Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand: Aspekte und Perspektiven einer homiletischen Theorie und theologischen Kommunikation nach seinen Predigtmeitationen im Kontext seiner Theologie 9783666571183, 3525571186, 9783525571187

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Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand: Aspekte und Perspektiven einer homiletischen Theorie und theologischen Kommunikation nach seinen Predigtmeitationen im Kontext seiner Theologie
 9783666571183, 3525571186, 9783525571187

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Joachim Gandras Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand

Arbeiten zur Pastoraltheologie Herausgegeben von Martin Fischer und Robert Frick

B A N D 14

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

JOACHIM GANDRAS

Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand Aspekte und Perspektiven einer homiletischen Theorie und theologischen Kommunikation nach seinen Predigtmeditationen im Kontext seiner Theologie

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

ISBN 3-525-57118-6 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1975. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Budi oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. - Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen. Bindearbeit: Hubert Sc Co., Göttingen

Geleitwort von Ferdinand Hahn Hans Joachim Iwand gehört zu den markantesten Erscheinungen unter den Theologen der Zeit von 1930 bis 1960. Es überrascht, daß eine intensive Beschäftigung mit seinem Werk bisher kaum in G a n g gekommen ist. Viel zu oft wird er einfach im Umkreis von K a r l Barth angesiedelt, und dabei wird vergessen, daß er ein ganz eigenständiger Theologe war, der bei allen Berührungen mit Barth diesem gegenüber nie ohne Kritik blieb und seinerseits eine Konzeption vertrat, die einen entscheidenden Beitrag zur Theologie der Gegenwart darstellt. Es ist allerdings nicht einfach, ein umfassendes Bild seiner theologischen Arbeit zu gewinnen. Abgesehen davon, daß er in der spontanen Art seines Denkens gar kein abgerundetes und ausgewogenes theologisches Gefüge anstrebte, sondern von einem bestimmten Zentrum aus in verschiedene Richtungen vorzustoßen versuchte, hat er nur wenige größere Schriften veröffentlicht, und sein literarisch zugängliches Werk besitzt einen ausgesprochen fragmentarischen Charakter. Neben dem 1930 erschienen Buch „Rechtfertigungslehre und Christusglaube", den 1939 veröffentlichten Erläuterungen zu Luthers „ D e servo arbitrio" und der 1941 erstmals herausgekommenen Schrift „Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre" sind von Iwand nur noch Aufsätze und andere kleinere Beiträge in Druck gegeben worden. Denn seinen H a u p t a u f t r a g sah er mehr und mehr in der ständigen Mitverantwortung für die Kirche und der unmittelbaren Stellungnahme zu den dabei sich ergebenden Problemen. So trat gerade in der Nachkriegszeit, als er zuerst Professor in Göttingen und dann in Bonn war, das literarische Wirken zurück. In seinem Nachlaß fanden sich zahlreiche Manuskripte von Vorlesungen, Vorträgen und Predigten, die inzwischen in mehreren Bänden veröffentlicht worden sind, die aber für alle, die ihn kannten, doch nur teilweise die lebendige Wirkung und Ausstrahlungskraft seiner Persönlichkeit widerspiegeln. Theologie war für Iwand eine in der Heiligen Schrift begründete, aber zugleich ganz konkret auf die jeweilige Situation bezogene A u f gabe, und seine entscheidend systematisch-theologische Funktion sah er darin, dies reflektierend zu vermitteln. Sein Lehrmeister ist in dieser Hinsicht Martin Luther gewesen. Weil Exegese, dogmatische Besinnung und aktuelle Verkündigung für Iwand untrennbar zusammengehören, wollte er zur rechten Wahrnehmung einer so verstandenen theologischen Aufgabe allen helfen, die im kirchlichen Dienst stehen. Darum hat er von 1945 an bis zu seinem Tode die von ihm begründeten „Göttinger 5

Predigtmeditationen" herausgegeben und eine große Zahl dieser Meditationen selbst verfaßt. Der posthum erschienene Sammelband seiner eigenen Beiträge, inzwischen durch einen kleineren Band mit Meditationen aus der Reihe „Herr, tue meine Lippen a u f " ergänzt, ist unbeabsichtigt zu seinem eigentlichen Hauptwerk geworden. Von hier aus gesehen ist es folgerichtig, wenn eine Iwand-Studie gerade bei seinen Meditationen einsetzt. In ihnen wird nicht nur die Grundkonzeption seiner Theologie sichtbar, es wird vor allem deutlich, wie kirchlicher Dienst verstanden und das heute so viel verhandelte TheoriePraxis-Problem in einer genuin theologischen Weise bewältigt werden kann. Für Iwand gibt es keine Probleme des kirchlichen Lebens und der Öffentlichkeitsverantwortung der Kirche, die anders als von der Grundbotschaft der Bibel her angegangen werden könnten. Von dem die Rechtfertigung verkündenden Evangelium wird die jeweilige Gegenwart kritisch aufgedeckt und wahres Menschsein ermöglicht. Es ist darum kein Zufall, vielmehr ein Stück innerer Notwendigkeit und dem eigenen Bemühen Iwands adäquat, wenn das vorliegende Buch mitten in der vielfältigen Arbeit eines Gemeindepfarramts entstanden ist. Im regelmäßigen Predigtdienst, in der täglichen seelsorgerlichen Aufgabe und in der Konfrontation mit einer weitgehend indifferenten Umwelt ist es langsam gewachsen, gereift und auch erprobt worden. Eine solche Darstellung der Bemühungen Iwands um die rechte Predigt wäre nicht zustande gekommen, wenn sie gleichsam auf einer anderen Ebene hätte geschrieben werden müssen, wenn ihre Vorbereitung immer wieder eine innere Distanz zur Gemeindearbeit erfordert hätte. Aber die Vorarbeit für diese Studie war zugleich die Zurüstung für den Dienst in der Gemeinde. Als Gemeindeglied hat man geradezu gespürt, wie die kontinuierliche Beschäftigung mit Iwands Theologie fruchtbar und richtungweisend geworden ist. In einer Zeit, in der vielfach die Predigt hinter zahllosen anderen kirchlichen Aktivitäten zurücktritt, dürfte es hilfreich sein, sich mit einem theologischen Entwurf zu beschäftigen, der die Verkündigung als das alleinige Zentrum christlicher Existenz in der Welt ernst nimmt, sich aber gerade von der Verkündigung her, die ja nie auf Predigt beschränkt bleibt, zu dem unermüdlichen Einsatz für die inneren und äußeren N ö t e der Menschen gefordert weiß. D a s kann man bei Iwand lernen, und um dies wieder stärker ins Bewußtsein zu rufen, wird die vorliegende Arbeit einen wichtigen Beitrag leisten.

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Vorwort Was auf den folgenden Blättern steht, ist entstanden, weil Predigt Freude und Arbeit macht. Regelmäßiger Predigtdienst bedeutet kontinuierliche Predigtarbeit. Dabei geschieht nicht zuletzt Pfarrerfortbildung am Schreibtisch der Studierstube, wo sie bei allen übrigen Fortbildungsmaßnahmen ihren wesentlichen Ort behält. Denn hier vollzieht sie sich wie nirgendwo sonst in ständigem Zusammenklang von Theorie und Praxis. Die theologische Existenz des Pfarrers — nicht nur als Prediger — hat Hans Joachim Iwand unvergeßlich gelehrt und überzeugend vorgelebt. Darum gilt dieses Buch seinem dankbaren Gedenken. Die Arbeit wurde — abgesehen von geringfügigen Überarbeitungen — im Wintersemester 1973/74 von der theologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Herrn Prof. Dr. Walther Eisinger danke ich herzlich für sein spontanes Interesse an der Thematik und für alle intensive Förderung, die er dem Werden der Studie hat zugute kommen lassen. Sein engagiertes Verständnis von wissenschaftlicher Theologie als Orientierungshilfe für kirchliches Handeln ist ein erfreulicher Konsensus, der die Arbeit sehr stimuliert hat. Das Entstehen dieser Überlegungen und ihre schriftliche Ausformung gehören wesentlich hinein in das Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit den Gliedern und Mitarbeitern der Luthergemeinde Mainz. Das Jahrzehnt im Pfarramt dieser Gemeinde mit ihrer Atmosphäre und ihren Arbeitsmöglichkeiten bleibt mir in dankbarer Erinnerung und verbindet mich mit vielen Freunden. Stellvertretend für sie alle nenne ich den Küster Georg Heil, die Gemeindehelferin Doris Kasten und Prof. Dr. med. Paul Frick. Zum Bemerkenswerten bei der Entstehung dieser Arbeit zählt audi die Tatsache, daß es eine besondere Aufgabenstellung in gerade dieser Gemeinde ausmacht, die Möglichkeit des Kontaktes zu vielen Menschen mit maßgeblicher Verantwortung in ganz verschiedenen Sparten des öffentlichen Lebens wahrzunehmen. Als besonders reizvolles Tätigkeitsfeld in dieser Hinsicht hat sich im Laufe der Jahre der Austausch und die Zusammenarbeit mit einer Reihe von Mitgliedern der ev.-theol. Fakultät der Universität Mainz entwickelt. Die Kommunikation zwischen der Theologie an der Universität und der in der Gemeinde ist gerade in Zeiten geistiger und geistlicher Krisen und Umbrüche m. E. eine für beide Bereiche notwendige und fruchtbare Aufgabe. Der Dank gegenüber theologisch sehr unterschiedlich geprägten Angehörigen der Mainzer Fakultät hat darum auch an dieser Stelle seinen Platz. Dieser Dank gilt ins7

besondere Herrn Prof. Dr. Ferdinand Hahn für alle Zusammenarbeit und Freundschaft. Er hat mich während der Mainzer Jahre an seiner Arbeit teilnehmen lassen und den Dienst in der Gemeinde auf vielfache Weise begleitet und mitverantwortet. Sein stetes und so freundliches Interesse am Werden dieser Studie kommt nicht nur in seinem Geleitwort zum Ausdruck, sondern ebenso in vielen Anregungen, die ich ihm verdanke, sowie in seiner Veranlassung der Drucklegung. Auch beim Entstehen dieses Buches habe ich dem unmittelbar nahen Kreis von Menschen am meisten zu danken, der Leben und Arbeit zur täglichen Freude gestaltet: meiner Frau und unseren Kindern. Meine Frau hat auch hier als unermüdlicher Gesprächspartner die Projektion der Gedanken und die Durchformung des Materials begleitet und mitbedacht. Sie hat das Manuskript gefertigt und die Korrekturen mitgelesen. Ohne diese wesentliche Mithilfe und ohne ihre Sorge für eine Atmosphäre des Kräftesammelns und Wohlbefindens hätte diese Arbeit im Zusammenhang mit dem Dienst in einem Großstadtpfarramt nicht durchgeführt werden können. Daß der Versuch dieser Rechenschaftsgabe über eigene Predigttätigkeit öffentlich zugänglich wird, habe ich der freundlichen Bereitschaft der Herausgeber der „Arbeiten zur Pastoraltheologie" zu danken: Herrn Prof. D. Martin Fisdier DD und Herrn Pastor D. Robert Frick. Es ist mir eine Freude, daß die Drucklegung in dem Verlag erfolgt, in dem auch Iwands Predigtmeditationen publiziert sind. Herrn Dr. Arndt Ruprecht und Herrn Pfabe danke ich sehr für die umsichtige und sorgfältige Betreuung der Herstellung des Buches. Daß es zu einem so günstigen Preis erscheinen kann, ist großzügigen Zuschüssen seitens der HansIwand-Stiftung, der Ev. Landeskirche in Baden sowie der Ev. Kirche in Hessen und Nassau zu danken. Lahr/Schwarzwald Im Advent 1974

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Joachim Gandras

Inhalt Geleitwort Vorwort

5 7

I. K a p i t e l : Gesetz u n d E v a n g e l i u m als L e i t k a t e g o r i e f ü r T h e o r i e und Praxis

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1. Die Frage nach der Verkündigung als Ausgangspunkt . . . . 2. Die gepredigte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium unter der Klammer der Offenbarungseinheit 3. Dogma als Kompetenz der Predigt 4. Die Integration des Denkens in den Glauben als Realitätsgehalt der Predigt 5. Engagement f ü r die handelnde Kirche: Neuordnung als Umkehr I I . K a p i t e l : D i a l o g als S t r u k t u r theologischen D e n k s t i l s

12 17 21 30 38

1. Dialog und certitudo 2. Dialog als Zeitgenossenschaft: Zum biographischen und situationsgeschichtlichen Hintergrund der Predigtmeditationen 3. Dialog zwischen exegetisch und systematisch orientierter Predigtarbeit 4. Dialog zwischen „Text" und „Situation" I I I . K a p i t e l : A k t u a l i t ä t der P r e d i g t als K o n t i n u i t ä t d e r V e r k ü n d i g u n g in d e r Geschichte 1. Homiletische Funktion und Motivation der Zitate 2. Tradition und Konfession am Beispiel der Theologie Luthers . 3. Predigt und reformatorische Katholizität der Kirche

11

.

38 43 45 49

55 55 60 67

I V . K a p i t e l : Z e u g e n s c h a f t als Sachlichkeit der V e r k ü n d i g u n g . . .

71

1. Zeugendienst als Freiheit und Verantwortung der Predigt . . . 2. Zeugendienst als analogieloser Beruf 3. Zeugendienst in seiner Bezogenheit auf das Schriftwort . . . .

71 74 79

V . K a p i t e l : S c h r i f t w o r t als V e r h e i ß u n g s w o r t in seiner h o m i l e t i schen R e l e v a n z 1. Verheißung und Schrift 2. Verheißung und Wirklichkeit 3. Verheißung und Predigt

90 90 97 114 9

V I . Kapitel: A n l ä u f e der Predigtmeditationen 1. Das Verhältnis von Stoff und Form 2. Anläufe als exegetisch-historische und dogmatisch-homiletische Besinnung 3. Anläufe nach Schlüsselwörtern 4. Anläufe um systematische Einheitspunkte V I I . Kapitel: D e r Stellenwert der Inkarnation als homiletischer Richtpunkt 1. Theologiegeschichtliche Zusammenhänge 2. Qualifikation der Offenbarung 3. Inkarnation und Weltbezug der Predigt 3.1 Dialogfähigkeit der Predigt 3.2 Ideologiekritische Potenz der Predigt 3.3 Empirische Affinität der Predigt

125 125 135 148 153

161 161 163 176 179 184 194

Schlußbemerkungen

2Ö4

Literaturverzeichnis

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I. Kapitel Gesetz und Evangelium als Leitkategorie für Theorie und Praxis 1. Die Frage nach der Verkündigung

als

Ausgangspunkt

„Es drängt förmlich alles wieder zu der einen Frage hin . . . : Wie steht es um unsere Verkündigung? Diese Frage darf nicht im Einerlei des Dienstes verstummen und untergehen, im Gegenteil, sie muß aufs neue ins Bewußtsein von Prediger und Gemeinde treten" (531) 1 . Diese Sätze Hans Joachim Iwands aus dem Jahre 1956 haben inzwischen — fast zwanzig Jahre danach — nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt. „Der Verfall der Predigt in unserer Kirche" (392) trieb ihn immer wieder zu der Frage nach der Verkündigung, die er als „die zentrale Aufgabe und darum auch die zentrale Frage der kirchlichen Existenz" (151) erkannte und unermüdlich in Angriff nahm. Nach seinem Verständnis meint kirchliche Existenz von vornherein und in jedem Falle zugleich theologische Existenz. Kirche und Theologie, Wissenschaft und Praxis sind bei Iwands gesamter theologischer Arbeit und in seinem ganzen vielfältigen Lebenswerk durchgängig unter dem Gesichtspunkt der Zueinandergehörigkeit, niemals unter dem der Diastase gewertet. Und die Leidenschaft und Intensität seines Einsatzes in beiden Bereichen wird wesentlich davon genährt, den Nachweis des unlöslichen Sachzusammenhangs zwischen Wissenschaft und Praxis ständig zu erbringen und zu vollziehen, den Einheitspunkt beider als Zielpunkt aller theologischen Arbeit und allen kirchlichen Handelns ständig in den Blick zu nehmen. Denn „in Wahrheit wird jede echte ,Praxis* nach der sachlichen, und das heißt immer geistlichen, Ausrichtung fragen und jede wissenschaftliche Bemühung leer bleiben, wenn sie nicht ein praktisches, das heißt die Wirklichkeit bestimmendes und erleuchtendes Ziel anstrebt" (392) 2 . Die Bezogenheit von Kirche und Theologie aufeinander ist für Iwand keine theoretisch deduzierte Erkenntnis, die im Sinne einer Theoriebil1 Innerhalb des T e x t e s in K l a m m e r n gesetzte Zahlen ohne weitere A n g a b e n bezeichnen Nachweise in: H a n s Joachim I w a n d , Predigt-Meditationen, Göttingen 1963. * V g l . a u d i I w a n d s V o r t r a g und Vorlesung z u m T h e m a : Theologie als B e r u f . Nachgelassene Werke, 1. Bd., Mündien 1962, S. 219 ff.

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dung als Postulat erhoben wird. Allerdings redet Iwand damit auch keineswegs einem von Theodor W. Adorno doch zu Recht kritisierten „heute geübten Primat von Praxis" das Wort, der „an dem Vorrang von Taktik über alles andere" deutlich wird oder an „Pseudoaktivität", die sich „einzig durch unablässige Reklame am Leben zu erhalten" vermag. „Obskurantismus jüngster Theoriefeindschaft" — um auch diesen Ausdruck Adornos aufzunehmen — erfährt hier keine Legitimation3. Das Verhältnis von Theorie und Praxis im Bereich von Theologie und Kirche wie Iwand es versteht läßt sich — wiederum mit einem Begriff, den Adorno der Diskussion zur Verfügung stellt — auch als „der qualitative Umschlag" bezeichnen4. Theologisch formuliert: Die polare Zueinandergehörigkeit von Wissenschaft und Praxis ist verstanden als ein Kasus der für Iwand wesentlichen dialektischen Einheit von Gesetz und Evangelium. 2. Die gepredigte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium unter der Klammer der Offenbarungseinheit Das Thema „Gesetz und Evangelium" hat Iwand unablässig bewegt, und er hat ihm einen wesentlichen Teil seiner Arbeit gewidmet, wie u. a. der vierte Band seiner Nachgelassenen Werke eindrucksvoll ausweist. In dieser reformatorischen Grundformel hat er den hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis dessen, was mit Wort Gottes gemeint ist, präzise erkannt und in immer neuen Anläufen zu formulieren versucht. „Fragen wir Luther, was er unter dem Wort Gottes versteht, so antwortet er, das Wort Gottes sei Gesetz und Evangelium."5 Die Entdeckung dieses Themas in Luthers Römerbriefvorlesung 1515/16 kommt nach Iwands Urteil einer neuen Geburt gleich, dem Aufgehen eines Lichtes, „das durch das Ganze leuchtet"6. Der Zusammenhang dieser Formel von Gesetz und Evangelium mit der Auslegung der Schrift ist für Iwand im Gefolge Luthers konstitutiv für ihr Verständnis und ihren Gebrauch. Sie ist kein starres Auslegungsprinzip sondern verifiziert sich im Vollzug der Interpretation der Schrift. „Das Wissen um Gesetz und Evangelium gehört zur rechten Predigt. 3 Theodor W. Adorno, Marginalien zu Theorie und Praxis. Die Zeit N r . 33, 1969, S. 10. 4 Th. W . Adorno, ebd. Die Frage der Aufgabe einer Theoriebildung in der Theologie hat neuerdings u. a. Gerhard Sauter aufgegriffen und zur Diskussion gestellt. Vgl. seine Schrift: Vor einem neuen Methodenstreit in der Theologie? Theologische Existenz heute, N r . 164, München 1970. 5 H . J . Iwand, Glaubensgereditigkeit nach Luthers Lehre, 2. Aufl. München 1971, S. 27. Vgl. auch seine Ausführungen in: Nachgelassene Werke, 4. Bd., Mündien 1964, bes. S. 234 f. u. 243 f. • Nachgelassene Werke, 4. Bd., S. 258.

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Evangelium und Gesetz recht unterscheiden, heißt ein Prediger werden. Man kann das Verhältnis nur predigen."7 So sehr Iwand die Intention der lutherschen Unterscheidung der beiden Worte Gottes als Gesetz und Evangelium aufnimmt und durchhält, so sehr liegt ihm andererseits daran, daß das nicht im Denkstil bloßer Repristination geschieht. Es geht eindeutig darum, daß das Evangelium als Evangelium erkannt und verkündigt wird gegenüber der nach wie vor ja sehr akuten Gefahr des Nomismus auf der einen und des Antinomismus bzw. Libertinismus auf der anderen Seite. Denn „wer das Evangelium anders denn als frohe Botschaft interpretiert, der begreift das Evangelium nicht" 8 . Man kann dieses Bemühen Iwands in der Schule Luthers auch so formulieren: Es geht ihm darum, das Wort Gottes in der Verkündigung als assertorische Zusage evident zu machen. Der Glaube soll wissen, was er glaubt, sagt und tut. Bei der Frage von Gesetz und Evangelium geht es letztlich um die Frage der Glaubensgewißheit, deren Auslegung sich für Iwand an den biblisch-reformatorischen Grundkategorien des „pro me" und „extra nos" ständig neu auszurichten hat 9 . Insofern berührt dieses Leitthema Iwandscher Theologie, das um Gesetz und Evangelium kreist, jenes andere, das ihn ebenfalls ständig in Atem gehalten hat: Glauben und Wissen10. In einem Vortrag zu diesem Thema aus dem Jahre 1955 äußert er sich in kritischer Auseinandersetzung mit Ernst Troeltsch zu der Frage Gesetz und Evangelium. Diese Äußerung kann als differenzierende Interpretation der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Hinblick auf die geistige Situation und Fragestellung, die durdi den Troeltsch'schen Entwurf der Vorordnung der Ethik als Wissenschaft vor die Dogmatik bis in die theologische Diskussion der Gegenwart wirkt, verstanden werden: Danach sieht Iwand beide, Gesetz und Evangelium, „unter einer Klammer, unter der Klammer der Offenbarung der Herr7 A.a.O., S. 13. Vgl. auch den Vortrag: Die Predigt des Gesetzes. Nachgelassene Werke, 2. Bd., München 1966, S. 74 ff. D a z u : Gerhard Heintze, Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium. Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, Reihe 10, München 1958. 8 Martin Luther, Römerbrief, zit. bei Iwand, Nachgelassene Werke, 4. Bd., S. 265. 9 Vgl. die systematisch-theologische Grundlegung dieses Tatbestandes durch Iwands Schrift: Rechtfertigungslehre und Christusglaube. Theologische Bücherei, Bd. 14, 2. Aufl., München 1961. Darin legt er die Untrennbarkeit des sola fide und der fides Jesu Christi dar. Ferner ist wichtig sein grundlegender Aufsatz: Wider den Mißbrauch des „pro me" als methodisches Prinzip in der Theologie. Ev. Theol., 14. Jg., München 1954, S. 120 ff. Gleichfalls ist hier seine als klassisch geltende Einleitung und Kommentierung von Luthers reformatorischer Grundschrift De servo arbitrio stets zu bedenken, der er die Kategorie der assertio als Schlüsselbegrifi seines Verständnisses von W o r t Gottes entnimmt. Münchner Ausgabe, Ergänzungsreihe, 1. Bd., Theologisdie Einführung. 1 0 Vgl. dazu besonders Nachgelassene Werke, 1. Bd., S. 17—216.

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lichkeit Gottes in Jesus Christus" stehen11. Auf gleicher Linie liegen die Sätze aus einer undatierbaren Vorlesung: „In Jesus Christus, in dieser hier durch Gott geschehenen Versöhnungstat, sind ja doch wohl beide, Gesetz und Evangelium, eins." 12 Damit wird die grundsätzliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium keineswegs aufgehoben. Es kommt aber der Punkt in Sicht, an dem diese Unterscheidung im Hinblick auf die seit der Reformation veränderte Diskussion und Situation Aktualität erlangt im Sinne einer Zueinanderordnung, die im Akt der Verkündigung „unter einer Klammer" Gestalt gewinnt. Mit dieser Differenzierung greift Iwand in die äußerst vielschichtige und problemreiche Diskussion um Gesetz und Evangelium ein, wie sie vor allem durch das Votum Karl Barths neu entfacht worden ist 13 . Wir stehen hier an einer Stelle, an der die theologische Kommunikation zwischen der Arbeit Iwands und der Karl Barths in ihrer weitreichenden Gemeinsamkeit und ebenso in ihrer unverkennbaren Verschiedenartigkeit besonders markant in Erscheinung tritt. Denn für beide ist die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium der Angelpunkt schlechthin. Das von Karl Barth zu dieser Frage vorgetragene Votum wird von Iwand ««/genommen aber nicht «Vernommen. Während Barth — pointiert und darum notwendig verallgemeinernd ausgedrückt — die sachliche Priorität des Evangeliums gegenüber dem Gesetz akzentuiert, apostrophiert Iwand vorrangig die Unverfälschtheit des Evangeliums. Bei Barth wird die sachliche Priorität des Evangeliums im Blick auf die Durchführung einer Dogmatik reflektiert, freilich einer Dogmatik, die bewußt „kirchliche", auf die Verkündigung der Kirche abzielende Dogmatik ist. Iwands Reflexion bewegt sich demgegenüber, geleitet von der Theologie Luthers, stärker im Blick auf die Ermöglichung und Ausrichtung der Verkündigung, im Blick auf die konkrete Predigtarbeit und damit in direkterem Zusammenhang mit der hermeneutischen Frage in homiletischer Zuspitzung. Der Ort, an dem die Problemstellung aufgespürt und durchdacht wird, ist bei Iwand weniger die Dogmatik als die Hermeneutik. Diese Verschiedenheit der Grundstruktur theologischer Reflexion, die hier sichtbar wird, ohne daß es möglich und nötig ist, sie für unseren Zusammenhang und die Aufgabenstellung dieser Arbeit weiter zu entfalten, findet auch darin ihren Ausdruck, daß Iwand „die Fülle seines theologischen Denkens, einschließlich seiner Stellungnahmen zur gegenwärtigen theologischen Diskussion" in die Predigtmeditationen eingehen läßt: konkrete Modelle der Schriftauslegung, die ihm besonders am Herzen liegen14 und die den gewichtigsten Teil seiner 1 2 Nachgelassene Werke, 4. Bd., S. 442. N a Agelassene Werke, 1. Bd., S. 22 f. Karl Barth, Evangelium und Gesetz. Theologische Existenz heute, H . 50, München 1956. 14 Helmut Gollwitzer, Vorwort zu Iwand, Nachgelassene Werke, 1. Bd., S. 9. 11

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gesamten theologischen Autorschaft bedeuten, gestaltet sich diese Fülle bei Karl Barth zu dem theologischen Monument seiner Kirchlichen Dogmatik. Dieser Tatbestand ist nicht nur formal sondern sachlich motiviert. Er gehört zu jenen Punkten, an denen die kritische Eigenständigkeit Iwands gegenüber Karl Barth bei allem ganz wesentlichen Gemeinsamen — vor allem in der Auffassung vom Worte Gottes15 — unverkennbar hervortritt. Mit dieser Eigenständigkeit bewegt sich Iwand jenseits von einem wenig fruchtbaren „Hin und Her zwischen allzu unmittelbarer Anknüpfung und mehr noch allzu raschem Widerspruch Karl Barth gegenüber" 16 . Die Tiefe und Weite seines Dialogs mit Karl Barth kann — zumindest innerhalb der evangelischen Theologie — als selten sonst erreicht gelten. Besonders hervorragende Äußerungen dieses Dialogs, die zugleich das breite Spektrum differenzierter Meinungsbildung sichtbar machen, sind Iwands Rezension von Karl Barths Kirchlicher Dogmatik 1, l 1 7 und die wichtige Vorlesung „Der Prinzipienstreit innerhalb der protestantischen Theologie" 18 . In dieser Vorlesung formuliert Iwand: „Gesetz und Evangelium müssen begriffen werden aus dem einen Wort Gottes heraus, beide wurzeln in der einen Offenbarung, als gepredigtes, verkündetes Wort begegnet uns auch das Gesetz." 19 Es bleibt demnach bei der Unterscheidung beider. Polemisdi formuliert Iwand seine Position vor allem gegenüber einer Trennung und gegenüber jeder Eigengesetzlichkeit20. Darin treffen sich Iwands und Barths Intention wiederum, deren Aktualität für Verkündigung und Handeln der Kirche inzwischen ja keineswegs abgenommen hat. Iwand hat bis zuletzt die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium als die entscheidende Frage der Theologie, audi die der theologischen Diskussion der Gegenwart angesehen und die Umstellung, die Karl Barth vornahm, stets kritisch beurteilt und — darin ist er genuin lutherischer Theologe geblieben — für sich nicht mitvollzogen. „ . . . diese Sache mit Gesetz und Evangelium und die — vielleicht zu einfache — Umstellung, wie sie dann Barth vorgenommen hat, indem er das Evangelium einfach davor setzte.., ist mir doch eine der wesentlichsten Fragen innerhalb der augenblicklichen Theologie" (NW VI, 306 f.) 21 . In der Pneumatologie 1 5 Vgl. dazu Iwands Thesen, besonders unter I d u. £ in: Nachgelassene Werke, 2. Bd., S. 401. Ebenso die Predigtmeditation zu 2Petr 1,16—21 (252 ff., bes. 255). 1 6 Karl Gerhard Steck, Vorwort zu H . J. Iwand, U m den rechten Glauben. Gesammelte Aufsätze. Theologische Bücherei, Bd. 9, München 1959, S. 7. 1 7 Jenseits von Gesetz und Evangelium. U m den rechten Glauben, S. 87 ff. 1 8 U m den rechten Glauben, S. 222 ff., für unseren Zusammenhang vgl. vor allem S. 237 ff. 1 8 Ebd., S. 239. 2 0 Ebd., S. 238 u. auch S. 142. 2 1 Innerhalb des Textes werden Belege aus H . J . Iwand, Nachgelassene Werke, I.—VI. Bd., abgekürzt in Klammer angegeben.

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sieht Iwand — wie Luther — „eine echte Einheit von Gesetz und Evangelium, nur daß diese Einheit immer auf die kommende, auf die in der Auferstehung neu werdende Welt und Wirklichkeit hin ausgerichtet ist" (NW VI, 307) 22 . Damit haben wir die wesentlichen Linien der Iwandschen Stellungnahme zum Thema Gesetz und Evangelium ausgezogen, so weit unser Bedenken dieses theologischen Komplexes ein solches Skizzieren an dieser Stelle erfordert. Versucht man diese Stellungnahme in der theologischen Diskussion zu orten, stellt sich zumindest die Frage, ob es nicht doch auf eine Überzeidinung hinausläuft, wenn man den Dialog Iwands mit Karl Barth an diesem Punkt im Sinne „einer Annäherung der Theologie Iwands an die Theologie Barths" interpretiert und sie nicht als Differenzierung sondern als Modifikation seiner in Luthers Theologie begründeten Stellungnahme versteht23, die auch für die Aufarbeitung anderer Problemkreise biblisch-reformatorischer Theologie von grundlegender Bedeutung ist. Zu nennen sind hier etwa das Verhältnis von Glaube und Geschichte, von Theologie und Philosophie oder das von Evangelium und Bildung sowie Iwands Interpretation der Lutherschen Lehre von den beiden Reichen mit den Konkretionen und Konsequenzen für das politische Handeln der Kirche, die er daraus ableitet und die nach seiner Auffassung verantwortliches Eintreten für das Evangelium in der Welt bedeuten24. Diese differenzierende Interpretation der biblisch-reformatorischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium unter der einen Klammer der Offenbarung ist ein bezeichnendes Beispiel für Iwands Umgang mit dogmatischer Tradition überhaupt: In die Reflexion dogmatischer Sachzusammenhänge bringt er stets Fragestellungen der zeitgenössischen Theologie und der geistigen Moderne ein. Die in dem zweiten Band seiner Nachgelassenen Werke edierten Vorträge und Aufsätze dokumentieren diesen Tatbestand besonders anschaulich25. Zwei Elemente erweisen sich bei diesem Denkstil als besonders durchgängig: Die Kategorie des Visionären, der Intuition zeigt sich als integrierter Bestandteil theologischer Reflexion, und der Mut zum Fragment, zum Unabgeschlossenen, zum offenen Prozeß tritt als der Sache besonders angemessen in Erscheinung. Insofern ist die Gestalt der kleinen Einheit einer Meditation eine Iwands Arbeit besonders konforme und adäquate Weise theologischer Vgl. auch N W IV, 228 ff. und I, 289 ff. K.-M. Beckmann, Glaube und politische Existenz des Christen in der Theologie H . J. Iwands. Ev. Theol. 31, 1971, S. 210 ff., bes. S. 215. 2 4 Vgl. dazu die Vorträge u. Aufsätze in N W II u. in dem Sammelband: U m den rechten Glauben. 2 5 Vgl. vor allem die Aufsätze: Der moderne Mensch und das Dogma, Das Christentum und die geistige Krise der Gegenwart, Das Gewissen und das öffentliche Leben. A.a.O., S. 91 ff., 106 ff., 125 ff. 22

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Äußerung. U n d es hängt auch mit diesem f ü r ihn genuinen Denkstil zusammen, daß er trotz mancher Pläne außer seinen frühen Monographien kein abgeschlossenes, dem U m f a n g nach größeres Werk vorlegen konnte. Diese Tatsache, die dem sachlichen Gewicht seiner theologischen Autorschaft in gar keiner Weise Abbruch tut, scheint keineswegs allein mit dem Hinweis auf Ämterfülle in verschiedenen Bereichen ausreichend zu begründen zu sein. 3. Dogma als Kompetenz

der Predigt

Von den eben notierten Bemerkungen aus lassen sich auch erste Konturen der Funktion in den Blick nehmen, die die Dogmatik in Iwands theologischer Arbeit und d a r u m auch nicht zuletzt in der Gestaltung seiner Predigtmeditationen wahrnimmt. Dogma und Denkstrukturen korrespondieren, ja bedingen einander. Nicht nur die dogmatische Formel von Gesetz und Evangelium hat f ü r I w a n d grundsätzlich hermeneutische Funktion. Dogmatik überhaupt erfährt ihre Aufgabe, ja ihren Sinn allein im Zusammenhang mit der Schriftauslegung und ist grundsätzlich geleitet von hermeneutischem Interesse. Was wir f ü r das Verständnis von Gesetz und Evangelium bei I w a n d herausgearbeitet haben, gilt von der Dogmatik ganz allgemein: Sie ist der Exegese zugeordnete und der Exegese Rechenschaft schuldende Denkbemühung. I w a n d kann vom Dogma als von der „Richtschnur der Verkündigung" handeln und von der „Dienststellung des Dogmas gegenüber der Botschaft" sprechen ( N W II, 320). Das Dogma ist nicht Selbstzweck. Es ist in seiner jeweiligen Gestalt Interpretament, das der predigenden Kirche hilft, das Buch der Schrift „nicht nur seinem Buchstaben, sondern auch seinem Sinn nach" richtig zu verstehen. „Das Dogma selbst will gar nichts anderes tun, jedenfalls das von der Kirche immer wieder neu entfaltete Dogma, als daß es dieses Buch lesbar macht" ( N W II, 95 f.). Von hier aus ist es nur folgerichtig, d a ß Iwands „Dogmatik" die Gestalt seiner Predigtmeditationen annimmt. A n dieser Stelle korrespondiert seine Arbeit mit der Intention des E n t w u r f s von Gerhard Ebeling, systematisch-theologisches, also dogmatisches Denken in hermeneutischer Zuspitzung zu vollziehen 26 . Wenn Dogma nach I w a n d die hermeneutische Funktion hat, die Schrift lesbar zu machen, d a n n bedeutet das nicht zuletzt dies: es „verlegt uns alle Wege des Ausweichens von der 26

Vgl. dazu G. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, Neudruck Darmstadt 1962. Ebenso: ders., Das Wesen des christlichen Glaubens, Tübingen 1961; sowie: Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 1964. Ferner: K. Lehmann (röm.-kath.), Die dogmatische Denkform als hermeneutisches Problem. Ev. Theol. 30, 1970, S. 469 ff.

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Gandras, Predigt

Mitte, auf die hin wir gesteuert werden sollen, wenn wir dieses Buch lesen" (NW II, 96). Damit macht das Dogma das Predigen und Lehren der Kirche „kompetent" (NW II, 97). Und andererseits: „Der Verrat am Dogma rächt sich in der Langeweile der Verkündigung. Die Langeweile der Verkündigung ist nicht nur eine Folge des technischen Unvermögens der Prediger, sondern sie ist eine Folge dessen, daß hier nichts mehr geschieht, daß sich nichts mehr ereignet, daß nur noch Gewohntes, Bekanntes, in uns selbst Angelegtes von der Stelle uns entgegenklingt, von der das ganz Andere, das, was in keines Menschen Herz gekommen ist, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, kundgemacht werden soll." (NW II, 94). So verstanden ist Dogma der notwendige theologische Rückkoppelungsprozeß, durch den sich Verkündigung, Glaube und Handeln der Kirche nach ihrer Autorität und Legitimität fragen lassen, durch den sie sich fragen lassen, ob sie auf dem rechten Wege sind. Dogma erfüllt innerhalb der theologischen Reflexion die Funktion eines — kommunikationstheoretisch ausgedrückt — theologischen feed back. Aus dieser „Dienststellung des Dogmas gegenüber der Botschaft" leitet sich ein kritisches Verhältnis dogmatischen Denkens zu allen Auslegungsmethoden der Schrift ab. Iwand kann sogar davon sprechen, daß sich „sehr heftige Konflikte" ergeben können gegenüber „anderen Betrachtungsmethoden, etwa der historischen, der psychologischen, der ethischen und auch der spekulativen Betrachtungsmethoden der Schrift" (NW II, 96). Das Dogma führt die Bewegung der Schriftauslegung immer wieder an den entscheidenden Punkt zurück, an dem wir zwischen der vorgegebenen Botschaft und unseren — wie auch immer motivierten und qualifizierten — Auslegungsmethoden und Theologien unterscheiden. Daß es in der heutigen Diskussion wesentlich darum geht, diesen Punkt immer wieder neu anzupeilen und an ihm Position zu beziehen, dürfte als Aufgabe deutlich sein. Es ist dies der Punkt, an dem wir gewahr werden, daß alles, „was wir sind und was wir haben", nicht ein Bestand ist, „auf dem wir fußen können, sondern nur eine Wegspur der Wanderung, die wir machen müssen" (NW II, 105). Das Ziel liegt über uns hinaus. Daß wir das, was wir jetzt stückweise erkennen, was also fragmentarisch bleibt, dereinst in seiner Ganzheit begreifen werden, ist verheißene Zukunft 27 , geschieht als Ubergang aus dem „lumen gratiae" in das „lumen gloriae" 28 . Inso27 Vgl. dazu die Arbeiten: Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung. Beiträge zur ev. Theologie, hrsg. v. E. Wolf, Bd. 38, München 1964; Gerhard Sauter, Zukunft und Verheißung, Züridi 1965, mit der von ihnen zu diesem Problem aufgearbeiteten Literatur. 29 Vgl. Luther, De servo arbitrio. Clemen 3. Bd., S. 291. Diese klassische reformatorische Sdirift ist grundlegend wichtig für Iwands gesamte theologische Arbeit.

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fern befindet sich dogmatisches Denken in permanenter Bewegung. Es „nimmt teil an der Bewegung, in der wir uns befinden, aber es lenkt diese Bewegung hin auf den Punkt, . . . der selbst aller Bewegung entnommen ist" ( N W II, 105). Es ist für das Gestalten von Iwands Predigtmeditationen schlechterdings konstitutiv, daß es ihm bei jeder Textbearbeitung um genau diesen Punkt geht. Meditation des Textes vollzieht sich im Finden dieses Punktes. Er ist der Ort der Position, von der aus Predigt als kompetente Rede, als assertorische Zusage allein möglich ist. Flacher setzt Iwand bei seinen Meditationen nicht an, und mit weniger gibt er sich nicht zufrieden. Das macht die Lebendigkeit und Leidenschaft seines Ringens mit den Texten aus, das in seinen Predigtmeditationen seinen schriftlichen Niederschlag findet. Die in dieser Weise konzipierte Funktion dogmatischer Denkbemühung verdeutlicht folgenden Sachverhalt: „ D a s Letzte leistet das D o g m a nicht, es weist immer über sich hinaus. D a s D o g m a ist immer dem menschlichen Bemühen zugewiesen" ( N W II, 104). Dogmatik kann so nicht als statische Ordnung, als System verstanden und vollzogen werden. Dem D o g m a ist Dynamik immanent, die Prozesse einleitet und in Gang hält. Wir können beim D o g m a nicht verharren. „Es treibt uns sozusagen immer in die Enge, es wird in seinen letzten und höchsten Spitzen immer kritischer, immer enger. Aber es läßt das Letzte offen und muß es offen lassen. Die Bewegung, die das recht verstandene D o g m a in sich enthält und uns vermittelt, ist nicht aus ihm selbst zu entnehmen" ( N W II, 96). Diese verkündigungs- und kirchenkritische Funktion des Dogmas verdient bei der gegenwärtigen Situation besondere Beachtung. Denn hier liegt die Motivation wirklicher Sachkritik, die Verkündigung und Kirche brauchen: Kritik, die der Sache adäquat ist. Kritik an der Kirche und ihrer Verkündigung — bis hin zur Frage der „Effektivität" kirchlichen Handelns und der Zeitgemäßheit kirchlicher Strukturen oder auch der Möglichkeit und Grenze theologischen Pluralismus'; um nur einige von den wichtigsten Brennpunkten heutiger Diskussion zu nennen — wird sich hier immer wieder auszuweisen und in ihrer Sachbezogenheit zu legitimieren haben. Kritik, die es sich einfacher macht, verfängt nicht, weil sie im Grunde dem Gewicht der Sache nicht entspricht 29 . 2 9 V g l . d a z u I w a n d s V o r t r a g zum T h e m a : G l a u b e n und Wissen ( N W I, 1 7 f f . , f ü r unseren Z u s a m m e n h a n g bes. S. 20 f.). In Antithese zu dem von K a n t behaupteten G e g e n s a t z v o n G l a u b e n und Wissen stellt er hier die in der Schrift begründete „Brücke v o n G l a u b e n und E r k e n n e n " als F u n d a m e n t f ü r das „ G e b ä u d e der D o g m a t i k " dar. Diese D o g m a t i k ist „theologia v i a t o r u m " , die nicht zu verzweifeln braucht, „ d a ß uns das G a n z e — das System — nicht gelingt" und es beim „Fragmentarischen unseres Erkennens in den D i n g e n der O f f e n b a r u n g Gottes in Jesus C h r i s t u s " bleibt. In diesem Z u s a m m e n h a n g verdient auch Beachtung: G . Rohrmoser, D a s Elend der kritischen Theorie, Freiburg 1970.

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Erst wenn man diese Position und dieses Positivum dogmatischer Denkbemühung hinreichend berücksichtigt, ist es sinnvoll und wohl auch berechtigt, nun gleichfalls von der Möglichkeit des Mißbrauchs im Umgang mit Dogma und Dogmatik zu sprechen. Schief wird die Perspektive nur, wenn man via negationis ansetzt. Denn gerade das im Iwandschen Sinne verstandene Dogma ist es ja, das die Verkündigung und das Handeln der Kirche vor jedweder Starre eines Dogmatismus bewahrt. Gerade so streng hermeneutisch konzipierte Dogmatik kann ja wirksam dafür sorgen, daß nicht an die Stelle von lebendiger Erkenntnis irgendein Fanatismus, Konfessionalismus, Provinzialismus oder — im Bereich der politischen Ethik — ein Nationalismus tritt. Es ist eben nicht damit getan, daß rechte Lehre auf den Thron gehoben wird und daß Orthodoxie proklamiert wird. Und es geht eben gerade bei dem so verstandenen Dogma nicht an, daß wir Entscheidungen, die uns heute aufgetragen sind, in den Schützengräben vergangener dogmatischer Epochen und mit dem dogmatischen Waffenarsenal früherer Zeiten durchkämpfen. Gerade dieses Dogma ist für Iwand die Position, von der aus er vor allem auch in seinen Predigtmeditationen leidenschaftlich und überzeugend davor warnt, „daß man sich nicht darum kümmert, ob nun damit der Mensch unserer Tage, unserer Zeit, . . . der Mensch dieser Welt in seinen tausend Fragen und Sorgen angesprochen wird, sondern daß man diktiert: Dies ist die rechte Lehre und dies habt ihr zu glauben" (NW II, 98) 30 . Für eine Predigt, die sich in dieser Weise der Sache rechter Lehre verschreibt und die in diesem Sinne orthodox sein will, findet Iwand nur das Urteil beißenden Zynismus' wie es kaum schärfer ausfallen kann: „Es ist erschreckend, wenn man ein solches dogmatisches Knochengerüst auf der Kanzel stehen sieht, das so schauerlich klappert, als ob der Tod selbst an der Stelle stünde, wo eigentlich das Wort des Lebens erklingen sollte" (NW II, 98). Genau das Gegenteil ist mit dogmatischer Bemühung und Rede gemeint: Daß der moderne Mensch zu seinem Recht kommt, mit der Auslegung des Dogmas das Widerfahrnis der Wahrheit zu empfangen; die Kunde, die ihn unmittelbarst und vom Ursprung her angeht. „Also nicht zeitgemäße Darstellung des Dogmas, sondern das Dogma als Weg, als Versperrung aller Abwege, auf denen unsere Zeit und der Mensch unserer Zeit dem Worte Gottes entweichen will. . . . Das Dogma macht die Bewegung mit, die der Mensch vollzieht, gerade weil das Wort Gottes diese Bewegung nicht mitmacht, gerade weil das Wort Gottes stabil bleibt" (NW II, 98, f.).

30 Vgl. dazu auch Iwands Vortrag: Das Christentum und die geistige Krise der Gegenwart ( N W II, 106 ff.).

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4. Die Integration des Denkens in den Glauben als Realitätsgehalt der Predigt Ein weiterer Gesichtspunkt muß noch aufgezeigt werden. Es geht bei dem so konzipierten dogmatischen Denken um einen eindeutigen Widerspruch zu der oft postulierten These, der Glaube verzichte auf das Denken. Gerade die Integration des Denkens in den Vollzug des Glaubens wird hier intendiert. Eine Bemühung, der Iwand sich rastlos gewidmet hat, wie besonders seine ausgewiesen profilierten Beiträge zum Themenkreis Glauben und Wissen zeigen 31 . Wahrheit des Glaubens läßt sich ohne Denken nicht finden. Weil Iwand konsequent dafür eintritt, daß Wahrheit „aus eigener, freier Einsicht heraus, ganz der Sache zugewendet und insofern frei vom bloßen Autoritätsglauben" gefunden wird, kann er ohne das Postulat einer intellektuellen Vorgabe formulieren: „Gott ist eine solche Wahrheit, die sich denkend finden läßt." Gott ist eben nicht eine Größe, „die sich in eine Fata Morgana auflösen läßt, wenn unsere Vernunft darauf stößt, die wie eine Seifenblase zerplatzt, wenn unser Denken sie berührt. Natürlich wird es immer ein dem Glauben folgendes, nie ein den Glauben ersetzendes Denken sein" ( N W II, 295). „Fides praecedit intellectum." Iwand postuliert „die Präzedenz des Glaubens, der als solcher allem Erkennen frei und überlegen vorangeht". Und zwar deshalb, „weil sich der Glaube nicht auf das Erkennen der gegenständlichen Welt bezieht, sondern auf ein Hören" ( N W I, 243). Das engagierte theologische Gespräch Iwands mit der Philosophie, besonders mit der des deutschen Idealismus, das an Niveau und Potenz innerhalb des neueren Protestantismus seinesgleichen sucht, ist ein Ringen um die Freiheit dieses Denkens, das dem Glauben gemäß ist und ihm korrespondiert 32 . Iwand hat klar erkannt, daß die Epoche der Aufklärung der Theologie Probleme gestellt hat, die unaufgearbeitet geblieben sind. Und er hat mit geradezu visionärem Instinkt darauf hingewiesen, daß das unausweichlich eintreten wird, was inzwischen am Tage ist, und was die vielschichtige Problematik und Krisis der theologischen Diskussion und kirchlichen Lage ausmacht: die totale Verwirrung stiftenden Folgen, die das erschreckende Defizit theologisch qualifizierter Arbeit an der zentralen Thematik Vernunft und Offenbarung, Glaube und Wissen und damit auch Glaube und Geschichte zeitigt. 31

Vgl. vor allem N W I. Als Beispiel eines ähnlich intensiven theologischen Bemühens im Hinblick auf die mittelalterliche Philosophie vgl. W. Link, D a s Ringen Luthers um die Freiheit der Theologie v o n der Philosophie. 2. A u f l . , München 1955. Zum Gespräch zwischen Philosophie und Theologie der Gegenwart s.: H . Gollwitzer und W. Weischedel, D e n ken und Glauben, Stuttgart 1965. Als Beitrag der Philosophie: K. Löwith, Wissen, Glaube und Skepsis, Göttingen 1962. 32

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Die Lösung, die die Philosophie des Idealismus zur Bewältigung dieser Problematik anbietet, ließ Iwand keine Ruhe. D i e grundsätzliche methodische und phänomenologische Trennung der Welt des Wissens von der des Glaubens konnte er nur als geistigen Wurzelboden des modernen Atheismus und Nihilismus ansehen 33 . U n d darum entzündete sich gerade an dieser Stelle so sehr seine theologische Leidenschaft und Verantwortung, die unermüdlich darauf aus ist, den Gegensatz zwischen „einer irrealen Religiosität, die als reine Innerlichkeit des unendlichen Schmerzes beibehalten ist", und einer Welt, die ihr als „eine gottlose Wirklichkeit" gegenübersteht, zu überwinden ( N W I, 19). D a s unreflektiert erhobene theologische Postulat: „Gott hat geredet" führt unweigerlich zu der reflektierenden Rückfrage: hat Gott geredet? U n d eine für unsere Zeit versuchte Antwort auf diese Frage steht nach wie vor aus, sie ist mehr denn je entscheidende Aufgabe theologischer Arbeit. Diese Antwort zu finden und theologisch legitim zu formulieren, ist Iwands ganzes theologisches Bemühen, das er besonders mit seinen Predigtmeditationen unternimmt. Es ist hinreichend geäußert worden, daß eine Antwort auf diese Frage im rein offenbarungspositivistischen Sinne dem Gewicht dieser Frage nicht gerecht wird. D a s Denken verlangt gegenüber dem Glauben sein Recht. Es muß aber genauso betont darauf hingewiesen werden, daß eine Antwort auf diese entscheidend wichtige Frage gleichfalls unmöglich ist und in gar keiner Weise überzeugend gelingen kann durch Restauration der Aufklärung. Denn der Glaube wahrt gegenüber dem Denken seine Freiheit. Als entscheidende Wegemarke werden wir an dieser Stelle einen Satz Luthers zu beachten haben, den Iwand aufgreift: „Est autem haec omnis tentationis origo et caput, cum de verbo et Deo ratio per se iudicare conatur sine verbo." 3 4 Dies nicht hinreichend bedacht zu haben, die Aufgabe theologisch ausgewogener Zuordnung von Glauben und Denken weitgehend übergangen und den geistes- wie theologiegeschichtlichen Bezug zur Diskussion dieser Fragestellung seit der Aufklärung unterschätzt zu haben, erweist sich m. E. als der entscheidende Denkfehler, der die Gedanken Gert Ottos zum Thema „Vernunft" letztlich so „un-vernünftig", weil theologisch wenig schlüssig erscheinen läßt. D a s ist umso bedauerlicher, weil Ottos grundsätzliches Eintreten für das längst fällige Aufarbeiten der Aufklärung seitens der Theologie unbestreitbar sein Recht hat 3 5 . Iwands dogmatische Besinnung versucht die Zuordnung von Glauben Vgl. d a z u audi K . L ö w i t h , V o n H e g e l zu Nietzsche. 5. A u f l . , S t u t t g a r t 1964 W A 42, 116, 18. Zit. bei I w a n d , N W II, 52. 3 5 Gert O t t o , V e r n u n f t . Themen der Theologie, hrsg. v. H . J . Schultz, B d . 5, Stuttgart/Berlin, 1970. Zu grundsätzlichen theologischen E i n w ä n d e n gegenüber O t t o v g l . auch: G e r h a r d Barth, Konsequenter R a t i o n a l i s m u s ? I n : D t . P f . Bl. 1970, 409 f. K a r l H e r b e r t , V e r n u n f t contra G l a u b e ? E v . K o m m . 3, S t u t t g a r t 1970, S. 418 ff. 33

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und Denken im Rückgriff auf die johanneische Formel: wir haben geglaubt und erkannt 3 6 . Es kommt ihm darauf an, aufzuzeigen, daß das Ineinander von beiden, von Glauben und Erkennen, die Brücke ist, auf der sich die Bewegung des Hin- und Herschreitens vom Glauben zum Erkennen und vom Erkennen zum Glauben vollzieht. „ N i e wird das Erkennen so frei, so autoritätslos sein, wie es dem Ideal der reinen Vernunft entspricht, nie wird es aus seinem eigenen Prinzip leben können, sondern es wird die Autorschaft des Wortes Gottes in allen seinen Sätzen und Aussagen an der Stirn tragen" ( N W I, 21). Sobald diese Brücke des Ineinanders von Glauben und Erkennen, die in der „claritas scripturae" ihren tragenden Pfeiler hat ( N W I, 20), gebrochen wird, „werden wir den Zusammenhang der Theologie nach rückwärts genauso verlieren wie die K r a f t zum Weitergehen". U n d das bedeutet in diesem Zusammenhang für Iwand nichts anderes als dies: „Wir werden aufhören, im eigentlichen Sinne dogmatisch produktiv zu sein" ( N W I, 21). Der Verlust dogmatischer Produktivität aber hat unweigerlich zur Folge, daß wir auch mit unserer Verkündigung den Rückschritt dahin tun, wo Ernst Troeltsch „so emphatisch feierte, daß nun die Ethik die Grundwissenschaft der Theologie geworden sei". Die inzwischen eingetretene Entwicklung ist jedenfalls nicht gerade dazu angetan, Iwands gewiß hartes und in dieser H ä r t e wohl auch etwas ungerechte Urteil über die Troeltsch'sche Position zu widerlegen: „ D a s war der Irrtum eines Blinden, der den Spatenklang der Lemuren für den Auftakt einer neuen Zeit hielt" ( N W I, 23). Die Gesetzlichkeit, die sich heute weithin in Verkündigung und Handeln der Kirche breitgemacht hat 3 7 , und die Entscheidungen und Urteilen kirchlicher Gremien und Leitungskollegien in erschreckendem Ausmaß zugrunde liegt, hat in diesem Rückschritt auf die Troeltsch'sche Position ihre Ursache. Der Einsatz beim Menschen- und Welt-Erkennen gibt das Denken der Methode anheim, die Iwand „Methode der Desillusionierung" nennt. In Verfolg dieser Methode geschieht — so gibt Iwand zu bedenken — dies: Der Mensch wird zuerst in die Verzweiflung seiner Existenz gestoßen, Abgründe werden aufgedeckt, auch solche, „die besser verhüllt und verborgen blieben". Aus der Philosophie der Moderne — bis ins Theater hinein — entnimmt Iwand Anschauungsmaterial dafür, daß „dieses Enthüllen, dieses Nackt-Ausziehen des Menschen, als ob es der letzte T a g wäre" ( N W I, 23), betrieben wird. Es bedeutet doch nichts anderes als die Frage nach der legitimen 3 8 Einzelheiten d a z u N W I, 27 ff.; s. s a t z : D i e Sachlichkeit der theologischen bes. S. 85). V g l . auch F e r d i n a n d H a h n , I n : N e u e s Testament und Geschichte. O . S. 125 ff. 8 7 M a n f r e d Josuttis, Gesetzlichkeit in

ferner I w a n d s Äußerungen in seinem A u f Arbeit ( U m den rechten G l a u b e n , S. 75 ff., Sehen und G l a u b e n im Johannesevangelium. C u l l m a n n zum 70. Geburtstag, Zürich 1972, der Predigt der G e g e n w a r t , München 1966.

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seelsorgerlichen Dimension der Verkündigung, wenn Iwand hier die Gegenfrage stellt: „Sollte die ethische, die personale desperatio nicht erst hinterher aufbrechen, wenn wir, wie der Reiter über den Bodensee, bereits Boden unter den Füßen haben?" (ebd.). Im Zusammenhang mit der Rückgewinnung seelsorgerlichen Redens und Handelns, das heißt: hilfreicher Begleitung menschlichen Entscheid e n und Tuns — auch in Bereichen wie Gesellschaftsdiakonie oder Ethik des Sozialen und Politischen — ist Iwands dogmatisches Plädoyer für den Vorrang des Credo gegenüber der Ethik zu sehen. Beim Bemühen um dogmatische Produktivität geht es in der Frage der Zuordnung von fides und ratio, der Vorordnung der Dogmatik vor die Ethik darum, gerade den Weltbezug des Glaubenszeu^nisses darzustellen. Der Weltbezug ist f ü r den Glauben und seinen Vollzug bei Iwand schlechterdings konstitutiv. Man wird es ihm gegenüber besonders schwer haben, den heute oft erhobenen Vorwurf des Realitätsverlustes der Theologie aufrechtzuerhalten. Freilich ist f ü r Iwand Theologie, die die Wirklichkeit trifft und Realitätsgehalt hat, nicht schon dadurch gewonnen, daß wir uns zu tief „in die Analyse unserer Zeit und ihrer geistigen Situation einlassen; das ist unsere, der Theologen Aufgabe nicht" stellt er lapidar fest und ruft damit zur Sache ( N W II, 110). Es sollte in diesem Zusammenhang ein doch wohl aufschlußreiches Votum von Golo Mann beachtet werden, das er anläßlich der Publikation seines „Wallenstein" in einem Fernsehinterview vortrug: „Analyse und soziologische Kritik ist wichtig. Aber wichtig ist ebenso, daß Historie erzählt wird." Damit ist doch gesagt, daß auch Literaten und Historiker sehr eindeutig die Grenze bloßer Analyse und Kritik sehen und zur Position des Erzählens, der Aussage vorstoßen. Die theologische Bemühung um die Predigt sollte ihnen gegenüber nicht zurückstehen sondern gleichfalls auf das Ziel ausgerichtet sein, von einer Position aus Aussagen zu machen 38 . Auch schon deshalb ist bloße Zeitanalyse und soziologische Kritik nicht unsere Aufeabe, weil das Handwerk solcher Analyse und Kritik andere Wissenschaftsbereiche gründlicher und sachkundiger betreiben können. Hier stellt sich für Iwand ständig die Aufgabe, Arbeitsergebnisse vor allem auch der empirischen Wissenschaften sinnvoll in die Theologie und ihre Bemühung um verantwortliche Predigt einzubringen. Er hat diese Aufgabe nicht nur gesehen sondern hat sie auch f ü r seine Zeit und den damaligen Diskussionsstand der Theologie erstaunlich intensiv wahrgenommen 39 . Hier haben wir vor allem zu denken an den Niederschlag, 38 Eigene Nachschrift des TV-Interviews, gesendet am 17. 10. 1971. Vgl. audi Golo Mann, Wallenstein. 39 Vgl. dazu auch den Abschnitt 3.3 im VII. Kap. dieser Arbeit: Empirische Affinität der Predigt. Zum inzwischen erreichten Stand der Diskussion s. Arnd Hollweg, Theologie und Empirie, Stuttgart 1971.

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den human- und gesellschaftswissenschaftliche Arbeiten in seinen Predigtmeditationen gefunden haben. D a s gleiche gilt für das theologisch sorgfältige Einbringen sprachwissenschaftlicher Aspekte — zu nennen ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch Iwands Eingehen auf das Werk Ferdinand Ebners — und das Beachten und Bedenken der Aussagen von Dichtung und Kunst. D i e N a m e n Shakespeare, Dostojewskij, Rembrandt tauchen neben zeitgenössischen in wichtigen Passagen seiner Predigtmeditationen immer wieder auf 4 0 . Hans-Dieter Bastians vehemente Anfragen an die theologische Reflexion und seine energische Forderung, die Aufgabe theologischer Kommunikation ernsthaft in Angriff zu nehmen 41 , hätten nicht einen so weißen Fleck auf der theologischen Landkarte treffen können, wenn die Diskussion die Fülle der Anregungen und Ansätze Iwands auch an dieser Stelle aufgenommen und weitergeführt hätte. D a ß Bastians Votum in der bisherigen Gestalt einseitig und im Urteil manchmal übertrieben und gerade Iwand gegenüber unzutreffend ausgefallen ist 4 2 , ändert nichts an der Tatsache, daß er die theologische Diskussion auf bisher zu sehr vernachlässigte Sachsehalte lenkt. Denn gerade der Kirche, die „Kirche des Wortes" sein will, können auch die „Wörter" — das heißt: die Sprache und das Reflektieren wie Meditieren von Sprachgehalten — nicht gleichgültig sein. Es ist das Verdienst von Gerhard Ebeling, in der Entfaltung theologischer Sprachlehre neuerdings wichtige Gedankenschritte und -lücken aufgearbeitet und mit seiner Arbeit im Gespräch einen beachtlichen Akzent gesetzt zu haben 4 3 . Es wird sehr darauf ankommen, hinter diese Wegemarke nicht wieder zurückzugehen und die Dimension der Sprache weit über die Funktion von Zeitanalyse und Situationskritik hinaus zu erkennen und theologisch zu realisieren. Dabei wird Iwands Äußerung nicht verhallen dürfen, mit der er vor rein situationseeleiteter Sprache und Predigtarbeit warnt: „Wie so manche klare und hellblickende Analyse der modernen Situation ist und wird heute vollzogen — und steht dann meist wie eine ins Nichts hinein verhallende Beichte, wie eine Beichte ohne Absolution" ( N W II, 110). Von daher ergibt sich ihm als Aufgabe, die uns heute gestellt ist, gehorsames Reden, in begründeter Hoffnung engagiertes Reden und darum Hoffnung und Zuversicht stiftendes Reden — und das meint: Reden, das den eigentlichen Schaden unserer Geistigkeit, der die Krise ausmacht, S. u. S. 58, A n m . 8, desgl. S. 136, A n m . 23. H . - D . Bastian, Theologie der F r a g e , München 1969. Ders., K o m m u n i k a t i o n , S t u t t g a r t 1972. 4 2 S. u. S. 105, A n m . 50. 43 G . Ebeling, E i n f ü h r u n g in theologische Sprachlehre, 1971. A u s dem Bereich der röm-kath. Theologie: Eugen Biser, Theologische Sprachtheorie und Hermeneutik, München 1970. 40

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nicht nur aufzeigt sondern überwindet, „den Hiatus zwischen Sein und Bewußtsein"; Reden, das uns in Bewegung setzt „in die Richtung einer echten Umkehr und einer echten Erneuerung" ohne Ausweichen und Rückzug — sei es in die Vergangenheit, sei es in den Raum des Sakralen als eigentlichen Lebensraum. Ein Schritt vorwärts „wird ein Schritt sein müssen, bei dem Erkenntnis und Tat, vielleicht auch Erkenntnis und Leiden wieder eins sind, ein Schritt, der ein Zeugnis ist und der nicht ein unverbindlicher bleiben darf" ( N W II, 110 f.). Ein so qualifiziertes Reden setzt dogmatische Produktivität voraus, die nicht ohne theologisch legitime Zuordnung von Glauben und Wissen, Dogmatik und Ethik zu erlangen ist. In diesem Zusammenhang mißt Iwand „dem monumentalen Werk der Barthschen ,Kirchlichen Dogmatik'" ganz entscheidende Bedeutung bei; so sehr, daß er es „theologisch und wissenschaftlich zu den größten Ereignissen" zählt. Der Grund f ü r diese Wertung liegt darin, daß sich hier „die Restauration des Dogmas und der Dogmatik überhaupt" vollzieht, „wie sie seit Kant und seit der Aufklärung fällig war und doch — trotz Schleiermacher — nicht gelungen ist" ( N W I, 22). An dieser — heute in allen Konsequenzen vielfach noch gar nicht richtig erkannten oder im Fortgang der Forschung inzwischen wieder verkannten — Bedeutung des Barthschen Werkes gibt es nichts abzumarkten. Gerade dann aber, wenn das — wie bei Iwand — eindeutig festgestellt ist und bleibt, ergibt sich folgende Rückfrage: ob die — theologiegeschichtlich durchaus berechtigte und überfällige — Restauration des Dogmas seiner Interpretation genügend und angemessenen Freiraum gelassen hat. Ob hier nicht das notwendig Monumentale der Dogmatik mehr oder weniger zur Folge hat, daß das durch Wissenschaft und Technik eruptiv angewachsene Problemfeld der Ethik im Vollzug des Barthschen Werkes letztlich doch zum appendix werden mußte und daß also — wenn man den Gesamtvollzug bedenkt — fides und ratio nicht ausgewogen zueinandergeordnet stehen sondern daß die ratio letztlich doch appendix der fides ist, und es sich nicht um ein „Erkennen als ein dem Glauben gleichgeordneter Begriff" handelt ( N W I, 245). Die Leitlinien von Iwands theologischem Beitrag dagegen sind auch an dieser Stelle — ähnlich wie bei der Frage Gesetz und Evangelium und als Konsequenz seiner Stellungnahme in dieser Frage — Karl Barth gegenüber differenziert zu sehen: bei aller Prävalenz der Dogmatik ist die Ethik im Iwandschen Entwurf integriert in den Vollzug der Dogmatik, d. h. die kommunikative Koordination zwischen Dogmatik und Ethik ist bei Iwand wohl aufs ganze gesehen eindeutiger profiliert und ausgewogener durchgeführt gegenüber einer möglichen Akzentverschiebung hin zu einer Subordination der ratio unter die fides und infolgedessen auch der Ethik unter die Dogmatik. Insofern ist es nicht überraschend, daß die Fragen der theologischen Ethik, gerade auch die Fragen 26

der politischen Ethik, inzwischen von ganz anderen dogmatischen Voraussetzungen aus so energisch in Angriff genommen worden sind als sie in der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths vorliegen. Es ist bei der heutigen Problemstellung fraglos eine vorrangige Aufgabe der theologischen Arbeit, die sich Karl Barth verpflichtet weiß, die theologisch ausgewogene Zuordnung von Vernunft und Offenbarung, von Dogmatik und Ethik auszuführen und zu entfalten sowie den an dieser Stelle gegenüber der Barthschen Position erhobenen Vorwurf des defizitären Weltbezugs und Realitätsgehalts dogmatischer Reflexion gegebenenfalls als Mißverständnis zu erweisen 44 . Wenn von Iwands theologischem Bemühen der Zuordnung von fides und ratio, Dogmatik und Ethik die Rede ist, bedarf es auch wenigstens ganz kurzer Erwähnung seiner Stellungnahme gegenüber der existenzialtheologischen Position an diesem Punkt, zumal diese heute bei der Frage nach dieser Zuordnung stark im Gespräch ist. Iwand bejaht, daß Glaube und ethisches Handeln personalbezogene und personalgebundene Kategorien darstellen. Insofern kann nicht von vornherein eine Engführung in der Personalität — und damit ist dann Individualität gemeint — konstatiert und von Iwand her existenzialtheologischer Denkweise zur Last gelegt werden. Glaube hat in jedem Falle auch ethische, ja politische Dimension. Allerdings kann nach Iwand — und darin hebt er sich mit seinen Beiträgen von den Existenzialtheologen ab — nicht darauf verzichtet werden, nun auch zu entfalten, wie die personale Glaubensentscheidung sich folgerichtigerweise auch darin äußert, daß gesellschaftsbezogene und sozialethische, politische und kulturpolitische Bereiche betroffen und durch die Glaubensentscheidung gestaltet werden. Es kann nach Iwand nicht damit sein Bewenden haben, daß einfach die Feststellung getroffen wird, Glaube im biblischen Sinne habe immer auch politische Dimension. Es geht gerade darum, diese Dimension als Sprache des Glaubens zur Sprache zu bringen, und das heißt: ihr dazu zu verhelfen, daß sie Wirklichkeit wird; es muß verwirklicht werden, daß dem Evangelium gegenüber verantwortliches sozialethisches und politisches H a n deln Konkretion des Glaubens bedeutet. Man wird hier im Hinblick auf die Anfrage Dorothee Sölle's an den existenzialtheologischen Entwurf das Resümee ziehen können, daß diese Anfrage insofern nicht zu Unrecht besteht, als das Aufzeigen der Konsequenz politischer Konkretion aus der Personalität des Glaubens bisher ganz offensichtlich unzureichend erfolgt ist. Man wird sich nur davor hüten müssen, hier — wie Dorothee Solle — einen grundsätzlichen Gegensatz zu konstruie44

In diesem Zusammenhang verdienen die Arbeiten v o n Eberhard Jüngel besondere Aufmerksamkeit. Vgl. vor allem den Sammelband: Unterwegs zur Sache, M ü n chen 1972.

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ren 45 . Iwand hat im Vollzug seiner Arbeit die Dialektik zwischen beiden: Personalität des Glaubens und seiner sozialen Konkretion von dem Ansatz seiner Konzeption Gesetz und Evangelium, Zuordnung fides und ratio in ihrer Spannung gesehen und durchzuhalten versucht. Das hat zur Folge, daß er kaum irgendwo rein dogmatisch und dann wieder rein ethisch denkt und formuliert. Dogmatische Reflexion führt zu ethischem Handeln, wenn sie nicht auf Konkretion verzichten und in Isolation enden will. Und umgekehrt: ethisches Handeln erfordert dogmatische Besinnung, wenn es sich nicht um seinen theologischen Realitätsgehalt bringen und der Gefahr der Ideologisierung erliegen will. Beim Ausgangspunkt unseres Bedenkens des Zusammenhangs zwischen Theorie und Praxis in Verkündigung und Handeln der Kirche fiel das Stich wort von der Intention auf ein „die Wirklichkeit bestimmendes und erleuchtendes Ziel" hin 46 . Wir können diese von Iwand hier gebrauchten Termini benutzen, um die Zuordnung von Dogmatik und Ethik, von Vernunft und Offenbarung noch etwas zu präzisieren. Es geht in jedem Falle um Gestalten der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist eine und nicht irgendwie auseinanderzudividieren. Nach Iwand gibt es nun kein Geschehen, das die Wirklichkeit bestimmt, das nicht erleuchtetes Geschehen ist, und es gibt keine Erleuchtung, die nicht die Wirklichkeit bestimmt; und das bedeutet nicht zuletzt: die nicht die Wirklichkeit erneuert und verwandelt. Weil diese unaufgebbare Einheit zwischen Erleuchten und Bestimmen der Wirklichkeit für Iwand nicht nur verbal völlig eindeutig besteht und unter allen Umständen kompromißlos aufrechtzuerhalten ist, sondern weil er im Sinne dieser Einheit auch alles ihm Mögliche und mehr als in seinen Kräften stehende versucht und unternommen hat, um die Wirklichkeit, gerade auch die politische Wirklichkeit entsprechend dieser Einsicht zu gestalten und zu verändern, darum wirkt er auch glaubwürdig und überzeugend mit seiner unermüdlichen Warnung davor, dieses Bestimmen und Verändern der Wirklichkeit als gesetzliche Maßnahme und als einen der zu verändernden Wirklichkeit immanenten Aktivismus mißzuverstehen und mit irgendeiner Propaganda oder Indoktrination, die Veränderung der Wirklichkeit als Ideologie proklamiert, zu verwechseln. An dieser entscheidenden Stelle Wachposten zu beziehen, evangelischtheologische Verantwortung in uneingeschränktem Weltbezug wahrzunehmen, ist das wesentliche Anliegen von Iwands Predigtmeditationen. Dieses Postenbeziehen geschieht dadurch, daß Iwand Position einnimmt da, wo es in vielfältigen Variationen grundsätzlich um das Buchstabieren und Konkretisieren des theologischen Urthemas von Gesetz und 45 48

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Dorothee Solle, Politische Theologie, Stuttgart 1971. S. o. S. 11.

Evangelium mit allen Konsequenzen geht. Das bedeutet im einzelnen: Der Glaube an die Wirklichkeit so wie sie besteht, ist falscher und böser Glaube. Iwand sieht geradezu visionär die Notwendigkeit der Veränderung, der Verwandlung der Wirklichkeit. Schon zu der Zeit, in der das geistige Klima bei uns noch ungebrochen von der Vorstellung bestimmt ist, wir hätten nach dem Zusammenbruch einen wirklichen neuen Anfang gemacht, der Schritte nach vorn bedeutet und Z u k u n f t erschließt, spricht er — damals von anderen meist völlig unverstanden — davon, daß es heute so ist „wie eine langsam und unabwendbar heraufziehende Nacht, die sich über uns legt" (121). Wer ihn kennt, weiß, wie sehr ihn gerade dieser Gedanke von der unabwendbar heraufziehenden Nacht nicht nur gequält, sondern oft bis an den Rand psychischer und physischer Erschöpfung gebracht hat. Und er empfindet zugleich das Bewußtsein von der tiefen Sehnsucht nach dem Weichen dieser Nacht und von der Hoffnung auf den Anbruch eines neuen Tages, wie sie die ganze neuere abendländische Geistesgeschichte durchziehen. Was er damit näher meint und wovor er warnt, steht besonders deutlich und eindrucksvoll in einem Vorwort zu den Predigtmeditationen, das er bereits in einem H e f t des Jahrgangs 1947/48 schreibt: „Zum mindesten seit der französischen Revolution, von Rousseau bis zu Tolstoi, hat dieses Fragen nach der weichenden Nacht, nach dem Kommen einer besseren Gerechtigkeit nicht aufgehört. Und doch zeigen die Epochen der Revolutionen und Konterrevolutionen, in denen wir mitten drin stehen, daß dieser erhoffte Morgen sich immer wieder aufs neue in Nacht verwandelte" (121). Angesichts dieses Tatbestandes stellt sich ihm die Frage, ob es nicht an der Zeit sei, das Fazit mit einer Einsicht zu ziehen, die Mereschkowski folgendermaßen formuliert: „Vergeblich sind alle äußeren Revolutionen; scheinbar beweglich, sind sie starr. N u r die eine, die von dem Primo Motore ausging, die innere Umwälzung, ist echt, weil nur sie im Menschen und in der Welt den inneren Schwerpunkt verlegt; nur sie ist die tiefste und stärkste, weil sie die leiseste ist." 47 Um das Gewinnen dieses „inneren Schwerpunktes", der außerhalb des Menschen und jenseits der begrenzten Welt liegt und der die K r a f t freisetzt, die die bestehende Wirklichkeit verwandelt — nicht nur verändert — und die alles neu macht, geht es Iwand bei seinen Predigtmeditationen. Er sucht diesen Punkt extra nos und versucht, ihn zu entfalten „als das Nein Gottes zu dem Menschen, der zu sich Ja sagt, und als das Ja Gottes zu dem, der zu Gott Nein sagt . . . als das einzige, was jenseits aller unserer Gedanken und Erwartungen liegt, als das Fremde, das uns aber doch im tiefsten fehlt, als das Gegnerische, das aber doch den Frieden bringt" (121). Es geht Iwand bei seinen Meditationen darum, den " Jesus der Kommende. Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 121.

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Weg dahin freizulegen und im Aufrollen der Texte aufzuzeigen, wo wir mit unserer ganzen Wirklichkeit in den Bereich der verwandelnden Wirkkraft dieses Schwerpunktes außerhalb unserer selbst gelangen. An diesem Punkt „würde nicht nur eine Rekonstruktion des Alten erfolgen, sondern da müßte das aus dem Vergangenen ganz und gar nicht ableitbare Neue geschehen" (121). Daß wir nicht mehr auf die bestehende Wirklichkeit fixiert bleiben, sondern daß dieses Neue in unserer sichtbaren Welt mit ihren rivalisierenden Mächten und Gewalten in Erscheinung tritt, „das ist im letzten Grunde die Hoffnung, die hinter dieser so bescheidenen Arbeit unserer Meditationen steht und mit der wir in den mancherlei kirchlichen Wirrnissen und Bewegungen unserer Tage einen relativ klar vorgezeichneten Weg zu sehen und zu gehen meinen" (122). Diese Hoffnung jedoch ist keine eigenmächtige. Sie hat ihren Bestand nicht in uns sondern in Gott selbst, und sie traut „dem Ereigniswerden seines Wortes alles Gute, Heil und Hilfe für alle Menschen in allen ihren Nöten" zu. „Darum muß alle echte Bemühung um das Wort, die Meditation nicht minder wie die Predigt selbst, immer über sich hinausweisen, muß in sich jene Bewegung des Abnehmens sichtbar machen, die notwendig ist, damit Christus wachsen kann" (123).

5. Engagement für die handelnde Kirche: Neuordnung als Umkehr Beim Bedenken der Zuordnung von Theorie und Praxis in der theologischen Arbeit Hans Joachim Iwands ist nun noch eine weitere Komponente anzusprechen. Nämlich die seines intensiven Engagements in allen Bereichen der handelnden Kirche. Seine Theologie ist nicht nur als Denkvollzug eminent praxisorientiert, sondern sie ist es auch insofern, als er, von ihr initiiert und geleitet, die Praxis der Kirche mitverantwortet und -gestaltet hat; „die Praxis, die das Wort wirklich zur Tat werden läßt" (61). Dies nicht zu vermerken, würde einen sachgerechten Zugang gerade zu den Predigtmeditationen nahezu verschließen. Zu denken ist hier an Iwands hervorragenden Anteil am Aufbau und an der Neuordnung des Kirchenwesens nach dem Zusammenbruch. Die Predigtmeditationen haben ja ihren Anfang genommen bei der Überlegung, den heimatvertriebenen ostpreußischen Pfarrern ermutigende Hilfe zum Wiederaufnehmen des Predigtdienstes zu leisten, und sind insofern ein wesentlicher Beitrag zum Neubeginn kirchlicher Arbeit. Zur Frage der Neuordnung der evangelischen Kirche in Deutschland stellt Iwand im Jahre 1947 Gedanken und Gesichtspunkte zur Diskussion, die auch bei dem inzwischen erreichten Stand der Verhandlungen maßgebend sein können und m. E. auch sein sollten, um die Progression 30

der Entwicklung auf eine Einheit der E K D hin in sachlicher Weise zu intensivieren48. Die Tatsache der Neuordnung ist für Iwand als Notwendigkeit außer Frage; er sieht darin eine vorrangige Aufgabe. Fraglich ist nur, was dabei „führend" und richtungweisend sein soll. Als einer der geistig und theologisch überragenden und bewährtesten Männer der Bekennenden Kirche in Ostpreußen und weit darüber hinaus hat Iwand Autorität und Freiheit zu erklären, daß nicht einmal der Anschein erweckt werden dürfe, „als handelte es sich bei der Neuordnung um eine Art Machtergreifung der Bekennenden Kirche, und das wäre nicht nur von Nachteil für die Ordnung, sondern das wäre das Ende der Bekennenden Kirche selbst" 49 . Diese Frontstellung Iwands gegen eine kirchenpolitische Ideologisierung des Ertrages der Bekennenden Kirche und der Theologischen Erklärung von Barmen, die ihm erklärtermaßen Ausgangspunkt für jede kirchliche Neuordnung bedeutet, muß ebenso klar gesehen werden wie seine Frontstellung gegen die kirchenpolitische Ideologisierung der reformatorischen Bekenntnisse in einem neu formierten Konfessionalismus50. Iwand läßt sich für keines der beiden Lager vereinnahmen. Und das gibt seiner Stellung auch hier Profil und Gewicht. Sein Urteil erweist sich auch in dieser ganz entscheidenden Frage als überlegen dadurch, daß es fundiert ist und eine der Sache angemessene Weite hat. Für Iwand steht auch von Anfang an außer jedem Zweifel — und das verdient heute besonders, nachdrücklich in Erinnerung gebracht zu werden —, daß die Neuordnung der Kirche „eine Scheinordnung bleiben wird, wenn sie sich lediglich auf den kirchlichen Apparat bezieht". Die Neuordnung des Apparates ist Sache unserer Planungen, Projekte und Maßnahmen. „Aber der Witz bei der ganzen Sache ist ja der, daß das, was heute zu ordnen ist, so ist, daß wir es nicht machen können. Das worauf es ankommt..., müßte erst wieder geglaubt und gelehrt, erkannt und gepredigt werden, ehe die Ordnung im rechten Sinn uns geschenkt wird, die uns heilen könnte." 51 Von Joh 3,16 und Lk 15,11 ff. aus skizziert Iwand diese Neuordnung, „die in allen ihren Stücken nicht in erster Linie Gebot und Gesetz ist", sondern Angebot der Zuwendung Gottes an den Menschen, „sich retten zu lassen vor sich selbst, und damit das Angebot an die Welt, sich zur Umkehr rufen zu lassen von Gottes Güte" 52 . Dieses Angebot der Umkehr auszusagen und damit den ersten Schritt des Neuanfangs und der Neuordnung zu ermöglichen, „der alle anderen Schritte verheißungsvoll und sinnvoll machen würde" 53 — das ist der Primus Motor, der das 4 8 Vgl. dazu vor allem den -wichtigen Beitrag: Die Neuordnung der Kirche und die konfessionelle Frage. In: U m den rechten Glauben, S. 138 ff. 4 9 A.a.O., S. 140. 6 0 A.a.O., S. 151 ff. 5 1 A.a.O., S. 144. 5 2 Ebd. 5 3 A.a.O., S. 145.

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Unternehmen der Predigtmeditationen antreibt und in Gang hält. „Es wird darauf ankommen, daß wir uns auch in den weltanschaulichen Fragen unserer Tage durch die Schrift leiten und durch Gottes Wort zur Umkehr, nicht nur zur Umstellung rufen lassen" — heißt es im Vorwort zu einem der ersten Jahrgänge der Predigtmeditationen (76) 54 . Um kehr — nicht nur Umstellung: darum geht es nach Iwand bei der Neuordnung der Kirche. Und deshalb ist der erste, entscheidende Schritt jeder sachgemäßen Neuordnung — also Kirchenreform — die Arbeit an der Predigt. Und darum sind Iwands Predigtmeditationen nicht wegzudenken aus dem Bemühen um kirchliche Neuordnung. Ja, sie nehmen eine ganz hervorragende Stellung in diesem Bemühen ein. Sie sind die Weichenstellung, ohne die alles andere auf die schiefe Ebene gerät. Wenn man Iwands Engagement in der Frage des Neuanfangs und der Neuordnung gerecht werden will, muß man sehen, daß es ihm — bis in den Bereich politischer Einzelfragen hinein — um Konkretisierung von Umkehr und Vergebung sowie um Aktualisierung der biblischen Botschaft als Wort von der Versöhnung und als Vollzug des Predigtamtes als Amt, das die Versöhnung predigt, geht. Ohne diese biblische Dimension bleibt die Leidenschaft seines Einsatzes zuweilen ungeschützt gegenüber der Gefahr, als emotionaler Fanatismus mißverstanden zu werden, und sein oft sehr pointiertes, ja einseitiges Urteil in politischen Entscheidungen und Sachfragen kann ohne Beachten seiner bei Iwand immer vorhandenen biblisch-theologischen Motivation als politisierendes Einmischen eines Theologen in einen fremden Bereich und damit als ein nicht ernstzunehmendes Bevormunden der „mündigen Welt" abqualifiziert werden. Aber gerade audi da, wo man — vollends in politischen Entscheidungen — inhaltlich mit ihm nicht einig gehen kann, verwehrt es das theologische Gewicht seiner Argumentation, das Gespräch mit ihm auf die Ebene der Unterstellungen oder gar Diffamierungen herabzuziehen. Das geistige Profil und das theologische Niveau der oft mit scharfer Klinge geführten Stellungnahmen Iwands gerade in politischen Fragen, aber in der Frage der Neuordnung überhaupt ließ ihn auch dem sachlich Andersdenkenden gegenüber gesprächsfähiger Partner bleiben. Die Anregungen, die von Iwands Stellungnahmen in jedem Falle ausgehen, beruhen auf der Tatsache seiner intensiven Dialogfähigkeit gerade mit dem sachlich anders Urteilenden. Der für Iwand im Zusammenhang mit der Neuordnung wesentliche Aspekt von konkreter Versöhnung setzt 54 Zu Iwands Interpretation des zentralen biblisdien Begriffs „Umkehr" vgl. besonders J. Schniewind, Die Freude der Buße, Kl. Vandenhoeck-Reihe 32, Göttingen 1956. U n d : ders., Zur Erneuerung des Christenstandes. Kl. Vandenh.-R. 2 2 6 / 2 7 , Göttingen 1966. Hier wird an einer wesentlichen Stelle sichtbar, wie sehr Iwand den Ertrag der exegetischen Arbeit Sdiniewinds als Leitlinie für die Entfaltung seiner eigenen Stellungnahme einbringt. Gleiches gilt von Günther Bornkamm u. Martin Noth, seinen ganz nahen Freunden schon in der Königsberger Zeit.

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voraus, daß f ü r ihn „die Tatsache, daß wir Überlebende sind, nicht ausreicht, um davon weiterzuleben" 55 . Das gerettete Leben kann darum nicht zur Basis des Neuanfangs gemacht werden. Es ist doch zumindest die Frage zu stellen, ob nicht genau hier der entscheidende Basisfehler liegt, der uns inzwischen des vermeintlichen Neuanfangs und -aufbaus weithin so überdrüssig sein läßt. Die Bedenken, die Iwand bereits 1947 anmeldet, sind doch wohl inzwischen auch für uns nicht gegenstandslos geworden, die wir in dem Bewußtsein leben, eine ganz neue Epoche der Kirchengeschichte gestalten zu können, und dabei sind, ein Zukunftsmodell der Kirche nach dem anderen zu entwerfen: „Es ist mir darum bange, weil es bei diesem O r d nen in der Kirche trotz allem Streit und Lärm letzten Endes so totenstill zugeht, weil das Wort des Lebens . . . dabei so zurückgetreten ist. Wir ordnen, als gelte es, einen Apparat wieder in Gang zu bringen, aber der Motor steht still; es klappert, aber es bewegt sich nichts. Es ist so, als ob man versucht, sich umzustellen, ähnlich wie man sich in den Kirchenleitungen im Jahr 1933 umstellte, auf einen zeitlichen Wandel, auf einen Wandel, der sich in den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen vollzogen hat, während wir doch wissen, daß dieser Wandel erst dann echt wäre, wenn jener andere Wandel Ereignis wird, der Wandel des Menschen." 56 Damit spitzt sich die Frage der Neuordnung der Kirche für Iwand in der Frage nach Gesetz und Evangelium zu. Sie ist nicht allein im Bereich der Empirie — etwa der Kirchensoziologie — oder mit bloßen organisatorischen Maßnahmen auszumachen. Sondern empirische Einsichten sozial· oder humanwissenschaftlicher Dignität wollen theologisch aufgearbeitet sein, wenn sie zur Neuordnung der Kirche effektiv beitragen. Sonst bleibt es bei der bedenklichen Situation, die Iwand kennzeichnet, wenn er formuliert: „Das Evangelium tritt zurück, im Vordergrund stehen ,Gesetze', Wahlgesetze, Gesetze zur Reinigung des Pfarrerstandes, Gesetze zur Neuordnung kirchlicher Groß- und K l e i n r ä u m e . . . Ordnung über Liturgie und kirchliche L e s u n g e n . . . ein ins Unbegrenzte fortzusetzendes Ordnungswerk . . . wir bringen die Kirche in Ordnung, aber wer bringt uns in Ordnung? . . . Ist die Havarie des Schiffes, in dem wir sitzen, wirklich nur die Folge seiner schadhaften Außenseite?" 57 Iwand hält es f ü r eine Illusion anzunehmen, „wir hätten einen freien Raum vor uns, in den hinein wir nun, wie noch nie zuvor, das Idealbild einer kirchlichen Ordnung einzeichnen könnten, um dann an die innere Ausstattung dieses Gebäudes zu gehen" 58 . Auf diese Weise entsteht — so meint er — die Leere, die sich hinter neuerrichteten Fassaden verbirgt. Mit dieser Leere ergibt sich für Iwand gemäß seiner geistesgeschichtlichen 55 57

U m den rechten Glauben, S. 145 . A.a.O., S. 147.

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A.a.O., S. 146 f. A.a.O., S. 148.

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Gandras, Predigt

Analyse die Gefahr, daß sich das Nichts als letzter Ausweg anbietet, daß dieses Vakuum die Stelle ist, in die die Weltanschauung des Atheismus und Nihilismus in die Kirche einbricht, womit die Kirche ihre Identität mit sich selbst einbüßt. Diese Leere ist der Grund für den Verlust der Selbstidentität der Kirche; so geschieht Identitätsverlust durch Selbstbehauptung. Darum sieht Iwand geradezu visionär die Neuordnung der Kirche von Anfang an streng in Zusammenhang mit ihrer vorrangigen Aufgabe, den Menschen und sein vom Nihilismus angefochtenes Dasein vor dieser „Philosophie des Nichts" zu bewahren. Aber „das wird die Kirche nicht können, wenn sie nicht wieder begreift, daß in ihr Leben und Lehre eins sind" 5 9 . Die Einheit von Leben und Lehre, von Theorie und Praxis ist für Iwand für jede legitime und effektive Neuordnung der Kirche unaufgebbare Grundlage und schlechterdings konstitutiv. Diese Einheit aber läßt sich nicht herstellen durch Polypragmosyne 60 und Emsigkeit kirchlichen Managements. Diese Einheit, von der alle Neuordnung abhängt, widerfährt der Kirche durch die Proklamation des der Kirche aufgetragenen Wortes als Gesetz und Evangelium. Hier wird wiederum deutlich, warum und wie sehr die Frage Gesetz und Evangelium für Iwand der Leitstern jedweder theologischen Besinnung und kirchlichen Arbeit ist, und wie alles und jedes, wenn man es auf dem Grunde und nicht nur an der Oberfläche betrachtet, in diese Frage einmündet. Damit hat Iwand eine theologische Wegemarke aufgerichtet, die nur zum Schaden für Theologie und Kirche gerade in der gegenwärtigen Situation und Verworrenheit übersehen werden kann. Hier ist der Punkt, der entscheidende Punkt, von dem aus wir allein den Mut finden und haben können, nach wie vor auf einen neuen Anfang und darum auch auf eine neue Ordnung zu hoffen. Es ist darum nur konsequent, wenn sich für Iwand die Frage nach der Neuordnung der Kirche zu der Frage nach der rechten, verantwortlichen und das heißt: verantworteten Predigt zuspitzt. Kirche wird geleitet und geordnet durch die Verkündigung des Wortes in der polaren Einheit von Gesetz und Evangelium: von Theorie und Praxis, von Leben und Lehre. Von dieser Grundposition aus, die Iwands ganzes theologisches Denken wie der rote Faden durchzieht, wird das Gewicht mancher Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Neuordnung der Kirche relativiert. Das gilt zum Beispiel von der Frage nach dem Amt. Denn gerade im Sinne der lutherischen Kirche, zu der Iwand sich stets bewußt bekannte, ohne die Gemeinsamkeit mit den Reformierten „in einer sachlichen Union" — vor allem was die Schriftauslegung bei Luther und Calvin angeht — zu verkennen oder zu vergessen 61 , „gibt es kein dem PreA.a.O., S. 149 f. " A.a.O., S. 169; s. audi S. 156. 58

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A.a.O., S. 148.

digtamt übergeordnetes Leitungsamt" 62 . Verbal ist diese reformatorische Konsequenz zwar allenthalben gezogen, bis hin in die Ordnungen und Grundartikel unserer Landeskirchen 63 . De facto aber haben wir die biblisch-reformatorische Amtsauffassung so gut wie nirgends vollzogen, sondern wir sind hierarchisch fixiert — bis hin zu formellen und rechtlichen Regelungen wie Titulaturen und Gehaltsstrukturen; von Kirchenreform im Sinne einer Neuordnung als Umkehr weit entfernt. Wie die Frage nach dem Amt wird auch die konfessionelle Frage von Iwands Grundposition aus relativiert 64 . Relativiert — aber eben nicht bagatellisiert. Iwand war ein entschiedener, das heißt: bekennender Lutheraner der Union; aber er war kein Ideologe eines konturenlosen Unionismus. Die Kategorie der Konfession und des Konfessionellen wertet er nicht — voreingenommen — grundsätzlich negativ. Es bedeutet für Iwand eine Perversion der Konfession, wenn sie die Einheit zu sprengen droht, „statt sie zu bereichern", wenn sie „die gefallenen Entscheidungen und die uns aufgetragenen Reformen zu entkräften" droht, „anstatt sie zu fördern" 6 5 . Reichtum, ja Hilfe des konfessionellen Moments für die Kirche sieht Iwand allerdings „mehr im Theologischen leben als im kirchlich Konstitutiven liegen". Die konfessionelle Frage „wird sich fruchtbarer auswirken, wenn sie uns in der Verkündigung begegnet, als in der kirchlichen Ordnung" 6 6 . Es ist für Iwand von entscheidender Bedeutung, daß die Bemühung um Neuordnung der Kirche — also: Kirchenreform — nicht losgelöst wird vom Akt der Verkündigung. Wenn wir — so meint er — dieser Isolation anheimfallen, „ist unser Verfangen nicht nur Restauration, sondern viel Schlimmeres, es ist der Rückfall ins Gesetz, in den Buchstaben, der tötet, und ist die Absage an den Geist, der lebendig macht" 67 . Bei dem Einsatz für die Neuordnung der Kirche geht es Iwand nicht nur darum, theologische Einsichten im Handeln der Kirche evident werden zu lassen, sondern es geht ihm auch darum, „die fragliche Entwicklung, die in den letzten Jahren des Kirchenkampfes einsetzte, als die Bezeugung des Evangeliums hinter der Sorge um den äußeren Bestand der Kirche zurücktrat" 68 , zu korrigieren oder möglichst zu überwinden. Für eine unkritische Glorifizierung des Kirchenkampfes wird man Iwand, einen seiner vollmächtigsten Wortführer, nicht zum Zeugen anrufen können. Allerdings ist er legitimierter Sachverwalter des unüberholbar zukunftsträchtigen Ertrages des Kampfes der Bekennenden Kirche und ihrer A.a.O., S. 170. Als ein Beispiel vgl. die Kirchenordnung der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Neudruck Darmstadt 1972. 64 Zu dieser Thematik vgl. auch u. S. 61 f. in anderem Fragenzusammenhang. 6 5 Um den rechten Glauben, S. 171 u. audi S. 156 ff. M A.a.O., S. 171. «' A.a.O., S. 171. « A.a.O., S. 148. 82 M

35 3'

theologischen Zeugnisse; eingeschlossen alle gesellschaftspolitischen und sozialethischen Konsequenzen, die Iwand jedenfalls immer gesehen und auch gezogen hat 69 . Die Zuordnung von Theorie und Praxis mit ihrer theologischen Verankerung in der Frage Gesetz und Evangelium ist bei Iwand nicht zuletzt mitten „im Gedränge der kirchlichen Arbeit in Ostpreußen", dessen Menschen und Land er sich mit allen Fasern seines Wesens tief zugehörig wußte, und unter „fast untragbarer Verantwortung" — also unter Anfechtung gereifte und bewährte Konkretion biblisch-reformatorischer Grundauffassung 70 . Wie die Wurzeln der Reformation, in der ja die Frage nach der wahren Kirche aufbrach, in der Theologie liegen, so bleibt für Iwand auch das Jahr 1933 „darum so denkwürdig für die evangelische Kirche, weil es zeigt, wohin diese gerät, wenn sie ihre theologische Existenz verfallen läßt. Die theologische Existenz verachten, heißt das Kreuz verachten" 71 . So war Iwands theologischer Einsatz in der kirchlichen Praxis während des Kirchenkampfes wie auch bei der Neuordnung nach dem Zusammenbruch gleichermaßen von der Zielvorstellung geleitet, der Kirche zur theologischen Existenz zu verhelfen, zur Identität — und damit auch zu dem ihr angemessenen „Image". Demgegenüber ist alle sonstige Imagepflege nichts als Oberflächenbehandlung. „Die evangelische Kirche lebt nicht vom Kirchenregiment, sondern von der Theologie . . . in Wahrheit ist doch der Kampf, in den wir geworfen sind, ein Glaubenskampf, nur in zweiter Linie ein Kirchenkampf" — äußert Iwand 1937 in einem Brief an seinen ihn wesentlich bestimmenden Lehrer Rudolf Hermann, in dem auch das signifikante Stichwort von der „Profanisierung unserer Predigten" fällt, „die ganz in Polemik aufgehen", weil „wir den Gekreuzigten als eine relative Sache ansehen und eine Jesusreligion mit völkischem Einschlag dafür einhandeln" (NW VI, 292 f.); wobei der völkische Einschlag nur eine unter anderen Möglichkeiten von Jesusreligion und profanisierter Predigt bedeutet und die „Profanisierung unserer Predigten" sich auch abgesehen von dieser einen Möglichkeit ergibt. Die Predigtmeditationen Iwands sind denn auch nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt zu sehen, „die Profanisierung unserer Predigten" als theologisches Problem zu erkennen und zu bewältigen zu versuchen. Der Tatbestand der Profanisierung der Predigt ist ja als eine wesentliche Ursache für die gegenwärtige Krise der Verkündigung evident. Er gehört 69 Dazu Ernst Wolf, Barmen. Kirche zwischen Versuchung und Gnade. München 1957. Vgl. auch: ders., Art. „Barmen" u. „Kirchenkampf" in: R G G , 3. Aufl., I, 875 ff. u. III, 1443 ff. 70 Vgl. dazu den Brief Iwands an Rudolf Hermann vom 20. VI. 1937 (NW VI, 291 ff.) wie überhaupt Iwands Briefe, bes. aus den Jahren von 1933 an. 71 Um den rechten Glauben, S. 228.

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zu den entscheidenden Fragestellungen, mit denen es die Homiletik augenblicklich zu tun hat 7 2 . Insofern ist es von erheblichem Belang, in die Aufarbeitung dieser Thematik, die zur Zeit wohl als vorrangige Aufgabe einer theologischen Theorie der Predigt anzusehen ist, den Ertrag von Iwands Predigtmeditationen einzubringen. Iwand hat diese A u f gabe gegenüber einer zunehmenden Profanisierung der Predigt nicht nur als einer der ersten klar erkannt und ergriffen. Er hat zugleich die wesentliche K r a f t seiner Arbeit darauf konzentriert, eine angemessene Lösung dieser Aufgabe in großräumigen geistes- und theologiegeschichtlichen Zusammenhängen zu suchen. Einen wichtigen Schritt, der uns der Lösung dieser Aufgabe näherbringt, sieht Iwand darin, das Defizit der systematisch-theologischen Komponente in der Predigtarbeit a b z u g l e i chen. Er hat das in seinen Predigtmeditationen ständig unternommen; und darum sollte diesen systematisch-theologisch profilierten Textbearbeitungen unsere besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf die Homiletik der Gegenwart gelten. Dabei stellt sich uns als nächster Arbeitsgang die Frage nach Stil und Struktur von Iwands theologischer Reflexion, in deren Kontext und auf deren Hintergrund das Profil seiner Predigtmeditationen und die Konturen ihrer Gedankenführung sowie die Spannungsbögen, in denen er Auslegung vollzieht, hervortreten und sich weiterhin präzisieren lassen.

7 2 Vgl. u. a. P . Cornehl, kretionen, B d . 8, H a m b u r g Predigt in der G e g e n w a r t , gegenwärtigen A u f g a b e der

H . - E . B a h r (Hrsg.), Gottesdienst und Öffentlichkeit. K o n 1970. D a r i n bes. Gert Otto, Thesen zur P r o b l e m a t i k der S. 34 ff. D e m g e g e n ü b e r : F e r d i n a n d H a h n , Thesen: Zur Predigt. I n : Mainzer Predigten, Göttingen 1972, S. 118 ff.

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II. Kapitel Dialog als Struktur theologischen Denkstils 1. Dialog und certitudo Hans Joachim Iwand ist systematischer Theologe im genuinen Sinne des Wortes. Gerade diese Tatsache aber ist der wesentliche Grund dafür, daß sein intensives theologisches Denken und Arbeiten nicht dazu führt, daß ein System, ein fixiert fertiges theologisches Gedankengebäude entsteht. Vielmehr entfaltet sich die ungewöhnliche Kraft und Dynamik seines systematisch-theologischen Denkens darin, daß Systeme jedweder Art in Frage gestellt, Verfestigungen von Gedankengebäuden und Fronten von ihren Grundlagen her permanenter und eindringlicher Kritik — und zwar theologischer Kritik — unterworfen und immer wieder Aufbrüche und Durchbrüche in Neuland gewagt werden1. Wo die Sache der Theologie, zumal der evangelisch-reformatorischen Theologie, betrieben wird, kann für Iwand nichts so bleiben wie es ist; da ist vielmehr in jedem Falle Veränderung, ja Verwandlung der Wirklichkeit intendiert2. Allerdings — und das muß von vornherein deutlich und unmißverständlich ausgesprochen werden; denn hier ist die Quelle vieler Fehlentscheidungen und Kurzschlüsse — bedeutet für Iwand das Intendieren und Inganghalten dieses Veränderungsprozesses nicht das Ziel. Es kann vielmehr immer nur der Weg sein, den es einzuschlagen und möglichst durchzuhalten gilt, der Stück für Stück dem Ziel näherbringt. Dieses ständige Aufbrechen und Wagen des Hinüberschreitens läßt uns von Mal zu Mal an den Punkt gelangen, der auf das Ziel ausgerichtet ist. Es läßt uns Positionen beziehen, von denen aus das Ziel anvisiert und angegangen werden kann. Insofern kann Iwands Theologie keinesfalls Sache von „beati possidentes" sein, sie ist vielmehr theologia viatorum, und das bedeutet letztlich: sie ist in Luthers Schule gewonnene theologia crucis3. 1 V g l . ζ. B. I w a n d s B e m e r k u n g : „ . . . wenn wir aufhörten zu glauben, w o wir nicht glauben, sondern f r a g e n und suchen, denken und arbeiten sollten, d a n n w ä r e hier eine S t a g n a t i o n behoben, ein D o g m a t i s m u s durchbrochen, der wie ein böser A t a v i s mus uns blind und taub zu machen in G e f a h r i s t " ( N W II, 112). 2 Vgl. die Äußerung I w a n d s in einer P r e d . - M e d . zu J o h 8 , 3 0 — 3 6 : Es geht nicht um einen Ü b e r g a n g „ a u s einem .System' in ein anderes, sondern dieser O b e r g a n g ist eine V e r w a n d l u n g " (582). 3 I w a n d bezeichnet theologisches Erkennen als „einen diskursiven A k t " , der F r a -

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In dieser Struktur theologischen Denkens ist der grundsätzlich dialogische Charakter Iwandschen Reflektierens begründet. Dialogischer Denkstil bedeutet hier angewandte und umgesetzte theologia crucis. Dialog ist hier von vornherein vollzogener Denkprozeß und nicht Angelegenheit von Konstruktionen oder Postulaten4. Gerade das aber bedeutet nicht, daß wir im Dunkeln tappen oder daß Theologie als Verzichtleistung auf assertorische Aussagen zu begreifen wäre, daß ihre Funktion und Substanz sich im Fragen und Aufweisen oder Analysieren von Fragestellung erschöpfen könnte. Es ist sehr bezeichnend, daß an den Stellen, da für Iwand sich der Durchblick auf das Ziel eröffnet, an den Punkten, die die Ausrichtung des Weges nach vorn, die den Blick auf das Ziel freigeben in beeindruckender Ausschließlichkeit die Dimension der certitudo zur Sprache kommt. Zu Iwands bevorzugt gebrauchten theologischen Zitaten gehört der Satz aus Luthers klassischer reformatorischer Schrift De servo arbitrio: Spiritus sanctus non est scepticus5. Es geht Iwand in der Tat um nichts anderes und um nichts geringeres als um die assertio dieser certitudo. Dazu schreibt er seine Predigtmeditationen, daß wir Wege suchen und finden, auf denen wir zu dieser certitudo gelangen. Es geht ihm also gerade bei den Predigtmeditationen um den Durchbruch von der Skepsis zur Gewißheit, von der Anfechtung zum Glauben, ja, vom Glauben zum Schauen — es geht letztlich um den Durchbruch vom Tode zum Leben, um das Vergehen des Alten und um das Werden des Neuen. Das ist das anvisierte Ziel, auf das hin seine Predigtmeditationen ausgerichtet sind. Diese certitudo läßt sich freilich niemals als eine unserer eigenen Möglichkeiten verstehen und vollziehen. Sie ist und bleibt Widerfahrnis. Aber gerade dieser Sachverhalt besagt, daß die certitudo dem Raum des Utopischen entnommen ist, daß sie Realität ist und immer wieder neu wird, daß sie eben nicht als Ideal begriffen werden kann. Gerade von der „extra nos" begründeten Wirklichkeit der certitudo sind nach Iwand assertiones, assertorische Aussagen möglich und darum auch als Aufgabe der Verkündigung in der Predigt geboten. Diese Aussagen zu ermöglichen, ist die Aufgabe, die sich Hans Joachim Iwand für seine immer neu einsetzende theologische Bemühung und Arbeit gestellt hat. Diese Aufgabe ist der entscheidende Antrieb seiner theologischen und menschgen und Gespräch meint. D a z u : N W I, 2 5 0 . Vgl. audi den V o r t r a g „Theologia crucis" ein J a h r v o r seinem Tode. N W II, 3 8 1 ff. 4 Z u r Diskussion über Dimension und Struktur des Dialogischen unter verschiedenen Aspekten vgl. K o n t e x t e , Bd. 5, hrsg. v . H . J . Schultz, S t u t t g a r t / B e r l i n 1 9 6 9 . V o r allem sind hier auch die einschlägigen W e r k e M a r t i n Bubers zu diesem Fragenkreis heranzuziehen und eingehend zu bedenken: Ich und D u . Sowie: Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg 1 9 5 8 . 5 Clemen I I I , S. 100. Vgl. auch Iwands A u f s a t z : Die grundlegende Bedeutung der Lehre v o m unfreien Willen für den Glauben. I n : U m den rechten Glauben, S. 13 ff.

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liehen Existenz, die sich bei ihm stets in einer sonst nur ganz selten erreichten und verwirklichten Einheit finden. Sein ganzes theologisches Denken, seine geradezu vulkanartig aufbrechende theologische Leidenschaft und Kreativität stehen im Dienst der Ermöglichung dieser unsere ganze Wirklichkeit wandelnden assertorischen Aussagen. „Unsere wissenschaftliche Arbeit ist nur da theologisch, wo in ihr und durch sie die Berufung zur Verkündigung geschieht." 6 Bereits im Jahre 1921 bezeichnet Iwand, zweiundzwanzigjährig, die Theologie als eine „Lebensarbeit, dergegenüber ich f r o h sein werde, wenn sie meine K r ä f t e in ihren Dienst n i m m t " ( N W VI, 48). Der Respekt vor dieser Leistung im Dienst so verstandener Theologie, die sein Lebenswerk bedeutet, mit der er zugleich sein Vermächtnis hinterlassen hat — denn im Ringen um dieses theologische Werk hat er sich schließlich verzehrt — läßt es gewiß nicht als zu hoch gegriffen erscheinen, wenn man von H a n s Joachim I w a n d als von einem „der großen Theologen dieses J a h r h u n derts" spricht 7 , dem ein gleichrangiger Platz mit Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer durchaus zukommt 8 . Umso weniger verständlich bleibt es allerdings, daß dieses Lebenswerk von so weittragender theologischer Bedeutung bis jetzt jedenfalls weithin unerkannt und darum auch ungenutzt geblieben ist 9 . Die eben umrissene und aufgezeigte dialektische D y n a m i k k a n n wohl als das hervorstechendste Merkmal an Iwands theologischer Arbeit angesehen werden. Sein theologisches Denken ist von dem Vollzug dieser Dynamik wesentlich geprägt. Seine menschliche Existenz beinhaltet ein ständiges Sich-Aussetzen und Sich-Öffnen gegenüber dieser D y n a m i k . Wenn man bei ihm nach einem durchgängigen methodischen Vorgehen fragt, dann ist es vor allem darin zu suchen, d a ß er in dieser Dynamik ansetzt und versucht, sie durchzuführen — bis zu dem Punkt, der den Zugang zu dem W o r t eröffnet, das Träger assertorischer Aussagen ist; mehr noch: zu dem Wort, das assertorische Wirklichkeit setzt. Von diesem Ansatz und Verständnis theologischer Arbeit und von diesem Vollzug systematisch-theologischen Denkens her wird einsichtig, d a ß sich die Relevanz dieser Theologie und ihrer assertorischen Aussagen nicht innerhalb ihrer selbst erweisen kann. Sie ist nicht mit H i l f e einer Theorie aufzuzeigen oder allein durch Rationalität zu verifizieren. Theologische Relevanz erweist sich in diesem Zusammenhang darin, das Aussage als Z«sage gewagt wird; darin, daß der Akt vollzogen wird, in dem das 6

Zitiert bei Gollwitzer, Vorw. zu Iwand, Pred.-Med., S. 8. H. Gollwitzer in seinem Vorwort zu H. J. Iwand, Pred.-Med., S. 10. 8 K.-M. Beckmann, Glaube und politische Existenz des Christen in der Theologie H. J. Iwands. In: Ev. Theol. 31, 1971, S. 211. 9 Ders., a.a.O., S. 210. Vgl. auch das Vorwort von W. Fürst zu GPM 27, 1972, Η. 1, S. 1, in dem er H. J. Iwand als in den westdeutschen Kirchen vergessen bezeichnet. 7

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Wort und der Mensch in seiner Wirklichkeit konfrontiert werden. Anders formuliert: die Relevanz theologischer Arbeit und assertorischer Aussagen erweisen sich für Iwand im stets neu zu wagenden Akt der Verkündigung — und nicht in der Unterbreitung von entlehnten Informationstheorien. Von daher ergibt sich Iwands Verständnis von Theologie letztlich als Durchstoß zur Botschaft, als Hilfe zur Verkündigung, als Ermöglichung schriftgemäßer und das heißt: menschbezogener und weltzugewandter Predigt. Diese Hilfe kann für Iwand jedoch nicht allein dadurch geleistet werden, daß die Gestalt, vor allem die Sprache der Predigt reflektiert wird. Wohl hat er gesehen, wieviel gerade auch auf dem Gebiet der Gestalt der Predigt aufzuarbeiten und nachzuholen ist, wie sehr gerade das Bemühen um Gestalt und Sprache der Predigt zu Unrecht weithin vernachlässigt worden ist. Und er hat an seinem Teil zur Lösung auch dieser Aufgaben beigetragen. Aber er hat ebenso klar gesehen und entschieden zum Ausdruck gebracht, daß es wesentlich nicht um die Gestalt, sondern um den Inhalt der Verkündigung geht, daß vor allen Dingen die materiale Homiletik und nicht die formale zur Diskussion und zur Entscheidung steht. Er hat daher in geradezu bezwingend visionärer Weise die Notwendigkeit herausgestellt, daß es bei Theologie und Verkündigung nicht nur um Soziologie oder Philosophie der Sprache, sondern daß es dabei wesentlich um Sozialität der Sache geht; daß es darum geht, „theologische Sprachlehre auf die fundamental-theologischen Probleme auszurichten" und „von da aus in die vielen Einzelprobleme der Verkündigungssprache sowie der Gebetssprache vorzustoßen" 1 0 . Iwand hat diese grundlegende Einsicht, die ja in ihrer Dringlichkeit gerade auch f ü r die Aporien der gegenwärtigen theologischen Diskussion der Suche nach zeitgemäßer, und das heißt doch: sachgemäßer Verkündigung zunimmt, sehr bezeichnenderweise gerade nicht in der Gestalt einer Verkündigungs- oder Predigttheorie, im Stil einer Theorie theologischer Kommunikation formuliert; er hat sie nicht als Worttheologie oder Sprachsoziologie entwickelt und damit systematisiert im Sinne von fixiert. Die Diastase von Theorie und Wirklichkeit und damit auch die Diastase von Theologie und Kirche, von Wissenschaft und Leben ist ihm wesensfremd 11 . Er hat vielmehr versucht, diese ihm grundlegend wichtige Einsicht an biblischen Texten evident zu machen: „Auf die faktische Bewegung" (354) exegetisch und dogmatisch hinzuweisen, die sich in den Texten und im theologischen Raum vollzieht. Seine Bemühung geht dahin, „den Wortlaut des Textes verbindlich" zu machen, die Verhei10

G. Ebeling, Einführung in theologische Sprachlehre, Tübingen 1971, S. 258. Vgl. die Ausführungen in Kap. I dieser Arbeit passim. Die Theologie steht für Iwand „wie jeder echte Beruf jenseits des Gegensatzes von Theorie und Praxis" ( N W I, 219). 11

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ßung zu entfalten, „die im Text enthalten ist" (60). Dieses Bemühen geht bei Iwand vor sich als ein ständiges „Ausschauhalten", „ein Rufen und Fragen", als ein „Postenbeziehen an der einzigen Stelle, wo wirklich Hilfe k o m m t . . . und ein neuer, gewisser Geist unser wartet". Zu den „hoffnungsvollsten Zeichen unserer Zeit" rechnet er die Tatsache, „daß die Bemühung um die Predigt zu einer Sache vieler geworden ist, daß auch die Nicht-Theologen hier mitwirken, daß die ganze Gemeinde zu begreifen anfängt, wieviel an der rechten Verkündigung hängt". Es wird nach wie vor entscheidend darauf ankommen, daß dieses Zeichen unter uns aufgerichtet bleibt als ein „Hungern und Dürsten nach der ,Predigt von morgen'" (196 f.). Die von Iwand seit 1945 bis zu seinem unerwartet jähen und allzu frühen Tode 1960 regelmäßig verfaßten Predigtmeditationen stellen das immer neu versuchte und in Angriff genommene Unternehmen dar, in dem eben gekennzeichneten Sinne Anrede an den Menschen heute zu ermöglichen, assertorisches Wort der Predigt für die Wirklichkeit heute zu erschließen. Das von Iwand nach dem Zusammenbruch ins Leben gerufene und lange Jahre hindurch bis zu seinem Tode betreute Werk der „Göttinger Predigtmeditationen" — eine der auflagenstärksten theologischen Zeitschriften der Gegenwart in evangelischem Raum — ist ebenfalls unter dieser theologischen Aufgabenstellung und Zielsetzung zu sehen. Iwands eigene dazu beigesteuerten Predigtmeditationen, die auch in einem von Helmut Gollwitzer besorgten und mit einem Geleitwort versehenen Sammelband vorliegen 12 , bieten den Ertrag seiner theologischen Arbeit und den Stil seines theologischen Denkens in dichtester Gestalt. Hier findet die ihm eigene Dynamik ihren intensivsten Niederschlag. Er selbst hat seine Predigtmeditationen f ü r das Herzstück und den Ernstfall seiner Theologie gehalten und sie als seine eigentliche theologische Arbeit verstanden. Hier sind die Linien eingefangen und zusammengefaßt, die in der immer wieder Staunen erregenden Weite seines Horizontes und Denkens sichtbar werden. Es soll nun im folgenden weiter versucht werden — um mehr als um einen Versuch kann es sich nicht handeln —, diesen theologischen Denkprozeß, wie er in den Predigtmeditationen Iwands vor sich geht, in seiner Dynamik, die auf Ermöglichung assertorischer Zusagen abzielt, in Sicht zu bekommen. Dabei sollen einige Aspekte aufgezeigt, Akzente gesetzt und Perspektiven entfaltet werden, die Iwand mit seinen Meditationen in das nach wie vor dringliche Bemühen um Ermöglichung und Erneuerung der Predigt eingebracht hat. Dieser Versuch verfolgt die Absicht, der Grundintention von Iwands theologischer Arbeit: Texte der Schrift zum Wort, das den Menschen und seine Wirklichkeit betrifft, angeht und 12

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Göttingen 1963.

verwandelt, aufzuschließen, etwas auf die Spur zu kommen. An diesen Versuch knüpft sich im Hinblick auf die Aufgabe der Verkündigung heute die Erwartung, daß hier wie sonst kaum oder bis jetzt jedenfalls nur ganz selten zu lernen ist, wie unter uns Texte der Schrift zum Wort der Anrede, des Zuspruchs und Anspruchs, werden können; zum Wort, das uns betrifft und angeht, das uns sagt, was wir uns nicht selbst sagen können, was aber zu hören vorrangig notwendig ist. Bei diesem Versuch legt sich die Konzentration und Beschränkung auf Iwands im erwähnten Band vereinigten Predigtmeditationen von der Sache her aus den genannten Gründen nunmehr nahe. Ehe wir an exemplarischen Modellen seiner Meditationen einzelne Schritte aufzeigen, in denen Iwand Texte erschließt und Zugänge zu ihnen eröffnet, erscheint ein kurzer Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Predigtmeditationen angebracht. Sie bildet nämlich den Kontext, der von diesem Unternehmen nicht wegzudenken ist. 2. Dialog als Zum biographischen und Hintergrund der

Zeitgenossenschaft situationsgeschichtlichen Predigtmeditationen.

Der Zusammenbruch 1945 ist für Iwand auch ein Zusammenbruch bisheriger Verkündigung. Die damals hoch im Schwange gehende Rede von der „Gnade des Nullpunkts" hat er nicht ungebrochen und selbstverständlich mitsprechen können; nicht ohne mit ganzer Kraft und mit der Leidenschaft seines Engagements zu reflektieren und zu meditieren, was denn an diesem Nullpunkt, in dieser Katastrophe der Geschichte, die er als die größte und folgenschwerste des deutschen Volkes nicht nur wertet sondern in geradezu ergreifender Weise auch erleidet, Gnade bedeuten könnte 13 . Es bohrt in ihm unablässig die Frage, ob es das überhaupt noch geben könnte, daß Menschen und Völker in solchem Inferno Gottes Gnade: einen Neuanfang zum Leben erfahren und empfangen. Daß Verkündigung an diesem „Nullpunkt" möglich wird, ist Iwand alles andere als etwas, was sich von selbst ergibt, was einfach weitergeht als ein Stück unserer geistigen Produktivität. Es geht eben nicht „ohne weiteres" weiter. Sondern auch hier geht es um die Frage des neuen Anfangs. In diesem Neuanfang der Verkündigung sieht Iwand nicht nur die entscheidende Voraussetzung sondern die einzige reale Möglichkeit auch für den Neuanfang, die neue Lebensmöglichkeit für die Menschen und Völker, die nach diesem Zusammenbruch übrig geblieben sind, er sieht darin die 13 Vgl. dazu etwa N W II, 128 ff., wo sich Iwand zur „Gnade des Neuanfangs" am „Nullpunkt unserer Existenz" äußert.

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entscheidende Orientierung für die ersten Schritte derer, die die unvorstellbare Aufgabe des Neubeginns zu bewältigen haben. Die Katastrophe des Jahres 1945 vollzieht sich für einen Mann, der sich so wie Iwand mit seiner Kirche und mit seinem Volk — gerade auch mit Ostpreußen, das der geborene Schlesier als seine eigentliche Heimat angesehen hat und dessen weitausladende Landschaft mit ihren großen Horizonten auch die Weiträumigkeit seines theologischen Denkens und seines jeder Kleinlichkeit abholden Wesens entscheidend geprägt hat 14 — schicksalhaft verbunden weiß, nicht überraschend. Er hat sie lange kommen sehen. Aber gerade darum hat sie ihn so gequält. Gerade darum kann er sie nicht als blindes, sinnloses Geschick, als nichtssagendes Fatum hinnehmen. Im Widerfahrnis dieses Zusammenbruchs stellt sich ihm vielmehr die Frage nach dem Zusammenhang von Glaube und Geschichte, von Theologie und Wirklichkeit, die eine der großen Leitfragen ist, die sein Denken immer wieder bewegt. Hier liegt der Grund dafür, daß für Iwand Wort und Welt grundsätzlich und in jedem Falle aufeinander bezogen sind und unter sich kommunizierend verstanden werden. Bereits in der Kampfzeit der Kirche gegen den Nationalsozialismus, die Iwand anfänglich gemeinsam mit den nahen Freunden und theologischen Weggenossen Julius Schniewind, Martin Noth und Günther Bornkamm in Ostpreußen durchsteht 15 , geht es ihm, — wie ein Titel gesammelter Aufsätze es nennt: „um den rechten Glauben", das heißt: um den Vollzug des Zutrauens zum Wort der Verkündigung in bestimmter Situation, zum Wort, das in seiner Relevanz für die Welt wirksam ist. Was Iwand in Gemeinschaft mit den genannten engen Freunden damals für die klare und eindeutige theologische Ausrichtung der Verkündigung, der Kirche sowie der Pfarrerschaft in Ostpreußen, aber auch weit darüber hinaus bedeutet, wird man wohl nur schwer zu hoch veranschlagen — ähnlich wie seinen Beitrag zur Verständigung und seinen hervorragenden Anteil an ersten Versuchen der Versöhnung mit den Völkern des europäischen Ostens nach dem Kriege. Eine Aufgabe, die er sicher nicht von ungefähr als einer der ersten überhaupt in ihrer Tragweite erkannte und der er sich deshalb mit unvorstellbarer Intensität und ohne Rücksicht auf seine Gesundheit widmete. Die Anfeindungen, die ihm gerade daraus erwachsen sind, nimmt er als Anfechtungen auf sich, die das Wort erzeugt und die wiederum auf das Wort merken, nach ihm fragen und Ausschau halten lassen. Dieser nur mit ganz groben Strichen skizzierte biographische und 1 4 Dazu die schöne, Iwands Wesen sehr nahekommende Charakteristik von H. Gollwitzer, Vorwort zu H. J. Iwands Pred.-Med., S. 9. 1 5 Vgl. H.-J. Kraus, Julius Schniewind. Charisma der Theologie, Neukirchen 1965. Bes. S. 23.

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situationsgeschichtliche Hintergrund muß nicht zuletzt mitbedacht werden, wenn man die Tragweite und Leidenschaft in Blick bekommen will, mit der hier ein Mann „um den rechten Glauben": um die Geltung und Wirkung des Evangeliums in der Welt, ringt. Und das bedeutet für Iwand: Wagnis des neuen Anfangs, Sehen, Verstehen, und Vollziehen der Wirklichkeit, wie es die rechte Verkündigung zur Folge hat. Anders ausgedrückt: Rechter Glaube bedeutet nach Iwand Sehen, Verstehen und Vollziehen der Wirklichkeit im Geschehen der Verkündigung, die an den Menschen ergeht. Hier liegt der wesentliche Grund dafür, daß Iwands ganzes theologisches Bemühen und Werk da einsetzt und immer wieder neu an diesen Anfang zurückkehrt, wo es um die Initiierung und Bewältigung des theologischen Denkprozesses geht, der diese Verkündigung erschließt, der den Zugang zum assertorischen Wort eröffnet — zum Wort, das den neuen Anfang setzt und darum audi ermöglicht, das den rechten Glauben wirkt, der eine neue Sicht der Wirklichkeit und ein neues Verhalten in der Wirklichkeit schafft. Mehr noch: Es geht um das Wort, das keine Theorie über das Leben entwickelt sondern das das Leben selbst neu ermöglicht, das aus dem Nichts, vom Nullpunkt aus Leben schafft. So ist Iwands ganze Theologie schließlich nicht anders zu verstehen denn als Verantwortung für die Predigt. Als ein Eintreten und Einstehen dafür, daß der Text aus der Schrift zum Wort für den Menschen wird. Seine Predigtmeditationen geben dieser Theologie den ihr besonders adäquaten Ausdruck. 3. Dialog zwischen exegetisch und systematisch orientierter Predigtarbeit In dem Sammelband der Meditationen liegen über 100, insgesamt 122 Textbearbeitungen aus den Jahren 1945 bis 1960 vor; acht Texte davon sind zweimal behandelt. Abgesehen von zehn alttestamentlichen Perikopen sind alle übrigen den neutestamentlichen Reihen entnommen. Die Evangelientexte bilden den weitaus stärksten Anteil: nämlich achtundfünfzig. Das bedeutet: fast die Hälfte aller Bearbeitungen bieten Abschnitte aus den Evangelien dar. Einen weiteren, rein zahlenmäßigen Schwerpunkt bilden Texte aus dem Corpus Paulinum. Die Auswahl der Perikopen folgt — von geringen Ausnahmen und Korrekturen abgesehen — der von der Lutherischen Liturgischen Konferenz erarbeiteten und edierten „Ordnung der Predigttexte" 16 . Schon ein erster Überblick über das hier vorgelegte Material zeigt, daß es sich bei Iwands Arbeiten nicht um Meditationen in herkömmlichem Sinne, nach einem bekannten, bereits eingeführten Schema gefertigt, "

Berlin 1958.

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handelt. Was Iwand unter dem Sammelbegriff „Predigtmeditationen", der bis jetzt ja ohne präzise Definition und nach vielen Seiten hin offen gebraucht wird 17 , liefert, kann durchaus als Gattung sui generis gelten, dergegenüber alle Versuche einer Schematisierung sich von vornherein als inadäquat erweisen. Die Äußerungen Iwands in den Predigtmeditationen sind innerhalb der homiletischen Literatur von ganz eigenem spezifischen Gewicht, nicht nur was ihre ungewöhnliche Intensität der Textbearbeitung angeht. Diese Art von Meditationen läßt sich darum auch nicht subsumieren unter das, was bisher in reicher Auswahl nach einem bestimmten Schema als Predigthilfen, Predigtstudien oder auch Predigtmeditationen — wie immer die Bezeichnungen variieren mögen — in ganz verschiedener Weise angeboten wird. Dieser Tatbestand hängt keineswegs nur mit Iwands Temperament und Originalität zusammen, von denen man wohl auch mit Recht sagen kann, daß sie die Kategorien des Herkömmlichen und Gewohnten sprengen und weit hinter sich lassen. Hier reicht weder menschliches noch theologisches „Normalmaß" aus. Die Intensität und Originalität seiner Meditationen liegt vielmehr in der Sache, im behandelten Gegenstand selbst begriffen und begründet. Darin, daß hier ein Mann Texte auf eine ganz eigene Weise hört und ihren Gehalt der Anrede aus diesem Hören heraus formuliert. Diese vorgefaßte These gilt es nun im folgenden zu entfalten und zu begründen. Man findet kaum eine Textbearbeitung, die Iwand mit der Exegese, jedenfalls mit der Exegese im historisch-kritischen Sinne beginnt. Der Ausgangs- und Ansatzpunkt liegt — wie noch zu zeigen sein wird — 18 meistens ganz woanders. Es ist für Iwand eine grundsätzliche Frage, „woher wir das Recht nehmen, als Auslegung unserer Texte nur die wissenschaftliche Exegese unserer Zeit anzusehen" (195). Dieser Sachverhalt läßt sich nicht von daher erklären, daß Iwand systematischer Theologe und folglich etwa an der historisch-kritischen Exegese womöglich nicht sonderlich interessiert und an ihren Fragestellungen und Ergebnissen nur wenig orientiert gewesen sei. Solch ein Schluß wäre ein totaler Kurzschluß. Nicht nur deshalb, weil Iwand gerade die Arbeit der historischkritischen Theologie als „Verantwortung vor dem ,Text"' zu würdigen weiß (564), sondern weil er auch bei der eigenen Arbeit ständig mit historisch-kritischer Schriftauslegung befaßt ist. Wer Iwands Arbeits17 Schon der Titel des gedruckten Vortrags von M. Seitz „Zum Problem der sogenannten Predigtmeditationen" weist auf die Offenheit im Gebrauch dieses Begriffs hin. In: Die Predigt zwischen Text und Empirie, Stuttgart 1969. Eine gute Übersicht und einen bedenkenswerten Vorschlag der Präzision des Begriffs gibt auch H. Schröer in seiner bisher unveröffentlichten Heidelberger Habilitationsschrift zur Thematik Predigtmeditation. 18 Vgl. die Ausführungen zu den Zitaten und den Anläufen in Kap. III und VI dieser Arbeit, S. 55 ff. und S. 125 ff.

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weise auch nur ein wenig kennt oder gar erlebt hat, weiß, und wer seine Predigtmeditationen unter diesem Gesichtspunkt einmal aufmerksam liest, wird gewahr, wie sehr er permanent auch mit Detailfragen der historisch-kritischen Exegese intensiv beschäftigt und an ihnen nicht nur interessiert, sondern stark engagiert ist. Iwand gesteht im Gefolge der Schriftauslegung Luthers mit einer Eindeutigkeit wie selten ein Theologe, der das Fach der Systematik vertritt, der Exegese den Primat innerhalb der Theologie zu, wenn er von dem „Voranstehen der exegetischen Arbeit" spricht und diese Formulierung dahin präzisiert, daß er sagt: „Alle Theologie ist notwendigerweise Exegese." 19 Damit ist aber grundsätzlich klargestellt: „Das Thema der Theologie konstruieren wir nicht, sondern wir finden es vor. Und wir behandeln es im Nachdenken, im immer erneuten Vollzuge des ursprünglichen und darin freilich ausgezeichneten Ansatzes" 20 . Bei der Frage nach dem Stellenwert der Exegese in Iwands theologischer Arbeit ist ferner folgendes zu bedenken: Er hat ja während seiner ganzen Lehrtätigkeit eigene Exegetica getrieben und hat zeitweise auch einen Lehrauftrag eigens für Neues Testament wahrgenommen. Zu nennen sind hier seine exegetischen Veranstaltungen im Königsberger Lutherheim und der Auftrag zur Verwaltung der Dozentur für Neues Testament in Riga 21 . Die Emanzipation der Systematik von der Exegese hat er immer als Gefahr gesehen — wie übrigens umgekehrt die Isolation der Exegese von der Systematik ebenso —, und er hat gerade in seinen Predigtmeditationen versucht, dieser äußerst akut gebliebenen Gefahr einer Diastase, eines beziehungslosen Nebeneinanders von Exegese und Systematik entgegenzuwirken22. Sein ganzer theologischer Nadilaß, besonders eben die Predigtmeditationen23, ist nicht zum geringen Teil ein Zeugnis auch dieses Bemühens. Die Bezogenheit der exegetischen und systematischen Theologie aufeinander und ihre Zusammengehörigkeit gerade in ihrer verschiedenartigen Funktion unter einer Klammer kann letztlich auch nicht anders denn als eine der Konkretionen von Iwands Verständnis von Gesetz und Evangelium angesehen werden. Sie besteht für ihn nicht als methodische oder didaktische Zusammengehörigkeit sondern als sachlich begründete und als theologisch motivierte. Denn die exegetische Schriftauslegung Alten und Neuen Testaments ist schon durch diese Unterscheidung vor eine systematischU m den rechten Glauben, S. 210. Ebd. 2 1 Vgl. dazu die brieflichen Äußerungen Iwands gegenüber Rudolf Hermann N W VI, 60 u. 266. 2 2 In diesem Bemühen weiß Iwand sich u. a. einig mit Hermann Diem. Vgl. H . Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft, Band I — I I I , München 1951 ff. und Iwands Votum zum II. Band des Diemschen Werkes in Pred.-Med., S. 470. 2 3 Vgl. Iwands Vorwort zum 8. Jg. der GPM 1 9 5 5 / 5 6 in: Pred.-Med., S. 470 f. 19

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theologische Frage und Aufgabe gestellt: sie ist nämlich „genötigt zu sagen, was diese Zweiheit bedeutet"24. Das Beziehungsfeld zwischen Exegese und Systematik ist bei Iwand nicht prinzipiell zu fixieren. Es artikuliert sich als Problembereich polarer Einheit, dessen Spannung im Vollzug theologischer Arbeit aufgenommen und möglichst offen durchgehalten werden muß. In solchem Offensein theologischer Reflexion ergibt sich Produktivität und Kreativität assertorischer Aussagen. Dieses Offensein bedeutet letztlich Ernstnehmen der pneumatologischen Dimension25. Die Pneumatologie aber bedeutet nicht zuletzt theologisch legitime Rückkoppelungsfunktion gegenüber historisch-kritischer Exegese und damit systematisch-theologische Aufarbeitung ihrer Ergebnisse. „Unsere Systematik kann nicht mit Axiomen beginnen wie die Mathematik und eine more geometrico entfaltete Ethik, sondern sie muß damit anheben, daß ein Bericht vorliegt, eine Kunde, eine Botschaft, die es auszulegen gilt. Freilich so, daß sie im Zusammenhange des Ganzen erfaßt wird, und darum nicht, ohne sich den Maßstäben wissenschaftlichen Erkennens zu unterziehen. Wir wollen erkennen, was wir glauben; denn sonst kann es nicht zu einem von meiner Subjektivität gelösten, frei herausgestellten Zeugnis kommen."26 Um den Vollzug dieser Loslösung theologischer Aussagen von der Subjektivität, darum also, assertorisches — nicht objektiviertes und objektivierbares! nicht apodiktisches aber auch nicht hypothetisches — Wort zu ermöglichen, geht es Iwand audi bei der Frage nach dem Verhältnis zwischen exegetisch und systematisch geleiteter theologischer Arbeit. Auch bei dem Bemühen der legitimen Integration der historisch-kritischen Exegese in den Gesamtzusammenhang der Schriftauslegung werden wir einen — wenn man so will — mehr biographischen Aspekt bei Iwand nicht übersehen dürfen, der aber, wie im Grunde alles bei ihm, sehr mit der Sache verbunden ist: Nicht zufällig nimmt die Freundschaft und das intensive Gespräch mit so namhaften und qualifizierten Vertretern der historisch-kritischen Exegese wie Julius Schniewind, Martin Noth und Günther Bornkamm in Iwands Leben und in seiner Arbeit einen so exponierten Platz ein27. Ebenfalls gehört in diesen Zusammenhang der Hinweis darauf, daß sich Iwand der historisch-kritischen Arbeit von Ernst Käsemann, dem Freunde und Weggenossen aus der Bekennenden Kirche Westfalens, stets verbunden wußte und sie mit ihrer Relevanz für die Erschließung der Texte des Neuen Testaments eingebracht hat — gerade auch durch die Autorschaft Käsemanns bei den Göttinger PredigtUm den rechten Glauben, S. 210 Vgl. die von der Pneumatologie her entwickelte wichtige Predigtlehre Rudolf Bohren. Einführung in die ev. Theologie, Bd. 4, München 1971, bes. § 4. 2 6 Um den rechten Glauben, S. 210 f. 2 7 Vgl. N W VI, 271 und passim. 24

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von

meditationen 28 . Auch das Unternehmen der Göttinger Predigtmeditationen hat Iwand weitgehendst als Gesprächsforum mit Exegeten verschiedenster Positionen verstanden; und das Urteil geht wohl nicht fehl, das dem Ertrag des dort geführten Gesprächs im Rahmen der gesamten theologischen Diskussion erhebliche Bedeutung zuerkennt. Gerade dieser Tatbestand, daß Fragestellung und Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese von Iwand nicht isoliert betrachtet und behandelt werden, sondern daß sie systematisch aufgenommen und verarbeitet sind, besagt, daß die Exegese in ihrer Funktion ernst genommen und mit der Relevanz ihrer Arbeit berücksichtigt ist. Denn die systematisch-theologische Verarbeitung exegetischer Intentionen bietet mehr als anderes die Gewähr dafür, daß die Offenheit der theologischen Arbeit für die Pneumatologie gewahrt bleibt und daß die Exegese die Kategorie des Historischen durchstößt, daß sie den Bereich überschreitet, in dem es beim Referat historischer Fakten und Tatbestände, „exegetischer Richtigkeiten" bleibt. Der Ort und das Ausmaß der exegetischen Passagen oder auch nur Anmerkungen, die im Vollzug von Iwands Predigtmeditationen auftauchen, richtet sich danach, wie weit es sich als nötig erweist, Einsichten, zu denen der Text führt, und Inhalte, die er bietet, durch Argumente und Darlegung historisch-kritischer Exegese evident zu machen. So verstanden ist die Exegese Material, integrierter Bestandteil des Reflexionsprozesses, der Bewegung, die der Text auslöst und der die Meditation folgt, aus der heraus die Meditation entworfen und gestaltet ist. 4. Dialog zwischen „Text" und „Situation" Damit ist bereits eine entscheidende Weichenstellung für den Vollzug der Predigt getroffen, zu dem die Meditation anleiten und hinführen will, dessen Entstehen und Werden sie herbeiführen will — nämlich folgende: Die Predigt, die den Reflexionsprozeß aufnimmt und die Bewegung durchhält, die der Text initiiert, die im Text angelegt ist, ist gegenüber der Gefahr immun, die in der heutigen Diskussion völlig zu Recht besonders apostrophiert und als Stelle großen Mangels im Sinne eines Kommunikationsverlustes aufgedeckt wird, gegenüber der Gefahr, Monolog zu sein, wobei zu bedenken bleibt, „daß auch die ,monologische' Rede ,virtueller Dialog' ist" 2 9 . Die Dimension des Dialogischen ist bei 2 8 Vgl. die Predigtmeditationen im 1. Bd. der Ges. Aufsätze Käsemanns: Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960, S. 237 ff. Auch: E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 1968, bes. Vorwort S. 14. 2® Heribert Arens, Die Predigt als Lernprozeß, München 1972, S. 13. Wir kommen bereits hier auf ein Problem zu sprechen, das im VII. Kap. dieser Arbeit im Zusammenhang mit der Inkarnation eigens zu behandeln ist. Es entspricht der Struktur

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Gandras, Predigt

Iwand von vornherein konstitutiv für die Auslegung des Textes und folglich auch für die Predigt. Iwand erkennt, bezeichnet und vollzieht „das Gespräch", also den Dialog als „die Grundform, die Wurzel, die Mitte aller Verkündigung" (291). Dialog bedeutet hier aber keineswegs etwas nur Formales, das beispielsweise schon dadurch gegeben ist, daß etwa statt eines Sprechers mehrere reden. Dialog ist hier sachlich, inhaltlich verstanden und gemeint, und das bedeutet: Gespräch, Dialog, „bei dem Gott der Partner ist und nicht etwa zwei Menschen sich ,über' Gott unterhalten". Solcher Dialog „ist das Geheimnis der Predigt und der Kirche schlechthin. Wo das nicht mehr gewollt, gewußt und geglaubt wird, wo man an die Stelle des ,lebendigen Wortes' eine Sache setzt (audi das Dogma kann eine solche Objektivierung sein) . . . , da hört die Kirche auf, Kirche zu sein" (ebd.)30. Dieser grundlegend wichtige Aspekt ist doch nach wie vor für alle notwendige Überlegung über dialogische Struktur der Verkündigung31 ganz gewissenhaft zu bedenken. Sonst kommt es zu dem, was Iwand im Jahr vor seinem Tode fast wie in einer visionären Ahnung „die zunehmende Auszehrung der Theologie" genannt hat. „Die Probleme werden langweilig und die Lösungen tendenziös" (NW VI, 310). Schon 1934 sieht er auch in dieser Hinsicht Anfänge, denen es zu wehren gilt, wenn er in einem Brief an Rudolf Hermann zu bedenken gibt, „ob das nicht die eigentliche Frage ist, vor der wir heute stehen, diese Herauslösung der ursprünglich theologischen Gegebenheiten aus ihrem wesensmäßigen Zusammenhang und ihre Übertragung in das Gebiet der in sich geschlossenen irdischen Welt". Diese Herauslösung aber erscheint Iwand als „das absolut Gottlose, Verwerfliche. Wenn das gelingt, dann betet fortan der Mensch nur noch sich selbst an. Denn die Welt braucht ihre Götzen, um vor Gott sicher zu sein". Diese Preisgabe Gottes an die immanente Welt kann nach Iwand durchaus auch so geschehen, daß der christliche Sprachgebrauch beibehalten wird, aber „den Worten andere Inhalte" substituiert werden (NW VI, 273). Es erscheint überhaupt charakteristisch für Iwands gesamte Arbeit, daß er Probleme der jeweiligen Gegenwart nie nur im Zusammenhang des Tagesgeschehens betreibt, sondern ihre Ursache stets auch in nicht durchdachten und unaufgearbeiteten Fragen der Vergangenheit sieht. von Iwands theologischem Denkstil, in dem Ganzheit konstitutiv ist, daß derselbe thematische Tatbestand und Topos unter verschiedenem Aspekt und damit auch in verschiedenem Gedankenzusammenhang gesehen und dargestellt wird. Denselben Vorgang haben wir bereits bei der Thematik des Konfessionellen notiert. S. o. S. 35, Anm. 64. 3 0 Zur gleichwertigen Partnerschaft des Menschen im Dialog der Verkündigung vgl. Kap. IV u. VII dieser Arbeit. 3 1 Ein Versuch soldier Überlegung: H . - W . Heidland, Das Verkündigungsgespräch, Stuttgart 1969.

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Darin kommt etwas von dem prophetisch-visionären Zug gerade seiner theologisch-wissenschaftlichen Arbeit zum Ausdruck, bei der es nicht um irgendwelche Ergebnisse um jeden Preis, sondern um die Wahrheit geht, der gegenüber Fragen o f t angemessener bleibt als das Formulieren vermeintlicher Antworten. Mit dieser Art ist Iwand immer modern, aber nie modisch; stets zeitnah, aber nicht dem Zeitgeist hörig. Und das gerade macht das Schöpferische und Zeitgemäße seiner Gedanken aus 32 . Mit dem eben Ausgeführten ist ein weiterer Gesichtspunkt des Dialogs zwischen „Text" und „Situation" bei Iwand intendiert: die grundsätzliche und von vornherein gegebene Situationsbezogenheit der Predigt. Die Alternative oder gar Diastase: explicatio — applicatio ist hier nicht nur methodisch überspielt sondern von der Sache her aufgehoben. Die auch nur methodisch gemeinte Unterscheidung zwischen sogenannter textgeleiteter und situationsgeleiteter Textbearbeitung 33 ist deshalb problematisch und letztlich nicht überzeugend, weil sie nicht einsichtig besser als anderes Vorgehen die Gewähr d a f ü r bietet, daß auch wirklich der Sache nach dialogische Auslegung geschieht und daß bei solchem methodischen Verfahren nicht auch sachlich Text und Situation gegen alle Absicht doch voneinander isoliert werden und explicatio und applicatio ohne sachliches Verhältnis und ohne Zuordnung zueinander je f ü r sich vollzogen werden. Ob Text oder Situation isoliert sind — beides macht, je am extremen Punkt, Verkündigung uneffektiv, ja unmöglich. Denn wir haben bei der Predigt weder historischen Wahrheiten noch situationsanalytischen Betrachtungen als solchen das Wort zu reden. Es geht nicht an, „zwischen einer an sich richtigen explicatio und einer auf einem anderen Blatt stehenden, aus irgend welchen zeitlichen, psychologischen, materiellen und geistigen Nöten stammenden bzw. auf sie zu beziehenden applicatio" zu unterscheiden. „Wahrscheinlich wird, wo die applicatio nicht stimmt, auch die explicatio nicht stimmen. Denn die Richtung, in der das Wort Gottes uns trifft und anspricht, liegt in ihm selbst, das Wort behält sich auch in seiner ,Anwendung' selbst in der H a n d " (94) 34 . Bei der Erörterung der Funktion der historisch-kritischen Exegese im Gesamtzusammenhang der Schriftauslegung als assertorisches Wort, das sich an den Menschen der Gegenwart in der polaren Zuordnung von Gesetz und Evangelium wendet, und das als solches in seinem Vollzug grundsätzlich situationsbezogen — besser nicht „situationsgeleitet", denn 32

Hans Steffen (Hrsg.), Aspekte der Modernität. Kl. Vandenhoedt-Reihe 217, Göttingen 1965. 33 E. Lange, Brief an einen Prediger. Pred. Stud. 1/1, S. 7 ff. Ders., Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit. Predigtstudien, Beiheft 1, Stuttgart 1968. 34 Zum Problem der Applikation innerhalb der praktischen Theologie im weiteren Sinne vgl. Theologia Applicata. Monatsschrift für Pastoraltheologie 53, H . 10, Göttingen 1964, S. 386 ff.

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die Leitung der Auslegung sollte nicht die jeweilige Situation haben — ist, bleibt festzuhalten, was Iwand im Vorwort zu einem der letzten von ihm kurz vor seinem Tode edierten Jahrgänge der Göttinger Predigtmeditationen formuliert: „Die Exegese darf nicht zerfallen in Textauslegung und Anwendung. Beides muß so zusammengesehen werden, daß es sich hier nicht um eine willkürliche Anwendung handeln kann, sondern der Text selbst die Zielsetzung bestimmt, in der die Predigt zu gehen hat" (591). Denn Situationsbezogenheit, die ein konstitutives Element für jede verantwortete Predigt bedeutet, entsteht ja eben nicht dadurch, daß der Text zuerst „rein historisch-kritisch" und nicht in der Gesamtheit seiner Aussage gesehen und erschlossen wird. Audi die entscheidend wichtige Frage nach der Autorität, der Aktualität, nach der Modernität, der Zeitgemäßheit der Predigt — die Frage nach der Sozialität der Verkündigung, die in der gegenwärtigen Diskussion als Problem der Kommunikation und Effektivität geradezu emphatisch zur Debatte steht, erscheint in diesem Zusammenhang in einem anderen Licht. Sie wird mit der ganzen Problematik, die mit ihr zusammenhängt und die heute in ganzer Breite aufgebrochen ist 35 , keineswegs als etwas Zweitrangiges oder gar Letztrangiges, das sich dann schon gleichsam „von selbst" ergibt und regelt, behandelt. Sie wird aber auch nicht isoliert und damit verabsolutiert, so daß ihr gegenüber andere Sachfragen kaum noch Stellenwert haben. Legitime Autorität und Aktualität der Predigt, die immer auch ihre Sozialität bedeutet, die also auch die politische und gesellschaftliche Relevanz der Predigt uneingeschränkt meint, stellt sich nicht als Sonderfrage und kommt nicht als Akzidenz hinzu. Sie ist mit diesem Ansatz für Iwand von vornherein gegeben. Denn dabei ist der Text grundsätzlich nicht isoliert gesehen. Er bleibt nicht in seiner historischen Vergangenheit stecken, indem Exegetica für sich stehen, sondern er ist von Anfang an mit der Wirklichkeit, der Situation konfrontiert. Er ist selbst als ein Stück Wirklichkeit verstanden, das die Kraft des Dialogischen in sich enthält. Denn echter Dialog ist nicht möglich, ohne Überschreitung der Grenzen, die das Historische setzt. Er ist aber genauso nicht möglich — jedenfalls sinnvollerweise nicht möglich, ohne daß Kontinuität mit dem Historischen, mit der Tradition im weitesten Sinne gewährt und gewahrt wird. Belanglosigkeit und Langweiligkeit der Predigt, Predigt als „die instituionell gesicherte Belanglosigkeit" 36 haben ihre Ursache nicht allein darin, daß sie in den Grenzen historischer Vergangenheit bleibt und daß sie ihre Aussagen innerhalb der Grenzen des Historischen als „Richtig35 H . - D . Bastian, Theologie der F r a g e , München 1969. E . L a n g e , P . Krusche, D . Rössler, Zur Theorie und P r a x i s der Predigtarbeit. Predigtstudien, Beiheft 1, S t u t t g a r t / B e r l i n 1968. 3 e G . Ebeling, D a s Wesen des christlithen Glaubens, T ü b i n g e n 1961, S. 9.

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keiten" vollzieht. Sie gründen andererseits genauso auch darin, daß sie sich in den Grenzen der jeweiligen Situation bewegt. D i e punktuelle Konzentration der Predigt auf die jeweilige Situation ist für die Relevanz ihrer Aussagen ebenso gefährlich wie ihre historische Isolation. Die Isolation der Situation vom Text ist für Autorität und Q u a l i t ä t — und das heißt auch Sozialität — der Predigt ebenso beeinträchtigend wie die Isolation des Textes von der Situation. Sowohl die Befangenheit im Bereich historischer Vergangenheit ohne Situationsbezogenheit als auch die im Bereich momentaner Situationsbezogenheit ohne historische Kontinuität führen in gleicher Weise dazu, daß die Aussagen der Predigt steril sind. Diese Sterilität kann sich genauso in autoritärem Gebaren wie — kaum weniger autoritär — in situationsanalytischer oder auch situationskritischer Wichtigtuerei äußern. Beides ist im Grunde nur in verschiedener Weise Symptom des gleichen Schadens, den wir der Predigt zufügen und der es verhindert, daß sie eben nicht autoritär, d a f ü r aber umso mehr Autorität ist, daß sie etwas zu sagen und darum auch etwas zu bedeuten und zu bieten hat 3 7 . Text und Situation sind weder zu identifizieren noch zu isolieren, sondern sie sind zu integrieren und komplementär in Beziehung zu setzen. Hier bleibt ein unaufhebbares Gegenüber, das letztlich auch auf Iwands theologische Grundentscheiduni; in der Frage Gesetz und Evangelium zurückgeht, wenn anders der Text die Situation erhellen soll. Es macht die bestechende theologische Q u a l i t ä t und das spezifische Gewicht der Predigtmeditationen Hans Joachim Iwands aus, und es gehört mit zu ihren hervorragenden Charakteristika, daß sie an den Punkt führen und an dem Punkt ansetzen, der oberhalb der Diastase zwischen Exegese und Dogmatik, zwischen Text und Situation, zwischen Wort und Welt liegt. Die Wirklichkeit wird nicht in verschiedene Bereiche aufgespalten, sondern sie ist eine; und zwar eine dialogisch qualifizierte. Die Predigt, die hier ansetzt, die den im Text begründeten und angelegten Dialog aufnimmt und durchhält, hat die Gefahr der Belanglosigkeit und Sterilität überwunden. Sie wird ihre Autorität erweisen, indem sie Prozesse der Kommunikation, der Aktion und auch der Demonstration initiiert und in G a n g hält. Diese Prozesse aber laufen nicht im Sinne einer der Menschheits- und Weltgeschichte immanenten fortschreitenden Entwicklung ab. Sie sind vielmehr der ständige weltverändernde, weltverwandelnde Durchbruch des Neuen, das die Texte der Schrift mit der Wirklichkeit unserer Welt konfrontieren und das diese 3 7 Zur F r a g e der A u t o r i t ä t des A m t e s und der Predigt, die untereinander kommunizierende Größen sind, vgl. G e r h a r d Sauter, D i e Berufsrolle des P f a r r e r s im Widerstreit von A m t s a u t o r i t ä t und persönlicher Q u a l i f i k a t i o n . Sonderdruck 12 aus D t . P f a r r e r b l a t t , 69. J g . , Essen 1969. Z u m Amtsverständnis Luthers: Wilhelm B r u notte, D a s geistliche A m t bei Luther, Berlin 1959.

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Wirklichkeit als etwas Vorläufiges qualifiziert; als etwas, das nicht bleiben kann wie es ist und was es ist. Die Proklamation dieses Prozesses der Veränderung und Neuwerdung, der den status quo aufhebt in seiner letztverbindlichen Relevanz, ist die Dynamik der biblischen Texte, infolgedessen auch die Dynamik der Interpretation und des Weitersagens dieser Texte innerhalb jeder Epoche ihrer Auslegung und Predigt. In dieser Thematik sieht Iwand den bezwingenden und notwendig durchzuhaltenden Konsensus der Zeugen und Prediger aller Zeiten. Zu dieser Thematik führt er in seinen Meditationen immer wieder hin. In diesem Konsensus sieht Iwand auch die Kontinuität der Verkündigung in der Geschichte begründet.

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ΙΠ. Kapitel Aktualität der Predigt als Kontinuität der Verkündigung in der Geschichte 1. Homiletische Funktion und Motivation

der Zitate

Bei allem, was sich am Vollzug der Predigt ändert, was bei der „Durchführung" des Predigtaktes zeit- und situationsbedingt ist — hier, bei der Thematik dieser Neuwerdung, stehen wir an einem Punkt, an dem sich die Identität und Kontinuität der Predigt in der Geschichte zu bewähren und zu bewahren hat; nicht die Uniformität, wohl aber die Identität und Kontinuität. In diesem Zusammenhang ist nun der Hinweis auf einen Tatbestand angebracht, der gleichfalls schon bei der ersten Lektüre von Iwands Meditationen ins Auge fällt. Es handelt sich um die Beobachtung, daß er in fast ausnahmsloser Durchgängigkeit jeder seiner Meditationen Zitate voranstellt — eins oder auch mehrere. Im Zusammenhang der Frage nach Konsensus und Kontinuität der Predigt in der Geschichte stellt sich die Frage nach der homiletischen Funktion der Zitate. Es wäre eine totale Verkennung der Absicht, die der Autor mit dieser Gepflogenheit verfolgt, wollte man annehmen, er möchte damit seine theologische und anderweitige Belesenheit kundtun oder seine Äußerungen mit Lesefrüchten schmücken1. Iwands erstaunliche Belesenheit — nicht nur was die Theologie und ihr verwandte Fachgebiete angeht — und die Weite seiner umfassenden Bildung bedürfen — wenn hier wieder ein biographischer Hinweis erlaubt ist — keines besonderen Nachweises. 1 Vgl. den H i n w e i s v o n Gerhard Sauter auf „die Verschränkung v o n Produktivität und Reproduktion" als „ein Formgesetz der literarischen Produktion" und auf die Gefahr des Mißbrauchs, „der nur die eigene Belesenheit präsentieren w i l l und mit literarischen Lesefrüchten Predigten oder Vorträge garniert". Es geht Sauter um einen D e n k - und Arbeitsstil mit einem angemessenen Verhältnis „zwischen der Verarbeitung der Diskussionslage und dem Bemühen, neue Einsichten zu entwickeln". G. Sauter, K o m m u n i k a t i o n und Wahrheitsfrage. Theologische Werkstattprobleme. In: Fides et communicatio. Festschrift f. M. Doerne, hrsg. v . D . Rössler u. a., G ö t tingen 1970, bes. S. 264. Zu bedenken ist audi J. Konrads Warnung vor „einem erschreckend subalternen, faulen, trost- und geistlosen Eklektizismus", der sich „aller eigenen Zeugenschaft begibt". Zit. bei Christian Möller, V o n der Predigt zum Text, München 1970, S. 12. — D e r v o n Sauter bezeichnete D e n k - und Arbeitsstil kann als für I w a n d typisch angesehen werden. Deshalb ist seine literarische H i n t e r lassenschaft wichtig für unsere Einübung in diesen Stil, Theologie zu treiben.

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Die Offenheit und Vielfalt seines theologischen Denkens haben sicher auch darin ihren Grund, daß Iwand sich nicht darauf beschränkt hat, nur um die Fülle seiner eigenen Gedanken zu kreisen oder dazu lediglidi die seiner Gesinnungs- und Weggenossen zur Kenntnis zu nehmen. Theologie ist für ihn immer ein Konzert verschiedener und verschiedenartiger Stimmen. Das bedeutet freilich nicht, daß theologische Offenheit mit uneingeschränktem Pluralismus identisch wäre. Die Vielstimmigkeit der Theologie hat für Iwand in jedem Falle dies unverrückbar gemeinsam: Den Ort des Hörens, auf das alles theologische Reflektieren, Meditieren und Formulieren gleichsam Echo ist. Er nennt das die Schriftbezogenheit der Theologie (NW I, 265 f.). Er konnte allerdings heftig und auch zornig werden gegenüber Leuten, die sich selbstgenügsam an ihrem eigenen Standort einzementieren und sich damit der Möglichkeit begeben, zu sehen und ernstzunehmen, daß es auch andere gibt 2 . Dies den Lesern seiner Meditationen vor Augen zu führen, daß Predigt ein vielfältiges Geschehen und Uniformität „niemals ein Zeichen geistlicher Einheit, der wahren Einheit im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung" (419) ist; zu zeigen, daß Predigt allemal mehr ist, als Referat der eigenen theologischen oder kirchenpolitischen Meinung, und daß auch gerade heute nicht zu unterschätzende Gefahren der Predigt von jedweder theologischen und geistigen Enge und Einseitigkeit her drohen — dies schon könnte beiläufig vielleicht audi als nicht gerade unwesentliche Begründung und Legitimation der den Meditationen jeweils vorangestellten literarischen Zeugnisse gelten. Audi in dieser Hinsicht könnten sie ein Anstoß sein, der aus der Verfestigung des eigenen Standpunktes und aus der Zementierung des theologischen Gesprächs hinausführt, der die Erstarrung unserer Positionen und Lager auflockert. Auch hier gilt es ja, vom Monolog zum Dialog durchzustoßen, die Predigt aus der Starre des eigenen Standpunktes zu befreien und also zu entideologisieren. Daß dies ein wichtiger Gesichtspunkt gewesen ist, der Iwand bei seiner Arbeit an den Meditationen und besonders auch bei der Auswahl der Zitate und den Hinweisen auf Literatur — theologische wie nichttheologische — geleitet hat, wird man nicht übersehen dürfen. Freilich geht es aber sodann vor allem um eine mehr vom Inhalt der Meditationen her begründete Funktion der Zitate. Zwei wesentliche Gesichtspunkte ergeben sich. Die Zitate gehören nur zum geringeren Teil 2 Mit gegenüber I w a n d gewiß anderer Intention spricht J ü r g e n M o l t m a n n v o n der „ R e l a t i o n a l i t ä t des eigenen S t a n d p u n k t e s " und von der „ R e l a t i o n a l i t ä t der christlichen T h e o l o g i e " als Möglichkeit eines sinnvollen Weges „zwischen absolutistischer Theokratie und u n p r o d u k t i v e r T o l e r a n z " . D e r Gekreuzigte G o t t , S. 16. M a n w i r d aus dieser Möglichkeit nur kein Gesetz machen d ü r f e n und mit I w a n d die G r e n z e gegenüber „absolutistischer T h e o k r a t i e " ebenso wie die gegenüber „ u n p r o d u k t i v e r T o l e r a n z " da suchen, w o es um assertio und certitudo geht.

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dem Bereich der theologischen und audi nichttheologischen Zeitgenossenschaft an. Die inzwischen — vor allem durch Hans-Dieter Bastian — 3 rechtens erhobene Forderung, die hermeneutische Relevanz audi nichttheologischer Voten und Fragen zu registrieren, findet bei Iwand lange vorher weit geöffnete Türen. Von den theologischen Zeitgenossen tritt Julius Schniewind als der hauptsächliche Partner der exegetischen Theologie in Erscheinung. Seine Arbeiten und Beiträge zum Verständnis der biblischen Botschaft im Neuen Testament mit der Zuspitzung, daß sie neue Wirklichkeit setzt, neuen Anfang und neues Leben ermöglicht, sind für Iwand schlechterdings grundlegend 4 . Aber auch das Gespräch mit Rudolf Bultmann findet seinen breiten Niederschlag — vor allem im Hinblick auf seine Interpretation johanneischer Theologie. In Iwands Bearbeitungen johanneischer Texte findet ein kontinuierliches Gespräch mit Bultmanns Kommentar zum Johannes-Evangelium statt 5 . Auch seine Theologie des Neuen Testaments, seine Beiträge im Kitteischen Theologischen Wörterbuch zu wesentlichen Begriffen im Neuen Testament sowie die unter dem Thema Glauben und Verstehen gesammelten Aufsätze Bultmanns sind Iwand ständig Bezugspunkte seines Nachdenkens 6 ; allerdings so, daß er auch hier seine theologische Eigenständigkeit im Gespräch profiliert und nicht nivelliert oder relativiert. N i e hat er etwas unkritisch übernommen. Theologie und Originalität oder auch Kreativität sind für ihn kommunizierende Größen 7 . Außer Schniewind und Bultmann kommen auch Bengel, Bezzel, Schlatter, Martin Kähler, Sdileiermadier und vor allem K a r l Barth häufig zu Wort. — Aufmerksam hört und bedenkt Iwand Stimmen aus Literatur, Dichtung und bildender Kunst. Vor allem das Werk Dostojewskijs, Shakespeares und Rembrandts ist in diesem Zusammenhang stellvertretend für viele andere zu nennen, auch aus der Moderne, auf die Iwand eingeht, um „eine falsche 3 Theologie der Frage, München 1969. J e t z t a u d i : ders., K o m m u n i k a t i o n , Themen der Theologie, Bd. 13, S t u t t g a r t / B e r l i n 1972. Vgl. auch die Publikation von H e n n i n g Schröer, Moderne deutsche Literatur in Predigt und Religionsunterricht, Heidelberg 1972. 4 J. Schniewind, D i e Freude der Buße, Göttingen 1956. Ders., D i e christliche Existenz. I n : Zur Erneuerung des Christenstandes, Göttingen 1966. 5 Das E v a n g e l i u m des Johannes. Krit.-exeget. K o m m e n t a r über das Ν . T., begr. v. H . A . W . Meyer, 2. Abt., 13. A u f l . , Göttingen 1953. V g l . I w a n d s Auslegung johanneischer Perikopen in den Predigtmeditationen, darin besonders die Würdigung von Bultmanns K o m m e n t a r (213 u. 428). 6 Als Übersicht zur hermeneutischen Intention v o n Bultmanns Exegetica vgl. u. a. T h e o d o r Lorenzmeier, Exegese und Hermeneutik, H a m b u r g 1968. 7 F ü r I w a n d s kritische Stellungnahme gegenüber B u l t m a n n ist sein A u f s a t z „Wider den Mißbrauch des ,pro me' als methodisches Prinzip in der T h e o l o g i e " (Ev. Theol. 14, 1954, S. 120 ff.) von besonderer Bedeutung. D a r i n hat I w a n d den f ü r ihn entscheidenden D i f f e r e n z p u n k t gegenüber B u l t m a n n formuliert. V g l . auch N W I, 236 ff., bes. S. 237 f. zur T h e m a t i k G l a u b e und Geschichte.

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Autarkie des theologischen Denkens zu vermeiden" 8 . Einen weit bemessenen Raum unter den Gesprächspartnern nehmen auch Vertreter der Philosophie ein, vor allem die des Idealismus. Bei Iwand kann man in hervorragender Weise lernen — und gerade dieser Lehre können Theologie und Predigt heute nur zu ihrem eigenen Nachteil entraten — daß das Gespräch mit der Philosophie für die Theologie eine wesentliche Aufgabe ist. E r selbst gilt als ausgewiesener Fachmann und Meister dieses Gesprächs — vor allem mit der Philosophie des deutschen Idealismus 9 . E r konnte es nicht anders denn als Verblassung und Verarmung theologischen Denkens ansehen, daß — vor allem in protestantischem Bereich — das Gespräch mit der Philosophie abgebrochen oder im Vergleich mit früheren Epochen zumindest viel zu kurz gekommen ist. Auch an dieser Stelle hat Iwand eine Diastase zwischen Text und Situation gesehen, und zwar eine Diastase bedrohlichen Ausmaßes. Sein Gespräch mit der Philosophie — ein wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit — ist sein Beitrag zur Uberwindung dieser Diastase; ein Beitrag, den wir nur zum Schaden unserer Predigt heute unberücksichtigt lassen können. Gerade an dieser Stelle gilt es, das Gespräch aufzunehmen und weiterzuführen. Denn in diesem Gespräch ist ja auch der O r t für den höchst aktuellen und der Theologie sich immer dringlicher als Aufgabe stellenden Dialog mit den gegenwärtigen Ideologien und vor allem den mit der Denkbemühung des philosophischen Marxismus 10 . Auch das neu in Gang gekommene Reflektieren über Phänomenologie und Begriff der 8 G. Sauter, Kommunikation und Wahrheitsfrage. Festschrift für M. Doerne, Göttingen 1970, S. 264. — Zur Relevanz, die Iwand Äußerungen der Dichtung beimißt, vgl. u. a. seine Bemerkung: „ . . . die Dichter sind heute vielfach den eigentlichen Nöten unserer Zeit näher als die Theologen. Die Dichter haben begriffen, daß es um den Namen des Menschen geht" ( N W I I , 17). Oder ein anderes V o t u m : „Darum die Bedeutung der Dichter und der großen Erzähler, -weil sie uns dazu verhelfen, zu erleben, nicht zu agieren. Es ist die ungeheure Gefahr unserer Bildung heute, daß die Erlebnisfähigkeit des Menschen abnimmt in demselben Maße, wie sein Wirken, also sein Bilden nach außen hin zunimmt" ( N W I I , 299). Beispiele dafür wie Iwand an wichtigen Punkten seiner Gedankenführung sich auf Shakespeares und Dostoj e w s k i s Dichtung besinnt s. u. a. N W I I , 133, sowie 288 f., 302 u. 311 f. Dazu auch seine Predigtmeditation zur Versuchungsgeschichte Mt 4 , 1 — 1 0 (432 ff.). 8 Vgl. dazu z . B . die Aufsätze Iwands: Das Christentum und die geistige Krise der Gegenwart, Evangelium und Bildung und: Die christliche Verantwortung für die Bildung ( N W II, 106 ff., 272 ff. u. 286), die auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem Idealismus und Marxismus zu sehen sind, vor allem im Hinblick auf die Anthropologie. 10 Josef L. Hromadka, An der Schwelle des Dialogs zwischen Christen und Marxisten, Frankfurt 1965. J . M . Lochman, Christus oder Prometheus? Die Kernfrage des christlich-marxistischen Dialogs und die Christologie. St. B., Bd. 106, Hamburg 1972. Milan Machovec, Jesus für Atheisten, Stuttgart/Berlin 1972. Stanley J . Samartha, Die Grenzen geraten in Unruhe. Im Dialog mit den Religionen und Ideologien. E v . Komm. 5. Jg., 1972, S. 592 ff.

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Religion wird nicht ohne intensive Einbeziehung des philosophischen Beitrags und der philosophischen Komponente dieser Reflexion weiterzuführen und zu bewältigen sein11. Hier rächt sich ebenfalls gerade für den Bereich der protestantischen Theologie die lange Abstinenz gegenüber dem Gespräch mit der Philosophie. Iwand hat immer gesehen und davor gewarnt, daß wir es uns mit dem Abtun all dessen, was sich unter dem Begriff Religion artikuliert, zu einfach machen12. Audi mit dieser Sicht gibt er der Theologie und Predigt heute wichtige Denkanstöße — nicht nur im Hinblick auf sachgemäße Situationsbezogenheit. Sondern hier geht es u. a. ja auch um die ideologiekritische Potenz von Theologie und Predigt sowie um das Gespräch zwischen Theologie und Humanbzw. Sozialwissenschaften. Vor allem das Gespräch Iwands mit Georg Lukasz dürfte hier richtunggebend und in seiner Präzision wie Dignität beispielhaft sein für den Dialog mit dem Marxismus 13 . Mit den eben ausgeführten Bemerkungen haben wir bereits den einen wesentlichen Gesichtspunkt der Motivation der Zitate aufgezeigt: Sie erfüllen die Funktion, Material für den Dialog zu bieten, Bereiche abzustecken, die der Dialog auszumessen hat, der im Text angelegt ist. Sie visieren Punkte an, an denen Text und Wirklichkeit einander konfrontiert und aufeinander bezogen sind in der dialektischen Einheit von Iwands Grundentscheidung in der Frage von Gesetz und Evangelium. Und damit zeigen sie zugleich Pole, um die sich die Schwerpunkte der Predigt zu lagern haben, die den Dialog des Textes aufnimmt und ihn in die jeweils gegebene Situation weiterführt. Dieser Funktion entspricht es, daß wir eben bei der Registrierung der hauptsächlichen Autoren uns nicht allein auf die den Meditationen vorangestellten Zitate beschränken konnten sondern zugleich die Zitation im Text der Meditationen selbst in Blick bekommen und in die Überlegung einbeziehen mußten. Kehren wir jetzt zu der Überlegung über die Funktion der Zitate, die den Meditationen voranstehen, zurück. Ein weiterer leitender Gesichtspunkt ihrer Motivation ergibt sich aus folgender Beobachtung: Die oben angeführten Autoren der zeitgenössischen Theologie und der Theologiegeschichte neueren Datums sind nur ein Ausschnitt, und zwar der kleinere, aus der Skala der zitierten Namen. Der weitaus stärkste Anteil und auch das sachlich größere Gewicht ist auf seiten der Vertreter der reformatorischen und bezeichnenderweise auch der vorreformatorischen 1 1 S. M . Daedte, G o t t in der menschlichen religiös? E v . K o m m . 5. J g . , 1 9 7 2 , S. 6 4 4 ff.

Erfahrung.

Wird

die

Welt

wieder

1 2 E i n besonders instruktives Beispiel für Iwands B e i t r a g zu dieser F r a g e ist seine Auseinandersetzung mit Schleiermacher, bes. seine Interpretation des Schleiermacherschen Religionsbegriffs ( N W II, 3 3 8 ff., bes. S. 3 4 5 ff.). 1 3 Vgl. nähere Ausführungen dazu im Abschnitt „ I n k a r n a t i o n und P r e d i g t " im V I I . K a p . dieser Arbeit, d o r t bes. unter „Ideologiekritische P o t e n z " der Predigt u n d : ihre „Affinität zur E m p i r i e " .

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Theologie; besonders ausführlich und intensiv kommen die Theologie Luthers und die Patristik, vor allem mit Augustin und Thomas v. Aquin, zu Wort. Aber auch Calvins große Kommentare zu den biblischen Büchern sind als Fundgrube wichtiger exegetischer Einsichten immer wieder herangezogen und erschlossen. Die Auslegung und Predigt der alten Kirche und der Reformatoren findet Beachtung als „ein Stück ereignisgewordener Exegese" (59). 2. Tradition und Konfession

am Beispiel der Theologie

Luthers

Iwand gilt als ein kongenialer Lutherinterpret. Dieses Urteil rechtfertigen nicht nur seine gründlichen Monographien zur Theologie Luthers14. Sein Verdienst besteht vielmehr darin, daß er die Hauptanliegen der Theologie Luthers — vor allem die Fassung des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium sowie die mit den Stichworten justificatio impii und theologia crucis ausgedrückten theologischen Sachverhalte — als Grundentscheidungen für die Hermeneutik der biblisdien Texte, als „Mitte", von der her „alles andere einfach, überzeugend und evident" wird, als den „Punkt, auf den es ankommt" 15 , erkannt und einsichtig gemacht hat. Er hat also Luthers Theologie der Gefahr historischer und konfessioneller Erstarrung enthoben und sie — gerade in seinen Predigtmeditationen — als hermeneutischen Schlüssel zur viva vox evangelii entfaltet und für die Predigt der Gegenwart fruchtbar gemacht. Iwand hat Luthers Theologie niemals lediglich referiert, sondern er hat stets zugleich gezeigt, was wir von Luther lernen können und zu lernen haben. Insofern stellen Iwands Predigtmeditationen mit ihrer Fülle von verarbeiteten Lutherzitaten auch ein hervorragendes Zeugnis für sein Verständnis der Theologie Luthers dar und zeigen, daß die Grundentscheidungen reformatorischer Theologie schlechterdings konstitutiv sind für schriftgemäße und situationsbezogene Predigt. Bei seinem Studium von Luthers Psalmenkommentar vermerkt Iwand bereits im Jahre 1926 einen Tatbestand, der sich bei seiner Lutherinterpretation mehr und mehr als wesentlich herausschält: Daß nämlich „sein (Luthers) Leben in die ,Geschichte der Schrift' hineingehört" (NW VI, 120). So meint er, „Luther recht verstanden zu haben, als einen Ausleger der Schrift, als einen, der uns dazu verhelfen will, an Christus glauben zu lernen" 16 . — Damit stellt sich ihm am Phänomen der Theologie 1 4 Vor allem sind hier zu nennen: Rechtfertigungslehre und Christusglaube. Eine Untersuchung zur Systematik der Rechtfertigungslehre Luthers in ihren Anfängen. Leipzig 1930. Neudruck Th. B., Bd. 14, München 1961. Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre. 2. Aufl., München 1951. Dazu die Untersuchungen zu Luthers Schrift De servo arbitrio. 1 5 Glaubensgerechtigkeit, S. 5. 1 6 Glaubensgereditigkeit, S. 4.

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Luthers die dringliche Frage nach der legitimen Aufarbeitung theologischer Tradition. Die Frage: „Wie gewinnen wir den echten Anschluß an die Tradition?" (579) erweist sich ihm im Zusammenhang mit der „Theologie als Beruf" 17 als besonders schwerwiegend. Iwand vermag in Luthers Theologie nicht nur ein traditionelles Erbe zu sehen. Der Tradition gegenüber gilt es „immer zugleich dankbar und kritisch" (NW I, 268) zu sein. Dankbarkeit gegenüber der Tradition beruht für Iwand auf einer bestimmten Qualifikation der Offenbarung, nicht nur auf einer Achtung gebietenden Einschätzung überkommenen Erbes. Die Dimension der Geschichte kann Iwand nicht übersehen oder übergehen. „Die Offenbarung erinnert an die Vergangenheit um der auf Gottes Treue verweisenden Verheißungen willen." (NW I, 289). Darin liegt ein begründeter Anspruch der Tradition in Theologie und Kirche, wenn sie nicht geschichtslos nur in der Erscheinungen Flucht auftreten wollen und damit dann in der ständigen Gefahr, lediglich Zeiterscheinungen zu sein. Kritik an der Tradition ist für Iwand da geboten, wo wir sie dazu benutzen, „uns über unsere faktische Lage" zu „betrügen, indem wir uns in Formeln und Bekenntnisse früherer Zeiten flüchten. . . . Die Tradierung der geheiligten' Formeln ist das Hindernis, einen geschichtlich echten, schöpferischen Zusammenhang mit der Tradition zu gewinnen" (578). Diese Sätze aus einer Meditation zu Joh 8,30—36 anläßlich des Reformationsfestes zeigen besonders deutlich die Intentionen Iwands im Umgang mit Tradition überhaupt, besonders aber bei seiner Lebensarbeit an Luthers Theologie, die er in seine Predigtmeditationen einmünden läßt: Es geht ihm darum, „einen geschichtlich echten, schöpferischen Zusammenhang mit der Tradition zu gewinnen. Die Kreativität der Tradition zu erheben, ihr wenigstens auf die Spur zu kommen — das ist letztlich die Motivation für Iwand zum Umgang mit Tradition. Daher ist es nicht verwunderlich, daß auch hier der pneumatologische Aspekt als wesentlicher Orientierungspunkt hervortritt. Die Leitlinie zum schöpferischen Zugang und Aufarbeiten der Tradition ist für Iwand die Pneumatologie. Diesen wesentlichen Gesichtspunkt, den er aus der Theologie Luthers gewinnt (578, Anm. I) 1 8 , macht er sich für den eigenen Umgang mit Tradition zu eigen. Auch im Umgang mit der Tradition stellt sich für Iwand die Frage N W I, 228 ff., bes. S. 268. Zum Umgang mit Luthers Theologie als Tradition vgl. auch Ernst Wolf, Luthers Erbe? Peregrinatio II, München 1965, S. 52 ff. Ders., Zur Selbstkritik des Luthertums. Peregrinatio II, S. 82 ff. Zu berücksichtigen ist audi in diesem Zusammenhang E. Wolf, Die Christusverkündigung bei Luther. Peregrinatio I, 30 ff. Zur Würdigung von Tradition und Konfession in luthersdiem Sinne vgl. auch die Arbeit von Martin Schmidt, Luthers Schau der Geschidite. Lutherjahrbudi Jg. X X X , Hamburg 1963, S. 17 ff. 17

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nach der Konfession und nach dem Element des Konfessionellen19. Im Sinne seines eben dargelegten Verständnisses von reformatorischer Tradition hat er sich immer als Lutheraner verstanden: eben im konfessorischen, nicht aber im konfessionellen als konfessionalistisch verstandenen Sinne. „Separation der Konfessionen"20 steht für Iwand in fundamentalem Widerspruch zur reformatorischen Theologie. Er kann sich als Lutheraner nicht nur entschieden verstehen sondern ebenso entschieden erklären; er tut dies, wenn er zum Beispiel seine Position bei der Neuordnung der evangelischen Kirche nach dem Zusammenbruch 1945 mit dem Hinweis begründet: „Weil auch wir Lutheraner sind, aber Lutheraner, die sich gerade heute durch Luther und die Reformation zur Umkehr und zur Buße gerufen wissen . . ." 21 Bestimmend und leitend für Iwands Umgang mit Luther und Luthers Theologie ist die Interpretation und nicht die bloße Rezitation oder das Referat. „Wir werden nicht einfach das Thema der Reformation repetieren können" (NW II, 100) formuliert er sein Bedenken gegenüber dem Konfessionalismus. Dankbarkeit und Kritik sind die Aspekte, unter denen Iwand versucht, der Aufgabe gerecht zu werden, die die Tradition heute stellt als eines der großen Themen für die Theologie und Predigt der Gegenwart. Fragt man nach dem theologischen Grund und auch nach dem methodischen Ansatz wie Vorgehen dieses Arbeitsstils, wird gerade auch hier die Dialektik der polaren Zuordnung von Gesetz und Evangelium die Richtung sein, in der die Antwort am angemessensten ausfällt. Dankbarkeit und Kritik gegenüber der Tradition vollzieht sich hier nicht willkürlich oder nach jeweiligem Gutdünken sondern verankert in Iwands theologischer Grundentscheidung bei der Zuordnung von Gesetz und Evangelium. Die Leidenschaft für das theologische Leitthema Gesetz und Evangelium und alle daraus resultierenden theologischen Spannungsbogen gewinnt Iwand aus Luthers Theologie. Und so wirkt sich denn dieses Thema bis auf die Gestaltung des Arbeitsstils gerade an dem Punkt aus, wo Iwand versucht, Luthers Theologie als ein Stück theologischer Tradition legitim, mit seinen Worten: dankbar und kritisch aufzuarbeiten. Die Theologie Luthers bildet für Iwand den wesentlichen Teil des uns überkommenen traditionellen Erbes, mit dem er bemüht ist, „einen geschichtlich echten, schöpferischen Zusammenhang" zu gewinnen und im Interesse der Arbeit an unseren großen Zeitfragen zu wahren. Insofern bedeutet es für Theologie und Kirche eine besonders große und schmerz19 Zur Frage der M. Schmidt, Sinn u. tingen 1973 mit den sionalität. 2 0 U m den rechten

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Konfession s. audi o. S. 35 unter anderem Aspekt. Vgl. auch: Grenze der Konfessionalität. Jahrbuch d. Ev. Bundes X V I , Götanderen dort veröffentlichten Arbeiten zum Problem der KonfesGlauben, S. 155.

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A.a.O., S. 154.

liehe Lücke, daß es gerade diesem Mann nicht vergönnt gewesen ist, seine lange geplante und auch von ihm selbst erhoffte Gesamtdarstellung von Luthers Theologie vorlegen zu können 22 . Die Verarbeitung wichtiger Schwerpunkte von Luthers Theologie in den Predigtmeditationen besagt darum nicht nur, daß hier Luthers Theologie als wesentlicher Teil einer Denkarbeit konzipiert ist, die Zugänge zur Predigt heute erschließt, sondern sie besagt zugleich, daß in diesen Arbeiten Iwands Interpretation der Theologie Luthers ihren angemessensten und gereiftesten Ausdruck findet. Auch die Theologie Luthers und gleichfalls die der anderen Reformatoren gehört f ü r Iwand hinein — und zwar als besonders intensiver und progressiver Anteil — in den Vollzug der Bewegung, die die Texte der Schrift auslöst und die immer wieder zu diesen Texten zurückführt und aus ihnen gespeist wird, ohne innerhalb der Grenzen einer historisch gewordenen Gestalt der Kirche zum Stillstand zu kommen und aufgehen oder an ihnen H a l t machen zu können. Hier wird etwas von der f ü r Iwand wesentlichen Erkenntnis deutlich, „daß die Kirche weiter reicht als die Konfession". Mit diesem Kirchenverständnis sieht er den Zusammenhang auch mit der Bekennenden Kirche und ihrer Theologischen Erklärung von Barmen gewahrt. „Die wahre ökumenizität der Kirche" ist für Iwand ein Datum und zugleich eine Aufgabe, hinter die es kein Zurück gibt 23 . Eine Hauptintention seiner ganzen theologischen Arbeit ist das Bemühen darum, daß die Anliegen und der Ertrag der reformatorischen Theologie nicht bestimmten Konfessionskirchen vorbehalten bleiben. Sie haben unverkennbar und unaufgebbar ökumenische Qualität. Denn „die Reformation galt in ihrem Ansatz der ganzen Kirche und der ganzen Christenheit" (579). Was Iwand einmal im Hinblick auf Luther erklärt, gilt über ihn hinaus f ü r die gesamte reformatorische Theologie: „Gerade weil uns Luther das geworden ist, ein Lehrer des Glaubens, können wir ihn nicht in der Enge des Konfessionalismus sehen. . . . Luther ist nicht der Begründer einer christlichen Richtung oder Partei, sondern er ist der Reformator der Kirche. Darum sind seine Lehren kein konfessionelles Sondergut, sondern Gemeingut der Kirche." 24 . Dieses „Gemeingut der Kirche" einzubringen und für ihre Verkündigung in der Gegenwart zugänglich zu machen, es den Predigern aller Konfessionen, einschließlich der römisch-katholischen, nahezubringen und zur Verfügung zu stellen — das ist das Bemühen Iwands in seinen Predigtmeditationen. Dieses Bemühen geht von Anbeginn dahin, „den 22

Glaubensgerechtigkeit. Nachwort, S. 94. Um den rechten Glauben, S. 155. 24 Glaubensgerechtigkeit, S. 4. Vgl. auch das Votum von Lukas Visdier: „Es gilt darum, zu jener ursprünglichen Intention zurückzukehren und die Anfrage der Reformation wirklich in die heutige ökumenische Bewegung einzubringen." In: Ev. Komm. 4. Jg., 1971, S. 162. 23

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praktischen Erweis in der Auslegung des Wortes dafür zu erbringen, daß Evangelium und geschichtlich-gewordene Konfession nicht auf ein und derselben Ebene, in ein und derselben dogmatischen Relevanz zu sehen sind" (151). Die kritische Funktion des Evangeliums der Kirche gegenüber, „gerade auch der sich konfessionell verstehenden Kirche gegenüber" (ebd.), wertet Iwand als aktuellen Bezug des Wortes, das uns trifft. Aber auch diese Hauptintention, die ökumenische Perspektive reförmatorischer Theologie anzuzeigen und zu verdeutlichen, verfolgt Iwand nicht durch grundsätzliche Erörterungen und Erwägungen zu Prinzipienfragen. Jedenfalls nicht in vornehmlichem Sinne. Sondern er weist — seinem theologischen Stil gemäß — in seinen Meditationen die konfessionelle Entschränkung der reformatorischen Theologie dem Vollzug der Predigt als Aufgabe zu. Der Akt der Verkündigung ist ihm grundsätzlich wesentlicher als bloße Reflexion oder nur verbale Erklärungen ohne Praxisbezogenheit. Verbalisierung ist ein Genre, mit dem sich Iwand nie begnügt. Wort und Wirklichkeit gehören für ihn stets komplementär zusammen wie Gesetz und Evangelium. Gerade die ökumenizität der Kirche erweist sich für Iwand darin, „daß die Bemühung um die Verkündigung nicht Halt machen kann und darf an den Grenzen der Landeskirchen und der Konfessionen" (151). Diese hermeneutisch dynamische Konzeption der reformatorischen Theologie, wie sie in den Predigtmeditationen am intensivsten zum Ausdruck kommt, leuchtet zugleich den ökumenischen Horizont gerade dieser Arbeiten Iwands aus. Auch hier stehen wir an einem Punkt, der für sein ganzes Denken höchst bezeichnend ist: Daß nämlich die Präzision des eigenen Standpunktes und das Profil eigener Stellungnahme den Dialog und die Kommunikation zwischen sehr verschiedenen Positionen nicht zu hindern oder gar zu verhindern brauchen, daß sie ihn vielmehr in höchstem Maße offenhalten und fördern können — gerade auch zwischen den Konfessionen. „Protestantismus als Aufgabe" ist nicht nur das Thema einer bedeutenden Abhandlung Iwands (NW II, 305 ff.). Es ist zugleich sein Leitthema für den ökumenischen Dialog wie für den Dialog überhaupt. Bei dieser Struktur seines Denkens kann es jemanden, der Iwand und den Stil seiner Arbeiten zur Kenntnis nimmt, gar nicht überraschen, daß er gerade bei seinem theologischen und menschlichen ausgeprägten Profil in einer Bereitschaft und Offenheit wie selten jemand ein Theologe des Dialogs, der Vermittlung, ein Brückenbauer, ein Mann des Ausgleichs, ja der Versöhnung gewesen ist, dessen Wort in den verschiedensten Lagern Vertrauen fand, nicht nur gehört sondern in vielen Fällen ausdrücklich begehrt war. Theologie des Dialogs wird bei Iwand aber nicht mit der Motivation getrieben, um jeden Preis zusammenzuhalten, was redlicherweise nicht zusammenzuhalten ist; Dialog vollzieht sich hier audi nicht in der Art, 64

daß einem geistig konturenlosen und theologisch unqualifizierten Pluralismus Vorschub geleistet wird. Vielmehr vollzieht er sich mit der Zielsetzung, den Prozeß der Humanisierung und Entideologisierung auch im Zusammenleben der Konfessionen in Gang zu halten und den reformatorisch-theologischen Beitrag in diesen Prozeß einzubringen25. Solcher Dialog führt auch zu Selbstidentität der jeweiligen Partner und erweist sich als Weg zur Überwindung von Identitätskrisen und Profilneurosen. Profil und Dialogfähigkeit schließen einander nicht aus, sie fordern und bedingen einander geradezu. Damit befinden wir uns auch bei diesem Sachverhalt unmittelbar in der Umgebung des Grundelements der Struktur von Iwands Theologie, des Punktes, an dem seine theologische Reflexion verankert und darum so ergiebig ist. Seine Theologie in ihrer Struktur wirkt sich immer auch auf seinen Denkstil aus; sie ist Theologie, die dialogfähigen Denkstil erbringt: Profil und Dialogfähigkeit in ihrem Verhältnis zueinander stehen analog dem Verhältnis, in dem Iwand Gesetz und Evangelium sieht. So ist auch seine Position im interkonfessionellen, ökumenischen Dialog als ein Modus der Artikulation des Grundthemas seiner Theologie zu sehen: des Themas von Gesetz und Evangelium. Auch an dieser Stelle ergeben sich aus der theologischen Einsicht Folgen für die Gestaltung der kirchlichen Praxis und sind umgekehrt die Aufgaben kirchlicher Praxis in die theologische Reflexion integriert26. Die theologische Position des Dialogs hat für Iwand zur Folge, daß er die Union grundsätzlich bejaht. Was die Leuenberger Konkordie formuliert 27 , kann als ein entscheidender Markstein auf dem Wege zum Ziel angesehen werden, für das Iwand als einer der ersten und gewichtigsten theologischen, nicht kirchenpolitischen Wortführer leidenschaftlich gekämpft hat. Kircheneinheit ist für ihn niemals zuerst Aufgabe kirchenpolitischer oder strukturplanerischer Taktik, sondern sie ist in jedem Falle vor allem Sache theologischen Dialogs, der keine Ergebnisse vorwegnimmt und damit als Ideologie erstarrt. Die theologische Spannung der beiden Pole Gesetz und Evangelium muß auch in der Frage der 25 Der v o n H a n s - G e r n o t J u n g in die Diskussion u m Bekenntnis und L e h r e r k l ä rungen eingeführte Begriff der „akzeptablen V i e l f a l t " ist hilfreich. E v . K o m m . 4. J g . , 1971, 160. Vgl. auch E d m u n d Schlink, D e r kommende H e r r und die kirchlichen T r a ditionen, 1 9 6 1 . 2 6 S. K a p . I dieser Arbeit. 2 7 T e x t als Sonderdruck und in: E v . K o m m . 4. Jg., 1 9 7 1 , S. 6 6 4 ff. D a z u : W e n z e l Lohff, Ein Schritt a u f dem W e g zur Kirchengemeinschaft. E v . K o m m . 4. Jg., 1 9 7 1 , S. 7 1 0 ff. Vgl. auch Wilhelm Dantine, Gedanken über Sinn und Funktion der Leuenberger K o n k o r d i e . ö k u m e n . Rundsch. 2 1 . Jg., 1 9 7 2 , S. 2 0 2 ff. Kritisch aus der Sicht eines r ö m . - k a t h . ö k u m e n i k e r s : J o s Vercruysse, D a s Wesen der Kirche bleibt unklar. E v . K o m m . 5. Jg., 1 9 7 2 , S. 3 5 5 ff. H e r a n z u z i e h e n ist hier auch die instruktive Studie von E c k h a r d Lessing: Konsensus in der Kirche. T h E x , N r . 177, München 1 9 7 3 .

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Gandras, Predigt

Union bewußt durchzuhalten versucht werden. Sie ist gerade auch bei ökumenischer Partnerschaft der konstitutive Grundton jedes qualifizierten Dialogs. Iwands theologisches Plädoyer für die Union bedeutet freilich nicht ein Votum kritikloser Bestätigung etwa für die unierten Landeskirchen in ihrem status quo gegenüber den lutherischen und reformierten. Denn die äußerst vielschichtige, differenziert zu sehende und entsprechend behutsam zu vollziehende Aufgabe der Kircheneinheit kann Iwand nicht auf den innerprotestantischen Bereich beschränkt sehen. Die Bildung von Konfessionskirchen, „in Augsburg nicht anders als im Tridentinum", war ursprünglich nicht in der Reformation angelegt (579). „Die Art von Kirche, die Luther in seiner Adelsschrift vor sich sieht, ist nie Wirklichkeit geworden. Die deutschen Landeskirchen' sind nur sehr mit Einschränkung ein genuines Ergebnis dessen, was mit der Reformation gemeint, gesucht, erhofft und ursprünglich erstritten wurde. Alt und Neu hielten sich nur zu bald die Waage" (579). Die Lösung des Konfessionsproblems innerhalb der evangelischen Christenheit ist nach Iwand vor allem als theologische Aufgabe anzusehen und nicht vorrangig unter dem Aspekt der Bildung unierter Konfessionskirchen. Kirche ist auch in ihrer Rechtsgestalt für ihn in erster Linie ein theologisches und nicht allein oder vorrangig ein organisatorisch gesellschaftliches Phänomen 28 . Darum ist auch die gerade von Iwand dringend gemachte Reflexion über die Kirche und ihre Neuordnung, über Kirchenreform eine theologische Arbeit und mit empirischer Methodik allein nicht zu leisten. So wichtig die lange genug vernachlässigten empirischen Aspekte gerade auch in dieser Fragestellung heute nachzuholen und zu berücksichtigen sind, so sehr können sie nicht zur ausschließlichen Basis angemessener Lösungsversuche gemacht werden; jedenfalls dann nicht, wenn Kirchenreform mehr und etwas anderes erbringen soll als lediglich Umdisposition in Organisation und Strukturen. Dies gilt es bei allem verständlichen Enthusiasmus für die Empirie nach wie vor klar zu sehen und als Leitpunkt für weitere Schritte festzuhalten 29 . 28

Vgl. Iwands Voten in seinen Vorworten zu den GPM: Die Predigtmeditationen haben immer eine Linie „als die wesentliche angesehen", nämlich: daß die Kirche primär nach dem Wort zu f r a g e n . . . hat und nicht nach ihrer Gestalt. Die Gestalt der Kirche muß Zeugnis u. Ausdruck dessen sein, daß das Wort läuft" (221 f.). Oder: „Die Kirche ist nicht primär Organisation, sie ist primär eine Gemeinschaft des Glaubens aufgrund des verkündigten Wortes" (419). 29 Zur theologischen Aufarbeitung empirischer Fragen und Zusammenhänge: Arnd Hollweg, Theologie und Empirie, Stuttgart 1971. Theologische Anfragen zur Thematik Kirchenreform und Empirie formuliert Gerhard Sauter in seinem Aufsatz: Planungseifer ohne Theorie. Ev. Komm., 4. Jg., 1971, S. 189 ff. Zur Affinität der Predigt gegenüber der Empirie von Iwands Inkarnationsverständnis aus vgl. die Ausführungen im VII. Kap. dieser Arbeit.

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Lange bevor jetzt die Fragen um Neuordnung der evangelischen Kirche und Kirchenreform so brennend und Arbeit an Lösungsversuchen unaufschiebbar geworden sind, hat Iwand die Differenziertheit dieser Aufgabe genau erkannt und zum Ausdruck gebracht. Er hat sein Äußerstes versucht zu verhindern, daß auch in diesem Zusammenhang falsche Alternativen hochgespielt oder zu Frontstellungen verhärtet werden. Seine Predigtmeditationen leisten auch in dieser Hinsicht einen unschätzbaren Dienst theologischer Grundorientierung. Sie machen unmißverständlich darauf aufmerksam, daß — mit einer Formulierung von Ernst Wolf ausgedrückt: „reformatorische Katholizität und protestantischer Unionismus" 30 nicht von vornherein und ohne weiteres ausgemacht identische Sachverhalte bedeuten. Einheit und Wahrheit sind aufeinander bezogene Pole eines theologischen Spannungsfeldes und Koordinaten eines Bezugssystems. Darum vollzieht sich Einheit der Kirche für Iwand da, „wo der Geist Jesu Christi über den Buchstaben der Tradition innerhalb der überlieferten Kirchen mächtig wird. . . . Alles andere wird künstliche Synthese bleiben und — können wir den Kirchenpolitikern überlassen" (579). Damit stehen wir wiederum an einem Punkt, an dem das unter Gesetz und Evangelium gefaßte Grundelement Iwandscher Theologie eine Problemstellung durchsichtig macht und die Richtung möglicher praktischer Konsequenzen und Lösungsversuche anzeigt. Die Pneumatologie ist der Einheitspunkt auch für das Durchhalten der dialektischen Spannung zwischen „Unionismus" und „Katholizität" analog der Bezogenheit von Gesetz und Evangelium. Reformatorische Katholizität wird aber im Unterschied etwa zur römischen den Tatbestand permanent zu integrieren haben, den Iwand „die Enge des Protestantismus" ( N W II, 320) nennt. „Jene steile, theologische, oft so ärgerliche Enge", die sich an den „typisch protestantischen" Zusätzen des „Allein" orientiert. Das „sola fide" und das „sola scriptura" sind „exklusive P a r t i k e l . . . . Und eben in diesen ,particulae exclusivae' liegt die Kompromißlosigkeit des Protestantismus, die ihn von der Weite und Synthesenfreudigkeit der katholischen Lehre in diesen Stükken so deutlich unterscheidet" (ebd.). 3. Predigt und reformatorische Katholizität der Kirche Mit dem Stichwort „reformatorische Katholizität" ist ein weiterer Gesichtspunkt unseres Nachdenkens angesprochen und die Richtung für den nächsten Gedankenschritt angezeigt. Keineswegs haben nämlich Iwands Theologie überhaupt und dann seine Konzeption der reformato3 0 Vgl. den Aufsatz von Ernst Wolf zum gleichlaufenden Thema. In: Theologische Gegenwartsfragen, hrsg. v. O. Eißfeldt, 1940, S. 2 8 — 3 3 .

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rischen Tradition im besonderen, wie sie sich in den Predigtmeditationen durchgängig niederschlägt, nur f ü r die sogenannte innerprotestantische Ökumene eine so weittragende Bedeutung. Sie haben vielmehr diese Bedeutung f ü r die Ökumene aller Konfessionskirchen; in vornehmlicher Weise auch im Dialog und für die ökumenische Partnerschaft mit der römisch-katholischen Kirche. Und das ist umso mehr festzuhalten, wenn man die intensive, breit angelegte nachkonziliare Arbeit in der römischkatholischen Theologie und Kirche bedenkt, mit der sie sich gerade den Fragen des Wortes Gottes, des Wortgottesdienstes, der Verkündigung überhaupt zuwendet 31 . Hier bieten sich Möglichkeiten für eine redliche, die theologische Rechenschaftsgabe nicht umgehende Zusammenarbeit, die — aufs Ganze gesehen — erst in den Anfängen erkannt und genutzt werden. Die Ansatzpunkte, die Iwand für einen ökumenischen Dialog, der die römisch-katholische Kirche miteinbezieht, freigelegt hat, sind dazu geeignet, uns über diese Anfänge hinaus sachlich weiterzubringen. Iwands Predigtmeditationen wollen — und zwar in nicht geringem Maße — auch als Dokument ökumenischer Theologie verstanden und gebraucht sein. Und sie sind in der Tat als ein eminent wichtiger Beitrag zum ökumenischen Dialog zu werten. Sie gehören sicherlich zu den theologisch profiliertesten Äußerungen, die wir in den ökumenischen Dialog einzubringen haben. Denn hier hat theologische Arbeit an und mit biblischen Texten ein spezifisches Gewicht, das die römisch-katholische Kirche auch von ihren eigenen Voraussetzungen her als Gesprächsbasis ernstnehmen und gelten lassen kann 3 2 . Das Gemeinsame des Protestantismus zum Beispiel mit den altkirchlichen Symbolen, wie es u. a. die lutherischen Bekenntnisse ausdrücklich festhalten 33 , bringen die Predigtmeditationen unmißverständlich zur Sprache. Das Uberzeugende an der ökumenischen Akzentuierung der Predigtmeditationen Iwands liegt aber nicht nur in ihrem theologischen Format. Es besteht auch im Formalen dieses Dialogs. Nämlich darin, daß dieser ökumenische Akzent in den Meditationen nirgendwo mit einem falschen 31 Vgl. neben den einschlägigen Monographien vor allem das international u. interkonfessionell angelegte Werk: Handbuch der Verkündigung, Bd. I u. II, hrsg. v. Bruno Dreher, Norbert Greinacher, Ferdinand Klostermann, Freiburg 1970. Unter den dogmatisch ausgerichteten Arbeiten zu dieser Thematik verdienen besondere Beachtung: Hermann Volk, Zur Theologie des Wortes Gottes, Münster 1962. Ders., Wort Gottes, Gabe und Aufgabe. Gesammelte Schriften, Bd. 2, Mainz 1966, S. 89 ff. Zum exegetischen Aspekt s. G. Bornkamm, Die ökumenische Bedeutung der hist, krit. Bibelwissenschaft. In: Geschichte und Glaube II, Ges. Aufs. IV, 1971, S. 11 ff. 32 Zum Dialog mit der röm.-kath. Theologie und Kirche vgl. auch das VII. Kap. dieser Arbeit über den Stellenwert der Inkarnation, bes. die Ausführungen zum Verhältnis von Inkarnation und theologia crucis. 33 Die Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche, 6. Aufl., Göttingen 1967. Vgl. auch Edmund Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, 3. Aufl. 1948.

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Zungenschlag oder irgendwie aufdringlich, anmaßend und vereinnahmend in Erscheinung tritt. Öffnung auch dem ökumenischen Dialog gegenüber geschieht bei Iwand — wie überall sonst — nicht aus vordergründiger Effekthascherei oder gängigem Opportunismus. Modernität oder Progressivität um jeden Preis sind nicht bestimmende Motivation des Standpunktes. Die ökumenische Dimension ist nicht Absicht sondern Konsequenz seiner theologischen Arbeit; sie ist viel weiträumiger begründet als in bestimmten Konstellationen des Zeitgeschehens. Sie hat letztlich ihren Grund in dem breiten, unaufgebbaren Konsensus, in dem sich Iwand bei seiner theologischen Arbeit gerade im Hören und Ernstnehmen der großen reformatorischen Anliegen mit der vorreformatorischen Theologie, vor allem mit den theologischen Denkprozessen der Alten Kirche und mit der Theologie der Kirchenväter, befindet. Hierin ist die Motivierung für die Fülle der literarischen Zeugnisse zu sehen, die er aus diesen Epochen der Theologiegeschichte seinen Meditationen voranstellt und in ihnen in ihrer Relevanz f ü r die Predigt der Gegenwart evident werden läßt. So hat die vorhin aufgezeigte Tatsache, daß bei den Zitaten zu Iwands Predigtmeditationen das Schwergewicht auf Äußerungen der reformatorischen und vorreformatorischen Theologie liegt, darin ihren wesentlichen Grund, daß Iwand Predigt nur verstehen kann als Geschehen, in dem sich die Katholizität der Kirche artikuliert. Predigt hat immer ökumenische Dimension. Sie geschieht in jener Kontinuität und Identität des Zeugnisses, die sich im Nachvollzug der Bewegung der Texte in der Geschichte erweist. Diese Kontinuität und Identität des Zeugnisses in der Geschichte der Verkündigung bieten sichere Gewähr dafür, daß die Predigt sowohl vor der Gefahr geschützt bleibt, mit ihren Aussagen in der Kategorie des Historischen, etwa in der Exegese einer bestimmten Epoche, stecken zu bleiben, als auch vor der anderen Gefahr: sich gänzlich der Situation zu verschreiben und damit aus der Spannung herauszufallen, die im Dialog zwischen Wort und Wirklichkeit, auch im Dialog zwischen Prediger bzw. Hörer und Botschaft besteht, die im Text jeweils intendiert ist und die eine Spannung analog dem Verhältnis zwischen Gesetz und Evangelium bedeutet. Insofern ist die ökumenische Relevanz der Predigt eine Leitfrage in Iwands Predigtmeditationen, weil sie die Frage nach der Kontinuität des Wortes in der Geschichte artikuliert. In dem Verlust der ökumenischen Relevanz sieht Iwand eine bedenkliche Schwäche der Predigt. In seinen Meditationen weist er uns aber nicht nur auf die Gefahr dieser Schwäche hin, die gerade für die Predigt der Gegenwart wohl in besonderer Weise besteht; sondern er bietet mit seinen Textbearbeitungen wesentliche Hilfe, gerade diese Schwäche des Verlustes ökumenischer Relevanz auch im Sinne des Verlustes von dogmatischer Kontinuität zu überwinden. Diese Hilfe bietet er dadurch, daß

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seine Meditationen nicht nur mit den Fragestellungen zeitgenössischer Exegese und Situationsanalyse die Texte der Schrift zur Predigt der Gegenwart erschließen, sondern eben in breit angelegtem und entfaltetem Konsensus mit der Auslegung der reformatorischen und vorreformatorischen Theologie. Dieser Konsensus hat nicht nur dies zur Folge, daß der Vollzug der Predigt in seiner ökumenischen Dimension sichtbar wird; sondern zugleich ergibt sich daraus auch das andere: daß Fragestellungen und Probleme zeitgenössischer Exegese und Theologie in ihrer historisch bedingten Relativität erscheinen und damit ein Gewicht verlieren, das sie dann haben, wenn man sie losgelöst vom historischen Kontext je für sich wertet. Die Predigtmeditationen Iwands sind nicht zuletzt deshalb theologisch so qualifiziert und kreativ für die eigene Predigtarbeit, weil sie die Texte nicht auf den jeweiligen Stand der Exegese und dogmatischen Reflexion und damit auf ein punktuell verkürztes Verständnis der Geschichte festlegen. Hier werden nicht nur Fragen von Exegese und Dogmatik an die Texte gestellt. Sondern hier wird wesentlich auch umgekehrt von den Texten und ihrer Auslegungsgeschichte aus nach der Legitimität der Exegese und der Verbindlichkeit dogmatischer Reflexion gefragt34.

3 4 Es handelt sich dabei um die Richtung der Bewegung „von der Predigt zum T e x t " , auf die Chr. Möller aufmerksam macht. Vgl. seine Arbeit: Von der Predigt zum Text. Studien zur praktischen Theologie, hrsg. v. R. Bohren, K. Fror u. M. Seitz, N r . 7, München 1970. Bei Iwand ist wichtig, daß er sich auf die Alternative der Bewegungsrichtung homiletischer Bemühung: Vom Text zur Predigt — von der Predigt zum Text nicht einläßt, sondern daß er sie von seiner Verhältnisbestimmung zwischen Gesetz und Evangelium aus transzendiert.

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IV. Kapitel Zeugenschaft als Sachlichkeit der Verkündigung 1. Zeugendienst

als Freiheit und Verantwortung

der Predigt

Damit haben wir bereits zu einem neuen Problembereich übergeleitet. Die oben getroffene und ausgeführte Feststellung, daß Iwand seine Meditationen in der Regel nicht mit der Exegese beginne, formuliert sich nun zu der Frage nach der Art der Einsätze und den verschiedenen Modi bzw. Arbeitsgängen der Durchführung seiner Meditationen. Dieser Frage wenden wir uns im folgenden zu und versuchen, weitere modellhafte Arbeitsschritte seiner Meditationen zu verifizieren 1 . Dazu ist zunächst eine methodische Bemerkung nötig. Mit einem rein deskriptiven Verfahren kommen wir nicht weiter. Die Einsätze der Meditationen, ihre Gedankenschritte und Konzeptionen, die Anlage und Durchführung ihrer Entwürfe lassen sich nicht allein dadurch erhellen, daß wir die einzelnen Teile freilegen. Sie ergeben nie ein Ganzes. Es trifft auch hier das von Iwand im Hinblick auf die Arbeit an biblisdien Texten gern gebrauchte Bild aus der Anatomie zu: Das anatomische Zerlegen geschieht an toten Körpern. „Die Exaktheit der Untersuchung ist die Kehrseite dessen, daß wir es mit etwas Totem zu tun haben." Der Vorgang der Meditation aber ist — wie der biblische Text — etwas Lebendiges und also etwas Ganzes. Wenn es in lauter „Einzelheiten" zerfällt, ist es dadurch nicht mehr das, was es ist. Denn „das Ganze . . . ist nie die Summe seiner Teile" (291). Es bei den Teilen bewenden zu lassen, bedeutete im Hinblick auf Meditation und Predigt gleichermaßen, „über eine bestimmte Vorarbeit" nicht hinauszukommen. „Wir glichen dann einem schlechten Schneider, der die Teile eines Kleides seinem Kunden überreicht mit der Bemerkung, zusammennähen müsse er das selbst!" (338). Bei den Meditationen Iwands hat diese lebendige Ganzheit die Stufe höchster Intensität und Dichte erreicht. Darin werden wir die Grenze zu erkennen und auch zu wahren haben, an die alles Nachdenken und Nachvollziehen bei Iwands Meditationen gerät. Man muß mit ihnen denken, nicht ihnen nach, erst recht nicht sie nachahmend. Man muß sich durch sie stimulieren lassen, selber in den Text einzudringen und die Bewegung nachzuvollziehen, die von dort ausgeht. 1

Vgl. dazu das VI. Kapitel über „Anläufe der Predigtmeditationen".

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I wands Meditationen zeigen darum nicht, „wie man's macht"; nicht einmal wie man's machen könnte oder sollte. Wer das von ihnen erwartet, hat sie in ihrer Intention nicht verstanden. Hier werden nicht Predigtschablonen, auch nicht Predigtmodelle geliefert, selbst Vorschläge und Ratschläge zum Vollzug der Predigt kommen nur spärlich vor und werden mit großer Zurückhaltung angeboten, damit niemand die Predigtmeditationen benutzt wie sie nicht gemeint sind: so daß er daraus für die eigene Predigt einfach übernimmt. Die Meditationen Iwands „wollen ja mehr eine Hilfe als eine Vorlage sein" (152). Und das bedeutet: „daß wir keinen fertigen Predigtaufriß geben, sondern weiterhin dem Prediger seine eigene, besondere Freiheit lassen, indem wir zu der jeweiligen Perikope exegetisch und dogmatisch auf die faktische Bewegung hinweisen, die im theologischen Raum vor sich g e h t . . . " (354). Bei diesen Meditationen erleben wir, wie ein Mann in höchster Wachsamkeit und ungewöhnlicher Intensität als ein Mensch seiner Zeit in eigener, unaustauschbarer Verantwortung und Freiheit auf das hört, was in der Schrift zur Sprache kommt. Und was er da hört, sagt er weiter; so, daß alles durch seine Person hindurchgeht: was er sagt, ist gedeckt durch ihn selbst. Was wir in diesen Meditationen hören, lernen und empfangen, das läßt sich nicht abstrahieren von der Menschlichkeit dieses Mannes, dem wir sie zu verdanken haben. Es ist für das Verständnis der Meditationen Iwands und für den methodischen Zugang zu ihnen ganz entscheidend wichtig, daß wir damit rechnen, daß hier Positionen aufgezeigt und bezogen werden. Die theologische Rechenschaft über diese Positionen, ihre theologische Verantwortung — das ist das, was man wohl am ehesten als eine Art methodischen Hauptnenner bezeichnen könnte, auf den die Meditationen bei all ihrer Variationsbreite in der Durchführung zu bringen sind. Darin liegt ein Punkt systematischer Ordnung und Einheit dieser so verschieden angelegten und ausgeführten Textbearbeitungen. Man kann dieses Position-Beziehen mit dem Neuen Testament und seinem Sprachgebraudi auch Zeugenschaft nennen. Für Iwand gibt es keine legitime Predigt, ohne daß der Prediger für das, was er sagt, einsteht; ohne daß der Prediger das auch vertritt, was er sagt. In seinen Meditationen zeigt Iwand, wie er dieses Einstehen für sich vollzogen hat. Sie sind eine Rechenschaftsgabe seines Zeugendienstes. Und sie sind in der Absicht und Hoffnung geschrieben, daß denen, die sie benutzen, geholfen wird, selber: in eigener Verantwortung und Freiheit Zeugen der Schrift zu werden. Denn keine Auslegung kann „dem Prediger das abnehmen, was der unmittelbare Auftrag der Verkündigung von ihm, von seinem Zeugnis und seiner Begegnung mit dem Worte Gottes verlangt. Hier ist eine Grenze, die keine Hermeneutik überschreiten wird und die zu respektieren zum Wesen aller echten Vorbereitung 72

gehört" (60). Es gehört zum echten Zeugen, daß „dem Prediger das eigentlich und persönlich unter der Berufung, die ihm zuteil wird, zu Leistende" nicht „abgenommen wird oder werden soll". Denn dabei geht es um „die Mitte selbst", die durch niemanden anders ausgefüllt werden kann und darf als durch den jeweiligen Prediger in seiner ureigenen Verantwortung und Freiheit. Diese Mitte „muß der freie Ort bleiben, wo jenseits jedes Schemas und aller Methodik das ,ubi et quando Deo visum est' seine Stelle und seine konkrete Realität hat und behalten soll" (408). Iwand hat einen schwerwiegenden Mangel der Predigt und ein entscheidendes Symptom der Predigtkrise darin gesehen, daß die Predigt zu wenig Zeugnis im eben ausgeführten Sinne ist. Daß in ihr dagegen bloß Richtigkeiten oder objektive Wahrheiten referiert und deklamiert werden, daß Informations- und Lernprozesse ablaufen, daß aber das Einstehen für die Sache, das Positionbeziehen weitgehend fehlt. Es ist in diesen Predigten nach Iwands Meinung „sehr viel Betrieb" aber „viel zu wenig echte Entscheidung" (590). Er hat diesen Mangel nicht nur oft beklagt, sondern sich unablässig darum bemüht, ihm abzuhelfen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat er seine Predigtmeditationen geschrieben und den Predigern zur Verfügung gestellt. Indem er über sein Zeugesein Rechenschaft ablegt, will er diejenigen, die bereit sind, von dieser Rechenschaftsgabe Kenntnis zu nehmen, ermutigen und es ihnen — so gut das ein anderer kann — ermöglichen, selber Zeugen zu sein: Zeugen der Schrift. Der Begriff der martyria ist also ein hermeneutisches Schlüsselwort für das Verständnis von Iwands Predigtmeditationen. Diese Auffassung von Predigt im Sinne einer Zeugenschaft zeigt an einem sehr markanten Punkt die Nähe und den weitgehenden sachlichen Konsensus der Theologie Iwands und der Dietrich Bonhoeffers, was nicht nur für die Hermeneutik und Homiletik, sondern etwa auch für beider theologisch reflektierte und praktisch vollzogene Verantwortung für das Evangelium in der Welt und für die intensive Herausarbeitung sozialethischer Perspektiven der Verkündigung nicht zuletzt auch im Sinne einer politischen Ethik zutrifft 2 . 2 Dietrich Bonhoeffer, F i n k e n w a l d e r H o m i l e t i k . Ges. Sehr., B d . 4, München 1 9 6 1 , S. 2 3 7 ff. D a r i n bes. I I I . K a p . : „Der Z e u g e " . Z u r V e r a n t w o r t u n g für das Evangelium in der W e l t : O . Hammelsbeck, Zu Bonhoeffers Gedanken über die mündig gewordene W e l t . Die mündige W e l t I, 2. Aufl. 1 9 5 5 , S. 4 6 ff. A . Schönherr, Bonhoeffers Gedanken über die Kirche und ihre Predigt in der „mündig" gewordenen W e l t . Die mündige W e l t I, S. 76 ff. Politik der Nachfolge. E v . Theol. 3 2 , 1 9 7 2 . D a r i n bes. Ernst Feil, D a s Weltverständnis D . Bonhoeffers, S. 511 ff. Z u m G a n z e n : E . Bethge, Dietrich B o n hoeffer. Eine Biographie, München 1 9 6 7 . U n d : E r n s t Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers. Hermeneutik, Christologie, Weltverständnis. 2. Aufl., 1 9 7 2 .

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2. Zeugendienst

als analogieloser Beruf

„Martyria-Zeugnis gehört in den spezifischen Sprachgebrauch der joh. Schriften" (421). Infolge dieses exegetischen Befundes formuliert Iwand wichtige Einsichten zum Verständnis von Zeugnis und Zeugenschaft in Meditationen zu Texten aus dem Johannesevangelium, vor allem aus dessen Prolog 3 . „Die Wahrheit Gottes bezeugt sich nicht ,einfach' durch sich selbst wie ein mathematischer Satz . . . , sondern zu ihrer Bezeugung ist der Botendienst berufener Zeugen nötig. D a f ü r ist Johannes exemplarisch" (422). Von diesem exemplarischen Zeugen zieht Iwand die Linien weiter aus. Mit Luther findet er: „ynn diszem Evangelio wirtt aufzgemalet das predigtamt des newen testaments, wie sich das hallte, was es thu und was yhm w i d d e r f a h r e . . . das Evangelion sol eyn lebendige stymme seyn; darumb ist Johannes eyn figur, bild, datzu eyn anheber und der erst aller prediger des Evangeli, er schreybt nichts, er schreyt aber alles mit der lebendige stym." 4 Damit ist festgehalten, daß der religionsgeschichtlich singulare und analogielose Beruf des Zeugen, der — wie Johannes — ganz und gar von sich wegweist, der sich nur noch als Ruf und Stimme weiß, konstitutiv zur Ausübung des Predigtamtes gehört. Der Zeuge ist nicht Historiker oder Berichterstatter. Was er sagt, ist nicht „eine Art frömmelnder Reportage" (423). Aufgrund der Tatsache, daß mit dem Auftreten des exemplarischen Zeugen „nicht geschrieben, sondern geredet und gehandelt wird", stellt Iwand eine nachhaltige Rückfrage an die Verkündigung der Gegenwart: „Sind nicht unsere Predigten o f t nur Vortrag von Geschriebenem?" (ebd.). Damit dürfte auch in Frage gestellt sein, daß Zeugendienst so einseitig thematisiert werden kann, wie es zum Beispiel da der Fall ist, wo man von „Verkündigung als Information" spricht 5 . Es soll dadurch freilich keineswegs ausgeschlossen werden, daß im Vollzug der Verkündigung, also bei Ausübung des Zeugendienstes auch Informationen weitergegeben werden; und daß infolgedessen auch informationstheoretische und sprachphilosophische Erkenntnisse in die hermeneutische und homiletische Reflexion eingebracht werden müssen, wie das zum Beispiel Hans-Dieter Bastian versucht 6 . Es bleibt aber andererseits eindeutig festzuhalten, daß es unzureichend und darum unzutreffend ist, die Begriffe Zeugnis bzw. Verkündigung und Information mit ihren Aussagegehalten einfach zu identifizieren. Wo die Sache und Aufgabe der 3 Vgl. bes. seine Predigtmeditationen zu Joh 1,9—13, Joh 1,19—28 u. Joh 1,1—14 (48 ff., 420 ff. u. 425 ff.). 4 W. A. 10, 1.2; 204, 18 f. zit. bei Iwand, Pred.-Med., 422. 5 Ζ. B. Hans-Eckehard Bahr, Verkündigung als Information. Zur öffentlichen Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Konkretionen, Bd. 1, Hamburg 1968. 6 Kommunikation. Themen der Theologie, Bd. 13, 1972. Vgl. auch: Helmut Fischer, Glaubensaussage und Sprachstruktur, Hamburg 1972.

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Verkündigung zur Sprache kommt, genügt es nicht, allein informationsund kommunikationstheoretisch zu verfahren. So wichtig das gerade auch in der gegenwärtigen Diskussion um eine Theoriebildung der Verkündigung zu berücksichtigen ist, was Manfred Seitz von der Praktischen Theologie überhaupt äußert: „Sie muß den durch die empirischen Wissenschaften geöffneten Raum b e t r e t e n . . . In dem allen ist sie historischempirisch-kritisch-konstruktive Wissenschaft" 7 ; so sehr hat dieser empirische Aspekt zur Voraussetzung, daß es sich um theologische Wissenschaft handelt. Diese hat vor allem dafür zu sorgen, daß das Thema der Verkündigung, bzw. ihr Inhalt nicht „im historischen Sinne ,erledigt' ist" (421). Und das geschieht nach Iwand dadurch, daß die menschliche Existenzweise des Zeugen „als die notwendige, unvermeidliche... als der leere Rahmen, in dem dann das Bild selbst erscheint, als Stimme, in der das Wort selbst laut wird" (ebd.) unverkennbar deutlich wird. Gerade unter dieser Voraussetzung gewinnt die Praktische Theologie für ihre Reflexion der Verkündigung die Möglichkeit und Unbefangenheit, den — wie M. Seitz umsichtig formuliert — durch die empirischen Wissenschaften geöffneten Raum zu betreten, ohne sich in ihm anzusiedeln und damit ihr eigenes Feld zu verlassen. Auch für das Betreten und Beschreiten der Räume anderer Wissenschaftsbereiche und ihrer Methodik durch die Theologie bleibt also ihr Weg durch die dialektische Marke „Gesetz und Evangelium" gewiesen und bezeichnet. Der Dienst des Zeugen hat auch entscheidend mit der der Verkündigung gemäßen Sachlichkeit zu tun 8 . Uberzeugende Sachlichkeit ist für Iwand nicht gewährleistet etwa durch „Historisierung" der Verkündigung; diese „bedeutet in Wahrheit ihre Preisgabe an den Mythos" (48). Im Zeugnis dagegen „wird die Wahrheit des Bezeugten von der Person dessen, der sie bezeugt, abgelöst, wird ,objektiv', öffentlich gültig" (421). Weil das Ereigniswerden der Wahrheit: die Offenbarung also ein paradoxes Geschehen ist 9 , darum bedarf das Wort des ihm beigesellten Zeugen. „Es wären Kirche, Predigt, Lehre und die Berufung bestimmter Menschen zu Zeugen nicht not, wenn das bloße Vorhandensein Jesu Christi in der Welt, das Kommen und Gekommensein des Wortes an sich genügten" (431). Iwand hält es für besonders wichtig, den Tatbe7 Manfred Seitz, D i e A u f g a b e der praktischen Theologie. Stud. ζ. prakt. Theol. N r . 5, München 1968, S. 80. V g l . auch in diesem Z u s a m m e n h a n g die bereits zit. (III. K a p . , A n m . 29) Arbeit v. A. H o l l w e g , Theologie und Empirie. E b e n f a l l s : H . Breit, L . G o p p e l t , M. Seitz, D i e Predigt zwischen T e x t und Empirie, 1969 u. J . Roloff (Hrsg.), D i e P r e d i g t als K o m m u n i k a t i o n , 1972. Ferner das V I I . K a p . dieser Arbeit, bes. den Abschnitt: Empirische A f f i n i t ä t der Predigt. 8 Dazu I w a n d s A u f s a t z : D i e Sachlichkeit der theologischen Arbeit. I n : U m den rechten Glauben, S. 75 ff. 9 J o h 1,5 u. 11 vgl. Bultmanns Auslegung d a z u in seinem K o m m e n t a r zum J o h a n nesevangelium z. St.

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stand des Zeugendienstes betont zur Sprache zu bringen. Denn „der Hinweis auf den Zeugen . . d e r der Botschaft Worte verleiht, die die Zeit und die Zeitgenossen treffen, dürfte heute eine unserer schwächsten Stellen treffen. Sind wir doch allzusehr auf dem Rückzüge auf das ,Christusgeschehen als solches' b e g r i f f e n . . . . Aber Zeugendienst ist ein von sich weg-, ein über sich hinausweisender Dienst. Erst im Zeugendienst kommt die echte, die dem Wort und der Sache gemäße Objektivität zur Darstellung" (ebd.). Zeugnis und Zeugendienst jedoch sind keine Fakten, die sich von selbst ergeben und verstehen. Sie sind auch nicht in Analogie zu bringen zu vergleichbaren Phänomenen. Darum haben wir in diesem Zusammenhang jetzt noch zu bedenken, was Iwand in seiner großangelegten Meditation zur Himmelfahrtsperikope Apg 1,1-11 ausführt 1 0 . „Das Einsetzen des Zeugendienstes" sieht er in unlösbarem Zusammenhang „mit der Geistausgießung." „Keine geistlichen Herrschaftsformen, d a f ü r aber geistgewirkte Verkündigung!" Geist und Zeugnis — und zwar der Geist, von dem Apg 1 und 2 zu lesen ist, und das Zeugnis, das dieser Geist bewirkt — hängen zusammen. Und zwar so, „daß uns erst der Geist wirklich extra nos stellen muß, daß er uns von uns selbst frei machen . . . und entbinden muß, damit wir Zeugen sein können. . . . Der Geist, mit dem sich die vermeintlichen Geistträger selbst verklären, ist nicht der Geist des 3. Artikels. Zeuge ist Ausdruck höchster, reinster Sachlichkeit" (499 f.). Diese Sachlichkeit rückt auch die grundsätzlich durchaus berechtigte und ernstzunehmende Frage nach der Effektivität, nach der aufweisbaren Wirksamkeit des Zeugnisses ins rechte Licht und zeigt den verantwortbaren Stellenwert dieser Frage an. Denn sie besagt u. a. ja auch dies: „Der Zeuge hat auch da, wo sein Zeugnis abgewiesen wird, das Recht auf seiner Seite. Auch in der Unterlegenheit ist er Sieger (vgl. 2Kor 6,1-10). Im Zeugnis der Zeugen des erhöhten Herrn kommt Gottes Sache zu Wort" (500). Darum besteht doch auch die Warnung, die Iwand in diesem Zusammenhang ausspricht, nach wie vor zu Recht: „Man verwechsle nicht das ,Medium' des menschlichen Zeugnisses mit seiner Unentbehrlichkeit. Man meine nicht, das Wort müsse sich immer aufs neue inkarnieren, vermenschlichen, anpassen." Sondern es bleibt vielmehr bei der durch das reformatorische extra nos markierten Leitlinie f ü r alles, was Verkündigung im Sinne von Zeugnis und Zeugendienst ist: „In dem von sich wegweisenden, sich selbst dabei aufhebenden und durchstreichenden Zeugnis seiner Zeugen . . . wird die Sachlichkeit der Sache Gottes gewahrt" durch die „vom Geist Gottes selbst getriebenen und stark gemachten Zeugen" (ebd.). — Die zu Recht vehement erhobene Forde10

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Pred.-Med., S. 492 ff., hier bes. S. 499 f.

rung nach Versachlichung — gerade auch im Hinblick auf alles Reden der Kirche, auf ihren Umgang mit dem Wort und den Wörtern — bekommt hier entschieden ihre theologische Legitimität. Versachlich ung bedeutet präzise Besinnung auf das aufgetragene Zeugnis und Erinnerung an die Pneumatologie als Ermöglichung des Zeugendienstes. Hier zeigt sich ein verheißungsvoller Ansatz zur Erneuerung von Kommunikation und zur Überwindung gegenwärtiger Sprachlosigkeit 11 . Wir haben eben wesentliche Aspekte zur Verdeutlichung von Zeugnis und Zeugendienst aus Iwands Auslegungen johanneischer Texte gewonnen 12 . Es bleibt noch der Hinweis darauf, daß auch in diesem Zusammenhang sein anhaltendes Bemühen um das Verständnis eines weiteren typisch johanneischen Fragenkreises seinen Niederschlag findet, dem er besonders die großen Vorlesungen seiner letzten Jahre widmete: der Zuordnung von Glauben und Wissen 13 . Dieser Fragenkreis ist ein nicht zu verkennendes Element auch f ü r Iwands Verständnis von Zeugnis und Zeugenschaft. Der Zeuge setzt alles aufs Wort. Er weiß damit, was er zu sagen: also zu bezeugen hat, und er ist der Sache gewiß, f ü r die er einsteht. Denn wer „alles aufs Wort setzt, der ist frei von sich selbst, der gibt Gott recht, der treibt seine Sache" (500). Damit zeigt sich auch an dieser Stelle besonders deutlich ein für Iwands ganze theologische Arbeit bezeichnendes Charakteristikum — vielleicht das bezeichnendste überhaupt: Ein exegetischer Tatbestand wird systematisch-theologisch aufgenommen und verarbeitet. Diese Einordnung in einen systematisch-theologischen Kontext initiiert einen hermeneutischen Prozeß, in dem Texte der Schrift erschlossen werden. Der auf die Exegese gegründete Ertrag systematisch-theologischer Arbeit wird in der Hermeneutik biblischer Texte evident 14 . Von dieser Evidenz systematisch-theologischer Arbeit in ihrer Relevanz für die Hermeneutik sind die Predigtmeditationen Iwands unverkennbar geprägt. Sie stellen damit zugleich ein Dokument der sachlichen Einheit der theologischen Wissenschaft mit ihren einzelnen Disziplinen und verschiedenartigen Arbeitsmethoden dar. An dieser Einheit hat Iwand entschieden fest11

Auch in diesem Zusammenhang ist R. Bohrens Predigtlehre zu sehen. Bes. II. Teil: Das Woher der Predigt, S. 65 ff. 12 S. o. Anm. 3 u. die entsprechenden Ausführungen im Text. 13 N W I. Vgl. auch Ferdinand H a h n , Sehen und Glauben im Johannesevangelium. I n : Neues Testament und Geschichte (Oscar Cullmann zum 70. Geburtstag), Zürich 1972, S. 125 ff. 14 Von anderen Voraussetzungen her und mit anderen Intentionen als Iwand spricht Ernst Fuchs von der Existenz des Neuen Testaments als „Text", von seiner „Funktion als Sprache, zumal in der Situation der Predigt bzw. der Verkündigung". (Was wird in der Exegese des Neuen Testaments interpretiert? ZThK, Beiheft 1, 1959, S. 31 ff., Zitat auf S. 36). Vgl. auch die einschlägigen Arbeiten v. E. Fuchs „zum hermeneutischen Problem in der Theologie". Ges. Aufs. I, 2. Aufl., 1965. Auch: Ders., Hermeneutik, 4. Aufl. 1970 u n d : Marburger Hermeneutik, 1968.

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gehalten und sich unablässig dafür eingesetzt, daß sie trotz aller gegenläufigen Tendenzen erhalten bleibt. Audi darin können wir heute nur versuchen, seine Schüler zu sein 15 . Der Versuch, die Entfaltung der biblischen Texte in den Predigtmeditationen methodisch zu erschließen, läßt sich nur von den eben aufgezeigten Voraussetzungen weiterführen. Der Gesichtspunkt der martyria und die hermeneutische Relevanz systematisch-theologischer Arbeit bilden zwei Pole, um die die Denkbewegung schwingt, aus der die Predigtmeditationen entfaltet, entworfen und gestaltet sind. Sie bilden entscheidende Wegemarken, die den Weg kennzeichnen und abstecken, auf dem sich der „Gehversuch durch die weiten Räume der Schrift" 1 6 in immer neuen Ansätzen und Gedankenschritten vollzieht. Die eben zitierte Formulierung aus einem in seiner Bedeutung bisher weithin unerkannt gebliebenen, gerade für unsere Thematik aber wichtigen Vortrag Iwands aus dem Jahre 1936 17 ist in besonders sachgemäßer Weise dazu geeignet, das Vorhaben zu beschreiben, das er nach seiner eigenen Absicht und nach seinem eigenen Verständnis mit den Predigtmeditationen durchgeführt hat. Gehversuch: es gibt da kein Auf-derStelle-Treten, kein Verweilen auf bereits entdeckten, inzwischen aber ausgefahrenen Geleisen. Es gibt kein Bearbeiten der Texte nach einem bereits gewonnenen, vorgefaßten und im voraus entwickelten Verfahren. Es gibt nichts Fertiges, das so wie's gesagt ist, für immer gesagt sein könnte. Es bleibt Versuch, der weitere, neue Versuche provoziert: Versuche, „das Wort immer wieder neu und tiefer zu fassen" (419). Versuche, Fragmente, die auf Ergänzung mit dem Ziel der Vollendung aus sind. Bei diesem Fortgehen von einem Versuch der Auslegung zum andern werden immer neue, weitere Räume entdeckt und erschlossen: Räume; und nicht nur Linien oder gar nur Punkte. Wo Linien gezogen und Punkte markiert werden, da geht es dabei um das Kennzeichnen und Ausschreiten von Räumen, in denen sich Details zu einer sinnvollen 1 5 Vgl. I w a n d s A u f s a t z : D i e Krisis des Wisscnschaftsbegriffes und die Theologie. U m den rechten Glauben, S. 62 ff. U . a. auch E . Jüngel, D a s Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander. Stud. ζ. p r a k t . Theol. N r . 5, 1968, S. 11 ff. Sowie die wissensdiaftstheoretischen Arbeiten v o n G e r h a r d Sauter. V o r allem seine Einleitung und T e x t a u s w a h l in: Theologie als Wissenschaft, Theol. Bücherei, B d . 43, 1971. F e r n e r : Ders., Theologie — eine kirchliche Wissenschaft? I n : Jenseits v o m N u l l p u n k t ? , hrsg. v o n R . Weckerling u. a., 1972. S. auch den Diskussionsbeitrag v. W. P a n n e n b e r g : Wie w a h r ist das R e d e n v o n G o t t ? E v . K o m m . 4. J g . , 1971, S. 629 ff. Gespräch zwischen Pannenberg und Sauter über Theologie als Wissenschaft in: E v . K o m m . 6. J g . , 1973, S. 4 ff. D i e F r a g e nach der Einheit der theologischen Wissenschaft hängt z u s a m m e n mit der Diskussion um Wissenschaftstheorie in der Theologie. D a z u vor a l l e m : W o l f h a r t Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie. F r a n k f u r t 1973. 16 17

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U m den rechten Glauben, S. 111. A . a . O . , S. 110 f f . : D i e Heilige Schrift als Zeugnis des lebendigen Gottes.

Ganzheit fügen. Und dieser immer neu unternommene bewegt sich in den „weiten Räumen der Schrift". 3. Zeugendienst

in seiner Bezogenheit auf das

Gehversuch

Schriftwort

Iwand ist ganz bewußt Theologe und Zeuge der Schrift. Jede seiner Meditationen hat im Grunde hier ihren unverrückbaren Schwerpunkt und Einheitspunkt: Sie will an einer bestimmten Stelle, die der Text jeweils markiert, die Schrift in der Ganzheit ihrer Botschaft entdeckten; in der Ganzheit, nicht in programmatischer Vollständigkeit. So weist er mit seinen Predigtmeditationen ganz entschieden und kompromißlos auf die Schrift als einzige verbindliche Quelle der Verkündigung. Diese strenge, ausschließliche Bezogenheit der Verkündigung auf die Schrift hat f ü r ihn keineswegs nur formale Gründe und auch nicht nur formale Bedeutung. Das ist für ihn kein „Schriftprinzip" im Sinne eines ideologischen Überbaus. Sondern hier stellt sich f ü r Iwand zuerst und vor allem ein inhaltlicher Zusammenhang und eine sachliche Notwendigkeit dar. Es ist von daher methodisch unmöglich, zumindest unangemessen, daß wir die Predigtmeditationen analysieren und dann daraus Iwands Schriftverständnis deduzieren. Sondern umgekehrt muß verfahren und vorgegangen werden: Iwands Schriftverständnis ist konstitutiv f ü r die Analyse seiner Meditationen. Die Konzeptionen der Predigtmeditationen sind entworfen aus Iwands in ständigem Umgang mit der Schrift gewonnenen systematisch-theologischen Verständnis der Schrift als Ganzheit heraus. Bei Iwands Predigtmeditationen geht es im wesentlichen Unterschied zu so gut wie allen anderen Unternehmungen und Bemühungen vergleichbarer Art und Aufgabenstellung, die inzwischen angeboten werden, ganz bewußt nicht darum, daß die Bearbeitungen von Teilstükken der Schrift zu einem Gesamtverständnis führen, das dann als Akzidens hinzukommt. Sondern die einzelnen Textbearbeitungen sind Konsequenzen, die sich aus seinem Gesamtverständnis der Schrift ergeben. Das spezifische Gewicht und die wohl uneinholbare Qualität seiner Beiträge zur Auslegung und Verkündigung der biblisdien Botschaft besteht darin, daß hier eine theologische Dynamik am Werk ist, die bei den einzelnen Texten zur Ganzheit der Schrift, zur Gesamtheit ihres Zeugnisses durchstößt. Gerade dieses Vermögen, die Ganzheit der Schrift, die Schrift im Gesamtzeugnis ihrer Botschaft zu sehen und zu erschließen, ist von wegweisender Bedeutung f ü r die Lage von Theologie und Kirche, von Verkündigung und Forschung heute. Denn es fehlt uns doch weithin die Kraft, oder wir wagen es nicht mehr, diese Ganzheit in Blick zu nehmen, uns ihr zu öffnen. Weil wir uns mit Teilen begnügen — jeder mit seinem — darum gibt es so viele Teilungen unter uns. Iwand hat diese Gefahr bereits in ihrem Keim erkannt und heraufziehen sehen. In seinen Medi79

tationen bietet er uns die denkbar beste Hilfe, dieser Gefahr zu wehren bzw. sie zu überwinden. Wenn das systematisch-theologische Verständnis der Schrift der Punkt ist, von dem aus Iwand in seinen Meditationen Texte der Schrift entfaltet und erschließt, dann ergibt sich daraus auch der nächste weiterführende Schritt für unsere Überlegungen zu den Arbeitsgängen, zum Aufspüren der Denkprozesse, die er in seinen Meditationen vollzieht. Wir kommen in der methodischen Frage nur weiter, wenn wir die systematische weiterverfolgen. Die Frage nach dem Wie der Erkenntnis ist f ü r Iwand auch hier von dem Was nicht zu trennen. Wir können das Verständnis der einzelnen Texte nicht abstrahieren von dem Verständnis der Schrift in ihrer Gesamtheit; denn Iwands Verständnis der Schrift ist konstitutiv für sein Verständnis der Texte. — Es ist hier weder O r t noch Raum, Iwands Schriftverständnis in seinem Gesamtzusammenhang darzustellen. Wir beschränken uns darauf, wie die Thematik dieser Arbeit auch nahelegt und zuläßt, wesentliche Punkte der Schriftauffassung bei Iwand hervorzuheben und zu akzentuieren, die ihn bei der Entfaltung der Texte in seinen Meditationen leiten. Iwand hat entschieden die These vertreten und sie im Vollzug seiner Arbeit auch entfaltet und einsichtig gemacht, daß Theologie Exegese ist, daß theologische Arbeit grundsätzlich als Schriftauslegung geschieht. Wir haben es bei ihm — wie oben bereits ausgeführt — mit einem Theologen zu tun, der gerade als Systematiker die Exegese auch in ihrer historisch-kritischen Funktion uneingeschränkt bejaht. Hinter ihre Arbeitsmethoden und -ergebnisse gibt es für ihn kein Zurück 18 . Ebenso deutlich aber müssen wir sehen, daß f ü r ihn das Historische keineswegs die einzige Kategorie ist, die Botschaft der Schrift zu erheben und zu erfassen. Das Evangelium läßt sich angemessen nicht allein historisch fassen. Dagegen steht, daß Evangelium wesentlich epanggelia, promissio ist 19 . Iwands theologische Absage an die fides historica hat eine starke Motivierung darin, daß er — wie Luther — auch den Sinn der Schrift nicht allein historisch faßt — weder im Ursinn noch im Letztsinn handelt es sich um einen sensus historicus der Schrift. Sondern es geht dabei um den „Rückgriff", die „Rückbeziehung auf jenen ersten, nicht mehr auf der historischen, aus der Vergangenheit zu uns herüberreichenden Linie zu findenden Punkt, wo der Funke z ü n d e t . . . : daß Gottes Wort den Bereich des ,Logos', d. h. den menschlichen Bereich des Verstehens, Beschreibens, Denkens, Urteilens s p r e n g t . . . " (618). Zwischen der Skylla des Flistorismus und Charybdis des Dogmatismus sucht er immer 18

S. o. S. 45 ff., bes. S. 47. Nähere Ausführungen dazu im V. Kap.: Schriftwort als Verheißungswort in seiner homiletischen Relevanz. 19

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den Weg, der Bewegung auf die Spur zu kommen, die die Texte der Schrift beinhalten. Diese Bewegung, deren Verlauf die einzelnen Texte und Bücher der Bibel markieren, vollzieht sich nicht zusammenhanglos, als eine Abfolge von lauter Zufälligkeiten. Sie liefert Iwand die Strukturen und Strukturelemente f ü r ein Gesamtverständnis der Schrift. Auch hier ist — wie bei den einzelnen Texten und Perikopen — das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Noch wenige Wochen vor seinem Tode (1960) äußert Iwand, daß ihn die Frage nach dem Ganzen der Schrift besonders beschäftige und im Hinblick auf die Verkündigung der Gegenwart mit Sorge erfülle 20 . Die Bemühung um Texte in seinen eigenen Meditationen wie auch in den „Göttinger Predigtmeditationen" versteht er als ein Unternehmen mit der Intention, das Ganze der Schrift zur Darstellung und zum Klingen zu bringen, es für den Vollzug der Verkündigung sichtbar und wirksam werden zu lassen. Eine Predigt, die lediglich Textauslegung ist, kann er nur als Folgeerscheinung davon begreifen, daß wir in der Gefahr stehen, „die Mächtigkeit des Wortes Gottes und seine in die Zeit eingreifende Entscheidungskraft zu neutralisieren" 21 . Er sieht den „Zeugnischarakter der Schrift gelähmt", wenn sie in lauter Einzelstücke zerfällt, „womit man dann die ,Texte' aus ihrem organischen Sachzusammenhang löst. . . . Der ,Text' will als gepredigter' zum speculum (Spiegel) des Ganzen werden" 2 2 . Diese Äußerungen liegen ganz auf der Linie der oben bereits genannten, für unseren Fragenkreis besonders erhellenden Arbeit Iwands aus einem früheren Stadium seines theologischen Schaffens: „Die heilige Schrift als Zeugnis des lebendigen Gottes." 23 Darin betont er die „Einheit zwischen Schrift und dem Wort des lebendigen Gottes", freilich eine „geglaubte Einheit, die nicht mit der Verbalinspiration, dieser materialisierten Offenbarungstheorie verwechselt werden darf" 2 4 . Diese Einheit von Schrift und Wort — also die Einheit in der Spannung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium, nicht die Identität im objektivierten Sinne — ist f ü r Iwand der Punkt, von dem aus das Ganze der Schrift immer wieder neu Gestalt gewinnt. In dieser Einheit erweist sie und bewährt sie ihre „Mächtigkeit" und „in die Zeit eingreifende Entscheidungskraft" 2 5 . In dieser Einheit hält sie auch „den Unterschied zwischen Gott und Mensch als die der Welt fehlende und dennoch für ihren Bestand unentbehrliche Wahrheit aufrecht" 26 . Das in-actu-esse dieser Einheit von Schrift und Wort, die der von Wort und Geist, von Gesetz und Evangelium entspricht, hat für Iwand zur Folge, daß die Schrift eine 20 22 24 26

Vgl. im Vorwort zu N W III, S. 11. Ebd. A.a.O., S. 112. Um den rechten Glauben, S. 119.

21 23 25

Vgl. im Vorwort zu N W II, S. 11. Um den rechten Glauben, S. 110 ff. S. o. Anm. 20.

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G a n d r a s , Predigt

Mitte gewinnt, um die ihre Aussagen bei aller Breite ihrer — nicht nur historischen — Divergenz schwingen und sich zu einer Ganzheit formen. Anders formuliert: Die Einheit von Schrift und Wort findet ihren Niederschlag im Prozeß einer Geschichte, in deren Verlauf sich die Mitte der Schrift artikuliert und die Schrift in ihrer Ganzheit Profil gewinnt. Auch für die Schrift als ganze gilt, was Iwand in den Predigtmeditationen für die einzelne Perikope immer wieder zeigt und ausführt: „Es geht in der Verkündigung darum audi nicht um das Herausstellen monotoner ,ewiger' Wahrheiten, die der Versteinerung verfallen . . . So kann uns ein T e x t . . . , gerade in seiner Wandlung betrachtet, etwas lehren: daß wir auch in unserer eigenen Verkündigung nicht versteinern, nicht starr und tot werden, sondern uns mit hineinnehmen lassen in die Bewegung, die Gottes Wort vollzieht und die in aller Verwandlung doch ihre bestimmte, unwandelbare Mitte behält" (585). Bei dieser Mitte handelt es sich für Iwand darum, daß die Schrift „den herausstellt und mitten in unsere Welt hineinstellt, in dem Gott nun in der Tat menschlich redet, handelt, leidet — und dennoch bleibt, der er ist" 27 . Die Schrift weist über sich hinaus, sie markiert den Weg, an dessen Ende „die Botschaft von dem neuen Menschen steht, in dem das Wort Gottes Fleisch geworden ist, in dem das Ja zu allen Verheißungen Gottes Ereignis geworden ist. . . . Darum hört die Schrift hier auf, Schrift zu sein. Sie wird wieder, was sie ursprünglich war: Wort, Zeugnis, Botschaft, Heroldsruf, Evangelium. Sie hört auf, toter und tötender Buchstabe zu sein und verwandelt sich in lebenschaffenden Geist"28. Was hier gemeint ist, vollzieht sich nach Iwand erstmalig mit dem sogen. Evangelium quadraginta dierum, das der Auferstandene der Jüngergemeinde interpretiert. Es begegnet uns, „wenn wir die Texte des NTs studieren, indem wir auf einmal begreifen, daß sie Geist und Leben sind, die uns eben noch Buchstabe und religionsgeschichtliche Texte waren . . . " (499). Dieses „Begreifen" kann als ein entscheidender Zielpunkt gelten für das, was Iwand in seinen Predigtmeditationen versucht. Er verfolgt Spuren und legt Schneisen in den biblischen Texten, die dieses „Begreifen" ermöglichen und Predigt von daher in Gang setzen und mit Substanz und Gehalt versehen29. Wir können also die Pneumatologie als den Punkt ansehen, auf den hin sich Iwands Schriftverständnis und infolgedessen auch sein Predigtverständnis zuspitzen. Pneumatologie ist — wie sich auch an dieser Stelle zeigt — der Angelpunkt von Iwands Theologie; anders gesagt: sie ist der Ausgangspunkt einer durchgängigen Leitlinie, die das Ganze der theologischen Reflexion bei Iwand durchzieht und die ständig auf den Einheitspunkt des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium weist. 28 Ebd. " A.a.O., S. 122. 28 Vgl. audi Μ. Mezger zu Textkritik und Textautorität. In: Verantwortete Wahrheit, S. 95 ff.

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Mit den eben zitierten Äußerungen Iwands zu seiner Auffassung von Schrift30, die als eine Ganzheit ausgelegt und vernommen sein will, die eine Mitte hat, um die alles schwingt, sind wir an den Punkt gelangt, an dem ein weiterer Aspekt seines Schriftverständnisses deutlich wird. Beim Aufzeigen gerade dieses Aspektes werden wir wohl nicht niedriger ansetzen dürfen als da, wo Iwand — wenn man so sagen will — seine systematisch-theologische Grundposition bezogen hat, wo sein gesamtes theologisches Denken durchgängig und unverrückbar verankert ist: bei den Sachgehalten in Luthers Schrift De servo arbitrio31. Von seinen theologischen Anfängen bis in seine letzten Lebensjahre hinein gilt gerade dieser Schrift Luthers unentwegt Iwands besonderes Interesse und seine intensive theologische Leidenschaft. Seine Studien, die er Zeit seines Lebens auf diese Schrift verwandt hat, gelten neben seinen beiden größeren Arbeiten zu Luthers Theologie gewiß mit Recht als bleibend wichtige Beiträge zur Lutherforschung und zur biblisch-reformatorischen Theologie überhaupt32. Denn in dieser Schrift geht es um die „res ipsa". Hier ist für Iwand „der kritische Punkt herausgehoben, die Schlüsselstellung der ganzen reformatorischen Position" 33 . Hier wird offenbar, „wo allein der Angelpunkt dieses confessionellen Streites liegt, den man nicht ohne Schaden für die Sache verlagern darf" 34 . Diesen Stellenwert gibt er De servo arbitrio auch in seiner letzten größeren Arbeit zu dieser Lutherschrift, die er drei Jahre vor seinem Tode seinem Lehrer Rudolf Hermann widmet und die den für Iwand sehr bezeichnenden Titel trägt: „Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens." 35 Dort nennt er die These vom unfreien Willen „das Stilgesetz aller reformatorischen Theologie" 36 . S. o. Anm. 27 u. 28. Clemen III, S. 94 ff. Für unseren Zusammenhang vgl. bes. S. 101, 6 — 1 0 3 , 22 u. 141, 19—145, 37. 32 Vor allem sind folgende Titel zu nennen: Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben. 1930. In: Um den rechten Glauben, S. 13 ff. Studien zum Problem des unfreien Willens. 1930. Um den rechten Glauben, S. 31 ff. Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens. 1957. Um den rechten Glauben, S. 247 ff. Ferner Iwands Einführung zu De servo arbitrio in der Münchner Lutherausgabe, Ergänzungsreihe, 1. Bd. 3 3 Um den rechten Glauben, S. 14. 3 i A.a.O., S. 15. 35 S. o. Anm. 32. 36 Um den rechten Glauben, S. 248. Vgl. auch die Bemerkung von Ernst Wolf, der es als „Prüfstein" bezeichnet, „ob und wieweit man in der Lage sei, Luthers Schrift ,Vom unfreien Willen' zu ertragen". (Peregrinatio II, S. 61). Einen theologiegeschiditl. Überblick der Interpretation dieser Schrift Luthers seit Theodosius Harnack versucht Klaus Schwarz waller: sibboleth. Th. E x . heute N r . 153, 1969. In solcher Kürze kann dieser Überblick an manchen Stellen jedoch nur verkürzt erfolgen. E r ist darum kritisch zu sehen, zumal er sich in seinem Untertitel auch seinerseits »kritisch" nennt. 30

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Das Hindurchstoßen zu dem entscheidenden oder kritischen Punkt — wie immer die variierenden Formulierungen bei Iwand lauten — darf als eines der ganz typischen und wesentlichen Strukturelemente in der Bewegung seines Denkens gelten wie auch die Gestaltung seiner Predigtmeditationen zeigt37. Gerade aber seine beiden vorhin genannten größeren Arbeiten, die er zur Theologie Luthers vorgelegt hat, dokumentieren dieses Denken als Prozeß und seine Genese aus dem strengen Bemühen, Luthers reformatorische Grundposition, wie er sie vor allem in De servo arbitrio darlegt, zu erfassen. Was Iwand einen ersten „Versuch nachdenkender Wiederholung des von Luther bei der Auslegung des Römerbriefes Erkannten" nennt 38 , zählt Ernst Wolf „zu jenen wenigen unvergänglichen Beiträgen zur Lutherforschung" 39 . Dieses Urteil mag auch für Iwands andere Schrift: „Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre" als zutreffend angesehen werden, weil man am Beispiel beider Monographien „die geradezu geniale Art begreifen" 40 kann, in der er als Interpret Luthers dem Reformator gerecht wird. Beide Untersuchungen zur Theologie Luthers sind in hervorragender Weise Erträge dieses Denkens, das sich in dem leidenschaftlichen Ringen darum vollzieht, den kritischen Punkt zu erheben; oder — mit der in anderem Zusammenhang bereits zitierten wichtigen Formulierung Iwands ausgedrückt: die „unbewegliche Mitte" zu finden, von der her „alles andere einfach, überzeugend und evident" wird 41 . Die Integration der Rechtfertigungslehre in die Christologie und die Darstellung des Artikels von der iustificatio impii belegen diese Denkbewegung, für die das Herausarbeiten des „kritischen Punktes" so unverwechselbar charakteristisch ist; sie machen den Vollzug dieses Denkens transparent. Daß das Aufzeigen des „kritischen Punktes" Iwands hermeneutische Schlüsselposition ausmacht, wird auch an Interpretationsversuchen mit anderer Thematik deutlich. Zum Beispiel auch seine beiden Aufsätze über Kant und Schleiermacher42 exemplifizieren dieses Herausstellen des „kritischen Punktes" als Methodik Iwandschen Denkstils. Die Art dieses Denkens und seine Struktur haben ihre Quelle in dieser reformatorischen Grundschrift vom unfreien Willen; sie sind also sachbegründet und keine bloße methodische Frage, so sehr sie sich dann auch auf die Methodik auswirken. Die Evidenz einer Sachbegründung für die Struktur methodischer Arbeitsgänge, die sich hier zeigt, sollte auch als ein wichtiger Hinweis verstanden und aufgenommen werden für die 97

S. im VI. Kap. dieser Arbeit den 4. Abschnitt über: Anläufe um systematische Einheitspunkte. 38 Rechtfertigungslehre und Christusglaube, Vorwort, S. IX. 39 Vorwort zur posthumen Neuauflage, 1961. 40 Ernst Wolf, ebd. 41 42 Glaubensgerechtigkeit, S. 5. N W II, 321 ff. u. 338 ff.

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notwendigen Versuche wissenschaftstheoretischer Überlegungen in der gegenwärtigen theologischen Diskussion. Jedenfalls stellt sich diese Evidenz der Sachbegründung doch wohl gegen ein undifferenziertes Postulat, das den „Wie-Fragen vor den Was-Fragen", den „Machbarkeiten", dem Interesse für die „pragmatische Dimension der Wahrheit" grundsätzlich den Primat einräumt 43 . Damit wird offenkundig eine Alternative hochgespielt, die in dieser Zuspitzung auf Verkürzung und Vereinseitigung hinausläuft und damit für die Diskussion unfruchtbar wird. Für Iwand gehört die Sachbegründung methodischer Vorgänge zu den wissenschaftstheoretischen Grundeinsichten, die er vor allem auch unter dem Leitbegriff „Glaube und Wissen" und damit gemäß seiner Grundentscheidung in der Frage Gesetz und Evangelium entfaltet hat 44 . Für unsern Zusammenhang mag es genügen, daß wir die Definition notieren, die er in seiner ersten und besonders intensiven Studie zu De servo arbitrio dem Schlüsselwort seines Denkens „entscheidender Punkt" gibt: „Dieser ist nicht anzusehen als das alles beherrschende Prinzip im System, ein solches ist den wirklich großen Geistern selbst verborgen und nur als verborgenes fruchtbar, sondern als kritischer Punkt, als das Schibboleth, an dem sich die Geister scheiden, an dem wir uns über unsere Stellung zu Luther klar zu werden vermögen." 45 Diese Funktion des „kritischen Punktes" bewährt sich nicht nur gegenüber Luther und seiner Theologie, sie erweist sich als konstitutiv für Iwands gesamtes theologisches Denken und ist wohl als integrierter Bestandteil theologischer wie auch wissenschaftstheoretischer Arbeit überhaupt anzusehen. Für die Auslegung einzelner Texte in den Predigtmeditationen läßt sich die Funktion des „kritischen Punktes" folgendermaßen präzisieren: Es geht dabei darum, daß wir vermeiden, den Texten entlangzugehen, „ohne einen klaren Duktus, der das Ganze beherrscht, ohne Gefalle, so wie wenn sich jemand im Dunkel an einem Geländer entlang tastet, ohne zu wissen, wohin er geht und wo es endet" (639). Dies zu vermeiden, ist die Funktion des „kritischen Punktes", den Iwand in seinen Predigtmeditationen zu finden unternimmt und von dem aus er den Verkündigungsgehalt der Texte entfaltet. Wir haben uns eben die grundlegende Bedeutung von Luthers Schrift De servo arbitrio für Iwands theologisches Denken mit besonderer Berücksichtigung der Methodik seiner Textauslegungen skizziert und verdeutlicht. Damit haben wir den Kontext umrissen, in dem nun der nächste Aspekt des Schriftverständnisses bei Iwand zu formulieren ist. — In 4 3 H . - D . Bastian i n : Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit. Predigtstudien, Beih. 1, S. 48. 44 N W I u. IV. Auch im Zusammenhang mit dieser Thematik ist I w a n d s A u f s a t z wichtig: W i d e r den M i ß b r a u d i des ,pro me' als methodisches P r i n z i p in der Theologie. Ev. Theol. 14. Jg., 1 9 5 4 , S. 1 2 0 ff. 4 5 U m den rechten Glauben, S. 14.

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den Passagen aus De servo arbitrio, die von der Schrift handeln, geht es Luther vor allem um den Nachweis, daß die Schrift in sich selbst evident ist. Die Selbstevidenz der Schrift, die claritas scripturae, ist nicht das Ergebnis oder der Erfolg der Auslegung. Die Freiheit der Schrift gegenüber Exegese und Dogmatik, ihre Freiheit gegenüber aller Methodik und empirischen Hermeneutik ist die Intention der Position, die Luther hier vertritt 4 6 . Es liegt Iwand Entscheidendes daran, und seine Predigtmeditationen sind ein permanentes Bemühen darum, daß wir gegenüber dieser Position nicht ins Hintertreffen geraten. Auslegung läßt sich in diesem Zusammenhang begreifen als ein Hindurchfinden zu dem Satz: „Christus enim aperuit nobis sensum, ut intelligamus scripturas." 47 Wenn uns die Schrift unzugänglich, ihr Sinn verborgen ist, dann ist die Ursache d a f ü r — so meint Luther — nicht bei ihr, in ihrer obscuritas oder ambiguitas zu sehen. Sondern es liegt an uns, an unserer caecitas vel socordia, wenn wir nicht begreifen: „Nihil hic obscuritatis aut a m b i g u i t a t i s . . . sed omnia sunt per verbum in lucem producta certissimam, et declarata toto orbi, quaecumque sunt in scripturis." 48 Die Schrift gilt hier als die lux spiritualis, „ipso sole longe clariorem" 49 . Und keinen Teil von ihr will Luther als pars „obscura" qualifiziert wissen. Im Gegenteil: „Nihil nisi tenebras nobis reliquas faciunt, qui scripturas negant esse lucidissimas et evidentissimas." 50 Es wäre ein unzureichendes Unterfangen, so von der Schrift zu handeln, ohne sie selbst zu hören; ohne das, was von ihr zu sagen ist, sie selbst sagen zu lassen. Unter den Schriftstellen, die Luther zitiert, um auf diesen Tatbestand der Selbstevidenz und Autopistie der Schrift zu verweisen, stehen auch diejenigen, die Iwand in mehreren seiner Meditationen bearbeitet: vor allem 2Kor 3 und 4 sowie 2Petr 1,19 51 . Diese Meditationen zeigen, daß sich Iwand auch an dieser Stelle nicht damit zufrieden gibt, einen locus classicus reformatorischer Theologie und Schriftauslegung zu recipieren oder gar nur zu repetieren. Sondern auch in diesem Zusammenhang kann f ü r ihn Rezeption nur als Interpretation erfolgen 52 . Andererseits aber findet diese Interpretation ihre Leitlinien, die der reformatorische und auch der vorreformatorische Prozeß der Schriftauslegung bietet, zumindest anbietet. — Die Bedeutung der claritas scripturae für Iwands Schriftverständnis bietet Gelegenheit, die Frage nach der Relevanz des Dogmas f ü r die Exegese und Hermeneutik noch einmal aufzugreifen und an einem konkreten Beispiel zu besprechen 53 . 47 « Clemen III, S. 141 u. 144 f. A.a.O., S. 102, 6 u. 7. 49 A.a.O., S. 103. A.a.O., S. 142, 13. 50 A.a.O., S. 145, 7 u. 8. Vgl. zur Thematik der Klarheit der Schrift auch die Abhandlung von Fr. Beisser, Claritas scripturae bei Martin Luther, Göttingen 1966. 51 52 Pred.-Med., 252 ff. u. 267 ff. S. o. III. Kap., 2. Abschnitt. 53 S. ο. I. Kap., 3. Abschnitt u. II. Kap., 3. Abschnitt. 48

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Denn gerade der Problemkreis: Klarheit der Schrift ist eine der Nahtstellen, an der der Zusammenhang exegetisch und dogmatisch orientierter Arbeit in seiner Notwendigkeit nachdrücklich deutlich wird. Iwands Predigtmeditationen zu Texten der großen christlichen Feste, in deren Interpretation er die dogmatische Reflexion einbringt, zeigen exemplarisch, in welcher Richtung sich für ihn die Antwort auf die Frage der Zuordnung von Exegese und Dogmatik in der Arbeit an biblischen Texten abzeichnet54. Eine vermeintlich undogmatische Interpretation hat für ihn jedenfalls nicht eine solche Antwort sein können, die Text und Hörer bzw. Situation gerecht wird. Die Alternativen Exegese und Dogmatik, Text und Situation stellen sich für Iwand nicht in der Weise, daß man eins gegen das andere ausspielen kann; wo die Bezogenheit beider aufeinander — nach welcher Seite auch immer — einseitig aufgelöst wird, da bietet sich für ihn keine Lösung dieser Frage. Denn eine solche Lösung ginge von einer hochgespielten und darum falschen Alternative aus. So hat Iwand immer davor gewarnt, daß wir uns etwa, um der Situation und dem Hörer besser gerecht zu werden, gegen alles wenden, was Dogma heißt, und dabei nicht Dogma sondern Dogmatismus meinen. Dabei wird leicht übersehen, daß beides nicht ein und dasselbe ist. Es geht dabei nicht zuletzt auch um den Unterschied zwischen Dogmatik und Ideologie. Gerade hier sorgfältig zu differenzieren und die ideologiekritische, sogar entideologisierende Potenz und Funktion der Dogmatik ins Spiel und zur Geltung zu bringen, ist für Iwand eine Aufgabe, die ihm bei seinen Textbearbeitungen ständig gegenwärtig ist 55 . Seine Meditation zu 2Kor 1,18—22 mag hier als Beispiel dafür genannt werden, wie Iwand eine dogmatische Aussage in eine Textganzheit integriert, um dadurch die im Text „liegende Bewegung", das, „was er uns zu sagen hat", deutlich zu machen (162 ff.). „Die Unterscheidung von Gotteswort und Menschenwort als Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der Verkündigung" (164) gilt es im Hören auf die Texte zu vollziehen56. Es geht bei dieser Aufgabe darum, daß die Klarheit der Schrift auch zur Klarheit der Predigt führt. Gerade auch der dogmatische Topos von der claritas scripturae will als Weg verstanden sein, auf dem „das Predigen, das Lehren der Kirche kompetent" wird 57 , der Phasen relevanter Schriftauslegung markiert. Und es kann dem Menschen in seiner jeweiligen Zeit und Situation doch nur nützen, das heißt: gerecht werden, wenn 54 Besonders markante Beispiele sind seine Bearbeitungen zu Apg 1,1—11 (492 ff.) und Joh 1,1—14 (425 ff.). 5 5 Näheres dazu im VII. Kap., Abschnitt 3.2: Ideologiekritische Potenz der Predigt. 56 Vgl. dazu auch: G. Bornkamm, Gotteswort und Menschenwort im N . T . Ges. Aufs. II, 223 ff. und H . W . Wolff, J. Möllmann, R. Bohren, Die Bibel — Gotteswort oder Menschenwort?, Neukirchen 1959. 57 S. ο. I. Kap., 3. Abschnitt: Dogma als Kompetenz der Predigt.

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ihm solche auch dogmatisch reflektierte und begründete Schriftauslegung „widerfährt als Hilfe, als Erinnerung und Hoffnung neuer Erkenntnisse und eines neuen und kräftigen Glaubens" ( N W II, 98). Iwand hat das Problem der Säkularisation viel zu sehr von seinen langfristigen geistigen Voraussetzungen und Zusammenhängen her durchdacht und hat Gedanken Dietrich Bonhoeffers viel zu ernst genommen, als daß er nicht zugestände, daß diese „neue Erkenntnis" und dieser „neue Glaube" sich sehr undogmatisch vollziehen und in Erscheinung treten können 58 ; „aber es wird dieser Glaube, wenn er in rechter Weise entfaltet wird, sich durch das dogmatische Denken fragen lassen" ( N W II, 105). Freilich, dieses dogmatische Denken übt seine Funktion als Bewegung, als Ablauf eines Denk Prozesses aus; es kann „nicht ein Bestand sein, auf dem wir fußen können, sondern nur eine Wegspur der Wanderung, die wir machen müssen" (ebd.). Wir haben diese Konzeption von Dogma und Dogmatik bei Iwand bereits an anderer Stelle beschrieben 59 . Unsere Überlegungen im Zusammenhang mit den Passagen über die claritas scripturae aus De servo arbitrio legen es jedoch nahe, Iwands Verständnis dogmatischen, d. h. systematisch-theologischen Denkens noch einmal zu resümieren. Denn gerade diese Interpretation bedeutet eine theologische Aktualisierung des reformatorischen Verständnisses von Dogmen und Dogmatik, und zwar im Sinne einer Veranschaulichung an einem konkreten dogmatischen Topos als Fallbeispiel. Iwands Auffassung von der claritas scripturae ist nicht nur ein wesentlicher Aspekt seines Schriftverständnisses überhaupt, sondern zeigt beispielhaft die hermeneutische Funktion der Dogmatik. Dabei bleibt zu beachten, daß diese hermeneutische Aufarbeitung der Dogmatik in dem Sachgehalt und den Denkstrukturen von De servo arbitrio ihren entscheidenden Wurzelboden hat. Der fragmentarische Charakter der Dogmen, der stückwerkartige Ertrag der Erkenntnis ist dadurch bedingt, daß das Ziel über uns hinaus liegt, daß der Ubergang vom „lumen gratiae" zum „lumen gloriae", daß die eschatologische Aufhebung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium noch aussteht und zukünftig ist 60 . — Der Satz von der claritas scripturae als einer der Hauptaspekte von Iwands Schriftverständnis kann also nur im Zusammenhang mit dem bereits dargelegten und eben an einem konkreten Punkt dogmatischer Reflexion veranschaulichten und resümierten Ver58 S. o. S. 73 u. S. 73, Anm. 2. Vgl. auch die Beachtung der Gedanken, die Alfred Delp in seinem Testament äußert, durch Iwand in seinem Vorwort zu den GPM und seine Definition von Offenbarung als „Erleuchtung des Ganzen der menschlichen Existenz unter Einbeziehung der Weltsituation dieses Mensdien" (61). Audi die Gedanken Dietrich Bonhoeffers in „Widerstand und Ergebung" sind in diesem Zushg. zu bedenken, dürfen aber nicht von der Gesamtheit der Theologie Bonhoeffers isoliert werden. 59 S. o. bes. I. Kap., 3. Abschnitt: Dogma als Kompetenz d. Predigt.

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ständnis des Dogmas gesehen werden. Verständnis der Schrift und Verständnis der Dogmen sind bei Iwand aufeinander bezogene Komplexe. Und zwar liegt diese Bezogenheit in der Funktion der Rückkoppelung, und der Rückfrage. Die Frage: „Tolle Christum e scripturis, quid amplius in illis invenies?" 6 1 und der Satz: „Vita enim sine verbo incerta est et obscura" 6 2 , die beide unter verschiedenen Blickwinkeln die claritas scripturae formulieren, weisen auf zwei entscheidende Punkte hin, an denen sich die Evidenz der Schrift in der Polarität von Gesetz und Evangelium erweist.

6 0 Clemen I I I , 288 ff., bes. 290 f. Vgl. audi ο. im I. K a p . den 2. Abschnitt, bes. das dort zur eschatologischen A u f h e b u n g der Unterscheidung v o n Gesetz und E v a n gelium Gesagte. 6 1 Clemen I I I , 101, 29. 6 2 Clemen I I I , 144, 1 u. 2.

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V. Kapitel Schriftwort als Verheißungswort in seiner homiletischen Relevanz Ein dritter Aspekt von Iwands Schriftverständnis, der jetzt in einem neuen Kapitel wegen seines sachlichen Gewichts eigens zur Sprache zu bringen ist, berücksichtigt Ergebnisse und Anstöße formgeschichtlicher Exegese biblischer Texte. Der formgeschichtlichen Arbeit ist es wesentlich zu verdanken, daß wir die biblische Überlieferung als Dokumentation von Verkündigung verstehen1. Diese exegetische Einsicht hat für Iwand weittragende Folgen. Audi sie wird eingebracht und umgesetzt in einen Verstehensprozeß, der in den Predigtmeditationen zur Erschließung des Schriftwortes als Predigtwort seinen Niederschlag findet. Die Funktion der biblischen Texte leitet sich aus dem Motiv ab, das zu ihrer Aufnahme in den Kanon geführt hat: „Sie sind ursprünglich Verkündigung — und sie wollen immer wieder Verkündigung werden!" (195). Damit aber ist eine Qualifikation des biblischen Textes ausgesprochen, die ihm gerade in seiner Inhaltlichkeit und in seiner Wörtlichkeit eigen ist: nämlich sein Verheißungscharakter. Das „Angelegtsein der Schrift auf das Kundwerden der Botschaft an alle Welt und zu jeder Zeit" (254). Wenn man für Iwands Textbearbeitungen in der Fülle ihrer Verschiedenheit und Verschiedenartigkeit eine Intention sucht, die ihnen gemeinsam ist, dann läßt sich am ehesten folgendes formulieren: sie versuchen, die Verheißung zu entfalten, „die im Text enthalten ist" (60). Diesen Aspekt seines 1 V g l . d a z u M a r t i n Dibelius, D i e Formgeschichte des E v a n g e l i u m s . 6. A u f l . , Tübingen 1971. Willi M a r x s e n , D a s N e u e Testament als Buch der Kirche, Gütersloh 1966, bes. S. 72 ff. H . R i s t o w , K . M a t t h i a e (Hrsg.), D e r historische Jesus und der k e r y g m a t i sche Christus, Berlin 1964. G . B o r n k a m m , Jesus v o n N a z a r e t h , S t u t t g a r t 1956. H i e r bes. S. 17 f. u. 199 f. Ders., Bibel. D a s N e u e Testament. T h . T h . B d . 9, 1971, bes. I. u. II. T e i l : J e s u Botschaft u n d : D a s E v a n g e l i u m und die Evangelien. D e r Z u s a m m e n hang v o n Geschichte und Glaube, der bei dieser Sicht der ntl. Botschaft als D o k u mentation v o n V e r k ü n d i g u n g ein wesentlicher A s p e k t ist, w i r d v o n B o r n k a m m am Beispiel der A b e n d m a h l s v e r k ü n d i g u n g beleuchtet in seinem A u f s a t z : Geschichte und G l a u b e im N T (Ges. A u f s . I I I , 9 ff.), in dem er „ E i g e n a r t und Wesen der Geschichte" umschreibt, „die den G l a u b e n b e g r ü n d e t " , und zugleich deutlich macht, „ d a ß diese Geschichte sich ihrem Wesen nach nicht in das G e f ü g e purer F a k t e n einsperren läßt, auf dem die traditionelle H i s t o r i o g r a p h i e ebenso wie ein auf sogenannte H e i l s t a t sachen erpichter P s e u d o g l a u b e heute so beharrlich bestehen" (a.a.O., S. 24). Z u m G a n z e n vgl. auch das I V . K a p . : Zeugenschaft als Sachlichkeit der V e r k ü n d i g u n g sowie die Abschnitte 3 u. 4 im II. K a p i t e l dieser Arbeit.

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Schriftverständnisses: die Qualifikation des Textes als promissio, haben wir nun näher auszuführen. 1. Verheißung und Schrift Die Schrift ist ihrem Wesen und ihrer Intention nach Verheißungswort. Dieses Grundverständnis biblisch-reformatorischer Theologie kommt in Iwands Predigtmeditationen als bestimmendes Element zum Ausdruck. Es werden dabei zwei Ebenen unterschieden: „Das Dasein der Bibel als Buch und das Dasein des Wortes Gottes als Ereignis" ( N W I, 269). Damit ist ausgeschlossen, daß wir Gottes Wort als Schrift im gegenständlichen Sinne haben. Vielmehr geht es darum, von der Schrift her nach dem Wort zu fragen; das bedeutet: „zu fragen, wie weit wir bei der Auslegung der Bibel die Sache der Bibel treffen" (ebd.). Die Sache der Bibel meldet sich darin zu Wort, daß dieses Buch sich als ein Buch kundtut, „das immer wieder aufhören möchte, ein Buch zu sein. Das dahin ausläuft, daß es — redet! Es hat eine bestimmte Offenheit nach der Rede hin" ( N W I, 272). Diese Offenheit nach der Rede hin ist nichts Statisches. Sie will gewahrt sein, indem das Wort der Schrift als promissio gehört wird. Promissio qualifiziert das Reden Gottes als gegenwärtiges Geschehen, das mich anredet und mich betrifft, das Gottes Wort und meine Wirklichkeit gleichzeitig macht. Damit wird verhindert, daß das Geschehen der Anrede Gottes an den Menschen in seiner Welt „ins Perfektum oder ins Futurum verschoben wird". Vielmehr ist der Punkt herausgehoben, an dem deutlich wird, daß die Bibel das ist, was sie ist: „Sie enthält ein Heute dieses Redens, das nie ein Gestern wird, ein ,nunc aeternum'" ( N W I, 271). Dieses „nunc aeternum" kennzeichnet den Bereich und die Wirklichkeit, die der „eigentümliche Gang und Stundenschlag" der Schrift ansagt und anzeigt. Diesen Gang und Stundenschlag, der unsere Zeit und Wirklichkeit in einer bestimmten Weise qualifiziert, werden wir gewahr, wenn wir die Schrift als promissio hören und auslegen. Wir vernehmen ihn aber nicht, wenn wir die Bibel „zerschlagen und auseinandernehmen wie eine Uhr in viele, viele kleine Teilchen". Diese Teilchen kann man zwar „genau untersuchen und studieren", aber man kann sie nicht wieder zusammensetzen und also wird das Uhrwerk vernichtet sein. Darum kommt es — so meint Iwand — beim Achten auf dieses „nunc aeternum", auf dieses Heute der Anrede Gottes in der Schrift, beim Hören der Schrift als promissio nicht darauf an, „daß wir das Räderwerk im einzelnen studieren, sondern daß wir auch erkennen, wie es ineinandergreift und eine Bewegung alles erfüllt und in Gang hält" ( N W I, 271 f.). Der Promissiocharakter der Schrift ist der lange Atem, der die ganze Schrift durchgängig durchzieht. Er verweist uns darauf, daß die Schrift mit ihrer Botschaft eine Ganzheit ist. Und „jede 91

Auslegung der Heiligen Schrift will uns in das Ganze dieser Bewegung hineinnehmen" (NW I, 272). Die Schrift als promissio hören und auslegen bedeutet also, daß wir angeredet werden und daß wir durch diese Anrede angestoßen werden: daß wir Anstöße empfangen, die bei uns, in unserem Verhalten und in unseren Verhältnissen Bewegung auslösen. Diese Bewegung vollzieht sich nicht nur als Denkprozeß. Sie umfaßt den ganzen Menschen mit seiner ganzen Wirklichkeit; also nicht nur unser Denken und Lernen. Sie vollzieht sich als „der Aufbruch des Volkes Gottes zu dem ihm gesteckten Ziel" (NW I, 272). Die Schrift als promissio verstehen besagt auch dies: daß wir in eine Bewegung hineingenommen sind, die nicht im Sande verläuft, die auch nicht einen selbstimmanenten Sinn hat. Es handelt sich vielmehr um die Bewegung, die auf ein Ziel außerhalb ihrer selbst hin, auf ein Ziel, das über die Bewegung hinaus liegt, verläuft. Helmut Gollwitzer formuliert dieses Ziel, wenn er vom „Plus der Verheißung" spricht, jener „Einheit der Wirklichkeit von Sinnzusage und sinnvollem Tun" 2 — eben Tun auf ein Ziel hin. Damit ist Veränderung intendiert; aber Veränderung, die ein Ergebnis bringt und sich nicht schon um ihrer selbst willen als progressiv verstehen läßt. Promissio besagt nicht nur Bewegung als solche, sondern sie besagt Bewegung auf ein Ziel hin. Es bleibt dabei jedoch festzuhalten: „Ohne daß auch wir uns bewegen, können wir offenbar der Bewegung nicht ansichtig werden, die sich hier vollzieht" ( N W I, 272). So ist der Promissiocharakter der Schrift entscheidend für theologisch legitimes Verständnis von Progressivität. Progressiv ist das, was der Bewegung folgt, die die promissio auslöst und mit der sie unsere ganze Wirklichkeit auf das von ihr gesteckte Ziel hin ausrichtet. Insofern bedeutet progressiv sein: der Verheißung folgen. Und umgekehrt: der Verheißung folgen, sich durch die Verheißung auf das Ziel hin in Bewegung setzen lassen, das bedeutet im realen Sinne progressiv sein. Diese Bewegung in der Schrift, die sie gerade in ihrer Inhaltlichkeit und Wörtlichkeit als promissio qualifiziert, zeigt sich Iwand in folgenden Punkten an: zunächst darin, daß die Schrift im „Nebeneinander zweier Testamente" besteht. „Es handelt sich offenbar bei diesem Reden Gottes mit uns immer um eine Ankündigung und um eine Erfüllung" ( N W I, 272). Diese Komplementarität von Ankündigung und Erfüllung gibt der Schrift eine Impulsivität, die es nicht zuläßt, die biblische Uberlieferung „wie eine bloß historische, bloß als Tradition, bloß als Vergangenheit und Erbe zu tradierende Sache" (NW I, 272) und damit eben nicht als promissio anzusehen. Ein weiterer Gesichtspunkt, auf den Iwand aufmerksam macht, damit wir den Promissiocharakter der Schrift nicht verkennen, ist folgender: „daß wir ein Ineinander von graphe und 2

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H. Gollwitzer, Krummes Holz — aufrechter Gang, 1971, S. 291.

euanggelion vor uns haben" (ebd.). Es geht „durch die ganze Bibel das Nebeneinander von Buchstabe und Geist 3 , von Schrift und Wort! Aber nun nicht so, daß diese Reihenfolge umkehrbar wäre, — der Geist will nicht auch umgekehrt Buchstabe werden und die Rede nicht umgekehrt Schrift, sondern wie die Raupe zum Schmetterling wird, aber dieser nicht wieder zur Raupe, so wird der Buchstabe Geist — um damit und darin sich zu erfüllen" ( N W I, 272 f.). Diese Unumkehrbarkeit ist für Iwand entscheidend und deshalb auch bei der Entfaltung der Anrede aus den biblischen Texten in seinen Predigtmeditationen charakteristisch. Denn es geht ihm darum, daß die Verheißung Verheißung bleibt, daß die Schrift nicht aufhört, Verheißung zu werden und immer wieder neu zu sein: Anstöße zu geben, Bewegung auszulösen und auf das Ziel hin auszurichten; Bewegung, die Wirklichkeit verändert und Leben setzt. In der Umkehrung sieht Iwand die Gefahr, „aus dem Buchstaben etwas Stillstehendes, ein ,Gesetz' zu machen, etwas ,Tötendes', und aus der Schrift etwas Formales, etwas Ungeschichtliches" ( N W I, 273). Schließlich weist Iwand auf einen dritten Aspekt hin, der den Promissiocharakter der Schrift deutlich macht: „daß es eine bestimmte Polarität in der Geschichte Gottes mit seinem Volk gibt, die durch die beiden Gipfel Sinai und Golgatha gekennzeichnet ist" (ebd.). Und auch diese Geschichte verläuft gemäß jener Unumkehrbarkeit: „Es führt ein Weg vom Sinai nach Golgatha, aber kein Weg von Golgatha nach Sinai. Und nur wenn man auf dem Sinai nach Golgatha hinschaut, wird man das Wort vom Sinai verstehen. Genau so, wie man das Wort von Golgatha nur versteht, wenn man nicht auf den Sinai zurückschaut" ( N W I, 273). Dieses unumkehrbare Gefalle, in dem sich der Promissiocharakter der Schrift artikuliert, ist auch der Tenor in Iwands wichtigen Predigtmeditationen zu Texten aus Gal 3, einem grundlegenden Kapitel für das Verständnis von epanggelia im Neuen Testament (477 ff. und 509 ff.) 4 . Der Verheißung gebührt „der Primat vor dem Gesetz" (511). Darum kann und darf es keine „Vermischung und Verkoppelung von Verheißung und Gesetz" geben (ebd.). Wo „die Macht und K r a f t der Verheißung" Geltung haben soll, stehen wir vor dem paulinischen Entweder-Oder, das sich in kein Sowohl-Als-auch umkehren läßt" (ebd.). Es geht Iwand — im Gegensatz etwa zu Heinrich Schlier — darum, daß „die Dialektik von Verheißung und Gesetz" gewahrt bleibt, daß das Gesetz aber nicht „in den Bereich der Verheißung" hineinwirkt und sich nicht „ihr gegenüber als Norm und Korrektur" geltend macht (514) 5 . Er erinnert in seiner Meditation zu Gal 3,23—29 „an die überlegene, dem Gesetz vor3

Dazu Iwands Ausführungen N W IV, 165 ff. Vgl. Artikel epanggelia in T h W b N T . 5 Dagegen H . Schlier in seinem K o m m e n t a r zum Galaterbrief (Meyer, 7. Abt.) zu Gal 3,20 auf dem H i n t e r g r u n d gnostischen Materials: „. . . das Gesetz nicht von Gott 4

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geordnete Kraft und Geltung der Verheißung" (478). Hierbei handelt es sich für Iwand um den einen Punkt, der feststeht, wo „keine Zusätze und Abstriche zu machen sind". Dieser Punkt ist das „Entweder-Oder von Verheißung und Gesetz", wie es Paulus Gal 3,18 zugespitzt formuliert. „Wer dieses Entweder-oder nicht festhält, diese Antithese von nomos und epanggelia, darf gewiß sein, daß er das Evangelium nicht festhält und dieses auch ihn nicht! Er mag dann dies oder jenes ,Neue' in Lehre und Verkündigung, Glauben und Weltanschauung suchen und versuchen, aber in Wahrheit kann er damit nur zurückkehren in den Zustand der Knechtschaft' unter dem Nomos." Das wahre „Neue" ist vielmehr der Glaube, der sich allein an die Verheißung hält (478). Iwand sieht „eine klare, eine nicht von hinterher zu korrigierende oder zu ergänzende Determiniertheit" des Schriftwortes in dem, was paulinisch epanggelia meint: „Für Paulus ist epanggelia Komplement zu emnggelion" (510)®. Auch das Gesetz „muß von der promissio her interpretiert werden" (375), denn nur „von der Verheißung her hat das Gesetz sein Recht auf den Menschen, ein eben darum limitiertes, ein zeitlich bemessenes Recht" (481). Denn das Ziel, auf das hin die Bewegung mit der Dialektik Gesetz und Verheißung, Gesetz und Evangelium verläuft, ist die Erfüllung; die eschatologische Aufhebung dieser Dialektik: die Pneumatologie als Vollendung der Einheit von Gesetz und Evangelium in der neu werdenden Welt und Wirklichkeit7. Wenn Iwand den Promissiocharakter der Schrift so entschieden herausarbeitet und festhält wie eben dargelegt und wie er in seinen Predigtmeditationen ausführt, dann hat das den Sinn und Zweck, von diesem Schriftverständnis aus Spuren in den Texten freizulegen, die aufgrund dieser. Texte Predigt als Anrede, Verkündigung als Zusage ermöglichen. Der bisherige Duktus unserer Überlegungen zum Promissiocharakter der Schrift bei Iwand hat gezeigt, daß es ihm gerade auch dabei um das entscheidende Thema von Gesetz und Evangelium geht: darum, daß dieses unumkehrbare Gefalle gewahrt wird und die Richtung der Bewegung in der Schrift auf ihr Ziel hin verläuft: von der Schrift zum Wort, vom Buchstaben zum Geist, vom Gesetz zum Evangelium. Das Verständnis der Schrift als promissio bedeutet für Iwand „ihre Qualifizierung vom Geist her" (19). Pneumatologie besagt: Offenheit der Schrift als Verheißung, als Wort, das Evangelium ist, weil es uns aus Vergangenheit und Gegenwart freigibt für die Zukunft. Der promissorische Charakter der Schrift ist für Iwand der Grundton der gesamten biblisch-reformatorischen Theologie (166). Daß der Primat g e g e b e n . . . " (116), was praktisch darauf hinausläuft, daß die paulinische Dialektik Gesetz-Verheißung aufgehoben ist. Vgl. audi Schlier, a.a.O., S. 118. • ThWbNT II, 575. 7 Dazu N W IV, 228 ff. und VI, 307.

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der Verheißung gewahrt, daß die Bewegung in der Schrift in ihrer unumkehrbaren Richtung auf die Verheißung hin, in einer bestimmten Offenheit nach der Rede hin für unsere Auslegung und Verkündigung verbindlich und maßgeblich bleibt — das macht sein leidenschaftliches Ringen bei der Arbeit an biblischen Texten in seinen Predigtmeditationen aus. Die Wahrung des Schriftwortes als promissio mit ihrem eigentümlichen, unumkehrbaren Gefalle, mit ihrer Dynamik und Bewegung — sie ist wohl audi als eine der entscheidenden Ursachen dafür anzusehen, daß Iwand bis in seine letzten Lebensjahre hinein die „Sache mit Gesetz und Evangelium" für „eine der wesentlichsten Fragen" innerhalb der Theologie hält und daß ihm die programmatische „Umstellung, wie sie dann Barth vorgenommen hat, indem er das Evangelium einfach davor setzte" 8 eben doch bei allem weitgehenden Konsensus mit Karl Barth, der außer jeder Frage bleibt, nach wie vor als eine „vielleicht zu einfädle" erscheint ( N W VI, 306). — Wenn hier ein knapper Hinweis auf Barths äußerst anregenden und folgenreichen Diskussionsbeitrag angebracht und darum wohl auch erlaubt ist, bleibt — Iwand folgend — etwa dies auszuführen: Auch Barth geht es um „die Priorität" des Evangeliums — also der Verheißung — vor dem Gesetz 9 . Seine Grundintention dabei ist die Einheit von Gesetz und Evangelium. Die entscheidenden Sätze, mit denen Barth pointiert formuliert, lauten: „Man kann also wohl allgemein und umfassend sagen: das Gesetz ist nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist. . . . So also ist das Gesetz im Evangelium wie die Tafeln vom Sinai in der Bundeslade." 10 Die Scheidung zwischen Gesetz und Evangelium ergibt sich für Barth als Folge der Sünde. Dabei handelt es sich nach Barth um das mißverstandene Gesetz. „Die Sünde ist das Tun des Menschen im Mißverständnis und Mißbrauch des Gesetzes." 11 Dieses Gesetzesverständnis läuft auf die Alternative hinaus: „Entweder ganz das Gesetz und dann den Tod oder ganz das Evangelium und dann das Leben, ein Drittes gibt es nicht. Es ist das durch den Betrug der Sünde entehrte und entleerte Gesetz." 12 Dieser kurz umrissenen Stellungnahme Karl Barths gegenüber erhebt Iwand nach wie vor seinen Einwand mit folgender bedenkenswerten wichtigen Anfrage: „Ist nicht die Sünde die Realität, außerhalb derer wir das Verhältnis von Gesetz und Evangelium überhaupt nicht entfalten können?" (479). Iwand versteht die Reformatoren dahin, daß nach ihrer Meinung „die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium eine Tat des Hlg. Geistes sei, also nicht ein Mißverständnis um der Sünde willen, sondern ein rech8

Karl Barth, Evangelium und Gesetz. Th. Ex. heute, Neue Folge Nr. 50, 1956. 10 • A.a.O., S. 7. A.a.O., S. 13. 11 K. D. II/2, S. 655. 12 Evangelium und Gesetz, S. 27.

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tes Verstehen um des Glaubens willen" (ebd.) 13 . In diesem Zusammenhang verweist Iwand auf eine Predigt Luthers über Gal 3,23—29 aus dem Jahre 1522. Darin finden sich folgende Sätze: „. . . jnn der Christenheit s o l . . . ein gewisse Unterschied gelert und gefasset werden zwischen dem gesetz und glauben, zwischen dem gebot und E u a n g e l i o n . . . denn dis ist die höchste kunst jnn der Christenheit, die wir wissen s o l l e n . . . beides ist Gottes Wort, aber hie liegt die macht dran, das man die zwey wort recht unterscheide und nicht jnn einander m e n g e . . . Gottes Wort ist nicht einerley, sondern unterschieden." 14 Die Unterscheidung von Gesetz und Verheißung entspricht bei Iwand der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Daß der Schrift Promissiocharakter eignet, besagt: Sie ist in ihrer Gesamtheit Botschaft, die überbracht und ausgerichtet sein will. Was Walther Zimmerli für die prophetische Verkündigung am Beispiel Ezechiels so eindrucksvoll darstellt, kann von der Schrift als ganzer gelten: Es geht nicht um „Darstellung von Geschichte". Vielmehr geht es beherrschend um den „Bericht von Wort und Zugriff" dessen, der uns „betroffen hat", der von Anfang an der Herr aller Geschichte ist und bleibt. Dieser Gott in seinem Handeln soll in der Verkündigung „angekündigt" und „sichtbar werden". Promissio behauptet — wie die prophetische Redeform des „Erweiswortes" 1 5 deutlich macht: Gott will sich im Wort kundmachen, er will von uns „erkannt und anerkannt sein". In der Geschichte begegnet er uns mit seiner Anrede. Er konfrontiert uns mit sich und stellt uns in einen „Raum aufgebrochener Zukunft" 1 6 . Was Hans Walter Wolff für das prophetische Geschichtsverständnis erhebt, ist nicht ohne Bedeutung und Wirkung für das biblische Geschichtsverständnis überhaupt: „Geschichte ist für die Prophetie das gezielte Gespräch des Herrn der Zukunft mit Israel" 1 7 — mit den Menschen. Damit erfährt Geschichte die Dimension dialogischer 1 3 Vgl. d a z u audi die Leitsätze v o n E . Schlink in: G e s e t z und E v a n g e l i u m . Theol. E x . heute, H . 53. D i e ökumenische Bedeutung der Unterscheidung v o n Gesetz und E v a n g e l i u m entfaltet Schlink v o n Voraussetzungen paulinischer Theologie her als kontroverstheologisches P r o b l e m . K . u. D . , 7. J g . , 1961, S. 1 ff. V g l . auch die Thesen v o n Heinrich Vogel z u : Gesetz und E v a n g e l i u m . K . u. D . , 2. J g . , 1956, S. 73 ff. Zur Reihenfolge G e s . - E v . / E v . - G e s . V I I I , ebd., S. 75. 1 4 W A 36, 9, 24 ff. u. 12, 23 f. zitiert bei I w a n d , Pred.-Med., 479. 15 D a z u W. Zimmerli, D a s W o r t des göttlichen Selbsterweises (Erweiswort), eine prophetische G a t t u n g . I n : Gottes O f f e n b a r u n g . Ges. Aufs., T h . B. 19, 1963, S. 120 ff. 1 6 W. Zimmerli, Ezechiel. G e s t a l t und Botschaft. Bibl. Stud., Η . 62, 1972. Darin bes. S. 153 ff. Wichtig ist auch: H . W. Wolff, D a s Geschichtsverständnis der alttestamentlichen Prophetie. Ges. S t u d . ζ. A T , T h . B. 22, München 1964, S. 289 ff. Z u m G a n zen der prophetischen V e r k ü n d i g u n g im A T : G . v. R a d , Theologie des A T , B d . II, 1960. D a r i n besonders die K a p . F u. G . D i e A u f f a s s u n g der Propheten v o n dem Worte G o t t e s ; u n d : Israels Vorstellungen v o n der Zeit und der Geschichte und die prophetische Eschatologie, S. 93 ff. 17

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A . a . O . , S. 293.

Anrede. So geht es hier — wie Iwand in einer Meditation zu der für den neutestamentlichen Promissio-Begriff grundlegenden Stelle 2Kor 1,20 formuliert — in erster Linie nicht um die .„Geschichtlichkeit' des Wortes, eher schon um die .Wörtlichkeit' der Geschichte" (165). Das heißt: es geht um die Signifikation der Geschichte durch die promissio, die uns den „Raum aufgebrochener Zukunft" nicht nur erschließt, sondern uns in diesen Raum hineinstellt, indem sie Zukunft „uns gegenwärtig macht" (133). So hängt an der promissio Gewißheit der Zukunft, und damit geht es bei dem Promissiocharakter der Schrift letztlich um die Frage nach der certitudo salutis, von der der Glaube lebt, indem er die mit der promissio gesetzte Wirklichkeit ergreift. Diese Zusammenhänge gilt es zu sehen, wenn von promissio die R.ede ist, wenn Iwand uns mit seinen Predigtmeditationen dazu anleitet, das Wort der Schrift als promissio zu verstehen und weiterzusagen. Mit dem bisher Ausgeführten haben wir versucht, in einem ersten Uberlegungsgang den Gedankenkreis Verheißung und Schrift abzuschreiten. Der nächste Schritt ergibt sidh nun aus der Frage, die mit dem Stichwort von dem „Raum aufgebrochener Zukunft" angeschnitten ist: also aus der Frage nach dem Inhalt der promissio. Diese Frage zielt auf das Verheißungsgut und läßt sich formulieren zu der Erwägung: Verheißung und Wirklichkeit. 2. Verheißung

und

Wirklichkeit

Ernst Käsemann trägt in seiner Studie zum Hebräerbrief eine Analyse des Begriffes epanggelia vor, der wir wichtige Einsichten verdanken 18 . Der Hebräerbrief ist für das biblische Verständnis von Verheißung aus zweifachem Grunde von besonderer Bedeutung: einmal trägt „die göttliche Offenbarung hier konstitutiv und grundsätzlich den Charakter der Verheißung" 19 ; zum anderen ist in dieser neutestamentlichen Schrift die alttestamentlich-jüdische Verheißungstradition unvergleichlich intensiv aufgearbeitet. Als drittes wäre noch zu nennen, daß die Verheißung nicht Einzelnen sondern dem ganzen Gottesvolk gilt. Promissio biblisch verstanden läßt sich nicht individualistisch verengen, sondern intendiert Sozialität. In diesem Zusammenhang verdienen zwei Bemerkungen Iwands starke Beachtung, die sich in der letzten Meditation finden, die aus seiner Feder stammt (690 ff.). Die Bearbeitung dieser Perikope Apg 13,42—52 kann zugleich als ein Beleg dafür gelten, daß Iwand aufgrund der Perikopen stets Zusammenhänge der Schrift predigt und daß das, was er zu dieser Perikope äußert, einen seiner homiletischen Orientie19 19

E. Käsemann, Das wandernde Gottesvolk, Göttingen 1961, bes. S. 11 ff. Käsemann, a.a.O., S. 11.

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Gandras, Predigt

rungspunkte ausmacht, nach denen er seine Predigtarbeit richtet: „Darum versteht man die Bibel nicht aus dem Lesen bzw. aus der bloßen Interpretation des .Textes'" (692). Der Botschaftscharakter dieser Texte, also ihr Verheißungscharakter ist vielmehr die Begründung der Predigt. Bei aller offenkundigen Problematik der Perikopen und auch der Perikopenpredigt, die neuerdings u. a. Jochen Tolk mit Recht zur Sprache bringt 20 , wird jeder Prediger Iwands Umgang mit Perikopen im Kontext des Schriftganzen als besonders hilfreich empfinden. Ein Votum für Abschaffung der Perikopenreihen, wie es Tolk als Konsequenz seiner Predigtanalysen vorlegt 21 , führt m. E. gegenüber dem kritischen Gebrauch der Perikopen, wie ihn Iwand übt 22 , kaum einsichtig weiter. Um so weniger, wenn es ohne hinreichendes Angebot einer konstruktiven Alternative bleibt und wenn es bei Iwand ein Verständnis von „Text" voraussetzt, das ihm nicht gerecht wird und das seine Predigtmeditationen permanent widerlegen. Denn es dürfte gerade an Iwand schwerlich gelingen, die Behauptung Tolks zu erhärten, „daß die Forderungen nach grundsätzlicher Textgebundenheit der Predigt einerseits und Situationsbezogenheit andererseits in der Praxis unvereinbar sind" 23 . Für diese Prämisse der Arbeit Tolks steht Iwand nicht. Er hat nämlich die von Tolk mit berechtigtem Nachdruck gestellte Frage, „welche homiletische Relevanz der von den Exegeten nachgewiesenen Geschichtlichkeit und damit Situationsbezogenheit der Texte zukommt" 24 , nicht nur in Ansätzen bedacht und seine Predigtmeditationen auch im Blick auf diese Frage entfaltet. Er hat vielmehr seine Predigtmeditationen jenseits der Alternative Text und Situation vollzogen. Iwand hat die „Gegenwartsrelevanz" der biblischen Texte gerade nicht als gegeben vorausgesetzt. Er hat sie evident zu machen versucht, indem er dem Verheißungscharakter der Texte nachspürt und für die Predigt die Verheißung entfaltet, die der Text im Zusammenhang und Zusammenklang der Ganzheit der Schrift enthält. Promissio ist bei Iwand der Einheitspunkt von Text und Situation, von Wort und Hörer. Wenn wir die anhand von Käsemanns Analyse zum Verheißungsbegriff des Hebräerbriefs notierten Beobachtungen im Hinblick auf Iwands Meditation zu Apg 13,42—52 bedenken, dann sind darin folgende beiden Bemerkungen besonders hervorzuheben. Was die Aufarbeitung der alttestamentlich-jüdischen Verheißungstradition im Neuen Testament angeht, weist Iwand in seiner Analyse der der Perikope unmittelbar vorausgehenden paulinischen Predigt in Antiochien auf „das theologische Recht" dieser Aufarbeitung hin und plädiert für eine beim 20 21 22 23

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J. Tolk, Predigtarbeit zwischen Text und Situation, München 1972. A.a.O., S. 148 ff. Vgl. ζ. B. in seinen Pred.-Med., S. 532, 592 u. 617. 24 Tolk, Predigtarbeit, S. 13. A.a.O., S. 148.

Alten Testament ansetzende Christologie. Gegenüber dem neuprotestantisch-historistischen Verständnis im Gefolge von Schleiermacher, Albrecht Ritsehl u. a. hält er auf der Linie von J . G. Hamann, M. Kähler, F. H . Kohlbrügge und J . Ch. K . von Hofmann daran fest, daß „die Erscheinung Jesu die Erfüllung der dem Bundesvolk gegebenen Verheißung" ist 25 . Er bezieht sich auch hier auf die ihm für das neutestamentlidie Verheißungsverständnis grundlegend wichtige Perikope 2Kor 1,18 bis 22 2 6 , mit ihrem Gipfel in V. 20 (165). Dieser Stelle mißt Iwand theologisch fast gleichen Rang wie Joh 1,14 zu. Denn hier wird in klassischer Weise „der promissorische Charakter der Erscheinung Jesu" deutlich (165 f.) und die Unmöglichkeit, „den Botschafts- und Verheißungscharakter der Offenbarung in der Faktizität von Gegebenheiten" untergehen zu lassen (166). „Denn das ist das Auszeichnende an der in Christus Jesus verkündigten Erfüllung, daß sie den Verheißungscharakter der Offenbarung nicht aufhebt, wie das alle ,zeitliche' Erfüllung tut, sondern erst voll und ganz sicherstellt. . . . der Glaube bleibt immer bezogen auf die V e r h e i ß u n g . . . An Jesus Christus glauben heißt aus den Verheißungen Gottes leben" (165). Mit diesem Verständnis von promissio befindet sich Iwand in einhelligem Konsensus mit der Theologie der Reformatoren und den reformatorischen Bekenntnisschriften: „Nec vero aliter Christo fruimur, nisi quatenus eum amplectimur promissionibus suis vestitum." 27 Iwand sieht „unter dem Aspekt der Christusbotschaft das A T neu verstanden". Auch die Perikope Apg 13,42—52 mit der ihr vorangehenden und sachlich ihr zuzuordnenden paulinischen Predigt zählt Iwand als Dokument für diesen Tatbestand, „wie überhaupt die ganze Apostelgeschichte. Das A T wird nicht ,einfach' von der Christenheit übernommen, sondern es wird von Jesus Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen her neu erschlossen! Es wird besser verstanden, als es sich je selbst verstand. Das A T erlebt im N T seine ent2 5 In diesem Zusammenhang mißt Iwand der theologischen Arbeit Gerhard v. Rads, besonders seiner Theologie des AT, „unschätzbare Bedeutung" gerade auch für die Predigtarbeit bei, „da sie uns zugleich die Früchte der at-lidien Wissenschaft in ihrer ganzen Fülle zugänglich macht" (591). Besondere Beachtung verdient hier der III. Hauptteil im 2. Bd. d. Theologie von Rads mit den Abschnitten: Die Vergegenwärtigung des A T im Neuen, das atl. Verständnis von der Welt und vom Menschen und der Christusglaube sowie: Das atl. Heilsgeschehen im Lichte der ntl. Erfüllung, S. 329 ff. Zur Würdigung des Werkes G. v. Rads vgl. auch: H . W. Wolff, R. Rendtorff, W . Pannenberg, Gerhard v. Rad. Seine Bedeutung für die Theologie, München 1973. Für den Zusammenhang zwischen atl. Verkündigung und ntl. Christusbotschaft sind u. a. ferner zu beachten die Arbeiten von G. v. Rad, M. Noth, W. Zimmerli, H . - J . Kraus u. H . W . Wolff in E v . Theol. 12. Jg., 1952, S. 1 ff. Audi: Wilh. Vischer, Das Christuszeugnis im A T I u. II. Und Kornelis H . Miskotte, Wenn die Götter sdiweigen. Vom Sinn des AT, München 1963. 23 87

Dazu die beiden Predigtmediationen S. 162 ff. u. 371 ff. Calvin, Inst. II 9 / 3 zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 165.

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scheidende Renaissance" (693). — Auch bei dieser Perikope haben wir ein Beispiel dafür, wie Iwand dogmatische Reflexion — hier den Komplex Verheißung und Erfüllung — f ü r die Hermeneutik fruchtbar macht. Er entfaltet damit bei der Erschließung der Texte auf die Predigt hin eine Kreativität, die der jeweilige Stand der Exegese oder situationsorientierte Arbeit mit den Texten allein nicht erreichen. Das ist eine Beobachtung, die gerade bei Iwands Predigtmeditationen zu Texten aus der Apostelgeschichte zu gewinnen ist 28 und die für die Predigtarbeit sowie f ü r die Diskussion um eine homiletische Theorie besondere Bedeutung hat. Die zweite Bemerkung aus Iwands Meditation zu Apg 13,42—52 bezieht sich auf die gesellschaftskritische Relevanz der neutestamentlichen Texte, die Iwand bei seinen Predigtmeditationen als wichtiges Blickfeld ständig im Auge hat. Er bezeichnet es als „sehr auffällig" . . . , „daß wir nirgends im Neuen Testament im Lichte des Evangeliums und der Freudenbotschaft jene Versteifung auf den ,einzelnen' finden, die seit Kierkegaard und seinem (falschen) Verständnis vom Ärgernis zum Evangelium einer aussterbenden bürgerlichen ,Elite' in der Kirche geworden ist" (694). Diese Glosse — wie Iwand diese Äußerung bezeichnet — ist deshalb so wichtig, weil sie zeigt, daß Iwand gerade die Auslegung biblischer Texte, die Arbeit an den Predigtmeditationen auch als gesellschaftskritisches theologisches Unternehmen versteht. Seine Grundauffassung der biblisdien Botschaft als promissio bietet ihm den Ansatz theologischer Kritik an der Entartung des Christentums zu einer bürgerlichen Gesellschaftsideologie 29 . Die Predigtmeditationen Iwands sind auch d a f ü r ein Beispiel, daß der aufs Ganze gesehen wohl zutreffende Vorwurf eines gesellschaftskritischen Defizits der Theologie nur dann sachlich aufrechtzuerhalten ist, wenn er nicht pauschal erhoben wird sondern auch Ausnahmen berücksichtigt, wie sie zum Beispiel Iwands Predigtmeditationen hervorragend darstellen 30 . Von Käsemanns Erwägungen zum epanggelia-BegriS greifen wir nun eine weitere auf, die auf den Zusammenhang von Verheißung und Wirklichkeit abhebt: Es gilt, „bereits verwirklichte und noch ausstehende Verheißungen" zu unterscheiden 31 . Diese Differenzierung ist deshalb wichtig, weil der biblische Verheißungsbegriff konkrete Mehrdimensionalität 28 Vgl. unter diesem Gesichtspunkt auch die großangelegte Meditation zur Himmelfahrtsperikope Apg 1,1—11 mit der darin verarbeiteten exegetischen u. dogmatischen Literatur (492 ff.). 29 Vgl. auch den Abschnitt 3.2 im VII. Kap. dieser Arbeit: Ideologiekritische Potenz der Predigt. 80 Dazu auch die gerade von Iwand her kritisch zu sehende aber Aufmerksamkeit beanspruchende Arbeit von Fr.-W. Marquardt: Theologie und Sozialismus. Das Beispiel Karl Barths, 1972. 31 Ernst Käsemann, Das wandernde Gottesvolk, S. 17.

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beinhaltet, und weil die Wirklichkeit, die Verheißung bezeichnet, gegenwärtig und zukünftig ist. Beides muß gesehen und bedacht werden, wenn anders die Perspektive nicht verbogen werden soll. Das von Verheißung qualifizierte Wirklichkeitsverständnis meint stets auch Zukunft und geht nicht in der Gegenwart auf, es meint aber auch bereits Gegenwart und nicht nur noch ausstehende Zukunft. Gegenwart und Zukunft als von Verheißung gesetzte Wirklichkeit sind komplementär einander zugeordnet und aufeinander bezogen. Verheißung bedeutet in konstitutivem Sinne Wirklichkeit. Nicht nur als Ausrichtung und Hinweis auf eine noch ausstehende aber verbürgte Zukunft. Vielmehr als Gegenwart des Wortes, dessen „Erfüllung nicht mehr wie einst gefährdet und zerschlagen werden kann, sondern unumstößlich geworden ist" 3 2 . Damit eignet der epanggelia „eine verbürgte Verwirklichung" und sie ist „jeder irdischen Verheißung qualitativ überlegen" 33 . Käsemann macht auf „das längst nicht genug beachtete Faktum der Korrespondenz, ja der teilweisen Identität von epanggelia und diatheke" aufmerksam 34 . Diese enge Verbindung von Verheißung und Diatheke erlaubt die Folgerung, daß der Verheißungsinhalt bereits auch unter dem Aspekt seiner Verwirklichung zu sehen ist, daß Verheißung und Wirklichkeit nicht nur die Dimension der Zukunft sondern bereits die Qualifikation der Gegenwart bedeuten. Allerdings bleibt festzuhalten, daß die Verwirklichung des Verheißungsgutes und der Besitz der Verheißungsgabe das Haben nicht an die Stelle des Wartens und Höffens setzt. Denn es geschieht „nie anders als durch das verkündigte Wort" 3 5 , es ist ein „im Wort vorweggenommenes Ereignis" (415). Es kann darum auf Erden auch noch verloren werden, sobald Wort und Glaube, der sich aufs Wort bezieht, verlassen werden. So ist das Wort der Verheißung der Punkt der Koinzidenz von Gegenwart und Zukunft: von Wirklichkeit, die weder leer und darum sinnlos noch fixiert und darum im Grunde leblos ist 36 . Diese Wirklichkeit gilt es in der Predigt aufzuzeigen und zuzusagen. Es ist Iwands unablässiges Bemühen in seinen Predigtmeditationen, solche Predigt zu ermöglichen. Wir versuchen jetzt, das in einigen Linien nachzuzeichnen, indem wir den Zusammenhang Verheißung und Wirklichkeit weiter konkretisieren. In einer Meditation zu Hebr 9,11—15 (485 ff.) führt Iwand im Zusammenhang mit dem hohenpriesterlichen Werk Jesu Christi den Gedanken der diatheke Gottes unter dem Ge32

A . a . O . , S. 12.

33 A . a . O . , S. 13.

34

A . a . O . , S. 14.

35 A . a . O . , S. 17.

D a s von der promissio her qualifizierte Wirklidikeitsverständnis erweist sich als besonders dialogfähig, v o r allem im Gespräch mit dem Marxismus, in dem die Diskussion um Wirklidikeitsverständnis ja einen hohen Stellenwert hat. Bei der Promissio ist die ideologiekritische P o t e n z der Verkündigung angelegt. D a z u N ä h e res im V I I . K a p . dieser Arbeit, bes. Abschnitt 3 . 2 : Ideologiekritische P o t e n z der Predigt. 36

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sichtspunkt des Neuen, des Neugewordenseins aus (491 f.). Die neue Bundesordnung, die die Verheißung verwirklicht, erschließt neuen Lebensraum und eröffnet dem Menschen und der Welt ein neues Dasein. Die biblische Rede vom neuen Menschen und von der neuen Schöpfung ist im Horizont der promissio sowie im Vollzug einer neuen Bundesordnung und Partnerschaft zu sehen. Das Neue dieses Daseins für Mensch und Welt besteht darin, daß mit der neuen diatheke „der Punkt" gesetzt ist, von dem her „die Vergangenheit wirklich Vergangenheit" wird, die uns „freigibt für die Zukunft" (491 f.). „Vom Kommenden her ist die Wirklichkeit des Christentums b e s t i m m t . . n i c h t vom Gewesenen" (345). Dieses Kommende, das die Verheißung verbürgt und gegenwärtig setzt, qualifiziert den Glauben, der auf der Verheißung gründet, als Hoffnung, als „das Machtgewinnen des Kommenden dank der Verheißungen Gottes in unserem jetzigen Leben" (ebd.). Hoffnung als Machtgewinn der Zukunft des kommenden Herrn ist konstitutiv für biblisches Existenz- und Weltverständnis. Sie ermutigt, „Modelle der kreativen Freiheit durchzuspielen" und sie ergibt „produktive Phantasie für die Zukunft", wie Jürgen Moltmann Konkretion des durch die Verheißung zur Hoffnung befreiten Lebens nennt 37 . Der Versuch Moltmanns, ästhetische Kategorien für theologische Aussagen fruchtbar zu machen und im Gefolge Karl Barths der Dimension der Schönheit Gottes und der Theologie Raum zu geben38, ist gerade beim Bedenken des Zusammenhangs von Verheißung und Wirklichkeit wichtig und anregend. Wirklichkeit, die sich von der promissio her versteht, mehr: die sich der promissio verdankt, ist darauf angelegt, Dank und Freude Stimme zu geben, Festlichkeit des Lebens in vielfältigen Formen zu artikulieren. Sie ist frei von Verengung wie von Verödung und Vergesetzlichung des Lebens. Denn diese Wirklichkeit ist gezeichnet von der Demonstration des Ostergeschehens, das die Erfüllung der Verheißung auf die neue Schöpfung antizipiert. Nach Rom 8 vollzieht sich das österliche Leben „mitten im Seufzen der geknechteten Kreatur". Die österliche Antizipation der neuen Schöpfung „führt darum tiefer als je zuvor in die Solidarität mit den Schmerzen der Welt hinein. . . . Das klingt zwar wie ein Widerspruch, ist aber in Wahrheit die unausweichliche Entsprechung. N u r wer zum Glück fähig ist, dem wird eigenes und fremdes Leiden zum Schmerz" 39 . Wo diese „unausweichliche Entsprechung" 37

Die ersten Freigelassenen der Schöpfung. Kaiser Traktate 2, 1971, S. 74. Vgl. audi Moltmanns für den Zusammenhang Verheißung und Hoffnung grundlegende Arbeit: Theologie der Hoffnung, 1964. Ebenso: Gerhard Sauter, Zukunft und Verheißung, 1965, mit seinem intensiven Bedenken der philosophischen Diskussion dieses Fragenkreises. 38 K. D. I I / l , S. 733 ff. Moltmann, Freigelassene, passim. Ββ Moltmann, Freigelassene, S. 37.

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vollzogen wird, da ereignet sich Wirklichkeit von der promissio her in der „Dialektik von Kreuzigung und Auferweckung Christi" 40 . Damit erweist sich promissio als die Weise, die Welt in ihrem leiderfüllten Unvollendetsein auszuhalten. Promissio hält uns bei den Problemen der Welt fest unter der Perspektive eröffneter Zukunft. Sie kann „nicht zur Weltflucht oder Weltvergessenheit werden, sondern führt zur kritischen Annahme der Weltsituation mit ihren Unannehmbarkeiten und zur geduldigen Weltveränderung, damit sie zur Freistatt der Menschen werde" 41 . Geduld bei Aktionen zur Weltveränderung unterscheidet sie von allen Maßnahmen verkrampfter oder ideologisch fixierter Gesetzlichkeit und von einem emotionalen Fanatismus, der sich in unrealisierbaren Forderungen verliert und den das Faktische Lügen straft. Unter dem Aspekt der promissio von Ostern her verstanden, geschieht Weltveränderung nicht aus moralischen Forderungen und ideologischen Maximen. Sie hat „einen transmoralischen Grund im Auferstehungsglauben" 42 . Dieser promissorische Aspekt der Weltveränderung zeigt auf einen Punkt, an dem der Dialog mit weltverändernden Ideologien wie etwa der des marxistischen Humanismus und Sozialismus besonders notwendig und ergiebig ist. Geduldige Weltveränderung bedeutet zugleich Freiraum für Dank und Fest, für Feier der Freiheit mitten in der Knechtschaft. Denn sie weiß um den neuen Himmel und die neue Erde nach seiner Verheißung (2Petr 3,13), sie richtet sich nach vorn auf die neue Schöpfung, „in der weder Leid noch Schmerz, noch Geschrei mehr sein werden, weil das Erste vergangen ist (Off 21,4). Die Leidensgeschichte Christi mitten in der Leidensgeschichte der Welt und ihr Ausgang in der Auferweckung des in der Welt Gekreuzigten ist die fleischgewordene Verheißung dafür und der Anfang jener anderen Geschichte der Freude mitten in diesem antwortlosen Leiden" 43 . Diese Formulierungen Moltmanns korrespondieren der Intention des Promissioverständnisses bei Iwand, das den Aspekt des Realitätsgehaltes der promissio nachdrücklich unterstreicht. In diesem Horizont „der Geschichte der Freude mitten in diesem antwortlosen Leiden" gewinnen auch die mehr pragmatisch formulierten Gedanken von Harvey Cox 4 4 ihren theologischen Rahmen, in dem sie sich zu einer Ganzheit formen, und ihr theologisches Gewicht. Und umgekehrt ebenso: unsere theologisch betrachtete Reflexion gewinnt durch den Cox'schen Beitrag eine ihr gut anstehende Auflockerung und Freiheit vom Prinzipiellen. — Predigt, die den Promissiogrundton aufnimmt und weiterträgt, wie Iwand sie mit seinen Predigtmeditationen intendiert und 4 1 A.a.O., S. 38. A.a.O., S. 39. A.a.O., S. 36. μ A.a.O., S. 42. 4 4 Vor allem: The Feast of Fools. A Theological Essay on Festivity and Fantasie. Cambridge/Mass. 1969. Deutsch: Das Fest der Narren, Stuttgart/Berlin 1970. 40 42

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provoziert, kann folglich nur Freudenbotschaft sein, ermutigendes Wort der Anrede und des Zuspruchs. Denn sie sieht von der promissio her die Wirklichkeit in einem Licht, das sie erleuchtet und ihr einen neuen Schein: eine neue Erscheinung gibt, das aber nicht aus der Wirklichkeit kommt. Es ist das Neue, das in sie hineinkommt und sie neu macht. Das reformatorische extra nos ist für Iwand auch eine theologische Leitlinie für das Promissioverständnis. Damit stehen wir vor der Frage nach dem Verhältnis von Verheißung und Geschichte, von verheißener Zukunft und prognostizierter Zukunft, von empfangener Zukunft und verantworteter Zukunft. Es ist die Frage nach dem Wirken Gottes in der Welt und der Verantwortung des Menschen für die Welt. Zu dieser Frage verdienen unter anderen audi Arbeiten aus der holländischen Theologie besondere Beachtung. Es würde den mit dem Thema dieser Arbeit gesteckten Rahmen sprengen, wenn wir die Denkbemühungen etwa von Arend Th. van Leeuwen, Arnold E. Loen und Johan Marie de Jong 45 im einzelnen diskutierten. Es ist aber wichtig, auf einige Aspekte hinzuweisen, die sich aufgrund dieser Arbeiten als Weiterführen des Promissiogedankens ergeben: Ansätze der dialektischen und hermeneutischen Theologie sind hier energisch aufgenommen und konsequent fortentwickelt „im Blick auf die Intensivierung der Säkularisation" 46 . Was Iwand in seinen Predigtmeditationen permanent bedenkt und entfaltet, indem er dem Gehalt von promissio in der Wirklichkeitseinheit von Text und Situation nachspürt, das ist hier in einem pragmatischen Entwurf und in einer experimentellen Konzeption theologischen Reflektierens und theologischer Stellungnahme „im Horizont der Gegenwart und der anbrechenden Zukunft zur Sprache gebracht"47. Und zwar so, daß Theologie als dialogische Wissenschaft betrieben wird 48 . Sie ist offen für Arbeitsstil und Denkformen, die de Jong „kybernetisch" nennt: eingestellt „auf fortwährende Veränderung, auf einen unaufhaltsamen Strom von Informationen, auf eine fantastische Interaktion von Ganzem und Teilen, auf 45 Arend Th. van Leeuwen, Des Christen Zukunft im technokratischen Zeitalter, Stuttgart 1969. Arnold E. Loen, Säkularisation, München 1965. Johan M. de Jong, Die Zukunft hat Vorrang. Kaiser Traktate 7, 1972. Zu nennen sind auch in diesem Zusammenhang als Beiträge der deutschen Theologie u . a . : Ferd. Hahn, G. Sauter, Verantwortung für das Evangelium in der Welt. Th. Ex. heute, 167, 1970. G. Howe, Η. E. Tödt, Frieden im wissenschaftlich-technischen Zeitalter, Stuttgart 1966. G. Picht, Η. E. Tödt (Hrsg.), Studien zur Friedensforschung, 1969 ff. H.-R. Müller-Schwefe, Technik und Glaube, Göttingen/Mainz 1971. G. Ebeling, Profanität und Geheimnis. ZThK 65. Jg., 1968, S. 70 ff. 4 e de Jong, Zukunft, S. 25. « A.a.O., S. 51. 4 8 Was Iwand mit seiner theologischen Arbeit in dieser Hinsicht bedeutet, s. bes. das II. Kap. dieser Arbeit: Dialog als Struktur theologischen Denkstils; sowie im VII. Kap. Abschnitt 3.1: Dialogfähigkeit der Predigt.

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eine geschärfte Intuition für den Moment und eine mutige Phantasie im Blick auf die Zukunft" 4 9 . Aber das Wichtige und Hilfreiche dabei ist, daß Theologie hier verstanden und betrieben wird als ein Denkprozeß, der bei aller Offenheit für andere Wissenschaftsbereiche und Wissenschaftsmethoden unübersehbar deutlich werden lassen will, daß er seiner eigenen Sache zu entpsrechen und f ü r sie einzustehen hat, daß gerade diese Theologie es unternimmt, den Glauben im biblischen Sinne zu verantworten. Es ist keine Frage, daß Iwand ein Instrumentarium so verstandener kybernetischer Arbeitsmethoden in vergleichbarem Ausmaß nicht zur Verfügung gestanden hat. Ihm diesen Tatbestand anzulasten, bedeutet ein Verkennen seiner Situation und damit kommunikationstheoretisch ein Fehlurteil, das ausgerechnet Hans Dieter Bastian nicht unterlaufen dürfte 5 0 . Umso mehr ist hervorzuheben, daß gerade Iwand weit über seine Zeitgenossenschaft hinaus ein Theologe des Dialogs mit anderen Wissenschaftsbereichen und geistigen Bewegungen — stellvertretend f ü r andere seien hier nur die idealistische Philosophie und der philosophische Marxismus genannt — gewesen ist, und daß er vor allem bei seinen Predigtmeditationen die Arbeitsergebnisse nichttheologischer Wissenschaften und die Zeugnisse der Kunst sprachlicher und bildnerisch-musischer Gestaltung in seltener Weite mit bedachte 51 . Diese Weite und Offenheit sind theologisch ermöglicht durch sein Verständnis des Wortes als promissio und der Wirklichkeit als einer von promissio qualifizierten und auf Zukunft hin ausgerichteten. Promissio besagt, daß die Worte der Schrift in einer bestimmten Beziehung zur Wirklichkeit stehen: Sie sind Worte, „die Geschichte zerbrechen und Z u k u n f t ansagen" 52 . Promissio bedeutet damit auch eine geschichtstheologische Aussage in endgeschichtlichem Sinne. Sie proklamiert als das Ende der Geschichte ein Novum. Dieses Novum wird in der Gegenwart Realität durch die Verheißung, „die das Künftige uns gegenwärtig macht" (133). An dieser Stelle ist ein Gedanke bedeutsam, den Iwand vor allem in seiner Meditation zu Lk 18,31—43 entfaltet (207 ff.), der aber auch in 49

de Jong, Z u k u n f t , S. 44 f. So verdienstvoll H . D. Bastians Theologie der Frage in mancher Hinsicht ist, bedeutet es geradezu groteskes Fehleinschätzen von Iwands theologischem Denkstil und theologischer Arbeit, wenn Bastian sich ausgerechnet auf ihn als einen Gewährsmann ζ. B. f ü r eine theol. Ablehnung der Frage-Kategorie b e r u f t (Theologie der Frage, S. 320). — Ein ähnliches Mißverständnis, das zu einer Verkürzung der Problemstellung führt, ist S. M. Daecke unterlaufen, wenn er I w a n d einfach und in solcher Verallgemeinerung jedenfalls nicht zutreffend als „Schüler" K. Barths bezeichnet (Ev. Komm. 5. Jg., 1972, S. 169). Vgl. dazu im I. Kap., Abschn. 2, bes. S. 14 u. 15. — Solche Etikettierungen fördern nicht den theologischen Dialog, f ü r den sich gerade I w a n d eingesetzt hat. 51 Vgl. dazu auch das VI. Kap. dieser Arbeit, passim. 52 Moltmann, Freigelassene, S. 45. 50

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seiner Bearbeitung der Weihnachtsperikope Lk 1,26—38 wichtig ist (202 ff.). Die Priorität und Prävalenz der Verheißung vor dem Ereignis, die Präferenz der promissio vor dem Faktum. Der Passionsgeschichte geht die Leidensverkündigung voraus. Vor der Geschichte steht die Weissagung. Die gleiche Beobachtung trifft für die Verkündigung der Geburt Jesu an Maria zu: Sie ist Geschichte der Erfüllung, der das Wort vorausgeht. Die Kategorien der Welt des Faktischen werden „gerade dadurch aufgehoben, von Grund aus verwandelt", daß die Verheißung ergeht. Den Tatbestand der Priorität der Verheißung vor dem Faktischen hebt Iwand mit dem Hinweis auf eine Äußerung Luthers in dessen Römerbriefvorlesung hervor: „et ita nos in verbum suum, non autem verbum suum in nos mutat" (205). Damit sieht er „grundsätzlich negiert und aufgehoben", daß „die Lehre bzw. die Verkündigung Deutung des zunächst einmal als Faktum hingenommenen Geschehens" ist. In Wirklichkeit verhält es sich genau umgekehrt: „Nicht das Geschehen geht voran, sondern das Wort, die Verheißung" (207). Damit ist deutlich, daß promissio Absage an die normative K r a f t des Faktischen vollzieht. Im Hinblick auf eine homiletische Theorie bedeutet das, daß die Empirie nicht vorrangigen Stellenwert hat, so wichtig und längst fällig etwa „Anfragen der Kommunikationswissenschaft an die Predigt" und ihre theologische Aufarbeitung auch sind 53 . Es bedeutet weiter, daß sich eine Verkündigung, die sich als Information versteht und statt der Einheit von Text und Situation den Primat der Situation proklamiert, wird fragen lassen müssen, ob sie gegen alle Absicht nicht doch das Verhältnis von promissio und Faktum umkehrt und die Priorität des Faktums gegenüber der promissio setzt. Damit aber muß sie in Kauf nehmen, daß sie eine promissorisch-offene Wirklichkeit gegen eine materealistisch-fixierte einhandelt. Es muß Theologen eigentlich doch sehr nachdenklich machen, wenn Literaten an einem solchen festgelegten und abgeschlossenen, im Grunde fertigen Wirklichkeitsverständis, das keine Überraschung mehr birgt, weder Gefallen noch Interesse finden. In diesem Sinne ist doch Max Frisch zu verstehen, wenn er zur literarischen Form des Tagebuchs bemerkt, daß es „die Wirklichkeit nicht nur in den Fakten sucht, sondern gleichwertig in Fiktionen" 34 . Auf der gleichen Linie liegen Äußerungen anläßlich eines Blues-Festival. Zu der künstlerischen Gattung des Blues wurde in einem Interview vermerkt: Blues ist eine Lebensart, eine Bot53 Dazu Gert Otto, Wider den „Mythos" der Verkündigung. Teil I: Anfragen der Kommunikationswissenschaft an die Predigt. Maschinenschriftliches Manuskript eines Rundfunkvortrages. Gesendet am 18. 6. 1972 im II. Progr. des Hess. Rundfunks. Vgl. auch VII. Kap., Absdin. 3.3 dieser Arbeit: Empirische Affinität der Predigt. 54 Max Frisch in: Horst Bienek, Werkstattgespräche mit Schriftstellern, dtv 291, 1969, S. 26.

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schaft, ein Inhalt. Eine Aussage der Fiktion einer gewandelten Wirklichkeit gegenüber Leiden und Unfreiheit. Einer der maßgeblichen Künstler dieses Festival erklärte seine Kunst: Ich fühle midi wie ein Missionar. Ich stelle die Welt dar. Ich erzähle eine story. Ich erzähle, was das Leben bedeutet 55 . Auch das Lebenswerk von Martin Luther King ist ja als Realisierung einer solchen Fiktion, eines „Traumes" zu verstehen, wie er es selbst in einer großen Rede nennt. Und als Motivation dieses Traumes kann der letzte Satz seiner letzten Rede in Memphis gelten: „Meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Reiches Gottes geschaut.. ." 5 6 Der Sinn seines Lebens und Sterbens ist darum am besten gekennzeichnet, wenn es in einem Nachruf auf ihn heißt: „Martin Luther King war kein Träumer, obgleich er einen Traum hatte. Seine Vision einer gerechten Gesellschaft entzündete sich an einer erwachenden Wirklichkeit." 57 Um noch ein Beispiel der Antizipation dieser promissorisch verursachten Wirklichkeit zu nennen: Auch die lateinamerikanischen Psalmen von Ernesto Cardenal und seine Meditationen über die Liebe artikulieren diese Wirklichkeit, die nicht nur in den Fakten, „sondern gleichwertig in Fiktionen besteht" 58 , die eine Wirklichkeit ist, bei der nicht das Geschehen, sondern die Verheißung vorangeht. Wenn wir von solchen „Fiktionen", die ja nicht irreal sind, absehen, fixieren wir zwangsläufig die Wirklichkeit auf das Faktische, und damit sind alle Äußerungen über die Wirklichkeit ideologisiert. Die Chance und vorrangige Aufgabe der Theologie, die Iwand klar gesehen und entschieden wahrgenommen hat, gerade über das Wirklichkeitsverständnis die Diskussion mit dem philosophischen Marxismus zu führen, ist damit vertan. Denn wenn die Theologie den Primat der promissio vor dem Faktischen aufgibt, hat sie an dieser Stelle jedenfalls dem Marxismus kaum etwas zu sagen, was er sich von seinem eigenen Wirklichkeitsverständnis her nicht auch selber sagen kann. Primat der promissio bedeutet zu nicht geringem Teil auch Dialogfähigkeit von Theologie und Verkündigung;59. Die Priorität der Verheißung in der Geschichte lenkt zu einem weiteren Gedankenschritt, der den Zusammenhang zwischen Verheißung und Wirklichkeit expliziert. Der Wirklichkeit, die die Verheißung hervorruft, 5 5 Eigene Mitsdirift aus einer TV-Sendung am 1 1 . 6 . 1 9 7 2 zum American Folk Blues-Festival. 5 6 Coretta Scott King, Mein Leben mit Martin Luther King, Stuttgart 1970, S. 252. " A.a.O., S. 266. 5 8 Max Frisch, S. o. Anm. 54. Ernesto Cardenal, Das Buch von der Liebe. Siebenstern T B 168, 1972. 5 9 Dazu das VII. Kap. dieser Arbeit, passim; bes. Absdhn. 3.1 u. 3.2. S. audi ο. Anm. 36.

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entspricht ein Sein und nicht nur Vorstellungen von einem Sein. Es geht um ein Sein und nicht nur um ein Wissen von Seiendem. „Auf dieses Sein muß die Predigt ausgerichtet bleiben" (513). Aussagen und Ansagen, Zusagen dieses Seins in unserm Dasein, das bedeutet für Iwand konkrete Predigt. Von seinem promissio-Verständnis aus hat sich Iwand darum bemüht, daß Verkündigung und Wirklichkeit, Wort und Welt komplementär einander zugeordnet sind. So real das Sein aber ist, das der promissio entspricht, so sehr ist es nicht „ontologisch zu bestimmen, zu beschreiben, zu fassen!" Es handelt sich bei dem durch promissio qualifizierten Sein „nicht um ein ontologisch zu erfassendes ,Phänomen'" (582). Nur in der Kategorie der Verheißung kann von diesem Sein geredet werden. Hier liegt für Iwand die Unmöglichkeit jeder theologia naturalis und jeder analogia entis begründet. Die Leidenschaft seiner Absage an jede Art natürliche Theologie, in der er mit Karl Barth im Ergebnis ganz kongruent ist, ist von daher zu verstehen, daß sie der Ontologie des Faktischen gegenüber der promissio den Vorrang einräumt und an die Stelle der certitudo salutis, die in der Verheißung gründet, die ontologisch motivierte securitas setzt. In einer Meditation zu der Perikope Jes 62,10—12 für den ersten Advent führt Iwand besonders präzise aus, daß das Sein der Verheißung real aber nicht ontologisch und also auch nicht empirisch zu verifizieren ist (532 ff.). Die Situation dieses Textes ist der Neuanfang der aus dem Exil heimgekehrten Exulanten. Diese Situation gilt Iwand als typisches Beispiel für Erfahrung des Seins, das der Verheißung entspricht. Der Erfahrung nämlich, „daß die Verheißung Gottes nie und nirgends greifbare, konstatierbare, unsere Augen oder unsere Begriffe erfüllende Wirklichkeit ist. Daß sie nicht aufgehen kann in irgendeinem konkreten, geschichtlichen Ereignis, es sei denn, Gott selbst sei da! Daß also seine Offenbarung, sein Licht, sein Wort und sein Heil nicht gefunden, entdeckt oder ,gehabt' werden könnten in etwas, was nicht er selbst ist! Nie, auch nicht dann, wenn und wo Ereignisse eintreten, die wir als Erfüllung seiner Worte, als Bestätigung unseres Glaubens, als Erhörung unserer Gebete ansehen dürfen, werden wir darin Gott finden! Nie!" (535). Diese Sätze können als Leitsätze für politische Predigt im engeren Sinne gelten, deren Bedeutung und Verantwortung gegenwärtig ja besonders groß ist. Sie erlauben keine geschichtspositivistische Auslegung von promissio und der ihr entsprechenden Wirklichkeit. Die beispielhafte politische Relevanz von Iwands Predigtmeditationen hat darin ihren Grund, daß er auch die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit unter dem Primat der promissio sieht und daß infolgedessen seine Verkündigung auch in diese Bereiche bei der promissio und nicht bei den Fakten einsetzt. Darin liegt die jaktische Bedeutung des Wortes, daß es den Fakten voraus ist. Darin spricht es in die Zeit und in das Zeitgesche108

hen, daß es der Zeit vorangeht, daß es nicht aus der Zeit kommt, aber in die Zeit eingeht und die Zeit erfüllt (Joh 1,14; Gal 4,4). Hier nimmt Iwand Anregungen der Philosophie Hegels in seine theologische Interpretation von promissio auf: „Alle Tatsachen werden in dem Moment aufgehoben und liegen bereits unter und hinter dem sie zur Tatsächlichkeit heraufführenden Geist (Prinzip), als sie Wirklichkeit geworden sind. Was am Gewordensein interessiert, ist der Prozeß, das Werden, nicht das Gewordene, das Fertige. Wo aber umgekehrt die Verheißung auf ein Gewordensein, auf ,Geschichte' im Sinne des Abgeschlossenen, Endgültigen, begründet wird, da wird dem Toten Macht gegeben über das Lebendige, dem Gestern Macht über das Morgen" (534,1). Das Beispiel der Perikope Jes 62,10—12 wie die prophetische Verkündigung des Alten Testaments als Gesamtphänomen sieht Iwand als Hilfe an, den Ansatz der Predigt bei der promissio aufzunehmen und durchzuhalten: „das Wort und nicht die Fakten zum alleinigen Ausgangspunkt unserer Verkündigung und zum einzigen Grund unseres Glaubens zu machen" (ebd.). Damit ist f ü r Iwands Predigtverständnis von der promissio her das eingebracht, was Ernst Bloch in seinen „Erläuterungen zu Hegel" von der sozialistischen Glücks-Intention aus die „zukunfttragenden Eigenschaften der Wirklichkeit" nennt 60 . Diese „zukunfttragenden Eigenschaften der Wirklichkeit" im biblischen Verständnis sind im Wort der Verheißung vergegenwärtigt und wirksam. Die Zukunft antizipierenden Wirkweisen der promissio sind nun weiter zu entfalten. Denn auf diese Wirkweisen ist Iwand in seinen Predigtmeditationen sorgfältig bedacht. Wir gehen dabei aus von einer Meditation zur Perikope Mt 10, 7—15, in der Iwand die Wirkweisen der Promissio unter den Leitbegriff der basileia tou theou f a ß t (647 ff.). Folgen wir dem Gedankengang dieser Predigtmeditation, so werden wir zunächst darauf aufmerksam, daß Gottesherrschaft Wandel der Welt bedeutet, daß das Novum mit der Herrschaft Gottes in der Welt anbricht und in die Verhältnisse der Welt einbricht. Das Sein, das der promissio entspricht, ist das Sein des Menschen und der Welt unter Gottes Herrschaft. Gottesherrschaft meint nach Iwand, der damit exegetische Grundeinsichten von Julius Schniewind aufnimmt, „daß, wenn unsere Welt mit dem Reiche Gottes wirklich ernsthaft konfrontiert wird, dies einen Wandel, und nicht nur einen Bewußtseinswandel, bedeutet. . . . Die Wandlung wird nicht ans Ende der Tage verschoben, sondern sie ereignet sich mitten in der Zeit" (649). Hier ist audi das zu bedenken, was 60 Ernst Bloch, Subjekt-Objekt. Suhrkamp TB 12, Frankfurt/M. 1972, S. 520. Vgl. dazu auch ders., Das Prinzip Hoffnung. Zur Kritik der „zukunfttragenden Eigenschaften der Wirklichkeit" im Sinne marxistischer Theorie und zu ihrer Entfaltung vom indikatorischen Ansatz bei Promissio und Inkarnation her vgl. das VII. Kap., bes. Abschn. 3.2

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Karl Barth am Ende des ersten Bandes seiner Versöhnungslehre ausführt, wenn er dem Glauben nicht nur „kognitiven" sondern „kreatorischen" Charakter zuerkennt 61 . Der Glaube ergreift in seinem kreatorischen Charakter den mit der promissio gesetzten Tatbestand: das neue Sein und die neue Zeit, die mit der Gottesherrschaft angebrochen ist. Fragen wir nach dem Inhalt dessen, was mit Gottesherrschaft gemeint ist, so verweist Iwand zunächst darauf, daß sich mit ihrem Anbruch Hoffnung erfüllt: „daß die auf Gott Wartenden und Hoffenden nicht verlassen sind". Das Nahesein Gottes ist ihnen als die Weise seiner Herrschaft zugesagt. „Aber diese Nähe ist niemals etwas Statisches, etwas metaphysisch über uns Ruhendes, sondern es löst sich eine Bewegung von dorther aus, die auf Erden eingreift" (650). Mit diesem Eingreifen erfüllen sich Verheißungen, „die mit ihrer Spitze bereits auf die Stelle und den Tag zeigen, der in unserem Text angebrochen ist, auf dieses potenzierte, in der Gegenwart Jesu Christi potenzierte Nahe = Sein der Gottesherrschaft". Mt 11,1—6 zeigt, daß diese Nähe bereits Erfüllung ist. „So sieht die Gottesherrschaft auf Erden aus." Auch Lk 1,46 wie das ganze Magnifikat mit seiner Bezugnahme auf die Verheißungen gilt Iwand als Beispiel dafür, wie „sich jetzt im Heute (nyn) dieses Äons" ereignet, was „nicht aus diesem Äon stammt". Das alles ist für Iwand gemeint mit der „Nähe der Gottesherrschaft", die „das große Thema des Evangeliums ausmacht" (ebd.). Wo dieses Thema angeschlagen wird, erscheint „jener böse Dualismus" wie „ein V/ahn, nach dem Gott das Regiment über diese Welt, über sein Werk und seinen Bund einem anderen abgetreten h ä t t e . . . " . Die Gottesherrschaft ist darum auch der Zugang zum Glauben an Gott den Schöpfer. Nicht im Sinne einer philosophischen oder kosmogonischen Weltanschauung, sondern in dem Sinne, daß die eine, ungeteilte Wirklichkeit unter einer, ungeteilten Herrschaft und damit in ungeteilter Obhut steht. Die Gottesherrschaft ist für Iwand infolgedessen audi die wesentliche hermeneutische Kategorie zum Verständnis der reformatorischen Lehre von den beiden Reichen62, die eben nicht bedeutet, daß die beiden Reiche „pari passu herrschen" (650). Sie ist vielmehr Interpretament für die Wirkweise der promissio als Herrschaft Gottes im Bereich des Politischen und Gesellschaftlichen. Im theologischen Kontext der Gottesherrschaft verstanden ist die Zwei-Reiche-Lehre ein Strukturelement theologischer Reflexion zur Aussage von Wirklichkeit und Welt. Die leitende Intention dabei ist: die eine Wirklichkeit, und keine Spaltung der Wirklichkeit K D I V / 1 , S. 840 ff. Bedenkenswerte Aspekte der Auslegung der Zwei-Reiche-Lehre, auf die näher einzugehen hier nicht der O r t ist, auch bei Ulrich D u d i r o w , Christenheit und Weltv e r a n t w o r t u n g . Traditionsgeschichte und systematische S t r u k t u r der Zweireichelehre, 1970. 61

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etwa in diesseitige „Welt" auf der einen Seite und jenseitiges „Reich Gottes" auf der anderen Seite 6 3 . Das Interpretament der Zwei-ReicheLehre will als Theologumenon und nicht als Ideologumenon verstanden werden, als der Kasus von Iwands Zuordnung von Gesetz und Evangelium im Bereich der politischen Ethik. Sie wahrt die dialektische Einheit zwischen promissio und Sein der Gottesherrschaft in der politischen Wirklichkeit. So liegt für Iwand die Hauptintention der reformatorischen Zwei-Reiche-Lehre darin, daß auch im Bereich der politischen Ethik das Evangelium Evangelium bleibt und nicht ethisiert wird zu einer politisch-ideologischen Gesetzlichkeit, die nicht der Verheißung den Primat beläßt sondern ihn den Fakten einräumt. D a m i t wird die Freiheit gewahrt, zu der der Mensch auch in seinem politischen Handeln freigesetzt ist, wenn er im Sein der promissio lebt. Diese Freiheit geschieht als Verantwortung für das Evangelium in der Welt 6 4 . Sie macht es unmöglich, den Inhalt politischer Verantwortung lediglich auf verbaler Ebene zu artikulieren, ihn etwa nur in kirchenamtlichen Stellungnahmen und Grundsatzentscheidungen festzulegen, anstatt den Freiheitsraum offen zu halten, den die promissio erschließt und die dem Menschen politische Verantwortung ermöglicht, die aus der Liebe und nicht aus dem Gesetz kommt, und die deshalb zu Versöhnung und Frieden hilft und nicht den politischen oder ideologischen Tagesstreit vermehrt. D e r Zwei-Reiche-Lehre, die bei den Reformatoren wie bei Iwand in diesem theologischen Kontext der Gottesherrschaft als Werk der Liebe und nie isoliert davon entfaltet ist, enspringt der Intention nach das, wofür Moltmann eintritt, wenn er dem Begriff der Gottesherrschaft den der Herrlichkeit Gottes zuordnet und davor warnt, die Gottesherrschaft zu ethisieren, indem man zu ihrer Entsprechung auf Seiten des Menschen den Gehorsam erklärt 6 5 . „Der sog. neue Gehorsam ist nur neu, wenn er kein Gehorsam mehr ist, sondern ein freies, phantasievolles und liebevolles T u n . " 6 6 Glaube, der in der promissio gründet, und Handeln, das diesem Glauben entspricht, kann jedenfalls nicht „in jener unkommentierten Absolutheit als Gehorsam verstanden" werden 6 2 , und man kann sich weder auf das Neue Testament noch auf Luther selbst berufen, wenn von dieser Perversion christlichen Glaubensgehorsams die Rede ist. D a m i t ist in keiner Weise das Unheil in Abrede gestellt, das diese Perversion anrichtet. Aber es ist gerade die inhaltliche theologische Besinnung auf Vgl. dazu Iwands Predigtmeditation zu Jes 3 5 , 1 — 1 0 (414 ff., bes. S. 415 f.). Dazu F. Hahn, G. Sauter in: Th. E x . heute N r . 167, 1970. 6 5 Moltmann, Freigelassene, S. 44 ff. Zu beachten sind audi hier die kritischen Ausführungen Ernst Langes gegenüber dem „gegenwärtigen Trend zur ,Ethisierung' des Evangeliums". Kirchen im Wandel der Moral. Predigtstudien V / 2 , S. 13 ff. βδ Moltmann, Freigelassene, S. 54. Dazu auch Dorothee Solle, Phantasie und Gehorsam, Stuttgart 1968. 6 7 Gert Otto, Wider den „Mythos" der Verkündigung, S. 20. 63

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den Zusammenhang zwischen Gottesherrschaft und ihrer Entsprechung auf Seiten des Menschen, das diesem Unheil wirksam wehrt. Nicht zuletzt ist auch unter diesem — wenn man's so nennen will: sozialpsychologischen bzw. sozialpädagogischen — Aspekt die Aufgabe der Predigt zu sehen. Darum ist es jetzt nötig, ehe wir auf den Gedankenkreis Verheißung und Predigt näher eingehen, die Zuordnung Verheißung und Wirklichkeit abschließend zu bedenken, indem wir jene Wirkweise der promissio ausführen, die den Menschen in seinem Glauben und Tun daraufhin ausrichtet, daß er der Gottesherrschaft entspricht. Promissio ermöglicht dem Menschen einen neuen Anfang und erschließt ihm damit Hoffnung und Zukunft. Maria ist für Iwand der Typos des Menschen in der Konfrontation mit der Verheißung. „Sie steht an einem Punkt, an den jeder von uns zu stehen kommt, wenn ihm die Verheißung Gottes begegnet" (203). Sie ist der Mensch, der in seiner Unannehmbarkeit von Gott angenommen und geliebt ist, der „vor Gott Gnade gefunden" hat (204). Dieses Angenommen- und Geliebtsein konkretisiert sich im Zuspruch der Vergebung. Er setzt den absoluten Neuanfang (305) und schafft das Sein des Menschen, das der Gottesherrschaft entspricht: Der Liebe empfängt, wird selbst zum Liebenden. Der Versöhnung erfährt, lebt nicht nur als Versöhnter sondern als Versöhnender. In seiner Meditation zur Perikope Mt 9,1—8 entfaltet Iwand die Vergebung der Sünden als das entscheidende Geschehen der Gottesherrschaft. Er legt diesen Text in der Zuspitzung aus, die Julius Schniewind in dem Satz formuliert hat: „Das eigentliche Wort der Gottesherrschaft aber heißt Vergebung."68 Auch dem Akt der Sündenvergebung, der den Menschen der Gottesherrschaft entsprechend macht, neu schafft und ihm ein neues Sein verleiht, geht die Verheißung voraus. „Remissio peccatorum est res promissa."69 Das besagt, daß auch für die Anthropologie der Glaube und nicht die Ontologie die Kategorie der Erfahrung ausmacht. Der Glaube, der ganz motiviert und ganz gehalten ist von der Verheißung. Das Sein des Menschen, das der Gottesherrschaft entspricht, ist allein in Christus anschaulich und „gegenständlich gewordene ,Existenz'" und also „die Erfüllung von Gottes Verheißung" (514). „Es steht 6 8 Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 465. Vgl. audi: J. Schniewind, Die Freude der Buße, 1956, passim und: J . Moltmann, Freigelassene, S. 50. Moltmann versteht hier im Sinne Schniewinds Buße als „Umkehr zur Zukunft", die „in Freude, neuem Selbstvertrauen u. Liebe konkret" wird. Für diesen Fragenkreis sind weiter wichtig: Günter Klein, „Reich Gottes" als biblischer Zentralbegriff. E v . Theol. 30. Jg., 1970, S. 6 4 2 ff. Hartwig Thyen, Studien zur Sündenvergebung und seine atl. und jüdischen Voraussetzungen, Göttingen 1969. Ders., baptisma metanoias eis apkesin hamartion. Zeit und Geschichte, hrsg. v. E. Dinkier, Tübingen 1964. 8 9 Apologie IV, Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche, S. 158 ff. Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 465.

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im Zusammenhang einer bestimmten Geschichte von Verheißungen" 70 , die er zugleich erfüllt. Mit dieser Erfüllung ist unsere Wirklichkeit als Angenommensein und als Geliebtsein qualifiziert. Die Verheißung hört damit nicht auf, Verheißung zu sein. Vielmehr ist sie durch diese Erfüllung „erst recht in K r a f t gesetzt" (375). Sie ist eine reale Vorgabe dessen, was auch noch aussteht: die Erlösung als vollendete Versöhnung. Damit erfährt das Leben des Menschen Impuls und Orientierung auf die Zukunft hin. Diese Impulsivität der promissio umgreift auch „die Unausweichlichkeit des Todesgeschicks", die ja das „schwerste Hindernis der Hoffnung" bedeutet 71 . „Es geht darum, den Tod . . . von der Verheißung Gottes aus zu begreifen" (596). Sein des Menschen, das der Gottesherrschaft entspricht, ist — wie Jürgen Moltmann formuliert — Sein in „wirksamer Hoffnung". In ihr „flieht der Mensch nicht aus dem unerträglichen Druck der Gegenwart in eine tröstliche, bessere Zukunft, sondern er zieht die andere, die menschliche Zukunft in seine Gegenwart hinein und lebt schon jetzt aus ihr". Das bedeutet, daß der Mensch neu wird. Denn „Hoffnung ändert einen Menschen, weil sie ihm seine neuen Möglichkeiten zeigt". Diese neuen Möglichkeiten sind die des Liebenkönnens. Liebenkönnen — das ist das neue Sein des Menschen, das der Gottesherrschaft entspricht 72 . — Wir fügen nun noch eine wichtige Beobachtung zur Struktur der Gottesherrschaft an, die wir gleichfalls Jürgen Moltmann verdanken: beim Anbruch der Gottesherrschaft über den Menschen kann es sich „nicht um einen bloßen ,Herrschaftswechser handeln, bei dem die Herren wechseln, aber die Herrschaftsform in ihrer Struktur und die Knechtschaft in ihrer Mentalität die gleichen bleiben" 73 . Vielmehr ist die Struktur dieser Herrschaft die Liebe. Gott, der in Christus seine Herrschaft über den Menschen antritt, „wäscht den Seinen die müde gewordenen Füße, nicht aber moralisch die Köpfe oder ideologisch die Gehirne. . . . Darum ist ihr ,Gehorsam' nicht blinder Gehorsam, sondern freier Dank und wissender Gebrauch der Freiheit in schöpferischer Liebe" 74 . Diese Liebe, die den Glauben als Vertrauen auf Gottes Herrschaft lebt, bedarf stets der Ermutigung. Sie kommt — wie der Glaube und die Hoffnung — nicht aus uns, sondern sie hat ihren Grund in der promissio, sie ist creatura verbi: res promissa. Denn sie ist gelebte Vergebung. Von daher ergibt sich der notwendige Sachzusammenhang zwi70 Gemeinsame theologische Erklärung zu den Herausforderungen der Zeit, 1971, S. 21. 71 Wolfhart Pannenberg, Grundzüge der Christologie, 1964, S. 80. 72 J. Moltmann, Mensch, TT, Bd. 11, 1971, S. 168 f. 73 Moltmann, Freigelassene, S. 54. Dazu auch E. Lange, Kirchen im Wandel der Moral. Predigtstudien V/2, bes. S. 14. 74 Moltmann, Freigelassene, S. 55.

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Gandras, Predigt

sehen Verheißung und Predigt, die die Verheißung weiterträgt. Denn der Glaube, der die Vergebung empfängt, bedarf — wie besonders Ernst Fuchs in seinen hermeneutischen Bemühungen nachdrücklich hervorhebt — immer neu der Predigt. Er bedarf stets der Erinnerung an, der Begründung und Rückbeziehung auf die Verheißung, die remissio zusagt und gültig macht75. Insofern haben wir nach wie vor die reformatorische Grundanschauung von der Predigt als Orientierung für die Predigt der Gegenwart festzuhalten: praedicatio est absolutio. 3. Verheißung und Predigt Die beiden bisher dargelegten Gedankenkreise dieses Kapitels: Verheißung und Schrift sowie Verheißung und Wirklichkeit bedingen nunmehr abschließende Überlegungen zu Iwands Zuordnung von Verheißung und Predigt. Da wir in den bisherigen Ausführungen bereits Hinweise auf diese Zuordnung und auf Konsequenzen daraus für die Predigtarbeit gegeben haben76, handelt es sich jetzt vor allem darum, diese Hinweise zu resümieren und an einigen Punkten zu präzisieren. — Die Verheißung umfängt den Menschen mit einem neuen Sein. Sie läßt ihm Angenommensein und Geborgenheit zuteil werden für seine personale wie ebenso für seine soziale Existenz. Iwands kontinuierliche Bemühung in den Predigtmeditationen besteht darin, die Predigt auf dieses mit der promissio gegebene Sein auszurichten. Predigt, wie er sie versteht und zu ermöglichen versucht, gründet in dem Promissiocharakter der Schrift und in der Promissioqualität der Wirklichkeit. Predigen bedeutet von dieser Voraussetzung aus: „den Menschen ganz bloß und nackt vor die freie, nur in Gott und seinem Willen begründete Verheißung stellen" (511). Iwand sieht Arbeit an der Predigt und Vollzug der Predigt nicht nur im Zusammenhang mit der Verheißung, sondern er versteht Verheißung genauer als dabar, als die Setzung, „die über unserer Verkündigung steht" (351). Diese Setzung bedeutet, daß Gott sein Schweigen gebrochen hat und daß damit unsere Gegenwart zu Hoffnung und Zukunft hin aufgebrochen ist, so daß Predigt, die der Verheißung folgt, den Exodus des Menschen aus dem Schweigen, aus der Isolation vollzieht 7 5 Ausdrücklich: Was sollst du predigen? Auch: Der Ursprung des christlichen Glaubens, Die missionarische Verkündigung der Kirche und der Mensch der Gegenwart, sowie: Zum Predigtentwurf. Ges. Aufs. I, S. 345 ff., 45 ff., 306 ff. u. 349 ff. 7 6 Diese Tatsache ist auch hier nicht nur methodisch begründet. Vielmehr hängt sie mit Iwands Denk- und Arbeitsstil zusammen, in dem er einen Sachkomplex unter verschiedenen Aspekten sieht und durchdenkt. Für die Darstellung hat das zur Folge, daß die gleiche Thematik in verschiedenem Kontext zur Sprache kommen muß, wenn man der Denkbemühung Iwands und ihrer Bewegung möglichst nah und angemessen auf der Spur bleiben will.

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und ihm neue koinonia gewährt. Es ist dies die Verheißung der koinonia, die sich mit der Auferweckung Jesu von den Toten erfüllt (Apg 13,33), an der die Predigt Anteil gibt; und das bedeutet: „Die Gemeinschaft ist grundsätzlich eine solche des Glaubens. Die Christen sind ,Glaubende', das heißt solche Menschen, die Gottes Verheißungen an sich wahr sein lassen" (369). In einer Meditation zu Apg 2,42—47 entfaltet Iwand koinonia-Vetständnis von der Verheißungspredigt her (365 fT.). Es geht dabei durchaus um koinonia im realen Sinne, aber doch um etwas anderes gegenüber vorfindlichen Gemeinschaftsbildungen, beispielsweise idealistischen, sozialistischen oder ideologisch anders begründeten. Die Gemeinschaft, die die von der Verheißung her verstandene Predigt ermöglicht, gründet sich auf die Tatsache, daß „sich f ü r uns der bittere Riß zwischen ,Idee' und .Wirklicher Welt'" geschlossen hat, „so gewiß sich in Jesus Christus der Riß geschlossen hat zwischen dem ,ewig reichen Gott' und dem ,armen, elenden Menschen'" (367). Damit ist der Zielpunkt in Blick gekommen, auf den sich Verheißungspredigt richtet: sie trifft auf eine Wirklichkeit, die es aufzuheben und wegzuschaffen gilt. Verheißung provoziert eine Predigt, die Veränderung wirkt und nicht nur von Veränderung redet. Diese Veränderung betrifft nicht nur den Menschen, sondern sie „greift mitten hinein in die Realität der menschlichen Gesellschaft, auch in die ökonomische Realität unserer Welt" (367). Anhand dieser Textbearbeitung zu Apg 2,42—47, die ein Beispiel f ü r Iwands profilierte Auslegung von Perikopen aus der Apostelgeschichte ist und die die Einheit von Text und Situation als f ü r seine Meditationen kennzeichnend vorführt, bezeichnet es Iwand als „in unsere Theologie und Kirchen eingedrungene Irrlehre, als ob sich mit der Verkündigung des Evangeliums nur etwas an den Personen änderte, nicht aber auch an den Dingen, den harten und verhärtenden Dingen, die das Verhältnis der Personen zueinander bestimmen" (367). Was Iwand hier zur Predigt eines neutestamentlichen Textes erhebt, gilt genauso etwa auch von der prophetischen Verkündigung des Alten Testaments, deren Verheißungen dem Menschen in seinen Verhältnissen, dem Menschen in der Gesellschaft gelten 77 . Predigt, die Isolation aufbricht und koinonia gewährt, realisiert f ü r Iwand biblisch das, was Fichte im idealistischen Sinne „Tathandlung" nennt. Promissiopredigt ist „Tathandlung" Gottes als Konkretion der 77 Dazu: W. Zimmerli, Die Weltlidikeit des Alten Testaments, Göttingen 1971. Ders., Der Mensch und seine Hoffnung im Alten Testament, Göttingen 1968. Dazu bes. das XI. Kap., S. 163 ff. Vgl. audi das Themenheft: Zur atl. Prophetie. Ev. Theol. 33. Jg., Η. 1, 1973. Dazu bes.: Marlene Fendler, Zur Sozialkritik des Amos (S. 32 ff.) und: Hans-Jürgen Hermisson, Zukunftserwartung und Gegenwartskritik in der Verkündigung Jesajas (S. 54 ff.).

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Vergebung (465). Auch dieser Ausdruck ist ein eindeutiger Hinweis auf die Intention Iwands, Predigt als Verheißungspredigt zu verstehen. Promissio besagt, daß es sich bei der Predigt um ein Geschehen handelt, um Motivation von Tun. Verheißungspredigt ist Einheit von Wort und Tat, Text und Situation. Verheißungspredigt in Iwands Verständnis versucht dem zu entsprechen, was de Jong beabsichtigt, wenn er den von der Kybernetik erschlossenen Begriff der Komplementarität für die theologische Diskussion fruchtbar macht78. Dualität und Polarität werden dabei als legitime Elemente von Verstehensprozessen erkannt, und damit wird die für Iwand so entscheidende hermeneutische Kategorie der polaren Einheit von Gesetz und Evangelium, ihre dialektische Zuordnung unter der einen Klammer der Verheißung von einer ganz neuen Seite beleuchtet und als möglicher Denkschritt über theologische Aporien der Gegenwart hinaus gesehen. Dieses neue Denken transzendiert alte Alternativen. De Jong denkt vor allem an die Alternative zwischen Naturund Kulturwissenschaften, zwischen Ethik und Technik, aber auch an die „ideologischen Gegensätze von Materialismus und Idealismus — und indirekt damit auch die sich daran festklammernden Machtblöcke"79. Das ist ein Aspekt, der sich mit dem trifft, was Iwand in der Predigtmeditation zu dem verheißungs-vollen Text Jes 35,1—10 ausführt (414 ff.), was die unheilschwangere alte „Alternative" zwischen Glaube und Welt transzendiert. Verheißungspredigt meint Gottes Kommen in diese Welt. „Das Kommen des Herrn" läßt sich nicht so verinnerlichen, „daß die äußere W e l t . . . davon unberührt bleibt". Verheißungspredigt zeigt das Kommen Gottes in die Welt im realen und nicht im vergeistigten oder nur personalen Sinne an. Wenn wir diesem Trend der Verheißungspredigt nicht folgen, dann werden wir — so meint Iwand — „den Glauben an das Gottesreich in eine idealistische und eine materialistische Seite aufspalten und werden nur halbe Wahrheiten behalten, die keine Kraft mehr haben oder, wo sie eine solche vortäuschen, sich gottloser und von unten her stammender Mittel bedienen müssen, um zu wirken. . . . Gottes Kommen . . . bedeutet, daß beide, der Mensch und seine Welt, im Glänze des neuen Äon, der Neuwerdung selbst stehen" (415 f.). Verheißungspredigt macht uns frei „von jener spiritualistischen Umdeutung, die das Kommen Gottes des Ereignishaften und Umgestaltenden, des wirklich jAlles-neu-machenden' beraubt" (416). Wenn wir Verheißung ernst nehmen, dann ist uns verboten, weil theologisch unmöglich gemacht — es sei denn wir reden voreingenommen propagandistisch — von der Predigt als von „Leerformeln" zu sprechen. Predigt, die Verheißung weitersagt, hat etwas zu sagen im Horizont der Gegenwart und der diese Gegenwart bestimmenden Zukunft. 78

de Jong, Zukunft, S. 52 ff. » A.a.O., S. 45.

7

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Richtungweisend und darum wichtig ist hier Iwands Votum zur Verheißungspredigt in einer Meditation zu Jes 55,5 ff.: „Es wird darauf ankommen, daß die Predigt richtend gegenüber den das Verbum Dei entleerenden Phraseologen und verheißend an alle an ihren Möglichkeiten verzweifelnden Ideologen die Souveränität des Wortes Gottes herausstellt: Es ist nicht vom Da-Seienden her bestimmt, sondern umgekehrt, es kommt von ihm selbst und ereignet sich an uns und wandelt das Seiende in das, was es nicht ist" (387). Predigtentleerende Phraseologie und gesetzlich-verzweifelte Ideologie sind nach wie vor die akutesten Gefährdungen der Predigt. Der Predigtansatz bei der promissio ist kein automatischer Wirkungsmechanismus, der diesen Gefährdungen enthebt. Wohl aber zeigt er Perspektiven der Predigt, die Aporien der Gegenwart transzendieren, weil Predigtarbeit von der promissio her nicht bei den Fakten einsetzt, sondern mit dem Ereignischarakter der Texte rechnet. Verheißungspredigt bedeutet Erweiterung des Aussagehorizontes der Predigt, denn sie versteht sich zuerst nicht als Kommentierung und Deutung des Faktischen, sondern rechnet fest mit der „Wörtlichkeit der Geschichte". Sie bemißt — wie Luther sagt — das Werk nach dem Wort und nicht das Wort nach dem Werk 8 0 . Diese Signifikation der Geschichte durch das in sie und an sie ergehende Verheißungswort ist das Wort, das den Wörtern unserer Predigt Sprache gibt — Sprache des Glaubens. Und so kann man — Gerhard Ebelings Intention folgend 81 — Verheißungspredigt verstehen als Sprachlehre und Sprachbemühung des Glaubens in seinem Weltbezug. Damit kommt eine weitere alte Alternative in Blick, die eine besonders lähmende Aporie der Predigt verursacht und die die Verheißungspredigt möglicherweise transzendiert: Die Alternative zwischen dem sogenannten „Text" und der sogenannten „Situation". Weil es auf das Transzendieren gerade dieser Alternative entscheidend ankommt, resümieren wir hier Gesichtspunkte, die sich uns dazu beim Entfalten von Iwands Promissioverständnis ergeben haben im Blick auf die Predigtarbeit. Verheißungspredigt involviert Einheit von Text und Situation. Denn Weltbezogenheit ist ihr immanent und kein applikatives Appendix. Sie ist mit der promissio begründet und gegeben. Der „Ort des Hörers" ist in diese Einheit integriert und kann nicht isoliert davon diskutiert und reflektiert werden. Der Hörer ist auf diese Weise weder „ein allzu mieses Thema für eine Predigt" 8 2 noch ein zu ergiebiges 83 , sondern er wird ernst genommen als der, auf den die Verheißung aus ist, dem sie gilt 80

Römerbriefvorlesung, zit. b. Iwand, Pred.-Med., S. 388 f. G. Ebeling, Einführung in theologische Sprachlehre, Tübingen 1971. 82 R. Bohren, Predigtlehre, S. 451. 83 Die Gefahr dieser Einseitigkeit ist bei der Predigttheorie von E. Lange zumindest nidit ausgeschlossen. Predigtstudien, Beih. 1, 1968. 81

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und ohne den sie gar nicht ergangen und zu predigen wäre. Verheißung hat ihren Zielpunkt in der Inkarnation, sie ist Wort des Menschgewordenen an den Menschen. Und darum besagt Verheißungspredigt schon in ihrem Ansatz Einheit von Text und Situation, Wort und Hörer, und sie vollzieht sich jenseits der Alternative zwischen beiden. Es ist darum nur folgerichtig, wenn Gert Otto dafür plädiert, „die technokratisch halbierte Aufnahme kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse, wie sie zur Zeit in der Theologie vorherrscht"84, zu überwinden und Folgerungen aus kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnissen für die „Prozesse des Predigens und Predigthörens" zu ziehen, „in denen aber gerade nicht die ,Wie-Fragen vor den Was-Fragen' den Vorrang haben sollen, gerade nicht die ,Machbarkeiten' im Vordergrund stehen sollen, sondern in denen jetzt zu versuchen ist, Wieund Was-Fragen unabdingbar beieinanderzuhalten"85. Hierbei ist wichtig, festzuhalten, daß Otto von gewiß anderen theologischen Voraussetzungen als Iwand und auch mit gewiß anderen Intentionen als er auf einen gleichen Tatbestand hinweist, den Iwand im Ansatz der Predigt bei der promissio gewahrt sieht: Die Einheit von Text und Situation, von Was-Fragen und Wie-Fragen, von materialer und formaler Homiletik. Es wäre zweifellos der Sache förderlich, wenn wir das Faktum der Möglichkeit des Dialogs zwei so heterogener Gesprächspartner wie Iwand und Otto als Hinweis auf die äußerst dringende Aufgabe verstehen würden, „alte Alternativen" auch in der gegenwärtigen Diskussion um eine homiletische Theorie zu transzendieren. Wenn wir bei der Predigt die Einheit von „Text" und „Situation" von der promissio her angehen, hat das noch weitere Konsequenzen. Promissio qualifiziert die Wirklichkeit in realem Sinne progressiv: auf Zukunft hin, auf Hoffnung hin geöffnet. Promissio bedeutet: Richtungsgabe unserer Verkündigung nach vorn; oder nach Stichworten von de Jong formuliert: Rede vom kommenden Gott, vom mündigen Menschen und von einer werdenden Welt 86 . Situationsbezogenheit der Predigt, die von der promissio absieht und nur auf empirischem Wege hergestellt sein will, lenkt im Grunde den Blick zurück, verfährt retrospektiv und behaftet bei der Vergangenheit. Sie gewinnt ihre Perspektive hauptsächlich aus dem status quo — eben aus der „Situation". Jedenfalls ist das die Problematik des Bedenkens der Situation, das methodisch von der promissio isoliert erfolgt. Wenn Iwand dagegen von der Einheit zwischen Text und Situation unter der Klammer der promissio ausgeht, die seinem Verständnis der Einheit von Gesetz und Evangelium unter der Klammer der Offenbarung entspricht, dann besagt das folgendes für die Situations84 85 86

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Wider den „Mythos" der Verkündigung, S. 25. A.a.O., S. 15 f. de Jong, Zukunft, S. 55 ff.

bezogenheit der Predigt: promissio öffnet die Situation nach vorn hin, über sich hinaus. Situationsbezogenheit der Predigt unter dieser Voraussetzung kommentiert nicht nur die Situation, sondern sie transzendiert sie. Denn promissio konstituiert die Einheit zwischen Wort und Welt. Sie signifiziert den Ort des Hörers in dieser Einheit als Ort des Menschen, der in und mit der Welt nicht allein ist, der nicht ohne Kommunikation ist zwischen Gott und Welt. Dem Begriff „Situation" wird ohne Bedenken der promissorischen Dimension ein anderer Gehalt substituiert. Wirklichkeit wird dabei abgesehen von dem, außerhalb dessen betrachtet, was Iwand die „Wörtlichkeit der Geschichte" nennt, und damit wird sie nicht mehr als eine Wirklichkeit verstanden, sondern als gespaltene, die ihren Weg in ihren verschiedenen Bereichen letztlich doch eigengesetzlich nimmt, also ohne Kommunikation. So zeigt sich promissio als ein Schlüsselwort für Kommunikation — nicht nur für theologische Kommunikation in der Predigt sondern für Kommunikation in weitestem Sinne. Im Hinblick auf den Text besagt der Ansatz bei der promissio mit dem Zielpunkt der Inkarnation folgendes: Der Text ist in sich und von vornherein kreativ. Kreativität als Wirk- und Verwandlungskraft des Textgehaltes im Hinblick auf die Situation muß nicht erst in einem eigenen Reflexionsprozeß erzeugt werden, der seiner Hauptintention nach jedenfalls vom Text absieht. So besagt der Ansatz bei der promissio Kreativität zur Predigt in der Einheit von Text und Situation, und er wehrt der Gefahr der Gesetzlichkeit der Predigt durch vom Text isolierte Situationsbezogenheit. Verheißungspredigt ist ungesetzlich kreative Predigt in Bezug auf Text und Situation. Darum sieht Iwand sie weithin in Kontrast zu dem Tun, „das unter dem Namen ,Predigt' landauf, landab, hier ein wenig müde und verzagt, dort temperamentvoll und agressiv . . . , bald vom Sakrament in die Ecke gedrängt, bald wieder als Vortragsrede sich eitel in den Mittelpunkt schiebend" (306 f.). Wir nehmen das Transzendieren der „alten Alternative" zwischen Text und Situation durch die Verheißungspredigt als repräsentativ für andere Alternativen, die im Grunde dieser einen entspringen. Das Weiterführende vom Ansatz bei der promissio an diesem Punkt betrifft ebenso andere Aporien der Diskussion um eine homiletische Theorie, die sich allzu leicht als Alternativen stellen, wenn man von der promissio als Einheitspunkt und Medium der Verständigung absieht. Linien der Richtung dieses Weiterführens sollen wenigstens noch angedeutet sein, ohne daß wir sie im Rahmen dieser Arbeit ausführen können. Das Wort als promissio verfolgt in seiner eigensten Intention Erfüllung. Es zielt darauf, daß es Gestalt annimmt, daß es Geschichte wird und Geschichte macht — daß es Fleisch wird. Zwischen der promissio und der Inkarnation besteht das Verhältnis der Komplementarität. So gewinnt bei Iwand die Inkarnation von seinem Verständnis der promissio aus ein spezifi119

sches Gewicht, das ihr innerhalb der evangelischen Theologie selten beigemessen wird, ohne nach der theologia naturalis hin gefährdet zu sein, und das Iwand audi zum besonders kompetenten Dialogpartner für die römisch-katholische Theologie macht. Die Integration der Inkarnation in die theologische Reflexion ist im ökumenischen Horizont hervorragend bedeutsam und vom Ansatz der promissio her besonders angemessen zu vollziehen. Denn promissio erfolgt nicht ins Leere hinein, sondern ist auf ein Sein ausgerichtet, dessen Gestaltwerdung Inkarnation bedeutet 87 . Diese Perspektive gibt der Theologie und der Predigtarbeit, die in diesem Kontext geschieht, größtmögliche Offenheit und verständnisbereite sowie verstehensfähige Affinität gegenüber Zusammenhängen und Fragestellungen, die theologisch unzulänglich oder ideologisiert bleiben, wenn man von der promissio und ihren Konsequenzen im weitesten Sinne absieht. Zu denken ist etwa an den Zusammenhang von Wort und Gestalt, von Predigt und Rhetorik, von Predigt und Effektivität, von Verkündigung und intellektueller Redlichkeit, von Predigtarbeit und Empirie überhaupt 88 . Wer wie Iwand von der promissorischen Qualität des Wortes her denkt und Predigtarbeit vollzieht, der wird auch die Dimension der „Wörter" und Fragen der Empirie wie alle Bereiche der Konkretion in dem ihnen eigenen und ihrem Stellenwert angemessenen Gewicht für die Predigt und ihren Vollzug sehen und in Rechnung stellen, ohne ihnen ein Übergewicht zu geben, das sie nicht haben, oder ein Untergewicht, das sie nicht haben sollten. Predigt als Wort der promissio, das sich — begründet in der Inkarnation Jesu Christi — als Inkarnation in weitestem Sinne realisiert, ist konkrete Predigt, die vorbehaltlos „Öffentlichkeit als Partner" 8 9 bejaht. Durchsichtigkeit und Transparenz sind bei diesem Predigtverständnis nicht von außen her gegenüber der Predigt erhobene Postulate, sondern sie sind gegeben mit dem Ansatz der Predigt bei der promissio. Wir schließen unseren Gedankengang Verheißung und Predigt ab mit einigen Überlegungen zur Frage nach dem Zusammenhang von Konkretion und Zweck der Predigt. Daß gerade solche Predigt, die der promissio folgt, nicht absichtslos geschieht, sondern in einer bestimmten Zielrichtung, steht außer Frage. Daß Verheißungspredigt die Wirkung der Predigt über das, was Effektivität in kommunikationstheoretischem Sinne meint, hinaus bedenkt und verfolgt, sollte ebenso eindeutig sein; für Iwand ist es das jedenfalls. Predigt will wirken — nicht nur im personalen sondern auch im sozialen Bereich; sie will bestehende Wirklichkeit ändern und aufheben und neue setzen. Dies alles vorausgesetzt 87 88 89

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Vgl. dazu das VII. K a p . dieser Arbeit. Dazu Näheres VII. Kap., Abschn. 3.3. Max Frisch, edition suhrkamp 209, 1967.

öffnet promissio den Blick für eine andere, ebenso wichtige Seite des Predigtprozesses, die weithin ein Defizit im Nachdenken über die Predigt ausmacht. Dieses Defizit verursacht Gesetzlichkeit und Sterilität der Predigt in einem Ausmaß, das die Predigt vielfach um ihre Wirkung bringt. Es ist das Defizit kreativer Freiheit der Predigt. Der Ansatz der Predigt bei der promissio hat nicht zuletzt auch dies zur Folge, daß er Predigtarbeit als Einübung in Modelle kreativer Freiheit ermöglicht, und daß Predigt verstanden und vollzogen werden kann als Anregung und Betätigung produktiver Phantasie für die Zukunft. So sehr Predigt Handlungen und Tun motiviert, so sehr wird sie frei von Handlungszwang, der alle Spontanität erstickt und damit fade und langweilig wird. Promissio schützt die Predigt vor dem Mißverständnis, das ihre Relevanz nach der Zweckmäßigkeit mißt. Promissio hält fest, daß die Predigt ihre Legitimität jenseits aller Kategorien der Zweckmäßigkeit und Verrechnung hat und behält. Gerade weil und wenn die Predigt zweck/m ist, ist sie nicht zwecklos. Verheißungspredigt artikuliert, daß Predigt Selbstzweck ist, daß sie — wie der holländische Biologe und Philosoph Buytendijk formuliert — „demonstrativen Seinswert" 90 hat. Dies meint Iwand — theologisch rezipiert, wenn er in der Meditation zu Lk 10, 38—42 vom „Doppelgesicht des Evangeliums" spricht; Doppelgesicht insofern als es „das Überflüssige" und „das schlechthin Notwendige zugleich" ist. „Man wird es nie in seiner Nützlichkeit, seiner Zweckmäßigkeit' begreifen, ohne es damit im Innersten zu zerstören. Es ist nicht ,zu etwas' da, so wie Jesus nicht ,zu etwas' da ist. Es ist um seiner selbst willen da und gebietet uns, es um seinetwillen auch immer und für uns da sein zu lassen" (630). Damit erschließt promissio die Freude, die Dimension des Ästhetischen als wichtigen Antrieb der Predigtarbeit. Sie wird zur realen Möglichkeit, Predigtverdrossenheit zu überwinden. Denn sie versteht Predigt als Zuspruch, der nicht Zweckmäßigkeiten und Nützlichkeiten unterwirft, sondern der Freiheitsraum schafft und erweitert. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß Iwand wie Karl Barth nicht nur die Predigt, sondern die Theologie überhaupt in ihrer Freiheit gegenüber den sogenannten „Wertwissenschaften" versteht (NW VI, 308). Dabei wird deutlich, wie sich bei Iwand Predigtauffassung und Verständnis der Theologie als Wissenschaft einander entsprechen und bedingen. Predigt, die sich von der promissio her motiviert weiß, ist Anleitung, „die Möglichkeiten einer schöpferischen Freiheit" auszuprobieren . . . „und die verdrängte Spontanität ans Licht zu bringen" — wie Moltmann den Dienst der christlichen Gemeinde überhaupt versteht 91 . Wird aber solche Predigt und werden „Religion, Kirche und Glauben einmal unter die Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und 90

Zit. bei M o l t m a n n , Freigelassene, S. 2 6 .

91

M o l t m a n n , Freigelassene, S. 7 4 f.

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Nützlichkeit der Gesellschaft gestellt, dann verschwinden sie von selbst, sobald man diese Zwecke auch mit anderen Mitteln erreichen zu können meint" 92 . Promissio bewahrt die Predigt vor diesem Rückschritt in die Zweckmäßigkeit. Sie ist begleitendes Handeln für den Menschen, der es unternimmt, „aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit hinüberzuschreiten" 93 . Damit verhilft diese Predigt dem Menschen zur Freude an dem freien Gott, der sich dennoch an den Menschen bindet, und zur Freude an seinem freien Leben, das ihm widerfährt, und das ihn jenseits aller Zwänge stellt. Promissiopredigt läßt sich dahin verstehen, daß sie aus der Freude kommt und Freude schafft. Damit ist sie ein Genus der Predigt, das weitgehender als andere Versuche Gewähr dafür bietet, daß der Inhalt der Predigt Evangelium ist: eine Nachricht, die spontan und phantasievoll, konkret und überraschend über Gott und Mensch in ihrer personalen und sozialen Bezogenheit aufeinander ergeht, und mit der der Mensch Freiheit empfängt. Dieser Ansatz der Predigt bei der Verheißung und ihre Durchführung von der Verheißung her, wie sie Iwand in seinen Predigtmeditationen unternimmt, ist für die Diskussion einer homiletischen Theorie in ihrem gegenwärtigen Stand besonders sinnvoll und hilfreich. Er eröffnet nämlich eine realistische Perspektive, von den Möglichkeiten und Chancen der Predigt zu sprechen anstatt in einer fruchtlosen Dauerreflexion über Unvermögen zur Predigt und Predigtkrise festzufahren. Iwands Einsatz der homiletischen Theorie beider promissio gibt Freiheit zur Predigt, setzt Kreativität und Phantasie zur Predigt frei, anstatt Prediger und Predigthörer mit vermehrter frustrierender Gesetzlichkeit zu lähmen, indem wir von unserem Unvermögen zur Predigt aus die Chancen und die Effektivität der Predigt bemessen und beurteilen. Die Priorität der promissio vor den Fakten ist nach Iwand auch entscheidend für eine homiletische Theorie. Die tatsächliche und gar nicht genug ernstzunehmende Predigtkrise und Predigtnot, die wohl jeder Prediger kennt und die unsere Predigt in so erschreckendem Ausmaß zu institutionalisierter Belanglosigkeit machen, werden dabei weder übergangen noch verharmlost. Sie werden A . a . O . , S. 66. A . a . O . , S. 71. S o sehr auf der einen Seite zu sehen ist, d a ß M o l t m a n n G r u n d züge v o n I w a n d s Verheißungsverständnis a u f n i m m t und auf sie zurückgreift, so sehr sind auf der anderen Seite D i f f e r e n z p u n k t e zwischen I w a n d u. M o l t m a n n unverkennbar deutlich. Zu erwähnen ist an dieser Stelle einmal, d a ß f ü r I w a n d in weit größerem M a ß e Verheißung als erfüllt gilt als das bei M o l t m a n n der F a l l ist. Z u m andern sind bei I w a n d die K o n t u r e n der A b g r e n z u n g zwischen von der promissio eröffnetem Freiheitsraum und menschlichem Aktivismus eindeutiger und klarer als das bei M o l t m a n n erkennbar wird. D a s hängt wesentlich zusammen mit dem Stellenw e r t der I n k a r n a t i o n innerhalb der O f f e n b a r u n g s g a n z h e i t bei I w a n d und mit seiner gegenüber M o l t m a n n unterschiedlichen Akzentuierung des Verhältnisses v o n G e s e t z und E v a n g e l i u m . D a z u N ä h e r e s im V I I . K a p . dieser Arbeit. 92

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vielmehr ohne Verdrängung aber audi ohne Panik mit dem Stellenwert eingeschätzt, den sie haben. Sie werden da gesehen und ihnen wird da abhelfend zu begegnen versucht, wo sie ihren O r t haben: im Bereich des Faktischen, dem die promissio vorangeht und voransteht. In dem Bereich, auf den die promissio trifft, um ihn zu verändern und zu verwandeln, um ihn aufzubrechen und zu erneuern. Der Zusammenhang Verheißung und Predigt, ihre Bezogenheit aufeinander in zuordnender Komplementarität besagt also reale Chance der Predigt; sie besagt, daß gerade die Predigtnot „sich als Gewinn für neues Verstehen und Auslegen der Texte erweisen kann" 9 4 . Promissio weist die Predigt — wie Iwand in einer Pfingstmeditation zu Rom 8,5—11 darlegt — als „ein Geschehen von Gott her" aus. Es geht dabei um den „Sieg des Geistes über das Fleisch", der uns „mit der Auferstehung Jesu Christi verbindet und zusammenschließt". Das ist die Aufgabe, die uns mit der Predigt gestellt ist, auf die uns Iwand mit seinen Predigtmeditationen hinweist. Von dieser Aufgabe sagt er: „Wer sie erfaßt, kann nicht anders, als an ihr verzagen . . . , und wer an ihr verzagt, der wird, wenn es trotzdem gelingt, wissen, wem er es zu danken hat, daß es gelang. Er wird dann begreifen, daß es bei dieser Frage um mehr als eine Methodenfrage geht, und darum dem Text zutrauen, was er seinem Einfühlungs- und Überredungsvermögen mit Recht nicht zutraut" (607). Hierbei treffen sich die Entwürfe Iwands und Rudolf Bohrens in einer entscheidenden Intention: In der Intention nämlich, Predigtchancen aufzuzeigen, Freude zur Predigt und an der Predigt zu wecken 95 , ohne in weltvergessendes und problemnegierendes Schwärmen zu geraten 96 . Allerdings unterscheiden sie sich merklich — und gerade das macht das Miteinander beider nicht nur so interessant sondern fruchtbar — in der Explikation dadurch, daß Iwand die Steilheit und fast unmittelbare Direktheit der Pneumatologie Bohrens in dieser Weise nicht teilt 97 . Er legt den wesentlichen Akzent auf die promissio, die den Geist verheißt und denkt die Einheit von Wort und Geist mehr vom Wort her; das hängt damit zusammen, daß er auch beim Promissioansatz der Predigt seine theologische Leitlinie von Gesetz und Evangelium durchhält. Bohren dagegen setzt unmittelbar mit dem Geist ein, was beim Stand der heutigen Diskussion mit ihrem erschreckenden Defizit theologischer 94

Christian Möller, Von der Predigt zum Text, S. 13. Vgl. z . B . die Bemerkung Iwands in seiner Pred.-Med. zu l j o h 1,5—10: „Freude sollte audi das Ziel unserer Auslegung dieses Textes sein" (672). Was zu diesem Text ausdrücklich formuliert ist, gilt für Iwands Predigtarbeit überhaupt. 9Θ R. Bohren, Predigtlehre, 1971. Hier bes. § 1. Dazu: G. Harbsmeier, Pneumatische Homiletik. Ev. Theol. 32, 1972, S. 487 ff. 97 Vgl. den Hinweis Chr. Möllers gegenüber Bohren auf „die Gefahr, daß Pneumatologie in einen ,Standpunkt des Geistes' umschlägt, auf den man sich stellen möchte". Von der Predigt zum Text, S. 82. 95

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Besinnung auf die Pneumatologie 98 der Situation durchaus angemessen ist. Die Frage bleibt nur, ob damit auch der Weltbezug des Wortes und sein Realitätsgehalt gewahrt werden kann in dem Maße, wie es nötig ist und dem Gewicht der Weltverantwortung des Evangeliums entspricht. Iwands Einsatz bei der promissio betont die Offenheit des Wortes gegenüber der Pneumatologie und folgt dem Wort, das als promissio inkarnatorisches, zum Menschen und seiner Welt haltendes, bei ihm wohnendes Wort ist. Man wird diese beiden Entwürfe bei aller Verschiedenheit der Akzentuierung nicht gegeneinander ausspielen dürfen, man sollte aber wohl vor allem den verschiedenartigen Stellenwert der Inkarnation bei Iwand und Bohren sehen und daraus zu lernen versuchen, daß man beide miteinander im Gespräch hält. Denn gerade Verheißungspredigt will begleitet sein von ständigem Gespräch, von permanentem Meditieren und Reflektieren über die Predigt — wie es Iwand in seinen Predigtmeditationen unternimmt und wie es Bohren in seinem Buch eindrucksvoll und lehrreich für die Prediger und die Predigt der Gegenwart vollzieht.

98 U m so mehr verdient deshalb u. a. die gründliche Arbeit Hauschild A u f m e r k s a m k e i t : Gottes Geist und der Mensch, 1972.

124

von

Wolf-Dieter

VI. Kapitel Anläufe der Predigtmeditationen 1. Das Verhältnis von Stoff und Form Ein wichtiges Ergebnis unserer bisherigen Untersuchung besteht darin, daß Iwand sich in seinen Predigtmeditationen bemüht, den Punkt zu gewinnen, an dem die Verheißung, die der Text enthält, zur Anrede und Zusage in der Gegenwart wird. Die für ihn bezeichnende Denkstruktur des kritischen Punktes 1 ist wesentlich f ü r den Arbeitsstil, in dem er seine Predigtmeditationen entwirft und gestaltet. Von diesem Tatbestand aus ergibt sich der nächste Schritt f ü r die Analyse der Meditationen. Die Anläufe, die Iwand in den Predigtmeditationen unternimmt, um den Punkt zu bezeichnen, an dem der Verheißungsgehalt des Textes für die Gegenwart evident und relevant wird, gewinnen ein spezifisches Gewicht und erfordern unsere besondere Aufmerksamkeit. Von wo aus steuert Iwand diesen Punkt an? Wie vollziehen sich charakteristische Anläufe seiner Predigtmeditationen? Ehe wir dieser Frage nachgehen, gilt es, einige methodische Erwägungen anzustellen. Ausschließlich phänomenologische Betrachtungsweise läßt sich auch bei diesem Arbeitsschritt der Meditationen nicht durchführen. Der systematisch-theologische Aspekt ist von vornherein mitzuberücksichtigen. Audi der Teilschritt der Anläufe in den Predigtmeditationen vollzieht sich im Rahmen der für Iwand wesentlichen Ganzheit. Das macht die eindrucksvolle Geschlossenheit seiner Predigtmeditationen aus, ohne daß dabei Systematik in Schematik entartet, ohne daß Predigtorientierung und Predigtanregung zum Predigtrezept wird. Damit ist ein zweiter methodischer Gesichtspunkt angesprochen: Es kann nicht darum gehen, Anläufe der Predigtmeditationen in möglichst lückenloser Vollständigkeit vorzuführen. Ein bloß statistisch-deskriptives Vorgehen übersieht, daß für Iwand die systematische Einsicht stets leitend ist: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Der Vorgang der Predigtmeditation ist bei Iwand ein ganzheitlich-lebendiger Prozeß. Darum können wir die Analyse nur in Zusammenhang mit der systematischen Fragestellung vornehmen und den Ertrag weiterer Beobachtungen nur einbringen, wenn wir den systematischen Gesichtspunkt im Blickfeld 1

S. o. S. 83 ff.

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behalten. Auf diese Weise läßt sich ein Iwancis Denkstil besonders adäquates Kriterium für unsere Erwägungen zu den Anläufen in seinen Predigtmeditationen gewinnen, die im folgenden angestellt werden. Es geht darum, für die Anläufe in Iwands Predigtmeditationen einige besonders charakteristische Gehalte und Tatbestände vorzustellen, ohne damit die Offenheit weiterer Möglichkeiten einzuschränken. Die Statistik behält dabei eine wichtige Kontrollfunktion der Rückkoppelung, indem sie nämlich das vorgetragene Material als solches ausweist, das in dem vorliegenden Bestand Iwand'scher Predigtmeditationen häufig und mit Abstand vorrangig erscheint, damit also als repräsentativ gelten kann. Nach diesen notwendigen methodischen Überlegungen wenden wir uns der Besprechung der Anläufe in den Predigtmeditationen Iwands zu. Dabei bleibt der bisherige Ertrag unserer Untersuchung als Hintergrund zu bedenken. Die Ausführungen etwa zur Funktion der Zitate, die Iwand seinen Predigtmeditationen voranstellt, zum Stellenwert von Exegese und Dogmatik oder zum Verständnis der Schrift, besonders ihrer Ganzheit, bei Iwand2 sind als dieser Hintergrund anzusehen und kennzeichnen den Zusammenhang, in dem wir Linien in den Anläufen der Predigtmeditationen nachzeichnen. Iwand hat seine Predigtmeditationen geschrieben, um Predigtanregungen und Predigthilfen zu vermitteln. Unter diesem Aspekt haben wir auch die Anläufe seiner Meditationen hauptsächlich zu sehen und zu untersuchen. Das besagt, daß im Vordergrund des Interesses nicht die Entwicklung und Erörterung einer Methodik oder Technik der Gestaltung von Predigtmeditationen steht. Vielmehr liegt weiterhin auf der inhaltlich-systematischen Fragestellung eindeutig das Schwergewicht. Auch von der Methodik der Predigtmeditationen Iwands — hier speziell ihrer Anläufe — gilt das, was Heinrich Boll von seiner literarischen Arbeit erläutert: „Die Form, die ich wähle, ist abhängig vom Stoff. Sie wird mir sozusagen vom Stoff diktiert." 3 Es ist wesentlich für das Verständnis von Iwands Predigtmeditationen, daß wir diese methodische Grundentscheidung erkennen und berücksichtigen. Der Stoff hat Vorrang gegenüber der Form. Er gibt die Form und nicht zwingt die Form den Stoff. Iwand behandelt den Stoff nicht nach einer vorgefaßten, vorher entwickelten Form. Sondern Predigtmeditation bedeutet für ihn, den Stoff seine Form finden lassen. Im wesentlichen nehmen seine Predigtmeditationen ihren Anlauf in verschiedenartigster Gestalt damit, daß der Stoff seine Form finden will — seine Form zur Predigt hin. Nicht Festgelegtsein, Offensein für verschiedene Möglichkeiten, Fragesituation, 2 8

Zu diesen Topoi s. o. S. 55 ff., 45 ff., 79 ff. Heinrich Boll in: H . Bienek, Werkstattgespräche mit Schriftstellern, S. 170.

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Ausschauhalten ist das Kennzeichnende der Anläufe in Iwands Predigtmeditationen. Sie atmen den Charme des Werdens. Wir können darum Iwands Arbeits- und Denkstil auch an dem Punkt der Anläufe seiner Meditationen nicht gerecht werden, wenn wir auf dem Wege eines nur deskriptiven Verfahrens Techniken von Anläufen schematisieren und typisieren. Es geht vielmehr darum, inhaltliche Leitlinien in den Anläufen seiner Predigtmeditationen in den Blick zu bekommen; dies jedenfalls als Versuch zu unternehmen, der die Aussicht zuläßt, daß das so außerordentlich differenziert vorliegende Material weiterhin durchsichtiger und f ü r unsere Predigtarbeit förderlich wird. Siegfried Lenz, der aus der südostpreußischen Landschaft Masuren stammende Autor der „Deutschstunde" 4 , spricht in einer autobiographischen Reflexion vom „ergiebigen Luxus des Zweifels" 5 . Er erinnert sich in dem gleichen Essay seines alten Deutschlehrers, von dem er gesteht: „Er infizierte mich mit Literatur." 6 D a z u berichtet Lenz von diesem Pädagogen, „dessen Lächeln" — wie er sagt — „ f ü r jede lehrhafte Behauptung sogleich um Entschuldigung bittet": „ A m stärksten wurde ich ergriffen, wenn er von Schriftstellern erzählte: fast jedes Werk sah er vor dem biographischen Hintergrund seines Schöpfers, jede Dichtung war für ihn ein Ausgang aus biographischer N o t . Worunter litt der Autor, als er dieses oder jenes Werk schrieb? D a s war die Frage, die niemand zu stellen unterlassen durfte, der Aufschluß verlangte." 7 Unter den literarischen Beispielen mit einem „biographischen Leidensgrund", die Lenz anführt, stehen „Dostojewskijs sozial-religiöse Visionen" 8 , also Werke des Dichters, der gerade in den Predigtmeditationen immer wieder Iwands Gesprächspartner ist 9 . Von diesem U m g a n g mit literarischer Autorschaft bekennt Lenz: „die Schriftsteller hörten auf, glorreiche, körperlose Gespenster zu sein, sie litten offenbar, um schreiben zu können. . . . Nichts sprach gegen sie, weder Charakter, Alkoholverbrauch, interessante Verblendungen noch Liebesaffären — nur mußten sie an der Welt beredt Anstoß genommen haben und in der L a g e sein, ihren Schmerz einzigartig zu formulieren." 1 0 Diese Äußerungen von Siegfried Lenz aus seinen „Ansichten und Bekenntnissen zur Literatur" werfen ein erhellendes Schlaglicht auf die intensive innere Beziehung der literarischen theologischen Arbeit Iwands Erschienen bei H o f f m a n n u. C a m p e H a m b u r g , 2. A u f l . 1968. Siegfried Lenz, Beziehungen. Ansichten und Bekenntnisse zur Literatur, 1970, S. 17. 7 Ebd. 8 Ebd. • A . a . O . , S. 22. 9 Eine meisterhafte Interpretation aus theologischer Sicht hat das Werk Dostojewskijs und Tolstojs auch durch M. D o e r n e e r f a h r e n : Tolstoj und Dostojewskij. Zwei christliche Utopien, Göttingen 1969. Auch: Ders., G o t t und Mensch in Dostojewskijs Werk. 2. A u f l . , Göttingen 1962. 1 0 S. Lenz, Beziehungen, S. 22 f. 4

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— der Miniaturen seiner Predigtmeditationen im besonderen — zu Dichtung und Literatur, zur Kunst überhaupt. Fragen wir nach dem Gehalt dieser Beziehung, so ist dazu am ehesten folgendes zu sagen: Sie lebt bei Iwand wesentlich als ein dialogbereites Hören, als ein intensives Bemühen um gelingende Kommunikation und Solidarität mit der Welt, die sich in ihren Lebensäußerungen im Wort der Dichtung, im Medium der Kunst verdichtet und vernehmbare Gestalt annimmt11. Auch diese gar nicht weit genug zu bemessende sachliche Affinität Iwands zu Aussagen der Kunst, besonders der Sprachkunst12, läßt sich nicht nach formalen Kriterien ermitteln, etwa an der Häufigkeit der Zitation oder dem Umfang seines Eingehens auf literarische Details. Daß Dostojewski; und Shakespeare ihn immer wieder besonders aufmerken lassen, mindert nicht seine Offenheit und seinen Zugang gegenüber anderen. Diese Offenheit und einfühlsame Hörfähigkeit auf literarische Zeugnisse besteht bei Iwand vielmehr in Beziehung solcher Art, wie wir sie den vorhin zitierten Äußerungen von Siegfried Lenz entnehmen. Diese Lenzschen Äußerungen bezeichnen zugleich Aspekte, unter denen es möglich erscheint, über die Anläufe in Iwands Predigtmeditationen Aufschluß zu gewinnen. Auch Iwand wußte vom „ergiebigen Luxus des Zweifels". Darum formuliert er zu Beginn seiner Meditationen, gleichsam als Ausgangspunkt des Weges zum „Punkt", Fragen, erörtert Problemstellungen verschiedenster Art und Sachgebiete, meldet Bedenken und Protest an, sagt, woran er leidet, was ihn quält, was ihn bewegt. Der „biographische Leidensgrund" ist für einen Theologen, bei dem die Theologia crucis einen so vorrangigen Stellenwert hat, wie ihn u. a. seine Meditationen zu Passionstexten und noch sein Aufsatz zu diesem Thema aus dem Jahr vor seinem Tode ausweisen (NW II, 381 ff.), der unverkennbare Hintergrund auch seiner Predigtmeditationen. „Worunter litt der Autor, als er dieses oder jenes Werk schrieb?" — diese von Lenz so formulierte Frage können wir folgendermaßen variieren, wenn wir Anläufe in Iwands Predigtmeditationen bedenken: Woran litt der Autor, wenn er diese oder jene Meditation schrieb? Denn auch von diesen Textbearbeitungen wie von Iwands Predigten gilt: sie waren für ihn „ein Ausgang aus biographischer Not". Insofern kann man von vielen der Anläufe in den Predigtmeditationen sagen: sie sind Versuche problemDazu s. audi ο. S. 57 f. Anm. 8. Vgl. ζ. B. Iwands Bemerkung über die Beziehung zwischen Aussagen der Verkündigung und des Schauspiels: „ . . . was würde es bedeuten, wenn die Verkündigung der Kirche wieder das wäre, was das Schauspiel eigentlich nur stellvertretend i s t . . ." ( N W II, 134). Zum Gespräch zwischen Theologie und Literatur vgl. auch: R. Bohren, Predigtlehre, passim; den jetzt in 6. Ausg. vorliegenden Almanach für Literatur und Theologie (redigiert von Gerhard Debus und Arnim Juhre, Hammer Verl. Wuppertal) sowie Henning Schröer, Moderne deutsche Literatur in Predigt und Religionsunterricht, Heidelberg 1972. 11

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orientierter Kommunikation. Sie wecken Problembewußtsein. Allerdings so, daß es für Iwand keine Distanz zu den Problemen gibt. Hier redet ein Autor aus ureigener Betroffenheit im Bemühen um kritische Solidarität. Es geht Iwand weder um Dialog noch um Solidarität an sich oder um jeden Preis: weil es modern ist, modern zu sein. Er ist kein Dr. Murke, der bei seinem „gesammelten Schweigen" und seiner Sprachunfähigkeit nichtssagend anordnet: „Es muß etwas geschehen!"13 Es geht um Dialog und Solidarität, die aus dem pro me kommen, durch das pro me motiviert sind, das in der theologia crucis seinen unverrückbaren Grund hat und das mit der promissio angesagt und im Menschgewordenen in der Welt Realität geworden ist. Insofern schließen dieser Dialog und diese Solidarität gerade Kritik und Protest ein. Deshalb formuliert Iwand auch in den Anläufen seiner Meditationen häufig, woran er „beredt Anstoß" nimmt. Allerdings so, daß er dann die Meditation als Aufgabe und Gelegenheit ansieht und wahrnimmt, den „Ausgang aus biographischer Not" jeweils zu zeigen. Das Hinweisen und Begreifen dieses Ausgangs ist für Iwand der Testfall für das Gelingen einer Predigtmeditation und der Ernstfall einer Predigt, die von Text und Situation gleichfalls betroffen ist; und die wegen dieser Betroffenheit auch — trifft. Ergiebiger Luxus des Zweifels — Begreifen des Ausgangs aus biographischer Not — Anstöße beredt und einzigartig formulieren 14 : diese bei Siegfried Lenz gewonnenen Aspekte zeigen wesentliche Leitlinien in den Anläufen von Iwands Predigtmeditationen an, denen wir im folgenden weiter nachgehen. Es ist bei diesem Vorgehen in den Anläufen von Iwands Predigtmeditationen bereits das vorhanden, was neuerdings einige Autoren von „Predigtstudien" in dem gleichnamigen Predigtwerk vorlegen, wenn sie ihre Bearbeitung mit der Formulierung von Predigteinfällen oder Predigtentwürfen beginnen und exegetische oder systematische Arbeitsgänge nachträglich als Rückbesinnung und Kontrollfunktion anfügen 15 . Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf den m. E. hilfreichen Begriff der „Synchronisation", den Henning Schröer in die homiletische Diskussion eingeführt und in einigen seiner Textbearbeitungen vorgeführt hat 16 . Im Hinblick auf Iwands 13 Heinrich Boll, Doktor Murkes gesammeltes Schweigen. Kleine Lesering Bibliothek Bd. 46, o. J. Darin, S. 83 ff.: Es wird etwas geschehen. Eine handlungsstarke Geschichte. 14 S. o. S. 127. 1 5 Beispiele: Die Predigtstudien zu Jes 51,1—8. (Pred. Stud. V I / 1 , S. 71 ff.), zu Offb 2 1 , 1 — 7 , Jes 4 4 , 1 — 8 , P s l , l j o h 3,19—24, Offb 2 2 , 1 2 — 1 7 . 2 0 — 2 1 (Pred. Stud. V I / 2 , S. 53 ff., 89 ff., 123 ff., 226 ff., 253 ff.). Vgl. auch im Vorwort von E. Lange zu Pred. Stud. V I / 1 , S. 7. 16 S. seine ungedruckte Heidelberger Habilitationsschrift zur Thematik der Predigtmeditation sowie seinen Beitrag zu 2Petr 1,3—11 in: GPM 26. Jg. 1972, S. 378 ff.

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Gandras, Predigt

Predigtmeditationen bleibt nur festzuhalten, daß Synchronisation für ihn nicht ein abschließender Arbeitsschritt einer Predigtmeditation ist. Vielmehr nimmt die Meditation bereits ihren entscheidenden Anlauf bei der Synchronisation. Wie sehr es Iwand bei seinen Predigtmeditationen — und zwar bereits in ihren Anläufen — um das geht, was Siegfried Lenz den „Ausgang aus biographischer N o t " nennt, formuliert er häufig in den Vorworten bzw. auch Nachworten zu den Meditationen und führt es dann in seinen Beiträgen aus. Weil es darauf ankommt, daß „immer wieder das Wort neu gefunden, neu gehört, neu bezeugt" wird, das Wort, das konkrete Schritte auf dem Wege ermöglicht: „Darum — meint Iwand — können wir nicht aufhören in unserem Bemühen um die rechte Predigt, ob wir vielleicht vor Gott Gnade finden, ob er vielleicht sein Schweigen bräche, ob es vielleicht noch einmal heißen könnte: von uns, von diesen armen, leidenden, zerquälten, in ihrer Blindheit neuen Katastrophen entgegentreibenden Menschen: ,Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein helles Licht/ Das möchten unsere Meditationen sein; nichts anderes als ein Ausschauhalten nach diesem Licht, ein Rufen und Fragen, ob die Nacht schier hin ist, ein Postenbeziehen an der einzigen Stelle, wo wirklich Hilfe kommt, wo das Herz fest wird und ein neuer, gewisser Geist unser wartet. Ein Anklopfen möchten sie sein, und ein Einlaßbegehren an der Tür, die ins ewige Leben führt" (196). Das heißt mit Iwands Worten: den „Ausgang aus biographischer N o t " suchen. Dieses unruhige und in der Unruhe dennoch erwartungsvolle und hoffnungerfüllte Ausschauhalten, dieses Rufen und Fragen, dieses Anklopfen und Einlaßbegehren kennzeichnet die Anfangsabschnitte von Iwands Predigtmeditationen in besonderer Weise. Er beschreibt, wie er die Augen aufgetan bekommt, wohin: auf welchen Punkt hin es Ausschau zu halten gilt bei einem bestimmten Text und angesichts einer konkreten Situation. Und wie unrhythmische Klopfzeichen sind diese Anläufe gänzlich unschematisch. Gemeinsam ist ihnen bei ganz verschiedenartiger Methodik: das Wissen um die Not und das Anklopfen und Einlaßbegehren an der Tür, die den Weg eröffnet, der in die Freiheit führt. Dieses engagierte, von „biographischer N o t " betroffene Ausschauhalten nach dem Wege gibt Iwands Predigtmeditationen diese unverwechselbare Originalität in ihrer Lebensnähe, in ihrem Wirklichkeitsgehalt und Einfallsreichtum 17 . 1 7 Diese O r i g i n a l i t ä t verzichtet auf den Ehrgeiz, „ a u f die alten F r a g e n immer wieder eine andere A n t w o r t finden zu wollen, anstatt neue F r a g e n zu stellen" (B. Brecht, Ges. Werke 18. Schriften zur Literatur und K u n s t I, ed. s u h r k a m p , 1967, S. 11). I w a n d s Predigtmeditationen stellen ein Genus homiletischer K u n s t dar, das nicht nur „ E r f i n d u n g " sondern „ V i s i o n " bedeutet. Sie sind nicht nur homiletische Ingenieursarbeit, v o n der gelten kann, w a s Brecht im Hinblick auf Bilder v o n Marees äußert: „ D i e Perspektive hört dicht hinter dem T a b l e a u auf. . . . Ich achte die Ingenieure, liebe

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Das Bild vom Ausschauhalten, Anklopfen und Einlaßbegehren ist noch aus einem weiteren Grunde für das Bedenken der Anläufe von Iwands Predigtmeditationen so ergiebig. Es macht anschaulich, daß Meditieren von biblischen Texten auf die Predigt bin ein progressives Unternehmen über die jeweils bestehende Situation hinaus ist. Anlauf der Meditation bedeutet für Iwand Sichtbarwerden des Weges, der weiterführt und von dem deshalb lohnenderweise auch weiterzusagen: zu predigen ist. Wie Iwand diesen systematisch-theologischen Tatbestand, der hinter den Anläufen seiner Predigtmeditationen steht, füllt, wird m. E. am besten deutlich in seinen Ausführungen zu dem Thema „Das Gewissen und das öffentliche Leben" (NW II, 125 ff.). In der ihm eigenen fast visionär zu nennenden Gabe, geistige Zusammenhänge langfristig und präzise zu erfassen, macht er darauf aufmerksam, wie entscheidend es ist, den Ausgang auf den Weg nach vorn hin zu suchen und zu finden. Iwand sieht eine Gefahr mit unabsehbaren Konsequenzen audi für das öffentliche Leben und den ganzen Bereich des Politischen von daher heraufziehen, daß „das geistige Vermögen des Menschen so unscharf geworden ist, so daß es nur noch deutend, analysierend aber nicht mehr normativ den Ereignissen gegenüber Stellung nimmt. Es liegt in diesem Rückzug auf die bloß deutende, hinter den Ereignissen herkommende Funktion des Erkennens eine tiefe, aus einer glaubenslosen Verzweiflung stammende Resignation. . . . Deutend zu den Ereignissen Stellung nehmen heißt sie grundsätzlich hinnehmen als das was sie sind" (NW 11,134 f.) 1 8 . Die Gefahr der Resignation hat Iwand erkannt, ehe sie uns befallen hat. Die sogenannte „Predigtnot" ist ein Symptom der Wirkung dieser Resignation, deren Ausmaß Iwand doch nicht überzeichnet, wenn er sagt: „Das öffentliche Leben gleicht einem Abend, an dem die Sonne sinkt, ihre Strahlen beleuchten noch den Schauplatz freudigen Schaffens, noch umgeben uns die Denkmäler menschlicher Gesittung und veredelnder Rechtsordnungen — aber die Schatten werden lang, und die Quelle des Lichtes, das ehedem im Zenith stand, ist unsichtbar geworden" (ebd. 141). Aus dieser Analyse ergibt sich für Iwand folgende Konsequenz und Erkenntnis: Er nimmt in seinen Predigtmeditationen den Anlauf, den Kampf auf gegen diese Gefahr der Resignation, in der er das geistige und öffentliche Leben versinken sieht wie in einer tiefen Nacht. Ihre Anläufe sind Anläufe zur Sensibilisierung des Gewissens, das in der Bindung an das Wort der Schrift seine Freiheit findet — seine Freiheit von der Resignation als Freiheit zum Handeln und Verantworten. Iwands sie nicht" (a.a.O., S. 13). Sondern diese Textbearbeitungen weiten den Horizont der Verkündigung. 1 8 Vgl. dazu audi ο. S. 105 ff. die Ausführungen zum Verhältnis von Verheißung und Fakten.

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Predigtmeditationen können — mit Gedanken Dietrich Bonhoeffers formuliert — verstanden werden als betendes Bedenken biblischer Texte im Kontext einer bestimmten Situation, motiviert durch das Suchen nach einer Antwort auf die Frage nach dem „Tun des Gerechten." 19 Hinter ihren Einsätzen und Anläufen steht der luthersche Gewissensbegriff — wenn man die für Iwand immer wesentliche systematisch-theologische Dimension aller Predigtarbeit bedenkt. Für diesen Gewissensbegriff ist das Wort konstitutiv, von dem Iwand, Luther folgend, in einer Meditation zu Jes. 55,5—11 vermerkt: „Das W o r t . . . ist kein ,deutelwort', sondern ein .tettelwort' (Luther gegen Zwingli), es deutet nicht das Sein, indem es seinen Sinn enthüllt, sondern es schafft, was es sagt. Glaube heißt nicht Gnosis, sondern Leben. Das Wort befruchtet, belebt, verwandelt das Seiende, indem es das, was nicht ist, das ,Neue', ins Dasein ruft" (390). Dieses ,Neue' in den Blick zu bekommen, das mit der Predigt des biblischen Wortes ins Dasein treten will, ist eine der Hauptintentionen der Anläufe in Iwands Predigtmeditationen. Damit ist zunächst etwas über den Stellenwert und die Dimension dessen gesagt, was Siegfried Lenz „biographische N o t " nennt. Der entscheidende Akzent liegt nicht auf ihr, sondern auf der Suche nach dem „Ausgang" aus ihr: nach dem „Neuen", das das gepredigte Wort ins Dasein ruft. Dieses Neue aber, „diese neue, von Ostern her gewonnene Perspektive des ganzen Lebens" — wie Iwand in einer Meditation zu IPetr 1,3—9 ausführt — wofür der Name Jesus Christus steht, was er verbürgt: dieses Neue „ist nicht nur ein Ereignis innerhalb der Welt des persönlichen Lebens (wie es der etwas magere Personalismus und Ethizismus des 19. Jahrhunderts verstand)" (344). Es besagt die neue Welt, den neuen Himmel und die neue Erde. Die Predigt dieses Neuen ist in dem Sinne auch politische Predigt, als sie den Anbruch dieses Neuen auch für das öffentliche Leben und den Bereich des Politischen kundmacht. Anläufe von Meditationen, die solche Predigt intendieren, sind darum auch gekennzeichnet von der Suche nach einem „dem christlichen Glauben Gemäßsein der Politik", wofür — meint Iwand kritisch — gerade die Christen „außerordentlich wenig Instinkt bewiesen" haben. Sie „haben sich weithin als Verteidiger des Bestehenden gefühlt und fühlen sich noch so und überlassen es den Aund Antichristen, ,die Welt zu verändern" ( N W I I , 145). In die gleiche Richtung zielt eine kritische Äußerung Iwands in der Meditation zum Adventstext Offb 1,4—8 zum Umgang der christlichen Gemeinde mit der Freiheit: „Seit dem 19. Jahrhundert haben die Kirchen bei uns verlernt, dies Wort auf ihre Fahne zu schreiben. Es gehört zu den tragischen Kapiteln in der Geschichte des Luthertums, daß wir 18

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Dietrich BonhoefFer, Widerstand und Ergebung, hrsg. v. E. Bethge, 1952, S. 207.

verlernten, die Freiheit eines Christenmenschen primo loco zu betonen, und daß an ihrer Stelle andere Wörter einzogen: Ordnung und Unterordnung, Autorität und nochmal Autorität. Die ,Freiheit' schien endgültig die Parole der Revolutionäre geworden zu sein" (107). Gegenüber einer so am Status quo orientierten Ethik, die eine vermeintlich „unpolitische" Predigt nährt, und gegenüber allen restaurativen Tendenzen, die daraus folgen, will Iwand mit seinen Predigtmeditationen Gewissen schärfen. Diese Ethik ist nämlich eine gefährliche Spielart jener Ethik, „die sozusagen aus sich selbst leben möchte, aus dem bloßen Gedanken heraus, daß die Welt vernünftig sei und darum das Vernunftgemäße in der Welt sich durchsetzen müsse" — die aber in Wirklichkeit „einer wurzellosen Blume" gleicht, „mit der man ein Zimmer schmückt, aber die bald verwelkt. Diese Ethik gleicht dem vergehenden Licht, das am Abend uns im Dunkel allein läßt" ( N W II, 143). Um solcher Auffassung von Ethik, gerade von politischer Ethik, von vornherein zu widersprechen, sind bereits die Anläufe in Iwands Predigtmeditationen ein Ausschauhalten nach politischer Predigt, die durch das biblische Zeugnis autorisiert und darum auch legitimiert ist. Die Integration auch der ethischen und, sozialen Fragen gehört für Iwand bereits in die Anläufe und Einsätze der Meditationen. Sie synchronisieren bereits im Anlauf und nicht erst in einem folgenden Arbeitsschritt den Text und die Situation — auch in ihrer politischen Qualität. Freilich so, daß die Meditation dem Prediger nicht das Wort dazu erteilt, sich in der Rolle etwa des Politologen, Soziologen, Psychologen oder Molekularbiologen — um nur einige von den heute beliebten Gefilden predigenden „Fremdgehens" zu nennen — zu äußern. Das kann er nicht, und das wird auch kaum von ihm erwartet. Wenn er sich dennoch dazu hinreißen läßt, wird es jedenfalls f ü r die, die es auf ihrem Gebiet besser verstehen als er, langweilig, für ihn selbst dilettantisch und darum peinlich. Wenn Iwand die Anläufe seiner Predigtmeditationen auch mit der Intention unternimmt, theologisch qualifizierte Aussagen zu politischen Fragen zu gewinnen, tut er das in strengem Sinne als Theologe, der um seine ureigene Sache und unvertretbare Verantwortung, ja um einen unvertretbaren Auftrag weiß 20 , die er einzubringen und wahrzunehmen hat. Bei Iwands Predigtmeditationen finden wir das bestätigt und f ü r Prediger beispielhaft wie lehrreich durchgeführt, was Helmut Gollwitzer als Kriterium f ü r legitime politische Predigt formuliert, wenn er zur Frage der „praktischen, politischen Konsequenzen des Evangeliums" am Beispiel der „Deutschen Christen" erläutert: Das war „der Fehler", „daß die D. C. nach den Konsequenzen der Lage und nicht nach den Konsequenzen des Evangeliums in der neuen Lage fragten. Damit machten sie die Lage zum Herrn. Der 20

S. auch o. S. 71 ff. die Ausführungen zur Zeugenschaft.

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Herr, der uns sendet, ist aber nicht die Lage samt ihren Herren, sondern der, dessen Herrschaft uns gerade vom Diktat der Lage frei macht. Zum Gebrauch dieser Freiheit gehört aber auch das Wagnis, je in einer gegebenen Lage die Konsequenzen des Evangeliums nicht nur allgemein, sondern in weit vorgetriebener Konkretion anzugeben" 21 . Die Anläufe von Iwands Predigtmeditationen üben — was die politische Predigt angeht — in der heilsamen und hilfreichen Lehre ein, die Walther Fürst, der jetzige Herausgeber der „Göttinger Predigtmeditationen", m. E. sehr zutreffend folgendermaßen formuliert: „Zum politischen Faktor wird eine Predigt nicht erst dadurch, daß sie sich mit politischen Themen befaßt. Sie ist es damit, daß sie den bezeugt, der nach Satz II der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 der Herr in allen Bereichen der Welt ist." 2 2 Die bisherigen Ausführungen zu den Anläufen von Iwands Predigtmeditationen dienten dem Zweck, den Leitbegriff der „biographischen N o t " — nach Gollwitzers Ausdruck — vorgetrieben zu konkretisieren: ihn von Einschränkungen etwa im personalistischen oder ethizistischen Sinne zu erweitern und freizulegen. Insofern kann man von den Anläufen Iwandscher Predigtmeditationen durchaus als von Versuchen sprechen, Spracherweiterung für die Predigt zu gewinnen, Aussageräume für ihren Inhalt zu erschließen. In diesem Kontext ist die von Siegfried Lenz entlehnte Formulierung „Ausgang aus biographischer N o t " ein sinnvoller Schlüssel, der Aufschluß über die Anläufe von Iwands Predigtmeditationen gibt. Wenn wir unter den Aspekten und Perspektiven sowie ihrem systematisch-theologischen Kontext, die mit den bisherigen Ausführungen in den Blick gekommen sind, nunmehr weitere Einzelphänomene aus den Anläufen von Iwands Predigtmeditationen bedenken, ist folgendes zu notieren: Gerade in den Eingangsabschnitten der Predigtmeditationen finden sich Formulierungen und Passagen, in denen Iwand — manchmal nur beiläufig — versucht, sein Verständnis von Predigtmeditation prägnant zusammenzufassen. So bezeichnet er in einer Bearbeitung zu dem Doppelgleichnis der Perikope Lk 15,1—10 Meditation als ein nachdenkliches „Sichversenken in den Sinn" eines Textes (229). Wir werden das, was Iwand unter Predigtmeditation versteht und in seinen Textbearbeitungen vorlegt, nicht in eine Definition pressen dürfen. Gerade ein solches Verfahren würde das Ziel verfehlen, den Gehalt von Iwands Predigtmeditationen für die Predigtarbeit fruchtbar zu machen. Es geht nicht um Definitionen, sondern um Anregungen und Orientierung, um das Erlangen von Leitlinien und Wegemarken. Definieren kann man nur Helmut Gollwitzer, Zuspruch und Anspruch, Neue Folge, 1968, Nachwort, S. 233. W. Fürst, Predigt im Gespräch 25, 14. Zit. bei Chr. Möller, Von der Predigt zum Text, S. 113. 21

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Lebloses. Analysieren läßt sich nur Verfügbares. Gerade solchem Vorgehen gegenüber sperren sich Iwands Predigtmeditationen. Sie öffnen sich, wo der Versuch, der mühsame aber m. E. lohnende Versuch, unternommen wird, der ihnen adäquaten, ihnen selbst innewohnenden Stilart und Denkstruktur nachzugehen. In diesem Sinne greifen wir den Satz auf, in dem Iwand Meditation ein nachdenkliches Sich-versenken in den Sinn eines Textes nennt. Der Stil eines solchen nachdenklichen Sich-versenkens ist angemessenerweise am ehesten „Besinnung" zu nennen. Besinnung meint ein „Ausschauhalten" nach dem „Sinn". So findet sich denn auch das Genus der Besinnung unter den Anläufen von Iwands Predigtmeditationen besonders häufig und kann als charakteristisch gelten. In solcher Besinnung, in der Iwand viele seiner Meditationen anlaufen läßt, in der er mit seinem „nachdenklichen Sich-versenken in den Sinn" einsetzt, formuliert er Zustimmung und Anstoß, zeigt er Ausgänge und leistet sich den „ergiebigen Luxus des Zweifels". Inhaltlich ist solche Besinnung, in der die Predigtmeditation anläuft, sehr verschiedener Art.

2. Anläufe als exegetisch-historische und dogmatisch-homiletische Besinnung Als eine sachlich zusammengehörige Gruppe können wir Anläufe exegetisch-historischer oder audi dogmatisch-homiletischer Besinnung ansehen. Die beiden Adjektive sind dabei nicht als alternativ aufzufassen, sondern als jeweils verschiedene inhaltliche Akzentuierung der Besinnung in den Anläufen, was für den Versuch der Zuordnung von Anläufen in den weiteren Abschnitten ebenfalls gilt. — Beispiele für Anläufe dieser erstgenannten möglichen Gruppierung sind etwa die Predigtmeditationen zu folgenden Perikopen, aufgeführt in der zeitlichen Reihenfolge nach Iwands Bearbeitungen: Mt 28,16—20 (27 ff.), Joh 1,9 bis 13 (48 ff.), Joh 11,1—11 (95 ff. u. 659 ff. mit anderer Versauswahl), Hebr 1,1—6 (115 ff.), 2Kor 1,18—22 (162 ff. u. 371 ff.), Mt 21,1—9 (197 ff.), Joh 3,1—15 (222 ff.), 2Petr 1,16—21 (252 ff.), Rom 6,19—23 (262 ff.), Apg 2,42—47 (365 ff.), Apg 13,44—52 (392 ff.), Mt 4,1—10 (432 ff.), Gal 3,23—29 (477 ff.), Apg 1,1—11 (492 ff.), 2Petr 3,3—13 (522 ff.), Mk 2,18—22 (539 ff.), Joh 8,30—36 (576 ff.). Diese siebzehn Texte, davon zwei Doppelbearbeitungen, bieten Beispiele durchgängig aus allen Jahrgängen der Predigtmeditationen Iwands, außerdem enthalten sie die verschiedenartigsten Genera und Gattungen von Texten. Damit ist eine erste Beobachtung als erhärtet anzusehen: Es läßt sich nicht eine spezifische Art von Anläufen nur mit bestimmten Zeiten oder Textmaterialien in Zusammenhang bringen. Viel135

mehr leitet sich die Art des Anlaufs jeweils aus dem Inhalt der Meditation und aus dem Vorgang der Meditation selbst ab. Es läßt sich in den Predigtmeditationen Iwands nicht so etwas wie ein Entwicklungsschema methodischen Vorgehens oder inhaltlichen Akzentuierens herausdestillieren. Sondern es ist eine weitgehende Konstanz und Geschlossenheit der einzelnen Arbeitsschritte und der inhaltlichen Struktur bei den Predigtmeditationen festzustellen, die in der Ganzheit von Iwands theologischem Denkstil wurzeln. Zugleich bilden diese siebzehn Beispiele ein im Hinblick auf das Gesamtmaterial von 122 Predigtmeditationen Iwands angemessen breites Spektrum, in dem weitere inhaltliche Strukturen der Anläufe deutlich werden. Zunächst ist eine auffällige dogmen- bzw. theologiegeschichtliche Komponente in der Besinnung dieser Anläufe zu beobachten. Iwand benutzt die Auslegungsgeschichte, um Predigt als Wort mit geschichtlicher Dimension zu dokumentieren und zu ermöglichen. Der Modus, in dem er sich in den Anläufen seiner Predigtmeditationen auf die Theologiegeschichte besinnt, ist sehr verschiedenartig. — In der Meditation zu Mt 28,16—20 notiert er zum Beispiel Anstöße der liberalen Theologie an dieser Perikope und setzt sich mit ihnen auseinander, indem er exegetische Beiträge diskutiert (27 ff.). In seiner Bearbeitung zu Mt 4,1—10 formuliert er beredt seinen Anstoß an dem ethischen „Historismus des 19. Jahrhunderts, der die Ausleger unserem Text gegenüber so hilflos blind machte" (432) und stellt „die Abweisung der falschen Messiasidee" wie sie die Versuchungsgeschichte bezeugt, indem sie „den wirklichen Christus" predigt, „als grundsätzliches Axiom" vor den „Bericht des Lebens Jesu" (434 f.). Mit dieser theologiegeschichtlichen Besinnung als Anlauf der Meditation zu diesem Text spitzt er die Predigt zeitbezogen ideologiekritisch zu, indem er ihr den O r t anweist: „Hier eröffnet sich ein weites Feld f ü r die praktische Auslegung unseres Textes, eine Einübung in die Nachfolge der Passion, wie sie realistischer und zeitkritischer sich kaum denken läßt. Hier fällt die Entscheidung, was f ü r einen Christus wir haben, ob wir bereit sind, unsere messianischen Erwartungen, unsere eingeborenen religiösen Ideologien, dahinzugehen, um den wirklichen Christus zu erkennen, wie er uns in Jesus erschienen ist" (435). Diese Meditation ist naheliegenderweise auch ein Beispiel, wie sehr Iwand an entscheidenden Stellen seiner Auslegung Dostojewskijs Dichtung im Ohr hat 2 3 . Eine weitere Möglichkeit, die sich Iwand für die Anläufe seiner Predigtmeditationen mit exegetisch-historischer Besinnung bietet, läßt sich etwa an seinen Auslegungen zu den Perikopen Mt 21,1—9, Apg 1,1—11 und Apg 13,44—52 entdecken. Er vollzieht die Besinnung des Anlaufs, 2S

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Ebenso die Meditation zu Apg 1,1—11 (492 ff., bes. 494) u. die zu Joh 11 (659 ff.).

indem er zunächst exegetische Sachfragen diskutiert. Bei dem Text Mt 21,1—9 ist es die Historizität dieser Geschichte, zu deren Problematik er Voten der Exegeten erörtert. Bei dem Text aus Apg 13 setzt er sich detailliert mit Vielhauers Thesen zur Auslegung der Apostelgeschichte auseinander (392 ff.)24. Bei der Bearbeitung der Himmelfahrtsgeschichte Apg 1,1—11 — wohl eine der ganz großen Meditationen Iwands — stellt er die exegetischen und dogmatischen Kontroversen in der Auslegung dieser Perikope heraus, wobei der Zusammenhang exegetischer und dogmatischer Besinnung besonders deutlich wird: „Alles im Bereich der Exegese Gesagte ist von eminent dogmatischer, d. h. den Wahrheitsgehalt unseres Glaubens und unserer Botschaft betreifender Relevanz" (492). In der Diskussion exegetischer oder auch dogmatischer Sachfragen zu den eben angeführten Texten formuliert Iwand systematisch-theologische Leitlinien seiner Auslegung. Bei Mt 21 geht es um „das Geheimnis der Königsherrschaft Jesu" und das mit ihr demonstrierte „Gericht über alle, die die Gottesherrschaft machtpolitisch verstehen" (198). Iwand möchte bei dieser Meditation einen Ausgang aus der Not zeigen, die „die über aller Welt lastende Frage nach der Macht" bereitet, wobei er auch Luthers Stellungnahme bei der Zuordnung von Gesetz und Evangelium als Leitlinie der Auslegung in den Blick nimmt. Zur Auslegung und Predigt der genannten Texte aus der Apostelgeschichte entwirft Iwand als Orientierungshilfe für Prediger und Gemeinden systematisch-theologische Leitlinien mit folgender Thematik und Problematik: Offenbarung und Überlieferung, Offenbarung und Geschichte — ein Thema, das ihn unablässig fordert und beansprucht. „Es ist vor allem die große und bedeutsame Frage nach dem Verhältnis von Urchristentum und Frühkatholizismus" (396). Diese Frage aber ist für Iwand nicht Gegenstand „rein wissenschaftlicher" Erörterung. Sie enthält „weithin praktische Anliegen", die — so meint er — auch „hinter diesem kritischen Vorstoß unserer Freunde gegen die Theologie der Apg stehen. Wer recht hinhört, vermag audi die Fragen und Sorgen herauszuhören, die sie umtreiben" (ebd). Dieses Votum Iwands gegenüber anders stehenden theologischen Positionen ist nicht nur ein Beispiel für seine homiletische Ausrichtung exegetisch-dogmatischer Besinnung. Sondern auch dafür, daß Polemik für 24 V o r a l l e m : Ph. Vielhauer, Zum „Paulinismus" der Apostelgeschichte. E v . Theol. 10, 1 9 5 1 , S. 1 ff. Abgedruckt i n : Ph. Vielhauer, A u f s ä t z e zum N T . T h . B . , Bd. 3 1 , 1 9 6 5 , S. 9 ff. Zur Auslegung der A p g s. a u d i : Friedr. Zündel, A u s der Apostelzeit; I w a n d nimmt auf dieses Buch ausdrücklich Bezug (ζ. B. 3 9 7 ) . A n neueren K o m m e n t a r e n sind wichtig: E. Haenchen, Die A p g . Krit.-exeget. K o m . üb. d. NT, begr. v. H. A . W . M e y e r , 3. A b t . 13. A u f l . , Göttingen 1 9 6 1 . G u s t a v Stählin, Die A p g . N T D , Teilbd. 5, Göttingen 1 9 6 2 . Vgl. audi die A u f s ä t z e v. E. Haenchen zu Problemen der A p g in: G o t t und Mensch. Ges. Aufs., Tübingen 1 9 6 5 , S. 1 5 7 ff., bes: Tradition u. Komposition in der A p g (S. 2 0 6 ff.).

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Iwand kein Genus ist, bei dem Predigtmeditationen und Predigt stehen bleiben können. Polemisieren enthält keine Aussagen und bezeichnet keine Position. Er warnt vor „müden oder auch heftigen Protesten", denn „mit abwertenden Urteilen über die ,Universitätstheologie'... ist nichts gewonnen" (ebd.). Es geht bei diesem Votum Iwands, das nicht zufällig im Anlauf einer Meditation zu einem so schwierigen und umstrittenen Text der Apg steht, um intellektuelle Redlichkeit und theologisch-wissenschaftliche Dignität der Predigtarbeit wie des Predigtvollzugs, die Manfred Mezger unter dem Thema „Redliche Predigt" anspricht, der überhaupt sein besonderes Bemühen gilt 25 . Man braucht nicht in allem seiner Meinung zu sein und auch nicht seine theologische Position zu beziehen, um diese seine Intention jedenfalls vorbehaltlos zu bejahen und zu unterstützen. Daß sich zwei systematisch-theologisch so verschiedenartig orientierte Theologen wie Iwand und Mezger im Unternehmen um redliche Predigt treffen, sollte die homiletische Diskussion nicht unbeachtet lassen. Es kann sie m. E. nur weiterbringen; nicht nur im Besinnen und Ernstnehmen dessen, was Geschichte und Geschichtlichkeit auch für die Predigt bedeuten. Verfolgen wir nun die systematisch-theologischen Leitlinien Iwands in den Anläufen der Predigtmeditationen zu Texten der Apostelgeschichte noch ein wenig weiter. Welche praktischen Konsequenzen die dogmatische Besinnung bei Iwand immer wieder entdeckt, wird zum Beispiel auch daran deutlich, daß er in seiner Meditation zu Apg 13,44—52 die Erörterung der Problematik Urchristentum und Frühkatholizismus, Offenbarung und Tradition zu der Frage nach unserer Stellungnahme in der Auseinandersetzung um das Verständnis und die Existenz der Kirche und ihrer Predigt heute zuspitzt. Iwand sieht an der Kirche, von der in diesem Text die Rede ist: sie „existiert um der Predigt willen und durch die Predigt; mit der Verkündigung fällt sie jeweils die Entscheidung über ihr Sein und Nichtsein. Sie exponiert sich, indem sie predigt" (397). Diese Feststellung bleibt keine historisierende Betrachtung, sondern veranlaßt Iwand zu weiterer „Besinnung", mit der er die heutige Kirche mit ihrer Predigt zur „Besinnung", zur Sache ruft: „Ob wir nicht weithin Gemeinden haben in Dorf und Stadt, wo der Glaube umgeformt ist zur Tradition, einer orthodoxen hier, einer liberalen dort, nicht mehr der Glaube, der zugleich Tat ist, Tat auf Grund des Eingreifens Gottes . . . ? So predigt die Apg. recht verstanden doch reformatio . . . Sie zeigt uns, daß der 2 5 M. Mezger, Redliche Predigt. I n : Zeit und Geschichte. D a n k e s g a b e an R . Bultmann zum 80. Geburtstag, hrsg. v. E . Dinkier, 1964, S. 423 ff. Dieselbe Intention verfolgen audi andere Arbeiten v o n M. Mezger. Ζ. B . : D i e Anleitung zur Predigt. Z T h K 56, 1959, S. 377 ff., V e r k ü n d i g u n g heute. E l f Versuche verständlicher Theologie, S T B , B d . 65, 1966; Verantwortete Wahrheit. Anleitung zu denkendem G l a u b e n , S T B , Sonderband, 1968; Kritischer Glaube, theologia publica 11, 1969.

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Glaube an Jesus C h r i s t u s . . . nicht Anpassung ist, sondern umgekehrt: dieser Aeon wird angegriffen und getroffen durch Taten und Vorgänge, die nicht aus ihm stammen. Wie wenn einer eine Zündschnur anbrennt, die weiterglimmt, um dann und wann eine gewaltige Explosion zur Folge zu haben . . . , so läuft das Wort durch die ganze Ökumene! Mag die Form der Berichterstattung ,historisierend' sein, die Gebrochenheit der Form . . . zeigt, daß der Inhalt mächtiger ist!" (399)26 Nachdem Iwand im Anlauf der Meditation zu diesem Text exegetischhistorische und dogmatisch-homiletische Besinnung in stetem Zusammenspiel so weit vorangetrieben hat, daß der „Inhalt" in den Blick kommt, kann der „Sinn" dieses Textes nun bedacht werden durch ein nachdenkendes Sich-versenken. Die weitere Ausführung der Meditation zu Apg 13,44—52 besteht nunmehr darin, „von dieser Mitte aus unseren Text zu übersehen und auszulegen" (ebd.). In ähnlich weit ausholenden Bögen und Gedankenkreisen exegetischhistorischer und dogmatisch-homiletischer Besinnung vollzieht sich der Anlauf in der Meditation zu Apg 1,1—11 (492 ff.). Zunächst bemerkt Iwand eine sachliche Beziehung zwischen Himmelfahrtsfest und Weihnachtsfest, deren Festcharakter im Unterschied zu Ostern und Pfingsten nicht „in die alttestamentarische Gemeinde zurückreicht" und insofern als „spezifisch christlich" bezeichnet werden kann. An diese mehr beiläufige Anfangsbemerkung schließt er die Frage nach der exegetischen und dogmatischen Begründung des Zeugnisses von der Himmelfahrt Christi als einer Glaubensaussage, die neben der Auferstehung, Parusie, Gegenwart Christi unter uns in Wort und Sakrament selbständig steht. Er registriert mit Karl Barth den exegetischen Befund einer Begründung, „die nicht so stark in die Augen fallend und nicht so mächtig entfaltet" ist „wie die von der sessio ad dextram patris". Aber dieser Befund historischer Exegese ist für Iwand auch in diesem Falle kein alleingültiger Maßstab für eine Antwort auf die systematisch-theologische Sachfrage. Dieser geht er vielmehr im weiteren Vollzug des Anlaufs dieser Meditation aufgrund des exegetisch-historischen Befundes weiter nach in einer dogmatischhomiletischen Besinnung, die zu dem Ergebnis führt: „Striche man den Begriff (und damit eben auch die Sache) des Aufgenommenseins des irdischen Jesus von Nazareth als gestorbenen und auferstandenen Herrn in den Himmel, so würde die Heilsbotschaft an entscheidender Stelle verkürzt." Mit dieser Verkürzung sieht Iwand eine Lücke entstehen, die für die Kirche eine Gefahr bedeutet. Die Gefahr nämlich: „die Erbschaft ihres verschwundenen, ihres irgendwie abhandengekommenen Herrn . . . antreten zu müssen, als ein Interimszustand, als eine Stellvertretung dieses Kyrios" (494). Gerade in der Botschaft von der Himmelfahrt Christi 28

Vgl. dazu auch o. S. 126 das Zitat von Heinridi Boll.

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erkennt Iwand das entscheidende Korrektiv gegenüber der Gefahr, „daß wir Ihn, Jesus, in den Himmel abschieben und während dessen auf Erden sein Werk in unsere eigene Regie nehmen" (ebd.). Die Besinnung auf die Himmelfahrtsbotschaft führt Iwand zur ganz entschiedenen Absage an „die Symbolisierung einer verhängnisvollen Trennung zwischen der ,hypothetischen' Herrschaft Christi im Himmel und der realen seiner Kirche auf Erden, der Sündenfall der Christenheit, deren Folge die Interimsherrschaft der Kirche auf Erden wäre!" (494). Damit hat Iwand in dem Anlauf dieser Meditation den Punkt erreicht, an dem sich die homiletische Fragestellung und Aufgabe dieser Perikope ergibt: „die Fragestellung von Dostojewskijs Großinquisitor, die Fragestellung zwischen Kirche und Staat im Mittelalter, der Sinn der Lehre von der ecclesia abscondita bei Luther, das noch keineswegs zu Ende gedachte Problem der ,Kirche in der Welt' von heute" (ebd.). Dieser theologiegeschichtliche Durchblick, veranschaulicht an einem literarischen Beispiel, zeigt die Zielrichtung der Meditation bis hin zu einem Problem der Gegenwart. Historie und Dogmatik stehen für Iwand immer in lebendigem Zusammenhang mit praktischen Aufgaben und konkreten Entscheidungen. Von daher sieht er: auch „das Thema der Himmelfahrtspredigt ist viel kritischer als seine ,Kritiker' a h n e n . . . . Die Bewegung von oben nach unten, aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit, das ,sacramentum incarnationis' (Luther) ist nur die eine Seite der Offenbarung Gottes, die andere Seite ist das sacramentum exaltationis, und die Richtung und Bewegung, die damit gegeben ist, gilt als Mahnung und Grenze für die auf Erden verbleibende Kirche!" (495) 27 . So führt der exegetisch-historische und dogmatisch-homiletische Anlauf, den Iwand in seiner Meditation zu Apg 1,1—11 nimmt, zur Kritik an einer „sehr institutionsfreudigen Haltung" der Kirche. Die Botschaft der Himmelfahrt Christi bedeutet eine Frage an die Kirche der Gegenwart, „ein aufgerichtetes Zeichen der Umkehr und der Buße gegenüber aller Direktheit und Anschaulichkeit", gegenüber allen Versuchen einer „Kraft- und Substanzübertragung", gegenüber aller „Qualifizierung des Irdischen zum Uberirdischen, des Menschlichen zum Übermenschlichen" (496). So schließt Iwand den Anlauf dieser Meditation ab, indem er die Himmelfahrt Christi als den dialektischen Kontrapunkt herausstellt zu allem, „was als Offenbarung unter uns geschehen ist: Inkarnation, Menschlichkeit Gottes, Tod und Auferstehung des Herrn" (ebd.). Nachdem der Anlauf soweit vorgetrieben ist, kommt Iwand dann im weiteren auf den Text zu sprechen. Wir haben den Anlauf der Meditation zu Apg 1,1—11 so detailliert vorgeführt, weil sich von hier aus Durchblicke zu Anläufen anderer 27 Vgl. dazu auch Karl Barth, KD IV/2, bes. § 64,2, worauf Iwand bei seiner Auslegung betont Bezug nimmt.

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Textbearbeitungen ergeben, die sich gleichfalls durch „jene .dogmatische' Strenge" (116) und Prägnanz auszeichnen; bei denen intensive Besinnung auf dogmatische Grundentscheidungen die Texte zum Wort der Anrede in der Gegenwart erschließen. Hinzuweisen ist hier etwa auf den Anlauf der Meditation zur Weihnachtsperikope Hebr 1,1—6 (115 ff.). Iwand unternimmt es hier, durch intensive Besinnung auf das „Dogma" der Inkarnation, „das Reden Gottes in dem Sohn in seiner konstitutiven Bedeutung für alles, was Verkündigung und Offenbarung heißt" (117), herauszustellen, um zu verhindern, „daß dies Ereignis unter alle anderen ,historischen' Ereignisse eingeebnet wird und daß unser Glaube wie unsere Verkündigung hinfort ziemlich haltlos zwischen einem ethischen Adoptianismus und einem mythischen Doketismus hin und her schwankt" (116). Ebenso kennzeichnet eine Besinnung auf die dogmatischen Bemühungen um die Christologie den Anlauf der Meditation zu Joh 1,9—13; ohnehin hat der Anlauf im Stil einer dogmatischen Besinnung zu den Predigtmeditationen johanneischer Texte eine besondere Affinität. Neben der Inkarnation bildet für Iwand das trinitarische Dogma eine unverkennbar prägnante dogmatisch-homiletische Leitlinie in seinen Predigtmeditationen. Ein besonders eindrucksvolles und instruktives Beispiel d a f ü r ist der Anlauf seiner Meditation zu Joh 3,1—15 (222). Die Konkretion des Anlaufs nach dieser Leitlinie führt die Verkündigung dieses Textes zu theologisch begründeter Absage an den „rationalen Gottesbegriff", an die „Vernunftreligion", „die in diesem Gespräch des Nikodemus mit Jesus so gründlich zertrümmert wird" (ebd.). Die Besinnung auf den Gehalt des trinitarischen Dogmas als Leitlinie für die Predigt ist Iwand wesentlich. Denn: „Seitdem der vernünftige Glaube an die Stelle der an die Schrift gebundenen Offenbarung Gottes in Jesus Christus getreten ist mit allem, was dazu gehört, mit seiner Verachtung der ,Lehre', mit seiner Verwandlung des Christentums in eine Moralreligion, mit seinem .Anknüpfungspunkt', seinem ,Gesprächs'charakter, ja, auch seinem ,unbewußten Christentum', das angeblich in der Nacht der Bewußtlosigkeit schlummert und nur ,erweckt' zu werden braucht, mußte notwendigerweise auch die Lehre von dem dreieinigen G o t t . . . gegenstandslos werden" (222). Damit gelangt der Anlauf dieser Meditation in den Brennpunkt theologischer Diskussion. Nicht zuletzt sind es Phasen dieser Diskussion mit den im eben angeführten Zitat angesprochenen Punkten, die das Ringen um die Predigt der Gegenwart kennzeichnen. Darum ist es m. E. nicht nur wichtig, sondern geradezu nötig, Iwands Beitrag nachdrücklich in Erinnerung zu rufen — zumal die Frage nach der Verkündigung: ihrem Auftrag und Inhalt — mehr und mehr auch eine wesentliche Nahtstelle im interkonfessionellen Dialog ausmacht, worauf Iwand im Anlauf dieser Meditation ebenfalls hinweist, wenn er ausführt: „Darum 141

sollten die Katholiken nicht meinen, es läge an Luther, wenn sie sich an seiner Lehre vom ,unfreien Willen' stoßen, und die Lutheraner sollten nicht meinen, es läge an Barth und seinem extra Calvinistikum, wenn er den Riß zwischen Menschenwort und Gotteswort aufreißt — nein, es liegt an Jesus selbst. Er ist nicht Gegenstand unseres Urteils, er ist immer Herr, immer Subjekt" (223). Die Frage des rationalen Gottesbegriffs28, des Anknüpfungspunktes leitet zu einem weiteren Charakteristikum der Anläufe in Iwands Predigtmeditationen über. Dogmatische Besinnung, Formulieren systematisch-theologischer Leitlinien für die Verkündigung bedeutet für ihn in nicht geringem Maße Gespräch mit Anstößen und Einwänden der Philosophie gegenüber der christlichen Botschaft. Das kann in einer Reflexion darüber geschehen, daß — wie er bei Luther zeigt — ,„Wort' in der Theologie etwas anderes bedeutet als in der Philosophie" (425). Das Eingehen auf das philosophische Wortverständnis, „Anstoß" nehmen an ihm, das Ausgang-zeigen für die Verkündigung an diesem Punkt nimmt besonders breiten Raum ein im Anlauf der Meditation zu 2Petr 1,16 bis 21 (252). Weder die philosophische Erkenntnis einer „idealistischen Weltansicht" noch der Mythos sind „Ausgangs- und Orientierungspunkt der christlichen Botschaft... Die von ihr geforderte Absetzung gegenüber dem Mythos trifft die Sophia mit. . . . Darum ist ,Geschichtlichkeit' als solche noch keine Rettung vor der Mythologie" (253 f.). Iwand macht in diesem Zusammenhang auf Karl Barths entscheidenden Beitrag zur Frage der Offenbarung und der Geltung der Schrift in der Kirche aufmerksam 29 , von dem er sagt: „Es gibt seit mehr als zweihundert Jahren keine D o g m a t i k . . . , in der so gründlich, so zur Umkehr und Einsicht rufend und so evangelisch-reformatorisch die Lehre vom Worte Gottes entfaltet wäre wie hier" (255, 1). Als Meditation mit Anläufen dogmatischer Besinnung, in denen Iwand theologische Anstöße gegenüber der Philosophie formuliert, sind schließlich auch noch die Textbearbeitungen zu Joh 11 zu nennen. Darin läßt Iwand die Meditation anlaufen zu einer Predigt, die eine Antwort mit dem Auferstehungszeugnis auf den philosophischen Einwand Spinozas ist (96, 659). Die erste der beiden Auslegungen zu diesem Text (95 ff.) ist zugleich ein schönes Beispiel dafür, daß Iwand bei Perikopen, deren Aussagen ihm für die Predigt besonders steil und schwer zu erschließen zu sein scheinen oder die besonders zentrale Texte ausmachen, Darstellungen der Kunst sehr stark in seine Meditation einbezieht, wie hier die Kunst Rembrandts (97). Die Bedeutsamkeit von Rembrandts Kunst unterstreicht Iwand in seiner Auslegung zu Lk 15,11—32 besonders 28 Vgl. dazu Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, Darmstadt 1971. 29 K D 1/2 §§ 19 u. 20.

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nachdrücklich: „Was für ein Anschauungsmaterial für die Meditation steckt in diesen Bildern. Es gibt auch eine malerische Exegese!" (37). Die Textbearbeitung zu J o h 11 macht uns zugleich auf einen weiteren Tatbestand aufmerksam, der für die Anläufe in Iwands Predigtmeditationen mit exegetisch-historischer wie dogmatisch-homiletischer Besinnung wichtig ist und der m. E . wesentliche Hinweise für das Gewinnen einer homiletischen Theorie ergibt. Iwand vollzieht homiletische Besinnung nicht jenseits von exegetischer und dogmatischer Besinnung; vielmehr ist sie ein integrierter Bestandteil derselben. Explicatio und applicatio sind einander zugeordnete und nicht voneinander isolierte V o r gänge 3 0 . — So gibt es innerhalb exegetischer oder dogmatischer Passagen — manchmal als kurze Bemerkungen und Einfälle nur locker eingestreut — homiletische Gesichtspunkte in den Anläufen aufgezeigt. Bei der Meditation zu J o h 11 ist es die Erwägung der Schwierigkeit, daß diese Perikope zu den Stücken gehört, „bei denen es uns immer wieder deutlich wird, daß man gar nicht ,über' sie predigen k a n n " . Es gilt zu sehen, „wie schwierig es ist, hier zu reden, und wie unverantwortlich, hier nicht zu reden" (95) 3 1 . — Im Anlauf der Meditation zu Offb 3,7 bis 13 finden sich bemerkenswerte Äußerungen zum Problemfeld Sprache und Ausdrucksmöglichkeit: „die visionäre und symbolische Sprache wird nicht von vornherein ins Gebiet des Phantastischen zu verweisen sein. Das nationale' Bild der Wirklichkeit ist nur eines unter einer Mannigfaltigkeit möglicher Erkenntnisweisen. Es gibt Zeiten und Situationen, in denen sich der unentwegte Rationalist wirklichkeitsfremder erweist als der Visionär. Wer von der Leidenschaft ergriffen ist, der ganzen W i r k lichkeit des Daseins habhaft zu werden, bis hin an die Ränder der E x i stenz, wird begreifen, daß Menschen, die versuchen, von den ,letzten Dingen' zu künden, in der Schule der Prophetensprüche des Α. T . eine bessere Ausbildung erfahren als in der zeitlosen ratio griechischer Methodik" (110). Niemand, der um die Situation der Predigt der Gegenwart weiß, kann m. E . ernsthaft bestreiten, daß es notwendig ist, auch die Problematik Predigt und Rhetorik entschieden zu bedenken 3 2 . N u r ist dabei festzuhalten, daß eine Ausbildung „in der zeitlosen ratio grieS. dazu auch o. S. 49 ff., bes. S. 51 f. Vgl. auch Karl Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie. Abgedruckt in: Anfänge der dialektischen Theologie, Teil 1. ThB, Bd. 17, 1962, hrsg. v. J . Moltmann, S. 197 ff. 3 2 Gert Otto, Thesen zur Problematik der Predigt in der Gegenwart. Gottesdienst und Öffentlichkeit. Konkretionen Bd. 8, S. 34 ff., bes. unter 4 : Zur rhetorischen Problematik. Ferner: Ders. Wider den „Mythos" der Verkündigung (masch.-schriftl. Manuskript eines Rundfunkvortrags), Teil I I : Folgerungen: Politische Predigt und Rhetorik. Auf theologische Orientierungspunkte zur sinnvollen Rezeption der Rhetorik durch die Homiletik macht Ferd. Hahn aufmerksam in seinen Thesen: Zur gegenwärtigen Aufgabe der Predigt. Mainzer Predigten, 1972, S. 118 ff. 30

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chischer Methodik" — der ja alles, was den Namen Rhetorik ernsthaft verdient, letztlich zuzuordnen und zu verdanken ist — allein noch keine Ausbildung zur Predigt ergibt. Homiletische Besinnung im Anlauf einer Predigtmeditation kann für Iwand auch bedeuten, „die Fülle der Möglichkeiten" zu bedenken, die ein Text „dem Prediger bietet" (95). Diese Bearbeitung zu Lk 15,11—32 ist zugleich ein Beispiel dafür, daß der Anlauf sich auf eine ganze Predigtmeditation erstrecken kann, daß diese ganz im Stil eines immer neuen Anlaufnehmens auf die Predigt hin erfolgt. Als letztes Beispiel dafür, daß die Anläufe in Iwands Predigtmeditationen in hohem Maße Texte integrierter Einheit von exegetisch-historischer und dogmatisch-homiletischer Besinnung sind, verweisen wir auf die Meditation zu Mt 24,1—14 (284). Diesen Text legt Iwand von der Position aus, daß der Gekommene zugleich der Kommende ist 33 . Die so ausgerichtete Verkündigung ist „Anstoß" gegen „das Bild von dem ,historischen Jesus', welches das 19. Jahrhundert geformt hat" und das hier zerbrochen wird. „Es wird zerbrochen mitsamt seinen ethisierenden, liberalen, humanistischen Komponenten." Damit weist er der Predigt zu diesem Text, die seinem Anlauf folgt, folgende Aussage zu: „Jesus muß befreit werden aus diesen Fesseln, in die ihn unsere menschlichen Wünsche und Vorstellungen gebunden h a b e n . . . . Eine gute Predigt über unseren Text miißte Jesus in diesem Sinne freimachen" (285). Was für eine eminent praktische Bedeutung und welche Konsequenzen eine dogmatisch fundierte homiletische Besinnung hat, wird an den Linien deutlich, die Iwand in dieser Meditation weiter auszieht: an Hinweisen, die er gibt, an Warnungen, die er formuliert. So den Hinweis auf die Störung des „bürgerlich gesicherten Christentums" durch einen solchen Text. Die Warnung davor, die Freiheit Jesu und damit auch unsere Freiheit zu nehmen, indem Jesus herausgenommen wird „aus dem ,Weltbild der Bibel' und dafür in unser Weltbild versetzt". „Die rechte Auslegung" dieses Textes muß „ihren Weg suchen" — zwischen dem Abweg „der optimistischen, illusionären Weltansicht" und eines damit verbundenen „innerweltlichen, säkularen Fortschrittsglaubens" (286) auf der einen Seite und dem Abweg eines pessimistischen „Realismus" — der in diesem Text keine Begründung erfährt — auf der anderen Seite (285). Iwand unternimmt es, diesen Weg: „Ausgang", um die Formulierung von Lenz wieder aufzugreifen, in der Meditation zu zeigen. Innerhalb dieses Versuchs einer ersten Gruppierung von Anläufen in Iwands Predigtmeditationen, die er im Stil der Besinnung vornimmt, muß nun noch einem weiteren Modus abschließend unser Augenmerk gel3 3 Dazu ist wichtig Iwands Auslegung von Lk 1 2 : Die Gegenwart des Kommenden. Bibl. Stud., Η . 50, 1966. Vgl. audi Walter Kredk, Die Zukunft des Gekommenen. Grundprobleme der Esdiatologie, 1961.

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ten. Es finden sich Textbearbeitungen, deren Anläufe in einem Stadium formuliert werden, in dem die exegetisch-historische und dogmatischhomiletische Besinnung bereits so weit vorangeschritten ist, daß Iwand mit ganz brennenden Zeitproblemen einsetzt — etwa auf den systematisch-theologischen Leitlinien, die er in seinem bereits zitierten Aufsatz „Der moderne Mensch und das Dogma" ausführt 3 4 . So steht am Anfang seiner Meditation zu Mt 6,19—24 der Satz, dem Iwand im Entfalten des Anlaufs, der sich auch in diesem Falle 35 im Grunde über die ganze Auslegung erstreckt, nachdenkt: „Jesus geht an den uns so bewegenden Fragen des ,Mammons', des Eigentums, des Besitzes des ,Kapitals' nicht vorüber" (81). Jesus hat „zu dieser wichtigen Frage der Güter unseres Lebens nicht geschwiegen". Der Anlauf der Meditation will eine Anleitung sein, „das einzusehen und zu begreifen, was f ü r eine befreiende und verheißungsvolle Sache es ist, daß uns Jesus bei diesem Kampf nicht allein läßt, daß er mitten unter den vielen Stimmen, die zu dieser Sadie das Wort ergreifen, auch sein Wort in die Waagschale wirft, das Wort dessen, der gekommen ist, die Welt zu erlösen" (ebd.). Damit ist das entscheidende Stichwort gefallen, das eine Alternative bedeutet gegenüber der Knechtschaft unter dem „Mammon": die Alternative der Freiheit und der den Menschen zugedaditen „Menschlichkeit seines Daseins" (83). Das Wort Gottes bezieht sich nach dieser Intention der Bergpredigt Jesu, der Iwand — kritisch gegenüber Luther — hier folgt, „in seiner umkehrenden, wandelnden K r a f t " eben nicht „nur auf die Person", sondern auch „auf die Verhältnisse, in denen diese Person lebt" (85). Und darum muß es auch „bei der Erörterung unserer wirtschaftlichen, politischen, sozialen Zustände" (84) zu Gehör und Geltung gebracht werden. Darum sieht sich Iwand auch veranlaßt, bei dieser Meditation zum Sozialismus Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme ist 1947 formuliert — also lange ehe das Gespräch mit dem Sozialismus eine solche Aufgabe und Herausforderung für die Christenheit und ihre Verkündigung bedeutet, wie das heute in weltweitem Ausmaß der Fall ist. Das besagt nicht nur, daß Iwand auch an diesem Punkt Entwicklungen gesehen und auf sie hingewiesen hat, als noch Zeit genug war, sich auf diese Aufgabe zu besinnen. Sondern es besagt zugleich, daß diese Stellungnahme eine Distanz zum Tagesgeschehen kennzeichnet, die ihre geistige Prägnanz, ihre Ausgewogenheit und ihr sachliches Gewicht ausmacht, ohne daß ihre Entschiedenheit dadurch Einbuße erfährt. Es erscheint mir deshalb für die Aufgabe heutiger Diskussion wichtig und hilfreich, unsere Ausführungen zu den Anläufen der Meditationen hier zu erweitern und Sätze aus diesem Votum Iwands an dieser Stelle zu notieren, die geeignet sind, unserem Nachdenken und notwendigen H a n 34

NW II, 91

ff.

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S. o. S. 144.

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G a n d r a s , Predigt

dein an diesem Punkt zur Klarheit zu verhelfen: „Es wäre falsch, wenn wir meinten, wir müßten nun möglichst viele Angleichungen zum Sozialismus in der Verkündigung des Christentums entdecken oder diese dementsprechend fassen. Leider drohen audi hier wieder Schlagworte und leere geistige bzw. geistlose Moden die echte Begegnung zu trüben und zu kompromittieren. . . . Der Sozialismus als solcher ist nicht bereits Christentum, aber es wird die Auseinandersetzung mit ihm ein neues und anderes Gesicht gewinnen, wird, wie wir hoffen, ein positives und gegenseitig hilfreiches Unternehmen werden, wenn die Christen sich in ihrem Urteil über den Mammon und dessen Unverträglichkeit mit dem Herren, dem sie dienen, von Jesus bestimmen lassen und nicht irgendwelche weltanschaulichen, klassen- und traditionsgebundenen Meinungen als christliche Uberzeugung substituieren. Christen, die in Bewegung und Umkehr auf Jesus hin begriffen sind, werden ein neues Gesicht und Verständnis dessen haben, was der »Sozialismus* ist und vor allem, was er sein könnte!" (88) 36 Sozialismus und Christentum bleiben — so meint Iwand — darin geschieden, daß „die letzte Forderung" des Sozialismus die „Emanzipation des Menschen" bleibt, und zwar die Selbstemanzipation. „Die Forderung Jesu aber ist die ,Emanzipation Gottes'" (ebd.). Es geht audi in der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus für Iwand um das Deum Deum esse Luthers, in dem des Menschen Freiheit, auch seine Emanzipation, allein sinnvoll begründet ist. Und deshalb wäre es „nicht gut, wenn man die Botschaft Jesu Christi und den Sozialismus in eins setzte". Das hebt aber das andere nicht auf: „Die Forderungen Jesu und die des Sozialismus berühren sich in der Tat, es sind dieselben Worte in der Negation, aber die Position ist eine andere" (89). So pointiert konkret sind die Konsequenzen von Iwands exegetischer und dogmatischer Besinnung — und das nicht nur in den Anläufen seiner Predigtmeditationen. Sie sind zugleich eine Anfrage an diejenigen, die Bereitschaft zeigen, in diesem Dialog Bibel und dogmatische Tradition beiseite oder unterrepräsentiert sein zu lassen, und die dennoch meinen, der Aufgabe gewachsen sein zu können, und die damit rechnen, als theologische Gesprächspartner ernstgenommen zu werden. Daß diese Position, die Iwand hier umreißt, ihn zu einem außerordentlich potenten und dialogfähigen Teilnehmer und Wortführer im Gespräch mit Sozialisten macht, zeigen seine Beiträge in diesem Gespräch, die oft genug Maßstäbe gesetzt haben, die wir heute nur zum eigenen Schaden ignorieren. Das zeigt ebenso das Gehör und der Respekt wie die Anerkennung, die gerade er als einer der ersten in der vom Sozialismus bestimmten 3 6 Auf dieser hier von Iwand markierten Linie wird ein Gespräch versucht, wie es sich zum Beispiel auch in den „Marxismusstudien" niederschlägt, die jetzt in 7. Folge vorliegen: Das Humanum als Kriterium der Gesellsdiaftsgestaltung, hrsg. v. Heinz Eduard Tödt, Tübingen 1972.

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Welt erfahren hat. Gerade auch an dieser Stelle: im Gespräch mit sozialistischen Partnern geht es Iwand um die Einheit von Lehre und Leben, die ihm grundsätzlich so wichtig ist. Zu demselben Modus von Anläufen: solchen, die Zeitfragen auf dem Hintergrund intensiver exegetisch-historischer und dogmatisch-homiletischer Besinnung formulieren — Zeitfragen freilich in großen geistesgeschichtlichen Zusammenhängen und Spannungsbögen und nicht als Ereignisse und Vorkommnisse des Tagesgeschehens punktuell verengt und perspektivisch verkürzt — zu dieser Art von Anläufen sind noch andere Textbearbeitungen wenigstens zu erwähnen. Alle diese Beispiele: die weiter ausgeführten und die nur erwähnten zeigen, wie die Verkündigung „zeitbezogen" sein kann, ohne „zeitgemäß" zu werden — wie Walther Fürst hilfreich, weil Klarheit gebend unterscheidet 37 . Iwands Predigtmeditationen macht nicht zuletzt ihre Zeitnähe so überlegen. Sie sprechen in die Zeit: zu den Menschen ihrer jeweiligen Zeit und Situation, ohne der Zeit und ihren saisonbedingten Moden, audi nicht den geistigen und theologischen Moden, zu verfallen. Ihre N ä h e und Distanz zur Zeit ist begründet in ihrer fundierten theologischen Orientierung und Substanz. Die Spannung zwischen Distanz und Nähe entspricht der zwischen Gesetz und Evangelium. Im Anlauf der Meditation zu 2Thess 3,6—16 (355 ff.) greift Iwand das Verhältnis des Menschen, besonders des deutschen Menschen zu seiner Arbeit auf. Er gibt zu bedenken, ob nicht „das stolze, die industrielle Arbeit und die wirtschaftliche Leistung mit religiösem Nimbus versehende Westeuropa heute wirklich Grund hätte, eine Revision dieser seiner Grundwerte vorzunehmen". Bei dieser Besinnung lenkt er die Aufmerksamkeit auf Arbeiten von Max Scheler und Max Weber, deren scharfsinnige Einsichten zur Sozialethik ihm immer wichtig gewesen sind — besonders was die Kritik am Kapitalismus mit seinem Arbeitsethos und Arbeitstempo angeht. Der auch in dieser Meditation zitierte „weltberühmte Aufsatz" Max Webers: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" gehörte für Iwand zu den einschlägigen Quellentexten, auf die er häufig zurückgreift. — Im Anlauf der Meditation zu Mt 5,20—26 (455 ff.) konfrontiert Iwand den Text mit der gerade stattfindenden „wüstesten und verwirrtesten Diskussion über die Frage des Kriegsdienstes". Auf diese Frage gibt es für ihn ganz entschieden und eindeutig nur die Antwort des Zeugnisses vom Friedenstiften und Friedensdienst des Christen, worauf er die Richtung einer Predigt dieses Textes lenkt. Die Aufarbeitung der Literatur im Anlauf dieser Meditation — bis zum Zitat aus Tageszeitungen — zeigt, wie sehr ihn gerade diese Frage unablässig beschäftigt und auch gequält hat. An dieser Stelle 87

Vorwort zu GPM 27, 1972/73, Η. 1, S. 2. 147

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hat er besonders engagiert im Hören auf die biblischen Texte einen „Ausgang aus biographischer Not" gesucht und ihn in seinen homiletischen wie praktisch-ökumenischen Bemühungen besonders nach den Völkern und Kirchen des europäischen Ostens hin zu vollziehen versucht. Die Friedensfrage und Friedensaufgabe hält Iwand für eine „unter keinen Umständen zu umgehende, mit keinen Ausflüchten zu vermeidende aktuelle Problematik". In dieser Problematik muß sich dieser Text — das ist das Vorhaben seiner Predigtmeditation — „ganz bewähren, in seiner Zeitnähe und seiner Zeitüberlegenheit. Denn Gottes Wort ist eindeutig, hilfreich und klar mitten in unseren Zweideutigkeiten, Phrasen und Unklarheiten" (456). Die Aktualität des Schriftwortes — so führt Iwand im Anlauf dieser Meditation aus — „ist immer die unserer Aktualität vorgeordnete, sie will innerhalb dessen, was heute unter uns .aktuell' ist, aktuell werden. Sie beansprucht den ersten Platz. Und sie will es werden, indem sie neu verkündigt, indem sie von den Predigern des Evangeliums in der Nachfolge Jesu neu gewagt wird" (456). Mit dieser homiletischen Wegweisung führt Iwand den Anlauf dieser Meditation fort, den er mit einer Besinnung auf den Friedensdienst des Christen beginnt. Die „Anlage der Predigt" entscheidet sich für ihn bei der Besinnung auf die „Aktualität, um die es in unserem Text geht". Daher zieht er das homiletische Fazit: „Die Predigt wird nicht anders aussehen als die Exegese und diese nicht anders als die darin schon intentional enthaltene Verkündigung" (456). Die Besinnung, die Iwand in den Anläufen seiner Predigtmeditationen unternimmt, gilt diesem Aufspüren der Intention der Verkündigung.

3. Anläufe nach

Schlüsselwörtern

Wir haben bisher eine verhältnismäßig breite Skala von Anläufen in Iwands Predigtmeditationen vorgestellt, die sich als erste mögliche Gruppierung und Zuordnung ergibt. Diesem Modus von Anläufen in Form exegetisch-historischer und dogmatisch-homiletischer Besinnung könnten wir mühelos weitere Beispiele aus Iwands Predigtmeditationen hinzuzählen. Wir haben jedoch mit den näher ausgeführten oder geraffter vermerkten und erwähnten Anläufen dieser ersten Gruppe, die auch zahlenmäßig am häufigsten vorkommt, hinreichend Orientierungspunkte abgesteckt, die den Gehalt und Stil dieser Anläufe deutlich erkennen lassen. Damit haben wir eine Hauptader in den Anläufen von Iwands Predigtmeditationen freigelegt und ein weiteres Ergebnis der Analyse erlangt, das über Iwands Predigtmeditationen wichtigen Aufschluß gibt. Von diesem Punkt aus ist es nun möglich, andere Genera von Anläufen in den Blick zu nehmen, die sich von dieser Hauptader aus gleichsam 148

verästeln. U m den Uberblick zu behalten soll es dabei nicht darum gehen, daß wir Details ausbreiten. Wir können uns auf das Nachzeichnen von Konturen in zwei weiteren Modi von Anläufen beschränken, die die bisher vorgeführte Gattung modifizieren und die unter sich wiederum zusammenhängen. Zunächst geht es um eine Gruppe von Anläufen, die folgende Eigenart kennzeichnet: Die Besinnung verdichtet sich gewissermaßen, so daß deutlich wird, welche Wörter, Wortfelder oder Gedankengruppen in einem Text Leitfunktionen haben. Im Anlauf einer solchen Predigtmeditation stellt Iwand solche Richtpunkte oder homiletische Leitsätze heraus, an denen sich die Auslegung dann orientiert. Es erscheint weder nötig noch dem Material angemessen, diese Art Anläufe mit einem Ausdruck zu bezeichnen. Die lockere Beschreibung des Vorgangs dieser Anläufe wird dem Tatbestand eher gerecht. Als ein besonders charakteristisches Beispiel für dieses Genus von Anläufen, das nach Schlüsselwörtern gestaltet ist, kann die inhaltlich wichtige Predigtmeditation zu Mt 16,13—20 als Pfingsttext gelten (561 ff.). Als Leitbegriffe für die Auslegung dieses Textes stellt Iwand die Christusfrage, die Frage nach der Kirche und die Frage nach der Bindeund Lösegewalt heraus. U m diese Leitbegriffe lagert er in der Meditation die Aussagen dieser Perikope auf die Predigt hin, die selbst „ein Stück jenes Lösens und Bindens" werden muß, von dem der Text redet. Er „reißt uns aus der Reflexion über ihn heraus und versetzt uns an jene Stelle, wo das Wort Jesu zur T a t wird und wo der Mensch aufhört, aus eigener ,Vernunft noch K r a f t ' dies Wort zu reden und weiterzusagen, es an sich oder anderen aus eigener Kunst oder Klugheit zur Gewißheit werden zu lassen" (563). Damit wird die reformatorische Predigtauffassung: praedicatio est absolutio auch als homiletische Leitlinie in Iwands Predigtmeditationen an einer weiteren Stelle ausgesprochenermaßen sichtbar. Im Anlauf der Meditation zum Episteltext R o m 8,5—11 stellt Iwand ebenfalls drei Schlüsselbegriffe als Leitlinien heraus: D a s Urteil Gottes, den Gegensatz von Fleisch und Geist und das „Eingeschlossensein u n s e rer sterblichen Leiber' in die Auferstehung Jesu Christi" (605). Diese drei Leitlinien ordnen sich Iwand im Vollzug des Anlaufs in einen sachlichen Zusammenhang. Sie laufen nicht nebeneinander her als isolierte Begriffe, sondern bleiben verwoben im Textganzen. Die Intention dieses Zusammenhangs ist für Iwand inhaltlich die Rechtfertigung, deren Zielsetzung er in der Auferstehung sieht (606). Dieses paulinisch-reformatorische Verständnis der Rechtfertigung mit der Zielsetzung der Auferstehung konfrontiert er mit „modernistischer Rechtfertigungslehre", die als innerweltlich verstandene Moralität den Menschen allein läßt, so unausweichlich zum Beispiel auch „in der modernen Philosophie und Literatur 149

das Todesproblem in den Mittelpunkt gerückt ist — von Hofmannsthal und Rilke bis Heidegger und Sartre" (607) 38 . Der Anlauf dieser Meditation zeigt, daß Iwand auch bei diesem Genus des Einsatzes mit Schlüsselwörtern Zusammenhänge bedenkt und Räume auftut, in denen Stimmen zu Gehör kommen von der reformatorischen Theologie bis zur modernen Philosophie und Literatur. Diese Räume sind es, in denen die Meditation den Text auf die Gegenwart bin entfaltet und in denen die Predigt zeitnahe Gestalt gewinnt. Als Beispiele von Anläufen, die Iwand von nur einem Schlüsselwort aus entwirft, führen wir die Meditationen zu Phil 3,17—21 (272 ff.) und Tit 2,11—14 (471 ff.) an. In beiden Fällen handelt es sich um solche Schlüsselwörter, die im Wortlaut des Textes als Vokabeln vorkommen und nicht abgeleitete oder zusammenfassende Sammelbegriffe darstellen. „Gleich das erste Wort unseres Textes stellt uns vor die entscheidende Frage, die die ganze Auslegung, ja sogar den Sinn der in ihr liegenden Verkündigung grundsätzlich bestimmt" — mit diesem Satz beginnt Iwand die Predigtmeditation zu Phil 3,17—21. Gemeint ist das Hapaxlegomenon: symmimetai — Mitnachahmer39. Anstoß formuliert Iwand zunächst an der Exegese, die Ernst Lohmeyer diesem Begriff gibt. Er grenzt ihn gegen das — seiner Meinung nach bei Lohmeyer nicht ausgeschlossene — gesetzliche Mißverständnis des Martyriums als „vorbildliche Leistung" ab; kritisch auch im Hinblick darauf, daß sich „ . . . gerade von bestimmter Seite der Bekennenden Kirche her — diese Auffassung in den Vordergrund schiebt" (272). Iwand weist auf die „Paradoxie dieser ,Vorbildlichkeit'" hin, indem er den Kontext einbezieht und auf die Auslegung Luthers und Karl Barths zurückgreift. Es ist die theologia crucis, mit der Iwand ein exegetisch mögliches Mißverständnis systematisch korrigiert. Diesen Sinn hat das Zitat aus Luthers Heidelberger Disputation in diesem Zusammenhang: „Ideo amici crucis dicunt crucem esse bonam et opera mala, quia per crucem destruuntur opera et crucifigitur Adam, qui per opera potius aedificatur." 40 Damit ist — wie Karl Barth es nennt — „das Loch" gekennzeichnet, in dem Christus steht, auf den dieses symmimetai weist, und der an den Leiden seiner Zeugen die Kraft seiner Auferstehung erweist. Die Meditation, die beim Bedenken dieses Schlüsselwortes Anlauf nimmt, muß sich darauf konzentrieren, dieses „Loch" offenzuhalten, es nicht anders zu füllen: etwa mit selbstüberheblicher Vorbildlichkeit. Es geht hier also auch um eine anthropologische Entscheidung, um die Entscheidung nämlich: Ob der Mensch der Gerechtfertigte oder der homo naturalis, der homo religiosus ist. Daß er 38 Vgl. auch: Almanadi 5 für Literatur und Theologie, Wuppertal 1971, „Tod in der Gesellschaft". Ferner: Eberhard Jüngel, Tod. T T , Bd. 8, 2. Aufl., 1972. 8 9 Walter Bauer, Wörterbuch zum N T , 4. Aufl., Sp. 1416. 40 Clemen V, S. 389.

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der Gerechtfertigte ist, hält dieses „Loch" als seine Möglichkeit offen. „Denn der natürliche Mensch . . . kann nun einmal in der dünnen L u f t der theologia crucis nicht leben, er muß hier sterben, wo nichts zu greifen, nichts zu sehen, nichts zu schmecken ist als allein die justitia Dei extra nos!" (273). So werden das Schlüsselwort symmimetai und der Text, den es „er-schließt", von der theologia crucis her eine Einladung und Aufforderung an den Menschen, den schwankenden Boden eines „positiven Christentums", das ja oft genug gerade die „Vorbildlichkeit" als seine Haupttugend proklamiert, zu verlassen und die Möglichkeit des Lebens zu ergreifen, die der Gekreuzigte seinen symmimetai in der Nachfolge gewährt 41 . Im Anlauf der Meditation zu Tit 2,11—14 (471 ff.), stellt Iwand „das unserem Text vorangestellte epephane als „Schlüssel der ganzen Auslegung" heraus. Von diesem Schlüsselwort aus entwickelt er die homiletische Leitlinie f ü r eine Predigt dieses Textes: „daß die Hoheit Gottes gerade in dieser seiner Niedrigkeit sich vollendet". Das ganze Leben Jesu ist danach „in aller Strenge" als seine Hingabe „für uns" zu verstehen, „denn der Eintritt ins Leben ist ebenso f ü r uns geschehen wie der Ausgang. Diese Epiphanie der Gnade Gottes f a ß t Krippe und Kreuz in ein Wort und damit auch in eine Sache zusammen: in die der praesentia Dei selbst". Unsere Predigt gründet auf der Gewißheit der Sache, „die sie zu bringen hat, zumal da, wo es um das Mysterium incarnationis geht". Epiphanie der praesentia Dei geschieht in der Einheit von Krippe und Kreuz, in der komplementären Dialektik der Zueinandergehörigkeit von Inkarnation und theologia crucis, die Iwand nicht nur in dieser Meditation als konstitutiv für Gewißheit der Predigt und des Glaubens herausstellt 42 . Die certitudo salutis ist für ihn nicht nur Konsequenz sondern zugleich auch Begründung und Ermöglichung der Predigt — der Predigt, die Aussagen macht, die assertorische Zusage ist, die etwas zu sagen und darum audi etwas zu bedeuten hat. So kommen auch in diesem Anlauf mit dem Schlüsselwort epephane Gehalte der reformatorischen Theologie als homiletische Leitlinien in den Blick: das „pro me", die Einheit von Inkarnation und theologia crucis und die certitudo salutis. Als Predigtmeditationen, in deren Anläufen Iwand ebenfalls nach dem Modus der Entfaltung von Schlüsselwörtern verfährt, sind u. a. noch zwei Textbearbeitungen zu erwähnen, die wir anführen und deren Schlüsselwörter mit ihren Bezugsfeldern zur reformatorischen Theologie 41 In diesem Sinne ist audi Dietridi Bonhoeffers Satz von der Kirche gemeint: „Nicht durch Begriffe, sondern durch .Vorbild' bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft" (WE, S. 262). Er ist Auslegung von Bonhoeffers These: „Die Kirdie ist nur Kirdie, wenn sie für andere da ist" (WE, S. 261). Vgl. auch Bonhoeffers Schriften: Sanctorum communio. ThB, Bd. 3, 1954, und Nachfolge, Berlin 1956. 42 Vgl. dazu audi im VII. Kap. dieser Arbeit den 2. Absdinitt.

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und geistesgeschichtlichen Zeugnissen wir lediglich registrieren: Joh 12,46 bis 50: Licht und Finsternis (54), 2Kor 5,1—10: Wissen und Seufzen (146 ff.); Bezugsfelder: Gesetz und Evangelium, theologia crucis, Goethe, Leibniz. — Die Konzentration der Besinnung in den Anläufen auf Schlüsselwörter besagt aber nicht, daß diese als Begriffe im lexikalischen Sinne gegenüber der Ganzheit des Textes isoliert werden. Der Zusammenhang dieser Richtpunkte — wie Iwand solche Schlüsselwörter auch nennt (661) — etwa mit zentralen Inhalten reformatorischer Theologie, die als eine wesentliche homiletische Leitlinie Iwands stets in Erscheinung tritt, ihre Bezogenheit auf den Kontext oder auf Äußerungen von Philosophie und Literatur, die uns beim Eingehen auf diese Anläufe immer wieder begegnet sind, zeigen, daß es Iwand bei den Schlüsselwörtern nicht um Thematisierung einzelner Begriffe unabhängig vom Textganzen geht. Vielmehr hat er bei seiner Auslegung ständig im Auge, was er in der Meditation zu Lk 1,26—38 formuliert: „Darum wird man gut tun, das Ganze des Textes stehen zu lassen, in seiner sich jeder Thematik entziehenden Ganzheit" (205). Was James Barr an sprachwissenschaftlichen Einsichten linguistischer und semantischer Methodik in die biblische Exegese eingebracht hat, verdient in diesem Zusammenhang kritische Aufmerksamkeit 43 . Man wird die Einseitigkeit der Barr'schen Position so nicht teilen können. Aber als Korrektiv gegenüber einer rein begriffsanalytisch lexikalischen Exegese und einer Thematisierung von Textaussagen in einzelne Termini hat Barrs temperamentvolle Erinnerung an die organische Ganzheit eines Textes ihr Recht und ihren Sinn. Wenn Iwand Anläufe seiner Predigtmeditationen sich zu Schlüsselwörtern verdichten läßt, dann hat das nicht die Auflösung des Textes in Begriffe zur Folge, sondern die Ganzheit des Textes wird gewahrt. Abgesehen vom Sachlich-Inhaltlichen wird das auch rein methodisch deutlich. Iwand gewinnt die Schlüsselwörter ja nicht deduktiv aus dem Text herausgenommen und abgeleitet. Er findet sie induktiv, indem er sich in den Text versenkt und sich auf seinen Sinn „besinnt". Darum sind die Anläufe nach dem Modus mit Schlüsselwörtern eine Variation, zu der sich die Anläufe im Stil der Besinnung verdichten. Hier wird nochmals deutlich, daß es sich bei den verschiedenen Anläufen in Iwands Predigtmeditationen und bei dem Versuch, den wir in diesem Kapitel unternehmen: Anläufe zuordnend zu überblicken, nicht um starre Gruppierungen im Sinne von Abgrenzungen handelt. Vielmehr geht es darum, daß Konturen in Iwands Predigtmeditationen übersichtlich und durchsichtig werden, so daß wir homiletische Leitlinien und Orientierungspunkte für die Aufgabe der Predigt der Gegenwart gewinnen. Es gilt 43 James Barr, Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und linguistische Methode in der Bibelwissenschaft, München 1965.

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auch bei den Anläufen, jede starre Typisierung zu vermeiden und sie als verschiedenartige Akzentuierung verwandter Genera zu sehen.

4. Anläufe

um systematische

Einheitspunkte

Diesen Gesichtspunkt der Auswertung des vorgeführten Materials bestätigt schließlich auch eine weitere Art von Anläufen, die Iwand in seinen Predigtmeditationen unternimmt und von denen wir jetzt zum Abschluß unserer Überlegungen zu den Anläufen einige besonders hervortretende Beispiele skizzieren. Es handelt sich um solche Art von Anläufen, bei denen das, was wir als die Methode des „kritischen Punktes" bei Iwand erkannt haben 44 , Struktur und Stil kennzeichnet und prägt. Iwand verdichtet in der Besinnung dieser Anläufe die Aussagen des Textes zu Aussagesträngen, so daß gleichsam eine Maserung des Textganzen sichtbar wird, die sein Gefüge und Gefälle transparent macht. Er verfolgt die Adern des Textes bis dahin, wo sie zusammenfließen, so daß Quellen hervortreten: Quellen von Sinngehalt, der in der Predigtmeditation zum Inhalt der Verkündigung entfaltet wird. Iwand bündelt dabei die Aussagen und konzentriert sie auf Punkte, die man als systematische Einheitspunkte bezeichnen kann, die „die Mitte des Textes" benennen. So bündelt Iwand zum Beispiel im Anlauf der Meditation zu IKor 6,9—20 die Aussagen dieses Textes im Einheitspunkt der Heiligung (610 ff.). Er zeigt den „Zusammenhang von Gottesherrschaft, Leib, Auferstehung, der in unserem Text ein unzertrennbares Ganzes, einen nicht zu sprengenden Ring bildet". Dieses „unzertrennbare Ganze", diese sachliche Mitte gilt es zu „erfassen" und von „der weltimmanenten Ebene stoischer Moralphilosophie" abzuheben. Diese Mitte nennt Iwand hier „die Achse, um die unser Text schwingt". Die Entfaltung der Meditation von diesem Anlauf aus besteht darin, daß er den Schwingungen der Aussagen um diese Achse nachgeht. Von diesem Standort aus sollte der Prediger „das Elend und die Hoffnung unseres heutigen menschlichen und gesellschaftlichen Lebens in seinen Blick zu bringen suchen". Von dieser Position aus wird auch die Negation vernehmbar gegenüber „all den Vermischungen und dem Indifferentismus, der bei dem volkskirchlichen Zustande des Gemeindelebens dessen schwerste Last bildet". Auch hier wird deutlich, wie das Herausstellen des systematischen Einheitspunktes und der theologischen Mitte im Anlauf einer Meditation bei Iwand niemals weltfremde Spekulation sondern immer zeitnahe und zeitüberlegene Besinnung auf die Sache bedeuten. Gerade systematischtheologische Besinnung macht die Predigt konkret und gibt ihr zeitnahe " S. o. S. 83 ff. 153

Substanz, die Probleme der Zeit erhellenden Realitätsgehalt. Das trifft in besonderer Weise und Qualität gerade audi da zu, wo wir es mit Texten intensiver Aussagedichte und „dogmatischer Strenge" und Steilheit zu tun haben. Zwei Predigtmeditationen zu solchen Texten geben zugleich besonders anschaulich Aufschluß über die Art dieses Anlaufs, wobei Iwand den systematischen Einheitspunkt eines Textes, seine Mitte bedenkt. Es handelt sich um die Anläufe der Predigtmeditationen zu den beiden Weihnachtsperikopen l j o h 1,5—10 und Joh 1,1—14, auf die wir jetzt zum Abschluß unserer Erwägungen zu den Anläufen eingehen. Im Anlauf der Predigtmeditation zu l j o h 1,5—10 (668 ff.) — einer seiner allerletzten vor seinem Tode — stellt Iwand als systematischen Einheitspunkt, als die Achse, um die die Aussagen dieses Textes schwingen, den Satz heraus „Gott ist Licht und was die Finsternis betrifft, so ist nichts davon in ihm". Von diesem Punkt aus denkt er in der Meditation dem Duktus des Textes nach. Von diesem Punkt aus bemerkt er, daß die Struktur der Aussagen von einem Gefälle gekennzeichnet ist, das in einer bestimmten Zielrichtung verläuft und in dem verschiedene Aussageschichten ineinandergreifen. Von diesem Punkt aus deutet Iwand an, „in welchem Sprach- und Denkbereich wir uns bewegen", wenn wir auf diesen Text hören und ihn in der Predigt zu Gehör bringen. Dazu bemerkt er: „Der Satz ,Gott ist Licht' ist ein Satz, der mit sich selber steht und in sich selbst ruht. . . . Er ist gegeben, er steht fest, bevor unser Denken über Gott anhebt." Dann erfolgen Durchblicke, die diese Linie durch das Schriftganze verfolgen: „Gott wird durch Gott selbst erkannt." Schriftauslegung und dogmatische Aussage der Kirche bedingen einander und sind aufeinander bezogen. Daher jetzt das Zitat aus dem Nicaenum: „Licht vom Licht." Unter diesem axiomatischen Satz „Gott ist Licht" sieht Iwand hier den Inhalt der Botschaft, das „Evangelium" gefaßt. Bemerkenswert ist eine Erwägung, die er fast beiläufig anstellt und einflicht, die zeigt, wie sehr er Details bedenkt auch da, wo er Linien zieht und Konturen zeichnet. Er charakterisiert diesen Satz, von dem er als Einheitspunkt zur Meditation Anlauf nimmt, und führt aus: „In diesem Satz ist noch nicht von uns die Rede, er gibt keinen soteriologischen Ansatz her, an dem man einsetzen könnte — das pro nobis ist noch in ihm versteckt — und doch geht es um den Glauben." So entscheidend die soteriologische Ausrichtung der Theologie ist — und niemand wird Iwand nachsagen können, daß sie für ihn nicht ganz ausschlaggebend und entscheidend ist — so ist sie nicht die einzige Ausrichtung. Theologie und Soteriologie sind nicht in der Weise identisch, daß eins das andere ablöst und ersetzt. Dafür steht dieser Satz: Gott ist Licht. Damit hat Iwand im Anlauf dieser Meditation einen Anstoß formuliert; einen Anstoß und Angriff auf den „Got154

tesbegriff unserer theologia naturalis", die — wie Hegel und Schelling das in ihrer Philosophie getan haben und was diese Philosophie so „hinreißend und bezaubernd" macht — immer darauf aus ist, „eine Dialektik zwischen Licht und Finsternis in Gott hineinzuverlegen". Von der Position dieses Satzes aus: Gott ist Licht erhebt Iwand Anstoß nehmende Einwände gegenüber dem natürlichen Gottesbegrifi, der nicht nur — wie er meint — aus der Dogmatik, sondern auch aus dem Bewußtsein der Gemeinden mühsam auszumerzen ist, das in seinem Gottesverständnis mehr von der aus unserm menschlichen Selbstbewußtsein heraus entworfenen Gottesidee etwa bei Spinoza, Goethe, Hegel und Rilke, die Iwand hier nennt, geprägt ist als von der Verkündigung dieses Satzes: Gott ist Licht. Der Prediger, der bei diesem Satz seine Position bezieht, wird darum — so folgert Iwand für die Homiletik — auch bei einem so unzugänglich erscheinenden Text „schwerlich über die Köpfe der Menschen hinwegreden; die Dialektik der Vernunft, die das Spiel von Licht und Finsternis bei Gott selbst anheben läßt, kennt jedermann und macht jedermann mit. Diese böse ,Dialektik' ist der Vernunft (zumal der deutschen!) eingeboren und darum müssen wir sie an diesem Satz: ,Gott ist Licht* zerschellen lassen, um uns an ihn deutungslos zu klammern. Mag es tausendmal anders scheinen, mag Finsternis das Erdreich bedecken und Dunkel die Völker, Gott hört nicht auf, Licht zu sein und von Finsternis ist keine Spur in ihm" (669). Damit hat Iwand den entscheidenden „Punkt" dieses Textes programmatisch herausgestellt. „Dieser Satz ist wieder e i n m a l . . . der Drehpunkt unserer theologischen Existenz, unseres Glaubens geworden." Dieser Satz „hat seine Konsequenzen" — Iwand entfaltet sie von diesem Punkt des Anlaufs aus in seiner Meditation — „aber er hat keine Voraussetzung. Er ist seine eigene Voraussetzung. Wie man nicht hinter das Wort zurückgehen kann auf einen wortlosen Gott (Joh 1,1), ein Unsagbares, auch nicht hinter Gott, um das Wort an sich, den Logos an sich zu fassen (was Hegel in der ,Logik' versuchte), so kann die Klarheit Gottes nur aus ihm selbst begriffen werden, aus dem Licht, in welchem er selbst sich uns zeigt und aus keinem anderen" (670). Wir haben dieses ausführliche Zitat hier unverkürzt gebracht, weil es uns besonders instruktiv deutlich macht, wie Iwand auf immer neuen Linien auf den Punkt dieses Satzes zurückkommt, und wie er ihn als Einheitspunkt aus dem Text und Schriftganzen sowie in dogmatischhomiletischer Besinnung begründet und eben nicht als „Thema" von außen an den Text heranträgt. — Zum Abschluß des Anlaufs dieser Predigtmeditation kommt Iwand auf den Botschaftscharakter dieses Satzes zu sprechen, „der das theologische Axiom der Offenbarung Gottes ist", und damit auf seine Affinität zu Verkündigung und Predigt. Er stellt heraus und gibt als homiletische Grundeinsicht folgendes zu beden155

ken: Dem Inhalt dieses Satzes „Gott ist Licht" entspricht eine bestimmte Form. Er ist in die Form der Verkündigung gefaßt, „aus der er nicht herausgebrochen werden darf. Allen Verwandlungen ursprünglich theologischer Aussagen in philosophische geht ein solches Herausbrechen des Glaubenssatzes aus der ihm gemäßen Form voraus. Man meint, man verwandle nur die Form, aber in Wahrheit zerstört man den Inhalt" (ebd) 45 . Niemand wird heute das Bemühen und Ringen um neue Formen — etwa auch der Verkündigung — in Frage stellen oder gar bestreiten können und wohl auch nicht ernsthaft bestreiten wollen. Genauso ernsthaft muß aber m. E. bei allen Wegen, die wir auf der Suche nach neuen Formen beschreiten, das bedacht und verantwortet werden, was Iwand am Schluß des Anlaufs dieser Predigtmeditation ausführt und was eine unverrückbare Leitlinie legitimer biblisch-reformatorischer Predigt in der Gegenwart kennzeichnet. Zu den sprachlich und inhaltlich gefülltesten und erhabensten Texten des Neuen Testaments gehört der Prolog zum Johannesevangelium Joh 1,1—18. Die Verse 1—14 sind Perikope f ü r die Predigt am ersten Weihnachtsfeiertag. Die Meditation, die Iwand dieser Stelle widmet (425 ff.), zeigt in ihrem Anlauf, wie er bis in die sprachliche Gestaltung hinein versucht, den Aussagen des Schriftzeugnisses möglichst kongenial zu werden. Er lagert die Gedanken seiner Auslegung um den Punkt, den Vers 14 bezeichnet: jenes ho logos sarx egeneto. So schwierig es ist, aus dem Ganzen dieses Anlaufs in seiner Geschlossenheit Einzelheiten herauszugreifen, wollen wir einige Linien nachzuzeichnen versuchen, mit denen Iwand immer wieder von neuem auf diesen entscheidenden Punkt zustrebt. Er setzt mit der Feststellung ein: „daß es hier um die Mitte unseres Glaubens geht, daß hier der Punkt getroffen ist, mit dem das Christentum steht und fällt." Es geht darum, „diese Mitte zu treffen", die da, wo es uns gelingt, sie zu treffen, zugegebenermaßen „die wiedergefundene, die wiederentdeckte Mitte ist". Wir gelangen aus der Mitte an die Peripherie — meint Iwand — wenn wir „gerade diesen Prolog als ,metaphysischen', spekulativen', vielleicht auch gnostischen Uberbau über dem rein historischen Faktum des Lebens Jesu" ansehen. Und darum geht es hier um den „kritischen Punkt", bei dem das Ganze zur Entscheidung steht: „Wir müssen diesen Punkt als die Mitte unseres Glaubens, unseres Lebens wiederfinden — oder das, was wir Christentum nennen, wird zu ,Weltanschauung' umgebildet, wird ein Raub idealistischer oder antiidealistischer, unsichtbarer oder sichtbarer Gewalten, die dann mit ihm ihr Spiel treiben. Denn an diesem einen Satze (1,14) hängt es, daß Gott Gott ist, daß Gott frei ist, daß und was er ist; daß er unser 45 Zum Verhältnis zwischen Inhalt und Form s. o. S. 125 ff., bes. das Votum von Heinrich Boll, S. 126.

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Gott ist." Auch hier ist für Iwand das reformatorische Deum Deum esse die entscheidende Leitlinie für Schriftauslegung und Verkündigung. Es geht hier um das Zeugnis von der „Realität der Wirklichkeit Gottes" gegenüber dem erdachten Gott. Damit ist — wie im Anlauf der Meditation zu l j o h 1,5—10 — der entscheidende Anstoß und Angriff formuliert, die Negation von dem Punkt aus, der die Position ausmacht: Der Bruch „mit der Vorstellung eines dunklen, eines stummen, eines ontisch ,seienden' und zwar eben für sich seienden Gottes. . . . Der Gott, der sich offenbart hat in Jesus Christus, ist nicht das einsame, unzugängliche, absolute Sein, unser Gott ist in Ewigkeit so eins mit seinem Sohne, wie er es in der Zeit und vor unser aller Augen ist" (426). Diese Einheit zwischen Gott und dem Sohn: dem fleischgewordenen Wort ist der Punkt, hinter den es schlechterdings kein Zurück gibt: „Wo das Wort Gottes ist, da ist Gott, wo Gott ist, da ist sein Wort." Die Absage an den wortlosen Gott, den die Philosophen als Grenzbegriff denken, trifft zugleich den „modernen Atheismus" und den „historischen Relativismus", die im Urteil Iwands beide lediglich „das Fazit" ziehen, „das sich aus diesem Irrwege ergeben mußte", Gott und sein Wort voneinander zu trennen, die Einheit zwischen Gott und seinem Wort aufzulösen. „Aber wir Christen sollten wissen, daß es diesen ,Gott an sich' nicht gibt und nicht geben kann. Sondern es gibt nur den Gott, der eins ist mit seinem W o r t . . . " Damit greift Iwand eine neue Linie auf, die auf diesen Punkt der Einheit Gottes mit seinem Wort zuläuft: das reformatorische sola gratia. „Der Prolog ist nicht abgestimmt auf den Doppelton ,Natur und Gnade', .Vernunft und Offenbarung', sondern auf Gnade allein . . . " Die menschliche Vernunft „muß schon ihren ,Gott* fahren lassen, um wirklich Gott zu gewinnen. Der gedachte Menschengott, der Gott der theoretischen wie auch der der praktischen Vernunft, der ontologische wie der ethische, sie können nidit Mensch werden, ohne aufzuhören, Gott zu sein. Der wirkliche, lebendige Gott, den der Prolog bezeugt, wird Mensch und bleibt doch, der er ist, ja, er ist jetzt erst ganz und gar unser Gott, der unser Fleisch und Blut an sich genommen hat" (426 f.). Damit ist dieses Wort, das der johanneische Prolog bezeugt und von dem Luther sagt: verbum significat filium Dei, das Konkretissimum des pro me. Denn — so faßt Iwand die Linien und Gedankenkreise des Anlaufs dieser Meditation zusammen: gleichsam wie in einem Brennpunkt, der die Strahlen sammelt und die Aussagen auf die Position konzentriert, die die Predigt einnimmt — „hier löst die Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes, mit seiner Menschwerdung in Jesus Christus, die Vorstellungen ab und auf, die wir uns von ihm machen. Die Offenbarung löst die Vorstellungen, die wir uns von Gott machen, auf, wie die aufgehende Sonne den Nebel. Der lebendige G o t t . . . erscheint genau an der Stelle, 157

wo die Spötter sagen: es ist kein Gott." Mit dieser Erscheinung fällt Licht in die „Nacht unseres Irrtums", in dem wir uns sagen oder sagen lassen: „Gott ist tot!" Diesen Irrtum tut Iwand nicht leichtzüngig ab. Und die Position dieses Punktes der Einheit von Gott und Wort tut die Anstrengungen und das Denken, das ein „atheistischer Glaube" versucht, nicht als irgendwelche Belanglosigkeiten ab, die die Offenbarung wie von selbst überrollt. Die Kunde vom menschgewordenen Wort Gottes nimmt den Menschen gerade audi in seinem Irrtum und in seiner Irrtumsfähigkeit, in seinem Scheitern ernst. So ist der „moderne Atheismus", auf den Iwand auch im Anlauf dieser Meditation am Beispiel Nietzsches eingeht und den Literaten wie Albert Camus respekterheischend nobel vertreten, Gesprächspartner, der überzeugt und damit überwunden werden will; er ist nicht Gegner, den es zu erledigen gilt. Die Position der Verkündigung am Punkt der Einheit von Gott und Wort ermöglicht Aussagen und artikuliert sich nicht in Polemik. Diese Aussagen zeigt Iwand in einer Meditation, die in dieser Position ihren Anlauf nimmt. Die Botschaft, die in der Position der Einheit von Gott und Wort — analog der Einheit von Gesetz und Evangelium — den Punkt hat, an dem sie verankert ist, besagt nicht, „daß die Gottesidee in einer geschichtlichen Person konkrete Gestalt gewinnt, sondern sie besagt, daß an die Stelle des gedachten und darum lediglich geistigen und darum wieder nomistischen Gottes — der wirkliche, lebendige, gnadenreiche Gott in Person getreten ist, Jesus Christus, das im Menschen Jesus offenbarte Wort (427). Im Anlauf und in der Durchführung seiner Meditation stellt Iwand heraus und zeigt von verschiedenen Aspekten aus, wie die Predigt den Ton aufgreift und weiterträgt, der an dem Punkt der Einheit von Gott und seinem Wort angeschlagen ist. Die Dynamik dieser Einheit in ihrer dialektischen Komplementarität umschreibt er mit der reformatorischen Formel von Gesetz und Evangelium. Er versucht, sie in ihrem Gehalt wie in ihrer grundlegenden Bedeutung für die Verkündigung unter dieser Formel immer wieder neu zu fassen — nicht einzufassen. Eine solche Predigt ist in höchstem Maße kommunikatives Geschehen. Sie ist Kommunikation in sich selbst, und darum ist sie auch in der Lage, über sich: über den Akt der Predigt hinaus Kommunikation zu motivieren und zu ermöglichen. Der Zusammenhang von Inkarnation und Kommunikation bedeutet in dieser Meditation wie in den Predigtmeditationen Iwands überhaupt ein wesentliches Moment der Predigtarbeit und des Predigtvollzugs. In der von der Inkarnation her qualifizierten Predigt und durch sie vollzieht sich Begegnung und Gemeinschaft zwischen dem wirklichen Gott und dem wirklichen Menschen. Predigt in diesem Sinne bedeutet Position gegenüber allen Fiktionen, die wir uns von Gott und uns selbst machen. Sowohl das Gottesbild als auch das Menschenbild: 158

die Theologie und die Anthropologie sind hier in einen Zusammenhang gestellt, der Irrtum zerstört und Wirklichkeit evident macht: Wirklichkeit Gottes und Wirklichkeit des Menschen. Wie diese Wirklichkeit, die mit der Inkarnation Gestalt angenommen hat, inhaltlich gefüllt ist, macht Iwand u. a. in seiner Predigtmeditation zu Mt 9,1—8 deutlich, deren Anlauf auch von einem sachlichen Einheitspunkt aus entworfen ist (463 ff.). „Wer Jesus ist und was sein Wirken auf Erden bedeutet hat", ist die Mitte dieses Textes. Und dieses Wirken Jesu konzentriert sich auf diesen einen Punkt der Vergebung der Sünden auf Erden. Sie ist die res promissa, die in Jesus Wirklichkeit geworden ist. Sie ist — um auf den Ausdruck von Siegfried Lenz, von dem wir ausgegangen sind 46 , hier auch am Schluß der Überlegungen zu den Anläufen zurückzukommen und zu zeigen, wie sich der Gedankenkreis damit schließt — sie ist „der Ausgang aus der biographischen Not", den die Predigt zeigt, die diese Meditationen ermöglichen möchten. Wie sehr gerade das eine Hauptintention der Predigtmeditationen Iwands ist, wird an folgenden programmatischen Sätzen deutlich: „So ist die Vergebung allein die Norm alles rechten Schriftgebrauchs . . . Man sollte . . . sehen, daß hier allein der wahre Glaube und das echte Ärgernis entsteht und daß wir in diesem Wort von der Vergebung das Panier haben, an dem die wahre von der falschen Kirche geschieden wird" (468). Die res promissa der Sündenvergebung hat in der Inkarnation, in der Einheit Gottes mit seinem Wort, ihren Realitätsgehalt. Von daher wird die Leidenschaft und Intensität verständlich, mit der Iwand in ganz bewußter Nähe zu Luther und in strenger Bezogenheit auf Luthers theologische Grundentscheidungen ständig die Inkarnation als 'Wirklichkeitsgrund der Absolution bedenkt — zumal in ihrer Bedeutung für die Predigt: „Damit ist der Punkt angegeben, auf den wir in der Verkündigung hinstreben sollten" (427). — Zwei Lutherzitate, auf die sich Iwand für diesen Zusammenhang von Inkarnation und Absolution, von Inkarnation und theologia crucis, in den beiden Predigtmeditationen zu Joh 1 und Mt 9 bezieht, kennzeichnen diesen Punkt besonders deutlich, und deshalb sollen sie auch am Schluß unserer Überlegungen zusammenfassend stehen: „Nein geselle, wo du mir Gott hinsetzest, da mustu mir die menscheit mit hin setzen, Sie lassen sich nicht sondern und von einander trennen, Es ist eine person worden, und scheidet die menscheit nicht so von sich, wie meister Hans seinen rock auszeucht und von sich legt, wenn er schlaffen gehet" 47 . Und: „Darumb last uns auff der ban zum reych Christi bleyben, nicht mit wercken, gesetzen treyben odder zwingen umbgehen, alleyn mit dem wort des Evangelii, die das 48

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S. o. S. 127. Clemen III, 397.

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gewissen getrost machen: Bis frolich, sey getrost, deyne sunden sind dyr vergeben." 48 Mit dieser Ortung der Inkarnation Jesu Christi in Iwands Bemühen um die Predigt, wie sie in den Anläufen seiner Textbearbeitungen deutlich geworden ist, zeichnet sich zugleich der Punkt ab, den wir ansteuern, um von dort aus das Ganze unserer Überlegungen zu Iwands Predigtmeditationen abschließend zu überblicken und den Ertrag dieser Untersuchung zusammenzufassen. Der Ring unserer Versuche in den einzelnen Abschnitten dieser Arbeit, Durchblicke durch die Strukturen von Iwands Predigtmeditationen an wichtigen Stellen zu gewinnen und den Ertrag dieser Auslegungen der Predigt der Gegenwart als Leitlinien und Orientierungshilfe zugänglich zu machen, schließt sich zu der Überlegung nach dem Stellenwert der Inkarnation in den Meditationen Iwands und den Konsequenzen, die sich daraus für die Predigt ergeben. Wir versuchen in einem letzten Abschnitt über die Linien, die in den Anläufen bereits sichtbar geworden sind, hinaus, diesen Stellenwert anhand von Predigtmeditationen zu Weihnachtstexten weiter zu erheben und die Bedeutung der in ihren hauptsächlichen Konturen bereits sichtbar gewordenen systematisch-theologischen Leitlinie: promissio — inkarnatio — theologia crucis — für eine homiletische Theorie aufzuzeigen.

48

160

Luther, WA 15, 702, 26. Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 469.

VII. Kapitel Der Stellenwert der Inkarnation als homiletischer Richtpunkt 1. Theologiegeschichtliche

Zusammenhänge

Wenn wir den Stellenwert der Inkarnation Jesu Christi bei Iwand unter homiletischem Blickwinkel bedenken und einige wichtige Gesichtspunkte hervorheben, geht es zunächst darum, den theologiegeschichtlichen Horizont dieses Fragenkreises auszuleuchten. Daß Iwand der Inkarnation ein spezifisches Gewicht gibt, wie es innerhalb der evangelischen Theologie neueren Datums auffällig ist, hat seine Ursache audi in theologiegeschichtlichen Zusammenhängen. Die Begründung eines Tatbestandes bei ihm ist auch an diesem Punkt nicht momentan sondern weiträumig zu bemessen — unbeschadet aller Spontaneität, die bei Iwand kaum irgendwo fehlt. Iwands Auffassung des biblischen Textes und demzufolge auch der Predigt als Verheißungswort stellt an einem wesentlichen Punkt die Kontinuität der Verkündigung der Gegenwart mit der biblisch-reformatorischen Theologie her und dar. Iwands Interesse und Bemühen richtet sich vorrangig darauf, der Predigt ihren biblisch-reformatorischen Wurzelboden und damit audi ihre situationsbezogene Relevanz zurückzugeben. Darin liegt eine starke Motivation, Wort als promissio zu verstehen und dieses Wortverständnis auf die homiletische Aufgabe hin zu entfalten. Promissio aber hat einen Inhalt und ist „nicht zu verstehen als ein leerer Nominalismus, dem kein Realismus entspräche" (539). Realismus der promissio aber heißt für Iwand nichts anderes als Inkarnation. Denn Realismus der Verheißung ist etwas Bestimmtes und nicht etwas Ambivalentes. Das „Ja der erfüllten Verheißung" ist „in der Menschwerdung Gottes" zu vernehmen (372). Und dieses J a ist „Gottes einfaches und eindeutiges J a " — ohne jede Dialektik, die Hegel in dieses Ja-Wort hineinverlegt (371). Damit ist ein zweiter Punkt auf der theologiegeschichtlichen Linie, die Iwands Einordnung der Inkarnation umreißt, markiert: sein Gespräch mit dem Idealismus. In einer Bearbeitung der Perikope l j o h 4,1—8 in den Göttinger Predigtmeditationen weist Günther Bornkamm — einer der langjährigen Mitherausgeber dieses Werkes und mit Iwand durch 161 11

Gandras, Predigt

bewährte Freundschaft und Zusammenarbeit eng verbunden — auf die Meditation Iwands zum gleichen Text hin mit der nicht nur für diese Meditation zutreffenden Bemerkung: „Als Vergegenwärtigung der Sache unseres Textes, zugleich als Vermächtnis der eigenen Theologie H . Iwands, hat sie nicht ihresgleichen."1 Und zwar deshalb, weil er darin besonders eindrücklich entfaltet, daß die Inkarnation den „platonischen Riß" zwischen Sein und Bewußtsein, Geist und Wirklichkeit, Idee und Erscheinung — oder wie immer man diesen Hiatus formuliert, der im Idealismus mit seinen weitreichenden Folgen für die Theologie aufgebrochen ist — schließt und überwindet. Bei der Inkarnation geht es Iwand um „den kritischen Punkt", um das Schibboleth, mit dem die Entscheidung fällt zwischen Christusbotschaft und allen Spielarten gnostischer oder doketischer Christusideen; es geht um die Entscheidung zwischen dem wirklichen, dem ins Fleisch gekommenen Christus und einer von ihm losgelösten Christusidee. Damit ist für Iwand die Inkarnation der Einheitspunkt der Identität, der Konvenienz von Idee und Wirklichkeit. Bei der Inkarnation bezieht er unverrückbar seine Position in seinem Beitrag zum Gespräch mit dem Idealismus — „jener Epoche . . . , die für unser Schicksal so bedeutsam geworden i s t . . . Hier dürfte der Punkt liegen, den wir heute zu korrigieren haben werden . . D e n n gerade die Verkündigung der christlichen Gemeinde — so meint Iwand — „dürfte nicht mehr mittun bei der fatalen Gegenüberstellung von Idealismus und Materialismus, als ob es so sicher und ausgemacht wäre, daß Gott dabei auf der Seite des Idealismus und der idealistischen Ansicht von Menschen zu suchen sei" (137). Das Bekenntnis zu dem im Fleisch gekommenen Jesus Christus (1 Joh 4,2) richtet sich gegen alle Versuche, die Christusbotschaft in eine idealistische Weltanschauung umzumünzen und aus ihr eine „Welterlösungsspekulation" (141) zu machen. Es verwehrt Theologie und Verkündigung, in irgendeiner Weise spekulativ zu verfahren und verpflichtet den Glauben zum Denken, auch zum Bedenken seiner Weltsituation. An dieser Position Iwands, die er bei der Inkarnation Jesu Christi als Abgrenzung gegenüber dem Idealismus bezieht, wird eine weitere theologiegeschichtliche Komponente deutlich, die für die Einordnung und Beurteilung des Stellenwertes der Inkarnation in der Gesamtheit seiner Theologie wichtig ist. Es handelt sich um das theologische Profil und Niveau von Iwands maßgeblichem Beitrag zum Kampf der Bekennenden Kirche gegen die Ideologie und Weltanschauung des Nationalsozialismus. In seiner Meditation zu Joh 1,9—13 (48 ff.) bringt er diesen theologiegeschichtlichen "Zusammenhang mit der theologischen Frontstellung der Bekennenden Kirche ausdrücklich zur Sprache. Er gibt zu bedenken, 1

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GPM 14, 1960, S. 300.

„daß ein bezeichnender Zug beim Mächtigwerden antichristlichen Geistes darin liegt, die Christusidee von dem Davidssohn zu lösen. Dann kann ihr jeder andere ,Name' substituiert w e r d e n . . d a n n können ganz andere Ereignisse, Mächte und Gestalten als die Krippe von Bethlehem und das Kreuz von Golgatha im Glanz der Offenbarung .verklärt' werden" (49). Dagegen setzt der johanneische Prolog unmißverständlich die entscheidende Antithese, indem er über die ganze Geschichte des Christus den programmatischen Satz stellt: verbum caro factum est. Es handelt sich dabei um „das Bekenntnis wider den doketischen Mythos". Und „es war gewiß gut und richtig, daß die Kirche hier, an diesem Punkte, bei dieser unauflöslichen und indiskutablen Bindung des Wortes Gottes an Jesus, den Kampf aufnahm. Läßt sie sich davon abtreiben, ist sie verloren" (49). „Das Leiden und das Zeugnis der Christenheit" im Kampf der Bekennenden Kirche hat nach Iwands Überzeugung „dem Geschehen der Heiligen Nacht insonderheit gegolten" (ebd.). „Der Hauptstoß des Feindes" richtete sich gegen die Inkarnation — „sehr im Unterschied zur Reformationszeit", in deren theologischem Ringen und Kämpfen der Akzent mehr auf der theologia crucis gegenüber der theologia gloriae liegt (ebd.). Diese theologiegeschichtlidien Zusammenhänge und Hintergründe gilt es zunächst zu sehen, wenn man die Bedeutung der Inkarnation Jesu Christi in Iwands theologischem Gesamtwerk, besonders aber in seinem Bemühen um die Verkündigung angemessen zu beurteilen und zu würdigen unternimmt. 2. Qualifikation

der

Offenbarung

Inkarnation ist aber bei Iwand keineswegs nur ein theologiegeschichtliches Phänomen, vielmehr macht die theologiegeschichtliche Dimension auch hier den Inhalt transparent. Inkarnation besagt nämlich für Iwand vor allem und erstrangig eine bestimmte Qualifikation der Offenbarung. Sie bedeutet eine Zuordnung von Offenbarung und Geschichte und ein Ernstnehmen wie theologisches Verantworten der Kategorie der Geschichtlichkeit, die für Iwand nirgends Nebensache ist, die vielmehr den „Erdgeruch" und Weltbezug seiner Theologie und Verkündigung ausmacht. Auch bei dieser Zuordnung von Offenbarung und Geschichte, Glaube und Welt übernimmt seine Zuordnung von Gesetz und Evangelium die hermeneutische Leitfunktion. Sie ist auch an diesem Punkt durchdringendes Element der Denkstruktur. Denn weder wird Offenbarung als Geschichte gedacht2 noch umgekehrt: Geschichte als Offenbarung. Sondern die Position Iwands bezeichnet der schmale Grad des in2 W. Pannenberg (Hrsg.), Offenbarung als Gesdiidite. KuD, Beih. 1, Göttingen 1961.

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carnatus est im Sinne des verbum caro factum est. Die erste These der theologischen Erklärung von Barmen formuliert diese Position für ihn in geradezu klassischer Weise: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. — Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen."3 Es geht Iwand um die Einheit der Offenbarung mit der Geschichte Jesu von Nazareth, nicht mit irgendwelchen geschichtlichen Ereignissen, die von dieser Geschichte Jesu absehen und die Offenbarung Gottes „von der Geschichte des menschgewordenen und für uns gekreuzigten Christus" abtrennen (49). Diese Abtrennung wertet Iwand als einen verbreiteten Tatbestand; er „verdirbt und schwächt noch so weitgehend unsere Verkündigung, daß wir wohl Grund hätten, das Weihnachtsevangelium einmal mit neuen (erleuchteten!) Augen zu lesen und zu begreifen, daß hier die Entscheidung über unseren ganzen Glauben und über den Sinn einer echten Umkehr und Erneuerung fällt" (ebd.). Was Iwand zum Topos der Inkarnation entfaltet und in seinen Predigtmeditationen vor allem zu Weihnachtstexten ausführt, hat darum von vornherein die Intention, diese Schwäche der Verkündigung zu beheben, ihr wenigstens soweit es ihm gelingt abzuhelfen und damit echte Umkehr und Erneuerung zu ermöglichen. So wird auch an dieser Stelle wieder der Spannungsbogen der für Iwand so kennzeichnenden Einheit deutlich zwischen exegetisch und systematisch orientierter Textauslegung und ihren Konsequenzen zur Erneuerung der Praxis in Kirche und Gesellschaft4. Inkarnation erweist sich als Ansatzpunkt einer für die Praxis relevanten homiletischen Theorie. Von diesem Ansatz aus „wird bereits entschieden, was Karfreitag und Ostern verkündigt wird" (49). Weil es sich so verhält: weil die Inkarnation mit der promissio in die Vergangenheit und mit Kreuz und Auferstehung in die Zukunft ihre Geschichte hat und weder als von dieser Ganzheit der Offenbarung isolierter Akt noch als konturenlose Permanenz in der Geschichte zu verstehen ist — „darum ist die Epiphanie Gottes in Jesus Christus nicht ein ,Fall', eine Möglichkeit' unter vielen anderen, sondern die Offenbarung Gottes hat damit einen Ort, eine Stätte und einen Namen bekommen, in dem sie voll und ganz beschlossen ist" (ebd.). 3 Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen, hrsg. v. Wilh. Niesei, 3. Aufl., Zürich o. J., S. 335. Vgl. Iwand, Pred.-Med., S. 429. 4 Vgl. auch o. S. 30 ff.: Engagement für die handelnde Kirche: Neuordnung als Umkehr. Und S. 45 ff.: Dialog zwischen exegetisch und systematisch orientierter Predigtarbeit.

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Die Einheit von Gottes Offenbarung und der Erscheinung Jesu auf Erden, von Gottes Wesen und seinem Reden in dem Sohn ist der wesentliche Gehalt von Iwands Auslegung der beiden maßgeblichen Texte zur Inkarnation in Hebr 1,1—6 und Joh 1,1—14 (115 ff. u. 425 ff.). In den Predigtmeditationen zu diesen Perikopen laufen die Linien seines theologischen Bemühens um ein angemessenes Erfassen der Inkarnation Jesu Christi in ihrer grundlegenden Bedeutung für die Verkündigung brennpunktartig zusammen. Der Johannesprolog hebt „Gott als das Subjekt der Geschichte des Menschen Jesus, seines Daseins auf Erden" heraus und zwar im Sinne einer „von Gott her wesensgemäßen Konvenienz" (425,1). Die Menschwerdung Gottes in Jesus, die Fleischwerdung seines Wortes gilt Iwand „als Inbegriff der Geschichte Gottes mit uns" ( N W I, 233). Die Inkarnation „prägt" den Sohn und ist nicht nur eine „Durchgangsstufe des Gottessohnes" auf Erden ( N W I, 257). Iwand weist daher der Theologie und der durch sie begleiteten und verantworteten Verkündigung die primäre Aufgabe zu, „immer wieder nachdenkend zu erfassen, was es heißt, daß Gott Mensch geworden ist" ( N W I, 256). An diesem Punkt geht es um die Mitte und zugleich um das Ganze der christlichen Botschaft. Und es kommt Iwand entscheidend darauf an, daß sich Verkündigung und Theologie der Kirche auf diesen Punkt hin bewegen, daß dieser Punkt in Theologie und Verkündigung Mitte wird und bleibt und nicht ein peripheres Dasein hat. Zu den bedeutendsten Schritten der Erfassung dieses Punktes der Inkarnation zählt er in der Meditation zum Johannesprolog die christologischen Arbeiten von Emil Brunner, Heinrich Vogel und Karl Barth. Er sieht darin eine Bewegung, die „dadurch charakterisiert ist, daß sie diesem Punkt zustrebt. Es geht um den einen Satz: ,Das Wort ward Fleisch'" (427). Auch Rudolf Bultmanns „großer und bedeutsamer Kommentar" zum Johannesevangelium gehört „zentral" hinein „in das theologische Bemühen um die Erfassung der Offenbarung Gottes in der Menschwerdung, um das Ineinander von Offenbarung und Geschichte" (428). Freilich wird man an Bultmanns Satz: „als der Fleischgewordene und nur als dieser ist jetzt der Logos da" 5 mit Iwand die m. E. berechtigte Rückfrage stellen, ob damit gewahrt ist, daß das Wort Subjekt auch der Fleischwerdung bleibt. Dabei bekommt die Auslegung von Joh 1 bei Karl Barth beachtenswertes Gewicht 6 . Sie läßt zwar das „Paradox" der Offenbarung in der Menschwerdung Gottes auffällig in den Hintergrund treten, hält aber entschieden daran fest, daß beim Fleischwerden des Wortes das Wort selbst Subjekt ist. D a ß ihm bei der Menschwerdung nicht etwas widerfährt, sondern daß das Wort das Geschehen der Menschwerdung regiert und daß es in diesem Geschehen handelt 7 . Diese beiden Pole wollen gewahrt und 5

R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, S. 40. 7 « K D 1/2, S. 145 ff. K D 1/2, S. 147.

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beachtet sein, wenn es um die Frage geht: Wie verkündigen wir diese Offenbarung Gottes in der Menschwerdung Jesu? Es geht einmal darum, daß die Menschwerdung reales Geschehen ist, das keinerlei Raum zur Spekulation läßt. Denn „wir können auf keine Weise zurück hinter das Geheimnis der Inkarnation" 8 . Andererseits aber geht es darum, daß Gott gerade auch bei seiner Offenbarung in der Weise der Menschwerdung der bleibt, der er ist. Das reformatorische Deum Deum esse wird durch die Inkarnation eben gerade nicht aufgehoben, sondern in der für uns faßbaren und einzig angemessenen Weise gewahrt. Dieses Deum Deum esse ist bei Iwand maßgebliches Kriterium für die Auslegung der Inkarnation. Es verwehrt uns, daß wir die Inkarnation Jesu Christi etwa im Sinne eines historischen Positivismus dahin mißverstehen, „daß man Jesus Christus als eine Größe für sich in eine aufweisbare Historie oder auch ein in sich geschlossenes Gefüge der Heilsgeschichte hineinzwingt" 9 . Es ist das Verdienst Iwands, mit seinen Predigtmeditationen, besonders mit denen zu Joh 1 und Hebr 1, die Inkarnation in diesem Sinne für die Verkündigung wesentlich erschlossen zu haben. Er wahrt das Deum Deum esse, ohne daß es zum brutum factum einer Heilsgeschichte erstarrt. Zugleich aber hat die Menschwerdung ganz und voll Realitätsgehalt, ohne daß sie in einen historischen Relativismus entartet. Zwischen historischem Positivismus und Relativismus liegt für Iwand der Punkt, an dem es gilt, den „Rubikon" zu überschreiten und Gottes Offenbarung als seine Menschwerdung in Jesus Christus immer wieder neu zu erfassen versuchen. Es kommt ihm darauf an, für die Verkündigung der Kirche den Tatbestand eindeutig bewußt zu machen, daß es beim „Gipfelanstieg" zum Erfassen der Inkarnation „um das Ganze der christlichen Botschaft geht, daß audi die Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung leer ist, wenn das Wort nicht Fleisch wurde und das Wort, das Fleisch wurde, nicht das Wort ist, das im Anfang war und das eben der Sohn Gottes selbst ist" (429). Es gilt, die Inkarnation, das fleischgewordene Wort, konsequent ernst zu nehmen als den Anfang und Einsatz von Theologie und Verkündigung. Predigt bedeutet „Rückgriff" auf den Anfang dieses in Jesus fleischgewordenen Wortes, das „in sich keinen Anfang hat und doch einen Anfang setzt" (329). Rückgriff „auf diesen von ihm selbst her gesetzten Anfang in der Z e i t . . . als auf das ,Ursprüngliche', dessen Erscheinung und Offenbarung ihren Grund nur in sich selbst hat" (ebd.). „Der stete Rückbezug" auf dieses Ursprüngliche „qualifiziert erst unser Reden als Verkündigung und macht sie dem Worte des Lebens dienst8 M. Mezger, Verkündigung heute, S. 22. Vgl. audi den hilfreichen Beitrag von Gerhard Krause: Weihnachtspredigten und homiletische Erwägungen zur Weihnachtspredigt heute, Tübingen 1973. » Günther Bornkamm in: GPM 14, 1960, S. 305.

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bar" (ebd.). Zur Verdeutlichung dessen, was mit diesem Rückgriff sachlich gemeint ist, dient ein Hinweis, den Iwand in seiner Predigtmeditation zur Weihnachtsperikope l j o h 1,1—4 (328 ff.) von Karl Barth aufnimmt: der Hinweis auf den Tatbestand, daß der Einsatzpunkt der christlichen Verkündigung bei dem Christus, der im Fleisch gekommen ist, untrennbar zusammenhängt mit der Botschaft, die Jesus als der gekreuzigte Auferstandene den Zeugen übermittelt und aufträgt, die ihn sehen, hören und betasten. Der Rückgriff unserer Verkündigung auf den in Jesu Menschwerdung des Wortes gemachten Anfang und gesetzten Ursprung kann nur erfolgen in Erinnerung an die Botschaft der Osterzeugen. Die Inkarnation ist im Zusammenhang mit der Auferstehung Jesu zu sehen. Sie ist damit allen Versuchen der Profanisierung und H i storisierung entzogen. So verstanden ist die Inkarnation die Antwort auf eine weichenstellende Frage, die sich gerade im Hinblick auf eine Verkündigung ergibt, die bei dem fleischgewordenen Wort ansetzt und einsetzt: „Wie aber vermögen wir so auf dieses ,Ursprüngliche' zurückzugreifen, daß es in dieser seiner Ursprünglichkeit, als das, was ,νοη Anfang war', erhalten bleibt? Werden wir es nicht allzuleicht zum Gegenstand der Tradition machen, das Unbedingte einreihen in die Reihe des Bedingten? Das Unerreichbare f ü r uns ,historisch' erreichbar machen?" (329). Denn gerade darauf weist Iwand im Zusammenhang seiner Auslegung der Inkarnation permanent hin, daß die Fleischwerdung des Wortes uns eben nicht dazu befugt und legitimiert, dieses Wort in unsere Verfügungsgewalt zu nehmen. Als Prediger den Rückgriff auf den Anfang und das Ursprüngliche zu vollziehen und im Vollzuge dieses Rückgriffs immer wieder neu zum Prediger zu werden, das bedeutet — Zeuge zu bleiben und sich nicht die Rolle des Sachwalters Gottes anzumaßen. „Darum muß vor Joh 1,14 von dem Zeugendienst die Rede sein. Aber Zeugendienst ist ein von sich weg-, ein über sich hinausweisender Dienst. Erst im Zeugendienst kommt die echte, die dem Wort und der Sache gemäße Objektivität zur Darstellung" (431) 10 . Gerade die Inkarnation verwehrt es uns, unsere menschlichen Zeugnisse: unsere Theologien und Traditionen, unsere Ideen und Systeme als den Anfang oder das U r sprüngliche zu deklarieren. Sie alle haben ein „Dahinter", sie können und müssen sogar hinterfragt und gegebenenfalls korrigiert werden, wenn wir sie nicht zu Ideologien pervertieren lassen. Das Wort aber, das in Jesus Christus Mensch geworden und uns erschienen ist, läßt sich nicht „dingfest" machen in einem „Prozeß endloser Fragen". Es hat kein D a hinter und kann es nicht haben, und „es müssen alle, die ,dahinter kommen wollen', die das Unbegründete ergründen möchten, ins Nichts stür10

S. o. S. 71 ff.: Zeugensdiaft als Sachlichkeit der Verkündigung.

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zen" (330). Hier wird an einem weiteren Punkte deutlich, daß die Inkarnation für Iwand im Zusammenhang mit der Ganzheit der Offenbarung zu sehen und von dieser Ganzheit nicht zu isolieren ist. Denn diese Unmöglichkeit des „Dahinter" bei der Inkarnation weist auf den Christus crucifixus. Auch Inkarnation und theologia crucis sind für Iwand eine untrennbare Einheit: Der incarnatus ist der crucifixus, und die Krippe bedeutet Antizipation des Kreuzes. Mit Termini der reformatorischen Theologie formuliert, deren Deum Deum esse eine entscheidende Leitlinie für Iwands Konzeption der Inkarnation bedeutet: Der incarnatus ist der Deus praesens, aber er bleibt in seiner praesentia der Deus absconditus. „Diese Epiphanie der Gnade Gottes faßt Krippe und Kreuz in ein Wort und damit auch in eine Sache zusammen: in die der praesentia Dei selbst" (472) 11 . Gegenüber diesem Anfang und Ursprünglichen, die mit der Inkarnation Jesu Christi gesetzt sind, bekommen Verkündigung und Glaube, Theologie und Tradition ihren bestimmten Standort: Inkarnation erinnert daran, daß sie „nur soweit echt sind, als sie immer das Zweite sind zu diesem Ersten, daß sie nichts sind, sofern sie in sich etwas Ursprüngliches' zu haben und zu sein meinen. Sie sind nur etwas, haben nur sofern ihren Gehalt, als sie von sich wegweisen, als sie ein ,trans' haben, das nicht in ihnen l i e g t . . . " (330). Das Wort des Lebens, das mitten unter uns erschienen ist, ist in ihm, und wir können es „nicht in uns inkarniert sehen" und es „nicht mit unserer Verkündigung identifizieren" (ebd.). Die Verkündigung, die bei der Inkarnation ihren Einsatz und Ausgangspunkt nimmt, erfährt einen starken Impuls durch die Freiheit des Wortes Gottes in sich selbst. Diese Freiheit motiviert die Freiheit des Predigers, nichts als Zeuge zu sein: von sich weg und auf den incarnatus hinzuweisen. In diesem Sinne ist Iwands These als homiletische Leitlinie zu verstehen: „Christliche Predigt, die der Offenbarung Raum gibt, steht immer unter dem Motto: Kommet und sehet!" (NW I, 280). „Die Wende in der Theologie", die mit diesem Verständnis der Inkarnation als der Anfang und Ursprung unserer Verkündigung und unseres Glaubens aufbricht, versucht Iwand in seinen Textbearbeitungen für die Predigt der Gegenwart fruchtbar zu machen. Es gilt, hier den Punkt zu erkennen und zu sehen, an dem die Predigt den Anstoß erfährt, eine neue Richtung einzuschlagen und „die alten, ausgefahrenen Gleise" zu verlassen (331). Es kommt darauf an, diese Erkenntnis der Inkarnation als die Stelle zu sehen, an der — mit dem Bild, das Iwand hier gebraucht (331), gesprochen — der Rubikon in eine neue Richtung unserer Verkündigung überschritten werden kann. Diese Richtung verläuft entgegen den Versuchen, unsere Verkündigung und unsere Traditionen mit dem 1 1 Vgl. audi Albrecht Peters, Luthers Christuszeugnis als Zusammenfassung der Christusbotschaft der Kirche, I. u. II. Teil. K u D 13, 1967, S. 1 ff. u. S. 73 ff.

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menschgewordenen Wort zu identifizieren, das verbum caro factum est in unmittelbarer Direktheit und Anschaulichkeit zu historisieren. Darin hat Iwand „größte Gefahren im Anzüge" gesehen (330). Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß in der Folge dieses Prozesses die Menschwerdung abstrahiert, und daß damit der Inhalt der Verkündigung bloße Ethik und also Gesetz ist. Die neue Richtung für die Predigt von Iwands Verständnis der Inkarnation her verläuft aber genauso entgegen allen Unternehmungen, die Menschwerdung in ihrem theologischen Sinn durch Flucht in die Mythologie zu wahren. Damit wird die Christologie doketisiert und ihr Realitätsgehalt: ihre Geschichtlichkeit und ihr Weltbezug zerstört. Denn dadurch entsteht ja wieder jener „platonische Riß", den Iwand gerade durch die Inkarnation geschlossen sieht. Die Überwindung des platonischen Risses zwischen Idee und Erscheinung in der Inkarnation ist darum nach Iwand richtungweisend für die Predigt. Darin gründet ihr Weltbezug. Den anderen Orientierungspunkt, der mit der Inkarnation Jesu Christi gesetzt ist, bezeichnet das Deus Deum esse. Damit sind historische Relativierung oder Anthropologisierung der Menschwerdung Jesu ausgeschlossen und der Inhalt der Verkündigung als Evangelium von der praesentia Dei unter uns, von der Nähe Gottes zu uns Menschen in dem Menschgewordenen gewährleistet. Die Predigt, die Iwands Verständnis der Inkarnation aufnimmt und ihm folgt, gewinnt damit in der gegenwärtigen Lage, in der sich Theologie und Kirche weithin befinden, die durch verhärtete Fronten, Polarisierungen und hochgespielte falsche Alternativen gekennzeichnet ist, eine große Chance und eine wichtige Aufgabe. Die Chance und Aufgabe, eine falsche Alternative zu transzendieren und zu überwinden, in deren Gefolge Frontstellung und Polarisierung an vielen Stellen geschieht: die Alternative zwischen sogenanntem „theozentrischem" und „anthropozentrischem" Reden und diesem Reden entsprechendem Handeln. Auch diese Alternative zählt zu dem platonischen Riß, liegt in dem Graben zwischen Gott und Mensch, der mit der Inkarnation Jesu Christi geschlossen ist. So begrüßenswert es auch ist, daß zum Beispiel Heinz Zahrnt jetzt gegenüber allem einseitigen und allzu monoton propagierten Anthropozentrismus zum Theozentrismus als Sache der Theologie ruft, so ist m. E. andererseits klar zu sehen, daß er sich damit innerhalb der Alternative bewegt, die durch die Inkarnation transzendiert ist. 12 . „Wo Christus im Zentrum steht, ist der Gegensatz von ,theozentrisch' und ,anthropozentrisch' hinfällig. Christus ist der Mittler, d. h. anthropo-,logische' und theo-,logische* Betrachtung seiner selbst sind die mit ihm selbst gegebenen zwei ,Standpunkte'" (NW I, 281). Es geht zwischen Gott und Mensch, Gott und Welt nicht um einen 12

H e i n z Zahrnt, Wozu ist das Christentum gut?, München 1972.

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Pendelschlag, der mal nach diesem, mal nach jenem Punkt extrem ausschlägt. Sondern es geht in der Inkarnation um die Nähe des wirklichen Gottes zum wirklichen Menschen in der wirklichen Welt — so, daß Gott Gott und der Mensch Mensch bleibt bzw. neu wird. Es geht um die Gemeinschaft des menschgewordenen Gottes mit dem Menschen, der damit dem Wahn der Selbstvergottung entnommen und zur Humanität befreit ist. Es geht bei der Inkarnation, bei der Menschwerdung Gottes in Jesus wesentlich auch um die Humanität des Menschen, um den Prozeß seiner Humanisierung, und zwar so, daß seine Humanität vor dem Umschlag in Bestialität bewahrt bleibt. „Die Humanität im Gegensatz zur Bestialität wird hier begründet" (52). Die Einheit von Gottes Offenbarung mit der „Geschichte des menschgewordenen und f ü r uns gekreuzigten Christus", die „unauflösliche und indiskutable Bindung des Wortes Gottes an Jesus" wie Iwand sie bei seiner Entfaltung dessen, was Inkarnation besagt, entwickelt, macht noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam, der f ü r die Ausrichtung der Verkündigung wichtig ist und dem in der gegenwärtigen Lage besonders hohe Bedeutung zukommt. Wenn die Offenbarung Gottes in Jesus Christus „nicht ein ,Fall', eine ,Möglichkeit' unter vielen anderen" ist (49) sondern wenn sie — wie Iwand betont — in ihm „voll und ganz beschlossen ist" (ebd.), wenn „Gottes Offenbarung und diese Erscheinung seines Sohnes auf Erden" nicht „zwei i r g e n d w i e . . . voneinander zu lösende Ereignisse" sondern „eins" sind (116), dann hat das Konsequenzen f ü r die Christologie und Anthropologie, die f ü r die Verkündigung maßgeblich sind. Wir werden „uns davor hüten müssen, die Christologie gänzlich in die Soteriologie aufzulösen" (49). Hier liegt die Achillesferse jeder theologia crucis, die von der Inkarnation abstrahiert und die den crucifixus vom incarnatus trennt. Dabei ist die Inkarnation initium theologiae crucis und die Menschwerdung die Antizipation des Kreuzes. Der Zusammenhang mit der Inkarnation gibt der Kreuzestheologie, dem in ihr beschlossenen „pro me" Realität, bewahrt sie vor doketisch-spekulativem Mißverständnis und schließt auch an dieser Stelle den „platonischen Riß" zwischen Idee und Erscheinung. „Das ,pro nobis' muß seinen realen, seinen vor Gott gültigen Sinn verlieren, wenn nicht mehr festgehalten wird, wer der ist, der für uns eintritt. Dennoch bleibt ja auch die Menschwerdung G o t t e s . . . gänzlich unter dem pro nobis beschlossen" (50). Aber wer der ist, der f ü r uns eintritt, bleibt ein wesentlicher Aspekt. D a ß dieser Aspekt klar herausgehoben ist und nicht nivelliert oder relativiert wird, auch das ist ein Charakteristikum von Iwands Verständnis der Inkarnation. Auf diesem Aspekt liegt ein wichtiger Akzent, freilich so, daß — paulinisch — die Inkarnation vom Kreuz her erfaßt, d. h. daß die Inkarnation nicht abstrahiert und isoliert von der theologia crucis gedacht und interpretiert wird. Diese Komplementarität 170

des Zusammendenkens von Inkarnation und theologia crucis, von theologia crucis und Inkarnation ist ein unverkennbares Proprium von Iwands theologischer Reflexion. Auch das markiert eine wesentliche Leitlinie seiner Schriftauslegung und Richtungweisung für die Verkündigung. „Das Kreuz bestimmt das ganze Leben Jesu. Was vom Kreuz gilt, gilt auch von der Inkarnation" (555). 13 Damit ist die Inkarnation geschützt vor dem Mißverständnis im Sinne der theologia naturalis, die den theologischen Gehalt der Inkarnation zerstört und sie zu einer philosophischen Kategorie ummünzt. Dem menschgewordenen Wort des Johannesprologs wird dabei ein philosophisches Wortverständnis substituiert. Andererseits ist durch diese Komplementarität zwischen Inkarnation und theologia crucis, zwischen Krippe und Kreuz die theologia crucis vor einem Mißverständnis geschützt, für das die evangelische Theologie und damit auch die Verkündigung besonders anfällig sind: die theologia crucis aus der Gesamtgeschichte ihres biblischen Christuszeugnisses zu lösen, sie von dem zu lösen, was auch für sie „Anfang" und „Ursprung" ist, und sie damit im Grunde zu einem protestantischen Prinzip zu fixieren. Das würde dann darauf hinauslaufen, daß auch die theologia crucis dabei nicht theologisch sondern ideologisch, nicht dynamisch-offen sondern dogmatistisch-abgeschlossen verstanden wird. Das komplementäre Bedenken von Inkarnation zusammen mit der theologia crucis bei Iwand hält sowohl die Inkarnation als auch die theologia crucis in dynamischer Offenheit und macht dadurch beide theologische Topoi hermeneutisch wie homiletisch fruchtbar. Auch an dieser Stelle begegnet uns also jene f ü r Iwands Denkstruktur und Arbeitsstil so kennzeichnende Dynamik, die motiviert ist durch die Komplementarität, in der er Gesetz und Evangelium sieht 14 . Die Inkarnation unter der Kategorie „Evangelium" zu erfassen, sie als Initium des pro me zu verstehen und dem pro me von der Inkarnation her Realität der Geschichtlichkeit zuzuerkennen, ist Iwands leitendes Interesse. Dieses Verständnis setzt aber voraus, daß gerade bei der Inkarnation das Deum Deum esse gewahrt bleibt, daß die Christologie gegenüber der Soteriologie ihr Proprium behält. Das Werk ist nicht ohne die Person, die Person nicht ohne das Werk. Es muß theologisch klar erkannt und gesagt und infolgedessen auch klar gepredigt werden können, wer der ist, der das pro me deckt 15 . Diesen f ü r Iwand wesentlichen 13

Vgl. dazu die ganze wichtige Meditation Iwands zu 2Kor 5,19—21 (547 ff.). S. o. S. 38 ff.: D i a l o g als Struktur theologischen Denkstils. 15 H i e r ist hinzuweisen auf den Zusammenhang zwischen Inkarnation und claritas scripturae. Vgl. dazu o. S. 85 ff., ferner: Ulrich Duchrow, D i e Klarheit der Schrift und die Vernunft. K u D 15, 1969, S. 1 ff. Duchrow behandelt in diesem A u f s a t z die claritas scripturae als „eine der wichtigsten Voraussetzungen reformatorischer Theologie" (S. 1) im K o n t e x t gegenwärtiger Fragestellung, bes. im Gespräch mit W. Pannenberg. 14

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Aspekt des Inkarnationsverständnisses unterstreicht er nachdrücklich in seiner Predigtmeditation zu Hebr 1,1—6 (115 if.). Diese Perikope zählt neben Joh 1 zu den „großen Texten" der Inkarnation. Die Hauptintention seiner Auslegung läßt Iwand bereits in dem Zitat aus der Predigt Luthers über Hebr 1 anklingen, das er seiner Predigtmeditation voranstellt: „Wilchem disze wortt nit sagen die gottheyt Christi, dem wirts niemant sagen." 16 „Das Geheimnis", das die Verkündigung dieses Textes zu wahren und weder zu umgehen noch zu zerstören hat, besteht darin, „daß einer, der Mensch war, zur Rechten Gottes sitzt" (115 f.). Das sacramentum incarnationis hat hier seinen Kontrapunkt im sacramentum exaltationis. Damit ist wieder ein Punkt erlangt, der die Inkarnation im Zusammenhang der Gesamtgeschichte Jesu Christi kennzeichnet. Es geht um den „artickel des glawbens, das Christus got sey und eyn herr aller dinge auch nach der menscheyt. Und (sc. wir) sehen das wunder, wie hell die schrifft an yhr selbs ist, und der geprech an unsz ist, das wyrsz nit s e h e n . . . denn die schrifft ist offen, unsere Augen sind nit gar offen"17. Damit weist Iwand der Verkündigung der Inkarnation ihren „methodischen Standpunkt" an, von dem es keinen Rückzug geben darf — es sei denn, „das Geheimnis der Offenbarung Gottes in der Geschichte" wird preisgegeben, „so daß es bald ein Raub der Historie, dann der allgemeinen Religionsgeschichte und schließlich des Mythos wurde" (116). Das alles sind für Iwand Erscheinungsformen desselben Schadens, so verschieden sie sich auch darstellen mögen. Der Schaden für die Verkündigung, der dadurch entsteht, daß wir diesen methodischen Standpunkt bei der Inkarnation verlassen, hat — so macht Iwand aufmerksam — weitere Folgen. Der Rückzug von dem methodischen Standpunkt bei der Inkarnation läßt sich nicht bei der Rechtfertigungslehre oder dem Auferstehungszeugnis korrigieren. Denn „was bleibt von der Rechtfertigung, was bleibt von der Ostertatsache übrig, wenn die Fleischwerdung des Wortes, wenn die Inkarnation nicht verkündet, gelehrt und Christus so nicht mehr angebetet und geglaubt wird!" (116). Die Christologie ist aus der Inkarnation zu begründen und abzuleiten, nicht erst aus der Rechtfertigung. „Sobald wir einen anderen ,Einsatz' suchen für die Geschichte des Jesus von Nazareth, für seine Geburt und Menschwerdung, für sein Sühneleiden und seine Erhöhung, als es der von der Schrift her gebotene ist, hört diese Geschichte auf, die Mitte aller Geschichte zu sein . . . " (116). Der Einsatz bei diesem „methodischen Standpunkt" verhindert es, „daß dies Ereignis (sc. der Inkarnation) unter alle anderen ,historischen' Ereignisse eingeebnet wird . . . " (ebd.). Zugleich hat er Konsequenzen für unsere Verkündigung. Er ermöglicht ihr klare Luther W A 10 I 1, 157, 17 zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 115. " Luther W A 10 I 1, 179, 12 ff. zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 116. S. auch o. Anm. 15. 16

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Begründung und Ausrichtung, Klarheit überhaupt. Denn die Inkarnation ist der Punkt, von dem her die Schrift ihre Klarheit hat, der claritas scripturae bezeichnet. Und die claritas scripturae ist die Voraussetzung jeder claritas praedicationis. Ohne sie fahren wir mit unserer Predigt im Nebel und bewegen uns geistig allenfalls in einem verschwommenen, richtungslosen Pluralismus, der niemandem nützt, weil er niemandem hilft, dessen Wahrheitsgehalt auch damit nicht wächst, daß man ihn monoton deklamiert und propagiert. Audi solche vermeintliche „pluralistische Offenheit" kann nämlich fixierte ideologische Starrheit sein, denn es gibt auch einen pluralistischen Dogmatismus, der alle Katzen grau sein läßt. Pluralismus hat nur dann etwas zu bedeuten und ist nur unter der Bedingung sinnvoll und hilfreich und bei der gegenwärtigen Situation wohl audi die am meisten angemessene, wenn nicht gar die einzig mögliche Haltung, daß er bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Eine wesentliche ist die, daß transparent ist und verifiziert wird, welcher Standpunkt bezogen wird, von dem aus anders motivierte Entscheidungen und Haltungen nicht nur toleriert sondern akzeptiert werden. Pluralismus ist sinnvollerweise nicht mit Standpunktlosigkeit zu identifizieren18. Der Einsatz bei der Inkarnation gibt der Verkündigung ihren Standpunkt und qualifiziert sie zugleich zum Dialog. Denn Inkarnation wie Iwand sie auslegt, bedeutet Offenheit der Offenbarung und der Verkündigung zur Welt hin19. Sie begründet den grundsätzlichen „Weltbezug des von ihm (dem Sohn) kundgemachten Wortes" (118). Das Wort, das Gott zu uns im Sohn spricht, ist Wort, das die Welt meint. Die Tatsache, daß Iwand der Verkündigung ihren methodischen Standpunkt und Einsatz bei der Inkarnation aufzeigt, bei dem: Gott redete zu uns in seinem Sohn — diese Tatsache macht die Intensität der Dialogfähigkeit der Verkündigung aus, die sich von diesem Richtpunkt leiten läßt. Je klarer der Standpunkt, umso weiträumiger die Möglichkeit des Dialogs. Je klarer die Menschwerdung Gottes in Jesus erfaßt ist, umso weitreichender sind die Konsequenzen für unser Menschsein. Darum meint Iwand, es klaffe in unserer Verkündigung „ein Mangel, ein gefährlicher Defekt", wo das verbum caro factum est nicht — wie in der römisch-katholischen Messe — „seinen zentralen Platz behauptet" (116); wobei mit diesem Hinweis auf die Messe der Tatbestand, nicht der Modus des Behauptens gemeint ist. Das Deus locutus est nobis in filio ist nicht nur im Text von Hebr 1 und nicht nur im grammatisdien sondern im logischen Sinne das einzige verbum finitum, das alles regiert. „Gott will hier vernommen sein als der so und in diesem Ereignis mit uns Redende" (116). Auch in seiner Predigtmeditation zu Hebr 1 macht Iwand den Zusammenhang 1 8 Vgl. das geistreiche und auch sprachlich ansprechende Buch von H a n s U r s von Balthasar, Die W a h r h e i t ist symphonisch. Aspekte des christlichen Pluralismus, 1 9 7 2 . 19

S. u. den 3. Abschn.: I n k a r n a t i o n und Weltbezug der Predigt.

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mit der Gesamtgeschichte Jesu deutlich, in dem dieses Reden Gottes im Sohn steht, und macht darauf aufmerksam, daß die Inkarnation nicht als isolierter Offenbarungsakt zu verengen ist. Zunächst hat „diese endgültige, die Mitte der Zeit setzende Offenbarung Gottes in seinem S o h n . . . ihre Vorgeschichte" (117). Die Väter des Alten Testaments sind audi unsere Väter. Iwand liegt entscheidend daran, den Zusammenhang der Christologie mit dem Alten Testament zu wahren, sie in den Verheißungen des Alten Testaments begründet und angelegt sein zu lassen20. Der Gott der promissio ist derselbe bei der incarnatio. Aber in der incarnatio wird die promissio „eindeutig, klar und hell. Hier fällt der Dissensus weg, der trotz aller Botmäßigkeit doch immer wieder zwischen dem, der da redet, und seinen Knechten vorhanden ist, der nicht wegzudenkende Dissensus von Sündhaftigkeit, Kreatürlichkeit und Vergänglichkeit zu dem Wort, das sie bringen. Hier, im Sohn, entspricht die Form der Sadie. Hier ist der Redende und der, durch den wir angesprochen werden .wesensgleich'" (117). Was unsere Verkündigung und unser Reden gegenüber diesem Reden Gottes in seinem Sohn stets das Zweite, das Abgeleitete, nie das Erste, das Ursprüngliche, den Anfang sein läßt, das ist die Tatsache, die Luther in die Formel faßt: „two person, eyn got" 21 . Iwand ist auch an dieser Stelle Theologe in der Schule Luthers, indem er sich bei seinem Verständnis der Inkarnation von Luthers Schriftauslegung maßgeblich leiten läßt. Entscheidend ist dabei, daß bei diesem Reden Gottes im Sohn „Subjekt und Prädikat im Worte Gottes gleich" sind (117). Hier ist der Punkt, an dem „das Prädikat: ,Gott r e d e t ' . . . ein Subjekt bekommt, das ihm ebenbürtig ist" (632). Dieser Tatbestand weist auf den Zusammenhang nach vorn hin, in dem Gottes Offenbarung in der Menschwerdung Jesu steht. Die eschatologische Dimension der Inkarnation wird sichtbar, das Bezogensein der Inkarnation auf die Eschatologie, das bei Luther zentrale Bedeutung hat, auf die Iwand mit dem folgenden Zitat hinweist: „auff disze weyse hatt er (Gott) tzuvor nie geredet, wirt auch nimmer der weysz r e d e n . . . darumb spricht er wol: zu letzt, denn da wirtt kein ander weysz tzu predigen kummen fur den jüngsten Tag. Es ist das letzte mal und die letzte weysze, sie sind schon hie, die Tage, darynn das letzte mal und die letzte weysze tzu reden ist angegangen." 22 Dieser Zusammenhang der Inkarnation mit der Eschatologie ist angesprochen und gemeint, wenn Hebr 1 Gottes Offenbarung im Reden durch den Sohn, wenn er das Deus locutus est nobis in filio als Gottes letztes, endgültiges Wort bezeichnet. „Gott hat hier sein letztes, sein abschließendes, ein für allemal gültiges Wort gesprochen" (116). Damit ist nicht aufgehoben, daß es auch ein Reden Gottes gibt, „das noch unter dem Zeichen des ,Noch nicht' 20 22

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S. o. S. 98 ff. Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 117.

21

Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 117.

steht" (117). Es gilt, Präsens und Futur der Epiphanie zugleich zu sehen; zu sehen, daß sie nicht nur innergeschichtlich sondern zugleich endgeschichtlich ist. „Gott aber bleibt der Gemeinde gegenüber immer der ,Kommende', auch und gerade in seinem Gekommen-Sein in Jesus Christus" (538). Der Gekommene ist und bleibt zugleich der Kommende 23 . Diese Spannung auflösen heißt, ein Fehlurteil über die Geschichte zu fällen. In der Sprache der klassischen Dogmatik formuliert besagt dieser Sachverhalt: Die Erlösung ist noch nicht die Vollendung. Der neue Himmel und die neue Erde „nach seiner Verheißung" stehen noch aus. Wir können sie weder organisieren noch herbeizwingen. Er ist der Vollender wie er der incarnatus ist. Aber „das Reden Gottes in seinem Sohn qualifiziert das Heute, den ,Augenblick' zu der Entscheidung, die damit in die Zeit gekommen ist" (117). Es weist unser Handeln und Verantworten in eine neue Richtung, es gibt unserm Menschsein die Motivation für eine Gestalt und Gestaltung, die dem Menschgewordenen als dem „neuen Menschen" gemäß ist und entspricht. Mit Bezug auf neutestamentliche Begriffe gesagt: es hat durch seine Menschwerdung die Chance bekommen, Leben in der Nachfolge des Menschgewordenen zu sein. Damit haben Menschsein und Geschichte die Ausrichtung auf einen Bezugspunkt erfahren, die nicht zu nivellieren und umzukehren ist. Der Zusammenhang zwischen Inkarnation und Eschatologie eröffnet auch einen Verstehenshorizont für Anthropologie und Geschichte, für alles, was unter dem Begriff „Welt" subsumiert werden kann. Gottes Reden in seinem Sohn ist nicht der Anfang sondern das Ende seiner Offenbarung. Das bedeutet für den Menschen und die Welt in ihrer Geschichte, daß sie nicht als „eine ins Grenzenlose, ins Unendliche sich steigernde Linie" (118) verstanden werden können, daß es infolgedessen nicht um eine Entwicklung und immanenten Fortschritt allein gehen kann. Sondern die Geschichte hat eine Mitte, „wo die Zeit still steht" und erfüllt ist (Gal. 4,4). Von dieser Mitte her und auf diese Mitte hin, die mit der Inkarnation, mit dem endgültigen Reden Gottes in dem Sohn gesetzt ist, gilt es, Menschsein und Geschichte zu gestalten. Im Dienst dieser Gestaltung und Neuausrichtung steht nach Iwand die Predigt, die bei der Inkarnation einsetzt und ihren methodischen Standpunkt bezieht, indem sie „das Reden Gottes in dem Sohn in seiner konstitutiven Bedeutung für alles, was Verkündigung und Offenbarung heißt" (117), versteht, bedenkt und 2 3 Vgl. auch hier Iwands Auslegung von Lk 12: Die Gegenwart des Kommenden. Bibl. Stud. 50, 1966. Ebenso: Roland de Pury, Die Gegenwart der Ewigkeit, München 1958. Dazu bes.: Weihnachten oder: die Gegenwart Gottes und die Kapitel über die Eschatologie, S. 39 ff. u. S. 97 ff. Der Zusammenhang von Inkarnation und Eschatologie verbietet es, die Gegenwart des Kommenden mit „Aktualismus" zu verwechseln, worauf Chr. Möller hinweist: Von der Predigt zum Text, S. 193.

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umzusetzen versucht. Damit stehen wir bei der abschließenden Frage dieses letzten Kapitels unserer Untersuchung: bei der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Inkarnation und Predigt, nach der „konstitutiven Bedeutung" des Ansatzes bei der Inkarnation Jesu Christi für die Predigt. 3. Inkarnation

und Weltbezug

der

Predigt

Iwands Verständnis der Inkarnation orientiert sich — wie wir gesehen haben — im wesentlichen an zwei Leitlinien. Neutestamentliche Grundtexte sind dabei vor allem der Johannesprolog und das Prooemium des Hebräerbriefes. Die Auslegung der Alten Kirche und Luthers erscheinen als maßgebliche Richtpunkte. Die eine Linie bezeichnet die Einheit von Inkarnation und Offenbarung. Damit ist das Deum Deum esse gewahrt, „im Gegensatz zu denen, die meinen, daß mit der Menschwerdung Christi Gott aufgehört habe . . . der Herr seiner Offenbarung zu sein" (120). Inkarnation steht in Zusammenhang mit der Pneumatologie (206), sie bedeutet aber kein Dinglichmachen der Pneumatologie. Indem sich Gott so gibt, daß nichts unentdeckt bleibt, „bleibt er durch die Herrschaft des Geistes der immer wieder neu sich gebende und der sich darum audi je und dann verschließende" (378). Der incarnatus, der sich zu erkennen gibt, ist nicht nur der Deus revektus sondern bleibt der Deus absconditus. „Der Geist, den Gott ,uns gibt' bleibt sein Geist" (ebd.). Hier liegt immer noch ein entscheidender Unterschied im Erfassen des verbum caro factum est zwischen der evangelischen und der römisch-katholischen Theologie und Verkündigung. Die zweite Leitlinie der Inkarnationsauffassung bei Iwand markiert den Zusammenhang der Inkarnation mit der Gesamtgeschichte des Menschgewordenen, mit der Offenbarung Gottes als Ganzheit. Promissio, theologia crucis und Eschatologie treten als beherrschende Punkte und Charakteristika dieses Zusammenhangs der Offenbarungsganzheit hervor. Insofern ist Christus „das eine Wort Gottes, das wir als das letzte und endgültige zu hören haben, im Gegensatz zu denen, die in der Erscheinung Christi nur den Anfang einer weiteren Entwicklung sehen" (120). Erkenntnisgrund dieses Gottes und damit Ansatzpunkt aller Rede und Predigt von ihm ist seine Menschwerdung, ohne daß er aufhört, der zu sein, der er ist. „Humanitas enim illa sancta scala est nostra, per quam ascendimus ad Deum cognoscendum" 24 — Was besagen und bedeuten diese Leitlinien, wie sie aus Iwands Auslegung der Inkarnation Jesu Christi hervortreten, für die Predigt — wobei Predigt nicht nur im engeren Sinne der Kanzelrede sondern im weiteren theolo24 Luther, Vorlesung zum Hebräerbrief, Schol. 2, 23. Zit. b. Iwand, Pred.-Med., S. 118.

176

gischer Kommunikation gemeint ist? Indem wir dieser Frage jetzt zusammenfassend nachgehen, ziehen wir einige Linien von den homiletischen Richtpunkten, die im Verlauf der Entfaltung von Iwands Inkarnationsverständnis bereits sichtbar geworden sind, weiter aus. Inkarnation synchronisiert das Wort der Predigt mit der Welt, an die sich die Botschaft der Verkündigung wendet, und zwar in dem Sinne, daß es Wort und Welt gleichzeitig macht25. Mit der Begründung der Predigt von der Inkarnation her ist der Weltbezug des Predigtwortes theologisch verifiziert und wird er nicht nur permanent deklamiert. Der Ansatz bei der Inkarnation gibt der Predigt die Ausrichtung auf einen Bezugspunkt, der „die ganze Menschheitsgeschichte so ernst, so wichtig und auch so hoffnungsvoll macht" (116). Die Fragen und Probleme des Menschen, der Welt, der Geschichte bekommen von der Inkarnation her für die Predigtarbeit eine Relevanz, die weder ein Ausweichen in weltlose noch eines in verweltlichte Rede erlaubt. Wort der Verkündigung ist Botschaft von der Nähe des Gottes zu uns Menschen, der in der Menschwerdung Jesu die Welt liebt (Joh 3,16). „Der Menschgewordene ist der Mittler der Rede Gottes an die Menschheit" (632). Es „liegt an diesem Sprecher", daß ich das Wort der Verkündigung als „ein mir dem Menschen . . . verwandtes, nahes, mir sozusagen a priori zugeeignetes Wort fassen kann" (ebd.). Diese Zueignung des Wortes a priori — das meint Inkarnation. Sie wird damit bei Iwand zum Leit- und Schlüsselbegriff theologischer Kommunikation. Eine homiletische Theorie, die die Inkarnation in ihrer „konstitutiven Bedeutung für alles, was Verkündigung und Offenbarung heißt" (117), ernst nimmt, wird „nicht wieder einem schwärmerischen Wahn von . . . der ,zeitgemäßen' Darstellung des Evangeliums" erliegen. Sie wird vielmehr ohne Hektik beharrlich daran arbeiten, den Zeit- und Weltbezug zu entdecken und zu entfalten, der dem Evangelium von der Menschwerdung Gottes in Jesus grundsätzlich immanent ist. Mit dieser Intention der Predigtarbeit, wie sie sich aus Iwands Ansatz bei der Inkarnation ableitet, trifft sich das homiletische Bemühen Iwands mit dem Dietrich Bonhoeffers: OfFenbarung gilt es im Horizont der Welt zu sehen und Verkündigung unter dem Aspekt der Weltlichkeit — nicht der Verweltlichung — als Aufgabe zu erkennen und wahrzunehmen26. Dabei bekommt und behält die Welt als „mündige Welt" ohne Vorbehalte ihre Geltung. Es geht nicht um eine Verchristlichung der Welt sondern um die Ausrichtung der Christusbotschaft an die Welt, womit ihr angesagt wird, daß die Welt in dem Menschgewordenen ihren Herrn hat (118). So ist die Predigt der Inkarnation die Verkündigung der Gottesherrschaft, nicht die Proklamation 25 26

Vgl. dazu auch o. S. 91 ff. Vgl. dazu E. Feil, Die Theologie Dietridi Bonhoeffers, 1972. S. audi ο. S. 73.

177 12

Gandras, Predigt

irgendwelcher in sich bestehender „Schöpfungsordnungen"27. Die Inkarnation ist auch Einheitspunkt von Schöpfung und Erlösung. Denn der Sohn will „als der, in dem Gott mit uns redet, vernommen und anerkannt sein, nicht als ein Glied und Teil der Schöpfung, sondern von vornherein als ihr Herr und Eigentümer. . . . Er ist nicht ,νοη Natur' einer der unseren, sondern daß er Mensch ist, ist seine Tat und seine Wahl" (ebd.). Damit ist der Predigt, die aus der Inkarnation begründet ist, ein Richtpunkt gesetzt, den sie zu beachten hat: „Die Menschwerdung Gottes bedeutet eben nicht, daß damit die Offenbarung an die ,Geschichte' oder an die ,Zeit' ausgeliefert und preisgegeben wäre, sondern ganz im Gegenteil: daß sie mitten unter uns getreten ist, ohne indes aufzuhören, Gottes alleiniges Geheimnis zu sein" (119). Damit ist die Position bezeichnet, die der Verkündigung Halt und Inhalt gibt. Neben dem Weltbezug tritt jetzt ein weiterer Aspekt der Predigt von der Inkarnation her ins Blickfeld: Inkarnation bedingt Klarheit der Schrift und damit auch Klarheit der Predigt28. Von der Inkarnation her bekommt die Predigt ihre Klarheit und Eindeutigkeit. Sie kann nach dieser Standortbestimmung nicht mehr bloß oder vorrangig als Beitrag zu Prozessen von Meinungsbildung verstanden und damit relativiert werden. Damit würde ihr das a priori ihrer Bestimmung genommen und zum a posteriori gemacht: Daß Predigt Verkündigung der Zuwendung Gottes zum Menschen und zur Welt ist. Das ist keine Meinung sondern ein Datum. Predigt der Inkarnation vermittelt nicht eine Weltsicht, eine „Weltanschauung" sondern eine neue Weltlage. Das Grundgeschehen dieser mit der Menschwerdung geschaffenen neuen Situation bedeutet, daß die Welt von Gottes Zuwendung lebt. Damit ist es der Predigt möglich, assertorische Aussagen zu machen, assertorisches Wort zu sein, das den Menschen in seiner konkreten Lage angeht und betrifft. Predigt aus der Inkarnation begründet ist assertorische Anrede an den Menschen, die weder apodiktisch noch hypothetisch ist (NW I, 279) 29 . Sie bestätigt den Menschen nicht in seiner securitas sondern zerschlägt sie ihm und stellt ihn in die certitudo. Sie gibt ihm für sein 2 7 Zum Zusammenhang zwischen Gottesherrschaft und Eintreten für das Evangelium in der Welt, audi zwischen Gottesherrschaft und Interpretation der reformatorischen Zwei-Reiche-Lehre s. o. S. 109 ff., bes. S. 110 ff. Für Calvin hat auf diesen Zusammenhang m. W . zuletzt Joachim Staedtke hingewiesen in seinem Aufsatz: Die Lehre von der Königsherrschaft Christi und den zwei Reichen bei Calvin. KuD 18, 1972. S. 202 ff. 2 8 S. o. Anm. 15. Audi in der Begründung der Predigt in der Inkarnation Jesu Christi besteht ein wesentlicher Berührungspunkt der Theologie Iwands mit der Dietridi Bonhoeffers. Vgl. etwa Bonhoeffers programmatische Äußerung: „Das Predigtwort hat seinen Ursprung in der Inkarnation Jesu Christi. . . . Das Predigtwort ist der inkarnierte Christus selbst." Finkenwalder Homiletik, Ges. Sdir. IV, S. 240. 2 9 Vgl. dazu o. S. 38 ff., bes. S. 39 f.

178

Leben und Sterben den Grund der Gewißheit und realer Hoffnung, weil sie dazu autorisiert ist anzusagen, daß der — wie Hegel es nennt — „ungeheure Uberschritt" aus der Idee ins Reale vollzogen ist (250). Dieser Dienst, den die Predigt der Inkarnation am Menschen übt, verändert und verwandelt die Strukturen seines Menschseins. E r gibt ihm eine neue Möglichkeit, seine Weltsituation anzunehmen und zu bewältigen. Das entscheidende Charakteristikum dieser neuen Möglichkeit ist Offenheit. Wer von der Zuwendung lebt, kann audi seinerseits Zuwendung vollziehen. Predigt der Inkarnation ermöglicht dem Menschen in der Welt eine neue Lebensmöglichkeit und eine neue Lebensqualität, die durch den Menschgewordenen geprägt ist. An drei Punkten, die m. E. in der gegenwärtigen Diskussion und Situation besonderes Gewicht haben und vorrangige Aufgaben homiletischer Theorie wie christlicher Predigt bedeuten, soll die durch die Inkarnation motivierte Möglichkeit des Lebens in Zuwendung und Offenheit verdeutlicht werden 30 . Damit fällt der Predigt die Funktion zu, einen Lebensstil zu vermitteln, den das Neue Testament Nachfolge nennt: Menschsein, das dem Menschgewordenen gemäß ist. 3.1 Dialogfähigkeit

der Predigt

Offenheit bedeutet zunächst Dialogbereitschaft. Dialogbereitschaft setzt aber Dialogfähigkeit voraus. Iwand bemüht sich in seiner Auslegung der Inkarnation zu zeigen, daß Verkündigung und Leben von daher ihre Qualifikation zum Dialog erfahren 3 1 . Als ein Beispiel für viele mag der Dialog stehen, der von der Inkarnation aus mit der römisch-katholischen Kirche und Theologie möglich ist und wozu Iwands Auslegung einen beachtlichen Beitrag darstellt. Mit seiner homiletischen Akzentuierung der Inkarnation gibt Iwand der theologischen Kommunikation ökumenische Offenheit und die Dimension ökumenischer Hörbereitschaft wie Dialogfähigkeit. Das erscheint umso fruchtbarer und hilfreicher, als die Verständigungsschwierigkeiten und Kommunikationsbarrieren im ökumenischen Dialog an der Stelle besonders gravierend sind, wo es um die Inkarnation geht. Die Einheit zwischen Inkarnation und Offenbarung und die Ganzheit der Offenbarung, in der diese Einheit ihren Stellenwert hat — diese beiden Hauptaspekte seines Inkarnationsverständnisses 32 machen Iwand in besonderer Weise zum dialogfähigen 3 0 Ein geradezu erregendes Modell solcher Lebensgestaltung hat seinen literarischen Niedersdilag gefunden in der Schrift von Rolf G. H . Boiten, Gastfreie Kirche, praktiziert in Amsterdam Oudezijds 100. Theol. E x . h. Nr. 172, München 1972. 8 1 Vgl. dazu auch das II. Kap. dieser Arbeit: Dialog als Struktur theologischen Denkstils. S. o. S. 38 ff. 3 1 S. o. S. 163 ff.

179 12·

Partner in der ökumenischen Diskussion um die Inkarnation. Predigt, die diese Interpretation der Inkarnation aufgreift, hat ihre spezifische Funktion in der Bemühung um eine homiletische Theorie und situationsgerechte Verkündigung, die an den Konfessionsgrenzen nicht halt macht sondern längst darüber hinausgeht und zu einer der wichtigsten und vorrangigsten ökumenischen Aufgaben geworden ist. Denn Ökumene steht in untrennbarem Zusammenhang mit der Verkündigung und läßt sich nicht durch puren Pragmatismus vollziehen. So wird die Predigt, die den Stellenwert der Inkarnation in ihrer homiletischen Theorie in Iwands Weise bedenkt und berücksichtigt, nach zwei Seiten hin Posten beziehen und Verständigungsmöglichkeiten offenhalten. Sie wird nach der einen, mehr von der evangelischen Tradition herkommenden Seite hin darauf aufmerksam machen, daß die theologia crucis nicht einseitig punktuell zum hermeneutischen Prinzip erstarren darf sondern daß sie im Gesamtzusammenhang der Offenbarung 33 und das bedeutet nach Iwand: bereits aus der Inkarnation her begründet und entfaltet werden muß. Sonst könnte der Tod Jesu — wie Rudolf Hermann warnt — „zu einer Schachfigur auf dem Schachbrett der Dogmatik werden, die von den Menschen nach Belieben gezogen wird" 3 4 . Das soteriologische pro me hat in der Inkarnation seinen Realgrund. Christologie und Soteriologie sind nicht identisch sondern komplementär. Die Ganzheit der Offenbarung wird verengt und die Kommunikation mit Geschichte und Welt beeinträchtigt oder gar aufgehoben, wenn alles unter eine von der Gesamtgeschichte des Christus isolierte theologia crucis subsumiert wird und die Kategorie der Schöpfung im Grunde kein eigenes spezifisches Gewicht mehr hat. Das widerspricht nicht nur alttestamentlicher 35 sondern auch neutestamentlicher Botschaft. Nach der anderen, von der römisch-katholischen Tradition geprägten Seite hin wird das Postenbeziehen der Inkarnationspredigt in Iwands Sinn darauf hinweisen, daß das verbum caro factum est gerade nicht in der Weise gewahrt und durchgehalten werden kann, daß die Offenbarung Gottes in der Gesamtgeschichte des Christus als theologia naturalis aufweisbar gemacht und im ontologischen Sinne verdinglicht wird. Gegenüber diesem Inkarnationsverständnis, das den incarnatus — wenn auch gegen alle Absicht — letztlich doch von dem crucifixus abstrahiert und direkt, unter Umgehung des Kreuzes, in der Kategorie der Auferstehung weiterdenkt, ist das unaufgebbar festzuhalten, was Luther in seiner Heidelberger Disputation formuliert, womit er die Grenze zwischen dem lumen gratiae und dem lumen gloriae, zwischen der theologia crucis und der theologia gloriae auch für die Inkarnation wahrt: 33 34 35

180

S. o. S. 170 ff. Vgl. audi J. Mohmann, Der gekreuzigte Gott, 1972, S. 9. Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 156. Walther Zimmerli, Die Weltlichkeit des A T , Göttingen 1971.

,„Quia in Dei sapientia non cognovit mundus Deum per sapientiam, placuit Deo per stulticiam praedicationis salvos facere credentes', Ita ut nulli iam satis sit ac prosit, qui cognoscit Deum in gloria et maiestate, nisi cognoscat eundem in humilitate et ignominia c r u c i s . . . Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei. . . . Theologus gloriae dicit Malum bonum et bonum malum, Theologus crucis dicit id quod res est, . . . Ac sic bonum crucis dicunt malum et malum operis dicunt bonum. At Deum non inveniri nisi in passionibus et c r u c e . . . Ideo amici crucis dicunt crucem esse bonam et opera mala . . ." 3 6 Nur wenn das Gefalle bei der Interpretation der Inkarnation von der theologia crucis her verläuft, kann eine direkte Identifikation zwischen Offenbarung und Verkündigung, zwischen Schrift und Tradition, zwischen Geist und Amt — und damit eine Nivellierung des verbum caro factum est in die Vorfindlichkeit vermieden werden. An diesem Punkt das Erste, das Ursprüngliche und alles, was diesem Ersten gegenüber nur Zweites, Abgeleitetes sein kann, zu unterscheiden, darauf kommt es Iwand gerade auch bei seinem Inkarnationsverständnis im Hinblick auf die Predigtarbeit an. Die Ausklammerung oder jedenfalls eine zu weitgehende Unterrepräsentanz der theologia crucis gegenüber der Inkarnation ist aber auch im innerevangelischen Bereich der Theologie zu bemerken und nicht ausschließlich als Tendenz im Gefolge römisch-katholischer Tradition zu sehen. Darauf soll hier wenigstens hingewiesen sein, ohne daß nähere Ausführungen möglich und nötig sind. — Die Linie des Diskussionsverlaufs deckt sich auch an diesem Punkt längst nicht mehr mit der Linie der traditionellen Konfessionen. Die Kongruenz theologischer Fragestellung und ungelöster Aufgaben überlappt die Konfessionsgrenzen. Wenn Harvey Cox Christus als Harlekin darzustellen versucht37, dann ist dieses Interpretament der Ästhetik für die Christologie nur möglich, wenn die Realität des Kreuzes umgangen wird. So reizvoll dieser Beitrag von Cox sich auch in mancher Hinsicht ausnimmt und so nötig seine ihm selbst durchaus bewußte Einseitigkeit gegenüber einer Kreuzestheologie ist, die übersieht, daß das Kreuzesgeschehen der Welt gilt und daß der crucifixus der incarnatus ist, so sehr ist dieser Aspekt nur dann durchzuhalten, wenn der Gekreuzigte und das Kreuzesgeschehen nicht als Motivation einer Theologie des Glücks verspielt werden. Die von Iwand vertretene Komplementarität zwischen Inkarnation und theologia crucis innerhalb der Offenbarungsganzheit darf nach keiner Seite hin abgeschwächt oder aufgehoben werden. Die parresia des Neuen Testaments will in allen Dimensionen bedacht sein, die sie meint, und nicht zu einer Weltanschauung des Glücks verflacht werden. Der Ruf in die Nachfolge « Clemen V, 388 f.

3

" Das Fest der Narren, S. 181 ff.

181

läßt sich nicht vom Kreuz abstrahieren und zu einem gesetzlichen Plädoyer für das Glück umfunktionieren. Insofern sind die Voten von Jürgen Moltmann für die Kreuzestheologie38 auch eine sachlich notwendige Ergänzung und Weiterführung des Versuchs von Harvey Cox. „Das Leben Jesu steht nach den Evangelien im Zeichen von Krippe und Kreuz, Heimatlosigkeit und Mord. . . . Durch seine Wunden und nicht durch seine glückliche Lebensführung sind wir geheilt.. ." 39 Darum werden wir Moltmanns Rat dringend zu befolgen haben: „man sollte wörtlich und ernsthaft das Kreuz aus dem Spiel lassen."40 Ausschließlich ästhetische Kategorien sind unzureichend und unangemessen, die theologia crucis und auch die Inkarnation zu interpretieren. Wir werden uns darum mit Jürgen Moltmann dahin verständigen, daß es bei der Kreuzestheologie heute gilt, „die Einseitigkeiten der Tradition zu vermeiden" 41 . Auch darin wird ihm gewiß zuzustimmen sein, daß „heute Kreuzestheologie weiterzuführen heißt, über die Sorge um persönliches Heil hinauszugehen und nach der Befreiung des Menschen und seinem neuen Verhältnis zur Realität der Teufelskreise in seiner Gesellschaft zu fragen" 42 . Die Intensität von Moltmanns Beitrag, seine leidenschaftliche Entschiedenheit für die theologia crucis sowie die Problematik und der Umfang des Gegenstandes ergeben nun freilich auch einige Rückfragen, die in diesem Zusammenhang nicht eigens aufgegriffen und erörtert zu werden brauchen, und auf die nach der thematischen Orientierung dieser Arbeit hier auch nicht eingegangen werden kann. Nur einer dieser Fragebereiche, in dem sich m. E. besonders zentral ein fruchtbares Gespräch zwischen Iwand und Moltmann ergibt, sei hier formuliert. Moltmann unternimmt es, bei der Kreuzestheologie „die Einseitigkeiten der Tradition zu vermeiden", indem er „den Gekreuzigten im Licht und im Zusammenhang seiner Auferstehung und folglich der Freiheit und der Hoffnung zu begreifen" versucht43. Hier ergibt sich die Frage, ob auf diese Weise die Einseitigkeit der Tradition tatsächlich vermieden oder nicht durch eine Einseitigkeit in anderer Richtung ersetzt ist. Kann die Einseitigkeit der Tradition vermieden werden, wenn die theologia crucis nach der Auferstehung hin gedacht und entfaltet wird, ohne daß die Inkarnation dabei ihr spezifisches Gewicht und ihren angemessenen Stellenwert behält? Bei dieser Rückfrage geht es nicht nur um methodische Ausgeglichenheit der Gewichtung. Es geht dabei vielmehr um die Problematik, ob Auferstehung und Eschatologie ihren Realitätsgehalt und Weltbezug durchhalten können, wenn sie nur 38 Vgl. entsprechende Passagen in: Die ersten Freigelassenen der Schöpfung, bes. S. 34 f.; vor allem: Der gekreuzigte Gott, 1972. 3 9 Moltmann, Freigelassene, S. 34 f. 40 A.a.O., S. 35. 41 Der gekreuzigte Gott, S. 9. 42 Ebd. 4 3 Ebd.

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aus der theologia cmcis und nicht bereits aus der Inkarnation begründet werden. Das Spezifikum der Christologie gegenüber der Soteriologie will — wie Iwand insistiert — gewahrt sein, gerade dann, wenn man mit Moltmann ganz darin einig geht, die gesellschaftsdiakonischen Aspekte der Soteriologie hervorzuheben. Bleibt diese Unterscheidung in der Komplementarität zwischen Christologie und Soteriologie, an der Iwand so sehr liegt und die bei ihm in dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium begründet und angelegt ist, unklar oder unscharf, kann die Problematik des Doketismus und damit gerade der Verlust des Weltbezugs nicht ausgeschlossen werden; es läuft auf eine Utopie hinaus, die keine Real-Utopie mehr ist. Darum liegt Iwand so entschieden daran gerade im Hinblick auf die homiletische Weichenstellung, das christologische Proprium in seiner Bedeutung f ü r die Soteriologie zu artikulieren. Das ist aber nur dann möglich, wenn das pro me bereits bei der Inkarnation ansetzt. In diesem Einsatz und „methodischen Standpunkt" (116) hat das Wort vom Kreuz seinen Halt. So werden wir gerade an dem Punkt einer der heutigen theologischen Diskussionslage und Weltsituation angemessenen Interpretation der theologia crucis Iwand und Moltmann miteinander ins Gespräch bringen und im Gespräch halten müssen, damit die Einseitigkeit der Tradition tunlichst nicht wiederum einseitig, sondern nach allen Seiten hin möglichst vermieden wird. Letztlich ergeben sich bei aller gemeinsamen Intention und weitgehenden inhaltlichen Kongruenz wichtige verschiedenartige Akzentuierungen und Gewichtungen, die in der Grundentscheidung bei der Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium begründet und angelegt sind 44 . Diese Grundentscheidung erweist sich bei Iwand auch hier im Erfassen der Inkarnation als die entscheidende hermeneutische Kategorie und Leitlinie der Auslegung. Durch die hermeneutische Dynamik dieser der reformatorischen Theologie entnommenen und von ihr her weitergedachten Auslegungschiffre versucht Iwand, Offenheit und Komplementarität als Denkstruktur zu ermöglichen und durchzuhalten. Wenn wir Iwand, Cox und Moltmann zum Abschluß dieses Gedankengangs als Gesprächspartner bedenken, treten zwei Gesichtspunkte hervor, die sich folgendermaßen notieren lassen: Auf der einen Seite ergeben sich Gemeinsamkeiten, bei denen Cox und Moltmann Fragestellungen und Intentionen, die Iwand wesentlich sind, aufgreifen und weiterentwickeln. Der Weltbezug des Evangeliums ist allen dreien entscheidendes Kriterium. Impulse für die Relevanz des Evangeliums zur Gestaltung des Lebens zu geben und dabei die Gesellschaft zu integrieren, ist die Aufgabenstellung theologischer Reflexion und hermeneuti44

Vgl. audi ο. S. 122, Anm. 93.

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scher Bemühung. Dennoch wird man beachtens- und bedenkenswerte Unterschiede Iwand gegenüber sehen und berücksichtigen müssen und Cox und Moltmann nicht ohne weiteres als Zeugen für ein geradlinig lineares Weiterentwickeln Iwandscher Ansätze, Intentionen und Positionen anführen dürfen. Nicht nur, daß Iwand seine Problemstellungen und Verständigungsbeiträge über die theologische Reflexion und hermeneutische Bemühung hinaus in seinen Predigtmeditationen bis hin zur homiletischen Besinnung vorantreibt und damit seine theologische Arbeit zu einem unmittelbaren Beitrag für eine homiletische Theorie unter der Einheit von Theorie und Praxis ausformuliert. Sondern Iwands Originalität ist auch denen gegenüber, die wie Cox und Moltmann Partner fruchtbaren und weiterführenden Gespräches sind, darin zu sehen, daß er in einer nur selten gelingenden Intensität und Dynamik die reformatorische Grundkategorie von Gesetz und Evangelium in ihrer Leitfunktion für die Hermeneutik erkennt und in der für ihn genuinen und spezifischen Weise auch homiletisch durchhält. 3.2 Ideologiekritische Potenz der Predigt Ein zweiter Aspekt, der im Nachdenken des Zusammenhangs von Inkarnation und Predigt bei Iwand wichtig ist, läßt sich aus der Bemerkung ableiten, „daß die Namensgebung des Menschen der Zweck und der Sinn der Erscheinung Jesu Christi auf Erden ist" (NW II, 17). Daraus folgt: „Mit Christus ist etwas Neues in die Welt eingetreten, das einzig Neue, das wirklich diesen Namen verdient" (NW II, 17). Von dieser realen Neuwerdung und Erneuerung her bedeutet Offenheit und Weltbezug der Predigt von der Inkarnation ihre ideologiekritische Potenz. Bezeichnenderweise finden sich wichtige Ausführungen zu dieser Qualifikation der Predigt in einem Vortrag Iwands mit dem Thema „Kirche und Öffentlichkeit" (NW II, 11 ff.). Darin zeigt er der Kirche, was sie „vermag und wo ihre eigentliche Aufgabe, wo ihre wahre Freude liegt" (NW II, 17). Von vornherein und grundsätzlich geht es Iwand um einen evangeliumsgemäß verstandenen Weltbezug der Predigt und um eine daraus sich ergebende und abgeleitete gelebte „Weltförmigkeit der christlichen Existenz" 45 . Ausgangspunkt dafür ist die Tatsache, daß der ins Fleisch gekommene „Mensch Jesus die Erfüllung dessen ist, worauf die Welt wartet. . . . Die Bibel nennt dieses Wissen um die Erfüllung der Verheißungen: das Evangelium. Das Evangelium bedeutet also, daß wir von dem Guten, von der Gerechtigkeit und vom Frieden im Indikativ reden dürfen." (NW II, 18 f.). Von dem Glauben, der sich an das Evan45

Vgl. dazu Iwands Pred.-Med. zu Mk 2,18—22, in der er unter dem Leitgedanken der „,Weltförmigkeit' der christlichen Existenz" wichtige, D. Bonhoeffer nahestehende Gedanken zum Ethos der Nachfolge äußert (539 ff.).

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gelium hält, geht eine „große Zuversicht" aus, „die nicht mehr abhängig ist vom Erfolg — sondern eher könnte man sagen, daß der Erfolg abhängig wird von dieser Zuversicht..." (NW II, 19). Diese Zuversicht bezieht sich nicht zuletzt auf die Menschheit und Menschlichkeit des Menschen in der Verantwortung und Bewältigung seiner Weltsituation. Die Inkarnation sieht Iwand als Motivation der Humanität, als Begründung der Menschlichkeit des Menschen, als Ausgangspunkt und Antrieb der Hoffnung und des menschlichen Handelns für eine Humanisierung der Gesellschaft und für eine menschliche Welt. „Die Menschheit des Menschen ist nicht eine Sache, die sich selbst erhält, der Mensch kann aufhören, Mensch zu sein" (NW II, 21). Iwand hält an der durch das Evangelium motivierten Zuversicht für den Menschen und an der Hoffnung auf eine menschliche Welt fest und formuliert von seinem Verständnis der Inkarnation, bei dem das Deum Deum esse eine wesentliche Leitlinie ist, her folgende These: „Die Gottheit Gottes und die Menschheit des Menschen hängen aufs engste miteinander zusammen" (NW II, 21). Das Deum Deum esse wird bei der Inkarnation darin konkret in seinem begründenden Weltbezug der Christusbotschaft und der christlichen Predigt, daß Gott „die Menschlichkeit des Menschen nicht preisgibt, daß er selbst auf Erden erscheint, um die Menschlichkeit des Menschen zu retten. Gott greift gleichsam ein in die Schlacht, die um den Menschen geschlagen wird . . . Darum gehört jetzt die Göttlichkeit Gottes hinein in die Geschichte von der Menschlichkeit des Menschen, weil es Gott zu danken ist, daß der Mensch gerettet wurde" (NW II, 22). Die Rettung des Menschen artikuliert sich in der Freiheit, die dem Menschen erschlossen ist: Die Freiheit zur Menschwerdung in der Nachfolge des Menschgewordenen. Iwand formuliert dieses Freiheitsverständnis in einer These, die für seine Anthropologie des neuen Menschen, der in Jesu Menschwerdung für unser Menschsein nicht nur inauguriert sondern manifestiert ist, und auch für die anthropologischen Konsequenzen für die Homiletik konstitutive Bedeutung hat: „Die Freiheit des Menschen ist nicht darin begründet, daß der Mensch gegenüber der Welt frei ist, sondern daß er sich selbst gegenüber frei ist" (ebd.). Das bedeutet aber: „Die Freiheit des Menschen ist nichts Angeborenes, sondern die Freiheit des Menschen ist gegründet in dem Freispruch G o t t e s . . . " (NW II, 24). So findet sich denn auch in der Meditation zu Offb 1,4—8 als Adventstext, in der Iwand das Kommen Gottes in der Menschwerdung Jesu bedenkt, der programmatische Satz: „Die Schlacht um die Freiheit ist da geschlagen, wo Gott Mensch geworden, wo er für uns gestorben ist und wo die Gemeinde durch ihn sich in ein neues Reich des Lebens versetzt weiß" (108). Vom Kommen Jesu in die Welt her geht Iwand die Frage nach dem neuen Menschen, nach der neuen Welt an. Diese Frage — so meint er —, 185

„die nicht nur theoretisch gestellt, sondern ethisch gelebt wird, hat ihr gutes Recht. Sie ist nicht utopisch" (545). Aber sie ist von Jesus in der ihm eigenen Weise beantwortet: Das neue „Reich des Lebens": der neue Mensch und die neue Welt „ist mit Jesus selbst gegeben, mit seiner Gegenwart. Das Neue ist er selbst. . . . Gegenüber diesem Neuen ist alles andere als ,veraltet' zu qualifizieren" (541). Die Verwandlung des alten zum neuen Menschen sieht Iwand in der Kategorie der Umkehr, die Freude bedeutet 46 und die sich „als Antwort der Hinkehr Gottes zu den Menschen" vollzieht. Es geht um den Weg „von der selbstgemachten zur gottgeschenkten Umkehr" (545), von gesetzlichem Veränderungsdogmatismus zum Angebot der Verwandlung und des Versetztwerdens „in ein neues Reich des Lebens" 47 . Der entscheidende Unterschied zwischen Jesus und allen anderen Menschen, zwischen dem alten und dem neuen Menschen, der alten und der neuen Welt ist der zwischen Sein und Werden: „Was die Menschen durch ihn werden, das ist er von Ewigkeit zu Ewigkeit" (49). Auch wo es um die Neuwerdung von Mensch und Welt geht, steht die für Iwand wesentliche Unterscheidung zwischen Christologie und Soteriologie. Jesus Christus ist nicht eine Idee vom neuen Menschen und bringt nicht die Ideologie einer neuen Welt. Sondern in ihm sind der neue Mensch und die neue Welt Gegenwart. Allerdings so, daß der Unterschied zwischen „Sein" und „Werden" damit aufgerichtet und nicht aufgehoben, daß die Verheißung des neuen Menschen und der neuen Welt: des neuen Himmels und der neuen Erde 4 8 mit seinem Kommen nicht außer K r a f t gesetzt sondern in ihrer Gültigkeit und ihrem Realitätsgehalt erst recht bestätigt und besiegelt ist. Denn „was mit Jesus in die Welt gekommen ist, ist nicht ,alte Wahrheit in neuen Formen', sondern es ist das schlechthin Neue und von allem Alten und bisher Bekannten her Unfaßbare, Unableitbare" (542 f.). „So bleibt seine Gegenwart immer indirekt, immer dem Glauben vorbehalten" (546). Wir können die Gottesherrschaft nicht herbeizwingen. „Wir haben sie nicht in unserer Macht, sondern sie uns in der ihren. Was also mit Jesus mitten unter uns aufgebrochen ist, hat keine Kontinuität zu allem, was im zeitlichen Sinne vorher war. Hier ist ,Neues Ereignis geworden' (2 Kor 5,17), hier geschieht das einzige, was diesen Namen neu wirklich verdient" (546). Wir werden darum Alt und Neu nicht verkoppeln dürfen und nicht Kontinuität herstellen, wo es keine gibt. Wer da, wo es um den neuen V g l . J . Sdiniewind, D i e Freude der Buße, 1956. K o l 1,13. V g l . auch R . Boiten, G a s t f r e i e Kirche, S. 7 7 : „Nicht die gewalttätige V e r ä n d e r u n g unserer untauglichen Strukturen bringt uns das P r o d u k t des neuen Menschen. D e r neue Mensch ist schon g e o f f e n b a r t . " 4 8 2Petr 2,13. 46

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Menschen und die neue Welt geht, „Schöpfer spielen will, wird sich als Pfuscher erweisen" (324). „Wirkliche Erneuerung muß ganz sein" (546, 2), und „das Evangelium von Jesus Christus ist nicht dazu da, eine untergehende Welt zu restaurieren" (546 f.). Der neue Mensch und die neue Welt sind weder das Produkt von Restauration noch von Revolution, sie sind Gabe des Werdens, der Verwandlung zum Neuen, das mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist und das abstrahiert von ihm Ideologie bleibt, die den Menschen nicht in Freiheit setzt sondern versklavt, die nicht „die Sprache der Befreiung" 49 spricht sondern die der Tyrannei. Der neue Mensch, die neue Welt lassen sich keinem System subsumieren und keinem Systemzwang unterwerfen. Sie sind Lebenswirklichkeit, die mit Jesus Christus erschienen ist. Darum ist hier die vergessene und doch so aktuelle Warnung Karl Barths zu beherzigen, die er bereits 1919(!) ausgesprochen hat: die Warnung davor, daß wir in einem die Möglichkeiten des Menschen überschätzenden und seine letzten Kräfte verzehrenden Aktivismus eine „neue Kirche errichten mit demokratischen Allüren und sozialistischem Einschlag" und blind dafür sind, „daß das alte Kleid noch immer das alte Kleid ist" 50 . Und auch darauf hat Karl Barth — gegenüber denen, die ihn nachträglich meinen am angemessensten als „Sozialisten" verstehen und interpretieren zu können — unüberhörbar und vernehmlich hingewiesen, daß es bei der „neuen Welt" nicht um Flickwerk an der alten geht und daß soziale Gerechtigkeit biblisch jedenfalls nicht allein als Weltverbesserung verstanden werden kann, als Weltverbesserung, die die N o t nicht aufhebt sondern lediglich unsichtbar macht, überspielt und verdrängt. Es geht nicht um Weltverbesserung nach einem Gesetz oder einer Ideologie, sondern es geht um Weltverwandlung zum Neuen hin, das mit Jesus Christus in die alte Welt eingebrochen und f ü r ihre Menschheit angebrochen ist 51 . Mit dieser Standortbestimmung bei der Neuwerdung in Jesus ist die Mitarbeit des Menschen bei der Verbesserung, bei der Humanisierung der Welt und seine Mitverantwortung für sie, gerade begründet und nicht in Frage gestellt. Sie gewinnt eine umso stärkere Impulsivität auf das Neue hin, weil sie human: von der Menschwerdung Jesu her und 49

Titel der Veröffentlichung von Predigten und Besinnungen von Jürgen Moltraann, München 1972. 50 K. Barth, Das Wort Gottes und die Theologie, S. 38. Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 539 f. 51 Dazu K. Barth, K D 1/2, § 18, bes. S. 472. Zur Diskussion um den Sozialismus bei Barth vgl. die m. E. zutreffende und von Barths Theologie her angemessen begründete kritische Stellungnahme von W. Schlichting zu dem Buch von F.-W. Marquardt, Theologie und Sozialismus. Das Beispiel Karl Barths, 1972: W. Schlichting, Sozialismus und biblische Denkform. Ev. Theol. 32, 1972, S. 595 ff. Ferner: H. Diem, Der Sozialist in Karl Barth. Ev. Komm., 1972, S. 292 ff.

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nicht ideologisch gesetzlich, weil sie als eröffnete Möglichkeit und nicht als ideologisches Prinzip begründet ist. Damit sind auch die Realität des neuen Menschen und der neuen Welt für Iwand unter seiner hermeneutischen Grundkategorie des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium zu sehen. Bei der theologischen Grundlegung für eine Humanisierung des Menschen und der Welt von der Inkarnation her geht es Iwand um das, was er in der Weihnachtsmeditation zu Tit 2,11—14 (471 ff.) „Pädagogik der Gnade" nennt. Und darum geht es um „die Absage an jede Lebens- und Weltanschauung, die von Hause aus gnadenlos ist" (473), d. h. die von Jesus absieht, in dessen Menschwerdung die Gnade unter uns erschienen ist (1 Tim 2,5). So faßt Iwand das Neu-Werden des Menschen und der Welt unter dem Gesichtspunkt der „Pädagogik der Gnade" als einen Prozeß „in dem wir ablegen, was wir sind, und werden, was wir nicht sind" (474). Es „muss alszo der gantz mcnsch ynn das Evangelium kriechen unnd allda new werden, die alte hawt austzihen wie die schlänge thutt, wenn yhr hawt allt wirtt, sucht sie eyn enge loch ynn felss, da kreucht sie hynndurch und tzeucht ab yhr hawt selbs unnd lest sie haussen fur dem Loch. Alszo der mensch auch ynn das Evangelium und gottis wort sich begeben muß . . . und wirt alszo gantz eyn ander new mensch . . ." 52 Der neue Mensch ist demzufolge kein Phantom, er ist nicht persona futura, sondern er ist in seinem Handeln bereits wirksam, seine Erscheinung und Möglichkeit ist Präsens und Futur zugleich. „Der neue Mensch wird eben nicht, wie Nietzsches Übermensch jenseits von Gut und Böse leben. Sondern er wird ein solcher sein, der darauf b r e n n t . . . , daß das Gute geschieht! daß beides, der Wille Gottes und das Wirkliche nicht nebeneinander hergehen, sondern, wie es mit der Epiphanie seiner Gnade in Jesus Christus schon begonnen hat, eines wird!" (476). Diese Äußerungen Iwands bedeuten keine programmatische Erklärung über den Menschen und seine Mitgestaltung an der neuen Welt. Vielmehr bedingen sie Konkretionen der Gestalt des neuen Lebens. Eine Iwand besonders wesentliche dieser Konkretionen, bei der seine Gedanken denen von Dietrich Bonhoeffer sehr nahe sind, besteht im Eintreten für Gerechtigkeit, auch soziale Gerechtigkeit als Motivation des Friedens. Aber dieses Eintreten für Gerechtigkeit unter den Menschen kann nur im Zusammenhang mit dem Menschsein Jesu, abgeleitet von ihm geschehen, wenn es nicht in Fanatismus ausarten soll, der nicht Gerechtigkeit schafft sondern nur ein Unrecht durch ein anderes — meist größeres ersetzt. Denn „man kann nur gerecht handeln, wenn man aus der Vergebung eigener Schuld heraus das rechte Tun erwägt und vollbringt (Eph 52 Luther, Kirchenpostille 1522 1,1 zu Joh 1,1—14. Zit. bei Iwand, Pred.-Med., S. 668.

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4,32), man kann nur fromm sein, wenn man sich nicht schämt, mit den verlorenen und verdammten Menschen aller Welt zusammen an der Krippe und am Kreuz Jesu Christi Vergebung zu empfangen!" (475). In das Eintreten für Gerechtigkeit sind die „Menschen aller Welt" einbezogen. Damit ist die Frage nach der „neuen Gesellschaft" formuliert, die bei Iwand nirgends ausgeklammert ist. Es geht bei der Mitarbeit an der Verwirklichung der neuen Gesellschaft um die Realisierung der „von Gott in seinem Erbarmen gesetzten Solidarität" (247). Die neue Gesellschaft ist damit nicht die Gesellschaft irgendwelcher Neuerungen, sie entsteht nicht schon durch den Enthusiasmus für Reformen als solche. Sondern Erneuerung und Reformen der Gesellschaft haben ein bestimmtes Gefälle und eine bestimmte Struktur; sie sind gekennzeichnet durch die in der Menschwerdung und im Menschsein Jesu begründeten und damit offenen und entideologisierten Solidarität mit den Menschen „ohne das schützende Gitter gesellschaftlicher Vorurteile" (247) und jenseits jeden Klassengeistes und Klassenkampfes. Die neue Gesellschaft ist die Gesellschaft der in der Menschwerdung Jesu Christi begründeten und ermöglichten Solidarität. Die Erwägungen Iwands zu der Thematik des neuen Menschen, der neuen Welt und Gesellschaft, denen er stets besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat, gewinnen für die heutige Diskussion dieser Fragen unverkennbar große Bedeutung und erhebliches Gewicht. Vor allem sind die Mitverantwortung und das Mithandeln für soziale Gerechtigkeit, für Entwicklung der Zustände in der sogenannten Dritten Welt auf Gerechtigkeit hin und auch der Beitrag zum Dialog mit dem Marxismus über Fragen der Humanität und Gesellschaft unter dem Kriterium der „von Gott in seinem Erbarmen gesetzten Solidarität" (247) zu sehen und zu werten. Nur von dieser Voraussetzung aus ist eine Entideologisierung im Sinne einer Versachlichung, Entfanatisierung und Offenheit 53 der Diskussion und der Aktion in diesen beiden für die Christenheit heute vorrangigen Problembereichen möglich und darum auch von der Verkündigung der christlichen Botschaft, die bei der Inkarnation Jesu Christi ihren methodischen Einsatzpunkt nimmt, zu erwarten, ja zu fordern. Predigt der Menschwerdung wird jeder ideologisch motivierten Anthropologie gegenüber — vor allem auch der marxistischen — bezeugen, daß Humanisierung des Menschen und der Welt nicht auf dem Wege purer Machbarkeiten verwirklicht werden kann, die in Frustrationen und Neurosen als Erscheinungsformen und Folgen moderner Gesetzlichkeit in Gestalt ideologischen Zwanges enden. Sondern Humanität erlangt und verwirklicht der Mensch im Vollzug der Möglichkeit ihm geschenkter Freiheit, 53 S. audi u. S. 190 ff., bes. das Zitat aus N W II, 27 auf S. 191 f. sowie das IV. K a p . : Zeugenschaft als Sachlichkeit der Verkündigung, o. S. 71 ff. und die „methodische Nachbemerkung", u. S. 192 ff.

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die in der Befreiung des Menschen durch die Menschwerdung Jesu begründet und motiviert ist. Gerade von der Menschwerdung Jesu her ist die Predigt dazu autorisiert, das Neue zu artikulieren und ins Spiel des Wettbewerbs mit den Ideologien zu bringen, „was die ganze Menschheitsgeschichte so ernst, so wichtig und audi so hoffnungsvoll macht" (116). Sie gewinnt dadurch eine so nur ihr mögliche ideologiekritische Potenz und kann glaubwürdig um der Menschlichkeit des Menschen willen dafür einstehen, „daß wir keinem neuen Messianismus mehr huldigen dürfen, weil die Heilszeit unter uns Gegenwart geworden ist" (117). Die Freiheit des Menschen gründet — und das gilt es gerade im Gespräch mit der marxistischen Anthropologie, wenn es fruchtbar sein soll, festzuhalten — nicht darin, wie der klassische Marxismus meint, daß es keinen Gott gibt, daß der Mensch keinen Gott hat. Sie gründet und besteht und der Mensch erfährt diese seine Freiheit gerade darin, daß Gott in Jesus Mensch geworden, mitten unter uns getreten ist und den Menschen in Freiheit setzt. Iwand stellt in seinen Gedanken zur Problematik des neuen Menschen und der neuen Welt den Gabecharakter, die Freiheit und die Solidarität als leitende Gesichtspunkte heraus und zeigt damit eine Position, die Offenheit und Affinität gegenüber wesentlichen Punkten der Diskussion innerhalb des Marxismus aufweist, die aber zugleich durch eine starke ideologiekritische Potenz qualifiziert ist. Der neue Mensch und die neue Welt sind eben nicht — wie nach marxistischer Sicht — machbar, nach ideologischen Prinzipien zu fertigen. Und darum sind sie auch nicht als Lösung denkbar, an der nur noch zu arbeiten ist. So abgeschlossen und im Grunde „fertig", ideologisiert kann die Predigt nicht vom Menschen und auch nicht von der Welt reden. Ihr Sinn ist ihnen nicht immanent. Sie redet vielmehr offen, und d. h. auch ideologisch unabgesichert, und rechnet konsequent mit dem Primat der Verheißung gegenüber den Fakten54 auch beim neuen Menschen und der neuen Welt. Vom Sein des neuen Menschen in Jesus aus bezeugt sie sein Werden für andere Menschen. Dieses Werden des neuen Menschen, das durch keine Ideologie — weder durch eine marxistische noch durch eine antimarxistische oder eine andere — festzulegen oder zu überspringen ist, vollzieht sich in einem Prozeß auf ein Sein in Freiheit und Solidarität hin und schafft ein Sein des Menschen in Freiheit und Solidarität. Iwand faßt dieses Leben, das den Menschen in Freiheit setzt und zur Solidarität führt, auch unter den theologischen Begriff der Heiligung: „Die Lebensordnung der freien Menschen, die von Gott den Freispruch empfangen haben, ist die Lebensordnung der Heiligung" (NW II, 24) 55 . Dieses Wort gilt Iwand als 54

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S. o. S. 105

ff.

55

Vgl. auch N W II, 102 f.

Antwort auf ein Problem, das ihm gerade bei der Frage nach dem neuen Menschen und der neuen Welt wichtig ist: „Wie nämlich die Wirklichkeit unseres Lebens und der Glaube an Jesus Christus eins werden" (ebd.). Damit ist „die Existenz der Gemeinde Gottes in der Welt" (NW II, 25) angesprochen. Im Geschehen des Neuwerdens des Menschen und der Welt hat die christliche Gemeinde ihre unersetzbare und, unaustauschbare Funktion — und nicht nur sogenannte „christliche Persönlichkeiten" als Individuen, die etwa durch die Ideologie bürgerlicher oder marxistischer Persönlichkeitsideale festgelegt und darum handlungsunfähig sind. „Die Gemeinde Gottes in der Welt ist selbst die Darstellung des Neuen, das mit Jesus Christus seinen Anfang genommen hat. . . . Sie ist die Mitte, von der aus die Erneuerung der Welt ausgeht..." (NW II, 25) 56 . Man bedenke von hier aus, was man gerade im Hinblick auf die Erneuerung der Welt ausrichtet, bzw. nicht ausrichtet sondern anrichtet, wenn man als Norm christlicher Existenz die Auflösung der Kirche in die Gesellschaft propagiert und dabei noch meint, auf diese Weise Dietrich Bonhoeffer richtig zu interpretieren und sich auf ihn berufen zu können. Kirche als „Kirche für andere" 57 kann diese Existenz und Bestimmung nur dann verwirklichen, wenn sie Kirche bleibt. Es geht Iwand in Konsensus mit Bonhoeffer vielmehr darum, daß sich die Existenz der christlichen Gemeinde als Solidarität mit der Welt und gerade nicht als Auflösung in die Welt oder Anpassung an die Welt vollzieht, darum „daß die Glieder dieser Gemeinde frei sind, frei zum Dienst an der Welt, frei, aber nicht mehr in jener falschen Freiheit, die den Menschen sich selbst überläßt, sondern frei in jener Gebundenheit der Liebe Gottes . . . " (NW II, 25). Wie eine Neugestaltung des gesellschaftlichen Lebens in dieser Freiheit aussieht, welche entideologisierenden Kräfte sie für die Arbeit an der Lösung heutiger Menschheitsfragen freisetzt und wie sehr darum die von nationalistischen, rassistischen, auch sozialistischen bzw. marxistischen und antimarxistischen Ideologien gequälte und zerrissene Menschheit auf die Verwirklichung dieser solidarischen Freiheit und freiheitlichen Solidarität angewiesen ist, mögen folgende Sätze Iwands verdeutlichen: „Es ist die Neuordnung des Lebens, die nicht aus dieser Welt stammt, aber hinein gestiftet ist in diese Welt, um der Menschheit zu helfen, das Freund-Feindverhältnis zu überwinden, an dem sie zugrunde « Dazu audi N W II, 103 ff. Dietrich Bonhoeffer: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.' W E , S. 261. Einen beachtenswerten und in seiner Ausgewogenheit überzeugenden Versuch, Konturen und Zielplanungen für den Dienst der Kirche heute in diesem Sinne zu umreißen, stellt m. E. ein Bericht des Kirchenpräsidenten der Ev. Kirche in Hessen und Nassau vor der Synode dar: Helmut Hild, Dienst der Kirche, Dienst für Gott, Dienst am Menschen. Als Manuskript gedruckt, Februar 1973. s

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geht. Nicht darin wird die Aufgabe der Christenheit bestehen, ein neues Programm zu entwickeln für die Gesellschaftsordnung des Lebens, sozusagen mit einem christlichen Programm zu konkurrieren mit den anderen Programmen, die von den rivalisierenden Gruppen und Parteien aufgestellt werden, sondern darin wird ihre Aufgabe bestehen, da, wo sie als Gemeinde lebt, ein Beispiel zu geben dieser echten Gemeinschaft und Bruderschaft. Das nennt die Bibel Heiligung.. ." 5 8 Freiheit — gelebt als exemplarische Solidarität, das ist die Existenzform der christlichen Gemeinde in der Welt, in der sie sich im Prozeß des Werdens des neuen Menschen und der neuen Welt bewegt 59 und in der sie auch ihren ideologiekritischen Beitrag einbringt, ohne selbst in einer Ideologie festzufahren und dadurch kommunikationsunfähig zu werden. Es ist wichtige Aufgabe der Predigt, die Gemeinde in die Existenz dieser Freiheit und Solidarität einzuüben. Ein Beispiel dafür, wie diese homiletische Aufgabe heute geleistet werden kann, ist die Predigtmeditation von Manfred Josuttis zu 2 Tim 1,7—10 60 , der wir folgende Sätze entnehmen, die die Intention der Weiterarbeit an diesem Punkt angeben: „Die Offenbarung der Gnade Gottes in Jesus, die der Rettung des Menschen gilt, führt in der Tat zum solidarischen Engagement mit den Elenden dieser Erde; aber das Heil, das damit erschienen ist, übersteigt die Verheißung sonstiger philosophischer oder politischer Angebote, schon weil es jenseits menschlicher Möglichkeiten und Werke liegt. Die Behauptung, daß Jesus der Retter ist, schließt die tatkräftige Erkenntnis ein, daß wir zur Rettung des Menschen aus Elend, Schuld und Tod berufen sind, impliziert aber auch das Bekenntnis, daß unsere Rettungsversuche Stückwerk bleiben, ein Bekenntnis, das um Jesu willen die Tatkraft nicht lähmt, sondern uns vor der inhumanen und illusionären Verabsolutierung einzelner Rettungsversuche bewahrt." 6 1 Zum Abschluß unseres Bedenkens ideologiekritischer Potenz inkarnatorischer Predigt bei Iwand eine methodische Nachbemerkung, die zugleich seinen Denkstil und die Struktur seiner theologischen Arbeit kennzeichnet und auch an dieser Stelle die für Iwand so typische Einheit von Inhalt und Form zeigt: Es fällt auf, daß er nicht nur einsetzt, indem er den Indikativ der Zuwendung in der Menschwerdung Jesu entfaltet, sondern daß dieser Indikativ eine sehr weit angelegte Auslegung erfährt, N W II, 27; vgl. den ganzen Zusammenhang dieser Ausführungen, S. 24 ff. Unter dem Aspekt Freiheit als christliche Existenz vgl. audi: Ε. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 1968. Ebenfalls: Ders., Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969. Darin bes.: Der gottesdienstliche Schrei nach der Freiheit, S. 211 ff. Ferner: Günther Bornkamm, Die christliche Freiheit. Predigtmeditation über Gal 5,13—15. D a s Ende des Gesetzes, S. 133 if.: „Die Liebe allein ist die Bewährung echter Freiheit" (S. 138). Ders., Christus und die Welt in der urchristlidien Botschaft. D a s Ende des Gesetzes, S. 157 ff., bes. S. 166 ff. o» G P M 26, 1972, S. 68 ff. « A.a.O., S. 72 f. 58

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innerhalb deren Vollzug sich ideologiekritische Konsequenzen ergeben. Iwand begründet und fundiert vor allem und zuerst die indikativische Position, von der aus theologische Ideologiekritik möglich und sinnvoll ist. Ideologiekritik wird hier dialogisch, nicht polemisch durchgeführt. Sie ist nicht anti-ideologisch, also auch nicht anti-marxistisch motiviert sondern indikativisch: von der Position des Eintretens für die entideologisierende Qualität des Evangeliums. Iwand gibt mit diesem Verfahren Aufschluß über die methodische Gestalt und den sachlichen Gehalt theologischer Ideologiekritik. Er zeigt an diesem Beispiel ideologiekritischer Konsequenzen, die sich ihm aus dem Evangelium ζ. B. gegenüber dem Marxismus ergeben, daß theologische Ideologiekritik, die von der Position, vom Indikativ der Inkarnationspredigt vollzogen wird, im Grunde nicht Kritik sondern Metakritik ist, die die Alternative von Kritik und Antikritik transzendiert. Hier liegt nach Iwand der wesentliche Unterschied zwischen theologischer und ideologischer Ideologiekritik. Iwand geht darum vom Indikativ aus, begründet und entfaltet von daher Position und zieht ideologiekritische Konsequenzen. Bei theologischer Ideologiekritik steht für ihn die indikativische Position im Vordergrund, nicht die Analyse. Analyse einer ideologischen Struktur bewegt sich im Grunde auf der Ebene Kritik und Antikritik und entfaltet in sich nicht die Potenz, über diese Alternative hinauszuführen. Die Predigt von der Inkarnation aus läßt sich aber nicht auf diese Ebene festlegen sondern ist inhaltlich weiterführend, sie ist qualifiziert, ideologische Verhärtungen zum Dialog aufzubrechen. Theologische Ideologiekritik bedeutet das, was Hans Walter WolfF in sachlicher Identität mit unserer Problematik am Text des Jonabuches an einem zunächst literarkritischen Tatbestand als „die Leitkategorie der Reaktion des Glaubens" herausarbeitet, die sich als Gestaltungsprinzip auswirkt 62 . Auf Iwands Methodik theologischer Ideologiekritik bezogen besagt das: die Leitkategorie ihrer Gestaltung ist die Aktion des indikativisch, nämlich in der Zuwendung Gottes begründeten Glaubens, nicht die Re-aktion eines ideologisch fixierten Unglaubens oder Anti-glaubens. Diese Struktur theologischer Ideologiekritik, die indikativisch bei der Inkarnation ansetzt, wahrt den Primat der Verheißung vor den Fakten. Sie ist offen, dialogfähig und nicht festgelegt. Es steht nicht Ideologie gegen Ideologie, sondern es findet Dialog statt. Und Dialog bedeutet immer auch Aufbrechen verhärteter ideologischer „Fronten". Denn Dialog verändert alle Beteiligten; nicht in ihrer Position, wohl aber — was wichtiger weil ergiebiger ist — in ihrem Verhältnis zueinander. Dialog dient dem Leben, nicht der Ideologie. Diese Position der in der Inkarna62

H. W. Wolff, Studien zum Jonabuch. Bibl. Stud. 47, 1965, S. 44 ff.

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Gandras, Predigt

tion begründeten theologischen Ideologiekritik artikuliert darum audi in einem für die gegenwärtige Diskussion wichtigen Fall Solidarität der Freiheit — der Freiheit von sich selbst, vom eigenen „Standpunkt". In dieser Freiheit und Solidarität läuft der Sinn eines Gesprächs nicht darauf hinaus, daß Standpunkt gegen Standpunkt behauptet wird und stehenbleibt. Sondern es ist Dialog in Offenheit und Hörfähigkeit möglich. Iwands Gespräch mit Ideologen verschiedenster Lager, vor allem aus dem marxistischen, ist maßgebendes Beispiel solcher dialogischen Offenheit. 3.3 Empirische

Affinität der

Predigt

Die Predigt, die ihren „methodischen Standpunkt "(116) bei der Inkarnation Jesu Christi bezieht, gewinnt „Weltbezug" (118), der im Hinblick auf die homiletische Diskussion und Praxis der Gegenwart unter einem weiteren Aspekt besondere Relevanz hat. Der Einsatz beim Indikativ der Zuwendung gibt der Predigtarbeit Freiheit und Offenheit im Umgang mit der Empirie. Die Integration empirischer Methoden und kommunikationswissenschaftlicher Fragestellungen in die homiletische Arbeit stellt eine wichtige Aufgabe dar. Wenn „die Geschichte des Jesus von Nazareth", also die Inkarnation die Zuwendung Gottes zum Menschen bedeutet, die — wie Iwand formuliert — „die ganze Menschheitsgeschichte so ernst, so wichtig und audi so hoffnungsvoll macht" (116), dann beinhaltet Inkarnation bzw. der Ansatz theologischer Reflexion bei der Inkarnation auch die Ermöglichung theologisch qualifizierter Offenheit der Homiletik gegenüber der Empirie. Inkarnation kann homiletisch aufgearbeitet werden als theologische Begründung der Affinität der Theologie und Predigt gegenüber der Empirie. Denn wenn durch die Inkarnation „die ganze Menschheitsgeschichte so ernst, so wichtig und audi so hoffnungsvoll" geworden ist, dann ist der Mensch audi in seiner Eigenschaft als Adressat der Verkündigung, als Hörer der Predigt und dazu auch der Mensch in seiner Funktion als Prediger ernst und wichtig zu nehmen und ebenso hoffnungsvoll zu sehen. Predigtarbeit hat sich vom Ansatz bei der Inkarnation Jesu Christi her gleichfalls am Hörer zu orientieren und wird dazu alle Möglichkeiten nutzen, die ihr auch nichttheologische Wissenschaften zur Verfügung stellen. Man wird bei Iwand die Integration empirischer Wissenschaften, ζ. B. der Kommunikationsforschung in die Homiletik nicht in dem Maße erwarten und aufzeigen können, wie es nach dem Stand der gegenwärtigen Diskussion möglich und auch unerläßlich ist, wozu inzwischen eine Reihe wichtiger und — kritisdie Rezeption vorausgesetzt — die Predigt fördernder Publikationen vorliegen, auf die wir während dieses Abschnitts in einer durch unsere Thematik bestimmten und begrenzten Auswahl Bezug nehmen. In dieser Weise hat sich Iwand die Aufgabe 194

nicht gestellt, ganz abgesehen davon, daß Kommunikationswissenschaft im genuinen und eigenständigen Sinne sich bei uns erst im Zeitraum der letzten Jahre, also nach Iwands Zeit zu einem selbständigen Wissenschaftsbereich entwickelt und gestaltet hat. Dieser Tatbestand besagt jedoch nicht, daß Iwand zu dem wichtigen Themenkomplex Predigt und Kommunikationsforschung, Homiletik und Empirie nicht einen wichtigen Diskussionsbeitrag einbringen kann. Die Verständigungsschwierigkeit zwischen theologisch orientierter und empirisch orientierter Homiletik resultiert m. E. aus einem Defizit an Kriterien sachlicher und angemessener Einordnung. Daraus ergeben sich Mißverständnisse, Kurzschlüsse und Disqualifizierungen nach beiden Seiten hin. Es werden Alternativen aufgebaut, die die Predigtarbeit gegenüber empirischen Methoden und Forschungsergebnissen unfrei und dialogunfähig machen. Dabei geschieht nicht nur dies, daß der Kommunikationsfluß zwischen der Theologie im Bereich der Homiletik und einem Stück Welt, das einen immer größeren Stellenwert bekommt: nämlich die Kommunikationsforschung, gehemmt oder gar unterbrochen wird. Sondern durch ein Kommunikationsdefizit im Hinblick auf die Empirie wird die Wirkungsmöglichkeit der Predigt eingeschränkt. Die Predigtarbeit, die auf das Bedenken und theologische Aufarbeiten empirischer Sachgehalte verzichtet oder ihm einen unangemessenen Stellenwert einräumt, mindert im Grunde das Maß der Freiheit zur Verkündigung und schränkt an einem exponierten Punkt ihre Solidarität mit der Welt und damit ihre Wirkungsmöglichkeit ein. Andererseits muß die Gefahr eines orientierungslosen, unqualifizierten Pragmatismus im homiletischen Umgang mit empirischen Wissenschaften gesehen und möglichst vermieden werden. Denn in solchem Pragmatismus artikuliert sich genauso Unfreiheit und Unfähigkeit zur Kommunikation und Solidarität, nur nach der anderen Seite hin; zumal dann, wenn er das, was die Kommunikationsforschung für die Predigtarbeit leisten kann, einseitig wertet und überschätzt63. 83 Kurt Sontheimer, Kommunikation wurde ein neues Zauberwort. Ev. Komm. 5, 1972, S. 74 ff. Erwägungen zu Möglichkeit und Grenze empirischer Wissenschaften in der Homiletik auf der Linie der Predigtlehre von R. Bohren s. auch bei M. Josuttis im Zusammenhang mit einem Versuch einer Zielbestimmung der Predigt: Was können die GPM leisten? GPM 27, 1973, S. 132 ff. Unter katechetisch-didaktischem Gesichtspunkt skizziert Christoph Bizer Iwands Meditationsverständnis bei seinem m. E. bedenkenswerten Versuch, Predigt als Lernziel in den Religionsunterricht einzuführen, Religionspädagogik und Homiletik enger aufeinander zu beziehen und so Rückfragen der Religionspädagogik an die Homiletik im Vollzug religionspädagogischer Arbeit zu diskutieren. Bizer stellt in seiner Skizze zu Iwand, auf die ich erst nach Fertigstellung des Manuskripts dieser Arbeit aufmerksam wurde, unter seiner speziellen Fragestellung auch Punkte heraus, die ich hier zu entfalten und im Kontext der Theologie Iwands zu begründen versucht habe. Chr. Bizer, Unterricht und Predigt, Gütersloh 1972, S. 87 ff.

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Darum ist an diesem für die Homiletik entscheidenden Schnittpunkt zwischen Predigtarbeit und Empirie theologische Grundorientierung und Ermitteln von Urteils- und Verständigungskriterien dringend erforderlich. Ohne sie wird m. E. eine theologische Integration empirischer Wissenschaften in die Homiletik, die über einen bloßen Pragmatismus hinausgeht und erst dadurch der Predigtarbeit nützt, nicht gelingen. Mit dieser Aufgabenstellung einer theologischen Grundbesinnung für die Integration der Empirie in die Homiletik gewinnt Iwands Interpretation der Inkarnation aktuelle Bedeutung. Dieser Bedeutung im Einzelnen nachzugehen, kann innerhalb dieser Arbeit thematisch und auch umfangmäßig nicht mehr unternommen und geleistet werden. Wir versuchen abschließend, einige Hinweise aufzuzeigen und weiterführende Linien zu markieren, die sich von Iwands Inkarnationsverständnis zum Fragenkreis Homiletik und Empirie abzeichnen und die mir geeignet erscheinen, Verständigungsschwierigkeiten zwischen Homiletik und Empirie abzubauen. Wesentlich ist, daß es von Iwands Interpretation der Inkarnation aus möglich ist, den „Weltbezug" der Predigtarbeit in konsequenter Offenheit zu inaugurieren und durchzuhalten, ohne daß dabei die theologischen Aspekte der Homiletik untergewichtig behandelt werden. Schon früh, während seiner Zeit des Inspektorats im Königsberger Lutherheim formuliert er dazu im Hinblick auf die Ausbildung von Kandidaten der Theologie zum Predigtdienst bedenkenswerte Sätze, wobei auch die „empirische Handhabung" im Beruf des Theologen (NW I, 224) durchaus im Blickfeld liegt: „Man müßte der Welt Gesicht zu zeichnen verstehen, um die Aufgabe der Theologie recht zu bestimmen", denn . . . „die Welt — wirklich die Welt, oder besser, die Menschen, in denen die Welt wirklich wird, ist unser der Theologen Beruf, die Welt wie sie heute ist, unser der Theologen von heute Beruf. Die Welt in der Theologie vergessen ist ebenso schlimm wie Gott zu vergessen" (NW I, 222 f.). Bei dieser Standortbestimmung des Berufs des Theologen ist charakteristisch, daß er an die Welt gewiesen ist und dabei Theologe bleibt. Er kann seinen Beruf nicht vorrangig oder ausschließlich empirisch verstehen und begründen, aber er darf ebenso die empirischen Aspekte seines Berufs mit ihrem spezifischen Gewicht nicht übersehen 64 . Sonst lebt und redet er an der Welt vorbei oder über die Welt hinweg. Wenn Iwand die Predigtarbeit richtungbestimmend und maßgeblich von der Inkarnation Jesu Christi her bedenkt und in seinen Predigtmeditationen die Intentionen und Konturen solcher Predigtarbeit aufzeigt, dann bedeutet das Anleitung dazu, weder an der Welt vorbei noch über die Welt hinweg zu sehen, sondern Predigtwort als Wort für die Welt zu erschließen. Pre64

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Hierzu K a r l Wilhelm Dahm, Beruf: Pfarrer. Empirische Aspekte, München 1971.

digt, die für die Welt relevant und effektiv ist, muß auch „der Welt Gesicht zu zeichnen verstehen". Für diesen die Wirkung der Predigt fördernden Teilaspekt der Homiletik haben die empirischen Wissenschaften Methoden entwickelt und Ergebnisse eingebracht, auf die Theologen, deren Beruf — wie Iwand sagt — „die Welt" ist, nicht verzichten können und die sie nicht unbeachtet lassen dürfen. Die Motivation der Verkündigung durch den Indikativ der Inkarnation gibt der Predigtarbeit nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Freiheit, Arbeitsgänge und -ergebnisse der Kommunikationsforschung homiletisch aufzuarbeiten und in einen theologisch reflektierten Kontext einzuordnen. Unter dieser Prämisse gewinnen Beiträge zur Homiletik ein spezifisches Gewicht, die die Predigtarbeit vom Hörer und seiner Situation her, bzw. primär und pointiert am Hörer orientiert konzipieren, die den „Hörer als zweiten Text" in einem ausgewogenen Verhältnis zum ersten berücksichtigen65. Ebenso ergibt sich die Notwendigkeit, Versuche, die Aspekte der Kommunikationsforschung oder solche der Lernpsychologie für die Predigtarbeit fruchtbar machen, indem sie „die Predigt als Lernprozeß" interpretieren 66 , systematisch zu analysieren und in einen theologischen Zusammenhang einzuordnen. Ohne theologischen Zusammenhang behalten empirische Aspekte der Homiletik ein Eigengewicht, das allzu leicht Eigengesetzlichkeit wird. Darum ist für den Umgang mit der Empirie in der Homiletik wichtig, Entscheidungskriterien zu entwickeln. Denn nur so gibt es begründete Verständigungsmöglichkeiten, die weder ein unkritisches Hinnehmen noch ein ebenso unkritisches Uhergehen von Möglichkeiten empirischer Arbeit für die Predigt bedeuten. Wo es aber um Verständigungsmöglichkeiten und um Verstehensprozesse bzw. um Kriterien dafür geht, da spielen nicht nur theologische sondern auch empirische Faktoren eine Rolle. Die Theologie, speziell die Homiletik wird diese empirischen Faktoren nicht allein ausmachen und entwickeln können und sollen, sie wird sie aber für das, was ihr aufgetragen ist, angemessen in Anschlag bringen und wird ihnen in der Predigtarbeit einen dem entsprechenden Stellenwert einräumen. Das Zusammenspiel von theologischen und empirischen Faktoren der Predigtarbeit kann von Iwands Inkarnationsverständnis aus im Sinne einer offenen, nicht festgelegten Komplementarität, die durchgehalten und nicht einseitig aufgelöst wird, begründet und versucht werden. Im Hinblick auf die traditionelle Homiletik und Predigtpraxis bedeu6 5 S. ζ. Β. E. Lange, Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit. Predigtstudien, Beih. 1, 1968. R. Bohren, Predigtlehre, 460 ff., darüber hinaus den ganzen 5. Teil des Buches: Der Hörer, S. 443 ff. mit der dort registrierten und verarbeiteten Literatur. ββ H . - D . Bastian, Theologie der Frage, Mündien 1969. Ders., Kommunikation, Stuttgart 1972. Besondere Aufmerksamkeit verdient, weil er die konkrete Predigtarbeit in Blick nimmt: Heribert Arens, Die Predigt als Lernprozeß, Mündien 1972.

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tet das zunächst, das Defizit an Empirie abzugleichen und aufzuarbeiten. Die empirischen Hintergrundsvariablen bei Prediger und Predigthörer 67 wollen gesehen und beim Projektieren und Kritisieren von Predigten beachtet werden. Die Phasen, in denen ein Verstehens- und Lernprozeß abläuft, sind bei der Rede einer Predigt nicht grundsätzlich andere wie bei einer solchen, die keine Predigt ist. Der Zusammenhang von Homiletik und Rhetorik, von Predigtinhalt und Predigtdidaktik kann nicht allein theologisch sondern muß auch unter empirischen Gesichtspunkten begriffen und gewahrt werden. Daß das Wort Fleisch geworden ist, hat zur Konsequenz, daß es „unter das ,Gesetz' getan" ist (Gal 4,4) und daß es darum auch unter anderem nach in der Welt ablaufenden Gesetzen und Prozessen weitergegeben und aufgenommen wird. Dies nicht zu sehen, läuft darauf hinaus, die Inkarnation Jesu Christi mit ihren Folgen für die Predigt doketisch-spekulativ zu verkürzen. Iwands Inkarnationsverständnis gibt der Homiletik den Impuls, den Weltbezug der Verkündigung auch als Affinität der Predigt zur Empirie zu intendieren und konsequent zu realisieren. Und das besagt, daß sie die Predigt nicht „im monotonen Stil der Wort-Gottes-Hermeneutik als sakramentalen Akt verklärt und von der Macht des Wortes alles, von der Rhetorik nichts erwartet" 6 8 . So überzeichnend und darum auch mißverständlich dieser Satz formuliert ist, so bezeichnet er doch eine schwache Stelle einer Homiletik, die die empirischen Aspekte unterschätzt. Iwand leistet mit seiner Konzeption der Inkarnation der homiletischen Diskussion den Dienst, daß sie dieser falschen Alternative Homiletik und Rhetorik nicht aufsitzt. Wenn wir seine Position im Hinblick auf die gegenwärtigen homiletischen Aporien weiterdenken und auslegen, wird die Richtung integraler Kommunikation dieser beiden Bezugsfelder sichtbar. Auf diese Weise kann auch der Illusion gewehrt werden, vor der Willi Born warnt, und der nicht nur der Predigthörer sondern auch der Prediger erliegen kann — der Illusion nämlich: „es komme nur auf den Inhalt der Predigt an, und dieser werde sich so oder so schon mitteilen, vor allem wenn er theologisch einwandfrei sei." 69 Von Iwands Inkar6 7 K . W. Dahm, Hören und Verstehen. Kommunikationssoziologisdie Überlegungen zur gegenwärtigen Predigtnot. Pred. Stud. IV/2, 1970, S. 9 ff., bes. S. 12 f. Uberarbeitete und weitergeführte Fassung in: Beruf: Pfarrer, S. 218 ff. Richard Riess, Zur pastoralpsychologisdien Problematik des Predigers. Pred. Stud. VI/1, 1971, S. 12 ff. Heinz Köllermann, Hilfen zum Verstehen unserer Zuhörer. Pred. Stud. V/1, 1970, S. 9 ff. ' 8 H.-D. Bastian, Theologie der Frage, S. 318. 6 9 Willi Born, Kriterien der Predigtanalyse. Handbücherei für Gemeindearbeit 52, Gütersloh 1971, S. 30. D a z u bes. auch: Joachim Konrad, Die evangelische Predigt. Grundsätze und Beispiele homiletischer Analysen, Vergleiche und Kritiken, Bremen 1963.

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nationsverständnis aus können wir die kognitive Komponente des Predigens und Predigthörens nicht als Mißtrauen gegenüber der Autopistie des Wortes erklären. Vielmehr besagt die Zuwendung der Menschwerdung des Wortes auch dies, daß Prediger und Predigthörer die Freiheit und die Pflicht haben, die Kriterien empirischer Kommunikationsmittel und -hilfen anzuwenden, damit das Wort als Wort dem Menschen gemäß gesagt und von ihm gehört werden kann. Das ist kein Verrat am ubi et quando visum est Deo oder gar Verzicht darauf. Denn es geht bei diesem Verfahren und Umgehen mit empirischen Möglichkeiten darum, vom Indikativ der Zuwendung her, in der Freiheit, die das menschgewordene Wort gewährt, und nicht im voraussetzungslosen, bloß pragmatischen Anwenden empirischer Kommunikationstechnik nun auch seine Gestalt ernst und wichtig zu nehmen. Es geht darum, vom Inhalt her und um des Inhalts willen auch der Form die angemessene Aufmerksamkeit zu schenken. Der Inhalt will seine Form finden, damit der Mensch ihn wahrnimmt und versteht. Diesen Einsatz und dieses Gefalle vom Indikativ her hat Iwand mit seinem Inkarnationsverständnis eindeutig akzentuiert und als konstitutives Element aller homiletischen Weiterarbeit von diesem Ansatz aus eingebracht. Audi dabei geht es letztlich um den Primat der promissio vor den Fakten, auch vor den Fakten der Empirie. Aber dieser Primat der promissio, der sich in der Inkarnation manifestiert, besagt auch dies, daß jeder theologisch verantwortete Umgang mit der Empirie gleichfalls Verheißung hat. Inkarnation in Iwands Verständnis auf die Homiletik weitergedacht bedeutet also nicht nur, daß die Empirie und ihre Fragestellungen und Arbeitsergebnisse auch noch irgendwie und irgendwann ihren Platz haben und zu Wort kommen, sondern daß sie vom theologischen Ansatz dieser Homiletik aus in indikativischer Offenheit mit gemeint und integriert zu bedenken sind. „Das Thema Kommunikation lehrt keine rechten Wege, sondern nur das richtige Gehen." 70 Aber was nützen die besten Wege, wenn man nicht richtig gehen kann? So werden wir Iwands Inkarnationsverständnis im Hinblick auf die Fragestellung nach der Integration der Empirie in die Homiletik auch als Stimulans dazu weiterdenken, „das richtige Gehen" zu lernen und einzuüben. Dabei kann es sich jedoch nicht um einen euphorischen Enthusiasmus für die Empirie handeln. Die Offenheit für die Empirie in der Homiletik, wie Iwand sie von der Inkarnation her intendiert, gründet ja gerade darin, daß der Einsatz beim Indikativ der Inkarnation und nicht bei der Empirie selbst liegt. Sie ist im Gesamtzusammenhang homiletischer Arbeit zu orten und unter der Voraussetzung funktionaler Integration 70

H.-D. Bastian, Kommunikation, S. 172.

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gegenüber anderen Arbeitsgängen der Predigt zu sehen und zu handhaben. Dies von Iwand her im Hinblick auf den gegenwärtigen Diskussionsstand um eine homiletische Theorie in Erinnerung zu bringen, könnte manche Aporie überwinden und vermeiden helfen. Denn „wenn wir das Reden Gottes in dem Sohn in seiner konstitutiven Bedeutung für alles, was Verkündigung und Offenbarung heißt, recht verstehen" (117) . . . , dann kann es bei homiletischer Aufarbeitung und Rezeption der Empirie nicht in dem Sinne um „zeitgemäße" Darstellung des Evangeliums gehen, daß wir es empirisch fassen. Das käme darauf hinaus, daß wir die Denkrichtung umkehren und die Gewichtung umwerfen mit dem Ergebnis, daß der Einsatz nicht beim Indikativ sondern bei der Empirie liegt, die Fakten vor die promissio zu stehen kommen. Wo diese Leitkategorie des Indikativs bei der Inkarnation in der Homiletik verlassen und aufgegeben wird, da wird empirische Methodik verabsolutiert und vergesetzlicht. Damit diese Aporie, die Sterilität der Verkündigung bedeutet, vermieden wird, ist es wichtig, die konstitutive Bedeutung zu bedenken, die Iwand dem Deum Deum esse bei seinem Inkarnationsverständnis gibt. Ohne diese Leitlinie wird die Homiletik der Empirie gegenüber unfrei. Sie läßt vermeintliche Ergebnisse von ihr absichern, die die Empirie ihrer eigenen Intention nach weder decken kann noch will. Eine Homiletik müßte es leisten, Empirie theologisch zu integrieren und aufzuarbeiten. Nur so kann eine Verabsolutierung ausgeschlossen werden. Was de Jong im Hinblick auf den Umgang des Theologen mit empirischen Wissenschaften am Beispiel der Kybernetik als Rat formuliert, erscheint als geeigneter Weg, solche Verabsolutierung zu vermeiden: „Er muß sozusagen feuerfest werden und einen langen Atem haben. Unter anderem indem er sich im voraus sowohl von Unterschätzung wie von Überschätzung, sowohl von Verdrängung wie von Panik freimacht" 71 . So richtig es also ζ. B. auf der einen Seite ist, in der Homiletik ein empirisches Defizit zu konstatieren — denn „ein Großteil der Predigtmisere hat nicht zuletzt darin ihren Grund, daß die Homiletik mit der Rhetorik nicht Schritt gehalten hat" 72 — so sehr wäre es auf der anderen Seite verabsolutiert und in dieser Verabsolutierung falsch, würde man aus diesem oder anderem empirischen Tatbestand das Postulat ableiten, die Predigt etwa als Rede vorwiegend monologischer Struktur habe keinen Sinn, keine Effektivität und sei am besten abzuschaffen. Auch die Alternative Monolog — Dialog ist in dieser Verabsolutierung falsch. Sie 71 J. M. de Jong, Theologie und Kybernetik. Abgedruckt in: Die Zukunft hat V o r rang, Kaiser Traktate 7, 1972, S. 9. 7 2 H. Arens, Die Predigt als Lernprozeß, S. 1 1 9 . Ein Beitrag zur Aufarbeitung dieses Defizits in der Homiletik gegenüber der Rhetorik liegt audi vor in dem Themaheft: Verkündigung und Rhetorik. Ev. Theol. 32, 1972, S. 3 ff.

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läßt sich auch nicht empirisch so einlinig und konsequent behaupten und aufrecht erhalten. Die lernpsychologische Kategorie des virtuellen Dialogs kann man nicht auf diese Alternative festlegen 73 . Darum ist es „unsachlich und oberflächlich, die Einbahnkommunikation ,Predigt' wegen des Attributes ,monologisch' in Mißkredit zu bringen" 74 . Vielmehr kommt es darauf an, die Chance der Predigt gerade auch als monologischer Rede aus ihrer theologischen Funktion abzuleiten und dabei lernpsychologische und andere empirische Aspekte angemessen zu berücksichtigen. Dialogische Struktur besagt mehr als nur Formales. Sie meint Dimensionen der Verständigung und Gemeinschaft 75 . So ist die Predigt, die in Form und Gestalt mehr monologisch strukturierter Rede ihren Sinn und ihr Recht hat und behält, im Gesamtzusammenhang der Kommunikation einer Gemeinde zu sehen und nicht von dem Geschehen der Gemeindearbeit als ganzer zu isolieren. In diesem Zusammenhang der Gesamtkommunikation innerhalb einer Gemeinde wird audi die Alternative Monolog — Dialog nicht im Sinne einer Ausschließlichkeit anzusehen sein; ganz abgesehen davon, „daß Dialoge, in denen Menschen pausenlos aneinander vorbeireden, weil ihnen die wichtigste Grundlage des Dialogs, die Kunst des Zuhörens, fehlt, entschieden monologischer sind" 76 . Beim Transzendieren und Uberwinden der Alternative Monolog — Dialog geht es nicht nur um die Form sondern auch um den Inhalt der Predigt. Es geht darum, daß die Predigt nicht gesetzlich wird, sondern ihre Potenz indikativischer Aussagen und Zusagen behält. Eine Predigt, die die indikativische Kategorie als selbstverständlich voraussetzt und etwa nur noch Appelle ausgibt oder über Aktionen diskutiert, löst sich selbst auf in starre Gesetzlichkeit. Sie verfällt „einer neuen, überaus zermürbenden und trostlosen Werkgerechtigkeit. Sie wäre um nichts besser als diejenige, gegen die Paulus und Luther mit solcher Leidenschaft gekämpft haben" 7 7 . Iwand weist uns auf diese Gesetzlichkeit unserer Predigten hin, wenn er sie weitgehend in Gefahr sieht, „effekthascherisch zu wirken, indem sie sich immer erneut auf die Jagd nach dem modernen Menschen aufmachen" (503 f.). Vielmehr sollte die Predigtarbeit bedenken, daß der moderne Mensch „gar nicht will, daß wir immer nur hinter ihm herjagen, er ist ja selbst ein Gejagter und sucht die H a n d , die ihn führt und leitet" 73

H. Arens, Die Predigt als Lernprozeß, S. 13 u. 109 ff. A.a.O., S. 14. 75 S. auch o. S. 38 fF.: Dialog als Struktur theol. Denkstils. 7β H. Arens, Die Predigt als Lernprozeß, S. 110. Wichtig ist für diesen Zusammenhang der ganze Abschnitt „Überlegungen zur ,monologischen' oder dialogischen* Form der Predigt" mit den Konsequenzen, die Arens für die Predigtpraxis dort zieht, S. 109 ff. 77 W. Born, Kriterien der Predigtanalyse, S. 29. 74

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(504). Die Kunde von der Gegenwart und Nähe dessen, der diese Hand nach uns ausgestreckt hat, indem er Mensch wurde, sollte darum „in unserer Predigt auf dem Plan" sein. „ . . . daß der Befehl, der ihn (sc. den Menschen) trifft, nicht ins Leere gehe, daß sein Pathos nicht aus der Zeit für die Zeit stamme, daß das Ziel aufleuchte, das über den Tag und über diese vergängliche Welt hin ausgerichtet ist, daran wird mehr liegen als an allen noch so geschickt aufgemachten apologetischen Bemühungen und sprachlichen Künsteleien" (504). Dieses Votum Iwands tendiert gegen den Eindruck weitgehender Predigtarbeit und Predigtpraxis: „daß die anonyme Öffentlichkeit die redende und predigende Kirche mehr interessiert, als der wirkliche Mensch, der sich unter und hinter dieser Decke des öffentlichen Lebens mit seinen Schmerzen, Freuden, seiner Schuld, Sünde, seinem Zweifel aber auch seinen Hoffnungen bewegt" (590). Darum kommt es entscheidend darauf an, daß der Predigt „der Durchbruch durch den Betrieb zur Botschaft" (ebd.) gelingt, zur Botschaft, die dem Menschen gilt und die ihn meint als den, für den Gott Mensch und das Wort Fleisch geworden ist. Dieser Durchbruch zur Botschaft kann nur dann erfolgen, wenn auch bei der Zuordnung von Predigt und Empirie Gott und Welt — Welt und Gott beieinander gemeint und gedacht werden. „Die W e l t . . . ist unser der Theologen Beruf" (NW I, 223). Darum ist auch empirisches Vorgehen Aufgabe der Predigtarbeit. Aber wir können als Theologen und Prediger nicht die Welt meinen und Gott dabei vergessen. Und genauso umgekehrt: wir können nicht Gott meinen und die Welt dabei vergessen. Iwand sieht und zeigt die Alternative, er sieht und zeigt den „platonischen Riß" zwischen Gott und Welt in der Inkarnation transzendiert. Gott will in Jesus Christus als der weltgebundene, der sich an die Welt gebunden hat, vernommen sein, und die Welt will von Jesus Christus und seiner Inkarnation in der Welt als eine gottgebundene gesehen und verstanden sein. Auf diese Zueinandergehörigkeit zwischen Gott und Welt und Welt und Gott setzt Iwand den Akzent bei seiner Auslegung der Inkarnation und infolgedessen auch bei der Anleitung zur Predigt von diesem methodischen Einsatzpunkt aus. Damit bekommt die Inkarnation bei Iwand die hermeneutische Leitfunktion, die den „platonischen Riß", die falsche Alternative zwischen Gott und Welt transzendiert. Von dieser Position aus kann eine neue Komponente in die Homiletik als Diskussionsbeitrag eingebracht werden: Der Ansatz für eine Predigtarbeit ohne theologisches wie auch ohne empirisches Defizit. Denn in der Inkarnation, wie Iwand sie konzipiert, sind mit der Alternative zwischen Gott und Welt, Gesetz und Evangelium auch die Alternativen zwischen Homiletik und Rhetorik, Pneumatologie und Empirie, Theorie und Praxis transzendiert. So 202

bedeutet es m. E. einen nicht unerheblichen Schritt aus Aporien homiletischer Diskussion und Predigtpraxis der Gegenwart, wenn die Homiletik von Iwands Ansatz aus ihre Weiterarbeit projektiert. Diese Untersuchung stellt einen Versuch dar, den Ertrag von Iwands theologischer Bemühung dazu an einigen wesentlichen Punkten einzubringen und an seinen Predigtmeditationen einige leitende Richtpunkte aufzuzeigen, die erkennen lassen, in welcher Richtung und mit welcher Intention sich Predigtarbeit von diesem Ansatz aus zukünftig vollzieht.

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Schlußbemerkungen Mit den Überlegungen zum Stellenwert der Inkarnation Jesu Christi in Iwands homiletischer Arbeit sind wir an den Ausgangspunkt unserer Gedankenführung zurückgekehrt und damit an den Abschluß der Aufgabenstellung dieser Untersuchung gelangt. Die transzendierte Alternative zwischen theologisch und empirisch orientierter Homiletik mündet bei Iwand in die Zuordnung von Theorie und Praxis und damit in die Zuordnung von Gesetz und Evangelium in Gestalt komplementärer Einheit ein, mit der wir diese Untersuchung begonnen haben. Damit schließt sich der Kreis von Gedankenschritten, und es ist ein Punkt erreicht, der als vorläufiger Schlußpunkt bezeichnet werden kann. Er kennzeichnet einerseits zunächst abschließend den Ertrag, den diese Arbeit an Iwands Predigtmeditationen für die Homiletik der Gegenwart zu erbringen versucht hat, und er zeigt zugleich Perspektiven möglichen Weiterdenkens Iwandscher Intentionen im Hinblick auf zukünftige Predigtarbeit. Es ergibt sich ein systematischer Durchblick durch das Material von Iwands Predigtmeditationen im Kontext der Gesamtheit seiner Theologie und die Möglichkeit, Konturen zu erkennen, nach denen sich einzelne Arbeitsschritte und die Struktur seines Denkstils zu einer Ganzheit formen. Die Dynamik, die diese Ganzheit in Spannungsbogen fügt und als immer neu zu unternehmenden Denkprozeß intendiert, ist in Iwands Zuordnung von Gesetz und Evangelium begründet. Diese Kategorie hat hermeneutische Leitfunktion in seiner gesamten theologischen Arbeit. Sie bezeichnet den sogenannten „kritischen Punkt", von dem aus Iwand jeweils die Möglichkeit ansteuert, Entscheidungskriterien zu entwickeln und Verständigungsmodelle zu entwerfen. Iwands Predigtmeditationen wollen in diesem Sinne als Modelle homiletischer Kommunikation verstanden und benutzt sein. Sie stellen eine permanente Bemühung theologisch reflektierter Verständigung dar und sind ihrem Stil nach in homiletische Orientierung umgesetzte und auf die Predigtarbeit der Gegenwart hin weitergedachte theologische Reflexion. Damit ist die Originalität der Predigtmeditationen Iwands charakterisiert. Sie wollen nicht imitierbar sondern den eigenen Einsatz für die Predigtaufgabe stimulierend ihre Wirkung entfalten. Inhaltlich und systematisch theologisch profiliert sich diese Originalität der Predigtmeditationen in der Kategorie des Zeugen und der Predigt als Zeugendienst. 204

Iwand nimmt eine Position ein und zeigt mit seinen Predigtmeditationen auf eine Position hin, die Offenheit und Dialogfähigkeit motiviert. Profil und Qualifikation zum Dialog sind einander zugeordnete und provozierende Kategorien. Die Ermöglichung und Begründung dialogischer Potenz der Verkündigung sieht Iwand in dem Indikativ der Zuwendung, den die promissio ansagt und die Inkarnation Jesu Christi manifestiert. Eine Hauptintention der so motivierten und orientierten Verkündigung liegt im Transzendieren falscher Alternativen und im Überwinden des „platonischen Risses" zwischen Idee und Wirklichkeit in all seinen verschiedenen Spielarten und Konsequenzen. So zeigt sich als wesentliche Struktur theologischer Reflexion bei Iwand das Genus komplementärer Einheit, die sich auch in der Ganzheit zwischen Inhalt und Form, zwischen Systematik und Methodik darstellt. Diese durch die Inkarnation motivierte Ganzheit ermöglicht Predigt, der Weltbezug grundsätzlich immanent ist. Realitätsgehalt der Verkündigung gründet im Indikativ der Inkarnation, die Iwand im Zusammenhang der Gesamtgeschichte Jesu Christi sieht und auslegt. Dieser Indikativ befreit nicht nur zum Wort für die Welt sondern zum Dienst an der Welt. Denn auch die falsche Alternative zwischen Wort und Tat sieht Iwand in der Inkarnation transzendiert, die Einheit zwischen Lehre und Leben in ihr manifestiert. Die Standortbestimmung der Predigt als Zeugendienst, wie Iwand sie in seinen Predigtmeditationen unternimmt, bedeutet damit seine Antwort auf die Predigtkrise und Predigtnot. Diese Antwort geschieht als Angebot einer Hilfestellung, die Krise und Problematik der Predigt auszuhalten und durchzustehen, ohne sie zu dramatisieren oder zu bagatellisieren. Denn — das versucht Iwand mit seinen Predigtmeditationen zu zeigen, und diesen Tatbestand hat diese Arbeit an ihnen evident zu machen versucht: die Predigt der Verheißung ist die Verheißung der Predigt. Sie führt aus der Krise der Predigt zur Gewißheit der Predigt. Denn Verheißung provoziert. Sie provoziert auch Prediger dazu, an der Arbeit für die Predigt zu bleiben, die uns als ihre Zeugen in Dienst nimmt.

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Arbeiten zur Pastoraltheologie 1

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2

Heinrich Wittram, Die Kirche bei Theodosius Harnack. 1963. 189 Seiten.

3

Hartmut G. Metzger, Kriterien christlicher Predigt nach Sören Kierkegaard. 1964. 196 Seiten.

4

Hans-Joachim Wollstadt, Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde. 1966. 379 Seiten.

5

Wilhelm Pressel, Die Kriegspredigt 1914—1918 in der evangelischen Kirche Deutschlands. 1967. 379 Seiten.

6

Friedrich 'Wintzer, Die Homiletik seit Sdileiermadier bis in die Anfänge der ,dialektischen Theologie' in Grundzügen. 1969. 231 Seiten.

7

Hans-Jürgen Fraas, Katechismustradition. 1971. 370 Seiten.

8

Bjarne Hareide, Die Konfirmation in der Reformationszeit. 1971. 317 Seiten.

9

Werner Krusche, Schritte und Markierungen. 1972. 217 Seiten.

10

Jörg-Viktor Sandberger, Pädagogische Theologie. 1972. 292 Seiten.

11

Hans Mohr, Predigt in der Zeit. 1973. XXXII+ 416 Seiten.

12

Olaf Meyer, „Politische" und „Gesellschaftliche Diakonie" in der neueren theologischen Diskussion. 1974. 479 Seiten.

13

Wolfgang Steck, Das homiletische Verfahren. 1974. 232 Seiten.

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Ferdinand Hahn Mainzer Predigten 122 Seiten, kart. H a h n sucht die Predigtnot unserer Zeit zu steuern, indem er die „vertikale" Dimension betont. E r wendet sich gegen die theologischen Bestrebungen, die im sozialen Engagement aufzugehen drohen u n d stellt mit Nachdruck fest, d a ß der Mensch das Wesentlichste nicht schaffen k a n n , sondern sich von G o t t schenken lassen muß. E r will anschaulich zeigen, was geschieht, wenn der Mensch sich zu G o t t hin r u f e n läßt u n d bringt deshalb sehr viel Exegetisches u n d w ä h l t sehr o f t die Form einer Homilie. Zweifelsohne sind die vorliegenden Predigten f ü r eine traditionelle Gemeinde anregend. O b sie freilich denen verständlich sind, die nur noch die „ H o r i z o n tale" sehen können, aber nicht in der Lage sind, G o t t als Quelle der K r a f t z u m Leben zu finden, m u ß doch fraglich bleiben. Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

Gerhard von Rad Predigtmeditationen 105 Seiten, kart. Es handelt sich hier u m eine Sammlung von 22 Predigtmeditationen, die schon f r ü h e r in verschiedenen Schriften veröffentlicht wurden. Vorangestellt ist ein bisher unveröffentlichter Beitrag über Exegese u n d Predigt. Diese Meditationen hauptsächlich über alttest. Texte sind als Arbeitshilfe f ü r die Predigtvorbereit u n g gedacht. Siez eichnen sich aus durch wissenschaftliche Genauigkeit in der Erforschung des Textes u n d exakte Auslegung der Schrift. M a n staunt immer wieder, wie der Text z u m Reden gebracht wird. Es werden keine abgerundeten Erkenntnisse geboten, vielmehr w i r d der Prediger zu eigenem Nachdenken u n d Forschen angeregt. Ein Buch, das bei der Suche n a d i einem Text und beim Forschen nach seinem Sinn wertvolle H i l f e leistet. Wort und Tat

Hans-Joachim Iwand Predigt-Meditationen Bd. 1 vergr. Bd. 2 235 Seiten, Leinen Zweierlei fällt einem beim Lesen dieser Predigtmeditationen a u f : 1. Der Verfasser hat mit gründlicher Sachkenntnis an den Texten (durchweg aus dem Neuen Testament) gearbeitet u n d sie in ernstem Nachdenken f ü r den Leser u n d seine Lage fruchtbar gemacht. Bei der Auslegung werden die alten u n d neueren Schriftforscher mit ins Gespräch genommen. 2. Die Meditationen kommen aus einem tiefen Vertrauen zur Schrift, die selbstverständliche A u t o r i t ä t f ü r den Verfasser ist. Sein tiefstes Anliegen ist, d a ß die grundlegenden Wahrheiten des Heils in der Predigt z u m Ausdruck gebracht werden. Wort und Tat

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen