1. Petr 3,22). Diese Erhöhung in den Himmel impliziert, wie durch den damit parallelisierten Genitivus absolutus präzisiert wird, die Unterordnung »der Engel und Mächte und Gewalten«. Es ist nicht nötig, in diesen Mächten etwas Negatives zu sehen; bemerkenswert bleibt dennoch, dass bei den Engeln nicht ihre Verbundenheit mit dem Erhöhten betont wird wie in den synoptischen Jesusworten (vgl. Mk 8,38; 13,27; Mt 13,41; 16,27; 24,31; 25,31; Lk 9,26; 12,8f.), sondern ihre Unterwerfung. Ähnlich wie im Hebräerbrief fungieren also auch im 1. Petrusbrief die Engel ausschließlich als Kontrastfolie für die Christologie und die Ekklesiologie. Der Judasbrief betont das Gericht über Christen, die aus seiner Sicht die Gnade Gottes missbrauchen, mit einer Auflistung der göttlichen Gerichtstaten, unter denen auch die Verwerfung der aufständischen Engel ist (Jud 6). Eine ähnliche Funktion hat der Verweis auf das Gericht über die sündigen Engel in 2. Petr 2,4. Als Kontrastfolie zu den Ungerechten verweist dasselbe Schreiben in 2. Petr 2,11 auf die Engel, die es trotz ihrer größeren Macht nicht wagten, beim Herrn gegen sie60 ein lästerndes Urteil zu fällen. Schon die paulinische Andeutung vom Teufel, der sich in einen Engel des Lichtes verkleidet, oder die Rede von den Teufelsengeln im Matthäusevangelium hatten deutlich gemacht, dass die Engel genannten Geistwesen keineswegs eo ipso gut sein müssen. In diesen beiden verhältnismäßig späten Briefen wird nun unter Bezugnahme auf die frühjüdische Tradition des Engelfalls deutlich gemacht, dass auch gute Engel sich in widergöttliche Mächte verwandeln können und deshalb dann gerichtet werden.

9. Die Johannesoffenbarung Die Vorstellung von Engeln, die als Agenten des Bösen fungieren, findet sich auch in dem Buch, in dem allein sich fast die Hälfte aller neutestamentlichen Erwähnungen von Engeln findet, in der Johannesoffenbarung: Da gibt es einen »Engel des Abgrundes« (9,11) oder die Engel als Begleiter des Drachens (12,7.9). Zumeist aber sind die Engel dort nicht böse, sondern gehören auf die Seite Gottes und zu seinem Hofstaat (vgl. 5,11; 7,11). Dabei haben sie aber sehr unterschiedliche Funktionen:

60 Wer mit dieser rätselhaften Notiz gemeint ist, ist nicht klar: Sind es die Ungerechten oder die gefallenen Engel?

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– Gleich im ersten Vers erscheint ein Engel als derjenige, der dem Seher die von Gott durch Christus vermittelte Offenbarung mitteilt (1,1). Solch ein angelus interpres (»bezeugender und deutender Engel«) kommt im Buch später noch mehrmals vor (17,7; 22,6.8.16; vgl. auch 10,1–11). Eine verwandte Rolle spielen wohl auch der Engel, der mit seiner Frage, wer die Rolle mit den sieben Siegeln öffnen kann (5,2), den zweiten Teil der Doppelvision in Kap. 4f. einleitet, sowie die drei Botschafterengel in 14,6–13. – Ein Sonderfall sind die Gemeindeengel, denen der Seher in seinen sieben Sendschreiben die Botschaft Christi übermittelt (1,20; 2,1–3,14). Diese lehnen sich vermutlich an die frühjüdische Vorstellung der Völkerengel an,61 welche die Stellvertreter einer Gemeinschaft im Himmel sind. Warum der Seher seine Botschaft den Engeln der Gemeinden und nicht den Gemeinden direkt mitteilt, ist umstritten: Vielleicht will er damit die irdischen Amtsträger umgehen,62 vielleicht nimmt er auf bestehende Engelverehrungen Bezug und bindet sie korrigierend ein, indem er sie der Macht Christi unterordnet.63 – Bereits aus den Evangelien vertraut sind die Engel als Helfer im endzeitlichen Geschehen. Dabei können sie heilsame Funktionen ausüben, indem etwa ein Engel die Gebete der Heiligen auf dem goldenen Altar vor Gottes Thron darbringt (8,2–4) oder wenn Michael mit seinen Engeln gegen den Drachen und dessen Engel kämpft, um Letztere aus dem Himmel zu werfen (12,7–9). Zumeist jedoch exekutieren sie das Gericht. Dabei spielen sie vor allem in den Visionszyklen eine herausragende Rolle (7,1f.), indem sie etwa bei dem zweiten Zyklus die Posaunen blasen (8,6–11,19) oder beim dritten die Schalen des Zorns ausgießen und damit die Plagen über die Erde bringen (15,1.5–8). Es werden dann aber noch weitere Engel als strafende Mächte tätig, etwa die vier Engel, die am Euphrat festgebunden waren und ein Drittel der Menschheit töten (9,14f.), der Engel mit dem Buch, der das Ende der Zeit verkündigt (10,1–11), die Engel der blutigen Ernte und Weinlese (14,14–20) oder der starke Engel, der den Mühlstein ins Meer wirft als Zeichen für den Untergang Roms (18,21). Gerade die Johannesoffenbarung zeigt noch einmal, wie vielfältig die Engelsvorstellungen sind. Es gibt nicht nur gute, sondern auch böse Engel, und auch die Aufgabe der ›guten‹ Engel ist in dieser einzigen Schrift eines urchristlichen Propheten, die uns erhalten ist, zumeist eine zerstörerische: Die Engel exekutieren Gottes Strafgericht und können zu diesem Zweck 61 62

Vgl. Dan 10,13.20 f.; Sir 17,17; Jub 15,31 f.; 1. Hen 89,59 ff. Vgl. U. B. MÜLLER, Die Offenbarung des Johannes (ÖTBK 19), Gütersloh 21995,

88 f. 63

Vgl. J. ROLOFF, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT), Zürich 1984, 46.

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auch quälen und töten.64 Auch wenn dies letztlich der Durchsetzung von Gottes heilbringender Herrschaft dient, so werden doch die Engel hier nicht primär als bewahrende, sondern als vernichtende Mächte aktiv. Sie übernehmen die Zerstörung der alten Schöpfung, um so die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass Gott am Ende »alles neu« machen kann (21,5).

10. Zusammenfassung Im Allgemeinen nimmt man an, dass sich die Ambivalenz von Geistwesen in der Bibel dahin gehend niederschlägt, dass die bösen Geister Dämonen heißen, die guten dagegen Engel. Der Durchgang durch die Bibel hat jedoch gezeigt, dass die Sachlage weit komplizierter – und damit auch aufregender – ist. Zwar sind die Dämonen immer böse, aber die Engel sind keineswegs immer gut. Im Blick auf ihre Vorgeschichte im Alten Testament und im Antiken Judentum hat sich Folgendes ergeben: – Häufig bilden Engel einfach den himmlischen Hofstaat, ohne dass sonst noch etwas zu ihren Aufgaben oder ihren Tätigkeiten gesagt würde. Vermutlich sind sie der Überrest des alten Götterpantheons um den ›Herrn der Heerscharen‹. – In späterer Zeit aber gewinnen diese depotenzierten Götter wieder an Bedeutung, wenn angesichts einer zunehmenden Transzendierung Gottes, zumal in Verbindung mit einem immer strikteren Monotheismus, das Bedürfnis nach Mittlergestalten wächst. Das verbindet die biblischjüdische Tradition mit der paganen, von der sie auch Vorstellungen von Zwischen- und Mittlerwesen übernimmt. – Die Zuordnung zum biblischen Monotheismus bedeutet, dass Engel im Allgemeinen keine Eigenständigkeit aufweisen, sondern nur einen bestimmten Auftrag ausführen und dann wieder verschwinden. Dabei verkörpert der »Engel des Herrn« in besonderer Weise Gottes rettende Gegenwart. Im Neuen Testament sind dann das Bild, die Bedeutung und die Bewertung der Engel erstaunlich uneinheitlich: – Spielen Engel in der Verkündigung Jesu keine nennenswerte Rolle, so gewinnen sie eine zunehmend wichtige Bedeutung in den Rahmenhandlungen der Evangelien. In den Auferstehungserzählungen machen sie deutlich, dass Jesu Leben auch noch über den Tod hinaus mit Gott 64 Manche haben von vornherein Affinitäten zur Zerstörung wie die vier an den Euphrat gebundenen Engel in Apk 9,14 f.

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verbunden bleibt. Die von Engeln angekündigte und begleitete wunderbare Geburt und der auf das Bestehen der Versuchung folgende Engelsdienst machen deutlich, dass dieses Leben von Anfang an aus der Verbundenheit mit Gott kommt. – Eine weitere wichtige Funktion von Engeln im Neuen Testament ist die der Handlanger Gottes bzw. des Menschensohnes in der Endzeit, und zwar vor allem im Matthäusevangelium und in der Johannesoffenbarung, sodass sie dabei das Gericht exekutieren. So haben auch die ›guten‹ Engel eine nicht unbeträchtliche Affinität zum Zerstörerischen. Etwas provokativ gesagt: Die biblischen Engel sind nicht selten die Henkersknechte. – Wo Engel in der biblischen Überlieferung mehr sind als unmittelbare Agenten Gottes, da eignet ihnen eine bemerkenswerte Ambivalenz. Vor allem bei Paulus, zum Teil auch in der Johannesoffenbarung und in den Katholischen Briefen wird deutlich, dass die Engel nicht nur in den Bereich Gottes gehören, sondern dass sie zusammen mit anderen Mächten und Gewalten in den Bereich der Geschöpfe gehören und damit an der Korrumpierbarkeit alles Geschöpflichen teilhaben. – Es ist wohl kein Zufall, dass sich gerade die Verfasser, welche die bedeutendsten Theologen des Neuen Testaments waren und die betont haben, dass im Sohn Gott als Vater nahekommt und die Glaubenden zu Kindern macht, sich gegenüber Engeln spröde verhalten. Im Johannesevangelium kommen sie kaum vor, und Paulus hat zu ihnen, wie gezeigt, ein zumindest gespaltenes Verhältnis.

11. Ausblick Was folgt daraus? Besteht die zentrale Bedeutung Christi im Neuen Testament darin, dass durch ihn als den ›Sohn‹ Gott als ›Vater‹ vergegenwärtigt wird, so verlieren Engel als Mittler ihre zentrale Bedeutung. Im Gegenzug wird man im Blick auf die gegenwärtige Engelbegeisterung sagen müssen, dass diese ein Symptom für den Verlust einer Transzendenzerfahrung ist. Dessen Kompensation durch Engel kann man – wie eingangs schon angedeutet – theologisch durchaus kritisieren als den Versuch, sich des Göttlichen möglichst zum Dumpingpreis zu bemächtigen. 65 Insofern diese Vereinnahmung der Transzendenz mit zum Teil geradezu atemberaubender Ungeniertheit geschieht, wird man einen Teil des Engelskultes in das einordnen müssen, was die traditionelle Theologie ›Götzendienst‹ nannte. Und man wird hinzufügen können, dass solches heute durch eine Reihe von allgemeinen 65

MURKEN/NAMINI, Dienstleister (Anm. 2), 85.

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Faktoren begünstigt wird, z. B. durch die zunehmende Individualisierung, die in unseren Breiten eine weitgehende Privatisierung von Religion nach sich zieht. Damit kehrt sich auch das forensische Verhältnis von Gott und Mensch um, insofern nun nicht mehr die Verantwortung des Menschen vor Gott im Zentrum steht, sondern Religion sich durch ihren Nutzen für die Lebensbewältigung des Einzelnen legitimiert. Doch es genügt nicht zu kritisieren. Wenn die Faszination der Engel darin besteht, dass in ihnen das Göttliche wieder nahezukommen scheint, wenn Engel als eine Art Containerbegriff für eine Sehnsuchtsreligiosität »ein unübersehbares Zeichen für eine leere Stelle im Dasein des Menschen unserer Tage«66 sind, dann stellt die Engelfrömmigkeit auch an die christliche Verkündigung die Frage, warum jene nicht selten ambivalenten Mächte so vielen Menschen verlockender erscheinen als der durch Christi Leben und Lehre nahegebrachte himmlische Vater. Der Engelboom ist auch eine Herausforderung an alle Christen, wie sie das Evangelium, die ›frohe Botschaft‹, angemessen sagen können! Um nicht missverstanden zu werden: Es kann dabei nicht darum gehen, sich auf einen Bieterwettstreit einzulassen, wer die kostengünstigste Transzendenz anbietet. Dafür taugen ja schon die biblischen Engel nicht, die auch dort, wo es sich um gute Engel handelt, keineswegs bequeme Gestalten sind, sondern vielmehr oft Schrecken verbreiten, weil in der Begegnung mit ihnen deutlich wird, wie weit der Mensch sich von Gott entfernt hat. Damit bringen sie die Souveränität und Unverfügbarkeit des biblischen Gottes zum Ausdruck, von der abzusehen für das Christentum mit der Preisgabe seiner Verkündigung gleichkäme. Das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass im Zusammenhang mit dem Auftreten von Engeln immer wieder auch vom Zorn Gottes und von seinem Gericht die Rede ist. Das darf nicht wegretuschiert werden. Stattdessen muss verständlich gemacht werden, inwiefern Zorn und Gericht die notwendige Kehrseite der göttlichen Liebe sind, die nur in der Weitergabe lebendig bleibt und die daher die Lieblosigkeiten unserer Wirklichkeit nicht schönredet, sondern ihnen leidenschaftlich widerstreitet. In dieser Verkündigung dürfen dann auch Engel ihren Platz haben. Die Bibel kennt sie, und es wäre töricht, diese Möglichkeit religiöser Rede einfach nur anderen zu überlassen. Viele Trostlieder aus dunkler Zeit rücken sie ins Zentrum; als modernes Beispiel sei nur auf Bonhoeffers »Von guten Mächten wunderbar geborgen« (EG 65) verwiesen. Aber es muss zugleich sorgfältig bedacht werden, wie wir angemessen von Engeln reden können, ohne dass die Boten den sie sendenden Gott verdecken und sich so im christlichen Gewand eine Ersatzreligion bildet. Es muss auch immer wie66

27.

C. WESTERMANN, Gottes Engel brauchen keine Flügel, München/Hamburg 21968,

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der deutlich werden, was verlorengeht, wenn in Gestalt von Geistwesen, »die nichts fordern, jedoch stets zu Diensten sind«, 67 die Transzendenz nach dem Gutdünken des Einzelnen vereinnahmt wird. Denn damit wird nicht nur Gott als das Gegenüber ausgeblendet, das mich zur Verantwortung gegenüber meinem Mitmenschen ruft und so allem zerstörerischen Egoismus wehrt, der durch eine spirituelle Einfärbung gewiss nicht besser wird (vgl. 1. Joh 4,20). Vor allem wird damit auch der Gott ausgeblendet, der die Glaubenden in dieser Beanspruchung und Bindung zugleich mit ihren sichtbaren und unsichtbaren Grenzen umfängt und hält. Die heute so unbeliebte Rede vom Sünder hat ja recht verstanden ihre Pointe nicht darin, uns pfäffisch anzuschwärzen; es geht vielmehr darum, uns mit all unseren Widersprüchen und Grenzen nicht alleine zu lassen, sondern uns in Beziehung zu dem himmlischen Vater zu setzen, der uns von Schuld und Versagen lossprechen und heil machen kann. Deshalb bleibt es bei allen Schwierigkeiten unsere verheißungsvolle Aufgabe, immer wieder das durchzubuchstabieren und nachzustottern, was Jes 63,9 über Gott sagt: »Nicht ein Engel und nicht ein Bote, sondern sein Angesicht half ihnen. Er erlöste sie, weil er sie liebte und Erbarmen mit ihnen hatte.« Leicht ist das nicht. Aber es entspricht dem, was die Bibel Wahrheit nennt, und die Wahrheit hat auf lange Sicht allemal die längeren Beine. Oder um es in provokativer Anspielung auf die ökonomische Metaphorik des Eingangs zu formulieren: Die Beschränkung auf die Ränder des Gottesglaubens ist nur scheinbar kostengünstiger als die Bindung an dessen Zentrum.

67

MURKEN/NAMINI, Dienstleister (Anm. 2), 85.

Der Heilige Rudolf Ottos Impulse für eine biblische Gotteslehre1 1. Gottes Sohn und Gottes Zorn. Zugang Als ich Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Tübingen meine Doktorarbeit über die markinische Gethsemani-Perikope Mk 14,32– 42 schrieb,2 da war der Auslöser für das gewagte Unterfangen, über einen schon tausendfach ausgelegten Text eine eigene Dissertation zu versuchen, das Unbehagen an den zeitgenössischen Auslegungen. Was ich in den Kommentaren über das Leiden des Gerechten und dessen Vorbildlichkeit für den leidenden Christen geschrieben fand, hatte wenig zu tun mit der ungeheuren Spannung, ja Abgründigkeit, die ich in dieser Erzählung vom nächtlich angefochtenen Gottessohn und seinem vergeblichen Flehen zu einem schweigenden Himmel wahrzunehmen glaubte. Die genaue Analyse des Textes und der ihn prägenden alttestamentlichen und frühjüdischen Prätexte haben dann auch gezeigt, dass der Skopus jenes dreimaligen Gebetsringens in der Schilderung der ›Preisgabe‹ des Menschensohnes durch Gott besteht, durch welche die Innenseite der Passion sichtbar wird: In der Verschlossenheit und dem Widerstand der Welt bis hin zu den engsten Vertrauten erlebt der Gottessohn die Verborgenheit seines Vaters und damit dessen Zorn. Darin gründet Jesu jähes Entsetzen und seine Todtraurigkeit, deshalb bittet er das einzige Mal im Evangelium seine Jünger, mit ihm zu wachen, deshalb ruft er die Allmacht des Vaters um das Vorübergehen des Zorneskelches an, wo er doch der Verhaftung und Hinrichtung mühelos hätte entgehen können, wenn er sich in dieser Nacht einfach in die Büsche respektive Ölbäume geschlagen hätte. Davon war in den zeitgenössischen Auslegungen wenig zu lesen, aber zu meiner Überraschung habe ich, als ich am Ende meiner Untersuchung 1

Das Folgende ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung meines Beitrages zu einer von Jörg Lauster im Oktober 2012 in Marburg veranstalteten Rudolf-Otto-Tagung, zu der er auch mich als Exegeten eingeladen hat. Ich hoffe, der Beitrag lässt erkennen, wie fruchtbar für mich der interdisziplinäre Austausch war. 2 Vgl. R. FELDMEIER, Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemaneerzählung als Schlüssel der Markuspassion (WUNT II/21), Tübingen 1987.

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noch einmal die Auslegungsgeschichte durchsah, festgestellt, dass es immer wieder große Theologen gegeben hatte, welche auch ohne die von mir beigebrachten exegetischen Begründungen die Gethsemani-Perikope auf eine ähnliche Weise gedeutet hatten. Fündig wurde ich bei Martin Luther, Johann Gerhardt, Karl Barth und eben auch bei Rudolf Otto. Im 13. Kapitel seiner Monographie über Das Heilige (DH) kommt er im Anschluss an eine Blütenlese aus einschlägigen Bibeltexten – Mt 10,28 (»Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele zu verderben vermag in der Hölle«), Hebr 10,31 (»Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen«) und Hebr 12,29 (»Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer«) – auf Jesus in Gethsemani zu sprechen: Im Lichte und auf dem Hintergrund dieses Numinosen mit seinem mysterium und seinem tremendum muß man endlich auch das Ringen Jesu in der Nacht Gethsemane’s sehen um zu begreifen und nachzuerleben, um was es sich hier handelte. Was wirkt dies Zittern und Zagen bis in den Seelengrund, dieses Betrübtsein bis in den Tod und diesen Schweiß der zur Erde rinnt wie Blutstropfen? Gewöhnliche Todesfurcht? Bei dem der dem Tode seit Wochen ins Auge gesehen und der eben klaren Sinnes sein Todesmahl mit seinen Jüngern gehalten hat? Nein, hier ist mehr als Todesfurcht. Hier ist Erschauern der Kreatur vor dem tremendum mysterium, vor dem Rätsel voller Grauen. Die alten Sagen von dem Jahveh der Mose seinen Diener ›überfällt‹ bei der Nacht und von Jakob der ringt mit Gott bis an den Morgen kommen uns zu Sinne als deutende Parallele und Weissagung. ›Er hat mit Gott gerungen und ist obgelegen‹, mit dem Gotte des ›Zornes‹ und des ›Grimmes‹, mit dem NUMEN, das eben doch selber ›Mein V ATER‹ ist. – Wahrlich, wer den ›Heiligen Israels‹ auch sonst nicht wiederzufinden glaubt im Gotte des Evangeliums, hier muß er ihn entdecken wenn er überhaupt zu sehen vermag. 3

Diese Auslegung entbehrt nicht der Gewaltsamkeiten. Weder wird der Zusammenhang der Perikope mit dem Evangelium beachtet, noch werden im Blick auf die zur Interpretation herangezogenen alttestamentlichen Prätexte die Regeln der wissenschaftlichen Exegese beherzigt. Offenkundige Parallelen werden nicht beachtet, stattdessen stellt Otto kühn Bezüge zu Texten her, die ihm wohl deshalb »als deutende Parallele und Weissagung zu Sinne kommen«, weil sie sich seiner Schlüsselkategorie des mysterium tremendum trefflich fügen. Dieses Vorgehen ist kein Einzelfall. Der Exeget steht bisweilen fassungslos vor der brachialen Gewalt, mit der Rudolf Otto biblische Texte aus ihrem Zusammenhang herausbricht und durch eine Neukontextualisierung nicht selten auch mit nichtbiblischen ›Parallelen‹ in seinem Sinne umdeutet. Das wird im Folgenden auch zur Sprache kommen müssen. Doch der Zweck dieses Beitrags ist nicht exegetische Besserwisserei. Seiner genuinen Aufgabe wird ja der Bibelausleger nur dort gerecht, wo er Anwalt des Anderen ist, um die Texte gerade auch in ihrer Fremdheit für die Gegen3 R. OTTO, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 41920, Nachdruck München 2004, 105.

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wart zu erschließen. Dieser Respekt vor der Andersartigkeit des Anderen, und zwar besonders auch im Blick auf Gott als den ›gänzlich Anderen‹, war ein zentrales Anliegen Ottos, das er auch in seiner Auslegung des biblischen Gotteszeugnisses immer wieder zur Geltung zu bringen suchte. In diesem Sinn will der nachstehende Beitrag sich den Zumutungen stellen, die Ottos Programmschrift Das Heilige für den Exegeten darstellt. Damit zu Ottos Auslegung des biblischen Gotteszeugnisses, und dort zunächst zum Alten Testament.

2. »Das Numinose im Alten Testamente« Otto eröffnet dieses Kapitel mit einer doppelten Feststellung. Zum einen zeige sich bereits im Alten Testament, dass die »niedere Stufe des numinosen Gefühles als dämonischer Scheu […] schon bei den Profeten und Psalmisten längst überwunden« ist. Dass es eine solche »niedere Stufe des numinosen Gefühles« früher auch dort gegeben hat, zeigten »gelegentliche Anklänge an sie, besonders in der älteren Erzählungs-literatur«. 4 Doch nicht diesen Restbeständen einer gleichsam vorbiblischen Religiosität gilt Ottos Hauptinteresse, sondern der Tatsache, dass auch dort, wo die niedere Stufe überwunden und aus dem »›Vorgott‹ […] allmählich der ›Gott‹ in höherer Erscheinung«5 herausgewachsen ist, dennoch »die Gefühle des Irrationalen und Numinosen«6 keineswegs eliminiert sind. Die Transformation des numinosen Gefühls in eine vermenschlichte Gottesidee vollzieht sich vielmehr »am Numinosen und wird von ihm umfaßt«7 – diese Formulierung könnte man als den hermeneutischen Schlüssel für Ottos Exegese der biblischen Schriften, ja seiner ganzen Sicht der Religionsgeschichte bezeichnen.8 Ein deutlicher Beleg dafür, dass im Alten Testament durch die »Versittlichung« und »Rationalisierung« des Numinosen, wie Otto das nennt, zwar das einseitige Übergewicht des Irrationalen überwunden ist, dieses aber keineswegs zum Verschwinden gebracht wird, ist für ihn die Berufung 4

DH4, 92. DH4, 93. 6 DH4, 92. 7 DH4, 95. 8 Bereits in seinen Ausführungen zum mysterium tremendum hatte Otto festgehalten: »Auch wo der Dämonen-glaube sich längst zum Götter-glauben erhöht hat behalten die ›Götter‹ als numina für das Gefühl immer etwas ›Gespenstisches‹ an sich, nämlich den eigentümlichen Charakter des ›Unheimlich-furchtbaren‹ der geradezu mit ihre ›Erhabenheit‹ ausmacht […]. Und dieses Moment verschwindet auch nicht auf der höchsten Stufe, auf der Stufe reinen Gottes-glaubens, und darf hier wesensmäßig nicht verschwinden: es dämpft und adelt sich nur. Das ›Grauen‹ kehrt hier wieder in der unendlich geadelten Form jenes zutiefst innerlichen Erzitterns und Verstummens der Seele bis in ihre letzten Wurzeln hinein« (DH4, 19). 5

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Jesajas (Jes 6), die »mit fühlbarer Gewalt seine ganze Verkündigung [durchdringt]«. 9 Das zeige sich besonders in der für den Propheten charakteristischen Rede vom Heiligen Israels, die »gerade bei ihm als Lieblingsausdruck für die Gottheit […] stehend wird und anderen Ausdrücken mit seiner geheimnisvollen Gewalt überwiegt«. 10 Das setzt sich fort bei Deuterojesaja, wo man es zwar im Besonderen »mit dem Gott begrifflich klarer Allmacht Güte Weisheit Treue zu tun« habe, 11 sodass dort die biblische Religion eine Stufe erreicht, die sie »mit Recht den Anspruch auf allgemeine Weltreligion erheben läßt«, 12 wo aber dennoch weiterhin das Prädikat der Heiligkeit Gottes bestimmend bleibt.13 Was mit dieser Heiligkeit gemeint ist, erschließt sich für Otto aus ihrem Bezug zu anderen Zügen des biblischen Gottesbildes, vor allem zu Gottes Zorn und seinen Leidenschaften als Ausdruck für die göttliche Lebendigkeit: Verwandte Ausdrücke neben der ›Heiligkeit‹ Jahveh’s sind sein ›Grimm‹, sein ›Eifer‹, sein ›Zorn‹, das ›verzehrende Feuer‹ u. ä. Sie alle meinen nicht nur seine vergeltende Gerechtigkeit, auch nicht nur den temperamentvoll-regen, in starken ›páthē‹ lebenden Gott überhaupt sondern immer alles dieses umgriffen und durchdrungen von dem tremendum und der majestas, dem mysterium und dem augustum seines irrationalen Gottwesens. Das gilt auch besonders von dem Ausdrucke ›der lebendige Gott‹.14

Dieser (mehr behauptete denn nachgewiesene) Bezug zwischen Gottes Heiligkeit, seinen Leidenschaften und seiner Lebendigkeit erlaubt es Otto sodann, Aussagen über den lebendigen Gott, die sich in anderen Schriften finden, neben Jesajas »Heiligen« zu stellen und daraus zu folgern, dass sich Gottes Heiligkeit und Lebendigkeit gerade in seinem Eifern und in seinen Affekten zeige: Seine Lebendigkeit hat fühlbare Verwandtschaft mit seinem ›Eifern‹ und äußert sich in ihm wie in allen seinen ›páthē‹ überhaupt.15

Es nimmt nach alledem kaum wunder, dass die Gottesrede in Hi 38 den Höhe- und Schlusspunkt des Kapitels über das »Numinose im Alten Testamente« bildet. Hier findet sich »das Moment des mirum zugleich verbunden mit dem des augustum wieder«, und das »[in] seltsamer Reinheit«. 16 9

DH4, 96. Ebd. 11 Ebd. 12 DH4, 95. 13 DH4, 96: Es finde sich in Jes 40–66 ganze 15-mal, »immer an Stellen, wo er besonders eindrücklich ist«. 14 Ebd. 15 Ebd.; vgl. dazu auch 27 f. 16 DH4, 97. Das grenzt Otto scharf von »Ezechiels Träume[n] und Bilder[n]« ab. Ezechiel sei mit seiner »absichtlich gepflegten Fantastik […] ein Vorspiel schon apokryf werdender Regung des religiösen Triebes zum Mysterium, seiner Mischung mit dem 10

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Denn Hiob, so deutet Otto den Zusammenhang der Rede mit dem ganzen Buch, wird nicht überwunden durch das Argumentieren der Freunde, sondern durch die Rede des Gottes, der sich gerade nicht rational rechtfertigt, sondern in der »Dysteleologie«17 der Schöpfung, in dem Monströsen, das jeder Zwecksinnigkeit Hohn spricht, sich auf »das Mysterium in reiner irrationaler Gestalt« beruft.18 Das Göttliche ist »mirum als ein fascinans und als ein augustum« und zieht deshalb gerade in seiner unbegreiflichen Erhabenheit in den Bann als das schlechthin Stupende, das fast Dämonische, das ganz Unfaßliche, das Rätselspielende der ewigen Schöpfermacht, ihr nicht Anzurechnendes, ›gänzlich Anderes‹ und allem Begreifen Spottendes, dennoch aber das Gemüt in alle Tiefen Erregendes Faszinierendes zugleich mit tiefster Anerkennung Erfüllendes.19

Diese Zelebration des Göttlichen als Erfahrung des gänzlich Anderen gerade in seiner sich allem Verstehen entziehenden Unbegreiflichkeit wird zuletzt noch einmal unterstrichen durch den Verweis auf die Novelle »Berufs-tragik« von Max Eyth. Diese stellt in der Beschreibung des ehrfurchtgebietenden Grauens angesichts des Triumphes sinnloser Zerstörung über alle menschliche Technik für Otto ein »ganz echtes Gegenstück zu diesem Hiobs-Erlebnis«20 dar. Solchermaßen eingestimmt, kommt die Untersuchung dann zum nächsten Kapitel, dem »Numinosen im Neuen Testamente«.

3. »Das Numinose im Neuen Testamente« Auch dieses Kapitel beginnt mit einer doppelten Feststellung. Zunächst konstatiert Otto, dass die bei den Propheten und Psalmen begonnene Entwicklung im Neuen Testament zu ihrer Vollendung kommt: Im Evangelium Jesu vollendete sich der Zug auf Rationalisierung Versittlichung und Vermenschlichung der Gottesidee, der von den ältesten Zeiten der Überlieferung Altisraels an und vornehmlich in Profeten und Psalmen lebendig war und das Numinose hier immer reicher und voller mit den Prädikaten klarer und tiefer rationaler Gemütswerte durchsetzte. Und so ergab sich die durch nichts anderes überbietbare Form des ›GottVater-Glaubens‹, wie sie das Christentum besitzt.21

Doch wie schon im vorigen Kapitel wird dies sofort gegen das mögliche Missverständnis abgegrenzt, dass damit das Numinose beseitigt wäre: Hang zum Seltsamen Wunderlichen Mirakelhaften und Fantastischen der den Weg bahnt zur Wunderlust, zur Legende, zur apokalyptischen und mystischen Traum-Welt«. 17 DH4, 100. 18 DH4, 99. 19 DH4, 100. 20 DH4, 101. 21 DH4, 102.

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Nur wäre es auch hier wieder gefehlt wenn man meinen wollte, diese Rationalisierung sei eine Ausscheidung des Numinosen.22

Gerade im Neuen Testament muss das nach Meinung Ottos besonders betont werden, denn die für Jesu Verkündigung zentrale Rede von Gott als dem Vater klinge »uns Heutigen linde und […] oft fast gemütlich, etwa wie der ›liebe Gott‹«. 23 Der »Vater« suggeriere eine Vertraulichkeit, »die sicher nicht der Stimmung der ersten Gemeinde entspricht«. 24 Jesus ging es vielmehr um die »Verkündigung des denkbar numinosesten Objektes, nämlich ›Evangelium vom Reich‹«. 25 Dieses Reich Gottes aber – hier nimmt Otto »gegenüber allen rationalistischen Erweichungen« auf »die neueste Forschung« Bezug26 – ist die Wundergröße schlechthin, das allem Jetzigen und Hiesigen Entgegengesetzte ›Ganz andere‹ ›Himmlische‹, umdämmert und umwoben von allen echtesten Motiven ›religiöser Scheu‹, das ›Furchtbare‹ und das ›Reizende‹ und das ›Erlauchte‹ des Mysteriösen selber. […] Von der Mischung tief inneren Erschauerns vor Weltuntergang Gericht und der hereinbrechenden Überwelt mit dem seligen Schauer weihnachtlicher Erwartung, von der Mischung des tremendum mit dem des fascinans dieses Mysteriums machen wir uns […] heute meist falsche Vorstellungen, oder garkeine. Von ›dem Reiche‹ und seinem numinosen Wesen aus fällt aber Farbe Stimmung Ton auf jede Beziehung zu ihm. 27

Diese Neuqualifikation aller religiösen Gehalte im Neuen Testament durch ihren Bezug auf das Reich Gottes bestimmt zum einen das Selbstverständnis der Glaubenden. Wenn diese als »Heilige« bezeichnet werden, so beschreibt das nicht ihren sittlichen Zustand, sondern ihre Zugehörigkeit zum Mysterium der Endzeit: Im Gegensatz zu allem Profanen sind sie die »›geweihte‹ sakrale Schar«. 28 Von dem Bezug auf das Gottesreich muss nach Otto aber auch Jesu Rede von Gott als Vater verstanden werden: Dieser ›Vater‹ ist zuerst der heilig-erhabene König dieses ›Reiches‹, das dunkel-dräuend mit der vollen emāt Jahveh aus den Tiefen des ›Himmels‹ herannaht. Indem er sein Herr ist, ist er nicht weniger ›heilig‹ numinos geheimnisvoll qādosch hagios sacer und sanctus als sein Reich sondern viel mehr, und alles das in absolutem Maße, und er ist nach dieser Seite die Erhöhung und Erfüllung alles dessen was der alte Bund je an ›Kreaturgefühl‹, an ›heiliger Scheu‹ und ähnlichem besessen hat.29

22

Ebd. DH4, 103. 24 DH4, 102. 25 Ebd. 26 Gemeint ist wohl die Wiederentdeckung der Eschatologie durch J. Weiß und A. Schweitzer. 27 DH4, 102 f. Exegetisch differenzierter legt Otto dann Jesu Verkündigung vom Reich Gottes in seinem späteren Werk aus: Reich Gottes und Menschensohn. Ein religionsgeschichtlicher Versuch, München 31954. 28 DH4, 103. 29 Ebd. 23

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Dass die Vateranrede Jesu nur recht zu verstehen ist auf dem Hintergrund jenes »seltsamen Erschauern[s] und Grauen[s] vor den Geheimnissen des Überweltlichen«, 30 begründet Otto mit der eingangs zitierten Blütenlese aus Mt 10,28 und den beiden Stellen aus dem Hebräerbrief, die Gott als verzehrendes Feuer beschreiben, in dessen Hände zu fallen schrecklich ist, um dann mit der zitierten Auslegung der Gethsemani-Erzählung den Abschnitt zu Jesus zu beschließen. Im zweiten Abschnitt kommt Otto dann auf Paulus zu sprechen. Dabei belegt er die von ihm gleich eingangs behauptete »Wolke numinoser Gestimmtheit bei Paulus«31 zunächst mit dem Zitat »Gott wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann«. 32 Dieses Wort aus 1. Tim 6,16 bildet dann für Otto den Ausgangspunkt für seine Charakterisierung der paulinischen Theologie als Ausdruck eines Erlebens, das nur aus dem Numinosen verständlich sei: Das Überschwängliche des Gottesbegriffes und Gottesgefühles führt bei ihm [sc. dem Apostel] zu mystischem Erleben. Es lebt überhaupt bei ihm in den Gefühlen allgemeiner enthusiastischer Hochgestimmtheit und in seinem pneumatischen Wortgebrauch, die beide weit hinausliegen über die nur rationale Seite der christlichen Frömmigkeit. Diese Katastrofen und Peripetien des Gefühlslebens, diese Tragik von Sünde und Schuld, diese Glut beseligenden Erlebens ist nur auf numinosem Boden möglich und verständlich. 33

Von hier aus handelt Otto dann hintereinander drei ausgewählte Topoi paulinischer Theologie ab: die Rede vom Zorn Gottes in Röm 1,18ff., die Prädestination in Röm 9 und die Abwertung des Fleisches, um aus ihnen das Numinose als Kern paulinischer Religiosität zu bestimmen: »Um die Wucht dieser Schauungen zu fühlen«, so Ottos Resümee zu Paulus, »muß man versuchen, die Stimmung unserer Dogmatiken und wohltemperierten Katechismen zu vergessen und die Schauer nachzufühlen, die der Jude gegenüber dem Grimme Jahveh’s und der Hellenist gegenüber dem Grauen der Heimarmenē und der antike Mensch überhaupt gegenüber der ira deorum fühlen konnte.«34

Den Abschluss bildet ein Abschnitt zu Johannes – und zwar zum Evangelisten, nicht zum Apokalyptiker.35 Im vierten Evangelium klinge zwar, so Otto, das Moment des tremendum ab, dafür aber seien bei ihm »[um]so

30

DH4, 104. DH4, 105. 32 Ebd. 33 DH4, 105 f. 34 DH4, 106 f. 35 Es ist eine der vielen Merkwürdigkeiten bei Ottos Auslegung des Neuen Testaments, dass er nicht auf die Johannesoffenbarung eingeht, obgleich dort das einzige Mal im Neuen Testament in der Vision des Sehers in Apk 4,8 das Trishagion zitiert wird und in diesem Schreiben auch mehr vom Zorn Gottes und den dadurch verursachten Schrecken die Rede ist als sonst irgendwo im Neuen Testament. 31

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stärker […] das mysteriosum und das fascinans«. 36 Besonders bei der für die johanneische Theologie charakteristischen Rede vom Licht und vom Leben »saugt das Christentum aus den mit ihm wettstreitenden Religionen ›fȏs‹ und ›zōē‹ in sich: mit Recht, denn bei ihm erst kommen sie nach Hause.«37 Dabei bleiben sie aber Ausdruck für ein unsagbares Erleben, sie signalisierten »ein Überschwängliches des Irrationalen«. 38

4. Einwände Wie gesagt: Ottos Auslegung provoziert den Widerspruch des Exegeten. Daher sollen, ehe im letzten Abschnitt das Neue Testament in Auseinandersetzung mit Ottos Kategorie des Heiligen als eines tremendum einer selbstkritischen relecture durch den Exegeten unterzogen wird, zunächst die Haupteinwände gegen Ottos Auslegung skizziert werden.39 Bereits der Auftakt des Kapitels zum Neuen Testament ist ein gutes Beispiel für die Gewaltsamkeit von Ottos Vorgehen. Wenn er das, was er Jesu »Gott-Vater-Glauben« nennt, ganz aus dem Bezug zum Reich Gottes als dem »›Furchtbare[n]‹ […] und […] ›Erlauchte[n]‹ des Mysteriösen selber«40 deutet, um daraus zu folgern, dass Gott als Vater »zuerst der heiligerhabene König« sei, der »mit der vollen emāt Jahveh aus den Tiefen des ›Himmels‹ herannaht«, 41 so wird man zunächst einmal im Blick auf die in den Evangelien bezeugte Verkündigung Jesu sagen müssen, dass Jesus so gerade nicht von Gott redet. Mehr noch: Jesus nennt Gott nirgends den Heiligen, und – noch unerwarteter – er nennt ihn auch nicht König, obgleich die Königsherrschaft Gottes für seine Verkündigung zentral ist und die Anrede Gottes als König im zeitgenössischen Judentum weit geläufiger war als die Vateranrede. Gerade die sich von der Königstitulatur absetzende Anrede Gottes als »Abba, Vater« (Mk 14,36) als Ausdruck der Verbundenheit Jesu mit seinem Gott (vgl. auch Lk 10,21f. par. Mt 11,25–27) und des Vertrauens in seine Güte (vgl. Lk 6,35f. par. Mt 5,45.48) muss als ein

36

DH4, 114. Ebd. 38 Ebd. 39 Dabei sollen hier nicht Ottos zeitbedingte Einseitigkeiten wie etwa seine Urteile zum Judentum und besonders zu den Pharisäern Thema sein. Es soll hier vielmehr um die Punkte gehen, in denen das, was es im Folgenden auch zu würdigen gilt, also seine Deutung des Göttlichen als eines tremendum, dazu geführt hat, die Texte mehr zu verstellen als zu erschließen. 40 DH4, 102. 41 DH4, 103. 37

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Dritter Teil: Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes

Spezifikum des Gottesverhältnisses des historischen Jesus gelten, 42 eines Gottesverhältnisses, zu dem er dann im Herrengebet seine Nachfolger ermächtigt (Lk 11,2 par. Mt 6,9). Das Frühchristentum hat diese christologische Verortung der Vateranrede weiter reflektiert und vertieft, und zwar ebenfalls als Ausdruck für Gottes Beziehungswillen: Die Glaubenden werden – so sagt es Paulus – durch den Geist des Sohnes aus versklavten Geschöpfen zu Söhnen bzw. Kindern Gottes und können so ihrerseits Gott mit Jesu Worten als »Abba, Vater« anrufen (Gal 4,6f.; vgl. Röm 8,14–17). Gerade Röm 8 zeigt, wie die gesamte Entfaltung der Rechtfertigungsbotschaft in der Adoption der früheren Sklaven zu Söhnen bzw. Kindern Gottes gipfelt.43 Ganz ähnlich läuft auch das Johannesevangelium darauf hinaus, dass die Jünger Jesu zunächst aus Sklaven zu seinen Freunden werden (Joh 15,14f.) und zuletzt zu Geschwistern, sodass Gott zuletzt auch ihr Vater geworden ist (Joh 20,17).44 Die Rede von Gott als Vater ist also durch den Sohn vermittelt (Lk 10,21f. par. Mt 11,25–27). Angesichts dieses Befundes wiegt es umso schwerer, dass Otto mit keinem Wort auf die Christologie eingeht. Die Gottessohnschaft Jesu kommt in diesem Kapitel überhaupt nicht vor.45 Stattdessen deutet Otto den Vater ganz von einer massiv reapokalyptisierten Gottesreichvorstellung her. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass Otto diesen Zusammenhang von Christologie und Vateranrede (vermutlich unbewusst) ausgeblendet hat, weil sie sich hier seinen Prämissen religiöser Erfahrung als Einbruch des gänzlich Anderen, Überwältigenden nicht fügt. Ähnliches gilt für anderes, etwa Ottos Ausdeutung der Rede Jesu vom Gottesreich. Diese ist bei Jesus ja keineswegs in erster Linie erschreckend, hier dominiert eben nicht das »Furchtbare« und das »Grauen«, sondern die Ermutigung und der Zuspruch. Der Anbruch der Gottesherrschaft ist Frohbotschaft (Mk 1,14f.) – das ist ja der entscheidende Unterschied zur Verkündigung Johannes’ des Täufers.46 Dementsprechend kann Otto auch kaum Worte Jesu als Belege für das tremendum anführen. Das einzige ist Mt 10,28, das aus dem Rahmen der übrigen Jesusworte herausfällt und gemein-

42 Das hat programmatisch bereits J. J EREMIAS, Abba, in: DERS., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 15–67, nachgewiesen. 43 Vgl. dazu R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011, 51–92, bes. 68–72. 44 Vgl. F. B ACK, Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium (WUNT II/336), Tübingen 2012. 45 Dass Otto um ihre Bedeutung weiß, zeigt der Schluss des Buches; vgl. DH 4, 205. 46 In DH4, 194 f. kann Otto auch anders von der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu sprechen.

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hin als sekundäre Gemeindebildung angesehen wird.47 Deshalb ist er auch genötigt, stattdessen zwei Verse aus dem Hebräerbrief zu zitieren, die von der Verkündigung des irdischen Jesus denkbar weit entfernt sind.48 Otto hat diese Spannung sehr wohl gesehen, aber warum er diesen Befund meint ignorieren zu können, zeigt sein Kommentar: »Daß dieser Hintergrund tief demütiger ›Scheu‹ nicht eigens in Form besonderer ›Lehren‹ bei Jesus vorkommt, hat seinen Grund in den Umständen die mehrfach angegeben sind.«49 Was diese mehrfach angegebenen Umstände sind, ist nicht ganz klar; vermutlich meint er die am Beginn dieses Kapitels statuierte Voraussetzung, dass Jesu Predigt vom Reich Gottes in einer uns heute fremd gewordenen Weise bestimmt ist »[von] der Mischung tief inneren Erschauerns vor Weltuntergang Gericht und der hereinbrechenden Überwelt mit dem seligen Schauer weihnachtlicher Erwartung, von der Mischung des tremendum mit dem des fascinans«. 50 Wenn aber die Abwesenheit solcher Vorstellungen in der Botschaft Jesu damit erklärt wird, dass sie dort selbstverständlich vorausgesetzt seien, so liegt hier ein Zirkelschluss vor. Die Problematik, dass Otto einzelne Momente nicht in ihrem Zusammenhang deutet, sondern sie aus diesem herausbricht und in einen neuen Kontext stellt, wird besonders bei Paulus deutlich. Schon dass er ein Zitat aus dem 1. Timotheusbrief zum Ausgangspunkt seiner Deutung der paulinischen Theologie macht, ist zumindest eine grobe Nachlässigkeit; denn dass dieser Brief nicht von Paulus stammt, gehörte damals schon zur communis opinio der wissenschaftlichen Theologie.51 Die sich daran anschließenden Ausführungen zum Zorn Gottes in Röm 1,18ff. legen diesen Topos nicht als Kehrseite der Offenbarung des Evangeliums und damit als Hintergrund der rechtfertigenden Gottesgerechtigkeit aus, was er im Römerbrief durch seine Einbettung zwischen Röm 1,16f. und 3,21ff. eindeutig ist, sondern Otto isoliert dieses Theologumenon und deutet es dann als Äußerungen des »zürnenden eifernden Jahveh des Alten Testamentes […] als furchtbar gewaltige[r] Welten- und Geschichts-gott, der seinen lohenden Zorn ausgießt über alle Welt«. 52 Dem wird dann unter Auslassung der dazwischenliegenden Entfaltung der Rechtfertigungsbotschaft sofort die Prädestination in Röm 9 zur Seite gestellt. Sie sei »vom Boden des Rationalen aus das absurdum und skandalon schlechthin«. 53 Um das zu belegen, grenzt Otto sie gegen eine lange Auslegungstradition aufs Schärfste von der Idee 47

Vgl. J. GNILKA, Das Matthäusevangelium. Kommentar zu Kap. 1,1–13,58 (HThK I,1), Freiburg i. Br. u. a. 31993, 391. 48 Vgl. DH4, 105. 49 DH4, 104. 50 DH4, 102. 51 Vgl. P. FEINE, Theologie des Neuen Testaments, Leipzig 21911, 503. 52 DH4, 106. 53 DH4, 107.

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der Erwählung ab, indem er Röm 9,18 (»Wessen er will, dessen erbarmt er sich, und wen er will, den verhärtet er«) mit den Worten kommentiert: Hier ist praedestinatio, und indertat praedestinatio ambigua, deren Idee ganz anders entspringt als die Idee der Erwählung. […] Denn diese Prädestinations-idee ist nichts anderes als der Selbstausspruch jenes ›Kreaturgefühls‹, jenes Versinkens und ›zu Nicht werdens‹ mit eigener Kraft, eigenem Anspruch und Geltung gegenüber der überweltlichen majestas. Das Numen, das übermächtig erlebte, wird alles in allem. Das Geschöpf wird zunichte mit seinem Wesen, seinem Tun, seinem Rennen und Laufen, seinem Planen und Entschließen, seinem Sein und Gelten.54

Kein Wort davon, dass es gerade das Problem der Erwählung Israels ist, das den Apostel im Römerbrief zu dieser Ausführung nötigt, kein Wort davon, dass der Exkurs nicht mit Röm 9 endet, sondern mit Röm 11, wo der Apostel deutlich macht, dass die Verstockung Israels der Umweg Gottes war, der den Heiden das Heil gebracht hat, und dass damit auch Israels Erwählung keineswegs widerrufen wird, sondern dass zuletzt »ganz Israel gerettet werden wird« (Röm 11,26). Nicht die praedestinatio ambigua behält das letzte Wort, sondern der Zuspruch, dass Gott alle unter den Unglauben beschlossen hat, damit er sich aller erbarme (Röm 11,32), also eine Aussage, die man eher als scheue Andeutung des Gedankens einer Allversöhnung verstehen könnte. Statt diesen paulinischen Kontext zu beachten, in dem der Apostel sich auf eine neue und kühne Weise bemüht, seinen Glauben an die Treue des erwählenden Gottes mit seinen Erfahrungen des Widerstandes Israels gegen die Verkündigung des Evangeliums zusammenzudenken, konstruiert Otto wieder einen eigenen Kontext, indem er den Versen aus Röm 9 zwei islamische Texte zur Seite stellt, welche die Unbeugsamkeit von Allahs Ratschluss betonen und damit zeigen, dass das »Numinose in Allah […] schlechterdings über[wiegt]«. 55 Diese einigermaßen gewagte Parallelisierung erlaubt es ihm dann, den so neu kontextualisierten paulinischen Prädestinationsgedanken »als ideogrammatische[n] Hinweis auf ein schlechthin irrationales Urverhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf«56 zu interpretieren.

5. Der ›gänzlich Andere‹. Ottos theologisches Anliegen Als Otto sein Buch 1917 veröffentlicht, wird die kulturprotestantische Utopie des Reiches Gottes als einer allmählichen Verwandlung der menschlichen Natur in Kultur in den Metzeleien der Schlachtfelder des Ersten

54

DH4, 109 f. DH4, 112. 56 DH4, 113. 55

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Weltkriegs ad absurdum geführt.57 Auf diesem Hintergrund muss man Otto auch lesen als Einspruch gegen die bürgerliche Domestizierung der Religion: »[Man] kann das Höchste nicht immer duzen«, 58 wie einer von Ottos markanten Sätzen lautet. Aber es geht ihm um mehr als nur um eine Warnung vor einem zu eindimensional ethisierten und rationalisierten Gottesbild. Man kann sich das an seiner Auslegung der johanneischen Aussage »Gott ist Geist« deutlich machen. Gegen Hegel wird dieser Satz von ihm gerade nicht auf einen alles vernünftig durchwaltenden Weltgeist gedeutet. Otto betont vielmehr – diesmal durchaus in gewisser Übereinstimmung mit dem biblischen Kontext –, dass sich das Wort bei Johannes auf den Geist bezieht, der weht, wo er will, »Himmelswesen und Wunderwesen schlechthin, […] das ganz Rätsel- und Geheimnisvolle das über allem Verstand und aller Vernunft des ›natürlichen‹ Menschen ist«. 59 Daraus zieht Otto den Schluss, dass »diese scheinbar ganz rationale Aussage [sc. Gott ist Geist] am stärksten hin[weist] auf das Irrationale in der biblischen Gottesidee«. 60 Es geht Otto also nicht um die Binsenweisheit, dass religiöse Erfahrung ambivalent sein kann, und schon gar nicht darum, dass der biblische Gott neben seinen menschenfreundlichen Zügen auch ›dunkle Seiten‹ hat. Eine solche Unterscheidung zwischen positiven und negativen Glaubenserfahrungen und damit zwischen ›hellen‹ und ›dunklen‹ Seiten würde ja gerade auseinanderreißen, was für Otto zusammengehört als das Unterste und Tiefste in jeder starken frommen Gefühls-regung sofern sie noch mehr ist als Heilsglaube Vertrauen oder Liebe, dasjenige was auch ganz abgesehen von diesen Begleitern auch in uns zeitweilig das Gemüt mit fast sinn-verwirrender Gewalt erregen und erfüllen kann; [… das] Gefühl des mysterium tremendum, des schauervollen Geheimnisses.61

Es ist gerade die Scheu vor der »majestas«, der überwältigenden Heiligkeit Gottes als ein »Gefühl schlechthinniger Überlegenheit«, 62 die Otto als ein konstitutives Moment des Glaubens darstellt, weil das »Unheimlich-furchtbare« eben auch die »Erhabenheit« des Göttlichen ausmacht, sodass beide als zwei Seiten derselben Medaille erscheinen: 57 Gegen C. COLPE, Über das Heilige. Versuch, seiner Verkennung kritisch vorzubeugen, Frankfurt a. M. 1990, 47, der einen solchen Zusammenhang von Ottos Schrift mit der Zeitgeschichte bestreitet und ihn erst für dessen Wirkungsgeschichte gelten lassen möchte, zeigt Ottos Brief an den Straßburger Theologen Gottfried Naumann, dass sein penetrantes und nachgerade pathetisches Insistieren auf dem heiligen Schauder vor dem »dunkel-geheimnisvoll dräuenden« Numinosen auch auf dem Hintergrund seiner Zeit zu lesen ist. 58 DH4, 39 Anm. 2. 59 DH4, 114 f. 60 DH4, 115. 61 DH4, 13. 62 DH4, 24; vgl. 22: »Gefühl schlechthinniger Übergewalt«.

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So grauenvoll-furchtbar das Dämonisch-Göttliche dem Gemüte erscheinen kann, so lockend-reizvoll wird es ihm. Und die Kreatur die vor ihm erzittert in demütigstem Verzagen hat immer zugleich den Antrieb sich zu ihm hinzuwenden, ja es irgendwie sich anzueignen. 63

Das erklärt auch, warum Ottos Insistieren auf der Andersartigkeit des Göttlichen zwar immer wieder gewaltsam und nicht selten auch penetrant wirkt, aber niemals ›pfäffisch‹. Otto will nicht damit drohen, dass der ›gänzlich Andere‹ zur Not auch eben ganz anders kann. Das Erlebnis des Numinosen als ein mysterium tremendum ist vielmehr für ihn immer »etwas schlechterdings Positives«, weil hier etwas von dem »unsagbaren Geheimnis über aller Kreatur«64 erfahren wird, also das Göttliche als eine den Menschen übersteigende Größe gleichsam in der menschlichen Erfahrung evident wird. Die Anerkennung dieses Geheimnisses im »›Tu solus sanctus‹ ist nicht ein Furcht-ausbruch, sondern ein scheuer Lobpreis«. 65 Deshalb geht es nicht um die zur Gottesvergiftung führende Angst, sondern um eine heilige Scheu (die Otto gerne mit dem englischen Ausdruck »religious awe« wiedergibt), eine Scheu, der die Andersartigkeit des Göttlichen selbst in ihren barbarischen Vorstufen des Grauens noch als »ein unaussprechlicher positiver Wert« erscheint, sowohl als »ein admirandum und adorandum als auch ein fascinans«. 66 Mit seiner Betonung des »Kreaturgefühls«, das um den Unterschied von Gott und Mensch weiß und deshalb als »primäre objektbezogene Gefühlsbestimmtheit«67 auch »zuerst und unmittelbar auf ein Objekt außer mir geht«, 68 insistiert Otto – man ist versucht zu sagen: mit nachgerade »heiligem« Eifer – auf dem Selbstwert und der Unableitbarkeit des Religiösen und damit letztlich auch auf der Göttlichkeit Gottes: »Gott ist, in sich selbst, noch eine Sache für sich.«69 Gerade als der ›gänzlich Andere‹ wird Gott nicht als der abwesende, sondern als das numen praesens erfahren. Es macht daher, wie schon bei Ottos Auslegung der Gethsemani-Perikope angedeutet, die Größe dieses Entwurfs aus, dass er auch dort, wo seine Ansichten verzerrt sind, noch andere zurechtzurücken vermag. Deshalb soll zuletzt, wie angekündigt, eine Auseinandersetzung mit Otto diesen Beitrag beschließen, und zwar besonders im Blick auf die von Otto für die Verkündigung Jesu als zentral angesehene Rede von Gott als Vater.

63

DH4, 42; vgl. auch 63. DH4, 14. 65 DH4, 68. 66 DH4, 100 f. 67 DH4, 13. 68 DH4, 11. 69 DH4, 52. 64

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6. Die tremenda majestas des Vaters. Ottos Zumutungen Oben wurde Ottos Versuch kritisiert, gegen das Zeugnis der Evangelien diesen Vater ganz aus dem Bezug zu einer massiv reapokalyptisierten Reich-Gottes-Predigt zu deuten, um ihn als den »heilig erhabene[n] König« eines »dunkel-dräuend [herannahenden] ›Reiches‹«70 zu verstehen. Doch wird man auch hier wieder sagen müssen, dass Otto bei aller Einseitigkeit und Gewaltsamkeit mit seiner Aversion gegen jede frömmelnde Zudringlichkeit gleichsam instinktiv etwas Richtiges erkannt hat. Denn die Anrede Gottes als Vater ist biblisch gesehen sehr viel weniger selbstverständlich, als heute gemeinhin angenommen wird. Das zeigt schon ein Blick in das Alte Testament, das sich gegenüber der Rede von Gott als Vater ausgesprochen spröde verhält, und zwar nicht, weil es ihm an Vertrautheit mit seinem Gott gefehlt hätte, sondern vielmehr deshalb, weil diese Prädikation, die Israel von den Vatergöttern der antiken Panthea von Babylon, Ugarit und Ägypten bis Griechenland und Rom kennt, heidnisch ist, insofern sie Gott (genealogisch oder ontologisch) in den Zusammenhang des Kosmos einbindet. Und auch das Neue Testament spricht zunächst nur sehr zögerlich von Gott als Vater, und wo es das tut, da ist diese Rede oder Anrede fast immer direkt oder indirekt durch den Bezug auf Jesus Christus als den Sohn Gottes vermittelt. Damit aber wahrt auch das Neue Testament ganz im Sinne des alttestamentlichen Zeugnisses die Freiheit Gottes. Sein »Vater in den Himmeln« ist nicht von Natur aus der »Vater der Götter und Menschen« (Homer), sondern als der souveräne Schöpfer und Herr wird er erst im Sohn zum Nahen. Das aber ist ein entscheidender Unterschied: Hat der Vatername in der paganen Tradition eine protologische Pointe, so in der neutestamentlichen eine eschatologische; nicht göttliche Herkunft wird durch ihn ausgedrückt, sondern die in Gottes freier Entscheidung zur Selbstbindung gründende Verheißung einer Zukunft bei ihm – das »Erbe« der im Sohn zu Gottes Kindern Adoptierten (vgl. Röm 8,17; Gal 3,29; 4,7). So aber wird der Vater im Neuen Testament zuletzt mit einer Konsequenz, die in der Religionsgeschichte meines Wissens ohne Parallelen ist, zum nomen proprium des biblischen Gottes.71 Zugleich jedoch bleibt dieser als Vater nahekommende Gott unverfügbar, wie gerade Gethsemani zeigt; er kann sich verbergen, ja scheinbar zum Feind werden.72 Diese die neutestamentliche Rede vom Vater bestimmende Dynamik einer unverfügbaren Nähe hat Otto sehr deutlich wahrgenommen, und er weist zu Recht 70

DH4, 103. Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott der Lebendigen (Anm. 43), 51. 72 Deshalb ist der Glaube auch immer wieder der Anfechtung ausgesetzt – und ruft den Vater dennoch als den Nahen gegen das Widerfahrnis seiner Entzogenheit an, klagt seine Nähe gegen seine Ferne ein. 71

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auf den bemerkenswerten Tatbestand hin, dass Jesus dort, wo er seine eigene Vateranrede erstmals den Jüngern übergibt und sie damit ermächtigt, nun ebenfalls Gott als ihren Vater anzurufen, das eigentliche Gebet ausgerechnet mit der Bitte um die Heiligung des Gottesnamens eröffnet. Auf diese Weise wird die invocatio »Vater« so präzisiert, dass neben das Moment der Inklusion, das bei der Anrede »Vater« stärker im Vordergrund steht, eine die Nähe komplementär ergänzende Distanzierung durch die Bitte der Heiligung des Namens tritt.73 Die hier zum Ausdruck gebrachte Gleichzeitigkeit von göttlicher Nähe und Unverfügbarkeit, den inneren Zusammenhang von kindlichem Vertrauen und scheuem »Kreaturgefühl«, der auch in den dem Auftakt des Herrengebetes entsprechenden ersten und dritten Benediktionen des Achtzehn-Bitten-Gebetes deutlich hervortritt,74 fasst Otto in der für ihn typischen Diktion zusammen: Daß dieses geheimnisvoll-Scheubare, dieses fremde Unnahbare ›im Himmel‹ zugleich selber heimsuchend-nahender Gnadenwille sei: dieser aufgelöste Kontrast erst macht die Harmonie echten christlichen Grundgefühles aus.75

Auch lohnt es sich wieder, die provokativen Sätze Ottos zu bedenken, dass Christus zwar »Spiegel und Selbstoffenbarung eines ewigen Liebeswillens«76 ist, dass aber die sich im Menschgewordenen und Leidenden offenbarende Liebe Gottes nichts mit einem ›lieben Gott‹ zu tun hat, also mit dem, was Bonhoeffer in ganz anderer Situation zwei Jahrzehnte später als Pervertierung des Ereignisses der Gnade in ein Prinzip und System geißeln wird,77 sondern dass im Gegenteil »die Kluft zwischen Kreatur und Schöpfer, zwischen profanum und sanctum, zwischen Sünde und Heiligkeit […] durch die höhere Erkenntnis aus dem Evangelium Christi nicht geringer

73 Das gilt auch, wenn man Ottos Deutung der ersten Bitte des Vaterunsers als »weniger Bitte als scheuer Huldigungs-anruf« (DH 4, 103) zurückhaltend gegenübersteht. 74 Die erste Benediktion spricht bereits den H ERRN als »unser[en] Gott und unser Väter Gott, Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs« auf seinen Beziehungswillen an und führt dies im Folgenden noch aus (»König, Erbarmer, Retter und Schild«), betont aber zugleich mit den Attributen »großer, starker und schreckensvoller Gott« die Unverfügbarkeit, das tremendum dieses Gottes. Anschließend heißt es in der dritten Benediktion der babylonischen Version: »Du bist heilig, und dein Name ist heilig. Und Heilige preisen dich jeden Tag. Selah. Gepriesen seist du, HERR, heiliger Gott.« Die Distanz der Heiligkeit tritt in der palästinischen Version noch deutlicher hervor, wenn es statt »dein Name ist heilig« dort heißt: »schreckensvoll ist dein Name«. Vgl. dazu U. KELLERMANN, Das Achtzehn-Bitten-Gebet. Jüdischer Glaube in neutestamentlicher Zeit. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 2007, 44.72. 75 DH4, 104. 76 DH4, 199. 77 D. B ONHOEFFER, Nachfolge (DBW 4), München 1989, 29: »Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System«. Man vergleiche diese Aussagen Bonhoeffers mit denen Ottos zur Versöhnung in DH 4, 72 f.

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sondern größer« wird.78 Zwar wird man im Blick auf die biblische Rede von Gott daran festhalten müssen, dass die markante Asymmetrie von göttlichem Beziehungswillen und göttlicher Verborgenheit ein Charakteristikum nahezu aller biblischen Schriften ist – statt von der Liebe Gottes kann das Neue Testament auch vom Gott der Liebe sprechen (2. Kor 13,11), ja, es kann Gott »die Liebe« nennen (1. Joh 4,8.16), während eine solche Umkehrung beim Zorn Gottes bezeichnenderweise nicht möglich ist. Aber eine von Otto sensibilisierte relecture der neutestamentlichen Schriften entdeckt schnell, dass zugleich gerade im Evangelium das Erschrecken, ja Entsetzen über den in Jesus nahekommenden Gott eine weit größere Rolle spielt, als das in Theologie und Kirche heute gemeinhin wahrgenommen wird. Ein kurzer Durchgang mag dies zeigen: Schon das Auftreten der Engel am Beginn der Geburtsgeschichten löst zunächst keineswegs adventliche Erwartung aus, sondern Furcht und Schrecken (Lk 1,12.29) und muss deshalb von dem Zuspruch »Fürchte dich nicht« begleitet werden (Lk 1,13.30). Dieser erschreckende Einbruch der göttlichen Heiligkeit wiederholt sich dann beim Auftreten Christi: Als dieser, bei der Taufe mit Gottes heiligem Geist ausgestattet, als der »Heilige Gottes« (Mk 1,24) auftritt, weckt er mit seiner Verkündigung der frohen Botschaft und deren Durchsetzung gegenüber den »unreinen Geistern« zunächst nicht Jubel und Dankbarkeit, sondern durch das ganze Evangelium hindurch mit erstaunlicher Konstanz immer wieder Furcht, Erschrecken und Entsetzen (Mk 1,22.27; 2,12; 5,15.42; vgl. 5,33),79 wobei besonders ins Auge sticht, dass auch die mit Jesus vertrauten Jünger von solchem Schrecken keineswegs ausgenommen sind (Mk 4,41; 6,50f.; 9,6; vgl. 10,32). Im Lukasevangelium wird dieses Erschrecken der Jünger sogar bereits in die Erzählung der Berufung der ersten Jünger integriert, eine Erzählung, die auffällige Berührungen mit der von Otto so geschätzten Erzählung von Jesajas Berufung (Jes 6) aufweist und die zeigt, dass das Erschrecken bei Jesus wie bei Jesaja aufs Engste mit dem durch die Gottesnähe verursachten Innewerden der eigenen Gottesferne verbunden ist: Als Jesus bei dieser Berufung seine Vollmacht im wunderbaren Fischzug des Petrus offenbar macht, ergreift die Jünger Zittern und Erschrecken, und Petrus fällt sogar vor Jesus nieder und bittet ihn, von ihm wegzugehen, weil er ein sündiger Mensch ist (Lk 5,8–10).80 Dass der im Sohn sich ereignende Einbruch von Gottes machtvoller Gegenwart immer wieder Erschrecken und Furcht hervorruft, lässt vielleicht 78

DH4, 198. In diesen Zusammenhang gehören wohl auch Notizen wie die, dass die Leute Jesus bitten, sie zu verlassen (Mk 5,17), oder auch die Reaktion der Verwandten Jesu, die ihn für verrückt erklären (Mk 3,21). 80 In DH4, 71, spricht Otto vom »Gefühl dieses eigentümlichen Unwertes den der Profane in Gegenwart des numen fühlt«. 79

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auch eine alte crux interpretum besser verstehen, den rätselhaften Schluss des Markusevangeliums: Als der Engel den Frauen die Auferstehung ankündigt, wird diese Nachricht von diesen nicht mit österlicher Freude aufgenommen; vielmehr sind sie erschüttert, als sie im Grab statt des erwarteten Leichnams einen Gottesboten vorfinden (Mk 16,5). Und als sie von diesem die Frohbotschaft der Auferstehung vernehmen, da gehen die bis dahin als einzige Jesus treu gebliebenen Frauen nicht etwa hin und gehorchen dem Auftrag des Engels, sondern »Zittern und Entsetzen« ergreift sie, und sie laufen in Panik davon, »denn sie fürchteten sich« (Mk 16,8). Diese provokativen letzten Worte des Evangeliums sollen wohl nachdrücklich unterstreichen, dass es an Ostern nicht um ein Happy End geht, welches das Skandalon des Kreuzes rückgängig macht. Wenn nun selbst diejenigen entsetzt davonlaufen, welche sogar die Schrecken des Kreuzes ausgehalten haben, dann unterstreicht das: Als Einbruch der schöpferischen Lebensmacht in eine vom Tod bestimmte Welt ist die Auferstehung, auch wenn sie dann zur Grundlage der Frohbotschaft wird, zunächst ein tremendum. Auferstehung ist ein apokalyptisches Ereignis. Das Erschrecken der Frauen ist somit nur die letzte Steigerung des Erschreckens der Menschen im Evangelium: Die Macht Gottes, die sich im ersten Teil des Evangeliums in Jesu vollmächtigem Wirken zur Geltung bringt, vollendet sich im zweiten Teil durch Gottes Handeln an Jesus. Auch bei den ausgeführten Ostererzählungen der synoptischen Seitenreferenten bleibt das Erschrecken ein konstitutives Element;81 in allen Evangelien gehört deshalb der Zuspruch »Fürchtet euch nicht« oder »Friede sei mit euch« zum festen Bestandteil der Erscheinungen des Auferstandenen (Mt 28,10; Lk 24,36–38; Joh 20,19.21.26; vgl. Mt 28,5). Furcht und Erschrecken stehen nicht im Gegensatz zum offenbar werdenden Heil, sondern gehören unmittelbar dazu. Von Ottos »Heiligem« sensibilisiert, nimmt man somit das Erschrecken als einen Zug wahr, der durchgängig die Reaktion der Menschen auf den im Sohn nahekommenden Gott kennzeichnet, von den Geburtsgeschichten bis zu den Ostererzählungen. Auch wenn man der Zelebration des »grauenvoll-furchtbaren Dämonisch-Göttlichen« bei Otto mit einer gewissen Zurückhaltung gegenübersteht, weil damit eine numinose Unbestimmtheit in einer nicht unproblematischen Weise zum Substrat der religiösen Erfahrung wird, so wird man Otto doch andererseits darin recht geben müssen, dass auch die durch die Engel und dann vor allem durch den Sohn eröffnete Gegenwart Gottes schlechterdings nichts mit frommer Behaglichkeit zu tun hat, sondern sehr viel häufiger, als das gemeinhin wahrgenommen 81

Bei Lukas neigen sich die Frauen in dieser Szene in ihrem Schrecken zur Erde (Lk 24,5), und in der matthäischen Variante dieser Erzählung erschrecken dann die Wachen so, dass sie »wie tot« werden (Mt 28,4), während die Frauen gleichermaßen von Freude wie von Furcht erfüllt werden (Mt 28,8).

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wird, mit Furcht, Schrecken und Entsetzen verbunden ist, weil diese Gottesnähe die eigene Gottesferne bewusst macht. Das kann und muss im Sinne Ottos dann auch umgedreht werden: Nur in seiner strikten Unterscheidung vom Menschen kann der Vater auch der Begegnende und Befreiende sein, bedeutet seine Nähe heilbringende Gegenwart. Nicht der die menschliche Gottesferne affirmierende »liebe Gott« der infantilen Regression, sondern der sie unterbrechende Gott der heiligen Liebe bringt Heil – und zwar für die ganze Welt, wie die Parallelität zu den anderen beiden Bitten der ersten Strophe des Herrengebetes zeigt.82 Deswegen wird im Herrengebet die Heiligkeit des Namens nicht nur festgestellt, sondern Gott als Erstes gebeten, dieser Heiligkeit in der Welt Geltung zu verschaffen. Die Unverfügbarkeit Gottes kann, wie das scheinbar vergebliche dreifache Gebet Jesu in Mk 14,32–42 zeigt, so weit gehen, dass der als Vater angerufene Gott die Bitten seines Sohnes nicht erhört und den Sohn in die Hände der Sünder preisgibt. Selbst für den, den Gott in Taufe und Verklärung als seinen geliebten Sohn offenbar gemacht hat, ist die Nähe Gottes nicht die Zauberkraft eines deus ex machina. Und doch erweist sich im Licht von Ostern ebendieser fremd, ja feindlich gewordene Vater als der, der aus dem durch die Schuld der Menschen verursachten Unheil das »Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes«, werden lässt (Mk 1,1) und so das Bekenntnis des Sohnes zur Allmacht des Vaters (Mk 14,36) bestätigt. Gethsemani hat eine Parallele in 2. Kor 12,7–10. Dort bittet der Apostel vergeblich dreimal um die Befreiung vom Pfahl im Fleisch, um zuletzt von Christus die Antwort zu erhalten, dass dessen Macht gerade in der Schwäche seines Boten zur Vollendung kommt. Auch der Apostel erfährt also, dass gerade der unverfügbar-souveräne Gott der Retter ist. Das reflektiert er auch bei den beiden von Otto herausgegriffenen Aspekten des Zorns Gottes in Röm 1,18–3,20 und der Prädestination in Röm 9, deren Pointen bei Otto, wie gezeigt, durch die Isolierung gegenüber dem Zusammenhang des Evangeliums verdeckt wurden. Der Skopus von Röm 1–3 besteht darin, dass das Wunder der rechtfertigenden Gerechtigkeit Gottes nur recht verstanden wird als Überwindung des Zorns Gottes, der Preisgabe der Menschen an ihre selbstverschuldete Gottesferne. Und Röm 9 betont im Anschluss an Röm 8, dass die Erfüllung der Rechtfertigung in der Gotteskindschaft und der alles Trennende überwindenden Liebe Gottes keineswegs bedeutet, dass der Mensch über diese Gnade verfügen könnte. Gleich im nächsten Kapitel, in dem es um den Ungehorsam derer geht, denen die Gotteskindschaft ursprünglich allein verheißen war, widerspricht der 82 Auch die darauffolgende Bitte um das Kommen des Reiches erfleht ja nicht weniger als die grundstürzende Neuordnung der gesamten Welt, die zwar als Heil erwartet wird, aber dabei durchaus auch das Moment der Erschütterung beinhaltet.

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Dritter Teil: Der Heilige. Die Unverfügbarkeit des nahegekommenen Gottes

Apostel in äußerster Schärfe der – im Diatribenstil hypothetisch vorgebrachten – menschlichen Anmaßung, Gott im Blick auf seine Entscheidungen bei der Erwählung und Verwerfung zur Rechenschaft zu ziehen: »Wer bist du denn, Mensch, dass du mit Gott rechtest? Spricht etwa der Ton zum Töpfer: ›Warum hast du mich so gemacht?‹« (Röm 9,20) Die Selbstbindung Gottes als Vater setzt also seine Souveränität in keiner Weise außer Kraft. Es ist freilich auch bezeichnend, dass in den Ausführungen von Röm 9–11 gerade nicht der rex tremendae maiestatis das letzte Wort behält, sondern der Gott des wunderbaren Erbarmens (Röm 11,25–36).83 Diese »Kontrastharmonie«, wie Otto das nennt, findet sich beim Apostel auch an anderer Stelle. So besingt er etwa im Philipperhymnus das ganze Heilsgeschehen, das in der sich in der Erhöhung des Gekreuzigten erweisenden Herrlichkeit Gottes als des Vaters gipfelt (Phil 2,11). Doch der Apostel quittiert dies nicht mit einem vergnügten »Amen«, sondern fährt überraschend mit einem folgernden ὥστε fort: »Deshalb, meine Geliebten […], schafft euer Heil mit Furcht und Zittern« (Phil 2,12). Doch auch dabei bleibt er nicht stehen, sondern lässt dieser Aufforderung – wiederum scheinbar im Widerspruch zum Vorherigen – die Zusage folgen: »Gott aber ist es, der in euch das Wollen und das Verwirklichen verwirklicht« (Phil 2,13), um dann wieder die in der Vaterschaft Gottes gründende Verpflichtung der Glaubenden zu betonen, sich durch ihr Verhalten in der Welt als Kinder Gottes zu erweisen (Phil 2,14f.). Neben den Zuspruch der Gottesnähe tritt die Zumutung der ehrfürchtigen Entsprechung zu Gott, ohne dass man das eine gegen das andere ausspielen könnte. Im Sinne dieser von Otto betonten »Kontrastharmonie« ist auch im Blick auf das Geheimnis des in Christus als Vater nahekommenden Gottes zu beherzigen, was Otto in seinen Ausführungen über die neutestamentliche Versöhnungsbotschaft sagt: Der Gott des Neuen Testamentes ist nicht weniger heilig als der des Alten sondern mehr, der Abstand der Kreatur gegen ihn nicht geringer sondern absolut, der Unwert des Profanen ihm gegenüber nicht verflaut sondern gesteigert. Daß der Heilige sich dennoch selber nahbar macht ist keine Selbstverständlichkeit wie es der gerührte Optimismus der ›LieberGott‹-stimmung meint, sondern unbegreifliche Gnade.84

83 Vgl. dazu den Beitrag in diesem Band: »Vater versus Töpfer? Zur Identität Gottes im Römerbrief« (siehe oben S. 299–312). 84 DH4, 72 f.

Nachweis der Erstveröffentlichungen »Göttliche Philosophie«. Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike »Göttliche Philosophie«: Die Interaktion von Weisheit und Religion in der späteren Antike, in: R. Hirsch-Luipold/M. von Albrecht/H. Görgemanns (Hg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven. Ratio Religionis Studien Band I, Tübingen: Mohr Siebeck, 2009, 99–116.

Philosoph und Priester: Plutarch als Theologe Philosoph und Priester: Plutarch als Theologe; in: M. Baumbach/H. Köhler/A. M. Ritter (Hg.), Mousopolos Stephanos. Festschrift für Herwig Görgemanns (BKAW N.F. 102), Heidelberg: Winter, 1998, 412–425.

Philosophischer Glaube und politische Verantwortung. Plutarchs Epikurkritik in De latenter vivendo Der Mensch als Wesen der Öffentlichkeit; in: U. Berner/R. Feldmeier/B. Heininger/R. Hirsch-Luipold/H.-G. Nesselrath (Hg.), Plutarch, Ist »Lebe im Verborgenen« eine gute Lebensregel? Einführung, Text, Übersetzung, Anmerkungen und kommentierende Essays (SAPERE I), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1–22001 (unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 2011), 79–98.

Der Gott der Toten als Gott des Lebens. Plutarchs interpretatio Platonica des Osirismythos (De Iside 76–78) Osiris: Der Gott der Toten als Gott des Lebens (De Iside Kap. 76–78), in: Rainer HirschLuipold (Hg.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder (RGVV 54), Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2005, 215–227.

Der »Lenker und Herr von allem« als »Schöpfer des Rechts«. Plutarchs Theodizee Einführung, in: Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften. Griechisch-deutsch. Übersetzt und herausgegeben von H. Görgemanns und Mitarbeit von R. Feldmeier/J. Assmann (Tusculum), Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler, 22009, 318–339.

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

Bildung als Weg zu einem gelingenden Leben. Die Soteriologie der Tabula Cebetis Paedeia salvatrix. Zur Anthropologie und Soteriologie der Tabula Cebetis, in: Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Rainer Hirsch-Luipold, Reinhard Feldmeier, Barbara Hirsch, Lutz Koch, Heinz-Günther Nesselrath (SAPERE VIII), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005, 149–163.

Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele. Die Neubegründung der Unsterblichkeitshoffnung im pseudoplatonischen Axiochos Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele, in: I. Männlein-Robert (Hg.), Ps.-Platon. Über den Tod (SAPERE XX), Tübingen: Mohr Siebeck, 2012, 141–153.

Der Höchste. Das Gottesprädikat Hypsistos in der paganen Religiosität, in der Septuaginta und im lukanischen Doppelwerk Überarbeitete und erweiterte Fassung eines Beitrags zur Septuagintatagung in Wuppertal 2012. Erstveröffentlichung in: W. Kraus/S. Kreuzer (Hg.), Die Septuaginta. Text, Wirkung, Rezeption (WUNT 325), Tübingen: Mohr Siebeck, 2014, 544–558.

Die stoische Zeusallegorese und das Bekenntnis zum biblischen Gott als dem »Beleber der Toten« Der ›Beleber der Toten‹ und die stoische Zeusallegorese – Zur Genese einer unerwarteten Liaison, in: R. Egger-Wenzel/K. Schöpflin/J. F. Diehl (Hg.), Weisheit als Lebensgrundlage. Festschrift für Friedrich V. Reiterer zum 65. Geburtstag (DCLS 15), Berlin/Boston: De Gruyter, 2013, 139–149.

Weise hinter »eisernen Mauern«. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief Weise hinter „eisernen Mauern“. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief, in: M. Hengel/A. M. Schwemer (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum (WUNT 72), Tübingen: Mohr Siebeck, 1994, 20–37.

Der oberste Gott als Vater. Die frühjüdische und frühchristliche Rede vom göttlichen Vater im Kontext stoischer und platonischer Kosmos-Theologie (unveröffentlicht)

Wenn die Vorsehung ein Gesicht erhält. Neutestamentliche Transformation eines philosophischen Theologumenons Wenn die Vorsehung ein Gesicht erhält. Theologische Transformation einer problematischen Kategorie, in: H. Spieckermann/R. G. Kratz (Hg.), Vorsehung, Schicksal und göttliche Macht, Tübingen: Mohr Siebeck, 2008, 147–170.

Nachweis der Erstveröffentlichungen

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Die Wirklichkeit als Schöpfung. Die paulinische Rezeption eines frühjüdischen Theologumenons Die Wirklichkeit als Schöpfung. Die Rezeption eines frühjüdischen Theologumenons bei Paulus, in: L. Doering/H.-G. Waubke/F. Wilk (Hg.), Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft. Standorte – Grenzen – Beziehungen (FRLANT 226), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, 289–296.

Henoch, Herakles und die Himmelfahrt Jesu Henoch, Herakles und die Himmelfahrt Jesu, in: M. Janssen/F. S. Jones/J. Wehnert (Hg.), Frühes Christentum und Religionsgeschichtliche Schule. Festschrift zum 65. Geburtstag von Gerd Lüdemann (NTOA 95), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, 63–74.

»Unvergänglichkeit«. Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus Θεὸς ζῳοποιῶν. Die paulinische Rede von der Unvergänglichkeit in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext, in: I. Dalferth/J. Fischer/H.-P. Großhans (Hg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre. Festschrift für Eberhard Jüngel zum 70. Geburtstag, Tübingen: Mohr Siebeck, 2004, 77–91.

»Seelenheil«. Die Soteriologie und Anthropologie des 1. Petrusbriefes zwischen biblischer Überlieferung und religiöser Koine Seelenheil. Überlegung zur Soteriologie und Anthropologie des 1. Petrusbriefes, in: J. Schlosser (Hg.), The Catholic Epistles and the Tradition (BEThL 176), Leuven: Leuven University Press/Peeters, 2004, 291–306.

Vom Totengericht zum Jüngsten Gericht Von der Wägung des Herzens zum Jüngsten Tag. Die Übernahme des Mythos vom Totengericht in die jüdisch-christliche Eschatologie, in: K. Luchner (Hg.), Synesios von Kyrene. Polis – Freundschaft – Jenseitsstrafen (SAPERE XVII), Tübingen: Mohr Siebeck, 2010, 167–187.

Biblischer Monotheismus und Toleranz Überarbeitete Fassung von: Der christliche Monotheismus und die Integration der Fremden, in: M. Rothgangel/E. Aslan/M. Jäggle (Hg.), Religion und Gemeinschaft. Die Frage der Integration aus christlicher und muslimischer Perspektive (RaT 3), Göttingen: V&R Unipress/Vienna University Press, 2013, 93–108.

Vater versus Töpfer? Zur Identität Gottes im Römerbrief Vater und Töpfer? Zur Identität Gottes im Römerbrief, in: F. Wilk/J. R. Wagner (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11 (WUNT 257), Tübingen: Mohr Siebeck, 2010, 377–390.

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne. Beitragsserie für die Nachrichten der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. 1. »Schmecken und sehen«, Nr. 7 (1997), 195–197; 2. Gott kann den Menschen »riechen«, Nr. 8 (1997), 231 f.; 3. Gott und Gaumen, Nr. 9 (1997), 272 f.; 4. Gott und die Haut, Nr. 10 (1997), 300 f.; 5. Gott und das Ohr, Nr. 11 (1997), 341–343; 6. Gott und das Auge, Nr. 1 (1998), 14–16.

Gott und die Zeit Gott und die Zeit, in: J. Frey u. a. (Hg.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (WUNT 248), Tübingen: Mohr Siebeck, 2009, 287–305.

Gottes Torheit? Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament Gottes Torheit? Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament in: W. H. Ritter (Hg.), Erlösung ohne Opfer?, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, 17–55.

Der Gekreuzigte im »Gnadenstuhl«. Exegetische Überlegungen zu Mk 15,37–39 und deren Bedeutung für die Vorstellung der göttlichen Gegenwart und Herrschaft Der Gekreuzigte im »Gnadenstuhl«. Exegetische Überlegungen zu Mk 15,37–39 und deren Bedeutung für die Vorstellung der göttlichen Gegenwart und Herrschaft, in: M. Philonenko (Hg.), Le Trône de Dieu (WUNT 69), Tübingen: Mohr Siebeck, 1993, 213–232.

Theodizee? Biblische Überlegungen zu einem unbiblischen Unterfangen Theodizee? Biblische Überlegungen zu einem unbiblischen Unterfangen, Berliner Theologische Zeitschrift 18, Heft 1, Berlin 2001, 24–39.

Die Erfahrung der Gottesfinsternis und die Verortung des Schrecklichen in Christus (unveröffentlicht)

Ränder des Gottesglaubens: Die Engel (unveröffentlicht)

Der Heilige. Rudolf Ottos Impulse für eine biblische Gotteslehre Erweiterte Fassung des Beitrags zur Rudolf-Otto-Tagung in Marburg 2012 (Veranstalter: J. Lauster). Erstveröffentlichung in: J. Lauster/P. Schüz/R. Barth/C. Danz (Hg.), Rudolf Otto. Theologie – Religionsphilosophie – Religionsgeschichte, Berlin/Boston: De Gruyter 2014, 81–93.

Verzeichnis der zitierten Literatur Quellen Apokalypse Abrahams: B. PHILONENKO-S AYAR/M. PHILONENKO, Die Apokalypse Abrahams (JSHRZ V/5), Gütersloh 1982, 415–460. Apuleius, De Deo Socratis: Apuleius, De Deo Socratis/Über den Gott des Sokrates. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von M. B ALTES/M.-L. LAKMANN/J. M. DILLON/P. DONINI/R. HÄFNER/L. KARFÍKOVÁ (SAPERE VII), Darmstadt 2004. –, Metamorphosen: Apuleius, Der goldene Esel. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von E. BRANDT/W. EHLERS, München 31980. Aristeasbrief: Lettre d’Aristée à Philocrate. Introduction, texte critique, traduction et notes, index complet des mots grecs par A. PELLETIER (SC 20), Paris 1962; dt.: N. MEISNER, Aristeasbrief (JSHRZ II/1), Gütersloh 21977, 35–87. Aristobulos: N. W ALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten. Aristobulos, Demetrios, Aristeas (JSHRZ III/2), Gütersloh 21980, 257–299, hier 261–279. Cicero, De natura deorum: Cicero, Vom Wesen der Götter: 3 Bücher. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von W. GERLACH/K. B AYER (Sammlung Tusculum), München/Zürich 31990. Cornutus, Theologia Graeca: F. BERDOZZO, Text, Übersetzung und Anmerkungen, in: Cornutus, Die Griechischen Götter. Ein Überblick über Namen, Bilder und Deutungen. Herausgegeben von H.-G. N ESSELRATH. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von F. B ERDOZZO/G. B OYS-STONES/H.-J. KLAUCK/I. RAMELLI/A. V. ZADOROJNYI (SAPERE XIV), Tübingen 2009, 29–138. Ennius, Scenica: Ennianae poesis reliquiae. Iteratis curis rec. J. V AHLEN, Leipzig 1903 = Amsterdam 1963. Epikur: H. USENER, Epicurea, Leipzig 1887 = Stuttgart 1966. – Epicureo, Opere. A cura di G. ARRIGHETTI. Nuova edizione reviduta e ampliata (BCF 41), Turin 1973. 4. Esra: J. SCHREINER, Das 4. Buch Esra (JSHRZ V/4), Gütersloh 1981, 292–412. Gregor von Nyssa, Antirheticus adversus Apollinarium, in: F. M ÜLLER (Hg.), Gregorii Nysseni opera, Band III/1, Leiden 1958. Hesiod, Opera et dies: Hesiod, Theogonie. Werke und Tage. Griechisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von A. V. SCHIRNDING (Sammlung Tusculum), München/ Zürich 42007. –, Theogonie: Hesiod, Theogonie. Werke und Tage. Griechisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von A. V. SCHIRNDING (Sammlung Tusculum), München/Zürich 42007. Jamblich, De vita Pythagorica: Übersetzt von M. V. ALBRECHT, in: Jamblich, Pythagoras. Legende – Lehre – Lebensgestaltung. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von M. V. ALBRECHT/J. M. DILLON/M. GEORGE/M. LURJE/D. S. DU TOIT (SAPERE IV), Darmstadt 2002, 22008, 32–111.

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Verzeichnis der zitierten Literatur

Joseph und Aseneth: C. B URCHARD, Joseph und Aseneth (JSHRZ II/4), Gütersloh 1983, 579–735. – Joseph und Aseneth. Herausgegeben von E. R EINMUTH. Eingeleitet, ediert, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von E. REINMUTH/S. ALKIER/ B. BOOTHE/U. B. FINK/C. G ERBER/K.-W. NIEBUHR/A. STANDHARTINGER/M. VOGEL/ J. K. ZANGENBERG (SAPERE XV), Tübingen 2009, 3–31. Josephus, Bellum Judaicum: Flavius Josephus, De bello Judaico. Griechisch und deutsch. Herausgegeben und mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von O. M ICHEL/O. B AUERNFEIND, 3 Teile, Darmstadt 1959–1969. Klearchos von Soloi: F. W EHRLI (Hg.), Die Schule des Aristoteles. Texte und Kommentar, Heft 3, Basel 21969. Lampriaskatalog: K. Z IEGLER, Plutarchos von Chaironeia, Stuttgart 21964, 61–65. Menander: R. KASSEL/C. AUSTIN (Hg.), Menander. Testimonia et fragmenta apud scriptores servata (Poetae comici Graeci 6/2), Berlin 1998. Mischna Avot: M ARTI, K./G. B EER, Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung. Mit eingehender geschichtlicher und sprachlicher Einleitung und textkritischem Anhang, Seder 4: Nezikin, Traktat 9: ’Abôt (Väter), Berlin 1927. Ovid, Metamorphosen. Epos in 15 Büchern. Herausgegeben und übersetzt von H. B REITENBACH (BAW), Zürich 21964. Philon: Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung. Herausgegeben von L. COHN/I. HEINEMANN/M. ADLER/W. THEILER, 7 Bände, Berlin 21962. –, Quaestiones in Exodum: Philo, Supplement II: Questions and Answers on Exodus. Translated from the Ancient Armenian Version of the Original Greek by R. M ARCUS (LCL), Cambridge (Mass.)/London 1953. Ps.-Philon, De Jona: F. SIEGERT, Drei hellenistisch-jüdische Predigten. Ps.-Philon, »Über Jona«, »Über Simson« und »Über die Gottesbezeichnung ›wohltätig verzehrendes Feuer‹«. I. Übersetzung aus dem Armenischen und sprachliche Erläuterungen (WUNT 20), Tübingen 1980. Platon, Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch. Bearbeitet von H. HOFMANN. Deutsche Übersetzung von F. SCHLEIERMACHER, Darmstadt 1970–1983. Ps.-Platon, Axiochos: Platon. Œuvres complètes, Band XIII,3: Dialogues apocryphes. Texte établi et traduit par J. SOUILHE, Paris 1930. – J. P. HERSHBELL (Hg.), PseudoPlato, Axiochus (GRRS 6), Chico 1981. – Dt.: Ps.-Platon, Über den Tod. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von I. M ÄNNLEIN-ROBERT/O. SCHELSKE/M. ERLER/R. FELDMEIER/S. GROSSE/A. LOHMAR/H.-G. NESSELRATH/U. P OPLUTZ (SAPERE XX), Tübingen 2012. Plutarch, De amicorum multitudine: Plutarch von Chaironeia, Moralphilosophische Schriften. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von H.-J. K LAUCK, Stuttgart 1997, 39–52. –, De defectu oraculorum: Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung. Religionsphilosophische Schriften. Eingeleitet und neu übertragen von K. ZIEGLER (BAW), Zürich/Stuttgart 1952, 106–169. –, De E apud Delphos: Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung. Religionsphilosophische Schriften. Eingeleitet und neu übertragen von K. Z IEGLER (BAW), Zürich/Stuttgart 1952, 49–70. –, De genio Socratis: D. A. RUSSELL, Πλυτάρχου Περὶ τοῦ Σωκράτους δαιµονίου – Plutarch, On the daimonion of Socrates [Text and Translation], in: Plutarch, On the daimonion of Socrates. Human Liberation, Divine Guidance and Philosophy. Edited by H.-G. NESSELRATH. Introduction, Text, Translation and Interpretative Essays by D. A. RUSSELL/G. CAWKWELL/W. DEUSE/J. M. DILLON/H.-G. NESSELRATH a.o. (SAPERE XV), Tübingen 2010, 18–81.

Verzeichnis der zitierten Literatur

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–, De Iside et Osiride: Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften. Griechischdeutsch. Übersetzt und herausgegeben von H. G ÖRGEMANNS unter Mitarbeit von R. FELDMEIER/J. ASSMANN (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 2003, 22009, 136– 273. –, De latenter vivendo: Plutarch, ΕΙ ΚΑΛΩΣ ΕΙΡΗΤΑΙ ΤΟ ΛΑΘΕ ΒΙΩΣΑΣ. Ist »Lebe im Verborgenen« eine gute Lebensregel? Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von U. B ERNER/R. FELDMEIER/B. HEININGER/R. HIRSCH-LUIPOLD (SAPERE I), Darmstadt 1–22001 (unveränderter Nachdruck 2011), 49–61. –, De Pythiae oraculis: Plutarch, Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung. Religionsphilosophische Schriften. Eingeleitet und neu übertragen von K. Z IEGLER (BAW), Zürich/Stuttgart 1952, 71–105. –, De sera numinis vindicta: Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften. Griechisch-deutsch. Übersetzt und herausgegeben von H. GÖRGEMANNS unter Mitarbeit von R. FELDMEIER/J. ASSMANN (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 2003, 2 2009, 44–133. Poseidonios: W. T HEILER, Poseidonios. Die Fragmente, Band I: Texte; Band II: Erläuterungen, Berlin/New York 1982. Seneca, Epistulae: L. Annaeus Seneca, Epistulae morales ad Lucilium. Lateinisch-deutsch. Übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort herausgegeben von F. LORETTO, 20 Bände, Stuttgart 1997–2005. Tabula Cebetis: Übersetzt von R. H IRSCH-LUIPOLD, in: Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von R. HIRSCH-LUIPOLD/R. FELDMEIER/B. HIRSCH/L. KOCH/H.-G. NESSELRATH (SAPERE VIII), Darmstadt 2005, 68–111. Targum Neofiti: A. D ÍEZ MACHO, Neophyti 1. Targum Palestinense MS de la Biblioteca Vaticana, Band I: Génesis. Edición príncipe, introducción general y versión castellana, Madrid/Barcelona 1968. Tobit: B. E GO, Tobit (JSHRZ II/6), Gütersloh 1999, 873–1007. Vergil, Aeneis. Lateinisch-deutsch. In Zusammenarbeit mit M. GÖTTE herausgegeben und übersetzt von J. GÖTTE (Tusculum-Bücherei), München 61983. Xenophon, Memorabilia: Xenophon, Erinnerungen an Sokrates. Griechisch-deutsch. Herausgegeben von P. J AERISCH (Sammlung Tusculum), München/Zürich 41987.

Sekundärliteratur AALDERS, G. J. D./L. DE B LOIS, Plutarch und die politische Philosophie der Griechen, in: ANRW II/36.5, Berlin/New York 1992, 3384–3404. ALBRECHT, M. V., Rez. R. Joly, Le Tableau de Cébès et la philosophie religieuse, Brüssel/Berchem 1963, Gn. 36 (1964), 755–759. ALMQVIST, H., Plutarch und das Neue Testament. Ein Beitrag zum Corpus Hellenisticum Novi Testamenti (ASNU 15), Uppsala 1946. ALT, K., Weltflucht und Weltbejahung. Zur Frage des Dualismus bei Plutarch, Numenios, Plotin (AAWLM.G 1993/8), Mainz/Stuttgart 1993. ARNIM, H. V., Art. Kebes 2), PRE XI/1, Stuttgart 1921, 102–105. ASSMANN, J., Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart u. a. 1984. –, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003.

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Verzeichnis der zitierten Literatur

B ACHMANN, M., Göttliche Allmacht und theologische Vorsicht. Zu Rezeption, Funktion und Konnotationen des biblisch-frühchristlichen Gottesepithetons pantokrator (SBS 188), Stuttgart 2002. B ACK, F., Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium (WUNT II/336), Tübingen 2012. –, Verwandlung durch Offenbarung bei Paulus. Eine religionsgeschichtlich-exegetische Untersuchung zu 2 Kor 2,14–4,6 (WUNT II/153), Tübingen 2002. B ALDASSARRI, M., La difesa della provvidenza nello scritto plutarcheo De sera numinis vindicta, The Ancient Word 25,2 (1994), 147–158 (zuvor bereits in: DERS., Studi di filosofia antica, Band I, Como 1990, 115–135). B ARIGAZZI, A., Una declamazione di Plutarco contro Epicureo. De latenter vivendo, in: DERS., Studi su Plutarco (StT 12), Florenz 1994, 115–140. B ARRETT, C. K., Das Evangelium nach Johannes (KEK), Göttingen (Berlin) 1990. B ARTH, K., Der Römerbrief, 11. unveränderter Nachdruck der neuen Bearbeitung von 1922, Zürich 1940. B ARTON, J., Die Lehre von der rechten Zeit, in: M. BEINTKER/E. MAURER/H. STOEVESANDT/H. G. U LRICH, Rechtfertigung und Erfahrung, Gütersloh 1995, 287–295. B AUER, W./K. und B. ALAND, Griechisch-deutsches Wörterbuch, Berlin/New York 6 1988. B EHM, J., Art. προνοέω, πρόνοια, ThWNT 4, Stuttgart 1942, 1004–1010. B ERDOZZO, F., Text, Übersetzung und Anmerkungen, in: H.-G. NESSELRATH (Hg.), Cornutus. Die Griechischen Götter. Ein Überblick über Namen, Bilder und Deutungen (SAPERE XIV), Tübingen 2009, 29–138. B ERGER, K., Die Gesetzesauslegung Jesu. Ihr historischer Hintergrund im Judentum und im Alten Testament, Band 1: Markus und Parallelen (WMANT 40), NeukirchenVluyn 1972. B ERNER, U., Plutarch und Epikur, in: Plutarch, ΕΙ ΚΑΛΩΣ ΕΙΡΗΤΑΙ ΤΟ ΛΑΘΕ ΒΙΩΣΑΣ. Ist »Lebe im Verborgenen« eine gute Lebensregel? Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von U. B ERNER/R. FELDMEIER/B. HEININGER/ R. H IRSCH-LUIPOLD (SAPERE I), Darmstadt 1–22001 (unveränderter Nachdruck 2011), 117–139. B ERTRAM, G., Art. ὕψος κτλ., ThWNT 8, Stuttgart 1964, 600–619. B LOMENKAMP, P., Art. Erziehung, RAC 6 (1966), 502–559. B ÖCKLER, A., Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes, Gütersloh 2000. B ONAVENTURA, Breviloquium, in: L. M. Bello (Hg.), Bonaventura, Opera theologica selecta, Band V, Florenz 1964. B ONHOEFFER, D., Nachfolge (DBW 4), München 1989. –, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft (DBW 8), Gütersloh 1998. B OVON, F., Das Evangelium nach Lukas, 4 Teilbände (EKK III/1–4), 1. Teilband, Zürich/ Neukirchen-Vluyn 1989; 3. Teilband, Zürich/Neukirchen-Vluyn 2001; 4. Teilband, Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf 2009. BRÁGUE, R., Die Weisheit der Welt. Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken, München 2006. BRAUNFELS, W., Art. Dreifaltigkeit, LCI 1, Freiburg i. Br. u. a. 1968, 525–537. BRENK, F. E., An Imperial Heritage. The Religious Spirit of Plutarch of Chaironeia, in: ANRW II/36.2, Berlin/New York 1987, 248–349. –, In Mist Apparelled. Religious Themes in Plutarch’s Moralia and Lives (Mn.S 48), Leiden 1977.

Verzeichnis der zitierten Literatur

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Stellenregister Bei gleichem Beginn sind Stellenangaben nach absteigender Länge geordnet (z. B. Mt Mt 25,31–46 vor Mt 25,31 f.). Septuaginta-Belege – bei abweichender Kapitelzählung – nach masoretischer Zählung eingeordnet und mit dem Zusatz »LXX« versehen. Seitenangaben mit Nennung der Anfangs- und Endseite oder mit »f.« bezeichnen einen fortlaufenden Zusammenhang, während bei voneinander unabhängigen Nennungen auf hintereinanderfolgenden Seiten jeweils die Einzelseiten genannt werden. Durch Kursivierung der Seitenangabe wird angezeigt, wo entweder eine eingehende Exegese des betreffenden Textes geboten wird oder auf welcher (welchen) Seite(n) im Falle zahlreicher Belegstellen der oder die wichtigsten Nachweise zu finden sind. (Weitere Hinweise auf größere Zusammenhänge finden sich im Sachregister unter summarischen Begriffen wie »Himmelfahrtserzählung«, »Passionsgeschichte« etc.) Hochgestellte Zahlen bezeichnen Fußnoten; ist eine solche Zahl eingeklammert, so findet sich die jeweilige Stelle sowohl im Haupttext als auch in der genannten Fußnote. …

1. Altes Testament Genesis 1,1–2,4a 1,26 2,7 2,7 LXX 3 3,4 f. 5,24 12,1–3 12,1 16,5 17,8 23,4 28,4 32,31 35,27 36,7 37,1

328 43, 439 190, 236 236 32 80, 81, 213, 301 329 219 245 328 260 257 257 257 334 257 257 257

Exodus 2,24 3 3,6

330 290, 449 347

3,7 3,14 3,14 LXX 5,21 15,1 19,5–8 19,6 20 20,4 f. 20,5 f. 22,6–12 23,20 ff. 23,20.23 24,7 f. 24,8 24,11 24,16b 26,31a 26,36 f. 29,17 f. 33,19 33,20 34,6 f.

336 209 1342 260, 318, 336 245 329 258 329 313 417 3 260 437 438 257 365 334 247 393 31 394 39 319 299 334 417 3

502 Levitikus 11,44 f. 19,1 19,18 19,34 25,23 26,31 Numeri 6,26 11,18–20 12 12,6–8 20,1–13 25 25,1–8 Deuteronomium 4,28 4,35 5,8 f. 5,9 f. 6,1 6,4 f. 6,4 6,5

Stellenregister

257 294 216 2, 284, 292, 293 34 284 257 320

334 318 260 334 260 297 283

6,6 6,12 7,9 f. 8,3 21,22 f. 21,23 32,35 34,10

320 294 313 417 3 294 14, 289, 292, 329 171 35, 218, 289, 292 193, 289, 292, 293, 314 294 3 417 3 322, 329 357 4 420 270 334

Josua 7

260

Richter 6,11–24 11,27

438 20 260

1. Samuel 2,6 LXX 2,7 f. 15 ff. 24,13

233 24 226 260 260

2. Samuel 3,4 7,8 LXX 8,16 11 f. 24,1

260 4 304 5 260 4 260 440

1. Könige 8,31 f. 10,1–10

260 4449

2. Könige 2,1 ff. 2,1–16 2,9 f.15 5,7 LXX 19,16

148 219 219 233 24 330

1. Chronik 21,1 29,10 ff.

440 257

2. Chronik 9,1–9

4449

Nehemia (LXX 2. Esdras 11,1–23,31) 9,6 (LXX 19,6) 151, 152, 234 24 417 3 9,17 Hiob 1 f. 9,22 f. 13,4 13,7 19,22 19,25–27 19,26 f. 33,26 35,10 38–41 38 38,8 ff. 40,15 ff. 42,5 42,7.8

440 405 406 16 405 406 407 335 335 2 404 15 463 f. 406 406 335 406

Psalmen 1,6 4,7 5,2

10 334 330

503

Altes Testament 6,6 7,9 11,7 17,15 22 22,2 22,8.9 23 27,4.9 31,6 31,16 31,17 33,13–15 34,6 34,8 34,9 34,16 35,24 36,10 37,18–24 39,13 42 f. 42,3 42,4 42,5 42,6 42,10 42,11 42,12 43,2 43,5 55,2 f. 61,2 65,7 ff. 67,2 69,18 69,22 71(70),20 73 73,2–12 73,13 73,16 f. 73,16 73,22–26 73,25 f. 75,9 80,4.8.20 82(81),6 84,9 84,11

79 260 334 334 359 6, 369 23, 370 405, 420 370–371 24 194 334 359 6, 420 6 342 334 336 334 322 314, 320, 322, 323 330 260 7 151, 383 10 257, 330 334, 366 334 367 334 359 6 405 367 359 6 367, 405 359 6 330 330 194 334 334 359 6 151, 233 24 407–409 407 407, 408 408 407 408 408 112 18, 36722 334 143 330 342 20

86,1 86,15 88,3 88,11 88,15 90,2 90,4 91(90),1 91,11 94,1 f. 94,9 96 102,2 f. 102,3 102,12 f. 102,20–23 102,25b–28 103,7 103,8 103,15–17 104,2 ff. 110,1 111,10 113,6–9 113,6 115,6 115,17 116,1 f. 116,2 118 118,17 f.21 118,22 f. 119,19.54 119,105 119,135 121 130,2 135,17 139,10 143,7 144,4 145,8 145,19

330 417 3 330 79 405 341 342 141 439 260 330 261 330 330, 334 341 336 341 2 417 3 342 194 216, 226 38 156 10 336 27 320, 330 80 330 330 276 41, 363 f. 363 359 6, 363 f. 257 329 334 194 330 330 342 334 341 417 3 330

Sprüche (Proverbien) 1–9 36, 1624 1,7 41, 15610 3,11 118 34 9,10 41, 15610 275 39 14,31

504

Stellenregister

16,4 16,9 19,21

156 10 195 195

Prediger (Kohelet) 3,19.22 11,9(a).10 12,1–7 12,14

262 9 262 262 (10) 262

Jesaja 1,10–20 1,10 5 6 6,1–3 6,5 28,14 29,14 38,18 38,19 40,6–8 40,12–25 40,22 42,6 44,9–20 45,7 45,9 45,21 46,5–9 51,17 51,22 53 54,8 60,1 f. 61,1 f. 61,1 63,19/64,1 64,7 65,6 66,1 f. 66,1 66,5

275 39 330 363 463, 475 437 6 330 378 80 330 342 313 395 42 284 4 168 28 195 404 15 294 313 112 18, 36722 112 18 359 6 335 5 353 352 42 335 311 263 12 144 398 55, 39957 330

Jeremia 2,13 5,3 10,3–5 15,18 17,12

151 336 168 28 405 399 56

25,15 31,20 31,31 ff.

367 22 365 17 365

Klagelieder (Threni) 3,56 330 Ezechiel 18 33,11 36,1 37,4 39,29 43,7

102 33 9 330 330 335 399 56

Daniel 2 3,26.32.99 4,10.14.20 4,21 5,23 7,10 7,18.22.25 7,26 f. 7,27 8,15 f. 9,17–19 9,17 9,21 10,13 10,20 10,21 12,1 12,2

195 143 439 23 143 330 263 143 263 143, 264 439 330 334 439 439 (23), 455 61 439 23 439 264, 439 264

Hosea 4,1 6,4–6 11,1–7

330 261 261

Joel 2,13 3,4

417 3 263

Amos 5,18–20 5,21 9,8

261 320 336

Septuaginta und Pseudepigraphen des Alten Testaments Jona 4,2

417 3

Zephanja 1,14–16

261

Maleachi 1,2 f. 3,13–21 3,16.19.20.23

299 263 263

2. Septuaginta und Pseudepigraphen des Alten Testaments Apokalypse Abrahams 15,4 395 43 19,3 ff. 395 43 Aristeasbrief 2 f. 2 3 5–8 5 11 15 16 17 f. 19 20–24 20 f. 20 31 37 42 83 ff. 128–169 128 129 130–169 130 131 132 f. 132 133 134–138 135 ff. 137 f. 137 138 f. 138 139 140 f.

157 156 10 163 13 173 46 163 13 154 157 40, 157, 167, 16827 158, 167 25 157, 167 25 158 158 167 25 3840, 39, 154, 163 (13) 157 (11), 167 25 157 11, 16725 164 164 f. 164 15 164 17 154 f. 170 170, 293 168 170, 171 35 170 168, 170 172 156 168 29 168 168 29, 17448 40, 43, 155, 160, 168, 170, 174 47 156, 168, 170

140 141 142 143 144 145–147 147 150–152 150 f.153 f. 164.165 ff. 165–167 168 f. 169 170.171 177.185 187–294 187–292 188 ff. 200 201 235 293 f. 311.312.313–316 313–315 315

168, 174 48 168, 173 168, 170 154, 164 18 4041, 155, 164 18 164 165 169 165 165 155 165 40 165 157 11 166 155 157 11 155 168 26, 198 41, 166(21) 156 166 158 166

Baruch 3,9–4,4 3,9.12.14.20 3,23.27.28.37 4,1 ff.

39 39 39 39

Epistula Jeremiae 7 ff. 168 28 4. Esra 4,1 4,2 4,11 4,36 f. 5,34

143 142 35 142 35, 143 343 23 142 35

505

506 7,33–36 7,75.78b–98 7,79 7,98 10,54 13,54–56

Stellenregister 266 265 143 335 143 37 266

1. (Äthiopischer) Henoch 5,6–8 252 22 15,6 f. 442 30 93,8 219 2. (Slawischer) Henoch 57,1–3 220 Joseph und Aseneth 8,2 143 38 8,5 152, 240, 254 31 8,6.9 152 8,11 248 11,8.10 152 12,1.5 152 14,2 387 9 15,5 240, 248, 254 31 15,7 248 16,14 143 16,16 240 (47), 254 31 240 (47), 254 31 18,9 19,8 152 20,7 152, 234 21,4 143 22,13 143 38 144 23,10 27,10 248 Jubiläenbuch 12,19 f.

290 25

1. Makkabäer 2,58

219

2. Makkabäer 2,21 4,13 7,28 f. 7,28 8,1 14,24 14,38 15,34

3839 3839 80, 152, 212, 23425 307 3839 253 28 3839 253 28

3. Makkabäer 3,4 ff.

164 16

4. Makkabäer 1,1.16.17 4,26 5,36 5,38 6,31 7,4 7,6 7,9 7,14.16 8,1 8,8 9,22 13,1 15,23 16,1 17,12.15.16 18,2

41 3839 253 28 41 41 41 42, 25328 42 41 41 42 240 43.47, 254 31 41 41 41 240 43 41

Psalmen Salomos 2,3 8,22 14,10 17

253 28 253 28 252 22 265

Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos) 1,5 118 32 1,13 f. 81, 159 2 301, 355 2,1 ff. 159 2,23–3,9 80 2,23 f. 81 2,23 159, 238–240, 254 31 159 2,24 3,1.4 159 3,11 43 3,13 253 28 4,2 254 30 240 47 4,10–13 5,17 212 6,12(13) 254 30 6,18 f. 80 6,18 239, 254 31 7,18 ff.21.28 43 8,2 ff. 43 8,2.8.13.17 43 8,19 f. 253 28

507

Neues Testament 11,15 12,1 12,24 13 f. 14,3 14,26 15,3 18,4

85 254 30 85 168 28 189 32 253 28 348 33 254 30

Sibyllinen V,392

253 28

Sirach Prol. 3.12 Prol. 27 ff.35 1,1 1,14 4,10 24,1–22 24,2 24,3–12.23–25 24,23 25,32

38 39 38 38, 41, 156 10 143 38 143 38 142 33, 1624 316

41,8 48,9.12 50,19

142 33, 17552 219 142 32, 143

Testament Hiobs 3,5

245 6

Testamente der Zwölf Patriarchen Benjamin 8,2 f. 253 28 Issachar 4,4 253 28 Levi 7,3 253 28 9,9 253 28 14,6 253 28 16,1 253 28 Ruben 1,6 253 28 2,7 321 Tobit 12,15

440

3. Neues Testament Matthäusevangelium 1 180 11 1,20 438, 448 1,24 438 2,13 438, 448 2,16 373 2,19 f. 448 2,19 438 3,9 311 4,1–11 291 4,3 374 4,4 329 4,6 374 4,8 f. 373 4,9 291 4,11 444, 448 4,16 5, 15 55, 423 373 5,3 5,5 374 5,8 335 5,9 298, 308 5,10 373 5,11 f. 413 35

5,14–16 5,34 5,35 5,43–48 5,43–45 5,45 5,48 6,1–6 6,8 6,9 f. 6,9 6,10 6,16–18 6,25–34 6,25–33 6,26 7,8 7,12 7,13 f. 7,13 7,21–23

77 398 55 136 4 284 295 25, 14643, 193, 298, 308, 467 25, 193, 295, 298, 467 7772 200 16 178 2, 468 196 7772 205 193 200 330 177, 374 272 117 31 275 40

508 7,24–27 8,11 f. 8,11 8,12 10,28 10,29–31 10,33 11,23 11,25–27 11,25 11,26 f. 11,27 11,28–30 11,29 12,28 ff. 12,28 13,11 13,24–30.36–43 13,39–42 13,41 f. 13,41 13,47–50 13,49 f. 16,27 18,10 18,15 ff. 18,20 18,23–35 19,19 20,28 21,5 22,1–10 22,30 22,37–40 22,40 23,22 24,11 f. 24,30 f. 24,31 25,14–30 25,31–46 25,31 f. 25,31 25,34 25,40 25,41 25,45 25,46 26,28 26,39

Stellenregister 272 269 323, 414 269 461, 466, 468 200 441 269 467, 468 15 178 2 9, 179 6 270 374 373 291, 344 9 272 444 444 454 272 444 444, 454 444 7771 374 275 40 293 34 8 374 323 442 374 177 398 55 274 444 454 77 274 f., 374 444 275, 454 252 22, 275 275, 374, 444 35 275, 441, 444 374, 444 35 444 276, 359 178 2

26,42 26,53 27,40 27,43 27,46 27,51–53 27,51 27,52 f. 27,54 28,1–8 28,2.3 f. 28,4 28,5–8 28,5 28,8 28,10 28,16.18–20 28,18 28,19.20

178 2, 410 22 373, 444 371 24, 374 371 24 405 359, 388 386 373 389, 391 27 446 446 476 81 446 476 476 81 9 27, 476 373 359 374

Markusevangelium 1,1 1,4 1,9 1,10 f. 1,10 1,11 1,13 1,14 f. 1,15 1,21–28 1,22 1,24.27 1,31.41 2,12 2,17 3,4 3,10 3,21 3,22–30 3,27 4,1 f. 4,41 5,15 5,17 5,23.25–34 5,27–31 5,37 5,41 5,42

398, 423, 477 268 357 396 387 9, 390 390 (20) 448 6, 18, 353, 468 224, 343 f., 399 18 17, 475 475 325 475 8 8, 345 325 475 79 441 291 18 475 475 475 79 325 325 365 16 325 475

509

Neues Testament 6,50 f. 6,56 7,33 8,22 8,31 ff. 8,31 8,33 8,35 8,38 9,2 9,6 9,7 9,9 9,24 9,27 9,31 ff. 9,35 10,13 10,17–22 10,17 10,27 10,32–45 10,38 f. 10,42–45 10,45 12,1–12 12,1–9 12,1 ff. 12,10 f. 12,18–27 12,21 12,24 12,25 12,26 12,27 12,28–34 12,29–31 12,29 f. 12,29.30 12,31 12,31b 12,32 12,34 13,2 13,3 13,24 f. 13,26 f. 13,27 13,32

475 325 325 325 360 8, 205 367 21 76, 245 441, 454 365 16 475 357, 390 (20) 390 422 325 360 9 325 293 34 252 22 136 360–362 396 46 347 8, 11, 270, 359, 361, 364, 365 362–364 276 41, 364 358 5 276 41, 3596, 363 235 28, 442 293 34 235 28, 347 442 347 79 f., 151, 348 14, 292–294 25, 292 329 292 1450, 292 294 293 294 387 10 365 16 371 442 454 179 6, 442

14,22–25 14,24 14,25 14,29.30.31 f. 14,32–42

16,1–8 16,5–7 16,5 16,6 16,8

347, 364–366 276, 359 323 370 24 366–369, 443, 460, 477 365 16 359 6 409 15, 136, 178(2), 1796, 309, 345, 409–411, 467, 477 370 24 8, 410 23, 420 387 10 180 11 1553 420 369–372 369 359 6, 369 370 369 370 387 10 370, 371 370 371, 405, 420 371, 410 24 359 6 396–398, 411 27 371, 386, 388 f. 371, 386–398 372, 386, 388 (12), 389 372 445 476 9 27 476

Lukasevangelium 1 f. 1,1–4 1,1.3 f. 1,3 1,4 1,11 1,12.13 1,19 f.26–38

137, 223 f. 144 39 353 352, 381 33 1975 438 475 447

14,33 14,34 14,35 f. 14,36

14,38 14,41 14,58 14,61 14,62 14,66–72 15,20–39 15,20.21.22 15,23 15,24.25 15,26.27 15,29–32 15,29b 15,33 15,34–37 15,34 15,35 f. 15,36 15,37–39 15,37 15,38 15,39

510 1,29.30 1,32 f. 1,32 1,35 1,37 1,38 1,46–55 1,46.48 1,49 1,51–54 1,51–53 1,52 1,76 1,78 f. 1,78 2,8–12 2,9–12 2,9 2,11 2,13 2,14 2,34 f. 2,41–52 2,41 ff.49 3,7–9 3,8 4,1–13 4,1 4,4 4,5–8 4,8 4,14 4,16–30 4,18 4,21 4,23–30 5,8–10 5,8 f. 6,19 6,20–26 6,20.24 6,20b–23 6,24–26 6,32–36 6,33 f. 6,35 f. 6,35 6,36 6,47–49 7,13

Stellenregister 475 145 144, 145, 147 144, 145, 147, 352 136, 447 145 (41) 137 145 145, 147 274 226, 374 147, 226 40 144, 146 5, 15 55, 145 148 145 448 5 15, 145, 438 354 448 145, 148 205 48 223 269 311 145, 291, 352 352 329 147 291 352 284 4, 352 f. 352 42 352, 353 205 475 6 325 375 274 35 146 146, 375 284 146 25, 193, 467 144, 146, 180 11 146 272 5

7,14 7,16 7,36–50 8,10 8,28 8,36 9,26 9,31 9,51 9,53 9,58 10 10,15 10,18 10,21 f. 10,21 10,22 10,25–37.38–42 11,2 11,20 11,29–32 12,6 f. 12,8 f. 12,8 12,13–34 12,15 12,16–21 12,22–32 12,24 12,32 12,50 12,51 13,1–5 13,3.5 13,23 f. 13,28 f. 13,28 13,29 14,11 14,16–23 15 15,7.10 15,11–32 15,31 16,9.11.13 f. 16,15 16,19–31 16,19–26 16,22

325 5 272 32 9 144–146 146 441, 443, 454 205 147, 226, 353 147 46 147 46, 22430 180 11 269 291, 354 178 2, 220, 467, 468 15, 352 9, 179 6 272 32 16, 1782, 179 6, 196, 468 291, 344 147 200 441 28, 454 443 32 224 32 224 76, 273, 375 205 200 227 43 396 46 375 269 269 272 269 269 323 147, 226 41 323 8, 375 443 32 178, 193, 272 32 21, 304 273 147, 226 40 76, 375 272 f. 443

Neues Testament 17,21 18,7 f. 18,9–14 18,14 19,10 20,36 20,38 20,42 f. 22,20 22,22 22,27 22,29 22,42 22,43 22,51 22,69 23,8–11 23,14 f. 23,32–43 23,34 23,43 23,44 f. 23,45 23,46 23,47 24,4–7 24,4 24,5 24,23 24,25–27 24,26 f. 24,36–38 24,39 24,40 24,44–46 24,48 f. 24,49 24,51 24,52 f. 24,53

354 270 272 32, 375 147, 226 41 8, 226 40, 375 80, 442 80 226 38 276, 365 18 353 44 375 227 43 178 2 443 325, 375 226 38 147 226 39 272 32 178 2, 375 354, 375 388 359 6 178 2, 420 6 226 39, 389 446 39 445 (38) 476 81 445 38 206, 225, 358 226 38 9 27, 476 324 421 206 219 148, 227, 375 375 376 220

Johannesevangelium 1,1 ff. 356 1,1 f. 2, 328 1,1 351 1,4 f. 2, 15 55 5, 335 1,5 1,9 4, 5, 12, 15 55 1,11 6 1,12 f. 2

1,13 1,14 1,18 f. 1,18 1,51 3,1–17 3,2 3,5 3,15 ff. 3,16 3,18 3,36 4,24 5,4 5,24 5,28b–29 6 6,52–58 7,16 8,12 8,31 f. 8,58 9,5 10,11–16 10,14.15a 10,38 11,41 12,24 12,27 12,29 13,31 f. 14,6 14,7.9 15,12 15,14 f. 16,3 16,33b 17,1 17,25 18,33–38 18,37 18,38 19,30 20,12 f. 20,12 20,17 20,19 20,20 20,21

511 249 2, 4, 18011, 351 3 314 446 351 18 249 376 4, 11, 180 11, 193, 376, 432 180 11 376 1554 446 40 277, 351, 376 278 43 323 314 18 2, 15 55 10, 22 351 2 359 9 10 178 2 240 48, 359 178 2 446 40 4 2286, 47 62 10 177 468 10 376 178 2 9 4762 4762 22, 47 62 359 7 446 445 308, 468 9 27, 476 421 9 27, 476

512

Stellenregister

20,24–29 20,24–27 20,26 20,29

4 421 9 27, 476 314

Apostelgeschichte 1,2 1,5 1,8 1,9–11 1,10 f. 1,10 1,11 1,22 1,24 2,1 ff. 2,4 2,17 2,22–24 2,23 2,24 2,26 2,29–36 2,32–35 2,33 2,34 f. 2,42 3,13–15 3,14 3,15 3,21 4,8 4,10 4,22 4,27 4,28 4,31 5,19 5,30 f. 5,31 5,41 6,3.5 6,13 7,48–50 7,48 f. 7,48 7,49 7,51 f. 7,53 7,55

147 47, 22642 219 148, 219, 227, 375 375 446, 449 220 147 47, 220, 22642 147 47, 22642 170 33 352 227 354 206 353 44 206 376 226 38 375 148, 227, 352 226 38 18 358 226 39 206, 375 354 227 358 206 226 39 353 44 227 438, 449 358 148, 226, 375 413 35 227 144 398 52, 39957, 450 144 144, 147 398 55 358 5 450 227

8,26 8,29 8,32 f. 8,39 10,3 10,7.19.22 10,38 10,42 10,43 11,13 12,7–11 12,7 12,23 13,12 15,8 16,7 16,16 ff. 16,17 17 17,18 17,27 19,9 19,34 20,32 22,14 23,8 24,2 26,14 Römerbrief 1–8 1–3 1 1,1 1,3 1,7 1,16 f. 1,16 1,18–3,20 1,18–32 1,18 ff. 1,19 f. 1,21 1,23 1,25 2,5 f. 2,19–25 3,5 f.

438, 449 449 359 6 449 438 21, 449 449 352 42 353 44 352 449 449 438 449 18 170 33 227 146 144, 147 45, 353 1979, 47 64, 48, 223 222 21 314 1767 139 252 22 226 39 441 27 195 4 225 36

202, 280, 300–309, 310 f. 477 213 309 178 2 11, 309 469 136, 300 212–214, 300, 477 212, 214 210 6, 367, 466, 469 213 168 29 85, 213, 23836, 307, 350 213 277 313 404

Neues Testament 3,5 3,12 3,21–28 3,21 ff. 3,23 3,24–26 3,25 3,26 3,27 4 4,5 4,17 f. 4,17

5 5,1–11 5,1 f. 5,2 5,5 5,8–11 5,8 f. 5,8 5,9.10 f. 5,10 5,11 5,12–21 5,12 5,17 5,18 5,21 6 6,1 ff. 6,1 f. 6,4 6,11 6,12 ff. 6,13 6,17 6,23 7 7,13 7,18 f.22–24 7,24 f. 7,24 7,25–8,2 7,25 8 8,1–17 8,1

402 118 33 300 359, 469 118 33 359 300 276, 300–302, 349 301 215 302 212 1558, 80, 89, 152, 213, 234 (27), 301 f., 307, 382 213 423 214 4 12, 301 11, 131 304 277 11, 383 359 6, 11, 301 301 216 1 80, 21313, 233 301 213 6 21 89 7 21 277 309 6 21 7 21 302 18 302 8 25 233 7 21 242 302 302 8 25 213, 308, 477 214 131, 302

8,2 8,9–17 8,9–11 8,9 ff. 8,9 8,10 f. 8,10 8,11 8,12–17 8,14–17 8,14–16 8,14 ff. 8,14 8,15 f. 8,15 8,16 8,17 8,18–39 8,18–25 8,18–22 8,18 ff. 8,18 8,19–25 8,19 8,20 8,21 8,23 8,24 8,26 f. 8,28–30 8,28 ff. 8,28 8,29 8,30 8,31–39 8,31 ff. 8,31 f. 8,31 8,32 8,33 f. 8,35–39 8,35 8,37 8,38 f. 8,38 8,39

513 302 131, 354 131, 302 214 132, 302 242 302 132, 302, 303, 348 280 16, 192, 25223, 301, 308, 345, 452, 468 202 405 132 302 132, 178 2, 179(6), 202, 309 131 38 132, 214, 303, 412 33, 473 405 16, 303 310 8 25, 1447, 192, 214, 354 4 12, 214, 413 413 310 213–215 202, 280, 310, 346 214, 242 50 280, 314 131, 330 201 f., 310 5 200 5, 10, 202, 241, 308 5, 202 193, 242, 280 202 303, 432 5, 12, 132 11, 304 277 202 305 11 300, 305 450 46, 452 11, 302

514 9–11

9 f. 9 9,2 9,6.8.12.13 9,14 9,15 9,16 9,18 9,20 ff. 9,20 f. 9,20 9,21 9,23 f. 10,17 11,2 11,8 11,11 11,25–36 11,25 f. 11,25 11,26 f. 11,26 11,28–36 11,31 11,32 11,33–36 11,36 12,1 12,7 12,17 f. 12,19 12,20 f. 13,1–7 13,10 13,14 14,7 ff. 14,9 15,17 15,18 f. 15,33 16,17 16,20 16,26 16,27

Stellenregister 8 25, 202 f., 280, 310–312, 404 (14), 478 204 202, 299 f., 466, 469 f., 477 404 14 299 299, 404 299 279, 299, 311 202, 299, 470 405 300, 404 478 299 202 3, 329, 336 10 131 311 478 280 202 280 470 203 311 203, 280, 310 –312, 470 310 14, 15, 193 37, 215, 309 296 1768 296 270 296 17 177 195 4 76 277 301 382 298 18 298 350 47

1. Korintherbrief 1 f. 1 1,11 1,17 1,18–2,5 1,18–25 1,18 1,19 1,20 f. 1,20 1,21 1,22–24 1,22 1,23 1,23a 1,24 1,25 1,26–31 1,26 ff. 1,26 1,28 1,29 1,30 1,31 2,1–5 2,2 2,4 2,5 2,6–9 2,6 2,7 2,14 3,13–15 3,14.15.17 4,9 4,17 5,12 6,3 6,9 f. 7,22 f. 7,22 8,1–3 8,1 f. 8,1 8,2 f. 8,3

46 f., 377–382 240 377 46, 377 377–383 319, 377–381 136, 356, 377, 379, 421 378 210 46, 378 f. 378 378 f. 46, 378 46, 226, 232, 372, 418 379 47, 379 46, 136, 379 377, 381 f. 235 30 235 30 235 30, 379, 381 381 47, 381 f. 301, 381 377, 382 418, 421 382 47, 382 380 47 47, 379 319 278 278 450 46, 451 1768 245 452 252 22 309 309 23 10 296 10 10, 77

Neues Testament 8,6 8,13 10,31–33 11,2 11,10 11,23–26 11,24 11,25 12,12–13,13 13 13,8 13,9 13,12 13,13 14,6.26 14,33 15

15,1–11 15,1 ff. 15,3–5 15,3 f. 15,3 15,12 15,13–19 15,20–57 15,20–28 15,20 ff. 15,20 15,23 15,21–28 15,21 15,21a 15,22 15,23–28 15,23–26 15,26 15,28 15,35–57 15,35–49 15,35 15,36–38 15,36 f. 15,36 15,39–41 15,42–54 15,42 f.

16(63.66), 19 79, 190, 192, 193, 309 296 77 1666 450 46, 452 364 359 276, 365 18 76 17 1033 335 10(33), 77, 335 f. 1033 1768 298 152, 215, 231–236, 237, 240 f., 242, 301, 304 7, 383 233 232 22 1666 358 359 232, 233 233 411 216 1, 279 359 216 1, 231, 233, 242, 359 216 1 310, 354 80, 348 213 13 152, 233, 348 233 414 89, 279, 350 279 193 234–236 232 234 359 80, 152, 234 235 359 235

15,44b–49 15,45 15,47–49 15,50–57 15,50 15,51c 15,53 f. 15,53 15,54–57 15,54 f. 15,54 15,56 15,57 2. Korintherbrief 1,8–11 1,9–11 1,20 1,22 2,14–16 2,14.15 f. 3,17 f. 3,17 4,1 4,4 4,6 4,7–11 4,7 4,9 4,10 f. 4,16–18 4,16 4,17 f. 5,1 5,10 5,14 ff. 5,14 f. 5,17 5,19 5,21 6,18 8,9 10,2 10,8 11,1–12,10 12,1–5 12,2

515 236 80, 152 236 32 216 1 241, 252 22, 35038 241 350 241 (49), 350 38 359 241 241 49, 35038 233, 236 8, 241, 350

218 8 349 11 413 314, 318 f. 318 1554 131 5 335 5, 15 58, 335, 382 218 8 12 412 33 349, 412 33 12 245, 279, 349 349 350 36 277 359 76 192, 215, 279, 301, 350 131 39, 210, 35039, 430 (17) 1980, 276, 303, 349, 380 32, 383 304 5 1980, 303, 349, 380 412 30 412 218 8 450 395 43

516 12,6–9 12,6 12,7–10 12,7–9 12,7 f. 12,9 f. 12,9 12,10 12,19 13,4 13,10 13,11 Galaterbrief 1,1 1,8 1,10 1,12 2,17 2,20 3,13

3,18 3,19 f. 3,19 3,29 4 4,3 4,4–7 4,4 4,5–7 4,6 f. 4,6 4,7 4,9 4,26 5,1 5,6 5,13 5,16–25 5,16 f. 5,18 5,19–21 5,21 6,2 6,15

Stellenregister 411 f. 412 31 477 381 432 218 8, 349 411–413, 432 412, 413, 432 412 412 33, 41334, 432 412 298, 417, 475

179 3 451 309 16 277 11 1980, 303, 311, 349, 357 4, 359, 380 32, 420 451 280 47, 453(57) 451 473 308 210 301 348 308, 345 192, 252 23, 452, 468 132, 178 (2), 179 6, 309 473 10, 77, 336 399 59 309 25, 277, 296 277, 309 272 247 132 277 252 22 277 192, 301, 350

Epheserbrief 1,1 1,3–14 1,4.5.7.9 f. 1,9.10.11 1,14 3,16 4,6 4,17–23 4,17 f. 4,17 4,18 4,19 4,20–23 4,20 f. 4,20 4,21 4,22 f. 4,22 5,2 5,5 Philipperbrief 1,1 1,23 2,2 f. 2,5–11 2,5 2,6–11 2,6 f. 2,6.7.8 2,8c 2,9–11 2,9 2,10 f. 2,11 2,12.13.14 f. 2,15 2,17 f. 3,1 3,6 3,7 ff. 3,8–11 3,10 f. 3,12 3,20 3,21 4,4 4,9

203 203 203 203 252 22 245 1662, 191, 192 117 f. 117 117, 118 118, 414 118 117 118 117 1975 118 117, 118 320 252 22

309 433 218 359 218 17, 136, 149, 216– 218 309 218 217 3 179 13 309 179 (3), 218, 478 478 77 433 433 7 21 379 20 412 33 10, 11, 20, 422 77 4 12, 193, 241 433 298

Neues Testament 4,13 4,18

218, 433 320

Kolosserbrief 1,15–20 1,15 1,23 1,28 2,3 2,7 2,8 2,9 f. 2,18 3,17 3,24

149 314, 335 314 1769 47(64) 1975 47, 48 150 453 59 179 3 252 22

1. Thessalonicherbrief 1,1 179 3 1,9 79 1,10 277 2,14 f. 358 5 280 47 2,15 4,12 348 4,13 232 5,9 f. 277, 359 5,10 1980, 303, 349 5,11 7771 5,23 298 2. Thessalonicherbrief 2,15 1975 1. Timotheusbrief 2,7 2,14 4,11 6,2 6,16

1769 316 1976 1976 1555, 350, 466

2. Timotheusbrief 1,2.4 1,11

179 3 1769

Titusbrief 1,4 2,11 f. 3,3.4–7 3,5

179 3 118 118 249

1. Petrusbrief 1,1 f. 1,1 1,2 1,3–2,3 1,3 f. 1,3 1,4 1,6 f. 1,6 1,9 1,10–12 1,11 1,12 1,14 1,18–21 1,18 ff. 1,18 f. 1,18 1,20 1,22 1,23–25 1,23 f. 1,23 1,24 f. 1,24 1,25 2,2 f. 2,2 2,3 2,4–10 2,4 ff. 2,4 f. 2,4 2,5 2,6–8 2,7 2,8 2,9 f. 2,9 2,11 2,12 2,22–25 2,25 3,1 f. 3,3 f.

517

257 77, 204 179 3, 204, 257 251, 257, 258 245, 251, 343 9 (28), 192, 250, 255, 323, 351 252, 253 29, 25430, 257 255 413 35 243 ff. 257 255 454 255 33 256 359 251 256, 359 204, 256 246 251, 254, 255 245 9 28, 192, 251, 252, 254, 323, 343, 351 257, 343 247, 255 252, 255 248 12 9 28, 192, 251, 323, 351 314, 323 204 f., 257 f. 372 28 252, 257 204, 252 204, 258 255 33, 257 204 204, 205 204, 258 255 33 77, 246, 247, 25533 77, 205 359 6 246 (7), 252 24, 25533 205 255 33

518

Stellenregister

3,4 3,12 3,15 f. 3,15 3,18 3,20 3,21 3,22 4,1 4,2 f. 4,6 4,13 f. 4,19 5,1 5,7 5,8 5,10

245 330 205 252, 255 247, 255, 359 246 7 255 33 445 37, 454 247 255 33 247, 255 255, 413 35 246 (7) 255 200, 205 255 33 255

2. Petrusbrief 1,4 1,17 2,1 2,4.11 3,8

254 179 3 137 5 454 342

1. Johannesbrief 1,1 1,5 2,8 3,2 3,14 3,16 4,7–21 4,7 f. 4,7 4,8

4,17 f.

325 1555 27 335 76 359 25 11 11 177, 193, 298, 417, 475 180 11 11 11 132 38 11, 177, 193, 298, 417, 475 277

2. Johannesbrief 7

325

Hebräerbrief 1,3

314, 335

4,9 4,10 f. 4,10 4,13 4,16

1,4–7 1,4 1,13 1,14 2,5–9 2,5–8 2,10 2,16 2,17 f. 4,15 5,10 5,12–14 5,14 6,4–6 9,1–10,18 9,14 9,15 10,31 11,1 11,3 11,17 12,5–11 12,9 12,22 12,29 13,4 13,14

453 445 37 453 252 22, 453 453 445 37 15 453 423 423 359 322 322 322 359 79 252 22 461 314 307 180 11 118 34 16, 191, 192 453 1556, 461 253 28 77

Jakobusbrief 1,17 1,18 2,19

16, 191, 192 192, 249 289

Judasbrief 1 4 6

179 3 137 5 454

Johannesoffenbarung 1,1.20 455 2 f. 271 2,1–3,14 455 4 f. 455 4,8 466 35 5 413, 421 5,2 455 5,4 413 36 5,11 454 6 432 6,10 137, 271, 413

519

Apostolische Väter 7,1 f. 7,11 8,2–4 8,6–11,19 9,11 9,14 f. 9,20 10,1–11 11,18 12,7–9 12,7.9 13,8 14,6–13 14,10 14,14–20

455 454 455 455 454 455, 456 64 330 455 271 444 36, 455 454 271 455 112 18, 36722 455

15,1.5–8 16,14 17,5 f. 17,7 18,3 18,6 18,21 19,7 20,1–6.11–15 20,12 21,4 21,5 21,18 ff. 22,4 22,6.8.16

455 271 271 455 112 18 367 22 455 414 271 271 414 456 414 335 455

4. Qumran 1QS III,13–IV,26

438

1QS XI,7 f.

252 22

5. Rabbinisches Schrifttum Achtzehn-Bitten-Gebet 1. Benediktion 152, 474 (74) 2. Benediktion 152, 234 474 (74) 3. Benediktion 4. (5.) Benediktion 306 11 306 11 6. Benediktion Mischna Avot 3,1 3,16

268 25 267

4,16 4,22

267 268

Babylonischer Talmud Berakhot 17a 442 30 289 23 61b Targum Neophyti Gen 4,1–7

266 f.

6. Apostolische Väter Barnabasbrief 18,1b–20,2

117 31

1. Clemensbrief 21,8 24,5

118 34 201

Didache 1,1–6,3

117 31

Diognetbrief 9,5

2080

520

Stellenregister

7. Griechisch-römische, jüdische und christliche Autoren Aetius Placita philosophorum I,7,10 938 Apuleius De Deo Socratis 4,128 20,166 f.

253 28.29 3210

Metamorphoses XI XI,5 XI,7,1 XI,15 XI,16,3.4 XI,21,7 XI,24,4 f.

248, 250 19 287 13 248 248 10 248 248 248

Aristobul (bei Eusebios, Praeparatio evangelica) VIII,10,4 4447 4447 XIII,12,1 XIII,12,3–8 157 XIII,12,4 4447 167 23 XIII 12,6 Aristoteles De caelo 270a 277b 280–284 282a–b

252 25 252 25 229 5 252 25

Ethica Nikomachea I,2,1094a 26–28 614 224 33 VIII,11,1159b X,9,1179a 23–32 197 Politica I,2,1253a 1–3 I,2,1253a 3–5 I,2,1253a 3.6.9 f. I,2,1253a 11–18 I,2,1253a 19 f. I,2,1253a 20 f.

Ps.-Aristoteles De mundo 4,10,394b 6,397b–398a 6,397b 7,401a

352 43 341 138 9, 341 191 35, 286, 341

Augustinus Confessiones VII,20,26

4866

De trinitate XIV,1,3

4866

Boethius Philosophiae consolatio V,6,5–7 339 V,6,18–31 340 Chrysippos von Soloi SVF 2, 1062 153 5, 185 23 Cicero De finibus II,69

6415

De natura deorum I,32 I,60 II,75 III,6 III,39 III,79–85

191 35, 28610 11 197 128 30 8617 924, 94 13, 4012

De officiis I,51

224 33

Tusculanae disputationes I,63 127 24 626 628 327 327 62 627

In Verrem V,165

357 3

Clemens Alexandrinus Stromateis I,72,4 3737 I,90,1 48

Griechisch-römische, jüdische und christliche Autoren Cornutus Epidrome (Theologia Graeca) 2 153 5, 185 23 2,1 f. 153 (7) 9,1 183 (19) Diodorus Siculus Bibliotheca historica XL,3 3735, 163 14 Diogenes Laertius Vitae philosophorum VI,2,11 324 VI,50.87 224 VII,147 153 5, 185 23 120 4 X,124 f. Dion von Prusa Orationes 1,39 1,40 2,75 4,22 12,22 12,24 12,73.74–77 12,74 12,75 12,77 12,81 17 17,7 31,11 36,32 36,36–38 36,36 36,60 53,12 55,8 72,12

183, 185 183 183 182, 185 (24) 183 182 16 184 185 183 21, 185 184 22, 18524 182 16 224 32 224 191 35, 28611 182 185 24 182, 185 184 22 182–184 329 3421

Ennius Scenica (ed. VAHLEN) Frgm. 316–318 938 Epiktet Dissertationes I,1,7 ff. I,9,1 ff. I,9,26

104 39 173 44 173 46

II,18,29 III,22 III,24,16

183 224 30 183

Enchiridion 1

111

Epikur Ad Herodotum 81

7461

Ad Menoeceum 123 f. 123 131 f.

927 171 37 6312

Ratae sententiae 5 6 14 33 34

64 7147 611 6415 6416

Fragmente 183 ARRIGHETTI 230 ARRIGHETTI 374 USENER

6414 613, 107 1 92(2), 401 (2)

Eunapios von Sardes Vitae Sophistarum 454 (II,3) 3314 Euripides Bacchae 794

225 36

Melanippe Frgm. 480

5736

Eusebios von Caesarea Praeparatio evangelica I,10,14 139 19 VIII,10,4 4447 IX,26,1 4448 XIII,12,1 4447 XIII,12,3–8 157 XIII,12,4 4447 Hekataios von Abdera FGH 264 F 6 3735, 163 14

521

522

Stellenregister

172 39 196

V,5,4 (208) V,5,4 (212 f.) V,5,4 (214) VI,5,3 (293–295)

393 390 22 393 35 387 9

Hesiod Opera et dies 121–126

223 25 436

Contra Apionem I,22 I,183 ff.

3838 164 14

Theogonia 116 ff.

210

Justin Dialogus cum Tryphone 8,1 f. 48

Herodot Historiae I,131 III,108,2

Hieronymus Commentarii in Mattheum IV,236 387 11 Epistulae 19

222 18

Homer Ilias XXIV,290–292 XXIV,314–321

435 4 435 4

Odyssee I,32–34 XXIV,1.14

914, 403 10 443

Hymni Homerici II,480–482 IV,571 f.

231 17 443 33

Jamblich Vita Pythagorica 5.8.12 30

223 3317, 225 34

Josephus Antiquitates III,6,4 (123) 392 (29), 393 33 III,7,7 (180 ff.) 392 29, 39333 290 IV,8,5 (201) VII,14,11 (380) 189 32 XII,2,2 (22) 159 XIII,5.9 (171–173) 4553 XVIII,1,2–5 (11–17) 4553 XVIII,3,3 (63) 1770 Bellum Judaicum Praef. 1–3

222 17

Kelsos Ἀληθὴς λόγος (bei Origenes, Contra Celsum) II,23 f. 411 25 II,31 356 II,33–38 1873 II,33 419 II,35 417 VI,65 428 14 418 VII,14 VII,32.35 232 21 VII,63 411 25 VII,68 418 VIII,2 287 16 Kleanthes (SVF 1) Nr. 527 Nr. 533 Nr. 537,8.20.30 Nr. 537,18–27

197 127 25 183 173

Klearchos von Soloi Frgm. 6 W EHRLI 3838 Laktanz De ira dei XIII,20 f.

927, 401 2

Divinae institutiones V,14,4 106 44 Lukian Peregrinus Proteus 11.15 ff. 3419

Griechisch-römische, jüdische und christliche Autoren Lukrez De rerum natura I,102 ff. I,265 ff. II,37–61 II,95 ff.1058 ff. III,870–1023 IV,478–483 V,416 ff. VI,58 ff.

7461 7356 7461 7356 7461 6831 7356 7461

Macrobius Saturnalia I,16,44–17,7a

287 14

Maximos von Tyros Orationes 5,4c–f 195 Megasthenes Indika FGH 715 F 3 3737 Frgm. 201 (KASSEL/AUSTIN) 347 32, 37831 Origenes Commentarii in Evangelium secundum Mattheum 138 391 27 De oratione 1,5,2

196

Ovid Metamorphoses I,5 ff.21 ff. IV,228–233 IX,241 IX,271 f. X,18 XV,234–236

210 7 22 221 14, 418 148, 221, 419 339 354

Persius Satura secunda

5111

Philon von Alexandria De Abrahamo 55 239 40 75 189 33 224 33 235

De agricultura 63 ff.

257 36

De Cherubim 50 51

253 28 238, 253 28

523

De confusione linguarum 42 238 75–82 257 36 44 76–82 77 4553, 162 De congressu eruditionis gratia 22 ff. 257 36 109 239 41 166 f.174 322 De decalogo 64

189 33

Quod deterius potiori insidiari soleat 85 239 42 87–90 127 24 116 239 42 169 253 28 De ebrietate 110 111 136 145

238 36 245 238 37, 25431 239

In Flaccum 46 170

142 36 199

De fuga et inventione 50 253 28 238 38 63 114.118 253 28 De gigantibus 15 44 f. 45.61

238 36.37, 254 31 238 38 238 36

Quis rerum divinarum heres sit 15 238 36 238 37, 25431 35

524 79 118 205 267

Stellenregister 238, 239 42 238 36 238 36, 23940 257 36

Quod Deus sit immutabilis 26 238 36 31 342 21 32 238 36 De Josepho 236

199

Legum allegoriae I,2,2 I,50 I,51 III,31 III,36 III,82

342 21 253 28 253 26 238 (36) 238 36 142

26 69–71 69 71 72–76 72–75 77 79.81 134 135 151 152 156 171

342 21 43 316 210 4, 238 439 43 190 246 316, 442 30 190 316 238, 254 31, 316 316 199

De plantatione 44 114

238 37, 25431 239 40

De posteritate Caini 135 238 37, 25431

Legatio ad Gaium 156 4557 157.278.317 142 36 336 199

De providentia I,40 II,2–6 [II,15]

De migratione Abrahami 2 246 9 44 18 f. 239 40 31 253 28

Quaestiones in Exodum II,46 247, 250 19 II,85 393 33 II,91 393 31 IV,39 257 36

De vita Mosis II,74 ff. II,81 f. II,88 II,101 II,216 III,6

Quaestiones in Genesin IV,74 246 IV,152 4447, 162 7

393 31 394 39 391 22 391 23 4557 393 33

De mutatione nominum Cainis 79 239 (41) De opificio mundi 7 8 10 12 15 ff. 21

307 44(51) 189 4552 210 4 189

199 189, 199

De sacrificiis Abelis et Caini 63.95 238 36 De somniis I,45 I,76 II,185

257 36 212 253 28

De specialibus legibus I,113 253 28 I,231 391 23 I,250 253 28 I,274 391 23 294 36 II,63

Griechisch-römische, jüdische und christliche Autoren II,165 III,189 IV,40 IV,159 De virtutibus 51.95 179.213 f.

189 33 199 253 28 290 26 294 36 189 33

Ps.-Philon De Jona 25 f. [§§ 95.99] 46 [§ 184]

248 248

Philostratos Vita Apollonii I,1 I,2.3 I,9 VII,34

3316 33 223 33

Vitae sophistarum I,8 3422 Platon Apologia 20e–21a 23b 31 39e–40b 40a 40c 40d–41d 41c–d

328 326 436 13 121 436 13 121 9 121 196, 197

Gorgias 493a 523a 524a–b 526d

89 5739, 103 35 5739, 103 35 5739, 103 35

Kratylos 396a–b 407e

153 435 8, 436

Leges (Nomoi) IV,715e–716a X,896d 5 ff. X,899d–904d X,903b 4 f.

7567 230 196 197

X,903c X,904a 3 f.

627 197

Phaidon 67b–68b 79c–80b 107d 118a

121 315 436 14 419

Politikos 273b 1

185 f.

525

Politeia (Res publica) II,379a 171 IV,424a 224 33 V,473c–d 614 VI,506e 181 14, 34528 VI,508a–509b 332 VI,509b 229 5, 315 VII,514a–517a 332 VII,514a 116 29 181 14, 34528 VII,517b.c VII,518bff. 116 29 VII,530a 211 X,609b 198 X,612e–613b 196 X,617e–621b 436 15 108 9 X,621a Symposion 202e Timaios 27d–28a 28a 28c

435 f.

29a 30c 37c 40c 41a 42e 44c 90b–c 90c

229 185 181 14, 185, 189, 345 28 229 6 197 181 14, 185, 34528 211 181 14, 185, 34528 185 197 123, 127 123 18

Ps.-Platon Axiochos 364a–365

119–132 125c

526 364b 365a–369d 365c 365d–370d 365e 366a 366b–c 366b.c 369b–c 369d–372a 369d–e 369d 369e–370a 369e–d 370b 370c

370d–e 371a–372a 371a 371c–372a 371c 372a

Stellenregister 3311, 123 126 123 125 124 124 126 22 124 124 126 125, 129 126 22 126 125 127 3312, 128, 131, 225 37, 23220, 247 8, 352 125 125 125 129 128 29 125

Plutarch Adversus Colotem (Mor. 1107d–1127e) 2,1108b 6728 6520, 75 2,1108c 3,1108d–e 6834 8,1110f–1111a 7356 8–10,1111 7357 25,1121e 6834 30,1124e–1125a 6520 7567 30,1124f 31,1125e 6939 34,1127d 69(39) Amatorius (Mor. 748e–771e) 13,756a–b 5736, 105 43 17,761f–762a 7565 19,764f–765a 231 18 An seni respublica gerenda sit (Mor. 783a–797f ) 5,786b 65 13,791c 64 17,792f 56

Ex Commentariis in Hesiodum 84 Frgm. XI 234 26 Coniugalia praecepta (Mor. 138a–146a) 138b 5324, 69 36 138c–d 84 Consolatio ad uxorem (Mor. 608a–612b) 611d–f 505 De amicorum multitudine (Mor. 93a–97b) 93e 5532 De animae procreatione in Timaeo (Mor. 1012a–1030c) 6,1014d 230 9 5948 28,1026e–f 28,1027a 5948 De capienda ex inimicis utilitate (Mor. 86b–92f ) 7252 9,90f 5948 7149 10,91e De defectu oraculorum 6835 (Mor. 409e–438e) 1,409e 51 2,410b 493 10,415b 231 18 436 15 13,416c–e 19,420b 6939 24,423d 5948 De E apud Delphos (Mor. 384c–394c) 2,385b 16–20,391–393 16–20,391e–394 17–20,392a–394c 17,392a 19–21,392 f. 19–21,392e–394a 19,392e 20,393a 20,393b–c 20,393c

340 f. 3420 8 23 188 5110 5110, 81 4, 228, 34017 253 29 287 15 229, 252 25, 25329, 340 252 25, 25329, 340 5948 253 28

Griechisch-römische, jüdische und christliche Autoren 20,393d 21,393f 21,394a

253 29 815 7459, 82, 340

De facie in orbe lunae (Mor. 920a–945d) 1,920b 9826 26,940f 9826 28,943aff. 237 34 29,944c 231 19 231 18 30,944cff. De genio Socratis (Mor. 575a–598f ) 22,591c 231 19 22,591d ff. 5948, 231 18 De Iside et Osiride (Mor. 351c–384b) 2,351e 2,352a 3,352c 3,353b 9,354b–c 9,354c 11,355c 20,358f–359a 25,360e 35,364e 45,369a–b 45,369a 45–46,369b ff. 45.369b 45–47,369d–370c 46,369d 49,371a 53,372f 54,373a 54,373b 61,375d–e 64,377a 65 ff. 66–67,377e–378a 68,378a 71–76 71,379d–e 71,379d.e 74,381a 76–78 76,382b

84 83(12) 8210, 83, 84 84 82 f. 5213, 83 5215 83 437 17 505 5529 230 10 230 5112 5216 229 3 82(99), 85 88 829, 88 84 88 829 85 287 16 5218, 53 20, 84 85, 21312 86 86 4042, 86 19 79–90 87

76,382c 78,382e–f 78,382e 78,382f–383a 79,383b

527

86 229 4, 231 18, 341 18 79, 82, 85, 88 79, 90 23 253 28

De latenter vivendo (Mor. 1128a– 1130e) 61–78 1,1128a–c 6727, 95 18 5,1129d–e 72 6,1129b 70 6,1129e–f 6623, 73 6,1129e 7358 6,1129f–1130c 74 6,1130a 69 6,1130b 6520 De Pythiae oraculis (Mor. 394d–409d) 3,395e 253 28 8–11,397f–399f 6939 29,409b–c 507 De sera numinis vindicta (Mor. 548a–568a) 53 f., 91–106 1,548b–c 54, 69 40 94 1,548c 2–3,548c ff. 5530 2–3,548c–549e 9310 2,548c–549b 6939 3,549b–d 6939 3,549b 9416 3,549d 5529 4–5,549e–550c 5322, 55 32, 96 21 4,549e 55 4,550a 49, 55 (29), 75 67, 92, 9622, 101 5 101 5,550c 56(35), 10542 5,550d–e 101 5,551b 101 6,551d 9519, 101 6–7 101 6–7,552c–553c 9519 9–11 101 9,554a 101 9,554c–d 101 11,556d 101 12,556e–f 912

528

Stellenregister

19–21 20,562d 21,562e 22,563b–e 22,563b 22,563d 23 ff.,563e ff. 24,564c 24–25,564e–f 25,564f

102 33 91 56, 95 18, 96(23), 105 42 102 102 102 97 58 97, 2478 91 58 5841, 97 55, 56 34, 5739, 97, 9826, 99 (31), 103 35, 105 42 103 103 34 103 58 9827 104 38 237 34 104 38 57, 58 42 103 37

De superstitione (Mor. 164e–171f ) 1,164e–165a 1,164e 1,164f 12,171a

53 5218 7357 53

12,556e 12,556f 1 14,558d 15–16 15,559a 16,559e 17,560a–b 17,560b ff. 17,560b–c 17,560c 18,560f–561a 18,560f 18,561b

21–22, 1101c–1103a 22,1103a 25–31, 1104a–1107c 25–26,1104a–c 27,1105a 29,1106e–f

6519 6519 6939 5843, 74 62, 104 37 75 75

Praecepta gerendae reipublicae (Mor. 798a–825f ) 17,814a 7043 27,820b–e 7043 27–28,820f–821c 7044 Quaestiones convivales (Mor. 612c–748d ) 613b 107 1 671cff. 5216 Quaestio Platonica 2 (Mor. 1000e– 1001c) 185–188 2,1000e–1001c 181 2,1000e 186, 187 2,1000f 186 2,1001a.b 187 2,1001c 187, 188 Quomodo quis suos in virtute sentiat profectus (Mor. 75a–86a) 81d–e 55

De tuenda sanitate praecepta (Mor. 122b–137e) 23,135b–d 7253

Vitae parallelae Aemilius Paulus 1

7045

Non posse suaviter vivi secundum Epicurum (Mor. 1086c–1107c) 1,1086e 6728 2,1086e–f 6833 5–6,1090 6937, 95 18 10,1093a 7463 16,1098a 6521 18–26,1100–1104 6938 18,1100a–b 6832, 95 18 20–21,1101 6939

Alexander 75

5320

Brutus 36,7 48

436 11 436 11

Camillus 6,6

106 45

Cicero 52,4

614

Griechisch-römische, jüdische und christliche Autoren Demosthenes 2 2,2–4

5324 6836

Solon Elegie an die Musen 17 ff. 924

Numa 9,5 20,9

253 28 614

Eunomia 15 ff. 48 f.

924 914

Strabon Geographica XVI,2,35 ff. XVI,2,35

172 40 172 41, 315

Sueton Vitae Caesarum 1,81

388 13

Tabula Cebetis 3,1–4 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 4,1 4,3–5,1 4,3 5,2 f. 5,2 5,3 5,4 6,1 6,2 6,3 7,1–8,4 9 f. 9,1–4 9,4 10,1–4 10,4 11,1 16,1–5 18,1 ff. 19,1–4 19,1 19,2 f.4 19,4 f. 22,1 22,2 23,3–24,1

113 109 12 114 110, 113 113 118 33 107 3, 118 33 110 14 107, 108 108 112 108 8 112 108 8–9 109 109, 112 110 109 111 110 111 111 111 111 112 112 19 112, 113 112 113 111 16 107, 115 115

Polybios Historiae II,16,11

387 9

Porphyrios Ad Marcellam 14.33 f.

316

De abstinentia II,26

315

Poseidonios SVF 2, Nr. 1009 127 26 Frgm. 233 THEILER 172 40 Sallustios De deis et mundo 4,10

248 12

Seneca Epistulae morales ad Lucilium 1,1 111 41 114 22, 209 41,1 f. 127 41,1 5111, 83 13, 108 4, 130, 131 41,2 f. 352 41,2 108 6, 130, 131, 225 37 66,12 127 27, 130 116 27 89,13 90 224 34 90,3 225 34 131 102 102,2.21–30 131 102,21.26.27 131 115 31 Sextus Empiricus Pyrrhoneiai hypotyposeis III,9–12 924 9413 III,9 ff.

529

530 23,4 24,2 f. 24,3 25,1–3 25,1 f. 25,2 26,1.2 26,3 27,3 28,1 f. 30,1–32,5 30,1–32,2 30,1 31,6 32,1 f.3 32,5 33,1 33,2 35,4 39,3 41,1 41,3

Stellenregister 115 109, 112, 115 107 3, 109 10 115 115 24 116 115 113 20, 115 111 16 111 16 115 108 109 10, 11014 115 115 113 109 12, 114 115 111 15 113 109 12 116

Tacitus Annales XV,44

315

Historiae I,1–3 V,4 f. V,4,1 V,5 V,5,1

222 17 175 50 175 50 315 4043, 175 50

Tertullian De carne Christi 5

48 377 30

De praescriptione haereticorum 7,9.11 4865 Theognis Elegiae I,377–380 I,731 ff.

914 102 33

Theophrast De pietate (bei Porphyrios, De abstinentia) II,26 315 Valerius Maximus Facta et dicta memorabilia I,1,8 128 30 Vergil Aeneis I,630 VI,620 VIII,352

337 1 423 9 5843, 104 37 108 6

Xenophon Memorabilia I,1,2–9 I,1,4 ff. I,1,4 II,1,21–34 IV,3 IV,8,2

120 8 325 436 13 221 15 196 120 7

7. Sonstiges Corpus Hermeticum 13 247 Corpus Papyrorum Judaicarum 10 169 31

153

161 3

Gilgamesch-Epos XI 159–161

319

… … … … …

Autorenregister Für antike Autoren siehe das Sachregister. – Hochgestellte Zahlen bezeichnen Fußnoten; eingeklammerte Fußnoten bedeuten eine Nennung in Haupttext und Fußnote.… … Brandt, E.…287 13 Aalders, G. J. D.…77 74 Aland, B. und K.…387 9 Braunfels, W.…400 61 22 17 Albrecht, M. v.…33 , 114 Breitenbach, H.…221 14 Almqvist, H.…7566 Brenk, F. E.…49 2, 50 6, 519, 5844, 59 49, 16 9–11 8 Alt, K.…82 , 85 , 230 7668, 81 7 Arndt, E. M.…135 Brodersen, K.…154 8, 15711 Brown, J. R.…393 33 Arnim, H. v.…10913, 153 5 Brox, N.…2441.4, 249 15, 25018, 25634 Arrighetti, G.…61 3, 64 14, 927, 107 1, 4012 Bruchmann, K. F. H.…181 12 Assmann, J.…284(3), 285, 297, 39332, 39541 Austin, C.…347 32, 37831 Brunner, H.…22 85, 259(22) Buber, M.…25.6, 13 (42.43) Bachmann, M.…136 6 Bultmann, R.…10 32, 152 4 Back, F.…5 17, 468 44 Burchard, C.…235 29, 24045.46 Baldassarri, M.…92 6, 9311 Burckhardt, J.…338 7 Barigazzi, A.…67 26, 70 41 Burkert, W.…248 11, 24913.14 10 Barrett, C. K.…4 Busink, T. A.…387 9, 391 25 Barth, K.…312 23, 461 Cancik, H.…31 (1–3) Barton, J.…343 23 Cancik-Lindemaier, H.…31 (1–3) Bauer, W.…387 9 Bauernfeind, O.…39022, 39335 Carter, I. B.…181 12 Bayer, K.…1 1 Chaniotis, A.…139 20 Clauss, M.…23116 Beer, G.…267 23 Behm, J.…195 5, 197 7 Cline, R.…4359 Bengel, J. A.…367 Collins, A. Y.…29435 7 Colpe, C.…138 12–14, 471 57 Berdozzo, F.…153 Cumont, F.…138 10 Berger, K.…294 36 12 Berner, U.…93 Bertram, G.…146 42, 14849 Dautzenberg, G.…244–245(2.5) Bieringer, R.…451 49, 453 58 De Lacy, P. H.…91 1, 9414, 96 20, 106 46 Black, M.…4555 del Cerro Calderón, G.…93 9 Blois, L. de…7774 Delling, G.…396 46 Blomenkamp, P.…116 28 Descartes, R.…28820 Böckler, A.…307 16 Dietrich, W.…406 18, 41128 (8) 50 Bonhoeffer, D.…60 , 274, 422 , 433, Díez Macho, A.…26620 Dihle, A.…3733, 307 15 458, 474 (77) 42 23 31 33 Dillon, J. M.…34 18, 49 2, 8516 Bovon, F.…146 , 223 , 224 , 273 Brágue, R.…212 11 Dochhorn, J.…80 (2), 301 2

532

Autorenregister

Dodd, C. H.…138 8 Dodds, E. R.…55 31, 230 (13–15) Döhring, L.…1809 Donini, P.…328.10, 122 13, 437 16 Döring, K.…32 4 Dörrie, H.…5213, 5948 Dunn, J. D. G.…18 74, 180 10 Du Toit, D. S.…34 17 Ebach, J.…403 12, 40616, 40719 Ebeling, G.…12 39 Eckey, W.…273 33 Eckstein, H.-J.…36415 Ego, B.…141 27, 39323, 394 38, 399 58 Ehlers, W.…287 13 Einarson, B.…91 1, 106 46 Elert, W.…76 70 Elliott, J. H.…244 1.4 Engstler, A.…62 9 Erler, M.…61 2, 68 36, 121 11, 122 15, 12934 Ernst, J.…292 31, 386 6, 392 28, 39750 Everling, O.…45048 Eyth, M.…464 Feine, P.…469 51 Felber, S.…21 84 Ferrari, F.…816, 186 27, 187 28, 306 14 Fichte, J. G.…15 Ficino, M.…48 66 Fitzmyer, J. A.…27333, 353 45 Flacelière, R.…49–503, 93 12 Flashar, H.…63 10 Förster, W.…2117 Frankemölle, H.…249 15 Frazier, F.…188 31 Frey, J.…351 40.41 Fürst, A.…286 9.12, 28719 Gall, D.…30819 Gardner, P.…228 1 Gemünden, P. v.…235 31 Gerhardt, J.…461 Gerlach, W.…11 Gese, H.…36111 Gnilka, J.…217 4, 292 31, 3866, 387 10.11, 390 19, 39124, 397 50, 46947 Goppelt, L.…244 1.4, 249 17 Görgemanns, H.…3527, 5323, 56 33, 83 11, 84, 85 15, 8618, 9022, 91 3, 12931, 183 20, 186 26

Görler, W.…63 10 Götte, J.…423 9 Götte, M.…423 9 Gressmann, H.…273 33 Grosse, S.…129 34 Grundmann, W.…389 15, 4355 Haenchen, E.…38711 Hanhart, R.…217 5 Harnack, A. v.…19 77 Hatch, E.…211 9 Heckel, U.…218 8, 349 34, 411 29, 412 32.33 Hegel, G. W. F.…288 (21), 471 Heininger, B.…6417, 67 30, 9517 Held, K.…6311 Hengel, M.…3631,37 36, 45 56, 78 77, 1624, 1639, 16722.24, 17242, 17449, 17551, 1782, 216 2, 217 5, 2832, 305 9, 344 (26), 3573 Hennecke, E.…39853 Hershbell, J. P.…67 25, 93 12, 119 1, 120 5, 121 10, 12623 Hertzberg, H. W.…262 10 Hinz, P.…424 10.11, 42612 Hirsch, B.…117 30 Hirsch-Luipold, R.…414, 34 25, 35 26, 503, 7148, 72 51.55, 7564, 87 (20.21), 11014, 113 21, 11525, 188 30, 22428, 229 8 Hirschig, W. A.…347 32 Hirzel, R.…6050, 78 76 Hofius, O.…131 39, 152 3, 21516, 2173–6, 23425, 35039, 3867, 391 24, 392 30, 39331, 395 43.44, 396, 397 50, 399 59, 43017 Hölderlin, F.…429, 430 15 Holl, K.…306 12 Hornung, E.…393 32, 39541 Hossenfelder, M.…6313, 67 29, 6831 Hutter, M.…435 6 Imhoof-Blumer, F.…228 1 Jaerisch, P.…120 7, 221 15 Janowski, B.…330 2, 361 12 Jeremias, J.…1782, 3059, 306, 44842, 46842 Joly, R.…108 7, 114 22 Jonas, H.…338–339 (8–16), 346 f. Jung, F.…22326 Jüngel, E.…8 24, 414 Kähler, M.…360 10, 4217 Kant, I.…403(8), 404 13

Autorenregister

Käsemann, E.…11 (36), 217 4, 268 (27), 285 (7), 301 1, 452 56 Kasher, M.…176 55 Kassel, R.…347 32, 378 31 Kellermann, U.…474 74 Kierdorf, W.…119 3 Kipling, R.…332 Klauck, H.-J.…5219, 54 26, 5532, 91 1, 9621, 287 13 Kleinknecht, H.…209 (1) Klepper, J.…433(18) Klumbies, P. G.…304 5 Koch, L.…107 2, 112 17, 11321, 115 24 Konradt, M.…27844.45 Kratz, R. G.…1–2 2–4 Kraus, H.-J.…334, 342 20 Kreiner, A.…4013, 402 5 Kretschmer, P.…220 13 Krötke, W.…411, 12 38, 14 51 Krückemeier, N.…22222, 223 24 Kurek-Chomycz, D. A.…451 49, 453 58 Lange, D.…1557 Langer, G.…290 26 Lauha, A.…262 11 Leibniz, G. W.…91, 402(6), 403 7, 405 13 Leipoldt, J.…356 1 Lévinas, E.…288(22) Lewis, C. S.…287 18 Liddell, H. G.…2118 Lietzmann, H.…31222 Link, C.…343 22, 406 18, 411 28 Lohmar, A.…120 6 Lohmeyer, E.…216 (3), 386 6, 391 26 Lohse, E.…47 61, 303 3, 310 20, 45256 Loretto, F.…83 13 Losekam, C.…440 26 Löwith, K.…337–338 (1–5.7), 355 Luther, M.…5 15, 11 (34), 1449, 283, 310, 361 12, 408, 44741, 461 32

Malherbe, A. J.…224 Mann, C. S.…293 32 Männlein-Robert, I.…119 1.2, 12214, 123 17, 125 21, 12934 Marcus, R.…39331 Marcuse, H.…6312 Marek, C.…13814 Marguerat, D.…222 (20) Markschies, C.…19337, 289 24

533

Marti, K.…267 23 Martin, J. D.…438 20 Méautis, G.…92 4, 9415, 98 27 Meisner, N.…40 41, 154 8, 1602, 164 17 Merklein, H.…292–29332 Meyer, C. F.…428(13) Michalka, W.…194 1.2 Michel, O.…390 22, 393 35 Michl, J.…249 17 Millar, F.…4555, Millauer, H.…41335 Mitchell, S.…138–139(11.12.14.15.21), 14023–24 Müller, F.…149 50 Müller, U. B.…216 3, 455 62 Muraoka, T.…14129 Murken, S.…434 2, 457 65, 459 67 Namini, S.…4342, 457 65, 459 67 Naumann, G.…471 57 Nebe, G.…219 10 Nesselrath, H.-G.…12213, 124 19, 182 18, 183 19 Niehr, H.…260 6 Nietzsche, F.…10(31), 98 28, 3191 Nilsson, M. P.…50 3, 172 42, 182 17, 19236, 230 (12), 259 (3), 436 12, 43717 Norden, E.…1559, 172 41, 22116 Oakesmith, J.…93 9 Otto, R.…6 18, 12 40, 13 41, 26, 460–478 Pelletier, A.…166 20 Pesch, R.…926, 3866.8, 39018, 39751, 44842 Philonenko, M.…39543 Philonenko-Sayar, B.…39543 Pohlenz, M.…5111, 17238.40.41, 17343, 1979 Pokorný, P.…3609 Quell, G.…306 14 Rad, G. v.…395 42, 398 55, 437 19, 439 22 Ratschow, C. H.…196(6) Redpath, H. A.…2119 Reiser, M.…264 13, 26619, 269 (28–30) Reiterer, F. V.…440 24 Richardson, N.…3045 Rilke, R. M.…411 26, 430 (16) Roloff, J.…220 11, 22534, 45563 Rüpke, J.…207(13) Russell, D. A.…49 2, 50 3, 76 68

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Autorenregister

Saint-Exupéry, A. de…1237 Salimbene de Parma…327 Sanders, E. P.…45 54 Saunders, T. J.…100 32 Scarpat, G.…813 Schelkle, K. H.…25018 Schipper, B.…435 6 Schirnding, A. v.…181 13 Schleiermacher, F. D. E.…15 (60), 121 9, 123 18, 4195 Schmid, W.…92 7, 102 33 Schmithals, W.…274 35, 293 32, 389 15 Schneider, G.…1793 Schnelle, U.…77 73, 249 16 Schoberth, W.…403 7 Schöpflin, K.…140 25, 141 27 Schottroff, L.…47 60 Schrage, W.…195 3, 20110, 27946, 451 50, 452 53 Schreiner, J.…265 16 Schroeter, J.…9620 Schürer, E.…4655, 160 1, 1625, 163 11.14 Schwankl, O.…442 29 Schweitzer, A.…465 26 Schweizer, E.…303 3 Scott, R.…211 8 Serexhe, F.-B.…259 1 Seybold, K.…260 5 Siegert, F.…46 58, 165 19, 17239, 2489 Smallwood, E. M.…1613, 176 55 Söding, T.…721 Sölle, D.…323 Souilhé, J.…119 1, 12623 Speyer, W.…435 8.10 Spieckermann, H.…3(8), 413, 928, 1344, 1448, 21, 23, 27, 791, 131 37, 137 7, 149 52, 1511, 1808.11, 19134, 261(8), 2868, 29129, 406 17, 416(1), 422, 44025, 46843, 47371 Stählin, O.…102 33 Steck, O. H.…3585 Stemberger, G.…240 48, 26514, 266 21 Stern, M.…37 34, 16310.14, 164 16 Streminger, G.…401–4024 Strotmann, A.…30612 Sudhaus, S.…68 36 Süskind, P.…318 Taylor, V.…3867 Theiler, W.…172 40

Theunissen, M.…34935 Thomas von Aquin…48 66 Thornton, C.-J.…149 51, 219 9 Tönges, E.…306 10 Trapp, M.…11423, 116 26 Usener, H.…92 7, 401 2 Vahlen, J.…93 8 Valgiglio, E.…939 Vanoni, G.…30613 Vermes, G.…45 55, Vogel, M.…141 28, 159 13 Voigtländer, H.-D.…171(36) Volz, P.…264 13, 26619, 268 26 Walter, N.…4447, 157 12, 1625.6, 2163, 217 7 Weder, H.…344 24 Wehnert, J.…219 9 Wehrli, F.…3838 Weiß, J.…465 26 Wellhausen, J.…3852, 389 16 Westermann, C.…45866 Widengren, G.…39440 Wilamowitz-Moellendorff, U. v.…209(2) Wilckens, U.…7 21, 44 50, 21414, 45256 Wildberger, H.…43718 Wilk, F.…1978 Wischmeyer, O.…215 15 Wischmeyer, W.…13922 Wolff, C.…46 59, 232 23, 450 47, 451 50, 452 52.54 Wolff, H. W.…330 2 Wolter, M.…14951, 219 9, 223 25, 225 35, 273 33, 44334 Wright, G. E.…394 40 Wyss, K.…248 12 Zanker, P.…34529 Zeller, D.…239 39, 303 4, 31021, 451 51, 452 52.54.55 Ziegler, K.…34 23, 50 6.7, 53 24, 5634, 69 36, 76(69), 81 3, 82, 91 1, 98 29, 10541, 2282 Zimmermann, C.…153 5, 1782, 179(4), 185 23, 19135, 286 11, 3045, 305 7 Zobel, H.-J.…139 18 Zuntz, G.…166 20, 385 f., 388 f., 398

……

Sachregister Hebräische und griechische Begriffe sind im Alphabet nach ihrem Lautwert eingereiht (hebräisches Šin unter »sch«, aspirierte griechische Anfangsvokale unter »h«). Seitenangaben mit Nennung der Anfangs- und Endseite oder mit »f.« bezeichnen einen fortlaufenden Zusammenhang, während bei voneinander unabhängigen Nennungen auf hintereinanderfolgenden Seiten jeweils die Einzelseiten genannt werden. Hochgestellte Zahlen bezeichnen Fußnoten; ist eine solche Zahl eingeklammert, so findet sich der betreffende Beleg sowohl im Haupttext als auch in der genannten Fußnote. Aaron…260, 283, 318 Abba (siehe auch → Vatername Gottes) – ~ als Gottesanrede Jesu…178, 367 f., 409, 467 – ~ als Gottesanrede der Glaubenden… 132, 178 (2), 300, 302, 304 f., 345, 468 Abel…266 f. Abendland, christliches…35, 90, 296, 315 Abendmahl…320, 323; siehe auch → Herrenmahl Aberglaube…52–53 (19.20), 5843, 73 57, 86, 104 37, 106(45), 172 41; siehe auch → δεισιδαιµονία Abraham – Abram…328 – Gott ~s, Isaaks und Jakobs…288, 290 f., 347 f., 47474 – ~s Schoß…272 f., 443 – Jubiläenbuch…28925 – Philon von Alexandria…44, 245 – Johannes der Täufer…269, 311 – Paulus…152, 212, 301, 305, 451 – Johannesevangelium…351 Achan…260 ἄχρονος → Zeitlosigkeit Gottes Achtzehn-Bitten-Gebet (Šĕmone ʽEsre)…152, 234, 306, 474 (74) Adam – Antikes Judentum → Schöpfungsgeschichte: zweiter Schöpfungsbericht, → Sündenfallgeschichte

– Neues Testament…721, 80, 213, 233, 301 – erster und zweiter ~…236 (32), 301 – letzter ~…241 Adoption/υἱοθεσία der Glaubenden… 8 25, 178, 192, 214, 300, 303, 308, 345, 468, 473; siehe auch → Gotteskindschaft Adrasteia…57, 103 Affekte → Leidenschaften ἀγένητος → Ungewordensein Gottes ägyptische Religion…22(85), 24, 52 13, 156, 168, 172, 174 48, 180, 259 2, 287 13, 333, 392 32, 394 – Deutung durch Plutarch…82–90 – Tierkult und Mumienverehrung…82, 85–88, 172 Ahriman…82, 85, 230 Aischylos…102 33, 196 Akademie…32, 55, 96, 119 4, 121 f., 436 15; siehe auch → Skepsis: akademische ἄκρατος → Ungemischtsein Gottes Alexander von Abonuteichos…34(19) Alexander der Große…53 20, 62 Alexandria – Bibliothek…39, 154, 163 12 – Judentum in ~…43, 46, 48, 52 15, 154, 159, 160–162 (3), 17655, 177, 315 …– Antijudaismus…174 49, 176 56, 199 …– Septuagintalegende…154, 160 ff. – Christentum…46, 48

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Sachregister

All – τὰ πάντα als Begriff für die vorfindliche Welt…81, 151, 157, 208; siehe auch → Kosmos, → Natur, → Schöpfung, → Seiendes – Urheber/Schöpfer des ~s …– griechisch-römisch…153, 157, 167; siehe auch → Demiurg, → Welturheberschaft …– Antikes Judentum…153, 157, 167, 189 f.; siehe auch → »Allbeleber«, → Schöpfersein Gottes, → Schöpfung …– Neues Testament…309; siehe → Schöpfersein Gottes, → Schöpfung – Erhalter/Bewahrer des ~s (siehe auch → Fürsorge Gottes, → Vorsehung) …– griechisch-römisch…153, 157, 167, 197; siehe auch → Welterhaltung …– Antikes Judentum…153, 189 f., 159, 234 24; siehe auch → »Allbeleber«, → Schöpfung und Erhaltung …– Neues Testament…309; siehe → Schöpfung und Erhaltung »Allbeleber«…151 f., 157 f., 159, 234 24 allegorische Exegese – Homerexegese…52 15, 157 f., 158 f., 165 (19), 182, 184 f., 189 – Toraauslegung…40, 43, 52 15, 154 f., 162, 164 f., 169 f., 247 Allmacht Gottes…401–403 (4) – Altes Testament…406, 463 – griechisch-römisch…23, 104, 221, 345 28, 419 – Antikes Judentum…35 f., 157 11; siehe auch → Pantokrator – Neues Testament…8 25, 317, 347, 367 21, 368, 410, 460, 477; siehe auch → Pantokrator …– Übertragung der ~ auf Christus… 13, 217, 309, 373 Allmächtiger → Pantokrator Allversöhnung…203, 270, 279 f., 470 Altissimus…141, 142 35, 143; siehe auch → Höchster Ammonios (Marcus Annius Ammonius)…7 23, 3420, 81, 188, 228, 236, 252 27, 340, 350 Anaxagoras (Vorsokratiker)…201

Angelologie (siehe auch → Götterboten) – Altes Testament und Antikes Judentum…14127, 220, 322, 437–440, 442 30, 456; siehe auch → »Engel des Herrn«, → Völkerengel – Neues Testament…441–457, 459; siehe auch → Engel im Neuen Testament angelus interpres…455 Angleichung/Annäherung an Gott…101, 238 38 Anthropomorphismus…140, 320, 450 – Kritik an anthropomorpher Rede von Gott…15, 35–37, 165 19, 172, 213; siehe auch → Bilderverbot, → Theriomorphismus Antijudaismus, antiker…17449, 17656, 199 – Menschenhassvorwurf…40 (43), 175 50, 315 Antisthenes…191 35, 286 10 Ἀπάτη → Täuschung Aphrodite…84 Apokalypse Abrahams…39543 Apokalyptik…143, 195, 205, 216, 263, 265, 268 f., 343, 350, 359, 369 23, 370, 373, 414, 439 Apollon…34, 51 10, 81 f., 19135, 286 f., 340, 436 – Höchster Gott…287 – Identifizierung mit Helios und Dionysos…191 35, 28611; siehe auch → Theokrasie Apollon-Tempel (in Delphi)…24, 50 (6), 518, 54, 98, 228 Apollonios von Tyana…33, 223 Apostelgeschichte…353, 449 f.; siehe auch → lukanisches Doppelwerk α-privativum…89, 229 7, 252, 256 Apuleius…32 (7.10), 108 5, 248, 253 29, 287, 437 Aqiba, Rabbi…289 Aratos von Soloi…16723 Ärgernis/Skandalon des Kreuzes…204, 232, 357, 372, 379, 413, 418, 476 Aristeasbrief…39–41, 52 15, 154–156, 160–177 Aristobulos (jüdisch-hellenistischer Autor)…43, 157, 162 (5), 165, 16723, 170, 177

Sachregister Aristoteles/Aristotelismus…61–62(4. 5.8), 171, 197, 229 5, 237 33, 238 38, 253 27, 327, 340, 402 Asklepios…34 19, 419 Ataraxie…63 12; siehe → Gemütsruhe Atheismus, antiker (ἀθεότης)…53, 93, 106; siehe auch → Gottlosigkeit Athene…28713, 403 10 Atom/Atomismus…63, 66 23, 72– 73(56.57), 75; siehe auch → Individualismus Auferstehung → Auferweckung Jesu, → Ewigkeitshoffnung, → Totenauferstehung Auferweckung Jesu…231–234; siehe auch → Erhöhung Christi, → Ostererzählungen – ~ als Bestätigung durch Gott…9, 270, 311, 357 f., 374, 397, 410, 421, 430 – ~ als Einsetzung zur Weltherrschaft…374 – ~ als Grund der Auferstehungshoffnung…242, 303 – ~ als Vorwegnahme der allgemeinen Totenauferstehung…216 …– Jesus als »Erstling der Entschlafenen«…2161, 231, 233, 242, 348 – ~ als Werk des lebenschaffenden Gottes…233 f., 241 f., 256, 348, 349, 411, 476 – Werbung mit ~ (in der Mission)…231 f. Augustin…48, 156, 342 Auschwitz…338 Autonomie/Heteronomie…71 f., 108, 110–112, 114–116, 118, 130–132, 203 Avidius Quietus, Titus…98 Avillius Flaccus, Aulus…176 56, 199 awinu malkenu…3059, 308, 345; siehe auch → Königsepitheton Gottes: Antikes Judentum Ba‛al…138 12, 283, 328 Balbus, Quintus Lucilius…197 Bannformel → Verwerfung Barmherzigkeit/Erbarmen Gottes (siehe auch → Liebe Gottes) – Altes Testament…284 4, 36517, 418, 459 – griechisch-römisch…19236 – Antikes Judentum…239, 266 f., 47474

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– Neues Testament…146, 148, 202 f., 273–275, 279 f., 299, 310 f., 414, 470, 478 Baruchbuch…39, 140 26 beatum commercium…19–20 80, 303, 349 f.; siehe auch → Wechsel, seliger Beelzebul…440 f. Begierden/Lüste…109, 110 f., 117 f., 173 (46), 246 f., 255 33, 315 f.; siehe auch → Laster, → Lebenslust Behutsamkeit (εὐλάβεια)…53, 55, 56, 96, 100, 105, 106(45) Bekehrung (siehe auch → Umkehr) – ~ zum Judentum…143, 240, 254 31, 290 25 – ~ zum Christentum…48, 79, 232, 287 19, 449 Belial…440 Benedictus…146, 148 Beschneidung…172 41 Bestrafung, göttliche (innerweltlich; siehe auch → Jenseitsstrafen) – ~ des Individuums…55 f., 7462, 91 4, 97, 99, 100–103, 260 …– zwecks Besserung/Läuterung…56, 58, 100 f., 199; siehe auch → Seelenheilung, → Strafverzögerung …– zwecks Vergeltung…56, 9519, 100 – ~ der Mitbürger/Nachkommen (Kollektiv-/Sippenhaftung)…56, 57 37, 9518, 99, 101–103 (33) Beziehungswille/Bindungswille Gottes 11, 13, 289–291, 294, 296–298, 308, 468, 474 74, 475; siehe auch → Bund Bilderverbot, biblisches…313–316, 331 – bildloser Kult der Juden als Merkmal der ursprünglichen Gottesverehrung… 172, 315 Bildung…36, 39, 43, 107 ff., 22221; siehe auch → Weisheit – Paideia (παιδεία)…36, 38 f., 41, 111– 118 Biographie, hellenistische…222 (22) Bittgebet…158, 183, 195 f.; siehe auch → Fürbitte – Jesus in Gethsemani…367 f., 409– 411, 419 f., 460 f., 477 – Paulus und seine Krankheit…411 ff., 432, 477 – Kirchengeschichte: Ablehnung…196

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Sachregister

Boethius, Anicius Manlius Severinus… 339 f., 350 Böse, das (im Menschen; zum Widerfahrnis von Bösem siehe → Übel) – ~s als menschliche Option…101, 173 – Existenz einer ~n Seele?…230 – Gott sieht das ~…170, 262 – Leiblichkeit (Begierden, Lüste) als Wurzel des ~n…110 f., 315 f. – menschliche Neigung zum Bösen… 5948, 71 (49) – spiritus sacer als Überwacher unserer guten und ~n Taten…108, 130 – Überwindung des ~n durch Bildung… 111 ff. Bösen, die/Übeltäter – Bekehrung…58, 103 f. – Bestrafung der ~…91–92 4, 95 19, 362, 408, 444 …– »Fluch der bösen Tat«…101 …– unzureichende/zögerliche Bestrafung…94, 101; siehe auch → Strafverzögerung – Bestrafung ihrer Nachkommen…101 f. – Gewährenlassen…54 f. – scheinbares Wohlergehen der ~…91 4, 408 Bruderliebe (φιλαδελφία) – griechisch-römisch…59 48, 75 f. – Neues Testament…10 f., 218 »Buch des Lebens«…271 »Buch/Verzeichnis der Taten«…263, 267, 271 Bund (siehe auch → Beziehungswille Gottes) – Sinaibund…143, 257 f., 329, 364 f., 465 – neuer Bund…276, 347, 364–366 Buße → Poine, → Umkehr Buße, zweite…322 Caesar, C. Iulius…388 13, 436 11 Camillus, Marcus Furius…70 42 Cautes…231 16 Cautopates…231 16 Chrysippos von Soloi…1535, 198 Cicero, M. Tullius…1, 123, 191 35, 286 10, 3573 – »Somnium Scipionis«…33 13, 10911, 129 33

Clemens Alexandrinus…46, 48, 52 15, 6050.51, 7876 consolatio mortis…119 Cornutus, Lucius Annaeus…153, 183 Cotta, Gaius Aurelius…1 f., 924, 94 13, 401 2 creatio continua…81 5, 181, 200, 234 (27) creatio ex nihilo…80, 215, 307 creatio prima/continua…181 Daimon/δαίµων – niedrigeres Gottwesen…53 21, 74, 82, 107 f., 225 34, 229, 231, 237, 340, 418, 435, 437, 440 – persönliche Schutzgottheit…436 11.13 – innere göttliche Stimme…32 10, 107– 109, 110 14, 112, 115, 123, 128 29, 436; siehe auch → Daimonion Daimonion (δαιµόνιον)…32 5, 5321 – ~ des Sokrates…32 f., 108 5, 120–122, 128 29, 436–437 (13) – Gottheit…53 21, 155 Danielbuch…140, 142 f., 263 f., 439 David (König)/Davididen…260 – Gott als Vater der Davididen…305, 307 – Hoffnung auf Erneuerung des Davidsreichs…145, 265, 271 – Jesu Davidsohnschaft…178 2 δεισιδαιµονία…52 (19), 53 20, 5843, 104 37; siehe auch → Aberglaube Dekalog…293 34, 294(36), 329 – Erstes Gebot…14 49 Delphi…7 23, 34, 50–51 (9), 228, 287 – Apollon-Tempel…24, 50 (6), 518, 54, 98, 228 Demiurg (δηµιουργός) – Platon…939, 181, 185, 186 26, 188, 211, 229 6 – Philon von Alexandria…189, 212 – Plutarch…229 3 Demokrit von Abdera…7356 Deuterojesaja…2844, 337, 3596, 463 Diatribe, kynisch-stoische…173 Diatribenstil…300, 478 Dido…423 9 Dike…91 4, 103 Dio Chrysostomus → Dion von Prusa Diogenes von Sinope…224

Sachregister Dion von Prusa (Dio Chrysostomus)… 34, 181(15), 182–185, 191 f., 224 (32), 286 11 Dionysos…52 16, 83 11, 19135, 28611 – Identifizierung mit Apollon und Helios…19135, 286 11 – Identifizierung mit J HWH…52 16 Dionysos-Mysterien…50 5 Dualismus…82, 156, 190, 228, 230 f., 244, 247, 333, 340, 394 38 Eigenschaften Gottes → Allmacht, → Barmherzigkeit, → Beziehungswille, → Ewigkeit, → Freiheit, → Fürsorge, → Gerechtigkeit, → Gnade, → Güte, → Heiligkeit, → Herrlichkeit, → Lebendigkeit, → Leidensunfähigkeit, → Liebe, → Macht, → Menschenfreundlichkeit, → Mitleiden, → Schöpfersein, → Unbeflecktheit, → Unbewegtheit, → Ungemischtsein, → Ungewordensein, → Unsichtbarkeit, → Unsterblichkeit, → Unvergänglichkeit, → Unverwelklichkeit, → Unwandelbarkeit, → Verborgenheit, → Zeitlosigkeit, → Zorn Einzig(artig)keit Gottes (siehe auch → Monotheismus, → Theokrasie) – biblisch und frühjüdisch…4, 21, 140, 143, 144, 155, 195, 218, 288–298; siehe auch → Šĕmaʽ jisra’el – griechisch-römisch…59 48, 191(35), 286, 289 24 …– τὸ ἕν…291, 296 Eleazar (Hohepriester)…154, 163 12, 164 Elia…284 4 – Himmelfahrt…148, 219 – Nothelfer…371 26 – Verklärungsszene…205 – Vorläufer des Messias…37126 Eliamissverständnis…371, 41024 Elioun/Ἐλιοῦν…138 12, 139; siehe auch → ʿEljon Elisa…219, 284 4 ʿEljon…21 83, 13812, 140 f. Emmausgeschichte…206, 225 f., 358, 445 38 Endgericht → Jüngstes Gericht Endlichkeit des Menschen → Vergänglichkeit

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»Engel des Herrn« – Altes Testament und Antikes Judentum…322, 437 f., 456 – Neues Testament…145, 438, 446– 449, 453 Engel im Neuen Testament…6, 144, 272 f., 441–457, 459; vgl. auch → Angelologie, → »Engel des Herrn«, → Götterboten – Geburtsgeschichten…145, 354, 447– 449, 475 – Ostererzählungen…9, 372, 421, 445– 447, 476 – Himmelfahrtserzählung…220, 446 – bei Paulus…450–453 – im Hebräerbrief…453 – in den Katholischen Briefen…453 f. – in der Johannesoffenbarung…454–456 – Gemeindeengel…455 – Satans-/Teufelsengel…412, 432, 444, 450, 454 – Schutzengel…439, 444 Engelfall…440, 452, 454 Engelsdienst…444, 448, 457 Engelskult…453(59), 457 Engelsprache…450 Enthaltsamkeit/Ἐγκράτεια…111, 162 Entrückung → Himmelfahrt Epameinondas (Staatsmann)…7042 Epheserbrief…117 f., 203 Epiktet…31 f., 51, 104 39, 111, 173 44, 46, 183, 191, 224 30 Epikur…61–75, 927, 1071, 119–1204, 126, 171, 237, 253 27, 401(2) – ~ über den Tod…119–120 4 – Ethik…63–64(12.15.16) – Gottesvorstellung…927, 25327, 4012 – Hedonismus…65 (18), 6624, 69, 9518 – Individualismus/Subjektivismus/ Atomtheorie…62 f., 70, 73 57 – Kritik an Jenseitsmythen…74 f. – »Lebe im Verborgenen«…61, 6624, 69, 74, 95 18 – Ontologie…72 f. – Philosophie als ars vitae…61, 68, 1071 Epikureismus…25, 3419, 54, 64 f., 66 ff., 92 ff., 124, 126, 129 35, 266, 401 Erbarmen Gottes → Barmherzigkeit Gottes Erben Gottes…252 (22), 303 f.

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Sachregister

Erbschuld…102 33; siehe → Bestrafung, göttliche: der Mitbürger/Nachkommen Erhöhung Christi (siehe auch → Auferweckung Jesu) – Paulus…149, 216–218, 309, 359, 478; siehe auch → Philipperhymnus – Lukas…147 f., 206, 219–221, 226 f., 352, 358, 375, 421, 446; siehe auch → Himmelfahrtserzählung – Johannesevangelium…359(8), 376, 421 – 1. Petrusbrief…454 Erinys…103 Erkennen und Erkanntwerden – Paulus…9–11, 22 f., 77, 285, 336; siehe auch → Gotteserkenntnis – Plutarch…69–75; siehe auch → Selbsterkenntnis Erlösung – Philosophie und Mysterien…5948, 89 f., 231 18, 248 – Neues Testament…203 f., 215, 256, 280, 382, 413 f. Er-Mythos…57 38, 108 9 Eros (Gott)…75 65, 231 18 Erwählung…10, 299, 311, 331, 378, 470, 478 – ~ Israels…175, 193 37, 202, 25222, 264, 328 f., 345, 347, 365, 470 – ~ der Glaubenden/des neuen Gottesvolks…192, 202 f., 257 f., 270 f., 289, 381 f., 453 Erziehung → Bildung Esau…299 Esrabuch, Viertes…141, 142, 143, 265 f., 268 Eudaimonie/εὐδαιµονία…107, 109, 171, 197; siehe auch → Glück(seligkeit) Euhemerismus…172 Euripides…57 36, 10233, 196, 225 (36) Ewiges Leben – Antikes Judentum…239, 25431, 264 – Neues Testament…131, 252 22, 275, 277, 293 34, 302, 350–352, 376, 384 Ewigkeit Gottes (ἀίδιος; siehe auch → Ungewordensein Gottes, → Unvergänglichkeit Gottes, → Zeitlosigkeit Gottes) – Altes Testament…341 f. – griechisch-römisch…8 23, 14, 82, 88, 128, 131, 229, 253 29, 339–341

– Antikes Judentum…14, 81; siehe auch → Ewiges Leben – Neues Testament…255, 342 f., 346 f., 349 f. …– Zueignung an die Glaubenden…14, 80 f., 304, 348 f., 350 f.; siehe auch → Ewiges Leben Ewigkeitshoffnung – griechisch-römische Hoffnung auf Unvergänglichkeit…75, 119 ff. – jüdisch-christliche Auferstehungs-/ Unsterblichkeitshoffnung…80, 151 f., 159, 214, 231 f., 237 ff., 242, 303, 377, 413 Ezechiel…102 33, 39125, 463 16 Feindesliebe – griechisch-römisch…59 48 – Neues Testament …– Jesus…25, 146, 284, 295 f., 298, 374 …– Paulus…296 filioque…346 31 Flaccus (Aulus Avillius Flaccus)… 176 56, 199 Friedrich II. (Kaiser)…327 f. Freiheit – griechisch-römisch …– Einweihung in die Mysterien als Befreiung vom blinden Schicksal…248 …– ~ als natürliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung (Stoa)…111, 113, 130– 132, 197; siehe auch → Autonomie …– ~ als zu erlangende durch Bildung (Tabula Cebetis)…109, 112 f., 115 f.; siehe auch → Autonomie …– ~ von Todesfurcht…33, 122, 124 …– Herakles als Befreier der Menschheit…220 f., 418 …– natürliche Sünden~…111 …– Tod als Befreiung vom Elend des Lebens…89 f., 1194, 131 – Neues Testament …– ~ als Befreiung aus Sünde/Gottferne, Vergänglichkeit, Tod…118, 241, 251, 256, 280, 302, 346, 359, 383 …– ~ als Freispruch…277 f., 359 …– ~ als Inbesitznahme durch den Geist/Jesus Christus…131 f., 309 …– Loskaufmetapher…251, 256, 309, 348, 359

Sachregister Freiheit Gottes – absolute Unverfügbarkeit/Souveränität des biblischen Gottes… 4, 26, 36, 201, 202 f., 209, 212 f., 307 f., 311, 313–315, 331, 346, 381, 405, 408, 410, 458, 473 f., 477 f.; siehe auch → Erwählung, → Verwerfung, → Verstockung – Selbstbindung in Freiheit…309, 311, 346, 473, 478; siehe auch → Beziehungswille Gottes – Zueignung an die Glaubenden…13 Fremdlingschaft – Antikes Judentum…44, 2443, 257 (36) – Neues Testament…77, 244 3, 252 (24), 257 f. Fürbitte…157 f., 375 Fürsorge Gottes – Altes Testament…195 – griechisch-römisch…97, 181, 183 f., 197, 199; siehe auch → Vorsehung …– Bestreitung der ~…93 (8) – Antikes Judentum…158, 189 f., 199 – Neues Testament…193, 199–201, 205 Gabriel (Engel)…144 f., 439 f., 447, 448 Gebet – Altes Testament…330; siehe → Psalmen – griechisch-römisch…183, 287 13 …– Ablehnung des ~s…195 …– Reue~ des Flaccus…199 …– »Vater« als Gebetsanrede des Zeus…181, 183, 185 – Antikes Judentum…45, 157 f., 29025, 306, 329, 440; siehe auch → Achtzehn-Bitten-Gebet, → awinu malkenu – Neues Testament…375, 455; siehe auch → Herrengebet …– ~e Jesu…178 (2), 367 f., 409–411, 419 f., 460 f., 477 …– Paulus’ ~ um Heilung…411 ff., 432, 477 Gebets(nicht)erhörung…83, 104 4, 142, 158, 330 ff., 407 ff., 411 ff., 432, 477 Gebote, Zehn → Dekalog Geburtsgeschichten – Lukas…137, 145–148, 205, 222 f., 374, 438, 447 f., 475; siehe auch → Magnifikat – Matthäus…438, 448

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gehenna…266; siehe auch → Hölle Geist/Hauch, göttlicher/heiliger (θεῖον πνεῦµα, spiritus sacer); siehe auch → Daimon, → Daimonion, → πνεῦµα – ~ als göttlicher Anteil im Menschen im Mittelplatonismus…123, 127– 128 (29), 129, 225 (37), 232 (20), 247 8, 352 – ~ als göttlicher Anteil im Menschen in der Stoa…108(6), 130, 225 (37), 352 – ~ als Beobachter und Überwacher unserer Taten…108, 130 – ~ als göttlicher Anteil im Menschen bei Philon von Alexandria…131, 190 – ~ bei herausragenden Einzelgestalten (Porphyrios, Mose)…33 f., 43 f. Geist, Heiliger, im Neuen Testament… 11, 131, 145, 219, 223, 225, 322, 375, 449 – Geist Jesu…227, 352 – Geistausgießung…148, 219, 227, 352, 375 f. Geistleib (σῶµα πνευµατικόν)…235 f., 240 f. Gemeindeengel…455 Gemeinschaftswesen Mensch → Öffentlichkeit Gemütsruhe/Seelenfrieden (γαλήνη)… 611, 63 12, 64, 65 21, 69, 71 47, 265 f.; siehe auch → Ataraxie Gerechtigkeit – Altes Testament …– Gerechte vs. Ungerechte…10, 260, 263 …– Leiden des Gerechten…407 – griechisch-römisch …– ~ als Leitbild der Lebensgestaltung 70 …– ~ als (bloßes) Mittel zum Zweck eines angenehmen Lebens (Epikur)…64 15 – Antikes Judentum …– Frömmigkeit und ~ als Zusammenfassung der Gebote (Aristeasbrief)…162, 164 f., 169, 170, 293 …– Gerechte vs. Ungerechte/Sünder… 159, 263–266 …– Tora als Inbegriff der ~ (Aristeasbrief)…4041, 155, 162 ff.

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Sachregister

– Neues Testament…242 …– Christus als ~ der Glaubenden… 382 f. …– Gerechte vs. Ungerechte/Sünder…8, 269, 274 f., 295 …– ~ als Rechtfertigung…201; siehe auch → Gerechtigkeit Gottes: Neues Testament: Zueignung …– leidender Gerechter…226 (39), 358, 371 24, 373, 407 Gerechtigkeit Gottes…402 – Altes Testament…261, 263 f., 406 – griechisch-römisch…54 f., 57, 91–93, 97 f., 100–104 – Antikes Judentum…143, 189, 199, 266–268 – Neues Testament…276 f., 299–304, 404 f. …– Zueignung an die Glaubenden…276, 301 f., 348 f., 382 f. Gericht Gottes → Jüngstes Gericht (universales Endgericht), → Strafgericht, → Totengericht, individuelles Geschichte…215, 337–339 – Gott als Herr der ~ (siehe auch → Weltlenkung) …– biblisch…142 f., 338, 342; siehe auch → Heilsgeschichte …– griechisch-römisch…105 – ~ als Ort der Verborgenheit Gottes… 143, 439 Gesetz Gottes → Tora Gethsemani…347, 365, 366–369, 409– 411, 419, 443, 460 f., 473 Gewalt, religiöse…283–285, 297 f. Gewissen…71, 128, 130, 255 33, 357 Gilgamesch-Epos…319 Glossolalie…450 Glück(seligkeit) – glückliches Leben (Eudaimonie) als Ziel der praktischen Philosophie…613, 63, 71 47, 107 ff., 171 – glückseliges Leben im Jenseits…128 29 – ~ als Lebensziel – Epikur…613, 71 47, 107 1 – Plutarch…64 f., 75, 79 – Glückseligkeit der Götter (Epikur)… 927, 237, 253 27, 401 2 – Paideia als Glückseligkeit…115, 116

– Suche nach Glück als Erfüllung des Lebens…33, 63–65, 107, 109, 197 Gnade Gottes – Altes Testament…334, 342, 353 – griechisch-römisch…118 – Antikes Judentum…152, 239(41), 245 – Neues Testament…6 21, 274, 276 f., 301, 311 f., 353, 412, 432, 454 …– Gnadenwahl…10, 201 f., 203 Gnadenformel…417 3 Gnadenstuhl…400, 428 f., 431 Gnathon (sprichwörtlicher Parasit)…67 Gnosis…231, 247, 316 γνῶθι σαυτόν (»Erkenne dich selbst«)… 7 23, 51, 71, 81 4, 228; siehe auch → Selbsterkenntnis Golgatha…369, 388 12, 392 Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs… 288, 290 f., 347 f., 47474 »Gott der Lebend(ig)en«…79 f., 151, 348 »Gott der Liebe (und des Friedens)«… 298, 304, 417, 475 Gottähnlichkeit des Menschen → Gottesebenbildlichkeit, → Gottverwandtschaft Götterboten…31, 33, 434–436, 443; siehe auch → Angelologie, → Engel, → Hermes, → Iris Götterstatuen…35, 83, 86 f., 108 4, 184, 213, 314, 334 Gottesebenbildlichkeit (siehe auch → Gottverwandtschaft) – Philon von Alexandria…43, 190, 238, 254 31, 316 – Sapientia Salomonis…81, 159, 239, 254 31 – Neues Testament: Jesus Christus als Ebenbild Gottes…314, 335 Gottesepitheta → Allmächtiger, → Herrscher-Epitheton, → Höchster, → Königsepitheton, → Kyrios, → »Mächtiger«, → Pantokrator, → Seiender Gotteserkenntnis – griechisch-römisch…83 …– Selbsterkenntnis und ~…7(23), 228 …– eingeschränkte Einsicht in das Wirken Gottes (Plutarch)…55 f., 6622, 95, 96, 100, 103, 106 …– ursprüngliche/wahre ~…315

Sachregister – Antikes Judentum…41 f. – Neues Testament…319 …– gegenwärtige ~ als Stückwerk…335 …– ~ als Anerkennen Gottes…294, 379 …– ~ und Erkanntwerden durch Gott… 9–12, 22 f., 285 …– ~ und Liebe…10 f., 22 f., 25 …– ~ und Selbsterkenntnis…12–14 …– natürliche ~…210, 213 Gottesferne (Gottesfeindschaft), menschliche…6, 8 f., 11, 36111, 371, 411, 458, 475, 477 Gottesfinsternis…4, 8, 411, 420, 428, 432; siehe auch → Verborgenheit Gottes Gottesfürchtige und Sympathisanten…46 Gottesherrschaft → Königsherrschaft Gottes Gotteskindschaft – griechisch-römisch…193; siehe auch → Gottverwandtschaft – Altes Testament und Antikes Judentum…307 …– »Söhne des Höchsten«…143 – Neues Testament…25, 178 f., 193, 214, 251 f., 280, 290, 295, 298, 300– 304, 307–309, 345 f., 348, 383, 468, 473, 477 f.; siehe auch → Adoption …– ~ der Glaubenden ist durch Gottessohnschaft Christi vermittelt…180, 345, 468, 473 …– »Söhne des Höchsten«…146, 147 45, 180 11 Gottesknecht (Deuterojesaja)…284 4, 359 6 Gotteslehre…16 ff., 23 Gottesliebe (siehe auch → Liebesgebot) – Altes Testament und Antikes Judentum…14, 289 – Neues Testament…14 (50), 25 Gottesname, Heiligkeit/Heiligung – Antikes Judentum…474 74 – Neues Testament (Herrengebet)…13, 474, 477 Gottesschau – Altes Testament…6, 334 f. – griechisch-römisch…90, 104 – Antikes Judentum…43, 265, 335 – Neues Testament…3, 335; siehe auch → Erkennen und Erkanntwerden

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Gottesschrecken (Schauder, Scheu, tremendum)…6–9, 17 71, 18, 52 f., 56, 106, 445, 462–466, 469, 471–477; siehe auch → Heiligkeit Gottes Gottessohnschaft Jesu…344 f.; siehe auch → Gottvater, → Vatername Gottes im Neuen Testament: Gott als Vater Jesu Christi – ~ vermittelt Gotteskindschaft der Glaubenden…180, 345, 468, 473; siehe auch → Gotteskindschaft: Neues Testament – Hauptmann unter dem Kreuz…372, 388 f., 390, 396 f., 399 – Lästerung am Kreuz…371 24, 374 – »Sohn des Höchsten«…145 f., 18011 – Taufe/Verklärung…344, 389 f., 396 f. – Versuchungsgeschichte…145, 147, 292, 329, 371 24, 373, 448 Gottesverehrung, ursprüngliche…172, 315 Gottesvolk – Altes Testament und Antikes Judentum 143, 240, 25431, 257 f., 260, 263 f., 266, 290, 305 9, 328 f., 345, 365, 437, 440 – Neues Testament…204, 257 f., 269, 280, 310 f., 326, 363 f., 373 Gottlosigkeit (ἀσέβεια)…5320, 86, 159, 171, 263, 315 f., 405, 407 f., 428; siehe auch → Atheismus Gottvater (θεὸς [ὁ/καὶ] πατήρ)…16 65, 179, 204, 309, 346, 400, 428, 464; siehe auch → Vatername Gottes im Neuen Testament: Gott als Vater Jesu Christi Gottverwandtschaft des Menschen – griechisch-römisch…97, 108, 185, 188, 191 f., 288 – Antikes Judentum…190; siehe → Gottesebenbildlichkeit Grünewald, Matthias…428 Güte Gottes…92, 338, 402 f.; siehe auch → Barmherzigkeit, → Fürsorge, → Menschenfreundlichkeit Gottes – Altes Testament…322, 405–408, 463 – griechisch-römisch…101, 104 (39), 183 f., 189, 192, 230, 338 – Antikes Judentum…158, 239 – Neues Testament…118, 146 (43), 192 f., 200, 275, 295, 410, 430, 467

544

Sachregister

Gütergemeinschaft…224–225 (34) Habgier/Geldgier…224–225 (32.34), 273 Hades – Gott der Unterwelt…74 59, 7565 – Unterwelt → Hölle, → Unterwelt Hannah (Mutter Samuels) – Lied…223 25, 226 Hannah (Prophetin)…223 Hauch, göttlicher → Geist, heiliger Hebräerbrief…16, 216, 322, 453 f. Hedonismus/ἡδονή → Begierden, → Lebenslust »Heilige des Höchsten«…143, 263 »Heiliger Gottes«…475 »Heiliger Israels«…461, 463 Heiligkeit Gottes…397, 471 – Altes Testament und Antikes Judentum…440, 461, 463, 465, 474 74 – Neues Testament…271, 304, 399, 475, 478 …– Zueignung an die Glaubenden…11, 14, 304, 382 f. Heiligkeitsgesetz…175, 284 Heilsgeschichte…215, 328, 346, 352 f., 361 f. Heilsplan (οἰκονοµία)…22, 203 Heimarmene (εἱµαρµένη)…207, 466 Hekataios von Abdera…37 (35), 38 40, 163 (10), 164 16, 174 49 Helios…19135, 286 11, 291 – Identifizierung mit anderen Gottheiten (Apollon, Dionysos u. a.)…19135, 286 11, 291 Henoch…148, 219 f. – Entrückung…219 f. Henochbuch, Äthiopisches…442 30 Henochbuch, Slawisches…219 f. Herakles…220 f., 418 f. – Entrückung…148, 220 f., 418 f. – vindex terrae…221, 418 Heraklit…87 Hermes…84, 435–436 (8), 443 (33) Hermetik…231, 247 Herodot…172 39, 196, 337 Herrengebet (Vaterunser)…13, 15 f., 178, 196, 308 18, 34630, 468, 474 (73), 477 Herrenmahl…276, 347, 364–366, 375; siehe auch → Abendmahl

Herrlichkeit Gottes – Altes Testament…5 – Antikes Judentum…265, 440 – Neues Testament…4 f., 12 f., 145 f., 149 f., 213, 235, 380, 397, 441, 478 …– Zueignung an Jesus…4, 345 …– Zueignung an die Glaubenden…5, 13, 132, 148, 201 f., 214, 235, 247, 255, 349, 380, 383 Herrscher-Epitheton Gottes (δεσπότης/ ἄρχων) (siehe auch → Kyrios) – griechisch-römisch…49, 55 29, 59, 75(67), 92, 157, 183 f., 191 f.; siehe auch → Weltlenkung …– ἄρχων (καὶ κύριος ἁπάντων)…49, 92, 183 – Antikes Judentum…137, 141, 157, 173 – Neues Testament…15 f., 136 f., 271 Hesiod…181 13, 182(16), 210, 223 25, 436 Heteronomie → Autonomie Himmel – Mehrzahl von ~n…220, 395 43 – Tempel als himmlischer Bereich auf Erden…108 4, 395 – Tempelvorhang als Trennwand zwischen ~ und Erde…372, 392 f., 395 (43.44) – Umschreibung für Gott…146 42, 176, 371 26 Himmelfahrt/Entrückung – Elia…148, 219 – Henoch…219 f. – Herakles…148, 220 f., 418 f. – Jesus → Himmelfahrtserzählung – In der Kaiserapotheose…220(11) – Romulus…148 – Thespesios’ Himmelsreise…103 Himmelfahrtserzählung…147 f., 225– 227, 375, 446 Himmelsstimme (Bath-Qol)…289, 371, 396, 446 40 Hiob/Hiobbuch…36, 105, 334 f., 405– 407, 463 f. Hitlerattentat (20. Juli)…194 Höchster (ὕψιστος)…20–22, 135–150, 265 f. – griechisch-römisch…138–140, 191, 287

Sachregister – Altes Testament und Antikes Judentum…140–144, 168, 263, 265 f. …– als Genetivattribut…143 f. …– »Söhne des Höchsten«…143 – Neues Testament…137, 144–149 …– als Genetivattribut…144 f., 147 …– »Sohn des Höchsten« (Jesus)… 145 f., 180 11 …– »Söhne des Höchsten« (die Glaubenden)…146, 147 45, 18011 Hoffnung (siehe auch → Ewigkeitshoffnung) – ~ als Seinsgrund der christlichen Existenz…251 – »Maßlosigkeit« der jüdisch-christlichen eschatologischen ~…337 f. Höhlengleichnis…116 (29), 332 Hölle…88, 259, 266, 272 f., 461; siehe auch → Jenseitsstrafen, → Unterwelt Homer…52, 91 4, 435 4.7, 443 – Zeus als höchster Gott…138 – Zeus als König…184 – Zeus als »Vater der Götter und Menschen«…180 12, 182 f., 186, 189, 344 f., 473 Homerexegese – Platonismus…190 f. – Stoa…5215, 157 f., 158 f., 165 (19), 182, 184 f., 189 »Höre, Israel« → Šĕmaʽ jisra’el Hypsistos/ὕψιστος…20–21 (81.83), 137– 147; siehe auch → Höchster Ideen, platonische…43, 210 (4), 229 6, 238 Immanenz Gottes (siehe auch → Angelologie, → Götterboten, → Weltlenkung) – Mittelplatonismus: Weltgegenwart als personalisierte πρόνοια…198; siehe auch → Fürsorge Gottes, → Vorsehung – Stoa: Weltgegenwart als πνεῦµα… 123, 127, 352; siehe auch → Vorsehung – Unterscheidung zwischen Gottes transzendenter οὐσία und seiner immanenten δύναµις…341; siehe auch → Kraft Gottes Immanenz, reziproke…132(40), 302

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Individualismus…63, 73, 102 innerer Mensch…721, 12, 245, 279, 323, 349 Intoleranz → Gewalt, religiöse, → Toleranz Iris (Götterbotin)…435(7) Irrtum…52, 108, 112, 114, 116, 171 f., 315, 382; siehe auch → Täuschung, → Unwissenheit, vgl. dagegen → Bildung Isenheimer Altar…428 Isis…83 11, 90 23, 287 (13), 291 – Identifizierung mit anderen Gottheiten…287 13, 291; siehe auch → Theokrasie Isismysterien……50 5, 231, 248, 28713 Jakob (Patriarch)…44, 144, 299, 446, 461 – Gott Abrahams, Isaaks und ~s…288, 290 f., 347 f., 47474 Jakobus und Johannes (Zebedäussöhne)…365, 419 f. Jakobusbrief…16, 192, 288 Jamblich…33, 223, 225 34 Jenseitsstrafen (siehe auch → Hölle) – griechisch-römisch…57 38, 58, 74, 89 f., 97, 99, 103 37, 125, 129, 259 …– Androhung von ~ zwecks Besserung im Diesseits…58, 103 37 …– ~ zwecks Reinigung der Seele…58, 103 …– ~ zwecks Vergeltung/Rache…58, 103; siehe auch → Verdammnis …– Schilderung von ~…58(42.43), 74 62, 103–104 (37) – Antikes Judentum…265 f. – Neues Testament…272 f. Jerusalemer Tempel…164, 222 f., 334, 371 24, 372, 3879, 388 12, 391 (25), 392– 395, 398 (53); siehe auch → Tempelvorhang – idealisierende Beschreibung…164 – Kritik am ~…144, 398–399 (57) – Zerstörung des ~s…386–387(9.10), 398 (53) Jesaja/Jesajabuch…6, 8, 255, 335, 338, 463, 475; siehe auch → Deuterojesaja Jesus Sirach/Sirachbuch…36, 38 f., 45, 140, 142 f., 175 52, 211

546

Sachregister

Jesus von Nazareth (siehe auch → Auferweckung Jesu, → Emmausgeschichte, → Geburtsgeschichten, → Himmelfahrtserzählung, → Ostererzählungen, → Taufe: Jesus, → Verklärung Jesu, → Versuchungsgeschichte – Davidsohnschaft…178 2 – Gebete Jesu…178(2), 367 f., 409–411, 419 f., 460 f., 477 – ~ als Lehrer…17–18 (70), 121; siehe auch unten: »Verkündigung« – Passion und Tod → Gethsemani, → Kreuz Christi, → Passionsgeschichte, → Tod Jesu: Deutungen – Verkündigung/Lehre – Abendmahlseinsetzung…276, 347, 364–366, 375 – Antrittspredigt in Nazareth…205, 284 4, 352 f. – Gerichts-/Umkehrpredigt…269 f., 274 f. – Gleichnisse…17 f., 304, 362 f., 375, 443 32 – Gotteslehre/Gottesverhältnis…80, 136, 151, 199 f., 291–295, 348, 374, 464–466, 467 f.; siehe auch oben unter »Gebete Jesu« sowie → Gethsemani, → Versuchungsgeschichte – → Herrengebet – → Liebesgebot – Menschensohnworte…8, 274 f., 276, 278 43, 368, 374 f., 409 f., 441 f., 443 f., 446 – Reich-Gottes-Verkündigung…136, 269, 294, 323, 343 f., 354, 366, 420, 465, 467, 468 f. – Sadduzäerfrage…79, 151, 235 28, 348, 442 – → Seligpreisungen – → Weherufe – Wirken…147 …– Exorzismen/Besiegung Satans…18, 291, 344, 354 …– Heilung(en)…325 f., 375 …– Selbst-/Lebenshingabe…8, 11, 347, 360–362, 364–366 …– Totenauferweckung…5 Johannes der Täufer…146, 223 f., 268 f., 311, 447, 468 Johannes Mauropos…60 50

Johannesbrief, Erster…10, 15 55, 25, 132 40, 277, 298, 417 Johannesevangelium…2, 4–6, 18, 4762, 179 (5), 180 11, 277, 307 f., 328, 333, 345, 351, 359, 376, 446 f., 466 f., 468, 471 Johannesoffenbarung…136 f., 216, 270 f., 297, 414, 439, 443 31, 454–456, 457 Jona/Jonabuch…248, 284 4 Joseph und Aseneth…141, 143, 152, 159, 240, 248, 254 31 Josephus, Flavius…45 53, 159, 169 30, 290, 372, 390 22, 39123, 392–394 Jubiläenbuch…28925, 438 Judas (Jünger)…4 10, 373 – Verrat…365, 419 f. Judasbrief…454 Judentum, Antikes – hellenistisches ~ (siehe auch → Aristeasbrief, → Aristobulos, → Danielbuch, → Jesus Sirach, → Joseph und Aseneth, → Josephus, → Judithbuch, → Makkabäerbücher, → Philon von Alexandria, → Sapientia Salomonis), → Tobitbuch …– Akkulturation und Abgrenzung… 35 f., 155, 160 ff.; siehe auch → Antijudaismus …– Attraktivität für gebildete Heiden… 45 f., 174 49 …– ~ als Vermittler griechisch-römischer Vorstellungen an das Neue Testament…35, 43, 140, 177, 191, 192, 195, 225, 237 f., 240, 246, 253, 315 …– jüdische Gemeinschaft als οἱ κατὰ Μωυσῆν σοφοί…45, 162 …– jüdische Religion als »(barbarische) Philosophie«… 37, 174 49, 315 …– jüdische Religion als πάτριος φιλοσοφία…45 – rabbinisches ~…265, 266–268 Judithbuch…211 Jünger Jesu…1770, 356, 360, 373; siehe auch → Jakobus und Johannes, → Judas, → Petrus, → Thomas – Berufung…6, 475 – Versagen…365, 372, 420, 423 Jüngster Tag…264

Sachregister Jüngstes Gericht (universales Endgericht)…259(1); siehe auch → Totengericht, individuelles – Altes Testament…261–264 …– Tag J HWHs…261, 263, 265, 271 – Antikes Judentum…264–268 …– Johannes der Täufer…268 f. …– Tag Gogs (und Magogs)…267 – Neues Testament…270–279, 414 …– Gericht über sündige Engel…454 …– Gerichtspredigt Jesu…269 f., 274 f., 363, 374, 444 …– Unterscheidung von Person und Werk…276–279 Jupiter…180, 345 Justin der Märtyrer…48 Kain…266 f. Kaiserapotheose…220 Karneades…95, 105, 106 44 Kelsos…1873, 6051, 76, 232 21, 287 16, 356, 377, 411 25, 417–419, 428 Kinder Gottes → Gotteskindschaft Kleanthes…64 15, 127 25, 197 f. – Zeushymnus…16724, 173, 181, 183, 211, 345 28 Klearchos von Soloi…37, 3838, 17449 Kleombrotos…49–50 3 Kohelet (Prediger Salomo)…36, 44, 261 f., 361 Kollektivhaftung → Bestrafung, göttliche: der Mitbürger/Nachkommen Kolosserbrief…19 79, 47, 25121, 314 Kolotes…65, 68 35 Königsepitheton Gottes – Altes Testament…261, 398 – griechisch-römisch …– Isis als Königin…287 13 …– Osiris als König…79, 85, 88–90 …– Zeus als König…153, 182–184, 185 24 – Antikes Judentum …– Philon von Alexandria…43, 189, 199, 210, 238 …– rabbinisches Judentum…268(25), 474 (74); siehe auch → awinu malkenu – Neues Testament: Zurückhaltung gegenüber dem ~…136 f., 305 9, 467

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Königsherrschaft/Reich Gottes im Neuen Testament – Verkündigung Jesu…136, 269, 294, 323, 343 f., 354, 366, 420, 465, 467, 468 f., 473 – Paulus…236, 277, 280 Konversion → Bekehrung, → Umkehr Körper → Leib Korintherbriefe…46, 218 8, 231–236, 377–383, 418 Kornelius (Hauptmann)…438, 449 Kosmogonie → Schöpfung, → Welturheberschaft Kosmos – κόσµος als Begriff für die vorfindliche Welt…208; siehe auch → All, → Natur, → Schöpfung, → Seiendes – griechisch-römisch …– Produkt und Sphäre des Göttlichen 63, 81 5, 101, 130, 153, 182, 185, 187 f., 197 f., 208, 341; siehe auch → Stoa: Kosmos-Theologie …– Zufälligkeit und Ordnungslosigkeit (Epikur)…63, 73 – Neues Testament…5, 16, 46 f., 80, 192, 203, 210, 213, 256, 274, 376, 381, 412, 451 …– radikale Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf…35 f., 210 Kraft Gottes (θεία δύναµις/δύναµις θεοῦ); siehe auch → Macht Gottes – griechisch-römisch…341 – Antikes Judentum…189, 238 – Neues Testament …– Geist…132, 145, 148, 236 …– lebenschaffende ~…319, 383, 413 34, 432 Kreuz Christi (siehe auch → Passionsgeschichte, → Tod Jesu) – ~ bei Paulus…237 ff., 356 ff., 377–383 …– ~ als Ort der Selbsterniedrigung Christi…149, 179, 217, 309, 319, 359; siehe auch → Philipperhymnus …– ~ als Ort der Selbstoffenbarung Gottes…80, 136, 234, 310 f., 319, 377–379, 381 f., 411, 412 …– ~ als Ort der Überwindung von Schuld und Tod…8, 80, 349, 362, 380, 411

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Sachregister

…– Wort vom Kreuz als Torheit (und Ärgernis)…46, 232, 356 ff., 372, 377–379, 413, 417 ff. – ~ bei Markus…6, 3596, 369–372, 386– 390, 396–400, 409 f., 419 f., 445, 476 – ~ bei Lukas…147, 205 f., 221, 354, 359 6, 374–376, 388 f., 421 – ~ bei Matthäus…371 24, 373 f. – ~ im Johannesevangelium…351 40, 359 (7.8), 376, 421 – ~ in der Johannesoffenbarung…414, 421 – ~ als (vermeintliches) Scheitern…356, 370 (24), 374 – bildliche Darstellungen…356, 383 f., 400, 415, 418, 424–428; siehe auch → Spottkruzifix Kreuzigungsstrafe…369 f., 37126 – Kreuzestod als grausamer und schändlicher Tod…217, 356, 357 (3), 369, 420 – Kreuzestod als Fluchtod…310 f., 357, 411, 420 Kronosheiligtum…110, 113 Kruzifix…383 f., 424–428; siehe auch → Kreuz Christi: bildliche Darstellungen, → Spottkruzifix Kybele…52 16 Kynismus…32, 3419, 172 f., 223 f. Kyrios – in der LXX Wiedergabe des Tetragramms…217 (5), 309, 43820 – im Neuen Testament meist auf Christus bezogen…136, 194, 217 5, 309 …– der »Name über jedem Namen« im Philipperhymnus…13, 136, 149, 179, 217, 359 Laktanz…927, 106 44, 401 2 Lampriaskatalog…6834, 93 12 Laster/Untugenden…7149, 103, 110, 114, 271; siehe auch → Begierden – vererbbare Disposition zu ~n…102 f. Lazarus…272, 273 34, 375, 443 Leben und Lehre – Ideal der Übereinstimmung von ~… 32, 41, 45, 121 – Nichtübereinstimmung von ~…67 Lebendigkeit Gottes (siehe auch → Ewiges Leben, → Totenauferstehung) – griechisch-römisch 87 f., 153, 157, 167

– Altes Testament…151, 320, 463 – Antikes Judentum…152, 157 f., 159; siehe auch → »Allbeleber«, → Totenbeleber – Neues Testament…13, 151, 301, 348 …– Zueignung an die Glaubenden…252, 301–303, 348, 350, 380, 383, 411 Lebensbaumkruzifix…383 f. Lebenslust/Lebensfreude – ἡδέως ζῆν als Endzweck (Epikur)… 61, 63, 65 (18), 68(31), 69, 107 1 …– Lust als Vermeidung von Unlust und Unruhe…63 12, 69; siehe auch → Gemütsruhe …– Polemik gegen Epikur (»Hedonismusvorwurf«)…63 12, 6415, 65; siehe auch ~ Begierden – ἡδονή als Frucht eines tugendhaften Lebens (Plutarch)…64 f. – Apollo als Repräsentant der ~…229, 340 Leib/Körper(lichkeit)/Sinnlichkeit – griechisch-römisch …– ~ als Feind des Menschen…315 f. …– ~ als Materie vs. Seele als Göttliches…188 …– ~ als Quelle des Irrtums…315 …– σῶµα-σῆµα-Vorstellung…89, 124, 131, 248 …– Tod als Befreiung der Seele/des Geistes vom ~…89 f., 131, 248 – Antikes Judentum …– Herkunft von ~ und Geist/Seele… 190 …– Hinwendung zum Leiblichen als ›Sündenfall‹…238, 316 …– ~ und Vergänglichkeit…238, 25431 …– σῶµα-σῆµα-Vorstellung…44 …– Tod als Trennung der Seele/des Geistes vom ~…265 f. …– Wiedergeburt als Befreiung der Seele vom ~…249 – Neues Testament …– alter und neuer ~/σῶµα ψυχικόν und σῶµα πνευµατικόν…235 f., 240 f. …– Erlösung des ~es…214, 413 …– ~ und Geist…242 …– Leiblichkeit als Dasein zum Tode… 7 21, 242, 247

Sachregister Leiden, menschliche/Leid (siehe auch → Böse, das, → Passion Jesu/ Passionsgeschichte, → Übel) – Ertragen von ~ als Vollendung eines heroischen Lebens…221, 225 f., 418 f. – gegenwärtige ~ und künftige Herrlichkeit/Freude…225, 272 f. – irdisches Leben als eine einzige Summe von ~…124 – ~ als Erziehung…40413; siehe auch → Bestrafung: des Individuums: zwecks Besserung – ~ und Frage nach/Klage an/Gebet zu Gott…401 ff.; siehe auch → Verborgenheit Gottes, → Zorn Gottes – ~ und die Infragestellung Gottes… 401 ff.; siehe auch → Theodizee(problem) – ~ der Kreatur…214, 354, 413 f. – leidender Gerechter…226 (39), 358 f., 371 24, 373, 407 – Selbstverantwortung des Menschen für seine ~…40310, 406 – stellvertretendes ~…57 37, 103, 260, 423 – unterstellte Sinnhaftigkeit von ~… 104 f., 304 23 Leidenschaften/Affekte/Triebe (πάθη)… 5529, 89, 122, 253 28 – πάθη als Gegenbegriff zu λογισµός/ νοῦς…41 f., 101, 118, 245 f. Leidensunfähigkeit Gottes…428 (14); siehe dagegen → Mitleiden Gottes Lethe/λήθη…7463, 108 9 Licht und Finsternis…4–9, 195, 25533, 333, 371, 422 f., 432 – Apollon und Pluton…81 f., 228 f., 340 Liebe Gottes – Altes Testament und Antikes Judentum → Barmherzigkeit Gottes – Neues Testament …– Erweis der ~ im Christusgeschehen 193, 202, 305, 366, 383, 405, 414, 452, 474 f. …– »Gott der Liebe (und des Friedens)«…298, 304, 417, 475 …– Liebe als das Wesen Gottes…11, 294 f., 298, 417, 475 …– Liebe und Zorn Gottes…416 f., 458, 475

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Liebesgebot – Altes Testament und Antikes Judentum – Gottesliebegebot…289; siehe auch → Gottesliebe, → Šĕmaʽ jisra’el – Nächstenliebegebot…275 39, 284; siehe auch → Nächstenliebe – Liebe zum Fremdling…284 – Jesus – Doppelgebot der Liebe…292–295, 374 – Feindesliebegebot…25, 284, 295 f., 298, 374; siehe auch → Feindesliebe – Gottesliebegebot…14 50, 25, 292– 294; siehe auch → Gottesliebe – Nächstenliebegebot…14 50, 25, 275, 284, 292–295, 374; siehe auch → Nächstenliebe Logos – griechisch-römisch …– Aristoteles…327 …– Stoa: göttliche Weltvernunft…63, 130, 172, 208 f., 403 …– Mittelplatonismus (Plutarch und Kelsos)…86 19, 88, 356 – Antikes Judentum – Identifizierung von griechischem Logos und jüdischer Tradition…41 – Philon von Alexandria…238, 239 42 – Neues Testament – Johannesevangelium…2 f., 328 f., 351, 356, 471 …– 1. Petrusbrief…252… …– Jesus als Verzeitlichung des göttlichen ~…351… Logos und Mythos…33 13, 42, 55–58, 84, 97 f., 99, 109, 125 f., 129, 306 – Mythos und ~…109 f. lukanisches Doppelwerk…21, 48, 137, 144–149, 205 f., 221–227, 351–354 – Doppelkodierung…144, 148, 221 f., 352 Lukasevangelium…224, 272–274, 374– 376, 443, 445 f., 447 f., 475 Lukian von Samosata…34 (19), 273 33 Lukrez…6831, 73 56, 74 61 Lust → Begierden, → Lebenslust

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Sachregister

Macht Gottes…92; siehe auch → Allmacht Gottes – Altes Testament…142 f., 2854, 406 – griechisch-römisch…23, 54, 104, 183 f., 340, 378; siehe dagegen → Machtlosigkeit der Götter …– Übermacht als Definition Gottes… 347 32, 378(31) – Antikes Judentum…140 f., 157 f., 189, 307 – Neues Testament…21, 80, 136, 145– 148, 200, 206, 213 f., 218, 235, 255, 300, 308 f., 347–349, 378, 382, 411 f., 413, 476 f. …– Übertragung auf Jesus…13, 149, 217, 309, 373 …– Zueignung an die Glaubenden…13, 148, 218 (4), 227, 235, 349, 380, 382, 412, 433 »Mächtiger« (ὁ δυνατός, Gottesprädikat)…145, 147 Machtlosigkeit der Götter…104 39, 401 Magie…112, 166, 307 15, 324 f. Magnifikat…137, 145, 147, 223 25, 226 40, 273, 374 f. majestas Gottes…424, 463, 470 f., 473; siehe auch → Heiligkeit Gottes Makarismus…248; siehe auch → Seligpreisungen Makkabäerbücher – Drittes…211 – Viertes…41 f., 237, 239 (43) Mammon…273 Maria (Mutter Jesu)…145 f., 447 f.; siehe auch → Magnifikat Maria Magdalena…446 Markusevangelium…360–372, 385– 400, 419–421, 445, 476 Märtyrer – jüdische ~…41 f., 239–240(43), 25431, 263, 289 – christliche ~…271 Mastema…440 Mathematik…83, 88 Matthäusevangelium…274 f., 373 f., 443–445, 446, 448 Mäuse…40 41, 155, 164 f. Maximos von Tyros…32 (7.10), 195, 437 Megasthenes…37 (37), 174 49 Menander…347 32, 378

Menedemos von Eretria…16826 »Menschen Gottes«…156, 167, 17448 Menschenfreundlichkeit Gottes…118, 188, 192, 471 Menschenhassvorwurf → Antijudaismus Menschensohn – Engel steigen auf den ~ herab…4 – Lebenshingabe als Lösegeld…8, 11 – Retter des Verlorenen…8, 375 – Preisgabe in die Hände der Sünder…368, 409 f., 460 – Verherrlichung in der Passion…4 – Wiederkehr als Richter…274–276, 278 43, 374, 441–444 (35) Michael (Engel)…439 f., 44436, 455 Michelangelo…259 Milch…248 12, 251, 322 f. Mirjam…260 Mithras(-Mysterien)…231 (16) Mithräum (Santa Prisca), Inschrift…248 Mitleiden Gottes…338, 423, 431 f.; siehe dagegen → Leidensunfähigkeit Gottes Mittelplatonismus (siehe auch → Kelsos, → Maximos von Tyros, → Philon von Alexandria, → Plutarch) – Axiochos…97 25, 109 11, 119–132, 232 20, 2478 – Kosmologie…181; siehe auch → Welturheberschaft – ›religious turn‹…31, 120 ff., 186, 198, 232 20, 291 – πνεῦµα θεῖον…128 29, 232 20, 247 8, 352 – Sokratesbild…31 f., 108(5), 120 ff., 436 f. – Vorsehungsglaube…198; siehe auch → Vorsehung Mittlerwesen → Angelologie, → Daimon, → Engel, → Götterboten Monotheismus…139, 170; siehe auch → Einzig(artig)keit Gottes, → Theokrasie – griechisch-römisch…75, 139, 156, 168, 171, 191, 286 f. – Judentum…37, 140, 168, 170, 171 35, 174 49, 286–291, 439; siehe auch → Šĕmaʽ jisra’el – Christentum…286 ff., 292–298

Sachregister – ~ und Polytheismus…35, 155, 168, 171, 287 (18) – »pantheonaler ~«…139 22 Mose – griechische Philosophen als Plagiatoren des ~…157, 162 – ~ im Alten Testament…2, 247, 260, 283, 290, 318, 329, 334, 348, 365, 449, 461 – ~ als exemplarischer Philosoph und Weiser…37, 43–45, 155, 160 f. – ~ als Gesetzgeber/Autor des Pentateuch…40 (41), 44 f., 155, 160 f., 164, 190, 394 39 – ~ im Neuen Testament…205 f., 299, 358 – pagane Äußerungen über ~…164 16, 172 Mozart, Wolfgang Amadeus…259 Musonius Rufus, Gaius…111, 181 Mysterien…50, 51 12, 108 7, 12936, 231, 247, 248 – Dionysos-~…50 5 – Isis-~…50 5, 231, 248, 287 13 – Mithras-~…231, 248… mysterium tremendum…13, 461–463 (8), 465–469, 471 f., 47474, 476; siehe auch → Gottesschrecken Mythos (siehe auch → Er-Mythos, → Prodikos: Mythos, → Osiris: Mythos) – Logos und ~…33 13, 42, 55–58, 84, 97 f., 99, 109, 125 f., 129, 306 – ~ und Logos…109 f. Nächstenliebe…14 50, 25, 275 39, 284, 292 f., 294 f., 374 Narrenrede…218 8, 411, 450 Natur…37, 101, 209, 215 15, 307, 340, 392 – φύσις als Begriff für die vorfindliche Welt…208; siehe auch → All, → Kosmos, → Schöpfung, → Seiendes Nazoräerevangelium…398 (53) Neuplatonismus…31, 230, 315; siehe auch → Jamblich, → Sallustios Neupythagoreer…33, 114 22 Neuschöpfung…5, 11, 16, 152, 192 f., 215, 216 1, 249 f., 301, 350

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Neuzeugung…9, 192, 251–252(20), 254, 323, 343, 351; siehe auch → Wiedergeburt Nikodemus…249, 351 Ocellus Lucanus…163 10 Offenbarung → Selbstoffenbarung Gottes Öffentlichkeit – Mensch als Wesen der Öffentlichkeit/ Gemeinschaftswesen…61–62 (1), 64 f., 69 ff., 77, 102, 327 …– ἄνθρωπος φύσει πολιτικὸν ζῷον… 626 …– Menschsein und Ansprache…327 f. – Rückzug/Weltflucht…70, 72 …– »Lebe im Verborgenen« (λάθε βιώσας)…61, 66 24, 69, 74, 95 18 Origenes…46, 5215, 196, 391 (27) Orpheus…339 Osiris…79–90 – ~-Mythos…82, 88–90 Ostererzählungen/-erscheinungen… 233, 358, 421, 445–447, 476 Ovid…210, 220, 345 28, 354, 418 f. Paideia/παιδεία → Bildung Panaitios von Rhodos…171 f. Pantokrator/παντοκράτωρ (Allmächtiger)…137, 141, 209, 3045; siehe auch → Allmacht Gottes Paradies, jenseitiges…266, 354, 375 Parusie (Wiederkunft Christi)…346 f., 446 Passionsgeschichte/Passion Jesu… 358 f., 363, 366–376, 385 ff., 396–398, 409–411, 417–420, 428; siehe auch → Gethsemani, → Tod Jesu – Jesu Leiden als freiwilliger Gang in die Passion…226; siehe auch → Tod Jesu: als Selbsthingabe – Jesu Leiden als schriftgemäße Notwendigkeit…205 f., 225, 358 – Jesu Leiden und sein Mitleiden… 423 f., 427 f.; siehe auch → Mitleiden Gottes Paulus…5, 6 21, 46 f., 131 (38–39), 132, 136, 149, 152, 179, 192, 201–203, 208–215, 231–236, 240–242, 270, 271 f., 276–280, 295 f., 299–312,

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Sachregister

318 f., 348–350, 354 f., 377–383, 404 f., 411–414, 421, 418, 432 f., 466, 469, 477 f. – als Lehrer…17, 18 f. Paulusschule…16, 47 f., 203 f., 352 Peregrinus Proteus…34 (19) Persius (Aulus Persius Flaccus)…5111 Person und Werk…276–279 »Pessimismus, kosmischer«…55, 230 Pest…415, 424, 426–428 Petrus…449 (44) – Berufung…6, 8, 475 – Gethsemani, Gefangennahme Jesu und Verleugnung…365, 420, 444 – Pfingstpredigt…148, 206, 353 f., 375 f. – Befreiung aus dem Gefängnis…449 Petrusbrief, Erster…9 28, 204 f., 243– 258, 323, 342, 350 f., 453 f. φιλαδελφία → Bruderliebe Philipperhymnus…13, 17, 149, 179, 216–218, 309, 478 Philippus (Evangelist)…438, 449 Philon von Alexandria…43, 44 f., 189– 191, 198 f., 238 f., 245 f., 247 f., 253 26– 28.30 , 254 30.31, 342 21, 439 – allegorische Bibelauslegung…43, 238, 244 f., 247 f., 25431, 316 – Platonismus…43, 142, 189 f., 210 (4), 238 – Plausibilisierung des jüdischen Glaubens gegenüber der hellenistischen Welt…162, 177, 238 f. – stoische Anleihen…189 f., 199 Philon von Byblos…138 12, 139 »Philosophendiebstahl«…177 Philosophengestalt – Gottesmann als Philosoph…43–45 – Philosoph vs. Masse…171, 172 f. – religiöse Deutung der ~…31–34 Philosophie, praktische – Definition…61 3 – ~ als ars vitae/τέχνη βίου…61, 68, 107 (1), 122 – jüdische Weisheit als »göttliche Philosophie«…41 f. – Willensfreiheit als Problem der ~… 111, 113 Philostratos, Flavius…33, 3422, 223 Philoxenos (sprichwörtlicher Parasit) 67

Pindar…182 Pinhas…283 Platon – Apologie…120 f. – Göttliches als höchstes Sein…198, 229 (5), 315 – Logos und Mythos…109 11 – Philosophie und Politik…61(4), 70 42 – Philosophie und Politik…61(4), 70 42 – Philosophie und Volksreligion…171 – ~ als »Plagiator« des Mose…44 – Sonnen-/Höhlengleichnis…116(29), 332 – Timaios…123, 127, 181, 183, 185 f., 189, 197, 208, 210 f., 229 (6), 345 28 …– Demiurg…181, 184, 185 f., 34528 …– Rezeption…492, 52 14, 75 68, 123, 186, 210, 230 – Vorsehung…196 f. – Weltschöpfer als Vater…181, 184, 185 f., 345 28 Platon-Imitation – Axiochos…59 46, 97 25, 120, 125, 129 – Plutarch…58 f., 97, 10032, 129 Platonismus → Mittelplatonismus, → Neuplatonismus Plausibilität (τὸ πιθανόν)…56, 95 f., 105; siehe auch → Wahrscheinlichkeitsurteil Plutarch von Chaironeia…24, 34 f., 49– 106, 185–188, 191 f., 198, 228–231, 237 (34), 287 – Affinität zum Christentum…59– 60(48.50), 75–78 – Antiskeptizismus…56 f. – Beichtvater und Seelsorger…53(24), 68(36) – Dualismus…82, 230 – Epikurpolemik…25, 54, 64 ff., 93–95, 107 1 – Etymologien…7459.60, 83 12 – Frömmigkeit…52 f., 54 f., 57(36), 65, 105 f. – Gottesbegriff…5321, 92 5 – Platonismus…49 2, 52 (14), 58 f., 7568, 85(16), 97, 100 32, 129, 230 – religiöse Schriftstellerei…5949 – Stoapolemik…55 29, 92 6 Pluton…81 f., 228 f., 340

Sachregister πνεῦµα/spiritus (siehe auch → Geist, göttlicher, → Geist, Heiliger) – ἅγιον πνεῦµα παιδείας (SapSal 1,5)…11832 – Christus als πνεῦµα ζῳοποιοῦν…236, 242 – Gott als πνεῦµα bei Poseidonios… 127 26 – πνεῦµα θεῖον im Axiochos…128 29, 232 20, 2478, 352 – πνεῦµα θεῖον bei Philon von Alexandria…43, 190 – Sokrates erfüllt vom θεῶν πνεῦµα… 33 – spiritus sacer bei Seneca…1086, 127, 130, 352 Poine…103 Polytheismus…35, 3631, 140, 191 35, 287, 295, 434; siehe auch → Monotheismus – Kritik am/Polemik gegen den ~…142, 153, 156, 160, 168, 171, 307 Popularphilosophie…21, 162, 166, 169, 171, 223 Porphyrios…60 51, 21312, 315 f. Poseidonios…127 26, 172(41), 315 Prädestination…203, 279, 466, 469 f., 477; siehe auch → Vorbestimmung Prediger Salomo (Kohelet)…36, 44, 261 f., 361 Prodikos…124, 12622 – ~-Mythos…221 15 πρόνοια/providentia…54 27, 5841, 92, 93(9), 194–195 (4.5), 197, 199, 201, 207, 403 (11); siehe auch → Vorsehung – providentia specialis/generalis…158, 197 Psalmen…141, 260 f., 322, 334, 342, 363 f., 366 f., 405, 407–409, 432 Pseudo-Longinus…163 10 Pythagoras/Pythagoreer…3210, 33, 34 19, 44, 86, 88, 116 26, 22534, 228; siehe auch → Neupythagoreer Pythia…34 Qumran…36, 141, 244 f., 249 17, 333, 438 Raphael (Engel)…439 f. Reich Gottes → Königsherrschaft Gottes

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Reinheitsgebote, jüdische → Speiseund Reinheitsgebote Religionskritik, antike…94, 96 ›religious turn‹ – Mittlerer Platonismus…120 ff., 186, 198, 232 20 – Stoa…183 Riemenschneider, Tilmann…400 62, 431 Römerbrief…6 21, 8 25, 201–203, 212– 215, 280, 299–312, 417 Sabbat…45(55), 169 31 Sadduzäer…79, 441 27 Sallustios (Neuplatoniker)…248 Salomo (König)…42, 44 Sapientia Salomonis…42 f., 44, 81, 159, 211, 237, 239, 254 30.31 Satan…279, 291, 354, 407, 440 f., 450; siehe auch → Teufel Satansengel/Teufelsengel…412, 432, 444, 450, 454 Saul (König)…260 Schauder, heiliger → Gottesschrecken Šĕmaʽ jisra’el (»Höre, Israel«)…14, 16, 193, 289 (25), 292, 293 (33), 294, 313 f., 329 Šĕmone ʽEsre (Achtzehn-BittenGebet)…152, 234, 306, 474(74) Scheu, heilige → Gottesschrecken Schicksal…195, 197, 200, 207, 231, 248, 403 10, 409; siehe auch → πρόνοια, → Vorsehung – Heimarmene/εἱµαρµένη…207, 466 – µοῖρα…207 – Pepromene…197 – Tyche/τύχη…110, 115, 207, 436 11 Schöpfersein Gottes (κτίστης) – griechisch-römisch (δηµιουργός/ ποιητής) → Demiurg, → Welturheberschaft – Altes Testament und Antikes Judentum…35 f., 81, 141, 152, 157, 159, 167, 189, 212, 268, 307, 345 …– creatio ex nihilo…80, 307 – Neues Testament…15, 146, 151 f., 193, 212 ff., 345; siehe auch → Neuschöpfung …– Gott als der »ins Sein ruft«…15, 80, 152, 212 f., 234 (27), 301, 383

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Sachregister

Schöpfung – κτίσις als Begriff für die vorfindliche (von Gott geschaffene) Welt…24, 80, 208, 210–212 – griechisch-römisch → All, → Kosmos, → Natur, → Seiendes – Antikes Judentum…35 f., 211 f. – Neues Testament…212–215; siehe auch → Neuschöpfung Schöpfung und Erhaltung (jüdischchristlich; für die griechisch-römische Vorstellung siehe → Welterhaltung) – Antikes Judentum…152, 189 f. – Neues Testament…146 43, 193, 199 f., 215, 309, 234 (27); siehe auch → Heilsgeschichte, → Neuschöpfung Schöpfungsgeschichte – erster Schöpfungsbericht…190, 238, 328, 439 – zweiter Schöpfungsbericht…190, 236, 238, 384 Schutzengel – persönlicher ~…439, 444 – ~ für Völker…437, 439 (23) Schutzgottheit, persönliche…436 Seele – Befreiung der ~ vom Leib…89 f., 131, 248 – Existenz einer bösen ~…230 – Läuterungsgericht…58 f., 103 – Lohn/Strafe im Jenseits…5738, 58, 7462, 97, 103 f., 265 f.; siehe auch → Jenseitsstrafen – Partizipation an der göttlichen Transzendenz…127, 130, 188, 231, 247 – Reinigung…245 f. – σῶµα-σῆµα-Vorstellung…89 f., 124, 131, 248 – Tod als Umzug der ~…89, 121, 124 – Unbeflecktheit/Verunreinigung der ~ 253 28 – Unsterblichkeit der ~…58, 97, 103, 119, 121, 124 f., 127 f., 131, 232, 245 4, 2478, 419 – Verewigung…80 – Verwandlung der ~ in einen Daimon…231 – wesenhaft göttlich…188, 190, 192 – wesenhaft Licht…74 (60) Seelenarzt…31, 53 24, 69 36

Seelenbegleiter…443(33) Seelenfrieden → Gemütsruhe Seelenheil…243–247, 258 – σωτηρία ψυχῶν…243–245 Seelenheilung…55 f., 96, 100 – ἡ περὶ ψυχὴν ἰατρεία…55, 96 22 Seelsorge, philosophische…31, 33, 53(24), 68 36, 120 ff. Seiender (Gottesprädikat)…51, 81 4, 82, 228–230 – E (εἶ = »Du bist«) am Eingang des Apollon-Tempels in Delphi…51, 81 4, 228 – Gott als der Seiende (ὁ ὤν)…1342, 209; siehe dagegen → Seiendes Seiendes – τὸ ὄν als Begriff für die vorfindliche Welt…208; siehe auch → All, → Kosmos, → Natur, → Schöpfung – Gott als höchstes Sein »jenseits des Seienden« (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας)… 198, 229 (5), 315 – Gott als das (wahrhaft) Seiende (τὸ [ὄντως] ὄν)…7 23, 13 42, 51 10, 8312, 209, 228 Selbstbestimmung → Autonomie Selbstentfremdung…107–110, 116 Selbsterkenntnis – griechisch-römisch …– »Erkenne dich selbst« (γνῶθι σαυτόν)…7 23, 51, 71, 81 4, 228 …– ~ und Erkanntwerden durch Andere…71–74 …– ~ und Gotteserkenntnis…7 (23), 228 – Neues Testament …– Gotteserkenntnis und ~…12–14 …– ~ und Erkanntwerden durch Gott… 9–12 Selbstoffenbarung Gottes/des Göttlichen – Altes Testament: ~ vor Mose (»brennender Dornbusch«)…290, 348 – griechisch-römisch (Plutarch): ~ im Lebendigen…86 – Neues Testament …– ~ im Christusgeschehen…80, 136, 193, 234, 310 f., 319, 348, 377–379, 381 f., 411, 412, 474 …– ~ im Kosmos…213 Seligpreisungen…146, 274 35, 314, 373

Sachregister Seneca, Lucius Annaeus…31, 51 (11), 83, 93, 1084.6, 111, 116 27, 127, 130 f., 132, 224 f., 356, 403 11, 404 (13) Septuaginta…140–144, 16310, 166 f., 2175 – Lexikographie…4, 1342, 137, 140 f., 152, 158, 194, 209, 211, 217, 233 (24), 236, 237, 258, 309, 320, 43820 – Übersetzungslegende…39, 154, 162 f., 166 Seraphim…437 Serubbabel…39125 Seth → Typhon Sextus Empiricus…92 4, 94 13 Sexualität…169, 253 28, 316, 324, 442 30, 452 Simonides von Keos…1, 5, 20 Sinai…257 f., 329, 365, 450 Sinne, menschliche…6831, 313–336; siehe auch → Leib Sintflutgeschichte…246 7 Sippenhaftung → Bestrafung, göttliche: der Mitbürger/Nachkommen Sirachbuch (Jesus Sirach)…36, 38 f., 45, 140, 142 f., 175 52, 211 Skandalon → Ärgernis Skepsis…401 3, 403 – akademische ~…1, 32, 54–57, 65, 924, 94(13.14), 96, 105 f., 121, 123, 401 2; siehe auch → Cotta, → Karneades – pyrrhonische ~…62–63 (9); siehe auch → Sextus Empiricus Sohn Gottes → Gotteskindschaft, → Gottessohnschaft Jesu Sokrates/Sokratesnachwirkung…31–33, 44, 1085, 119 4, 120–128, 130, 197, 357, 435–437 – Daimonion des ~…32 f., 1085, 120– 122, 128 29, 436–437 (13) – ~ als Gesandter Gottes…32 6 – ~ und Mose…44 – Sterben des ~…197, 357, 419 Solon von Athen…91–924 σῶµα-σῆµα-Vorstellung…44, 89, 124, 131, 248 Sonnengleichnis…332 Speise- und Reinheitsgebote, jüdische – Abgrenzung von Nichtjuden…40, 154, 161, 164 (16), 168, 170, 257 – als Degenerationserscheinung…172 41 – Einhaltung…40, 154, 160

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– ethisch-moralische Deutung…164– 165 (18), 169, 175 Sphinx…110, 114 Spottkruzifix auf dem Palatin…356 f., 377, 383, 418, 424 Sprüche der Sieben Weisen…34, 42 Standhaftigkeit…32 – Personifizierung (Καρτερία)…111 Stellvertretung…361, 365, 380(32), 3867, 423 Stephanus (Diakon)…144, 449 Sterben (individueller Tod); siehe auch → Todesfurcht – ›noble death‹ …225, 418 f. – Tod als exitus…73, 121, 124 – Tod als transitus…89, 121, 124, 419 – Tod als Gut oder Übel?…121 – Trost angesichts des Todes…33, 119 f., 124, 126, 129, 130, 339 Sterblichkeit → Vergänglichkeit Stiftszelt/-hütte…392, 393 31, 394(39), 395 (44) Stoa…62 f.; siehe auch → Chrysipp, → Cornutus, → Dion von Prusa, → Epiktet, → Kleanthes, → Musonius, → Persius, → Poseidonios, → Seneca – Homerexegese…52 15, 157 f., 158 f., 165 (19), 182, 184 f., 189 – Kosmos-Theologie…15 f., 55 29, 181– 183, 208 f. – Logos-Konzeption…63, 130, 172, 208 f., 403 – Mensch als Träger eines göttlichen Geistes…108 (6), 130, 225 (37), 352 – ›religious turn‹…183 – Sokratesbild…32, 121 – Vorsehungsglaube…22, 92 (6), 183, 197 Strafandrohung (zwecks Besserung im Diesseits)…58, 103 37 Strafgericht Gottes – über Israel/die Völker…261, 368 – über Einzelne → Bestrafung, göttliche, → Jenseitsstrafen, → Jüngstes Gericht, → Totengericht Strafverzögerung…56, 95 19, 99, 101, 270 f. – zwecks Besserung…56; siehe auch → Seelenheilung

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Sachregister

Sühne – Begriff und Vorstellung…361 11 – Jenseitsstrafen als ~ für Untaten…99, 104 – ~tod Jesu/Jesus als Sühne…11, 256, 300, 358 f., 361, 364, 386 (7), 397, 423 Sünde – Ätiologie der ~…80, 213 13 – Sühnetod Jesu für unsere ~n…358, 423 – ~ als Getrenntsein von Gott…241, 380 – ~ und Tod…80, 233, 301 f., 383 – ~ als Verblendung…118 – Universalität der ~…213 Sündlosigkeit – natürliche ~…111 – ~ Jesu…276, 303, 349, 383 – Unfähigkeit, nicht zu sündigen…302 Sündenfallgeschichte – Antikes Judentum…448 – Philon von Alexandria…238, 254 31, 316 f. – Sapientia Salomonis…42 46, 81, 239, 254 31 – Neues Testament…329, 384 – Paulus…80, 213, 301, 306 f. Synagoge…45(55.56), 267, 306 Tabula Cebetis…107–118, 22428 Tacitus…4043, 175 50, 22217, 315 Tag Gogs (und Magogs)…267 Tag J HWHs…261, 263, 265, 271 Targum Neophyti…265, 266 f., 268 Tatian (Apologet)…48 Taufe – Jesu ~…6, 292, 344, 368, 372, 390, 396 f., 475, 477 – christliche ~…2467, 249 f., 25120, 352, 373, 449 – ~ als Metapher…396 46 Taurobolium-Inschriften…248 Täuschetrank…108–110, 112 Täuschung (Ἀπάτη)…47, 108, 112 f., 115, 117 f., 356; siehe auch → Irrtum, → Unwissenheit, dagegen → Bildung tausendjähriges Zwischenreich…271 Tempel (siehe auch → Apollon-Tempel, → Jerusalemer Tempel) – ägyptische ~…394, 395 41 – griechische und römische ~…83, 108 4, 110, 295

Tempelvorhang (siehe auch → Jerusalemer Tempel) – innerer/äußerer ~…387(9), 390 22, 394 (37), 396 – Zerreißen des ~s…369 23, 371–372(24), 386 ff. Tertullian…48 (65), 377 30 Testament Abrahams…142 Testamente der Zwölf Patriarchen… 142, 253 28, 321 testimonium Flavianum…1770 Tetragramm – Eigenname Gottes in der Hebräischen Bibel…140, 217, 290, 305, 43820 – Identifizierung mit paganen Gottheiten (Zeus/Dionysos)…40, 52 16, 157 f., 159, 167, 176 – LXX: Wiedergabe durch Kyrios… 217 (5), 309, 438 20 – Übertragung des Kyriosnamens auf Christus…13, 136, 149, 179, 217, 359 Teufel…1377, 440 f.; siehe auch → Satan – Antikes Judentum – ~sneid…81, 159 – Neues Testament…137 7, 441 – Gericht über den ~ und seine Engel…274 – Versuchungsgeschichte…145, 147, 292, 329, 352, 371 24, 448 – 1. Petrusbrief…255 33 Teufelsengel/Satansengel…274, 412, 432, 444, 450, 454 Theagenes von Rhegion…182 Themistokles…7042 Theodizee(problem)…401–404, 421, 432, 440 – Begriff…91 f. – Altes Testament…405–409 – griechisch-römisch…24, 54–57, 91 ff., 401, 404 13 – Antikes Judentum…43, 266 f., 440 – Neues Testament…404 f., 409–415 Theodoret von Kyros…60 50 Theognis…91 4, 102 33 Theokrasie…286, 291; siehe auch → Monotheismus – Apollon, Helios und Dionysos… 191 35, 28611 – Dionysos und J HWH…52 16 – Helios u. a.…191 35, 28611, 291

Sachregister – Isis u. a.…287 13, 291 – Zeus und J HWH…40, 157 f., 159, 167, 176 theologia crucis → Kreuz Christi Theologie (griechisch-römisch); siehe auch → Gotteslehre – mythische ~…189, 345 – negative ~…89, 252 f. – Ontologie und ~…186, 209, 212 – Plutarchs ~-Begriff…49 3, 52 13, 83 – stoische Kosmos-~…15 f., 55 29, 181– 183, 208 f. – theologia tripertita…172, 345 – wissenschaftliche Verortung der ~… 307 Theophanie…1671, 258, 329, 334, 445 f., 449 Theophrast…315 Theriomorphismus…213; siehe auch → Tierkult Thespesios…5738, 58, 104 38 Thomas (Jünger)…314 Thron – ~ Gottes…6, 144, 266, 361, 372, 393, 395 42, 398–400 (57), 437, 439 23, 455 – ~ Christi/des Lammes/des Menschensohns…145, 274, 413, 421, 424, 444 Tiberius Iulius Alexander…175 53, 198 Tierkult…168, 213 – Ägypten…82, 85–88, 172 Titus (Kaiser)…98 Titusbrief…118, 251 21 Tobitbuch…14127, 439 f. Tod (als Macht[bereich]; zum individuellen Tod siehe → Sterben) – Altes Testament…79 f., 151, 363 – griechisch-römisch…74 f., 81 ff., 89; siehe auch → Unterwelt – Antikes Judentum…80, 152, 159, 239 …– Ätiologie des ~es…42 46, 81, 159, 301 – Neues Testament …– Ätiologie des ~es…80, 213, 301 …– Entmachtung/Überwindung des ~es…80, 206, 216 1, 241, 242, 279, 301 f., 373, 383 …– ~ als »letzter Feind«…89, 233, 279, 350 …– ~ als »der Sünde Sold«…302, 383

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Tod Jesu (siehe auch → Kreuz Christi, → Passionsgeschichte) – Deutungen…356 ff. – Sühne~…256, 300, 358 f., 361, 364, 386 (7), 397, 423 – ~ als (Sklaven-) Loskauf…204, 256, 359 – ~ als Selbsthingabe…360–362, 365 f., 383 Todesfurcht…6, 33, 75, 1193, 120, 122, 123, 125, 126, 129, 247 8, 367, 461 Todesschlaf…121, 152, 231 Toleranz/Intoleranz…164 16, 283 f., 288, 297 f. Tora – allegorische ~deutung…40, 43, 52 15, 154 f., 162, 164 f., 169 f., 247 – ~ als Weisheit/höchste Philosophie… 36–43, 52 15, 162 ff., 173 – ~observanz…44, 154–156, 158 f., 160 f., 165, 176, 239, 254 31, 257 36, 266 f., 290 – Übersetzung ins Griechische…162 ff.; siehe auch → Septuaginta Torheit Gottes und Weisheit der Welt…46 f., 226, 232, 319, 356 ff. Totenauferstehung (siehe auch → Auferweckung Jesu, → Totenbeleber) – Antikes Judentum…80, 152, 212, 240 48, 263 f. – Neues Testament…78 77, 80, 152, 231–236, 240 f., 27843 …– Bestreitung…232–233 (22.23) …– Öffnung der Gräber bei Jesu Tod…373, 388 Totenbeleber (siehe auch → Gott der Lebend[ig]en) – Antikes Judentum ( ‫מחיה מתים‬, mĕḥayyēh mētîm)…152, 159, 234 – Neues Testament…13, 152, 242, 302, 411 Totengericht, individuelles…261–264; siehe dagegen → Jüngstes Gericht (universales Endgericht) – Altes Testament…261 f. – platonisch (Gericht über die Seele) 59, 103 f., 129, 130, 265; siehe auch → Bestrafung, göttliche → Jenseitsstrafen – Neues Testament…272–274, 276

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Sachregister

Totenwelt → Unterwelt Trajan (Kaiser)…50 7 Transzendenz Gottes – Altes Testament…333 – griechisch-römisch…59 48, 122, 127 f., 198, 215, 230 f., 237, 306 14, 341, 435, 437 …– das Göttliche ist »jenseits allen Leidens«…428 …– höchster Gott ist »jenseits des Seienden« (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας)… 198, 229 (5), 315 …– transzendente οὐσία vs. immanente δύναµις…341 – Antikes Judentum…141 27, 143, 23836, 342 21, 438 f. – Neues Testament…450 Trinität…285, 296 ff., 428 Tugend…64 (15), 111, 113, 221, 238 38, 253 28, 25430, 418 – ~en als »Mägdlein der Lust«…6415 – Toragehorsam als ~…45, 239, 240 43, 257 36 Tyche/τύχη…110, 115, 207, 436 11 Typhon/Seth…82, 85 (16), 90 23, 230(10) Übel (siehe auch → Böse, das) – Beseitigung der ~…401 f., 409 – Habgier/Geldgier als Grund~…224 – ~ als skeptisches Argument gegen die Existenz Gottes…96, 401–4023; siehe auch → Theodizee(problem) – unde malum?…92 f., 213, 401, 407, 439 f. – Unvernunft als Grund~…116 – vermeintliche ~…6416, 121, 197, 40413 Umkehr – ~ aus der Verirrung zu einem geläuterten Leben…58, 71 (50), 103 f., 111, 224, 248 – Μετάνοια als Person…111, 224 28 – ~predigt Johannes des Täufers…268 f. – ~predigt Jesu…8, 224, 269, 276, 343 Unbeflecktheit Gottes (ἀµίαντος)…252– 254 (28–30) Unbewegtheit Gottes (ἀκίνητος)…229 7, 253 29 Unfreiheit → Freiheit Ungemischtsein Gottes (ἄκρατος)… 229 7, 253 29

Ungewordensein Gottes (ἀγένητος)… 229 7, 238, 253 29, 254 31; siehe auch → Ewigkeit Gottes Unsichtbarkeit Gottes…3 f., 26, 314, 349 Unsterblichkeit der Engel…442 30 Unsterblichkeit Gottes (ἀθανασία)…14, 80, 350; siehe auch → Unvergänglichkeit Gottes – Zueignung an die Glaubenden…14, 80, 239, 304, 350 Unsterblichkeit des Menschen – qua göttlicher Geist…33, 128 f., 190, 232 30 – qua Seele → Seele: Unsterblichkeit Unsterblicheitshoffnung → Ewigkeitshoffnung Unterwelt/Totenwelt…5843, 74, 82, 88 f., 104 37, 121, 228, 272 f., 340; siehe auch → Hölle Untugenden → Laster Unvergänglichkeit Gottes (ἀφθαρσία/ ἄφθαρτος); siehe auch → Ewigkeit Gottes – griechisch-römisch…14, 229–230 (7), 233, 237, 253 (27.29), 25431, 304, 340– 341 (18), 350 – Antikes Judentum…237, 238 f., 25226, 253–254 (30.31) – Neues Testament…213, 236, 237(35), 247, 252 f., 256, 307 …– Zueignung an die Glaubenden…14, 235 f., 238, 240 43, 241 f., 25431, 256, 304, 350, 383, 411 Unverwelklichkeit Gottes (ἀµάραντος) 252, 254 Unwandelbarkeit Gottes (ἀνέγκλιτος)… 192, 229 7, 253 29 Unwissenheit…108, 112–114, 117 f.; siehe auch → Irrtum, → Täuschung, vgl. dagegen → Bildung – ἄγνοια…52, 74 63, 117 Uriel (Engel)…440 Ursprache, himmlische…327 f. Vater-Epitheton Gottes – Ägypten und Alter Orient…179 f., 306, 345, 473 – Altes Testament…179 f., 305 f., 307, 473

Sachregister – griechisch-römisch…16, 180 f., 182– 188, 191 f., 306 14, 345 (28), 419 …– Demiurg in Platons Timaios…181, 185, 345 28 …– Zeus als Vater/»Vater der Götter und Menschen« (πατὴρ θεῶν τε ἀνδρῶν τε)…180 12, 181–183, 185 f., 189, 344–345 (27), 473 – Antikes Judentum…180, 189–191, 199, 305–307; siehe auch → awinu malkenu – Neues Testament…16, 190 f., 192, 251; siehe → Vatername Gottes Vatername Gottes im Neuen Testament…13, 15 f., 178–180, 192 f., 290 f., 304 f., 307–309, 345 f., 465, 473 f.; siehe auch → Abba – Gott als Vater Jesu Christi…13, 178, 218, 291, 307, 343, 344 f., 410, 420 (6), 465 f., 468, 473 f.; siehe auch → Gottessohnschaft – Gott als Vater der Glaubenden…178, 192 f., 290, 304 (5), 307 f., 345, 474; siehe auch → Gotteskindschaft Vaterunser → Herrengebet Verborgenheit Gottes…416 f., 432, 475 – Altes Testament…330, 335, 366, 439 – Neues Testament…312, 335, 347, 366–368, 410, 443, 460, 473, 475 Verdammnis/Verderben…5842, 95 19, 103 (37), 111, 113, 202, 269 f., 274 f., 278, 310, 444 Vergänglichkeit/Endlichkeit des Menschen (siehe auch → Ewigkeitshoffnung) – Altes Testament…262, 341–343 – griechisch-römisch…7, 33, 51, 90, 97, 228 f., 231 16, 253, 339 f., 354 – Antikes Judentum…81, 238 f., 25431, 265 – Neues Testament…232 f., 236, 240 f., 245, 247, 255 f., 280, 348 f., 350, 359 Vergeltung, göttliche…58, 97, 101, 103, 111 – Bestrafung …– im Diesseits → Bestrafung, göttliche …– im Jenseits → Jenseitsstrafen, → Totengericht – Lohn, jenseitiger…58, 97, 265 f., 272 f.

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Vergil…5843, 104 37, 1086, 223, 337 6, 345 28, 4239 Verklärung Jesu…205 f., 344 f., 390 (17.20), 397(48), 39960, 477 Verstockung…202, 204, 280, 299, 310 f., 404 14, 470 Versuchungsgeschichte…145, 147, 291 f., 329, 352, 371 24, 373 f., 448 Verwerfung…299, 358, 364, 368, 478; siehe auch → Prädestination, → Verdammnis – Verwerfungs-/Bannformel…409 f. Völkerengel…439 23, 455 Vorbestimmung im Neuen Testament…196, 201–207, 310, 353 – προγι(γ)νώσκειν/πρόγνωσις…10, 201 f., 204 – προωρίζειν…201 f., 204 – ~ zum Unheil…204 f. Vorsehung (siehe auch → πρόνοια) – griechisch-römisch…22, 54–56, 70, 92–98, 102, 104–106, 183, 195, 196– 198, 341 …– Stoa…22, 92 (6), 183, 197 …– Bestreitung der ~…65, 91–94 (4.6.13), 96, 403 – Antikes Judentum…168 26, 198 f. – Neues Testament…195, 199–206; siehe → Vorbestimmung Wahrheit (ἀλήθεια) – Christus als ~…22, 376 – existentielle Relevanz als ~skriterium 22, 84, 129 – Mythen als Abspiegelung göttlicher ~ 24, 50 3, 51 f., 82–84, 86 – ~ und Irrtum/Täuschung/Verblendung 116, 117 f., 315, 419 – ~serkenntnis in Christus…22, 4762, 109 f. – ~ssuche als Weg zum Göttlichen…84, 123 Wahrheit Gottes…4, 213, 261, 266 – Zueignung an die Glaubenden…383 Wahrscheinlichkeitsurteil…105 – τὸ εἰκός…56, 58, 95–97, 98 26, 101 – τὸ πιθανόν…56, 95 f. Wechsel, seliger (beatum commercium) 19–2080, 303, 349 f., 380, 383 Weherufe…146, 274 35, 375

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Sachregister

Weisheit – Altes Testament…36 …– personifizierte ~…1624 – griechisch-römisch…31–35, 61 …– ἔρως σοφίας…33 – der wahre Weise vs. die (unverständige) Masse…171, 172 f. – Antikes Judentum…35–46, 140 f., 171 …– ἔρως σοφίας…43 …– jüdische Gemeinschaft als οἱ κατὰ Μωυσῆν σοφοί…45, 162 …– jüdische ~ als »göttliche Philosophie«…41 f. …– Mose als exemplarischer Philosoph und Weiser…37, 43–45, 155, 160 f. – nährende Kost der ~…23942, 322 …– ~ als Schöpfungsmittlerin…43 …– ~ und Tora…36–43, 162 ff., 173 – Neues Testament…46–48, 222– 223 (21); siehe auch → Torheit Weisheit Gottes – Antikes Judentum…239 42 – Neues Testament…47, 210, 379 f. …– Zueignung an die Glaubenden… 380, 382 Weisheit Salomos…42 f., 44, 81, 159, 211, 237, 239, 254 30.31 Welt – Begriffe …– biblisch/frühjüdisch → Schöpfung …– griechisch-römisch → All, → Kosmos, → Natur, → Seiendes – als Bereich der Vergänglichkeit …– Altes Testament…261 f., 341 f. …– griechisch-römisch…7, 75, 82, 89, 228–231, 254 27, 340 …– Neues Testament…215, 241, 245, 247, 256, 350 – Sehnsucht nach/Hoffnung auf Überwindung …– griechisch-römisch…75, 90, 231 (16) …– Neues Testament…214 f., 237 ff., 242, 251, 253, 255 f., 342 f., 376, 380 Weltflucht → Öffentlichkeit: Rückzug Weltlenkung/Weltregiment Gottes (siehe auch → Fürsorge Gottes, → Vorsehung, → Welterhaltung) – Altes Testament…194 f.; siehe auch → Heilsgeschichte …– Ratschluss Gottes…195

– griechisch-römisch…54 f., 57, 92 f., 157, 184, 196; siehe auch → πρόνοια, → Vorsehung …– Ablehnung bei Epikur…63 – Antikes Judentum…142 f., 158, 189, 198 f. …– Geschichtsplan Gottes…34323 …– »Ratschluss des Höchsten«…143 …– via Altissimi…142 35, 143 – Neues Testament…200 f., 205 f., 207, 370 …– δεῖ…205, 35344 …– Vorsatz/Vor(her)bestimmung/Ratschluss Gottes…10, 200 f., 203–205, 256, 280, 310, 380; siehe auch → Vorbestimmung Weltseele…153, 187, 30614 – zweite ~…85 (16) Welterhaltung (griechisch-römisch; für Bibel und Antikes Judentum siehe → Schöpfung und Erhaltung) – Plato…197; siehe auch → Vorsehung – Stoa…153, 184 f., 197; siehe auch → Vorsehung – Zeus als Bewahrer des Alls…153, 157, 167, 184 f. Welturheberschaft (griechisch-römisch; für Bibel und Antikes Judentum siehe → Schöpfersein Gottes) – im Mythos…210 – Gott als Ursache der Welt und des Seins…157, 167 …– Platon…183 f., 185, 186 26, 197, 210 f., 229 6; siehe auch → Demiurg …– Mittelplatonismus…49, 59 48, 75 (68), 181, 185–188, 197 …– Stoa…153, 181, 183, 197 – Zufall als Ursache der Welt (Epikur)…73 Wesen Gottes → Liebe Gottes, ferner die Verweise unter → Eigenschaften Gottes Wiedergeburt (siehe auch → Neuschöpfung, → Neuzeugung) – pagane Religiosität/Mysterien…104, 231 16, 247 f. – hellenistisches Judentum…247 f. – Neues Testament…9 28, 11, 192, 243, 245, 249–255, 257 f., 323, 343, 351, 453 f.

Sachregister Wiederkunft Christi…346 f., 446 Wiesel…40 (41.42), 86 19, 155, 164 f. Wille Gottes – Begrifflichkeit…203; siehe auch → Vorbestimmung – Beziehungs-/Bindungswille…11, 13, 289–291, 294, 296–298, 308, 468, 474 74, 475; siehe auch → Bund – Heilswille Gottes…89, 201, 203–207, 311, 354 – Kongruenz von Wille und Wesen Gottes…294 – Liebeswille Gottes…294 f., 474 – Passion Jesu als Ausdruck von Gottes Heilswillen…367 f., 410 – Schöpfung als Ausdruck von Gottes Lebenswillen…80, 81, 89, 211 f. – Souveränität des ~ns Gottes…201 f., 211, 300 – Tora als Offenbarung des ~ns Gottes…16, 42, 290, 293 34, 294, 473 Xenokrates…436 15 Xenophanes…36 31, 182 Xenophon…120, 196, 436(13) Zahlen, vergöttlichte…86 f., 228 Zeit…339–341; siehe auch → Vergänglichkeit Zeitlosigkeit Gottes (ἄχρονος)…228– 230, 238 36, 25329, 339 f.; siehe auch → Ewigkeit Gottes, → Unsterblichkeit Gottes, → Unvergänglichkeit Gottes Zeloten…283

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Zeus…16, 20 81, 57 36, 91 4, 103, 104 39, 148, 153, 157 f., 159, 176, 180 f., 197, 221, 223 25, 286, 344 f., 403 10, 419, 435 – »Höchster«…20 (81), 138 f. – Identifikation mit dem Gott des Alten Testaments…40, 157 f., 159, 167, 176 – Kosmosgott und Vater des Alls…16, 182–184 – Namensetymologie…153, 157, 167 (24), 184 f. – Philosoph als Bote des ~…31, 33 – Vater als Gebetsanrede…181, 183, 185 – ~ als König…153, 183 f., 185 24 – ~ als »Vater der Götter und Menschen«…180 12, 182 f., 186, 189, 344–345 (27), 473 Zorn Gottes (siehe auch → Verborgenheit Gottes) – Altes Testament…113 18, 261, 283, 367, 416 f., 440, 463 – Neues Testament…212 f., 300, 310, 409, 455, 466 (35), 469, 477 …– Gethsemani…367 f., 409, 460 f. …– kommendes Zorngericht…268–270, 277, 280 …– Liebe und ~…416 f., 458, 475 Zoroastrismus…52 16, 230 Zufall…63, 73, 197 – ~ als Ursache des Kosmos…73 Zweifel, skeptischer…5736, 94 f., 105 (43), 196 Zwei-Wege-Schema…117