Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand – Kritische Theologen im Dienst der Kirche [1 ed.] 9783666564529, 9783525564523

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Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand – Kritische Theologen im Dienst der Kirche [1 ed.]
 9783666564529, 9783525564523

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar, David Fergusson und Christiane Tietz

Band 157

Michael Basse / Gerard den Hertog (Hg.)

Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand – Kritische Theologen im Dienst der Kirche

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0429-162X ISBN 978-3-666-56452-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt

Michael Basse / Gerard den Hertog

Vorwort

Das 31. Symposion der Hans Iwand-Stiftung, das vom 28.–30. August 2014 in Dortmund stattfand, war dem Thema gewidmet: „Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer: Kritische Theologen im Dienst der Kirche“. Zum ersten Mal wurden die beiden namhaften und bedeutenden Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts zusammen in den Blick genommen und miteinander verglichen. Beide haben ja je auf ihre eigene Weise Zugang zu Karl Barth gefunden, freilich ohne damit Abschied von Luther zu nehmen. Beide haben als junge Theologen ein Predigerseminar der Bekennenden Kirche geleitet. Wenn auch biografisch ihre Wege ganz unterschiedlich verliefen, bleibt die wichtige und interessante Frage: und wie steht es mit ihrer Theologie? Auf dem Symposion bot Dr. Christian Neddens (Universität Saarbrücken) eine Einführung in die biografischen und theologiegeschichtlichen Zusammenhänge. Prof. Dr. Ralf K. Wüstenberg (Universität Flensburg) referierte über „Die Verarbeitung der Soziologie bei Bonhoeffer und Iwand in ihrer Ekklesiologie: ihre Verheißung für heute“. Dieses Thema war wichtig und interessant, aber es war den Organisatoren und den Teilnehmern des Symposions klar, dass es nur ein Thema unter vielen war. So kam schon auf der Tagung der Gedanke auf, Experten zu Bonhoeffer und/oder Iwand einzuladen, den Vergleich an weiteren Themen zu vertiefen. Das Echo war erfreulich groß, wobei viele Aspekte ins Visier genommen wurden. Andere Themen, die in Betracht kämen, könnten zukünftig noch behandelt werden, so dass dieser Band ein erster Ertrag der Forschung ist und einen Impuls zum weiteren Studium geben kann. Einige Beiträge beschäftigen sich sowohl historisch als auch systematischtheologisch mit gesellschaftlichen und politischen Themen, die Bonhoeffers wie Iwands Biografie bestimmten: das Engagement für den Frieden (Prof. Dr. Michael Basse), den Umgang mit den Fragen von „Stände“ und „Ordnungen“ (Pfr. Markus Franz), die Gedanken zum Widerstandsrecht (Prof. Dr. Marco Hofheinz) und die Ansätze zum Schuldbekenntnis und zur Umkehr (Dr. Wilken Veen). Sechs andere Beiträge sind mehr systematisch-theologisch formuliert, beziehen aber ebenso den biografischen und zeitgeschichtlichen Kontext ein: das Ver-

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hältnis von Gesetz und Evangelium (Prof. Dr. Gerard den Hertog), der Sündenbegriff in den Arbeiten beider aus der Zeit der Predigerseminare (Annette Kern), dem „Christologischen Realismus“ (Prof. Dr. Joh. von Lüpke), die Metapher des Lückenbüßers aus soteriologischer Perspektive (Cees-Jan Smits), die „Erlösung zum Diesseits“ (Prof. Dr. Edgar Thaidigsmann) und die Eschatologie (Clara Aurelia Tolkemit). Der Beitrag von Prof. Dr. Bernd Wannenwetsch hat noch mal eine andere Blickrichtung, denn er schaut gezielt mit Bonhoeffer und Iwand in die Gegenwart: „Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens und ihre Bedeutung für die Ethik“. Damit weist er auch in die Richtung des Abschlussvortrags von Prof. Dr. Hans G. Ulrich auf der Dortmunder Tagung, der die Frage erörterte, was mit Bonhoeffer und Iwand im Hinblick auf die heutige Lage von Kirche und Theologie zu besprechen wäre. Das ist das Ziel, das auch schon auf dem Symposion deutlich im Blick war, aufzuzeigen, welche Relevanz das Studium dieser „Kritischen Theologen im Dienst der Kirche“ für uns heute hat und wozu es uns herausfordert. In allen Beiträgen zeigt sich denn auch, dass die Ergründung des Zusammenhanges zwischen Iwand und Bonhoeffer mehr ist als nur ein Vergleich in historischer Perspektive – er gibt neue Impulse, die uns heute herausfordern und anstoßen. Theologie im Sinne von Bonhoeffer und Iwand kann nicht als nur „Fachwissenschaft“ betrieben werden – es geht um nicht weniger als um gelebte theologische Existenz heute. Unser Dank gebührt: den Referenten des Dortmunder Symposions und allen, die sich an den anschließenden Diskussionen beteiligt haben, für die Anregungen, die damit nicht zuletzt diesem Buch zugutegekommen sind; ebenso den weiteren Autorinnen und Autoren, die das aufgenommen und in unterschiedlichen Perspektiven entfaltet haben; Frau Prof. Dr. Christine Axt-Piscalar (Göttingen) und Frau Prof. Dr. Christiane Tietz (Zürich) für die Aufnahme der Publikation in die Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie“; der Hans Iwand-Stiftung e.V., der Theologische Universiteit Apeldoorn und der Stichting Horizon für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses; den Dortmunder Hilfskräften Miriam Conrad und Kristin Ulrich für die Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage; und last but not least den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht, namentlich Herrn Christoph Spill, für die gute Zusammenarbeit. Dortmund / Apeldoorn, im Mai 2016

Inhalt

Michael Basse / Gerard den Hertog Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einführung Christian Neddens Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer als kritische Theologen im Dienst der Bekennenden Kirche. Eine biographische und zeitgeschichtliche Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Einzelthemen Michael Basse Dietrich Bonhoeffers und Hans Joachim Iwands Engagement für den Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Markus Franz Handeln in Gottes zuvorkommender Gegenwart. Die Spuren der Ständelehre Luthers in Bonhoeffers und Iwands Gesellschaftsethik . . . .

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Gerard den Hertog Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums. Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand zur rechten Predigt des Gesetzes . . . . . . . . . . .

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Marco Hofheinz „Mein Freund ist Dr. Bonhoeffer gewesen“ – oder: „… dass an diesem Punkt bei uns etwas nicht stimmt“ Zur Wiederentdeckung des Widerstandsrechts im 20. Jahrhundert in der politischen Ethik Dietrich Bonhoeffers und Hans Joachim Iwands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

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Inhalt

Annette Kern „Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein.“ Der Sündenbegriff in Hans Joachim Iwands Von der Gemeinschaft christlichen Lebens und Dietrich Bonhoeffers Beichte und Abendmahl . . . . . . . . . 129 Johannes von Lüpke Christologischer Realismus. Erkundungen zum Verständnis der Wirklichkeit bei Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand . . . . . . 149 Cees-Jan Smits „Gut genug dessen Risse zu decken“ Die Metapher des Lückenbüßers aus soteriologischer Perspektive bei Hans Joachim Iwand, Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Edgar Thaidigsmann „Erlösung zum Diesseits“ Ein Vortrag Iwands mit Blick auf theologische Ansätze Bonhoeffers in Widerstand und Ergebung . . . . . . . . . . . . . 189 Clara Aurelia Tolkemit „Christus, unsere Hoffnung“ (1Tim 1,1) – Überlegungen zu einer wirklichkeitstreuen Eschatologie bei Dietrich Bonhoeffer mit Ausblicken auf Hans Joachim Iwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Wilken Veen Bonhoeffer und Iwand zum Schuldbekenntnis und zur Umkehr. Ein Vergleich des Schuldbekenntnisses aus Bonhoeffers Ethik und Iwands Entwurf für das Darmstädter Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Bernd Wannenwetsch Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens und ihre Bedeutung für die Ethik . . . . . . . . 267 Ralf K. Wüstenberg Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie und ihre ethischen Folgerungen im Quervergleich zu Iwand . . . . . . . . . . . . . 283

3. Bilanz und Ausblick Hans G. Ulrich Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre im Hinblick auf die heutige Lage der Kirche und der Theologie . . . . . . . . . . . . . 301 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

Abkürzungen

BA BVP DBW FO GS GA I GA II NW NWN PM

Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Iwand Iwand, Briefe, Vorträge, Predigtmeditationen Dietrich Bonhoeffer Werke Iwand, Frieden mit dem Osten Bonhoeffer, Gesammelte Schriften Iwand, Gesammelte Aufsätze Iwand, Glaubensgerechtigkeit Iwand, Nachgelassene Werke Iwand, Nachgelassene Werke Neue Folge Iwand, Predigtmeditationen

1. Einführung

Christian Neddens

Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer als kritische Theologen im Dienst der Bekennenden Kirche Eine biographische und zeitgeschichtliche Skizze

I.

Momentaufnahmen einer Nähe auf Distanz

Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer – mit diesen Namen treten uns zwei Theologen vor Augen, die das Profil der Bekennenden Kirche maßgeblich geprägt haben, die sich in vielem theologisch sehr nahe standen – und die sich dennoch auffällig wenig gegenseitig wahrgenommen zu haben scheinen: in den theologischen Werken finden sich nur marginale Bezugnahmen1 und auch von einem persönlichen Briefkontakt wissen wir nichts.2 Zumindest ein Besuch Bonhoeffers bei Iwand im Juli 1939 ist bezeugt.3 Und Iwand bezeichnete Bonhoeffer im Remer-Prozess 1952 posthum als seinen „Freund“.4 1 Am Häufigsten begegnet Bonhoeffer in Iwands Predigtmeditationen ab 1953, also nach dem Remer-Prozess. Siehe PM I, 365, 450, 455, 675, 677. Aber auch hier bleibt die Bezugnahme recht distanziert. 2 Vgl. Iwand-Nachlass, BA Koblenz N 1528; Nachlass Dietrich Bonhoeffer. Ein Verzeichnis. Archiv – Sammlung – Bibliothek. Erstellt von Dietrich Meyer in Zusammenarbeit mit Eberhard Bethge, München 1987. 3 Bethge, Bonhoeffer, 744; Seim, Iwand, 245f. Vier Jahre zuvor, auf der Synode der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union in Berlin-Steglitz 1935, als die Arierfrage akut war, hielt Iwand eine Andacht über Lukas 14,25–35; und Bonhoeffer mit seinen Studenten aus Finkenwalde saß unter den Zuhörern. Ab Herbst 1945 wohnte dann Maria von Wedemeyer, Bonhoeffers Verlobte, einige Zeit in einer Mansarde in Iwands Haus in Göttingen; 1948 heiratete sie Paul Schniewind, Sohn von Iwands ehemaligem hochgeschätztem Kollegen in Königsberg. (Diese Hinweise verdanke ich Prof. Gerard den Hertog.) 4 „Mein Freund ist etwa Dr. Bonhoeffer gewesen, auch ein Freund von Herrn Wolf.“ Über die Attentäter des 20. Juli sagte Iwand, „das waren keine Landesverräter, sondern sie haben zum äußersten gedrängt und in ultima ratio getan, was sie tun mußten, um die Last von ihren Gewissen zu nehmen. Ich habe den Grafen Dohna sehr gut gekannt, der am 20. Juli sein Leben eingesetzt hat. Ich weiß, daß diese Männer jahrelang unter schwerster Last getragen haben für ihr Land“. (Kraus, Remer-Prozeß, 19 und 25.) Heinrich Graf zu Dohna (1882–1944), ostpreußischer Patronatsherr und Mitglied des ostpreussischen Bruderrats, war bei der Einweihung des Predigerseminars Bloestau anwesend. „Er blieb mit Iwand verbunden, als dieser 1937

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Nichtsdestotrotz: Bonhoeffer erwähnte Iwand so gut wie nie. Und wenn Iwand Bonhoeffer erwähnte, dann tendenziell eher kritisch und manchmal sogar etwas despektierlich – jedenfalls solange Bonhoeffer lebte. In einem Brief an Hans Asmussen vom 26. 3. 1937 nannte Iwand Bonhoeffers Auffassung zum „Verhältnis von Schrift und überlieferten Bekenntnissen“ einen der problematischen Punkte, die in der BK nicht klar seien.5 An Georg Eichholz schrieb er am 8. 5. 1940 im Blick auf dessen Edition von Predigtmeditationen Bonhoeffers und Dehns, bei jenen fehle „der Bezug auf die Predigt der Kirche und eine gewisse dogmatische Vorüberlegung“.6 Das war ein ziemlich vernichtendes Urteil. Nicht sehr schmeichelhaft war auch ein kleiner Seitenhieb auf Bonhoeffer in einem Brief an die Ostberliner Müllers noch 1960, dass Hegel über den in der gegenwärtigen Epoche wirkenden ‚Geist‘ „doch noch besser redet, als es Bonhoeffer von dem ‚Allgemeingeist‘ tut“.7 Das war das Fazit, nachdem Iwand Bonhoeffer gerade in seiner Ekklesiologie-Vorlesung bearbeitet hatte.8 Und auch als sich Iwand auf der EKD-Synode in Berlin-Spandau im März 1957 zu Bonhoeffers Pazifismus bekannte, markierte er zugleich den früheren Dissens: „Ich erinnere mich an ein letztes Gespräch, das ich mit Dietrich Bonhoeffer darüber hatte, wo ich Zweifel gegenüber seiner Neigung zum Pazifismus zum Ausdruck brachte. Ich wurde ja mit dieser Anschauung, die ich heute habe, nicht geboren“.9 Und wie sah Bonhoeffer Iwand? Darüber lässt sich fast nichts sagen. Ignorierte jener den Älteren bewusst? Trug er ihm vielleicht dessen vernichtende Rezension zu Franz Hildebrandts Dissertation „Est“ nach? 10 Bei einer Rundfunkrede am 1. 2. 1933 (‚Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation‘) äußerte Bonhoeffer: Es geht eine unsichtbare, aber unüberschreitbare Grenzlinie zwischen denen, die im Krieg waren, und den nur ein wenig Jüngeren, die in der Zeit des Zusammenbruchs wach und reif wurden. Dies wird von den Jüngeren eben noch stärker gespürt als von den Älteren.11

Ob Bonhoeffers Diktum von der „unsichtbaren Grenzlinie“ insgesamt auf eine Distanz zur Generation der Kriegsteilnehmer schließen lässt, die neben Bon-

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Ostpreußen verlassen mußte. Möglicherweise wußte Iwand durch ihn und seine westfälischen Verwandten [Kanitz] etwas von der Vorbereitung auf den 20. Juli, aber dafür gibt es naturgemäß keinen schriftlichen Beleg.“ (Seim, Iwand, 167f, vgl. 287). BA Koblenz N 1528, Iwand-Nachlass, zitiert nach den Hertog, Stationen auf dem Weg, 221. In: Seim, Iwand-Studien, 160. Brief an Hanfried und Rosemarie Müller, 11. 3. 1960, in: Sänger/Pauly, Iwand, 215. Iwand, Dogmatik-Vorlesungen, 252–255. Klappert/Weidner, Schritte zum Frieden, 133f. Iwand, Rez. Franz Hildebrandt, EST, GA II, 272–275. DBW 12, 244.

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hoeffers älteren Brüdern eben auch Iwand einschloss (der mit Bonhoeffers ältestem Bruder Karl-Friedrich gleichalt war)? Insgesamt jedenfalls muss man sagen: Es bleibt bei einer auffälligen wechselseitigen Reserve, so dass man von Momentaufnahmen einer Nähe auf Distanz sprechen kann – zumindest solange beide lebten. Spätestens mit dem Remer-Prozess und seinen eigenen Überlegungen zum Verhältnis von ‚Kirche und Gesellschaft‘ rückt Bonhoeffer Anfang der 1950er Jahre verstärkt ins Blickfeld Iwands.

II.

‚Kritische Theologen‘? Eine ‚späte Begegnung‘ unter sozialistischem Vorzeichen

Wo finden also Bonhoeffer und Iwand – wenn schon nicht biographisch, dann zumindest – rezeptionsgeschichtlich zusammen? Auch zwischen den Schülerkreisen Bonhoeffers und Iwands gibt es nicht viele Überschneidungen. Wenn es einen Theologen gibt, der Iwand und Bonhoeffer als seine herausragenden Impulsgeber rezipierte – und zwar unter der dezidierten Maßgabe einer ‚kritischen Theologie‘ – dann ist das Hanfried Müller (1925–2009), der Ostberliner VorzeigeTheologe eines sozialistisch geläuterten Christentums. Müller hatte in Göttingen bei Iwand studiert, war 1952 in die DDR übergesiedelt, wo er mit der ersten Bonhoeffer-Gesamtinterpretation unter dem bezeichnenden Titel „Von der Kirche zur Welt“ promoviert wurde. Als Professor an der HU Berlin, als Mitbegründer des Weißenseer Arbeitskreises und Mitverfasser der „7 theologischen Sätze über die Freiheit der Kirche zum Dienen“ (1963) engagierte sich Müller für eine ‚Kirche für den Sozialismus‘. Das theologische Mittel dazu war eine durch Iwands Kreuzestheologie fundierte Lesart des späten Bonhoeffer. Müller plädierte für eine radikale Diesseitigkeit im Sinne eines ‚immanenten Optimismus‘ sozialistischer Prägung. Über Bonhoeffer und Iwand urteilte Müller darum folgendermaßen: Bonhoeffer ist der Zeuge für die Freiheit des Christen, als Mündiger in der mündigen Welt zu leben – ohne religiöse Werke, ohne weltanschauliche Beschneidung, ohne die Menschensatzungen eines tradierten Christentums.12

Und Iwand ist einer der ganz wenigen Theologen unserer Zeit, die gegen alle irrationalistischen und existentialistischen Tendenzen wissen, daß die Freiheit der Tat ihre Wurzel […] in den Bedingungen der Wirklichkeit hat – und daß diesen Bedingungen eine Gesetzlichkeit innewohnt, die wir in der Geschichte lernen.13 12 Müller, Von der Kirche zur Welt, 424. 13 Ders., in: Neue Zeit, Berlin, 7. 7. 1959, in: Sänger/Pauly, Iwand, 222.

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Müller trat für die uneingeschränkte Anerkennung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung mitsamt ihren atheistischen Implikationen als der allein wissenschaftlichen Anschauung ein. Gerade in ihrem Atheismus entspreche diese Weltanschauung einer nicht-religiösen, kreuzestheologischen Interpretation des christlichen Glaubens, weil der weltanschauliche Atheismus den „Mißbrauch des Namens Gottes für weltliche Ziele und Zwecke“ verhindere.14 Müller verband Iwands Kritik des homo religiosus und dessen Offenheit für die Anliegen des Sozialismus mit Bonhoeffers Forderung nach einer „nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe“ und einer „Arkandisziplin“. Letztere deutete Müller als „Aufhebung der Öffentlichkeit christlicher Religiosität“.15 Die Welt bedürfe, um mündig zu werden, der Freiheit von der Religion.16 Deshalb empfange „der Mensch gerade in der Botschaft vom in der Welt ohnmächtigen Gott die Freiheit zum theoretischen, wissenschaftlichen Atheismus als Weltanschauung.“17 Müllers Entwurf war letztlich ein theologischer Freibrief für den totalitären Anspruch der atheistischen Weltanschauung und für die Eigengesetzlichkeit des Politischen18 in einer – wie einer der bedeutendsten Theologen in der DDR, der heute fast vergessene Günter Jacob, scharf kritisierte – „falschen Zweireichelehre“.19 Warum beginnt dieser Überblick zu Iwand und Bonhoeffer mit einer Erinnerung an Hanfried Müller? Keiner hat wie er Iwand und Bonhoeffer als ‚kritische Theologen‘ zusammengesehen und gegenüber allen anderen, auch gegenüber Barth und Luther, herausgehoben. Natürlich kann man mit einigem Recht behaupten, dass Müller seine Protagonisten verzeichnet, vielleicht auch missbraucht. Bonhoeffer konnte sich dazu nicht mehr äußern. Aber Iwand immerhin hatte gegen Müllers sozialistische Reformulierung der Kreuzestheologie, wie es scheint, wenig einzuwenden.20 Natürlich konnte Iwand nicht wissen, dass Han14 15 16 17 18

Müller, Von der Kirche zur Welt, 551, Anm. 1155. Vgl. Dinger, Auslegung, 207. Müller, Von der Kirche zur Welt, 400. Ebd., 358. Ebd., 402. Vgl. ders., Evangelische Dogmatik I, 254. „Nichtreligiöse Interpretation heißt, das Evangelium nicht metaphysisch verstehen, sondern als das Wort des in dieser Welt leidenden Gottes für den in dieser Welt frohen, starken und aktiven Menschen.“ (Müller, Von der Kirche zur Welt, 418) 19 Jacob, Weltwirklichkeit und Christusgemeinde, 1977. 20 Hätten Bonhoeffer und Iwand der ausschließlichen Negativität der Müllerschen Dialektik zustimmen können? Ist das Kreuz allein – wie Müller meint – „das Zeichen der Macht des Menschen, der Gott richtet, und der Ohnmacht Gottes, der sich von Menschen töten läßt“ (Müller, Von der Kirche zur Welt, 386)? Und hätten sie dem Satz zugestimmt: „der Christ muß gerade in aller Gottverlassenheit, an der Gottverlassenheit Jesu teilnehmend, in der Welt leben, ohne diese Gottverlassenheit dadurch zu verleugnen, daß er sich doch wieder einen Gott schafft, der mächtig in der Welt ist“ (Müller, Von der Kirche zur Welt, 387)? Und wären Iwand oder Bonhoeffer einverstanden gewesen, wenn Müller die Kirche „zu selbstkritischer

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fried Müller Mitarbeiter der Staatssicherheit war und darüber hinaus aktiv tätig im Geheimdienst der DDR.21 Aber auch ohne dieses Wissen war die aktive Rolle der Müllers für die SED bekannt. Iwand machte sich über die Lage in der DDR keine Illusionen: „Die Lage ist wirklich furchtbar“, schrieb er noch kurz vor seinem Tod an die Gräfin Kanitz.22 Trotzdem konnte er wenige Monate zuvor an Ehepaar Müller schreiben: „Ich bin so gern bei Ihnen und spreche gern mit Ihnen über alle diese Fragen“.23 Ob damit ein theologischer Konsens impliziert war oder Iwand die Freundschaft mit den Müllers brauchte, um sich und seine Studenten „gegen den Kalten Krieg immun zu machen“,24 wie er es nannte, bleibt vorerst offen. Vielleicht lässt sich am Ende dieser Einleitung eine Antwort auf diese Frage formulieren. Jedenfalls möchte ich behaupten, dass Müller – bei aller Problematik seiner Position – etwas gesehen hat, dem es nachzugehen lohnt: dass nämlich der Tegeler Bonhoeffer und der Göttinger Iwand eine kritische theologische Sichtung von Kirche und Weltlichkeit vornehmen, die einander verwandt ist, was bisher selten wahrgenommen wurde. Diese kritische theologische Sichtung ist selbst nicht unproblematisch. Aber sie ist ausgesprochen anregend. Darauf ist noch zurückzukommen.

III.

Kritische Theologien im Dienst der Bekennenden Kirche

1.

Lutherrenaissance und Barth-Rezeption – die 1920er Jahre

Hans Joachim Iwand wurde am 11. Juli 1899 als ältestes von sechs Kindern einer Pfarrfamilie in Schreibendorf (Schlesien) geboren. Nach dem Abitur begann er 1917 in Breslau Theologie zu studieren, wurde Ostern 1918 zum Militär einberufen und blieb bis Juni 1919 beim ‚Grenzschutz‘. Sein Studium wurde auch in den Folgejahren von militärischen Einsätzen unterbrochen: 1920 beteiligt er sich am Kapp-Putsch, 1921 am Kampf um Oberschlesien. In Breslau hörte Iwand neben Erich Seeberg vor allem Rudolf Hermann, aber auch Erich Schaeder, Rudolf Bultmann und Heinrich Scholz. Nach zwei Studi-

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Freigabe einer eindeutig rationalen Weltanschauung“ und „zum Optimismus einer nichtreligiös werdenden Weltanschauung“ (Müller, Evangelische Dogmatik I, 287) aufruft? Vgl. Greschat, Hans Joachim Iwand im Ost-West-Konflikt, in: Neddens/den Hertog, Zusammenleben, 50–63. Brief vom 12. 4. 1960, zitiert nach Seim, Iwand, 598. Brief an Ehepaar Müller vom 9. 1. 1960, in: Sänger, Briefe, 205. War das, was Iwand sich vom Gespräch mit dem Atheismus erhoffte, das was Müller „die Begegnung der religionslosen Menschen in der mündigen Welt mit dem Leiden Gottes im Diesseits“ nannte? (Müller, Von der Kirche zur Welt, 401) Brief an Ehepaar Müller vom 9. 1. 1960, in: Sänger, Briefe, 204.

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ensemestern in Halle legte er 1922 in Breslau sein Examen ab und arbeitete zeitweise als Hauslehrer. Auch Dietrich Bonhoeffer kam in Schlesien zur Welt, am 4. Februar 1906 gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Sabine als sechstes bzw. siebtes von acht Kindern. Bald verzog die Familie nach Berlin, wo der Vater eine Professur für Psychiatrie übernahm. Während Iwand im Geist eines pietistisch gefärbten Luthertums und national-konservativer Bürgerlichkeit aufwuchs, war Bonhoeffers Herkommen von weltzugewandter Wissenschaftlichkeit, von Kunst, Musik und Tennisspiel bestimmt. Die religiöse Prägung und Gewissensbildung spielte im Hause Bonhoeffer eine wichtige Rolle, nicht aber die Kirche als Institution. Bonhoeffer nahm 1923 sein Theologiestudium in Tübingen auf, wo er Adolf Schlatter und Karl Heim und den Philosophen Karl Groos hörte. Im selben Jahr wurde Iwand zum Studieninspektor des Theologen-Konvikts ‚Lutherheim‘ nach Königsberg berufen. 1924 promovierte Iwand über Karl Heims ‚Glaubensgewissheit‘. 1927 reichte er seine Habilitationsschrift ‚Rechtfertigungslehre und Christusglaube‘ ein und heiratete die promovierte Juristin Ilse Erhardt. Das Paar bekam fünf Kinder. Währenddessen war Bonhoeffer nach Berlin zurückgekehrt, lernte bei Adolf von Harnack historische Kritik und befasste sich bei Karl Holl und Reinhold Seeberg mit dem jungen Luther. 1927 legte er sein Examen ab und reichte seine Doktorarbeit ‚Sanctorum Communio‘ ein. Außergewöhnlich für die damalige Zeit waren Bonhoeffers Auslandsaufenthalte: eine ausgedehnte Reise nach Italien und Libyen, ein Auslandsvikariat in der deutschen Gemeinde Barcelona, zehn Monate am Union Theological Seminary in New York 1931/32. Durch diese Eindrücke lernte Bonhoeffer Kirche als transnationale und lebendige Größe kennen. Er wurde mit der Rassenproblematik in den USA konfrontiert und mit der Frage nach seiner Identität als Deutscher im internationalen Umfeld. Ende des Jahres 1931 setze ich eine Zäsur: gerade ist Bonhoeffers Habilitationsschrift ‚Akt und Sein‘ erschienen, ein Jahr zuvor Iwands ‚Rechtfertigungslehre und Christusglaube‘. Beide sind jetzt Privatdozenten und haben die Aufgabe, sich nicht nur vom Katheder aus, sondern auch praktisch um Studierende zu kümmern: Iwand als Leiter des Lutherheims, Bonhoeffer als Berliner Studierendenpfarrer. Darüber hinaus hat Bonhoeffer inzwischen Erfahrung im Gemeindedienst sammeln können und betreut einen Berliner Konfirmandenkurs. Trotz des unterschiedlichen Herkommens und trotz des unterschiedlichen theologischen Klimas im lutherisch-pietistischen Königsberg und im mondänen, politisch unruhigen Berlin, trotz ganz unterschiedlicher theologischer Lehrer und Freundeskreise gibt es zwischen beiden jungen Theologen manche Gemeinsamkeiten.

Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer als kritische Theologen

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– Beide haben wichtige theologische Impulse aus dem Dunstkreis der Lutherrenaissance erhalten, Bonhoeffer v. a. von Karl Holl, Iwand von Rudolf Hermann. Kennzeichnend war (bei Iwand stärker als bei Bonhoeffer) die Beschäftigung mit dem jungen Luther, mit seiner kritischen Anthropologie und seinem Kirchenbegriff. Im Studium der Kreuzestheologie des jungen Luthers (bereits 1921 bei Iwand, bei Bonhoeffer wohl erst 1925) liegen zentrale Impulse, die für deren Religions- und Kirchenkritik wichtig wurden. – Die Vertreter der Lutherrenaissance lasen Luther vor dem Hintergrund der Fragestellungen des 19. Jahrhunderts – so auch Iwand und Bonhoeffer. Die Kritik der idealistischen Anthropologie und Ethik spielte für sie eine wichtige Rolle – ebenso wie die Frage nach der Gewissheit religiöser Erkenntnis. 1940 schrieb Iwand treffend: „Wir suchten den einen und einzigen Punkt, der uns letzte Gewißheit geben konnte. Wir ahnten und ergriffen es dann mehr und mehr […] daß die einzige Realität, an der der Glaube hängt, das Wort vom Kreuz ist, daß von hier allein offenbar wird, was der Mensch ist und was Gott ist!“25 – So lassen sich thematische Verbindungslinien von Bonhoeffers Habilitationsschrift Akt und Sein zu Iwands Qualifikationsschriften ziehen. Ging es bei Bonhoeffer um die Frage, ob der Glaubende sich seines Glaubens gewiss sein kann oder der Glaube nur je und dann im konkreten Vollzug existiert, hatte Iwand sich in seiner Dissertation zunächst kritisch mit Karl Heims Begründung der Glaubensgewissheit aus einer prinzipiellen Antinomie von Denken und Glauben auseinandergesetzt. Das Ergebnis war dann in beiden Habilitationsschriften eine entschiedene Hinwendung zur Christologie, genauer: eine relationale Ontologie der Person in der Christusgemeinschaft. – Gemeinsam war beiden nicht nur das Interesse an Heidegger und Kierkegaard, sondern vor allem an der Theologie Karl Barths. Iwand war Ende 1924 von seiner ersten Begegnung mit Barth in Königsberg beeindruckt. Für Bonhoeffer begann im selben Winter die Auseinandersetzung mit dem Schweizer Theologen, auch wenn er ihn erst 1931 zum ersten Mal in Bonn besuchte. Von Barth nahmen sie wichtige Anregungen auf, wie die Unterscheidung zwischen Religion und Glaube, die mit dem Ergebnis ihrer Lutherstudien kongruent erschien. Gleichzeitig bewahrten sie sich Barth gegenüber kritische Distanz. – Beide versuchten, die Theologie des jungen Luther mit den Anliegen Karl Barths zu verbinden: mit Barth betonten sie, dass Gott dem menschlichen Zugriff und dem religiösen Streben unerreichbar sei,26 gegen Barth hielten sie an der lutherschen Kondeszendenz Gottes in Wort und Sakrament fest, was

25 Iwand, Vorwort zu Ernst Kienitz, Das Opfer der größten Liebe, 3. 26 Bethge, Bonhoeffer, 167.

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Iwand als „ungreifbares Nahesein“27 bezeichnete. Iwand schon 1924: „Nicht das Endliche zum Unendlichen zu erweitern, sondern das Unendliche im Endlichen zu finden, das ist Ziel und Lösung der Gewissheitsfrage.“28 Bonhoeffer: „Es handelt sich doch in der Offenbarung nicht so sehr um die Freiheit Gottes jenseits ihrer, d. h. um das ewige Beisichselbstbleiben und um die Aseität Gottes, sondern vielmehr um das Aussichheraustreten Gottes in der Offenbarung, um sein gegebenes Wort […] Gott ist da, d. h. nicht in ewiger Nichtgegenständlichkeit, sondern – mit aller Vorläufigkeit ausgedrückt –, habbar, faßbar in seinem Wort in der Kirche“.29 – Iwand und Bonhoeffer unterscheiden sich in dieser Phase vor allem darin, in welcher Weise für sie die Christusrelation vermittelt ist. Während sich bei Iwand eher eine personale Christusunmittelbarkeit im Glauben manifestiert, vermittelt sich für Bonhoeffer Christus in der communio sanctorum, Christus ist „als Gemeinde existierend“.30

2.

Theologische Entscheidungen auf dem Weg zur Bekennenden Kirche (1931–1935)

2.1

In den Anfängen des Kirchenkampfes

Ab 1929/30 veränderte sich die politische Lage in der Weimarer Republik dramatisch. Die hoffnungslose soziale Lage verschärfte die politischen Gegensätze und gab dem völkischen Denken Auftrieb. Zwei Themen dominierten den theologischen und kirchlichen Diskurs: die Auseinandersetzungen um ‚Kirche und Volkstum‘ und der Streit um das ‚Wesen der Kirche‘. Iwand erhoffte sich Anfang der 1930er Jahre – wie viele Theologen seiner Zeit – eine kirchliche Erweckung aus dem Geist des jungen Luther, die den Elan der völkischen Bewegung integrierte. Von Königsberg aus engagierte er sich für die Protestanten im außerdeutschen Osten, vor allem für die Baltendeutschen, um deren Bindung an Luthertum und Deutsches Reich zu stärken.31 27 28 29 30

Iwand, Rez. Franz Hildebrandt, EST, 274. Ders., Antinomien (BA Koblenz N 1528). Bonhoeffer, Akt und Sein, DBW 2, 85. DBW 1, 87. Den Höhepunkt seiner Vorlesungstätigkeit markierte das Sommersemester 1933, als Bonhoeffer Christologie las und diese von der konkreten Christusbegegnung in Wort, Sakrament und Gemeinde her aufbaute. 31 Von einer „lutherisch-biblische[n] Fakultät“ (Brief an Hermann vom 7. 6. 1928, NW 6, 174, vgl. Brief vom 26. 3. 1929, NW 6, 187) in Königsberg sollten Impulse für den gesamten Ostseeraum ausgehen und die Bindung der Auslandsdeutschen an das Reich festigen. Völkische Gedanken spielten dabei durchaus eine Rolle. Gegenüber Erich Seeberg beklagte er, an der Königsberger Fakultät habe man „kein Gefühl für die selbstverständlichsten Belange nationaler Pflicht“ (Brief vom 13. 5. 1932, Bundesarchiv Koblenz N 1248 E. Seeberg/14, 41b). An-

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Kritisch wurde Iwand vor allem im Blick auf die kirchlichen Strukturen und folgte in der Kontroverse zwischen Barth und Dibelius der barthschen Linie. Barth hatte in ‚Quousque tandem…?‘ in scharfer Form Selbstgenügsamkeit und Sattheit der Volkskirche gegeißelt. Auch Iwand kritisierte die zunehmende „Entfremdung der Kirche vom wirklichen Leben“ und ihre Institutionalisierung, die die Gemeinde als Ort der Verkündigung in den Hintergrund treten lasse.32 Aktueller Anlass zu dieser Kritik war der Staatsvertrag vom 11. Mai 1931, der den Bestand der evangelischen Fakultäten sicherte, Staatsleistungen garantierte und eine politische Mitsprache bei der Besetzung kirchenleitender Ämter regelte.33 Bonhoeffers Horizont war ökumenischer und internationaler als der Iwands: Bonhoeffer hatte den englischsprachigen Protestantismus und ein wenig auch den römischen Katholizismus kennengelernt. 1931 wurde er zum Jugenddelegierten beim Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit und zum Internationalen Jugendsekretär gewählt. Als solcher setzte er sich für die konkrete Gestaltung einer Friedensethik und für eine bessere theologische Begründung der ökumenischen Arbeit ein. Zu dieser Phase gehört eine Veränderung bei Bonhoeffer, die Bethge als Wendung „des Theologen zum Christen“34 kennzeichnete: eine Hinwendung zu einer dezidiert christlichen Glaubenspraxis, die vom sonntäglichen Kirchgang über das meditative Bibelstudium bis zur pazifistischen Ethik der Nachfolge reichte. Früher und zielgenauer als Iwand durchschaute Bonhoeffer den politischen Mythos des Nationalsozialismus und seine Gefahren: Nachdem am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, hielt Bonhoeffer zwei Tage später einen (schon länger geplanten) Rundfunkvortrag zum Thema ‚Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation‘. Im Nationalsozialismus identifizierte er die „politisch-messianische Führeridee“ eines aus dem Schwärmertum bekannten „universalen Reiches Gottes auf Erden“. Gegenüber dem Ideal personaler Beziehung in der älteren Jugendbewegung werde im politischen Messianismus die individuelle Verantwortung ganz auf den Führer übertragen. Nicht nur die Verantwortung des Einzelnen, auch der „echte Begriff der Gemeinschaft, der auf der Verantwortlichkeit […] der einzelnen beruht“, gehe dadurch zugrunde.35

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dererseits war er besorgt, „dass mir die Studenten das Konvikt nicht unter der Hand in ein S.A.Lokal verwandelten, wozu sie wenigstens die größte Lust zu empfinden schienen“ (Brief vom 17. 8. 1932, Bundesarchiv Koblenz N 1248 E. Seeberg/14, 42). Vgl. Briefe vom 18.5., 27.5. und 17. 6. 1931, NW 6, 226–232. Vgl. Vertrag des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen, in: Huber/Huber (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, 705–722. Bethge, Bonhoeffer, 248. DBW 12, 255. Bonhoeffer bediente sich hier einer Analyse des politischen Messianismus, wie Richard Karwehl sie schon 1931 in ‚Zwischen den Zeiten‘ und Hermann Sasse 1931/32 im ‚Kirchlichen Jahrbuch‘ vertreten hatte. Vgl. Neddens, ‚Politische Religion‘, 324–328.

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Hatte Bonhoeffer den Nationalsozialismus in seiner Rundfunkansprache generell als politische Religion identifiziert (ohne den Terminus zu verwenden), so konzentrierte er sich in den folgenden Monaten auf die theologische Kernfrage, die den Dissens zum Christentum sichtbar machte, obwohl sie von den meisten Theologen nur als Nebenschauplatz angesehen wurde: die Entrechtung der Juden. Nach dem ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ vom 7. April forderte die ‚Glaubensbewegung Deutsche Christen‘ die Einführung des sogenannten ‚Arierparagraphen‘ auch in der Kirche. Die Familien Bonhoeffer und Iwand waren unmittelbar betroffen. Ilse Iwand hatte eine jüdische Mutter und auch Bonhoeffers Schwager Gerhard Leibholz entstammte einer jüdischen Familie. Bonhoeffers Freund Franz Hildebrandts war vom kirchlichen Arierparagraphen konkret bedroht. Schon im April 1933 reagierte Bonhoeffer mit dem Aufsatz ‚Die Kirche vor der Judenfrage‘ (im Juni gedruckt), in dem er die Kirche aufforderte, den Opfern staatlicher Übergriffe beizustehen und – wenn der Staat sich nicht an seine Verantwortung erinnern lasse – „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“.36 Iwands Opposition war zunächst stärker auf die DC-Kirchenleitungen bezogen, auch wenn sich das aufgrund der politischen Theologie der DC kaum trennen ließ. Die Übernahme des Arierpragraphen kritisierte er Hermann gegenüber als „Verrat des Glaubens“.37 Iwand sammelte die ostpreußischen Theologen gegen die DC. Daraufhin wurde er im Juni/ Juli zweimal als Stiftsinspektor abgesetzt und nach Protesten wieder eingesetzt. Aber erst im Frühjahr 1934 bezog Iwand auch publizistisch mit ‚Die Predigt des Gesetzes‘ Stellung gegen die politische Theologie der DC. Als bei den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 die DC überwältigende Mehrheiten erzielten, beauftragte die Opposition Bonhoeffer und Hermann Sasse mit der Formulierung eines Bekenntnisses gegen die deutschchristliche Häresie. Das ‚Betheler Bekenntnis‘ behielt aber nach mehrfacher Überarbeitung die anfängliche Stoßkraft nicht und wurde von Bonhoeffer deshalb nicht mitgetragen. Am 5. September wurde auf der ‚Braunen Synode‘ der APU der Arierparagraph eingeführt. Bonhoeffer und Hildebrandt versuchten ihre Berliner Freunde zur kollektiven Amtsniederlegung zu überreden, doch ohne Erfolg. Bonhoeffer bemühte sich daraufhin, Sasse und Barth für die Gründung einer Freikirche zu gewinnen, doch die hielten den Zeitpunkt noch nicht für gekommen. Bonhoeffer, Hildebrandt und andere suchten daraufhin den Schulterschluss mit den ‚Altlutheranern‘,38 aber auch daraus wurde nichts, zumal Bonhoeffer dann nach London abreiste und damit die treibende Kraft dieses Unternehmens verloren 36 DBW 12, 353. 37 Iwand, Brief vom 10. 9. 1933, NW 6, 255. 38 Vgl. hierzu Neddens, Bekennende Kirche und ‚Altlutheraner‘ im Kirchenkampf, 232–268.

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war. Was entstand, war der Pfarrernotbund, der von Maßregelungen bedrohte Pfarrer unterstützen sollte und unter Leitung Martin Niemöllers rasch an Einfluss gewann. Iwand warb in der von ihm und Schniewind mitinitiierten ‚Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft‘ in Ostpreußen für den Beitritt zum Pfarrernotbund. Im Sommer 1933 hatte sich Bonhoeffer auf die Pfarrstelle der deutschen Gemeinden in London beworben, die er von Herbst 1933 bis April 1935 versah und wohin er Franz Hildebrandt mitnahm.39 Von besonderer Bedeutung für Bonhoeffer war die ökumenische Tagung in Fanø, wo er durch nachhaltigen Einsatz eine Solidaritätserklärung der Konferenz für die BK erreichen konnte. Sein Vortrag und seine Predigt zu ‚Kirche und Völkerwelt‘ wurden in Deutschland aufmerksam wahrgenommen. Bonhoeffer entwarf darin einen Pazifismus, der ganz vom Gebot Gottes ausging und dabei christologisch fokussiert war: Christen „können nicht die Waffen gegeneinander richten, weil sie wissen, daß sie damit die Waffen auf Christus selbst richteten.“40 Ein zweiter wichtiger Schritt war die Unterstellung der Auslandsgemeinden in England unter die BK. Auch Iwands Widerstand wuchs, insbesondere im Konflikt mit dem ostpreußischen Bischof Kessel, ehemals Reichspropagandaleiter der DC, und erlebte seinen vorläufigen Höhepunkt, als die DC-Kirchenleitung Maßnahmen gegen Vikare einleitete, die sich nicht bedingungslos dem Reichsbischof unterstellen wollten. Als Iwands Position in Königsberg nicht mehr zu halten war, konnte er den Auftrag des Reichserziehungsministeriums erwirken, die Dozentur für Neues Testament in Riga zum WS 1934/35 zu versehen. Doch auf Betreiben Kessels wurde diese Dozentur nicht verlängert und endete zum 1. April 1935. Zeitgleich kam es infolge des auf der Dahlemer Synode ausgerufenen Notrechts zur Gründung von Predigerseminaren der Bekennenden Kirche im Bereich der altpreußischen Union. Im April 1935 übernahm Bonhoeffer das Predigerseminar der pommerschen BK zunächst auf dem Zingsthof, dann Finkenwalde, ein halbes Jahr später Iwand das der ostpreußischen BK in Bloestau.

2.2

Was machte Iwands und Bonhoeffers Theologie kritisch?

Was machte Iwands und Bonhoeffers Theologie kritisch? Angesichts der komplizierten Situation 1933–36 ist es heute manchmal schwer zu entscheiden, gegen wen sich die kirchliche Opposition jeweils richtete. Das hat seinen Grund ei39 Auch wenn Bonhoeffer und Iwand inzwischen eine wichtige Rolle in der kirchlichen Opposition spielten, waren sie bei den gesamtdeutschen Bekenntnissynoden in Barmen vom 29.– 31. Mai 1934 und Dahlem am 19./20. Oktober 1934 nicht dabei. 40 DBW 13, 299f.

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nerseits in der massiven Einflussnahme des Staates auf die Kirche, andererseits in weitgehender Unklarheit seitens der Opposition, wie weit die Kirche dem Staat gegenüber ein Wächteramt zu versehen habe. So ist im Blick auf die theologische Kritik zu unterscheiden, ob sie sich gegen die Deutschen Christen in der Kirche bzw. die DC-Kirchenleitungen, gegen den Nationalsozialismus als Weltanschauung oder gegen den Nationalsozialismus als Staat richtete. Viele BK-Mitglieder meinten jedenfalls, zwischen dem NS als Weltanschauung und als Staat unterscheiden zu können und hielten sich selbst für die ‚besseren‘ Nationalsozialisten als Rosenberg und Konsorten.41 Während Bonhoeffer schon 1933 klar gegen den Nationalsozialismus als Weltanschauung Position bezog und gegenüber dem Staat nicht nur ein Wächteramt beanspruchte, sondern auch von der möglicherweise notwendigen Situation sprach, „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“42 – was immer das konkret bedeuten mochte –, war Iwand zurückhaltender gegenüber einer kirchlichen Opposition gegen den Staat, auch wenn ihm klar war, dass auch das politische Gesetz seinen Maßstab an der Gerechtigkeit Gottes haben müsse.43 Handelte es sich im Nationalsozialismus um eine Form politischer Theologie – und davon war Iwand überzeugt –, dann war es unmöglich, den Kirchenkampf auf den „Raum der Kirche“ zu beschränken, wie Iwand gegenüber Hermann bemerkte.44 Das theologische Widerlager gegen die politische Theologie gewannen Iwand wie Bonhoeffer zu guten Teilen aus Luthers früher theologia crucis – nicht im Sinne eines theologischen Prinzips, sondern als einer kritischen theologischen Wahrnehmungslehre.45 „Ein neuer Aufbruch war uns geschenkt in den Jahren der Nachkriegszeit“, sagte Iwand 1935 seinen Vikaren, „als wir Luther fanden, als wir zur Schrift fanden, als uns der Durchbruch durch den Liberalismus gelang, als wir die Theologie des Kreuzes wiederfanden“.46 Der Gegensatz der theologia crucis zur theologia gloriae präfigurierte das Muster der Wirklichkeitswahrnehmung und theologischen Argumentation. Hier wurden, zusätzlich angeregt durch Karl Barth, die Kriterien gewonnen in der Alternative zwischen natürlicher Gottesschau und Verborgenheit Gottes im Kreuz Jesu, zwischen der Verführung durch die Macht und Gottes Gegenwart im Leiden, zwischen einer idealistischen

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Bonhoeffer, Brief an Erwin Sutz v. 28. 4. 1934, DBW 13, 128. Ders., Die Kirche vor der Judenfrage, DBW 12, 353. Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 160. Ders., Brief an Hermann vom 25. 12. 1934, NW 6, 273. Zur Kreuzestheologie als ‚kritischer Wahrnehmungslehre‘ vgl. Neddens, Politische Theologie und Theologie des Kreuzes, 595–632. 46 Iwand, Homiletik, NWN 5, 439.

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und einer realistischen Anthropologie, zwischen wahrer und falscher Kirche.47 Mit dieser kreuzestheologischen Besinnung gingen vier zentrale theologische Justierungen einher, die zurück und dadurch nach vorn wiesen. Denn, so Bonhoeffer: In Zeiten der Verwirrung soll der Theologe „noch einmal ganz von neuem anfangen, er soll zu den Quellen zurück, zur wirklichen Bibel, zum wirklichen Luther“.48 Dieses ‚Zurück‘ ist nicht restaurativ gemeint, sondern als der Zukunft dienende Konzentration auf das Wesentliche. a) ‚Zurück‘ zur ‚Sache‘ der Theologie Die ‚Sache‘ der Theologie49 ist natürlich auch ein Zitat aus Luthers Heidelberger Disputation: „Theologus crucis dicit id quod res est“.50 Die Orientierung an dieser ‚Sache‘ stand für Iwand und Bonhoeffer im Zentrum, wobei diese ‚Sache‘ eine inhaltliche und existentielle Seite zugleich hat: eine ‚Lehre‘, die man nicht ‚haben‘ kann, sondern die einen selbst verwandelt, die eine „Umkehrung seiner eigenen Existenz“51 bewirkt. Bonhoeffers Aufsatz ‚Was soll der Student der Theologie heute tun?‘ (Nov 1933) 52 und Iwands ‚Die Sachlichkeit der theologischen Arbeit‘ (1935) 53 sprachen hier eine sehr ähnliche Sprache. Theologie beginne dort, wo jemand „im Leiden Gottes unter der Menschen Hand“ das Gericht über seine Wünsche und Leidenschaften und Sehnsüchte erfährt.54 b) ‚Zurück‘ zur Bibel: ‚Predigt des Gesetzes‘ Bemerkenswert ist, wie Bonhoeffer und Iwand etwa zur gleichen Zeit in den Jahren vor dem Kirchenkampf die ‚Heilige Schrift als Zeugnis des lebendigen Gottes‘ wiederentdeckten.55 Auch politisch unmittelbar relevant war dies etwa 47 Ihren konkreten politischen Bezug fand diese Unterscheidung, wo der Nationalsozialismus als politische Religion und damit im Sinne der theologia gloriae identifiziert wurde. Hilfreich waren hierbei die Analysen von de Quervain, Dehn, Barth, Karwehl, Jacob, Schütz und in besonderer Weise von Sasse Anfang der 1930er Jahre, sodass der Nationalsozialismus auf einer theologischen Matrix in den Blick kam. Vgl. Neddens, Politische Religion, 324–334. 48 Bonhoeffer, Was soll der Student der Theologie heute tun?, DBW 12, 419. 49 Ders., Referat über historische und pneumatische Schriftauslegung, DBW 9, 311. 50 WA 1, 354,22. Auch bei Barth spielte dieses Luther-Zitat, v. a. Anfang der 1920er Jahre, eine wichtige Rolle. Vgl. ders., Unterricht in der christlichen Religion I (1924), KGA II/17, 254; sowie: Not und Verheißung der christlichen Verkündigung (1922) und: Kirche und Theologie (1925), KGA III/19, 93 und 682. 51 Iwand, Wir wandeln im Glauben, 172. 52 DBW 12, 416–419. 53 GA I, 75–86. 54 „Hier geschieht der große Umschwung, der für das Studium die Wende zur theologischen Sachlichkeit bedeutet.“ (DBW 12, 417). „Heute darf man eigentlich an nichts anderem mehr hängen als an der Sache, die uns als Theologen aufgetragen ist, denn alles andere wird dazu benutzt, als Pfand gegen die klare Notwendigkeit unserer Verkündigung ausgenutzt zu werden.“ (Brief Iwands an Hermann vom 2. 6. 1935, NW 6, 277). 55 Iwand, Die heilige Schrift als Zeugnis des lebendigen Gottes, GA I, 110–124; vgl. Bonhoeffer,

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hinsichtlich einer Neuinterpretation des Gesetzes: Eben nicht die Gesetze des Blutes, Volkes oder Staates sind als Wille Gottes zu hören, sondern das Gesetz, wie es die Hl. Schrift bezeugt. Das führte bei Bonhoeffer zu einer schlichten und radikalen Bergpredigtauslegung, etwa in seiner Friedensrede in Fanø 1932,56 bei Iwand zu einer christologischen Reflexion über die Heilsamkeit des Gesetzes (‚Die Predigt des Gesetzes‘ 1934).57 c) ‚Zurück‘ zum Bekenntnis Gemeinsam war beiden eine neue Wertschätzung des Bekenntnisses, wenn auch Iwand vielleicht noch stärker als Bonhoeffer die deutschchristlichen Häresien vom Dogma aus angriff: Gegen die Lehre von der politischen ‚Eigengesetzlichkeit‘ setzte er die Predigt des Gesetzes, gegen den nationalsozialistischen Mythos vom ‚Übermenschen‘ die Lehre von der Unfreiheit des Willens, gegen die Selbsttranszendierung durch Auslese die Lehre von der Menschwerdung usw.58 d) ‚Zurück‘ zur Bekenntnisgemeinschaft Für Bonhoeffer wie für Iwand wurde Kirche als Bekenntnisgemeinschaft konkret.59 Die Barmer Erklärung galt ihnen dabei als kirchenkonstitutiv.60 Damit stand die Frage im Raum, ob die Bekenntnisse der Reformationszeit aufgehoben oder noch bindend seien. Bonhoeffer hatte damit weniger Probleme als Iwand, der sich den lutherischen Kirchen, vor allem der bayerischen, verbunden fühlte. Nach dem Krieg votierte aber auch Iwand für eine Vorordnung des aktuellen Bekennens und berief sich – eine bei ihm seltene direkte Bonhoeffer-Rezeption –

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Ansprache in Gland, DBW 11, 353 und ders., Brief an Rüdiger Schleicher v. 8. 4. 1936, DBW 14, 147. „Wer Gottes Gebot in Frage zieht, bevor er gehorcht, der hat ihn schon verleugnet“ (DBW 13, 299). Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 145–170. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen mit der Vorordnung der Gottesgerechtigkeit vor die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium angesichts des Rechtsverlusts im ‚Dritten Reich‘ und mit der Interpretation des Pfingstgeschehens als Gegenbild zum Freund-Feind-Denken. So unterschiedlich die einzelnen Positionen erscheinen, haben sie ihre Mitte für Iwand in der Verkündigung Jesu Christi als dem Gekreuzigten, d. h. in der zentralen ‚Sache‘ der Theologie. Die ‚Sache‘, nicht der Wortlaut des Bekennens war für sie dabei entscheidend. Das zeigt sich etwa darin, wie frei Bonhoeffer mit Hildebrandt 1931 einen neuen Katechismus entwerfen konnte, der sich durch seine Eigenständigkeit gegenüber dem Katechismus Luthers, als auch durch seine lutherische Betonung der Kondeszendenz Gottes auszeichnete. „Daß Gott sich uns ganz und gar gegeben hat, mit allem, was er ist und hat (Luther), bekennt der evangelische Glaube mit diesen Worten…“ (Bonhoeffer, Das Wesen der Kirche, DBW 11, 229). Vgl. Bonhoeffers zweiten Katechismusentwurf 1936, DBW 14, 786–819. Bonhoeffer: „hinter Barmen und Dahlem können wir nicht darum nicht mehr zurück, weil sie geschichtliche Tatsache sind, deren wir Pietät zu erweisen hätten, sondern weil wir hinter Gottes Wort nicht mehr zurückkönnen“ (Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, DBW 14, 668).

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auf dessen Aussage, „daß die zwischen verschiedenen Kirchen bestehenden Gegensätze durch das Ereignis eines gemeinsamen Bekenntnisses in actu – also nicht eines unverbindlichen Religionsgesprächs – eine Degradierung erfahren.“61

3.

Die Predigerseminare und der Kampf um Einheit und Reinheit der Bekennenden Kirche (1935–1939)

Die Arbeit am Predigerseminar empfanden Iwand wie Bonhoeffer als erfüllende praktische Einübung in eine christliche Lebens-, Arbeits- und Kampfgemeinschaft. Eine intensive Christusfrömmigkeit prägte beide Einrichtungen, in Finkenwalde vielleicht mit einem stärker monastischen und ethisch-rigoristischen Einschlag, in Bloestau vielleicht dogmatisch tiefgründiger und im Geiste der ostpreußisch-lutherischen Erweckung. Es böte sich an, Iwands und Bonhoeffers Homiletik-Vorlesungen jener Zeit zu vergleichen, außerdem die Hauptvorlesungen: Iwands ‚Gesetz und Evangelium‘ mit Bonhoeffers ‚Nachfolge‘, etwa unter dem Aspekt der Beziehung zwischen dem Gebrauch des Gesetzes und der Ethikbegründung. Ich sehe eine große Nähe zwischen beiden Werken in der Ein- und Unterordnung des Gesetzes in die Christusgemeinschaft. „Das Leben des Nachfolgenden bewährt sich darin, daß nichts zwischen Christus und ihn tritt, nicht das Gesetz, nicht die eigene Frömmigkeit, aber auch nicht die Welt. Der Christus Nachfolgende sieht immer nur Christus“, so heißt es in ‚Nachfolge‘.62 Anders, aber ähnlich beschrieb es Iwand: Das Gesetz Gottes begegne immer als das in Sterben und Auferstehen Jesu Christi erfüllte und als solches verkündigte Gesetz. Sein Ziel kann nur das Leben in Christus sein.63 Ein auffälliger Unterschied bestand darin, dass Bonhoeffer nach wie vor das Schwergewicht auf die sichtbare Kirche als der heutigen Gestalt des Leibes Christi legte, während Iwand von der Verkündigung her dachte. Auch fiel es Bonhoeffer leichter, aus seinen Exegesen der Bergpredigt konkrete ethische Forderungen abzuleiten. In den folgenden Jahren verschlechterte sich die Situation der Bekennenden Kirche zusehends. Zur Reglementierung der Kirche war ein Ministerium für kirchliche Angelegenheiten eingerichtet worden, das von Hanns Kerrl geleitet wurde. Kerrl ordnete Ende 1935 die Bildung von Reichskirchenausschüssen an, 61 Iwand, Die Neuordnung der Kirche und die konfessionelle Frage, GA I, 138–172, 156. Die Legitimität eines solchen Bekenntnisses musste für ihn von einem möglichst umfassenden Konzil ausgehen. Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 338. Vgl. auch Bonhoeffer, Kirche und Völkerwelt, DBW 13, 300f. 62 DBW 4, 167. 63 Vgl. Neddens, Politische Theologie, 637–639.

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die die BK, die Neutralen und die gemäßigten DC zusammenführen sollten. Zugleich wurde die Arbeit der BK weiter in die Illegalität gedrängt. Die sogenannten intakten Kirchen und viele gemäßigte BK-Mitglieder waren zur Mitarbeit in den Ausschüssen bereit. Bonhoeffer lehnte eine Zusammenarbeit kategorisch ab: nur die BK sei „die wahre Kirche Jesu Christi“.64 Und Iwand nannte die Kirchenausschüsse die „Brücke …, [um] zwischen Bekennen und Verleugnen hinüber und herüber zu wechseln“.65 In Oeynhausen vom 17.–22. Februar 1936 nahmen Bonhoeffer und Iwand zum ersten und zum letzten Mal gemeinsam an einer gesamtdeutschen BK-Synode teil. Iwand wurde in den Reichsbruderrat gewählt. In der Frage der Kirchenausschüsse kam es allerdings zu keiner Einigung, so dass die BK endgültig zerbrach. Fortan gab es neben der Vorläufigen Kirchenleitung auch den ‚Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands‘. Aber auch innerhalb der radikalen, sogenannten dahlemitischen Richtung kam es zu Zerwürfnissen. Bonhoeffer wandte das traditionelle lutherische Verständnis, Kirchengemeinschaft sei Bekenntnisgemeinschaft, in aller Konsequenz auf Barmen an.66 „Die Reichskirchenregierung ist häretisch“, hieß es bei ihm.67 Und: „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil“.68 Iwand war mit dieser Schärfe nicht einverstanden, und er mochte auch nicht in der Weise Bonhoeffers die Barmer Erklärung gegenüber den lutherischen 64 Brief an die Mitglieder des ersten Kurses v. 29. 11. 1935, DBW 14, 102; vgl. Bonhoeffer, Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, DBW 14, 668. Bonhoffer hatte in ‚Die Bekennende Kirche und die Ökumene‘ 1935 geschrieben: „Zu diesem Bekenntnis, wie es in den Barmer und Dahlemer Synodalbeschlüssen bindend ausgelegt ist, gibt es nur ein Ja oder ein Nein“ (DBW 14, 383). Iwand sah es genauso, und gab seiner Ansicht mit dem Aufruf ‚Um Einheit und Reinheit der Bekennenden Kirche‘ Ausdruck, der als Positionierung im Blick auf die Oeynhauser Synode gedacht war. Vergleicht man die beiden Texte, fällt noch einmal die unterschiedliche theologische Blickrichtung auf: Während für Bonhoeffer Christus als Kirche präsent ist, Christus in der Kirche begegnet, wirkt Iwand wie der Prophet einer Christusallein-Bewegung im Stile Elias gegen Ahab und Isebel. Das ist nicht despektierlich gemeint. Es sind bloß unterschiedliche Kirchenbilder: Hier das Bild der eucharistischen Gemeinde am Tisch des Herrn, dort die einsamen Erweckten in der Wüste. 65 Zitiert nach Seim, Iwand, 166. 66 Bonhoeffer, Die Bekennende Kirche und die Ökumene 1935, DBW 14, 392f: „Die Bekennende Kirche bekennt nicht in abstracto, sie bekennt nicht gegen die Anglikaner oder Freikirchler, sie bekennt im Augenblick nicht einmal gegen Rom, geschweige denn bekennt der Lutheraner heute gegen den Reformierten, sondern sie bekennt in concretissimo gegen die deutschchristliche Kirche und gegen die neue heidnische Kreaturvergötzung […] Gegen ihn wird bekannt, und zwar darum, weil von hier aus und nicht von Rom, von Genf oder von London aus die christliche Kirche Deutschlands auf den Tod bedroht ist, weil hier der Vernichtungswille am Werk ist.“ 67 DBW 14, 668. 68 DBW 14, 677. Schon in ‚Sanctorum Communio‘ hatte Bonhoeffer geschrieben: „Es gibt einen Augenblick, in dem die Kirche nicht mehr Volkskirche sein darf“ (DBW 1, 274). Nun war dieser Augenblick da.

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Bekenntnisschriften absolut setzen. Ihm erschien der Kampf, der zu kämpfen war, als „Glaubenskampf, nur in zweiter Linie ein Kirchenkampf“.69 So nahm er als Gast bei der Gründung des Lutherrates teil. Er versuchte auf einer Tagung in Bethel zwischen Barmen und den Lutheranern zu vermitteln und suchte in den folgenden Jahren immer wieder eine Brücke zu den lutherischen Kirchen zu bauen.70 Die Verhandlungen gingen als Essen I bis III in die Geschichte ein, blieben aber ohne Erfolg. Das Essener Ergebnis nannte Bonhoeffer „das böseste Dokument aus der Geschichte der B.K“, womit er unmittelbar Iwands Bemühungen traf.71 Am 24. Mai 1937 wurde Iwand mit fadenscheiniger Begründung aus Ostpreußen ausgewiesen und Reichsredeverbot erteilt. Mit den Kandidaten des Predigerseminars zog er daraufhin nach Jordan in der Mark Brandenburg um. Wenig später, am 29. August, wurden vom Reichsführer SS Heinrich Himmler alle Ausbildungseinrichtungen der Bekennenden Kirche verboten. Bonhoeffers Seminar wurde am 28. September von der Gestapo geschlossen. In Form eines Sammelvikariats führte Iwand unter dem Schutz der westfälischen Bekennenden Kirche seine Arbeit in Dortmund bis zum April 1938 weiter, wurde aber zwischenzeitlich mit dem gesamten Seminar inhaftiert. Bonhoeffers Sammelvikariat blieb bis März 1940 in Betrieb. Vom Geist der Predigerseminare zeugt Bonhoeffers ‚Gemeinsames Leben‘, das er 1938 im Haus seiner emigrierten Schwester in Göttingen niederschrieb, und ein schmaler Band aus Iwands Feder ‚Von der Gemeinschaft christlichen Lebens‘ von 1937. Während Bonhoeffer die Finkenwalder Erfahrungen in die Form einer Regel kommunitären Lebens verdichtete, handelte es sich bei Iwand lediglich um zwei situationsgebundene Predigten zum Abschluss des Predigerseminars. Auch wenn man den Vergleich nicht überstrapazieren muss, nahm Bonhoeffer doch den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bei der Christusbegegnung innerhalb der Gemeinschaft: Der Mensch ist gewürdigt, dem anderen zum Christus zu werden und bedarf zugleich des anderen. Denn: „Der Christus im eigenen Herzen ist schwächer als der Christus im Worte des Bruders; jener ist ungewiß, dieser ist gewiß“.72 Iwand hingegen ließ die menschliche Gemeinschaft ganz in den Hintergrund treten. Im Zentrum steht Gott selbst, Gottes Handeln und Gottes Wort. Bei der 69 Iwand, Brief an Hermann vom 20. Juni 1937, NW 6, 292. 70 Vgl. Seim, Iwand, 183f. 71 Bonhoeffer, Brief an Wilhelm Niesel v. 10. 9. 1938, DBW 15, 67. „Bonhoeffer erwartete von den Essener Verhandlungen keine Zunahme deutlicher Stimmen, sondern ihre Trübung, wenn nicht gar ihr Verstummen“, schreibt Eberhard Bethge (Bonhoeffer, 682). Meiser betrieb übrigens trotz der Absprachen mit Iwand den Zusammenschluss der lutherischen Kirchen – ohne die BK. 72 Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, DBW 5, 19f.

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Vergebung der Sünden „ist nicht zuerst von uns die Rede, von der Gemeinschaft, die wir miteinander haben, sondern da ist zuerst – ebenso wie zuletzt! – von Gott die Rede, von dem, was Gott ist und was Er tut und von der Gemeinschaft mit Ihm“73. Ging es Bonhoeffer um die konkrete Gegenwart Gottes in der Erfahrung der Gemeinde, dann Iwand darum, Gott groß zu machen, alles von ihm zu erwarten, alles von ihm zu erhoffen. Gott „allein ist das Licht“ (6), während unser Leben, Reden und Tun immer im Zwielicht steht, aus dem heraus der Glaube sich nach vorne streckt, hin zum Kommen Gottes. Auch Iwand sprach von der Kondeszendenz Gottes, von seiner Gegenwart bei den Seinen. Aber die etwas bange Frage blieb, „ob wir das auch wirklich glauben“ (6), dass Gott uns und aller Welt in Jesus Christus nahe ist. Immer wieder schlugen die Selbstzweifel bei Iwand durch, „ob wir wirklich von Gott her zeugen“ (8) oder nicht gerade zur Belastung für Gottes Sache werden. Immer wieder rief er in die Entscheidung, in die Selbstreinigung und das Ringen um die Wahrhaftigkeit des eigenen Glaubens. Dementsprechend betonte er nicht den gemeinschaftlich-brüderlichen Akt der Beichte, sondern die Einsamkeit des Gewissens vor Gott: „diesen Weg muß jeder allein gehen.“ (10) Der Tiefpunkt der Bekennenden Kirche war wohl der Streit um den persönlichen Treueeid auf Adolf Hitler, den der Präsident des Berliner Oberkirchenrats Friedrich Werner allen Pfarrern der Altpreußischen Union auferlegte – als Geschenk zu Hitlers 49. Geburtstag am 20. April 1938. Die Mehrheit in der Bekennenden Kirche hielt den Eid – unter Vorbehalt des Wortes Gottes und des Ordinationsgelübdes – für tragbar, so auch Iwand.74 Bonhoeffer hingegen protestierte aufs Schärfste gegen die Eidesforderung.75 Tief blamiert war die BK, als wenig später die Partei verlauten ließ, dass Hitler die Vereidigung der Pfarrer als rein innerkirchliche Angelegenheit ansehe, die er keineswegs eingefordert habe. Die Sudetenkrise mit der mutigen Gebetsliturgie der BK in Koinzidenz mit dem Entsetzen über Barths umstrittenen Brief an Hromádka taten ihr übriges: Hitler war Ende 1938 auf der Höhe seiner Macht – die BK hatte ihre Einmütigkeit und Handlungsfähigkeit verloren. Als die Arbeit im Sammelvikariat nicht mehr durchführbar war, wurde Iwand im April 1938 zum Pfarrer an der St. Marien-Kirche in Dortmund gewählt. Ende November 1938 wurde er erneut verhaftet – wegen Übertretung des Redeverbots – und kam erst im März 1939 wieder frei.

73 Iwand, Von der Gemeinschaft christlichen Lebens (Theologische Existenz heute 52), München 1937. 74 Vgl. Seim, Iwand, 225. 75 Bonhoeffer, Brief an den Bruderrat der Altpreußischen Union v. 11. 8. 1938, DBW 15, 50–57.

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4.

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Nach dem Scheitern der Bekennenden Kirche (1939–1945)

Iwand und Bonhoeffer sahen die BK als gescheitert an. Iwand versorgte seine Gemeinde und tauchte noch einmal konzentriert in das Lutherstudium ein. Bonhoeffer gab im Mai 1939 seine Arbeit im Sammelvikariat auf und reiste in die USA – vor allem, um der drohenden Einberufung zur Wehrmacht und einem Prozess, der ihm als Kriegsdienstverweigerer bevorstehen würde, zuvorzukommen. Auch Iwand hatte im Winter 1938 wohl auf der Englandliste des Büros Grüber gestanden, den Platz aber nicht in Anspruch nehmen wollen oder können, weil er inhaftiert war. Aber auch Bonhoeffer kehrte im Juli 1939 nach Deutschland zurück, weil ihm eine Emigration als Flucht vor der Verantwortung erschien.76 Auf seiner Heimreise schrieb Bonhoeffer an Bethge, er habe vor, seine „Kollegen in Dortmund und Freunde in Elberfeld“77 zu besuchen. Freund war Iwand nicht. Bonhoeffer war bei seinem ‚Kollegen‘ wohl am 26. Juli 1939.78 Bonhoeffer entschied sich für den aktiven Widerstand. Sein Schwager Hans von Dohnanyi hatte ihn bereits vor der USA-Reise über die Konspiration im militärischen Geheimdienst (unter W. Canaris) in Kenntnis gesetzt. Bonhoeffer wurde nun wegen seiner ökumenischen Kontakte als V–Mann bei der militärischen Abwehr geführt und nutzte diese Position, um kirchliche Personen seines Vertrauens im Ausland über die Umsturzpläne in Deutschland zu informieren.79 Trotz seiner Tätigkeit für die Abwehr wurde über Bonhoeffer am 22. August 1940 ein reichsweites Redeverbot wegen „volkszersetzender Tätigkeit“80 verhängt, am 19. März 1941 folgte das Verbot schriftstellerischer Tätigkeit aufgrund seiner ‚Einführung in die Psalmen‘ und die Anweisung zur wöchentlichen polizeilichen Meldung. Bonhoeffer arbeitete jetzt an einem Entwurf zur Ethik, der ganz von der geschehenen Versöhnung in Christus ausging und die Verantwortung des Einzelnen in der konkreten Situation betonte. Iwands Hauptwerk dieser Zeit war 76 An Reinhold Niebuhr schrieb er Ende Juni 1939: „Ich bin jetzt überzeugt, daß mein Kommen nach Amerika ein Fehler war. Diese schwierige Epoche unserer nationalen Geschichte muß ich bei den Christenmenschen Deutschlands durchleben. […] Die Christen in Deutschland werden vor der furchtbaren Alternative stehen, entweder die Niederlage ihrer Nation zu wollen, damit die christliche Zivilisation überlebe, oder den Sieg ihrer Nation zu wollen und damit unsere Zivilisation zu zerstören. Ich weiß, welches von beidem ich wählen muß; aber ich kann diese Wahl nicht treffen … in Sicherheit“ (Original in DBW 15, 210; dt. Übersetzung 644). 77 DBW 15, 250. 78 Vgl. Seim, Iwand, 245; Bethge, Bonhoeffer, 744. 79 Er traf sich mit Barth, Visser′t Hooft, George Bell sowie Vertretern des kirchlichen Widerstands in Norwegen. 80 DBW 16, 58.

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‚Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre‘, eine ausgesprochen dichte Rechenschaft über den Kern evangelischen Glaubens. Beide Arbeiten können als eine – nach dem Orientierungsverlust der Bekennenden Kirche – notwendige Besinnung auf das Wesentliche gelesen werden. Es ist vielleicht bezeichnend, dass Iwand sich in dieser aussichtslosen Situation der Dogmatik, Bonhoeffer der Ethik zuwandte.81 Doch in der Sache waren beide Werke einander verwandt: Iwand spitzte Rechtfertigung auf das „Gott recht geben“ und „Wahr-werden Gottes in uns“ zu (21), Bonhoeffer seine Ethik auf ein „Leben vor Gott mitten in der Gottlosen Welt“.82 Glaube und Handeln ankern in einer verwandelten Wirklichkeit und gewinnen dadurch ihren Realismus und ihre Weltlichkeit. „In Jesus Christus ist die Wirklichkeit Gottes in die Wirklichkeit dieser Welt eingegangen.“83 Im Sommer 1942 entwickelte sich zwischen Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer eine tiefergehende Freundschaft, am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer zusammen mit Hans von Dohnanyi und dessen Frau Christine, Bonhoeffers Schwester, verhaftet.

5.

Den Christusglauben in der ‚mündigen Welt‘ neu begreifen (1943/44 und die 1950er Jahre)

Es könnte ertragreich sein, Bonhoeffers Ethik und seine Fragmente aus der Haft mit Iwands Meditationen aus Dortmund in derselben Zeit und mit seiner späteren Vorlesung ‚Kirche und Gesellschaft‘ von 1951 zu vergleichen, wo Iwand bei Bonhoeffer angelegte Fäden aufgreift. Beide Theologen vertraten in dieser Zeit eine radikale Religionskritik – vor allem gegen den Missbrauch Gottes im Namen der politischen Religion, aber auch gegen den Missbrauch im Namen einer letztgültigen Welterklärung oder einer ruhig gestellten frommen Innerlichkeit. Bonhoeffers und Iwands kritische Überlegungen berührten sich in gewissem Sinne mit denen Bultmanns zur Entmythologisierung von 1941, auch wenn vor 81 Iwand schrieb im Vorwort: „Meinen wir vielleicht, daß diese Frage nach der seligmachenden Gerechtigkeit Gottes heute nicht mehr die entscheidende Frage ist, daß andere Fragen – etwa die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat oder die nach dem echten Kirchenregiment oder die der Entscheidung zwischen Volkskirche und Freikirche oder die nach der Una Sancta – viel brennender sind?“ (Glaubensgerechtigkeit, GA II, 15). 82 DBW 6, 404. 83 Ebd., 29. Iwand schien dem situationsethischen Ansatz Bonhoeffers sehr nahe zu kommen, wenn er in ‚Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre‘ schrieb: „Wir haben heute den Sinn dafür weitgehend verloren, daß nicht nur das Evangelium, sondern auch das Gesetz immer neu ausgelegt werden muß, und darin liegt mit unsere größte Not. Denn das Gesetz geistlich verstehen heißt, daß uns Gottes Wille lebendig wird, gegenwärtig und praktisch, mitten hineinwirkend in Alltag und Beruf […].“ (Glaubensgerechtigkeit, GA II, 89).

Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer als kritische Theologen

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allem Iwand mit Bultmanns Exegese keineswegs einer Meinung war.84 Iwands und Bonhoeffers Ansätze hatten eine andere Stoßrichtung und zielten stärker vom Glauben her gegen den politischen Mythos und gegen die ideologische Verzauberung der Welt.85 Ihnen ging es nicht um die Frage, was von der biblischen Tradition in der Gegenwart noch brauchbar sei, sondern „wer Christus für uns heute eigentlich ist“, um „in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben“ zu lernen.86 Kreuzestheologische Überlegungen zur Verborgenheit und zum Leiden Gottes spielten dabei eine wichtige Rolle. Gottes Verborgenheit in Natur und Geschichte war zu unterscheiden von derjenigen im Kreuz, wie Iwand betonte:87 „man muß beides gut auseinanderhalten, jene Verborgenheit Gottes, in der er als der Deus in maiestate aller Kreatur unzugänglich ist, und diese seine Verborgenheit für den Glauben, damit dieser allein ihn finde“.88 In der Schule des Kreuzes teilzuhaben am Leiden Gottes in der Welt, an seiner Ohnmacht, das bedeutete, dass das Leiden seinen Ort bei und in Gott fand.

84 Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 27–69. Iwand schrieb am 16. März 1942 an Günther Bornkamm, dass „hier zum mindesten die Grenze dessen erreicht ist, was kirchlichtheologisch noch tragbar ist“ (Seim, Iwand, 272) und bezeichnete Bultmanns Rede sogar als eine „Erscheinung von Senilität“ (Brief an Ernst Wolf v. 30. März 1942, zitiert nach Hammann, Bultmann, 314 Anm. 264). 85 Bonhoeffer mit seiner ‚nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe‘ stand dabei näher bei Bultmann als Iwand, für den ‚Entmythologisierung‘ den Verlust des Prophetischen in der Verkündigung bedeutete. Aber auch Bonhoeffer meinte „[n]icht die platte und banale Diesseitigkeit der Aufgeklärten, der Betriebsamen, der Bequemen oder der Lasziven, sondern die tiefe Diesseitigkeit, die voller Zucht ist, und in der die Erkenntnis des Todes und der Auferstehung immer gegenwärtig ist“ (Bonhoeffer, Brief an Eberhard Bethge v. 21. 7. 1944, DBW 8, 541). Bethge hat sehr treffend beschrieben, wie Bonhoeffer sich gerade da dem Gebet und der Bitte um den Heiligen Geist anbefahl, „wo er sich anschickte, das ‚etsi deus non daretur‘ ernstzunehmen“ (Bethge, Bonhoeffer, 958). 86 Bonhoeffer, Briefe an Eberhard Bethge v. 30.4. und 21. 7. 1944, DBW 8, 402 und 542. „Bultmanns Ansatz ist eben im Grunde doch liberal (d. h. das Evangelium verkürzend), während ich theologisch denken will“ (Ders., Brief an Karl und Paula Bonhoeffer v. 22. 8. 1943, DBW 8, 136). 87 Auch für Bonhoeffer gilt hier: „Die Ekklesiologie scheint ganz in die theologia crucis aufgesogen. Sein Denken hatte einst ekklesiologisch angefangen. Dann trat die Ekklesiologie den Vorrang an die Christologie ab, um jedoch in der Zeit der ‚Nachfolge‘ und des Kirchenkampfes noch einmal feste Vorstellungen hervorzurufen. Nun befinden wir uns wieder in einer Phase, da sie von neuem durch die Christologie in Frage gestellt wurde. […] Für ihn hängt […] alles von der theologia crucis ab, aber er kennt dies nicht anders, als daß sie auf konkrete Gemeinschaft derer drängt, die Christi Leiden an der Welt teilen“ (Bethge, Bonhoeffer, 995f.). 88 Iwand, Erläuterungen, 328. Vgl. Bonhoeffer, Brief an Eberhard Bethge v. 16. und 18. 7. 1944, DBW 8, 533f: „Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Mk 15,34)! Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt, und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns… Hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen Religionen.“

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Was Bonhoeffer 1944 als Aufgabe gesehen hatte, die biblischen Begriffe nämlich für eine „religionslose Zeit“ neu zu formulieren, um zu zeigen, wie Glaube und Gesellschaft aufeinander bezogen sind, das hat Iwand dann später in seiner bemerkenswerten Vorlesung ‚Kirche und Gesellschaft‘ 1951 in Angriff genommen.

IV.

Die entlaufenen Fäden aufnehmen

1. Kritisch waren diese Theologien gegenüber den Wunschträumen des menschlichen Herzens, die aus der eigenen Ohnmacht und Begrenztheit aufsteigen – sei es im Bereich des Politischen oder des Religiösen. Religionskritik richtete sich bei Iwand und Bonhoeffer auch gegen die Allmachtsphantasien des Frommen, die ‚concupiscentia spiritualis‘. Darum war das ‚Bekenntnis‘ der Kirche für sie immer zuerst befreiendes Schuldbekenntnis.89 Ihre besondere Pointe bekam diese Religionskritik aber gegenüber der religiösen Aufladung des Politischen. Das Evangelium entmythologisiert die politische Welt, es geht, so Iwand 1951 „um die ‚Entgötterung‘ oder auch ‚Entzauberung‘ des öffentlichen Lebens, um seine Reinigung von dem politischen Mythos“.90 Solche Entmythologisierung birgt aber ihr eigenes Risiko: Denn ist sie erst einmal im Gange, richtet sie sich auch gegen Grundinhalte des christlichen Glaubens soweit dieser phänomenologisch als ‚Religion‘ zu fassen ist, etwa gegen die Rede von Inkarnation, von Gottes Leiden am Kreuz, von Auferstehung und Geistausgießung. Die Lösung Karl Barths zu diesem Problem hatte Bonhoeffer als „Offenbarungspositivismus“ gebrandmarkt. Bonhoeffer selbst wollte – so in seinen späten Äußerungen – die elementaren Gehalte des Glaubens in ‚Arkandisziplin‘, also in der Nicht-Öffentlichkeit, wahren. Die Idee der ‚Arkandisziplin‘ hatte ihr Vorbild in der von Luther beschriebenen Möglichkeit einer Untergrundkirche in der Vorrede zur „Deutschen Messe“ von 1526.91 Aber war das eine hinreichende Antwort auf die durch Bultmann aufgeworfene Problematik? Iwand widersprach dem Entmythologisierungsvorhaben Bultmanns sowieso grundsätzlich: Entmythologisierter Glaube sei „die Vernichtung des Propheti89 Vgl. Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 163–165; Bonhoeffer, Die Bekennende Kirche und die Ökumene, DBW 14, 394. 90 Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 231f. 91 Vgl. WA 19, 75, 5–8: Luther spricht hier von der Möglichkeit nichtöffentlicher Gottesdienste: „sondern die ienigen, so mit ernst Christen wollen seyn und das Euangelion mit hand und munde bekennen, musten mit namen sich eyn zeychen und etwo yn eym hause alleyne sich versamlen zum gebet, zu lesen, zu teuffen, das sacrament zu empfahen und andere Christliche werck zu uben“.

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schen im Christentum.“92 Iwand und Bonhoeffer waren sich darin einig, dass es bei aller Religions- und Mythenkritik eine geheimnisvolle Wirklichkeit des Glaubens gebe, die nicht anders als in Bildern bzw. mythologisch zur Sprache gebracht werden konnte und sich einer ‚Übersetzung‘ entzog. Damit war die Frage nicht erledigt, sondern stellte sich neu: Was heißt denn „Arkandisziplin“, was ist das „Prophetische“ im Christentum? Wie ist die Wirklichkeit des Geglaubten zu beschreiben, ohne die naturwissenschaftlichen und historischen Wirklichkeitsbeschreibungen zu beschneiden? Iwand arbeitete nach 1945 an diesen Fragen weiter („Glauben und Wissen“), was Bonhoeffer verwehrt blieb.93 2. ‚Bekennende Kirche‘ – das war weder für Iwand noch für Bonhoeffer die vorfindliche Institution der ‚roten Karten‘, sondern Kirche schlechthin. ‚Um Einheit und Reinheit der Bekennenden Kirche‘ haben Iwand und Bonhoeffer gerungen, ohne die Kirche damit institutionell verkürzen zu wollen. Was Kirche sei, davon hatten sie allerdings unterschiedliche Vorstellungen, die doch in gewisser Weise zusammengehörten. Wenn Luther in den Schmalkaldischen Artikeln schrieb, es wisse „Gott lob ein kind von sieben jaren, was die Kirche sey, Nemlich die heiligen gleubigen und die Scheflin, die ires Hirten stim hören“,94 so betonte Bonhoeffer hierbei die communio sanctorum, Iwand die vox Domini. Für Bonhoeffer war Kirche – insbesondere vor 1939/40 – die sichtbare Einheit des Leibes Christi als einer Gemeinschaft derer, „die mit Ernst Christen sein wollen“. Iwands Kirchenverständnis hingegen war orientiert am Geschehen der Verkündigung. „Heute, so ihr seine Stimme hört“ – das war für Iwand die Gestalt der Kirche, das konkrete „Heute der Gnade Gottes“. Manche Positionen Bonhoeffers zur Ekklesiologie müssen Iwand allerdings suspekt gewesen sein: „Christus als Gemeinde existierend“ und „Kirche für andere“, das hätte er nicht sagen können. Iwand verwahrte sich gegen eine Identifizierung von Christus und der Kirche: „Ich möchte eben nicht Christus und die Kirche in der Identität sehen, wie das heute weithin geschieht“ schrieb er 1939 in einem nicht abgesandten Brief an Rudolf Hermann, „– Christus steht draußen! – ich finde es entsetzlich, wenn die Kirche die Stellvertreterin oder Repräsentantin Christi auf Erden wird – als ob er selbst nicht da wäre in seinem Wort.“95 Auch 92 Zitiert nach Seim, Iwand, 278. 93 Ein wichtiger Text in diesem Zusammenhang, mit dem Iwand in den 1950er Jahren explizit an Bonhoeffer anknüpft, ist der kurze Vortrag ‚Erlösung zum Diesseits‘ (BA Koblenz N 1528/ 167). Da Edgar Thaidigsmann diesen Vortrag einer eingehenden Analyse im Blick auf Ansätze Bonhoeffers in ‚Widerstand und Ergebung‘ unterzieht, genügt an dieser Stelle ein Hinweis auf seinen Beitrag in diesem Band. 94 Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, 776,6f. 95 Nicht abgesandter Brief an Hermann vom 22. 7. 1937, in: Wiebel (Hg.), Rudolf Hermann – Hans Joachim Iwand, 59. Vgl. Neven, Draußen vor der Tür, 47–66.

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Bonhoeffers Interpretation von ‚Stellvertretung‘ hätte Iwand wohl nicht gebilligt, weil sie dem Einzelnen und der Gemeinde eine Rolle zukommen lässt, die Gott vorbehalten ist.96 3. Die entlaufenen Fäden aufnehmen: Mit meiner letzten Überlegung komme ich zum Anfang zurück: Warum waren für Iwand die ‚roten Müllers‘ so wichtig? Ich glaube, das hatte nicht darin seinen Grund, dass Iwand in ihnen eine authentische Auslegung seiner eigenen Theologie wahrnahm. Es hatte einen anderen Grund: Iwand sah West und Ost, bürgerliches Christentum und sozialistischen Materialismus als Zweige aus der einen Wurzel, die es wieder miteinander zu verbinden galt. Deshalb suchte er das Gespräch mit jenen, die die andere Denktradition vertraten. Es ging für ihn darum, die berechtigten Anliegen des Sozialismus wieder in das Christentum zu integrieren. Aber: „Wer meint, den Pietismus kritisieren zu können, indem er zum Sozialismus übergeht, der dreht sich nur auf die andere Seite und schläft weiter“.97 Für Iwand lag der historische Scheidepunkt, also der Anfang der Katastrophe, im Vormärz, als der Zerfall der Hegelschule zum Abbild für den Zerfall der Gesellschaft in Klassen mit je eigenen Ideologien wurde. Während die Linkshegelianer den „Atheismus einer eschatologisch verstandenen Diesseitigkeit“98 entwickelten, fand sich die Kirche auf der Gegenseite wieder, verlagerte den Glauben in die Innerlichkeit des getrösteten Gewissens und setzte ansonsten auf den starken Staat – so Iwands Analyse. Erst mit dem Ost-West-Gegensatz sei die Radikalität dieses Bruchs ins Bewusstsein getreten. Iwand versuchte deshalb, vor diesem Bruch bei Schleiermacher und Hegel anzuknüpfen und nach einem heilsamen dritten Weg zu suchen. An Schleiermacher entdeckte er neu eine Ethik der Gesellschaft, an Hegel die Wiedergewinnung des Dogmas in seinem kritischen, Theorie und Praxis, Denken und Leben umfassenden Gehalt.99 In ‚Kirche und Gesellschaft‘ unternahm Iwand 96 97 98 99

Vgl. zur Kritik des Bonhoefferschen Konzepts Kodalle, Bonhoeffer, 99–112. Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 153, Anm. 27. Ders., Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, NWN 3, 461. Vgl. Hegel, Einleitung. Über das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt und ihr Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand der Philosophie insbesondere, in: Werke, Bd. 2, 171–188, hier: 171: „Die Kritik, in welchem Teil der Kunst oder Wissenschaft sie ausgeübt werde, fordert einen Maßstab, der von dem Beurteilenden ebenso unabhängig als von dem Beurteilten, nicht von der einzelnen Erscheinung noch der Besonderheit des Subjekts, sondern von dem ewigen und unwandelbaren Urbild der Sache selbst hergenommen sei. Wie die Idee schöner Kunst durch die Kunstkritik nicht erst geschaffen oder erfunden, sondern schlechthin vorausgesetzt wird, ebenso ist in der philosophischen Kritik die Idee der Philosophie selbst die Bedingung und Voraussetzung, ohne welche jene in alle Ewigkeit nur Subjektivitäten gegen Subjektivitäten, niemals das Absolute gegen das Bedingte zu setzen hätte.“ Vgl. ebd., 172: „Dadurch, daß die Wahrheit der Vernunft sowie die Schönheit nur eine ist, ist Kritik als objektive Beurteilung überhaupt möglich, und es folgt von selbst, daß sie nur

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einen Lösungsversuch, indem er Kirche und Gesellschaft in ein neues Gegenüber zu bringen versuchte durch ein Drittes, das kommende Reich Gottes, das auf beide hin offen ist, beide in Bewegung hält. Im Gespräch mit Theologen wie den Müllers erhoffte sich Iwand die Freisetzung einer Dialektik, die über die bestehenden Polaritäten hinausführte. Wenn Bonhoeffer ein „religionsloses Christentum“ forderte, dann hatte er ähnlich wie Iwand die Religion der nachhegelschen Restauration vor Augen: Religion, so schrieb er, spiele „für die Psyche des 19. und 20. Jahrhunderts die Rolle des sogenannten guten Zimmers, in das man sich gern auf ein paar Stunden zurückzieht“.100 Schon in ‚Sanctorum Communio‘ hatte Bonhoeffer die religiöse Bedürfnisbefriedigung des Bürgers und die ideologische des Proletariers als die entscheidenden Herausforderungen der Theologie angesehen.101 Auch Bonhoeffer fragte also nach einem dritten Weg, um die Bedeutung des Reiches Gottes, die Bedeutung Jesu Christi für die Gesellschaft der Moderne neu in den Blick zu bekommen. Das war aber etwas deutlich anderes, als Müllers „Aufhebung der Öffentlichkeit christlicher Religiosität“ – sowohl bei Bonhoeffer als auch bei Iwand. Auf der Grundlage dieser Analyse wäre es lohnenswert, das Müllersche Projekt – wenn auch unter neuen Vorzeichen, d. h., ohne dessen ideologische Voraussetzungen – noch einmal aufzugreifen: also den Göttinger Iwand mit dem Tegeler Bonhoeffer zusammenzulesen. Was haben diese beiden in der Entwicklung des 19. Jahrhunderts gesehen, was ist damals aus dem Ruder gelaufen? Und was wäre dagegen aufzubieten? Also: Was könnte ‚religionsloses Christentum‘ und ‚Arkandisziplin‘102 und das ‚Geheimnis Gottes‘ im ‚Namen Jesu Christi‘ bei Bonhoeffer, was könnte die Kategorie des Prophetischen und der ‚Öffentlichkeit des Wortes Gottes‘103 bei Iwand für unsere heutige Gottesrede bedeuten? Wie wahrt die Kirche heute das Geheimnis des Glaubens, ohne sich der geistigen Auseinandersetzung mit den Denkströmungen unserer Zeit zu entziehen?

100 101 102 103

für diejenigen einen Sinn habe, in welchen die Idee der einen und selben Philosophie vorhanden ist, ebenso nur solche Werke betreffen kann, in welchen diese Idee als mehr oder weniger deutlich ausgesprochen zu erkennen ist.“ Bonhoeffer, Jesus Christus und vom Wesen des Christentums, DBW 10, 302–322, 302. Vgl. Kodalle, Bonhoeffer, 161. Welche Lösungsmöglichkeiten Iwand und Bonhoeffer jeweils bei Schleiermacher und bei Hegel sahen, müsste einmal im Detail analysiert werden. Siehe dazu auch Tödt, Dietrich Bonhoeffers Hegelseminar 1933. Vgl. Kodalle, Bonhoeffer, 163: „Die Sensibilisierung für die Arkana bringt im post-religiösen Zeitalter das Eigentümliche humaner Existenz zum Ausdruck.“ Vgl. Assel, Die Öffentlichkeit des Wortes Gottes.

2. Einzelthemen

Michael Basse

Dietrich Bonhoeffers und Hans Joachim Iwands Engagement für den Frieden

Ende Juli 1939 besuchte Dietrich Bonhoeffer auf seiner Rückreise aus den USA Hans Joachim Iwand in Dortmund.1 Im Rückblick berichtete Iwand 1957 davon, dass die Frage des Pazifismus ein kontroverses Thema dieses Treffens darstellte: Ich erinnere mich an ein letztes Gespräch, das ich mit Dietrich Bonhoeffer darüber (den Pazifismus) hatte, wo ich Zweifel gegenüber seiner Neigung zum Pazifismus zum Ausdruck brachte. Ich wurde ja mit dieser Anschauung, die ich heute habe, nicht geboren.2

Diese Meinungsverschiedenheit zwischen Iwand und Bonhoeffer kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und Iwands Hinweis auf seine eigene theologische Entwicklung geben Anlass, die biographischen und theologiegeschichtlichen Aspekte dieses Themas genauer zu beleuchten.

1.

Theologische Existenz zwischen Krieg und Frieden – Iwands und Bonhoeffers theologische Entwicklung bis 1933

Persönliche Erfahrungen wie auch sozialbiographische Prägungen im Kontext des Ersten Weltkrieges bestimmten Iwand und Bonhoeffer auf sehr unterschiedliche Weise. In mentalitäts- und ideengeschichtlicher Hinsicht ist dabei die Vielfalt an Positionen und Intentionen zu beachten, die mit dem soziokulturellen Sprachgebrauch des Friedensbegriffs und der jeweiligen Bewertung des Krieges im Allgemeinen verknüpft waren. Die Bandbreite reichte hier von den pazifistischen Initiativen der Friedensbewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bis hin zu einem ‚Bellizismus‘, der den Krieg aus machtpolitischen und kulturphilosophischen Gründen grundsätzlich positiv bewertete.3 Im unmittelbaren 1 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 744; Seim, Iwand, 245. 2 Iwand, Redebeitrag auf der Synode der EKD v. 6. 3. 1957, 199; vgl. Burdach, Iwand, 58f. 3 Vgl. Janssen, Friede, 575ff; Huber, Frieden, 630–634.

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Kontext des Ersten Weltkrieges spielten zudem die Desillusionierung nach der weit verbreiteten Kriegsbegeisterung des August 1914 und die konfliktreichen Auseinandersetzungen um den Friedensvertrag von Versailles eine wichtige Rolle. Iwand erlebte die letzten Monate des Ersten Weltkrieges noch als aktiver Soldat und schloss sich im November 1918 der Grenzschutzgruppe in der Provinz Posen an.4 Im Rückblick auf diese Zeit schrieb Iwand ein Jahr vor seinem Tod: „Wenn uns 1919 Polen oder Russen überfallen hätten, würde ich keine Bedenken getragen haben, mit allem meinen Einsatz ihnen zu widerstehen.“5 Seine nationalkonservative Einstellung zu dieser Zeit erklärt auch seine Beteiligung am Kapp-Putsch im März 1920 und an der Schlacht am Annaberg im Mai 1921 – an den Kämpfen dort nahm er als Theologiestudent in den Reihen eines Freikorps teil, als die Auseinandersetzungen über die politische Zukunft Oberschlesiens eskalierten.6 In den folgenden Jahren widmete sich Iwand dann ganz der Arbeit an seinen beiden theologischen Qualifikationsschriften, ohne ethischen Fragen im Blick auf Krieg und Frieden nachzugehen. Auch in den verschiedenen Konzeptpapieren, die Iwand für ein Lehrbuch zur Theologischen Ethik, um das er gebeten wurde, sowie für seine Vorlesungen zur Ethik Anfang der 1930er Jahre entworfen hat, dominieren Prinzipienfragen und kommt die Friedensthematik nicht zur Sprache. Allein in einem Vortrag, den Iwand wohl Ende September 1932 in Dorpat über Theologische und philosophische Ethik gehalten hat, taucht der Begriff ‚Frieden‘ an einer zentralen Stelle auf – demnach ist mit dem Kommen des Menschensohnes „das Ende und die Offenbarung des Gesetzes“ eingetreten und dadurch gewinnt die Menschheitsgeschichte eine Mitte, um die alles Geschehen schwingt, und diese Mitte ist gekennzeichnet durch das Kreuz, denn hier ist Friede gemacht zwischen den durch das Gesetz in zwei Teile gespaltenen Menschen.7

Hier wird ein Zusammenhang mit der Kreuzestheologie aufgezeigt, dessen ethische Konsequenzen Iwand in der Folgezeit – vor allem nach 1945 – entfalten sollte. Dietrich Bonhoeffer war beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs erst acht Jahre alt und nahm diesen somit zunächst aus einer gewissen Distanz wahr, musste jedoch im April 1918 miterleben, dass sein zweitältester Bruder Walter (1899– 1918) an der Westfront fiel.8 Die Differenz zu der Generation derer, die – wie

4 5 6 7 8

Vgl. Burdach, Iwand, 56; Seim, Iwand, 10f. Iwand, Antwortbrief v. 21. 10. 1959, 622. Vgl. Burdach, Iwand, 57. Iwand, Theologische und philosophische Ethik, 15. Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 51; Schlingensiepen, Bonhoeffer, 30.

Dietrich Bonhoeffers und Hans Joachim Iwands Engagement für den Frieden

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Iwand – am Krieg teilgenommen hatten, hat Bonhoeffer später sehr scharf markiert: Es geht eine unsichtbare, aber unüberschreitbare Grenzlinie zwischen denen, die im Krieg waren, und den nur ein wenig Jüngeren, die in der Zeit des Zusammenbruchs wach und reif wurden. Dies wird von den Jüngeren eben noch stärker gespürt als von den Älteren.9

Eine ethische Reflexion der Friedensthematik lässt sich in Bonhoeffers theologischer Entwicklung erstmals 1929 in einem Gemeindevortrag über Grundfragen einer christlichen Ethik erkennen, den Bonhoeffer während seines Vikariats in Barcelona gehalten hat.10 Er stellte in diesem Vortrag als ethischen Grundsatz heraus, dass es „nur ein Treubleiben oder ein Abweichen von Gottes Willen“ geben kann und somit „kein Gesetz im eigentlichen Sinn, sondern nur das Gesetz der Freiheit, d. h., seine Verantwortung allein zu tragen vor Gott und sich selbst“11 – und deshalb galt für ihn auch: „Es gibt keine an sich schlechten Handlungen, auch der Mord kann geheiligt werden“.12 In Bezug auf das ‚Problem des Krieges‘ stand für Bonhoeffer zu diesem Zeitpunkt fest, dass ein Verteidigungskrieg in einer „konkreten Situation“ aus der „Not der Entscheidung“ heraus gerechtfertigt sei.13 Ein Jahr später vollzog Bonhoeffer dann unter dem Eindruck seines Aufenthaltes in den USA und seiner Bekanntschaft mit dem französischen Pfarrer Jean Lasserre (1908–1983) eine grundlegende „innere Wende“,14 die er im Rückblick als eine „Befreiung“ durch die Bibel „und insbesondere die Bergpredigt“ betrachtete.15 Fortan vertrat er – mit zunehmender theologischer Profilierung – einen christlichen Pazifismus in ökumenischer Perspektive.16 Auch wenn Bonhoeffer selbst den Begriff ‚Pazifismus‘ in seinen Publikationen vermied und damit auch dessen theoretischer Unschärfe sowie politischer Instrumentalisie-

9 Bonhoeffer, Der Führer und der Einzelne, DBW 12, 244; vgl. den Beitrag von Christian Neddens in diesem Band, 14. 10 Vgl. Schlingensiepen, Bonhoeffer, 68f; Nation/Siegrist/Umbel, Bonhoeffer, 101–124. 11 Bonhoeffer, Grundfragen einer christlichen Ethik, DBW 10, 332. 12 Ebd. 13 Ebd., 337. 14 Tödt, Friedensethik, 116; vgl. Nelson, Relationship, 71–84; Bethge, Bonhoeffer, 190f; Schlingensiepen, Bonhoeffer, 90; Nation/Siegrist/Umbel, Bonhoeffer, 25f. 15 Bonhoeffer, Brief an Elisabeth Zinn v. 27. 1. 1936, DBW 14, 113; vgl. ders., Brief an Karl Friedrich Bonhoeffer v. 14. 1. 1935, DBW 13, 272f. 16 Ein erstes Mal verwendete Bonhoeffer den Begriff ‚Pazifismus‘ im Herbst 1930 in einer Ansprache in New York, um damit die vielfältigen Bestrebungen einer „peace movement“ in Deutschland zu kennzeichnen (vgl. Bonhoeffer, Vortrag zum Thema „Krieg“, 387), was jedoch weniger der politischen Realität entsprach als vielmehr Bonhoeffers „persönliche, in Umbildung begriffene Haltung zur Friedensfrage“ widerspiegelte (Bethge, Bonhoeffer, 185f).

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rung aus dem Weg ging,17 hat er ihn doch seinen Freunden gegenüber geradezu emphatisch verwendet18 und ist der Begriff auch als Kennzeichnung seiner Position angemessen, wenn darunter allgemein „[d]ie Absage an Krieg und Gewalt“19 verstanden wird. Als Jugendsekretär des ‚Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen‘ engagierte sich Bonhoeffer ungeachtet der theologischen und kirchenpolitischen Polemik, wie sie etwa von Paul Althaus und Emanuel Hirsch formuliert wurde,20 für die ökumenische Verständigung und setzte sich insbesondere für deren theologische Fundierung ein, da es seiner Ansicht nach der ökumenischen Bewegung daran noch mangelte. In seinem Referat Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, das er im Juli 1932 auf der Jugendfriedenskonferenz in Ciernohorské Kúpele, Tschechoslowakei, hielt, entwickelte er sein Konzept einer christlichen Ethik im Blick auf die Kirche als dem „Christus praesens“, deren Aufgabe es sei, sein Wort in dessen doppelter Gestalt als „Evangelium und Gebot“ zu verkündigen.21 In dieser christologischen und ethischen Konzentration der Theologie gelangte Bonhoeffer zu der Feststellung: „Die Ordnung des internationalen Friedens ist heute Gottes Gebot für uns.“22 Dabei grenzte er sein theologisches Konzept einer internationalen Friedensordnung von jener Sichtweise ab, die „unter dem übermächtigen Einfluss des angelsächsischen Denkens im Weltbund“ meinte, „Frieden als Wirklichkeit des Evangeliums“ und somit „als ein Stück Reich Gottes auf Erden“ verstehen zu müssen.23 Demgegenüber betrachtete Bonhoeffer den internationalen Frieden als „ein Gebot des zornigen Gottes, eine Ordnung der Erhaltung der Welt auf Christus hin“.24 Diese Friedensordnung könne deshalb „kein absoluter Idealzustand“ sein, gleichwohl aber „absolute Dringlichkeit bekommen“.25 So sprach Bonhoeffer von einem „gebrochene[n] Charakter der Friedensordnung“, insofern „der von Gott gebotene Friede zwei Grenzen hat: erstens die Wahrheit, zweitens das Recht“.26 Und in Bezug auf das damalige Reizwort des ‚Pazifismus‘ stellte er nun fest:

17 Zur Begriffsgeschichte vgl. Holl, Pazifismus, 767–787; Röttgers, Art. Pazifismus, 218–229. 18 In einem Brief, den Bonhoeffer im Januar 1937 in Finkenwalde verfasste, schrieb er im Blick auf seine Wende 1930/31: „Der christliche Pazifismus, den ich noch kurz vorher […] leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als Selbstverständlichkeit auf.“ (Bonhoeffer, Brief an Elisabeth Zinn v. 27. 1. 1936, DBW 14, 113) 19 Haspel, Einführung in die Friedensethik, 526; vgl. Huber/Reuter, Friedensethik, 123–126. 20 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 238f. 21 Bonhoeffer, Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 331. 22 Ebd., 338 (Hervorhebung im Text). 23 Ebd. 24 Ebd., 153. 25 Ebd. 26 Ebd.

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Wir sollen uns hier auch nicht vor dem Wort Pazifismus scheuen. So gewiß wir das letzte pacem facere Gott anheimgeben, so gewiß sollen auch wir pacem facere zur Überwindung des Krieges. Daß damit der Kampf als solcher nicht aus der Welt geschafft ist, ist gewiß. Aber es geht eben hier um ein ganz bestimmtes, heute unter dem Verbot Gottes stehendes Mittel des Kampfes.27

Einige Monate zuvor, im Februar 1932, hatte Bonhoeffer in einem Vortrag, der sich kritisch mit dem Recht auf Selbstbehauptung auseinandersetzte, deutlich gemacht, welches „Mittel“ er hier meinte: Seiner Auffassung nach richtet der moderne Einsatz der „Maschine“ im Krieg „den Kampf nicht primär gegen den Menschen, sondern gegen die Natur“ und hat die Maschine dadurch den Krieg „[n]icht nur ihrer Idee nach […], sondern auch ihrer Wirklichkeit nach […] unmöglich gemacht“.28 Damit reflektierte Bonhoeffer die Erfahrungen des Einsatzes von Massenvernichtungsmitteln im Ersten Weltkrieg und sprach sich so gegen eine bestimmte Art der Kriegsführung aus, ohne dem Krieg oder der Gewalt eine prinzipielle Absage zu erteilen. Nur wenige Wochen später stellte er allerdings in seiner Predigt zum Volkstrauertag die Frage: „[W]ie kann ich Gott, Christus und das Geschehen des Krieges zusammendenken?“29 Seinen Aufruf an die Gemeinde, Christi „Predigt vom Reich des Friedens“ treu zu sein, verknüpfte Bonhoeffer mit einer prägnanten Zusammenfassung der Kreuzestheologie, wie sie für seine Friedensethik charakteristisch ist: „Gottes Weg in der Welt führt ans Kreuz und durchs Kreuz zum Leben.“30 In der zweiten Hälfte des Jahres 1932 hat Bonhoeffer dann in dem Vortrag Christus und der Friede die christologische Begründung der Friedensethik profiliert. Hier ist bereits von der „Nachfolge“ die Rede, in die der Christ „mit der Verheißung der Seligpreisungen gerufen“ ist und die es im „einfältige[n] Gehorsam“ zu realisieren gilt.31 Daraus folgte für Bonhoeffer, dass dem Christen durch das Gebot der Feindesliebe Kriegsdienst verboten ist.

2.

Bonhoeffers und Iwands Haltung zur Friedensthematik in der NS-Zeit

Neben der Mahnung, sich der besonderen christlichen Verantwortung für den Frieden bewusst zu sein, hat Bonhoeffer auch stets den grundlegenden Unterschied zwischen Gottes Frieden und zwischenmenschlichem Frieden herausge27 28 29 30 31

Ebd., 155f. Ders., Das Recht auf Selbstbehauptung, DBW 11, 224f. Ders., Predigt zu Mt 24,6–14 (21. 2. 1932), DBW 11, 402. Ebd. 406. Ders., Christus und der Friede, DBW 12, 233f; DBW 17, 117f.

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stellt. So entfaltete er in seiner Predigt, die er im November 1933 in London zum Totensonntag hielt, nicht nur vielfältige Beschreibungen dessen, was der Friede Gottes für die Menschen konkret bedeuten könne, sondern er betonte auch, dass dieser Frieden „wahrhaftig nicht das Selbstverständliche ist, sondern das ganz und gar Neue, das ganz und gar Letzte, das von Gott her Geschehende“.32 Auf der ökumenischen Jugendkonferenz von Fanø hielt Bonhoeffer am 28. August 1934 das Hauptreferat – und er stellte es unter das Psalmwort „Ach daß ich hören sollte, was der Herr redet, daß er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen“ (Ps 85,9).33 Zu Beginn formulierte Bonhoeffer die Aufgabe, vor die er Kirche und Theologie gestellt sah: Als Glied der Ökumene hat der Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen Gottes Ruf zum Frieden vernommen und richtet diesen Befehl an die Völkerwelt aus. Unsere theologische Aufgabe besteht darum hier allein darin, dieses Gebot als bindendes Gebot zu vernehmen und nicht als offene Frage zu diskutieren. ‚Friede auf Erden‘, das ist kein Problem, sondern ein mit der Erscheinung Christi selbst gegebenes Gebot.34

Bei aller inhaltlichen Übereinstimmung mit einem „säculare[n] Pazifismus“ stellte Bonhoeffer doch heraus, dass es darauf ankomme, von Christus aus zu argumentieren und nicht „von einem erwünschten oder unerwünschten Weltbild aus“.35 Bonhoeffers Hinweis auf Volk, das „betend und wehrlos und darum gerade bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffe den Angreifer empfinge“,36 ließ Anklänge an Mahatma Gandhis Konzept eines gewaltlosen Widerstands erkennen, das ihn schon in den 1920er Jahren beschäftigte und an dessen „Lebenslehre“ Bonhoeffer 1932 aufgezeigt hatte, was es heißt „die Gemeinschaft unter das Gebot zu stellen: du sollst kein Leben vernichten, leiden ist besser denn mit Gewalt leben“.37 Seinen Plan, nach Indien zu reisen, um Gandhi persönlich kennenzulernen, gab Bonhoeffer allerdings auf, um sich seiner Aufgabe im Predigerseminar der Bekennenden Kirche zu widmen.38 Dass die Kompromisslosigkeit, mit der Bonhoeffer seine Auffassung vertrat, nicht nur auf theologische Weggefährten,39 sondern auch auf sein engstes persönliches Umfeld verstörend wirkte und er „fanatisch und verrückt erscheine“,40 war ihm selbst bewusst, aber für ihn stand fest: „Es gibt doch nun einmal Dinge, 32 33 34 35 36 37

Ders., Predigt zu Weisheit 3,3 (26. 11. 1933), DBW 13, 329. Ders., Kirche und Völkerwelt, DBW 13, 298. Ebd. Ders., Die Kirche und die Welt der Nationen, DBW 13, 296. Ders., Kirche und Völkerwelt, DBW 13, 300. Ders., Das Recht auf Selbstbehauptung, DBW 11, 220; vgl. Nation/Siegrist/Umbel, Bonhoeffer, 57; Bethge, Bonhoeffer, 138; Huber/Reuter, Friedensethik, 123ff. 38 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 468–472. 39 Vgl. Kuske/Tödt, Nachwort, 310, mit Bezug auf eine Mitteilung Elisabeth Bornkamms. 40 Bonhoeffer, Brief an Karl Friedrich Bonhoeffer v. 14. 1. 1935, DBW 13, 272.

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für die es sich lohnt, kompromißlos einzutreten. Und mir scheint, der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas.“41 Die ökumenische Dimension eines theologisch begründeten und kirchenpolitisch tragfähigen Friedenskonzeptes stand Bonhoeffer deutlich vor Augen. Deshalb engagierte er sich nicht nur persönlich im Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen, sondern unternahm auch mit den Teilnehmern seines Predigerseminars Auslandsreisen, wie im März 1936, woraufhin ihm von Theodor Heckel, dem Leiter des für die Ökumene zuständigen Kirchlichen Amtes für Auswärtige Angelegenheiten, vorgeworfen wurde, er sei ein „Pazifist und Staatsfeind“.42 Den Kriegsvorbereitungen des NS-Staates und dessen Heroisierung vergangener ‚Kriegshelden‘ setzte Bonhoeffer 1936/37 in seinen Gedanken für den Prediger am Volkstrauertag, der nun offiziell ‚Heldengedenktag‘ hieß,43 den Aufruf zur Buße entgegen, die mit der Einsicht einhergehen müsse, dass „Krieg Sünde ist gegen Gottes Evangelium vom Frieden“.44 In der Nachfolge knüpfte Bonhoeffer an die christologische Fundierung und Zentrierung der Friedensethik an, wie er sie schon 1932 in dem Vortrag Christus und der Friede dargelegt hatte. Im ersten Teil dieses Buches entfaltet er seinen Ansatz einer theologischen Ethik von der Bergpredigt her.45 Hinsichtlich der Seligpreisung der Friedfertigen (Mt 5,9) stellt er heraus, dass das Reich Christi „ein Reich des Friedens“ ist und deshalb die Christen „Stifter des göttlichen Friedens mitten in der Welt des Hasses und des Krieges“ sein müssen.46 Das schließt für Bonhoeffer die Bereitschaft zum Leiden ein: „Die Friedfertigen werden mit ihrem Herrn das Kreuz tragen; denn am Kreuz wurde der Friede gemacht.“47 Damit wird die Friedensethik kreuzestheologisch begründet und in soteriologischer wie auch ekklesiologischer Perspektive der Leib Christi als „der Ort der Annahme, der Versöhnung und des Friedens zwischen Gott und den Menschen“ bestimmt.48 Im Blick auf das Gebot der Feindesliebe fokussiert Bonhoeffer dann seine Auslegung von Mt 5,43–48 auf das „Außerordentliche“49, das damit den Christen abverlangt werde und das sich nicht in den weltlichen Kategorien von Vaterlandsliebe oder bürgerlicher Gerechtigkeit fassen lasse. Die Botschaft des Evangeliums weiterzutragen, heißt für Bonhoeffer, den Anbruch 41 Ebd., 273. 42 Theodor Heckel an den Landeskirchenausschuss v. 7. 3. 1936, in: DBW 14, 126; vgl. Dramm, V–Mann Gottes, 9. 43 Vgl. Bethge, Anmerkung des Herausgebers, in: Bonhoeffer, Gedanken für den Prediger am Volkstrauertag, GS 4, 197. 44 Ebd., 198. 45 Vgl. Schmitz, „Nachfolge“, 156–233. 46 Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 108. 47 Ebd. 48 Ebd., 238. 49 Ebd., 140.

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des Gottesreiches zu verkünden und das mit dem Friedensgruß (Lk 10,5) einzuleiten, denn dieser bringe „die Kraft des Gottesfriedens über die, ‚die es wert sind‘“.50 Den christologischen Ansatz seiner Friedensethik hat Bonhoeffer auch in seinem Buch Gemeinsames Leben zur Geltung gebracht, indem er in Bezug auf Eph 2,14 („Er ist unser Friede“) feststellte: Ohne Christus ist Unfriede zwischen Gott und den Menschen und zwischen Mensch und Mensch. […] Christus hat den Weg zu Gott und zum Bruder freigemacht. Nun können Christen miteinander in Frieden leben, sie können einander lieben und dienen, sie können eins werden.51

In kreuzestheologischer Perspektive versteht Bonhoeffer von Jes 53,4 her („Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen, die Strafe lag auf ihm, auf daß wir Frieden hätten“) „das ganze Leben der Christen als Tragen des Kreuzes“.52 Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ermahnte er seine Vikare in einem Rundbrief, „nicht nur durch Worte und Gedanken, sondern auch durch die Tat Gottes Liebe und Gottes Frieden zu bezeugen“.53 Das müsse im Kleinen beginnen, denn „[n]ur aus dem Frieden zwischen zweien und dreien kann der große Friede einmal erwachsen, auf den wir hoffen“.54 Angesichts des Zweiten Weltkrieges führte dann „Dietrich Bonhoeffers Weg vom ‚Pazifismus‘ zur Verschwörung“.55 In ihrer 2013 erschienenen Publikation „Bonhoeffer the Assassin? Challenging the Myth, Recovering His Call for Peacemaking“ haben Mark Thiessen Nation, Anthony G. Siegrist und Daniel P. Umbel grundsätzlich bestritten, dass Bonhoeffer in Verschwörungs- und Attentatspläne involviert gewesen sei,56 und von daher auch eine neue Lesart der Bonhoeffer-Interpretation reklamiert, mit der sie sich von der bislang vertretenen Sichtweise, als deren Vertreter an erster Stelle Reinhold Niebuhr genannt wird, distanzieren. Für die Interpretation vor allem der Ethik Bonhoeffers schlussfolgern die Autoren, es gebe von den Texten her keinen Grund für die Annahme, dass Bonhoeffer versucht habe, solche Pläne in ethischer Hinsicht zu rechtfertigen.57 Deshalb dürfe auch nicht zwischen dem Pazifisten und dem ‚Realpolitiker‘ Bonhoeffer unterschieden werden, vielmehr müssten sowohl seine Biographie als auch sein theologisches Lebenswerk als eine Einheit gesehen und somit seine Ethik von der Nachfolge her ver-

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Ebd., 202. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, DBW 5, 20. Ebd., 85. Ders., Rundbrief vom 20. 9. 1939, DBW 15, 271. Ebd., 272. Bethge, Bonhoeffers Weg, 119; vgl. Rasmussen, Bonhoeffer, 94–126; Gides, Pacifism, 1–40. Vgl. Nation/Siegrist/Umbel, Bonhoeffer, 13 u. 86. Vgl. ebd., 13.

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standen werden.58 Ungeachtet der methodologischen Problematik einer solchen Interpretation der Ethik Bonhoeffers ist dieser Sichtweise entgegenzuhalten, dass Bonhoeffers eigene Schriften in Verbindung mit den sonstigen Quellen zur Geschichte des Widerstandes keinen Zweifel lassen, dass er von den Verschwörungs- und Attentatsplänen wusste und sich auch bewusst in ihren Dienst stellte, auch wenn seine Rolle im aktiven Widerstand vorsichtiger beurteilt werden muss, als es zuweilen geschehen ist.59

In seinen Aufzeichnungen für die Ethik hat Bonhoeffer die theologischen Aspekte seiner Entscheidung, sich am Widerstand gegen das NS-Regime zu beteiligen, reflektiert.60 Der Begriff ‚Frieden‘ taucht dabei nicht auf, was damit erklärt werden könnte, dass Bonhoeffer verhindern wollte, der nationalsozialistischen Zensur ein verdächtiges Stichwort zu liefern. In seinen Manuskripten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs fällt auf, dass der ethische Appell, die Verantwortung für den Frieden wahrzunehmen, in den Hintergrund tritt und nun stärker das Besondere des Friedens Gottes betont wird. In seiner Predigtmeditation für den ersten Pfingsttag zu Joh 14,23–31 konstatiert Bonhoeffer, dass nur der Christusfriede Bestand habe, während das, „[w]as die Welt anbietet, […] nur ein Traum sein [kann], aus dem wir voll Verwirrung und Furcht aufwachen müssen“.61 Und in der Predigtmeditation für Weihnachten zu Jes 5,5f heißt es, es komme darauf an, sich vom Kind in der Krippe, dem „Friede-Fürst“, „den Frieden Gottes schenken“ zu lassen.62 Auch die Fortsetzung dieses Gedankens in der Form, dass Jesus seinen Frieden schenke, „wo Menschen sich willig ihm unterwerfen, ihn über sich herrschen lassen“,63 ist mit Bonhoeffers christologischen Fundierung der Friedensethik in den 1930er Jahren zwar kompatibel, aber doch in der Form unterschieden. Der theologischen Akzentuierung, den Frieden Gottes als Geschenk anzunehmen, entsprach nunmehr seine Auffassung von der Bedeutung des Gebetes um den Frieden. So schrieb er im November 1940, als er sich im Kloster Ettal aufhielt und dort an der Ethik arbeitete, einen Brief an Eberhard Bethge und fragte diesen im Blick auf das Friedensgebet, das Papst Pius XII. in der Kirche angeordnet hatte: „Hätten wir da nicht mitbeten können? Ich habe es getan.“64 Bonhoeffers Engagement für den Frieden in der Zeit seines aktiven Widerstandes gegen das NS-Regime war auf die Zeit nach Kriegsende ausgerichtet. 1942 wandte er sich im Auftrag der Vorläufigen Leitung der Bekennenden Kirche an 58 Stanley Hauerwas hat sich dieser Interpretation in seinem Vorwort zu diesem Buch angeschlossen (vgl. ebd., XIII–XV). 59 Vgl. Dramm, V–Mann Gottes und der Abwehr?, 241. 60 Vgl. Jähnichen, Freie Verantwortlichkeit, 101. 61 Bonhoeffer, Predigtmeditation zu Joh 14,23–31, DBW 15, 570. 62 Ders., Predigtmeditation zu Jes 5,5f (1940), DBW 16, 637. 63 Ebd., 638. 64 Ders., Brief an Eberhard Bethge vom 23. 11. 1940, DBW 8, 77.

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den Freiburger Kreis, in dem sich nach den Judenpogromen des November 1938 vor allem Wirtschaftswissenschaftler und Juristen zusammengefunden hatten, um über die Haltung zum Staat zu diskutieren. Bonhoeffer bekundete das große Interesse der Leitung der Bekennenden Kirche an den Beratungen dieses Kreises im Blick auf die Neuordnung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.65 Dabei spielten auch seine ökumenischen Verbindungen eine wichtige Rolle, da u. a. George Bell, Visser’t Hooft und William Paton erwarteten, dass die Bekennende Kirche in Deutschland Pläne für eine solche Neuordnung erarbeitete, die unmittelbar nach dem Ende des Krieges auf einer Weltkirchenkonferenz präsentiert werden sollten.66 Bonhoeffer beteiligte sich selbst an der Vorbereitung einer Denkschrift des Freiburger Kreises, die dann im Januar 1943 fertiggestellt wurde.67 Damit stellte er sich der Aufgabe, einen Beitrag zur Neugestaltung Deutschlands im Horizont einer globalen Friedensordnung zu leisten, wie es seinen verantwortungsethischen Prinzipien der „Wirklichkeits“- und „Sachgemäßheit“ entsprach.68 Nach seiner Verhaftung hat Bonhoeffer die Friedensthematik weiter erörtert – so sah er die Erfahrung des Krieges als „grundlegend für den Wiederaufbau auf dem Boden des Christentums“69 an und betrachtete „das eigene Leben als Vorbereitung für einen neuen Anfang“, der den Weg zum Frieden eröffnete.70 Seine Feststellung, dass es keine „‚religiöse‘ Reaktion“ auf den Krieg gegeben habe, verknüpfte Bonhoeffer mit der Überzeugung, einer „völlig religionslosen Zeit entgegen[zugehen]“, in der dann auch ein „religionsloses Christentum“ seinen Ort finden müsse.71 Während die Friedensthematik für Bonhoeffer ein zentraler Aspekt seiner theologischen und kirchenpolitischen Arbeit in der NS-Zeit war, stand sie bei Iwand bis kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs – zumindest explizit – noch nicht im Vordergrund. Theologisch befasste sich Iwand vor allem mit dem Thema ‚Gesetz und Evangelium‘. In einem Aufsatz über Die Predigt des Gesetzes, der 1934 im ersten Heft der neugegründeten Zeitschrift ‚Evangelische Theologie‘

65 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 872ff; Schlingensiepen, Bonhoeffer, 317f; Ritter, Vorwort, 27f; Nübel, Bonhoeffer, 41–52; den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 221–224; Martin, Professoren, 51. 66 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 828–834.870ff. 67 Vgl. ebd., 872f. – Bonhoeffer konnte dabei an Überlegungen anknüpfen, wie er sie 1941 in dem theologischen Gutachten ‚Staat und Kirche‘ (vgl. Bonhoeffer, Staat und Kirche, DBW 16, 506–535) sowie 1942 in dem Manuskript ‚Über die Möglichkeit des Wortes der Kirche an die Welt‘ (vgl. ders., Ethik, DBW 6, 354–364) dargelegt hatte. 68 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 256.269. 69 Ders., Brief an Eberhard Bethge v. 26.–30. 11. 1943, DBW 8, 211. 70 Ders., Brief an Eberhard Bethge v. 11. 4. 1944, DBW 8, 391. 71 Ders., Brief an Eberhard Bethge v. 30. 4. 1944, DBW 8, 403f.

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erschien,72 verknüpfte er das Gebot der Feindesliebe mit der grundlegenden Erkenntnis, „daß wir alle das Kainszeichen auf der Stirn tragen“ und fragte von daher: „Würden wir unserem Bruder weiterhin so begegnen, wie wir ihm begegnen, wenn wir wüßten, wie tief wir in seiner Schuld sind?“73 Hier zeichnete sich der Zusammenhang von Friedensethik und Schuldthematik ab, den Iwand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs theologisch vertiefen und entfalten sollte. Im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Bloestau hielt er 1935–1937 mehrmals eine Vorlesung über Gesetz und Evangelium, d. h. genau in der Zeit, als Bonhoeffer an seinem Werk über die Nachfolge arbeitete.74 Auch wenn die Friedensthematik hier nicht ausführlich erörtert wird, ist doch eine Stelle im Schlussteil der Vorlesung aufschlussreich, insofern dort „[d]ie Bedeutung der Lehre von Gesetz und Evangelium für die Eschatologie“ aufgezeigt und in diesem Zusammenhang der Mensch, der im Unterschied zu dem natürlichen Menschen „beunruhigt ist durch das Evangelium“, als derjenige bezeichnet wird, der sich nach dem Frieden sehne.75 Dabei bringt Iwand zur Kennzeichnung christlicher Existenz in der Welt die Spannung von Ruhe und Unruhe bzw. Frieden und Kampf zur Geltung.76 Dieses Motiv bestimmt auch die beiden Predigten, die er im Schlussgottesdienst des Predigerseminars in Jordan gehalten hat und die er dann in ausgearbeiteter Form unter dem Titel Von der Gemeinschaft des christlichen Lebens in der Schriftenreihe ‚Theologische Existenz heute’ veröffentlichte, wobei er den Bibelvers „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27) voranstellte.77 Es ging Iwand insbesondere darum, das ‚Bleiben in Christus‘ hervorzuheben und daraus den „Kampf mit der Wirklichkeit“ abzuleiten, der jedoch niemals anders als „betend“ zu bestehen sei.78 Dass er in dieser Zeit einem seiner ehemaligen Königsberger Studenten HansWerner Surkau riet, dass dieser sich als Wehrmachtspfarrer einstellen lassen sollte, damit er in dieser Funktion Informationen für die Bekennende Kirche erhalte,79 wirft ein bezeichnendes Licht auf Iwands kirchenpolitische Sorge um die Bekennende Kirche und seine Haltung zu einer Konspiration, wie sie – in 72 Vgl. den Beitrag von Gerard den Hertog in diesem Band, 91–96. 73 Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 167; vgl. Neddens, Politische Theologie, 659f. 74 Vgl. Seim, Iwand, 186. – Auch Iwand hat sich in einer Andacht, die er im September 1935 auf der dritten Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union in BerlinSteglitz hielt, mit dem Thema der ‚Nachfolge‘ befasst, aber in einer kreuzestheologischen Perspektive herausgestellt, dass es sich dabei um eine „unmögliche Sache“ handele, vielmehr alles auf Jesu Erwählung ankomme (Iwand, Andacht am 24. 9. 1935, 160). 75 Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 218. 76 Vgl. ebd. 77 Ders., Von der Gemeinschaft christlichen Lebens, 3. – Diese Veröffentlichung weist interessante Parallelen zu Bonhoeffers Schrift ‚Gemeinsames Leben‘ auf, die zwei Jahre später ebenfalls in der Reihe ‚Theologische Existenz heute‘ erschien. 78 Ebd., 26. 79 Vgl. Seim, Iwand, 213.

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anderer Form und anderem Ausmaß – auch für Bonhoeffer eine Rolle spielte. Für Iwand ging es in erster Linie darum, dass die „kämpfende Kirche“ ihrem öffentlichen Verkündigungsauftrag nachkommt, und deshalb betonte er auch in seinen Erläuterungen zu Luthers Schrift Vom unfreien Willen, die er 1938 während seiner Inhaftierung im Dortmunder Gestapo-Gefängnis verfasste, seine Übereinstimmung mit dem Wittenberger Reformator, denn dieser bezeichne „den Ruf nach Frieden um jeden Preis […] als ‚fleischliche Ruhe‘ [tranquillitas carnis] und setzt dagegen sein Bekenntnis zum entschlossenen Widerstand“.80 Gemäß den Leitvorstellungen seiner politischen Ethik vermochte Iwand aber im Unterschied zu Bonhoeffer, der dann einen anderen Weg einschlug, keine Möglichkeit für einen politischen Widerstand der Kirche zu erkennen – so schrieb er im April 1939 in einem Brief an seinen ehemaligen Schüler Ernst Burdach: „Unsere Opposition ist im politischen Raum nicht unterzubringen, sie läßt sich allein im theologischen Feld bestimmen.“81 Zugleich distanzierte er sich von Karl Barth und dessen politischer Haltung im Zuge der Sudetenkrise, als dieser im September 1938 in einem offenen Brief an den Prager Theologen Josef L. Hromádka Widerstand gegen Hitler gefordert hatte82 und daraufhin in der deutschen Presse als „Kriegshetzer“ verurteilt wurde.83 Im April 1940, zwei Tage nach dem Beginn der deutschen Invasion in Dänemark und Norwegen, schrieb Iwand an Burdach, der inzwischen zum Kriegsdienst in Polen einberufen worden war,84 er leide in Dortmund „unter der großen Langeweile“ und wolle dann doch lieber Soldat sein.85 Zwei Monate später deutete er die militärischen Erfolge im Westfeldzug gegen Frankreich als „Zusammenbruch der […] liberalen Welt und als Genugtuung für alle, die Jahre um Jahre in den Gräben der Champagne […] lagen“.86 Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass Iwand bei solchen brieflichen Mitteilungen immer die staatliche Briefzensur einkalkulieren musste, kann doch nicht übersehen werden, dass er hier die eigenen Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg reflektierte und in einer Form zum Ausdruck brachte, die immer noch seine nationalkonservative Prägung erkennen ließ.87 Zur gleichen Zeit verfasste er für die Predigtmeditationen, die Georg Eichholz herausgab, eine 80 Iwand, Erläuterungen, 278; vgl. Neddens, Politische Theologie, 679. 81 Zit. n. Seim, Iwand, 244. 82 Karl Barth, Brief an Josef L. Hromádka v. 19. 9. 1938, 113ff; Rohkrämer (Hg.), Freundschaft im Widerspruch, 53ff; vgl. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 6ff. 83 Busch, Barths Lebenslauf, 302; zum Verhältnis von Iwand und Barth in der Zeit des Kirchenkampfes vgl. den Hertog, Annäherung und Entfremdung, 333–354. 84 Vgl. Burdach, Iwand, 9. 85 Iwand, Brief an Ernst Burdach v. 10. 4. 1940, zit. n. Seim, Iwand, 250. 86 Ders., Brief an Ernst Burdach v. 15. 4. 1940, zit. n. Seim, Iwand, 252. 87 In dieses Bild passt auch, dass Ernst Käsemann, der seit 1941 Pfarrer in Gelsenkirchen war und seitdem mit Iwand in Kontakt stand, dessen „Genugtuung [registrierte], dass die deutsche Armee im Sommer 1942 bis zum Kaukasus durchstieß“ (Seim, Iwand, 267).

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Auslegung zu Mt 5,21–26 und stellte dazu fest: „Die Fragestellung, die heute naheliegt: ‚das 5. Gebot und der Krieg‘ fehlt völlig“.88 In der Studie Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, die Iwand im Sommer und Herbst 1940 verfasste und mit der er vor allem Martin Niemöller grüßen wollte, der seit 1938 als Hitlers ‚persönlicher Gefangener‘ im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert war,89 findet sich das Stichwort ‚Friede‘ im Zusammenhang mit den Ausführungen zu dem in Christus begründeten „GöttlichSein“ des Menschen, das aber in dessen irdischer Existenz noch als „verborgen“ betrachtet wird.90 Da ‚Gottesgerechtigkeit‘ nach Iwands Auffassung heißt, dass Gott „zu seinem Recht kommen [will]“ und der Mensch sich im Glauben „Gottes Urteil zu eigen machen“,91 d. h. sich selbst Unrecht geben muss, folgt daraus: „Friede mit Gott bedeutet im selben Atem zugleich Kampf mit sich, Sturm in der Welt.“92 Diesen rechtfertigungstheologischen Ansatz griff Iwand dann nach 1945 auf, um nun auch die ‚irdischen‘, d. h. politischen Implikationen sowie Konsequenzen theologischer Rede vom Frieden im Zusammenhang mit der Schuldthematik darzulegen.93 In der Zeit des Zweiten Weltkrieges blieb diese Dimension der Friedensethik bei Iwand demgegenüber – zumindest bis Januar 1945 – unterbelichtet, während er sich mit dem Krieg und dessen Folgen vor allem in seinen Predigten eingehend auseinandersetzte. Paradigmatisch für seinen biblisch-theologisch begründeten Versuch, die Kriegserlebnisse zu deuten und zu bewältigen, war – neben der fortlaufenden Auslegung des Hiobbuches, mit der er im Juni 1944 begann94 – seine Predigt über Ezechiel 37, die er Pfingsten in den Ruinen der Dortmunder Marienkirche hielt, nachdem diese am 5. Mai 1943 bei einem Bombenangriff schwer getroffen worden war.95 Iwand bezog Ezechiels Vision vom Totenfeld auf die schrecklichen Erlebnisse der zurückliegenden Zeit und sprach der Predigtgemeinde den Mut zu, sich als den „Vortrupp der neuen Zeit, einer neuen Gemeinschaft“ zu verstehen.96 Inwieweit Iwand um die Pläne eines Attentats auf Hitler wusste, kann aus den Quellen nicht rekonstruiert werden – im Rückblick berichtete er, dass er Heinrich Graf zu Dohna, den die Verschwörer des 20. Juli 1944 als Statthalter Ostpreußens vorgesehen hatten, gekannt habe und ihm nach dessen Verhaftung bewusst gewesen sei, „daß hiermit ein Leben seinen Abschluß fand, das bemüht gewesen 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Iwand, Matthäus 5,21–26, 233; vgl. Seim, Iwand, 251. Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, 11 Anm.*; Seim, Iwand, 255f. Iwand, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, GA II, 115. Ebd., 21f. Ebd., 22; vgl. Neddens, Politische Theologie, 688. Vgl. Lienemann, Magna Carta, 67. Vgl. Iwand, Predigten und Predigtlehre, NWN 5, 3–39. Vgl. Seim, Iwand, 278f; Schwarz, „denn wenn ich schwach bin, bin ich stark“, 243–268. Iwand, Predigt über Hesekiel 37,1–14, NW 3, 110.

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war, die besten Traditionen des ostpreußischen Adels […] zu verkörpern und […] zum Einsatz zu bringen“.97 Dass Iwand am Kriegsende die materiellen wie auch ideellen Verwüstungen deutlich vor Augen hatte – und sich auch daran beteiligte, Juden und Zwangsarbeiter zu verstecken98 –, verdichtete sich in einer Predigt, die er im Januar 1945 über Röm 12,16b–21 hielt und in der nun die Friedensthematik zur Sprache kam. Darin stellte Iwand den „Sieg über das Böse“99 in den Mittelpunkt und betrachtete den friedlichen Umgang der Menschen miteinander als „eine Etappe auf dem Weg zum Sieg“.100 Im friedlichen Zusammenleben der Menschen müsse deutlich werden, „daß der Kampf ums Dasein eben nicht das Grundgesetz ihres Lebens ist“,101 womit Iwand der sozialdarwinistischen Ideologie des Nationssozialismus eine klare Absage erteilte. Zugleich betonte er, dass der zwischenmenschliche Frieden in dem Frieden zwischen Gott und den Menschen begründet sei, und forderte mit Nachdruck, das müsse „handgreiflich werden in eurem Umgang mit aller Welt“, damit diese erkennen könne, „daß es wirklich eine Erfüllung gibt ihrer Sehnsucht nach Frieden“.102 Wie weit Iwands Verständnis von ‚Frieden‘ nunmehr ging, lässt sich daran ablesen, dass Frieden halten nach seiner Auffassung bedeutete, „daß ihr den anderen gelten laßt, daß er sich nicht durch euch verdrängt fühlt, daß deutlich wird, daß in eures Vaters Hause viele Wohnungen sind“.103 Welche theologischen Perspektiven und (kirchen-) politischen Handlungsoptionen sich von daher ergeben konnten, sollte Iwands Friedensengagement nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigen.

97 Zit. n. Seim, Iwand, 287. – Das Zitat stammt aus einem Beitrag Iwands über Graf Heinrich zu Dohna, den er für ein 1946 von Ricarda Huch geplantes – jedoch nicht erschienenes – Gedenkbuch zum 20. Juli 1944 verfasste. Seine Wertschätzung für die Ideale der Verschwörer brachte Iwand 1952 auch als Gutachter im Prozess gegen Otto-Ernst Remer (s. u. 59) zum Ausdruck: „Ich weiß, daß diese Männer jahrelang unter schwerster Last getragen haben für ihr Land, für die deutsche Geschichte und die deutsche Ehre“ (Iwand, Befragung, 25; vgl. Seim, Iwand, 284). 98 Vgl. Seim, Iwand, 283f. 99 Iwand, Predigt über Römer 12,16b–21, NW 3, 131. 100 Ebd., 134. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Ebd.

Dietrich Bonhoeffers und Hans Joachim Iwands Engagement für den Frieden

3.

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Iwands Engagement für den Frieden angesichts des ‚Kalten Krieges‘ und im Kontext der Bonhoeffer-Rezeption nach 1945

Iwand engagierte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur kirchenpolitisch bei der Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland, sondern vor allem theologisch im Blick auf das Fundament der EKD und die Aufgabe der Versöhnung in Europa.104 Am letzten Tag der Kirchenführerkonferenz in Treysa (28.–31. August 1945) hielt er im Rahmen der Morgenandacht eine Predigt über 2Kor 6,1–10, in der er zu Beginn herausstellte, Gott habe der Welt „das große, unbegreifliche Angebot der Versöhnung gemacht“, und von dieser „Tatsache“ gelte es nun auszugehen, um als Gottes „Mitarbeiter“ die Botschaft von dem „rettende[n] Ja Gottes“ der Welt zu verkünden.105 Diese Aufgabe, bei der es nach Iwands Verständnis um „Gehorsam und Nachfolge“ ging,106 gelte es auch und gerade angesichts der „Trübsale, Nöte und Ängste“ wahrzunehmen, von denen „Brüder unter uns“ Schreckliches berichten konnten107 – wie Martin Niemöller, der in Treysa anwesend war, oder auch Dietrich Bonhoeffer, dessen Tod erst kurz zuvor bekannt geworden war und von dessen theologischem Nachlass Iwand durch Eberhard Bethge erfahren hatte.108 Zwei Wochen nach seiner Rückkehr aus Treysa verfasste Iwand dann einen Rundbrief und berichtete darin von der geplanten Veröffentlichung der Ethik, die als das „letzte Vermächtnis Bruder Bonhoeffers“ helfen werde, „Wege zu finden, die die Kirche Jesu Christi heute gehen muß“.109 Iwand selbst nahm in dieser Zeit Abschied von seiner Gemeinde in Dortmund und folgte dem Ruf an die Universität Göttingen. In seiner Abschiedspredigt, die er in der Mariengemeinde am 21. Oktober 1945, zwei Tage nach dem Stuttgarter Schuldbekenntnis, hielt, ging es – dem Predigttext Eph 6,10–17 entsprechend – um die Frage, wie der „Kampf für die Christenheit“ siegreich geführt und der Welt verdeutlicht werden könne, „daß ihr Gottes Wahrheit und Gottes Gerechtigkeit fehlt“.110 Iwand appellierte an seine Predigthörer angesichts der konkreten Gefahr einer Erneuerung des alten Freund-Feind-Schemas im Zuge des sich abzeichnenden ‚Kalten Krieges‘: Wir sind ja alle Kinder des Krieges und des Hasses geworden, wir denken nur noch in den Gegensätzen von Freund und Feind, der alte Wahn, daß der Krieg der Vater aller 104 Vgl. Greschat, Iwand im Ost-West-Konflikt, 50–63; Plasger, Frieden als Dienst der Versöhnung, 143–161. 105 Iwand, Predigt über 2. Korinther 6,1–10, NW 3, 206f. 106 Ebd., 210. 107 Ebd., 209. 108 Vgl. Seim, Iwand, 300f. 109 Zit. n. Seim, Iwand, 302. 110 Iwand, Daß ihr bestehen könnt, NW 3, 171 u. 180.

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Dinge sei, ist wieder das A und O unserer Weltanschauung geworden. Das darf nicht so bleiben, wenn das Evangelium wirklich Evangelium ist, wenn wahr sein soll, was von Gott her geschehen ist, was Weihnachten und Ostern bezeugen, daß Gott Friede gemacht hat, Friede im Himmel und Friede auf Erden. Ihr müßt hinaus als Gottes Friedensboten! Mitten hinein in die Furien des Krieges hätten wir längst sein Friedenswort tragen müssen. Es ist jetzt höchste Zeit, es ist Zeit, die Welt vor die Entscheidung zu stellen mit dem Evangelium des Friedens, ob sie leben oder untergehen will.111

Für Iwand, der sich seit dem Kriegsende in besonderem Maße für die Unterstützung der Pfarrer in den ehemaligen deutschen Ostgebieten eingesetzt hatte, hieß das auch, auf seine eigene ostpreußische Heimat zu verzichten, wenn sie sich nur mit kriegerischen Mitteln zurückgewinnen ließe,112 und damit nahm er schon früh eine Position ein, wie sie dann in den 1960er Jahren in der Ost-Denkschrift der EKD zum Tragen kam.113 Zum Verlust der Heimat vieler Deutscher im Zuge der Vertreibung, die in der Nachkriegszeit ein brisantes innenpolitisches Thema war, erklärte Iwand 1959 rückblickend: Das Furchtbare an der ganzen Sache ist doch, daß wir, als wir die Macht hatten und die schlimme Lage nach 1918 überwunden schien, gehaust haben, wie es aller Scheu vor Gott und den Menschen spottet. Meine These ist die, daß uns nicht Russen und Polen die Heimat geraubt haben, sondern wir selbst haben sie in maßloser Vermessenheit verspielt.114

Den grundlegenden Zusammenhang von Schuldbekenntnis und Sündenerkenntnis hatte Iwand bereits 1943 in seinem Beitrag zur Festschrift von Julius Schniewind dargelegt.115 Zeigte sich dabei eine theologische Übereinstimmung mit den entsprechenden Ausführungen in Bonhoeffers Ethik,116 so hat Iwand diesen Ansatz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weiter verfolgt und auf dieser Linie dann 1947 seinen Entwurf für das Darmstädter Wort verfasst.117 Angesichts der politischen Entwicklungen nach der Teilung Deutschlands und der doppelten Staatsgründung 1949 entwarf Iwand im darauffolgenden Jahr im Auftrag des Reichsbruderrats für die Synode der EKD in Berlin-Weißensee ein Wort zum Frieden.118 Er stellte seinem Text genau dasselbe Bibelzitat (Ps 85,9) voran, das Bonhoeffer seiner Morgenandacht in Fanø zugrunde gelegt hatte.119 In 111 112 113 114 115 116 117 118 119

Ebd., 180. Vgl. Seim, Iwand, 305; ders., Iwand und die vertriebenen Ostpreußen, 32. Vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.), Die Lage der Vertriebenen, 33f. Iwand, Antwortbrief, 622. Vgl. ders., „Sed originale per hominem unum“, GA II, 171–193; den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 224–227. Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 125–136. Vgl. Iwand, Entwurf zum Darmstädter Wort, FO, 20–22; Ludwig, Die Entstehung des Darmstädter Wortes, 1–15; Plasger, Frieden als Dienst der Versöhnung, 145–151. Vgl. Vogel, Kirche und Wiederbewaffnung, 100f; Lepp, Tabu der Einheit?, 107f. Vgl. Iwand, Entwurf eines Friedenswortes, FO, 34 u. 43 Anm. 1; s. o. 46.

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Erinnerung an die Schrecken des zurückliegenden Krieges warnte Iwand davor, die Gefahren zu unterschätzen, die aus der Vorbereitung eines neuen Krieges resultierten, zumal der „moderne, totale Krieg“ seiner Auffassung nach „einem von oben her organisierten Mord“ gleiche und auch noch zu befürchten sei, „in einem kommenden Krieg könnten Deutsche gegen Deutsche stehen“.120 Gegenüber nationalistischem Denken wie auch nihilistischem „Defaitismus“ machte Iwand geltend, „daß die Voraussetzung für den Wiederaufbau innerlich wie äußerlich der Friedenswille und die faktische Sicherung des Friedens durch Abrüstung ist“.121 Zugleich kritisierte er die Art und Weise, wie der „Krieg geistig wieder ins Recht gesetzt“ werde, wenn alle vom „kalten Krieg“ sprächen, „ohne schamrot zu werden“ und zu erkennen, dass „[d]er Schritt vom kalten zum warmen Krieg […] durch jede Unbedachtsamkeit ausgelöst werden“ könne.122 Es war diese ‚geistige‘ und ‚geistesgeschichtliche‘ Dimension der Friedensthematik, die Iwand fortan bis zu seinem Lebensende beschäftigte und deren existenzielle Bedeutung er im Zusammenhang mit den politischen Debatten über die Remilitarisierung Deutschlands und die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen betonte.123 Demgegenüber rief er die Christenheit zu dem „einen großen Kampf“ auf, „den Frieden zu gewinnen“, denn damit entspreche sie dem Aufruf zur Nachfolge und stehe sie unter der göttlichen Seligpreisung der Friedfertigen.124 Er selbst engagierte sich 1955 zusammen mit Helmut Gollwitzer, Heinrich Vogel und Gustav Heinemann in der Frankfurter Paulskirchenbewegung und unterschrieb das ‚Deutsche Manifest‘ gegen die militärische Westintegration Westdeutschlands.125 Im März 1957 sprach sich Iwand auf der EKD-Synode in BerlinSpandau mit Nachdruck für einen „konkreten Pazifismus“ angesichts der völlig neuen Qualität von atomaren Massenvernichtungswaffen aus.126 Und einen Monat später unterzeichnete er ein ‚Dankestelegramm von Theologen aus der Bekennenden Kirche‘ anlässlich der ‚Erklärung der Göttinger Achtzehn‘, in der westdeutsche Atomwissenschaftler bekundet hatten, sich nicht an der Produktion von Atomwaffen beteiligen zu wollen.127 Als die Debatte im darauffolgenden Jahr ihren Höhepunkt erreichte, bekräftigte Iwand die Auffassung, wie sie Barth

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Ebd., 35.39. Ebd., 37. Ebd., 38. Vgl. ders., Das Aufrüstungsproblem, FO, 97–124; den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 422– 438; Möller, Im Prozeß des Bekennens, 42–127; Plasger, Frieden als Dienst der Versöhnung, 155–157. Iwand, Entwurf eines Friedenswortes, FO, 42. Vgl. Klappert, Iwand, 130f. Ebd., 134. Vgl. Rupp (Hg.), Außerparlamentarische Opposition, 83; Klappert, Iwand, 133–136.

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in zehn – anonym veröffentlichten – Thesen vertreten hatte, wonach es in der Frage der Atomwaffen „keinen Kompromiß“ geben könne.128 Auf die ökumenischen Dimensionen einer theologisch begründeten Friedensethik wie auch einer politischen Friedensordnung hat Iwand nach dem Zweiten Weltkrieg mit Nachdruck hingewiesen,129 während Bonhoeffer sie schon in den frühen 1930er Jahren im Blick hatte. Iwand nahm an der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam teil und betrachtete deren Proklamation, dass „die Entscheidung zwischen Frieden und Krieg als eine solche des Bekenntnisses zu Jesus Christus“ zu verstehen sei, als „Zeichen, die uns voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft erscheinen“.130 Hatte Bonhoeffer bei seinem ökumenischen Engagement insbesondere die Kontakte zur angelsächsischen Welt gepflegt,131 so richtete Iwand den Blick vor allem nach Osten, weil er dort „soviel Schuld, so unsagbare Blutschuld“ liegen sah.132 Deshalb engagierte er sich auch im Ostkirchenausschuss der EKD, unterstützte die ‚Notgemeinschaft für den Frieden Europas‘ von Gustav Heinemann und Helene Wessel und unternahm Reisen nach Ost-Europa in einer Zeit, in der das keineswegs selbstverständlich war und in der westdeutschen Öffentlichkeit auch kritisch beäugt wurde.133 Der ‚Frieden mit dem Osten‘ war für Iwand nicht nur politisch geboten, vielmehr leisteten die osteuropäischen Kirchen seiner Auffassung nach einen „ökumenischen Beitrag“ für die Christenheit insgesamt bei der „Überwindung von Sünde und Schuld“.134 Ihn verband eine Freundschaft mit Josef L. Hromádka, der an der Karls-Universität in Prag lehrte und mit dem Iwand an der Gründung der ‚Christlichen Friedenskonferenz‘ beteiligt war, bei deren Gründungsversammlung er 1958 in Prag einen Vortrag über Die Verantwortung und die Aufgaben der Christen in der heutigen internationalen Situation hielt.135 Er entwickelte hier die „prophetische Vision“136 eines friedlichen Zusammenlebens aller Menschen ungeachtet religiöser und weltanschaulicher Differenzen: 128 Iwand, Die evangelische Kirche und der Protest gegen die atomare Bewaffnung, 167; vgl. Barth, Zehn Thesen, 99; Klappert, Barth, 93f; ders., Iwand, 138; Hofheinz, „Er ist unser Friede“, 357f. 129 Vgl. Neddens, „Reine Lehre“, 243–262; Smolik, Iwand und die Christen in der Tschechoslowakei, 178. 130 Iwand, Entwurf eines Friedenswortes, FO, 36; vgl. Seim, Iwand, 357f. 131 Vgl. Raiser, Bonhoeffer, 35–57. 132 Iwand, Redebeitrag auf der Synode der EKD v. 24. 4. 1950, 122. 133 Vgl. den Hertog, Vorwort, III; ders., Befreiende Erkenntnis, 42–48. 134 Iwand, Der ökumenische Beitrag, FO, 230. 135 Vgl. ders., Die Verantwortung und die Aufgaben der Christen, FO, 182–198. – Iwand bekannte auch hier, wie schon ein Jahr zuvor auf der EKD-Synode, als er von seiner Meinungsverschiedenheit mit Bonhoeffer bezüglich des Pazifismus berichtete (s. o. 41): „Ich bin nicht von Haus aus – ich will das offen sagen – ein Pazifist.“ (ebd., 184) 136 Lienemann, Magna Carta, 84.

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Wir müssen uns daran gewöhnen, daß es viel schöner ist, mit Menschen, die nicht an Gott glauben und doch für den Frieden arbeiten, in einer Linie zu stehen, als mit denen, die vorgeben, mit den Waffen das ‚Reich Gottes‘ zu schützen.137

Diese Abgrenzung zu einer ordnungstheologischen Legitimierung des Militarismus korrespondierte mit Iwands theologischer Aufarbeitung der Unfähigkeit des nationalkonservativen deutschen Protestantismus zum Widerstand gegen das NS-Regime.138 Als Gutachter im Prozess gegen Otto-Ernst Remer, den ehemaligen Kommandeur des Berliner Wachbataillons, befasste sich Iwand – zusammen mit Ernst Wolf – mit dem Thema des Widerstandsrechts und damit auch mit Bonhoeffers Haltung zum NS-Staat.139 In kritischer Auseinandersetzung mit der politischen Ethik des Luthertums, dessen restaurative, antirevolutionäre Haltung er vor allem auf den Einfluss der Staats- und Gesellschaftslehre Melanchthons und Hegels zurückführte,140 stellte Iwand fest, dass die Resonanz des 20. Juli 1944 „– wieder bei uns! – so gering ist, daß wir kaum zu sehen vermögen, welche ethische und politische Bedeutung dieser [sic!] Tag für den Neuaufbau unseres Staates zukommt“.141 Das zeigte für ihn, dass etwas an diesem Punkt „gerade innerhalb des Protestantismus in Deutschland nicht stimmt“.142 Und im Rückblick auf die offiziellen Dankgottesdienste und -gebete, die nach dem gescheiterten Attentat veranstaltet wurden, fragte Iwand auch in kritischer Abgrenzung zu einer bestimmten Form der Bonhoeffer-Rezeption nach 1945: „Wer von all denen, die heute Dietrich Bonhoeffer rühmen, betete damals öffentlich für ihn und seine Freunde?“143 Für Iwand war der Attentatsversuch des 20. Juli 1944, in dessen Kontext er auch Bonhoeffer einordnete, „mehr als eine Verschwörung“ und waren die daran Beteiligten „keine Putschisten, die die Macht in die Hände bekommen wollten, sondern das war das sich aufbäumende christliche Gewissen gegen das Entsetzliche!“144 Christlicher Widerstand gegen die Staatsgewalt war nach Iwands Auffassung dann begründet und auch gefordert, wenn der Staat seine eigentlichen Aufgaben verletzte: „Die Christen sind mitverantwortlich, daß der Staat als eine dem Rechte und dem Frieden dienende Macht nicht in sein Gegenteil pervertiert wird.“145

137 Iwand, Die Verantwortung und die Aufgaben der Christen, FO, 187; vgl. Greschat, Iwand im Ost-West-Konflikt, 61. 138 Vgl. den Beitrag von Marco Hofheinz in diesem Band, 103–105. 116–122. 139 Vgl. Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 9–18. 140 Vgl. Iwand, Widerstandsrecht, NW 2, 199–217; ders., Von Ordnung und Revolution, NW 2, 164–180. 141 Ders., Widerstandsrecht, NW 2, 193. 142 Ebd., 193f. 143 Ebd., 196. 144 Ders., Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 232. 145 Ebd., 241.

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Auf der EKD-Synode in Berlin-Spandau im Jahr 1957, auf der Iwand über sein letztes Gespräch mit Bonhoeffer berichtete, erläuterte er auch die Hintergründe und den Bruch in seiner eigenen Haltung zum Militärdienst. So heißt es in Fortsetzung des eingangs erwähnten Zitats: Aber als wir im Dritten Reich, als wir gerade am Tage von Potsdam erlebten, daß unter dem Schein einer Wiederherstellung des Militärischen das Ethos dieser Sache in den Abgrund gestoßen wurde, haben wir, die wir früher, – teilweise wenigstens – gern Soldaten gewesen sind, gesehen, daß man aus einer anständigen Sache etwas Entsetzliches machen kann, und das sitzt uns allen noch in den Gliedern.146

Iwands Einsatz für den Frieden angesichts des ‚Kalten Krieges‘ nach 1945 war theologisch begründet in seiner Auffassung von der „Realität“ des Friedens und dem „Glaube[n] an den Frieden“, den er von dem „Unglauben an den Frieden“ scharf abgrenzte.147 Die ‚Realität‘ des Friedens als „etwas durchaus in diese Welt und allen ihren Unfrieden hinein Wirkendes“ ist nach Iwand in der ‚Realität‘ des Kreuzes begründet und dieser „untergeordnet“.148 „Frieden in der Welt“ kann es seiner Ansicht nach geben, „wenn wieder unsere zivile, bürgerliche Gerechtigkeit dieser himmlischen Gottesgerechtigkeit unterstellt und untergeordnet würde“.149 Im Blick auf den Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit berief sich Iwand auch auf Kants Friedenstheorie, denn dort sei „die Einheit von Recht und Frieden, von Menschenrecht und Völkerfrieden verteidigt und damit jene alte augustinisch-biblische Harmonie von Frieden und Gerechtigkeit in neuem Gewande vorgetragen“.150 In seiner biblisch-theologischen Begründung für die christliche Haltung zu Krieg und Frieden bezog sich Iwand vor allem auf die Bergpredigt.151 Er selbst betonte in dieser Hinsicht die Übereinstimmung mit Bonhoeffer. So verfasste er 1955 eine Predigtmeditation zu Mt 5,20–26, in der er die biblisch-theologische Begründung seines Friedensverständnisses vertiefte und zugleich auf die konkrete politische Situation Mitte der 1950er Jahre Bezug nahm.152 Gleich zu Beginn verwies er hinsichtlich der „grundsätzliche[n] Frage“ der Auslegung der Bergpredigt neben den Darlegungen Eduard Thurneysens153 und Karl Barths154 auch 146 S.o. Anm. 41. 147 Iwand, Die politische Existenz des Christen, GA I, 199; vgl. den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 498. 148 Iwand, Das Gebot Gottes und das Leben, NW 2, 72. 149 Ebd., 71. 150 Ders., Das geschichtliche Phänomen der Atomwaffe und die Angst, FO, 107; vgl. Lienemann, Magna Carta, 89f. 151 Vgl. Iwand, Du sollst nicht töten, NW 3, 213–225. 152 Vgl. ders., Matthäus 5,20–26, BVP, 464–473. 153 Vgl. Thurneysen, Bergpredigt, pass. 154 Vgl. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. II/2, 777f; Bd. III/4, 471ff; Hofheinz, „Er ist unser Friede“, 73–81.

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auf Bonhoeffers Ethik „mit der Betonung von Gottes Gebot ‚als der konkreten Rede zum konkreten Menschen‘“ sowie dessen Ausführungen „über das ‚Recht auf das leibliche Leben‘“.155 Iwand betonte in diesem Zusammenhang: Die Friedensarbeit mit aller dahingehörigen Literatur wird sehr ernst genommen werden müssen, wobei zu beachten ist, daß es eben nicht um zeitlose Prinzipien, sondern um das konkrete Gebot Jesu geht. Aber auch an aktuellen Fragen dürfen wir nicht vorbeigehen.156

Für Iwands eigene Position nach 1945 ist aufschlussreich, dass er im Zusammenhang der Friedensthematik auf Bonhoeffers Ethik, nicht aber auf dessen Nachfolge verwies. Auf der einen Seite lehnte Iwand „die Idee eines grundsätzlichen Pazifismus zunächst ab, um sich ihm doch praktisch und situationsbedingt immer mehr zu nähern“.157 Er mahnte aber zugleich zur Vorsicht gegenüber der „einfachen Unterscheidung von Pazifismus und Belligerantentum“ und betonte, es gebe nicht nur ein ‚Entweder-Oder‘, sondern auch „Zwischenlösungen“.158 Damit lieferte er selbst in Verbindung mit der eingangs erwähnten Reminiszenz an den Disput mit Bonhoeffer einen wichtigen Hinweis darauf, dass er nicht einen ‚einfachen‘ Pazifismus vertrat, vielmehr um die Notwendigkeit der ethischen Differenzierung wusste. In dieser Hinsicht betonte er die Übereinstimmung mit Karl Barth und unterstrich: „Je allgemeiner (prinzipieller) man den Pazifismus faßt, desto mehr verdünnt er sich in seltsamste Träumereien.“159 Einen ‚Frieden um jeden Preis‘160 befürwortete Iwand auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht, wohl aber hatte er inzwischen die Relevanz der Friedensthematik sowohl in ihrer theologischen als auch politischen Dimension erkannt und darin eine weitreichende Übereinstimmung mit Bonhoeffer erblickt, insofern es beiden um einen christologisch und kreuzestheologisch begründeten Frieden in der diesseitigen Wirklichkeit ging. Wenn Iwand seine eigene Position nun als ‚pazifistisch‘ bezeichnen konnte und damit Bonhoeffer nachträglich Recht gab im Blick auf ihre Auseinandersetzung kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, blieb doch offen, ob Iwand einen Bruch – oder zumindest eine Spannung – in Bonhoeffers Biographie wahrnahm zwischen dem ‚Pazifisten‘ vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Widerstandskämpfer danach oder ob er auch Bonhoeffers Widerstand in dem Sinne als ein ‚pazifistisches‘ Engagement

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Vgl. Iwand, Matthäus 5,20–26, BVP, 472 Anm. 1. Ebd. Burdach, Iwand, 59; vgl. Klappert, Iwand, 135; Lienemann, Magna Carta, 80. Iwand, Redebeitrag auf der Synode der EKD v. 24. 4. 1950, 199. – Friedrich Wilhelm Grafs Charakterisierung der Position Iwands als „Fundamentalpazifismus“ (Graf, Glaubenspathos, 476) ist deshalb nicht sachgemäß. 159 Iwand, Brief an Karl Barth v. 14. 11. 1950, zit. n. Klappert, Iwand, 134. 160 S. o. 52 Anm. 80.

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für den Frieden betrachtete, wie es seinem eigenen Konzept eines ‚Kampfes für den Frieden‘ entsprach.

Markus Franz

Handeln in Gottes zuvorkommender Gegenwart Die Spuren der Ständelehre Luthers in Bonhoeffers und Iwands Gesellschaftsethik

Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand wurden zur kritischen Prüfung ihrer eigenen lutherischen Tradition aufgrund zeitbedingter gesellschaftlicher und politischer Herausforderungen gezwungen. Theologisches Nachdenken drängte beide zur Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen und führte grundlegend zum Nachdenken über die Konstruktion theologischer Ethik. Der folgende Beitrag versucht Bonhoeffers und Iwands sozial- bzw. gesellschaftsethische Gedanken miteinander ins Gespräch zu bringen. Besonders in diesem Bereich spielt die sog. Ständelehre Luthers eine besondere Rolle. Auf welche Weise sich Spuren der Ständelehre in Bonhoeffers und Iwands ethischem Nachdenken finden lassen und wie sich beide Theologen kritisch-konstruktiv mit diesem, doch meist als sperrig und problematisch empfundenen Traditionsgut auseinandersetzen, soll im folgenden Aufsatz dargestellt werden. Es ist die Hoffnung, dass dabei auch Erkenntnisse für unsere eigene Auseinandersetzung mit der lutherischen Tradition heute zu Tage treten.

1.

Die kritische Auseinandersetzung mit „Schöpfungsordnung“ in der frühen Theologie Bonhoeffers und Iwands

Besonders in den 1930er Jahren, den frühen Jahren ihrer akademischen Tätigkeit, findet sich deutlich die Auseinandersetzung mit der neulutherischen Theologie und ihrer ethischen Konzeption der Schöpfungsordnungen. Bei Bonhoeffer findet sich diese Auseinandersetzung vermittelt über konkrete Fragestellungen im ökumenischen und gesellschaftlich-sozialen Kontext.1 Bei Iwand lässt sich ein 1 Bonhoeffer hielt am 19. Januar 1932 ein Referat auf einer Arbeitsgemeinschaft von Theologen und Nationalökonomen im Rahmen des Kirchlich-Sozialen Bundes zu der Thesen zur „Erkennbarkeit der Schöpfungsordnung“ erhalten sind. Sein Referat löste wohl lebhafte Diskussion aus. Zum ökumenischen Kontext ist besonders der Hauptbericht über eine Konferenz der Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit am 29. und 30. April 1932 in Berlin und der

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Ansprechen dieser Fragen besonders in der direkten Auseinandersetzung mit Luthers Theologie, auch in ihrer Verhältnisbestimmung zur dialektischen Theologie (Barmen), feststellen.2 Bonhoeffer spricht sich in diesen frühen Äußerungen durchgehend dafür aus die Rede von den „Schöpfungsordnungen“ zu vermeiden und an ihrer statt, von „Erhaltungsordnungen“ zu sprechen. Theologischer Grund für diese terminologische Korrektur ist die Bedingung des Sündenfalls unter der die Menschen und die gesamte Schöpfung existieren. Als gefallene Schöpfung verbirgt sie das Gebot des Schöpfers. Das Gebot Gottes für „heute und hier“ ist nicht aus dem faktisch Gegebenen abzulesen. Die Ordnungen können weder als geschichtliche, noch als natürliche Ordnungen absolute Geltung beanspruchen. Bonhoeffers Kriterium für die Akzeptanz von bestimmten „Ordnungen“ des menschlichen Lebens ist ihre aktuelle, nicht nur ihre prinzipielle, „Offenheit für das Evangelium“. So formuliert er pointiert in einigen Thesen über die Erkennbarkeit der Schöpfungsordnung: Wir erkennen eine Ordnung als eine Erhaltungsordnung Gottes, wenn in ihr noch Evangelium gehört werden kann. Gegen eine Ordnung, in der das Evangelium nicht mehr gehört werden kann, muß unser Protest laut werden und gehöre sie zu den ältesten Ordnungen der menschlichen Geschichte.3

An anderer Stelle kann er sogar davon sprechen, dass eine solche Ordnung „zerbrochen“ werden müsse.4 Bonhoeffer denkt hier wohl an die politische Ordnung der Selbstbehauptung und des Krieges.5 Iwand ist in dieser Zeit noch unkritischer. Er kann in einem Vortrag von 1931 den Menschen noch uneingeschränkt, mit Luther, allein an die „natürlichen Ordnungen“ verweisen.6 Sie werden zwar auch als Erhaltungsordnungen ver-

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Vortrag „Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit“, den Bonhoeffer am 26. Juli 1932 auf der Internationalen Jugend-Friedenskonferenz in Ciernohorské Kúpele hält, zu beachten. Hier sind besonders zu berücksichtigen der Vortrag Leben und Lehre. Etwas über vergessene Schätze aus Luthers Theologie, den Iwand 1931 auf der Frühjahrstagung des Ostpreußischen Pfarrervereins gehalten hat und ein Vortrag von 1936 auf einer Tagung des Rates der lutherischen Kirche Deutschlands unter dem Titel Die 1. Barmer These und die Theologie Martin Luthers (Zwischen den Zeiten 38 (1984), 106–114 u. Evangelische Theologie 46.3 (1986), 214– 231. Bonhoeffer, Erkennbarkeit der Schöpfungsordnung, DBW 11, 238f. Ders., Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 337: „Jede Ordnung – und sei es die älteste und heiligste – kann zerbrochen werden und muß es, wenn sie sich in sich selbst verschließt, verhärtet und die Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zuläßt.“ Vgl. hierzu Schmitz, Nachfolge, 296 u. a. Bonhoeffer konnte wohl zu dieser Zeit noch so radikal formulieren, weil die konkrete Frage des Umsturzes der bestehenden politischen Ordnung noch nicht bestand und die Nazis noch nicht an der Macht waren. „Wohl ist es wahr, daß Luther die Liebe als den Grund alles menschlichen Handelns nennt – die Notdurft des Nächsten – aber auch diese kann nur geübt und getrieben werden, wenn wir uns streng in den natürlichen Ordnungen der Welt halten. Es gibt keinen Unterschied zwischen der

Handeln in Gottes zuvorkommender Gegenwart

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standen, aber nicht auf Christus hin, sondern sie erhalten die Ordnung der Welt. Sie werden durch den Glauben zwar als von Gott eingesetzt erkannt, aber als Gesetz. „Die natürlichen Ordnungen sind keine Naturordnungen, sondern sie sind Gottes Gesetz, ohne das die Welt aus den Fugen gehen müßte“7. Gedanken, die Luther besonders in seiner Auseinandersetzung mit den Bauern und den Schwärmern einseitig zuspitzt.8 Luther befürchtet in der Nichtachtung der natürlichen Ordnungen Chaos und Gewalt, so dass „die jungen den alten auff den hals tretten und der pöpel die Obrigkeit und gehorsam mit füssen tretten“9. Damit werden aber die bestehenden Ordnungen als solche gegen jegliche Kritik immunisiert. Es wird nicht mehr nach ihrem „Mandat“ gefragt, wie Bonhoeffer das später in den Ethikmanuskripten tun wird. Die Ordnungen werden als Seinsbestimmung verstanden, nicht als göttlicher Auftrag.10 Eine durchaus unerwartete Wendung nimmt Iwands Argumentation am Schluss dieses Vortrags, wenn er „anfügt“: Daß die natürlichen Ordnungen, Ehe, Beruf, Staat, von Gott sind, ist kein eindeutiger Satz, denn es steht ihnen nicht auf der Stirn geschrieben. Darum kann der Mensch sich auch vermessen, diese Ordnungen zu brechen – weil er nicht versteht, wer dahinter steht. Erst dann, wenn wir Gottes Wort haben, sind uns diese Ordnungen wieder heilig – es ist, als ob wir damit zurückfänden in die ursprünglichen Ordnungen von Gottes Schöpfung. Der Glaube lehrt uns wieder den Schöpfer in allen Dingen sehen.11

Bemerkenswert ist diese Aussage, weil sie die Erkennbarkeit von Schöpfungsordnung thematisiert. Sie sind eben als solche nicht ohne den Glauben, der aus dem Wort kommt, erkennbar. Trotz dieser Einschränkung in Bezug auf die Erkennbarkeit der Ordnungen als Schöpfungsordnungen, bleibt Iwand prinzipiell kritisch gegenüber einem „Zerbrechen“ der Ordnungen. Er wertet es als Vermessenheit des Menschen aufgrund ungläubigen Unverständnisses. Iwand geht nicht auf die Frage ein, ob Menschen auch gerade aufgrund des Wortes und Gebots Gottes bestimmte natürliche Ordnungen zerbrechen müssten. Und dennoch findet sich auch bei Iwand keine blinde Bejahung der Ordnungen. Er unterscheidet zwischen Person und Amt. Bemerkenswert ist vor allem die Schlussfolgerung, der er daraus zieht:

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allgemeinen sittlichen Lebensordnung und der christlichen Ethik.“, Iwand, Leben und Lehre, 27. Iwand, Leben und Lehre, 28. Iwand wird, wie wir sehen werden, später im Aufsatz „Stand und Sakrament“ (1957) dies, als Vermischung der beiden Reiche bei Luther selbst, kritisieren. Iwand, Leben und Lehre, 29. Denkbar ist natürlich auch, dass man Luthers Äußerungen als konkrete Verkündigung des göttlichen Gebots verstehen kann, diese hätte dann aber keine zeit- und ortlose Gültigkeit, sondern hätte tatsächlich nur in seiner Zeit und seiner Situation Geltung besessen. Iwand, Leben und Lehre, 30f.

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Das Amt zwingt dazu, daß dem Recht Genüge geschieht, aber die Person hat die Freiheit, gütig und huldreich zu sein. Das Christentum hat hier seine eigentliche Aufgabe, nämlich dafür zu sorgen, daß die Menschen, die ein verantwortungsvolles Amt führen, ihrer Person nach mehr sind als ihr Amt.“ – „Man könnte hier geradezu davon reden, daß das Christentum dahin wirkt, daß in den harten Ordnungen des Rechtes und des Staates die Humanität Platz greife, denn freilich ist Humanität nicht Christlichkeit, aber – sein Amt menschlich führen, das eben ist Christenpflicht.12

2.

Bonhoeffers Mandatelehre

Vertiefte Spuren der Ständelehre lassen sich in Bonhoeffers Ethikmanuskripten und in einigen weiteren Texten aus der Zeit von April 1941 bis zur Verhaftung im April 1943 finden.13 Er arbeitet die Ständelehre zu einer Mandatelehre um. Dabei versucht er wohl vor allem die mißverständliche Terminologie der „Stände“ zu vermeiden, da ihm darin zu viel von „menschlicher Bevormundung“ und „Privilegien“ mitklingt. Eine weitere Schwäche der Ständelehre ist laut Bonhoeffer „eine gefährliche Zerreißung des Menschen und der Wirklichkeit“14. Bonhoeffer würdigt dagegen die „Nebeneinanderordnung statt jeder Überordnung, d. h. die Bewahrung der weltlichen Ordnungen vor kirchlicher Fremdherrschaft und umgekehrt“15 als bleibende Bedeutung der Ständelehre. Bonhoeffers Begriffsverschiebung versucht die Differenz zwischen geschichtlich existierenden Ordnungen und göttlichen Mandaten einzuführen. Beides ist zu unterscheiden. „Im Wandel aller geschichtlichen Ordnungen bleiben diese göttlichen Mandate bis ans Ende der Welt bestehen.“16 Bonhoeffers Mandatelehre ist wesentlicher Bestandteil seiner gesamten ethischen Konzeption und ist sicherlich nur angemessen aus ihr heraus zu verstehen.17 Im Folgenden soll vor allem auf die Grundstruktur und einige wesentliche Knotenpunkte und Verbindungslinien aufmerksam gemacht werden.18 12 Iwand, Leben und Lehre, 30. 13 In der Ethik selbst, sieht er die Gefahr der Ständelehre im Zerreißen des Menschen und der Wirklichkeit. Eine weitere direkte und ausdrückliche Verbindung bzw. Abgrenzung zur „lutherischen Lehre von den 3 Ständen: oeconomicus, politicus, hierarchicus“ stellt Bonhoeffer in der Studie „Personal“-und „Sach“ethos her. Die Ständelehre will er durch eine „aus der Bibel geschöpfte – Lehre von den 4 göttlichen Mandaten […] Ehe und Familie, Arbeit, Obrigkeit, Kirche“ ersetzen. (Bonhoeffer, Studie zum Thema „,Personal‘- und ,Sach’ethos“, DBW 16, 560f) 14 Ders., Ethik, DBW 6, 60. 15 Ders., Studie zum Thema „,Personal‘- und ,Sach’ethos“, DBW 16, 560f. 16 Ebd., 561. 17 Direkte Ausführungen zur Mandatelehre finden sich v. a. in den Ethikmanuskripten „Christus, die Wirklichkeit und das Gute“, ders., Ethik, DBW 6, 35–61 und „Das konkrete Gebot und die göttlichen Mandate“, DBW 6, 392–412. Außerdem finden sich Skizzen in

Handeln in Gottes zuvorkommender Gegenwart

2.1

67

Gottes konkretes Gebot und die weltlichen Ordnungen

Die Frage nach der Sozialethik bzw. nach den Schöpfungsordnungen ist für Bonhoeffer nicht in erster Linie eine Frage nach der Ordnung der Welt, sondern eine Frage nach den guten Anordnungen Gottes und so eine Frage nach dem Willen Gottes, nach Gottes Gebot für uns heute und hier.19 So folgt nach Bonhoeffer christliche Ethik nicht den Fragen „wie werde ich gut“ und „wie tue ich etwas Gutes“, sondern sie folgt der „unendlich verschiedene[n] Frage nach dem Willen Gottes“20. Indem christliche Ethik ihren Erkenntnisgegenstand und ihre Handlungsregel im Erkennen und im Tun des Willens Gottes auffindet, ist sie Kritik aller Ethik, die von dem „Wissen um gut und böse“ ausgeht und ein solches begründendes Wissen anstrebt. Im Wissen um gut und böse versucht der Mensch sicut Deus sein zu wollen. Bonhoeffers Ethik und seine Mandatelehre ist also auf die ganze Dramatik von Schöpfung, Fall und Versöhnung bezogen.21 Allerdings ist die Fragerichtung entscheidend. Während die Rede von den Schöpfungsordnungen einen direkten Rückgriff auf die Schöpfung versucht, geht Bonhoeffer den Weg über die in Christus geschehene Versöhnung von Gott und Welt. In dieser versöhnten Wirklichkeit sieht Bonhoeffer die Überwindung eines zweiRäume-Denkens, dass Gott und Welt, bzw. Kirche und Welt voneinander scheidet. Ethik die sich auf den Willen Gottes bezieht, gewinnt Anteil an der von Gott gewollten Wirklichkeit. Der Wille Gottes ist bereits von Gott selbst erfüllt, indem er die Welt mit sich versöhnte in Christus. […] Es kann nach der Erscheinung Christi in der Ethik nur noch um eines gehen, nämlich an der Wirklichkeit des erfüllten Willens Gottes teilzubekommen. […] Die Frage nach dem Willen Gottes fragt nicht nach einem Verborgenen, Unerfüllten, sondern nach dem Offenbargewordenen, Erfüllten.22

Für Bonhoeffer bildet das Fragen nach dem Willen Gottes im Hören auf Gottes Wort und Gebot, diejenige Forschungstätigkeit, die christliche Ethik auszeichnet. Ethik ist als bestimmte Forschungstätigkeit gleichsam integraler Bestandteil des christlichen Ethos.23 Indem christliche Ethik nach dem Willen Gottes fragt, bewegt sie sich gerade nicht in den Bahnen einer Gesetzesethik, sondern versucht

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Gutachten, die Bonhoeffer für den Bruderrat verfasste, so z. B. „Staat und Kirche“ (1941), DBW 16, 506–535 und „Gutachten zum primus usus legis“ (1943), DBW 16, 600–619. Für eine ausführliche Darstellung und Diskussion vgl. Bethge (Hg.), Die mündige Welt [1960], Brinkmann, Theologische Institutionenethik [1997], 93–104, und verschiedene Arbeiten des Autors, u. a. Franz, The Conversion of Social Life [2013]. Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 325. Ebd., 31. Zum sicut Deus, zum Sein wie Gott vgl. auch ders., Schöpfung und Fall, DBW 3. Ders., Ethik, DBW 6, 61. Hans G. Ulrich hat dies in Erinnerung gerufen. Vgl. Ulrich, Fides quaerens intellectum [2001].

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immer wieder aus deren vorgegebenen Spuren auszusteigen.24 Bonhoeffer betont, dass der Wille Gottes gerade nicht mit dem Gegebenen identisch ist, sondern im Hören auf Gott immer neu aufgefunden werden muss. „Das Gebot ist nicht ein für allemal da, sondern es wird immer neu gegeben. So allein sind wir frei vom Gesetz, das sich zwischen uns und Gott stellt, und hören allein auf Gott.“25 An dieser ethischen Forschungstätigkeit führt kein Weg vorbei. Bonhoeffer denkt an dieser Stelle mit Röm 12,2. Ethische Erkenntnis als ein Prüfen des Willens Gottes setzt eine immer neue „‚Metamorphose‘, eine[n] völligen inneren Wandel der bisherigen Gestalt, aufgrund einer ‚Erneuerung‘ des Sinnes“26 voraus. Es geht also bei der Ethik immer auch um eine Veränderung und Erneuerung des Menschen, des „ethischen Subjekts“. „Prüfen, was der Wille Gottes ist, kann man also nicht einfach aus sich selbst heraus, aus dem eigenen Wissen um Gut und Böse“27. Mit dem Willen Gottes ist der ethischen Erkenntnis kein ein für alle Mal geltendes Wesensgesetz gegeben. Laut Bonhoeffer ist die Frage nach dem Willen Gottes eine Frage die „lebendig“ gehalten werden muss. „Darum entsteht mit jedem neuen Tag die Frage, wie ich heute und hier und in dieser Situation in diesem neuen Leben mit Gott, mit Jesus Christus bleibe und bewahrt werde.“28 In dieser kritischen Aufgabe des Prüfens ist die Freiheit der Ethik von verschiedensten Gesetzmäßigkeiten begründet. Sie liegt in der „Freiheit für das immer neue Wort Gottes“29.

2.2

Das Hervortreten der Machtfrage in der Frage nach Gottes Wille

Wenn theologische Ethik in eigener Weise nach dem „Willen Gottes“ fragt, ist damit zugleich die Frage der Macht in besonderer Weise im Spiel. Diese wird hierbei nicht nur als ethisches Problem von der Ethik behandelt und bedacht, sondern sie stellt sich für die Ethik selbst, wie für jede Wissenschaft30. 24 Christliche Ethik gründet sich nicht auf Gesetzlichkeiten. „Auch die Bergpredigt darf uns nicht zum gesetzlichen Buchstaben werden. Sie ist in ihren Geboten die Veranschaulichung dessen, was Gottes Gebot sein kann, aber nicht, was es gerade heute und gerade für uns ist. Das kann niemand hören als wir selbst, und das muß uns Gott heute sagen.“ (Bonhoeffer, Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 335). 25 Ebd., 335. 26 Ders., Ethik, DBW 6, 324. 27 Ebd., 325. 28 Ebd. 29 Ebd., 326. 30 Diese Frage stellt einen blinden Fleck der Ethik dar, den Friedrich Nietzsche in seiner Moralkritik problematisiert hat. Auch Michel Foucault hat in seinen Untersuchungen in beson-

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In der lutherischen Tradition theologischer Ethik wurde diese Frage nach dem Willen Gottes zumeist unter der Begrifflichkeit des Glaubensgehorsams verhandelt.31 Für die Ethik Bonhoeffers im Allgemeinen, und für die Mandatelehre im Besonderen erweist sich der Begriff des Gehorsams als zentral. Darin wird die Einheit von Hören und Tun ausgedrückt. Bonhoeffer betont dabei zwei Aspekte. Zum Einen setzt Gehorsam „Hören“ voraus, ein Aspekt der schon semantisch im Wort beinhaltet ist. Auf der anderen Seite ist die „einfältige Tat“, die allein aus Gehorsam gefordert sein kann, für Bonhoeffers ethisches Denken wesentlich, denn „[i]m Tun allein geschieht die Unterwerfung unter Gottes Willen.“32 Es ist wichtig, dass beides nicht voneinander getrennt werden kann, Hören und Tun bilden eine Einheit.33 „Ein Hören, das nicht im selben Augenblick zum Tun würde, wird schon wieder zu jenem Wissen, aus dem das Richten und also die Auflösung jedes Tuns hervorgeht.“34 In dieser komplexen Praxis liegt die „Kritik aller Ethik“, liegt die Kritik an dem Wissen um gut und böse, in dem, nach Bonhoeffer, die Frage nach dem Willen Gottes vergessen ist. Entscheidend dabei ist, dass das Handeln von Menschen in den Mandaten bei Bonhoeffer im Handeln Gottes begründet sind, das jedem menschlichen Handeln vorausgeht und zuvorkommt. Bonhoeffer entwickelt diese Gedanken anhand der Auslegung der Bergpredigt. Diese biblische Spur ist sowohl für die Nachfolge, als auch für die Ethik und darüber hinaus leitend.35 Sie [die heilige Schrift] will also nicht, daß neben die Tat Gottes nun auch die eigene Tat des Menschen gestellt werde – und sei es als Dank, als Opfer, – sondern stellt den Menschen ganz in das Tun Gottes hinein und unterwirft das menschliche Tun gänzlich diesem Tun Gottes36.

Die Rede von den „guten Werken“ ist bei Bonhoeffer zuerst auf Gottes Wirken bezogen. Alle unsere guten Werke aber sind allein Gottes eigene gute Werke, zu denen er uns zuvor bereitet hat. Also gute Werke sind zwar geboten um des Heils willen, und gute Werke sind doch immer nur die Werke, die Gott selbst an uns wirkt. […] Wir selbst

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derer Weise auf die Verknüpfung von Macht und Wahrheit hingeweisen. Vgl. hierzu auch Waldenfels, Der blinde Fleck der Moral [1993]. Wie sich an diese Begrifflichkeiten, v. a. an den Begriff des Gehorsams eigene, ambivalente Diskurse angelagert haben, bedürfte einer eigenen Untersuchung. Die damit gemeinte Sache aufzugeben wäre jedoch eine Engführung. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 329. Bonhoeffer setzt die Einheit von Hören und Tun im einfältigen Tun als Widerspruch zur Trennung von Hören und Tun in der Reflexion bzw. im Wissen. Ebd., 331. Auch im eben zitierten Ethikabschnitt referiert Bonhoeffer auf die Bergpredigt. Ebd., 329.

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können dieser Verheißung Gottes nur glauben auf sein Wort hin, und hingehen und in den guten Werken wandeln, zu denen er uns bereitet hat.37

Darin kommt die Logik von Eph 2,10 zum Ausdruck. Im Gehorsam sind Gott und Mensch aufeinander bezogen. Der Gehorsam bzw. das Hören bildet also die paradigmatische Tätigkeit in der Menschen zugleich Empfangende und Gebende ist. Der Begriff des Gehorsams folgt keinem stummen Gesetz, sondern wendet sich an das beredte Handeln Gottes. „Die Ordnungen sind also nicht eine zweite Instanz neben dem Gott Jesu Christi, sondern sie sind der Ort, an dem der Gott Jesu Christi sich Gehorsam schafft38; nicht um die Ordnungen an sich, sondern um den Glaubensgehorsam in ihnen geht es in Gottes Wort.“39

2.3

Die Wirklichkeit als Sakrament der Ethik

Sucht man nach strukturellen Analogien zur Logik der Stände bzw. der Mandate in der Dogmatik, so legt sich ein Vergleich mit der Struktur der Sakramente nahe. In den Sakramenten nimmt Gottes Evangelium Gestalt an und strukturanalog nimmt in der Wirklichkeit (und man müsste sagen nur in der Wirklichkeit) Gottes Gebot Gestalt an. Bonhoeffer selbst zieht diesen Vergleich schon früh. So sagt Bonhoeffer 1932 im oben bereits erwähnten Vortrag im tschechischen Ciernohorské Kúpele: „Was für die Verkündigung des Evangeliums das Sakrament ist, das ist für die Verkündigung des Gebotes die konkrete Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist das Sakrament des Gebotes.“40 Bonhoeffer geht es dabei nicht darum dem faktisch Gegebenen sakramentale Würde zuzuschreiben, dieses als solches göttlich zu sanktionieren und zu legitimieren. Vielmehr nimmt die Ethik bei Bonhoeffer ihren Ausgangspunkt immer wieder neu in der konkreten Wirklichkeit. Das Konkrete ist zum einen das geschichtlich konkrete „heute und hier“ und zum anderen die durch und in Gottes Geschichte bestimmte Wirklichkeit. Das Konkrete ist Kritik des Abstrakten und Allgemeinen. In der Bedeutung der Kategorie des Konkreten zeigt sich Bonhoeffers Kritik am Deutschen Idealismus.41

37 Ders., Nachfolge, DBW 4, 295. 38 Nicht „verschafft“. Es kommt darin die Schöpfermacht Gottes zum Ausdruck. Keine Macht die etwas mit Gewalt durchsetzt. 39 Ders., Ethik, DBW 6, 360. 40 Ders., Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 334. 41 Inwieweit Bonhoeffer damit eine Kritik auch an Hegel formuliert, erfordert eine eigene Untersuchung. Manche haben Bonhoeffers Theologie und Ethik im Banne der Religionsphilosophie Hegels gesehen. So z. B. Bayer, Christus als Mitte [1992].

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Dennoch bleibt bei Bonhoeffer die Gefahr – und es stellt sich die Frage, ob dies eine grundlegende Schwäche der lutherischen Sozialethik in den Spuren der Ständelehre ist – die faktisch existierende Wirklichkeit gegenüber dem noch nicht Existierenden prinzipiell vorzuziehen, und sie damit auch vor Veränderungen und verantwortlicher Gestaltung abzuschotten und zu immunisieren. Es besteht die Gefahr auf diese Weise die eschatologische Dynamik des christlichen Glaubens zu immunisieren.42 Im „Experimentieren mit der Mandatelehre“ hat Bonhoeffer im brieflichen Gespräch mit Eberhard Betrüge diese Gefahr offensichtlich selbst gesehen und deutet sie als Eigenart des preußischen Protestantismus. An Bethge schreibt er: „Unsere ‚protestantisch‘ (nicht lutherisch!) – preußische Welt, ist so stark durch die 4 Mandate bestimmt, daß der Spielraum der Freiheit, dahinter ganz zurückgetreten ist.“43 Eine Korrektur der Mandatelehre müsste also eine neue Verhältnisbestimmung der Mandate und dieses „Spielraums der Freiheit“ vornehmen und ihn so sichtbar werden lassen. Bonhoeffer entdeckt diesen „Spielraum der Freiheit“ in der Freundschaft mit Eberhard Bethge. Darin muss jedoch keine generelle Abkehr von der Mandatelehre in der „Gefängnistheologie“ gesehen werden. Bonhoeffers Gedanken in den Gefängnisbriefen sind mutige Korrektive seiner eigenen Positionen. Die Frage nach der Freiheit lässt m. E. die Grammatik der Mandate bzw. von Luthers Ständen deutlicher werden. Die Mandate bzw. Stände sind kritisch an der Grundstruktur der Freiheit eines Christenmenschen zu prüfen. Von diesem, nach Luthers gleichnamiger Schrift durchaus differenziert zu betrachtenden, Spielraum der Freiheit als konkrete Wirklichkeit menschlichen, gesellschaftlichen Handelns, sind die faktisch existierenden Ordnungen und deren Gestalt kritisch anzufragen. In Bonhoeffers Situation waren diese Gedanken eine Kritik der Deutung bestimmter gesellschaftlich-bürgerlicher Strukturen, Beziehungsverhältnisse und Diskurse als göttliche Mandate und deren dadurch bewirkte Verfestigung.44

42 Bonhoeffer hat dem zu begegnen versucht im Kapitel Die letzten und die vorletzten Dinge (Ethik, DBW 6, 137–162). 43 Aus einem Brief an E. Bethge vom 23. 1. 1944 (DBW 8, 291). 44 Hierin lässt sich auch Michel Foucault folgend eine Transformation von Machtbeziehungen zu Herrschaftszuständen diagnostizieren.

72

3.

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Iwands kritische Auseinandersetzung mit der theologisch-ethischen Denktradition

Hans Joachim Iwand hat ebenfalls diese „reaktionäre“ und „konservative“ Versuchung des Luthertums, unter der Gestalt eines romantischen Konservativismus45 im 19. Jh., aber auch in der zweiten Hälfte des 20. Jh., in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, ebenfalls kritisch beurteilt. So lassen sich in seiner Beurteilung der theologischen und geistesgeschichtlichen Tradition ähnliche Kritikpunkte finden wie bei Bonhoeffer. Aufschlussreich hierzu ist Iwands „Ausblick“ am Ende des Ethikabschnittes46 in seiner Vorlesung Geschichte der protestantischen Theologie im 19. Jahrhundert: Väter und Söhne von 1948/49. Iwand attestiert den Theologen des 19. Jahrhunderts den Rückzug auf das Feld der Ethik. Sie meinten mit der Ethik einen festen Standpunkt gegen die von ihnen diagnostizierten Verfallserscheinungen ihrer Zeit einnehmen zu können. Angesichts der dogmatischen Aussagen verwundere es, so Iwand, dass man dabei von der (ethischen) Grundüberzeugung ausging, „daß der Mensch nämlich von Natur aus wüßte, was gut und böse ist, und daß dieses Wissen im wesentlichen zusammenfällt mit der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung, mit den hier herausgestellten Werten.“47 Als Garant dieser Lebens- und Sozialordnung gilt der „christliche Gottesglaube“. Iwand sieht darin eine unkritische Identifikation der natürlichen, vernünftigen Moral des Menschen bzw. der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Willen Gottes. Tritt demgegenüber jedoch die Frage nach dem Willen Gottes ins Zentrum theologischer Ethik, so reiche es nicht nach dem Wie seiner Verwirklichung zu fragen, sondern „(w)ir werden wieder fragen müssen, was der Wille Gottes ist“48. Das was des Willens Gottes ist nicht schon mit der menschlichen Natur und Vernunft gegeben. Gottes Wille auf der einen Seite und die menschliche Natur und die Geschichte der menschlichen Gesellschaft auf der anderen Seite, sind deshalb zu unterscheiden. Iwand fragt, ob es wirklich Sinn [hat], den Riß, den Rousseau gesehen hat, den Riß zwischen dem Menschen und der Gesellschaft immer wieder zu überkleistern, immer wieder in diesen oder jenen Bewegungen, Erscheinungen, statischen oder dynamischen, das Kommen oder Dasein der Gottesherrschaft sehen zu wollen? 49

45 Auch Bonhoeffer steht dieser Position und ihrer Überhöhung der „Ordnungen“ kritisch gegenüber, vgl. ders., Ethik, DBW 6, 380. 393. 46 Iwand, Geschichte der protestantischen Theologie im 19. Jahrhundert, NWN 3, 173ff. 47 Ebd., 173. 48 Ebd., 174. 49 Ebd., 174.

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Iwand sieht zwischen dem Kommen der Gottesherrschaft und gesellschaftlichen Phänomenen bzw. der menschlichen Natur einen kategorialen Unterschied. Das Evangelium bedeutet immer Umkehr und Erneuerung. Iwand verwendet in diesem Zusammenhang öfter das Bild vom „neuen Wein in alten Schläuchen“50 aus Mk 2,22. Die restaurativen Theologen des 19. Jahrhunderts konnten das Neue und die Veränderungen ihrer eigenen Zeit immer nur als Verfall und Untergang begreifen. Dass im Evangelium selbst immer etwas Neues, eine die Zustände der Welt verändernde Kraft zum Ausdruck kommt, war nicht denkbar. Eine Schwäche, die, laut Iwand, auf einer unklaren Unterscheidung von Gesetz und Evangelium beruhe. Iwands Kritik versucht zu einem „echten Verständnis“ von Gesetz und Evangelium zu gelangen. Dieses Grundthema der Theologie Iwands findet sich auch in der Ethik. Die Theologen des 19. Jahrhunderts hatten, laut Iwand, die Dogmatik auf die Ethik gegründet. Das, was diese Theologen innerhalb der Dogmatik ablehnten, dass der Mensch Gott gleich sein will, erkannten sie stillschweigend für die Ethik an: den Mensch, der um gut und böse weiß. Das Sündersein des Menschen, genauer, dass er simul iustus et peccator ist, wurde für die Ethik ausgeblendet.

3.1

Iwands Auseinandersetzung mit der lutherischen Tradition im Zusammenhang der „Gesellschaftsethik“

Mehr noch als Bonhoeffer ist Iwand Lutherforscher gewesen. Mithilfe der kritischen Auseinandersetzung Iwands mit der Ständelehre Luthers und deren theologischer Wirkungsgeschichte, soll auch Bonhoeffers Mandatelehre noch einmal kritisch in ihrem Verhältnis zu Luther geprüft werden. Iwand geht am Ende seiner Vorlesung über Luthers Theologie innerhalb des Themenkomplexes „Kirche, Staat und Gesellschaft“ auf Luthers Lehre von den drei Hierarchien ein.51 Damit weist Iwand ihr einen ähnlichen Ort zu, wie Bonhoeffer seiner Mandatelehre. Sie markiert den Übergang und die Schwelle zu materialethischen Fragen.52 Die Fragen lutherischer Sozialethik entstehen aus der Tatsache der Existenz der Kirche in der Welt. 50 Vgl. hierzu z. B. auch ders., Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 49. 193. 51 Iwand hielt diese Vorlesung in der Zeit von 1955–1957. Die Stellung innerhalb der Darstellung der Theologie Luthers ist ähnlich wie die, die Bonhoeffer seiner Mandatelehre in der Ethik zuweist, die vor allem im letzten Ethikmanuskript entfaltet wird. Dieser Platz ist durchaus angemessen, denn die Ständelehre bzw. die Mandatelehre kann als Schwelle zur materialen Ethik gesehen werden. 52 Vgl. hierzu auch Bernd Wannenwetschs Darstellung der Ständelehre, in: Fritzsche u. a. (Hg.), Kirche(n) und Gesellschaft.

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Im Unterschied zur traditionellen lutherischen Theologie versteht Iwand unter weltlicher Ordnung nicht nur den Staat, sondern versucht eine theologische Ethik im Gegenüber von Kirche und Gesellschaft zu entwickeln. So wurde Iwands Ethik auch als Gesellschaftsethik charakterisiert.53 Dieser erweiterte Blick entspricht durchaus der Perspektive von Luthers Ständelehre. Denn Luther versucht darin gerade die Lebensbereiche als vornehmliche Betätigungsfelder des christlichen Ethos herauszustellen, die man unter heutiger Terminologie als gesellschaftliches Leben bezeichnet. Beachtet man das zeitliche Verhältnis der Vorlesung Kirche und Gesellschaft von 1951 und den späteren Luthervorlesungen54 und Lutherstudien von 1955 bis 1957 so zeigt sich, dass Iwand zwar mit den entsprechenden Fragen beschäftigt war, diese aber noch nicht explizit auf die Ständelehre Luthers bezogen hat, bzw. diese an den aktuellen Fragen seiner Gesellschaftsethik geprüft hat.55 Gleichwohl steht die Ständelehre in engem Zusammenhang zum Thema seiner Vorlesung Kirche und Gesellschaft und zu den Aufsätzen und Referaten dieser Zeit.56

3.2

Die Ständelehre in „Luthers Theologie“ (1955–57)

Iwands Ausführungen zur „Lehre von den drei Hierarchien“ fallen durch ihre Knappheit auf.57 Wie schon angedeutet ordnet Iwand die Darstellung der Ständelehre ganz ans Ende von Luthers Theologie. Dieser Ort verdeutlicht keineswegs deren zu vernachlässigende Bedeutung, sondern er markiert den Übergang und die Schwelle zu ethischen Fragen. Iwand versteht die Ständelehre Luthers von dessen Ekklesiologie her. So geht er erst nach einer ausführlichen Darstellung der Kirche und ihres Handelns (Messe, Mahlfeier und Taufe) auf das Verhältnis von 53 So Hoffmann, Iwands Impulse zu einer christlichen Gesellschaftsethik [1997]. 54 Jürgen Seim schreibt, dass die Luthervorlesungen 3 Semester, bis Februar 1957, also WS 55/56, SoSe 56 und WS 56/57 gingen. Begleitend schrieb Iwand zwei Lutherstudien. Zum einen Zur Entstehung von Luthers Kirchenbegriff. Ein kritischer Beitrag zu dem gleichnamigen Aufsatz von Karl Holl und Stand und Sakrament, „eine kritische Würdigung des Umstands, daß Luther seine Ständelehre, also seine politische Ethik parallel zur Sakramentelehre entwickelt.“ (Seim, Hans Joachim Iwand, 497). 55 Im Zusammenhang der politischen Ethik bezieht sich Iwand 1951 vor allem positiv auf Barths Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre (1938) und Christengemeinde und Bürgergemeinde (1946). 56 Vgl. Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1. In diesem Band sind Arbeiten aus den Jahren 1949–1952 enthalten. Außerdem fällt in diese Zeit, die noch nicht veröffentlichte Bonner Ethikvorlesung Iwands von 1952. Soweit ich sehen kann, spielt die Terminologie der „Stände“ jedoch in beiden Vorlesungen keine Rolle, gleichwohl lassen sich die entsprechenden Themen finden. 57 Diese Knappheit könnte auch dem Thema der Vorlesung geschuldet sein. Iwand las nicht „Luthers Ethik“.

Handeln in Gottes zuvorkommender Gegenwart

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Kirche und Staat ein, dass er auf die Verhältnisbestimmung von Kirche und Gesellschaft weitet. Es scheint als bilde die Hierarchienlehre für Iwand auch die Schwelle, auf der theologische Rede über den innerkirchlichen Bereich hinausgeht. „Am Schluss dieses letzten Abschnittes einer Darstellung von ‚Luthers Theologie‘ könnte sich die Fragen erheben, ob Luther auch etwas Allgemeingültiges über die menschliche Gesellschaft gesagt hat.“58 Kirche, Staat und Gesellschaft sind jedoch von vornherein aufeinander bezogen. Sie werden in Luthers Theologie nicht getrennt voneinander gedacht. Alle drei fallen unter die „Lehre von den Institutionen, in denen die Christenheit lebt“59. Diese Institutionen versteht Iwand mit Luther als das „Außen, in dem meine christliche Existenz in Erscheinung tritt“60. Dies ist für Iwand eine zentrale Aussage der Ständelehre, die er auch im Aufsatz Stand und Sakrament61, der in enger Verbindung zur Vorlesung steht, aufgreift und weiter entfaltet. Luther betone, dass Gott sein (äußeres) Wort62 an diese „Außen“ geheftet hat. Die Stände sind aber bei Luther nicht als natürliche Ordnungen zu verstehen, sondern sie haben ihre theologische Pointe darin, dass sie von Gottes Wort gestiftet, geordnet und erhalten sind. Die Ständelehre ist Luthers „Antithese zum mönchisch-asketischen Leben“63. Das Anliegen der Reformation sei es gewesen, bestimmte, in sich sündige Stände aufzuheben. „Gerade darum wurde die Reformation ein Ereignis für das gesellschaftliche Zusammenleben“64. Es geht nicht nur um „die persönliche Haltung, es geht um die Ordnung“65. Luther musste das Kloster verlassen. Das Anliegen der Reformation war aber keineswegs die Säkularisierung, wie sie manchmal gedeutet wird, sondern umgekehrt die Kritik daran, dass man den Gottesdienst allein auf die Kirche und das Kloster beschränkt hat.66 Durch „die

58 Ders., Luthers Theologie, NW 5, 305. 59 Ebd., 226. Es stellt sich die Frage, ob Iwand hier schon Ergebnisse der Institutionendebatte aufgreift? Zur Debatte vgl. die beiden Hefte „Recht und Institution“, hrsg. v. H. Dombois, 1956 und 1969. 60 Iwand, Luthers Theologie, NW 5, 306. 61 Der Gedanke findet sich auch in den Ausführungen der Vorlesung über das Verhältnis von Kirche und Staat: „Das Merkwürdige aber, das wir bei Luther antreffen ist dies: daß seine Lehre von den Sakramenten genauso begründet wird wie seine Lehre vom Staat.“ (ebd., 293). 62 Luther unterscheidet hier äußerliches und innerliches Wort. Iwand vermerkt jedoch kritisch, die Lehre vom Wort Gottes nicht zugleich aufzuspalten in „Gesetz und Evangelium“. Iwand erinnert an die Notwendigkeit einer Lehre vom Wort Gottes, wie sie K. Barth neu entdeckt hat. In der protestantischen Theologie, sei die Lehre vom Wort Gottes auf die Lehre von der Schrift verengt worden. Iwand versucht bei Luther eine Lehre des Wort Gottes jenseits von Gesetz und Evangelium zu finden. Das ungeteilte Wort Gottes ist die Antithese, das „Widerspiel“ zu den „Mächten“ bei Luther. Vgl. ebd., 203ff. 63 Ebd., 306. 64 Ebd., 230. 65 Ebd., 231. 66 „Wie hätte der Teufel uns mögen besser führen von dem rechten Wege, denn da er Gottes-

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falsche Kirche kommt es zu einer völligen Verdeckung der guten Werke – und die Freilegung des guten Werkes, wie es wahrhaft von Gott geboten und gemeint ist, das ist die Reform der Gesellschaft.“67 Iwand argumentiert, dass alle Schriften Luthers zum öffentlichen Leben auf frühe Studien zum Dekalog zurückgehen. Der Reformation geht es dabei nicht um die Gesinnung68, sondern sie zielt auf das Werk, auf das Tun. Iwand sieht das Zentrum des reformatorischen Anliegens in Luthers „Bemühen […] um die neue Auslegung des Dekalogs“69. Es geht Luther darum, dass „der Mensch aus sich heraustritt zum Tun, zur Tat, damit die Tat nicht reflektiv bleibt, nicht auf mich bezogen, die mich jetzt gut macht oder als gut kennzeichnet“.70 In diesem reflektiven Sinne, in Bezug auf mich selbst, geht es Luther um die moralische Unkenntnis und die Enthaltung des moralischen Urteils. In Bezug auf die Kenntnis und das Urteil über gut und böse sind die Werke verborgen, selbst dem der sie tut. Iwand hebt hervor, „daß Luther keinen Weg sieht, das innere Leben der Christen nach außen hin darzustellen. Das Leben der Christen ist verborgen“71. Und trotzdem ist mit den Ständen bei Luther das „Ja zur Welt“72 gegeben. Mit dem Begriff „Stand“ meine Luther, „Gegebenheiten“ und „Ordnungen“, „in denen der Christ dessen gewiß sein kann, daß er Gott wohlgefällt.“73 Allerdings sind bei Luther die weltlichen Ordnungen nur in Verbindung mit dem Dekalog recht zu verstehen. Der Dekalog steht bei Luther für die volle Diesseitigkeit des Lebens in der Welt. Iwand deutet diese Bezugnahme so, dass die Welt „offenbar die Stätte [ist], in der es allein möglich ist, Gottes Gebot zu erfüllen.“74 Und zugleich sind die Zehn Gebote und die Gebote der Bergpredigt für Luther keine Gesetze, die „ins Rechtsbuch oder ins weltliche Regiment“75 gehören. Als Gebote Gottes, „sind sie allein von geistlichem Leben und Wesen geredet“76. Außerdem hebt Luther ihren Verheißungscharakter hervor. „Der Mensch soll […] wissen, daß das Gesetz ihm gerade in seinen Negationen verheißt, was er sein kann oder was er sein werde durch Gottes Gnade. […] So steht hinter dem Gesetz

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dienst so enge spannte allein in die Kirchen und die Werke, die darin geschehen.“ (WA 10/I/1, 311 Evangelium am S. Johannes-Tage Joh 21,19–24), zit. n. Iwand, ebd., 231. Ebd., 231. Diese Verschiebung zur „Verinnerlichung“ wird, nach Iwand, durch den Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert vollzogen. Ebd., 232. Ebd. Ebd., 306. Ebd. Ebd. Ebd., 307. WA 32, 374 (Wochenpredigten über Mt 5–7. 1530/32), zit. n. Iwand, Luthers Theologie, NW 5, 307. Ebd.

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immer ein Ja, und hinter diesem Ja steht ein Mensch, freilich ein Mensch, der nicht wir sind, der wir nur in der Nachfolge Christi werden.“77 Im Zusammenhang der Werke kommt Iwand auf die enge Verbindung der Lehre von den Guten Werken und der Lehre von der Taufe bei Luther zu sprechen. In beidem geht es immer wieder um die Verwandlung des alten Menschen in den neuen Menschen.78 „Die Taufe gilt, wie die Gebote Gottes gelten. Luther setzt Gebote und Taufe ganz in eins, um zu zeigen, daß die Taufe gilt. Die Taufe ist der Gnadenbund Gottes mit uns […] Die Taufe ist also das Fundament der christlichen Existenz, damit der Christ seinen Weg in die Welt, auch in die Stände gehen kann. Von da aus ergibt sich eine ganz neue Gestaltung der Gesellschaft.“79

3.3

Die Ständelehre im Aufsatz Stand und Sakrament (1957)

Iwand hebt die enge Verbindung zwischen Ständelehre und Sakramentelehre bei Luther hervor. Er geht in seinem Aufsatz Stand und Sakrament (1957) angesichts dieser Verbindung kritisch auf die Ständelehre Luthers ein80 und hinterfragt die starke Parallelisierung von Sakramente und Stand.81 Er stellt die grundlegende Frage, ob Luther und die lutherische Theologie, der verändernden Kraft des Evangeliums zu wenig Berücksichtigung schenken. An dieser Stelle setze besonders der „alte“ Luther Stand und Sakrament, in der sich zuspitzenden Auseinandersetzung mit den Schwärmern zu sehr in eins und unterscheide die verschiedenen Stände nicht klar genug. Damit konterkariert er seine eigene Unterscheidung von weltlichem und geistlichem Regiment. Laut Iwand, entwickelt Luther in der Auseinandersetzung mit den Schwärmern sein Sakraments-, besonders sein Taufverständnis.82 Luther kritisiert, dass die Schwärmer das trennen, was zwar unterschieden werden muss, aber doch zusammengehört. In ihrem spiritualistischen Verständnis verliert das Element des Sakraments als „äußerlich Ding“ seine Bedeutung und es kommt allein auf 77 Ebd., 233. 78 Bei Luther ist diese Verwandlung freilich radikal gedacht als „ersäufen“ des alten Adam und das „täglich herauskommen und auferstehen“ eines neuen Menschen. (WA 30/1, 257, Kleiner Katechismus 1529), zit. n. Iwand, Luthers Theologie, NW 5, 234. 79 Ebd., 234. 80 Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 240–264. Der Aufsatz fällt ungefähr in die gleiche Zeit der Vorlesung „Luthers Theologie“. Iwand beschäftigte sich also wahrscheinlich auch erst im Zusammenhang seiner Vorlesung mit der Ständelehre. Vorher lassen sich keine expliziten und ausführlichen Referenzen in seinen Ethikvorlesungen finden. 81 In diesem Zusammenhang ist für Luther besonders das Sakrament der Taufe und der Stand der Obrigkeit zu nennen. 82 Der Aufsatz behandelt ein Forschungsdesiderat, das Iwand selbst in „Luthers Theologie“ formuliert: „wir brauchen daher ein ganz neues Durchdenken des Kampfes gegen die Schwärmer.“ (Luthers Theologie, NW 5, 293).

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das Wirken des Geistes an. Die Materialität und Diesseitigkeit, die für die Konkretheit und Unterscheidbarkeit der Sakramente einsteht, verliert so an Bedeutung. „Luther behauptet, daß Karlstadt alles verinnerlicht, was Gott äußerlich verstanden wissen will, und daß er veräußerlicht, was innerlich ist.“83 3.3.1 Luthers Sakramentelehre als Kampf gegen den Verlust der Außenwelt Iwand versucht zu zeigen, dass sich Luther längst vom mittelalterlichen Verständnis der Sakramente als signum und res verabschiedet hatte, in dem ein Zeichen auf eine dahinterliegende, auf die eigentliche Sache verwies. Vielmehr ist das Sakrament als ganzes, „Handlung Gottes selbst“84. So kann Luther sagen: Darum hüte dich, die Taufe so zu unterscheiden, daß du das Äußere dem Menschen, das Innere Gott zuschreibst: schreibe beides Gott allein zu, und fasse die Person dessen, der spendet, nur als ein stellvertretendes Werkzeug Gottes auf 85, durch das der Herr, der im Himmel sitzt, dich mit seinen eigenen Händen ins Wasser taucht und dir auf Erden die Vergebung der Sünden verheißt, indem er mit menschlicher Stimme durch den Mund seines Dieners zu dir spricht.86

Es ist diese Verbindung von „äußerlichem Ding“ und „Gottes Wort“, die Luthers Sakramentsverständnis auf den Punkt bringt und in der Luther auch für die Stände das entscheidende Merkmal sieht. Auch im Stand und Beruf bedient sich Gott der Person, gleich eines geschöpflichen Dinges. In Beidem wird die Person (im Glaubensgehorsam) zum Instrument und Werkzeug Gottes. Für Luther ist weder das eine noch das andere vorrangig, sondern die „Einheit von Wort und Element ist das Ursprüngliche, es wird nicht erst ein sinnliches ‚Zeichen‘ gegeben, das durch das Hinzufügen des Wortes in einem geistlichen Sinne gedeutet“87 wird. Auch hier ist Gottes Wort nicht nur „Deutewort“.88 Dieses Wort „deutet nicht das Sein, indem es seinen Sinn enthüllt, sondern es schafft, was es sagt. Glaube heißt nicht Gnosis, sondern Leben. Das Wort befruchtet, belebt, verwandelt das Seiende, indem es das, was nicht ist, das ‚Neue‘, ins Dasein ruft.“89 83 Ebd., 293. 84 Ders., Stand und Sakrament, GA II, 244. 85 Zur Kategorie der Stellvertretung, die m. E. für die Stände bzw. Mandate auch problematische Züge annehmen kann, vgl. bei Bonhoeffer, Die Struktur des verantwortlichen Lebens, in: ders., Ethik, DBW 6, 256–299. Bonhoeffer gründet Verantwortung auf stellvertretendem Handeln. 86 WA 6, 530, 27–31, dt. Übersetzung zit. n. Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 247, Anm. 27. 87 Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 244f. 88 So z. B. in seinen Predigtmeditationen, PM, 390. Cornelis den Hertog hat im Rahmen seines Vortrags „Hans Joachim Iwand als Bibeltheologe: Das erste Testament.“ auf dem 2015 in Beienrode abgehaltenen Iwand-Symposion auf diese Stelle hingewiesen. 89 PM, 390. Im Sinne von Röm 12,2 ist damit auch ein neuer Sinn, d. h. neue Wahrnehmung und Erkenntnis gemeint.

Handeln in Gottes zuvorkommender Gegenwart

79

Obwohl Luther in manchen Äußerungen zu den Sakramenten auch auf die augustinische Formel: Accedit verbum ad elementum, et fit sacramentum90 zurückgreifen kann, versteht er darunter keinen immer wieder zu vollziehenden Vorgang. Dieses Geschehen ist in der Taufe Jesu Christi bereits vollzogen. In der Taufe Jesu Christi besteht die Einsetzung des Sakraments. Das bedeutet, dass nicht zuerst die priesterlichen Handlungen, auch nicht der Vollzug der Gemeinde die Sakramente einsetzen.91 Luther verabschiedet sich damit von der scholastischen Sakramentelehre und von dem ihr zugrunde liegenden, platonischen Schema von „sichtbarer und unsichtbarer, sensibler und intelligibler Welt“92. Im Sakrament zeigt sich die Wirklichkeit in ihrer Einheit und Ganzheit.93 Die „irdische Gegebenheit der Schöpfung […] verliert ihr metaphysisches Dahinter. Sie wird ein echtes ‚Außen‘, ja sie wird eben durch Gottes Wort dieses unauflösliche und unzerstörbare ‚äußerliche Ding‘“94. Die Sakramente sind selbst das Mittel (medium) „durch welches das äußerlich-objektive Handeln Gottes mit uns ermöglicht wird. Freilich, Gott handelt hier anders als dort, wo er unmittelbar mit seinem Wort an uns handelt.“95 Iwand deutet Luthers Sakramentelehre als „Kampf gegen den ‚Verlust der Außenwelt‘“96. Die Hervorhebung der konkreten, wahrnehmbaren Äußerlichkeit der Sakramente richtet sich gegen die Abstrahierung, Idealisierung oder Spiritualisierung des Glaubens. Die Sakramente stehen für das notwendige Außen des christlichen Glaubens, in zweifacher Hinsicht. Zum einen in ihrer Materialität und zum anderen durch das mit ihnen verkündigte verbum externum, das äußere Wort. Durch sie wird der Unterschied zu reiner Innerlichkeit und Subjektivität festgehalten.97 In der Parallelisierung der Stände mit den Sakramenten lässt sich

90 Augustinus, In Iohannis evangelium tract. 80,3 (PL 35, 1840 = CChr 36,529f), zit. n. Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 245, Anm. 20. 91 Iwands Hinweis kann man sowohl als Kritik an einem bestimmten katholischen, als auch an einem bestimmten protestantischen Sakramentsverständnis lesen. 92 Ebd., 245f. 93 Ein Aspekt, der von Bonhoeffer in der Ethik in Bezug auf die Wirklichkeit besonders betont wird. 94 Ebd., 246. 95 Ebd. 96 Ebd., 248. 97 In diesem Zusammenhang hat Ernst Troeltsch eine fundamentale Anfrage an das Luthertum gestellt und ein kritisches Augenmerk an die entscheidende und fatale Schwachstelle eines Luthertums gelegt, das auf reine Innerlichkeit angelegt ist. Er attestiert, dass solch ein Luthertum (für Troeltsch das existierende Luthertum), nicht ohne einen christlichen Staat oder eine christliche Gesellschaft auskommen kann. Beides gehöre „beim Luthertum nicht bloß zum religiös-ethischen Ideal, es gehört zur Möglichkeit seiner Existenz, die ohne Halt ist, wenn nicht ein christlicher Staat oder eine christliche Gesellschaft dieser zarten organlosen Pflanze das Spalier darbietet, an dem sie emporwachsen und die Früchte ihrer reinen Innerlichkeit reifen lassen kann.“ Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und

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Entsprechendes aussagen. In den Ständen findet die Ethik ihr notwendiges Außen und Gegenüber.

3.3.2 Sakramentale Wirklichkeit als Darstellung der Präsenz Gottes Für Luther stellte sich in der Auseinandersetzung mit den Schwärmern heraus, dass das augustinische Sakramentsverständnis nicht ausreichend war. Iwand urteilt, dass auch Augustinus das äußere Geschehen abwertet, wenn er den Glauben des Menschen als das Entscheidende darstellt – non quia dicitur, sed quia creditur98. Luther will dagegen die Wirksamkeit des Sakraments letztlich nicht vom Glauben des Menschen abhängig machen. In der Auseinandersetzung mit den Schwärmern verdopple Luther das Wort in Einsetzungswort und göttlichem Befehl, „beide zusammen ergeben ihm jetzt die rechte Position zur Begründung der Taufe.“99 Der göttliche Befehl steht für die Gegenwart Gottes. „Gott muß es selbst sprechen, es muß sein Befehl dabei sein.“100 So gehe es Luther in der Parallelisierung von Sakrament und Stand letztlich um die konkrete und äußerliche Gestalt des Gebotes Gottes. Iwand schlussfolgert: „Luther hat bei der Parallelisierung von Sakrament und Stand nicht an das sakramentale Wort gedacht, das der Priester spricht, er hat nicht aus Obrigkeit und Hausstand ein Art profanes Sakrament im Sinne der bürgerlichen Welt machen wollen – obschon es dahin kam –, sondern er wollte den Gebotscharakter des Wortes Gottes, oder genauer noch: dessen praesentische Form herausheben.“101 Über dem Sakrament, ebenso, wie über den Ständen steht Gottes Gebot. Aber „(w)eder als Gesetz noch als positivistische Setzung, sondern als Verheißung, als die Verheißung seiner Gegenwart und seines Wohlgefallens über den Handlungen der Menschen in Kirche, Staat und Haus, will die seltsame und mißverständliche These Luthers verstanden werden.“102 Iwands Darstellung der Sakramentelehre Luthers ist im Großen und Ganzen zustimmend. Jedoch, und das gehört sicherlich zu den Stärken der Iwandschen Lutherexegese, widerspricht er Luther an entscheidender Stelle: „Unser ,Aber‘ setzt an dem Punkte ein, wo Luther seine Lehre vom Stand mit der vom Sakrament so bedenkenlos verkoppelt, daß die Ständelehre eine sakramentale Würde

98 99 100 101 102

Gruppen. Ges. Schriften I [1912], 513, zit. n. Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 251, Anm. 36. Augustinus, In Iohannis evanglium tract. 80,3 (PL 35, 1840 = CChr 36, 529f), zit. n. Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 245, Anm. 20. Ebd., 254f. Ebd., 255. Ebd. – Dies entspricht der Intention Bonhoeffers in der Einführung des Begriffs Mandat. Ebd., 255f. An dieser Stelle sind Bonhoeffers Mandate unterbestimmt. Zumindest fehlt das Stichwort „Verheißung“ gänzlich im Stichwortregister der Ethik.

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81

bekommt und umgekehrt die In-Frage-Stellung der Taufe als Sakrament zum Politikum wird. […] Der bürgerliche ,Stand‘ und die ,Taufe‘ dürfen nicht so ineinandergefügt werden, daß die Ständelehre ‚sakramental‘ gesichert erscheint und umgekehrt der Angriff auf die Taufe als ein Akt politischer Revolution gilt, den die Kirche – im Dienst der öffentlichen Ordnung – abzuwehren hätte.“103 Auf diese Weise legitimiert die Kirche die Maßnahmen des Staates theologisch und verliert damit ihre kritische Differenz – die Stände verlieren ihre kritische Differenz zueinander. Iwand sieht darin die Identifizierung von göttlichem Gebot und vernunftgemäßen Naturrecht104 und die Aufgabe der Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment. In der Folge der Entwicklung der Auseinandersetzung mit den Schwärmern setzte sich bei Luther „der positivistische Zug der ständischen Ordnung stärker [durch]“105. Deshalb ist wohl „(g)erade die Frühform von Luthers Lehre vom Stand […] die beste Kritik ihrer späteren konservativen Verhärtung.“106

4.

Fazit: Gesellschaftsethik im Lichte des Zuvorkommenden Handelns Gottes

In den politischen Herausforderungen des 20. Jahrhundert, hat sich nicht nur der Missbrauch der Ordnungen durch einzelnen Menschen als fatal erwiesen, sondern die Pervertierung der Ordnungen an sich. Ordnungstheologisches Denken hat hier nur ungenügend kritisches Potenzial entfaltet. Es ist unzweifelhaft das besondere Verdienst Bonhoeffers und Iwands gewesen, ihre eigene Tradition auch kritisch gelesen zu haben. Offensichtlich haben sie dies immer wieder aus den Ressourcen der eigenen Tradition heraus versucht. So sind die Äußerungen beider zu gesellschaftsethischen Fragen, immer auch ein Ringen mit der Ständelehre Luthers im Kontext von Luthers Theologie. Dass bei beiden Theologen in diesen Fragen Ethik und Theologie aufs Engste miteinander verbunden bleiben ist deutlich geworden. Folgende Aspekte und bleibende Fragestellungen sollen das noch einmal zusammenfassend verdeutlichen.

103 Ebd., 250f. 104 Iwand entfaltet diese Verschmelzung von göttlichem Gebot und Vernunftrecht in Bezug auf die staatliche Obrigkeit anhand von Melanchthons Ethik. Vgl. Iwand, Das Widerstandsrecht der Christen nach der Lehre der Reformatoren, NW 2, 199–217. 105 Iwand, Stand und Sakrament, 256. 106 Ebd., 257.

82 4.1

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Eine neue Verhältnisbestimmung von Gesellschaft, Staat und Kirche in der Ständelehre

Die Pervertierung staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung verdeutlichte Bonhoeffer und Iwand, dass theologische Ethik sich nicht direkt auf die gesellschaftliche Realität als alleinigen Maßstab kirchlich-ethischen Handelns beziehen kann. Vielmehr drückt sich in der Gegenüberstellung von Kirche und Gesellschaft, wie in Bonhoeffers Verhältnisbestimmung von Kirche und Welt, eine „polemische Einheit“ aus.107 Bonhoeffer betont in diesem Zusammenhang die Gefahr der Verselbstständigung sowohl des Weltlichen als auch des Christlichen. Auch Luther habe – in dieser Weise ist Luthers sog. Zwei-Reiche-Lehre zu verstehen – das Weltliche polemisch gegen die Sakralisierung der Kirche, als auch das Christliche polemisch gegen die Säkularisierung des Weltlichen gebraucht. In beide Richtungen widerspricht diese „polemische“ Aufmerksamkeit der Vereinnahmung und Überformung108, d. h. einer Verweltlichung der Kirche und einer Verchristlichung der Welt. Diese Verhältnisbestimmung zielt auf eine „bessere Christlichkeit“ und eine „bessere Weltlichkeit“109, die darin besteht, dass die Welt nun wirklich Welt sein und die Kirche wirkliche Kirche sein kann. Es kommt auf das jeweilige „Außen“ und „Andere“ an. Gerade aus diesem Grund stellte Iwand die Frage ob „die Gesellschaft denkbar [ist] ohne jene andere societas in ihrer Mitte?“110 Auch Luther hatte die Ursache der Pervertierung der Gesellschaft in der Pervertierung der Kirche gesehen. Iwands gesellschaftsethisches Denken, bricht an dieser entscheidenden Stelle aus den Denkmustern der theologischen Tradition seiner Zeit aus. Iwand sieht in der Gesellschaft und nicht im Staat das Gegenüber der Kirche. Die Vernachlässigung des Themas der Verhältnisbestimmung von Staat und Gesellschaft, bzw. Kirche und Gesellschaft sei geschichtlich durch die starke und ausschließliche Verbindung zwischen Kirche und Staat zu erklären. Es handele sich um ein „Bündnis, das die Kirche nach 1848 mit den aufsteigenden antirevolutionären konservativen Kräften und Ideen einging.“111 Iwand sieht also die geschwächte theologische Urteilskraft und Ideologieanfälligkeit der Kirche in konkreten gesellschaftlichen Konstellation und Entwicklungen, die sich an der Frage nach Sein und Auftrag der Kirche in der Welt entscheiden. Iwand problematisiert vor allem das Sicherungsstreben der Kirche, dass sich in gleicher Weise in der Konsolidierungsphase 107 Bonhoeffer meint damit kein hegelsches Einheitsdenken aufgrund einer sich verwirklichenden Synthese von Kirche und Gesellschaft. Das polemische Gegenüber beider wird erst eschatologisch aufgehoben. 108 In diesem Sinne ist „Reformation“ gerade nicht zu verstehen. 109 Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 45. 110 Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 15. 111 Ebd.

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83

nach der gesamtgesellschaftlichen Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wiederholt.112 Aber auch in der Verhältnisbestimmung von Gott und Welt, von Gottes Wort und den natürlichen Ordnungen, der lex naturalis sehen beide Theologen entscheidende Fragen aufbrechen.

4.2

Vom Verborgenbleiben und Offenbarwerden des Handelns Gottes

Obwohl die Stände mit bestimmten Ordnungen des weltlichen Lebens verbunden sind, sind sie nicht von selbst als göttliche Stände einsichtig. Die Stände können nur aus dem Hören auf Gottes Wort erkannt werden. Mit der Ständelehre ist der theologischen Ethik eine Erkenntnisaufgabe gestellt. Es geht um das rechte Erkennen dessen, was die Stände an Gnade bedeuten. Der Glaube sieht anders. Iwand verweist auf Luthers Schrift Von ehelichen Leben von 1522. Der Glaube thutt seyn augen auff und sihet alle diße geringe, unlustige, verachtete werck ym geyst an und wirtt gewar, das sie alle mit gottlichem wolgefallen als mit dem kostlichen gollt und edell steyne getziret sind, und spricht: Ach gott, weyl ich gewiß bynn, das du mich eyn man geschaffen und von meym leyb das Kind getzeuget hast, so weyß ich auch gewiß, das dirs auffs aller beste gefellet, und bekenne dyr, das ich nicht wirdig byn, das ich das kindlin wiegen solle, noch seyne windell wasschen, noch seyn odder seyner mutter wartten113.

Erst im Hören auf das Wort und in einem entsprechenden Erproben dieses Wortes in den Ständen, werden sie entdeckt. „Das kann nur heißen, daß der Stand in seinem eigentlichen Wesen erst durch ein bestimmtes Erkennen und ein ihm gemäßes Leben entdeckt und in seiner göttlichen Bestimmung herausgestellt sein will.“114 Anstelle einer normativen oder begründenden Funktion, tritt mit den Ständen diese Erkenntnisaufgabe ins Zentrum der theologischen Ethik.115 Iwand sieht die Stände bei Luther von der Logik des Kreuzes her entwickelt. Das heißt ihre Wirklichkeit, als Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Welt, ist eine verborgene und nicht unmittelbar einsichtig. Sie bilden ein „Stück theologia crucis, wonach dem weltlichen Auge und dem selbstsüchtigen Sinn das verdeckt ist, was Gott an Gabe und Kraft in die Niedrigkeit gelegt hat“116. Erst unter Gottes 112 In diesem Zusammenhang lässt sich fragen, ob es nicht ein ähnliches Sicherungsstreben der Kirche der ehemaligen DDR in der Konsolidierungsphase nach der Wende 1989 gab und gibt. 113 WA 10/II, 295, 27–296, 6, zit. n. Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 260f. 114 Ebd., 261. 115 Vgl. auch ders., Die Krisis des Wissenschaftsbegriffs und die Theologie, GA I, 62–74. 116 Ders., Stand und Sakrament, GA II, 262.

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Wort und Gebot, werden sie zum Zeugnis für Gottes barmherziges Handeln am Menschen. Versteht man die Stände allein vom lex naturalis her, wird ihre ganze Wirklichkeit nicht sichtbar.117 Bonhoeffers Ethik als ganze ist von der Logik der Auferstehung her geprägt. Ausgangspunkt seiner Ethik ist die geschehene Versöhnung von Gott und Welt in Jesus Christus. Wenn Bonhoeffer die Mandate in der Christusoffenbarung begründet, so muß die Mandatelehre auch unter dem Vorzeichen des Kreuzes gelesen werden. Das heißt, in dem Sinne, dass Gottes Gebot als göttliches Mandat nur aufgrund des Hörens und Tuns des Wortes Gottes aus der Verborgenheit der natürlichen Ordnungen offenbar wird. Iwand betont gerade diese kritische Funktion des Wortes Gottes in den Ständen immer wieder. Hier liegt die Bedeutung, der auf das öffentliche Leben bezogenen Predigt. In ihr wird der Stand aufgerufen gegen den Standesvertreter, das Richteramt gegen die Richter, das Predigtamt gegen die Prediger und das Staatsamt gegen seine Träger. Der christliche Konservativismus des 19. Jahrhunderts hat diese kritische Kraft der Erhaltung der Ordnungen mitten durch die schonungslose Kritik ihrer Anwendung hindurch nicht mehr gehabt und ist darum reaktionär d. h. als geschichtsgestaltende Größe ohnmächtig geworden. Aber Luther hat nicht nur die Personen kritisiert, sondern die staatliche Autorität als solche und hat die Untertanen aufgerufen, sich der Willkür nicht zu fügen, wenn diese unter dem Schein der gottgesetzten Autorität den Gehorsam des Glaubens zu brechen sich anschickte.118

Beiden Theologen gemeinsam ist, dass die Stände und Mandate letztlich auf eine Praxis des Glaubensgehorsams zielen, d. h. einer Praxis des Hörens auf das eine Wort Gottes. Christliche Ethik wird vor allem von diesem Hören bestimmt sein.

117 Elert hat bei Melanchthon, im Unterschied zu Luther, eine rein naturrechtliche Begründung der Stände kritisiert. Vgl. Elert, Morphologie des Luthertums, 30. 118 Iwand, Stand und Sakrament, GA II, 263.

Gerard den Hertog

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand zur rechten Predigt des Gesetzes

Es war kein Zufall, dass Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand in ihren Predigerseminaren der Bekennenden Kirche die Frage von Gesetz und Evangelium thematisierten. Die Bekennende Kirche war ja entstanden als Antwort auf die Bewegung der Deutschen Christen, die Gesetz und Evangelium vermischten und nach der Machtergreifung Hitlers die Evangelische Kirche Deutschlands in ein unverbrüchliches Bündnis mit der nationalsozialistischen Bewegung zu bringen beabsichtigten. Als die Konsequenzen dieses Bündnisses sich in der Beseitigung bzw. Zwangsemeritierung von Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern „nicht-arischer Herkunft“ zeigten, wurde im Herbst 1933 der Pfarrernotbund gegründet und setzte sich ein Prozess in Bewegung, der auf eine „Freie Synode“ in Barmen, 29.–31. Mai 1934, hinauslief. Diese Synode meldete sich mit einer ,Theologischen Erklärung‘ an die Öffentlichkeit, womit die „Bekennende Kirche“ in Erscheinung trat. Es ging in der Erklärung von Barmen darum, Evangelium und (völkisches) Gesetz nicht zu vermischen, sondern gutevangelisch auseinanderzuhalten, was aber nicht unbedingt implizierte, dass jeder Teilnehmer dem Nationalsozialismus als politische Bewegung distanziert oder gar ablehnend gegenüberstand. Was unterschied die konfessionellen Lutheraner dann prinzipiell von den Deutschen Christen? Ging es nur um die Bewahrung der reinen theologischen Lehre, ohne dass diese Lehre in irgendeiner Weise gesellschaftlich relevant war, geschweige denn dem nationalsozialistischen Staat gegenüber an sich kritisch war? In den zwanziger Jahren hatte Karl Barth den Ausdruck „Zweireichelehre“1 geprägt, um die säuberliche Trennung der Bereichen von Kirche und Welt im Luthertum zu kennzeichnen.2 Mit diesem Instrument ging man auch an die Herausforderungen heran, vor denen das Dritte Reich die Theologie stellte: In 1 Vgl. Huber, „Eigengesetzlichkeit“ oder „Lehre von den zwei Reichen“?, 42 (vgl. 53–70). 2 U. Duchrow hat die These gewagt, dass man im deutschen Protestantismus „die dichotomischen Formeln benutzte, um in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts Nationalismus und Nationalsozialismus zu unterstützen.“ (Die sogenannte „Zweireichelehre“ – Hilfe oder Hindernis?, 29)

86

Gerard den Hertog

der Welt herrsche das Gesetz, sachlich-inhaltlich identisch mit dem im Dritten Reich geltenden ,völkischen‘ Gesetz, mit seinen Verordnungen, unerbittlich und mit einer in der Weimarer Republik schmerzlich vermissten Autorität,3 in der Kirche hingegen dürfe das Evangelium verkündigt werden, aber stricte bezogen und sogar säuberlich eingeschränkt auf die Sphäre der Innerlichkeit.4 In der Barmer Theologischen Erklärung war das Verhältnis von Gesetz und Evangelium folgendermaßen auf die Formel gebracht: Zuspruch und Anspruch. Der Zuspruch ist das Evangelium, die Rede vom Anspruch zeigt, dass auch das Leben in der Gesellschaft Christus gehört. Obwohl damit im Verhältnis von Gesetz und Evangelium eine klare Richtung gewiesen wurde, waren nicht alle Fragen entschieden. Karl Barth sollte 1935 die Diskussion noch einmal ankurbeln und zuspitzen in Richtung einer Vorordnung des Evangelium vor dem Gesetz, der die meisten Lutheraner bei weitem nicht beipflichten konnten.5 Aber auch abgesehen davon standen die Theologen der Bekennenden Kirche vor der Aufgabe, ihre eigene theologische Position im Lichte von Barmen und der kirchlichen und gesellschaftlichen Zeitumstände noch einmal zu überprüfen und die von Barmen gewiesene Richtung immer neu im Kirchenkampf zu bedenken und einzubringen. Das Thema der rechten Sicht des Gesetzes stand daher an. Darum konnten und wollten sowohl Dietrich Bonhoeffer als auch Hans Joachim Iwand nicht umhin, diese Frage mit ihren Seminaristen zu besprechen. Im Lichte der damals gerade erst neu aufgebrochenen und also ganz und gar nicht auskristallisierten Diskussion innerhalb der Bekennenden Kirche konnte es nicht anders sein, als dass diese beiden je in ihrer eigenen Weise die Frage der rechten Predigt des Gesetzes angingen. Dass auch sie dabei dasjenige, was sie als junge, in Entwicklung befindliche und quasi suchende Theologen in den vorangegangenen Jahren an Einsichten und Erkenntnisse erworben hatten, auf die Waage legen, neu durchdenken und gegebenenfalls auch revidieren mussten, versteht sich von selbst. In diesem Beitrag gehe ich wie folgt vor: Zuerst nehme ich in den Blick, wie Bonhoeffer und Iwand sich in den Jahren vor 1933 auf die Fragen des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium besonnen haben, um so vor Augen zu haben, wie sie in den Kirchenkampf hineingegangen sind. Danach versuche ich an Hand einer Analyse ihrer Werke ausfindig zu machen, was ihnen in der Frage der rechten Predigt des Gesetzes wichtig war. In einem kurzen Schlussteil ziehe ich dann eine Bilanz.

3 Vgl. Gogarten, Wider die Ächtung der Autorität. 4 Vgl. ders., Einheit von Evangelium und Volkstum? 5 Barth, Evangelium und Gesetz.

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums

I.

Bonhoeffer und Iwand in den Jahren 1928/1929 bis 1933

1.

Hans Joachim Iwand

87

Wenn wir ansetzen bei dem Älteren von den beiden, Hans Joachim Iwand, sehen wir, dass er sich 1929 zum Thema Gesetz und Evangelium äußert. Er tut das stricte theologisch, das politische spielt augenscheinlich nicht mit. Er betont in einem kleinen Aufsatz, der hervorgegangen ist aus einer Vorlesung Die Gedankenwelt des Jungen Luther im Sommersemester 1928, daß die inhaltliche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium keine sachlich objektive ist. Vielmehr am äußeren Werk kann keinerlei Merkzeichen gefunden werden. Die Unterscheidung trifft die opinio, bzw. die reputatio, d.i. die Einstellung, die der das Werk leistende Mensch dazu hat.6

Gut-lutherisch bleibt der sog. tertius usus legis, die inhaltliche Bedeutung von Gottes Gebot für das Leben im Glauben, außer Betracht. Das ist auch möglich, denn, wenn der Mensch nicht länger danach strebt, sich durch Werke zu rechtfertigen, kann er in seinem Werk dem Nächsten in Liebe dienen. „So kennt allein der aus Gnaden Gerechte sachliches Handeln, der Selbstgerechte handelt immer in persönlicher Interessiertheit.“7 ‚Sachliches Handeln‘ bedeutet bei Iwand im Anschluss an seinen Lehrer Rudolf Hermann8: ein Handeln, das sich nicht – bewusst oder unbewusst – durch eigene Interessen leiten lässt, sondern die Frage, was im Interesse des anderen Menschen ist, ins Zentrum stellt. Ab 1930 arbeitet Iwand an einem Lehrbuch der Ethik, das er aber nie vollendet.9 Er veröffentlicht jedoch in diesen späten Jahren der Weimarer Republik einige Texte, die als Frucht seines ethischen Studiums zu betrachten sind und einen Einblick darin bieten. Es zeigt sich hier, dass das Aufblühen des rechten anti-demokratischen Denkens ihn nicht unberührt ließ. So führt er 1931 in seiner Schrift Leben und Lehre aus, dass die Liebe zwar nach Luther der „Grund alles menschlichen Handelns“ sei, diese könne aber nur geübt und getrieben werden, wenn wir uns streng in den natürlichen Ordnungen der Welt halten. Es gibt keinen Unterschied zwischen der allgemeinen sittlichen Lebensordnung und der christlichen Ethik. Diese beiden fallen einfach zusammen.10

Dass diese „allgemeine sittliche Lebensordnung“ nicht immun ist gegen den Zeitgeist, zeigt sich, wenn Iwand in diesem Zusammenhang pauschal auf 6 7 8 9

Iwand, Gesetz und Evangelium, 215. Ebd., 216. Hermann, Die Sachlichkeit als ethischer Grundbegriff, 250–312. Vgl. den Hertog, Hans Joachim Iwands Projekt einer „Ethik des unfreien Willens“ zu Anfang der dreißiger Jahre, 151–189. 10 Iwand, Leben und Lehre, 27f.

88

Gerard den Hertog

Friedrich Gogartens Schrift Wider die Ächtung der Autorität verweist, ein Exempel antidemokratischen Denkens. Es geht Iwand hier aber nicht nur um Ethik, sondern auch und zutiefst um die Grundfragen einer Theologie. Anfang der dreißiger Jahren sucht er die Theologie dadurch aufs Leben zu beziehen, dass er das „Sein unter dem Gesetz“ als das alle Menschen angehende anthropologische Merkmal bezeichnet.11 Damit ist aber die Gefahr groß, dass das Gesetz inhaltlich von einer Ontologie – welcher Art auch immer – bestimmt wird und die Theologie auf das Recht, vom Evangelium her kritisch gegen die Wirklichkeit anzudenken, verzichten muss. In diesen Jahren zeigt Iwand eine Anfälligkeit dem Zeitgeist gegenüber, wenn auch in Schranken gehalten und unterschwellig kritisiert von seinem immer kritischeren theologischen Denken.12

2.

Dietrich Bonhoeffer

Wie war der Weg Dietrich Bonhoeffers in den Spätjahren der Weimarer Republik? Während Iwand damals mehr oder weniger infiziert war durch den Zeitgeist, machte Bonhoeffer in den Jahren 1930 bis 1933 andere, neue Erfahrungen, die sein Leben und Denken seither prägten. Das war aber vor 1930 noch nicht der Fall! Obwohl das Jahr, das Bonhoeffer vom Februar 1928 bis Februar 1929 als Vikar in der Deutschen Evangelischen Auslandsgemeinde in Barcelona verbrachte, voller Erlebnissen war und ihm sicher auch neue Horizonte offenlegte, wurde auch er damals – mehr als Iwand! – vom Zeitgeist bestimmt. Im Februar 1929, kurz bevor er heimkehrte, hielt er noch einen Gemeinde-Vortrag zum Thema „Grundfragen einer christlichen Ethik“.13 Darin setzte er ein mit der These, die Aufgabe einer christlichen Ethik liege nicht darin, einige allgemeingültige christliche Normen festzustellen und auszutragen. Er plädiert dafür, den umgekehrten Weg zu gehen und zu ergründen, welche Tendenz sich in der ethischen Diskussion der eigenen Zeit abzeichnet, um diese mit christlichen „Grundideen“ zu konfrontieren und so sich an der gesellschaftlichen Diskussion zu beteiligen. Wenn es um die Frage geht, was in der Gesellschaft aktuell ist, denkt Bonhoeffer nicht an die rein-intellektuelle Sphäre, sondern ganz leiblich an die Fragen, vor die „Blut“ und „Geschichte“ uns stellen.14 Obwohl diese Wörter uns heute zwangsläufig an nationalsozialistischen Parolen wie „Rasse, Blut und Bo-

11 12 13 14

Vgl. ders., Gesetz und Evangelium, NW 4, 30ff. Vgl. den Hertog, Stationen auf dem Weg des „Denkens aus der Umkehr heraus“, 211–224. Bonhoeffer, Grundfragen einer christlichen Ethik, DBW 10, 323–345. Ebd., 323.

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums

89

den“ erinnern, hatte Bonhoeffer bei „Blut“ allerdings nicht die Rasse, sondern den Wechsel der Generationen im Blick. Ethik kann nur von der Geschichte mit ihrer Verschiedenheit der Kulturen her gedacht werden. Es gibt viele Wege zu Gott, aber christliche Ethik weiß, dass es nur einen Weg von Gott zu uns gibt, den Weg der Liebe in Jesus Christus, den Weg des Kreuzes. Wenn Bonhoeffer die Ethik – oder auch: das Gebot – von Gottes besonderem Weg mit und Offenbarung an Israel löst, was ist dann der eigentliche Gehalt einer christlichen Ethik? Er meint damals noch, dass Christus uns in der Bergpredigt nicht ein inhaltlich neues Gebot gibt, sondern die Menschen mit ihrem Leben und Handeln vor das Angesicht Gottes stellt. Das ist die große sittliche Erneuerung durch Jesus, das Abtun der Prinzipien, der Grundsätze, mit biblischen Worten des Gesetzes und das liegt im Verfolg des christlichen Gottesgedankens; denn gäbe es ein sittlich allgemeingültiges Gesetz, so gäbe es einen Weg des Menschen zu Gott (…). Indem Jesus den Menschen unmittelbar Gott unterstellt, in jedem Augenblick neu und anders, gibt er der Menschheit das gewaltigste Geschenk wieder, das sie verloren hatte, die Freiheit.15

Bonhoeffer zeigt sich hier als ein genuin lutherischer Theologe, wenn er „Gesetz“ und „Evangelium“ so trennt und sich gegen den Gedanken wehrt, als spiele sich das ethische Handeln an Hand von Prinzipien – oder auch: Geboten – ab.16 In der Fortführung seiner Gedanken greift er das 1929 für viele Deutsche noch unvermindert traumatische Thema „Krieg“ auf, um dabei Folgendes zu bemerken: „Es ist das größte Mißverständnis, wenn man die Gebote der Bergpredigt etwa selbst wieder zum Gesetz macht, indem man sie wörtlich auf die Gegenwart bezieht.“17 Es war in seinen Augen verkehrt, auf Grund der Bergpredigt zu behaupten, meine erste Pflicht sei, meinen Feind zu lieben und darum meinem nächsten Mitmenschen, meinen Volksgenossen, meinen Kamerad im Schützengraben aufzuopfern. Ohne Augustin zu erwähnen schließt Bonhoeffer sich hier ihm an, wenn er meint, ich könne als Christ meinen Feind nicht hassen, vielmehr – im Bewusstsein, er verkehre in derselben Not wie ich – für ihn beten, auch wenn er mich töten würde. Es sei aber mein primärer Auftrag, das Volk, aus dem ich stamme und zu dem ich gehöre, vor dem Feind zu schützen.18 Noch einen Schritt weiter geht Bonhoeffer, wenn er die Frage anschneidet, ob es vom christlich-ethischen Gesichtspunkt aus auch gerechtfertigt sein könnte, selber einen Krieg anzufangen. Die Diskussion dieser Frage gehört seiner Meinung nach in den Rahmen einer breiteren Problematik, nämlich die des Verhältnisses zwischen Gott und der Geschichte oder etwa die von Gott und dem 15 16 17 18

Ebd., 330. Vgl. ebd., 326–331. Ebd., 332. Vgl. ebd., 336f.

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Wachstum eines Volkes. Da lässt er etwas verlauten, was man eher von Vertretern rechten anti-demokratischen Denkens erwartet hätte. So meint er behaupten zu können, Gott rufe „das Volk zur Mannhaftigkeit, zum Kampf und Sieg“19 auf. Das tut Gott, denn [a]uch die Kraft ist von Gott und die Macht und der Sieg, denn Gott schafft die Jugend bei Mensch und Volk und liebt die Jugend, denn Gott selbst ist ewig jung und stark und sieghaft. Und die Angst und die Schwächlichkeit soll von dem Mut und der Stärke besiegt werden.20

Wenn auch Bonhoeffer hier kein unverhohlenes Plädoyer für das Recht des Stärksten führt, so ist doch ein größerer Kontrast zu seiner Theologie nach 1930, als er Pazifist geworden ist, kaum denkbar. Diese Kehrtwende hatte ihren Ursprung in Erfahrungen und Einsichten während des Aufenthalts in New York, von September 1930 bis Juni 1931.21 Er nimmt teil am Gemeindeleben in der Abessynian Baptist Church, wo die von der Präsenz des lebendigen Christus geprägten Predigten ihn tief beeindrucken, und nimmt die Welt ‚von unten‘22 wahr, von der Perspektive der diskriminierten Schwarzen.23 Die New Yorker Erfahrungen fließen zusammen im folgenden Satz in der Nachfolge: „Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus“.24 Seit seinem Studienaufenthalt in New York erwägt Bonhoeffer, einmal nach Indien zu reisen, um dort bei Gandhi die – von der Bergpredigt inspirierte – Praxis des gewaltlosen Widerstandes zu studieren. Als Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 stattfindet, ist Dietrich Bonhoeffer mit seinem Denken also auf einer ganz anderen Schiene als fast alle anderen evangelischen Theologen in Deutschland. Nicht nur ist sein Gespür für die bevorstehende Diskriminierung der jüdischen Mitbürger schon geschärft durch seine Erfahrungen in New York, sondern er hat auch seine traditionelle lutherische theologische Sicht des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium grundlegend revidiert.

19 Ebd., 339. ‚Mannigfaltigkeit‘ habe ich ersetzt durch ‚Mannhaftigkeit‘ (wie in: Bonhoeffer, GS 5, 173). 20 Bonhoeffer, Grundfragen einer christlichen Ethik, DBW 10, 339. 21 Vgl. Pfeifer, Learning Faith and Ethical Commitment in the Context of Spiritual Training Groups, 251–279; Green, Bonhoeffer am Union Theological Seminary in New York, 116–141. 22 Vgl. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 38. 23 Vgl. ders., Studienbericht für das Kirchenbundesamt, DBW 10, 274f. 24 Vgl. ders, Nachfolge, DBW 4, 47.

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums

3.

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Zwischenbilanz

Sowohl Dietrich Bonhoeffer als auch Hans Joachim Iwand bewegten sich als junge lutherische Theologen in der Zwischenkriegszeit im Kraftfeld der neuen Aufbrüche, die damals im Gange waren. Es war – sicher auch die Zeitspanne 1929–1933 – eine Zeit mit großen Herausforderungen und Gefahren, von Karl Barth 1930 treffend als „eine[n] gefährlichsten Augenblick“25 gekennzeichnet. Die Entwicklung von diesen beiden Theologen in jenen Jahren war aber so unterschiedlich wie nur möglich. Dabei sollte man nicht nur die Theologie berücksichtigen, sondern auch die Biografie. Iwand war seit 1923 in Königsberg, als Inspektor des Lutherheims und nach seiner Habilitation 1927 auch als Privatdozent an der Fakultät, ohne viel Auslandserfahrung, währenddessen Bonhoeffer ein ‚Mann von Welt‘ war, der in Barcelona Vikar gewesen war und neun Monate in Amerika verbracht hatte, und also ganz andere Erfahrungen erlebt und Anstöße empfunden hatte. Wie viele andere Theologen wurden sie aber durch die neue geistige Herausforderung der „Deutschen Christen“ auf die Probe gestellt und zu Entscheidung gedrungen. Wie verschieden ihre Theologie sich auch profilierte, im Kirchenkampf haben sie beide die Barmer Theologische Erklärung als verbindliche kirchliche Aussage, d. h. als Bekenntnis, akzeptiert.

II.

Bonhoeffer und Iwand im Predigerseminar 1935–1937

1.

Hans Joachim Iwand

Hans Joachim Iwand schreibt gleich im ersten Heft der neuen Zeitschrift Evangelische Theologie einen Aufsatz: Die Predigt des Gesetzes.26 Damit sendet er in zweierlei Hinsicht ein klares Signal aus, erstens und öffentlich, dass er sich auf die theologische und kirchliche Linie Barths stellt – er schrieb diesen Aufsatz vor der Synode von Barmen –, zweitens, sei es nur für die, die ihn kennen, dass er sich von seinen eigenen früheren Denkexperimenten in Sachen Gesetz und Evangelium abwendet.27 Er lässt keinerlei Zweifel darüber aufkommen, ob das traditionelle

25 Barth, Die Theologie und der heutige Mensch, 40. Vgl. zu diesem Passus in Barths Aufsatz: Schellong, „Ein gefährlichster Augenblick“, 104–135. 26 Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 145–170. 27 Vgl. zu Iwands Sicht des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium: Klappert, Die Thora ist in sich immer geistlich, 115–170; Meier, Gesetz und Evangelium bei Hans Joachim Iwand; Plasger, Hans Joachim Iwands Ringen mit Johannes Calvin um ein evangelisches Gesetzesverständnis, 205–220; Schwarzwäller, Von Zeit zu Zeit, 20–44; Seim, Die Lehre von Gesetz und

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Gerard den Hertog

oder moderne völkische Gesetz in der Predigt mitsprechen könnte. Das ist aus theologischen Gründen ausgeschlossen. Die rettende, die Welt als sein Eigentum in Anspruch nehmende Tat Gottes in Jesus Christus ist die einzig standhafte Statuierung des Gesetzes, auf die wir uns in seiner Verkündigung und Auslegung zu gründen haben.28

Mit dieser klaren Stellungnahme ist jeder Form von ‚Bindestrich-Theologie‘ eine unmissverständliche Absage erteilt. Die Stoßrichtung dieses Aufsatzes ist theologisch, Iwand versteht Jesu Verkündigung von Gottes Gebot als Erinnerung an die Schöpfung, „als die Erinnerung von Gott her, als der Ruf in das Ursprüngliche, in das Kind-Sein, in das wahrhaft menschenwürdige Leben der Liebe, des Glaubens und Hoffens“.29 Das Gesetz Gottes ist aber „der Ruf zur unmöglichen Rückkehr in den Ursprung.“30 Die Orientierung am gesellschaftlichen Gesetz hingegen lässt die Menschen „im besten Falle [bei den] Bindungen gemeinschaftlichen Lebens, aber niemals [bei dem] Lebensbund Gottes mit dem Menschengeschlecht“31 stoßen. Darum ist es [e]rschreckend […] zu sehen, wie die Kirche die neue Gesetzgebung des völkischen Staates dadurch zu parallelisieren sucht, daß sie mit erhöhtem Aufwand noch einmal ihre alte, bürgerliche Gesetzespredigt, die entsprechend zeitgemäß ausgerichtet worden ist, aufnimmt, um noch einmal das Wort an die Moral, das Gesetz Gottes an die Sitte zu verraten.32

Das Gesetz hat nur dann und insofern „Heilsbedeutung“, wenn wir begreifen, „daß seine Erfüllung nicht aus ihm selber kommt.“33 Dass der Duktus dieses Aufsatzes kritisch-theologisch ist, bringt in diesem Aufsatz allerdings auch mit sich, dass die ethische Frage inhaltlich weitgehend unbeantwortet bleibt. Die „Frage nach dem Was und nach dem Wie der Gesetzesverkündigung“ ist in den Augen Iwands „ein und dieselbe“.34 In einem Referat über die ersten Thesen der Barmer Theologischen Erklärung auf einer Tagung des Lutherrates im Oktober 1936 wird Iwand dann sagen: Gut und Böse sind in Wahrheit Entscheidungen, die man richtiger das Geschehen des Willens Gottes und das Geschehen des eigenen Willens nennen würde. Es kann daher sein, daß dieser Widerstand des Menschen gegen Gott sich dadurch verdeckt, daß der

28 29 30 31 32 33 34

Evangelium bei Hans J. Iwand, 77–94; ders., Die Lehre von Evangelium und Gesetz bei Hans J. Iwand, 231–247. Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 158. Ebd., 152. Ebd., 154 (Hervorhebung von G.d.H.). Ebd., 153. Ebd., 158. Ebd., 159. Ebd., 158.

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums

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Mensch das Gute will, daß er aber auch in diesem Guten nur sich selber sucht, erhebt, ehrt und anbetet.35

Iwand referiert an mehreren Stellen in seinem Aufsatz Die Predigt des Gesetzes an der Bergpredigt, Matthäus 5 und 6, aber seine Auslegung – wie radikal-kritisch sie auch ist – enthält keinerlei konkretes Gebot. Das Gesetz Gottes verkündigen bedeutet für Iwand im Kern, den Willen Gottes so zu Gehör bringen, daß Wollen und Vollbringen darin eingeschlossen sind, daß Gottes Gesetz und des Menschen Wille nicht mehr Feinde sind, daß die Frage nach dem Wie der Tat beantwortet ist durch das Geschenk der Tat.36

Er kann sogar es als die „herrlichste Tat“ des Glaubens kennzeichnen, dass man ausharrt „in der Tatenlosigkeit“ und wartet „auf Zeit und Weise des göttlichen Tuns. Denn der christliche Glaube lebt im Tätigsein, aber nicht vom Tätigsein.“37 Wenn wir jetzt die von Iwand selbst „durchgesehene Nachschrift der Vorlesung ‚Gesetz und Evangelium‘, die er im Sommer 1937 im Predigerseminar Bloestau (Ostpr.) und in Jordan (Neumark) gehalten hat“38, heranziehen, bestätigen sich unsere bisherigen Wahrnehmungen weitgehend. Das betrifft erstens sein Anliegen, klar zu machen, was in den Kontroversen im Kirchenkampf, vor allem mit den Deutschen Christen, auf dem Spiel steht. Die Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium ist ein Teil der Rechtfertigungslehre, und die wiederum „ist ein Stück der Christologie“.39 Die Theologie soll darum die Anthropologie von Christus her entwickeln,40 und nicht als eine Art Schöpfungsontologie, in der abgesehen von Christus davon ausgegangen wird, jeder Mensch stehe als Mensch unter dem Gesetz.41 Würde dies stimmen, dann müsste die christliche Verkündigung ja unterstellen, „der Sinn des Gesetzes [sei] allgemein einsichtig“ und somit „Anknüpfungspunkt der Verkündigung“42, und wäre die Kirche prinzipiell wehrlos gegenüber der völkischen Verführung. In der ganzen Debatte um den sog. Anknüpfungspunkt verkennt man aber faktisch, dass Gottes Handeln immer „schöpferisches Handeln“43 ist. Da Sein und Schaffen 35 Ders., Die 1. Barmer These und die Theologie Martin Luthers, 226. In seinem Referat ging Iwand auch auf die 2. Barmer These ein, aber dieser Teil ist nur bruchstückhaft bewahrt geblieben. 36 Ders., Die Predigt des Gesetzes, GA II, 166. 37 Ebd., 168. 38 Kreck, Vorwort, in: Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4,7. 39 Vgl. Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 13. Iwand nimmt damit auf dem ersten Blatt seiner Vorlesung das Kernthema seiner Habilitationsschrift auf: Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube. 40 Vgl. Ders., Gesetz und Evangelium, NW 4, 55. 41 Vgl. ebd., 31. 42 Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 146f. 43 Ders., Gesetz und Evangelium, NW 4, 107.

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in Gott eins sind, können wir nicht mehr zwischen Schöpfung und Erlösung unterscheiden.44 In der Frage des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium geht es von daher zentral um Gottes Gerechtigkeit, die nicht eine formal festzulegende Eigenschaft Gottes unter anderen ist, sondern vielmehr besagt „wie Gott über uns denkt“.45 Wo wir etwa Liebe und Gerechtigkeit in Gott kontrastieren und miteinander zu versöhnen versuchen, verharren wir in unseren Gedanken über Gott und messen den wirklichen Gott an unseren Maßstäben. Theologie aber, die wirklich Theologie ist, fängt beim Glauben an und geht von der Einheit von Gerechtigkeit und Liebe in Gott aus, zugespitzt: glaubt, dass Gott gerecht macht in Christus und dass „durch Christus […] Gott wirklich [ist] in sich selbst“.46 Glauben heißt darum: „Gott recht geben“ in seinem Urteil.47 Iwand geht sogar soweit, dass er das Verhältnis von Vater, Sohn und Geist in der Trinität Gottes Gerechtigkeit nennt. „Die Gerechtigkeit ist die Art und Weise, wie Gott im Sohn und der Sohn wieder durch den Geist im Vater ist und lebt.“48 Die Bewegung, die sich in diesem Zitat zeigt, lässt vermuten, dass Iwands Verständnis von Gottes Gerechtigkeit stark pneumatologisch ausgerichtet ist. Das ist in der Tat der Fall. Wenn wir uns der Gerechtigkeit Gottes unterordnen, so bewirkt das der Geist.49 Der Geist Gottes befreit uns davon, das neue Leben in uns zu suchen, und bringt uns dazu, es in Christus zu finden, wobei die freudige Entdeckung ist, „daß dieses neue Leben unser Leben ist.“50 Wenn wir vom Geist Gottes sprechen, reden wir damit immer auch „von einer menschlichen Existenz“51, wenn auch im Modus der Verheißung, aber dennoch: „Mit der Gabe des Geistes will Gott uns sagen, daß so, wie dem Gesetz eine echte, reale menschliche Existenz entspricht, auch dem Evangelium ein echtes, reales Dasein entspricht.“52 Zwei Existenzweisen stehen einander hier in Gestalt zweier Zeiten gegenüber.53 Die Zeit des Gesetzes ist die Zeit, in der wir bei uns sind, die Zeit unserer Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Wir haben da keine Ahnung, was Vergangenheit und Zukunft wirklich heißt. Wo Gottes Ruf erklingt, wird unser Leben ins Licht der neuen Zeit gestellt, „die durch das Wirklich-werden einer neuen Erde bestimmt ist“.54 Das Neue, was von Gott her als promissio zu uns kommt, veraltet

44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Vgl. ebd., 105. Ebd., 81 (vgl. 82). Ebd., 84 (vgl. 83f). Vgl. ebd., 23, 48. Ebd., 84 (vgl. 117). Vgl. ebd., 136. Ebd., 154f. Ebd., 145. Ebd., 146. Vgl. ebd., 15 (vgl. 14–20). Ebd., 15.

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nicht, sondern setzt unser ganzes Leben ins Licht und unter die Spannung der Zukunft Jesu Christi.55 In seiner Vorlesung im Predigerseminar wendet Iwand sich auch gegen den Ruf um Konkretisierung des Gesetzes und nennt dabei namentlich Friedrich Gogarten.56 Man könnte meinen, das Gesetz mit Hilfe des Verhältnisses von Ich und Du zu konkretisieren, in Bezug auf die ‚Schöpfungsordnungen‘ oder auf die Gebundenheit an Rasse und Volk, aber damit geschieht nicht das, was wir brauchen und worum es letztendlich geht: Es macht uns nicht lebendig.57 Die Bergpredigt wird von Iwand auch herangezogen, nicht aber im Rahmen einer Moral- oder Bußpredigt, als usus elenchticus, wobei der Mensch am Halse gezogen wird. Nein, wenn Jesus „wie in die Luft hinein“58 redet, lässt er den Menschen vielmehr Raum, ist er auf freie Zustimmung hinaus: „Ja, der hat recht.“59 Obwohl eine „Rückkehr zum Ursprung“60 unmöglich ist – das ist ein revolutionärer Gedanke61 – ist es aber doch kein fremdes Joch, das uns in Jesu Verkündigung begegnet. Wir vernehmen in der Bergpredigt unsere ureigenste, von uns aus aber unerreichbare Lebensbestimmung, aber da Jesu Joch sanft und seine Last leicht ist, so bekommt der Mensch wieder „Lust […] am Gesetz des Herrn, und nur wo er Freude hat am Gesetz des Herrn, kann er Buße tun“.62 Die Werke des Glaubens, die in der Bergpredigt von uns verlangt werden, sind auch Freude, weil sie Gottes Werk sind und wir nicht mehr wissen und nicht mehr wissen wollen, wie es um das Urteil über unsere Werke steht, sondern einfach Werke des Glaubens tun, und das Urteil Gott überlassen.63 Unser Handeln braucht daher keine innerweltliche Motivation, sondern „[d]ie Wurzel der christlichen Ethik ist ein Affekt, Gott hat uns angetan, die Liebe Gottes dringt uns“.64 Iwand entfaltet keine inhaltliche Ethik, und er gibt auch keine Hinweise, wie sie aussehen könnte. Vielmehr heißt es auch jetzt noch lapidar: „An den Werken in ihrer Substanz können wir niemals den Unterschied zwischen altem und neuem Menschen feststellen.“65 Der Geist Gottes wirkt aber reelle Heiligung, wirkt Liebe zum Bruder, bringt mich wirklich dazu die Nackten zu kleiden, die 55 Vgl. ebd., 16. 56 Gogarten ist in dieser Vorlesung der wohl am häufigsten genannte Kontrahent (vgl. ebd., 54, 56, 74f, 122, 212). 57 Vgl. ebd., 121f. 58 Iwand, Die Predigt des Gesetzes, GA II, 163. 59 Vgl. ebd., 27f. 60 Ebd., 202. 61 Vgl. ebd., 198. 62 Ebd.,140. 63 Vgl. ebd.,78. 64 Ebd., 28. 65 Ebd.,71.

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Hungrigen zu sättigen und sogar die Schmach des Bruders auf mich zu nehmen.66 Wenn auch die Heiligen nur zu gut wissen, dass „das, was Gott schafft, nicht aus uns ist“,67 die Taufe besagt auch, dass „wir, so wie Jesus auferstanden ist von den Toten, in der Neuheit des Lebens wandeln sollen.“68 Es gibt freilich ein inhaltliches Kriterium für eine Ethik. Wenn unsere Werke uns nicht gerecht machen müssen, da Christus unsere Gerechtigkeit ist, sind unsere Taten „jetzt frei für den Nächsten, für die Erde, für die Stunde, für alle, die dich brauchen und auf dich warten.“69 Einen anderen Akzent setzt Iwand im Vergleich zu seinem Aufsatz Die Predigt des Gesetzes in dem Sinne, dass er jetzt nicht mehr eine Form von „Tatenlosigkeit“ befürwortet; nein, die Not meines Mitmenschen „erlöst mich aus meiner Tatenlosigkeit, sie ist der Sinn meines irdischen Daseins.“70 Was der andere braucht, was uns die „goldene Regel“ von Matthäus 7,12 lehrt – das ist das inhaltliche Kriterium. Das ist auch, was es heißt, Christus stehe zwischen meinem Nächsten und mir. Ich stehe nicht in einem unvermittelten Verhältnis zum Mitmenschen, denn das würde bedeuten, dass die Maßstäbe der eigenen Gerechtigkeit noch immer bestimmend sein würden. „Zwischen mir und meinem Tun steht Christus.“71 Es will auch für den Umgang mit der Schwester und dem Bruder sagen, dass ich sie/ihn nicht ansehe als den Menschen, dem wir in ihren/seinen Taten begegnen, sondern „daß ich stellvertretend für den anderen das Bild festhalte, das ich in Jesus Christus von ihm habe“.72 Die Hoffnung regiert hier, das christliche Leben ist eschatologisch ausgerichtet. Christliche Ethik will „eine Bereitung des Weges für den, der da kommt, sein“.73

2.

Dietrich Bonhoeffer

Wie auf Grund der sehr unterschiedlichen Biografien von Bonhoeffer und Iwand in der Endphase der Weimarer Republik zu erwarten, geht Bonhoeffer ganz andere Wege in den theologischen-kirchlichen Wirren von 1933 und 1934 als Iwand. Dabei sollten wir aber auch berücksichtigen, dass Bonhoeffer in Berlin lebte und einer Familie angehörte, von der mehrere Mitglieder aufgrund ihrer Kontakte mit leitenden gesellschaftlichen Kreisen ganz genau wussten, was im 66 67 68 69 70 71 72 73

Vgl. ebd.,135. Ebd., 136. Ebd., 146. Ebd., 67 (vgl. 64–67, 75ff, 163, 215). Ebd., 215. Ebd., 59. Ebd., 214 (vgl. 75, 210–215). Ebd.,139.

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums

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Zentrum der Macht passierte und vorbereitet wurde. Und nicht nur das, es machte für den Kirchenkampf auch einen erheblichen Unterschied, wo man ihn erlebte, ob im Zentrum der Kirche der Altpreußischen Union oder in dem durch den Danziger Korridor vom Reich getrennten Ostpreußen. Für das Thema dieses Beitrags ist aber vor allem wichtig, den Lernprozess, den Bonhoeffer schon vorher durchgemacht hatte, vor Augen zu halten. In der Nachfolge bemerkt er, „daß eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann von der Existenz, in der sie gewonnen ist.“74 Das gilt auf jeden Fall für das, was er selber an Einsichten in den Vereinigten Staaten und in der ökumenischen Bewegung erworben hatte. Kennzeichnend für Bonhoeffers Haltung und Weg in der ersten Phase des Kirchenkampfes ist der Brief, den er am 28. April 1934 aus London an Erwin Sutz, seinen Schweizer Studienfreund aus New Yorker Zeit, schreibt. 1933 stand Bonhoeffer in der vordersten Linie der kirchenpolitischen Bewegung, übernahm aber im Herbst 1933 ein Auslandspfarramt in London. In seinem Brief an Sutz bezeichnet er Martin Niemöller, der noch März 1934 vorgeschlagen hatte, die Mitglieder des Pfarrernotbundes könnten vielleicht geschlossen der NSDAP beitreten, um so zu zeigen, es ginge ihnen im Kirchenkampf rein um das Evangelium,75 als „Phantast“ und „Naive[n]“. Bonhoeffer denkt an eine ganz andere Opposition, in der die Bergpredigt eine zentrale Rolle spielt und es zu einem „Widerstehen bis aufs Blut“ (Hebr. 12,4) kommt. Er notiert in seinem Brief, es gehe „immer um das Halten des Gebotes und gegen das Ausweichen. Nachfolge Christi – was das ist, möchte ich wissen – es ist nicht erschöpft in unserem Begriff des Glaubens.“76 Wie andeutungsweise auch immer es klingt, es ist klar, was Bonhoeffer in Gedanken hat: keine direkte politische Opposition,77 aber doch ein Ernstnehmen der Bergpredigt als konkretes Gebot, das als solches sich nicht mit dem im totalitären Staat geforderten Gehorsam vereinbaren lässt. „Ausweichen“ bedeute dann für Bonhoeffer, dass man sich hinter einer Zweireichelehre versteckt, um so dem Ruf Jesu zum konkreten Gehorsam zu entgehen. Das ist der große Irrtum einer falschen protestantischen Ethik, daß hier Christusliebe aufgeht in Vaterlandsliebe, in Freundschaft oder in Beruf, daß die bessere Gerechtigkeit aufgeht in der justitia civilis. So redet Jesus nicht. […] Das Außerordentliche – und das ist das Anstößigste – ist ein Tun der Nachfolgenden. Es muß getan werden – wie die bessere Gerechtigkeit –, sichtbar getan werden! Nicht in ethischer Rigorosität, nicht in der Exzentrik christlicher Lebensformen, sondern in der Einfalt christlichen Gehorsams gegen den Willen Jesu. Dies Tun wird sich als ‚Sonderliches‘ darin bewähren, daß es in

74 75 76 77

Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 38. Vgl. Schmidt, Martin Niemöller im Kirchenkampf, 181 (vgl. 182). Bonhoeffer, DBW 13, 129 (Hervorhebung im Text). Vgl. Schmitz, „Nachfolge“, 297.

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Gerard den Hertog

die passio Christi führt. Dieses Tun selbst ist fortwährendes Erleiden. In ihm wird Christus von seinem Jünger erlitten.78

Es ist offensichtlich, dass Bonhoeffer hier ganz andere Töne von sich gibt, als Iwand es in diesen Jahren tut. Wo Iwand vor allem theologisch reflektiert, um die Entscheidungen, die anstehen, in den Blick zu bekommen und die Deutsche Christen vom Evangelium und von Luther her bekämpfen zu können, da kämpft Bonhoeffer an einer anderen Front. Das macht den Vergleich zwischen ihm und Iwand nicht einfach, denn der Unterschied der Fronten bringt auch Unterschiede in der Akzentsetzung mit sich. Soll man aber noch einen Schritt weiter gehen und sagen, hier gehen die Wege theologisch auseinander? Das ist die Frage, die uns hier zu beschäftigen hat. Zuerst nun: was war Bonhoeffers Anliegen? Eine der zentralen Thesen – wenn nicht die zentralste – in der Nachfolge ist zweifellos: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“79 Das Gefälle des Satzes ist unumkehrbar, sosehr die beiden Teile untrennbar sind. Gehorsam steht nicht auf einem getrennten Blatt, spielt sich nicht in einem anderen Bereich als dem des Evangeliums ab, sondern ist prinzipiell und grundsätzlich: Glaubensgehorsam. Er ist als solcher aber, wenn er Glaubensgehorsam sein will, konkreter Gehorsam. In einem Vortrag über die Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte in Finkenwalde 1935 sagte Bonhoeffer: „Nur wer das Gebot hört und tut, vernimmt in ihm das Zeugnis von Christus.“80 Bonhoeffer setzt hier Akzente, die damals gar nicht üblich waren, die wir aber auch bei Iwand wahrgenommen haben. So entfaltet Bonhoeffer Gedanken über Gottes Gerechtigkeit, die sich kaum von denen Iwand unterscheiden lassen. „Das also ist Gottes Gerechtigkeit, daß wir als Sünder seine Gerechtigkeit werden, und das ist unsere, d. h. Seine Gerechtigkeit (Jes. 54,7), daß Gott allein gerecht ist und wir von ihm angenommen Sünder.“81 Und – so konkret der Gehorsam sein soll, so bleibt auch bei Bonhoeffer die neue Gerechtigkeit Glaubenssache. „Die Heiligen wissen selbst nicht um die Frucht der Heiligung, die sie bringen.“82 Die Nachfolge ist wahrscheinlich am meisten bekannt wegen der ersten Kapitel: ‚Die teure Gnade‘, ‚Der Ruf in die Nachfolge‘ und ‚Der einfältige Gehorsam‘. Hier setzt Bonhoeffer Akzente, die wir so bei Iwand nicht aufgefunden haben. Im Kapitel ‚Der Ruf in die Nachfolge‘ lesen wir: „Die Antwort des Jüngers ist nicht 78 Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 147ff (Hervorhebung im Text). 79 Ebd., 52. Vgl zu diesem Satz u. a. Tietz, „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“, 170–181; Schmitz, „Only the believers obey, and only the obedient believe.“,169–186; ders., „Nachfolge“, 90–112. 80 Bonhoeffer, Vortrag über die Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte (23. August 1935), DBW 14, 415. 81 Ders., Nachfolge, DBW 4, 273f (vgl. 270–274). 82 Ebd., 283 (vgl. 295f).

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums

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ein gesprochenes Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern das gehorsame Tun.“83 Der erste Schritt soll getan werden. Die Tat des Gehorsams ist befohlen. „In ihr wird die Situation gegeben, in der Glaube möglich wird und wirklich existiert.“84 Hier hat es den Anschein, als gingen die Wege Bonhoeffers und Iwands wirklich auseinander. Das ist allerdings die Frage, denn 1959 bemerkt Iwand in einem Vortrag Theologia crucis: „Wäre Abraham in Ur geblieben – was hätte dann noch für ihn Gottes Ruf bedeutet.“85 Das ist keine spätere Einsicht Iwands und er hat es auch nicht von Bonhoeffer entlehnt, sondern es ist eine Ansichtsweise, die sie beide an der theologia crucis Luthers gelernt haben, die für Iwand auch im Kirchenkampf schon der Schlüssel war, um Gottes Weg mit den Menschen in den Blick zu bekommen. Bonhoeffer und Iwand waren gewiss darin einig, man könne dem Menschen keinen ‚neutralen‘ Standpunkt zuerkennen, sondern ihm nur gerecht werden und wahrnehmen als jemanden, der immer schon einen Weg geht. ‚Der Ruf in die Nachfolge‘ ist also nicht in dem Sinne etwas Neues, dass der Mensch endlich einmal eine Tat hervorbringen soll, sondern ihm wird das konkrete Angebot einer neuen Existenz gemacht. Dass die eigene Passivität der theologia crucis auch für Bonhoeffer zentral und wichtig war, zeigt sich im Kapitel ‚Die Taufe‘, wo er unterstreicht, Taufe geschehe nicht auf menschlicher Initiative, sondern sei „ein Erleiden des Rufes Christi“.86

III.

Bilanz und Ausblick

Der kurze Vergleich zwischen Bonhoeffer und Iwand zeigt erhebliche Differenzen in ihrer Behandlung der Fragen des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium in ihren Vorlesungen im Predigerseminar. Beide ließen sie sich in ihrem Denken durch die Barmer Theologischen Erklärung den Weg weisen, sahen aber die Front an sehr verschiedenen Orten und führten zum Teil auch unterschiedliche Gefechte. Zugleich sollte man anerkennen, dass die Vorlesungen keine Don Quichotterie waren, sondern dass die Studenten theologisch gerüstet wurden für den ihnen bevorstehenden Kampf. Man kann die unterschiedlichen Fokussierung deuten als Zeichen der Unklarheit in der Bekennenden Kirche über den theologischen Kurs, aber man wird ihr lebendiges Ringen um das Verständnis der Heiligen Schrift und der Reformation wahrscheinlich eher gerecht, wenn man sie würdigt als Zeichen, dass hier wirklich nicht eine Ideologie regierte, sondern vielmehr alles vom Evangelium her in Bewegung geraten war. Gemeinsam war 83 Ebd., 45. 84 Ebd., 57. Schmitz formuliert treffsicher: „Jesus fordert Glauben in der Gestalt des Gehorsams, und er fordert Gehorsam auf der Grundlage des Glaubens.“ („Nachfolge“, 92) 85 Iwand, Theologia crucis, NW 2, 396. 86 Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 221; vgl. Schmitz, „Nachfolge“, 135.

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Bonhoeffer und Iwand jedenfalls, dass das Gesetz Gottes vom Volks- oder Staatsnomos gelöst war und als lebendiges und heilsames Gebot verstanden und ausgelegt wurde. Der Vergleich zwischen den Wegen Bonhoeffers und Iwands hat an einigen Stellen gezeigt, dass sie zwar aus verschiedenen Richtungen an die Fragen herangingen, sich dabei aber doch öfters trafen. Ein Beispiel hierfür ist das, was Bonhoeffer im Kapitel ‚Der einfältige Gehorsam‘ ausführt. Auf den ersten Blick tendiert er dort in Richtung eines legalistischen Biblizismus. Auffällig ist aber, dass er hier die hermeneutische Frage einbringt. Er unterstreicht, dass wir nicht „in direkter Gleichzeitigkeit mit dem Gerufenen handeln und nachfolgen“87 wollen sollten. Kurz davor hatte er schon den Satz notiert: „Wo der einfältige Gehorsam grundsätzlich eliminiert wird, dort wird ein unevangelisches Schriftprinzip eingeführt“.88 Damit meint er wohl, dass wir fehlgehen, wenn wir eine Hermeneutik verwenden als eine Methode, die grundsätzlich in unserer Hand liegt. Wir verkennen dann, dass die Heilige Schrift uns Jesus Christus verkündigt, aber untrennbar verbunden mit den Menschen, die er ruft. Jede Neutralität wird uns also unmöglich gemacht, denn „der Christus, der uns in der Schrift verkündigt wird, ist durch sein ganzes Wort hindurch ein solcher, der den Glauben nur dem Gehorsamen und nur dem Gehorsamen den Glauben schenkt.“89 Dies hatte Bonhoeffer in Gedanken in dem – sicher nicht zufällig ersten – Satz im Vorwort der Nachfolge: „Es stellt sich in Zeiten der kirchlichen Erneuerung von selbst ein, daß uns die Heilige Schrift reicher wird.“90 Iwand kommt im Vergleich mit Bonhoeffer aus einer ganz anderen Richtung. Er sagt aber in seinem Vortrag Die Heilige Schrift als Zeugnis des lebendigen Gottes, dass „die Menschen der Bibel […] gar nicht anders […] leben […] können […] als im Heute, in der Gegenwart – aber dieses Heute ist für sie immer das Heute des konkreten Gehorsams“.91 Also: wenn auch die Denklinie eine andere ist, die beiden treffen sich im Lob der Heiligen Schrift, als dem Raum, in dem uns Jesus Christus zu konkretem Gehorsam ruft und freisetzt. Von daher sollten wir die Divergenz wahrnehmen, dass Bonhoeffer auf dem konkreten Gebot und dem konkreten Gehorsam besteht, während Iwand sich gegen Konkretisierung wehrt. Wir sollten aber bedenken, dass er dabei die Art und Weise, wie Gogarten es darlegte, in den Blick hatte – denn das führte dazu, dass das Gesetz in seiner Konkretion aus dem Bereich des Evangeliums herausgenommen wurde! Wenn Iwand aber auf das „Heute des konkreten Gehorsams“ abzielt, stellt uns das vor die Frage, ob sich beide nicht in der Konkretion des gnädigen Gebotes Gottes 87 88 89 90 91

Ebd., 75. Ebd., 74. Ebd., 75. Ebd., 21. Iwand, Die Heilige Schrift als Zeugnis des lebendigen Gottes, GA I, 117.

Der Ruf in den Gehorsam des Evangeliums

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hätten finden können, und – wenn wir ihren Weg in den Jahren des Kirchenkampfes verfolgen – auch gefunden haben und gegangen sind. Es gibt aber bei Bonhoeffer und Iwand eigene Akzente, von denen man sich fragen kann und soll, ob der Andere sie hätte mittragen können. Wenn etwa Iwand in dem Aufsatz Die Predigt des Gesetzes „Tatenlosigkeit“ befürwortet, steht das Bonhoeffers zentralem Gedanken in der Nachfolge diametral gegenüber. In der Vorlesung Gesetz und Evangelium im Predigerseminar korrigiert – oder präzisiert? – Iwand sich aber, wenn er von Erlösung aus der Tatenlosigkeit spricht. Und es war grundsätzlich gemeint, wenn er schreibt: „Die einzige Voraussetzung, die ein Mensch mitbringt, um die Predigt von Christus zu verstehen, ist diese, daß er ein Mensch ist, der Werke tut.“92 Er erklärt das damit, dass es um das Verhältnis der Person zu deren Werke geht, und dass gerade darum aber auch umgekehrt gilt, dass die Gnade von Jesus Christus „herausführt zum Tun der Werke“.93 Also: Widersprachen Bonhoeffer und Iwand einander wirklich, oder hätten sie, wenn sie bei der Vorlesung des anderen anwesend gewesen wären, einander vielleicht ergänzt und profiliert? Wir haben im Gang der Untersuchung auch auffällige Konvergenzen zwischen Bonhoeffer und Iwand wahrgenommen. Davon seien zum Schluss zwei Beispiele angeführt. Erstens: Obwohl Iwand keine klösterlichen Ideale in Gestalt eines „Bruderhauses“ wie in Finkenwalde vor Augen hatte, schreibt er über Gemeinschaft in einer Weise, die Bonhoeffers Denken darüber im Kern entspricht: Die Tatsache, daß die Gemeinschaft gebildet wird und erhalten wird durch die Vergebung der Sünden, ist gleichbedeutend damit, daß dieser innerste Feind, der sich zwischen Mensch und Mensch drängt, vernichtet wird, ich könnte auch sagen, daß der Haß an der Wurzel getroffen wird. So mehrt Gottes Wort die Kirche, nicht indem es Propaganda macht, sondern indem es versöhnt, indem es die Menschen lehrt, von der Vergebung der Sünden her die Gemeinschaft, die sie miteinander haben, zu bewähren wider die Mächte, die sie auseinandertreiben wollen.94

Die geistige Atmosphäre in Finkenwalde einerseits und in Bloestau / Jordan andererseits ist sehr verschieden gewesen, was zweifellos in direktem Zusammenhang stand mit der Theologie, in die Bonhoeffer bzw. Iwand ihre Studenten einführten, und mit dem Weg, den sie mit ihren Studenten gegangen sind. Darin nahm ihre unterschiedliche Sicht auf das, was als die rechte Predigt des Gebotes Gottes in der Zeit des Dritten Reiches zu gelten hatte, Gestalt an. Dennoch war die Gemeinschaft der Theologie Studierenden im Predigerseminar der Bekennenden Kirche für beide eine echte Realität.95 92 93 94 95

Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 58. Ebd., 60. Ebd., 208. Der Unterschied, aber auch die grundsätzliche Übereinstimmung zeigt sich beim Vergleich

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Gerard den Hertog

Ein letztes Beispiel der Konvergenz in der Divergenz zwischen Bonhoeffer und Iwand: Wir haben gesehen, dass Iwand bemerkte, Christliche Ethik wolle „eine Bereitung des Weges für den, der da kommt, sein“.96 Das war nicht eine vereinzelte Bemerkung, denn seine Vorlesung Gesetz und Evangelium fängt sowohl an als auch endet damit, die eschatologische Bestimmtheit des Themas ‚Gesetz und Evangelium‘ darzustellen.97 Wer die Ethik Bonhoeffers kennt, weiß auch, dass er laut seines Briefes vom 27. November 1940 an Eberhard Bethge erwog, seiner Ethik den Titel „Wegbereitung und Einzug“ mitzugeben, und dass das Wortpaar ‚Letztes‘ / ‚Vorletztes‘ die Struktur des vorläufigen Inhaltsaufrisses bestimmte.98 Auch in der Auswirkung der eschatologischen Prägung der Predigt des Gebotes Gottes zeigen sich bei beiden signifikante und interessante Unterschiede, aber man sollte darüber nicht die Übereinstimmung aus dem Auge verlieren. Von daher wäre es erwägenswert, Bonhoeffer und Iwand daraufhin zu befragen, wie sie sowohl in ihren Konvergenzen wie in ihren Divergenzen helfen können, heute in den Grundfragen einer christlichen Ethik voranzukommen.

von Bonhoeffer, Gemeinsames Leben (1939), DBW 5, 13–102, und Iwand, Von der Gemeinschaft christlichen Lebens (1937). 96 Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4,139. 97 Vgl. ebd., 14–20 und 216–230. 98 Bonhoeffer, Konspiration und Haft 1940–1945, DBW 16, 79.

Marco Hofheinz

„Mein Freund ist Dr. Bonhoeffer gewesen“ – oder: „… dass an diesem Punkt bei uns etwas nicht stimmt“ Zur Wiederentdeckung des Widerstandsrechts im 20. Jahrhundert in der politischen Ethik Dietrich Bonhoeffers und Hans Joachim Iwands Für Bertold Klappert „Darum ergreift die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr an bösen Tagen Widerstand leisten könnt“ (Eph 6,11).

1.

Zeitgeschichtlicher Kontext: Der Remer-Prozess (1952) als „Sitz im Leben“ der politisch-ethischen Urteilsbildung Iwands zum Widerstandsrecht

Hans J. Iwand hat sich Anfang der 1950er Jahre intensiv mit Fragen des Widerstandes und einer theologischen Begründung eines Widerstandsrechts beschäftigt. Dabei verfolgte er eine zweifache Stoßrichtung, nämlich einerseits in historischer Recherche die reformatorischen Quellen zu rekonstruieren1 und andererseits seine eigene Position einer theologischen Begründung des Widerstandsrechts2 zu entfalten.3 Die eigene Rechenschaftsabgabe setzt die historische Rekonstruktion insofern voraus, als dass Iwand seine Position „in kritischer Abgrenzung von der Tradition entfaltet und die unverzichtbare Bedeutung der Zivilgesellschaft herausgestellt“4 hat. Die Tradition betraf zum einen die allgemeine deutsche, „in ihren tiefsten Affekten antidemokratische Staats- und Verfassungsgeschichte“5 und − damit eng verwoben − zum anderen die kirchliche konservativ-restaurative lutherische Tradition, für die nach Iwand der Name Friedrich Julius Stahl (1802−1861) 6 steht. Ihren unmittelbaren Sitz im Leben 1 2 3 4 5

Vgl. Iwand, Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 193−229. Vgl. ders., Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 230−242. Vgl. Reuter, Art. Widerstand/Widerstandsrecht III, 769. Lienemann, Magna Carta christlicher Friedensethik, 92. Iwand, Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 198. Vgl. dazu auch ders., Ordnung und Revolution, NW 2, 153−192. 6 Zu Stahl vgl. bes. Iwand, Ordnung und Revolution, NW 2, 180−192; ders., Verlust der theologischen Existenz, 514f. Dazu den Hertog, Nachwort, 497−501.

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hatte Iwands Beschäftigung darin, dass er zusammen mit seinem Freund Ernst Wolf (1902−1971) 7 zum Gutachter8 im sog. „Remer-Prozess“ bestellt worden war9 und sich als solcher auch der Befragung vor Gericht stellte. Der ehemalige Generalmajor Otto Ernst Remer (1912−1997) hatte als Major des Wachbataillons Großdeutschland nach dem Attentat vom 20. Juli 1944, das Graf Stauffenberg im Führerhauptquartier „Wolfschanze“ durchführte, die Operation „Walküre“ in der Bendlerstraße in Berlin niedergeschlagen.10 Nach dem Krieg gehörte er zu den Gründern der offen neonazistisch ausgerichteten „Sozialistischen Reichspartei“ und bezeichnete auf einer Parteiveranstaltung am 3. Mai 1951 im „Schützenhaus“ in Braunschweig die Verschwörer des 20. Julis als vom Ausland bezahlte Landesverräter: Es wird die Zeit kommen, in der man schamhaft verschweigt, daß man zum 20. Juli 1944 gehört hat. Wenn man schon bereit ist, Hochverrat zu begehen, dann bleibt die Frage offen, ob nicht in sehr vielen Fällen dieser Hochverrat gleich Landesverrat ist. Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden.11

Vor der Dritten Großen Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts wurde im Frühjahr 1952 gegen ihn, wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Anklage erhoben. Der schließlich zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilte Remer entzog sich dem Urteil durch Flucht ins Ausland. Iwand unterstütze im Remer-Prozess, der im In- und Ausland große Aufmerksamkeit fand, die Anklage.12 In der Befragung durch den Verteidiger RA Dr. Wehage lässt Iwand an seiner Intention keinen Zweifel: [I]ch bin hier und […] setze mich mit meiner Überzeugung für die Männer des 20. Juli ein. Insofern wird das praktisch, Herr Doktor, denn es gilt wenigstens nachträglich die rechte Erkenntnis daraus zu gewinnen. […] Das Praktischwerden der Vergangenheit

7 Zu Wolfs Verständnis vgl. Wolf, Sozialethik, 304−319. Fernerhin: ders., Art. Widerstandsrecht, 1681−1692. 8 Vgl. Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 9−18. 9 Der Braunschweiger Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903−1968) betrieb „den Prozeß mit Nachdruck […]. Er verpflichtete zur Einschätzung der geschichtlichen und ethischen Bedeutung des gewaltsamen Widerstandes gegen die Diktatur mehrere Gutachter, darunter Iwand. So war Iwand genötigt, sich in dieser Zeit noch einmal an den 20. Juli und seine Folgen zurückzuerinnern.“ Seim, Iwand, 286. 10 Zur Rolle Remer am 20. Juli vgl. Zentner, Illustrierte Geschichte, 575−589. 11 Vgl. Urteil, 109. 12 Vgl. Seim, Iwand, 434: „Im braunschweiger Prozeß wurde Iwand von Remers Verteidigern befragt, das heißt in diesem Zusammenhang, sie wollten seine gutachterliche Stellungnahme möglichst außer Kraft setzen.“

„Mein Freund ist Dr. Bonhoeffer gewesen“

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liegt ja auch in meiner Vergangenheit in gewisser Hinsicht vor. Mein Freund ist etwa Dr. Bonhoeffer gewesen, auch ein Freund von Herrn Wolf.13

Es ging Iwand offenkundig auch darum, vor Gericht mit den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 auch seinen hingerichteten Freund Dietrich Bonhoeffer posthum rehabilitiert zu wissen. Diese Rehabilitierung betraf indes auch die damals höchst umstrittene kirchliche und theologische Wahrnehmung Bonhoeffers. So nimmt Iwand in seinem Vortrag „Das Widerstandsrecht der Christen nach der Lehre der Reformatoren“ (1952) auf den Umstand Bezug, dass Bonhoeffers Name zeitweise auch von der Fürbittenliste des Bruderrates der Bekennenden Kirche verschwand und fragt kritisch: „Wer von all denen, die heute Dietrich Bonhoeffer rühmen, betete damals öffentlich für ihn und seine Freunde?“14

2.

Biographische Berührungspunkte zwischen Iwand und Bonhoeffer im „Dritten Reich“

Iwand und Bonhoeffer müssen einander nahe gestanden haben. Zwischen beiden lassen sich mancherlei lebensgeschichtliche, aber auch inhaltlich-positionelle bzw. theologische Parallelen ziehen, etwa auf dem Feld der Friedensethik15, der Ökumene16 und der Kreuzes17- und Israeltheologie18. Bonhoeffer und Iwand bekamen beide die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, die Bonhoeffer 1939 mit seiner Reise nach New York 1939 zunächst tatsächlich wahrnahm, während der mit einer sog. „Halbjüdin“ verheiratete Iwand,19 der über das Jahresende 1938 im Gefängnis saß, dies nicht realisieren konnte.20 Die markanteste Gemeinsamkeit besteht vielleicht darin, dass sich beider Wege „definitiv von einem bestimmten verhängnisvollen Obrigkeitsgehorsam [trennten], wie er für weite Teile des Lu13 Befragung, 19. 14 Iwand, Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 196. 15 Zu den friedensethischen Parallelen zwischen dem Iwand der Nachkriegszeit und Bonhoeffer vgl. Lienemann, Magna Carta christlicher Friedensethik, bes. 72−79. Lienemann verweist auf markante Parallelen zwischen Dietrich Bonhoeffers (Rede auf der Fanø-Konferenz, DBW 13, 298−301) Morgenandacht in Fanø (1934) und Iwands Entwurf eines Friedenswortes für die Synode der EKD von Berlin-Weißensee (1950), FO, 33−43. 16 Vgl. Neddens, „Reine Lehre“, 234. Vgl. auch Sänger, Ökumenische Einheit, 211−228. 17 So der Hinweis von v. Lüpke, Kirche des Wortes, 206. Vgl. Thaidigsmann, Der wirkliche Gott, 204−219. 18 Vgl. Klappert, Israel und die Völkerwelt, 241−258; sowie ders., Weg und Wende Dietrich Bonhoeffers, 58−104; Kraus, Kirche und Judentum, 208−229. 19 Vgl. Seim, Israel und die Juden, 48. 20 Vgl. ders., Iwand, 236.

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Marco Hofheinz

thertums jahrhundertelang charakteristisch war.“21 Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich beide dezidiert lutherischen Theologen in unmittelbarer Nähe zur dialektischen Theologie, insbesondere derjenigen Karl Barths22 bewegten. Freilich bestehen auch Unterschiede, auf die etwa die Bemerkung Peter-Paul Sängers verweist: Iwand ist Hitlers und Himmlers Konzentrationslagern nur um Haaresbreite entgangen. Der Weg in den politischen Widerstand lag damals noch nicht so vor ihm, wie Bonhoeffer ihn gegangen ist. Iwand war jedoch einer von denen, die in Bonhoeffers letztem Schritt die Konsequenz aus der gelebten theologischen Existenz begriffen und begreifen konnten.23

Beide, Iwand und Bonhoeffer, waren seit 1935 als Leiter eines der fünf Predigerseminare der Bekennenden Kirche, die vom altpreußischen Bruderrat eingerichtet und unterhalten wurden, bis zu deren Schließung Kollegen: Iwand als Leiter des ostpreußischen Predigerseminars und Bonhoeffer als Leiter des pommerschen.24 Vermutlich haben sich beide im selben Jahr im niederländischen Doorn anlässlich einer Zusammenkunft der Dozentenkollegien der neugegründeten kirchlichen Hochschulen Berlin und Wuppertal mit Karl Barth in der Osterwoche, genauer: vom 14.−16. April 1935, erstmalig getroffen. Dort wurden Barths Thesen zur Verhältnisbestimmung von „Evangelium und Gesetz“ diskutiert, die zu Iwands dominierendem theologischen Thema in der Predigerseminarszeit und darüber hinaus werden sollten.25 Bonhoeffer und Iwand sind die Verfasser der beiden theologischen Bücher, die aus den Predigerseminaren kamen: Bonhoeffers „Nachfolge“ und Iwands „Gesetz und Evangelium“.26 Beide Theologen wurden den radikalen „Dahlemiten“ zugerechnet,27 wenngleich Iwand „mit manchen Härten der ‚Dahlemiten‘ nicht einverstanden [war] und noch 1938 den Schulterschluß mit den sogenannten intakten Kirchen, genau mit dem bayerischen Bischof Meiser“,28 suchte. Dagegen erhob Bonhoeffer Einspruch.29

21 Lienemann, Magna Carta christlicher Friedensethik, 91f. 22 Vgl. Barth, Gotteserkenntnis, 203−219. Dazu Hofheinz, „Er ist unser Friede“, 454−459; Kreck, Widerstandsrecht und Widerstandspflicht, 119−141, bes. 124−131. 23 Sänger, Annäherung an Iwand, 10. 24 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 484f.; Seim, Iwand, 153. 25 Vgl. Seim, Iwand, 175. 26 Vgl. ebd., 186. Einem kurzen Vergleich unterzieht Seim (ebd., 215−217) auch Bonhoeffers Studie „Gemeinsames Leben“ und die beiden Abschiedspredigten Iwands vom Predigerseminar in Jordan, die beide in derselben Schriftenreihe „Theologische Existenz heute“ als Band 52 (Iwand, 1937) und 61 (Bonhoeffer, 1939) erschienen. 27 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 681f. 28 Seim, Iwand, 165. Vgl. auch ebd., 224f.; Bethge, Bonhoeffer, 680f. 29 Vgl. Seim, Iwand, 171. Vgl. auch ders., Vorwort zum Briefwechsel, 195.

„Mein Freund ist Dr. Bonhoeffer gewesen“

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Zu einem letzten gemeinsamen Treffen kam es am 26. Juli 1939 in Dortmund, wo Iwand inzwischen Gemeindepfarrer war. Ob sie dort die Weiterführung der Seminararbeit besprachen,30 ist unklar. Jedenfalls berichtete Iwand nach dem Krieg von diesem letzten Gespräch mit Bonhoeffer,31 „wo ich Zweifel gegenüber seiner Neigung zum Pazifismus zum Ausdruck brachte. Ich wurde ja mit dieser Anschauung, die ich heute habe, nicht geboren.“32 Bonhoeffer hatte sich offensichtlich kritisch über den Sinn von Krieg überhaupt geäußert, was Iwand als politische Stellungnahme deutete, die er damals noch nicht im Rahmen der theologischen Opposition der Bekennenden Kirche unterzubringen vermochte:33 [D]arum konnte er im Gespräch mit Bonhoeffer den Krieg noch für ein Mittel der Politik halten, wenn auch nicht eben als ein wünschenswertes. Nun war der Austausch über dieses Thema nicht der Grund für Bonhoeffers Besuch in Dortmund, es gab genügend andre. Kritische Theologen der bekennenden Kirche mußten ein Interesse am theologischen Austausch haben, gewiß auch im politischen Horizont, wenn sie an Paul Schneider dachten, dessen schrecklichen Tod die Staatsmacht verantwortete.34

Erst auf der Kirchenkonferenz in Treysa (28.−31. 8. 1945) bzw. der Frankfurter Vorkonferenz (21.−27. 8. 1945) dürfte Iwand vom Tod Bonhoeffers erfahren haben. Jedenfalls lernte er dort Eberhard Bethge kennen, „der nicht nur das berliner Synodalwort mitbrachte, das ein erstes kirchliches Schuldbekenntnis aussprach und mit Iwands Hilfe schließlich von der Versammlung in Treysa übernommen wurde; sondern der auch Nachrichten von Dietrich Bonhoeffers nachgelassenen Arbeiten übermittelte.“35 In einem Rundbrief schrieb Iwand am 19. September, zwei Wochen nach seiner Rückkehr aus Treysa: Das letzte Vermächtnis Bruder Bonhoeffers, seine „Ethik“, ist in Bearbeitung und wird in absehbarer Zeit allen zugänglich sein. Noch über seinen Tod hinaus wird er uns helfen, Wege zu finden, die die Kirche Jesu Christi heute gehen muß.36

30 So Bethge, Bonhoeffer, 744; anders Seim, Iwand, 245. 31 Vgl. Burdach, Iwand, 58f. 32 Zit. n. Seim, Iwand, 11. In seinem Brief vom 27. 1. 1935 an Elisabeth Zinn berichtet Bonhoeffer von seiner „Wende“ zur Bergpredigt und zum christlichen Pazifismus: „Der christliche Pazifismus, den ich noch kurz vorher […] leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als Selbstverständlichkeit auf.“ DBW 14, 113. 33 Edgar Thaidigsmann (Reformation und Moderne, 111f.) beobachtet bei Iwand in der Zeit des Dritten Reiches, anders als bei Bonhoeffer, „[eine] Vernachlässigung ethischer Fragen“, fügt indes hinzu: „Doch unverkennbar macht sich Iwand nach 1945 daran, die, wie er sagen kann, in der Zeit der Bekennenden Kirche entlaufenen Fragestellungen, und dazu gehören vor allem die ethischen Herausforderungen in der modernen Welt, einzuholen.“ 34 Seim, Iwand, 246. 35 Ebd., 300. 36 Zit. n. Seim, Iwand, 302.

108

3.

Marco Hofheinz

„Die Struktur der Verantwortung“. Widerstand als Übernahme von Verantwortung nach Dietrich Bonhoeffer

Dieser gegenwartsbezogene, nach Wegweisung und neuen Einsichten für das „Hier und Heute“ fragende Rezeptionsgestus Iwands, mit dem er die inzwischen längst zum Klassiker im eminenten Sinne avancierte Ethik Bonhoeffers bewirbt, kennzeichnet Iwands Bonhoeffer-Rezeption. Deren Spuren lassen sich insbesondere in Iwands Auseinandersetzung mit dem Widerstandsrecht erkennen. Dazu bemerkt Iwands Biograf Jürgen Seim: „Iwand muß von der Frage nach dem Widerstandsrecht fasziniert gewesen sein, vielleicht weil er sich nachträglich vorwarf, nicht anders widerstanden und die Mitwisserschaft nicht in Mittäterschaft übersetzt zu haben.“37 Dass sich von Bonhoeffer allenfalls Spuren in Iwands politischer Ethik finden, hat sicherlich mit diesem besonderen Rezeptionsgestus zu tun, der kein werkgeschichtliches Interesse kennt und eher indirekt als direkt erfolgt. Im Braunschweiger Remer-Prozess berief sich Iwand indes ausdrücklich auf Bonhoeffer. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass Iwand und Wolf in der abschließenden Würdigung ihres Gutachtens auf den Verantwortungsbegriff rekurrieren, der den Leitbegriff der Ethik Bonhoeffers bildet: Wenn aber schließlich in dem Augenblick, da deutlich wurde, daß alles verloren war und das Chaos einzubrechen drohte, Männer aus dem Kreise der Widerstandsbewegung sich entschlossen, unter dem formellen Bruch eidlicher Verpflichtung und mit Gewalt den Inhaber der obersten Staatsgewalt zu beseitigen, so haben sie damit ein Zeichen aufgerichtet, für echte, christliche und politische Verantwortung, welches der Ansatz sein könnte zu einer Neubesinnung auf das Recht und die Grenzen der politischen Gewalt. […] Wir haben als Christen nicht über den politischen Ertrag dieses Einsatzes zu befinden, wohl aber die Aufgabe, die sittliche Bedeutung der hier sichtbaren Staatsgesinnung für einen echten Neubau unseres bis in den Grund hinein zerrütteten Staatswesens zu würdigen.38

Iwands Würdigung des Widerstandes als „Zeichen für echte christliche und politische Verantwortung“ knüpft an Bonhoeffers Konzipierung der Ethik an, die treffend als eine sich „vor dem Hintergrund der Rechtfertigung durch Gott im

37 Ebd., 434. 38 Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 18. Ähnlich Iwand, Widerstandsrecht der Christen, 196: „Aber wenn sie heute sagen, daß sie auf der Seite eines solchen unser Volk innerlich und äußerlich verwüstenden Regimes stehen mußten, weil es die gottgesetzte Obrigkeit war, − und daß die Männer, die dagegen das Schwert erhoben haben, darum gegen Gottes Gebot handelten − dann lasse ich solchen Theologen und Laien ihre Theorie, ihre Gebete und ihre Obrigkeitstreue und gehe heraus aus einer solchen Kirche zu denen, die die letzte Verzweiflung und Not dazu getrieben hat, etwas Tapferes zu tun.“

„Mein Freund ist Dr. Bonhoeffer gewesen“

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Vorletzten bewegende[] Verantwortungsethik im Vorletzten“39 charakterisiert wurde. Bonhoeffers, zwischen Sommer 1940 und April 1943 entstandener, EthikEntwurf, zu den ihn der Bruderrat der Bekennenden Kirche 1939 aufforderte,40 liegt bekanntermaßen nur als Fragment vor, das erst posthum von Bonhoeffers Freund und späteren Biograph Eberhard Bethge gesichtet, veröffentlicht und seitdem mehrfach umgestellt wurde. Es entstand im Kontext von Bonhoeffers konspirativer Tätigkeit seit Herbst 1941 an mehreren Orten,41 was bedacht sein will: Die Ethik ist Begleitreflexion seiner Tätigkeit im Kreise der Verschwörer – eine Parallele, die sich bis in die Bedingungen des praktischen Handelns und seiner ethischen Reflexion ausziehen lässt: Dem konspirativen Gebot des Schweigens entspricht die Sprache der Verschlüsselung, die die Ethikmanuskripte bestimmt. Daraus folgt, dass ‚an vielen Stellen das Gesagte nicht deckungsgleich mit dem Gemeinten (ist)‘, Was bedeutet es beispielsweise, wenn Bonhoeffer von der ‚Notwendigkeit der freien, verantwortlichen Tat‘ redet, die ‚auch gegen Beruf und Auftrag wahrgenommen werden muss (DBW 8,24)? Nicht auf den ersten Blick wird für die Nachgeborenen erkennbar sein, dass es sich bei diesem Satz um einen Aufruf handelt, ‚die Vorbereitungen des Widerstandes nun endlich in die Tat umzusetzen‘.42

39 Frey, Repetitorium der Ethik, 259. 40 Vgl. I. Tödt, Vorwort der Herausgeber, 7f. 41 Bonhoeffers Weg in den Widerstand zeichnet Strohm (Theologische Ethik) nach. Strohm urteilt sehr differenziert, fern jeder Stilisierung eines Heldenepos: „Der Nachweis einer Würdigung der vom Nationalsozialismus bedrohten und bekämpften liberalen Traditionen darf nicht den Blick dafür versperren, daß auch andere − zum Teil gegenläufige − Sachmomente in Bonhoeffers politischer Ethik wirksam sind. Neben der konservativen Hervorhebung des Wertes der überkommenen Bindungen findet sich ein autoritatives und elitäres Moment, das die persönliche Verantwortung der Personen in den Ämtern betont und die Legitimation der Autorität durch die Massen skeptisch beurteilt. Im Unterschied zu weiten Teilen in Kirche und Theologie hat Bonhoeffer jedoch Verfassungsstaat, Menschenrechte, Demokratie und Emanzipation zur rechtlichen Gleichheit aller Menschen nicht pauschal als ‚westliche‘ Verwirrungen abgelehnt. Vielmehr erkannte er die Gefahr der ‚antineuzeitlichen Bindungen neulutherischer Theologie und bemühte sich − gerade als lutherischer Theologe − um den Durchbruch der theologischen Ethik zu einem Wirklichkeits- und Politikverständnis, welches das faktisch vollzogene Mündigwerden der Welt, also eben die Neuzeit, begriff und verarbeitete.‘“ Ebd., 346. Vgl. dazu etwa Bonhoeffer, Theologisches Gutachten: Staat und Kirche, DBW 16, 506−535. Vgl. auch: Tietz, Bonhoeffer, 90−97, bes. 92. 42 Gremmels, Was heißt Verantwortung übernehmen?, 37. Im Anschluss an H.E. Tödt, Theologische Perspektiven, 163. Skeptisch urteilt Hauerwas (Performing the Faith, 35f.): „How to understand Bonhoeffer’s involvement with the conspiracy associated with Admiral Canaris and Bonhoeffer’s brother-in–law, Hans von Dohnanyi, I think can never be determined with certainty. Bonhoeffer gratefully accepted von Dohnanyi’s offer to become a member of the Abwehr because it gave him the means to avoid conscription and the dread necessity to take the oath of loyalty to Hitler. Many assume Bonhoeffer knew the conspiracy involved an attempt to kill Hitler, but that remains in doubt. In spite of his complete lack of knowledge of guns or bombs, he offered to be the one to assassinate Hitler. Yet the secrecy required by the conspiracy means that we do not have available any texts that could help us to know how

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Für Bonhoeffers Ethik-Entwurf ist charakteristisch, dass er nach der Verantwortung vor Gott im Sinne einer theologischen Legitimation des Vorletzten aus dem Letzten fragt. Bonhoeffer reflektiert die Frage nach der Verantwortung jenseits der berühmten Distinktion Max Webers zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Zu den zentralen Begriffen dieser unausweichlich diesseitigen christlichen Verantwortungsethik gehören a) Stellvertretung, b) Wirklichkeitsgemäßheit, c) Selbstzurechnung bzw. Schuldübernahme und d) das Wagnis der Tat bzw. Freiheit, wie der für die Widerstandsthematik wohl einschlägigste Abschnitt „Die Struktur verantwortlichen Lebens“43 zeigt: Die Struktur des verantwortlichen Lebens ist durch ein doppeltes bestimmt: durch die Bindung des Lebens an Mensch und Gott und durch die Freiheit des eigenen Lebens. Es ist diese Bindung des Lebens an Mensch und Gott, die es in die Freiheit eigenen Lebens stellt. Ohne diese Bindung und ohne diese Freiheit gibt es keine Verantwortung. Nur das in der Bindung selbstlos gewordene Leben steht in der Freiheit eigensten Lebens und Handelns. Die Bindung trägt die Gestalt der Stellvertretung und der Wirklichkeitsgemäßheit, die Freiheit erweist sich in der Selbstzurechnung des Lebens und Handelns und im Wagnis der konkreten Entscheidung. Damit ist die Disposition angegeben, unter der wir die Struktur des verantwortlichen Lebens zu betrachten haben.44

Bonhoeffer benennt hier die entscheidenden Strukturmerkmale der Verantwortung, die zum einen allesamt christologisch grundiert sind und zum anderen einen mittelbaren, nämlich christologisch vermittelten Bezug zur Widerstandsthematik aufweisen. Dies dürfte beim Stellvertretungsmotiv unmittelbar evident sein, gilt aber auch für die anderen Strukturmerkmale. Bonhoeffer folgt in seinem gesamten ethischen Oeuvre einer christologischen Grammatik, die durchaus mancherlei Wandlungen unterworfen ist:45 a) Stellvertretung: Hierbei handelt es sich nach Bonhoeffer um das zentrale christologische Motiv:46 Weil Jesus, − das Leben, unser Leben, − als der Menschgewordene Sohn Gottes stellvertretend für uns gelebt hat, darum ist alles menschliche Leben durch ihn wesentlich stellvertretendes Leben. […] In dieser realen Stellvertretung, die seine menschliche Existenz ausmacht, ist er der Verantwortliche schlechthin. Weil er das Leben ist, ist durch ihn alles Leben zur Stellvertretung bestimmt.“47 Stellvertretung wird von Bon-

43 44 45 46 47

Bonhoeffer understood how this part of his life fit or did not fit with his theological convictions or his earlier commitment to pacifism.” Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 256−289. Ebd., 256. Dies hat Feil (Theologie Dietrich Bonhoeffers, bes. 288f.) zu Recht geltend gemacht. So auch Heuser, Cost of Citizenship, bes. 49.59. Heimbucher (Christusfriede − Weltfrieden, 345) spricht sogar vom „zentrale[n] Strukturprinzip christlicher Ethik“. Vgl. Daub, Stellvertretung Jesu Christi. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 257f.

„Mein Freund ist Dr. Bonhoeffer gewesen“

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hoeffer als das „Fundament“ der Verantwortung bestimmt: „Verantwortung [beruht] auf Stellvertretung.48

Diese Bestimmung zur Stellvertretung betrifft in zentraler Weise die Ausrichtung des menschlichen Handelns − bis dahin, dass es für den Christenmenschen darum gehen kann, stellvertretend schuldig zu werden, so wie Christus es getan hat. Wie sich diese Verantwortung konkretisiert, steht indes nicht apriori fest. Der Verantwortliche kann sich an keine Prinzipienethik klammern, die Verantwortungsübernahme erfolgt eben nicht prinzipialistisch, sondern situativ: Der Verantwortliche ist an den konkreten Nächsten in seiner konkreten Wirklichkeit gewiesen. Sein Verhalten liegt nicht von vornherein und ein für allemal, also prinzipiell fest, sondern es entsteht mit der gegebenen Situation. Er hat kein absolut gültiges Prinzip zur Verfügung, das er fanatisch gegen jeden Widerstand der Wirklichkeit durchzuführen hätte, sondern er sucht das in der gegebenen Situation Notwendige zu erfassen und zu tun. […] Nicht ein ‚absolut Gutes‘ soll verwirklicht werden, vielmehr gehört es zu der Selbstbescheidung des verantwortlich Handelnden, ein relativ Besseres dem relativ Schlechteren vorzuziehen und zu erkennen, daß das ‚absolut Gute‘ gerade das Schlechteste sein kann.49

Das gilt auch und gerade für den Widerstand, an den keine Moral der Prinzipien und der Normen heranreicht, da die Entscheidung einen Menschen zu töten und zwar aus Verantwortung im Blick auf die bereits erfolgten und noch anstehenden Opfer nicht einfach im Sinne einer Güterabwägung, eines Normenkontrollverfahrens oder einer Prinzipienhierarchisierung glatt aufgeht. b) Wirklichkeitsgemäßheit: Auch sie weist eine markante christologische Prägung auf. Wirklichkeitsgemäßheit geht aus von dem einen Wirklichen, nämlich Jesus Christus: Die Wirklichkeit ohne den Wirklichen verstehen zu wollen, bedeutet in einer Abstraktion leben, der der Verantwortliche niemals verfallen darf, bedeutet Vorbeileben an der Wirklichkeit, bedeutet endloses Schwanken zwischen den Extremen der Servilität und der Auflehnung gegenüber dem Faktischen.50

In Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Mensch ist die Einheit von Gottesund Weltwirklichkeit gegeben, so dass es keine von Jesus Christus unabhängige, Eigengesetzlichkeiten unterworfene Wirklichkeit mehr gibt: Wirklichkeitsgemäß ist das christusgemäße Handeln, weil es die Welt Welt sein läßt, weil es mit der Welt als Welt rechnet und doch niemals aus den Augen läßt, daß die Welt in Jesus Christus in Gott geliebt, gerichtet und versöhnt ist.51

48 49 50 51

Ebd., 256. Ebd., 260. Ebd., 261. Ebd., 263.

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Dies bedeutet eine Aufhebung des Dualismus zweier Räume, mögen diese als Natur und Gnade, Glaube und Vernunft, Gesinnung und Verantwortung gedacht und verstanden werden: Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt, die Weltwirklichkeit aber finde ich immer schon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes vor.52

Auch die Obrigkeit, die wie die übrigen drei „Mandate“ Gottes in der Welt, nämlich Arbeit, Ehe/Familie und Kirche unter Gottes Auftrag stehen,53 stellt im Sinne einer Inanspruchnahme die Konkretisierung dieser Wirklichkeit dar, sodass die Obrigkeit daran zu messen ist. Der Gedanke des Widerstandes ergibt sich aus der obrigkeitlichen Missachtung ihrer Wirklichkeitsgemäßheit. Der Widerstand fällt unter jene „Notwendigkeiten“ für das Gebiet des Politischen, die „unmittelbar an die durch kein Gesetz gebundene freie Verantwortung des Handelnden“ appellieren und „ihrem Wesen nach Grenzfälle“ sind, also nicht zum Normalfall werden dürfen, sondern ultima ratio bleiben müssen: „Alles wird im tiefsten Grunde verkehrt, wenn die ultima ratio selbst wieder zu einem rationalen Gesetz gemacht wird, wenn aus dem Grenzfall das Normale, wenn aus der necessita eine Technik gemacht wird.“54 c) Selbstzurechnung/Schuldübernahme: Wiederum macht Bonhoeffer hier eine christologische Begründung geltend: Weil es Jesus nicht um die Proklamation und Verwirklichung neuer ethischer Ideale, also auch nicht um sein eigenes Gutsein (Mt 19,17!), sondern allein um die Liebe zum wirklichen Menschen geht, darum kann er in die Gemeinschaft ihrer Schuld eintreten, sich mit ihrer Schuld belasten lassen.55

Die Folgerung resultiert „allein“ (particula exclusiva!) aus der Liebe als deren „Voraussetzung“. Freilich schließt Christi stellvertretende Schuldübernahme nicht menschliche Schuldübernahme aus, sondern ein: „In diesem sündlosschuldigen Jesus Christus hat nun jedes stellvertretend verantwortliche Handeln seinen Ursprung. […] Weil Jesus die Schuld aller Menschen auf sich nahm, darum wird jeder verantwortlich Handelnde schuldig. […] Daß der Sündlose, der selbstlos Liebende schuldig wird, gehört durch Jesus Christus zum Wesen verantwortlichen Handelns.“56 Wiederum gilt auch im Widerstand, es ihm gleich zu tun und stellvertretend Schuld zu übernehmen.57 Die moralische Distanz zur 52 53 54 55 56 57

Ebd., 40. Zur Mandatenlehre vgl. ebd., 54−60.392−412. Ebd., 273. Ebd., 275. Ebd., 276. Treffend bemerkt Gremmels, Was heißt Verantwortung übernehmen?, 45: „Das wirkliche Thema dieser Überlegungen blieb unausgesprochen und musste aus Gründen der Geheim-

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Schuld wird hier gleichsam christologisch aufgehoben − durch das Gebot, wie Christus stellvertretend schuldig zu werden. Moralische Reinheit in der Selbstzurechnung gibt es nicht, indes aber das durch Christus befreite Gewissen,58 das zu einem Eintreten in fremde Schuld bereit ist: Wer in Verantwortung Schuld auf sich nimmt – und kein Verantwortlicher kann dem entgehen – der rechnet sich selbst und keinem anderen die Schuld zu und steht für sie ein, verantwortet sie. […] Vor den anderen Menschen rechtfertigt den Mann der freien Verantwortung die Not, vor sich selbst spricht ihn sein Gewissen frei, aber vor Gott hofft er allein auf Gnade.59

Gott ist nach Bonhoeffer die Instanz der Verantwortung, denn er ist es, „der die menschliche Tat in der Geschichte gut [macht]“,60 auch die an sich böse Tat des Führermordes. Auch diese Tat bleibt Schuld.61 Bonhoeffer stellt folgerichtig die Frage nach einer Handlungsalternative. Er kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass ein „[t]atenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen […] keine christlichen Haltungen“62 darstellen, aber dennoch bleibt die „letzte Frage […] offen und muß offen gehalten werden; denn so oder so wird der Mensch schuldig und so oder so kann er allein von der göttlichen Gnade und der Vergebung leben.“63 d) Wagnis der freien Tat/Freiheit: Freiheit ist nach Bonhoeffer paradoxer Weise ohne Bindung an Gott und den Nächsten nicht möglich. Beide begegnen uns − wiederum benutzt Bonhoeffer die Zweinaturen-Lehre als Interpretament − in Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen. Verantwortung setzt solche Freiheit voraus und wird sich infolge dessen auch als Verantwortung in der Bindung an Gott und den Nächsten realisieren und konkretisieren: Das Handeln des Verantwortlichen geschieht in der allein und gänzlich befreienden Bindung an Gott und den Nächsten, wie sie mir in Jesus Christus begegnen, es geschieht dabei ganz im Bereich der Relativitäten, ganz in dem Zwielicht, das die geschichtliche

58 59 60 61

62 63

haltung auch unausgesprochen bleiben: Bonhoeffer beschreibt die ethische Situation der Verschwörer, die es um der Wiederherstellung des Rechts in Deutschland auf sich nahm, gegen das Recht zu verstoßen.“ Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 279. Ebd., 283. Ebd., 225. Treffend Jones, Embodying Forgiveness, 28: „Even when ‚responsible action‘ is justified by ‚necessity,‘ however, Bonhoeffer contended that the Christian is not freed from his or her relation to and need for God’s forgiveness […]. The person ‚hopes‘ for God’s mercy; he or she cannot presume it. If it becomes a presumption rather than something that must be hoped and prayed for under the reality of God’s judgment, then the action loses its quality of repentance and becomes a cheap and venal grace. This is how Bonhoeffer understood his own involvement in the resistance and in the plot to assassinate Hitler.“ Ähnlich auch Krötke, Freies Wagnis und Schuld, 430. Bonhoeffer, Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943, DBW 8, 34. Vgl. dazu H.E. Tödt, Theologische Perspektiven, 161−169. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 275.

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Situation über Gut und Böse breitet, es geschieht mitten in den unzähligen Perspektiven, in denen jedes Gegebene erscheint. Es hat nicht einfach zwischen Recht und Unrecht, Gutem und Bösen zu entscheiden, sondern zwischen Recht und Recht, Unrecht und Unrecht. […] Das verantwortliche Handeln ist eben darin ein freies Wagnis durch kein Gesetz gerechtfertigt, vielmehr in Verzicht auf jede gültige Selbstrechtfertigung geschehend, im Verzicht eben damit auf ein letztes gültiges Wissen um Gut und Böse. Das Gute als das Verantwortliche geschieht in der Unwissenheit um das Gute, in der Auslieferung der notwendig gewordenen und doch (oder darin!) freien Tat an Gott, der das Herz ansieht, der die Taten wiegt und die Geschichte lenkt.64

Im Gedicht „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“65 umschreibt Bonhoeffer das „Wagnis“ als „Tat“: Tat. Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist sie Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.66

Im Wagnis der Tat realisiert sich nach Bonhoeffer Freiheit. Die particula exclusiva „allein in der Tat“ macht dies deutlich: Die Freiheit sucht ihr Maß, indem sie die gegenwärtige geschichtliche Situation als Herausforderung zur Tat annimmt. Die Ethik der freien, sich auf die Wirklichkeit der Geschichte einlassenden Tat […] ist Kritik an einer sich im Wissen um Gut und Böse begründenden Ethik, die sich ‚in der Flucht der Gedanken‘ zu gewinnen sucht, aber gerade so zu verlieren droht; Ethik gibt es ‚nur im Vollzug der Tat‘.67

Indes verweist die Gedichts-Strophe in ihrem Fortgang auch auf die tragenden Größen, nämlich das Gebot Gottes und den Glauben. Im Wagnis der Tat manifestiert sich zugleich die Gotteserfahrung des Getragenseins. Diese Dialektik jenes Zugleichs umschreibt eine Doppelbewegung,68 die den christologischen 64 Ebd., 284f. Ähnlich bereits ebd., 274. In seiner „Rechenschaft“ fragt Bonhoeffer (DBW 8, 23): „Wer hält stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist, der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf. Wo sind diese Verantwortlichen? Wo sind diese Verantwortlichen?“ 65 Zur Interpretation vgl. v. Lüpke, Wege zur Freiheit, 61−76.315−319; Ulrich, „Stations on the Road to Freedom“, 147−174. 66 Bonhoeffer, Gedicht „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“, DBW 8, 571. 67 V. Lüpke, Wege zur Freiheit, 72. 68 Wannenwetsch (Gestaltwerdung und Wegbereitung, bes. 58f.) beschreibt diese Doppelbewegung als das Miteinander von „Gestaltwerdung“ (vita passiva) und „Wegbereitung“ (vita activa) bei Bonhoeffer.

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Skopus der Theologie Bonhoeffers markiert: Indem das Wagnis der Tat eine Station auf dem Weg zu Freiheit bildet, ist sie Teil eines Weges, „auf dem Gott, uns zuvorkommend, seine Gnade bereitet.“69 Nach Bonhoeffer ist dieser Weg Christus.70 Diese vier Strukturmerkale, die das Tun des verantwortlichen Christen umschreiben, bilden gleichsam im Sinne eines Vierfußes oder von Stuhlbeinen die christologische Grundierung des Verantwortungsbegriffs.71 Nicht nur in Stellvertretung und Wirklichkeitsgemäßheit zeigt sich die Struktur verantwortlichen Lebens, nämlich als „Bindung des Lebens“, sondern komplementär dazu als „Freiheit des Lebens“, d. h. als Selbstzurechnung des eigenen Tuns und Lebens unter eschatologischer Perspektive und als Wagnis der konkreten Entscheidung, die Gott Recht gibt. Diese Freiheit kann verantwortlich nur im „Vorletzten“ und zwar unter dem kritischen Maß des Letzten gestaltet werden.72 Es bedarf der „Zurechtbringung“ durch Gott. Auch beim Widerstand geht es um ein Handeln im Vorletzten aus der Verheißung des Letzten. Die erläuterten Ausführungen stehen zugleich für Kontinuität und Diskontinuität in Bonhoeffers Denken.73 Die Widerstandssemantik ist einer signifikanten Fortentwicklung unterworfen. Konnte Bonhoeffer noch in der Nachfolge (1937) anhand des Jesuswortes „Widerstehet nicht dem Bösen!“ (Mt 5,39) seine Überzeugung darlegen, dass sich das Böse totlaufen müsse,74 wenn es keinen Widerstand fände, so kann er in seiner Ethik die Freiheit des Verantwortlichen und das Wagnis der Tat betonen, die aus einem befreiten Gewissen heraus bewusst schuldig werden. Treffend hat Christoph Strohm unter Verweis auf den interpretierten Abschnitt von Bonhoeffers Ethik darauf hingewiesen, dass

69 V. Lüpke, Wege zur Freiheit,76. 70 Vgl. Bonhoeffer, Meditation über Psalm 119, DBW 15, 508. Dazu Brock, Bonhoeffer and the Bible, 7−29; v. Lüpke, Leben im Wort, 179−216. 71 So auch Wannenwetsch, The Whole Christ, 93. Vgl. auch Gremmels, Was heißt Verantwortung übernehmen?, 39. 72 Vgl. zur Distinktion zwischen Letztem und Vorletztem, die eine Reformulierung der ZweiReiche-Lehre darstellt, Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 137−162. 73 Zur Einheitlichkeit der Theologie Bonhoeffers vgl. Schmitz, „Nachfolge“ bes. 14−26.258 −264.401−412. Fernerhin: Hofheinz, Bildung als ethisches Lernen, 80−105. 74 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 135f.: „[R]echte Vergeltung besteht nach dem Wort Jesu allein darin, daß dem Bösen nicht widerstanden wird. Mit diesem Wort löst Jesus seine Gemeinde aus der politisch-rechtlichen Ordnung, aus der völkischen Gestalt […] und macht sie zu dem, was sie in Wahrheit ist, nämlich zu der politisch-völkisch nicht gebundenen Gemeinde der Gläubigen. […] Die Überwindung des anderen erfolgt nun dadurch, daß sein Böses sich totlaufen muß, daß es nicht findet, was es sucht, nämlich Widerstand und damit neues Böses, an dem es sich um so mehr entzünden könnte. […] Vergewaltigung wird darin gerichtet, daß ihr keine Gewalt entgegentritt. […] Das willige Leiden ist stärker als das Böse, es ist der Tod des Bösen“.

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[w]eder die juristische Begründung des Widerstandrechts in Form von rechtspositivistischen oder naturrechtlichen Argumentationen noch eine ethische Rechtfertigung […] im Vordergrund [stehen] sondern das Bewusstsein eines durch göttliches Gesetz oder die Stimme des Gewissens gebotenen Handelns, das gerade nicht ohne Schuld möglich ist.75

Zu ergänzen wäre, dass das gebotene Handeln in einer theologischen Reflexion entfaltet wird, die eine markante christologische Grundierung aufweist. Die Verantwortungssemantik ist erkennbar christologisch geprägt.

4.

„Der Anfang der Bestie …“. Das Widerstandsrecht von Christenmenschen nach H.J. Iwand76

Ein markanter Unterschied zwischen den Ausführungen Bonhoeffers und Iwands, wenngleich kaum zehn Jahre zwischen ihnen liegen, besteht darin, dass Bonhoeffers Erörterungen der Widerstandsthematik unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erfolgten. Auf die Verklausulierung der Ausführungen Bonhoeffers wurde bereits hingewiesen. Iwands Ausführungen gehören hingegen in den Kontext der beginnenden kontroversen bundesrepublikanischen Auseinandersetzungen um die politische und juristische Bewertung des Widerstandes gegen Hitler. Iwand diagnostizierte in der damals noch jungen Bundesrepublik bei den Christen eine „Ratlosigkeit“ in der ethischen Beurteilung des Attentats vom 20. Juli, gepaart mit einer geringen Resonanz − „so gering […], daß wir kaum zu sehen vermögen, welche ethische und politische Bedeutung dieser Tat für den Neuaufbau unseres Staates zukommt“.77 Iwand erkennt darin Indikatoren dafür, „daß an diesem Punkt [des Widerstandsrechts; M.H.] bei uns etwas nicht stimmt – und zwar gerade innerhalb des Protestantismus in Deutschland nicht stimmt.“78 Der 20. Juli wird bei Iwand geradezu zum Kristallisationspunkt politisch-ethischer Urteilsbildung in einer noch jungen Bundesrepublik, die aus der Vergegenwärtigung dieses neuralgischen Punktes ihrer Vergangenheit entscheidende politische Weichenstellungen für ihren geschichtlichen Fortgang gewinnen soll: Ich sehe also jenen 20. Juli, an dem ein in der deutschen Geschichte und in der Geschichte der Christenheit bei uns so wohl kaum dagewesenes Ereignis blitzartig unser 75 Strohm, Art. Widerstand/Widerstandsrecht II, 762f. 76 Vgl. speziell zum Widerstandsrecht bei Iwand die beiden Studien: Pauly, „…Daß echte ethische Entscheidungen nicht theoretisch lösbar sind…”, 2−16; Pritzke, Widerstandspflicht der Christen, 1−10. 77 Iwand, Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 193. 78 Ebd., 193f.

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Versäumnis und unsere Hoffnung zugleich beleuchtete, als das Ende einer Epoche an, die zu einer radikalen Neubesinnung im Blick auf die Widerstandspflicht der Christen gegenüber der Staatsgewalt führt.79

Iwand und Wolf kommen in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass nach reformatorischer Auffassung neben dem positiv-rechtlich begründeten ständischen Widerstandsrecht eine gewaltbewehrte Widerstandspflicht des Einzelnen im Fall der „Anomia“80 bzw. einer absoluten Perversion des Staates zu einem „Untier“ (Apk 13) 81 gegeben sei. Genau diesen Fall der Gehorsamsverweigerung hatte bereits Bonhoeffer in seinem leider nicht genau datierbaren theologischen Gutachten „Kirche und Staat“ (1941?) eingeräumt, wenngleich er vor einer „apokalyptischen Diabolisierung der Obrigkeit“ warnte: Ein apokalyptisches Verständnis einer konkreten Obrigkeit müßte den totalen Ungehorsam zur Folge haben; denn dann ist jeder einzelne Akt des Gehorsams offenkundig mit einer Verleugnung Christi verbunden (Apk 13,7).82

Die Verweigerung des Gehorsams kann nach Bonhoeffer nur ein „Wagnis auf die eigene Verantwortung hin“83 sein. Iwand und Wolf sehen eine solche Widerstandspflicht in der unmittelbaren Konsequenz des politisch-ethischen Denkens Luthers liegen, wenngleich „Luthers geschichtliche Bindung in der Frontstellung gegen das Papsttum es ihm verwehrte, eine entsprechende Verkehrung staatlicher Macht, womöglich in pseudoreligiöser Form, in den Blick zu bekommen“.84 Luthers Augen seien diesbezüglich in der spezifischen zeitgeschichtlichen Konstellation des Antipapsttums und der im Papsttum als Gestalt des „Antichrists“ erblickten Pervertierung von Recht und Herrschaft gehalten worden, so dass er de facto für andere „Prätendenten“ und Antagonismen blind gewesen sei: Diese zeitgeschichtlich bedingte Schranke der Konkretisierung seines grundsätzlichen Urteils schließt aber nicht aus, die von ihm für das ‚Untier‘ der Papstherrschaft geltenden Konsequenzen der äußersten, von allen und vom einzelnen zu leistenden Widerstandspflicht, auf den für Luther (noch) undenkbaren Fall einer Dämonisierung weltlicher Herrschaft, eines ‚Unrechtsstaates‘, der ‚ohne Gesetz‘ lebt, anzuwenden.85 79 Ders., Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 237. 80 Vgl. Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 13: „Neben dem Fall der Tyrannis, d. h. des Mißbrauchs obrigkeitlicher Gewalt, der Widerstand als möglich und unter Umständen als geboten erscheinen läßt, kennt Luther auch den Fall der ‚Anomia‘, d. h. der grundsätzlichen Gesetzlosigkeit“. 81 Vgl. zu Apk 13 Roloff, Die Offenbarung des Johannes, 133−147; Wengst, „Wie lange noch?“, 130−160. 82 Bonhoeffer, Theologisches Gutachten: Staat und Kirche, DBW 16, 522. 83 Ebd., 523. Vgl. Krötke, Freies Wagnis und Schuld, 426. 84 Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 14. 85 Ebd.; Iwand (Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 237) bemerkt, „daß

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Im Remer-Prozess antwortete Iwand − als Sachverständiger die individuelle Widerstandspflicht und das Gewissen des Einzelnen mit Bonhoeffer als „Instanz, gegen die zu handeln höchst widerraten ist“,86 betonend − in der Befragung auf die Frage des Verteidigers, Prof. Noack: „Wer entscheidet denn, Herr Sachverständiger, in welchem Augenblick der Staat zum Tier wird? Prof. Iwand: Sie!! Prof. Noack: In welchem Moment? Prof. Iwand: Das ist nach unserer protestantischen Auffassung ziemlich klar, in dem Moment, wo nicht mehr zu unterscheiden ist, erstens ob es sich um ein den äußeren Gehorsam verlangendes oder um ein seelisch-geistliches Regiment handelt. Prof. Noack: Ja, wer entscheidet denn das? Sie? Prof. Iwand: Ja, natürlich, das kann ich genau unterscheiden? Prof. Noack: So? Prof. Iwand: Wenn von Ihnen verlangt wird, daß mit dem Handheben eine Gesinnung zum Ausdruck bringen, dann wissen Sie doch, daß das etwas anderes ist, als wenn ich nur grüße.“87

Iwand spitzt nicht nur − gleichsam wie Nathan − mit dem geradezu prophetischen Gestus des „Du bist der Mann“ (2Sam 7,12) die Widerstandspflicht auf den Einzelnen zu. Er veranschaulicht auch seine Beantwortung der Frage nach dem initium des officium resistendi contra tyrannidem am sog. „Hitlergruß“: Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß Sie mit dem Handheben eine Gesinnung Ihrer Seele zum Ausdruck bringen sollen und somit eine Verbindung vollziehen von äußerer Aktion und innerer Gesinnung. Wenn das ein Staat von Ihnen verlangt, dann verlangt er von Ihnen eine Mischung von geistiger Haltung und praktischem Gehorsam. Das ist der Anfang der Bestie. […] [E]s darf so nicht gehen, daß eine Mischung von Gehorsam des Herzens, der Seele, die für die Ewigkeit bestimmt ist, und irdischen Gehorsams verlangt wird. […] Ich will Ihnen etwas sagen, das werden Sie verstehen. Ein Wort von Luther zum 1. Petr. 2 von der Obrigkeit: ‚Sie wollen, daß wir glauben, was sie glauben und denken, was sie denken, das heißt Gott ins Regiment greifen.‘ – Das ist die Vermischung, damit wird der Staat zum Tier.88

man sogar bei Luther, von dem bisher festzustehen schien, daß er den aktiven Widerstand gegen die Staatsgewalt grundsätzlich verworfen habe − was heute noch die meisten Lutheraner lehren −, entdeckt, daß er den Tyrannenmord gebilligt, ja als christlich befohlen hat, freilich nur als ultima ratio, wo nämlich der Tyrann sich selbst zugleich als die Norm aller Gesetze setzt, wo damit der ‚anomos‘, der gesetzlose Mensch die Macht des Staates an sich reißt.“ 86 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 277. Bonhoeffer (ebd., 276f.) definiert das Gewissen als den „aus einer Tiefe jenseits des eigenen Willens und der eignen Vernunft sich zu Gehör bringende[n] Ruf der menschlichen Existenz zur Einheit mit sich selbst.“ Zum Gewissenbegriff bei Iwand vgl. ders., Das Gewissen, NW 2, 125−152. 87 Befragung, 27. 88 Ebd., 28.

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Von der Widerstandspflicht, die jeden einzelnen Christen betrifft,89 unterscheiden Iwand und Wolf in ihrem Gutachten das Widerstandsrecht,90 welches bei den Reformatoren nicht naturrechtlich, sondern im Anschluss an das positive ständische Recht begründet werde. Dies sei etwa bei Calvin der Fall, der in seiner für den gesamten monarchomachischen Diskurs grundlegenden Darlegung im Schlusskapitel der Institutio (bereits in der Erstausgabe von 1536) den mit den lakedämonischen Ephoren oder den römischen Volkstribunen verglichenen ‚populares magistratus‘, den Ständen, [die] als göttlich verordnete Pflicht [zuspricht], zum Schutz der Freiheit des Volkes gegen die pflichtvergessenen Herrscher vorzugehen.91

Iwand und Wolf sehen hier freilich eine gemeinreformatorische Position formuliert, die konfessionsspezifische Tendenzen übergreifen würde: „In den grundsätzlichen Gedankengängen besteht […] kein wesentlicher Unterschied in den beiden konfessionell verschiedenen Lagern der Reformation.“92 In seinem Vortrag beim Beienroder Konvent 1952 Das Widerstandsrechts nach der Lehre der Reformatoren kann Iwand dieses Urteil zumindest dahingehend partiell revidieren, dass er Melanchthon von diesem gemeinreformatorischen Konsens ausnimmt und ihm attestiert, dass „er das offenbarte Gesetz, also den Dekalog, gänzlich in das ‚ius naturale‘ auflöst“,93 womit er die Grundlage für „die letzte Synthese […] seiner Ineinanderfügung von Kirche und Staat“94 vollzogen

89 Vgl. Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 15: „[Es] erscheint als Christenpflicht, innerhalb der angegebenen Grenzen und Grenzfälle in verschiedener Weise bis zum persönlichen Einsatz des einzelnen mit allen Mitteln für die Aufrechterhaltung zumindest eines Restes von Gesetz und Ordnung in der Welt einzutreten.“ 90 Vgl. auch Wolf, Art. Widerstandsrecht, 1681 (Abkürzungen aufgelöst): „Widerstandsrecht im strengen Sinn muß von Widerstandspflicht und Revolution unterschieden werden. Widerstandsrecht fragt nach rechtlicher Legitimation des Widerstandes, während Widerstandspflicht zunächst und im allgemeinen gegenüber zugemutetem Unrecht oder sonstiger moralisch rechtlicher Vergewaltigung nur moralisch legitimiert, nur fallweise auch mit dem Widerstandsrecht verbunden werden kann“. 91 Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 11. 92 Ebd., 12. So auch ebd., 15: „[I]nnerhalb des gesellschaftlichen Daseins des einzelnen Christen wird von den Reformatoren gegenüber den Richtungen, die damals die Gewaltlosigkeit lehrten, ein Recht auf Widerstand behauptet“. 93 Iwand, Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 213. Iwand schreibt in seinem Brief vom 4. 5. 1953 an Rudolf Hermann (NW 6, 306): „Erschrocken bin ich […], in Melanchthons Epitome theologiae moralis wie auch in seinen Kommentaren zu Aristoteles und Cicero zu sehen, daß dieser alle 10 Gebote auf die lex naturalis zurückführt und damit bereits jenen ‚Existentialismus‘ begründet, der mir bei Bultmann und auch bei Gogarten solch ein Greuel ist.“ 94 Iwand, Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 213. Iwand (Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 234) sieht bei Melanchthon in gewisser Antizipation Hegels „jene Gleichsetzung von Staat und göttlicher Manifestation [ge]geben, die dann für eine christliche, das heißt aus dem Glauben an Gott gewonnene Widerstandspflicht gegenüber der Staats-

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habe. Iwand kommt zu dem wenig schmeichelhaften Ergebnis, dass „dank der theologischen Begründung der Staatsautorität bei Melanchthon das Widerstandsrecht gegen die Obrigkeit gänzlich dahinfällt, nicht anders als bei Hegel in seiner dreihundert Jahre später herausgegebenen Staatslehre.“95 Von der „Dialektik des Aufrührerischen“,96 deren Betonung Luther auszeichne, der mittels derselben die Bedeutung des Kommen Christi „als Umkehrung der von ihnen [den „Regenten“ in den weltlichen und geistlichen Ständen; M.H.] errichteten Ordnung“97 zu fassen versuche, fehle bei Melanchthon jede Spur: „Es fehlte der Sinn dafür, daß dieses Ärgernis, dieses aufrührerische Ereignis des Evangeliums mitten hineingreift in die ‚Ordnungen‘, die ‚externae ordinationes‘ dieser Welt.“98 Luther hingegen sehe klar den „‚tumultarischen‘ Charakter seiner Reformation […]. Das liegt vor allem daran, daß mit dem Kommen des Evangeliums der falsche Gottesdienst – die Idolatrie – erkannt und aufgehoben wird, daß damit die Welt frei wird für Gott und daß dieses der Satan nicht ertragen kann. Weil das Evangelium auf dem Plan ist, darum toben die Heiden. So sieht es Luther.“99 Bezüglich der vorreformatorischen Tradition(en) urteilt Iwand, daß es in der Tradition der christlichen Theologie eine fast durchgängig zu nennende Verurteilung des Tyrannen gibt. Das gilt auch noch von der reformatorischen Schriftauslegung. Soweit ich sehe tritt das erst zurück mit dem Aufkommen des aufgeklärten Staates nach den Religionskriegen.100

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gewalt keinen Raum mehr ließ. Der Staat war selbst zum Organ der göttlichen Offenbarung geworden, um nicht direkt zu sagen: Er war zum Gott geworden.“ Iwand, Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 200. Zur Staatslehre G.W.F. Hegels (Grundlinien der Philosophie, §§ 257−360, 398−512), vgl. auch Iwand, Von Ordnung und Revolution, NW 2, 164−180; ders., Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 234 −246. Fernerhin einführend: Lienemann, Gewalt und Gewaltverzicht, 229−239. Speziell zu Iwands Hegel-Interpretation den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 292−300; Hoffmann, Bezeugte Versöhnung, 156−179; Thaidigsmann, Geschehene und aufgegebene Versöhnung, 49 −62. Iwand sieht die Entwicklung in Deutschland und Europa von Hegels „moderne[m] Staatsbegriff bestimmt, der den Begriff des Absoluten an sich gerissen hat. Das Göttliche wurde gänzlich vom Urgrunde der christlichen Offenbarung getrennt und in dieser Losgelöstheit − in diesem An-und-für-Sich − als Ausdruck der staatlichen Autorität hingenommen. Staatsdienst trat an die Stelle des Gottesdienstes“ (Iwand, Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 234). In Hegels Rechtsphilosophie sieht Iwand „jene These, daß der Staat die ‚ordinatio Dei‘ ist, auf die Spitze getrieben. Der Staat ist, auch in seiner depraviertesten Form, immer noch das nach außen hin erscheinende Göttliche.“ Ebd., 235. Ders., Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 225. Ebd., 219. Ebd. Ebd., 222. Ders., Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 238.

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Iwand würdigt in diesem Zusammenhang ausdrücklich das von der römischkatholischen Kirche im Mittelalter rezipierte naturrechtliche Widerstandsrecht,101 basierend auf der lehnsrechtlichen Gefolgschaftsidee: Eben damit, daß der Fürst nur der Lehnherr eines göttlichen Amtes ist, geht der, welcher sich die Macht anmaßt, des Rechtes verlustig. Der Tyrann auf dem Throne ist ein Widerspruch in sich selbst. Diese Auffassung hält sich auch in der Reformation durch, und der Satz, daß der König der Diener seines Staates ist, ist noch aus ihr hervorgegangen, nur daß hier der Staat und die Staatsraison bereits an die Stelle der ihn erfüllenden Menschen getreten ist.102

Appliziert auf die sog. „Reichkristallnacht“ und den 2. Weltkrieg kommen Iwand und Wolf zu dem Ergebnis: Auf unsere Situation angewandt würde das bisher Ermittelte bedeuten, daß etwa angesichts der Ereignisse des 9. 11. 1938 ein kommandierender General in seinem Wehrkreis durchaus als evangelischer Christ das Recht gehabt hätte, mit seiner militärischen Macht zum Schutz seiner bedrohten und entrechteten Mitbürger einzugreifen. Er würde nach evangelischer Lehre in diesem Fall ‚das Schwertamt‘ recht gebraucht haben, weil er es zum Schutz der unschuldig Verfolgten und zur Abwehr organisierter, wenn auch ‚staatlich‘ geschützter Räuber und Mordbanden angewendet hätte. Ebenso hätte ein General oder Staatsmann, der etwa der Überzeugung war, daß die Inhaber der Staatsgewalt, die den Krieg vorbereiteten, eine ‚Räuberbande‘ seien, Recht daran getan nach evangelischer Lehre, wenn er sie beseitigt und damit den Krieg verhindert hätte. Denn der ‚ungerechte‘ d. h. der zum Zweck des Raubes und der Unterdrückung geführte Krieg ist eine Manifestation des Tieres aus dem Abgrund.103

Bezogen auf 20. Juli 1944 lautet die Quintessenz: Man wird den Männern des 20. Juli von der evangelischen Glaubensauffassung her höchstens den Vorwurf machen können, daß sie zu spät eingegriffen haben, man wird 101 Reuter (Widerstehen damals und heute, 5) erläutert dieses wie folgt: „Das von der römischkatholischen Kirche im Mittelalter rezipierte naturrechtliche Widerstandsrecht hat seine Wurzel in der Gefolgschaftsidee des germanischen Rechts. Zwischen Lehnsherr und Lehnsnehmer, also Lehnsmann, besteht ein Treueverhältnis auf Gegenseitigkeit. Bricht der Lehnsherr dieses gegenseitige Treueverhältnis so kann jeder Lehnsmann seinerseits die Treupflicht aufkündigen, den schlechten König absetzen und ihn ohne allzu viel Federlesens ‚wie einen Schweinehirten‘ davonjagen. Das Widerstandsrecht ist seinem Wesen nach ein konservatives Recht, es ist ein erhaltendes Notrecht, nämlich das Recht zur Wiederherstellung der vom Herrscher einseitig missachteten und gebrochenen Rechtsordnung. Mit diesem ‚großen‘ Widerstandsrecht ist nicht zu spaßen. Da es zur rechtmäßigen Gewaltanwendung ermächtigt, liegt es in seiner Konsequenz, dass es im Extremfall zur Tötung des Machthabers führen kann. Widerstand in diesem Sinn heißt: Anwendung von Gegengewalt gegen eine Staatsgewalt, die generell, evident und in krasser Weise gegen die Gerechtigkeit verstößt. Widerstand heißt hier: Gewaltsame Abwehr einer rechtswidrig ausgeübten Staatsgewalt mit dem Ziel der Wiederherstellung des verletzten Rechts.“ 102 Iwand, Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 240. 103 Iwand/Wolf, Entwurf eines Gutachtens, 16.

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ihnen aber nicht als Schuld anrechnen dürfen, daß Erwägungen über einen gewaltsam herbeizuführenden Wechsel in der Staatsführung in Kreisen der politischen und militärischen höchsten Beamten des 3. Reiches von dann an ernsthaft überhaupt erwogen wurden, als deutlich war, daß die Staatsführung unter Adolf Hitler einen ungerechtfertigten Krieg vorbereitete. Man wird für das Zuspätkommen jener Männer erklärend und entschuldigend anführen können, daß die reformatorische Lehre von einem gebotenen Widerstand der Christen im Rahmen der 2. Tafel des Dekalogs (‚zum Nutzen des Nächsten‘) innerhalb der evangelischen Kirche seit langem in Verfall geraten und gänzlich zurückgetreten ist hinter der anderen Lehre vom leidenden Gehorsam.104

5.

Vorläufiges Fazit zur Wiederentdeckung des Widerstandsrechts im 20. Jahrhundert in der politischen Ethik Bonhoeffers und Iwands

Iwands theologie- und insbesondere reformationsgeschichtliche Rekonstruktion zeichnet sich dadurch aus, dass er keine Musealisierung der Reformation betreibt, sondern einen Knotenpunkt der politisch-ethischen Urteilsbildung aufsucht und in kritischer Absicht (hier im Blick auf Luther und Melanchthon) differenziert urteilt. Die theologiegeschichtliche Rekonstruktion wird bei Iwand zu einem scharfen gegenwartsanalytischen Instrument, mit dessen Hilfe er das Heute zu erschließen und neue Einsichten zu gewinnen versucht. Iwand vermag dabei dasjenige punktuell zusammenzubinden, was in der Nachkriegszeit auseinanderfiel, nämlich eine Wahrnehmung der Opposition gegen Hitler, die in den diversen Spielarten von Widerstand Gestalt gewinnt,105 und die (vor)neuzeitlichen, geschichtlichen Widerstandstraditionen, die für eine Ethik des Widerstandrechts fruchtbar zu machen sind: Zu den erstaunlichsten Sachverhalten gehört, dass nach 1945 die unterschiedlichen Bewegungen der Opposition und der Resistenz gegen Hitler und sein Regime zwar rasch zusammenfassend mit dem Begriff des Widerstandes beschrieben wurden, eine Ethik des Widerstandsrechts jedoch trotz der mit diesem Stichwort verbundenen klassischen Traditionen zunächst gar nicht zur Verfügung stand oder ins Spiel gebracht wurde.106 104 Ebd., 17f. Iwand (Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 232) bemerkt würdigend: „Es dürfte kein Zufall sein, daß so viele edle Männer als Christen die gewaltsame Beseitigung Adolf Hitlers am 20. Juli unternahmen. Das war mehr als eine Verschwörung, das waren keine Putschisten, die die Macht in die Hände bekommen wollten, sondern das war das sich aufbäumende christliche Gewissen gegen das Entsetzliche! Hinter ihrer Tat stand das Bewußtsein um das namenlose Unrecht, mit dem das Menschenantlitz, das von Gott in Jesus Christus zur Ähnlichkeit mit ihm selbst erhoben ist, bis ins Letzte entehrt und entstellt wurde“. Zum christlichen Hintergrund der Männer des 20. Julis vgl. Strohm, Bedeutung von Kirche, 213−235; ders., Kirchen im Dritten Reich, 109−111. 105 Vgl. Tödt, Wortwiderstand und politischer Widerstand, 61−76. 106 Reuter, Widerstehen damals und heute, 3.

„Mein Freund ist Dr. Bonhoeffer gewesen“

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Im Interesse an einer, für ihn unmittelbar mit dem Namen Dietrich Bonhoeffer verknüpften, theologisch tragfähigen Ethik des Widerstandsrechts bemüht sich Iwand durch die beschriebene problemgeschichtliche Zusammenführung um eine erneuerte Diskursformation, die der zu verwandelnden geschichtlichen Schuld Rechnung zu tragen vermag.107 Hinsichtlich dieser Revision will berücksichtigt werden, dass man während der Zeit des Nationalsozialismus in Kirche und Theologie betonte, „dass der Kampf gegen die staatlichen Eingriffe in Lehre und Leben der Kirche ausdrücklich nicht als Widerstand zu verstehen sei.“108 Umso erstaunlicher ist es, dass Bonhoeffer bereits 1933 in seinem Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ (April 1933) neben der Frage nach der Legitimität konkreten staatlichen Handeln und der diakonischen Hilfe für die Opfer desselben als dritte Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber den Widerstand mit der anschaulichen Metapher des „Dem-Rad-in-die-Speichen-Fallens“109 umschreibt. Dass „angesichts der Entstehung totalitärer Diktaturen im 20. Jahrhundert […] Begründungen des Widerstandsrechts erst mühsam wiedergewonnen werden“110 mussten, davon zeugen die dargestellten denkerischen Bemühungen Bonhoeffers und Iwands. In ihnen vollzieht sich die mühsame Revision der in der Widerstandsfrage traditionell restriktiven lutherischen Ethik bzw. des protestantischen Ethos.111 Iwand bringt es in der Befragung im Remer-Prozess auf den Punkt, wenn er − auf die sog. „Machtergreifung“ Bezug nehmend − konstatiert: Daß in diesem Moment wir nicht leisten konnten, was wir hätten leisten müssen, weil wir viel zu lange dessen entwöhnt waren, ist vielleicht verständlich. Das glaube ich wohl hier bezeugen zu müssen. Daß wir es aber lernen müssen, wenn nicht neues Unheil über uns kommen soll, das glaube ich allerdings auch hier bezeugen zu müssen.112

Bei beiden, Iwand wie Bonhoeffer, geht die Revision nicht nur mit der Akzentuierung der Notwendigkeit eines Umdenkens und -lernens, sondern auch mit dem Bekennen von Schuld einher: Denn alle echte Schuld wartet auf den, der sie als seine eigene anerkennt. Dieser allein vermag ihr Geheimnis zu lösen. Er allein vermag ihr die Worte zu verleihen, die Stimme der Confessio und Buße, er allein vermag ihr die Wendung herbeizuführen, auf die die Schuld als geschichtliche Realität wartet.113 107 Vgl. Assel, Öffentlichkeit des Wortes Gottes, 72f. 108 Strohm, Art. Widerstandsrecht, 2709. 109 Vgl. Bonhoeffer, Die Kirche vor der Judenfrage, DBW 12, 353f. Vgl. dazu die Debatte zwischen Strohm („Zweireichelehre“, 245−266) und Ringshausen (Die lutherische „Zweireichelehre“, 215−244). 110 Strohm, Art. Widerstandsrecht, 2709. 111 Vgl. Mehlhausen, Widerstand und protestantisches Ethos, 17−33. 112 Befragung, 20. 113 Iwand, zit. n. Sauter, Theologisches Feuer, 182.

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Für Bonhoeffer gehört die Schuldübernahme nicht nur in abstracto zur Struktur der Verantwortung, ebenso wie Bonhoeffer nicht einfach nur allgemein das „Ich in Christus“ bekennen lässt, sondern persönlich wird:114 Ich bin schuldig des ungeordneten Begehrens, ich bin schuldig des feigen Verstummens, wo ich hätte reden sollen, ich bin schuldig der Unwahrhaftigkeit und der Heuchelei angesichts der Gewalt, ich bin schuldig der Unbarmherzigkeit und der Verleugnung der ärmsten meiner Brüder, ich bin schuldig der Untreue und des Abfalls von Christus.115

Iwand, von dem entscheidende Anstöße zum Schuldbekenntnis des Darmstädter Wortes (1947) ausgingen,116 bekannte im Remer-Prozess: Das, was wir 1933 falsch gemacht haben, war nicht die Tatsache, daß wir keinen Revolver im Talar hatten, sondern daß wir nicht den Mut in unserer Seele und die Klarheit in unserem Kopf hatten, um es den Menschen zu sagen. Damals konnten wir noch predigen und ich war Universitätsdozent und wir konnten alle noch dozieren. Daß wir damals nicht den Mut hatten zu sagen, tut das nicht, daß wir ‚mente captus‘ waren, das empfinde ich als Unterlassung und Schuld. Es geht nicht um einen Revolver, sondern es geht zunächst um die Klarheit der sittlichen Erkenntnis auf Grund dessen, daß wir ohne Angst leben sollten. Der Christ sollte darum klar sein in seinem Kopf, weil er weiß, fürchtet euch nicht vor den Menschen, denen der Leib gehört, fürchtet euch aber vor dem, der Leib und Seele verdammen kann in die Hölle. Weil wir unser Leben geliebt haben und uns gefürchtet haben vor den Menschen, haben wir nicht so laut und nicht immer das Rechte gesagt, was wir hätten sagen sollen.117

6.

Widerstand heute. Zur Gegenwartsrelevanz der politisch-ethischen Erwägungen Bonhoeffers und Iwands

Um abschließend die Frage nach der Gegenwartsrelevanz der Erwägungen Bonhoeffers und Iwands zumindest anzudeuten und zwar über die unmittelbare Frage nach einer angemessenen Gedächtniskultur für das zentrale Datum des 20. Julis 1944 hinaus, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Zwar ist zwischen einem demokratischen Rechtsstaat und einem totalitären Unrechtsstaat sehr genau als den keineswegs gleichzusetzenden Kontexten des Widerstandes zu unterscheiden. Gleichwohl entfallen auch im demokratischen Rechtsstaat Wi114 So auch Krötke, Freies Wagnis und Schuld, 432f. 115 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 128. Bonhoeffers Schuldbekenntnis mündet hinein in ein in Anlehnung an den Dekalog formuliertes stellvertretendes Schuldbekenntnis für seine Kirche. Vgl. ebd., 129−132. Vgl. in diesem Zusammenhang, dass von massiven Zweifeln und Schuldbewusstsein geprägten Abschnitt „Sind wir noch brauchbar?“ in Bonhoeffers „Rechenschaft“, DBW 8, 38. 116 Vgl. Klappert, Ökumenische Bedeutung des Darmstädter Wortes, 632−634; ders., Bekennende Kirche, 42−49.90−92.98−100; ders., Versöhnung und Befreiung, 221−226. 117 Befragung, 23.

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derstandsrecht wie Widerstandspflicht keineswegs: „Es gibt auch und gerade innerhalb der parlamentarischen Demokratien des Westens den Grenzfall des zivilen Ungehorsams.“118 Zu denken ist dabei etwa an die, angesichts der aktuellen Flüchtlingsfrage wieder stärker virulent gewordene und in den Fokus gerückte, Gewährung von Kirchenasyl119 oder andere „symbolische Handlungen, die im Namen eines verbesserlichen Rechts auf schwerwiegende Fehlentwicklungen öffentlich aufmerksam machen wollen, ohne die Rechtsordnung als solche in Frage zu stellen“.120 Widerstand in Gestalt des zivilen Ungehorsams entspringt der Tugend der Zivilcourage, von der Bonhoeffer sagen konnte: Civilcourage […] kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen. Die Deutschen fangen erst heute an zu entdecken, was freie Verantwortung heißt. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.121

Für den Kontext des demokratischen Rechtsstaates, der mit dem verbrecherischen NS-Staat nicht vergleichbar ist, lässt sich mit Wolfgang Lienemann feststellen: „Die Zivilcourage ist die kleine Münze des großen Widerstandsrechts.“122 Der zivile Ungehorsam ist als ein mit Symbol-bzw. Zeichencharakter versehener Appell an die Öffentlichkeit zur Weiterentwicklung des Rechts zu verstehen und erfolgt als gewaltfreier Rechtsverstoß in der Bereitschaft, für die rechtlichen Konsequenzen einzustehen: Richtig ist, daß ziviler Ungehorsam und Widerstandsrecht in der rechtsstaatlichen Demokratie äußerst fern liegen, weil und soweit die Verfassungsordnung systemimmanente Möglichkeiten bereit hält, den Widerspruch gegen Fehlentwicklungen anders zu praktizieren. […] [Z]iviler Ungehorsam wird immer nur ultima ratio sein können und ein rechtlich höchst riskantes Wagnis, das niemals auf die Zerstörung der Rechtsordnung zielen kann, sondern auf deren Fortschreibung zugunsten von Mensch und Schöpfung.123

Auch und gerade im Rechtstaat und in der Demokratie bedarf es der Initiativen zur Weiterentwicklung des Rechts. Impulse dazu sind nötig, da − wie Iwand zu

118 Klappert, Südafrikanische Botschaft gewaltfrei blockiert, 147. 119 Vgl. einführend: Heuser, A Right to Have Rights?, 3−13; Reuter, Kirchenasyl und staatliches Asylrecht, 184−209; ders., Fremdenrechte und Bürgerrechte, 210−238; Stobbe, Kirchenasyl, 23−28. 120 Lienemann, Art. Widerstandsrecht 2, 1284. 121 Bonhoeffer, Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943, DBW 8, 24. Vgl. dazu Feil, Zivilcourage nach Dietrich Bonhoeffer, 9−28. 122 Lienemann, Art. Widerstandsrecht 2, 1284. So auch Reuter, Widerstehen damals und heute, 11. 123 Simon, Barmer Erklärung, 214f. Dazu Klappert, Versöhnung und Befreiung, 296.304.

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Recht hervorhebt − „der Staat nicht von sich aus bestimmen kann, wer bzw. was gut und was böse ist.“124 Es kann nicht darum gehen, den status quo des geltenden Rechts festzuhalten. Diese Intention verfolgt hingegen der Rechtspositivismus. Im Blick auf die Weiterentwicklung des Rechts ist vielmehr mit einer „Übergangszeit“ zu rechnen, in welcher die politische Ethik […] und das geltende Recht sich heute nicht mehr voll decken. […] Was zunächst in zivilem Ungehorsam gegen eine legale Mehrheit getan wurde – in der Sklavenfrage, im Streikrecht, im Frauenstimmrecht –, ist später zum Grundrecht in den Verfassungen geworden. Sklaverei ist unabstimmbar. Gewaltfreier Widerstand wird in diesem Kontext nicht als Infragestellung der Verfassung, sondern als Widerstand gegen die Anmaßung illegitimer politischer Entscheidungen verstanden.125

Die Weiterentwicklung des Rechts ist nach Iwand dahingehend voranzutreiben, dass unser irdisches Recht etwas abspiegel[t] von jener Gerechtigkeit, jener Gnadengerechtigkeit, wo die Gnade Recht ist und das Recht Gnade, welche im Reich Christi herrscht und welche eine wahrhaft menschliche, menschenfreundliche, aber auch menschenbehütende und richtende Gerechtigkeit ist. Das Vernunftrecht darf nicht absolut gesetzt sein, sondern es muß das Spekulum, der Spiegel eines höheren Rechtes und Reiches sein.126

Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu beobachten, dass Iwand bereits zu Beginn der 1950er Jahre jenseits der Dyade von Kirche und Staat die Gesellschaft als eigenständige nichtstaatliche Öffentlichkeit in den Blick nimmt.127 Iwand bestimmt die Gesellschaft − mit Wolfgang Huber128 gesprochen − geradezu als „intermediäre Institution“,129 wenn er pointiert: Diese [die Gesellschaft] ist das vermittelnde Dritte zwischen Kirche und Staat, und aller Widerstand der Christen gegen die Tyrannei sollte das positive Ziel haben, das Salz zu

124 Iwand, Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 242. 125 Klappert, Barmen V, 443. 126 Iwand, Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 240, unter Verweis auf Barth, Rechtfertigung und Recht, 5−48. 127 Vgl. auch Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1. Dazu Börsch, „Kirche und Gesellschaft“ als ethisches Thema, 47−64; ders., Nachwort, bes. 289−301; Klappert, Versöhnung, Reich Gottes und Gesellschaft, bes. 361−369; ders., Die Thora ist in sich immer geistlich, bes. 147 −156. 128 Die Ekklesiologie von Barmen und K. Barth sieht Huber (Kirche in der Zeitenwende, 108 −111) aufgrund der Kirchenkampfsituation von der Dyade Kirche und Staat geprägt. Die Kirche sei damals als staatsanaloge Institution verstanden worden. Dementsprechend sei aufgrund der wahrnehmungsüberlagernden binären Konstellation die Triade Kirche, Staat und Gesellschaft noch nicht in den Blick getreten. 129 Ebd., 267.275f. u. ö. Vgl. dazu Hofheinz, Zwischen Volk und Bekenntnis.

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sein, mit dem einer verantwortlichen Gesellschaft zu ihrer eigenen staatsbürgerlichen Verantwortung und Freiheit gedient ist.130

Man wird mit dem Widerstandsrecht − zumal in der Demokratie − nicht leichtfertig umgehen dürfen und Stufen politischer Resistenz kontextspezifisch unterscheiden müssen.131 Denn es ist das eine, bei einem durch staatliche Anordnung ausgeübten Glaubens- und Gewissenszwang eine gewissensbestimmte Verweigerung zu praktizieren. Etwas anderes ist es, in einem demokratischen Rechtsstaat zivilen Ungehorsam zu praktizieren, wobei auch dieser − wie gesagt − „als begrenzte Regelverletzung mit politischer Signalwirkung ethisch rechtfertigungsfähig sein kann.“132 Zu unterscheiden ist dieser Fall wiederum von jenem Widerstandsrecht, das Iwand und Bonhoeffer anvisieren, nämlich die aktive, gewaltsame Auflehnung gegen ein offenkundiges Unrechtsregime, die als ultima ratio den Tyrannenmord einschließen kann: Der Tyrannenmord ist immer […] ultima ratio, er wird nicht zu rechtfertigen sein, wo es sich um Glaubensfragen handelt, aber daß es einen Punkt in der Entfaltung der Dämonie der Macht gibt, wo mit der Entfernung des einen das Ganze gerettet werden kann und so […] das Gemeinwohl in der Radikalität von Sein und Nichtsein auf dem Spiele steht – das werden wir für die künftige staatsbürgerliche Lehre der Christen nicht aus dem Auge verlieren dürfen.133

Die Widerstandspflicht erwächst hinsichtlich aller Stufen politischer Resistenz aus jener Loyalitäts- und Autoritätsbegrenzung, die die sog. clausula Petri im Sinne eines im Glauben gebundenen und befreiten Gewissens betont: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29). In diesem Sinne betont Bertold Klappert zu Recht: Der leitende Gesichtspunkt für das Widerstandsrecht und die Widerstandspflicht der Christen ist deshalb nicht primär die Frage, ob wir uns in einem totalitären oder in einem demokratischen Staat befinden, so wichtig diese Unterscheidung auch ist. Wichtiger ist die Unterscheidung zwischen Legalität und Legitimität staatlichen Handelns, die für jede Staatsform gilt, auch für die demokratische. Denn man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.134

130 Iwand, Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 242. 131 Dies tut etwa Reuter (Art. Widerstand/Widerstandsrecht III, 771−773), der zwischen drei nach Intensität abgestuften Formen politischer Resistenz unterscheidet: a) gewissensbestimmte Verweigerung, b) ziviler Ungehorsam, c) Widerstandsrecht. Klappert (Barmen V, 442f.) distinguiert in vergleichbarer Weise zwischen a) Widerstand im Sinne des Tyrannenmordes, b) Widerstehen als Vorgang in der Demokratie. Der Punkt b) wird wiederum expliziert als c) Widerstehen gegen das Fortschreiben des status quo des geltenden Rechtes, d) Widerstand als gewaltfreier bürgerlicher Ungehorsam. 132 Reuter, Art. Widerstand/Widerstandsrecht III, 772. 133 Iwand, Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 237. So auch Befragung, 22. 134 Klappert, Barmen V, 438.

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Oder mit dem amerikanischen Theologen Franklin H. Littell gesprochen: „Widerstand im Dritten Reich hieß: Widerstand gegen illegitime Anordnung einer illegalen Regierung. Widerstand heute heißt weltweit: Widerstand gegen illegitime Anordnungen legaler Regierungen.“135 Iwand macht den Rechtsbezug politischen Handelns stark: „Darum ist der Widerstand der Christen – ob leidend oder aktiv – immer darauf gerichtet, den pervertierten Staat zu dem zu machen, was er von Hause aus, seiner Bestimmung nach ist: Macht, die dem Rechte dient.“136 Im Sinne von Barmen V hält Iwand fest: „Die Christen sind mitverantwortlich, daß der Staat als eine dem Rechte und dem Frieden dienende Macht nicht in sein Gegenteil pervertiert wird.“137 Mit Iwand gesprochen, geht es auch heute noch darum, „sich für die aktive Aufrechterhaltung des Rechtes ein[zu]setzen.“138 Denn nur „wenn der einzelne Bürger […] aktiv bei dem Schutz des Rechts mitwirkt[, …] werden wir der ‚Gesetzlosigkeit‘, also der anomia, wirklich Herr.“139 Iwand selbst spricht − einem Hinweis seines Kollegen, dem Göttinger Staats- und Kirchenrechtler Rudolf Smend, folgend − mit dem Rechtswissenschaftler Rudolf von Jherings vom „Kampf ums Recht“ (1872): Recht und Gerechtigkeit gedeihen in einem Lande nicht nur dadurch allein, daß der Richter in steter Bereitschaft auf seinem Stuhle sitzt, und daß die Polizei ihre Häscher ausschickt, sondern Jeder muß für seinen Teil dazu mitwirken. Jeder hat den Beruf und die Verpflichtung, der Hydra der Willkür und der Gesetzlosigkeit, wo sie sich hervorwagt, den Kopf zu zertreten. Jeder, der die Segnungen des Rechts genießt, soll auch für seinen Teil dazu beitragen, die Macht und das Ansehen des Gesetzes aufrecht zu erhalten, kurz – Jeder ist ein geborener Kämpfer ums Recht im Interesse der Gesellschaft.140

135 136 137 138 139 140

Zit. nach Klappert, Barmen V, 445. Dort z. T. kursiv. Iwand, Zur theologischen Begründung des Widerstandes, NW 2, 241. Ebd. Ders., Widerstandsrecht der Christen, NW 2, 228. Ebd. Ebd., 227f.

Annette Kern

„Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein.“1 Der Sündenbegriff in Hans Joachim Iwands Von der Gemeinschaft christlichen Lebens und Dietrich Bonhoeffers Beichte und Abendmahl

Hans Joachim Iwand hat in seinem Aufsatz Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen aus dem Jahr 1935 theologisch gegen Jacob Wilhelm Hauer, den Begründer der Deutschen Glaubensbewegung Stellung bezogen. Seine Argumentation gegen Hauers Programm der „Deutschen Gottesschau“ zielt nach einer deutlichen christologischen Positionierung vor allem auf den missverständlichen Sündenbegriff Hauers. Iwand wehrt sich gegen einen „Methodismus des Sündenerlebnisses in der christlichen Erziehung“2 und damit gegen eine Reduktion der Sünde auf das Schuldbewusstsein. Er legt demgegenüber dar: Denn das Tun der Sünde und die Erkenntnis von der Bedeutung der Tat sind zwei Dinge, und es ist nicht gesagt, daß jeder, der Sünde tut, weiß, was er tut, im Gegenteil, er weiß im Grunde nie, was er tut. Sündenerkenntnis ist Gotteserkenntnis und steht darum ebenso unter dem ubi et quando visum est wie diese.3 Es kann und darf nicht die Aufgabe der Kirche sein, das Sündenbewußtsein unter den Menschen zu wecken – das kann der Teufel auch und besser als sie –, sondern ihre Sache ist die Verkündigung von der Vergebung der Sünden.4

Bonhoeffer widmet der Sünde in seinen kirchenpolitischen Stellungnahmen weniger Raum. Aber in seinem Aufsatz über Kirchengemeinschaft vom Juni 1936 stellt Bonhoeffer die Frage: Macht sich jetzt jeder, der in gemeinsamer kirchlicher oder gar kirchenregimentlicher Arbeit mit den Deutschen Christen steht, an der kirchenzerstörenden Sünde derselben mitschuldig? 5

Bonhoeffer und Iwand haben einander gekannt und es verbinden sie ähnliche Themen: Beide haben sich von der Liberalen Theologie abgewandt, beide haben 1 2 3 4 5

Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, DBW 5, 93. Iwand, Wir wandeln im Glauben, 173. Ebd. Ebd., 178. Bonhoeffer, Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, DBW 14, 669.

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sich um den Preis von Repressalien der Bekennenden Kirche und damit der Wort-Gottes-Theologie zugewandt. Und beide waren zeitgleich als Leiter illegaler Predigerseminare der Bekennenden Kirche Kollegen. Iwand unterrichtet ab 1937 zuerst in Bloestau, nach der Ausweisung 1938 in Jordan bei Paradies, bis das Predigerseminar im gleichen Jahr endgültig verboten wird. Bonhoeffer ist von 1935 bis zur Schließung 1937 in Finkenwalde tätig. Bis 1940 besteht das Predigerseminar an unterschiedlichen Orten als „Sammelvikariat“ illegal fort, dann wird es ein für alle Mal von der Gestapo geschlossen. Ich lege meiner Untersuchung zwei Texte zugrunde, die aus der Tätigkeit der beiden Autoren im Predigerseminar stammen.6 1937 verfasst Iwand zwei Predigten anlässlich der Verabschiedung der Vikare aus dem Predigerseminar. Sie werden später unter dem Titel Von der Gemeinschaft christlichen Lebens. Zwei Reden zur Feier der Beichte und des Heiligen Abendmahls7 abgedruckt. Bonhoeffer schreibt Gemeinsames Leben 1938. Dieses Buch ist aus den Erfahrungen mit den Vikaren in Finkenwalde erwachsen. Das letzte Kapitel des kurzen Bandes trägt die Überschrift Beichte und Abendmahl8. Sünde ist zwar auch hier wie sonst in Bonhoeffers und Iwands Werken nicht das explizite Thema, aber bei der Beichte wird es naturgemäß genannt: Wer beichtet, muss vorher seine Sünde erkannt haben. Dass beide Autoren keine Sündentheologen sind – die sich also ausdrücklich diesem Thema verschrieben haben – macht ihren Umgang damit umso spannender. Denn Sünde ist ein Topos, der ihr ganzes Werk durchzieht. Aufgegriffen wird es in vielerlei theologischen Zusammenhängen. Sowohl Iwand als auch Bonhoeffer können Sünde also nie isoliert behandeln. Die Rede von der Sünde braucht die Rückbindung an andere theologische Topoi und kann deswegen nicht allein zum Hauptthema werden. Genau dort liegt mein Interesse: In welchem theologischen Zusammenhang und wie reden Bonhoeffer und Iwand von Sünde? Welche Phänomene machen Iwand und Bonhoeffer als Sünde aus? Welches heuristische Instrumentarium verwenden sie dafür, zur Sündenerkenntnis und zum Sündenbekenntnis anzuleiten?

6 Mein Dank gilt Norbert Schwarz, der die Texte auf dem Iwand-Symposion 2014 in Dortmund zur Diskussion eingebracht hat. 7 Vgl. Iwand, Von der Gemeinschaft christlichen Lebens, 1–16. Ich werde in der Analyse jedoch nur auf die erste Predigt zur Beichte eingehen. 8 Vgl. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, DBW 5, 93–102. Im Vorwort finden sich Details zur Entstehung des Werkes.

„Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein.“

1.

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Hans Joachim Iwand

Iwand wird am 11. Juli 1899 in einem Pfarrhaus in Schreibendorf, Schlesien, geboren. Kirche ist dem Heranwachsenden etwas Selbstverständliches, nicht nur auf Grund des Pfarrberufes seines Vaters, sondern auch durch die Kirchlichkeit, die Ostpreußen damals prägte. Iwands Interesse gilt schon früh fundamentaltheologischen Fragen. Er setzt sich in seiner Dissertation mit Karl Heim auseinander. Heim, Theologe mit pietistischen Wurzeln sucht den Glauben gegen Angriffe von außen denkerisch zu verteidigen. Dieses Anliegen möchte Iwand nachvollziehen, indem er Über die methodische Verwendung von Antinomien in der Religionsphilosophie. Dargestellt an Karl Heims „Glaubensgewissheit“ promoviert. Bereits hier ist einer seiner größten Kritikpunkte Heims Sündenbegriff und damit verbunden die Möglichkeit der Erkenntnis von Sünde durch das Subjekt.9 Erst Luther bietet Iwand die Möglichkeit, seine Kritik positiv zu formulieren. Sünde ist nicht gleichzusetzen mit dem moralischen Schuldbewusstsein (Kant) und schon gar keine Störung des Gottesbewusstseins (Schleiermacher), sondern vielmehr Befriedigung; es ist der Wunsch des Menschen, selbst Gott zu sein. Iwand nimmt in diesem Zusammenhang Luthers Formulierungen von der annihilatio Dei auf, dem Wunsch des Menschen, dass Gott nicht sei.10 Das hat Folgen für die Fundamentaltheologie.11 Denn Erkenntnis hängt nun maßgeblich am Sündenbegriff: Sündenerkenntnis ist Gotteserkenntnis.12 Aber es ist eine Erkenntnis, die der Mensch nie von sich selbst aus erreichen kann, sondern ein Geschehen extra me. In Gesetz und Evangelium, aber auch in

9 „Den Kardinalfehler Heims sieht Iwand darin, dass die Sünde lediglich ein ‚innermenschlicher Vorgang‘ (43) bleibt, wobei er den ,naturhaften Dualismus‘ (47) von Idealität und Realität zum Interpretationsrahmen macht. Kann er von dieser Voraussetzung her nicht zur ,Erörterung des Amor Dei concupiscibilis‘ (44) im Sinne reformatorischer Theologie vorstoßen, so macht Iwand demgegenüber den ,Dualismus zwischen Gott und Ich‘ (47) zum Ausgangspunkt seiner Reflexion und bezieht diesen auf den im Totalitätsbewusstsein anhebenden antinomischen Widerstreit.“ Schwarz, „denn wenn ich schwach bin, bin ich stark“, 79. 10 „Der Mensch kann von Natur aus nicht wollen, daß Gott Gott ist; er möchte vielmehr, daß er Gott und Gott nicht Gott ist.“ Luther, WA I, 225. 11 Ich nehme die Bestimmung für Fundamentaltheologie von Michael Roth auf: „Sie [die Fundamentaltheologie] muß damit zeigen können, inwiefern der Mensch aufgrund seiner Angewiesenheit auf eine Erschließungserfahrung unter der Alternative zwischen der wahren Gewißheit (des Glaubens) und der trügerischen Gewißheit (in der sündhaften Verblendung) steht. Pointiert gesagt: Der (sic!) Fundamentaltheologie muß zeigen können, daß der Mensch nicht das Wesen zwischen Vernunft und Offenbarung ist, sondern – um ein Diktum von Herms aufzugreifen – ,das Wesen zwischen der Erscheinung der Wahrheit und gespenstischem Trug‘.“ Roth, Fundamentaltheologie, 114. 12 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 30.

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Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre ist die Frage nach der Sünde und damit der rechten Erkenntnis einer der ersten Punkte, die Iwand behandelt. In seiner Habilitationsschrift Rechtfertigungslehre und Christusglaube über Luther hält Iwand als „Systematisches Ergebnis: Die Gleichzeitigkeit als die maßgebende Kategorie der Heilsgewißheit“13 fest. Die Zeit und vor allem die Gleichzeitigkeit spielt in Iwands Theologie eine wichtige Rolle. Wie die Glaubensgewissheit so ist auch die Sündenerkenntnis nichts, was der Mensch allein aus sich heraus bewerkstelligen kann. Selbsterkenntnis und Offenbarung gehören untrennbar zusammen.14 Die Gottes- und damit Sündenerkenntnis kann sich nur in der Gleichzeitigkeit der beiden Wirklichkeiten ereignen, denn sonst hätte der Mensch die Möglichkeit, sie von sich aus zu leisten und damit sich bzw. Gott aus eigener Kraft zu erkennen. Aber auch die Vernunfterkenntnis selbst ist von der Sünde korrumpiert. Die Gerechtigkeit wird dem Menschen immer nur als fremde, in Christus gegebene zuteil. Dabei bleibt der Mensch, was er vor Gott ist: Sünder. Iwand betont, was die Erkenntnis anbelangt, deswegen das simul von iustus und peccator. Die Gleichzeitigkeit beider in der Erkenntnis gewährleistet, dass die Erkenntnis extra me und nicht als Selbsterlösung geschieht. Sünde ist für Iwand damit als Moment der Erkenntnis über Gott und sich selbst Bestandteil der Fundamentaltheologie. All diese Gedanken sind bereits in Rechtfertigungslehre und Christusglaube festgehalten und werden von Iwand im Lauf der Zeit in den Details modifiziert. Nun lässt sich das simul von iustus und peccator theologisch leicht einfordern, es allerdings sprachlich adäquat darzustellen, geht nur im Nacheinander der Gedanken. Wie versucht Iwand in seiner Predigt, die Hörer in diese Erkenntnis in der Gleichzeitigkeit hineinzunehmen? Was Iwand als empirisches Ineinander theologisch voraussetzt, muss er doch im noetischen Nacheinander darstellen.

1.1

Der Raum der Sündenerkenntnis – Gottes Gerechtigkeit und der Glaube als Voraussetzung der Sündenerkenntnis

Iwands Predigt zur Beichte beim Abschied der Vikare liegt als Text 1Joh 1,5–9 zugrunde. Sie ist als Homilie angelegt. Im ersten Teil der Predigt befasst Iwand sich mit dem Satz, dass Gott Licht ist und kontrastiert dies mit der menschlichen Dunkelheit. Bereits in den einleitenden Sätzen an seine Brüder bezieht sich Iwand auf die Metaphorik von Licht und Dunkelheit. In der Beichte geht es darum, zu erhellen, „ob wirklich kein Schatten und kein Dunkel zwischen uns 13 Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 100. 14 Vgl. ebd., 77.

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steht“ (4).15 Iwand nimmt seine Hörer16 in die Pflicht. Keiner wird behaupten können, seinem Bruder nichts schuldig geblieben zu sein. Iwand lässt durch diese Wortwahl anklingen, dass es sich bei den Versammelten um eine Gemeinschaft von Sündern handelt. Alle sind Sünder. Deswegen redet Iwand bewusst in der 1. Person Plural, um anzuzeigen, dass er selbst sich nicht ausnehmen will. Alle haben Gemeinschaft in den vergangenen Tagen erlebt, doch das ist für Iwand kein Verdienst, sondern vielmehr ein Geschenk. Weil aber einer dem anderen etwas schuldig geblieben ist, treten alle „vor Gottes Angesicht mit der herzlichen Bitte und dem aufrichtigen Wunsch, es möchte jeder dem anderen durch die Vergebung in Jesus Christus sein Gewissen frei und fröhlich machen“ (4). Die Hauptthemen hat Iwand damit bereits in den einleitenden Worten artikuliert und die Metaphorik des Predigttextes von Licht und Dunkelheit aufgegriffen: Alle, die versammelt sind, bedürfen der Vergebung und stehen so unter dem Gericht Gottes. Alle haben aber auch in wunderbarer Weise Gemeinschaft und damit die Gnade Gottes erfahren. Alle sind demnach Sünder und haben zugleich das Handeln Gottes erlebt. Bereits am Anfang benennt Iwand die Realitäten. Zu der Realität der Sünde, die alle betrifft und die mit der Erfahrung menschlicher Dunkelheit einhergeht, gesellt sich die Erfahrung der göttlichen Realität, die die letzten Tage der Vikare im Geschenk der Gemeinschaft geprägt hat. Iwand geht es also nicht um einen Methodismus des Sündenerlebnisses und um das Schuldbewusstsein, sondern darum zu sagen, dass Sünde immer menschliche Wirklichkeit ist. Iwand ist Schrifttheologe. Aus der Schrift bezieht er seine Legitimation, in der Schrift lebt er.17 Mit der Schrift kann er gegenwärtige Zustände kritisieren. Sie spricht aber nicht von vergangenen Zeiten, sondern redet in die Gegenwart hinein. Deswegen lässt Iwand seine eigenen Worte und die des Apostels ineinander übergehen, so dass der Sprecher nicht immer klar auszumachen ist. Auf die Verkündigung des Apostels bezieht sich Iwand ausdrücklich und legt von daher Vers 5 aus. Iwand bleibt in der Metaphorik des Predigttextes und benutzt Licht als Chiffre. Zum einen verwendet Iwand Licht äquivalent zu Gerechtigkeit.18 In der Gerechtigkeit Gottes mischt sich Licht nicht mit Schatten. Gott ist gerecht und nicht ungerecht zugleich wie es dem Menschen entspricht, der nie ein absolutes Verhältnis zur Gerechtigkeit haben kann. Zum anderen ist das Licht mehr als nur die Gerechtigkeit Gottes. Es ist das Licht des Evangeliums, das Licht des Wortes, der Gnade und Barmherzigkeit Gottes. 15 Die eingeklammerten Zahlen verweisen auf die Seitennummer der Predigt. 16 Es handelt sich bei den Vikaren ja tatsächlich nur um Männer. 17 Allein die vielfältigen biblischen Zitate in Iwands Werk, aber auch die Predigtmeditationen zeigen den lebendigen Gebrauch der Schrift. 18 Iwand bringt diesen Gedanken in seiner Predigtmeditation aus dem Jahr 1953 ein. Vgl. PM, 336.

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Simul iustus et peccator bedeutet, dass sich der vermeintlich Gerechte am Gesetz Gottes als Sünder erkennt, während er zugleich in Christus das Gesetz als erfüllt ansieht und damit der Gnade Gottes teilhaftig wird. Der gleichzeitigen Erkenntnis von Sünder- und Gerecht-Sein muss also ein empirisch gleichzeitiges Erkennen von Gesetz und Evangelium korrespondieren. Das Gesetz ist dabei nicht nur Forderung, sondern auch heilsame Beschränkung des Menschen. Denn der natürliche Mensch will nicht, dass Gott Gott ist, sondern setzt sich selbst in seinem Wollen und Richten an Gottes Stelle. Nicht umsonst sieht Iwand in der aestimatio, in der Wertung, das Problem der Verkehrung zwischen Mensch und Gott.19 Denn ein absolutes Verhältnis zum Guten ist göttliches Attribut. Nun lässt sich das Sünder-Sein und das Gerecht-Sein natürlich nicht gleichzeitig predigen. Deswegen stellt Iwand zu Beginn seiner Ansprache die Gerechtigkeit Gottes heraus: Gott ist Licht. Er benennt Sünde am Anfang zwar als Realität, aber nicht so, als müsse dem Menschen zuerst gezeigt werden, wie sündig er ist, um dem dann Gott in noch größerer Strahlkraft gegenüber zu stellen. Wenn Iwand mit der Gerechtigkeit Gottes beginnt, dann auch nicht darum, weil sie zeitlich vorgeordnet ist, sondern weil die Erkenntnis Gottes immer eine heilsame ist. Der Mensch, der seine Schuld erkennt, kann in der Bedrängnis gleichsam vor Gott zu Gott flüchten (ad Deo contra Deum confugere) 20. Aber er flüchtet aus dem Gericht Gottes zu Gott, den er zugleich in Jesus Christus als barmherzig erkennt. Deswegen spricht Iwand zu Beginn von Gottes Gnade. Iwands Ziel ist es, seine Zuhörer in eine Bewegung mit hineinzunehmen, die weder einseitig beim Gericht noch bei einer bloß postulierten Gnade stehen bleibt. Iwand stellt die Gerechtigkeit Gottes, sein Lichtsein voran, indem er von der trostreichen Kunde spricht. Deswegen kann er aber auch Bedingungen an die Hörer stellen. In für ihn charakteristischer Weise formuliert Iwand in Relativsätzen. Sein biblisches Vorbild ist dabei die Bergpredigt: Selig sind, die… Iwand nimmt diese offene Art, Selbsteinträge zu ermöglichen auf, indem er wiederholt „wer – der“ ausspricht. „Wer – der“ ist also für Iwand eine offene Form, Erkenntnis beim Hörer zu fördern. Jesus sagt in der Bergrede: Wer ein Weib ansieht …, wer sagt Racha … Wer … der. Er sagt nicht: ,Du‘, ,hast du nicht schon einmal Racha gesagt?‘ Nirgends die typische Moralpredigt, die wir heute von der Kanzel hören. Jesus spricht so, als ob er in die Luft redet, als ob er niemand ansieht. Damit läßt er sozusagen den Raum frei, daß jeder sich einzeichnen kann, daß jeder seinen Namen unterschreiben kann: Jawohl, so ist es. Das

19 Vgl. Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 7f. 20 Vgl. ebd., 109.

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ist die Wahrheit, hier bekommt die Wahrheit meiner Existenz ihre Form, hier brauche ich nur noch eins zu tun, zu sagen: ,Du hast recht.‘.“21

Ein weiteres für ihn typisches Wort verwendet Iwand in diesem Zusammenhang: Das Licht kommt mitten in die menschliche Dunkelheit. Wiederum bietet die Chiffre Licht die Möglichkeit, mehrere Bedeutungen mitzuhören. Implizit führt Iwand durch dieses Bild die Christologie mit ein. Man kann hier den Prolog des Johannesevangeliums mithören. Durch das mitten in zeigt Iwand sprachlich an, dass die Wirklichkeit von menschlicher Sünde und göttlicher Gerechtigkeit aufeinandertreffen und gleichzeitig werden. In der Bedeutungsvielfalt von Licht formuliert Iwand den Satz: Denn dies Evangelium ist die Kunde an alle Welt, daß das Licht, das von Gott ausgegangen ist, die Finsternis besiegt hat, ja mehr noch, daß dies Licht mitten in der Welt vor den erstaunten und geblendeten Augen der Menschen aufgeflammt ist und diese seinen Glanz und seine Herrlichkeit schauten, ja noch mehr, daß dies Licht seitdem nicht aufgehört hat und nie aufhören wird zu leuchten und zu brennen, ob auch alle Welt versuchen wollte, das Feuer zu ersticken, das von Gott her in die Welt hineingesenkt ist (6).

Neben Gott und Christus als Licht kommt vermittels des Begriffs Feuer nun auch der Heilige Geist hinzu. Iwand bewirkt durch die Lichtmetaphorik trinitarische Anklänge, bleibt aber zugleich in einer biblischen Sprechweise. Darüber hinaus verbindet Iwand passive und aktive Elemente miteinander. Der Mensch ist zum einen rezeptiv als Licht Empfangender dargestellt, zum anderen aktiv als Schauender. Damit kommt Iwand vom göttlichen Sein und Tun zum Anteil des Menschen am Geschehen. Er liegt im Glauben. Iwand klärt die Voraussetzung der Sündenerkenntnis. Sie liegt einerseits darin, dass Gott tatsächlich nur Licht, dem Menschen in seiner Gerechtigkeit zugewandt ist. Andererseits bedarf sie der Voraussetzung des Glaubens auf menschlicher Seite. Der Glaube muss der Sündenerkenntnis vorausgehen.22 Iwand kann Glauben auf sehr unterschiedliche Art und Weise ausführen. Eine zentrale Beschreibung liegt für ihn in der Formel 21 Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 27f; vgl. auch ders., PM, 458: „Jesus macht in seiner Auslegung das Gebot Gottes zum Spiegel, in dem wir begreifen, daß wir je und je schon von der Übertretung Gezeichnete sind. Er sagt nicht: ,Das bist du! Das seid ihr!‘ Sondern in der Redeform des ,Wer – der‘ läßt er den Namen aus, damit ihn jeder selbst für sich in der Heimlichkeit des Gewissens einsetzen kann. […] Nicht im Gewordensein sieht sich hier der Mensch, sondern in der furchtbaren Anfechtung des Hingerissenwerdens, er sieht sich sozusagen auf dem Weg zur Tat.“ 22 Vgl. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 35: „jene Denkweise muss fallen, die weiterhin Theologie, Verkündigung und auch die persönliche Frömmigkeit beherrscht: daß die Sündenerkenntnis die Voraussetzung des Glaubens sei, nicht aber der der Glaube die Voraussetzung der Sündenerkenntnis.“

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„Glauben heißt Gott recht geben“23. Iwand fordert diesen Glauben ein: „Gott muss in dem allen geglaubt, erfaßt und gehört werden“ (6). Mit der gleichen Vehemenz betont Iwand aber auch die Passivität des Menschen in diesem Geschehen: „Sein [Gottes] Licht muß uns treffen, damit uns Auge und Ohr aufgetan werden“ (6). Iwand verbindet beides, indem er sagt: „Das heißt glauben, daß Gott Licht ist“ (6). Der Glaube ist demnach sowohl passives als auch aktives Geschehen.24 Im Raum des Glaubens möchte Iwand das Folgende verstanden wissen.25 Der Glaube ist eine bestimmte Dimension. Ein Raum, in der sich die Wirklichkeit Gottes und die des Menschen treffen. Iwand verwendet diese räumliche Kategorie, indem er von der Nähe Gottes spricht. Er fragt seine Zuhörer, „ob wir das auch wirklich glauben, daß dieses ewige Licht uns so nahe ist“ (6).26 Erst in diesem Raum kann sich Sündenerkenntnis ereignen. Der Glaube muss der Sündenerkenntnis vorausgehen. Deswegen verwendet Iwand immerhin vier Seiten darauf, um seine Hörer auf ihre Wahrheit anzusprechen bzw. sie darauf vorzubereiten, ihr zu begegnen. Denn unweigerlich muss der Mensch in das Licht Gottes und aus seiner eigenen Dunkelheit heraustreten, um wahrhaft zu erkennen und sich heilsam zu verändern. „Wer den Menschen hinführen will zu Gott, der muß ihn hinführen zu diesem Licht“ (6). Auch der Unglaube hat seinen eigenen Raum. Es ist der Raum der Dunkelheit. Unglaube ist in Anlehnung an Luther eine der zentralen Beschreibungen von Sünde für Iwand.27 So spricht er davon, im Glauben in den Raum des Lichtes Gottes zu treten. Das Wort Treten lässt sich ebenfalls gut in die Raummetaphorik einbringen. Mehr und mehr entsteht ein Bild unterschiedlicher Dimensionen des Glaubens, von Räumen, die in Licht oder Finsternis liegen.

23 Vgl. ebd., 22. Neben der zentralen Definition von „Glauben heißt Gott recht geben“, flicht Iwand weitere ein: „Glauben heißt sich Gotttes Urteil zu eigen machen, seiner Verheißung vertrauen, seine Vergebung gelten lassen.“ 24 „In der Perspektive des Christusglaubens intendiert der Widerstand, auf den das Ich stößt, nicht die Auslöschung der Selbsttätigkeit, sondern fordert gerade den Gestaltungs- und Lebenswillen des angefochtenen Ichs heraus. Letzteres kommt zu einer wahren christologischen Bestimmung, indem es sein Selbstverhältnis ,in vollständiger Passivität bei vollster Aktivität‘ (63) lebt, und auf diese Weise in seiner Selbsttätigkeit die Struktur des simul iustus et peccator zur Darstellung bringt. Für Iwand stellt der Glaube eine Aktivität des Sichbestimmen-Lassens durch Christus dar, die im Glauben so zu Bewusstsein kommt, dass sie als Widerfahrnis erlebt wird.“ Schwarz, „denn wenn ich schwach bin, bin ich stark“, 88f. 25 Anders als dem Thema Zeit widmet Iwand dem Thema Raum meines Wissens jedoch keine eigenen Ausführungen. 26 Vgl. Seim, Die Kategorie des „Heute“, 215. 27 Vgl. Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 16.

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1.2

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Der Pharisäer und der Fromme als Sünder – die Predigt des Gesetzes

In der Erkenntnis Gottes kommt der Mensch um eine Konfrontation mit der eigenen Dunkelheit als Sünden- und Selbsterkenntnis, wie Iwand sie in V.6 des Predigttextes findet, nicht herum: „So wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit.“ Iwand setzt hier seine Hermeneutik von Gesetz und Evangelium um. Hat er seine Vorrede ganz darauf ausgerichtet, Gott als Licht zu präsentieren, so kann er nun frei und direkt Gesetz predigen. Gesetz bedeutet für Iwand vor allem Gesetz in der Funktion des usus elenchthicus. Deswegen spricht Iwand so deutlich gegen die Phänomene der Sünde an. Die Predigt des Gesetzes heißt Aufdeckung und nicht Vertröstung. Wahrer Trost liegt im Benennen der Realität und damit der Lügen. Im Rekurs auf den Predigttext geht Iwand vor allem auf die verschiedenen Gesichter der Lüge ein. Die Lüge besteht darin, dass sie Gemeinschaft mit Gott behauptet, ohne sich unter Gottes Gerechtigkeit und damit sein Gericht zu stellen. Iwand bringt dafür das Verhalten biblischer Figuren und seiner Hörer zur Deckung. Der Sünder, der seine Sünde nicht erkennt, sondern auf seiner eigenen Gerechtigkeit beharrt, wird für Iwand biblisch in der Figur des Pharisäers wiedergegeben. Das Verhalten des Pharisäers dient Iwand als Vorlage, um die Hörer in die Aktualität der biblischen Botschaft einzubeziehen. Der Typus des Pharisäers ist nicht historisch zu sehen, schon gar nicht judenfeindlich, sondern hat für Iwand heuristische Kraft. Was der Bibel der Pharisäer ist, ist der heutigen Zeit der Fromme. Gerade diejenigen also, die sich in christlichen Gemeinschaften besonders hervortun wollen und Gott gemäß leben möchten, stehen in der Gefahr, sich durch die Leugnung ihrer Sünde in der Sünde zu verstricken. Damit spricht Iwand seine Hörer direkt an, denn die Frommen, Engagierten hat er ja vor sich. Iwand schreibt häufig pauschal und scheinbar undifferenziert von bestimmten Gruppen. Der Pharisäer und der Pietist kommen bei ihm ebenso vor wie der Mystiker und der Idealist.28 Was auf den ersten Blick wie ein Allgemeinplatz wirkt, ist der Versuch, bestimmte Merkmale auszumachen, die eine theologische Einordnung und Aktualisierung ermöglichen. Iwand selbst spricht später in seiner Predigtmeditation zu 1Joh 1,5–9 aus dem Jahr 1953 von zwei Typen: Er [der Text] unterscheidet zwischen zweierlei Typen von Menschen, die mit Gott in Gemeinschaft zu stehen meinen. Oder genauer noch: die einen behaupten, in Gemeinschaft mit Gott zu stehen, dafür aber haben sie keine Gemeinschaft miteinander.

28 Vgl. z. B. „der Mystiker“, Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 48, „Wenn Gott tot ist, muß der Pietist sein Reich bauen.“ Ders., Briefe an Rudolf Hermann, NW 6, 69.

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Die anderen aber haben Gemeinschaft miteinander, da sie in sein Licht getreten sind und dort nun auch den Weg zueinander gefunden haben.29

In seiner Predigt nennt Iwand die Pharisäer als Typus derjenigen, die Gott nicht Gott sein lassen, weil sie ihr eigenes Urteil vorschieben. Iwand erhellt auf diese Weise das simul iustus et peccator: Beim Pharisäer handelt es sich um den vor sich selbst Gerechten, der sich nicht als Sünder vor Gott erkennt. Er lebt aus seiner eigenen Gerechtigkeit. Dies ist umso schwerwiegender, als der Pharisäer behauptet, Gottes Willen zu tun. Damit missachtet der Pharisäer das 1. Gebot.30 In der Rede vom Missbrauch des Guten und Gottes Namens lässt Iwand den – für ihn so wichtigen – unfreien Willen des Menschen anklingen. Die Erkenntnis des Menschen ist selbst von der Sünde korrumpiert.31 Indem Iwand den Pharisäer gleichsetzt mit dem Frommen, spricht er seine Zuhörer direkt an. Der Pharisäer ist nicht derjenige, auf dessen Verfehlungen man mit dem Finger zeigen kann, sondern nun sind die Zuhörer direkt selbst betroffen und gefragt, ob sie sich dieser geistlichen Sünde, der concupiscentia spiritualis, schuldig gemacht haben. Zuerst erscheinen die Züge des Pharisäers als Beschreibung einer abstrakten Person. Er lebt „die Lüge, die den Pharisäer zum Pharisäer macht, die mit dem Schein des Guten das Böse verdeckt, die Gottes Namen gebraucht, um damit zu decken, was wir Menschen an Bösem und Gottwidrigem tun“ (8). Unvermittelt geht Iwand in diesem und vor allem im nächsten Satz zum wir über. Schon ist nicht mehr klar auszumachen, ob Iwand nun die Pharisäer meint oder sich und seine Zuhörer. Gerade die Frommen stehen ja in der Gefahr, der concupiscentia spiritualis anheim zu fallen. Der wirklich Fromme, darauf weist Iwand seine Hörer hin, ist sich der Gefahr der Sünde immer bewusst. „Wer diese Gefahr nicht kennt, der kennt auch in Wahrheit den Ernst und die große Sache nicht, die in der Gemeinschaft mit Gott liegt“ (8). Iwand steht, sprachlich markiert durch das Wir, ebenfalls als Sünder vor seinem Gott. Dennoch besteht die Gefahr, dass Iwand sich über seine Hörer erhebt, prangert er doch als Außenstehender die Sünde anderer an. Man mag Iwand gerade wegen seines harschen Sprachstils autoritäres Gehabe vorwerfen. 29 Iwand, PM, 336f. 30 Iwand stellt in Glaubensgerechtigkeit den Zusammenhang her unter der Überschrift „Gott recht geben: Glaube und 1. Gebot“, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 21. 31 Vgl. die Untersuchung von den Hertog zum unfreien Willen bei Iwand. „Die Lehre vom unfreien Willen ist nicht eine Spezialität von und für Theologen, sondern ihrem Wesen nach: Erkenntnis. Der Mensch entdeckt die Wahrheit über sich selbst. Die Erkenntnis, die ihm in der Konfrontation mit dem Gesetz und dem Evangelium Jesu Christi geschenkt wird, hat nicht den Charakter einer allgemeinen Feststellung, daß es in der Welt so etwas wie ,Sünde‘ gibt. Vielmehr erkennt der Mensch in seinem eigenen Leben die blendende und ihn gefangen haltende Macht der Sünde.“ Befreiende Erkenntnis, 131.

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Tatsächlich geht es ihm um den Ernst der Sündenerkenntnis und umso mehr möchte er seine Brüder davor warnen, sich selbst falsch wahrzunehmen.32 Wenn er davon spricht, dass man die Gefahr kennen muss, so zählt er sich selbstkritisch dazu. Der Prediger steht eben nicht wie der Lehrer vor der Klasse und unterrichtet sie über das, was sein und was nicht sein soll, er begeistert seine Hörer auch nicht wie der Feldherr vor dem Sturm, um den Tatendrang und den Antrieb des Ruhmes in ihnen zu entfachen, sondern er, der Bote des Evangeliums, weiß sich unter den Sündern, zu denen er gesandt ist, immer als der vorderste, der erste.33

Iwand ist sich der Gefahr bewusst und hat zugleich den Auftrag, Zeugnis zu geben, dem er sich nicht entziehen kann. Die Hoheit darüber, ob jemand sich als Sünder erkennt, bleibt bei Gott. Die Aufgabe der Predigers besteht dann darin, heuristisch und hermeneutisch darauf hinzuwirken. Trotz Erkenntnis bleibt die Anfechtung bestehen, denn woher soll man die Gewissheit nehmen, Gottes und nicht dem eigenen Willen zu dienen? Der Glaubensgewissheit hat sich Iwand schon in seiner Dissertation über Heim und schließlich mit befriedigenderen Ergebnissen in seiner Habilitation gewidmet. Die Glaubensgerechtigkeit34 entsteht daraus, Gottes Entscheidung anzuerkennen. Des Menschen Aufgabe liegt einerseits darin, den Kampf zu wagen und andererseits darin, still zu halten, wenn Gott Licht und Finsternis scheidet. In einer eigentümlichen Mischung aus Aktivität und Passivität verwendet Iwand hier das Wort Entscheidung. Es ist eine Scheidung von Licht und Finsternis, die Gott vornimmt. Es ist aber zugleich eine Entscheidung, die die Gemeinschaft vornehmen muss. Dies bedeutet vor allem, sich Gott auszusetzen. Diese wunderbare, schillernde Mischung ist sicherlich von Iwand in ihrer Uneindeutigkeit so angelegt. Wie er biblische und aktuelle Verhältnisse sprachlich ineinander übergehen lässt, so lässt er auch das Verhältnis von Aktivität und Passivität verschwimmen.

32 Vgl. Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 171. Iwand wird sehr deutlich, wenn er davon spricht, dass der falsche Gebrauch des Gesetzes dazu führen kann, dass Gemeinden regelrecht tot gepredigt werden. 33 Ders., Die Predigt des Gesetzes, GA II, 164f. 34 Es ist interessant, dass Iwand seine Schrift Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre aus dem Jahr 1941 nicht Glaubensgewissheit nennt. Damit verschiebt er den Akzent von der menschlichen Aktivität hin zu Gott.

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Die Verheißung der Gemeinschaft – Die Kirche als Gemeinschaft der Sünder

Dem Thema Gemeinschaft widmet Iwand dem Predigttext gemäß den folgenden Vers in seiner Auslegung. Obwohl Gemeinschaft häufig vorkommt und im Predigttext eine wichtige Rolle spielt, lässt ihm Iwand keine genauere Bedeutungsklärung zukommen. In seiner Vorlesung über Gesetz und Evangelium aus dem Jahr 1937 kommt die Kirche im letzten Teil seiner Darstellung unter der Überschrift sanctorum communio zur Sprache. Drei Punkte sind ihm dabei wichtig: Der Glaube, durch den der Mensch Gottes Eigentum wird, die remissio peccatorum und die Liebe als Erfüllung des Gesetzes. Die Kirche ist keine Gemeinschaft der Gleichgesinnten, sondern eine Gemeinschaft der Widereinandergesinnten, die aus der Vergebung Jesu Christi leben.35 Deswegen darf sich die Kirche nicht der Sünder schämen, sondern Kirche kommt dort zustande, wo die Menschen einander ihre Sünden vergeben. Hier klingt an, dass das simul iustus et peccator einen ekklesiologischen Aspekt hat, insofern die Integration der Sünder und der Verzicht auf die eigene Gerechtigkeit maßgeblich dazugehören. Die Frommen sind aufgefordert, die Sünder vergebend aufzunehmen und selbst ihre Sünde zu erkennen. Durch die Tat Gottes in Jesus Christus gibt es keine hoffnungslosen Fälle mehr. Iwand spricht seinen Brüdern in der Predigt Mut zu und ermahnt sie zugleich: „Nie und nimmer soll uns das Wort von den Lippen gehen, daß wir mit einem Menschen keine Gemeinschaft mehr haben können, weil er zu sündig ist“ (13). Auch hier spielt er auf die Sünde des Selbstgerechten an, der sich mit seiner aestimatio über andere erhebt und darüber vergisst, dass er selbst Sünder ist. Umso mehr betont Iwand: „Darum ist die christliche Gemeinde nicht die Gemeinschaft derer, die keine Sünde haben, sondern die Gemeinschaft, in der wir Herr werden sollen und können über all das Böse, das uns voneinander trennt“ (14). Der Sünde Herr werden kann man jedoch nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Vergebung Christi. Sündenerkenntnis und Sündenbekenntnis entsteht immer nur im Blick auf das Kreuz und die Tat der Vergebung Jesu Christi. Die Verheißung und damit das Geschenk Gottes liegt in der Gemeinschaft, jedoch nicht in der Gemeinschaft mit Gott, sondern in der untereinander. Der schmerzvollen Erkenntnis, die die Begrenzung durch das Gesetz bringen kann, korrespondiert die wunderbare Erfahrung und Verheißung „Ich bin nicht allein“ (10). Die Vereinzelung ist somit umgekehrt ein weiteres Phänomen der Sünde, eine Vereinzelung, die nicht zu wahrer Gemeinschaft befähigt, weil sie das Sünder-Sein vermissen lässt. Iwand kann darum von dieser Gemeinschaft in der

35 Vgl. Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 207.

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Kategorie des Wunders reden.36 Denn die Gabe der Gemeinschaft bestand und besteht trotz aller Sorgen und Nöte in der Zeit der Ausbildung im Predigerseminar. Es bleibt aber nicht aus, dass jeder auf sich allein gestellt ist. Gerade den Weg von der Finsternis ins Licht muss jeder allein beschreiten. Iwand wechselt immer wieder zwischen den Themen Einsamkeit und Gemeinschaft, zwischen Finsternis und Licht hin und her. Damit hebt er hervor, dass die Wirklichkeit der Sünde bleibt und dennoch immer wieder aufs Neue von der Realität Gottes durchbrochen wird. Sowie Aktivität und Passivität einander bedingen und abwechseln, so haben auch Einsamkeit und Gemeinschaft ihre je eigene Zeit. Das sola fide als Voraussetzung wahrer Erkenntnis wird spezifiziert durch den Glauben an Christus als fides Iesu Christi. Bereits in seiner Habilitation hat Iwand diese beiden Bestimmungen als unabdingbar zusammengehörig für die Rechtfertigungslehre definiert.37 Erst dieses Verhältnis erlaubt eine angemessene Rede von der Rechtfertigung des Sünders. Aus Christus zu leben, bedeutet aus seiner Gerechtigkeit und damit aus seiner Vergebung zu leben. Deswegen besteht das höchste Vermögen des Menschen in der Vergebung aus dem Glauben an Jesus Christus. Selbst wenn das Alte, die Vergehen nicht ungeschehen gemacht werden können, kann die brüderliche Vergebung einen neuen Raum der Gemeinschaft schaffen, in dem die Sünde in wahrer Vergangenheit liegt. In diesem Sinn spricht Iwand vom Vergessen. Der Mensch kann wieder aus der Gegenwart leben, ohne dass ihn die Vergangenheit determiniert. Er wird wieder gegenwärtig und mit der Realität der Vergebung Gottes und seinem eigenen Sünder-Sein gleichzeitig. Das Bekenntnis der Sünde ist kein einmaliger Akt „einer Zeit, die hinter uns liegt, sondern […] das Bekenntnis dessen, was wir sind“ (14). Iwand betont im Anschluss an Luther, dass es sich beim Sünder-Sein um ein Sünder werden handelt, dass irdisch nie abgeschlossen sein kann. Das Bekenntnis der Sünde ist immer auch ein Akt des Glaubens.38 Wenn er viele Male von müssen39 spricht, so handelt es sich um ein göttlich gesetztes Müssen, dass Iwand als Zeuge verkündigt. Bei dieser Wortwahl steht Luther Pate. Es gibt keinen anderen Weg der Macht der Sünde zu entrinnen, als sich ganz unter Gottes Gerechtigkeit zu stellen und damit die eigenen Ansprüche 36 „Wenn es trotzdem zu einer Gemeinschaft mit Gott kommt, so ist das gerade jetzt und gerade hier das Wunder seiner Gnade, die den Sünder gerecht spricht, und bleibt gerade im Blick auf das Sündenbekenntnis des Menschen immer wunderbar.“ Iwand, Sed originale, 191. 37 Vgl. Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 1. 38 „Luther hat, in rechter Erkenntnis der Schwierigkeit, die hier vorliegt, gesagt, das Sünder-sein wolle ebenso geglaubt sein wie das Gerecht-sein.“ Iwand, Sed originale per hominem unum, GA II, 189. 39 „Wir müssen es bekennen“, „wir müssens aber glauben“, Iwand, Von der Gemeinschaft christlichen Lebens, 15.

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aufzugeben. Um zu verdeutlichen, dass er nicht aus eigener Autorität spricht, flicht Iwand in diesen Abschnitt Bibelzitate ein. Es handelt sich um prominente Sündenbekenntnisse aus Ps 51 und Lk 15, die sich seine Zuhörer zu eigen machen können.

2.

Dietrich Bonhoeffer

Bonhoeffer ist sechseinhalb Jahre jünger als Iwand. Er wird am 4. Februar 1906 in Breslau als Sohn des Psychatrieprofessors Karl Bonhoeffer geboren. Bonhoeffer stammt aus einer großbürgerlichen Familie, in der Kirche nicht selbstverständlich ist und sie ist es auch insofern nicht, als Bonhoeffer im Gegensatz zu Iwand in einer eher entkirchlichten Gegend aufwächst. Er kommt von außen an die Theologie heran und so ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass er vor allem der Ekklesiologie sein Denken verschreibt. Seine Dissertation Sanctorum Communio, aber auch seine Schriften Nachfolge und Ethik geben davon Zeugnis. Iwand geht von der Erkenntnistheorie, von der Theologie in die Praxis, während Bonhoeffer von der Praxis, vom Handeln der Kirche in die Theorie der Theologie geht. Iwands selbstverständliche Kirchlichkeit hat ihn für Verunsicherungen von außen sensibel gemacht, die er erkenntnistheoretisch reflektiert. Bonhoeffer hingegen hat die Kirche erst entdecken müssen und sich deswegen um die Ekklesiologie bemüht. Während Sünde bei Iwand vor allem mit der Frage nach ihrer Erkenntnis verknüpft ist, stellt Bonhoeffer einen stärkeren Zusammenhang von Sünde und Bekenntnis her. Bonhoeffer und Iwand sind Wort-Gottes-Theologen. Beide sind durch Luthers Theologie geprägt, obgleich Iwand sich stärker als Bonhoeffer mit Luthers Werk auseinandersetzt. Insofern besteht eine große inhaltliche Nähe zwischen den beiden. Bei Bonhoeffer spielen die Wirklichkeit des Glaubens und die der Welt wie bei Iwand eine große Rolle.40 Bei ihm gibt es ebenfalls keine Trennung, kein Zwei-Raum-Denken, sondern der Christ lebt immer in beiden zugleich. Allerdings führt das nicht wie bei Iwand dazu, dass er Gesetz und Evangelium explizit als hermeneutische Kategorie seiner Theologie zugrunde legt.41 Gerade der usus elenchthicus erhält bei Bonhoeffer nicht die tragende Bedeutung wie bei Iwand. Auch den simul-Begriff arbeitet er nicht eigens aus. Und doch sind sowohl Gesetz 40 Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 31f. 41 Norbert Müller hat auf die Verwendung von Gesetz und Evangelium bei Bonhoeffer aufmerksam gemacht, vgl. Müller, Gesetz und Evangelium, 51–60. Busch Nielsen widmet ihrer Arbeit zu Bonhoeffers Hamartiologie einen kurzen Abschnitt zu Gesetz und Evangelium. In der Tradition Luthers ist Bonhoeffer nicht um die Auseinandersetzung um Gesetz und Evangelium herumgekommen, vgl. Busch Nielsen, Die gebrochene Macht der Sünde, 120–128.

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und Evangelium als auch das simul iustus et peccator implizit in seiner Theologie angelegt. Wie stellt sich diese Heuristik von Gesetz und Evangelium und das simul iustus et peccator im Vergleich zu Iwand dar und welche Auswirkungen hat dies für das Sündenverständnis Bonhoeffers?

2.1

Das ekklesiologische Moment des simul – der Fromme als Sünder

Beichte und Abendmahl ist in vier Abschnitte geteilt. Das inhaltlich verbindende Moment ist der Durchbruch, der in der Beichte geschieht. Die ersten drei Teile richten sich an den Beichtenden und zeigen die jeweiligen Phänomene der Sünde auf. Im letzten Part geht Bonhoeffer auf den Beichthörer ein und die Voraussetzungen, die ihn dazu befähigen, dem Bruder durch Christus zur Gnade zu werden. Was für Iwand die Erkenntnis der Sünde ist, ist für Bonhoeffer das Bekenntnis der Sünde.42 So dient auch die Beichte dazu, dass die Gemeinschaft Jesu Christi gestärkt wird. Deswegen setzt Bonhoeffer in Beichte und Abendmahl43 akzentuiert mit „Bekennet einer dem andern seine Sünden“ (93) ein, dem er als biblisches Zitat aus Jak 5,16 besonderen Nachdruck verleiht. Bonhoeffer nimmt das simul iustus et peccator ekklesiologisch auf, indem er die Kirche als eine Gemeinschaft von Sündern und Gerechten darstellt – ein Punkt, den Iwand zwar auch hat, dem er aber nicht das gleiche Gewicht wie Bonhoeffer zukommen lässt und der bei ihm implizit angelegt ist. Wie Iwand legt Bonhoeffer sein Augenmerk auf die Frommen in der Gemeinde. Sie möchte er zur Erkenntnis und zum Bekenntnis ihrer Sünde bewegen. Bonhoeffer konstatiert zu Beginn erst einmal – wiederum wie Iwand –, dass alle Sünder sind, gerade diejenigen, die sich in der Gemeinschaft der Frommen befinden. Damit trifft er kein moralisches Urteil, sondern benennt die Wirklichkeit, die für alle gilt. Die Beichte dient insofern dazu, den vermeintlich Gerechten mit seiner Sünde in die Gemeinschaft der Kirche zu integrieren und ihm aus dem Alleinsein zu helfen. Fromm-Sein ist für Bonhoeffer ein polemischer Begriff. In Schöpfung und Fall kommt er vor unter der Überschrift Die fromme Frage, ist aber dabei vor allem auf die Schlange bezogen. In dieser frommen Frage erkennt Bonhoeffer ein allgemeines Muster, sich vor Gott herauszuwinden. Das Böse und die Gottlo42 Bonhoeffer schreibt zwar über Beichte und Abendmahl, allerdings nehmen die Ausführungen zu Letzterem nur einen kleinen Abschnitt am Ende ein. 43 Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Seitennummer von Beichte und Abendmahl.

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sigkeit „ist eingehüllt in das Kleid der Frömmigkeit“44. Das Fromm-Sein verkehrt die Plätze von Gott und Mensch. Gerade in seinem Fromm-Sein will der Mensch sein wie Gott: „Es ist also Ungehorsam in Gestalt des Gehorsams, es ist Herrschenwollen in Gestalt des Dienstes, es ist Schöpferseinwollen in Gestalt der Geschöpflichkeit, es ist Totsein in Gestalt des Lebens.“45 In seiner Ethik behandelt Bonhoeffer ausdrücklich den Pharisäer als Typus des vor sich selbst Gerechten.46 Wie Iwand sieht er das Hauptmerkmal in der falschen Bezogenheit des Pharisäers, der meint, ein absolutes Verhältnis zum Guten haben zu können und dadurch das 1. Gebot übertritt. Das Fromm-Sein lässt das Sünder-Sein vermissen und schwingt sich so zum Sicut-Deus-Sein auf. Der Beichtappell ergeht deswegen an die vermeintlich Gerechten, sich als Sünder zu bekennen und umzukehren. Dazu bedarf es aber derjenigen, die die Sünder in der Gemeinde zulassen. Denn erst dann ist es dem Sünder möglich, der Einsamkeit und damit der Lüge zu entkommen. Es gehört zum Phänomen Sünde, dass sich die Frommen in der Gemeinde nicht als Sünder erkennen und über die durch ihre Taten als Sünder Entlarvten richten. Insofern wirkt Bonhoeffer zu Beginn auf die Erkenntnis des Sünder-Seins der Gerechten. Darüber hinaus widmet sich Bonhoeffer der Sündenerkenntnis kaum. Allenfalls schreibt er, dass die Vergebung alle Sünden beinhaltet, die erkannten wie die unerkannten (98). Eine vollständige Sündenerkenntnis ist somit nicht nötig oder vielmehr nicht möglich. Das entbindet den Beichtenden nicht davon, konkret um das Anliegen seiner Beichte zu wissen. Bonhoeffer empfiehlt die Prüfung an den Zehn Geboten und zu wissen, was man auf die Frage: „Was willst du, daß ich dir tun soll?“ (98) antwortet. Dass es zur Erkenntnis der Sünde kommt, liegt in der Hand Gottes. Es wird durch das Wechselverhältnis von Aktivität und Passivität klar, dass Gott der Urheber ist. „Es ist ein harter Kampf bis die Sünde im Geständnis über die Lippen kommt. Aber Gott zerbricht eherne Türen und eiserne Riegel“ (94). Der Sünder bleibt Sünder, aber hat nun mit seiner bekannten Sünde wieder Gemeinschaft, indem er aus der Gnade und Vergebung Gottes lebt. Bonhoeffer spielt mit der Verbindung von Bekanntheit und Bekenntnis. Die Beichte bleibt dabei ein Vieraugengespräch, sie ist keine öffentliche Handlung. Denn durch die Vollmacht Christi an den Bruder bedarf es keiner weiteren öffentlichen Demütigung und Vergebung in der Gemeinde. Bonhoeffer fängt die für den Frommen harschen einleitenden Sätze auf, indem er ihnen das Evangelium gegenüberstellt. Gott ist Wahrheit und Liebe, er macht den Sünder selig. Hier ergeben sich erneute Übereinstimmungen im 44 Bonhoeffer, Schöpfung und Fall, DBW 3, 78. 45 Ebd., 86. 46 Vgl. ders., Ethik, DBW 6, 311.

„Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein.“

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Textaufbau zwischen Bonhoeffer und Iwand. Beide beginnen mit der Allgemeinheit der Sünde als Realität gerade bei den Frommen und mit Gott als Licht, Wahrheit, Barmherzigkeit, was der Erkenntnis des eigenen Sünder-Seins den Schrecken nimmt. Wie Iwand und damit in Anlehnung an Luther postuliert Bonhoeffer den Glauben als Voraussetzung der Sündenerkenntnis. „Sola fide credendum est nos peccatores.“47 Mit diesem Zitat eröffnet Bonhoeffer prominent das Kapitel über Sünde in Akt und Sein. Das Sündenbekenntnis ist ein Glaubensbekenntnis.

2.2

Die Beichte im Licht Gottes – der Schein der Sünde

Bonhoeffer beginnt bei Gott als dem Licht, das wie bei Iwand als Chiffre fungiert. Gott als Licht wird der Mensch mit seinem Schein gegenübergestellt. „Aller Schein hat vor Christus ein Ende“ (93). Schein steht im Gegensatz zu Licht und metaphorisch für Sünde. Die Sünde als vermeintliches Licht täuscht den Menschen. Da sie jedoch nur Schein ist, hilft sie dem Menschen nicht aus seiner tatsächlichen Dunkelheit. Wahres Licht kommt von Gott allein. Der Sünder vor Gott und die Gemeinde als Sünder wird mit der Gerechtigkeit Christi, mit dem Licht Gottes beschenkt. Bonhoeffer nennt im Folgenden die Phänomene der Sünde. Die Einsamkeit ist ihr Hauptmerkmal. Sie wird bemerkbar in der Macht des Unausgesprochenen, des Unbekannten, was im Gegensatz zum Bekannten, zum Bekenntnis steht. Die Sünde waltet im Verborgenen und Heimlichen. Bonhoeffer unterscheidet zwischen dem Sünder und der Sünde. Die Macht der Sünde verdeutlicht er, indem er sie und nicht den Menschen als unter ihr Leidenden als Subjekt einsetzt. „Sünde will unerkannt bleiben. Sie scheut das Licht“ (94). Das entbindet den Menschen nicht von seiner Verantwortung. Sünde ist immer beides: Eine Macht, unter der der Mensch leidet und zugleich seine Tat, in die er sich schuldhaft verstrickt. Dieses Wechselverhältnis von Aktivität und Passivität zeichnet auch die Beichte aus. Bonhoeffer deutet es mit dem wiederkehrenden „In der Beichte geschieht…“ an. Der Durchbruch ist sowohl passiv, indem Gott am Menschen handelt, als auch aktiv, indem der Mensch sich der Beichte aussetzt. Als zweites Phänomen der Sünde nennt Bonhoeffer den Hochmut, die superbia. Die superbia zeigt sich als Verstoß gegen das 1. Gebot darin, dass der Mensch nach seiner eigenen Gerechtigkeit über sein Leben und Sterben bestimmen möchte. Bonhoeffer lässt die Paradieserzählung Gen 2–3 anklingen, wenn er sagt, „der Mensch will gerade in seinem Bösen sein wie Gott“ (95). Darin manifestiert sich der alte Mensch. 47 Bonhoeffer, Akt und Sein, DBW 2, 135.

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Dem Hochmut entspricht als Gegenbegriff die Demütigung. Sie ist unumgehbar in der Beichte. Denn dadurch stirbt der alte Mensch, der sicut-DeusMensch. Bonhoeffer begründet dies kreuzestheologisch. „Es ist ja kein anderer als Jesus Christus selbst, der den Schandtot des Sünders an unserer Stelle in aller Öffentlichkeit erlitten hat“ (96). Wie Iwand bedient Bonhoeffer sich der Metaphorik von Licht und Finsternis und bleibt dabei in biblischer Sprechweise. Während das Dunkel der Einsamkeit entspricht, bedeutet wahre Gemeinschaft den Wandel im Licht. In diesem Durchbruch des Lichtes in die Finsternis geschieht auch das Gericht. Nicht dem Sünder, sondern der Sünde gilt dieses Gericht. „Die ausgesprochene, bekannte Sünde hat alle Macht verloren. Sie ist als Sünde offenbar geworden und gerichtet“ (95). Sofern jedoch der Sünder mit der Sünde als seiner Tat identisch ist, steht er ebenfalls unter dem Gericht. Denn nun muss er von dieser Tat lassen. Deswegen spricht Bonhoeffer davon, dass der Beichtende „sein Böses mit der Beichte ,abgelegt‘“ hat (94). Dieses Ablegen weist auf die Imputation hin. Christus ist die Sünde auferlegt, während der Sünder durch die Teilhabe an seiner Gerechtigkeit in die Gemeinschaft Christi integriert ist. „Nun steht er in der Gemeinschaft der Sünder, die von der Gnade Gottes im Kreuze Jesu Christi leben“ (95). Bonhoeffer bleibt auch in der Metaphorik von Licht und Finsternis, wenn er von Verblendung spricht, die „die Verheißung und die Herrlichkeit solcher Erniedrigung nicht mehr sehen“ (96). Wie Schein spielt Verblendung darauf an, das die Sünde ein falsches Licht ist, das den Menschen die Wahrnehmung des wahren Lichtes unmöglich macht. Mit diesem Wort bringt Bonhoeffer den täuschenden, den Menschen belügenden Charakter der Sünde zum Ausdruck.

2.3

Die Wirklichkeit Christi – die Verheißung der Beichte

Die Vergebung der Sünde in der Beichte legitimiert Bonhoeffer christologisch. Christus wurde uns zum Bruder. Seine Vollmacht, Sünden zu vergeben, überträgt er, indem er „die Gemeinde und ihr den Bruder zur Gnade gemacht“ (94) hat. Bonhoeffer greift dabei auf 2Kor 5,21 zurück, ein Vers, den auch Iwand häufig zur Fundierung der Christologie zitiert.48 Der Stellvertreter Christus wird wiederum selbst durch den Bruder aus Christi Vollmacht vertreten. Durch die Aufnahme von 2Kor 5,21 verdeutlicht Bonhoeffer die Verbindung von ekklesiologischen und christologischen Implikationen. „Darum gab er den Seinen die Vollmacht, das Bekenntnis der Sünde zu hören und die Sünde in seinem Namen zu vergeben“ (94). 48 Vgl. Iwand, Christologie, NWN 2, 264.

„Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein.“

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Das Bekenntnis der Sünde schenkt wahre Vergangenheit. Das neue Leben bedeutet Nachfolge. Bonhoeffer greift die Aspekte der vorigen Abschnitte auf, indem er sagt: „Das Leben mit Jesus Christus und seiner Gemeinde hat angefangen“ (96). In der Beichte ereignet sich die Verheißung des neuen Lebens. Da diese Verheißung zugleich schon Gegenwart ist, formuliert Bonhoeffer im Präsens. So wie Nachfolge selbst sowohl ein präsentisches Geschehen ist als auch eines, das die Zukunft immer mit im Blick hat, als Ziel eines Weges, so ist es auch die Verheißung. Neben der Wegmetapher, die der Begriff Nachfolge nahelegt, spricht Bonhoeffer vor allem im Bild des Kampfes. Die Herrschaft der Sünde ist zwar gebrochen und die Errettung aus der Finsternis hat in der Beichte stattgefunden, dennoch bleibt die Macht der Sünde bestehen. Die Verteilung der Macht der Sünde und Gottes Macht ist asymmetrisch. Das irdische simul dieser beiden Mächte ist eschatologisch aufgelöst. Bonhoeffer kommt auf die Aufgabe des beichthörenden Bruders zu sprechen. Er trägt dafür Sorge, dass die Beichte nicht zur Täuschung wird, dass sie nicht in Selbstvergebung endet. Vor dem Bruder wird das Dunkel der Sünde aufgedeckt. Erst durch ihn entsteht die Gewissheit, dass die Sünde wirklich ans Licht kommt und damit bekannt ist. Deswegen ist die Beichte immer Bekenntnis konkreter Sünden. Hier wird nochmal deutlich, dass sowohl Gesetz als auch Evangelium in der Einheit des Wortes Gottes als Licht gemeint sind, denn Bonhoeffer redet von „der Helle des jüngsten Gerichtes“ (97) und attribuiert Gott als gerechten Richter, dessen richtendes und begnadigendes Wort Vergebung schenkt. Der Wirklichkeit Gottes in Gericht und Gnade gewiss zu werden, wird durch den Bruder geschenkt. Er wird zum extra me. Er ist als Gegenüber der Garant einer anderen Wirklichkeit. „Wer dem Bruder seine Sünden bekennt, der weiß, daß er hier nicht mehr bei sich selbst ist, der erfährt in der Wirklichkeit des Andern die Gegenwart Gottes“ (97). Bewusst ist hier die Großschreibung beim Andern von Bonhoeffer gesetzt, um die Wirklichkeit Gottes, die in der brüderlichen Beichte durchbricht zu kennzeichnen. „Dazu ist mir der Bruder gegeben, daß ich durch ihn schon hier der Wirklichkeit Gottes gewiß werde in seinem Gericht und seiner Gnade“ (98). Der beichthörende Bruder muss selbst Beichterfahrung mitbringen. Das heißt, sofern der Beichthörende sich selbst als Sünder bekannt hat, ist er fähig die Beichte abzunehmen. Er lebt unter dem simul iustus et peccator. Denn er weiß um den Menschen und seine Gottlosigkeit. Er richtet damit nicht nach menschlichen Maßgaben, sondern lässt die Wirklichkeit Gottes gelten, die sich in der Beichte ereignet. Im täglichen ernsten Umgang mit dem Kreuz Christi vergeht dem Christen der Geist menschlichen Richtens und schwächlicher Nachsicht, er empfängt den Geist des göttlichen Ernstes und der göttlichen Liebe. Der Tod des Sünders vor Gott und das Leben aus dem Tode durch die Gnade wird ihm tägliche Wirklichkeit (100).

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Der Beichthörende muss immer als Sünder die Beichte abnehmen. Das heißt als einer, der die Demütigung des Kreuzes kennt. Die Vergebung, die er zuspricht, ist nie seine eigene, sondern er kann dies nur kraft der Vollmacht Jesu Christi tun.

3.

Resümee

Während Iwand vorrangig um die Erkenntnis der Sünde bemüht ist, den fundamentaltheologischen Aspekt, geht es Bonhoeffer mehr um das Bekenntnis der Sünde und damit den ekklesiologischen Ort. Beide reden über Sünde als Realität, aber als einer, die man nur aus der Christusrealität heraus, der Vergebung der Sünden, wahrnehmen kann. Die Erkenntnis der Sünde ist ein Vorgang extra me. Sowohl Iwand als auch Bonhoeffer legen das simul iustus et peccator ihren Ausführungen zugrunde. Beide verwenden zur Verdeutlichung eine Typologie, die die Identifikation mit den vermeintlich Gerechten ebenso ermöglicht wie mit dem gerecht gesprochenen Sünder. Die Adressaten sind vornehmlich die Frommen in der Gemeinde und damit die Hörer und Leser der beiden Autoren. Innerhalb der Bewegung von Gesetz und Evangelium als hermeneutische Form, zwischen Gottes richtendem und begnadigendem Handeln bringen Iwand und Bonhoeffer die Botschaft von Gottes Wort, seiner Gerechtigkeit, seinem Lichtsein zu Gehör. Der Mensch ist in diesem Geschehen aktiv und passiv zugleich. Die Sprache in Metaphern ermöglicht eine größere Bedeutungsvielfalt und ist zugleich an biblische Sprechweise angelegt. Licht und Finsternis, Schein und Verblendung ermöglichen der Leserin/dem Hörer auf bildhafter Ebene einen Zugang zu den Phänomenen, ohne dass Iwand und Bonhoeffer auf dogmatische Begrifflichkeiten rekurrieren müssen. Die Phänomene der Sünde liegen für Iwand und Bonhoeffer vor allem in der Lüge: Denn die Sünde täuscht den Menschen gerade über sein Sünder-Sein. Im Gegensatz zu Gottes Licht ist die Sünde nur Schein und Verblendung. Ein zweites Hauptmerkmal ist die Einsamkeit, die aus der Sünde resultiert. Kirche und wahre Gemeinschaft besteht demzufolge aus Menschen, die beides sind: Sünder und gerecht Gemachte. Nicht der triumphierende Mensch der theologia gloriae kann über die Sünde herrschen und auch nicht derjenige, der sich durch seine Taten als gerecht erweisen will. Nur wer aus Gottes Vergebung lebt, kann sich wahrhaft als Sünder erkennen und bekennen.

Johannes von Lüpke

Christologischer Realismus Erkundungen zum Verständnis der Wirklichkeit bei Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand

1.

Die Frage nach der Wirklichkeit Gottes in der aktuellen Diskussion

Im Unterschied zu einer Theologie, die sich wesentlich als Auslegung der Heiligen Schrift und der in ihr bezeugten Offenbarung versteht, scheint mit der Frage nach der Wirklichkeit eine andere Aufgabe, wenn nicht gar eine andere Grundorientierung der Theologie gefordert zu sein. Entsprechend hat Hermann Fischer in seiner Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts1 zwei Wege unterschieden: Auf der einen Seite steht Karl Barths Kirchliche Dogmatik, die konsequent vom Grunddatum des in der Schrift bezeugten Wortes Gottes ausgeht und sich damit von aller „natürlichen Theologie“ abwendet. Auf der anderen Seite befinden sich verschiedene theologische Entwürfe, deren Gemeinsamkeit Fischer darin erkennt, dass sie sich der von Barth durchgeführten „christologischen Konzentration“ versagen, „um derjenigen Wirklichkeit Rechnung zu tragen, auf die sich das Evangelium bezieht und die deshalb ebenfalls zum Gegenstand der Theologie gehört.“2 Der „gemeinsame Ausgangspunkt“ dieser untereinander überaus disparaten Konzeptionen liegt demnach in der Aufnahme der „Wirklichkeitserfahrung des Menschen“ als Thema der Theologie.3 Blickt man auf die gegenwärtige Situation der evangelischen Theologie, drängt sich der Eindruck auf, dass dieser „andere Weg der Theologie“ inzwischen zur Hauptstraße geworden ist. Freilich zeigt sich hier insofern wiederum eine Verengung, als der Ansatz bei der „Wirklichkeitserfahrung des Menschen“ vor allem als Frage des Menschen nach sich selbst ausgelegt wird. Das Hauptinteresse gilt dem Selbstverhältnis und dem Gottesverhältnis nur insofern, als es im Selbst1 Hermann Fischer, Protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2002. 2 Ebd., 97. 3 Ebd.

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verhältnis impliziert ist oder in dieses übersetzt werden kann. Der Ansatz der Theologie beim Wort Gottes rückt hier unter den Verdacht, allzu gegenständlich von Gott zu denken, als ob man sich der Wirklichkeit Gottes außerhalb der Sphäre menschlicher Subjektivität vergewissern könnte. In der entschiedenen Abkehr von den Entwürfen einer Theologie des Wortes Gottes, die von dessen Gegebensein und Vermitteltwerden in der Heiligen Schrift ausgehen, wird nun die Selbsterkenntnis zur zentralen Aufgabe theologischer Reflexion.4 Die Gotteserkenntnis spitzt sich damit zu auf die Erkenntnis Gottes als des Grundes menschlicher Subjektivität und ist nur in dem Maße zu gewinnen, in dem der Mensch sich selbst durchsichtig wird.5 Und biblische Texte sind nach dieser sich auf Schleiermacher berufenden Theologie der Subjektivität vor allem daraufhin auszulegen, welches religiöse Selbstverständnis in ihnen zum Ausdruck kommt und welche Deutungsangebote sie für gegenwärtige Prozesse der Selbstverständigung bieten. Diese Theologie steht nun allerdings in der Gefahr, mit dem Begriff des Wortes Gottes zugleich auch ihren Bezug auf Wirklichkeit, zumindest ihren Anspruch auf eine theologische Erkenntnis von Wirklichkeit preiszugeben. Programmatisch formuliert Notger Slenczka: Theologie ist keine Theorie über Wirklichkeit, sondern erschließender Umgang mit dem vorthematischen, emotionalen Selbstverständnis des Menschen – und alle Aussagen der Theologie haben darin ihr Recht und ihre Plausibilität, dass sie in diesem Sinne religiös sind: Quelle des Selbstverständnisses, Anleitung zum Vollzug der Grundaufgabe, vor die Augustin den Menschen gestellt sieht: Erkenne dich selbst.6

Nun wird niemand bestreiten, dass diese Aufgabe wesentlich zur Theologie gehört. Wie Luther in seiner Vorrede auf den Psalter von 1528 bemerkt, ist in der 4 Vgl. den Überblick zur gegenwärtigen Gesprächslage in der Systematischen Theologie, mit dem Notger Slenczka auch seine eigene Position markiert: Flucht aus den dogmatischen Loci, 45–50. 5 Beispielhaft sei hier nur die These von Ulrich Barth (Religion in der Moderne, 417) zitiert: „Gott [kann] gar nicht anders gedacht werden denn als innerer Grund von Subjektivität.“ Dass die Bedeutung des Gottesgedankens vor allem, wenn nicht ausschließlich in der Vermittlung von Selbstdurchsichtigkeit zu suchen ist, zieht sich als cantus firmus durch das theologische Schrifttum von Christian Danz; vgl. die programmatischen Formulierungen am Ende seiner Einführung in die evangelische Dogmatik, 156: Theologische Dogmatik soll verstanden werden als „eine begriffliche Theorie des unableitbaren Geschehens des Sich-Verständlich-Werdens des Menschen in seiner Endlichkeit und Gebrochenheit“; es geht mithin entscheidend um „Selbstdurchsichtigkeit“. Die „Gehalte der Dogmatik werden als funktionale Bestimmungen des Glaubensgeschehens neu formuliert. Sie verweisen nicht auf eine Gegenstandssphäre, sondern sie sind die Medien der Darstellung des sich verständlich gewordenen menschlichen Lebens.“ Kritisch dazu Martin Laube, der im Blick auf solche Konzeptionen, ohne Namen zu nennen, von einer „religionstheologische[n] Schwundform selbstdurchsichtiger Endlichkeitsakzeptanz“ spricht (Die Unterscheidung von Theologie und Religion, 467). 6 Slenczka, Cognitio hominis et Dei, 228.

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Bibel auch „das rechte Gnothi seauton“7 zu finden. Die Frage ist jedoch, ob die Bedeutung biblischer Texte darin aufgeht. Das Selbst, das in den biblischen Spiegel schaut, findet – so Luther in direktem Anschluss – noch „dazu Gott selbst und alle Kreaturen“8. Indem die Bibel als Heilige Schrift „Gott selbst“ zu Wort kommen lässt, bezieht sie den Menschen auf eine Wirklichkeit, die außerhalb seiner selbst liegt und nur als solche, d. h. als ihm uneinholbar gegenüberstehende Wirklichkeit, auch für ihn bedeutsam ist. Indem die Theologie „Gott selbst“ zu erkennen sucht, weiß sie auch, dass sie ihn nicht abständig gegenständlich als eine für sich bestehende Größe betrachten und behandeln, sondern nur als Subjekt in seinem Wirken am Menschen und an seiner Schöpfung wahrnehmen kann. Die Orientierung am Wort Gottes eröffnet hier den Zugang zu einer Wirklichkeit, die konsequent vom Wirken Gottes her erfahren und verstanden wird. Wort und Wirklichkeit können hier gerade nicht gegeneinander ausgespielt werden. Doch wie verhält sich dieses theologische Wirklichkeitsverständnis, das Gott in seinem worthaften Wirken und die Wirklichkeit von Welt und Selbst als Wirklichkeit im Wort zu erkennen sucht, zu jenem Ansatz der Theologie bei der Wirklichkeitserfahrung des Menschen, also zu dem „anderen Weg“, der sich der Theologie des Wortes Gottes entgegensetzt? Und noch einmal grundsätzlicher gefragt: Was kann die Theologie überhaupt zum Verständnis der Wirklichkeit beitragen? Gibt es einen spezifisch theologischen Zugang zur Wirklichkeit im Ganzen? Im Folgenden suchen wir Antworten auf diese Fragen bei zwei Theologen, deren Wege im theologischen Denken sowie auch in ihrer theologischen Existenz als Zuwendung zur Wirklichkeit begriffen werden wollen: Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer. Dabei kann es im Rahmen dieser skizzenhaften Studie nicht darum gehen, die von diesen Theologen vorgelegten Konzeptionen der Wirklichkeit je für sich in werkgeschichtlicher Folge zu entfalten und systematisch zu rekonstruieren. Insbesondere in der Bonhoefferforschung, aber auch in der Iwandforschung ist hierzu schon vieles geleistet worden, was hier nicht zu reproduzieren und kaum zu ergänzen ist.9 In erster Linie soll es darum gehen, 7 Zitiert nach Bornkamm (Hg.), Luthers Vorreden zur Bibel, 55. 8 Ebd. 9 Aus der Fülle der Literatur seien insbesondere genannt: Jürgen Boomgaarden, Das Verständnis der Wirklichkeit. Dietrich Bonhoeffers systematische Theologie und ihr philosophischer Hintergrund in ‚Akt und Sein‘, Gütersloh 1999; Christiane Tietz-Steiding, Bonhoeffers Kritik der verkrümmten Vernunft. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung (Beiträge zur Historischen Theologie 112), Tübingen 1999; Friederike Barth, Die Wirklichkeit des Guten. Dietrich Bonhoeffers „Ethik“ und ihr philosophischer Hintergrund (Beiträge zur Historischen Theologie 156), Tübingen 2011; aus der älteren Literatur Rainer Mayer, Christuswirklichkeit. Grundlagen, Entwicklung und Konsequenzen der Theologie Dietrich Bonhoeffers, Stuttgart 2 1980 und vor allem Ernst Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, Hermeneutik – Christo-

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Iwand und Bonhoeffer miteinander ins Gespräch zu bringen und in der Sache von ihnen zu lernen. Vor dem Hintergrund, dass diese zwar in ihrer Berufsbiographie, in ihren theologischen Prägungen und Interessen viele Parallelen und Gemeinsamkeiten aufweisen, aber ihre Gedanken kaum in ausdrücklicher Bezugnahme aufeinander entwickelt haben, handelt es sich um ein nachzuholendes Gespräch, im Blick auf die Situation der gegenwärtigen evangelischen Theologie um vorläufige Impulse zu einem Gespräch, das dringend weiter zu führen ist.

2.

Gotteswirklichkeit in Unterscheidungen und zugleich als die eine Wirklichkeit

Bonhoeffer und Iwand treffen sich bei allem, was sie in anderer Hinsicht unterscheidet, in dem Interesse an einem dezidiert theologischen Verständnis der Wirklichkeit. Orientierung am Wort Gottes, wie es in der Heiligen Schrift vernehmbar ist, und ein Sich-Einlassen auf die Wirklichkeit von Welt und Mensch bezeichnen hier keine Alternative. Dabei ist beiden Theologen nur allzu sehr bewusst, dass weder die Erfahrung noch der Begriff der Wirklichkeit eindeutig vorgegeben sind. Um das rechte Verständnis der Wirklichkeit ist vielmehr zu ringen. Beide Theologen treten mithin ein in den „Streit um die Wirklichkeit“, wie ihn Gerhard Ebeling einmal als Streit zwischen Glaube und Unglaube gekennzeichnet hat.10 Auf die Strittigkeit des Begriffs wird bereits dadurch hingewiesen, dass dem Nomen Adjektive wie „real“, „wahr“ oder „eigentlich“ beigegeben werden, die insofern tautologisch sind, als sie nur noch einmal hervorkehren, was im Begriff der Wirklichkeit schon beschlossen liegt: dass diese nicht bloßer Schein, täuschende Erscheinung oder Einbildung, sondern eben wirkliches Sein bedeutet. logie – Weltverständnis, Gütersloh 41991. Im Blick auf Iwand sei vor allem auf die umfassende, das Gesamtwerk Iwands beleuchtende Arbeit von Gerard C. den Hertog, Befreiende Erkenntnis. Die Lehre vom unfreien Willen in der Theologie Hans Joachim Iwands (Neukirchener Beiträge zur Systematischen Theologie 16), Neukirchen-Vluyn 1994, verwiesen sowie auf die einschlägigen Studien von Edgar Thaidigsmann: Theologie in der Zeit. Das Beispiel Hans Joachim Iwands, in: Evangelische Theologie 41 (1981) 114–142; Theologischer Realismus bei Hans Joachim Iwand, in: Zeitschrift für Dialektische Theologie 9 (1993), 7–19; Das Urteil Gottes und der urteilende Mensch. Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus bei Hans Joachim Iwand, in: Neue Zeitschriftt für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 39 (1997), 285–303; Der wirkliche Gott und der wirkliche Mensch. Iwands Verständnis der Theologie Luthers im Kontext der Lutherforschung, in: ders., Einsichten und Ausblicke. Theologische Studien, hg. v. Johannes von Lüpke, Berlin 2011, 204–219. 10 Ebeling, Glaube und Unglaube im Streit um die Wirklichkeit, 393–406; kritisch dazu: Thaidigsmann, Auf der Suche nach dem Fundamentalen, 141–158. Nicht zuletzt stehen bei dieser Kritik Impulse der beiden Theologen im Hintergrund, deren Wirklichkeitsverständnis im Folgenden darzustellen ist.

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Man muss also unterscheiden zwischen einer so genannten Wirklichkeit und einer solchen, „die diesen Namen verdient“. Wenn Hans Joachim Iwand leidenschaftlich nach der Wirklichkeit Gottes fragt, so genau deswegen, weil diese „die einzige Wirklichkeit [ist], die diesen Namen verdient.“11 Und wenn er eher beiläufig in einer anderen Predigtmeditation feststellt, uns fehle „der Sinn für die reale Wirklichkeit“12, so sieht er die Bedeutung der reformatorischen Theologie positiv darin, dass sie diesen Sinn erneut gefördert hat, und zwar dadurch gefördert hat, dass sie alles theologische Denken und Reden auf die Begegnung zwischen dem „wirklichen Gott“ und dem „wirklichen Menschen“ konzentriert hat, um von dieser Mitte her die Weite der Wirklichkeit im Ganzen zu erschließen.13 Schon 1932 betont Iwand den „Wirklichkeitsernst“14 der reformatorischen Rechtfertigungslehre: Uns geht die Wirklichkeit des Menschen und die Wirklichkeit Gottes an und dies, daß das eine ohne das andere nicht gefunden werden kann. Alles, was auf Erden geschieht, in seinem letzten, endgültigen, eschatologischen Sinne, hat dies eine Ziel: den wirklichen Menschen und den wirklichen Gott miteinander zu konfrontieren.15

Nur durch Unterscheidungen im Verständnis der Wirklichkeit lässt sich ein spezifisch theologischer Begriff der Wirklichkeit gewinnen. So ist auch Dietrich Bonhoeffers Denken von der „Frage nach der letzten Wirklichkeit“16 bewegt, die von dem, was gemeinhin als das Wirkliche angesehen wird, deutlich zu unterscheiden ist. Der gesuchte theologische Begriff ist „völlig verschieden“ von dem „positivistisch-empiristische[n]“ Begriff, der das Wirkliche mit dem „empirisch Feststellbaren“ gleichsetzt und dabei die „Begründung dieser Wirklichkeit in der letzten Wirklichkeit, in Gott,“ leugnet.17 Es geht entscheidend um die „Gotteswirklichkeit“, diese aber nicht abgehoben von der Weltwirklichkeit, sondern in sie eingehend.18 Ebenso wie bei Iwand steht auch bei Bonhoeffer die in Jesus Christus gegebene Einheit von „Wirklichkeit Gottes und Wirklichkeit des Menschen“ im Zentrum. Von dieser Mitte her erschließt sich das Ganze der Wirk-

11 Iwand, Predigt-Meditationen, 641 (Meditation über Joh 14,1–14 zum Fest der Himmelfahrt Christi 1959). 12 Ebd., 578 (Meditation über Joh 8,30–36 zum Reformationsfest 1957). 13 Vgl. zu dieser Zuspitzung reformatorischer Theologie die in Anm. 9 genannte Studie von Edgar Thaidigsmann, Der wirkliche Gott und der wirkliche Mensch. 14 Iwand, Der Kampf um das Erbe der Reformation, GA II, 131. 15 Ebd., 132; in der Christologievorlesung von 1953/54 wird dieser für Iwand zentrale Gedanke noch einmal pointiert herausgestellt (Christologie, NWN 2, 35): „Der wirkliche Gott will dem wirklichen Menschen begegnen, das heißt Soteriologie! Wir sollen es mit Wirklichkeiten zu tun haben, nicht mit erdachten Bildern von Wirklichkeiten!“ 16 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 34. 17 Ebd., 38f. 18 Vgl. ebd., 39.

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lichkeit. Genauer: Dieser eine Jesus Christus ist „der Wirkliche schlechthin“19, der die Wirklichkeit allererst wirklich werden lässt. „Weil er als der Wirkliche Ursprung, Wesen und Ziel alles Wirklichen ist, darum ist er selbst der Herr und das Gesetz des Wirklichen.“20

3.

Theologie des Kreuzes als Schlüssel zur Wirklichkeit Gottes und des Menschen

Die christologisch gefasste Mitte, von der her und in der sich die Wirklichkeit im Ganzen erschließt, ist freilich nicht unmittelbar gegeben und aufweisbar. Sie vermittelt sich im Wort und als Wort, das gehört und ausgelegt werden will. Achten wir auf die Auslegung der Christuswirklichkeit zunächst wieder bei Iwand, so ist ein kreuzestheologischer Grundzug unverkennbar.21 Schon früh, wiederum in dem bereits zitierten Vortrag Der Kampf um das Erbe der Reformation legt er „die Wirklichkeit, die Gott und Mensch zusammenschließt“22 vom Kreuzesgeschehen und damit als ein Ereignis der Konfrontation des Menschen mit Gott und mit sich selbst aus: Christus ist der Abschluß und einheitssetzende Mittelpunkt der Offenbarung Gottes. Gott ist aus sich herausgegangen, damit wir in uns gehen, er hat sein Urteil über die Welt gesprochen, damit wir uns daran selbst beurteilen. Im Christus am Kreuz, in diesem eigensten Werk Gottes ist offenbar geworden, wie es um den Menschen steht, daß alle Welt verloren ist […], wenn dem Typus Adam nicht ein anderer Typus entgegengesetzt wird.23

In der Mitte steht mithin ein überaus dramatisches, konfrontatives Geschehen. Und nur sofern sich der Mensch im Glauben von dem hier gesprochenen Urteil richten lässt, erkennt und realisiert er die wahre Wirklichkeit von Gott und Mensch. Eine Schlüsselbedeutung kommt hier der in Luthers Heidelberger Disputation klassisch formulierten Einsicht zu: Es ist der Theologe des Kreuzes, der sagt, was Sache ist – „Theologus crucis dicit, id quod res est.“24 Genau hier, mit diesem Zitat und an der von ihm markierten Stelle, „bricht der Begriff der 19 Ebd., 263. 20 Ebd. 21 Für eine tiefer gehende Interpretation der Kreuzestheologie Iwands verweise ich noch einmal auf den Aufsatz von Thaidigsmann, Das Urteil Gottes und der urteilende Mensch, und auf die Arbeit von Christian Neddens, Politische Theologie und Theologie des Kreuzes. 22 Iwand, Der Kampf um das Erbe der Reformation, GA II, 140 (hier rechtfertigungstheologisch verstanden). 23 Ebd., 137 (mit Zitaten aus Luthers Römerbriefvorlesung und einer Predigt von 1516). 24 Martin Luther, Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, Bd. 1, 52 (These XXI der Heidelberger Disputation).

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Wirklichkeit durch.“25 Das heißt dann in erkenntniskritischer Hinsicht: Diese Wirklichkeit entzieht sich einem feststellenden Zugriff, als ob wir über die Sache als Faktum zu urteilen hätten. Vielmehr ist diese Wirklichkeit nur zu erkennen, wenn man das Ereignis des Kreuzes als Gericht anerkennt, sich selbst also richten und durch das Gericht hindurch in die Einheit des „wirklichen Gottes“ und des „wirklichen Menschen“ einbeziehen lässt. Hier „kann man immer nur beides zugleich finden: Gott, den wirklichen Gott, der der Herr meines ganzen Lebens ist, und die Wirklichkeit dieses Lebens selbst in seiner ganzen tiefen Rätselhaftigkeit.“26 Vom Kreuz Christi her wird „die Wirklichkeit“ gesehen, „wie sie ist“ – formuliert Iwand in einer eindrucksvollen Meditation zum Karfreitag27. Ein „Weltbild“, das im Kreuzestod Jesu die Gewalten von Sünde und Tod als die herrschenden ansieht, ist für Iwand gänzlich subjektiv, es verdeckt die Wirklichkeit und Wahrheit Gottes, wie sie in der Versöhnungstat und Versöhnungsbotschaft vor uns stehen. Der Unglaube kann nicht anders, er muß dort Wirklichkeit sehen, wo keine ist, und vermag dort keine zu sehen, wo sie – und zwar für alle Zeit jetzt schon faßbar ist. Sonst wäre er ja nicht der Unglaube. Er subjektiviert das Welt-Bild, er lebt in ‚seiner‘ Welt, in der Welt des um sich selbst kreisenden Menschen […].28

Der Glaube dagegen, der sich durch das Wort vom Kreuz gleichsam die Augen öffnen lässt, sieht hier die Welt, wie sie wirklich ist: „in der Versöhnungstat Gottes in Jesus Christus haben Sünde, Tod und alle satanischen Mächte den Realgrund ihrer Existenz verloren.“ Hier gilt ein strenges Entweder-Oder: Entweder Gott bestimmt mit seiner Versöhnungstat in Christo die Welt, dann haben diese Mächte der Sünde und des Todes keinen Anspruch auf Realität, bzw. was sie an Realität noch haben, verdanken sie unserem Unglauben; oder sie sind real, sie machen den Realitätsgrund dieser Welt aus, dann ist Gott keine Realität, dann ist er weder unser Schöpfer noch unser Versöhner noch Erlöser, sondern nur noch ein Gegenstand, eine hypostasierte Größe des frommen Bewußtseins.29

„Von Gott angenommen, im Kreuz gerichtet und versöhnt, das ist die Wirklichkeit der Menschheit.“30 In der Entschiedenheit und Klarheit, in der auch Bonhoeffer das Kreuz in die Mitte rückt, um von ihm her die Wirklichkeit Gottes 25 Iwand, Theologia crucis, NW 2, 389; zur Rezeption der Heidelberger Disputation sowie der Kreuzestheologie Luthers vgl. außerdem Iwands Christologievorlesungen, in: ders., Christologie, NWN 2, insbes. 406–410. 26 Iwand, Theologia crucis, NW 2, 396. 27 Iwand, Predigt-Meditationen, 550 (1957); zum „Realismus des Karfreitags“ ist auch die frühere Meditation zum Karfreitag 1954 zu vergleichen, ebd., 385. 28 Ebd., 550. 29 Ebd., 549. 30 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 75.

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sowie die Wirklichkeit überhaupt zu erkennen, zeigt sich wohl die tiefste sachliche Übereinstimmung, die beide Theologen miteinander verbindet. Und so wie bei Iwand die Erkenntnis des Gekreuzigten auch als praktische Erkenntnis vollzogen werden will, die in ein „neue[s] Verhältnis zur Wirklichkeit“31, auf den „Weg des Kreuzes“ in das „wirkliche Leben“32 hineinführt, legt Bonhoeffer das am Kreuz vollzogene Gericht auf den Prozess der Neugestaltung im Sinne der „Gleichgestaltung“33 mit Jesus Christus aus. Dabei legt er eine dreifache und in der Dreiheit zugleich einzige Gestalt Jesu Christi zugrunde: „Gestaltung gibt es […] allein als Hineingezogenwerden in die Gestalt Jesu Christi, als Gleichgestaltung mit der einzigen Gestalt des Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen.“34 In dieser Drei-Einheit liegt ein besonderer Akzent auf dem Gedanken der Menschwerdung. Dass Jesus Christus „der wirkliche Mensch“ ist, das heißt für Bonhoeffer auch, dass er „der Grund aller menschlichen Wirklichkeit“ ist: „Christus hebt die menschliche Wirklichkeit nicht auf zugunsten einer Idee, die Verwirklichung gegen alles Wirkliche forderte, sondern Christus setzt die Wirklichkeit gerade inkraft, er bejaht sie“35. Christologisch liegt hier der Gedanke der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi zugrunde, ein Gedanke, der bei Iwand zwar nicht ausgeblendet ist,36 aber vielleicht doch nicht in seinem Gewicht zureichend zur Geltung gebracht ist. Für Bonhoeffers Wirklichkeitsverständnis ist er von kaum zu überschätzender Bedeutung.37 Gerade mit ihm wird einem Idealismus gewehrt, der das Werk Jesu Christi nur als Gegenprogramm gegen die vorhandene Wirklichkeit zur Geltung bringt. Das kritische Sich-Einlassen Gottes auf die Welt und auf den Menschen, ist im Sinne des Johannesprologs als ein Kommen in sein „Eigentum“ zu verstehen, mithin als ein Kommen in die Welt, die immer schon von ihm herkommt. Von daher ist es zu verstehen, dass Bonhoeffer in seiner Ethik nicht nur den „Kompromiß“, der zu einer unkritischen Anpassung an bestehende Verhältnisse führt, verwirft, sondern auch dem „Radikalismus“, der „einem bewußten oder unbewußten Haß gegen das Bestehende“ entspringt, eine scharfe Absage erteilt.38 Hinter den verschiedenen Gestalten des Radikalismus, auch und gerade in Ge31 32 33 34 35 36

Iwand, Theologia crucis, NW 2, 382. Ebd., 395. Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 80–90. Ebd., 80. Ebd., 86. Vgl. ders., Christologie, NWN 2, 244f, zur Verbindung von Kreuzestheologie und Schöpfungstheologie die knappen Hinweise in der jüngst edierten Schöpfungstheologievorlesung Iwands, in: Dogmatik-Vorlesungen 1957–1960, 92: „Erst hier, erst am Kreuz Jesu Christi sehen wir die Welt nach dem, was sie als Schöpfung Gottes, als sein gutes und vollkommenes Werk ist.“ 37 Vgl. Trowitzsch, Die Freigabe der Welt, 143–158. 38 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 146.

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stalt eines christlichen Radikalismus, erkennt er „Haß gegen die Schöpfung“, „Verweigerung des Schöpfungsglaubens“: „Aus der offenen Kirche Jesu Christi, die der Welt dient bis zuletzt wird irgendein angeblich urchristliches Gemeindeideal, das wiederum die Wirklichkeit des lebendigen Jesus Christus mit der Verwirklichung einer christlichen Idee verwechselt.“39 Der lebendige Christus aber, der als Mittler der Schöpfung Ursprung, Mitte und Ziel aller Wirklichkeit ist, lässt „die menschliche Wirklichkeit, ohne sie zu verselbständigen und ohne sie zu zerstören, als Vorletztes bestehen“40. Die vorfindliche Wirklichkeit hat als „das Vorletzte“, in der Unterschiedenheit von und zugleich in der Hinordnung auf das „Letzte“, sein Recht, wie es Bonhoeffer dann auch als das Recht des „natürlichen Lebens“41 auslegt.

4.

Verständnis des Menschen aus seinen eigenen Möglichkeiten oder aus der Begegnung mit Gott

Die weitere Entfaltung dieses Ansatzes in der materialen Ethik ist hier nicht weiter zu verfolgen. Lediglich auf den grundsätzlichen Zusammenhang von Wirklichkeitsverständnis und Ethik und auf das in ihm begründete Freiheitsverständnis sei kurz hingewiesen. Mit dem Ansatz bei der Wirklichkeit, wie sie in Jesus Christus als die wahre Wirklichkeit gegeben ist, verbindet sich bei Bonhoeffer eine prinzipielle Kritik an Konzeptionen einer Anthropologie und Ethik, die unter der Dominanz der Kategorie der Möglichkeit stehen.42 Die scharfe Kritik richtet sich gegen alle Versuche, den Menschen „aus seinen Möglichkeiten zu verstehen“43. Dagegen setzt Bonhoeffer ein dezidiert theologisches Verständnis des Menschen, das diesen von der Wirklichkeit der Gottesbeziehung her bestimmt sieht. „Soll die Frage nach dem Menschen wirklich ernst gestellt werden, so kann sie nur dort gestellt werden wo der Mensch vor Gott ist.“44 Und „in der Beziehung des Menschen zu Gott […] gibt es keine Möglichkeiten, dort gibt es ausschließlich Wirklichkeit. […] da gibt es nur Gebot und Gehorsam.“45 Diese überaus zugespitzte Entgegensetzung wird freilich missverstanden, so lange man nicht beachtet, dass für Bonhoeffer, wie insbesondere in den Frag-

39 40 41 42

Ebd., 146f. Ebd., 149. Vgl. ebd., 163–217. Grundlegend schon in seiner Antrittsvorlesung „Die Frage nach dem Menschen in der gegenwärtigen Philosophie und Theologie“ (1930), DBW 10, 357–378. 43 Ebd., 368. 44 Ebd., 369. 45 Bonhoeffer, Schöpfung und Fall, DBW 3, 101.

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menten zur Ethik klargestellt wird, das Gebot Gottes als Wort des lebendigen Gottes das Element der Freiheit ist. Das Gebot Gottes wird zu dem Element, ‚in‘ dem man lebt, ohne daß man sich dessen immer wieder bewußt würde. Das Gebot als Element des Lebens bedeutet Freiheit der Bewegung und des Handelns, Freiheit von der Angst vor der Entscheidung, vor der Tat, es bedeutet Gewißheit, Ruhe, Zuversicht, Gleichmaß, Freude. Nicht weil ich an den Grenzen meines Lebens ein drohendes ‚Du sollst nicht …‘ steht, sondern weil ich die in der Mitte und Fülle des Lebens mir begegnenden Gegebenheiten, Eltern, Ehe, Leben, Eigentum als Gottes heilige Setzung selbst bejahe […].46

Es ist dieses Freiheitsverständnis, das auch in Bonhoeffers spätes Gedicht Stationen auf dem Wege zur Freiheit47 eingegangen ist: „Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, / nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, / nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.“48 Wenn Bonhoeffer das Begriffspaar Möglichkeit und Wirklichkeit antithetisch auslegt, geht es ihm um den Gegensatz und das rechte Zusammenkommen von Gott und Mensch. Ein Schweben „im Möglichen“ ist eben deswegen problematisch, weil es den Menschen auf sich selbst zurückwirft und in der Reflexion auf die eigenen Möglichkeiten die ihm von Gott gewährte geschöpfliche Wirklichkeit verfehlen lässt.49 Dem Gegensatz von Möglichkeit und Wirklichkeit liegt hier der Gegensatz von Sünde und Gnade zugrunde. Es ist der Mensch als Sünder, der „sich nicht in der Wirklichkeit seiner Bestimmtheit vom Ursprung, sondern in seinen eigenen Möglichkeiten“50 versteht. Und die Wirklichkeit, die es gegen die Sünde festzuhalten und in Christus wiederzugewinnen gilt, ist die „Wirklichkeit des von Gott Erwählt- und Geliebtseins“51, also die Wirklichkeit, die dem Menschen als Geschöpf in der Beziehung zu Gott zukommt. So lange sich der Mensch „nur aus seinen Möglichkeiten oder aus seinen Werken“ versteht, bleiben ihm

46 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 385. 47 Ders., Widerstand und Ergebung, DBW 8, 571. Zur Interpretation des Gedichts verweise ich auf meine Studie: Wege zur Freiheit, 61–76 und 315–319. 48 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 571. 49 Im Nachwort der Herausgeber von „Schöpfung und Fall“ wird auf Karl Holls Lutherstudie „Der Neubau der Sittlichkeit“ verwiesen, in der sich in der Auslegung des „pecca fortiter“ bei Luther eine ähnliche Entgegensetzung findet (ebd., 235): „Auf diesen Boden gilt es sich zu stellen, sich selbst rückhaltlos als den Sünder zu nehmen, der man nun einmal in Wahrheit ist, aber ebenso vorbehaltlos aus Gottes Erbarmen und aus der Kraft, die dem Gläubigen von Christus her zuströmt, den Mut zum Leben und zum Handeln zu schöpfen. Das Ergreifen der Wirklichkeit ist das Erlösende. Wer sich mit der bloßen Möglichkeit herumschlägt, ist trotz seines scheinbaren Ernstes noch nicht im vollen Sinn gegen sich wahrhaftig geworden. Es steckt in ihm noch ein Stück Anmaßung, sofern er sich nicht drein ergeben mag, daß er als Mensch immer nur ein Werdender und das heißt zugleich: immer ein Sünder ist.“ 50 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 302. 51 Ebd., 303.

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„die Möglichkeiten und Werke des lebendigen Gottes“ unzugänglich, ist ihm „ein Leben aus dessen Möglichkeiten und Werken“ unbegreiflich.52 Mit der Unterscheidung zwischen einem Leben aus den Möglichkeiten des Menschen und einem Leben aus den „Möglichkeiten und Werken“ Gottes ist das Kernproblem im Streit um das theologische Verständnis der menschlichen Freiheit angesprochen. Ist Freiheit Wahlfreiheit in dem Sinn, dass der Menschen zwischen den ihm verfügbaren Möglichkeiten des Handelns wählen kann und muss? Oder ist Freiheit – zumindest dann, wenn es um die Wahrnehmung des Gottesverhältnisses und die innerste Bestimmung seines Willens geht – entscheidend darin zu erkennen, dass der Mensch Gott als seinen Schöpfer und Erlöser anerkennt und sich von dessen Wirken bestimmen lässt? Genau diese Frage bewegt Iwand schon seit seinen frühen Studien zur Lehre vom unfreien Willen53 bis hin zu dem relativ späten, 1957 erstmals veröffentlichten Aufsatz Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens54. Vom unfreien Willen handeln heißt, von den Taten Gottes handeln. Die Lehre vom unfreien Willen wird damit unwillkürlich zum Lobpreis des Schöpfers an meinem Leben, und was wäre auch billiger, als so meinem Erlöser zu danken.55

Diese summarische Formulierung will als sachgemäße Interpretation der Lehre Luthers verstanden werden, und sie gewinnt ihre kritische Stoßrichtung zugleich in der Auseinandersetzung Iwands mit Strömungen der modernen Theologie. Luthers gegen Erasmus vorgetragene Lehre vom unfreien Willen bleibt ein Fremdkörper, sofern diese Theologie, die des Erasmus ebenso wie die seiner modernen Nachfahren den Menschen als ein seiner selbst mächtiges Subjekt voraussetzt und damit ihrerseits einem Glauben stattgibt: dem Glauben des natürlichen Menschen, der „nicht anders kann als an seine Freiheit [zu] glauben“56. Dass gerade darin seine Unfreiheit liegt, dass also das natürliche Freiheitsbewusstsein illusionär ist, wird von Iwand als die negative Pointe der Lehre vom servum arbitrium herausgestellt. Der Mensch, der sich aus seinen Möglichkeiten versteht und meint diese verwirklichen zu können, täuscht sich so nicht nur über sich selbst, sondern auch über die Wirklichkeit Gottes.

52 Ebd., 139. 53 Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben. Eine Einführung in Luthers Schrift vom unfreien Willen (1930); Studien zum Problem des unfreien Willens (1930). 54 GA I, 247–268. 55 Iwand, Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben, GA I, 26f. 56 Ders., Studien zum Problem des unfreien Willens, GA I, 38; vgl. ders., Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens, GA I, 263: „der natürliche Mensch glaubt an seine Freiheit und muß an sie glauben. Die Freiheit des Willens ist ein Glaubenssatz.“

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Alle Wirklichkeit wird sich für ihn – den Menschen des freien Willens – auflösen in seine ureigensten Möglichkeiten, Gott wird er nicht mehr finden, sondern der Gott, den er von seinem freien Willen her ergreift oder auch verwirft, wird der Gott seiner geistigen, religiösen, moralischen Möglichkeiten sein.57

So wenig der Mensch diese ‚Gefangenschaft‘ des in den eigenen Möglichkeiten Befangenseins aus sich heraus aufheben kann, so sehr ist er darauf angewiesen, dass ihm die Befreiung von außerhalb seiner selbst widerfährt. In dieser Hinsicht erschließt sich der positive Sinn des zitierten Satzes: „Vom unfreien Willen handeln heißt, von den Taten Gottes handeln.“58 „Nur wenn Gottes Heil sich uns zuwendet, wenn von Gott aus eine Bewegung auf uns hin geschieht, wenn das Tun Gottes außerhalb des Bereiches unserer Möglichkeiten bleibt, kann der Mensch glauben und gerettet werden.“59 Befreiung ist somit strikt als Widerfahrnis, als Handeln Gottes am Menschen zu verstehen. Widerfahrnis freilich heißt wirkliche Begegnung, also keineswegs die Auslöschung menschlicher Subjektivität. Der Mensch erfährt sich als von Gott angesprochen, als Sünder angeklagt und kraft der Gnade Gottes gerechtfertigt. Eben diese wirkliche Begegnung ist für Iwand das, was am Kreuz wirklich geschehen ist und durch das Wort vom Kreuz immer wieder neu vermittelt wird: Durchs Kreuz werden die opera abgebaut. Weil sich der Mensch hinter seinen Werken versteckt, muß Gott im Leiden unser Vermögen abbauen, alle Mauern und Wände niederlegen, die wir zwischen ihn und uns gesetzt haben und setzen, um uns wirklich zu erreichen. Allein in der nackten Passivität, im Sein dessen, der ich bin, will seine Gnade mich finden. So begegnet Gottes Wirklichkeit der Wirklichkeit des Menschen.60

In dieser Formulierung kommt noch einmal das zentrale Anliegen der Theologie Iwands, gleichsam ihr Herzstück, zum Ausdruck: Weder die Wirklichkeit Gottes noch die Wirklichkeit des Menschen sind je für sich, als unabhängig voneinander zu betrachtende ‚Gegenstände‘ zu erkennen, sondern nur in dem Geschehen der Begegnung, in dem sie sich aneinander verdeutlichen. Und sofern das Kreuz Inbegriff dieser Begegnung ist, liegt in ihm die Mitte reformatorischer Theologie.

5.

Zur Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis

Kommen wir von dieser These noch einmal auf die eingangs skizzierte Problemlage der gegenwärtigen evangelischen Theologie zurück. Die Absage, wie sie von Notger Slenczka programmatisch vollzogen wird, gilt einer Theologie, die 57 58 59 60

Ebd., 256. Ders., Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben, GA I, 26. Ders., Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens, GA I, 260. Ebd.

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sich als „Theorie über Wirklichkeit“61 versteht, wobei Theorie näher bestimmt wird als „Beschreibung der gegenständlichen Voraussetzung des Glaubens – des Handelns Gottes in Christus oder der Qualitäten der Heiligen Schrift oder des Wesens und Seins Gottes“62. „Theologie von einem als Voraussetzung des Glaubens gefassten Offenbarungshandeln Gottes her zu betreiben“, sei „ein nicht gangbarer Weg“.63 „Nicht gangbar“, so wird man folgern müssen, wären demnach auch die von Bonhoeffer und Iwand beschrittenen Wege, Wirklichkeit zu erkunden. Auch sie suchen ja die wahre Wirklichkeit vom Offenbarungshandeln Gottes her zu verstehen und sehen diese als eine dem Glauben vorgegebene, ihm gegenüber liegende Wirklichkeit an. Damit sind sie eben der Kritik ausgesetzt, wie sie Folkart Wittekind in Bezug auf die Theologie Iwands so formuliert hat: […] die einfache Behauptung einer Wirklichkeit Gottes jenseits des menschlichen Wissens ist ebenso haltlos wie die Behauptung einer grundsätzlichen Offenbarung der Transzendenz nur in Jesus Christus und damit die Vorordnung der Beziehung ChristusGott vor allen menschlichen religiösen Erkenntnissen und Vollzügen.64

Aber trifft diese Kritik die von Iwand und Bonhoeffer vertretenen Konzeptionen der Wirklichkeit Gottes und des Menschen? Dass die Wirklichkeit, so wie sie in Christus erkannt wird, gerade nicht gegenständlich erfasst werden kann, ist beiden durchaus bewusst. Eine Objektivität, wie sie in den Wissenschaften von Natur und Geschichte nach den Standards moderner Erkenntniskritik möglich und notwendig ist, ist in Bezug auf die Wirklichkeit Gottes und seiner Beziehung zum Menschen weder möglich noch sachgemäß. Die ‚Sache‘, um deren Erkenntnis es in der Theologie geht, ist wesentlich relational verfasst. Sie ist nur so zu erkennen, dass der Mensch in ihr und durch sie auch sich selbst erkennt. Im Gegenüber klärt sich beides: Wer Gott für den Menschen und wer der Mensch vor Gott ist. Die Wirklichkeit Gottes in der Begegnung mit Christus und insbesondere mit ihm als dem Gekreuzigten zu erkennen, heißt zugleich die Wirklichkeit des eigenen Lebens zu erkennen und dem Wirken Gottes auszusetzen. In den Worten von Iwand: Die Theologia crucis ist weder eine lediglich theoretische Wendung, noch eine bloße Antithese zu der Theologiae gloriae, sondern sie will in unser Leben eingezeichnet sein, Von ihr aus will verstanden sein, was es heißt, ein Glaubender, ein Hoffender, ein Liebender – ja was es überhaupt heißt, ein Christ zu sein. Denn eigentlich kann man ein Christ nie sein, man kann es nur werden.65

61 62 63 64 65

Slenczka, Cognitio hominis et Dei, 228. Ders., Flucht aus den dogmatischen Loci, 47. Ebd. Wittekind, Aporie oder ‚Etappenziel‘?, 146. Iwand, Theologia crucis, NW 2, 394.

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Sofern die von Slenczka erhobene Forderung nach „Entsubstantialisierung“ an den relationalen Charakter religiöser Rede und theologischer Erkenntnis erinnert, kann sie sich zu Recht sowohl auf Luther als auch auf Augustin berufen. So hat Luther als Regel einer theologischen Dialektik formuliert, die Frage nach Gott sei „nicht unter der Kategorie der Substanz, sondern unter der Kategorie der Beziehung“66 zu verhandeln. Und bekanntlich hat schon Augustin die Kategorie der Relation in ihrer Schlüsselbedeutung für die Erkenntnis des dreieinigen Gottes hervorgehoben.67 An Augustin schließt sich Slenczka an, wenn er die Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis betont. Doch wie ist diese Einheit genauer zu fassen? Gehen wir dieser Frage nach, erweist sich die von Slenczka und anderen zeitgenössischen Theologen empfohlene Alternative zu der Theologie der Offenbarung, wie sie von Karl Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik klassisch entfaltet worden ist, als durchaus problematisch. Und die beiden hier vorgestellten Entwürfe können ihre aktuelle Bedeutung gerade als Kritik dieser Alternative erweisen. Zu kritisieren ist dieser programmatisch geforderte, aber erst in Ansätzen ausgeführte Alternativentwurf, sofern er in der Abkehr von dem vermeintlichen Substanzdenken einer Theologie der Offenbarungswirklichkeit nun seinerseits unter umgekehrtem Vorzeichen substantiell denkt: nun eben nicht von der Wirklichkeit Gottes, sondern von der Wirklichkeit des menschlichen Subjekts. Ist die Gotteserkenntnis eine Funktion der Selbsterkenntnis in dem doppelten Sinn, dass sie immer schon im Menschen angelegt ist und sich als Selbsterkenntnis im Sinne vollkommener „Selbstdurchsichtigkeit“68 vollendet, dann ist die Gottesbeziehung der Selbstbeziehung eingeordnet und untergeordnet. Ob und in welcher Weise diese konsequente Einbeziehung des Gottesverhältnisses in das Selbstverhältnis mit dem Bezogensein und Bezogenwerden auf die Wirklichkeit Gottes als des externen Grundes menschlicher Subjektivität zu vereinbaren ist, bleibt rätselhaft.69 66 „Deum quaerendum esse non in praedicamento substantiae, sed relationis.“ So die bei Johann Gerhard überlieferte Formulierung (Loci theologici, prooemium de natura theologiae, 28; in der Ausgabe von Ed. Preuss, Bd. 1, 8; vgl. ebd., 287 (loc. II, 94) sowie bei Luther WA 40 II, 354,3f; 421,6f (22–24); 40 III, 62,38–63,20; 334,23–26; 42, 634,20–22; 635,19; 46, 337,4f. (27f). 67 Vgl. Augustin, De trinitate, Buch V, neu übersetzt und mit Einleitung hg. von Johann Kreuzer, 370–395. 68 Danz, Einführung in die evangelische Dogmatik, 156. 69 Slenczka weiß um die „Gegeninstanzen“, die die von ihm vertretene These „nicht bruchlos integrieren kann“, und nennt beispielhaft „das Insistieren auf dem ‚extra nos‘“, meint aber gleichwohl, solche „Gegeninstanzen“ ließen sich „einfügen“ (Reformation und Selbsterkenntnis, 29). Ähnlich äußert er sich zur Christologie: Dem Programm, „religiöse Aussagen insgesamt als Selbstausdruck des religiösen Subjektes“ aufzufassen und damit „einer Tendenz der religiösen Rede zur Objektivierung eines religiösen Gehaltes entgegenzuwirken“,

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Um hier Klarheit zu gewinnen, sei an eine Einsicht erinnert, die Bonhoeffer und Iwand in der Schule reformatorischer Theologie gelernt und in den Debatten ihrer Zeit zur Geltung gebracht haben. Im Anschluss an den fünften Artikel der Confessio Augustana formuliert Iwand die These, „daß es keine Unmittelbarkeit zu Gott gibt, daß alle auf einem unmittelbaren Gottesverhältnis aufbauenden Lösungen des Verhältnisses von Gott und Mensch im Bereich des bloß Möglichen verharren, aber nicht den wirklichen Gott und den wirklichen Menschen treffen.“70 Dass es keine Unmittelbarkeit im Verhältnis von Gott und Mensch gibt, schließt beides aus: sowohl den direkten Zugriff auf die Wirklichkeit göttlicher ‚Sachverhalte‘ als auch die komplette Reduktion des Gottesverhältnisses auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst. Positiv gewendet lautet die These: Sowohl das Gottesverhältnis als auch das Selbstverhältnis ist konstitutiv durch das Wort Gottes vermittelt. „Das Wort schafft das unaufhebbare Gegenüber. Alle Tatsachen, auch Christus, habe ich nur im Gegenüber des Verbum […].“71 Dieses Wort, genauer: das Wort, in dem Gott sich selbst mitteilt, setzt das unumkehrbare Gegenüber von Schöpfer und Geschöpf. Es „redet keiner Identität das Wort, sondern einer Relation.“72 In ihm liegt nicht nur der Schlüssel zur Erkenntnis Gottes und des Menschen. Es „schafft“ vielmehr die Wirklichkeit, in der Gott und Mensch einander begegnen als diejenigen, die sie in Wahrheit sind und – in Bezug auf den Menschen – werden.73

70 71 72 73

stelle die Christologie „einen deutlich spürbaren Widerstand entgegen“ (Die Christologie als Reflex des frommen Selbstbewusstseins, 232). Soll dieser Widerstand wirklich gebrochen werden? Und kann die Einfügung des „nicht bruchlos“ Integrierbaren überhaupt gelingen? Mit Iwand („Sed originale per hominem unum“, GA II, 178f) ist zu fragen: „Bin ich als ‚Christ mir der eigentliche Gegenstand meiner Theologie?‘ [J. Chr. K. von Hofmann], haben also die Aussagen der Theologie über den Menschen lediglich soweit Geltung, als wir uns im Bannkreis des christlichen Selbstbewußtseins halten […]?“ Iwand, Glauben und Wissen, NW 1, 181. Ebd., 183. Ders., Der Prinzipienstreit innerhalb der protestantischen Theologie, 236. Vgl. ebd.: „Kommen wir nicht auf allen diesen Wegen“ – Iwand nennt hier ausdrücklich Althaus, Bultmann und Brunner, weitere Namen aus der gegenwärtigen Diskussion ließen sich anfügen – „zu einem vorgegebenen Seinsverständnis des Menschen, zu dem das Wort deutend, klärend und bewußtmachend hinzukommt. Das Wort aber, das Jesus ist und bringt, ist das Wort Gottes, das schafft.“

Cees-Jan Smits

„Gut genug dessen Risse zu decken“ Die Metapher des Lückenbüßers aus soteriologischer Perspektive bei Hans Joachim Iwand, Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer

„Christus ist nicht ein Lückenbüßer unserer Schwäche und seine Gerechtigkeit ist nicht der neue Flecken auf dem alten Kleid, gut genug dessen Risse zu decken“, so schrieb Hans Joachim Iwand 1930 in einem Aufsatz zum unfreien Willen.1 Fünf Jahre später benutzte auch Karl Barth das Bild in seinem Vortrag über ‚Evangelium und Gesetz‘: „Jesus Christus (…), der Lückenbüßer bei unserem Bemühen um unsere eigene Rechtfertigung! […] Dies ist’s, was hier aus der Gnade, aus dem Evangelium wird“.2 Wiederum neun Jahre später war es sein Wegbegleiter Dietrich Bonhoeffer, der die Metapher benutzte: „Es ist mir wieder ganz deutlich geworden, daß man Gott nicht als Lückenbüßer […] figurieren lassen darf“, schrieb er am 29. Mai 1944 an Eberhard Bethge.3 Die Metapher des Lückenbüßers spricht offenbar an. Es kann diesen drei Theologen zufolge etwas in unserem Verhalten Gott gegenüber geben, das irgendwie seicht und billig ist; und es hilft für die Wahrnehmung dieses Etwas, wenn es verglichen wird mit der ‚Büßung‘, d. h. Ausfüllung von Lücken. Zugleich ist die Metapher aber nicht nur erhellend. Denn was sind genau die Lücken, was wäre das ‚Büßen‘? Es ist, soweit ich sehe, in der Iwand-, Barth- und Bonhoefferforschung noch nicht ausführlich auf genau diese Metapher fokussiert worden. Es könnte sich deshalb lohnen, wenn wir eben das hier versuchen, und fragen, wie sie diese Metapher verwendet haben. Denn sie ist ja eine sehr reiche und vieles implizierende Metapher, die wie ein Türspion etwas der ganzen Theologie sichtbar machen kann. In welchem Rahmen passiert nach Iwand, Barth und Bonhoeffer das Lückenbüßen und wo kommt es her? Wieso ist es nicht gut, von Gott zu reden, als wäre er ein Lückenbüßer? Lässt es sich vermeiden, und wenn ja: wie? Die Beantwortung dieser Fragen wird vielleicht auch helfen können, die gelegentlich schwer greifbaren Unterschiede zwischen diesen Theologen besser sichtbar zu machen. 1 Iwand, Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben, GA I, 25. 2 Barth, Evangelium und Gesetz, 19. 3 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 454.

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Wir beschränken uns dabei auf die Verwendung der Metapher in soteriologischer Hinsicht. Ich analysiere zuerst die Zusammenhänge, in denen das Wort vom frühen Iwand (1), von Barth (2) und von Bonhoeffer (3) verwendet wird, wie auch die Differenzen dazwischen, und betrachte zuletzt noch einmal den späteren Iwand (4).

1.

Hans Joachim Iwand (1930): Ein niedriger Preis des Blutes

Das oben angeführte Wort Iwands findet sich in seinem Artikel Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben. Er gibt dort eine knappe Darstellung der Theologie Luthers, aber darüber hinaus nimmt er auch selbst seine Stellung ein. Diesem Aufsatz haben wir nun nachzugehen, im Kontext der weiteren frühen Theologie Iwands. 1. Die Lehre vom unfreien Willen ist für Iwand der entscheidende Punkt, „an dem wir uns über unsere Stellung zu Luther klar zu werden vermögen.“4 Sie ist von Luther selber als solcher herausgestellt worden, in seiner Schrift De servo arbitrio gegen Erasmus von Rotterdam. Der große Führer der Humanisten verteidigte den freien Willen als Grundthese des frommen Lebens: als dasjenige, was einen verantwortlich macht für Sünde und Frommheit. Ohne den freien Willen wäre das Leben ja kaum mehr als ein triebhaftes Handeln. Damit bekannte Erasmus sich aber zur katholischen Lehre vom Menschen, so stellt Iwand heraus. Trotz seines Spottes über die Unbildung und den moralischen Verfall des Katholizismus, stimmte Erasmus hier mit der Anthropologie der Altgläubigen überein: Luther gegenüber wird der Gegensatz zwischen Scholastik und Humanismus, zwischen Dogmenglaube und wissenschaftlicher Aufklärung hinfällig, hier, wo es um die Freiheit des Willens geht, da werden Herodes und Pilatus Freunde. (16)

Aber auch die lutherische Tradition, von Melanchthon bis Ritschl, hat nach Iwand die ursprüngliche Linie Luthers nicht eingehalten. Die Lehre vom unfreien Willen wurde bald ausgemerzt oder sogar verketzert. Die Freiheit war den meisten Theologen einfach zu wichtig, ja: „Die Rechtfertigungslehre blieb, aber sie wurde mit einer Anthropologie verbunden, die in dem Glauben an die Freiheit des Willens ihr ganzes Pathos hatte.“ (17) Luther scheint Iwand zufolge in dieser Hinsicht also einen „Standort jenseits der Geistesgeschichte“ (17) zu besetzen, einen Ort, den kaum jemand sonst für haltbar ansah.

4 Iwand, Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen, GA I, 14; weitere Zitate mit Seitenzahl im Text.

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Diese Besonderheit ist aber sachlich begründet, so Iwand. Jeder theoretisiert hier nämlich so, wie er glaubt; der Theologe denkt hier ja nicht über etwas ihm Äußerliches nach, sondern darüber, wie er den Menschen und deshalb auch sich selbst Gott gegenüber wahrnimmt. Offensichtlich nimmt kaum jemand sich Gott gegenüber als unfrei wahr, sondern man schreibt sich fast immer ein bestimmtes Maß an Freiheit zu. Deshalb lehrt also kaum jemand den unfreien Willen, weil schlicht niemand sich selbst von sich aus als unfrei erfährt. Iwand geht aber weiter und behauptet, dass der Mensch außer Christus nicht zufällig, sondern tatsächlich notwendig an seine Freiheit glaubt. Der Satz vom freien Willen ist „eine notwendige Praesumption des natürlichen Menschen“ (25): „Er kann gar nicht anders, er muss sich für frei halten, dies Selbstbewußtsein in der Freiheit ist der Kerker, in dem er gefangen ist.“ (23) Die Frage, weshalb es für den natürlichen Menschen notwendig sein sollte, sich als frei anzusehen, lässt ein wichtiges Thema der frühen Iwandschen Theologie aufleuchten. Zwar sagt er anderswo, dieser Glaube sei „wie jeder echte Glaube, in sich selbst begründet“.5 Dennoch wird er nur herausgelöst im Zusammenspiel verschiedener fundamentaler Verhältnisse. Es ist eigentlich nicht gut möglich, dieses Muster beim frühen Iwand systematisch darzustellen, denn er ist in diesen Jahren theologisch noch stark in einer Entwicklung begriffen. Wir versuchen aber eine Skizze. Zum Ersten ist die menschliche Situation vor Gott fundamental durch die Gerechtigkeit bestimmt, wie es Iwand in seiner Christologievorlesung 1928/29 schöpfungstheologisch begründete. Wir müssen vor Gott gerecht sein: Das δικαιοῦσθαι ἄνθρωπον ist nicht nur Ausdruck des jüdischen Geistes, sondern das Verhältnis von Mensch und Gott ist allemal das der δικαιοσύνη. Darin liegt nichts anderes als daß der Mensch Gottes Eigentum ist, auf das Gott ein unumschränktes Anrecht hat. […] Also ist δικαιοσύνη ein Begriff, der dem Glauben entspricht, daß Gott uns geschaffen hat. […] Der Schöpfungsglaube bestimmt uns, das Verhältnis von Gott und Mensch unter den Begriff δικαιοσύνη zu fassen.6

Der Mensch steht also unter der iustitia, und ist von daher iustificandus. Deshalb scheint, zum Zweiten, das Gewissen recht zu haben, wenn es uns dazu treibt, gerecht zu sein. Es zielt auf die impletio legis zur Erlangung der iustitia. Iwand unterscheidet zwar die lex Dei und das fervere ad iustitiam, sagt aber zugleich, dass beide „das gleiche Objekt – iustitia“7 haben. Der Mensch steht gleichsam in einem nomologischen Rahmen. Diese Situation unter dem Gesetz ergibt auch den „Sinnzusammenhang“8, oder den „Oberbegriff“9, der es möglich macht, dass 5 6 7 8

Iwand, Studien zum Problem des unfreien Willens, GA I, 39. Ders., Das Bild Jesu Christi, 93f; vgl. Meier, Gesetz und Evangelium, 83f. Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 91. Ders., Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 11.

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der Satz „allein durch den Glauben“ durch den anderen Satz „nicht durch Werke“ schon hinreichend interpretiert ist. Jeder Mensch, der hier nicht wirklich an die iustificatio propter Christum und die impletio legis Christi glaubt, steht in dieser Lage sozusagen nackt als iustificandus da. Und das ist es, zum Dritten, was ihn zum unbedingten Glauben an die eigene Freiheit treibt. Denn zur Befriedigung seines Gewissens muss er imstande sein, Gerechtigkeit zu statuieren. Wer nicht an diese Möglichkeit glaubte, müsste an der Möglichkeit, vor Gott gerecht zu werden, verzweifeln und würde ohne Grund unter den Füßen von seinem Gewissen heimgesucht. Anders gesagt: Man glaubt an die Willensfreiheit, um nicht zu verzweifeln. „Gewiß ist es denkbar, daß ein Mensch seine Situation ohne den Anblick seines Erlösers begriffe, und es ist nicht nur denkbar, sondern uns allen bekannt, als ‚desperatio‘.“ (24) – aber weil Verzweiflung unerträglich ist, flüchten wir in den Freiheitsglauben. Morgen werde ich’s besser machen. Die Erfahrung vom Sollen führt zum Freiheitsglauben. Umgekehrt kam Luther aber nicht von der Erfahrung (eben einer Erfahrung der eigenen Unfreiheit) her dazu, einen unfreien Willen zu lehren. Iwand hatte schon in seiner Habilitationsschrift über Rechtfertigungslehre und Christusglaube (1927) gesagt: der Satz vom unfreien Willen gilt gerade „ohne ein Erfahrungssatz zu sein“, „für alle Erfahrung“.10 Wir finden ihn nicht in unserem Selbstbewusstsein vor, sondern er gilt unabhängig davon. Er ist außerhalb unser begründet. Er muss „von der Erlösung durch Christus aus“ (25) erfasst werden.11 Iwand betont dabei, dass die Vermutung, die Sündenerkenntnis sei so „zu einem logischen Schluß herabgewürdigt“, irrig ist.12 Es ist nur der Glaube an die Rechtfertigung propter Christum, die uns die Augen dafür öffnen wird, dass wir gar nicht frei sind. Das Kreuz offenbart die Tiefe der Sünde. Die Parole, nur wer frei ist, könne sich befreien, wird bestritten von der Befreiung, die uns von daher widerfährt. Die Lehre vom unfreien Willen ist so „das notwendige Korrelat zur Rechtfertigungslehre“ (22) oder auch „nichts anderes als eben jener klare und reine Spiegel dessen, was Gott in Jesus Christus getan hat.“13 Sie „deckt sich“ mit der anderen Lehre von der fremden Gerechtigkeit (25). Von da aus kann Iwand pointiert sagen, dass Jesus Christus nicht den „danach verlangenden Menschen“ erlöst, sondern: „Verlangen ist bereits Erlösung“ (23). Außer Christus verlangt niemand nach Erlösung durch ihn, sondern in unserem religiösen Streben suchen wir dann nur die Tilgung der eigenen Fehler, die „Statuierung der domestica justitia“. Also „knüpft Gott mit der Sendung seines Sohnes 9 Ders., Das Bild Jesu Christi, 91. 10 Ders., Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 9; Hervorhebungen von mir. 11 Dieser christologische Begründungszusammenhang muss unterschieden werden vom Entdeckungszusammenhang der Erfahrungen des 1. Weltkrieges. 12 Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 77. 13 Ders., Luthers Theologie, NW 5, 89.

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nicht an irgendwelche ‚religiösen Bedürfnisse‘ an, sondern erweist […], daß diese ‚religiösen Bedürfnisse‘ in verkehrte Richtung zielen“ (23f). Wer wirklich nach Erlösung verlangt, ist immer schon im Vorgang der Erlösung begriffen. 2. Jetzt sind wir imstande zu fragen, wie das Lückenbüßermotiv zur Geltung kommt. Wir haben gesehen, wie Iwand die gegenseitige Begründung der Lehre vom unfreien Willen und von der fremden Gerechtigkeit Christi betonte. Weil das eine ist, ist auch das andere. Das eine macht das andere notwendig. Auch Erasmus jedoch und alle diejenigen Theologen, die an den freien Willen glauben, halten an dem Erlöser Jesus Christus fest. Dann wollen sie aber demnach irgendwie das eine ohne das andere haben. Sie steigen damit aus der Korrelation der gegenseitigen Notwendigkeit aus. Das ergibt dann aber notwendig einen unnötigen Erlöser. Gewiss ist auch hier von Gnade, Vergebung und Barmherzigkeit die Rede – aber nur so, „daß sie Mittel zum Zweck sind, der Zweck aber ist das sittliche Leben“, wie Iwand es später in seiner Studie über die Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre formulierte.14 Und dieser Christus als Mittel zum Zweck des sittlichen Lebens ist es, den Iwand einen Lückenbüßer nennt. Er ist der Erlöser derjenigen, die sich für frei halten. Dass Christus für einen solchen Menschen Mittel zum Zweck wird, erklärt sich daher, dass dieser Mensch in einer religiösen Praxis verwickelt ist, in der das Höhere in ihm das Niedere zu überwinden hat. Es gilt, sich mit dem Willensentschluss über die fleischliche Begierde hinweg zu setzen, damit die erforderliche Gerechtigkeit erlangt wird. Das wesentlich Sündige wird dann im niederen Teil des Menschen lokalisiert, das Geistliche und Gute dagegen im höheren Teil. Wenn man eine solche Anschauung des Menschen mit dem Glauben an Christus verbindet, ergibt das einen schwachen und instrumentalisierten Erlöser. Iwand zitiert Luther: Wenn das Beste am Menschen nicht widergöttlich und verdammenswert ist, sondern bloß das Fleisch, d. h. die gröberen und niederen Triebe, zu was für einem Erlöser machen wir dann Christum. Wollen wir etwa den Preis seines Blutes so niedrig setzen, daß er nur das Verächtlichste am Menschen erlöst hat, daß aber das beste Teil des menschlichen Wesens in sich selbst genüge und Christus nicht nötig habe (25).15

Wenn wir also meinen, dass wir schon frei sind und Christus nicht brauchen, gerade um unseren Willen zu befreien, dann bleibt ihm nur übrig, unsere Schwäche auszusöhnen. Wir selber stehen ein für das Höhere und den wich14 Ders., Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, GA II, 51. 15 WA 18, De servo arbitrio, 744: „Si enim praestantissimum in homine non est impium neque perditum aut damnatum, sed solum caro, id est, crassiores et inferiores affectus, qualem rogo faciemus Christum redemptorem? An precium sanguinis eius tam uile faciemus, ut solum id, quod uilissimum est in homine, redemerit, praestantissimum uero in homine per sese ualeat et Christo non habeat opus?“ Und weiter: „ut Christum deinceps praedicemus redemptorem non totius hominis, sed partis eius uilissimae, scilicet carnis, Hominem uero ipsummet suijpsius redemptorem in potiore sui parte.“

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tigsten Teil des Menschen. Er aber darf die Lücke ausfüllen. Er ist da, wo wir in unserem Vermögen versagen. Wir brauchen seine Gnade, um a) die Sünden unserer „gröberen und niederen Triebe“ zu begleichen, oder b) als die Kraft, im Streben nach dem Guten fortzufahren und vollkommen zu werden.16 So ist die Gnade Gottes zum „Postulat“ erhoben.17 Wenn aber der Tag kommt, an welchem wir unsere niedere Natur total beherrschen, ist diese Gnade in beider Hinsicht nicht mehr nötig. Dann sind wir schon vollkommen und Christus ist umsonst gestorben (vgl. Gal 2,20). Das ist Christus als religiöses Bedürfnis, als „Lückenbüßer unserer Schwäche“, und seine Gerechtigkeit als „der neue Flecken auf dem alten Kleid, gut genug dessen Risse zu decken“ (25). Er unterscheidet sich vom wirklichen Christus, der auch für das angeblich Höhere im Menschen, den Willen, gestorben ist. Der natürliche Mensch will gar nicht, dass Gott Gott ist, sondern dass er selber Gott ist. Er will gar nicht sittlich vollkommen sein, sondern alles tun können, was immer er will, ja er gewinnt einen Anlass durch das Gebot (Röm 7,8). Nicht für die fiktiven Sünder, sondern für diese wirklichen Sünder ist Christus gekommen. Die Lücke, die er zu „büßen“, d. h. auszufüllen hat, ist nicht eine partielle, sondern sozusagen eine totale: wie die Auferstehung von den Toten, wie die Neugeburt. Nur so könnte Gott mit einigem Recht ein Lückenbüßer genannt werden, insofern er uns nicht teilweise, sondern von Grund auf neu erfüllt und neuschöpft. Dann erst entsteht tatsächlich ein neuer Wille in uns, der dem fleischlichen Willen mit mehr oder weniger Erfolg Widerstand leistet („was ich hasse, das tue ich“, Röm 7,15). Iwand macht deutlich, dass diese Klarstellung ihm in zweierlei Hinsicht wichtig ist. Zum Ersten wird damit „die Verdächtigung Denifles ins Herz getroffen, Luther mache Christum zum Schandendeckel für das Laster“ (26). Heinrich Suso Denifle (1844–1905) war ein katholischer Theologe und hatte das auch für Iwand wichtige „Problem des Verhältnisses Luthers zur Scholastik und des jungen Luther scharf erfaßt und bei aller oft einseitigen Polemik gegen die protestantische Forschung und moralischen Verurteilung Luthers ganz entscheidend gefördert“.18 Ein Aspekt seiner moralischen Verurteilung Luthers wird hier von Iwand angesprochen. Die Soteriologie Luthers kann nicht so diffamiert werden, als stelle sie nur einen Deckel der Laster dar. Sie öffnet im Gegenteil die Augen auch für die Sünden im höheren Teil des Menschen. Christus war für Luther kein Lückenbüßer. Zum Zweiten ist es auch deutlich, daß Christus durch sein Blut den Menschen, d. h. mich erlöst hat, daß er nicht nur für einen Defekt am Menschen gutsteht. Nur da wird der Glaube an die 16 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 52. 17 Ders., Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 83. 18 Wolf, Art. Denifle, 83.

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Versöhnung durch Christus nicht des Eudämonismus und das heißt wieder der concupiscentia erga Deum beschuldigt werden können, wo Christus nicht nur das teilweise Unvermögen eines Menschen ausfüllt, sondern mich gewinnt von Sünde, Tod und Teufel. (26; Hervorhebung von Iwand)

Iwand prangert also nochmals eine Praxis an, in der Christus zur Ausfüllung des religiösen Unvermögens benutzt wird, statt als vollkommener Herr und Erlöser des ganzen Lebens, einschließlich des Willens, geglaubt zu werden. Gott will Menschen für sich wiedergewinnen, die sich von ihm abgewendet haben, nicht solche reparieren, die meinen, sie lebten immer schon ordentlich für Gott. 3. Iwands Sicht hat eine Rückseite, die nochmals erhellen kann, in welchem systematischen Rahmen ihm die Metapher wichtig wurde. Denn um uns völlig erfüllen zu können, wie die Auferstehung von den Toten, muss Gott uns noch unsere teilweise fiktive Gerechtigkeit abnehmen und leeren. Das geschieht durch die Predigt des Gesetzes. Das Gesetz zielt nicht auf eine äußere Erfüllung, sondern auf das Herz und den Willen. Es „fordert dich, nicht nur deine Werke“.19 Es erinnert den Menschen an sein „Woher und Wohin“, d. h. daran, dass er zur Liebe bestimmt ist.20 Es tut, als ob der Mensch frei ist und redet ihn daraufhin an.21 Und dann kommt heraus, dass wir dem Fleische nach das Gesetz hassen. Der Wille, wie Gott zu sein (eritis sicut Deus), flackert auf. Gesetz und Wille treten gegenseitig hervor als zwei unversöhnliche Gegner.22 Sünde wird enthüllt nicht nur als ein Defekt und „Mangel an den Kräften zum Guten, sondern etwas Positives, ein Lebenswille und eine Leidenschaft, in der sich der Mensch behauptet und durchzusetzen sucht“.23 Wenn das Gesetz dies aufdeckt, macht es uns sozusagen zur totalen Lücke, es tötet uns. Nur wenn das Gesetz so aufs Ganze geht, kann auch die Erlösung aufs Ganze gehen,24 schlichte moralische Predigt des Gesetzes aber geht einher mit der lückenbüßenden Gnade. Nur wenn das Gesetz nicht bloß einige Lücken in unsere Panzerung schlägt, sondern dahinter kommt und aufdeckt, wie es um unser Herzen steht, nur dann ist die Gnade nicht lückenbüßerisch, sondern Neuschöpfung. „Beide, das Gesetz und das Evangelium, haben denselben Inhalt; dort ist er gefordert, hier ist er geschenkt.“25 4. Wir fassen zusammen: Die „Lücken“ sind für Iwand in den angeführten polemischen Zusammenhängen die Sünden unserer „gröberen und niederen 19 20 21 22

Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 71. Ders., Die Predigt des Gesetzes, GA II, 152. Ders., Studien zum Problem des unfreien Willens, GA I, 40. Ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 75; vgl. Luther, Disputatio contra scholasticam theologiam, WA 1, 227 (These 71). 23 Iwand, Glaubensgerechtigkeit, GA II, 77. 24 Vgl. ders., Studien zum Problem des unfreien Willens, GA I, 50. 25 Ders., Glaubensgerechtigkeit, GA II, 56.

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Triebe“. Wenn einer sich z. B. in sexueller Hinsicht schlecht benimmt, hat er damit eine Lücke in seine angebliche eigene Gerechtigkeit gerissen. Das „Büßen“ ist die religiöse Praxis, in der jemand, der – auf Drängen des Gewissens – an die Freiheit seines Willens glaubt, sich auf Christus bezieht, um sich Verstöße dieser Art vergeben zu lassen oder sich die Gnade geben zu lassen und fortan besser gegen die Versuchung gewachsen zu sein. So wird Christus zum Lückenbüßer für diejenigen Sünden denunziert, die passieren, insofern der Mensch seine fleischlichen Begierden nicht willentlich meistern kann. Eine solche Praxis ist Iwand zufolge begründet in einer Anthropologie des freien Willens. Hätte man eine Anthropologie des unfreien Willens, müsste man auch nicht den Fehler begehen, Christus als Lückenbüßer benutzen zu wollen. Eine solche andere Anthropologie ist dem natürlichen Menschen aber nicht zugänglich, weil er als Geschöpf Gottes immer iustificandus ist, und von daher an seine Freiheit glauben muss. Erst die iustificatio propter Christum und das Gesetz enthüllen die Unmöglichkeit der domestica iustitia, weil sie den Willen nicht als neutral und frei, sondern als unfrei und pervertiert aufdecken.

2.

Karl Barth (1935): Die Gnade in der Sünder Hände

Der zweite Text, in dem die Metapher begegnet, ist die Schrift Evangelium und Gesetz von Karl Barth. Vor allem im Zusammenhang mit dem Aufkommen einer theologischen Lehre vom sogenannten Volksnomos (der dem Gottesgesetz gleich sein sollte) zu Beginn des Kirchenkampfes 1933, hatte Barth in dieser Schrift bekanntlich das Verhältnis von Gesetz und Evangelium neu bestimmt und formuliert (auf Iwands Sicht dazu kommen wir noch zurück). Es ist diese neue Verhältnisbestimmung, in der Barth die genannte Metapher verwendet. Die Schrift ist fundamental strukturiert nach der Differenz von Wahrheit und Wirklichkeit. Das menschliche Leben realisiert sich in der Dialektik dieser beiden Größen.26 1. Die Wahrheit unserer Existenz ist, zum Ersten, bestimmt von a) der Gnade als Inhalt des Evangeliums (1–6). Die Gnade „heißt und ist Jesus Christus“27, sie kommt uns in seiner Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung zugute. Das ewige Wort Gottes hat den Fluch und die Strafe ertragen, die den Menschen als Fleisch auferlegt worden ist. Christus hat Gott stellvertretend recht gegeben. 26 Nach B. Klappert, Promissio und Bund., 107–123 ist diese Dialektik als Differenz von Bundesgeschichte und Durchführung desselben angesichts der menschlichen Sünde aufzufassen, nach O. Bayer, Theologie, 358–365 aber als „unverkennbar platonisch“ anzusehen. In KD IV/3 bestimmte Barth die Dialektik genauer als „dynamisch-teleologisch“ (192), und entfaltete er sie ausführlich als Geschichte der Überwindung der Finsternis durch das Licht (188–317). 27 Barth, Evangelium und Gesetz, 5; weitere Zitate mit Seitenzahl im Text.

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Deshalb hat ihn Gott erhöht und ihm auch seinerseits recht gegeben. Von daher waltet die Gnade über unsere Existenz. An zweiter Stelle ist unsere Existenz aber auch bestimmt von b) dem Gesetz als Form des Evangeliums (6–13). Indem uns nämlich das Geschehen der Gnade offenbar wird, wird uns das Gesetz offenbar. „Wir lesen aus dem, was Gott hier für uns tut, ab, was Gott mit uns und von uns will.“ (7) Wir sind nicht nur begnadigte Menschen, sondern Gott will auch etwas von uns. Dasjenige, was das Gesetz von uns fordert, ist der schlichte Glaube, als Gehorsam des ersten Gebotes. In KD II/2 bestimmt Barth den Inhalt des göttlichen Anspruchs zusammenfassend als „dies, daß wir an Jesus Christus glauben sollen“;28 denn wer Gott glaubt, lebt in einer „Konformität“ mit dem Evangelium: „Das ist ja das Wesen eben des Glaubens: sich recht sein lassen, was Gott tut“.29 2. Nachdem Barth so die Wahrheit des Evangeliums und des Gesetzes nebeneinandergestellt hat, redet er in einem zweiten Argumentationsgang von der Wirklichkeit, oder davon, „daß das Evangelium sowohl wie das Gesetz – oder also: der Inhalt und die Form des Evangeliums in unsere, der Sünder Hände gegeben sind.“ (13) Es ist den Menschen, als den Sündern, die sie sind, gegeben, das Evangelium und das Gesetz zu verwalten. Sie dürfen sie verkündigen, glauben, und benutzen zum Trost und Heil. Sie dürfen das aber nicht eigenmächtig tun, sondern sollten sich an die Wahrheit derselben halten. Jedoch, so führt Barth aus, „dem Sinn und der Bestimmung dieser Gabe zuwider“, „fangen“ wir Menschen damit etwas „an“ (14). Aus dem Gesetz wird, wenn wir Sünder den Anspruch Gottes vernehmen, ein „Sprungbrett“ zur eigenen Gerechtigkeit (14–18: bI). Wir wollen nicht, dass Gott in Christus für uns eingetreten ist, sondern wir wollen für uns selber eintreten und eigenmächtig für Gott eifern. Ein Jeder stürzt sich deshalb auf den „Buchstaben und Fetzen“ des Gesetzes, „mit dem er das Geschäft am besten zu machen scheint“ (17). Es gibt demzufolge „tausend Knechtschaften, denen wir uns unterziehen, tausend Buchstaben, an deren jedem sich irgend ein Menschlein oder auch viele zugleich anklammern können, ihre eigene Gerechtigkeit daraus zu schlürfen.“ (18) Das Gesetz zum Leben wird ins Gegenteil verkehrt. Auch das Evangelium wird in den Händen der Sünder zu etwas, das seiner Wahrheit widerspricht (18–20: aI): „mit der Form fällt und verdirbt auch der Inhalt, mit Gottes Gesetz auch Gottes Evangelium“ (19). Das gibt den direkten Rahmen ab für Barths Verwendung der Metapher des Lückenbüßers. Den Fall 28 Ders., KD II/2, 647. 29 Ebd., 647f, 638, 643: „Statt ‚sich recht sein lassen‘ könnte man auch sagen: ‚sich gefallen lassen‘, oder: ‚gelten lassen‘ oder: ‚in Kraft stehen lassen’ oder: ‚sich halten an‘.“ Es ist mir von daher nicht ganz klar, wie Bayer, Theologie, 360 erklären kann, bei Barth sei – anders als bei Luther – „in keiner Weise eine vita passiva im Blick“. Die Ausführungen deuten auf das Gegenteil hin und es ist eben eine Vermischung von Passivität und Aktivität, die Barth als lückenbüßerisch kritisieren wird (s. u.).

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und das Verderben des Evangeliums sieht Barth darin begründet, dass der Sünder „als Gegengewicht und zur Temperierung seines unverständigen Eiferns um Gott auch von der Gnade nicht lassen, auch die Gnade gerne gebrauchen und in seinen Dienst stellen möchte.” (19) Wenn die Selbstrechtfertigung anhand des falsch verstandenen Gesetzes klappt, braucht man ein ebenso falsch verstandenes Evangelium, um neue Leistungskräfte zu bekommen. Wie Iwand greift also auch Barth eine Praxis an, in der Jesus Christus zur Beschaffung der eigenen Gerechtigkeit instrumentalisiert wird: Hier ist aus Jesus Christus, der den Seinen alles schenkt, indem er in der Majestät Gottes selbst an ihre Stelle tritt, ein mythischer Halbgott geworden, der ihnen angeblich Kräfte, eine Art magische Begabung mitteilt, deren Gegenwart sich konstatieren läßt wie die jeder anderen Begabung, mit der zu schalten und zu walten als mit ihrem Besitz sie Freiheit haben, die ihnen vor sich selbst und vor Anderen zum Ruhm gereicht, an der sie eine rechte Hilfe zu haben glauben bei ihrer Bemühung, sich selbst zu behaupten, zu vertreten, zu rechtfertigen, deren sie sich – und darauf kommt es wohl heimlich vor allem an – zu trösten gedenken, wenn es wegen der Unvollkommenheit ihrer Bemühungen zu Enttäuschungen und Stillständen, da und dort wohl einfach zum Versagen kommen sollte. (19)

Das ist also die Art und Weise, wie wir Sünder glauben möchten und dem ersten Gebot gehorchen: nicht im sich recht sein lassen, was Gott tut, sondern im sich zurechtmachen, was Gott tut, im etwas damit anfangen. Und dann folgt der Satz, den wir eingangs schon zitierten, zusammen mit einem zweiten, der im Wortlaut fast identisch ist mit dem Satzteil Iwands, den wir als Titel dieses Aufsatzes wählten: Jesu Christus, die unentbehrliche Begleitfigur, der nützliche Hebelarm und schließlich und vor allem der Lückenbüßer bei unserem Bemühen um unsere eigene Rechtfertigung! […] Jesus Christus, der große Kreditgeber, der gerade gut genug ist, uns zu unseren eigenen Gerechtigkeitsunternehmungen immer wieder die nötige Deckung zu geben! (19)

Die Metapher schließt also auch hier das Verhalten des Menschen Gott gegenüber auf, in dem er die Gnade Jesu Christi statt sie passiv zu empfangen, aktiv als Mittel zum Zweck der Selbstrechtfertigung verwendet. Wenn Gott seine Gnade in die Hände der Sünder gibt, benutzen sie diese zum Büßen der Lücken, die sie nur zu peinlich in ihren moralischen Leistungen vorfinden. 3. Nachdem er so erstens die Wahrheit des Evangeliums (a) und des Gesetzes (b) herausgestellt hat, und nachdem er zweitens gezeigt hat, was wir Menschen daraus machen: Kräftespendung (aI) und Sprungbrett der eigenen Gerechtigkeit (bI), steuert Barth der Dialektik noch eine dritte Bestimmung bei, nämlich zur Frage, „was denn bei jenem Betrug der Sünde (…) aus diesem [Gesetz und Evangelium] wird“ (20). Das ergibt am Ende eine vielschichtige, aber teleologisch ausgerichtete simul-Situation des Menschen.

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Das Gesetz, zum Ersten, „bleibt“ einfach Gottes Anspruch auf den Menschen (21–23: bII). Es behaftet uns bei unserem Streben nach Selbstrechtfertigung und deckt auf, dass das nicht gelingen kann. Es wird als solches zum Vollstrecker des göttlichen Zornes und predigt jetzt Verdammnis über unsere frommen Werke. Das gilt vor allem für das Werk unseres uns vermeintlich rechtfertigenden Glaubens, unsere Manier, dem ersten Gebot zu gehorchen: Denn wenn eines unserer Werke als Sünde gegen das erste Gebot dem Gericht verfallen ist, dann sicher unser vermeintlich bestes: das Werk unseres Glaubens an den Arianerund Pelagianer-Christus, dem wir die Ehre antun, ihn als unschuldig nützlichen Rand unserer Selbstbehauptung gerade auch noch gelten zu lassen. (22)

Die Instrumentalisierung Christi als Lückenbüßer ist also gerade der Gipfel der Sünde. Das Gesetz setzt sich dagegen durch, bleibt, was es ist, und offenbart, wie Gott über das Lückenbüßen zürnt. Es gibt zu erfahren, dass wir mit einem Lückenbüßer die Schuld gar nicht loswerden. So, wie das Gesetz bleibt, was es ist, „so – nein nicht so, sondern noch viel mehr“ ist und bleibt zum Zweiten auch Gottes Evangelium, was es ist (24–29: aII). Jetzt erst kommt völlig heraus, was es mit dem Evangelium auf sich hat. Es ist nicht schlicht eine gute Nachricht, sondern eine „wirklich frohe Botschaft für wirkliche Sünder“ (24), d. h. für solche, die gerade das Evangelium und das Gesetz ständig ins Gegenteil verkehren. Gerade also für denjenigen, der sich selber rechtfertigen wollte anhand des Gesetzes, und gerade für die Gläubigen, die Christus als ihren Lückenbüßer instrumentalisierten, also „für die als Sünde gegen ihn selbst ‚überaus sündig‘ gewordene“ Sünde ist Jesus Christus ein Mensch geworden, gestorben und auferstanden, sagt Barth. Das Evangelium setzt sich durch gegen unsere Verkehrung desselben. Es befreit uns von der Verdammung durch das Gesetz und gibt uns den Heiligen Geist. Insofern wir dieses Evangelium nicht eigenmächtig verwalten, sondern es nur glauben und für uns gelten lassen, kommt Gottes Gnade bei uns ans Ziel. Zusammenfassend: 1. Wahrheit (Bund) Evangelium spendet Gnade (a) Gesetz

fordert Glaubensgehorsam (b)

2. Wirklichkeit (Sünde) nehmen wir als lückenbüßend (aI) nehmen wir als Anlass zur Selbstrechtfertigung (bI)

3. Überwindung (Versöhnung) bleibt Gnade, auch für Lückenbüßer (aII) behaftet bei Selbstrechtfertigung und Lückenbüßen (bII)

4. Es gibt, wie wir sahen, Gemeinsamkeiten zwischen dem Barthschen und dem Iwandschen Gebrauch der Metapher. Wie Iwand zeigt Barth eine Instrumentalisierung der Gnade Christi zur Selbstrechtfertigung auf, als Mittel zum Zweck der moralischen Selbstbehauptung. Auch er erklärt das damit, dass der Mensch

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für sich selber eintreten will, statt die Gnade Gottes passiv zu empfangen. Diese Ausführungen decken sich auf das Genaueste mit denen Iwands über den unfreien Willen. Das gemeinsame Interesse ist „Ganzheit“: Entweder ist die Gnade völlig neuschöpfende Gnade für tote Sünder, oder sie wird lückenbüßerisch pervertiert von denjenigen, die sich selber noch etwas zutrauen. Dennoch gibt es auch Unterschiede: zur Frage, woher das Lückenbüßen letztendlich entspringt und zweitens, damit verschränkt, zur Frage, wer es tut. Für Barth wie für Iwand pervertieren Sünder Christus als Mittel zum Zweck der Selbstrechtfertigung. Aber Iwand ist imstande anschaulich zu machen, wieso der Sünder so etwas wie Selbstrechtfertigung eigentlich unternehmen will: weil er qua Geschöpf unter dem Gesetz ist, und als iustificandus von seinem Gewissen dazu getrieben wird, obwohl es ihm nie gelingen wird. Barth aber hat dem Gesetz das Evangelium vorgeordnet, und sieht den Menschen als immer schon iustificatus an. Daher ist es ihm grundsätzlich und prinzipiell unerklärlich, wieso Sünder für sich selber einstehen möchten, statt an Christus zu glauben. Jede Instrumentalisierung Christi ist für ihn eigentlich schon, wie B. Klappert gezeigt hat, theologisch ausgeschlossen, weil es für das Evangelium bei ihm keinen „nomologischen“30 Verstehensrahmen mehr gibt. Die Sünde ist ihm eine unmögliche Möglichkeit, während sie Iwand sozusagen eine mögliche Unmöglichkeit ist. Anders gesagt: Das Lückenbüßen ist für Iwand ohne Christus notwendig, für Barth aber, weil jeder in Christus ist, unmöglich, obwohl es dennoch immer passiert. Weil Iwand das Lückenbüßen im falschen Freiheitsglauben begründet sieht, kann er sich eine Glaubenspraxis vorstellen, in der Christus nicht ständig instrumentalisiert wird, wenn man nur den Satz vom unfreien Willen bewahrt in der vita passiva. Er glaubt das Lückenbüßen theologisch ausblenden zu können durch die Lehre vom unfreien Willen, obwohl er zugleich meint, eine Lehre vom freien Willen sei den Menschen ohne Christus wesentlich. Bewusst verknüpft er so die theoretische und die praktische Ebene miteinander, weil er glaubt, jeder 30 Vgl. Klappert, Die Auferweckung des Gekreuzigten, 239: Die „nomologische Subsumierung des Gnadenbundes unter den Werkbund“ trägt einen „sachfremde[n] Interpretationsrahmen“ an die Versöhnung heran. 44: „Impletio“ ist bei Barth „nicht soteriologisch eine Kategorie der lex, sondern primär bundestheologisch eine Kategorie der promissio.“ 45f: „Normiert der Implikatcharakter von Bund und Gebot, die Einbettung des Gebotes in den Bund bzw. die Implikation des Gebotes durch den Bund, die Zuordnung von ‚Gesetz und Evangelium‘ im Sinn der Vorordnung des Evangeliums vor das Gebot – der Bund begründet das Bundesgebot –, dann wird es nach Barth schon von hier aus unmöglich, in Umkehrung der Implikatstruktur von Bund und Gebot das Evangelium zu einem Moment bzw. ‚Lückenbüßer‘ in der Geschichte des Gesetzes zu machen.“ Vgl. Gollwitzer, Zur Einheit von Gesetz und Evangelium, 303f: bei der axiomatischen Voraussetzung eines Vergeltungsgesetzes (suum cuique) „wäre nicht die Liebe Gottes ursprüngliches Verhältnis zum Menschen (…) und der Mensch hätte dann recht, nach seiner eigenen Gerechtigkeit auf dem Wege der Leistung zu streben“.

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theoretisiert hier so, wie er ist. Von daher müsste er aber eigentlich jeden, der den freien Willen lehren möchte, des Unglaubens bezichtigen (und umgekehrt: die Lehre vom unfreien Willen ist nur möglich als Bekenntnis). Er denkt antithetisch im Entweder-oder (man lehrt den freien Willen und büßt Lücken oder man lehrt ihn nicht und tut das nicht). Barth aber denkt mehr perspektivisch im simul ( jeder ist gerechtfertigt, jeder wird aber dennoch auch für sich selber eintreten wollen und Lücken ausfüllen). Er muss eigentlich pauschal behaupten, dass eine solche Instrumentalisierung einfach das ist, was bei allen Menschen fortwährend passiert, wenn ihnen die Gnade in die Hände gegeben wird. Sünder sind immer auch Lückenbüßer. Nur weil das Evangelium sich dieser Sünde gegenüber durchsetzt („Jesus ist Sieger!“), wird sie uns vergeben werden und wird es in der Kraft des Heiligen Geistes möglich sein, die Gnade zu empfangen so wie sie ist, statt sie zu instrumentalisieren. Beide Theologen kommen am Ende aber bei derselben Korrelation aus: Passivität des Menschen – Aktivität Gottes. Wer für sich selber eintreten will, wird lückenbüßerisch. Bei dem dritten hier zu diskutierenden Theologen finden wir nun eine Verwendung der genannten Metapher, die zwar irgendwie von Barths Umstellung herkommt, aber doch anders ist, und der von daher die Iwandsche Verwendung sogar scheint verwerfen zu müssen.

3.

Dietrich Bonhoeffer (1944): „schwül und unbehaglich“

Es war Dietrich Bonhoeffer in seinem vorletzten Lebensjahr irgendwie „schwül und unbehaglich“, wenn man anfing, zu ihm „in religiöser Terminologie zu reden“, und er kam sich „etwas unehrlich“ vor, wenn er den Religiösen gegenüber selbst den Namen Gottes benutzte.31 In seinen Briefen an Eberhard Bethge versuchte er dieser Erfahrung auf den Grund zu kommen und den Schlüssel zu finden, womit sie sich überwinden ließe. Es ist dieser Kontext, in dem er die Metapher des Lückenbüßers verwendet. Wir erinnern deshalb zuerst wieder an diesen Kontext: an seine Analyse, sein Urteil und seinen Versuch, über die entstandene Situation hinauszukommen. 1. Analyse: Wo kam Bonhoeffers Scheu her? Seine Analyse war, dass es nicht dem Inhalt, sondern der gegenwärtigen Form des christlichen Glaubens zu verdanken war, dass ihm die Rede von Gott unbehaglich würde. Die Form war „religiös“, aber diese Form hatte eigentlich kein Recht mehr:

31 Bonhoeffer, Brief an Eberhard Bethge v. 30. 4. 1944, DBW 8, 407; weitere Zitate mit Seitenzahl im Text.

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„Christentum“ ist immer eine Form (vielleicht die wahre Form) der „Religion“ gewesen. Wenn nun aber eines Tages deutlich wird, daß dieses „Apriori“ garnicht existiert, sondern daß es eine geschichtlich bedingte und vergängliche Ausdrucksform des Menschen gewesen ist […] was bedeutet das dann für das „Christentum“? (403)

„Religion“ als Form ist Leben vor Gott mit Zuhilfenahme der „Arbeitshypothese: Gott“ (476). Sie ist jetzt aber enthüllt als eine geschichtlich bedingte, nicht wesentliche Form. Denn der moderne Mensch lernte, „in allen wichtigen Fragen mit sich selbst fertig zu werden“ (476), ohne einer solchen Hypothese zu bedürfen. „Überall ist die Autonomie des Menschen und der Welt das Ziel der Gedanken.“ (532) Wegen dieser Überflüssigkeit verlor die Religion ihre allgemeine Plausibilität. Dieser Verlust hatte eine Verdrängung Gottes aus der Welt und aus der Öffentlichkeit zur Folge, und die Religion zog sich zurück ins Private, legt Bonhoeffer weiter dar. Gott behielt – entsprechend der Kantschen Trennung einer objektiven und einer subjektiven Welt – „nur noch jenseits der Welt der Erfahrung Raum“ (503). Das Mündigwerden der Welt „führte zu dem Versuch, ihn wenigstens in dem Bereich des ‚Persönlichen‘, ‚Innerlichen‘, ‚Privaten‘ noch festzuhalten“ (509). Dort fungiert er aber „nur noch bei den sogenannten letzten Fragen als deus ex machina (…), d. h. Gott wird zur Antwort auf Lebensfragen, zur Lösung von Lebensnöten und -konflikten.“ (503) Gott kommt zur Sprache, wenn der Mensch auf eine Grenze stößt, wenn er etwas nicht fertigbringen kann. Dann wird Gott herbeigeführt, zur Lösung: Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis […] zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen – es ist eigentlich immer der deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschlichem Versagen, immer also in Ausnutzung menschlicher Schwäche bzw. an den menschlichen Grenzen. (407)

Die Probleme des Daseins werden gerade von einigen ‚methodistisch‘ ausgenutzt. Bonhoeffer hat dabei nicht die konfessionelle Erscheinungsform des ‚Methodismus‘ im Auge, sondern benutzt das Wort um damit eine bestimmte Apologetik, nämlich die des „Schlechtmachens“ des Menschen, um ihm so ein Bedürfnis der Gnade abzugewinnen, zu kennzeichnen: Wenn man auch in allen weltlichen Fragen schon kapituliert hat, so bleiben doch noch immer die sogenannten ‚letzten Fragen‘ – Tod, Schuld, – auf die nur ‚Gott‘ eine Antwort geben kann und um derentwillen man Gott und die Kirche und den Pfarrer braucht. (477f)

Eine solche ‚methodistische‘ Rede von Gott, als einem deus ex machina im privaten Bereich zur Lösung der „letzten Fragen“, wurde Bonhoeffer „schwül und unbehaglich“. Er wollte sich daran nicht weiter beteiligen.

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Urteil: Bonhoeffer hielt sich beim Urteil nicht zurück: eine solche Rede von Gott hielt er „erstens für sinnlos, zweitens für unvornehm, drittens für unchristlich.“ (478) Man kann „einen zum Mann gewordenen Menschen“ nicht wieder abhängig machen und in Probleme hineinstoßen, „die für ihn faktisch nicht mehr Probleme sind“, und man sollte das auch nicht versuchen, weil es (vor allem das „Hinter-den-Sünden-der-Menschen-Herschnüffeln“, 510) minderwertig ist. Außerdem tat Christus das auch nicht: er „machte nicht aus jedem Menschen zuerst einmal einen Sünder“ (504). Schon zuvor hatte er Bethge geschrieben, dass er die „Bloßstellung“ für „zynisch“ hielt: „Gott selbst hat den Menschen Kleider gemacht“ (228).32 Weitere theologische Gründe für seine Abweisung des Methodismus sind, dass Christus und das Alte Testament den Menschen „in der Mitte seines Lebens“ fassen, und nicht wie die Erlösungsmythen bei den Grenzerfahrungen (501), sowie dass „die Zudringlichkeit aller dieser Methoden“ für das Wort Gottes „viel zu unaristokratisch“ ist, „um sich mit ihnen zu verbünden. Es verbündet sich nicht mit dem Aufruhr des Mißtrauens, dem Aufruhr von unten. Sondern es regiert.“ (511f) Versuch: Zur Überwindung der gegenwärtigen religiös-methodistischen Form des christlichen Glaubens gab Bonhoeffer mehrere Hinweise. Vor allem sollte die Rede von Gott als deus ex machina ersetzt werden durch eine nicht-religiöse, weltliche Interpretation der biblischen Begriffe. „Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“ (534) So möchte er von ihm „nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen.“ (407f) Auch schlug Bonhoeffer eine neuartige Arkandisziplin vor. Soviel zuerst zum Kontext der Briefe aus der Haft. Wir stellen zunächst vorsichtig fest: Bonhoeffer redet – zwar bedächtig, aber unverkennbar – positiv vom Mit-sich-selber-fertig-werden des modernen Menschen, während für Barth und Iwand das „selber einstehen wollen“ gerade der Gipfel der selbstbehauptenden Sünde bedeutete. Zwar ist das für Barth und Iwand schon ein theologisches Urteil, während es für Bonhoeffer noch geschichtliche Beobachtung ist. Aber er möchte die von ihm wahrgenommene Entwicklung zur Mündigkeit auch theologisch würdigen. Jetzt fokussieren wir deshalb auf Bonhoeffers Verwendung der Metapher des Lückenbüßers in soteriologischer Hinsicht.

32 Krötke, Weltlichkeit und Sünde, 17 bemerkt: „Vom Grundsatz des ‚magnificare peccatum‘ hat sich Bonhoeffer hier offenkundig weit entfernt.“

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2. Die Metapher begegnet in den Briefen aus der Haft zweimal.33 Davon ist nur die erste Verwendung (im Brief vom 29. 5. 1944) ausführlich. Sie steht direkt in einem erkenntnistheoretischen Zusammenhang: Es ist mir wieder ganz deutlich geworden, daß man Gott nicht als Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnis figurieren lassen darf; wenn nämlich dann – was sachlich zwangsläufig ist – sich die Grenzen der Erkenntnis immer weiter herausschieben, wird mit ihnen auch Gott immer weiter weggeschoben und befindet sich demgemäß auf einem fortgesetzten Rückzug. In dem, was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht aber in dem, was wir nicht erkennen; nicht in den ungelösten, sondern in den gelösten Fragen will Gott von uns begriffen sein. (454f)

Als eine erkenntnistheoretische ist die Metapher, wenn ich recht sehe, auch meist rezipiert worden. Die Lücke ist dann eine Lücke in unserer Erkenntnis, und die Ausfüllung eine damit korrelierende natürliche Gottesvorstellung. Die sollten Christen einfach aufgeben, so Bonhoeffer. Aber anschließend schreibt Bonhoeffer einen Satz, mit dem er sehr viel weiter ausholt: „Das gilt für das Verhältnis von Gott und wissenschaftlicher Erkenntnis. Aber es gilt auch für die allgemein menschlichen Fragen von Tod, Leiden und Schuld.“ (455) Auch hier „darf“ man Gott nicht als Lückenbüßer „figurieren lassen“. Das ist ja auch sinnlos, denn, so fragt Bonhoeffer, „ist selbst der Tod heute, da die Menschen ihn kaum noch fürchten, und die Sünde, die die Menschen kaum noch begreifen, noch eine echte Grenze?“ (407) Der Begriff der „Grenze“ spielte eine große Rolle in Bonhoeffers früher Theologie, speziell in der Hamartiologie.34 Jetzt aber fragt er öffentlich, ob Sünde und Tod heute nicht auch als etwas erfahren werden, womit der Mensch selber fertig werden kann. Man brauchte Gott schon seit Langem nicht mehr für die Welterklärung, braucht man ihn noch für solche „letzten Lebensfragen“ wie Tod und Schuld? Oder sind das überhaupt keine wirklichen Lebensfragen mehr? Vor allem in diesem letzten Zusammenhang der „allgemein menschlichen Fragen“, also auf der hamartiologisch-soteriologischen Ebene („Tod, Leiden und Schuld“), wirft Bonhoeffers Verwendung der Metapher schwierige Fragen auf. Das Problem ergibt sich, kurz gesagt, dadurch, dass Bonhoeffer den Begriff der „Erlösung“ irgendwie verdächtigt hat, weil er für ihn sozusagen mit der Metapher des Lückenbüßers überschattet ist – obwohl „Erlösung“ doch ein sehr zentrales Wort der Bibel ist; sie redet bestimmt von Gott als Erlöser aus Tod und Schuld. Es geht also um den rechten Begriff der Erlösung.

33 Die Herausgeber weisen nach, dass Bonhoeffer die Metapher vorgefunden hat bei F. Brunstäd, Die Idee der Religion. Prinzipien der Religionsphilosophie (1922) und P. Tillich, Die religiöse Lage der Gegenwart (1926) (DBW 8, 454f). Die Wortprägung selber ist aber von Luther, der damit z. B. andeutete, er predigte in Abwesenheit der Pfarrherr statt dieser in Wittenberg als „Lückenbüßer und unter Pfarrherr“. WA 50, Erklärung gegen Simon Lemnius, 350. 34 Vgl. Busch Nielsen, Die gebrochene Macht der Sünde, 31–85.

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Es fällt auf, dass Bonhoeffer von den drei „letzten Lebensfragen“ Tod, Leiden und Schuld nur in Bezug auf den Tod und das Leiden weiter ausführt, was er genau meint. Erlösung vom Tod ist nicht Erlösung zum besseren Jenseits, sondern zum wirklichen Leben im Diesseits. Wenn es im Alten Testament Erlösung gibt, ist sie immer „geschichtlich“, „d. h. diesseits der Todesgrenze“ (500). Es gibt keine Flucht und wir sollen auch nicht reden, als ob es sie gäbe und wir uns so erhalten können: Der Christ hat nicht wie die Gläubigen der Erlösungsmythen aus den irdischen Aufgaben und Schwierigkeiten immer noch eine letzte Ausflucht ins Ewige, sondern er muß das irdische Leben wie Christus ganz auskosten und nur indem er das tut, ist der Gekreuzigte und Auferstandene bei ihm. (500f)

Das hat die Kirche Bonhoeffer zufolge bisher nicht begriffen. Sie redete, als ob Gott die große Lösung der menschlichen Probleme ist, das Jenseits der menschlichen Grenze. Damit ist sie aber „unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes […] zu sein“ (435), weil sie damit nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat. Nur „ohne Gott“ lässt sich wirklich von Erlösung reden. „Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu“ (436). Auch das Leiden wird uns nicht abgenommen, sondern: „Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden. […] er muß ‚weltlich‘ leben und nimmt eben darin an den Leiden Gottes teil“ (535). So hilft ihm Gott. Der leidende Gott ist nicht nur solidarisch, sondern „kann“ tatsächlich „helfen“ (534). Er erlöst von Tod und Leiden nur nicht in dem Sinne, dass er diese Härte uns abnimmt, sondern so, dass wir sie in Gemeinschaft mit ihm selber auf uns nehmen und tragen können. So gewinnt Christus eine Gestalt in uns. Bezüglich der Schuld aber finden wir eine solche deutliche Erklärung in den Briefen nicht. Gerade hier aber wird das Problem am dringlichsten. Wie reden wir „weltlich“ von Schuld? Wie nicht-religiös von Vergebung? Wenn wir auch die Schuld selber auf uns nehmen sollten, bleibt da dann überhaupt noch etwas über Vergebung zu sagen übrig? Über Schuldübernahme hatte Bonhoeffer aber in der Ethik schon ausführlich geschrieben. Die Kirche soll nicht anklagend die Welt von Schuld überführen, sondern sie demütig auf sich selber nehmen: „Daß die Kirche der Ort der Schulderkenntnis ist, ist […] eine tautologische Aussage.“35 „Mit diesem Bekenntnis [der Schuld] fällt die ganze Schuld der Welt auf die Kirche, auf die Christen und indem sie hier nicht geleugnet, sondern bekannt wird, tut sich die Möglichkeit der Vergebung auf.“ (127) Das ist der Durchbruch der „Gestalt“ Jesu Christi (132), eines Kernbegriffs der Ethik Bonhoeffers. Nur so „als in ihrer Schuld gerichtete“ wird die Kirche „von dem gerechtfertigt, der alle 35 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 126; weitere Zitate mit Seitenzahl im Text.

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menschliche Schuld auf sich nimmt und vergibt, durch Jesus Christus“ (133). Auch von der Schuld erlöst Christus also nicht in dem Sinne, dass er sie uns ohnehin abnimmt, sondern so, dass wir sie in Gemeinschaft mit ihm selber auf uns nehmen. In dieser Hinsicht sind die Briefe aus der Haft nur eine Fortschreibung dieser Ethik. Keine Erlösung im Jenseits und also auch keine billige Gnade für die Sünde, sondern ohne Zögern den Weg gehen der Schulderkenntnis: wenn das die Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich getan hätten – nicht nur in Deutschland! 36 3. Aber vielleicht ist die Bedeutung der Metapher des Lückenbüßers mit dieser Erklärung im Sinne der billigen Gnade doch noch nicht ganz erschöpft. Wir sahen ja schon: Er erkannte – freilich fragenderweise – an, dass Tod und Sünde gar nicht mehr als wirkliche Grenzen erfahren werden. Er neigte außerdem dazu, das zu akzeptieren; jedenfalls wollte er sie nicht wieder groß machen.37 Man soll mündige Menschen nicht wie Kinder behandeln. Ein weiteres Indiz dafür, dass das Problem für ihn grundsätzlicher war, ist die Art und Weise, wie er auf die Fragen antwortete, um deren Erläuterung Bethge bat. Bonhoeffer hatte ihm am 29.5.44 geschrieben: Gott ist auch hier kein Lückenbüßer; nicht erst an den Grenzen unserer Möglichkeiten, sondern mitten im Leben muß Gott erkannt werden; im Leben und nicht erst im Sterben, in Gesundheit und Kraft und nicht erst im Leiden, im Handeln und nicht erst in der Sünde will Gott erkannt werden. Der Grund dafür liegt in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Er ist die Mitte des Lebens, und ist keineswegs „dazu gekommen“, uns ungelöste Fragen zu beantworten. (455)

Bethge fragte dazu am 3.6.44: Du müßtest nochmal etwas genauer entfalten, wieso Grund für „Gott in Gesundheit, Kraft, im Handeln“ in der „Offenbarung in Jes[us] Chr[istus]“ liegt: was heißt da „Mitte des Lebens“. (464)

Der Schlussteil des Briefes mit weiteren Fragen ist leider verloren gegangen, jedoch wiederholte Bonhoeffer sie am 8.6.44: „ob nicht Jesus selbst an die ‚Not‘ des Menschen angeknüpft hat, mithin der vorhin kritisierte ‚Methodismus‘ im Recht ist“ (482). Diese Fragen fand Bonhoeffer so „wichtig“, „daß ich froh wäre, wenn ich sie selbst beantworten könnte.“ (476) Das geht ja weiter, als wenn er nur die billige Gnade im Visier hatte. Er scheint doch auch sachlich in Bewegung geraten zu sein, bezüglich der Bedeutung der „Grenze“. Und vielleicht könnte es nun die Art sein, in der Bonhoeffer Barths Umkehrung von Gesetz und Evan36 Vgl. Katharina von Kellenbach, The Mark of Cain. Guilt and Denial in the Post-War Lives of Nazi Perpetrators. 37 Busch Nielsen, Die gebrochene Macht der Sünde, 138: „dass die Welt mündig geworden ist […] beinhaltet […] eine Problematisierung der Vorstellung vom Menschen als Sünder. Dieser Problematisierung steht Bonhoeffer nicht ohne Sympathie gegenüber.“

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gelium mitvollzog, der dabei diese Fragen und Probleme hervorrief, so möchten wir fragen. Das versuchen wir hier nur als spekulative Frage anzureißen. Es muss dabei vieles offenbleiben. 4. Auf der Suche nach Begründungen in Bezug auf seinen „Instinkt“ (476) schlussfolgerte Bonhoeffer, er wolle die mündige Welt besser verstehen „als sie sich selbst versteht, nämlich vom Evangelium, von Christus her“ (482). Das ist eine Aussage, die sich nur im Einklang etwa mit dem Ethikfragment über ‚Christus, die Wirklichkeit und das Gute‘ verstehen lässt. Die Weltwirklichkeit findet Bonhoeffer „immer schon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes“ vor: „Das ist das Geheimnis der Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus Christus“, schrieb er dort (40).38 Es ist deutlich, dass Bonhoeffer sich hier an Barths Vorordnung des Evangeliums orientiert. Nur durch eine solche Ausschaltung des Begründungszusammenhanges des nomologischen Rahmens glaubte er auch den Methodismus als „sinnlos, unchristlich und unvornehm“ überwinden zu können. Aber es lässt sich fragen, ob er sich nicht auch wesentlich von Barth unterscheidet, wenn er die Annahme, das Getragensein und das Versöhntsein der Weltwirklichkeit in der Wirklichkeit Gottes auch von seinem geschichtlichen Verstehen der Gegenwart her betrachtet. Wie die Bonhoefferforschung hinreichend klargemacht hat, sind Gegenwartsanalyse und Christologie beim späten Bonhoeffer weitgehend integriert.39 Aber wie schwer es ist, genau zu sagen inwiefern Bonhoeffer dabei tatsächlich identifizierend vorgeht, geht etwa hervor aus einem Satz Busch Nielsens, wenn sie gerade am springenden Punkt ihrer Untersuchung schreibt: Dass der Sünder Rechtfertigung erfährt, ist nicht damit gleichzusetzen, dass der Unmündige Mündigkeit, Autonomie und Gottlosigkeit erreicht. Aber ohne eine wechselseitige Relation sind diese Begriffe wiederum auch nicht.40

Es gibt jedenfalls Aussagen, die eine Identifizierung suggerieren, etwa schon in der Ethik: Nicht zwei miteinander konkurrierende Räume stehen neben einander und machen sich gegenseitig die Grenzen streitig, sodaß die Grenzfragen immer wieder die entscheidenden der Geschichte wären, sondern die ganze Weltwirklichkeit ist bereits in

38 Vgl. Krötke, Weltlichkeit und Sünde, 18: „Die für mich provozierendsten Sätze der Ethikfragmente lauten: ‚[…] Nun gibt es keine Wirklichkeit, keine Welt mehr, die nicht mit Gott versöhnt und in Frieden wäre.‘ […] Bonhoeffer […] macht mit der Geltung der Versöhnung für alle Menschen kompromisslos ernst.“ Zitat im Zitat: Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 70. 39 Vgl. z. B. Busch Nielsen, Die gebrochene Macht der Sünde, 128–144, 130: „So fungiert der Gedanke, dass Gott in Christus die Welt mit sich selbst versöhnt hat, auf der einen Seite, und Bonhoeffers besonderes Modernitätsverständnis auf der anderen Seite ganz weitgehend als Interpretationsschlüssel füreinander.“ 40 Busch Nielsen, Die gebrochene Macht der Sünde, 135.

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Christus hineingezogen, in ihm zusammengefaßt und nur von dieser Mitte her und auf diese Mitte hin geht die Bewegung der Geschichte. (44)

Wir können nicht der ganzen Forschung zum Verhältnis von Barth und Bonhoeffer ein neues Kapitel beifügen, sondern erinnern nur an Dieter Schellong, der im Blick auf Bonhoeffers Rede von einer solchen „Bewegung der Geschichte“ schon 1986 schrieb, eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Barth und Bonhoeffer sei zu bestreiten: „Bonhoeffer war immer ein Vertreter von identifizierenden theologischen Sätzen“, während Barth die Dialektik nie aufheben wollte und es den „deutschen Lutheranern aller Lager“ übel nahm, dass sie als „Undialektiker“ alle „das letzte Wort selber sagen“ wollen.41 Es ging Barth nach Schellong darum, dass der Theologe nicht „das est der Nähe Gottes statuiert, ja der Identität Gottes mit unseren Veranstaltungen.“42 Während Barth also die Wahrheit der Versöhnung immer nur dialektisch verbindet mit der menschlichen Wirklichkeit, redet Bonhoeffer nach Schellong integrierend-identifizierend. Bonhoeffer versteht die Wirklichkeit der Welt von Christus her und kann daher die christologischen und die geistesgeschichtlichen Linien konvergieren lassen. Barth aber versteht die Wahrheit der Welt von Christus her und sieht die Wirklichkeit der Welt immer im Streit mit dieser Wahrheit, wie wir gesehen haben. Bonhoeffers Auffassung der Mündigkeit ergibt sich in dieser Sicht, weil er die Mündigkeit von der Vorordnung des Evangeliums her als passend ansah. Tod und Schuld brauchen keine Grenzen mehr zu sein, weil sie für alle schon in Christus überwunden und in Gott verschwunden sind. Wir brauchen sie nur noch in Gemeinschaft mit ihm auf uns zu nehmen. Und dass wir das heute auch wissen, dass Tod und Schuld für uns heute – anders als vorher – auch keine Grenze mehr zu sein scheinen, verdanken wir dem geschichtlichen Prozess des Mündigwerdens. Deshalb sollten wir von Gott nicht mehr als von einem Lückenbüßer reden, sondern vor Gott ohne Gott leben. Für Barth aber wäre eine solche Sicht der Geschichte problematisch. Er konnte die Wahrheit unserer Befreiung in Christus nie für ein „Verstehen der Wirklichkeit von Christus her“ verwenden. Er hat Bonhoeffers Diagnose von der religionslosen und mündig gewordenen Welt deshalb nicht teilen können, weil er Wahrheit und Wirklichkeit immer im Streit sah.43 Wenn diese Interpretation zutrifft, sieht Bonhoeffer also die Praxis des Lückenbüßens als vermeidbar an, weil er die Wirklichkeit positiv (identifizierend44) 41 Schellong, Barth lesen, Einwürfe 3, 75. 42 Ebd. 43 Ebd., 91 Anm. 65. Vgl. Barths Ausführungen in ders., Die Menschlichkeit Gottes, 21: Gerade von der Menschlichkeit Gottes her „kann mit einer ‚mündig gewordenen Welt‘ seriöser Weise gar nicht gerechnet werden“, sondern „nur mit einer solchen, die sich für mündig hält (und tagtäglich beweist, daß sie gerade das nicht ist)“. 44 Krötke, Weltlichkeit und Sünde, 24, macht deutlich, dass „die von Gott freigesetzte Welt-

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von Christus her versteht. Entweder man denkt vom Gesetz her und ist – sinnlos, unchristlich und unvornehm – dazu bestimmt, Christus irgendwie als Lückenbüßer anzusehen, oder man denkt von Christus her und braucht das nicht zu tun. Barth aber sieht diese Praxis als immer präsentisch an, weil er die Wirklichkeit nicht nur positiv, sondern auch negativ (dialektisch) von Christus her versteht (als die Wahrheit von Evangelium und Gesetz ständig ins Gegenteil verkehrend). Das ergibt bei ihm negativ die Rede von herrenlosen Gewalten, Entfremdung und Unfreiheit, positiv aber die von den Gleichnissen des Himmelreiches.45 5. Zum Vergleich mit Iwand: Es könnte sogar gesagt werden, dass Bonhoeffers vehemente Attacke auf die schlechte Apologetik auch Iwand treffen würde. Zwar sperren sie sich beide gegen eine Herabsetzung des Werkes Christi in den Bereich der Potentialität – „Kraft“ beim „Versagen“ und „Schwäche“ usw. – als nicht zur Gottesbeziehung gehörig. Wir haben aber gesehen, wie Iwand mit der Alternative arbeitete „entweder Verzweiflung oder Christus oder Glauben an die Freiheit“, auf dem Fundament einer Notwendigkeit der Rechtfertigung. Der Mensch als iustificandus hat die Wahl zwischen Christus und der Verzweiflung, überspielt aber seine Verzweiflung ohne Christus im blinden Glauben an den freien Willen. Wer seine Rechtfertigung nicht außer sich, i. e. in Christo findet, muss selber dafür einstehen und muss an seinen eigenen freien Willen glauben, falls er nicht völlig verzweifeln will. Bonhoeffer aber kritisiert gerade das Arbeiten mit einer solchen Alternative stark. Karl Heim scheiterte seiner Meinung nach in seinem „pietistisch-methodistischen Versuch, den einzelnen Menschen davon zu überzeugen, daß er vor der Alternative ‚Verzweiflung oder Jesus‘ stehe.“ (479) Auch Iwand hatte Heims Verwendung der Antinomien kritisiert, aber dennoch redete auch er selber von einem „Sinnzusammenhang“, oder „Oberbegriff“46, der es möglich mache, dass der Satz „allein durch den Glauben“ durch den anderen Satz „nicht durch Werke“ schon hinreichend interpretiert ist.47 Bonhoeffer hätte also vielleicht auch den Iwand der dreißiger Jahre kritisieren und als lückenbüßerisch bezichtigen können. Der von Iwand neben „Verzweiflung oder Jesus“ als notwendige dritte Möglichkeit herausgestellte Glaube an die eigene Freiheit gilt ihm

lichkeit und Menschlichkeit nicht gleichgesetzt werden darf mit dem bloß Faktischen, mit dem ‚platten und banalen‘ Diesseitigem. […] Als Kriterium für die rechte Weltlichkeit und Menschlichkeit wird hier die Ausrichtung der Welt auf Jesus Christus genannt. […] Eine wesentliche Hilfe bei diesem aktuellen Unterscheidungsprozeß, in den die Kirche hineingestellt ist, sind für Bonhoeffer die Zehn Gebote und ihre Auslegung in der Bergpredigt.“ 45 Vgl. Schellong, Barth lesen, 69–72, Pangritz, Karl Barth in der Theologie Dietrich Bonhoeffers, Kap. IV.3, und KD IV/3, 128–146. Für Barth sind die Kriterien 1) Übereinstimmung mit dem Zeugnis der Schrift, 2) tiefere Hineinführung in die communio sanctorum, 3) die Früchte, 4) was sie für das Leben der Gemeinde selbst bedeuten (Trost, Zurechtweisung und Erbauung). 46 Iwand, Das Bild Jesu Christi, 91. 47 Ders., Rechtfertigungslehre und Christusglaube, 11.

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nicht länger als Praesumption des natürlichen Menschen, sondern als legitime Mündigkeit der Welt von Christus her. Dass eine methodistische Hinführung der Ungläubigen zur Alternative „Christus oder Verzweiflung“ sinnlos ist, wusste aber freilich auch Iwand. Der Mensch lässt sich eben nicht wegen seiner moralischen Verfehlungen in die Verzweiflung stürzen, sondern er schützt sich im Glauben an die eigene Freiheit. Iwand versuchte von daher aber nicht den Menschen, sondern die Predigt des Gesetzes besser zu verstehen als bisher. Sein Verstehen der Tötung durch das Gesetz lässt sich ja bestimmt nicht als „Schlechtmachen“ qualifizieren. Dagegen war er geschützt, durch seinen Hinweis, dass die Predigt des Gesetzes uns immer nur auf unseren Ursprung anspricht, weil es von Christus her zu verstehen ist. Bisher redeten wir von Iwand im Jahre 1930. Es lässt sich aber bei ihm in Bezug auf das Thema Gesetz und Evangelium eine Veränderung feststellen.

4.

Iwand 1951: Die Gnade als Realität

Inwiefern die Entwicklung beim späten Iwand eine wirkliche Kehre war, steht in der Iwandforschung noch immer zur Debatte. Der Unterschied zwischen der noetischen und der ontologischen Ebene scheint wichtig zu sein: Schon sehr früh hat Iwand das Gesetz von Christus her verstanden,48 erst später aber auch vom ihm her begründet. Er schrieb ja, wie wir sahen, noch 1928/29: „Der Schöpfungsglaube bestimmt uns, das Verhältnis von Gott und Mensch unter den Begriff δικαιοσύνη zu fassen“. Dann aber (Vorlesung 1937) hat er sich in dieser Hinsicht geändert: Ich habe früher gedacht, das sei eine ontologische Bestimmung, daß der Mensch an sich unter dem Gesetz steht: Das Sein ist ein Sein unter dem Gesetz. Dieser Satz ist falsch, denn nicht an sich steht jeder Mensch unter dem Gesetz, sondern das Evangelium stellt oder bezeugt unser Leben als ein Leben unter dem Gesetz.49

Und noch 1953 schrieb er an Rudolf Hermann, seinen zeitlebens verehrten Lehrer, diese Sache mit Gesetz und Evangelium und die – vielleicht zu einfache – Umstellung, wie sie dann Barth vorgenommen hat, indem er das Evangelium einfach davor setzte (etwa wie die Antinomer), ist mir doch eine der wesentlichsten Fragen innerhalb der augenblicklichen Theologie.50

48 Vgl. Neddens, Politische Theologie, 499f, 510. 49 Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 31. 50 Ders., Briefe an Rudolf Hermann, NW 6, 306f; Vgl. Bayer, Theologie, 356: „Er [Barth] beantwortet das Problem der natürlichen Theologie, indem er das Evangelium, ihm auch die

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1. Inzwischen hatte er Barth aber auch schon 1951 geschrieben, er habe „den Rubikon“ überschritten.51 Das geht auch hervor aus seiner Predigtmeditation zur Röm 6,19–23 im selben Jahr. Da äußert er sich auf unmissverständliche Weise: Das alte Schema von Gesetz und Evangelium muß hinausgeworfen werden, wonach wir zunächst die Realität der Sünde feststellen (man nennt das heute Desillusionierung!), um dann mit dem Evangelium den – subjektiven Trost der Gnade darzubieten. So wird die Gnade Gottes in Jesus Christus zur „Ausnahme“ von der Regel. In Wirklichkeit sind Sünde und Tod „regelwidrig“.52

Gottes Gnade ist „die Realität aller Realitäten“, sagte Iwand einige Zeilen vorher. Es ist klar, dass Iwand hier in die Bahnen Barths und Bonhoeffers einlenkt. Wie Bonhoeffer verabscheut er die Übernahme einer quasi-Kantschen Trennung in die Theologie53. Sünde und Tod sind nicht als letzte Lebensfragen methodistisch zu benutzen, sondern sie sind „regelwidrig“. Würde Iwand die Metapher des Lückenbüßens noch verwenden wollen, hätte er das nicht mehr wie vorher tun können im Rahmen einer Alternative zwischen „entweder Christus oder Verzweiflung“, sondern zur Kennzeichnung eben desjenigen, was er im angeführten Zitat beanstandet, nämlich der Darbietung des subjektiven Trostes. Das wird auch deutlich, wenn Iwand seine Kritik 1956/57 an einem bestimmten Gewissensbegriff durchführt. Das „normale Gewissensverständnis“ schildert er so: Das Gewissen eröffnet dem Menschen eine Ordnung, die über ihm steht, ein Sollen, unter dem er steht. Dieses Sollen empfindet der religiöse Mensch als Gott, als von Gott inspiriert. Es ist sozusagen seine erste Begegnung mit Gott. Und wenn dann bei dieser Begegnung sich ein bestimmtes Schuldgefühl einstellt, dann wendet er sich Christus zu, der dieses Schuldbewußtsein für mich deckt oder ausgleicht.54

Wiederum ist die Rede vom „Decken“. Das ist seiner Meinung nach die Linie, auf die „die theologische Generation von heute“ weithin eingeschwenkt ist. „Wenn wir das tun“, warnte er aber seine Studenten, „dann werden wir alles das verraten und preisgeben, was wir seit dem Ende des Ersten Weltkrieges versucht haben zu lernen.“55 Und weiter: Und hier hat Christus dann nur noch die Aufgabe, den Riß zu heilen zwischen Sollen und Sein, das heißt, er ist nur noch dazu da, uns in unserem unheilbaren Idealismus

51 52 53 54 55

Funktion des Gesetzes zuschreibend, verallgemeinert. Darin ist er antinomistisch.“ Vgl. für Bayer und den Antinomismus auch Meier, Gesetz und Evangelium, 81ff, n. 96. Iwand, Brief an Karl Barth vom 8. 7. 1951, in: Iwand-Nachlass, BA Koblenz N 1528; vgl. den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 312f. Iwand, Predigtmeditationen I, 266; vgl. Meier, Gesetz und Evangelium, 157ff. Vgl. Iwand, Wider den Mißbrauch des pro me als methodisches Prinzip in der Theologie. Ders., Luthers Theologie, NW 5, 177. Ebd.

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weiterhin schlafend zu erhalten, damit wir nur nicht aufwachen. Wenn das Gewissen aufbrechen will, wenn das Schuldbewußtsein sich meldet, dann stellt sich eine Christuspredigt ein, die sofort dieses Gewissen wieder einschläfert. Darum ist auch die Kirche für viele Menschen unersetzlich.56

Es ist, als ob wir Bonhoeffer reden hören, der sagte, man brauche „Gott und die Kirche und den Pfarrer“ zur „Lösung“ der Lebensfragen (477f). Das Denken aus einer Alternative heraus nennt er jetzt gerade eine „urgnostische Position“: Man vertausche die Positionen nicht! Man gehe nicht aus von der metaphysischen Antithese, von jener ur-gnostischen Position, die älter ist als die sogenannte Gnosis: von der Antithese Adam – Christus, von der Antithese Todeswelt – ewiges Leben, von der Antithese Fall und Wiederbringung, Entfremdung des Menschen von seinem Ursprung und Heimholung in die verlorene Existenz. Diese Fragen werden von der einen in Jesus Christus neugewonnenen Position, von der justificatio impii aus untergeordnete Positionen.57

Wir sehen: der Mensch ist ihm jetzt iustificatus statt iustificandus. Das ist für ihn die in Jesus Christus neugewonnene „Position“ (Bonhoeffer: „Mitte“, Barth: „Wahrheit“). 2. Dennoch konnte Iwand nicht ganz mitgehen mit Barth, geschweige denn mit Bonhoeffer. Der Unterschied lag unter anderem in der Ontologie. „Das reformatorische in re – in spe darf nicht aufgelöst werden in ein in vanitate – in veritate“, heißt es am Ende seiner Besprechung von Barths Schrift Christus und Adam nach Röm 5. Ein Beitrag zur Frage nach dem Menschen und der Menschheit (1952): „Sonst ist nicht einsichtig zu machen, daß es der Glaube ist, der gerecht macht.“58 Der Glaube kann nicht auf „Wahrheit“ als solche, sondern nur auf diese „als Verheißung“ (das Geglaubte ist das Erhoffte) ausgerichtet sein. Sonst wäre es ein noetisches Seinsurteil, und obwohl Iwand den Glauben bestimmt nicht als Werturteil begreift, möchte er sich auch nicht auf den Glauben als Seinsurteil „festlegen lassen“.59 Das lässt den Willen außer Acht und lässt außerdem auch das Geglaubte nicht wirklich extra nos sein, sondern will es verinnerlichen und bewältigen (i. S. Hegels).60 Und das, so wäre zu schließen, ergäbe wiederum fast zwangsläufig einen Christus als Lückenbüßer. Nur im re-spe-Verhältnis müsste das nicht so sein.

56 Ebd., 182. 57 Ders., Predigtmeditationen I, 592f. 58 Ebd., 595. Vgl. Bayer, Theologie, 376 n. 254: „Wird das Wort zum Aufweis, wird der Glaube zur Einsicht; wird es zur Aussage, so wird es zum Wissen (…) Nur wenn das Wort Zusage ist, ist der Glaube Glaube.“ (Hervorhebung von Bayer) 59 Iwand, Christologie, NWN 2, 428. 60 Vgl. den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 368–388, 407f, 417f.

Edgar Thaidigsmann

„Erlösung zum Diesseits“ Ein Vortrag Iwands mit Blick auf theologische Ansätze Bonhoeffers in Widerstand und Ergebung

1.

Bonhoeffer bei Iwand

Iwand zitiert aus Schriften Bonhoeffers nur in seinen Predigtmeditationen: 1953 aus Gemeinsames Leben1, 1955 aus Widerstand und Ergebung2, 1959 aus Akt und Sein3. Dazuhin verweist Iwand in den Predigtmeditationen noch zweimal auf Bonhoeffer4. Ein weiterer gewichtiger Hinweis auf den Bonhoeffer von Widerstand und Ergebung findet sich in einem kurzen Vortrag Iwands mit dem Titel Erlösung zum Diesseits. Zusammen mit Auszügen aus dem Vortrag Was ist die Theologie der Kirche schuldig? (1934, Riga) wurde Erlösung zum Diesseits 1961 als Weihnachts-„Gruß“ des Chr. Kaiser Verlags veröffentlicht5. Liest man die ver1 Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, 26. Das Zitat steht als Motto über der Predigtmeditation Iwands zum 20. S. n. Trin. zu Apg. 2,42–47 im Kirchenjahr 1952/53 (Iwand, PM I, 365) . 2 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 482. Von Iwand zitiert in der Predigtmeditation zum 5.Sonntag n. Trin. zu Lk 5,1–10 im Kirchenjahr 1954/55 (Iwand, PM I, 450, Anm. 1). 3 Bonhoeffer, Akt und Sein, 138. Von Iwand zitiert in der Predigtmeditation zum 1. S. n. Weihn. zu 1. Joh 1,5–10 im Kirchenjahr 1959/60 (Iwand, PM I, 674f, Anm. 1). 4 Im Zusammenhang seiner Auslegung von Mt 5,20–26 verweist Iwand auf Bonhoeffers Ethik „mit der Betonung von Gottes Gebot‚ als der konkreten Rede zum konkreten Menschen‘‘ sowie auf das „über das ‚Recht auf das leibliche Leben‘ Gesagte“ (Iwand, PM I, 455, Anm. 1). Im Zusammenhang der Meditation über Hebr. 9, 15.23–28 und einem „Problem, das in der prot. Dogmatik vernachlässigt wurde, das des Kultus“, verweist Iwand auf Bonhoeffer, Sanctorum Commnio, „mit seiner Fassung des Kollektivgeistes“. Der Hinweis findet sich nach ausführlicheren Zitaten Iwands aus Hegels Religionsphilosophie, „der die Sache am besten trifft“. Iwand merkt an: „in diese Richtung weist dann auch Bonhöffer“ (Iwand, PM I, 677, Anm. 1). – Ein indirektes Zitat findet sich bei Iwand, Predigten und Predigtlehre, 212, wo Iwand von der „billigen Gnade“ als einem Problem der protestantischen Rechtfertigungslehre spricht (vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 29–43). 5 Der Vortrag wurde bisher nur in der Weihnachtsgabe des Chr. Kaiser Verlags zum Jahresende 1961 veröffentlicht. A. Wiebel (Münster) hat nach dem originalen Typoskript im Bundesarchiv in Koblenz (N 1528/167) eine Fassung erstellt, die auf zumeist geringfügige Abweichungen gegenüber dem Druck von 1961 sowie auf handschriftliche Stichworte am Rand hinweist. Ich

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Edgar Thaidigsmann

streuten Zitate Iwands aus Bonhoeffers Schriften von der Problemstellung des Vortrags Erlösung zum Diesseits her, so lässt sich eine Intention erkennen, die Iwand bei der Auswahl der Zitate leitet und für die er offensichtlich bei Bonhoeffer einen gewissen Widerhall findet. Es geht Iwand darum, die Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus nicht in Unterscheidungen und Gegensätzen zu verorten, mit denen die Vernunft die Wirklichkeit von Welt und Mensch erfasst und zu bewältigen versucht, so z. B. im Gegensatz von ‚Ideal und Wirklichkeit‘. Auch das Gewissen bringt einen Gegensatz des Menschen mit sich selbst zum Ausdruck, der nach Befriedung ruft. Werden Evangelium und Glaube in solchen Entgegensetzungen verortet, so wird ihnen eine Funktion in der zerteilten und zerrissenen Wirklichkeit des Menschen zugewiesen, aus der ihnen dann ihre Bedeutung zukommt. Das aber widerstreitet dem Evangelium als dem schöpferischen Wort Gottes, unter dem sich Mensch und Welt erneuern6. Für die Frage nach dem Verhältnis Iwands zu den theologischen Überlegungen aus Bonhoeffers Gefängniszeit ist Iwands Vortrag Erlösung zum Diesseits besonders aufschlussreich. Die folgenden Ausführungen gehen der Themenstellung dieses Vortrags und dem Hinweis auf Bonhoeffer zunächst im Kontext philosophischer und theologischer Strömungen nach, die zur Zeit der Entstehung des Vortrags virulent waren und sich in der Formulierung des Themas spiegeln. Es schließen sich Beobachtungen und Überlegungen zu ‚Jenseits‘ und ‚Diesseits‘ in Bonhoeffers Gefängnisbriefen und Iwands Erlösung zum Diesseits an, die Iwands Umgang mit dem Thema „Erlösung zum Diesseits“ zu theologischen Intentionen Bonhoeffers in Beziehung setzen.

2.

Zur Situation des Vortrags „Erlösung zum Diesseits“

Die Datierung von Iwands Vortrag Erlösung zum Diesseits ist unsicher. Die Weihnachtsgabe des Chr. Kaiser Verlags von 1961 behauptet, er „stammt aus dem Jahr 1950“7. Das kann jedoch nicht zutreffen. Zu Beginn des Vortrags sagt Iwand, man habe ihn gebeten, über ein Thema zu sprechen, „das eigentlich nicht mein Thema ist“, und fügt hinzu: „Aber es begegnet uns jetzt öfter aus den verschiefolge der in der Weihnachtsgabe des Kaiser-Verlags veröffentlichten Druckfassung, die ohne Seitenzählung ist, und verweise auf Randnotizen Iwands nach Wiebel. – Der Vortrag im Weihnachtsgruß des Verlags S. 13–21, Seitenangaben von mir hinzugefügt, das Vorwort des Verlags nicht mitgezählt; zit.: Erlösung zum Diesseits. 6 Zu der bei Iwand seit seiner Dissertation: Über die methodische Verwendung von Antinomien in der Religionsphilosophie. Dargestellt an Karls Heims „Glaubensgewißheit“ (masch., Königsberg 1924) virulenten Auseinandersetzung mit dem Problem fundamentaltheologischer Bedeutung von Antinomien: Thaidigsmann, Das Allgemeine im Besonderen, 71–88. 7 Weihnachtsgabe, Vorwort.

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densten Lagern und ist vielleicht gerade unter den Christen mitangeregt durch gewisse Bemerkungen Dietrich Bonhoeffers, der hier eine echte und notwendige Wendung gesehen und an sich selbst vollzogen hat“8. Ohne Zweifel ist das als Hinweis auf Bonhoeffers Gefängnisbriefe zu verstehen und auf seine Entscheidung, am Widerstand gegen Hitler teilzunehmen. Widerstand und Ergebung erschien jedoch erstmals Ende 1951, vordatiert auf 1952. Iwands Vortrag kann also nicht aus dem Jahr 1950 stammen. Das Thema „Erlösung zum Diesseits“ hat Iwand nicht selbst gewählt, vielmehr wurde es ihm gestellt. Er sieht sich genötigt, in diesem Thema, von dem er sagt, es ist „eigentlich nicht ‚mein‘ Thema“9, erst das Thema zu finden, das es zu einem theologischen macht. Nicht bekannt ist, wer ihm dieses Thema gestellt hat und an welchem Ort und vor welcher Hörerschaft er darüber gesprochen hat. Dem Vortrag selbst kann jedoch einiges über das geistige Klima entnommen werden, dem die Themenstellung entspringt. Wenn Iwand sagt, dass das Thema „unter den Christen“ „mitangeregt“ sei durch „gewisse Bemerkungen Dietrich Bonhoeffers“, so sind damit Bonhoeffers Gedanken zur Kritik der metaphysischen und religiösen Interpretation des Christentums gemeint, wie er sie seit dem 30. April 1944 in Briefen aus dem Gefängnis an den Freund Eberhard Bethge niedergeschrieben hat. Bonhoeffer sieht sich vor die Aufgabe einer „nichtreligiöse[n] Interpretation biblischer Begriffe“10 gestellt, die er auch „weltliche Interpretation der biblischen Begriffe“ nennen kann11. Ehe er den Ausdruck „nichtreligiöse Interpretation biblischer Begriffe“ gefunden hat, fasst er das, was „ihn unablässig bewegt“, in die Fragen, „was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist“ oder: „Wie kann Christus der Herr auch der Religionslosen werden? Gibt es religionslose Christen?“12 Hier zeigt sich das elementare christologische Motiv, das Bonhoeffer bei seiner hermeneutischen Fragestellung antreibt und leitet. In immer neuen Anläufen versucht er in seinen Briefen aus dem Gefängnis in diesen Fragen weiterzukommen. Wirksam geworden ist zunächst freilich vor allem Bonhoeffers griffig erscheinende Formulierung von der „nichtreligiösen Interpretation biblischer Begriffe“, die sich auch als Schlagwort ohne den christologischen Zusammenhang, in dem sie bei Bonhoeffer steht, verselbständigte. In der schlagworthaft reduzierten Form konnte sich Bonhoeffers Aufgabenstellung leichter mit anderen theologischen und nichttheologischen Strömungen verbinden, die sich um das Thema der Säkularisierung und die damit gestellte

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Iwand, Erlösung zum Diesseits, 13. Ebd., 13. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 509. 529. Ebd., 512. Ebd., 402. 404.

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hermeneutische Aufgabe sammelten. Die Formulierung „Erlösung zum Diesseits“ wird wohl aus dem Umfeld dieser Strömungen kommen.

3.

„Erlösung zum Diesseits“ bei Bonhoeffer?

Die Formulierung „Erlösung zum Diesseits“ gebraucht Bonhoeffer in Widerstand und Ergebung nicht. Im Brief vom 21. 7. 1944 spricht er davon, „dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt“ und präzisiert: „dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern die Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist metanoia, und so wird man ein Mensch, ein Christ. (Vgl. Jerem. 45!)“13. Zwei unterschiedliche Ausrichtungen des Zusammenhangs von Glaube und Ethik liegen hier bei Bonhoeffer ineinander. Da ist zum einen der reformatorische Hintergrund der Befreiung der guten Werke aus der Verwertung für die Erlangung des eigenen Heils vor Gott zum Dienst an anderen Menschen in der Welt. Das Tun der vom falschen „pro me“ [für mich] befreiten guten Werke führt in die Erfahrung der Welt in ihrer „Diesseitigkeit“ durch Teilnahme an ihrer Erhaltung und Gestaltung. Luthers Ethik des Berufs entspringt dieser Umkehr in der Bestimmung der guten Werke. Zum anderen aber wird die Ausrichtung des Handelns in der Welt bei Bonhoeffer ganz unlutherisch von der Teilnahme am „messianischen“14 Leiden Gottes in der Welt her verstanden, wie es sich im Leiden Christi vollzieht. Die Ethik der Nachfolge Jesu mit ihrem kreuzestheologischen Horizont und ihrer Separierung von dem, was man bürgerliche Ethik nennen kann, die Bonhoeffer in seinem Buch Nachfolge beschäftigte, ist in diese „metanoia“ [Umkehr] eingegangen und darin verändert aufbewahrt15. Nicht die zu erfahrende Welt als solche gibt mit ihren Ordnungen die entscheidende Orientierung vor, als wäre sie unbeschädigte Schöpfung und spräche die Sprache Gottes, vielmehr ist sie Ort der Zuwendung und Inanspruchnahme auf der Linie „Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen“ und „Für-andere-dasein“16. Bonhoeffer trifft sich in dieser Zuwendung zur Welt mit der Intention Hegels, den im Zuge der Aufklärung welt- und erfahrungslos gewordenen Glauben, der auf 13 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 542. 14 Ebd., 536. 15 Vgl. dazu Bonhoeffers selbstkritische Reflexion zu seinem Buch Nachfolge (1937) (ders., Widerstand und Ergebung, DBW 8, 542). 16 Ebd., 435. 558, vgl. 560. Vgl. in „Nach zehn Jahren“ den Abschnitt „Mitleiden“: „dass wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat […]“ (ebd., 34).

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bloße „Innerlichkeit“ (Bonhoeffer), bei Hegel als weltloses Sehnen charakterisiert17, reduziert ist, durch den Rückgriff auf die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, auf Kreuz und Auferstehung für die Erfahrung in der Welt zu öffnen und stark zu machen. Doch während Hegel die christologischen Bestimmungen in den philosophischen Begriff aufhebt und zum allgemeinen dialektischen Prozess der Vernunft rationalisiert, dabei aber die Dimension des Handelns, der Ethik und der Zukunft verliert, wahrt Bonhoeffer die Transzendenz Gottes beim Nachdenken über Gottes Präsenz in der Welt, die zum Handeln und zum Nachdenken theologischer Ethik führt. Als der in Christus in die Welt eingegangene und in ihr wirksame ist Gott der ihr und den Menschen jenseitige. So ist er für den Handelnden da. Wo von ‚Diesseits‘ oder ‚Diesseitigkeit‘ die Rede ist, da ist der Gedanke an ein ‚Jenseits‘ mitgesetzt. Nur einmal ist in den Gefängnisbriefen ausdrücklich theologisch vom ‚Jenseits‘ die Rede: „Das ‚Jenseits‘ Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens!“ Bonhoeffer präzisiert: „Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun.“18 Mit dem Ausdruck „erkenntnistheoretische Transzendenz“ nimmt Bonhoeffer Bezug auf die antimetaphysische Wende in der Erkenntniskritik Kants. Die „erkenntnistheoretische Transzendenz“ ist bedingt durch Kants Grenzziehung in seiner Kritik der Vernunft, die die Möglichkeit des Erkennens auf bestimmte Bedingungen von Erfahrung begrenzt. Dadurch wird Gott erkenntnistheoretisch gleichsam ins Jenseits des vernünftig Erkennbaren verbannt und die Rede von Gott wird weltlos und erfahrungslos. In praktischer Hinsicht wird Gott dann bei Kant zum postulierten Nothelfer der Moral angesichts ihrer Aporien. Anders als es in der Formulierung „Erlösung zum Diesseits“ der Fall ist, gebraucht Bonhoeffer ‚Diesseits‘ und ‚Jenseits‘ nicht als verselbständigte Abstraktbegriffe, die vorgeben, substantielle Bereiche von Wirklichkeit zu bezeichnen. Vielmehr nennt er immer die Relation, in der die Begriffe gelten und aus der sie verstanden werden müssen. Das ‚Jenseits Gottes‘ ist bei Bonhoeffer von Gottes Verhältnis zum „Leben“ her zu verstehen. Gott fügt sich nicht der erkenntnistheoretischen Grenzziehung der Vernunft, vielmehr gilt: „Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig“19. Zu fragen ist freilich: Wie ist Gott mitten im Leben so da, dass er zugleich jenseitig ist und was besagt das, dass er als der jenseitige „mitten im Leben“ da ist? Was sagt das über die Menschen und die Welt? Und was bedeuten dann „jenseitig“ und 17 „Die Religion baut im Herzen des Individuums ihre Tempel und Altäre, und Seufzer und Gebete suchen den Gott, dessen Anschauung es sich versagt, weil die Gefahr des Verstandes vorhanden ist, welcher das Angeschaute als Ding, den Hain als Hölzer erkennen würde“ (Hegel, Glauben und Wissen, 289f). 18 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 408. 19 Ebd., 408.

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„Diesseitigkeit“? Bonhoeffer überlässt sich nicht der Begriffsbildung der Vernunft, ohne sie einfach beiseite zu setzen. Vielmehr werden die Begriffe mitsamt ihrer Kraft der Unterscheidung und Entgegensetzung durch das Nachdenken über das eigentümliche Sein Gottes, das sich dieser Unterscheidung nicht fügt, in Bewegung gebracht. Auch der Begriff „Leben“, der Bezugspunkt, an dem sich Jenseitigkeit und Diesseitigkeit Gottes bestimmen, ist für Bonhoeffer kein substantialisierter Begriff, von dem her dann, wie z. B. bei Nietzsche, alle anderen Begriffe zu bestimmen wären. Wenn Gott „mitten im Leben jenseitig“ und gerade so für das Leben da ist, so ist das „Leben“ in der fundamental bejahenden Relation sich zugleich entzogen. Der Blick auf Bonhoeffers theologische Überlegungen aus der Gefängniszeit verdeutlicht, dass die Formulierung des Themas, das Iwand gestellt wurde, zwar von Bonhoeffers Gefängnisbriefen mit angeregt sein wird, wie Iwand andeutet, doch in der parolenhaften Zuspitzung „Erlösung zum Diesseits“ nicht deren Geist entspricht. Da spricht noch anderes mit, wie Iwand treffend anmerkt, wenn er auf die „verschiedensten Lager[n]“ hindeutet, aus denen dieses Thema „jetzt öfter“ begegne.

4.

Hintergründe der Parole „Erlösung zum Diesseits“

Auch wenn Auftraggeber und Adressaten von Iwands Vortrag nicht bekannt sind, so lassen sich doch die geistige und die theologische Situation und damit die „verschiedensten Lager“ umreißen, aus denen, wenn „jetzt öfter“, dann nicht erst jetzt beginnend, das Thema und die Parole „Erlösung zum Diesseits“ begegnen. Zunächst ist an die Kritik des Christentums bzw. der Religion, verknüpft mit der Kritik am Idealismus, zu erinnern, wie sie besonders von Feuerbach und Marx von der sinnlichen und der gesellschaftlich geprägten Natur des Menschen her vorgetragen wurde. Dabei war gerade der sinnliche Charakter der religiösen Vorstellungen als Befangenheit ein besonderer Kritikpunkt der Aufklärung und des Idealismus mit ihrer Orientierung an „ewigen Vernunftwahrheiten“ (Lessing) und Ideen gewesen. Der junge Marx mit seiner auf gesellschaftsverändernde Praxis ausgerichteten sinnlichen Diesseitsorientierung will alles scheinbare Jenseits in die Praxis der Verwirklichung einer künftigen befreiten und gerechten Gesellschaft einholen. Nur so ist dem Wahrheitskern der Religion als „der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt“20 zu entsprechen. „Es ist die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren.“21 20 Marx, Kritik, 488. 21 Ebd., 489.

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Eine gewisse Offenheit für die gesellschaftsverändernde Intention des Marxismus zeigt nach 1945 nicht nur Iwands Entwurf zum Darmstädter Wort (1947). Iwand entdeckt nach dem zweiten Weltkrieg die Gesellschaft theologisch als Ort hoffnungsvoller Bewegungen, wie die Vorlesung „Kirche und Gesellschaft“ (1951) zeigt22. Doch dem materialistischen Reduktionismus eines dogmatisierten Marxismus blieb Iwand immer fern. Die Gesellschaft ist ihm der Ort, wo Geist auf Geist und der Geist von Pfingsten auf andere Geister trifft, die um die Gestaltung der Gesellschaft ringen. Dabei erweist sich das ‚Diesseits‘, in dessen Namen man allem Jenseits absagen will, für Iwand als umkämpfter Ort geistiger Entscheidungen und notwendiger Umkehr23. Für ihn ist es wichtig, dass die Kirche bei ihrer Sache bleibt, ja sie wieder findet und eine „Sprache“ zu sprechen lernt, die alle verstehen und unter der sich die Welt erneuert. „Nicht Entmythologisierung der Kirche von der Welt her, sondern der Welt vom Evangelium her!“24 ist für ihn vordringliche Aufgabe. Immer wieder umkreist Iwand, wie auch Bonhoeffer in seinen Gedanken zum Tauftag25, das Problem einer pfingstlichen Sprache der Kirche in der Gesellschaft, ohne es eingehender zum Thema zu machen. Nietzsches Kritik an der Idee einer metaphysischen wahren Welt und an den religiösen Vertröstungen auf ein Jenseits und an der religiös gestützten Moral ergeht im Namen der Vitalität des Lebens. Seine Kritik will zu dessen vitalen Wurzeln vordringen, die durch den christlichen Glauben als Instrument des Ressentiments der Schwachen ins Lebensfeindliche verkehrt worden seien. Für Nietzsche ist das Jenseits die „Erfindung“ einer Hinterwelt, deren Zweck die Entwertung und Verleumdung des Lebens ist. „Der Begriff ‚Jenseits‘, ‚wahre Welt‘ erfunden, um die einzige Welt zu entwerten, die es gibt“26. Gegen Metaphysik und Religion und gegen die mit ihnen verknüpfte Moral verkündet Nietzsche ein sich selbst bejahendes und in sich selbst gerechtfertigtes Leben, das ohne die Spaltung von Diesseits und Jenseits im Willen zum Leben einfach ist, indem es sich in seiner Stärke will, durchsetzt und darstellt27.

22 Iwand, Entwurf zum Darmstädter Wort, bes. Th. 3 u. 5, FO, 20–22; Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1. 23 Vgl. z. B. Iwand, Geistige Entscheidungen und die Politik, FO. 24 Vgl. Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 17. 25 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 435f. 26 Nietzsche, Ecce homo, 373. Christentum und Sozialismus finden sich da auf derselben Anklagebank wieder: „Aber auch wenn der Christ die ‚Welt‘ verurtheilt, verleumdet, beschmutzt, so thut er es aus dem gleichen Instinkte, aus dem der socialistische Arbeiter die Gesellschaft verurtheilt, verleumdet, beschmutzt: das ‚jüngste Gericht‘ selbst ist noch der süsse Trost der Rache – die Revolution, wie sie auch der socialistische Arbeiter erwartet, nur etwas ferner gedacht […]“ (Nietzsche, Götzen-Dämmerung, 133). 27 A. Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben ist in diesem Zusammenhang als Gegenentwurf zu Nietzsche zu verstehen.

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Bei Bonhoeffer hat die Mahnung von Nietzsches „Zarathustra“ Widerhall gefunden: „bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden“.28 Für Iwand wird durch Nietzsche das Verkehrte einer Theologie enthüllt, die sich nach der Kritik der Metaphysik durch Kant ihrer Grundlagen in Moral und Ethik zu vergewissern suchte, wie das in der Ritschl-Schule und im Kulturprotestantismus der Fall war. Umkehr bis in die Fundamente der Theologie hinein ist für Bonhoeffer wie auch für Iwand nötig. Die Kritik der Religion, wie Karl Barth sie theologisch folgenreich in der zweiten Auflage seiner Römerbriefauslegung und dann in Kirchliche Dogmatik29 von Gottes Offenbarung her vollzieht, schließt eine Kritik des Gegensatzes von Jenseits und Diesseits ein. Im zweiten Römerbrief geht es Barth darum, die Sache Gottes aus allen Relativitäten in Zeit, Welt und Geschichte, die sie zu einer bedingten machen und in den Dienst von menschlichen Zwecken stellen, herauszulösen. Religion versteht er als ein höchst problematisches Sich-Beziehen des Menschen auf Gott, wenngleich sie geradezu die eindringlichste Gestalt von Sensibilität für die Problematik des Menschen und der Welt ist. In den Polaritäten von Wahrheit und Wirklichkeit, Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit, Diesseits und Jenseits komme diese Problematik des Menschen begrifflich zum Ausdruck. „Gerade die religiöse Möglichkeit ist unter allen Möglichkeiten innerhalb der Humanität die bezeichnendste für den Dualismus von Jenseits und Diesseits“30. Gottes Wirklichkeit aber wird nach Barth im Kreuz und in der Auferstehung Jesu Christi offenbar als das diesen Polaritäten und Dualismen überlegene ‚Jenseits‘, als „das Ja“ Gottes zum Menschen und zur Welt, „das jenseits von Ja und Nein liegt“ und sie schon in sich „aufgehoben“ hat31. Diese „überlegene“ Position, die keine Position ist, auf die sich ein Mensch stellen kann, bleibt freilich in Barths zweiter Römerbriefauslegung insofern abstrakt, als zwar die Ewigkeit in dieser ihrer Überlegenheit stark gemacht wird, es jedoch fraglich ist, ob und wie die Ewigkeit in ihrer freien Überlegenheit auch in der Zeit und unter den Menschen da ist. Damit aber steht auch ihre freie Überlegenheit in Frage. Doch schon Troeltschs Bemerkung in seinen Soziallehren, die Barth in Der Christ in der Gesellschaft (1919) zitiert: „Die Kraft des Jenseits ist die Kraft des Diesseits“, deutet die Richtung an, in die Barth gehen wird32. In Kirchliche 28 29 30 31 32

Nietzsche, Zarathustra, 15. Vgl. dazu: Bethge, Bonhoeffer, 153f. Vgl. bes. Barth, KD II/1, § 17. Barth, Der Römerbrief (1921), 213. Ebd. Troeltsch, Soziallehren, 979. Troeltschs Satz wird von Barth in „Der Christ in der Gesellschaft“ in charakteristisch veränderter Weise zitiert (in: Anfänge der dialektischen Theologie Teil 1, 34). Bei Troeltsch heißt es: „Das Jenseits (!) ist die Kraft des Diesseits“. In KD IV/2, 949 wird von Barth das veränderte Troeltsch-Zitat nochmals aufgenommen: „Die Liebe ist das Kontinuum zwischen jetzt und dann, zwischen ‚Diesseits‘ und ‚Jenseits‘. Sie ist wohl nach Tro-

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Dogmatik denkt er dann dem nach, dass das „überlegene Jenseits“, wie es im Kreuz und in der Auferweckung Jesu Christi offenbar wird, darin seine freie und gnädige Überlegenheit erweist, dass es auch „den Charakter eines in der menschlichen Geschichte, in Raum und in der Zeit des Menschen geschehenen Ereignisses“33 hat. Die Abstraktionen des Gegensatzes von Jenseits und Diesseits sind in diesem Geschehen aufgehoben. „Er selbst als der aus dem Heer der Toten zum Leben Erweckte ist das diesseitig auf den Plan getretene Jenseits“34. Von da her wird das „sitzend zur Rechten Gottes“ im zweiten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses als Bekenntnis zur Kraft des Jenseits im Diesseits und der Bedeutung des Diesseits des Menschen Jesus für das, was jenseits des Menschen und doch nicht ohne ihn, sondern für ihn ist, verstanden. Die vierziger und fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts sind theologisch von der Debatte um das Problem der Entmythologisierung und der existenzialen Interpretation der biblischen Botschaft durchzogen, die Rudolf Bultmann in seinem Vortrag Neues Testament und Mythologie (1941) programmatisch gefordert hat35. Die Frage von Jenseits und Diesseits stellte sich nun im Zusammenhang der Kritik des mythischen Weltbildes im Neuen Testament, das Bereiche „übernatürlicher Mächte“36 kennt. Der „moderne Mensch“, von Wissenschaft und Technik geprägt, könne, so Bultmann, mythische Rede nur als objektivierend verstehen, so wie er auch die Dinge der Welt als Objekte verstehe. Deshalb werde dem „modernen Menschen“ das Bekenntnis des Glaubens zu einer Reihe unverständlicher objektivierter Vorstellungen, die er in seinem Selbst- und Weltverständnis nicht unterbringen könne. Der Sinn mythologischer Redeweise im Neuen Testament werde damit aber verfehlt. Sie bedarf einer existenzialen Hermeneutik. Die beiden zentralen Begriffe Bultmanns zur Erschließung des existenzialen Sinnes mythologischer Redeweise sind die des ‚Selbstverständnisses‘ und der ‚Mächte‘. In der Diskussion um das Programm der Entmythologisierung wurde letzterer zumeist unbeachtet gelassen37. „Der eigentliche Sinn des Mythos ist nicht der, ein objektives Weltbild zu geben, vielmehr spricht sich in ihm aus, wie sich der Mensch selbst in seiner Welt versteht […] Der Mythos redet von der Macht oder den Mächten, die der Mensch als Grund und Grenze seiner Welt und

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eltschs berühmtem Satz: die Kraft des Jenseits, die als solche schon die Kraft des Diesseits ist“ (Groll, Troeltsch und Barth, 106–116). Barth, KD IV/1, 328. Ebd., 390. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 15–48 (ursprünglich 1941 als Vortrag in Alpirsbach gehalten). Ebd., 15. Eine Ausnahme ist der Bultmann-Schüler E. Käsemann. „Entmächtigung“ durch das Evangelium ist auch für G. Ebeling ein wichtiger Begriff.

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seines eigenen Handelns und Erleidens zu erfahren meint. Er redet von den Mächten freilich so, dass er sie vorstellungsmäßig in den Kreis der bekannten Welt, ihrer Dinge und Kräfte […] einbezieht. […] Er redet vom Unweltlichen weltlich, von den Göttern menschlich.“38 Recht verstanden enthalte der Mythos seine Kritik als objektivierende Vorstellungsweise in sich selbst, „insofern seine eigentliche Absicht [ist], von einer jenseitigen Macht zu reden, welcher Mensch und Welt unterworfen sind“39. „Jenseitig“ aber heißt, recht verstanden, jenseits der Verfügungsmacht des Menschen. Demnach bringt die neutestamentliche Botschaft in mythologischer Gestalt zum Ausdruck, dass der Mensch seiner selbst nicht so Herr ist, wie er über die Dinge der Welt Herr ist. Ein objektivierendes Verständnis des Mythos und damit auch ‚des Jenseits‘ verkenne das und bringe damit die Botschaft um ihren Sinn. Bonhoeffer würdigt Bultmanns Intention einer existenzialen Interpretation im Zusammenhang seiner Überlegung zu einer nichtreligiösen Interpretation biblischer Begriffe40. Der theologisch-anthropologische Grundgedanke Bultmanns von dem Selbst, das durch die kerygmatische Anrede von Gott her heilsam von sich unterschieden wird, um sich als freies Wesen, als „Kind Gottes“ wieder gegeben zu werden, steckt auch in Bonhoeffers Gedanke, dass Gott mitten im Leben jenseitig sei. Doch die Welt-, Natur- und Leiblosigkeit des Selbst bei Bultmann ist bei Bonhoeffer überwunden und die Welt wird nicht nur als zu objektivierende Verfügungsmasse verstanden. Sie ist sinnenhafter Erfahrungsraum des Menschen und in Jesus Christus angenommen und also nicht gottverlassen. Bonhoeffers Kritik, dass Bultmann den Mythos nicht interpretiere, sondern in der Manier der liberalen Theologie abschneide41, trifft zwar das Pathos von Bultmanns „erledigt ist“42. Doch zeigen Bultmanns nähere Ausführungen, dass die mythologische Ausdrucksform nicht „erledigt“ ist, sondern auf ihren in der Moderne verschütteten Sinn hin interpretiert werden muss, der nicht nur das Menschsein des Menschen in der objektivierten Welt ganz elementar betrifft. Da aber ist Bultmanns hermeneutischer Horizont nicht zureichend. 38 39 40 41

Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 22. Ebd., 23. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 482. „Ich bin nun der Auffassung, dass die vollen Inhalte einschließlich der ‚mythologischen‘ Begriffe bestehen bleiben müssen – das N.T. ist nicht eine mythologische Einkleidung einer allgemeinen Wahrheit!, sondern die Mythologie (Auferstehung etc.) ist die Sache selbst! – aber dass diese Begriffe nun in einer Weise interpretiert werden müssen, die nicht die Religion als Bedingung des Glaubens […] voraussetzt.“ (ebd., 482). Anders als bei Bultmann ist bei Bonhoeffer nicht die mythologische Gestalt des neutestamentlichen Weltbildes das zentrale Problem, sondern die religiöse und metaphysische Form christlicher Rede von Gott. ‚Metaphysisch‘ aber heißt für Bonhoeffer: jenseits der Grenzen des wissenschaftlich Erkennbaren; ‚religiös‘ meint eine besondere Form bloßer Innerlichkeit, die nicht bei allen Menschen gegeben ist (s. bes. ebd., 401–408, 403. 407f). 42 Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 17f.

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Auf dem skizzierten geistes- und theologiegeschichtlichen Hintergrund sind die frühen Debatten um das Verständnis des von Bonhoeffer angedachten Programms einer „nichtreligiösen [und nicht metaphysischen, E.T.] Interpretation biblischer Begriffe“43 im Horizont einer mündig gewordenen Welt zu verstehen. Ein säkularistischer und ein christologischer Interpretationsstrang lassen sich in der frühen Rezeption unterscheiden. Für Bonhoeffer ist die „mündige Welt“ nicht säkularistisch zu verstehen. Die von Gott in Christus angenommene und zur Mündigkeit berufene Welt ist es, um die es ihm geht. Für Christen bedeutet das: „teilhaben am weiten Herzen Jesu“ und teilnehmen am „messianischen Leiden Christi“ „in der Welt“44. In diesem Horizont sind Ethos und Ethik für Christen der Ort der Erfahrung dieser Welt. Das Besondere des den Christen Anvertrauten aber, das die Bedingungen für diese Erfahrung der Welt impliziert, soll durch „Arkandisziplin“45 vor säkularistischer Einebnung bewahrt werden.

5.

Iwand zum Thema „Erlösung zum Diesseits“

Distanziert greift Iwand das ihm gestellte Thema auf, von dem er sagt, dass es „eigentlich nicht ‚mein‘ Thema ist“. Für ihn gilt es den theologischen Sinn des Themas „Erlösung zum Diesseits“ erst zu finden. Die Vermutung, „bei aller Fragwürdigkeit dieser Formulierung wird doch etwas in ihr stecken, woran wir nicht vorbeigehen dürfen“, verdichtet Iwand dahingehend, dass es „ein Hinzeigen in eine Richtung [ist], in die wir irgendwie in Marsch gesetzt sind“46. Auch wenn das Thema um dieser Richtungsanzeige willen „ernst zu nehmen ist“, so ist doch gerade auch das „Diesseits“, zu dem erlöst werden soll, ein Unbekanntes und mit ihm sind es die Bedingungen, das „Diesseits“ zu finden. Im Konjunktiv, dem Modus nicht realer Möglichkeit, spricht Iwand hypothetisch und tastend von der Richtung, in die das Thema weist, als dem „Land, das ich Dir zeigen werde“ [Gen 12,1]. Es könnte in der Tat etwas von dieser Abrahamssituation [am Rand: ekklesia] in unserer Formulierung stecken, es könnte sein, daß Glauben [am Rand eingefügt: promissio] nötig ist, um herauszufinden in das ‚Diesseits‘, in die wirkliche Welt, jenseits aller Konstruktionen und Ausgedachtheiten, in die Welt, wo wir wieder den Dingen begegnen und sie uns.47

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S.o. Anm. 10.11. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 536.542. Ebd., 405. 415 Iwand, Erlösung zum Diesseits, 13. Ebd., 14. Die Randnotizen nach A. Wiebel (s. o. Anm. 5).

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Mit der Metapher des unbekannten, doch verheißenen Landes nimmt Iwand, Gottes Aufforderung an Abraham zitierend, das Stichwort des „Diesseits“ auf, von dem das ihm gestellte Thema so eindimensional spricht. Im Modus des hypothetisch Denkbaren wird bei Iwand aus der unbedachten Gewissheit, mit der das „Diesseits“ im gestellten Thema berufen wird, die Möglichkeit eines verheißungsvollen, auf Glauben zielenden Rufes in ein erst zu findendes Land, „in die wirkliche Welt, jenseits aller Konstruktionen und Ausgedachtheiten“. Iwands konjunktivisches Nachspüren nach dem Sinn des gestellten Themas im Raum des Möglichen und des „als ob“48 öffnet die rationalistisch und dogmatistisch fixierte Rede vom „Diesseits“, ohne dass Iwand ausdrücklich theologisch argumentierte und bringt ein Denken in Bewegung, das mit dem Begriff des „Diesseits“ einen nur scheinbar klaren Begriff gebraucht. Mit dem Begriff des „Diesseits“ kommt aber auch sein Gegensatz, der stillschweigend mitaufgerufene Begriff des Jenseits in Bewegung. Das bedeutet: So wenig das sogenannte „Diesseits“ im Horizont des Möglichen schon als festgestellt behauptet werden kann, wie die Themaformulierung nahelegt, so wenig auch das implizit mitgesetzte Jenseits. Mit dem Hinweis auf „die wirkliche Welt, jenseits aller Konstruktionen und Ausgedachtheiten“ nimmt Iwand im Prinzip die Einsicht der Vernunft bei Kant auf, dass die erkannte und erkennbare Wirklichkeit ein Konstrukt des transzendentalen Ich ist, von dem wiederum die Behauptung, dass die Aussicht in ein metaphysisches Jenseits versperrt sei, abhängt. Mit seiner konjunktivischen Rede des „als ob“ greift Iwand über die von Kant gezogene Grenze hinaus, um sich in einen Raum vorzutasten, in dem noch andere Bedingungen von Wirklichkeitserfahrung zu finden sein könnten, ohne dass damit Kants Grenzziehung hinsichtlich einer bestimmten Art von Erfahrungswissen bestritten würde49. Damit stellt Iwand die Frage nach der Möglichkeit eines Verständnisses der Wirklichkeit des „Diesseits“, die nicht Konstrukt des produktiv tätigen Ich-Subjekts ist, dem es um die Erkenntnis von kausalen Gesetzmäßigkeiten geht. Zugleich ist damit die Frage nach der Möglichkeit eines ‚Jenseits‘ als Bedingung einer Wirklichkeitserfahrung gestellt, die nicht mit der des konstruierenden Ich-Subjekts identisch ist. Ohne dogmatisch zu argumentieren geht es Iwand darum, die Möglichkeit und Denkbarkeit einer Erfahrung von Wirklichkeit zu eröffnen, über die das alles beherrschende Ich-Subjekt nicht verfügt, „wo wir wieder den Dingen begegnen und sie uns“. Die Bedingungen dafür können nicht a priori behauptet werden und sie sind nicht einfach gegeben. Vielmehr könnte es sein, dass mit der „promissio“ [Verheißung] „Glauben nötig ist, um herauszufinden in das ‚Dies48 Iwand, Erlösung zum Diesseits, 13f. 49 Zu Bedeutung und Problematik von „vor und nach Kant“ in der Theologie: Iwand, Wider den Missbrauch, 120–125.

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seits‘, in die wirkliche Welt“50. Der im Thema parolenhaft selbstsicher gebrauchte Begriff des „Diesseits“ erweist sich nun als unbekanntes Land, mit ihm aber auch das ‚Jenseits‘, von dem der Mensch erlöst werden will. So verstanden drückt sich im Thema etwas davon aus, „als ob der Mensch begriffe, dass all die Jenseitigkeiten, die man ihm anbietet, nicht halten, was sie versprechen: Die haben Gott nicht in sich, sie sind leer, sie sind unser eigenes Traumland […] Auf dem Throne dieses Jenseits sitzt ebenderselbe Mensch, der uns das Dasein hier so unleidlich macht“51. Nur ein echtes „Außen“52 und Jenseits, das nicht Spiegel des, wenn auch „besser, idealisierter, mächtiger und befreiter“ gedachten Menschen ist, vermöchte ihn in seine Wirklichkeit diesseits aller „Ausgedachtheiten“ zu führen. Iwand führt keine explizite erkenntniskritische Diskussion um ein anderes Verständnis von Diesseits und Jenseits, vielmehr verweist er schließlich auf eine Erfahrung, von der Dostojewski in Die Brüder Karamasow erzählt. Es ist kein Zufall, dass Iwand sich auf ein Stück Literatur bezieht, vermögen doch Poesie und Literatur auf noch andere Weise Wirklichkeit zu erschließen als begriffliche Reflexion oder empirische Forschung, denn jene verliert das Sinnliche im Allgemeinen des Begriffs, diese aber fixiert und generalisiert es. Wenn Iwand einmal zu Shakespeare äußert, dass man bei ihm „mehr Theologie lernen [kann] als aus einer modernen Dogmatik“, so gilt das auch für Dostojewski, auf den er sich immer wieder bezieht53. „Ich denke hier an jene seltsame Beichte, die uns Dostojewski in dem Bruder des Starez Sossima vorlegt, wo der Nihilist und Gottesleugner Markell Gott findet und nun – mitten in schwerer Krankheit – eben jenen Schritt hineintut in das neue Diesseits, das er scheidend erst recht begreift“54. Jetzt erst, an der Schwelle zum Tod, geht dem Protagonisten auf, dass er die „Schönheit der Welt“ und den „Ruhm Gottes um mich her“ „nicht beachtete“ und daran vorbeilebte. Die Dostojewski-Zitate schließen mit dem Bekenntnis: „Möge ich doch schuldig sein vor allen, dafür aber wird man mir vergeben, siehe, und das ist das Paradies. Bin ich denn jetzt nicht im Paradies?“55. In dieser Frage scheint für Iwand der theologische Sinn des Themas „Erlösung zum Diesseits“ mit der neuen Erfahrung des Lebens auf 56. „Vergebung ist der Schlüssel, der

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Iwand, Erlösung zum Diesseits, 14; s. Anm. 47. Ebd., 14f. Ebd., 14, vgl. 15f. Iwand, Ecce homo, 5. – Vgl. Iwand und seine Dichter. Leider ist Dostojewski durch widrige Umstände in diesem Band nicht vertreten, doch s. Sänger, Die Versuchung der Kirche. 54 Iwand, Erlösung zum Diesseits 16; Dostojewski, Die Brüder Karamasow, Buch VI, 2a. (In der Weihnachtsgabe des Kaiser-Verlags ist irrtümlich Buch IV, 2a angegeben). 55 Iwand, Erlösung zum Diesseits, 17. 56 „Ob wohl die, welche nach der Erlösung zum Diesseits verlangen, etwas davon ahnen, dass sie nach dem Paradies, nach seiner von den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde [Mt 6,26.28] angezeigten Nähe fragen?“ (Iwand, Erlösung zum Diesseits, 17f).

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dieses verlorene Paradies aufschließt“57 und „nicht der Rückgang auf die theologia naturalis [natürliche Theologie]“58. Sie führt zur Erfahrung der Grazie der Schöpfung. Die Bedingung dafür ist die Lösung des Ichs aus der Verkrümmung in sich selbst. Iwand fasst zusammen: „Damit sind wir ziemlich weit vorgestoßen, eben in die Richtung, von der aus das Thema vielleicht ein wirklich echtes theologisches und aus der Tiefe nach Gott rufendes Thema sein könnte.“59 Das Stichwort „Paradies“ aus der Erzählung führt also nicht in ein metaphysisches, mythisches oder utopisches Jenseits, sondern mitten hinein in die Fragen und Konflikte um die Wahrnehmung der Natur und der Welt durch ein Ich-Subjekt, dessen „Bewusstseinszentrum“ die Welt mit ihren Möglichkeiten bestimmt60. Von da her gesehen könnte das Iwand aufgegebene Thema „geradezu das Thema des Menschen sein […], der sich heute mit ganz anderen Mitteln den Eintritt in das Paradies erzwingen will, mit Atombomben und totalitären Experimenten, mit all den unabsehbaren Opfern“61. Für eine „Erlösung zum Diesseits“ ist es nach Iwand mit einer bloßen Negation von Metaphysik, Mythologie und Religion nicht getan, wenngleich „etwas Richtiges dahinter steckt, wenn unser Jahrhundert in sein erstes Jahrzehnt mit der leidenschaftlichen Frage eintrat, die es von Nietzsche und Schopenhauer, aber vielleicht auch von Comte und Zola gelernt hat: Wer erlöst uns von der Metaphysik? Wer führt uns heraus aus dem Hinterland der Mythen und der bloßen Spekulationen mitten hinein in die Wirklichkeit des Lebens?“62. Doch das „Diesseits, das wir Natur nennen, ist gar nicht so nahe, wie wir meinen.“63 Iwand verweist auf Augustin: „Der Mensch ist draußen, er ist jenseits alles dessen geraten, was ursprünglich für ihn als Paradies bereitet war mit dem Baum des Lebens in der Mitte.“64 Der Grund liegt für Iwand darin, dass der Mensch sich als Ich-Subjekt zur Mitte des Lebens gemacht hat. Der „Mensch müsste aus der Mitte

57 58 59 60 61

Ebd., 21. Ebd., 18. Ebd., 18. Ebd., 15. Vgl. Mt 11,12: „Aber von den Tagen Johannes des Täufers bis heute leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalttätigen reißen es an sich.“ 62 Iwand, Erlösung zum Diesseits, 19. 63 Ebd., 20. 64 Iwand zitiert Augustin, Confessiones, 10,27: „Ecce intus eras et ego foris“ (Siehe, Du warst in meinem Innern und ich war draußen).“ Vgl. Iwand, Wider den Missbrauch, 121. Eine etwas andere Interpretation des Augustin-Zitats: Iwand, Glauben und Wissen, 122. Vgl. Barths Zitierung dieser Augustin-Stelle im Zusammenhang seiner Gedanken zur „Schönheit“ Gottes (KD II/1, 734). Mit der Schönheit ist nach Barth der Modus bezeichnet, „wie er [Gott] erleuchtet, überführt, überzeugt“, ohne dass damit einem Ästhetizismus das Wort zu reden sei (736).

„Erlösung zum Diesseits“

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getan werden65, damit wir wieder umgehen lernten mit den Dingen nach ihrem Maß und Wesen, dass die lebendige Kreatur um uns her ‚Gottes Ruhm und unsere Schande‘ sozusagen unaufhörlich gen Himmel schreit.“66 Mit „Vergebung“ als „Schlüssel“ zum „Eintritt in die Welt Gottes“ nimmt Iwand einen zentralen Gedanken Luthers auf, der ihn im Kleinem Katechismus so formuliert: „denn wo Vergebung der Sünde ist, da ist auch Leben und Seligkeit.“67 So wenig das ersehnte „Diesseits“ mit Gewalt ins Werk gesetzt werden kann, so wenig wird es durch den Versuch eines Rückgangs zu einer vermeintlich ursprünglichen natürlichen Welt gefunden. „Vergebung“ löst die Menschen aus dem, was das „Dasein hier so unleidlich macht“ und entstellt, und verleiht dem Leben wieder Grazie, ohne seine Beschädigung zuzudecken. Die lösende Kraft der Vergebung aber verdankt sich einem ‚Jenseits‘, das weder metaphysisch vorgesehen noch mythologisch-religiös erschwinglich ist, sondern im Wort der Gnade kommt und über das der Mensch nicht von sich aus verfügt.

6.

Diesseits und Jenseits bei Iwand und Bonhoeffer

Mit dem Nachdenken über die Diesseitigkeit Gottes sucht Bonhoeffer tastend in theologisches Neuland vorzustoßen. Iwand hingegen begegnet Bonhoeffers Intention in der Gestalt einer weltanschaulich aufgeladenen Parole, deren Sinn und Unsinn theologisch erst bedacht werden muss. Dabei ergibt sich auch bei Iwand ein tastendes Vorwärtsgehen in ein noch unbekanntes Land, freilich auf eine andere Art und Weise als bei Bonhoeffer, wenngleich Iwand wie Bonhoeffer nach einem aus den Formen von Metaphysik und Religion befreiten Erkennen Gottes und Reden von ihm sucht, das Menschen neu anspricht. Sowohl Bonhoeffer als auch Iwand geht es um ein neues Erfahren der Wirklichkeit von Mensch und Welt, des sogenannten ‚Diesseits‘, von der Wahrheit Gottes und der mit ihr verknüpften Wahrheit des Menschen her. Weder durch die Kritik von Mythos und Religion noch durch die der Metaphysik sind die Bedingungen dafür schon hinreichend gegeben. Den Hintergrund der Gedanken sowohl Iwands als auch Bonhoeffers bildet eine theologische Auseinandersetzung mit dem neuzeitlich beherrschenden erkenntnistheoretischen Subjekt, das die Grenzen aller Erfahrung und Erkenntnis von Wirklichkeit bestimmt und das, was sich dem nicht fügt, ins Wirklichkeits-

65 Am Rand handschr.: „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss“ (s. Anm. 5), Zitat aus Nietzsche, Zarathustra (Vorrede), 14. Bei Nietzsche heißt es „soll“ statt „muss“. 66 Iwand, Erlösung zum Diesseits, 21. 67 Luther, Der kleine Katechismus, 520,29f.

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lose abdrängt. Beide wollen die Erfahrungsdimension des Glaubens in dieser Auseinandersetzung neu erschließen. Für Bonhoeffer ist Jesus Christus das Subjekt, durch das die Wirklichkeit der Welt neu zur Erfahrung kommt von der Mitte aus, in der Gott und Mensch beieinander sind. Daran gilt es teilzubekommen und teilzunehmen. In den Gefängnisbriefen unternimmt es Bonhoeffer Erfahrungen freizulegen, die ihm verdeutlichen, „wer Christus heute für uns eigentlich ist“. Es sind Erfahrungen „mitten im Leben“, die Menschen aus der Eindimensionalität herausholen und das Leben in seiner Vieldimensionalität zur Erfahrung bringen68. In diesen Zusammenhang gehören Bonhoeffers Gedanken zur „Polyphonie des Lebens“, zum „cantus firmus“ und zu den „viele[n] verschiedene[n] Dimensionen des Lebens“69, in die das Christentum stellt. Diese werden nicht durch den „cantus firmus“ eines fundamental auf sich selbst bezogenen und um sich selbst besorgten Ich erschlossen, sondern durch das Sich-Einlassen auf den tragenden und umfassenden „cantus firmus“, dass die Welt in Christus von Gott angenommen ist und das Ich sich deshalb loslassen und sich für die vielen Dimensionen der Erfahrung öffnen kann, ohne verloren zu gehen. Gott ist weder religiös erfahrungslos im Inneren noch metaphysisch jenseits der Grenzen der Erfahrung zu finden. Der, der „mitten im Leben jenseitig“ ist, hält das Leben und die Welt offen, ohne dass er festgestellt werden könnte. Der Glaubende aber, der sich dem Mensch gewordenen Gott öffnet, wird in seinem Handeln in die „messianische“ Erfahrung der Welt und des Lebens hineingenommen, die dem „Teilhaben am Leiden Gottes in Christus“ an der Welt entspringt. Da wird die Mündigkeit der Welt ernst genommen und doch nicht ideologisch überhöht. Sie wird zugleich besser verstanden, als sie sich selbst versteht. Auch Iwand fragt in Erlösung zum Diesseits nach der Bedingung der Möglichkeit für ein Erfahren und Erkennen der Wirklichkeit diesseits der „Ausgedachtheiten“, in denen sich das Ich-Subjekt der Welt und des Lebens bemächtigt. Anders jedoch als Bonhoeffer fragt Iwand in seinem Vortrag überraschend ‚remoto Christo‘ nach der scheinbar unmöglichen und doch denkbaren Möglichkeit, die Wirklichkeit so anders zu erfahren, dass „Erlösung zum Diesseits“ ein theologisches Thema sein könnte. Das Wort von Christus und seinem erneuernden Geist ist verborgen wirksam im konjunktivischen Fragen im Streit um die Erfahrungswirklichkeit. Im Modus der Möglichkeit bringt es ein rationalistisch, dogmatistisch oder auch empirisch fixiertes Verständnis der Wirklichkeit des „Diesseits“ in Bewegung und öffnet es und mit ihm die wirklichkeitsorientierte Vernunft. Dafür greift Iwand auf ein Stück Dichtung zurück, das einen gleichnishaften Hinweis darauf gibt, wie die gängige Erfahrung durch neue Wahr68 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 453f. 69 Ebd., 440–442.444f.453.

„Erlösung zum Diesseits“

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nehmungen und Erfahrungen aufgebrochen wird, indem der erfahrende Mensch aufgebrochen und geöffnet wird und erkennt, was er an dem von Gott ihm Zugewandten versäumt hat. Das ‚Diesseits‘ ist reicher und tiefer – Bonhoeffer spricht von „tiefer Diesseitigkeit des Christentums“70 – als es das selbstgewisse herrschaftliche Ich, das alle Erfahrung nach seinem Bilde prägt, zulassen will. Wenngleich auf verschiedenen Wegen geht es sowohl Bonhoeffer als auch Iwand darum, von dem in dem Menschen Jesus sich offenbarenden Gott her eine andere „Mitte“ der Erfahrung des Lebens zu denken als das sich in sich selbst befestigende erkenntnistheoretische – und auch moralische – Ich, um den Menschen für die Vieldimensionalität und den Reichtum seiner Erfahrungswirklichkeit bis hin zu seinen Verfehlungen und Leiden zu öffnen71.

70 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 541. 71 Zur „Mitte“ bei Bonhoeffer: D. Bonhoeffer, Schöpfung und Fall, DBW 3, bes. 78–82; dazu: Claß, Zugriff. – Zur „Mitte“ bei Iwand und Bonhoeffer: Thaidigsmann, Einsichten, 273–290; 182–203.

Clara Aurelia Tolkemit

„Christus, unsere Hoffnung“ (1Tim 1,1) – Überlegungen zu einer wirklichkeitstreuen Eschatologie bei Dietrich Bonhoeffer mit Ausblicken auf Hans Joachim Iwand

[F]ür den Christen kann es sich doch wohl nur darum handeln, begründete Hoffnung zu haben. Und wenn schon die Illusion im Leben der Menschen eine so große Macht hat, daß sie das Leben in Gang hält, wie groß ist dann erst die Macht, die eine absolut begründete Hoffnung für das Leben hat und wie unbesiegbar ist so ein Leben. „Christus, unsere Hoffnung“ – diese Formel des Paulus ist die Kraft des Lebens.1

Angesichts echter eschatologischer Hoffnung, der Welt vorbehaltlos die Treue zu halten und so in Wirklichkeitsgemäßheit2 wegbereitend3 zu leben, gehört zu den wesentlichen Einsichten Dietrich Bonhoeffers. Er bringt hier am Ende seines Lebens pointiert zum Ausdruck, was für sein gesamtes Denken und Handeln stets Agens war: Dass erst von Christus, dem Eschatos her unsere eigene Gegenwart heute und hier und die der Welt in ihrer Relationalität wirklich erfasst werden kann; dass erst aus der begründeten Hoffnung die maßgebliche Stärke des Lebens erwächst, indem wir Jesus Christus als den stets Auf-uns-zu-Kommenden begreifen. In ähnlich prägnanter und profilierter Form bestimmt denn auch Hans Joachim Iwand im Jahr 1955 die eschatologische Ausrichtung als die alles entscheidende Dimension des Christseins: Die eschatologische Komponente ist das Prägezeichen in unserer christlichen Existenz. […] Christlich existieren heißt in der Erwartung des kommenden Herrn existieren. Wo diese Erwartung erloschen ist, da ist nicht […] etwa ‚nur‘ die Hoffnung erstorben, sondern damit ist alles pervertiert und korrumpiert, der Glaube und die Liebe und die Hoffnung, das Ganze ist verkehrt.4

So, wie Bonhoeffer die paulinische Formel von der in Christus gegründeten und auf ihn ausgerichteten Hoffnung als das Konstituens christlicher Existenz fasst, so macht nun Iwand an der Negation dessen klar, dass damit nicht einzig eine wie 1 2 3 4

Bonhoeffer, Brief an Eberhard Bethge vom 25. 7. 1944, DBW 8, 544f. Ders., Ethik, DBW 6, bes. 256–268 u. ö. Vgl. ebd., 153–160 u. ö. Iwand, Die Gegenwart des Kommenden, 41f.

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auch immer geartete Hoffnung auf Vollendung hinfällig, sondern vielmehr schon jetzt das Leben als solches getötet wäre. Denn wo die christliche und also adventliche Hoffnung „erloschen ist“, können weder Glaube noch Liebe realisiert sein; anders gewendet ist nur dort der Glaube nicht „eitel“, wo der Modus der Hoffnung das Leben des Christen bestimmt und es dadurch – im Sinne Bonhoeffers – zum wirklichkeitsgemäßen Leben befreit. Damit ist das Grundgerüst der nachfolgenden Überlegungen umrissen, das in einem Zweischritt näher ausgeleuchtet werden soll: Beginnend mit der ganz grundsätzlichen Frage, weshalb Dietrich Bonhoeffer überhaupt als adäquater Gesprächspartner, ja sogar als wichtiger Impulsgeber für den Problemhorizont der Eschatologie anzusehen ist, soll aufgespürt werden, welche spezifischen Konturen dem Bonhoefferschen Eschatologieverständnis eigen sind und weshalb die Eschatologie im Werk Bonhoeffers als wirklichkeitstreu gelten kann. Dabei ist es freilich zunächst geboten, sich schlaglichtartig über dasjenige Verständnis von Eschatologie, das hier zugrunde gelegt ist, zu verständigen, um so eine möglichst eindeutige Begriffsbestimmung zu gewährleisten. Ausgehend von Bonhoeffers theologischen Entwürfen – von seinen beiden Frühschriften Sanctorum Communio und Akt und Sein über die Nachfolge bis zur Ethik und Widerstand und Ergebung – sollen dann an für den Untersuchungsgegenstand richtungweisenden Stellen Ausblicke auf Iwands eschatologisches Verständnis eröffnet werden. Immer dort, wo es sich um thematische Gelenkstellen handelt, gilt es Iwand mit Bonhoeffer in dialogischer Form zusammenzubringen, in dem Ansinnen, prägnante Aspekte und zentrale Topoi ihrer Eschatologie aufzuzeigen und miteinander zu vergleichen, um damit zugleich Konvergenzpunkte deutlich zu machen. Es ist hierbei vor allem zur Aufgabe gestellt, darzulegen, welche theologischen Grundeinsichten der Thematisierung der eschatologisch begriffenen Wirklichkeit bei Bonhoeffer und Iwand zugrunde liegen. Damit ist gleichermaßen ein Ausblick auf die Frage eröffnet, inwieweit die christologisch begründete eschatologische Dimensionierung ihrer theologischen Ansätze Ausweis bzw. Grund für eine bewusste, den Lebensweg beider kennzeichnenden „Treue zur Erde“ ist.

I.

Die Fragestellung

Dietrich Bonhoeffer als Gewährsmann für eschatologische Frage- und Problemstellungen heranzuziehen, ist auf den ersten Blick ein nicht unzweifelhaftes Unterfangen – oder zumindest doch kein unbedingt naheliegendes. Dass Bonhoeffers Werk zweifelsohne, so wie es Ernst Feil formulierte, das lebendige

„Christus, unsere Hoffnung“ (1Tim 1,1)

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Zeugnis einer „Theologie der Welt“5 ist, scheint diese Annahme erst einmal zu bekräftigen. Doch was genau spricht gegen diesen – zunächst recht oberflächlichen – Eindruck, von einem Theologen, der die Weltthematik so sehr in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gerückt hat, sei in den Fragen der Eschatologie nur wenig zu erwarten? Und weshalb kann, ja muss man entgegen gängigen Rezeptionsmeinungen, die Bonhoeffer zuweilen entschieden ein Interesse und Verständnis für die Eschatologie abgesprochen haben,6 zu einem anders lautenden Urteil kommen? Um sich der Beantwortung dieser ganz grundsätzlichen Fragen anzunähern, ist es notwendig, sich über den hier zugrunde gelegten Eschatologiebegriff zu verständigen, anhand dessen die Leitthese der nachstehenden Überlegungen dann ihre Konturierung erhält.

Grundkonturen des Eschatologiebegriffs bei Bonhoeffer Die Eschatologie als unbedingten Ausgangs- und Bezugspunkt aller theologischen Rede zu bestimmen, ist die schon frühe – und für sein Gesamtwerk entscheidende – Einsicht Dietrich Bonhoeffers: „Das gesamte theologische Denken ist eschatologisch, weil es [sich] stets um den kommenden, nicht um den daseienden, greifbaren Gott handelt.“7 Begreift man denn Theologie zuvörderst als Nachdenken über Gottes Geschichte mit den Menschen, als Selbstexplikation des christlichen Glaubens und Lebens, so lässt sich keine Theologie ohne diesen, auf die Zukunft Gottes gerichteten Horizont denken. Sogleich wird damit das Verständnis einer Eschatologie offenbar, die nicht als zusätzliche Mitteilung oder gar als Endpunkt der Dogmatik fungiert, sondern vielmehr zu verstehen ist als umfassende Dimension des theologischen Denkens und also auch als spezifische Perspektive auf das Ganze (und zwar in einem zeitlichen wie räumlichen Sinne) des christlichen Lebens. Denn recht verstanden firmiert die christliche Eschatologie, um mit Gerhard Sauter zu sprechen, nicht mehr als „Finale, sondern als Ferment der Theologie“8. Wollte man den Inhalt eben jenes „Ferments“ auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner bringen, so ließe sich sagen, dass hierin das Bekenntnis zu Gottes absoluter Zuwendung zu seiner Schöpfung und damit in eins die Überwindung von Leid und Tod artikuliert wird, ja versucht wird, dar5 Vgl. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 12. 6 So besonders bei Honecker, Die Kirche als Gestalt und Ereignis, 156: „In allen Schriften Bonhoeffers tritt die eschatologische Dimension auffallend zurück; der Leib Christi besteht in der Welt und ist nicht auf dem Weg zu seiner Zukunft.“ 7 Bonhoeffer, Vorlesung „Besprechung und Diskussion systematisch-theologischer Neuerscheinungen“ [1932/33], DBW 12, 155. 8 Sauter, Einführung in die Eschatologie, 3.

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über Rechenschaft zu leisten und so der Hoffnung, die uns erfüllt (1Petr 3,15), gewahr zu werden. Von dorther ist es entscheidend, weder dieser Welt ihre Güte und Würde abzusprechen noch ihre Zerbrechlichkeit und Vanitas zu missachten und damit die eschatologische Hoffnung auf deren Überwindung aufzulösen.9 Der eschatologische Diskurs wird sich daher stets jenes Spannungsverhältnis von Schöpfung und Neuschöpfung zu vergegenwärtigen haben, will er auch dieser Welt adäquat begegnen und gleichsam Weltfluchttendenzen wehren können. Legte man nämlich den Akzent ausschließlich auf ein futurisches Moment und also einzig auf Gottes Neue Schöpfung, so liefe man Gefahr, den Verdacht auf sich zu ziehen, dieser Welt untreu zu werden. Man befände sich schnell in der geistigen Nähe jener, die Nietzsches Urteil der „Verächter des Lebens“ entsprächen.10 Sicher ist Nietzsches Kritik auch mehr als hundert Jahre später nicht vollkommen ohne Berechtigung, aber die eigentliche Treue dieser Welt gegenüber findet in dem Faktum Ausdruck, dass Gottes in Jesus Christus vollbrachte Treue zur Erde die Verwandlung der Welt nicht aus-, sondern gerade eingliedert.11 Diese Eingliederung macht gleichermaßen deutlich, dass erst in der Perspektive der in Christus angefangenen Zukunft, in der uns gegebenen Verheißung von Kreuz und Auferstehung her die Weltwirklichkeit redlich erfasst werden kann. So kann eine angemessene eschatologische Rede, ein angemessenes Nachdenken über das wirklich Zukünftige (i. S. des adventlichen Zukommens Gottes auf die Welt), über das „Letzte“ also nicht anders geschehen als auch in einem Ernstnehmen der Dignität der Geschöpflichkeit, in einem Ernstnehmen des „Vorletzten“; andererseits darf die Güte von Gottes Schöpfung, die Treue zum „Vorletzten“, ja unser gegenwärtiges Sein nicht absolut gesetzt werden, sodass jede eschatologische Hoffnung auf Voll-endung hinfällig wäre.

Wirklichkeitstreue Eschatologie – Eschatologische Wirklichkeitstreue Von dieser notwendig doppelten Perspektivierung aus gilt es, eine wirklichkeitstreue Eschatologie12 anzustreben. Mit der Akzentsetzung auf der Wirklichkeitstreue soll vor allem zwei konstitutiven hermeneutischen Überlegungen Aus9 Siehe dazu bes. Thomas, Neue Schöpfung, 2f, der diesem Eschatologieverständnis in seiner großangelegten Untersuchung Rechnung getragen hat. 10 Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 15. 11 Vgl. Thomas, Neue Schöpfung, 2. 12 Diese Formulierung ist angelehnt an eine Begriffsbildung Michael Welkers, jedoch nicht synonym mit ihr. Welker sprach insbesondere im Zusammenhang mit Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ von einer realistischen Eschatologie, erkannte aber auch der späten Theologie Bonhoeffers, wie sie in den Gefängnisbriefen ausgedrückt ist, einen „eschatolo-

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druck verliehen werden: Zum einen der wesentlichen Erkenntnis, dass das Eschatologische keiner abstrakten Jenseitslehre gleichkommt, die losgelöst von zentralen dogmatischen Themen am Rande besprochen wird, sondern dass es vielmehr und genuin die Qualität ist, die die Wirklichkeit christlicher Existenz auszeichnet. Zum anderen soll eine so bestimmte Eschatologie dem theologisch gefassten „Wesen“ der Wirklichkeit, ausgehend von der Übersetzung des griechischen Wortes ενέργεια, nachspüren. Wenn wir unsere geschöpfliche Wirklichkeit als eine von Gottes – energisch! – verwandelnder Wirklichkeit umspannte begreifen, leben wir schon jetzt in und aus der Fülle Gottes, die in Jesus Christus realisiert, durch das Wirken des Heiligen Geistes in der Verkündigung aktuales Geschehen ist und somit gleichsam die Schöpfung von innen heraus aufsprengt. Im Horizont des Versöhnungshandelns Gottes in Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung Jesu Christi wird die Weltwirklichkeit angemessen wahrgenommen, stets ausgerichtet auf das künftige Kommen Gottes, das uns verheißen ist. Im Hinblick auf den für Bonhoeffers Eschatologie zentralen Parameter der „Treue zur Erde“13 lässt sich also mit Günter Thomas sagen, dass „die Treue zur Erde eine menschliche Treue ist“, die „von Gottes verwandelnder Treue umgriffen ist“ und insofern die „Entfaltung der in Christus geschehenen Versöhnung der Welt“14 bedeutet. Diese grundlegende Glaubenseinsicht, die zugleich als Erfahrung der Kraft göttlicher Wirklichkeit in den Blick kommt, kann denn auch als Movens der menschlichen Rede von Gottes neuschöpferischem Handeln fruchtbar gemacht werden. Führt man sich nun die hier skizzierten Konturen eines differenzierten Eschatologieverständnisses, die stets in der Dialektik15 von Sichtbarkeit und gischen Realismus“ zu (vgl. Welker, Theologische Profile, 106–111). Jüngst adaptierte Günter Thomas diese Begrifflichkeit und wandte sie ebenfalls auf Bonhoeffers eschatologisches Verständnis an (vgl. Thomas, Neue Schöpfung, 344–382). Der hier nun aber bewusst gewählte Terminus der wirklichkeitstreuen Eschatologie will – nach meinem Dafürhalten stärker konnotiert als bei Welker und Thomas – das Bonhoeffersche Wirklichkeitsverständnis ins Zentrum der Betrachtung setzen und dieses nicht erst, so wie es vor allem bei Welker anklingt, in seiner späten Theologie als ein genuin eschatologisch begriffenes herausstellen. 13 Vgl. dazu bes. Bonhoeffers Aufsatz „Dein Reich komme! Das Gebet der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden“, DBW 12, 264–278. Bereits hier ist die Grundrichtung ausgedrückt, die Bonhoeffers Welt- und Wirklichkeitsverständnis bis in die Haftzeit hinein eigen ist: Wenngleich auf der sündigen Welt Gottes Fluch lastet, so ist doch aber in diese „verfluchte Erde […] Christus eingegangen“ und dieses „‚Aber‘ stiftet das Reich des Christus als das Reich Gottes […], das von oben in den verfluchten Acker hineingesenkt ist“ (ebd., 268). Wider das Gebaren des „Hinterweltlertums“ und „Säkularismus“ ist das Reich Gottes also nur in der Erdentreue, die die Endlichkeit und Begrenztheit dieser Welt anerkennt und sich gerade darin als treu erweist, zu „haben“ (vgl. ebd., 264ff). 14 Thomas, Neue Schöpfung, 3. 15 Wenn fortan von Dialektik resp. einem dialektischen Verhältnis die Rede ist, so ist dies stets als dynamisches Verhältnis zu verstehen und nicht im Sinne einer statischen Entgegensetzung.

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Verborgenheit zu schauen sind, vor Augen, so gelangt man unmittelbar zu folgender Essenz: Bei Dietrich Bonhoeffer lassen sich auch oder gerade im Kontext einer echten Diesseitigkeit und der unbedingten „Treue zur Erde“ Grundlegungen und Perspektiven einer wirklichkeitstreuen Eschatologie ausmachen, die dem notwendigen Spannungsgefüge von schon wirklich werdender, aber noch verhüllter Gegenwart des Reiches Gottes im Hier und Jetzt Rechnung trägt und damit die einzelnen Facetten des dynamischen Verhältnisses von Schöpfung und Neuer Schöpfung ergiebig entfaltet.16 Diese Kernthese korrespondiert mit der Annahme, dass trotz aller biographischen Wendungen und theologischen Akzentverlagerungen eine relative Einheitlichkeit von Bonhoeffers Werk zu behaupten ist,17 innerhalb dessen sich die eschatologische Wirklichkeitstreue und damit zugleich – oder besser gesagt: aus dieser hervorgehend! – das Ja zur Erde als ein konsistentes Motiv seiner Theologie ausweisen lässt. Anders gewendet und in Anlehnung an Tiemo Rainer Peters gesprochen, ist in Bonhoeffers impliziter Eschatologie das eigentliche Agens für sein Denken zu suchen.18 Von ihren Anfängen bis zum Ende liegt jener treibenden Kraft Bonhoeffers Theologie ein Wirklichkeitsverständnis zugrunde, das durch die christologische Dimensionierung von Inkarnation, Kreuz und Auferstehung konstituiert ist.19 Von hier aus, also von einer konsequenten Christologie her (wie auch auf sie zukommend), sucht er die Fragestellungen des Konnexes von Schöpfung resp. Geschöpf, Kirche, Welt und Reich Gottes zu bearbeiten.

16 Diese Einschätzung deckt sich weitgehend mit Thomas, Neue Schöpfung, 345f. 17 Das eschatologische Element ist, wenngleich aufgrund der jeweiligen Kontextualität unterschiedlich akzentuiert, innerhalb Bonhoeffers theologischer Bemühungen konstant und deutlich auszumachen. Die unterschiedliche Akzentuierung einer wirklichkeitstreuen Eschatologie in den jeweiligen Schaffensphasen ist zentraler Gegenstand meiner im Entstehen begriffenen Dissertation mit dem Arbeitstitel „‚Treue zur Erde‘ als Ausdruck christlicher Hoffnung. Eine Untersuchung zur Eschatologie bei Dietrich Bonhoeffer“. 18 Vgl. Peters, Gebot und Verheißung, 204. 19 Vgl. z. B. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 148f.

„Christus, unsere Hoffnung“ (1Tim 1,1)

II.

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„Im Glauben ist Zukunft Gegenwart.“20 Einblicke in Bonhoeffers Eschatologie und dialogische Ausblicke auf Iwand

Vorbemerkungen Der lebensgeschichtlich-theologische Kontext unterscheidet sich bei Bonhoeffer und Iwand in vielem. So ist die theologische Entwicklung Bonhoeffers eine anders akzentuierte21 und auch bei der „rein“ biografischen Linie von Bonhoeffer und Iwand lassen sich – mit Ausnahme der Zeit der Predigerseminare und späteren Sammelvikariate zwischen 1935 und 1940 – kaum parallele Verläufe ausmachen. Dennoch erscheint die Betrachtung und der Vergleich beider theologischer Entwürfe als höchst lohnend, da Bonhoeffers und Iwands Grundannahmen und Fragestellungen in vielerlei Hinsicht übereinstimmen – wenn auch mit einer der Lebenszeit und -umstände entsprechenden Zeitversetzung. Gemäß dem Titel dieses Tagungsbandes sind Bonhoeffer und Iwand gleichermaßen als kritische Theologen zu bezeichnen, die im Dienst ihrer Zeit22 standen. Beiden Werken ist freilich nur dann adäquat zu begegnen, wenn man sie je im Kontext der lebensgeschichtlichen Entstehungssituation begreift: „[E]ine Erkenntnis [kann] nicht getrennt werden […] von der Existenz, in der sie gewonnen ist.“23 Diese grundlegende Überzeugung, die Bonhoeffer in der Nachfolge formuliert, fungiert gleichermaßen als Richtschnur für das Verstehen des Konnexes seiner eigenen Biographie und Theologie. Gleiches kann uneingeschränkt für Iwand gelten.24 Obwohl der biografische Aspekt hier nicht im Vordergrund stehen wird, so möchte ich doch im Folgenden auf der Folie genau jener Verknüpfung von „Erkenntnis und Existenz“ über Kernthemen der Eschatologie bei Bonhoeffer nach-denken und von dort aus in Schlaglichtern auf Iwand blicken. Besondere Beachtung findet dabei das Frühwerk Bonhoeffers, um zu verdeutlichen, dass nicht erst beim späten Bonhoeffer eine wirklichkeitstreue Eschato20 Ders., Akt und Sein, DBW 2, 158. 21 Vgl. den Beitrag von Christian Neddens in diesem Band. 22 Vgl. dazu Bonhoeffers Predigt aus seiner Vikariatszeit in Barcelona zu Röm 12,11c, DBW 10, 512–516, in der er diesen Dienst trinitarisch profiliert und als Antwort auf die Frage nach der Ewigkeit, die für Bonhoeffer schon hier als Frage nach der grundsätzlichen Gestalt christlicher Existenz in den Blick kommt, bestimmt: „So verbirgt sich in jedem Augenblick dies Dreifache: daß ich Gott als den Herrn meines Lebens anerkenne, daß ich mich vor Christus als dem Wendepunkt meines Lebens vom Gericht zur Gnade beuge, daß [ich] dem Heiligen Geist mitten im Weltengeist versuche Raum und Kraft zu schaffen. […] Erst wenn wir der Gegenwart die Erfüllung ihres zuteil werden lassen, leben wir Christenleben, dienen wir der Zeit“ (ebd., 514, Hervorhebung von C.T.). 23 Ders., Nachfolge, DBW 4, 38. 24 Vgl. den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 12.

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logie auszumachen, sondern diese vielmehr von Beginn seiner theologischen Bemühungen grundgelegt ist. Dem Frühwerk kommt insofern eine Weichenstellung für Bonhoeffers Eschatologie insgesamt, d. h. bis in die späte Schaffenszeit hinein, zu.

„Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen“ (2Kor 5,7) – Christus, Kirche und Reich Gottes Bonhoeffers erste Schaffensphase ist gekennzeichnet durch die Frage nach der Sozialgestalt der Kirche. Mit der das Frühwerk konstituierenden Grundeinsicht, dass in Jesus Christus die neue Menschheit schon real geschaffen ist, und der damit verknüpften Auffassung, dass die Ekklesiologie in der Christologie verankert sein muss, da nur so die konstitutive Bedeutung der Offenbarung Gottes in Jesus Christus für alle Menschen ihre Auslegung findet,25 sucht Bonhoeffer „einen theologisch verbindlichen und zureichenden Zugang zur Wirklichkeit“26. Einzig von innen heraus und also in der Annahme des konkreten Anspruchs, so Bonhoeffers Dafürhalten, ist das Wesen der Kirche zu schauen.27 Gleichzeitig wird aber bereits in den beiden akademischen Frühschriften deutlich, dass jenes „intrinsische“ Schauen auf die Kirche stets unter einer grundsätzlich eschatologischen Perspektive steht. Insbesondere die Schlusskapitel von Sanctorum Communio und Akt und Sein sind davon geleitet, die eschatologische Wirklichkeit des Offenbarungsgeschehens, der Kirche und der Glaubenspraxis als unbedingten Fluchtpunkt der beider Schriften zugrundeliegenden Theologie pointiert aufzuzeigen. In Sanctorum Communio liegt denn das Augenmerk zunächst darauf, einer vorschnellen Identifizierung von Kirche und Reich Gottes entgegenzutreten. Wider das Verständnis einer ecclesia triumphans macht er deutlich, dass auch für die communio sanctorum in ihrer geschichtlichen Erstreckung das simul iustus et peccator gelten muss und also auch die Kirche als empirische Gemeinschaft unter dem eschatologischen Vorbehalt zu schauen ist:28 Kirche ist nicht gleich Reich Gottes. So wenig wie der iustus-peccator aktuell vollendet ist, obschon er es real ist. Reich Gottes ist ein rein eschatologischer Begriff, der von Gott aus gesehen jeden Augenblick in der Kirche da ist, für uns aber Gegenstand der Hoffnung bleibt, während die Kirche ein Gegenstand der aktuellen Gegenwart des Glaubens ist.29 25 26 27 28 29

Vgl. von Soosten, Die Sozialität der Kirche, 64. Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 141. Vgl. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 18. Vgl. Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 188. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 97f, Hervorhebung von C.T.

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Die Kirche ist nach Bonhoeffer also begriffen in dem Spannungsgefüge von dem in Christus schon realiter Gegebenen, das sich durch das geistgetriebene Wort in der Gemeinde Christi stets entfaltet und aktualisiert, und dem eschatologisch zu verstehenden Reich Gottes. Die dynamische Relationalität beider zeigt sich indes darin, dass die Kirche zwar innergeschichtlich nie zum Reich Gottes werden kann – also hier eine echte Unterscheidung notwendig ist –, sie jedoch zugleich als Reich Christi auf Erden wirklich ausgerichtet ist auf das Reich Gottes und so auch die unbedingte Zuordnung beider Größen gegeben ist.30 Für das Verständnis der Kirche wie auch des Glaubenden ist es denn wesentlich, festzuhalten, dass die „Realität der Sünde […] geblieben [ist] […], Adam […] nur in eschatologischem Hinblick durch Christus wirklich abgelöst“ ist und dies also – wie Bonhoeffer hier unter Bezugnahme auf Luther konstatiert – einzig auf Hoffnung.31 In der Gemeinschaft der Heiligen ist das Eschaton schon angebrochen oder um es am eindeutigsten zu sagen: ist der Eschatos schon gegenwärtig, im Wirken des Heiligen Geistes als „Christus als Gemeinde existierend“32 und prägt so ihre Gestalt, ihr Tun und ihre Bestimmung. Jedoch sind es eben stets „nur die Anfänge des neuen Lebens, eine eschatologische Prolepse, wo sich das Du dem Ich offenbart als Ich, als Herz, als Liebe, als Christus“33. Die in und durch Christus gegebene relationale Wirklichkeit der Kirche und des Einzelnen in ihr ist für Bonhoeffer zuvörderst begriffen als dialektische, genuin eschatologische Perspektivierung, und zwar einerseits als Bereits-Jetzt der realen Präsenz Christi und der inchoativen Präsenz des Reiches Gottes, wie andererseits als Noch-Nicht der Vollendung der Neuschöpfung resp. der neuen Menschheit. Zaghaft, aber doch klar vernehmbar, zeigen sich denn schon an diesem frühen Punkt von Bonhoeffers theologischem Denken die Grundkonturen einer wirklichkeitstreuen Eschatologie – wenngleich hier noch einzig als Gemeindeeschatologie gedacht –34, deren Grundimpuls darin besteht, sich sowohl der angefangenen Heilsgegenwart gewiss zu sein als auch ihrer unbedingten Vollendungsbedürftigkeit. Der hermeneutische Schlüssel für jenes christologisch fundierte Kirchenverständnis innerhalb von Bonhoeffers erstem (eigenständigen) dogmatischen 30 Vgl. ebd., 98; vgl. auch Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 189. 31 Vgl. ebd., 77f (Zitat ebd.); vgl. auch Bonhoeffers Seminararbeit „Kirche und Eschatologie“, DBW 9, 336–354, die er 1926 im Umfeld seiner Promotion anfertigte und die als erster Versuch gelten kann, den Zusammenhang zwischen (empirischer) Kirche und Reich Gottes darzustellen. Für Bonhoeffer ist die reformatorische Lehre hier wie dort zentraler Ausgangspunkt seiner Überlegungen, sah sie doch Eschatologie und Rechtfertigungslehre in unauflöslichem Bezug zueinander: „Der Gerechtfertigte ist iustus nondum in re sed in spe“ (ebd., 337). 32 Vgl. ders., Sanctorum Communio DBW 1, 76, 126ff, 198 u. ö. 33 Ebd., 144. 34 Vgl. ebd., 193.

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Entwurf ist in dem paulinischen Grundsatz „Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen“ (2Kor 5,7) gegeben.35 Bei jenem Pauluswort muss es bleiben, „solange es Geschichte gibt“36, heißt es im Schlusskapitel von Sanctorum Communio. Erneut wird evident, dass es aufgrund der für das Kirchenverständnis Bonhoeffers substanziellen eschatologischen Dimension unmöglich ist, das Reich Gottes vollständig zu identifizieren mit der real vorfindlichen Kirchengemeinschaft, noch von einem habbaren „daseienden“ Christus zu sprechen, der gewissermaßen mit der Kirche verschmilzt; stets ist es der kommende Christus wie zugleich das Reich Gottes stets Gegenstand unserer Hoffnung bleibt und so die eschatologische Wirklichkeit als im Werden befindlich zu begreifen ist. Erst im Gnadengericht, erst im Schauen der Ewigkeit Gottes wird „diese in der Geschichte immer nur in den Anfängen verwirklichte und immer wieder zerbrechende Gemeinschaft […] wirklich und ewig“37. Dort erst kommt es zur Vollendung der geistgewirkten Aktualisierung des Christusereignisses und also zur Transformation des Glaubens in ein echtes Schauen. Fasst man das Gesagte zusammen und blickt von dort aus auf Iwand, so lässt sich Folgendes konstatieren: Bonhoeffers Verhältnisbestimmung von Christus, Kirche und Reich Gottes ist geleitet von einer genuin eschatologischen Ausrichtung.Aufbau wie Inhalt seiner Dissertationsschrift zeugen von einer wirklichkeitstreuen Wesensbestimmung der Kirche und der Menschen in ihr, die sich zuvörderst in der Wahrung und Geltendmachung der Kategorie des simul zeigt.38 In der denkerischen Ausleuchtung des für Bonhoeffers christologische Ekklesiologie hier entscheidenden Begriffspaares der „Realisierung und Aktualisierung“, mit dem er die paradoxe Gleichzeitigkeit des schon Erfüllten und des noch Ausstehenden beschreibt, erschließt sich die eschatologische Dialektik von iustus und peccator, Reich Gottes und peccatorum communio: Von Gott in Christus her – und dies ist die alles entscheidende Perspektive! – wird das Futurum durch das Perfektum in einem raum-zeitlichen Sinn erschlossen. Insofern ist der „Stand der Sünde“ von Christus her durch den „Stand der Gnade“ schon überwunden, die Vollendung dessen und damit das Aufheben der eschatologischen Spannung von Sünde und Rechtfertigung hingegen steht noch aus, beide „Pole“ aber sind in der Wirklichkeit der Kirche Gegenwart39 – als das simul, das ein Werden im Glauben der communio sanctorum ist. Richtet man seinen Blick von der bei Bonhoeffer konstitutiven Bedeutung der Kategorie des simul für die Wirklichkeit von Kirche und Christ auf Iwands Verständnis von jenem dynamischen Zugleich, so finden sich sinnfällige Paral35 36 37 38 39

Vgl. ebd.; vgl. Thomas, Neue Schöpfung, 347. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 193. Ebd., 197. Vgl. dazu Prüller-Jagenteufel, Befreit durch Verantwortung, bes. 222–226. Vgl. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 97f, 193.

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lelen. Iwand spricht beispielsweise in seiner Meditation über 2Kor 5,19–21 von einem „Werden“ – und man könnte hier hinzufügen, dass dies stets ein NeuWerden meint –, das allerdings nicht als dem Menschen inhärente psychologische oder evolutionäre Entwicklungsmöglichkeit zu deuten ist, da es vielmehr und einzig verstanden werden muss als „neue Geburt“ in Christus:40 „Wir werden, was wir extra nos sind, die Gerechtigkeit in ihm.“41 Wir sind nach Iwand durch Kreuzestod und Auferstehung Christi schon jetzt „in ein neues Sein versetzt“42 und dadurch schon „geborgen in Zeit und Ewigkeit“43. Im Sinne Bonhoeffers also ist dieser „Zustand“ realisiert, er umspannt schon kraftvoll unsere Wirklichkeit. Gleichwohl muss auch hier der eschatologische Vorbehalt, der im Werden ausgedrückt ist, gelten, und zwar, wie Iwand in seiner Vorlesung zu Gesetz und Evangelium sagt, „bis die Brücke des ‚simul‘ abgebrochen wird“44. Erst, „wenn wir auf Christus schauen“45, wird das Ganze, was jetzt schon „angeldhaft“ vorhanden ist, offenbar werden. Bis dahin aber bleibt es allein bei der Verheißung, dass „die Brücke des ‚simul‘ […] vom Dasein der Sünde zum Dasein der Gerechtigkeit“46 abgebrochen wird. Bonhoeffer mahnt, dass die Kirche „keine vorzeitigen Versuche machen [darf], diese Hoffnung zur Gegenwart zu machen“47, ja sie vermag, so nun Iwand, nicht das „einem Menschen [zu] schenken, was ihm erst die Auferstehung der Toten schenken wird“48.

Kindsein: Die eschatologische Bestimmung des Christseins In seiner Habilitationsschrift Akt und Sein bespricht Bonhoeffer jene eschatologische Ausrichtung und Bestimmung der Kirche nun unter anthropologischen Gesichtspunkten, d. h. jetzt in Hinblick auf die konkrete Glaubenspraxis und zwar vermittels der Gestalt des Kindes. Im Schlusskapitel, das er überschreibt mit „Bestimmtheit des Seins in Christus durch die Zukunft [.] Das Kind“49, fasst Bonhoeffer die wesentliche Form des Glaubens als ein nicht-reflexives Gerichtetsein auf Christus als unsere schlechthinnige Zukunft: „[E]chte Zukunft gibt es erst durch Christus, und die durch ihn neu geschaffene Wirklichkeit des Nächsten 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Vgl. Iwand, Meditation über 2Kor 5,19–21 (1957), GPM, 555 (Zitat ebd.). Ebd. Ebd. Ebd. Ders., Gesetz und Evangelium, NW 4, 222. Ebd. Ebd. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 199. Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 222. Vgl. Bonhoeffer, Akt und Sein, DBW 2, 157–161.

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und der Schöpfung.“50 Schon dieser einleitende Satz Bonhoeffers abschließender Ausführungen macht in prägnanter Weise den Fluchtpunkt seiner zweiten akademischen Arbeit deutlich: die relationale Wirklichkeit in und durch Christus in ihrer eschatologischen Dynamik. Die Explikation der Zukunft als „Bestimmtheit des Seins durch von außen ‚Künftiges‘“51 erschöpft sich hier nicht in einer zeitlichen, schon gar nicht chronologischen Dimension, sondern drückt vielmehr die für die Gegenwart wesentliche Bedeutung der Ausrichtung auf Christus – als den je und je Kommenden – aus.52„Christus als der schlechthin Zukünftige will Glauben als Gerichtetsein auf ihn ohne Reflexion.“53 Nach Bonhoeffer stellt sich jene Glaubensgestalt, die der Reflexion entzogen und nicht durch menschliches Vermögen zu erzeugen ist, als actus directus bzw. fides directa dar. Diese Form des Glaubens wird durch die Zukunft selbst geschaffen; durch sie wird der Mensch zum Christ, indem er sich in vollem Umfang durch das Auf-ihnZukommende bestimmen lässt. Jenes „Sich-bestimmen-lassen durch die Zukunft“54, das die unmittelbare Ausrichtung des Christen auf seine eschatische Wirklichkeit offenbart, erkennt Bonhoeffer nun dem glaubenden Kind55 zu. Das Kind verkörpert die reine Intentionalität auf die Zukunft ohne Reflexion auf das eigene Ich – es ist dazu noch nicht willens –, sodass in besonderem Maße im Kindsein die eschatologische Bestimmung des Menschen sichtbar wird. Das Kind sieht sich in der Gewalt des Zustoßens des ‚Zukünftigen‘ […], darum kann es in der Gegenwart leben; denn der reife Mann, der sich durch die Gegenwart bestimmen lassen will, verfällt der Vergangenheit, sich selbst, dem Tod und der Schuld.56

Im Lichte dieser Gedanken tritt die eschatologische Wirklichkeit christlicher Existenz klar hervor: Zwar ist der Mensch berufen zu einem reinen, d. h. ganz und gar reflexionslosen Dasein, seine gegenwärtige Existenz und also sein Dasein als erwachsener Mensch bleibt aber stets der Reflexion verhaftet. Das Freisein von Reflexion ist „schon hier im Glauben Ereignis werdende, dort im Schauen vollendete neue Schöpfung“57. Den Anfang und gleichsam rechten Stützpunkt jener eschatologischen Lebensausrichtung markiert die Kindertaufe, sie ist, so Bonhoeffer, „der eschatologische Auftakt, unter den das Leben gestellt wird“.58 Sie ist 50 Ebd., 157, Hervorhebung von C.T. 51 Ebd. 52 Vgl. ebd., 81: „Nur was von ‚außen‘ kommt, kann den Menschen in seine Wirklichkeit, in seine Existenz, weisen.“ 53 Ebd., 157, Hervorhebung von C.T. 54 Ebd. 55 Vgl. dazu insg. Tietz, Das Kind als Paradigma des Christseins, bes. 194–198. 56 Bonhoeffer, Akt und Sein, DBW 2, 159, Hervorhebung von C.T. 57 Ebd., 161. 58 Ebd., 159.

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sodann der Ausweis für das unwiderrufliche Schon-gerufen-Sein des Menschen, ja die grundsätzlich „nur eschatologisch zu verstehende Berufung des Menschen zum Kind“59, die in diesem Geschehen ihre Veranschaulichung findet. Der Glaube in seiner geschichtlichen Erstreckung und damit zugleich die Kontinuität des christlichen Lebens in den Zeitformen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft finden in der Taufe ihren wohl nachhaltigsten Ausdruck: Als einmaliges, unwiederholbares und zugleich eschatologisch gültiges Ereignis des Eingehens in den Leib Christi.60 Durch die Taufe hineingestellt in die Gemeinde Christi erhält das Leben des Glaubenden seine Begründung, Bestimmung und Richtung allein von der Zukunft her; das nunmehr vollkommene „Gerichtetsein auf Christus“ beruhigt das durch die Sünde gequälte Sein des Menschen:61 „Das gequälte Wissen um die Zerrissenheit des Ich findet im Blick auf Christus das ‚fröhliche Gewissen‘ […]. […] Der in Fremde und Elend zum Mann Gewordene wird in der Heimat zum Kind.“62 Bonhoeffer betrachtet die Fremde des erwachsenen Menschen als altes Sein in Adam; im neuen Sein in Christus verlässt der erwachsene Mensch diese Fremde, wird zum Kind und richtet seinen Blick allein auf Christus aus: Dies ist die schon hier im Glauben werdende, dort im Schauen vollendete neue Schöpfung des neuen Menschen der Zukunft, der nicht mehr zurück auf sich selbst, nur noch von sich weg auf die Offenbarung Gottes, auf Christus sieht, […] der wird, was er war oder doch nie war, ein Geschöpf Gottes, ein Kind.63

In diesem Schluss- wie Kulminationspunkt von Akt und Sein bringt Bonhoeffer das eschatologisch-anthropologische Spannungsmoment von Schon- und Nochnicht-Sein des Glaubenden in das paradoxe Bild der „Einkehr in die nie gewesene Heimat“64, wie es Hans-Richard Reuter im Nachwort formuliert. Heimat als Zukunft in Christus begriffen als das Von-Gott-her-Zukommen heißt dann Werden zum Kind Gottes. Im neuen Sein in Christus sind denn alle Menschen dazu berufen, die Haltung des einfältigen Sich-bestimmen-Lassens durch Christus an- resp. einzunehmen. Das Kindsein als spezifisches Stadium des Menschseins bringt dies nur am klarsten zum Vorschein65 – die Gestalt des Kindes wird so zum Paradigma des Glaubenden überhaupt.66 Auch in Akt und Sein trägt denn Bonhoeffer durchgehend der eschatologischen Dynamik des Spannungsverhältnisses von schon wirklich werdender und 59 60 61 62 63 64 65 66

Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 161 (Zitat ebd.). Ebd., 161, Hervorhebung von C.T. Ebd. Ebd., 179 (Nachwort der Hg.). Vgl. Mt 18,2; vgl. Spengler, Kindsein als Menschsein, 35. Vgl. Tietz, Das Kind als Paradigma des Christseins, 188.

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noch verborgener neuer Schöpfung Rechnung. Das in seinem gesamten Werk starke präsentische Moment einer wirklichkeitstreuen Eschatologie ist hier durch den unauflöslichen Konnex von fides directa (als forma fidei essentialis) 67 und Kindertaufe charakterisiert. Durch das naive Ausgerichtetsein auf die Zukunft, durch das der Mensch sein selbstreflexives Ich als anklagendes Gewissen vergisst, ist er hineingenommen in die eschatologische Einheit der relationalen Wirklichkeit in und durch Christus. Nicht also eine ferne Zukunft, von der die Gegenwart unberührt bleibt, sondern Zukunft als konstitutives theologisches Beziehungsmoment, das für die Grunddynamik des Glaubens wesentlich ist, kommt hierin zum Tragen. Denn im Glauben in der eschatologischen Gestalt der fides directa ist die Christuswirklichkeit schon jetzt gegenwärtig. Die Aktualisierung des Christusgeschehens ist als kontingentes wirkliches68 Ereignis; Christus als der Zukünftige ist in der Verkündigung der Gegenwärtige als „Christus als Gemeinde existierend“.69 Die geistgewirkte Gegenwart Christi in Wort und Sakrament umfasst so das Leben des Menschen, beschützt und versiegelt es für die Voll-Endung im Eschaton. Der im Hier und Jetzt noch verbleibende Rest des „in sich verkrümmten Herzens“ wird dann wirklich aufgehoben sein in die vollkommene Einfalt des selbstvergessenen Seins70 – kurz: des direkten Schauens des Menschen auf Gott, des Kindes auf den Vater. Auch und gerade die in Akt und Sein vorliegenden zentralen Motive einer wirklichkeitstreuen Eschatologie bei Bonhoeffer bieten ein stabiles Plateau für den Ausblick auf Iwand. Die Bestimmung der wahren Zukunft in Christus und ihre damit grundlegende Bedeutung für die an Christus Glaubenden und auf seinen Frieden Hoffenden, lässt sich – mit starken sprachlichen Überschneidungen, trotz der verschiedenen literarischen Genera – so auch bei Iwand als ein Grundmoment seines eschatologisch gefassten Wirklichkeitsverständnisses71 ausmachen: 67 Bonhoeffer, Akt und Sein, DBW 2, 158, Anm. 29. 68 Zur spezifischen Bedeutung des Kontingenz-Begriffs bei Bonhoeffer vgl. Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 87: „Kontingenz ist demnach in der eigentlichen Bedeutung von contingere genommen als ‚eintreffen, widerfahren, sich ereignen‘; daher kann Kontingenz von Bonhoeffer synonym mit Wirklichkeit, d. h. eigentlich zur Präzisierung des Wirklichkeitsbegriffs verwendet werden, um damit ein in keiner Weise notwendiges, aktuelles (wirkliches) Ereignis oder Geschehen auszusagen.“ 69 Bonhoeffer betont an dieser Stelle – die Gedanken aus Sanctorum Communio aufnehmend – jedoch noch einmal, dass „[d]ie Spannung zwischen ‚Christus als Gemeinde existierend‘ und dem himmlischen Christus, auf den wir warten, bestehen [bleibt]“ (DBW 2, 108, Anm. 39; vgl. DBW 1, 86). 70 Vgl. Müller, Bonhoeffers Theologie der Sakramente, 187. 71 Vgl. Heinrich, Verheißung des Kreuzes, 229: Wirklichkeit ist auch für Iwand die von unserem Wissen und Wollen „autonome“ Wirklichkeit Gottes, die dasjenige wirklich werden lässt, „das ganz und gar nicht aus dem Vorhandenen, aus dem Gewesenen ableitbar ist“ (NW 3, 294), wenngleich sie schon mitten in unserer Weltwirklichkeit ist.

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Weil mit Christus die Gottesherrschaft da ist, aber eben als der ‚neue Aeon‘, als die ‚zukünftige Welt‘, darum greifen Gegenwart und Zukunft ineinander, und zwar so, daß die Zukunft die Gegenwart bestimmt. Dieses Mächtig-Werden der Zukunft über und in unserer Gegenwart heißt Hoffnung.72

Korrespondierend mit Bonhoeffers Verständnis von der eschatologischen Wirklichkeit christlicher Existenz als stets relationale, betont auch Iwand diesen Aspekt der Relationalität in ihrer eschatologischen Verfasstheit: Das Alte ist vergangen, hier ist eine neue Schöpfung. Sie bezieht sich nicht nur auf Christus, sondern sie bezieht sich auf jeden, der en Christo ist. Dieses Neue kann nur bestimmt werden aus der Heilszeit, nicht aus der Kalenderzeit. […] Das Neue, was Gott setzt, bleibt Zukunft bis an das Ende der Zeit.73

Für Iwand und Bonhoeffer ist es also – im intellektuellen wie auch im praktischen Lebensvollzug – essentiell, dem Begriff der Zukunft eine genuin theologische resp. christologische Bedeutung zuzuschreiben. Diese Begriffsbedeutung kulminiert für beide gleichermaßen in der Ausgestaltung der Rede vom kommenden Christus. An zwei Kernaussagen aus Akt und Sein – die m. E. den Kern von Bonhoeffers Gottes- und Wirklichkeitsverständnis überhaupt zum Ausdruck bringen – wird die große denkerische Nähe zwischen Bonhoeffer und Iwand noch einmal sehr deutlich: In der Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theologie heißt es dort: „Gott bleibt immer der Herr, immer Subjekt, so daß, wer ihn als Gegenstand zu haben meint, nicht mehr ihn hat; er ist immer der ‚kommende‘, nie der ‚daseiende‘ Gott (Barth).“74 Insofern kann einzig von dieser Grundbestimmung aus, die von der Dynamik des Von-Gott-her-Kommens geleitet ist, die Beschreibung der Wirklichkeit erfolgen: „Von Gott zur Wirklichkeit, nicht von der Wirklichkeit zu Gott geht der Weg theologischen Denkens.“75 Spannt man von hier aus den Bogen zurück zum Schlusskapitel von Akt und Sein, so entdeckt man dort die konkret-anthropologische Erläuterung dieses Spitzensatzes in Bezug auf das Christsein resp. das neue Sein des Menschen „in Christus“: Wider alle Prätention des Menschen ist es Gottes Wille, dass der Mensch vor ihm restlos anspruchslos sei, nichts weiter sei als – oder gerade soviel wie! – ein Kind; Wort und Sakrament haben einzig dort ihre Voraussetzung und Wirksamkeit,76 wo der Mensch zum Kind und damit zum rein Hörenden und Empfangenden77 wird, und also in aller Selbstvergessenheit auf Christus als den 72 73 74 75 76 77

Iwand, Meditation über Röm 5,1–11 (1942), GPM II, 107, Hervorhebung von C.T. Ders., Gesetz und Evangelium, NW 4, 16. Bonhoeffer, Akt und Sein, DBW 2, 79, vgl. DBW 12, 155. Ders., Akt und Sein, DBW 2, 83f. Vgl. ebd., 118. Vgl. ders., Vortrag ‚Jesus Christus und vom Wesen des Christentums’ vom 11. 12. 1928, DBW 10, 315.

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schlechthin Kommenden blickt: „Christus in Wort und Sakrament sehen heißt: den auferstandenen Gekreuzigten im Nächsten und in der Schöpfung in einem Akt sehen. Nur hier offenbart sich Zukunft, die im Glauben die Gegenwart bestimmt.“78 Für Iwand heißt das Bestimmtsein der Gegenwart durch die Zukunft Begegnung mit dem inkarnierten, kommenden Gott: Jesus Christus ist der Kommende. Er begegnet jedem, dem er wirklich begegnet, von der Zukunft her, als das kommende Leben, als der Herr der kommenden Welt. […] Nur als der Kommende ist er der, der gekommen ist. Beides ist ineinander verwoben. […] Jesus will sagen: als der Kommende bin ich jetzt mitten unter euch. Und als der, der ich bereits gekommen bin, werde ich zu euch kommen.79

Die Begegnung mit dem Kommenden ist – wie schon für Bonhoeffer, so nun auch für Iwand, finden doch beide ihren Gewährsmann in Luther – „Begegnung mit meinem wirklichen Sein“80. Ich werde „der, als den Gott mich sieht und aufdeckt, nicht der, als den ich mich sehen will in meiner Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit“81. Das neue Sein in Christus, das im Glauben eschatologisch zu erwarten ist und das schon jetzt in Verkündigung und Sakrament in der Gemeinde Christi erfahrbar wird, ist also nicht zu „‚haben‘, ohne von der Zukunft her zu leben“82, da diese Zukunft „die Präsenz des vollkommenen Heils und […] endgültige Versöhnung in Jesus Christus […]“83 bedeutet. Wenn wir diese Zukunft und also Christus als den schlechthin Zukünftigen unsere Gegenwart regieren lassen,84 indem wir im Sinne Bonhoeffers zu Kindern werden, dann sind wir, wie Iwand nun in seiner Vorlesung zur Ethik sagt, ganz ausgerichtet auf die verheißene Wirklichkeit Gottes, die Gegenwart ist – echte, nicht in Vergangenheit verwandelnde, nicht ‚eitle‘ Gegenwart – und die doch nicht Gegenwart im Sinne des Gegenwärtigseins dieser Welt ist […], eine Wirklichkeit, die schon gegenwärtig ist – und eine Gegenwart, die noch nicht Wirklichkeit ist.85

78 79 80 81 82

Ders., Akt und Sein DBW 2, 158. Iwand, Die Gegenwart des Kommenden, 42. Ders., Christologie, NWN 2, 179, Hervorhebung von C.T. Ebd. Ders., Meditation über Hebr 10,19–24 (1948), GPM, 154. Bereits 1937 in seiner Vorlesung zu Gesetz und Evangelium I hatte Iwand die für den Glauben an den kommenden Christus maßgebliche Bedeutung der Hoffnung in diesem Sinne bestimmt: „Elpis, der Oberbegriff von Gewißheit im Neuen Testament, heißt: bezogen sein auf etwas, was kommt“ (NW 4, 16). 83 Ebd. 84 Vgl. ebd. 85 Ders., Unveröffentlichte Vorlesung, Ethik (SS 1952), zit. in: Heinrich, Verheißung des Kreuzes, 228, Hervorhebung von C.T.

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Heiligung: Bewahrung der Neuschöpfung im Sich-Bewähren der Gemeinde Theologie war für Bonhoeffer spätestens in seiner mittleren Schaffensphase nicht länger eine „akademische Angelegenheit“86, sondern es ging ihm fortan um den gelebten Gehorsam gegenüber dem Ruf Jesu Christi als existenzielle Angelegenheit. Das Kernanliegen von Bonhoeffers Nachfolge, die zwischen 1935 und 1937 als Bonhoeffer – ebenso wie Iwand – Ausbildungsleiter eines Predigerseminars der Bekennenden Kirche war, entstand, ist in der Wiederherstellung der „unbedingte[n] Einheit von Gnade und Nachfolge, von Rechtfertigung und Heiligung, von Glauben und Gehorsam“87 zu suchen. Da insbesondere das zweitgenannte Begriffspaar „Rechtfertigung und Heiligung“ deutlich macht, weshalb die (praktisch-)theologische Auseinandersetzung mit der Gestalt der Nachfolgegemeinde stets vor einem eschatologischen Horizont zu schauen ist, soll diesem Zusammenhang nachgegangen werden. Die Existenz der gerechtfertigten Gemeinde88 ist gekennzeichnet durch die fortwährende „Erhaltung und Bewahrung“ im Stand der Rechtfertigung „bis auf den Tag Jesu Christi“.89 Da aber das „Leben in dieser Bewahrung […] die Heiligung“90 und also die auf die Rechtfertigung folgende, zweite Gabe ist, heißen die Gerechtfertigten als diejenigen nun Heilige, die im Rechtfertigungsstand erhalten und bewahrt werden.91 Das „im strengsten Sinne unwiederholbar[e]“92 Geschehen der Rechtfertigung und die Gleichzeitigkeit des ontischen wie auch prozessualen Signums der Heiligung93 sind die beiden qualitativen, eschatologisch ausgerichteten „Strukturelemente“ der Gemeinde Christi. So charakterisiert Bonhoeffer das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung denn wie folgt: Während die Rechtfertigung dem Christen Gottes geschehene Tat zuspricht, verheißt ihm die Heiligung Gottes gegenwärtiges und zukünftiges Handeln. […] Rechtfertigung ist die Neuschöpfung des neuen Menschen, Heiligung seine Erhaltung und Bewahrung bis auf den Tag Jesu Christi.94

86 87 88 89 90 91 92 93

Bonhoeffer, Brief an seinen Bruder Karl-Friedrich vom 14. 1. 1935, DBW 13, 272. Schmitz, Gehorsam und Wagnis, 38. Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 269–296 (Kap. „Die Heiligen“). Vgl. ebd. (Zitate ebd.). Ebd., 275. Vgl. Schmitz, Nachfolge, 145. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 274. Vgl. ebd., 275, Anm. 21 der Hg. Es ist das zwingende Zugleich eines Indikativs (der Gerechtfertigte ist heilig) und Imperativs (der Gerechtfertigte soll heilig sein), das in Bonhoeffers Verständnis von Heiligung ausgedrückt ist (vgl. Schmitz, Nachfolge, 146). Ebenso wie schon in Sanctorum Communio trägt Bonhoeffer nun auch bei der Beschreibung der Gemeinde in der Nachfolge der Kategorie des simul Rechnung. Hier wie dort bleibt die eschatologische Spannung zwischen dem schon wahrhaft Geschehenen und noch nicht Erfüllten gewahrt. 94 Ebd., 275, Hervorhebung von C.T.

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Wenn Bonhoeffer vom „neuen Menschen“ spricht, so ist damit stets ein antiindividualistischer und genuin paulinischer Gedanke festgehalten: Die Kirche „ist der ‚neue Mensch‘“, denn die „Getauften sind ‚allzumal Einer in Christo“.95 Der Mensch, der die Taufe empfangen hat, zieht nun Christus – als den einen Menschen – wie ein Kleid an und wird so in der Gemeinde Christi neuschöpferisch verwandelt.96 Das in der Taufe empfangene Neu-Gewordensein ist in der Heiligung ein Neu-Werden bis zum Tage Christi. Wie aber sieht für Bonhoeffer dieses Neu-Werden bis auf die Zukunft Christi, auf den Tag der Errettung aus? Inwiefern ist mit dem Bewahren jener Gabe Gottes auch ein Sich-Bewähren der Gemeinschaft der Heiligen impliziert? Für Bonhoeffer hat das Heiligsein der Gemeindeglieder unbedingt zur Konsequenz, dieses lebendig zu bewahren. Zwar „wartet die Gemeinde der Heiligen der letzten Errettung“97, abgeschlossen „[v]on der Welt […] durch ein unzerbrechliches Siegel [den Heiligen Geist, C.T.]“98, doch ist dieses Warten kein Warten im Sinne eines Sich-nicht-Verhaltens, eines stillen Ausharrens. Es ist im Gegenteil ein durchaus „aktives“, aber den Heiligen selbst stets verborgenes99 Sich-Bewähren100: Die Gemeinschaft der Heiligen soll sich – im Sinne des unbedingten Herausgerufenseins – reinhalten „vom Unheiligen“101 und absondern „von der sündigen Welt“102, um die „teure Gnade“ würdig zu schützen. In gleicher Weise sollen die Heiligen sich bewähren, nun in Erfüllung des unbedingten Hineingestelltseins, indem sie in Liebe und einfältigem Gehorsam103 das von Christus Gebotene tun.104 Das heißt, dass das Leben der Heiligen nicht anders bewahrt bleibt als in dem interdependenten Spannungsgefüge von klarer „Absonderung von der Welt“105 der Sünde – dies ist ja auch schon elementar grundgelegt in der Taufe – und „Wandel […], der des Heiligtums Gottes würdig ist“106, und der sich damit in der Nachfolge als Hingabe und liebevolle Zuwendung zum Nächsten und Anderen in jener Welt107 zeigt. Beides setzt für Bonhoeffer zuvörderst die

95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107

Vgl. ebd., 232f (Zitate ebd.). Vgl. ebd., 233. Ebd., 276. Ebd. Vgl. ebd., 295. Vgl. ebd., 277 u. 291. Ebd., 277. Ebd., 283. Vgl. ebd., 154–157 u. ö. Die Kategorie der Einfalt samt ihrer Derivate entspricht voll der der Reflexionslosigkeit in Akt und Sein: Dort, wo die „reflektierte Antwort des Bewußtseins“ (DBW 2, 159) fehlt, beginnt die Nachfolge Jesu Christi. Vgl. Schmitz, Nachfolge, 154. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 277, Hervorhebung von C.T. Ebd. Vgl. ebd., 252f.

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Sichtbarkeit der Gemeinde voraus.108 Denn: Heiligung bleibt bewahrt durch die Nachfolge, die inmitten der Welt sichtbar werden muss, ja Raum einnimmt. Gründend auf der fleischgewordenen Liebe Gottes zur Welt109 zeigt sich das Verhältnis der Nachfolgegemeinde zur Welt stets in der Dialektik von gleichzeitiger Absonderung und Zuwendung,110 und also in der für Bonhoeffer zweifachen Konsequenz aus dem geheiligten Leben.111 Diese beiden zentrale Bestimmungsgrößen der Heiligung und ihrer Bewahrung sind wiederum ausgerichtet auf eine dritte, ganz und gar futurisch-eschatologische Bestimmung: dem Faktum, dass alle „Heiligung […] immer auf das Ende bezogen“, „auf das Bestehen am Tage Jesu Christi gerichtet [ist]“.112 Das Ziel der Heiligung ist nunmehr das Bewahrtbleiben im Stand der Heiligung und damit die Errettung am Tage Christi: „An jenem Tag sollen sie nicht mit Befleckung und Schande, sondern an Geist, Seele und Leib heilig und unsträflich vor ihm erfunden werden (1Thess 5,23).“113 Der Aspekt der Reinheit der Gemeinde korreliert nun also mit der für die Theologie der Nachfolge überhaupt entscheidenden Frage nach dem Heil der Gemeinde und ihrer Errettung bei der Parusie Christi. Mehr noch: Das Verhältnis der Gemeinde zur Welt ist genau unter diesem Gesichtspunkt ihrer Reinheit als Voraussetzung und Ziel der Heiligung zu verstehen.114 Das heißt, im Ziel der Heiligung, als das Bestehen-Können im Gericht, ist immer auch der notwendige Zustand der Reinheit mitgesetzt, zugleich aber geht der Weg zu diesem soteriologisch-eschatologischen Absolutum einzig über das rechte und untadelige Verhältnis des Christen zu Christus und damit zugleich zum Nächsten und Anderen115. Da die Reinheit ihren Grund in der Nachfolge und also im Dasein der Gemeinde hat, „und weil diese Nachfolge ein bestimmtes Verhältnis der Nachfolgenden zur Welt einfordert, darum ist das richtige Verhältnis der Nachfolgenden zur Welt (d. h. eigentlich zu Christus und seinem Wort!) der Schlüssel ihrer Errettung“116. Das rechte Weltverhältnis der Nachfolgenden kann denn aber stets nur in ihrer substanziellen Unterschiedenheit von der Welt bestehen; die 108 Vgl. ebd., 277. 109 Vgl. ebd., 92. 110 Erinnert sei hier an Bonhoeffers Maßgabe der „innerste[n] Konzentration für den Dienst nach außen“, DBW 14, 77, die in diesem Zusammenhang so verstanden werden kann, dass grundsätzlich jegliche Zuwendung der Heiligen zur Welt – der „Dienst nach außen“ – immer auch schon ihre Fremd- und Andersartigkeit von der Welt bedeutet. 111 Vgl. auch dazu die profilierte Analyse zum Thema „Weltverhältnis“ von Schmitz, Nachfolge, 154–234. 112 Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 292. 113 Ebd., 293, Hervorhebung von C.T. 114 Vgl. Schmitz, Nachfolge, 230. 115 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, z. B. 91 u. 125. 116 Schmitz, Nachfolge, 232, Hervorhebung von C.T.

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Gemeinde Christi hat eine entschieden andere Gestalt als die Welt, ist doch an ihr schon realisiert, was für die ganze Welt gilt: die verwandelnde Neuschöpfung durch das Heilswerk Christi.117 Jenes Anders-Sein der Christen wird sichtbar ausgedrückt als Bewahrung ihrer Reinheit, indem die Gemeinde sich totaliter aliter in der Welt bewegt und also sich ihr entgegenstellt; gleichwohl kann die Gemeinde nicht anders ihre Reinheit erhalten als durch das unbedingte Für-dieWelt-Dasein.118 So ist die Reinheit der Gemeinde als dritte Bestimmungsgröße die genuin eschatologisch gefasste Grund- und Zielbestimmung der Heiligung. Aber gerade aufgrund dieser eschatologischen Verfasstheit, sind die dem Ruf Christi Nachfolgenden als „Salz der Erde“ das „Licht der Welt“119 im Hier und Jetzt – in Hoffnung ausgerichtet auf „den Fürsten der Erden“, der „zum Wunder der Welt“ erscheinen wird.120 Auch die Eschatologie der Nachfolge steht also unter dem Vorzeichen der Wirklichkeitstreue und stellt sich insofern nicht als verengt im Sinne einer einseitigen, das gegenwärtige Dasein missachtenden Ausrichtung auf das Jenseits dieser Welt dar. Anders gewendet und in Anlehnung an Bonhoeffers späte Theologie gesprochen, lässt sich sagen, dass die hier starke Fokussierung auf das „Letzte“ zugute der Wege und Dinge im „Vorletzten“ geschieht. Für Bonhoeffer gilt denn auch in der Nachfolge zweifelsohne, dass das „Festhalten am Irdischen allein vom Ewigen her legitimiert“121 ist, und gerade deshalb fordert die Wirklichkeit des Ewigen, die in Christus als dem Kommenden durative Gegenwart ist, stets die Verantwortungsübernahme im und für das Jetzt und Hier. Ebenso wie Bonhoeffer ging es auch Iwand gerade in der Zeit der Predigerseminare um den Kampf um die rechte Substanz der Kirche und damit zugleich um die Sichtbarkeit der Kirche in den gegenwärtigen (kirchen-)politischen Konfrontationen, auf die zu reagieren und die durchzustehen das Anliegen beider war. Auch für Iwand stellte sich daher im besonderen Maße die Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung. Das Thema Heiligung wurde zum zentralen Gegenstand, ging es doch dabei entscheidend um die Frage nach der „Selbstreinigung der Kirche“122, die vornehmlich durch die Auseinandersetzung mit der Gemeinschaftsbewegung während der Zeit in Bloestau aufgeworfen wurde, und von der her man nun begriff, „daß die Kirche […] als Ge-

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Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 263. Vgl. ebd.; vgl. Schmitz, Nachfolge, 260. Vgl. Mt 5,13–14; vgl. auch Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 110–115. Vgl. Strophe 6 des Liedes „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ (Christian Friedrich Richter), zit. in.: ebd., 267. 121 Barth, Die Wirklichkeit des Guten, 190. 122 Fischer/Iwand, Wie wir uns fanden, 43.

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meinde der Heiligen in der Welt steht und zu bezeugen hat, daß sie nicht von der Welt ist“123. Auch Iwand bespricht in seiner Bloestauer Vorlesung zu Gesetz und Evangelium I die Heiligung in ihrer Einheit mit und Unterschiedenheit von der Rechtfertigung. Graduell anders als Bonhoeffer stellt Iwand den pneumatologischen Aspekt des neuen Seins in Christus heraus: Der Geist Gottes ist die Erfüllung der Verheißung an uns. Ohne daß dadurch die promissio, die Verheißung Gottes, aufhört, Verheißung zu sein. […] [Die Gerechtigkeit Gottes, C.T.] bleibt Geschenk, sie bleibt Gnade, sie wird nicht unser Sein, unsere Qualität, unser habitus, sondern sie bleibt etwas, was uns verheißen ist.124

Der Geist Gottes ist sodann auch bei der Beschreibung der Heiligung, die für Iwand gleich wie für Bonhoeffer freilich die Bewahrung in der Gerechtigkeit Gottes bedeutet, die entscheidende „Bestimmungsgröße“: Diese Bewahrung ist der eigentliche Sinn der Heiligung. Geheiligt werden heißt von Gott als Eigentum bewahrt werden. Das ist der ‚hagiasmos tou pneumatos‘ (1 Petr 1,2). […] Es kommt also alles darauf an, daß unsere Heiligung das Werk Gottes, die Tat seines Geistes ist.125

Die jeweils eigentümlichen Charakteristika von Rechtfertigung und Heiligung und damit die notwendige Differenzierung beider zusammengehörender Gaben scheinen bei Bonhoeffer in der Nachfolge stärker fokussiert. Iwand hingegen lässt den wesentlichen Zusammenhang von Christologie und Pneumatologie in seiner Beschreibung der Heiligung klarer werden. Gleichwohl ist die Intention hinter der Darstellung der beiden dogmatischen Grundbegriffe und ihrer Entfaltung als eschatologische Ethik126 bei Bonhoeffer und Iwand grundsätzlich dieselbe: Die Auseinandersetzung mit dem rechten, weil wirklichkeitstreuen Wandel der Gemeinde Christi in der Welt und ihrer „abgrenzenden“ Zuwendung zur Welt um ihrer Not willen.127 Da die Gemeinde die „Stadt auf dem Berge […] ist“, gilt nicht nur für Bonhoeffer, dass „ihr ‚politischer‘ Charakter unabdingbar zu ihrer Heiligung [gehört]“128. Beiden theologischen Entwürfen – während der Zeit der Predigerseminare und darüber hinaus – ist somit die Wendung gegen einen von der Welt abgeschirmten Bereich der christlichen Gemeinde inhärent; für beide 123 124 125 126 127

Ebd., 38. Iwand, Gesetz und Evangelium, NW 4, 125. Ebd., 132, Hervorhebung von C.T. Vgl. Neddens, Politische Theologie und Theologie des Kreuzes, 661. Vgl. auch Iwands Ausführungen zur Heiligung in dem (wesentlich späteren) Vortrag „Kirche und Öffentlichkeit“ (1947), NW 2, 24ff. Die Gemeinde ist „die Mitte, von der die Erneuerung der Welt ausgeht, die feste Burg, in der die Menschen bewahrt und behütet werden“ (ebd., 25). Sie ist als sich frei in der „Gebundenheit der Liebe Gottes“ wissend, „frei zum Dienst an der Welt“ (ebd., Hervorhebung von C.T.). 128 Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4, 277.

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folgt aus der Verheißung Gottes, die in Rechtfertigung und Heiligung eschatologische Vergegenwärtigung unter den Bedingungen der Welt (simul iustus et peccator) ist, der „Appell, die gottlosen Bindungen dieser Welt entschlossen in Frage zu stellen“129, welcher wiederum in einer das eschatologische Moment prononcierenden und zugleich weltzugewandten, praktischen Nachfolgeethik130 mündet. Eine Passage aus Iwands Meditation über Hebr 10,19–24, die er fast ein Jahrzehnt nach der Zeit der Predigerseminare verfasste, mag abschließend das Gesagte zur Bewahrung der Neuschöpfung im Sich-Bewähren der Gemeinde als ein Grundmoment der Heiligung zusammenfassen: Eine Demonstration dieser Hoffnung [auf die Errettung am Tage Christi, C.T.] ist das Hintreten der Menschen vor Gott, ist das Ringen um die Reinheit des Herzens und um die Lauterkeit des irdischen Wandels, eine Demonstration dieser Hoffnung ist gleicherweise das Festhalten am Bekenntnis […], eine Demonstration dieser Hoffnung ist schließlich auch das Tun der guten Werke und das Festhalten der öffentlichen Versammlungen der Christen, an der Sichtbarkeit der Gemeinschaft. Alles das […] tritt als ‚Opposition‘ auf den Plan, als Erinnerung und Verheißung an den Advent des Herrn.131

„Christusbegegnung mit der Welt“132 – Die dialektische Spannung zwischen Letztem und Vorletztem als eschatologische Dynamik des Lebens Ausgehend von den Grundeinsichten und zentralen Haftpunkten einer wirklichkeitstreuen Eschatologie in Sanctorum Communio und Akt und Sein, die in der Nachfolge als „zeitkritische Zuspitzung“133 konsequent fortgeführt wurden, soll nun jenen, in Bonhoeffers letzter Schaffenszeit aktualisierten und damit „dem konkreten Anspruch der Stunde folgenden“134, Grundeinsichten abschließend und in sehr geraffter Form nachgegangen werden. In einem Brief an Theodor Litt vom Januar 1939 findet sich eine Schlüsselstelle, die den christologisch-eschatologischen Kulminationspunkt von Bonhoeffers Welt- und Wirklichkeitsverständnis in seinem letzten Lebensabschnitt markiert: Hier fragt Bonhoeffer, ob nicht erst und einzig von Jesus Christus, dem Eschatos, her verständlich wird, daß der Christ bei aller Hingabe an die Brüder und aller Treue zur Erde doch um der Gegenwart Gottes in Christus willen schon um den Abbruch dieser Erde und um die 129 130 131 132 133 134

Iwand, Die Gegenwart des Kommenden, 6 (Vorwort von W. Kreck). Vgl. Prüller-Jagenteufel, Befreit zur Verantwortung, 231. Iwand, Meditation über Hebr 10,19–24 (1948), GPM, 155, Hervorhebung von C.T. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 151. Peters, Die Präsenz des Politischen in der Theologie Dietrich Bonhoeffers, 57. Müller, Für andere da, 31.

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Zukunft einer neuen Erde und eines neuen Himmels weiß, und danach Verlangen trägt? Ja, daß um der Einheit der ursprünglichen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Erde als der Erde Gottes, als der Erde, auf der das Kreuz Jesu Christi stand, [willen] die gegenwärtige Erde so ernstgenommen werden kann in ihrer Würde, ihrer Herrlichkeit und ihrem Fluch? 135

Der Briefausschnitt verdeutlicht, dass die Hinwendung des Christen zur Welt, seine „Treue zur Erde“, die allein in Jesus Christus ihren Grund hat, auch und gerade angesichts der Gewissheit des Vergehens dieser Erde besteht, denn aufgrund der „Einheit“ mit der zukünftigen Welt Gottes muss die gegenwärtige in allem Ernst bedacht werden.136 Dieser Welt die Treue zu verweigern, hieße hingegen für Bonhoeffer, die Tatsache, dass „Gott ein armer […] Mensch wurde, […] und sich von nun an allein in dieser Armut, im Kreuz, finden lassen will“137, zu verleugnen. Denn allein aufgrund dieser Tatsache „kommen wir von der Welt und vom Menschen nicht mehr los“138. Die in diesem Brief formulierten Gedanken, die in einer „kritisch konstruktiven Kreuzestheologie“139 kulminieren, können gewissermaßen als Prolog für die Thematisierung der Wirklichkeitstreue in der Ethik und Widerstand und Ergebung gelten. Die eschatologische Grunddynamik christlichen Glaubens und Lebens beschreibt Bonhoeffer in der Ethik anhand des Verhältnisses von Letztem und Vorletztem. Wesentlich ist für die Verhältnisbestimmung zunächst – wie schon in dem Brief an Litt impliziert –, sich nicht an der Spannung zwischen der gegenwärtigen Welt des Vorletzten und dem Wissen um die „Zukunft einer neuen Erde und eines neuen Himmels“140 aufzureiben. Man liefe Gefahr, entweder in eine Radikalität oder Kompromisshaftigkeit zu geraten und so „die Wirklichkeit Gottes und die Wirklichkeit des Menschen, die in Jesus Christus eins geworden ist“141, zu missachten: „[D]ie einen setzen das Ende absolut, die andern das Bestehende. So gerät Schöpfung und Erlösung, Zeit und Ewigkeit in einen unlösbaren Widerstreit, und so wird die Einheit Gottes selbst aufgelöst […].“142 Das Spannungsverhältnis von Letztem und Vorletztem, wie Bonhoeffer es vor Augen hat, wäre also, indem es als unvereinbarer Gegensatz betrachtet würde, 135 Bonhoeffer, Brief an Theodor Litt vom 22. 1. 1939, DBW 15, 114. 136 Vgl. auch Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 290–293, ohne ihm jedoch in seiner Interpretation, dass sich erst in dem Brief an Litt ein „christologisch fundiertes positives Weltverständnis“ (ebd., 290) durchsetzt, zuzustimmen. Bereits in „Dein Reich komme“ (1932) finden sich diejenigen Aspekte einer christologisch fundierten, wirklichkeitstreuen Eschatologie, aus denen die „Treue zur Erde“ resultiert, vgl. oben Anm. 13. 137 Bonhoeffer, Brief an Theodor Litt vom 22. 1. 1939, DBW 15, 113. 138 Ebd. 139 Peters, Die Präsenz des Politischen, 116. 140 Bonhoeffer, Brief an Theodor Litt vom 22. 1. 1939, DBW 15, 114. 141 Ders., Ethik, DBW 6, 146, Hervorhebung von C.T. 142 Ebd.

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um seine notwendige dialektische Existenzialität beraubt. Für den eschatologischen Diskurs innerhalb der Ethik ist hingegen die Einsicht konstitutiv, dass erst im Lichte des Letzten, und das wiederum heißt, vom rechtfertigenden Wort Gottes als qualitativ und zeitlich letztes Wort her wie auf dies hin,143die Beschreibung des Vorletzten redlich erfolgen kann und also die Position der Schöpfung im eschatologisch begriffenen Horizont des Rechtfertigungsgeschehens. Qualitativ ist es das Letzte, da es alles Bisherige abbricht;144 zeitlich, da ihm stets „etwas Vorletztes […], ein Tun, Leiden, Gehen, Wollen, Unterliegen, Aufstehen, Bitten, Hoffen, also ganz ernstlich eine Spanne Zeit, an deren Ende es steht“145, vorausgeht. Das Vorletzte, mit dem sich Bonhoeffer um des Letzten willen beschäftigt, ist insofern auch nicht als ein bedeutungsloses Durchgangsstadium aufzufassen, für das der Christ keine Verantwortung trägt,146 hieße das doch, dass der Weg zum Letzten147 unbeschritten bliebe und also die Gnade „billig“ würde.148 Die dreigliedrige Christologie, wie sie Bonhoeffer in der Ethik ausgestaltet, und die als prozessuale Dynamik von Gleichzeitigkeiten in den Blick kommt,149 trägt der konstitutiven Einsicht Rechnung, dass Vorletztes und Letztes nicht in einem statischen oder gar antagonistischen Verhältnis gedacht werden dürfen150 und dokumentiert damit gleichermaßen ihre eschatologisch ausgerichtete Relationalität. Denn in „Jesus Christus selbst“ zeigt sich die unauflösliche Verbundenheit der „Wirklichkeit Gottes und des Menschen“151, „[n]ur in ihm löst sich das Verhältnis von Letztem und Vorletztem“152: Der Menschgewordene „lässt die menschliche Wirklichkeit, ohne sie zu verselbstständigen und ohne sie zu zerstören, als Vorletztes bestehen, […] das zur Hülle des Letzten geworden ist“153. Der Gekreuzigte spricht „der gefallenen Schöpfung ihr endgültiges Urteil“154, dennoch ist das Kreuzesgeschehen „nicht einfach Vernichtung der Schöpfung“, sondern Gottes Urteil der Welt zugute, „Gnade für das Vorletzte, das sich dem Gericht des Letzten beugt“155. Der Auferstandene macht „aus Liebe und Allmacht 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Vgl. ebd., 140f. Vgl. ebd., 140. Ebd., 141. Vgl. ebd., 145. Freilich ist hiermit nicht der eigens errichtete Weg und also eine „Methode“, die vermeintlich vom Vorletzten zum Letzten führt, gemeint, sondern Wegbereitung für den kommenden Christus, der auf seinem Weg zu uns ist (vgl. ebd., 159). Vgl. ebd., 142. Vgl. Thomas, Neue Schöpfung, 352. Vgl. auch Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 161, Anm. 89. Ebd., 146. Ebd., 148. Ebd., 149, Hervorhebung von C.T. Ebd. Ebd., 150, Hervorhebung von C.T.

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dem Tod ein Ende […] und [ruft] eine neue Schöpfung ins Leben“156. Ohne das Vorletzte aufzuheben, ist die Auferstehung „schon mitten in der Welt angebrochen als letztes Zeichen ihres Endes und ihrer Zukunft und zugleich als lebendige Wirklichkeit“157. Auf je eigene Weise zeigt sich für Bonhoeffer in Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung die Treue Gottes zu seiner Erde. In allen drei Momenten ereignet sich die Wirklichkeit der „Christusbegegnung mit der Welt“158, an deren umgestaltender Kraft und Energie die Christen teilnehmen, wenn sie als Wegbereiter im Vorletzten „wirklichkeitsgemäß“159 handeln160.161 In Widerstand und Ergebung erkennt Bonhoeffer der christologisch fundierten und eschatologisch dimensionierten Relationalität der einen Wirklichkeit162 erneut und verstärkt Relevanz zu und bringt sie in das Bild von der „Polyphonie des Lebens“. Die „Polyphonie des Lebens“ erhebt sich mit ihren kontrapunktischen Klängen zum cantus firmus von Gottes Ewigkeit:163 Wo der cantus firmus klar und deutlich ist, kann sich der Kontrapunkt so gewaltig entfalten wie nur möglich. Beide sind ‚ungetrennt und doch geschieden‘ […]. Ist nicht vielleicht die Polyphonie in der Musik uns darum so nah und wichtig, weil sie das musikalische Abbild dieser christologischen Tatsache und daher unsrer vita christiana ist? 164

Gerade angesichts der Klarheit des „cantus firmus“ als letzter Wirklichkeit kommt es zur bewussten Entfaltung des „Kontrapunktes“ als gültiger, aber eben nicht letztgültiger Wirklichkeit des geschichtlichen Daseins des Menschen – beides ist um Christi willen „unvermischt und doch ungetrennt“. Ausgehend von dieser, die Tegeler Zeit prägenden Grundannahme, ist es denn Bonhoeffers Überzeugung, dass Gott „nicht erst an den Grenzen unserer Möglichkeiten, sondern mitten im Leben […] erkannt werden“165 will. Gleichsam klingt damit auch Bonhoeffers generelles Insistieren gegen eine verkürzte Eschatologie an, das insbesondere für seine späte Theologie kennzeichnend ist. Von der Wirklichkeit und Wirksamkeit der Auferstehung Jesu Christi her erfolgt die Wahrnehmung 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165

Ebd. Ebd., Hervorhebung von C.T. Ebd., 151. Ebd., 260. Einzig im Glauben wird diese Wirklichkeit wahrgenommen und einzig im Glauben nimmt sie Gestalt an. Da nun Glauben und Handeln für Bonhoeffer nicht zu trennen sind, ist das wirklichkeitsgemäße Handeln stets das Praktischwerden des Glaubens. Vgl. dazu auch Thomas, Neue Schöpfung, 353. Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 43 (im Original hervorgehoben): „Es gibt […] nur eine Wirklichkeit, und das ist die in Christus offenbargewordene Gotteswirklichkeit in der Weltwirklichkeit.“ Vgl. ders., Brief an Eberhard Bethge vom 20. 5. 1944, DBW 8, 440f (Zitat ebd.). Ebd., 441. Ders., Brief an Eberhard Bethge vom 29./30. 5. 1944, DBW 8, 455, Hervorhebung von C.T.

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und Gestaltung der Gegenwart, sodass die Eschatologie nun in besonderer Weise in Widerstand und Ergebung als eine wirklichkeitstreue Diesseitslehre in den Blick kommt: Die christliche Auferstehungshoffnung unterscheidet sich von den mythologischen darin, daß sie den Menschen in ganz neuer […] Weise an sein Leben auf der Erde verweist. Der Christ hat nicht […] aus den irdischen Aufgaben und Schwierigkeiten immer noch eine letzte Ausflucht ins Ewige, sondern er muß das irdische Leben wie Christus […] ganz auskosten und nur indem er das tut, ist der Gekreuzigte und Auferstandene bei ihm und ist er mit Christus gekreuzigt und auferstanden. Das Diesseits darf nicht vorzeitig aufgehoben werden.166

Bonhoeffer verdeutlicht mit seinem kreuzestheologischen Verständnis der Auferstehung Christi, dass es sich bei der christlichen Auferstehungshoffnung in keiner Weise um einen wie auch immer gearteten individuellen Erlösungsmythos handeln kann, der den Nährboden für eine Geringschätzung gegenüber und eine potentielle Abwendung vom Leben in dieser Welt böte, sondern im Gegenteil darum, dass der Christ, „der zum Ebenbilde Christi gemacht [ist]“167, auf sein Dasein in und für die Welt verwiesen ist. Denn „nur wenn man das Leben und die Erde so liebt, daß mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben“168. Nicht also Erlösung von dieser Welt mit ihren „Sorgen, Nöten, Ängsten und Sehnsüchten“169, sondern Erlösung hin zur Welt ist Bonhoeffers eindringlicher Appell, der gleichsam die Forderung in sich birgt, den Ruf aus dem neuen Äon in dieser Welt hörbar, ja erfahrbar zu machen. Auch die summarischen Schlaglichter aus Bonhoeffers letzter Schaffenszeit bringen den vielschichtigen Aufbau einer Eschatologie, die sich der Zuordnung von Schöpfung und Neuer Schöpfung verpflichtet weiß, klar zum Vorschein. Es ist hier vor allem die Verhältnisbestimmung und Perspektivierung von Letztem und Vorletztem in der Ethik und ihrer Derivate in Widerstand und Ergebung, in der sich seine Eschatologie als wirklichkeitstreu erweist, da sie durch die stets gewahrte Ausgang- und Bezugnahme vom und zum Letzten die Welt des Vorletzten in ihrer Endlich- und Vorläufigkeit ernst nimmt und darin zugleich aufwertet. Daraus resultiert, dass Bonhoeffer aufgrund der strengen Verschränkung von Christologie und Eschatologie hier wie dort die falsche, weil christuswidrige Polarität von Christsein und In-der-Welt-Sein nicht nur vermeidet, sondern gerade aufgrund jener Verschränkung ein Christsein als Fürdie-Welt-Dasein fordert. Bonhoeffer hat von Sanctorum Communio und Akt und 166 167 168 169

Ders., Brief an Eberhard Bethge vom 27. 6. 1944, DBW 8, 500f. Ders., Nachfolge, DBW 4, 303. Ders., Brief an Eberhard Bethge vom 5. 12. 1943, DBW 8, 226. Ders., Brief an Eberhard Bethge vom 27. 6. 1944, DBW 8, 500.

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Sein über die Nachfolge bis in sein Spätwerk hinein die aufgezeigten Grundbestimmungen einer wirklichkeitstreuen Eschatologie beibehalten, sie dort aber in den letzten Jahren seines Lebens auf den ganz „konkreten Anspruch der Stunde“170 hin, der Erde nun mehr denn je treu zu sein, aktualisiert. Schaut man vom späten Bonhoeffer aus nun noch einmal und abschließend auf Iwand, so findet sich in seinem Vortrag „Protestantismus als Aufgabe“, den er 1955 und damit zehn Jahre nach Bonhoeffers Tod hielt, die Beschreibung genau jener eschatologischen Dynamik christlichen Glaubens und Lebens, die bei Bonhoeffer mit der dialektischen Spannung von Letztem und Vorletztem ausgedrückt ist. Die Wahrung und Geltendmachung dieser Dialektik als einer existenziellen, insofern sie den Menschen in Bewegung setzt, wenn er die Begegnung der Wirklichkeit Gottes mit der Wirklichkeit der Welt in Jesus Christus als Begegnung jenseits von Radikalismus und Kompromiss glaubend anerkennt und an ihr teilnimmt,171 sieht Iwand zuvörderst im Protestantismus abgebildet und begreift sie als „Lebenskunst“: [D]ies beides: daß mitten in dieser Welt – ohne daß sie aufhört, die Welt der Sünde und des Todes, die Welt der bösen und der guten Zeiten zu sein – die Welt Gottes da ist, beides zusammen und beides auseinanderzuhalten, nicht das eine für das andere zu opfern, den Menschen aber als die Stätte zu sehen, wo beides Fleisch und Geist, unsere Welt und Gottes Welt sich begegnen, so wie sich Nacht und Tag begegnen im Morgengrauen, das Werden also festzuhalten – das würde ich die Kunst des Protestantismus nennen, eine Lebenskunst […]. […] Noch ist die Welt Welt und Mensch Mensch, noch ist Morgen und nicht Mittag! Noch ist Kampf und nicht Sieg. Er hat eine rechte Weltlichkeit hergestellt. Aber er hat zugleich […] das andere festgemacht: die Dämmerung, in der wir leben, geht der Scheidung entgegen. Einmal wird Licht sein und keine Finsternis. […] Einmal wird Gott alles in allem sein – darauf ist alles Jetzt und alles Heute ausgerichtet! 172

Dass die Dämmerung einmal dem Lichte des Tages weichen würde, galt Iwand wie Bonhoeffer als gewiss. Getragen von dieser Vergewisserung über die verheißene Zukunft Gottes wirkten beide in ihrer Gegenwart: „‚Christus, unsere Hoffnung‘ – diese Formel des Paulus ist die Kraft des Lebens.“173

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Müller, Für andere da, 31. Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 151. Iwand, Protestantismus als Aufgabe, NW 2, 314, Hervorhebung von C.T. Bonhoeffer, Brief an Eberhard Bethge vom 25. 7. 1944, DBW 8, 545.

Wilken Veen

Bonhoeffer und Iwand zum Schuldbekenntnis und zur Umkehr Ein Vergleich des Schuldbekenntnisses aus Bonhoeffers Ethik und Iwands Entwurf für das Darmstädter Wort

Im Jahr 2004 schrieb ich ein kleines Buch über die Wiederaufnahme der Kontakte zwischen den Niederlanden und Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg, „Versöhnung in der Praxis“1. Die Frage war: Wie kommt man wieder zueinander, wenn der Krieg zu Ende ist? Ich stellte fest, dass die ersten erneuten Kontakte der Austausch von niederländischen und deutschen Studenten waren. Die Niederländische Christliche Studentenvereinigung (NCSV) und ihr deutscher Schwesterverein, die DCSV, spielten hierbei eine große Rolle. Einige deutsche Studenten nahmen ab Anfang 1947 (man brauchte damals als Deutscher ein Visum, um ins Ausland zu reisen) an niederländischen Tagungen teil und die Niederländer als Freiwillige an Arbeitslagern in Deutschland, um beim Wiederaufbau zu helfen. Die zentrale Frage für die Niederländer, wenn sie nach Deutschland fuhren oder Deutsche empfingen, war: Sind die Deutschen bereit auf irgendeine Weise Schuld zu bekennen? Nicht selten war das eine Bedingung, um an solchen Begegnungen teilzunehmen. Schuldbekenntnis als Bedingung für die Wiederaufnahme der deutschen Kirchen in die internationale Kirchengemeinschaft, das war auch die Auffassung des niederländischen Generalsekretärs des späteren Weltkirchenrates, Willem Visser ’t Hooft. Im Mai 1943 schreibt er in seiner Schrift The Post-War Task of the World Council of Churches: Eine der größten und brennendsten Aufgaben der ökumenischen Bewegung nach dem Kriege wird es sein, eine wirkliche Versöhnung unter den Kirchen der kriegführenden Länder zu erreichen. An der Durchsetzung dieser Aufgabe hängt nicht nur die Zukunft unserer Bewegung selbst, sondern auch ihre Fähigkeit, als eine Macht des Wiederaufbaus in der Nachkriegswelt zu wirken.2

Er vertritt die Auffassung, dass von einer gemeinsamen Schuld gesprochen werden kann, aber er schreibt auch:

1 Veen, Verzoening in de praktijk?. 2 Deutsche Übersetzung zitiert aus: Greschat, Die Schuld der Kirche, 29–30.

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Wilken Veen

…eine allgemeine Erklärung der gemeinsamen Verantwortlichkeit für die gegenwärtige Katastrophe genügt nicht. Wahre Versöhnung setzt die genaue Anerkennung des eigenen Versagens durch jede Kirche und der Sünden ihrer Nation voraus.3

Mit diesem Gedanken kam Visser ’t Hooft am 18. Oktober 1945 auch nach Stuttgart. Besier und Sauter publizierten vierzig Jahre danach eine Notiz von seiner Hand mit 13 Punkten für das Gespräch mit der Führung der DEK.4 Das Problem war, dass das gefragte Bekenntnis der deutschen Kirchen nicht erzwungen aussehen sollte. Die Lösung brachte Pierre Maury mit der Formel: „Wir bitten euch uns zu helfen, damit wir euch helfen.“5 Und so kam es zur Stuttgarter Erklärung. Der entscheidende Passus in dieser Erklärung lautete: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.6 Viele reagierten abweisend.7 Man sagte, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht das Recht habe, im Namen des Deutschen Volkes zu sprechen. Wenigstens die führenden Männer der Bekennenden Kirche hätten sich nichts vorzuwerfen, und sogar, dass der Kriegsausbruch nicht die alleinige Schuld der Deutschen sei, weil er eine gerechtfertigte Reaktion auf das Versailler Diktat war. Gegenüber so vielen negativen Reaktionen kann man natürlich sagen, dass es tapfer und vernünftig war, dass die Kirche wenigstens dieses gesagt hatte. Auch Karl Barth hat sich in seinem Vortrag „Ein Wort an die Deutschen“ vom 2. November 1945 in diesem Sinn über die Stuttgarter Erklärung ausgesprochen. Die Kritik, dass in dieser Erklärung „zu viel“ Schuld bekannt werde, war jedoch nicht die einzige Kritik. Es gab auch damals schon Stimmen, die meinten, dass „zu wenig“ Schuld bekannt werde. Wenn die Kirchenleitung in ihrer Erklärung schreibt „durch uns“, dann meint sie damit „durch das deutsche Volk“, mit dem sie sich „in einer Solidarität der Schuld“8 verbunden weiß. Dass die Kirche selber 3 Greschat, Die Schuld der Kirche, 30. 4 Besier/Sauter, Wie Christen ihre Schuld bekennen, 130–131. 5 Visser ’t Hooft, Memoires, 173. Maury erinnert hieran, als er in seinem Dankeswort sagt: „Sie haben uns geholfen, Ihnen zu helfen“, Greschat, Die Schuld der Kirche, 103. 6 Greschat, Die Schuld der Kirche, 102. 7 In dem von Martin Greschat herausgegebenen Buch „Die Schuld der Kirche“ werden mehrere Beispiele abgedruckt (S. 110–117). 8 Dieser Begriff wurde später sehr verschieden interpretiert: Wurm und Asmussen betonten, dass es sich hier um Solidarität mit den Schuldigen handelt, Niemöller hat – in einem Vortrag in Erlangen am 22. Januar 1946 und viele Male nachher – gesagt: „Wir haben gesagt, wir fühlen

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auch große Fehler gemacht hat und vor allem in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft die neue Regierung sehr herzlich willkommen geheißen hat, davon ist kaum die Rede. Sie sagt zwar: „wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt ….“, aber nicht dass sie gebetet hat für die deutschen Armee, geglaubt hat an den deutschen Endsieg und ihren Führer, zumindest in den ersten Jahren, brennend geliebt hat. Vielleicht hätte man nicht sagen müssen, dass man zu wenig gemacht, sondern, dass man das Falsche gemacht hat.9 Die Ökumene, die von Anfang an einen Weg gesucht hat, um die deutschen Kirchen in den entstehenden Weltkirchenrat aufnehmen zu können, hat sich aber mit diesem kleinem Schritt zufrieden gegeben.Wenn die Stuttgarter Erklärung nicht ein wirkliches Schuldbekenntnis war, was wäre dann ein Schuldbekenntnis? Wir wollen in diesem Beitrag zwei Dokumente miteinander vergleichen, die zwar nicht als explizite Schuldbekenntnisse formuliert worden sind, die das aber inhaltlich sind, jedenfalls mehr als die Stuttgarter Erklärung. Es handelt sich um das Kapitel „Schuld, Rechtfertigung, Erneuerung“ in der Ethik Dietrich Bonhoeffers, und um das Darmstädter Wort, dessen erster Entwurf von Hans Joachim Iwand verfasst wurde. Es wurde in diesem Entwurf Iwands ziemlich viel geändert (wir werden bei der Besprechung dieses Textes darauf zurückkommen), aber der wichtigste Satz aus diesem Text, „Wir sind in die Irre gegangen“, ist unverändert geblieben. Dieser Satz macht es zu einem wirklichen Schuldbekenntnis. Es fragt nicht nach der Schuld der Anderen (für Bonhoeffer eine Bedingung für ein wirkliches Schuldbekenntnis), es spricht unmittelbar von eigener Schuld. Obwohl Iwand dem definitiven Text des Darmstädter Wortes zugestimmt und ihn unterzeichnet hat, wollen wir hier doch nicht die Teile, die von Karl Barth verfasst sind, als die seinigen behandeln und besprechen darum (auch wegen des Themas dieses Buches) Iwands Entwurf.10 Wie gesagt, die beiden Texte, Bonhoeffers Schuldbekenntnis und Iwands Entwurf, sind nicht als Schuldbekenntnis foruns schuldig“. Greschat, Die Schuld der Kirche, 95 (Wurm) und 97 (Asmussen), 188–192 (Niemöller). 9 In einem Hauptartikel der Jungen Kirche vom 22. April 1939 wird aus Anlass des 50. Geburtstags Hitlers geschrieben: „Das Gebet für die Obrigkeit ist eine Glaubenspflicht des Christen. Es gewinnt in geschichtlich erfüllten Stunden eine besondere Tiefe: auch der Christ lässt sich in seinem Gebet ergreifen durch den Gang des Schicksals, zu dessen Vollstreckern in der Welt Gott die Gestalten geschichtlicher Größe sendet. Es ist heute dem Letzten offenbar geworden, dass die Gestalt des Führers, mächtig sich durchkämpfend durch alte Welten, Neue mit innerem Auge schauend und seine Verwirklichung erzwingend, auf den wenigen Seiten der Weltgeschichte genannt ist, die den Anfängen einer neuen Zeit vorbehalten sind.“ (Zitiert bei Prolingheuer, Kleine politische Kirchengeschichte, 94). Das ist, was ich nenne: nicht zu wenig gebetet, sondern das Falsche gebetet zu haben. 10 Dieter Schellong schreibt in seinem Aufsatz Versöhunung und Politik. Zur Aktualität des Darmstädter Wortes, 36): „Alle drei Zwischenentwürfe lehnten sich in Anliegen, Aufbau und Diktion an den Entwurf Iwands an, dem somit die entscheidenden Impulse zu verdanken sind. Ich halte diesen Entwurf streckenweise noch für instruktiver als die Endfassung…“.

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muliert, sind deshalb auch nicht wirklich gut miteinander zu vergleichen, aber sie zeigen zwei Möglichkeiten, wirklich Schuld zu bekennen. Bei Bonhoeffer ist das Kapitel „Schuld, Rechtfertigung, Erneuerung“ Teil eines größeren Ganzen, bestehend aus vier Kapiteln, die eigentlich zusammen mit dem Haupttitel „Ethik als Gestaltung“ überschrieben werden sollten.11 Für ihn ist das Schuldbekenntnis eine notwendige Bedingung für Erneuerung (darin sind sich Bonhoeffer und Iwand einig). Iwand schreibt ein „Wort zum politischen Weg unseres Volkes“ und meint, dass ein neuer Weg in der Politik mit einem Bekenntnis über das, was auf dem alten Weg falsch war, anfangen sollte.

Schuld, Rechtfertigung, Erneuerung „Es geht um das Gestaltwerden der Gestalt Christi unter uns.“12 (125) Mit diesem Eröffnungssatz wird deutlich, dass Bonhoeffer mit diesem Kapitel direkt an das Kapitel „Ethik als Gestaltung“ anschließt. Das zwischendurch geschriebene Kapitel „Erbe und Verfall“ muss meines Erachtens als ein historischer Exkurs verstanden werden. Es geht, so wiederholt er seine Formulierung aus dem früheren Kapitel, um den wirklichen, das ist der in Christus angenommene, gerichtete und erneuerte Mensch. Was ist nötig, um es möglich zu machen, dass Christus im Leben und im Handeln seiner Nachfolger wieder Gestalt annehmen kann? Das geht nur, meint Bonhoeffer, wenn die Kirche und die individuellen Christen sich vergegenwärtigen, was alles schief gegangen ist, wo sie, um mit dem Darmstädter Wort zu sprechen, in die Irre gegangen sind, und nur, wenn sie ihre Schuld gegenüber der ganzen Welt öffentlich bekennen. Das Gericht Gottes, dem wir uns zu unterwerfen haben, ist nicht ein endgültiges Urteil nach unserem Tod, sondern ein Gericht, das über uns kommt, um uns zu rechtfertigen und zu neuen Menschen zu machen. Der Christ fragt sich (ebenso wie die Kirche) in jeder Situation, was er falsch gemacht hat. Das Schuldbekenntnis gehört also in die christliche Ethik, wird hier auch in diesem Zusammenhang formuliert, aber ist immer Bekenntnis konkreter Schuld.13 In der Liturgie pflegen wir unsere Schuld

11 Eberhard Bethge hat das jedenfalls so verstanden und man sieht das auch in seiner Ausgabe der Ethik von 1948 (1. Druck) und 1962 (6. erneuerter Druck). Dass man Bethges Anordnung der Texte in den Dietrich Bonhoeffer Werken nicht übernommen hat, bedeutet nicht, dass man meinte, dass Bethge nicht recht hatte, aber man hat einfach alle Fragmente ohne Nummerierung und mit gleicher Buchstabengröße in chronologischer Reihenfolge aufgenommen. 12 Alle Zitate aus Bonhoeffers Ethik sind aus DBW 6 entnommen. Sie werden im Text mit Seitenzahlen in Klammern angegeben. 13 Das zeichnet auch das Spezifische an der Ethik Bonhoeffers aus. Er schreibt nicht eine Ethik, die in den kommenden Jahrzehnten als Lehrbuch benutzt werden kann. Er schreibt, so hat er

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im Allgemeinen zu bekennen, aber wir sollten auch konkret sagen, was wir falsch gemacht haben. Es ist nicht völlig deutlich, ob Bonhoeffer sein Schuldbekenntnis im Hinblick auf eine spätere Situation (nach dem Krieg) formuliert hat, oder – ich halte das Letztere eigentlich für das am meisten Wahrscheinliche – ob er gemeint hat, dass die Kirche (das müsste dann heißen: die Bekennende Kirche) schon damals – 1940 – hätte Schuld bekennen sollen. Aber in beiden Fällen ist der Zeitpunkt von großer Bedeutung. Wenn er im Herbst 1940 eine erste Skizze für eine Disposition seiner Ethik14 macht, notiert er als Reihenfolge für den ersten Teil: Ethik als Gestaltung – Erbe und Verfall – Schuld und Rechtfertigung – Kirche und Welt, Christus und die Gebote – Die vorletzten und die letzten Dinge – Der neue Mensch. Bonhoeffer hatte also zu dieser Zeit den Plan, über Schuld und Rechtfertigung in diesem Zusammenhang zu schreiben, hatte damit wahrscheinlich auch schon angefangen, aber hat dieses Kapitel erst im folgenden Jahr 1941 – so zeigt die Untersuchung von Papier und Tinte der Manuskripte15 – fertiggeschrieben. Deutschland befand sich im Herbst 1940, nach dem Sieg über Frankreich und nach der Unterzeichnung des Dreimächtepaktes mit Italien und Japan am 27. September, politisch und militärisch auf seinem Höhepunkt. Niemand in der Kirche (auch nicht in der Bekennenden Kirche) dachte auch nur eine Sekunde daran, Schuld zu bekennen. Aber Bonhoeffer wusste von den ersten Judendeportationen im Oktober desselben Jahres. Seine Zwillingsschwester Sabine war mit ihrem nichtarischen Ehemann Gerhard Leibholz da schon längst nach England emigriert. Dass gerade die Kirche das kaum sieht und sich deswegen überhaupt nicht schuldig fühlt, eben deshalb hat sie sich schuldig gemacht und soll sie diese Schuld vor Gott und der Welt bekennen. Es bleibt natürlich eine beängstigende Frage, ob die Kirche jemals Schuld bekannt hätte, wenn Deutschland den Krieg nicht verloren hätte! Bonhoeffer wählt den Dekalog als Modell für sein Schuldbekenntnis.16 Auf kaum anderthalb Seiten formuliert er, wie die Kirche „sich schuldig bekennt aller Zehn Gebote“ (131). In Bonhoeffers Formulierung gibt es übrigens neun und nicht zehn Abschnitte, er liest, wie in Lutherischen Kreisen gebräuchlich, die es jedenfalls selbst gegenüber seinem Untersuchungsrichter formuliert, auf Anfrage seiner Kirche, im Anschluss an sein Buch über die Nachfolge, eine ‚konkrete Ethik‘. 14 Abgedruckt in der Ethik-Ausgabe Bethges von 1949, 5. 15 Siehe dazu das Vorwort der Herausgeber in DBW 6, vor allem in der Fußnote 21 auf S. 12. 16 Im Kapitel über die Geschichte und das Gute nennt Bonhoeffer drei Abschnitte der Bibel, die ethisch von besonderem Gewicht sind: den Dekalog, die Bergpredigt und die apostolische Paränese (282). Wir dürfen annehmen, dass Bonhoeffer geplant hat, diese drei Texte auch ausführlich in seiner Ethik zu kommentieren. Leider hat er nur einige Fragmente davon realisieren können. Zweimal (S. 79 und S. 288) erinnert er an eine Aussage Luthers, dass der Christ „neue Dekaloge“ schreiben soll: „Im Gehorsam befolgt der Mensch den Dekalog Gottes, in der Freiheit schafft der Mensch neue Dekaloge“. Damit gibt Bonhoeffer einen Hinweis, auf welche Weise er diese zentralen Texte aktualisieren will.

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ersten zwei Gebote nach jüdischer Lesart (also der Text Ex 20,2–4) als eines, aber er liest auch, wie die Reformierten gewohnt waren, Ex 20,17 als ein Gebot und nicht als zwei, wie Katholiken und Lutheraner zu tun pflegen. 1. Die Kirche bekennt, ihre Verkündigung von dem einen Gott, der sich in Jesus Christus für alle Zeiten offenbart hat und der keine anderen Götter neben sich leidet, nicht offen und deutlich genug ausgerichtet zu haben. Sie bekennt ihre Furchtsamkeit, ihr Abweichen, ihre gefährlichen Zugeständnisse. Sie hat ihr Wächteramt und ihr Trostamt oftmals verleugnet. Sie hat dadurch den Ausgestoßenen und Verachteten die schuldige Barmherzigkeit oftmals verweigert. Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie. Sie hat das rechte Wort in rechter Weise zu rechter Zeit nicht gefunden. Sie hat dem Abfall des Glaubens nicht bis aufs Blut widerstanden und hat die Gottlosigkeit der Massen verschuldet.17 Also hat die Kirche nicht zu wenig geliebt und zu wenig bekannt (Stuttgarter Erklärung), sondern sie ist furchtsam gewesen gegenüber dem Nationalsozialismus18 und deshalb vom rechten Weg des Glaubens abgewichen und hat „gefährliche Zugeständnisse“ an den Nationalsozialismus gemacht. Dass dies aus Anlass des ersten Gebotes gesagt wird, macht außerdem deutlich, dass Bonhoeffer die Verehrung Hitlers und die Gleichschaltung des ganzen öffentliches Lebens als Götzendienst ansah. Das Wort ‚Wächteramt‘ benutzt Bonhoeffer zum ersten Mal in einem Brief vom 10. November 1935, den er im Namen des Predigerseminars in Finkenwalde an den Bruderrat der Altpreußischen Union schreibt, und hierin wird auch sehr präzise deutlich, was er mit diesem Begriff meint: Wir bitten die Kirchenleitung dringlichst, ihres Wächteramtes angesichts eines immer bedrohlicher werdenden pseudochristlichen Staatskultes eingedenk zu sein und in Fortführung der Dahlemer Botschaft vom März diesen Jahres unverzüglich ein klares Wort hierzu zu sagen.19

17 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 129. 18 Das Wort wird von Bonhoeffer nicht benutzt, so wie er auch nicht öffentlich über die Judenverfolgung spricht. Hätte er das getan, dann wäre der Besitz dieses Textes für ihn und für jeden anderen (z. B. seinen oft mitlesenden Freund Eberhard Bethge) lebensgefährlich gewesen. Ich hoffe jedoch deutlich zu machen, dass diese Kritik implizit, aber unübersehbar im Text anwesend ist und an diesem Problem nicht vorbeigegangen wird, wie es wohl in den Barmer Thesen und im Darmstädter Wort der Fall war. 19 DBW 14, 96.

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Schon früher im Jahr 1935 schreibt Bonhoeffer einen Aufsatz mit dem Titel Die Bekennende Kirche und die Ökumene20, worin er an einen im Januar 1934 von Bischof Bell von Chichester an den Reichsbischof Ludwig Müller geschriebenen Brief erinnerte, „in de[m] er diesen beschwor, seines Wächteramtes über die evangelische Christenheit in Deutschland eingedenk zu bleiben“21. Wenn man aber den ganzen Text des Briefes22 liest, stellt man fest, dass Bischof Bell überhaupt nicht vom ‚Wächteramt‘ redet und es also Bonhoeffers Interpretation seiner Worte ist. Das Wort ‚Trostamt‘ ist ein Neologismus, der nie im Duden aufgenommen wurde. Ich vermute, dass Bonhoeffer betonen wollte, dass diese beiden Aktivitäten, wachsam sein und trösten, für die Kirche wesentlich waren, aber unterlassen wurden. Das Wächteramt und Trostamt nicht wahrzunehmen heißt also, dass keine Barmherzigkeit an den Ausgestoßenen und Verachteten23 bewiesen wird, es heißt stumm zu bleiben, wo man schreien müsste. Mit dem Zitat aus Gen 4 über das Blut der Unschuldigen nennt er seine Kirche implizit einen Komplizen Kains.24 Dass sie das rechte Wort nicht gefunden hat, ist also nicht zu bedauern oder ein Versehen, sondern Schuld. „Denn ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden“ schreibt der Hebräerbrief 12,4. Dass wirklicher Widerstand Leiden bedeutet (bis aufs Blut), hat Bonhoeffer von Anfang an gewusst. Das gleiche Zitat aus dem Hebräerbrief benutzt er auch schon in einem Brief vom 28. April 1934, den er aus London an seinen Schweizer Freund Erwin Sutz schrieb: „Es geht immer um das Halten des Gebotes und gegen das Ausweichen“25. 2. Die Kirche bekennt, den Namen Jesu Christi mißbraucht zu haben, indem sie sich seiner vor der Welt geschämt hat und Mißbrauch dieses Namens zu bösen Zwecken nicht kräftig genug gewehrt hat. Sie hat es mitangesehen, daß unter dem Deckmantel des Namens Christi Gewalttat und Unrecht geschah. Sie hat aber auch die 20 Im August 1935 erschienen in der Zeitschrift Evangelische Theologie (2. Jg. Heft 7, 245–262). Hier zitiert aus DBW 14, 378–399. 21 DBW 14, 380. 22 Aufgenommen in Boyens, Kirchenkampf und Ökumene, 315f. 23 Man soll hier bedenken, dass Bonhoeffer schon in 1933 in „Kirche vor der Judenfrage“ geschrieben hat, dass die Versorgung der Opfer der Staatsgewalt immer Pflicht der Kirche ist. 24 Im Niederländischen Kirchengesangbuch gibt es ein Lied von Jan Wit, dessen dritte Strophe lautet: Heer, wij gedenken U; laat ons dan nooit vergeten / de mensheid zonder God, de mensheid zonder brood. / Het bloed van Abel roept nog steeds tot ons geweten. / Wie ’t zingend overstemt is Kains deelgenoot. Auf Deutsch: Herr, wir gedenken Dir; lasst uns dann nie vergessen / die Menschheit ohne Gott, die Menschheit ohne Brot. / Das Blut Abels ruft noch immer zu unserem Gewissen / Wer es singend übertönt ist Kains Komplize. 25 DBW 13, 129.

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offene Verhöhnung des heiligsten Namens ohne Widerspruch gelassen und ihr damit Vorschub geleistet. Sie erkennt, daß Gott den nicht unbestraft lassen wird, der so wie sie seinen Namen mißbraucht.26 Klar ist, dass Bonhoeffer hier ganz deutlich macht, dass dieses Gebot nicht „du sollst nicht fluchen“ bedeutet, sondern den Namen Gottes zu missbrauchen, ihn als Deckmantel zu benutzen. Missbrauch im Sinne dieses Gebotes ist ein doppelter: es bedeutet diesen Namen nicht zu benutzen (sich dafür schämen), wo es wohl geschehen soll, und diesen Namen zu benutzen, wo es nicht geschehen soll. Die Kirche hat sich vor allem am Ersteren schuldig gemacht. Sie hat nicht im Namen Gottes und Christi gesprochen, wo sie es hätte tun sollen, sie ist stumm geblieben. Sie hat nicht protestiert, als andere den Namen Gottes und Christi mit ihren eigenen (politischen) Wünschen und Auffassungen verbunden haben. Sie hat nicht protestiert, als Adolf Hitler proklamierte, dass er das Werk Gottes ausführt. Man war sogar froh, dass es wieder einen Führer gab, der an Gott glaubte. Anfang 1934 hatte zum Beispiel Martin Niemöller noch suggeriert, dass es vielleicht gut wäre, wenn alle Pfarrer des Pfarrernotbundes der NSDAP beitreten würden, damit deutlich gemacht werde, dass sie zwar für die Freiheit der Kirche kämpften, aber nichts gegen Hitler oder den Nationalsozialismus hätten. Ich bin mir nicht sicher, was Bonhoeffer mit der Formulierung „die offene Verhöhnung des heiligsten Namens“ meint. Es könnte sich hier um Aussagen handeln wie die des Hitlerjugendführers Baldur von Schirach: „Ich glaube nur an Deutschland“, und ähnliche ‚Glaubensaussagen‘ wie sie vor allem in Kreisen der SS gebräuchlich waren. Es könnte auch um Aussagen über „den Judengott“ des Alten Testaments gehen, es ist aber anzunehmen, dass Bonhoeffer konkrete Aussagen vor Augen hatte, wenn er von offener Verhöhnung redete. Wenn dem nicht widersprochen wird, dann wird es akzeptabel gemacht. Die Kirche hat, abgesehen von einem öffentlichen Wort, keine Mittel, um hiergegen aufzutreten. Deshalb kann sie nicht anders als erkennen (und hoffen), dass Gott dies nicht ungestraft lassen wird. 3. Die Kirche bekennt sich schuldig an dem Verlust des Feiertags, an der Verödung ihrer Gottesdienste, an der Verachtung der sonntäglichen Ruhe. Sie hat sich an der Rastlosigkeit und Unruhe, aber auch an der Ausbeutung der Arbeitskraft über den Werktag hinaus schuldig gemacht, weil ihre Predigt von Jesus Christus schwach und ihr Gottesdienst matt war.27

26 DBW 6, 129. 27 DBW 6, 130.

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Sonntagsruhe hat für Bonhoeffer mehrere Aspekte. Deutlich ist in der Formulierung, dass der Gottesdienst im Zentrum steht. Wenn die Gottesdienste keinen Spirit mehr haben, wenn es nicht mehr spannend, nicht mehr inspirierend ist an einem Gottesdienst teilzunehmen, dann verliert auch der Sonntag seine Feierlichkeit. Er macht hier eine Aussage, die uns auch heute zu denken gibt: Wenn es leer wird in den Kirchen, dann hat die Kirche Schuld. Aber er sieht auch den sozialen Aspekt der Sonntagsruhe. Das Leben wird, auch für nichtkirchliche Menschen, rastlos, man verliert Zeit um nachzudenken, um zu sich zu kommen. Und dann gibt es auch noch diejenigen, die unnötig am Feiertag arbeiten müssen, denen es überhaupt nicht möglich ist, am Gottesdienst teilzunehmen. Natürlich ist der Beschluss, Sonntagsruhe oder nicht Sonntagsruhe, keine Sache, über die die Kirche zu entscheiden hat. Doch spricht Bonhoeffer auch hier von Schuld. Er meint meines Erachtens nicht, dass die Kirche große Kampagnen für den Erhalt des Feiertages führen soll, sondern dass sie so begeisternd und überzeugend da sein soll, dass jeder sieht, es ist gut, dass es einen Feiertag gibt. 4. Die Kirche bekennt, an dem Zusammenbruch der elterlichen Autorität schuldig zu sein. Der Verachtung des Alters und der Vergötterung der Jugend ist die Kirche nicht entgegengetreten aus Furcht, die Jugend und damit die Zukunft zu verlieren, als wäre ihre Zukunft die Jugend! Sie hat die göttliche Würde der Eltern gegen eine revolutionierende Jugend nicht zu verkündigen gewagt und hat den sehr irdischen Versuch gemacht „mit der Jugend zu gehen“. So ist sie schuldig an der Zerstörung unzähliger Familien, an dem Verrat der Kinder an ihren Vätern, an der Selbstvergötterung der Jugend und damit an ihre Preisgabe an den Abfall von Christus.28 Wer diesen Text heute außerhalb seines historischen Kontexts liest, muss Bonhoeffer wohl für erzkonservativ halten. ‚Wer die Jugend hat, hat die Zukunft‘, das ist auf Deutsch und auf Niederländisch (und wahrscheinlich in mehreren europäischen Sprachen) ein Sprichwort. Keiner wird heute verneinen, dass es wichtig und nützlich ist, auf die Jugend zu hören und sie ernst zu nehmen, auch wenn sie etwas völlig anderes wünschen, als wir Älteren für gut halten. Aber das meint Bonhoeffer mit diesem Text nicht. Es gab in Deutschland seit 1934 keinen unabhängigen (kirchlichen oder nichtkirchlichen) Jugendverein mehr, sie waren alle eingegliedert in die Hitlerjugend und Reichsbischof Müller hatte dem sogar zugestimmt. Die sog. Gleichschaltung hatte dafür gesorgt, dass in der Hitlerjugend und in der Schule dieselbe Sprache gesprochen und dieselbe Ideologie verbreitet wurde. Mit endlosem ‚Heil Hitler‘ und militärischer Ausbildung ab den Unterstufen wurden die Kinder diszipliniert. Wie Baldur von Schirach sollten sie 28 Ebd.

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nur noch an Deutschland glauben. Sie wurden aufgefordert, ihren eigenen Vätern und Müttern nachzuspionieren und sie zu verleumden. Sie sollten das Bewusstsein eines Herrenvolkes entwickeln. Es ging tatsächlich nicht nur um die Vergötterung der Jugend, sondern auch um die Selbstvergötterung der Jugend. Sie wurde gelehrt, an ihre eigene Superiorität zu glauben, und es gab kaum Eltern, die es wagten zu widersprechen. Die Jugend war uniformiert und wurde damit deutlich und sichtbar Teil des uniformierten und gleichgeschalteten Deutschlands. Diese jungen Kinder waren es, die sich in den letzten Kriegstagen, meistens gezwungen, aber auch sehr oft als Freiwillige, in die deutsche Armee inkorporieren ließen und dabei oft ums Leben kamen. Teilnahme an der Hitlerjugend bedeutete automatisch Abfall von Christus, denn die Hitlerjugend hatte ihre eigenen Rituale und ‚Glaubensbekenntnisse‘. Sie trafen sich in der Regel am Sonntag, um den Kirchgang (das könnte unkontrollierbare Beeinflussung bedeuten) zu verhindern. Bonhoeffer hat sich intensiv mit Jugendangelegenheiten beschäftigt. Am 1. Februar 1933 sprach er im Rundfunk über das Thema „Der Führer und der Einzelne in der Jungen Generation“29. Bonhoeffers Hauptthese in diesem Vortrag war: Es gibt zwei Arten von Führung, Führung von unten und Führung von oben. Die Führung von unten ist vor allem an die Person des Führers gebunden, die Führung von oben an das Amt des Führers. Das Amt begrenzt die Freiheit des Führers und das ist gesund. Ohne diese Grenzen kann der Führer zum Verführer werden. Die Gedanken, die wir in diesem Schuldbekenntnis finden, hat es bei Bonhoeffer schon früh gegeben. Im August 1933 schreibt er acht Thesen zur Jugendarbeit der Kirche.30 Die erste These lautet: Es hat seit der Jugendbewegung der kirchlichen Jugendarbeit oft die christliche Nüchternheit gefehlt, aus der heraus allein sie gewusst hätte, dass der Geist der Jugend nicht der Heilige Geist, dass die Zukunft der Kirche nicht die Jugend, sondern der Herr Jesus Christus allein ist. Aufgabe der Jugend ist nicht Neugestaltung der Kirche, sondern Hören des Wortes Gottes, Aufgabe der Kirche ist nicht Eroberung der Jugend, sondern Lehre und Verkündigung des Wortes Gottes.31

5. Die Kirche erkennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Haß, Mord, gesehen zu haben ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie ist schuldig geworden am Leben der Schwächsten und Wehrlosesten Brüder Jesu Christi.32

29 30 31 32

DBW 12, 242–260. Ebd., 508–509. DBW 12, 508. DBW 6, 130.

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Wer den letzten Satz liest, wird (auch wenn Deutsch nicht seine Muttersprache ist) bemerken, dass ‚Schwächsten‘ und ‚Wehrlosesten‘ als Adjektive eigentlich kleingeschrieben werden sollten. In den beiden Ausgaben von Bethge (1. und 6. Druck) ist das auch gemacht worden. Wahrscheinlich hat Bethge die Großbuchstaben als Fehler Bonhoeffers angesehen, die er stillschweigend verbessert hat. In der DBW-Ausgabe stehen die Großbuchstaben wieder im Text, weil man festgestellt hat, dass „Brüder Jesu Christi“ später hinzugefügt wurde. „Wohl um den Hinweis insbesondere auf die Juden unübersehbar zu machen“, schrieben die Herausgeber des DBW-Bandes in einer Fußnote33. Durch diesen Zusatz wird der ganze Absatz auf die Judenverfolgung bezogen. Es gab viele Formen der Verfolgung und Diskriminierung, denen die Juden unterworfen wurden, aber Bonhoeffer bringt sie in diesem Abschnitt zusammen, unter der Überschrift „Du sollst nicht töten“. Er wusste, oder vermutete wenigstens, worauf diese Diskriminierung hinauslaufen musste. Sehr viel später haben amerikanische Bürgerrechtler wie Martin Luther King und Abraham Jehoschua Heschel gesagt und geschrieben: Dass schlechte Menschen schlechte Dinge getan haben, war schlimm, aber noch schlimmer war, dass so viele ‚gute‘ Menschen weggeschaut haben.34 Wir, das heißt die Kirche, schreibt Bonhoeffer, haben es gesehen und wir haben nichts getan. Und deshalb sind wir schuldig. Nicht nur (mit)schuldig an der Diskriminierung, sondern schuldig am ‚Leben‘ der Schwächsten und Wehrlosesten. Warum Bonhoeffer, fast als Einziger, von Anfang an für das Schicksal der Juden empfindlich war, darüber wurde schon sehr viel geschrieben. Das hat zweifellos auch damit zu tun, dass er, anders als die meisten Pfarrer,35 von Jugend an Kontakt mit Juden hatte. Vielleicht hat es mit dem Beruf seines Vaters (dieser war Psychiater und es gab viele jüdische Psychiater) zu tun und später mit seiner Freundschaft mit Franz Hildebrandt und Gerhard Leibholz, dem Ehe33 Ebd., Fußnote 21. 34 Das genaue Zitat Kings: „The greatest threat of mankind is not evil or bad people, but the passivity of good people” wird zahllose Male zitiert, immer mit der Erwähnung, das es von King stammt, aber nie mit einer konkrete Stelle. Keith Miller weist in seinem Buch Voices of Deliverance. The Language of Martin Luther King Jr. and ist Sources, nach daβ King sehr oft seine nicht selten berühmt geworden Aussagen von anderen ‚geliehen‘ hat, aber nennt diese nicht und nehmt also wohl an, daβ diese tatsächlich von King stammt. Susannah Heschel schreibt in ihrem Vorwort zu A.J. Heschel, The Prophets, xviii: „The opposite of good, he wrote, is not evil, the opposite of good is indifference“. 35 Wie bekannt, haben sowohl Martin Niemöller als auch Karl Barth sich darüber nach dem Krieg geäußert. Niemöller spricht von sein ‚Traditioneller Antisemitismus‘ in einen FernsehInterview für das ZDF am 30. Oktober 1963 (Abgedruckt in: Martin Niemöller, Eine Welt oder keine Welt, 219–220) und Barth gestand in eine Brief an Friedrich-Wilhelm Marquardt aus dem Jahr 1967, dass er sich in Anwesenheit von Juden immer etwas unbequem gefühlt hat. (Barth, Gesamtausgabe Briefe 1961–1968, 421) Kirche und Synagoge waren zwei völlig verschiedene Welten, man kannte einander nicht und war (deshalb) einander gegenüber argwöhnisch.

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mann seiner Zwillingsschwester Sabine. Theologisch ringt Bonhoeffer sich erst später zu einem anderen Verstehen des Alten Testaments durch (wie zu lesen ist in Widerstand und Ergebung). In seinen frühen Schriften spricht er noch von der Schuld dieses Volkes und geht aus von dem Gedanken, dass mit Christus die Kirche an die Stelle des jüdischen Volkes getreten ist. Aber auf der Ebene der sozialen Beziehungen ist Bonhoeffer von Anfang an in seinem Umgang mit Juden unbefangen gewesen. Und gerade in der Ethik, als er wegen der immer deutlicheren und heftigeren Verfolgung der Juden über die Haltung der Kirche gegenüber den Juden nachdenkt, kommt er zu neuen Einsichten und schreibt dann im Kapitel ‚Erbe und Verfall‘ den berühmten Satz: „Der Jude hält die Christusfrage offen“.36 Es ist schwierig genau fest zu stellen, was Bonhoeffer damit gemeint hat.37 Soweit ich weiß, hat er es nirgends in seinen Schriften wiederholt oder erläutert. Ich verstehe es so: Solange es Juden gibt, ist die Frage aktuell, ob Jesus der Christus, der verheißene Messias ist. Und solange es Juden gibt, sollten die Christen in ihrem Handeln, in ihrer Gestaltung Jesu Christi deutlich machen, dass Christus gekommen ist und in seiner Gemeinde existiert. Das Judentum hält den Christen einen Spiegel vor. Wenn dieser Spiegel verschwindet, verschwindet auch das Bild im Spiegel, dann hat das Christentum kein „Gegenüber“ mehr. 6. Die Kirche bekennt, kein wegweisendes und helfendes Wort gewußt zu haben zu der Auflösung aller Ordnung im Verhältnis der Geschlechter zueinander. Sie hat der Verhöhnung der Keuschheit und der Proklamation der geschlechtlichen Zügellosigkeit nichts Gültiges und Starkes entgegensetzen gewußt. Sie ist über eine gelegentliche moralische Entrüstung nicht hinausgekommen. Sie ist damit 36 DBW 6, 95. 37 Verschiedene Autoren haben sich zu diesem Satz geäußert, der wohl angedeutet ist als „vielleicht der wichtigste aus Bonhoeffers Ethik”. 1980 schrieb Eberhard Bethge noch „Dieses Stück ist im Frühherbst 1940 geschrieben“ ( Bethge, Dietrich Bonhoeffer und die Juden, 200). Von einer späteren Datierung der Bemerkung „Die Jude hält die Christusfrage offen“ ist noch nicht die Rede. In DBW 6 (1992) wird (zum ersten Mal?) in einer Fußnote (S. 95) erwähnt, dass es eine Randschrift betrifft. Vielleicht zu lobend schreibt Bertold Klappert über Bonhoeffers Schuldbekenntnis und insbesondere über das, was darin zum Judentum gesagt wird, dass es sachlich wirke „wie eine Vorwegnahme nicht nur des Stuttgarter ökumenisches Schuldbekenntnisses, sondern auch des Darmstädter Wortes und des rheinischen Synodalbeschlusses“. (Klappert, Weg und Wende Bonhoeffers, 80). Die wohl ausführlichste Besprechung dieses Satzes findet man bei Wolfgang Gerlach in seinem Beitrag „‚Der Jude hält die Christusfrage offen‘. Zu einer Theologie nach der Shoa im Gespräch mit Dietrich Bonhoeffer“, 281–292. Auch er nennt es einen‚ebenso rätselvollen wie vielsagenden Satz‘ (S. 282). Andreas Pangritz sieht einen Zusammenhang mit einem Satz in Karl Barths Kirchlichen Dogmatik (II/ 2, 318): „Wer Jesus im Glauben hat, der kann die Juden nicht nicht haben wollen, der muss sie auch als die Vorfahren und Verwandten Jesu mithaben. Sonst verwirft er mit den Juden Jesus selber.“ (Pangritz, Marginalie zu Bonhoeffers Ethik).

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schuldig geworden an der Reinheit und Gesundheit der Jugend. Sie hat die Zugehörigkeit unseres Leibes zum Leib Christi nicht stark zu verkündigen gewußt.38 „Gut ist was dem Volke nutzt“. Das war der Ausgangspunkt der ‚Nationalsozialistischen Ethik‘. Wenn das Volk mehr Kinder braucht, dann soll es mehr Kinder bekommen. Dazu wurde schon am 12. Dezember 1935 in Berlin von Heinrich Himmler, dem Reichsführer der SS, der Lebensborn Verein gegründet. Auch die Sexualauffassungen wurden dieser Auffassung untergeordnet. Sexueller Verkehr mit Nichtarischen wurde streng bestraft, sexueller Verkehr vor allem von SS-Leuten mit ‚Reinrassischen‘ war in Ordnung, innerhalb oder außerhalb der Ehe, freiwillig oder gezwungen. Es geht Bonhoeffer auch hier in erster Instanz nicht um ein moralisches Urteil, sondern um Protest gegen diese Praxis. Deshalb spricht Bonhoeffer nicht von der geschlechtlichen Zügellosigkeit, sondern von der ‚Proklamation‘ der geschlechtlichen Zügellosigkeit. Individuelle sexuelle Überschreitungen hat die Kirche getadelt, aber über diese ‚Proklamation‘ von Seiten des Staates hat sie geschwiegen. Dadurch ist sie „schuldig geworden an der Reinheit und Gesundheit der Jugend“. Bonhoeffer sagt nicht, dass die Kirche an der Zügellosigkeit der Jugend schuldig ist. Gegen diese hat sie noch ihre „moralische Entrüstung“ kenntlich gemacht. Aber dass sie geschwiegen hat über diese neue ‚Staatsmoral‘, damit hat sie der Jugend geistlich, moralisch und physisch geschadet. Man könnte fragen: ‚Was hätte sie dann überhaupt dagegen machen können?‘ Bonhoeffer sagt: Sie hätte ihre Jugend durch die richtige Verkündigung moralisch und geistlich zurüsten können. Bonhoeffer verspricht sich hier noch sehr viel von der Verkündigung, und was sollten wir als Diener und Dienerinnen des göttlichen Wortes auch anderes machen. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis Bonhoeffer schreiben wird: Die Zeit, in der man das den Menschen durch Worte – seien es theologische oder fromme Worte – sagen könnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, und d. h. eben die Zeit der Religion überhaupt.39

Natürlich wollen wir keine Moralprediger sein, und es ist – auch in unserer Zeit – unwahrscheinlich schwer das richtige Wort – noch abgesehen von der Frage, ob es gehört wird – zu finden und zu sprechen. Aber wir können nichts anderes sagen, als dass Bonhoeffer hier ein biblisches und ein richtiges Wort gesprochen hat: Auch unsere Leiber gehören zum Leib Christi, und wir sollten darüber nachdenken, was das zu bedeuten hat.

38 DBW 6, 130f. 39 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 402–403.

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7. Die Kirche bekennt, Beraubung und Ausbeutung der Armen, Bereicherung und Korruption der Starken stumm mitangesehen zu haben.40 Es ist viel darüber gesprochen und geschrieben worden – gerade weil er selbst in seinen Schriften darüber nie vollkommen deutlich gewesen ist –, wo Bonhoeffer politisch gestanden hat. Wir wissen, dass er 1933 erklärt hat, die Zentrumpartei gewählt zu haben, weil er hoffte, dass diese Partei – weil seiner Ansicht nach Kommunisten und Sozialisten sowieso aus dem Reichstag vertrieben werden würden – als einzige vielleicht noch Opposition gegen Hitler machen könnte. Hier spricht Bonhoeffer bewusst das Soziale an. Ich habe den Eindruck, dass er hier nicht speziell über die Zeit des Nationalsozialismus spricht, sondern von einer längeren Geschichte, in der sich die Kirche in der ‚Sozialfrage‘ abseits gehalten hat (oder vielleicht sogar auf der falschen Seite gestanden hat). Das Gebot lautet: „Du sollst nicht stehlen“ und auch hier versucht Bonhoeffer dieses Gebot gesellschaftlich zu verstehen und macht damit eine politische Aussage: Ausbeutung der Armen ist Stehlen! Die Kirche hat nicht auf der Seite der Armen und Ausgebeuteten gestanden und damit hat sie sich schuldig gemacht. Ich vermute, dass Bonhoeffer sogar in dieser Pflichtverletzung der Kirche eine Mitursache des Erfolges des Nationalsozialismus gesehen hat. Auch die NSDAP hat sich selbst verstanden als eine – sei es auch pervertierte – Arbeiterpartei, auch sie hat ihre Mitglieder rekrutiert aus Menschen, die von der Kirche enttäuscht waren. In dem oben zitierten Brief vom 30. April 1944 spricht Bonhoeffer auch von „de[m] religionslosen Arbeiter oder Menschen überhaupt“41 und ich glaube, dass Bonhoeffer in diesem Absatz, Bezug nehmend auf das Bibelwort „Du sollst nicht stehlen“, sagen will: Die Religionslosigkeit der Arbeiter ist Schuld der Kirche. Auch hier hat sie das befreiende Wort für die Armen nicht überzeugend genug (oder gar nicht) verkündigt. Bis jetzt hat Bonhoeffer von ‚angesehen‘, ‚geschwiegen‘, ‚stumm‘ und ‚mitangesehen‘ gesprochen, hier schreibt er als eine Art Klimax: ‚stumm mitangesehen‘. Die Kirche war auch wirklich nicht die Einzige; eine ganze Gesellschaft hat es erlebt und – mit Ausnahme der Arbeiterbewegung – über dieses Unrecht geschwiegen. ‚Stumm‘ ist hier stärker als ‚schweigend‘. Durch stumm zu bleiben wird jemand stumm gemacht. 8. Die Kirche bekennt, schuldig geworden zu sein an den Unzähligen, deren Leben durch Verleumdung, Denunzieren, Ehrabschneidung vernichtet worden ist. Sie

40 DBW 6, 131. 41 DBW 8, 405.

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hat den Verleumder nicht seines Unrechts überführt und hat so den Verleumdeten seinem Geschick überlassen.42 Hier wird nicht davon gesprochen, dass sie dieses Übel mitangesehen hat, sondern einfach, dass die Kirche schuldig geworden ist. Das könnte heißen, Bonhoeffer meinte, dass die Kirche nicht selber an diesen Verleumdungen beteiligt hat, aber dass sie zumindest versäumt hat, etwas dagegen zu sagen, und so versäumt hat, die Verleumdeten in Schutz zu nehmen. Denunzierung konnte zum Tod des Denunzierten führen. Vor allem nach Kriegsbeginn und immer stärker als es Deutschland im Krieg schlechter ging, wurden Menschen, die sich negativ über den Krieg geäußert hatten oder von denen behauptet wurde, dass sie sich negativ geäußert hätten, sehr streng bestraft. Auch in der Kirche war die Angst vor Verleumdung groß. Vielleicht gab es Menschen, die mitschrieben, was der Pfarrer sagte. Weil man es nicht wagte, etwas darüber zu sagen, wuchs die Angst und entstand eine Atmosphäre, in der jeder jedem misstraute. Die Verleumdung war übrigens auch ein Kampfmittel innerhalb der Partei. In Ungnade gefallene hohe Funktionäre wurden nicht selten zum Zurücktreten oder sogar zum Selbstmord gezwungen, z. B. weil erzählt wurde, sie seien homosexuell oder sie hätten eine außereheliche Beziehung. Die einfache Tatsache, dass Bonhoeffer das hier schreibt – obwohl er wusste, dass er das während des Krieges nie publizieren konnte – war unwahrscheinlich mutig. 9. Die Kirche bekennt, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre, auf die sie keinen Anspruch hatte und so die Begierden der Menschen nicht gezügelt, sondern gefördert zu haben43. Das Evangelium von ‚greed is good’44 musste damals noch geschrieben werden und Alles, was Bonhoeffer hier aufzählt gilt jetzt als nacheifernswert. Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre, was ist dagegen einzuwenden? Das sowieso schon schwierig auszulegende Gebot ‚Du sollst nicht begehren‘ wird von Bonhoeffer noch schwieriger gemacht. Er wirft die Frage auf: Was begehren wir eigentlich? Unsere eigene Sicherheit, unsere eigene Ruhe usw.? Ich höre hier in erster Instanz Bonhoeffers Kritik an der Kirche (die Bekennende Kirche nicht ausgenommen), die er später in Widerstand und Ergebung deutlicher formulieren wird: Die Kirche ist vor allem beschäftigt mit Selbsterhalt! Sie will die Möbel retten. Sie hat 42 DBW 6, 131. 43 Ebd. 44 Die Aussage scheint ursprünglich von der Amerikanerin Ayn Rand (1905–1982) zu sein, wurde aber berühmt als Aussage von Gordon Gekko, gespielt durch Michael Douglas, in dem Film Wall Street.

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sich nicht gefragt, ob ihre Sicherheit auch die Sicherheit von Anderen bedeutete usw., sie hat einfach ihre eigenen Interessen vertreten und hat so dazu beigetragen, dass alle Menschen ebenso ihren eigenen Interessen nachjagten. Je größer die Angst, je größer die Unsicherheit, umso mehr werden die eigenen Sachen, die eigenen Kinder, die eigenen Familien verteidigt. Das hört sich als eine normale menschliche, allzu menschliche Angelegenheit an, aber wenn Alle das machen, wie soll es dann denjenigen gehen, die keine Helfer haben, deren Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre geraubt wird? Da macht man sich schuldig, und vor allem die Kirche, die gerade für diejenigen da sein soll, die keine Helfer haben, macht sich schuldig. Eine Kirche die für Andere da ist, wäre eine Kirche, die einstehen will für Sicherheit, Ruhe, Besitz und Ehre von Anderen. „Die Kirche bekennt sich schuldig aller 10 Gebote, sie bekennt darin ihren Abfall von Christus“45, schreibt Bonhoeffer dann als Schlussfolgerung. In der Lutherischen Liturgie werden die zehn Gebote am Bußtag gelesen. Wenigstens einmal im Jahr sollte die Kirche sich fragen, was sie falsch gemacht hat, und inwiefern sie die Gebote übertreten hat. Ich glaube deshalb nicht, dass dieser Text als Schuldbekenntnis für die Kirche, um es nach dem Krieg auszusprechen, gemeint ist (es wäre trotzdem nicht schlecht gewesen, wenn sie das gemacht hätte), sondern als Aufforderung zum Schuldbekenntnis in der konkreten Situation der Kirche im Jahre 1940/1941 gedacht war. Indem Bonhoeffer diesen Text in seine Ethik aufnimmt,46 wird er exemplarisch: So kann man als Kirche (vielleicht jedes Jahr) ein konkretes und aktuelles Schuldbekenntnis formulieren. Das stimmt nach meiner Einsicht überein mit Bonhoeffers positiver Wertung der Beichte, über die er in Gemeinsames Leben schrieb. So wie der individuelle Christ regelmäßig seine Beichte spricht, so soll die Kirche das als Kirche auch kollektiv tun. Ob er dabei an Bußtag gedacht hat, oder an den jüdischen Brauch des Jom Kippurs, können wir leider nicht mehr feststellen, aber sicher ist, dass Bonhoeffer diese Praxis für wichtig hielt. Schon im Frühjahr 1947 (es gab noch kaum Papier, um Bücher drucken zu lassen) erschien Walter Kunneths Schrift: „Der Große Abfall“. Er wusste ganz genau, wer schuld war, es war die Säkularisierung, die mit Darwin und Nietzsche angefangen hat. Die Schuld lag also außerhalb der Kirche, und das Einzige, was die Kirche sich vorzuwerfen hatte, war, dass sie die Tarnung, mit der der unchristliche Nationalsozialismus sich als christlich ausgegeben hat, nicht immer sofort durchschaut hatte. Wie anders schreibt Bonhoeffer: Die Kirche hat ihren 45 DBW 6, 131. 46 Es sind Texte in seine Ethik aufgenommen, von denen wir uns nachher fragen können, ob sie auch für diese gedacht waren, aber hier gibt es eigentlich keinen Zweifel. Dieser Text gehört organisch in den Zusammenhang, in den er aufgenommen ist, und er gehört zu jenem Teil der Ethik, von dem wir – anders als bei den späteren Kapiteln – annehmen dürfen, dass Bonhoeffer ihn als mehr oder weniger abgeschlossen angesehen hat.

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Abfall von Christus zu bekennen. Sie sagt damit nicht, das andere keine Fehler gemacht haben, aber sie weiß, ein Schuldbekenntnis wird gemacht ohne auf die Schuld des Anderen zu blicken. Die Kirche sieht primär ihre eigene Schuld und dadurch, dass sie diese Schuld öffentlich vor Gott und vor der Welt bekennt, ruft sie auch andere auf, über ihre Schuld nachzudenken und diese zusammen mit der Kirche zu bekennen.

Das Darmstädter Wort Ob Hans Joachim Iwand (oder Martin Niemöller, Karl Barth oder Hermann Diem, die auch am Darmstädter Wort mitgeschrieben haben) Bonhoeffers Text gekannt hat, wissen wir nicht absolut sicher, aber es gibt gute Gründe davon auszugehen, dass dies nicht der Fall war. Die erste Ausgabe der Ethik erschien erst 1949, das Vorwort Eberhard Bethges war datiert auf den 9. April 1948. Während des Krieges war es außerordentlich gefährlich, von diesem Text zu wissen, wahrscheinlich hat zu dieser Zeit nur Bethge Kenntnis aller Texte gehabt. Erst nach dem Krieg kamen die Texte wieder aus ihrem Versteck und wurden von Bethge bearbeitet. Aber das wichtigste Argument ist doch, dass keiner der oben genannten Schriftsteller auf den Text Bonhoeffers verwiesen hat. Wie gut Bonhoeffer und Iwand einander kannten, ist auch nicht ganz deutlich. Natürlich wussten sie voneinander. Sie waren in den Jahren 1935–1937 ‚direkte Kollegen‘, als Bonhoeffer mit der Leitung des Predigerseminars der BK für Pommern in Finkenwalde beauftragt und Iwand für das Seminar in Bloestau für Ostpreußen zuständig war. Jürgen Seim schreibt in seiner Biographie Iwands,47 dass Iwand und Bonhoeffer sich vermutlich erstmals im niederländischen Doorn bei einer Konferenz vom 14. bis 16. April 1936 trafen. Ich nehme an, dass die Vermutung Seims falsch ist. Bethge spricht in seiner Bonhoefferbiographie überhaupt nicht von einer Reise Bonhoeffers in die Niederlande. Dass dieses Treffen stattgefunden haben soll und von Bethge nicht erwähnt wurde, ist umso unwahrscheinlicher, weil er dort Barth getroffen hätte, und Bethge über alle Begegnungen Bonhoeffers mit Barth ausführlich schreibt. Viel wahrscheinlicher ist, dass die beiden sich schon eher, nämlich auf der Steglitzer Synode der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union vom 23. bis 26. September 1935, begegnet sind. Hans Joachim Iwand war als Abgeordneter von Ostpreußen anwesend, hat auf dieser Synode auch eine Morgenandacht (über die Nachfolge) 48 gehalten, Dietrich Bonhoeffer war als Gast anwesend mit seinen Seminaristen – Wilhelm Niemöller und Bethge sprechen beide (Niemöller im Anschluss an Bethge) von 47 Seim, Iwand, 175. 48 Text dieser Andacht bei Niemöller, Die Synode zu Steglitz, 159–162.

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einer ‚Pressure-group‘.49 Es ging ja um die Zukunft der Bekennenden Kirche und damit auch um ihre Zukunft. Mit Bonhoeffer hofften die jungen Gäste – und dafür kämpften sie auch –, dass nicht von der Dahlemer Linie abgewichen wurde. Ganz bestimmt haben Bonhoeffer und Iwand einander auf einer Sitzung der Predigerseminardirektoren am 27. April 1936 getroffen. In den ersten zwei Wochen vom August 1936 war die Olympiade in Berlin. Die Kirchenausschüsse der Reichskirche machten ein Angebot für die Gäste der Spiele, und der Berliner Bruderrat machte ein eigenes Angebot: In der ersten Woche gab es Vorträge von Gerhard Jacobi, Bonhoeffer und Iwand, in der zweiten Woche von Asmussen, Dibelius und Niemöller. Bis zur Verhaftung Bonhoeffers im Vorjahr 1943 haben die beiden sich noch wenigstens einmal getroffen.50 Als ‚Dahlemiten’ waren sie im Kampf verbunden, aber lange nicht in allem übereinstimmend. Bonhoeffer fand zum Beispiel die Entmythologisierungsthese von Bultmann spannend, Iwand fand sie schrecklich. Bonhoeffer war von Anfang an Kriegsgegner, Iwand gestand später, als er sich deutlich gegen den Atomkrieg aussprach, „dass er nicht als Kriegsgegner geboren war“.51 Ob Iwand, wenn er das Schuldbekenntnis von Bonhoeffer 1941 gekannt hätte, mit dessen Radikalität übereingestimmt hätte, und ob Bonhoeffer, wenn er gelebt hätte, 1947 mit Iwands Darmstädter Wort übereingestimmt hätte, ist natürlich nicht festzustellen. Aber ich vermute, dass Iwand sich nicht gegen Bonhoeffers Bekenntnis und Bonhoeffer sich nicht gegen Iwands Darmstädter Wort ausgesprochen hätte.52 Ich sage das deshalb, weil im Darmstädter Wort der Geist Barmens (im definitiven Text vor allem wegen des Beitrages Karl Barths) deutlich zu spüren ist und Bonhoeffer sich auch nie gegen Barmen ausgesprochen hat, trotz des offensichtlichen Defizits, dass nicht vom Schicksal der Juden gesprochen wurde.

49 Vgl. ebd., 15. Er verweist in Fußnote 9 auf Bethge, Bonhoeffer, 555ff. 50 Am 26. Juli 1939 kam Bonhoeffer auf der Rückreise aus Amerika in Dortmund bei Iwand zu Besuch (Bethge, Bonhoeffer, 744; Seim, Iwand, 245–246). Worüber die beiden gesprochen haben? Bethge vermutete über die Seminararbeit, Seim meint über den anstehenden Krieg. In diesem Fall muss Seim rechthaben. Er bezieht sich auf eine Aussage Iwands aus dem Jahr 1957 im Gespräch mit Burdach: „Ich erinnere mich an ein letztes Gespräch, das ich mit Dietrich Bonhoeffer darüber (über den Pazifismus) hatte, wo ich Zweifel gegenüber seiner Neigung zum Pazifismus zum Ausdruck brachte.“ (zitiert bei: Klappert, Miterben der Verheißung, 241). 51 Das war Bonhoeffer natürlich auch nicht, aber ich verstehe diese Aussage Iwands so, dass er damit sagen wollte, dass er nicht von Anfang an Gegner dieses Krieges gewesen ist. 52 Ob Bonhoeffer mit dem genauen Wortlaut des Darmstädter Wortes übereingestimmt hätte, ist natürlich nicht festzustellen, aber dass er einverstanden gewesen wäre mit der Kritik an der Restauration und dem neuen Nationalismus der Nachkriegszeit meinte auch Dieter Schellong, als er schrieb: „In jedem Fall ist deutlich, dass Bonhoeffer für die Art der Kirchlichen Restauration, die wir in Deutschland nach 1945 erlebten, nichts übrig gehabt hätte.“ (Dieter Schellong, „Kirchliches Schuldbekenntnis“, in: Ernst Feil (Hg.), Verspieltes Erbe, 48f).

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Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Texten besteht darin, dass anders als in Bonhoeffers Text in Iwands Text und auch im definitiven Text des Darmstädter Wortes kein Wort über die Juden, oder über die Schuld der Kirche oder der Deutschen den Juden gegenüber geschrieben wurde.53 Vor allem bei Iwand ist das auffällig, weil er wie Bonhoeffer im persönlichen Kreis Juden kannte. Seine Schwiegermutter war jüdischer Abstammung und ein Schwager war, weil Jude, emigriert. Dass in Barmen nicht von den Juden gesprochen wurde, kann man, ohne damit übereinzustimmen, einigermaßen verstehen: Wäre da von der Judendiskriminierung gesprochen worden, dann hätte es aller Wahrscheinlichkeit nach nie Barmer Thesen gegeben. Aber weshalb wurde im Jahr 1947, als es nicht mehr gefährlich war, noch immer geschwiegen? Vielleicht hat hier eine Rolle gespielt, dass das Darmstädter Wort nicht als Schuldbekenntnis, sondern als „Wort zum politischen Weg unseres Volkes“ geschrieben wurde. Dass die überlebenden Juden darin kaum noch eine Rolle spielten, war deutlich, könnte man mit dem nötigen Zynismus feststellen. Oder hatte man wirklich geglaubt, dass die Judenverfolgung ausschließlich Sache der Nazis gewesen sei und die Kirche sich darin nicht schuldig gemacht hätte? Oder war es in der Formulierung „aller Schuld“ inbegriffen? Aber wenn das der Fall war, sollte man doch auch die Notwendigkeit gespürt haben, das explizit zu sagen. Seim schreibt in seiner Biographie: Die 1947 das Darmstädter Wort sprachen, taten das in einem Augenblick, in dem die unselige Ost-West-Spaltung nicht allein Europas, sondern der Welt sich abzeichnete und in dem die antikommunistische Tradition des Faschismus und Nationalsozialismus ungebrochen fortgeführt wurde. In dem Augenblick war nicht dem Antisemitismus, der noch verlegen und feige schwieg, sondern dem lautstarken Antikommunismus, der sich religiös artikulierte, zu begegnen.54

Da ist natürlich etwas Wahres dran, aber ich musste sofort daran denken, dass Barth, als Bonhoeffer ihn im September 1933 bat, seine Aktionen gegen die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche der altpreußischen Union zu unterstützen, geantwortet hat, dass es wichtigere Sachen gäbe. Es gab immer wichtigere Sachen, und deshalb wurde fast von allen immer geschwiegen. Und Bonhoeffer war 1947 nicht mehr da, um seinen Mund wegen der Juden aufzumachen.

53 Es sei betont, dass hier nur gesagt ist, dass Iwand in seinem Entwurf des Darmstädter Wortes nicht über die Schuld den Juden gegenüber geschrieben hat, denn in anderen Texten hat er von dieser Schuld gesprochen und geschrieben, am eindrucksvollsten in einem Vortrag aus Anlass des 20. Jahrestages der sog. Kristallnacht im November 1958: „Umkehr und Wiedergeburt“, NW 2, 362–370. 54 Seim, Iwand, 334.

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Der Anlass der Thesen Iwands55 war eine Diskussion im Bruderrat der Evangelischen Kirche, wo Barth auf der Sitzung vom 5. und 6. Juli 1947 einen Vortrag gehalten hat über Die Kirche – die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesu Christi56. In dieser Diskussion hat Iwand von der Gefahr des Nationalismus57 gesprochen und Karl Barth hat erklärt, dass er damit völlig einverstanden war. Er hat dem Bruderrat geraten, Iwand um den Entwurf von Sätzen „zu unserer politischer Situation, d. h. zur notwendigen politischen Entscheidung des Christen“ zu bitten.58 1. Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinde derer, die das Wort von der Versöhnung der Welt mit Gott in Christus hören, annehmen und tun. Der Dienst der Versöhnung wird aber verleugnet und nicht ausgerichtet, wenn wir uns nicht freisprechen lassen von aller Schuld, nicht nur der privaten, sondern auch der politischen, und uns von Jesus Christus, dem guten Hirten, heimrufen lassen von den falschen und bösen Wegen, auf denen wir als Deutsche in die Irre gegangen sind.59 Inhaltlich ist an dieser These kaum etwas geändert, aber die kleinen Änderungen im Wortlaut sind nicht unbedingt unwichtig. Die Umschreibung der Gemeinde Jesu Christi als die Gemeinde, die das Wort der Versöhnung gehört hat, wird in dem definitiven Text des Wortes ersetzt durch ‚uns‘. Das ruft die Frage hervor, wer diese ‚uns‘ sind: die Unterzeichner des Wortes, die deutsche Kirche, das deutsche Volk? Die wichtigste Änderung im Text ist das Verschwinden des Wortes ‚politisch‘ in der Umschreibung der Schuld. Man könnte vielleicht sagen, dass dies ‚politische‘ Bedeutung hatte. In Barths Vorlage ist das Wort noch vorhanden, in Niemöllers Version ist es verschwunden. Ich nehme an, dass hier eine Rolle spielt, dass von den Genannten Niemöller als einziger Mitglied des Rates der EKD ist, er ist sogar der stellvertretende Vorsitzende. Er weiß wahrscheinlich, dass u. a. Dibelius (als Vorsitzender) und Wurm keine politischen Aussagen machen 55 Hartmut Ludwig schrieb 1977 zur Vorbereitung der Versammlung europäischer Christen nach Anlass des dreißigsten Jahrestages des Darmstädter Wortes eine Broschüre „Die Entstehung des Darmstädter Wortes“, die als Beiheft zu Heft 8/9 der Zeitschrift „Junge Kirche“ herausgegeben wurde. 56 Aufgenommen in Barth, Die lebendige Gemeinde, 3–23. 57 Seim, Iwand, 332, zitiert Iwand: „Wir müssen einmal das heiße Eisen des Nationalismus anfassen. Es geht nicht, daß wir auf zwei Rechnungen wirtschaften: Hier sind wir Christen und hier sind wir Nationalisten! Wir dürfen uns heute nicht aufteilen lassen, auch nicht politisch in Ost und West. Die BK muß eine politische Linie haben… wir müssen heute vom Bruderrat aus sagen: wir gehen einen neuen Weg.“. 58 Ludwig, Die Entstehung des Darmstädter Wortes, 2. 59 Zit. n. Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 174–176.

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wollen. Als der Text, ohne das Wort ‚politische Schuld‘, schließlich vom Bruderrat festgelegt wurde, beschloss man, ihn einfach im Namen des Bruderrats zu veröffentlichen und nicht erst die Zustimmung des Rates der EKD abzuwarten. Statt „aller Schuld, nicht nur der privaten, sondern auch der politischen“ heißt es dann: „unserer gesamten Schuld, von der Schuld der Väter wie von unserer eigenen“. Es ist deutlich, dass die erste Formulierung die präzisere ist. Was heißt hier „Schuld der Väter“? Es kann sich nicht um das Sich-schuldig-Machen während der Hitlerzeit handeln. Denn diese liegt ja erst zwei Jahre zurück. Deshalb könnte man diesen Satz sogar als eine Relativierung dieses Sich-schuldig-Machens lesen, wie: ‚Die Kirche hat sich ja immer schuldig gemacht, auch in der Zeit unserer Väter.‘ Vielleicht soll man es (wie zum Beispiel Prolingheuer) positiver auslegen: Die Schuld der Väter ist die Schuld für das, was letztendlich zum Nationalsozialismus und zum Weltkrieg geführt hat. Der Kern, der meines Erachtens lautet: die Kirche kann nur von Versöhnung reden, wenn sie auch selbst Schuld bekennt, ist aber in der endgültigen Version intakt geblieben. Anders als im Schuldbekenntnis Bonhoeffers wird hier davon gesprochen „sich freisprechen zu lassen“. Bonhoeffer sagte nur: „wir bekennen, dass wir schuldig geworden sind“. Die Vergebung oder Freisprechung ist Gottes Sache. Darauf hoffen wir und daran glauben wir, aber die können wir – so wird Bonhoeffer gedacht haben – nicht im Voraus in der Formulierung aufnehmen. Rosemarie Müller-Streisand schrieb aus Anlass des vierzigsten Jahrestages des Darmstädter Wortes, das Wichtigste sei gewesen, dass in dieser These nicht von der Versöhnung von Gott mit uns, sondern von der Versöhnung von Gott mit der Welt gesprochen wurde.60 Hierin waren Bonhoeffer und Iwand sich vollkommen einig! 2. Wir sind in der Irre gegangen, als wir begonnen haben, den Traum einer besonderen deutschen Sendung zu träumen und damit den Glauben an den schrankenlosen Gebrauch der politischen Macht zu begründen. Wir haben damit den Beruf aufgegeben und verfehlt, im Dienst an den gemeinsamen Aufgaben der Völker mit den uns verliehenen Gaben mitzuarbeiten und der Stadt Bestes zu suchen. Im Vergleich zum endgültigen Text kann man feststellen, dass die Formulierung Iwands benutzt wurde, um das hier Gesagte – ohne wesentliche inhaltliche Eingriffe – noch präziser und in diesem Fall auch schärfer zu formulieren. Aus der Vorlage Barths wurde (nach ,begründen‘) hinzufügt: „Es war verhängnisvoll, dass wir begannen, unseren Staat nach innen allein auf eine starke Regierung, nach außen allein auf militärische Machtentfaltung zu begründen.“ Iwand 60 Müller-Streisand, Darmstadt, 5–11.

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spricht von einem „Traum einer besonderen deutschen Sendung“. In seiner ausführlichen ‚Auslegung’ des Darmstädter Wortes schreibt Hermann Diem: Nicht das ist unsere Schuld, dass wir wie alle anderen Völker ein nationales Selbstbewusstsein und den Willen zu nationaler Selbsterhaltung hatten und haben, sondern dass wir darin maßlos geworden sind, und uns durch den Glauben an eine besondere messianische (Kursiv von mir, W.V.) Sendung des deutschen Volkes verblenden ließen.61

„Eine besondere Sendung“ kann man primär als politische Sendung verstehen. Durch die Andeutung ‚messianisch‘ macht Diem deutlich (und ich bin geneigt zu denken, dass das auch in der Formulierung Iwands so verstanden werden muss), dass es nicht nur um die politische Sendung geht, sondern auch um die ‚theologische‘ Fundierung. In der Heiligen Schrift lesen wir über die messianische Sendung des jüdischen Volkes, ‚ein Volk von Priestern‘ zu sein. In der völkischen und deutschnationalen Theologie wird das so erklärt, dass jedes Volk seine eigene besondere Sendung hat. Daraus spricht ein bestimmter Neid auf das jüdische Volk. Was man theologisch schon seit Jahrhunderten gelehrt hatte, dass das Christentum an Stelle des jüdischen Volkes Volk Gottes geworden war, das sollte auch politisch realisiert werden. Es ist ein Traum, sagt Iwand zu Recht, eigentlich möchten wir als Deutsche das auserwählte Volk sein. Aus dieser Sendung ergibt sich ein Zweites, das wir als den Gedanken verstehen können: der Zweck heiligt die Mittel. Weil es um eine besondere Sendung unseres Volkes geht, sind auch besondere Maßnahmen gerechtfertigt, um diese Sendung zu realisieren. Nicht träumen von einer besonderen Sendung heißt mitarbeiten an den gemeinsamen Aufgaben der Völker. Der deutsche Austritt aus dem Völkerbund im Jahr 1936 war ein Zeichen an der Wand. Ein neuer Alleingang Deutschlands sollte nicht zum „politischen Weg unseres Volkes“ gehören. 3. Wir sind in die Irre gegangen, als wir begonnen haben, eine christliche Front gegenüber den notwendigen gesellschaftlichen Neuordnungen im modernen Leben der Menschen aufzurichten. Das Bündnis der Kirche Jesu Christi mit den konservativen Mächten hat furchtbare Folgen gezeitigt. Wir haben die christliche Freiheit preisgegeben, Lebensformen zu ändern, wenn das Leben der Menschen solche Wandlungen erfordert. Wir haben das Recht zur Revolution abgelehnt, aber die Entwicklung zur schrankenlosen Diktatur gerechtfertigt.62

61 Zit. n. Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 220. 62 Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 174.

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Obwohl hier eine sehr radikale Sprache gesprochen wird, wurde am Text Iwands kaum etwas geändert. Das verlief aber nicht ohne Kampf. Die Vorlage Niemöllers macht deutlich, dass er am liebsten die meisten politischen Formulierungen vermieden hätte. Vor allem das Wort ‚konservativ‘ war umstritten, denn das hieße, dass die Kirche sich für eine bestimmte politische Strömung oder doch wenigstens gegen eine bestimmte politische Strömung ausspräche. Karl Barth hat dies in seinem Entwurf sogar noch radikalisiert, indem er die konservativen Mächten konkret benannt hat und (zwar in Klammern) hinzugefügt hat: Monarchie, Adel, Armee, Großgrundbesitz und Großindustrie. Diese Präzisierung hat, wie man schon vermuten konnte, die letzte Redaktion nicht überlebt. Auf Vorschlag Niemöllers wird statt ‚konservativen Mächten‘ geschrieben: ‚das Alte und Herkömmliche konservierenden Mächten‘. Außerdem wurde das Wort ‚modern‘ gestrichen und ersetzt durch ‚gesellschaftlich‘, m. E. in diesem Zusammenhang ein nichtssagendes Wort. Aber die Kirche hält nicht viel vom ‚modernen Leben‘ und würde das Wort wahrscheinlich als Provokation auffassen. Ich glaube, Iwand hat an das moderne Leben der zwanziger Jahre gedacht. Der Kaiser und alle Landesfürsten waren gegangen und es sollte ‚notwendige gesellschaftliche Neuordnungen‘ geben. Aber das hat die Kirche nicht gewollt, und sie haben zusammen mit Monarchisten und Deutschnationalen eine Front gegen diese Neuordnungen gebildet. Diese Weigerung hat ‚furchtbare Folgen gezeitigt‘ und damit wird gemeint sein, dass diese Entwicklung zur definitiven Spaltung zwischen Kirche und Arbeiterschaft geführt hat. Niemöller ersetzt ‚furchtbare Folgen‘ durch ‚hat sich schwer an uns gerächt‘. Das Letzte stimmt natürlich auch, aber ist doch zu viel an der Kirche orientiert, während die ‚Folgen‘ sich beschäftigen mit dem Elend, das dadurch über die ganze Gesellschaft gekommen ist. Der entscheidende Ausdruck in dieser These ist jedoch – und das ist nicht verändert – ‚christliche Front‘. Denn das ist zwar eine historische Bezeichnung für das, was in den zwanziger Jahren geschehen ist und mit der vielleicht auch auf die Harzburger Front zwischen Deutschnationalen und Nationalsozialisten aus den dreißiger Jahren Bezug genommen wird, aber es ist auch eine Warnung gegen die Bildung einer neuen christlichen Front gegen Sozialisten und damit gegen den aufkommenden Kalten Krieg. Die ganze Zeit der Weimarer Republik wird dann zusammengefasst im letzten Satz dieser These. Das Recht zur Revolution (und damit ist die sozialistische Revolution gemeint) wurde abgelehnt, aber die Entwicklung zur schrankenlosen Diktatur (die übrigens von den Nationalsozialisten auch als Revolution verstanden wurde) wurde gerechtfertigt. 4. Wir sind in die Irre gegangen, als wir meinten, eine Front der Guten gegen die Bösen, des Lichtes gegen die Finsternis, der Gerechten gegen die Ungerechten auf

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politischem Wege bilden zu müssen. Damit haben wir das freie Angebot der Gnade Gottes an alle vertauscht mit der Selbstgerechtigkeit des Nationalismus.63 Der Text wurde letztendlich nur wenig geändert, aber Iwand muss irgendwie enttäuscht gewesen sein, dass das Wort ‚Nationalismus‘ weggelassen wurde. Es ging ihm ja gerade darum: dass die Kirche sich aussprechen würde gegen den neu aufkommenden Nationalismus.64 Auch in der nächsten These wurde ‚Nationalismus‘ gestrichen, sodass dieser Begriff im ganzen Darmstädter Wort nicht mehr benutzt wird. Das Wort fehlt übrigens sowohl in der Bearbeitung Niemöllers als auch in der Vorlage Barths. Über Niemöllers Korrekturen schreibt Prolingheuer zu Recht: „In seinem Entwurf tilgt er alle politischen Reizworte, mit denen Iwand direkt auf die Deutschnationalen zielt.“65 Unter ‚Selbstgerechtigkeit des Nationalismus‘ verstehe ich die Auffassung: ‚Es ist recht, weil es im Interesse meines Volkes ist‘. Eine Argumentation, die auch später noch häufig benutzt wurde, ob es nun um die Invasion der Vereinigten Staaten in Grenada ging oder um die Besetzung der Krim durch das Russland Putins. ‚Glauben an das freie Angebot der Gnade Gottes an alle‘ muss dann heißen: auch unsere politischen ‚Gegner‘ gehören zu der Welt, mit der Gott sich in Christo versöhnt hat. Es ist deutlich, dass diese These in zwei Richtungen weist. Einerseits wird zurückgeblickt und gesagt: Es war falsch, als wir mit Hitler meinten, dass wir uns mit allen nationalen Kräften (die Front der Guten) gegen die Bösen (den Bolschewismus, das Judentum) vereinigen sollten. Andererseits wird schon vorausgeblickt in die nahe Zukunft (die sich damals schon ankündigte), in der der Westen sich gegen den Osten und die kapitalistische Welt sich gegen die sozialistische Welt aufstellen würde. Dass die Kirchen damals (1947) schon oder schon wieder davon überzeugt waren, dass das Böse aus dem Osten kommt, ist klar. 5. Noch immer werden nationalistische und politische Parolen, die den Ausgangspunkt für die Katastrophe von 1933 bildeten, weiter gepflegt und zur Selbstrechtfertigung gebraucht. Die Gemeinde Gottes auf Erden sollte sich reinigen von allen bösen Gedanken und frei bleiben im Spiel der weltlichen Mächte. Sie wird aber diese Reinheit ihres Dienstes und die Freiheit ihres Zeugnisses verlieren, wenn sie sich noch einmal bestimmen läßt von der Parole: Christentum oder Marxismus. Diese Parole hat uns verführt zu schweigen, als wir zum Zeugnis für

63 Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 175. 64 Vgl. Anm. 54. 65 Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 176.

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Recht und Freiheit gefordert waren, und denen politisch zu folgen, denen wir als Christen widerstehen mußten.66 Vom Wortlaut dieser These ist im endgültigen Text des Darmstädter Worts kaum noch etwas zu finden. Der Ausdruck „Katastrophe von 1933“, womit gesagt wurde: nicht 1945 sondern 1933 war die wirkliche Katastrophe, ist leider auch gestrichen. Martin Niemöller hat diesmal den Text größtenteils intakt gelassen, aber Karl Barth kam mit einer neuen Formulierung, die dann leicht redigiert übernommen wurde. Der neue Text lautete: Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, daß der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.67

Man kann nicht sagen, dass diese oder jene Formulierung radikaler ist, aber sie betonen etwas Verschiedenes. In Iwands These geht es um die (er wiederholt das Wort sogar dreimal) ‚Parolen‘. Die politischen Bewegungen und Parteien geben Parolen aus und folgen ihnen. Die Kirche hält sich nicht an Parolen, sondern an das Wort Gottes. Die verführerische Parole lautete: Christentum oder Marxismus. In den Niederlanden wurde gesagt: Mussert oder Moskau (Anton Mussert war der Führer der Nationalsozialistischen Bewegung der Niederlande). Weil wir, meint Iwand, zu dieser Wahl (die dann natürlich eine Wahl für das Christentum sein sollte) gezwungen wurden, sollten wir über alles Unrecht, das im Kampf gegen den Marxismus begangen wurde, schweigen. Und anschließend sagt er etwas, das nun leider nicht mehr im Darmstädter Wort zu hören ist: Wir sind denjenigen gefolgt, denen wir als Christen widerstehen mussten. Wie das Wort ‚Nationalismus‘ ist letztendlich auch das Wort ‚Widerstand‘ aus dem definitiven Text verschwunden. Anders als Iwand war Karl Barth Mitglied einer Sozialistischen Partei, zuerst in der Schweiz und später, als er deutscher Staatsbürger geworden war, in der SPD. Es könnte sein, dass er sich deshalb nicht gegen alle „weltlichen Mächte“ kehren will. Man kann es sogar als eine Verteidigung seiner politischen Stellungnahme hören, wenn er vom ökonomischen Materialismus des Marxismus spricht (von welchem die SPD sich in jener Zeit schon verabschiedet hatte) und sagt, dass hätte die Kirche daran erinnern können, dass sie auch einen sozialen Auftrag hat. Wenn man den Gegensatz zwischen Iwand und Barth kurz bestimmen will, dann könnte man sagen: Iwand bedauerte, dass die Kirche sich gegen den Sozialismus zur Wehr gesetzt hat und damit an der fal-

66 Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 175. 67 Ludwig, Die Entstehung des Darmstädter Wortes, 1.

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schen Stelle politisch tätig geworden war.68 Karl Barth bedauert, dass die Kirche sich im Kampf gegen den Nationalsozialismus nicht mit den sozialistischen Parteien verbunden hat. Im Februar 1945 findet im Hause Barths eine Begegnung der hauptsächlich aus Kommunisten und Sozialdemokraten bestehenden Bewegung ‚Freies Deutschland‘ mit Vertretern protestantischer Emigranten statt. Eine der Folgen dieser Begegnung war, dass Charlotte von Kirschbaum, Barths Sekretärin, mit völliger Zustimmung Barths dem Vorstand dieser Bewegung beitrat. 6. Die Gemeinde Gottes, freigesprochen durch das Evangelium, freigestellt zum Neuanfang des Lebens, ist der Weg der Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit, der Weg der Freiheit in der Gebundenheit, der Realität der auf Versöhnung gegründeten Gemeinschaft in dem Richtgeist der Menschen. Der Verheißung ihres Herrn gemäß ist sie die Stadt, die auf dem Berge liegt. Es ist Unglaube, wenn sie ihr Pfund begräbt und sich damit der Verheißung begibt, die Gott selbst der Kirche zum Heil der Menschen anvertraut hat.69 Gedanken aus dieser und aus den folgenden Thesen wurden im definitiven Text zu einer (6.) These zusammengefügt. Von dieser sechsten These Iwands ist nur der ersten Satz – wenngleich völlig anders formuliert – bewahrt geblieben: „Indem wir das erkennen und bekennen, wissen wir uns als Gemeinde Jesu Christi freigesprochen zu einem neuen, besseren Dienst zur Ehre Gottes und zum ewigen und zeitlichen Heil der Menschen“. Das ist buchstäblich die Formulierung der fünften These Karl Barths. In diesem Fall muss ich sagen, dass ich verstehe, weshalb man hier der Formulierung Iwands nicht gefolgt ist. Barth spricht vom Auftrag der Kirche, Iwand sagt, was die Kirche auf Grund ihrer Freisprechung und ihres Neuanfangs ist, und auch wenn das nicht beabsichtigt ist, hört sich das schon wieder an wie eine triumphierende Kirche. Der Formulierung Iwands ist eigentlich nur akzeptabel, wenn man den ersten Teil des Satzes als Bedingung liest: Wenn die Gemeinde freigesprochen wird durch das Evangelium (was Schuldbekenntnis und Rechtfertigung voraussetzt) und darin freigestellt wird zum Neuanfang des Lebens, dann ist sie…. Der Nachdruck auf den Neuanfang, durch den das Gewicht des Schuldbekenntnisses geringer zu werden scheint, hat hier natürlich damit zu tun, dass Iwand die Kirche zu einem aktiven Auftreten im politischen Leben des deutschen Volkes aufrufen will. Sie soll sich 68 Hartmut Ludwig meint, dass gerade Iwands Beitrag am Darmstädter Wort als „eine erste Frucht des tiefgreifenden Wandlungsprozesses“ bezeichnet werden kann – eines Wandlungsprozesses von politisch Rechts zu politisch Links und in der Kirchenfrage von Asmussen zu Barth (Ludwig, Kritik und Erbschaft der Bekennende Kirche, 112). 69 Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 175.

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befreien von Hoffnungslosigkeit, Gebundenheit und Richtgeist, aber sie kann sich selbst nicht befreien, sie kann nur ihre Schuld bekennen und hoffen und beten, von ihr freigesprochen zu werden, nicht durch das Evangelium, sondern durch den Gott Israels, der auch der Gott des Evangeliums ist. Im zweiten Satz – der also nicht ins Darmstädter Wort übernommen worden ist – wird (und das ist richtiger) von der Gemeinde gesagt, was sie ‚gemäß der Verheißung ihres Herrn‘ ist. Es folgt erst eine Anspielung auf Mt 5,14: „Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein“ und anschließend wird auf das Gleichnis der Pfunde in Lk 19,11–27 hingewiesen. In der Kombination dieser Texte wird deutlich, was Iwand meint: Die Kirche soll sich nicht verstecken, sondern auch im politischen Leben sichtbar und aktiv sein. 7. Nicht Rückkehr zum Christentum, sondern Umkehr zu Gott durch das Evangelium ist uns geboten. Nicht die Rettung der Welt ist die Aufgabe der Christenheit, sondern die Reformation der Christenheit ist die Rettung der Welt. Darum rufen wir alle, die es zu glauben vermögen, auf: Bezeugt die wohltätige und befreiende Herrschaft Jesu Christi im Dienst an seiner ganzen Schöpfung. Erkennt, daß der Staat zu seinen Geschöpfen gehört, dazu bestimmt, zur Ehre Gottes und zur Wohltat, zum Glück und zum Frieden unter den Menschen zu dienen.70 Auch hier wurde letztendlich die Formulierung Barths gewählt. Der zweite Teil der sechsten These des Darmstädter Wortes lautet (die sechste These in der Fassung Barths etwas variierend): Nicht die Parole: Christentum und abendländische Kultur, sondern Umkehr zu Gott und Hinkehr zum Nächsten in der Kraft des Todes und der Auferstehung Jesu Christi ist das, was unserem Volk und inmitten unseres Volkes vor allem uns Christen selbst nottut.71

Im Großen und Ganzen war Niemöller der Formulierung Iwands gefolgt und hat sie als seine abschließende (achte) These benutzt. „Nicht Rückkehr zum Christentum“ muss, genauso wie Barths Verweisung auf ‚Christentum und Abendländische Kultur‘, als Kritik an der in diesen Tagen gegründeten CDU, deren Programmatik auf „Naturrecht, christliche Ethik und abendländische Kultur“ basierte, verstanden werden. Das Paradox im zweiten Satz ist stark, aber hier bleiben ‚Christenheit‘ und ‚Rettung der Welt‘ miteinander verbunden und das sollte man vielleicht so kurz nach dem völligen Versagen der deutschen ‚Christenheit‘ lieber nicht tun. Was dann über diesen Staat gesagt wird (zur Ehre Gottes 70 Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 175. 71 Ludwig, Die Entstehung des Darmstädter Wortes, 1.

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und zur Wohltat, zum Glück und Frieden unter den Menschen) geht über das hinaus, was in der fünften Barmer These gesagt wird, in der Barth schreibt: ‚Der Staat hat nach göttlicher Anordnung für Recht und Frieden zu sorgen‘. Wenn Bonhoeffer in seiner Ethik über die Mandate schreibt, nennt er: Arbeit, Ehe, Obrigkeit und Kirche72 und sehr bewusst nicht ‚Staat‘. Auch hier verstehe ich, weshalb man sich nicht für die Formulierung Iwands entschieden hat, aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch tatsächlich mit dieser oder einer ähnlichen Kritik begründet war. 8. Wir sehen mit Sorge, daß uns bis heute die rettende und befreiende Umkehr unseres Volkes zu neuem, freundlichem Dienst am Aufbau eines freien, seines Namens und seiner Gaben würdigen Deutschland nicht geschenkt ist. Wir geraten in Gefahr, aus einer falschen, weil natürlichen und nicht aus Gott geborenen Liebe zu unserem Volk heraus, seine in der Welt zerbrochenen und zerschlagenen Hoffnungen und Träume religiös zu pflegen und wirksam zu erhalten. Wir verhelfen ihm dadurch zu einer Flucht vor der unabweisbaren diesseitigen Verantwortung in Staat und Gesellschaft ins Elendsland der Religion.73 Auch diese These wurde nicht in das Darmstädter Wort aufgenommen. Niemöller hat sie beibehalten wollen und in seiner Vorlage sogar als erste These benutzt. Barth hat sie völlig weggelassen und die Redaktionskommission ist ihm darin gefolgt. Ich glaube auch, dass, wenn man diese These beibehalten möchte, sie besser am Anfang als am Ende stehen müsste. Die Sorge am Anfang und die Hoffnung am Ende ergeben einen stärkeren Text. Der Eröffnungssatz dieser These hört sich zwar fromm an, aber ist vielleicht doch nicht das, was hier gesagt werden sollte. „Die richtigen Ideen fallen nicht vom Himmel“, schrieb der französische Widerstandskämpfer und spätere Theologieprofessor Georges Casalis.74 Man kann theologisch sagen, dass die Umkehr uns geschenkt werden muss, aber in einem Text über den politischen Weg unseres Volkes, soll vielleicht auch gesagt werden, dass dazu etwas getan werden soll. Ob Ausländer in 1947 gerne von der Würdigkeit des Namens Deutschlands hören wollten, ist natürlich fraglich und steht jedenfalls im Widerspruch zu den gefährlichen Hoffnungen und Träumen dieses Volkes, von denen im nächsten Satz die Rede ist. Ohne das Wort zu gebrauchen, spricht Iwand hier offensichtlich noch einmal von der Gefahr des Nationalismus. Dass gerade dieses Element seines Textes über die 72 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 55. 73 Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen, 176. 74 Ein Buchtitel Casalis’, es betrifft die Übersetzung von: Les idees justes ne tombent pas du ciel, Paris 1979.

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ganze Linie abgeschwächt wurde, ist ein Verlust. Iwand, der selbst an der Redaktion des definitiven Textes mitgearbeitet und der Redaktionskommission sogar vorgesessen hat, hat hiermit übereingestimmt. Inwiefern ihm das leidgetan hat, wissen wir nicht. Jürgen Seim, Iwands Biograph, berichtet darüber nichts. Wenn man, wie oben ausführlich deutlich gemacht wurde, die Unterschiede zwischen Iwands Entwurf und dem endgültigen Text sieht, kann man doch kaum behaupten: In der Hauptsache folgte der endgültige Text dem Entwurf Iwands, mit einigen Verdeutlichungen im Ausdruck. Dazu gehört im letzten Abschnitt das Zitat der zweiten Barmer These.75

Es wurde vielmehr geändert und es ging dabei auch nicht nur um Verdeutlichungen. In einigen Fällen geschah das zu Recht, in anderen Fällen war das schade. Vor allem die damals berechtigte Angst Iwands vor einem neuen Aufleben des Nationalismus oder sogar Revanchismus, ist im endgültigen Text zu wenig zum Ausdruck gekommen. Was Iwand genau mit dem Ausdruck ‚Elendsland der Religion‘ gemeint hat, wissen wir nicht. Hartmut Ludwig hat die Abschrift des Entwurfs Iwands aus dem Karl Barth Archiv in Basel benutzt, und darin stand: ‚Niemandsland‘, womit möglich die Position Deutschlands gemeint war.76 Aber vielleicht hat man das damals gehört, weil man das Wort ‚Elendsland‘ nicht verstanden hat (man findet es auch nicht in Duden). Nach Analogie mit Wörtern wie ‚Elendsviertel‘ oder ‚Elendsquartier‘ sollte ‚Elendsland‘ dann so etwas bedeuten wie ‚armseliges, aussichtloses Land‘. Er meint dann: Die Kirche muss sich (mit)verantwortlich machen für die politische Entwicklung von Staat und Gesellschaft, sonst kommt sie in eine Sackgasse und kann sie nur noch etwas sagen über den Privatbereich der Menschen. Es scheint mir, dass dies eine noch immer aktuelle Feststellung ist. Was soll man zum Schluss über das Verhältnis der Texte Bonhoeffers und Iwands sagen? Sie sind mit verschiedenen Zielsetzungen geschrieben und in sehr verschiedenen Zeiten. Was die beiden Texte miteinander verbindet, ist die feste Überzeugung, dass ein Schuldbekenntnis Bedingung ist für einen Neuanfang. Es versteht sich, dass im Jahr 1941 vor allem das Element des Schuldbekenntnisses vorherrschte und 1947 der Wunsch nach einem Neuanfang. Das große Defizit des Darmstädter Wortes, die Schuld den Juden gegenüber nicht zu benennen, ist zu erklären, vielleicht sogar zu verstehen, aber nicht zu rechtfertigen. 75 Seim, Iwand, 334. 76 Vgl. Sänger, Das Niemandsland der Mitte, 193–217. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Wiedergabe des Entwurfes Iwands in Iwand, Frieden mit dem Osten, vor allem Anm. 1 auf S. 24, wo der Herausgeber schreibt, dass er den Ausdruck ‚Niemandsland‘ für richtig hält, weil der auch an anderen Stellen im Werk Iwands benutzt wird.

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Der erste auffallende Unterschied zwischen den beiden Texten ist, dass Bonhoeffer an viele Stellen von ‚Schuld‘ spricht, während wir das Wort bei Iwand nur einmal finden, wenn er in der erste These sagt, dass wir uns freisprechen lassen müssen von aller Schuld. Diese Schuld ist, dass wir „in die Irre gegangen“ sind. Das Erste, die Schuld bei Bonhoeffer, fragt nach dem Bekenntnis, das Zweite, der Irrweg bei Iwand, fragt nach der Umkehr. Die unterschiedlichen Formulierungen passen bei dem Unterschied zwischen einem Schuldbekenntnis und einem Wort zum politischen Weg unseres Volkes. Der Titel dieses Beitrages kann also auf zwei Weisen gelesen worden: ‚Bonhoeffer und Iwand zum Schuldbekenntnis und zur Umkehr‘ heißt: Bonhoeffer zum Schuldbekenntnis, Iwand zur Umkehr oder: Bonhoeffer und Iwand (beide) zum Schuldbekenntnis und zur Umkehr (beide). Was bei Iwand ‚Umkehr‘ heißt, heißt bei Bonhoeffer ‚Erneuerung‘. Als Bonhoeffer im Herbst 1940 die erste Disposition für seine Ethik erstellte,77 hat er diesen Paragraph ‚Schuld und Rechtfertigung‘ genannt. Als er das in ‚Schuld, Rechtfertigung, Erneuerung‘geändert hat, hat er nicht mehr primär ein dogmatisches Thema angedeutet, sondern einen mehr oder weniger konkreten Vorgang. In dem Kapitel ‚Die letzten und die vorletzten Dinge‘ schreibt Bonhoeffer: Ursprung und Wesen allen christlichen Lebens liegen beschlossen in dem einen Geschehen, das die Reformation Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden allein genannt hat. (….) Was geschieht hier? ein Letztes, von keinem menschlichen Sein, Tun oder Leiden zu Ergreifendes.78

In Widerstand und Ergebung schreibt er an Eberhard Bethge (Brief vom 2. Advent 1943): „Wir leben im Vorletzten und glauben das Letzte, ist es nicht so?“79 In dem Paragraphen ‚Schuld, Rechtfertigung, Erneuerung‘ wird von einem Vorgang im Vorletztem gesprochen. Dieser Vorgang besteht aus der Erkenntnis der Schuld (was in der Kirche aus dem Wort Gottes gelernt wird), dem Bekenntnis der Schuld (was in der Kirche für sich und für die Welt gemacht wird), der Vergebung der Schuld (woran in der Kirche geglaubt wird) und der Erneuerung der Menschen, die sichtbar in der Welt stattfindet. Rechtfertigung bleibt ein Letztes, aber der Glaube an der Rechtfertigung führt zur Erneuerung, die in den Barmer Thesen ‚die frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt‘ genannt wird.80 Der neue Mensch ist Jesus Christus und deshalb ist wirkliche Erneuerung der Menschen Gleichgestaltung mit Christus. Und weil das Schuldbekenntnis und der Glaube an die Rechtfertigung Bedingungen für diese Erneuerung sind, ist

77 78 79 80

Vgl. Anm. 11. DBW 6, 137. DBW 8, 226. Barmen II, zitiert nach: Wolf, Barmen, 113.

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Schuldbekenntnis bei Bonhoeffer ein notwendiger Schritt im Annehmen der Gestalt Christi und gehört also zur Ethik.81 Gerard den Hertog hat in seiner Dissertation über Iwand82 auf den Aufsatz Iwands Sed originale per hominem unum83 verwiesen. Dieser Aufsatz stammt aus dem Jahr 1943, wurde aber erst im Jahr 1946 publiziert. Der Titel geht zurück auf ein Zitat aus Luthers Vorlesung über den Römerbrief: „Denn alle Tatsünden kommen und kamen durch den Teufel in der Welt, die Erbsünde aber ist durch einen Menschen in der Welt gekommen.“84 „Wir sind in die Irre gegangen“, das heißt nicht: wir haben viele Tatsünden begangen, sondern wir sind in die Irre gegangen, wir haben alle diese schreckliche Dinge gemacht oder mitangesehen ohne etwas dagegen zu tun oder zu sagen, weil wir geglaubt haben, dass es gut war, was geschah. Und hier sehen wir sofort einen großen Unterschied zu dem Ansatz Bonhoeffers: Bonnhoeffer spricht von den vielen Tatsünden, die bekannt werden müssen, Iwand spricht vom Glauben. Dadurch dass wir das Falsche geglaubt haben, dadurch sind wir in die Irre gegangen. Umkehr, eine Umkehr die uns geschenkt werden muss, ist also eine richtige Bekehrung, dass wir anfangen, anders zu denken und anders zu glauben, und das nicht nur im Privaten, sondern auch im Politischen. Mit dem Letzten meint Iwand nicht eine christliche, im Sinne einer konfessionellen Politik, sondern eine ‚dem christlichen Glauben gemäße Politik‘.85 Rückblickend heißt bei Iwand die Frage also nicht primär ‚was haben wir falsch gemacht?‘ sondern ‚wo sind wir in die Irre gegangen?‘, wo haben wir angefangen falsch zu denken und falsch zu glauben. Das ist eine geschichtliche Frage, die von Bonhoeffer nicht beantwortet wird in dem Paragraphen „Schuld, Rechtfertigung, Erneuerung‘, weil er das in dem vorangegangenen Kapitel „Erbe und Verfall“ macht, da er, wenn er von Schuld redet, von konkreten Schuld (also was bei Luther ‚Tatsünden‘ heißt) reden will. Iwand schreibt:

81 Dieter Schellong (Kirchliches Schuldbekenntnis, 29) sieht diesen Vorgang so: „Unsere Gleichgestaltung mit Christus impliziert nun, daß das Moment der Menschwerdung Christi in unserer Menschlichkeit Gestalt gewinnen soll, das Moment des Kreuzes in unserer Schuldanerkennung und das Moment der Auferstehung Christi in unserer Bereitschaft, das Zeichen des Kreuzes in der Hoffnung auf die eigene Auferstehung zu tragen.“ 82 Den Hertog, Befreiende Erkenntnis, insbesondere das Kapitel III,3 „Schuldbekenntnis und Umkehr“, 221–266. 83 GA II, 171–193. 84 Luther, Vorlesung über den Römerbrief, 193. 85 Iwand benutzt diesen Ausdruck in einem negativen Sinn, wenn er schreibt: „Gerade die Christen haben außerordentlich wenig Instinkt bewiesen für das dem christlichen Glauben gemäßsein der Politik und haben oftmals unverbunden nebeneinander christliches privates Ethos und grausame heidnische Grundsätze im öffentlichen Leben in sich vereinigt.“ (Das Gewissen und das öffentliche Leben [leider ist nicht bekannt in welchem Jahr diesen Vortrag gehalten ist]), NW 2, 125–152).

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„Jedermann, der heute sein Gewissen reden ließe, weiß von Schuld – Schuld gerade im Blick auf die Verwüstungen des öffentlichen Lebens. Es ist zwar nicht so, dass wir nicht fromm, nicht kirchlich, nicht sittlich genug gewesen wären86 – ich weiß nicht, ob wir darin schlechter sind als andere Völker, die unsere Wege vermieden haben. Ich finde es darum auch nicht zeitgemäß, wenn wir nun auf diese Dinge, auf die es jetzt nicht ankommt, den Finger legen. Unsere Schuld liegt ganz woanders. Unsere Schuld liegt in dem Aufkommen- und Hochkommenlassen diktatorischer, paganischer, menschenverachtender Ideen und Parolen im öffentlichen Leben.87

Diese Schuld ist keine ‚Tatsünde‘, es hat mit unserem Menschsein zu tun. Nachdenken über die ‚originale‘ Sünde ist ‚ein Beitrag zur Lehre vom Menschen‘.88 Homo peccator, der Mensch ist Sünder. Er möchte wie Gott sein und ohne seinen Bruder und sündigt damit gegen das Gebot Gottes, dass vor allem will, dass er Mensch ist. Nur wo der Mensch das erkennt, kann er von Gott freigesprochen und zur Umkehr gebracht werden. Grundsätzlich gibt es keinen Gegensatz zwischen dem, was Bonhoeffer über Schuld und Umkehr schreibt und was Iwand darüber schreibt, sie schreiben aber über verschiedene Aspekte der Sache. Wir müssen also beide hören, damit wir darüber nachdenken, was wir falsch machen und weshalb wir das immer wieder falsch machen. Als wir mit etwas weniger als Tausend Menschen aus verschiedenen Ländern im Oktober 1977 in Darmstadt waren für eine Versammlung Europäischer Christen aus Anlass des 30. Jahrestages des Darmstädter Wortes, ging es darum, zu fragen, wo wir damals, im Jahr 1977, in die Irre zu gehen drohten, vor allem in der Sache des Kalten Krieges und der Atomwaffen. Und worin gehen wir jetzt in die Irre? In der Flüchtlingsfrage? In unserer Beurteilung des Islam? In unserem Glauben an die Ökonomie?

86 Hier muss man doch einen (ziemlich zynischen) Hinweis auf die Stuttgarter Erklärung hören. 87 NW 2, 144. 88 Auch Frans Breukelman (1916–1993) nennt seine Exegese von Gen 2–4, den biblischen Locus de homine et de peccato.

Bernd Wannenwetsch

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens und ihre Bedeutung für die Ethik

Als Hans Joachim Iwand unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges zum Wintersemester 1945/6 nach einer Dekade aufgezwungenen Schweigens wieder das Pult des theologischen Lehrers betrat, tat er dies im Rahmen einer Vorlesung mit dem Titel „Probleme der Ethik“1.

Probleme der Ethik – Problem der Ethik – Problem Ethik Die Wahl des Fachgebiets und des Titels der Vorlesung erfolgten nicht von ungefähr. Womit sollte man anfangen nach der Katastrophe? Ein „Weitermachen“ war jedenfalls ausgeschlossen. Obwohl Iwand im Titel den Plural „Probleme“ wählt und damit scheinbar eine konventionelle Thematisierung von einzelnen „ethischen“ Problemen („quandary ethics“2) suggeriert, ist seine Vorlesung doch anders angelegt. Viel grundsätzlicher thematisiert Iwand, was wir das „Problem der Ethik“ (im Singular) 3 nennen können, und dies schließt für ihn auch die Betrachtung dessen ein, was wir unter der „Ethik als Problem“4 verstehen. Dieses Problembewusstsein war sicher zu einem gewissem Teil auch der Krisenerfahrung geschuldet, zumindest was seine Intensivierung angeht. Doch steht nicht zu 1 Hans Joachim Iwand, Probleme der Ethik. Vorlesung Göttingen 1945/46; BA Koblenz N 1528/ 107 – Beienroder Signatur 92/6. Ich danke den Herausgebern A. Wiebel und G. den Hertog für die Einsichtnahme in die zur Publikation vorbereiteten Manuskripte dieser Vorlesung, auf die sich die folgenden Seitenangaben im Text mit dem Kürzel “PdE” beziehen. 2 Der Begriff „Quandary Ethics“ wurde von Edmund Pincoffs 1971 in seinem gleichnamigen Aufsatz geprägt, in dem er die verbreitete Auffassung, dass Ethik sich mit der Fülle von „Problemen“ befasse, denen sich der Einzelne im Blick auf Handlungsoptionen gegenübersieht, einer kritischen Würdigung unterzieht. Mind (1971) LXXX (320), 552–571. 3 In Anlehnung an die berühmte Formulierung Barths, in dessen 1922 veröffentlichtem Beitrag: Das Problem der Ethik, 98–101. 4 Das hiermit angesprochene Problembewusstsein gegenüber der in der Ethik zum Austrag kommenden Unterscheidung von “Gut und Böse” findet sich ebenfalls bei Barth: “Gerade jener allgemeine Begriff von Ethik fällt merkwürdigerweise genau mit dem Begriff der Sünde zusammen.” Barth, KD II/2, 574.

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erwarten, dass sich das Bewusstsein für das „Problem der Ethik“ und für die „Ethik als Problem“ für Iwand erst aus der Erfahrung der Krise ergeben hätte. Vielmehr verhält es sich, wenn wir die Vorlesung Iwands als Maßstab heranziehen, eher so, dass die Krisenerfahrung eine durchschlagende Nötigung zum Verstehen mit sich bringt, die – wenn es theologisch mit rechten Dingen zugeht – den Blick auf die grundsätzlichen Zusammenhänge richten heißt, in denen „Ethik“ und „Leben“ für Christen erst in ihrer Tiefe zu verstehen sind. So erklärt sich, was Arnold Wiebel im Vorwort zu Iwands Göttinger Nachkriegsvorlesung als einen möglichen alternativen Titel nennt: „Ethik – Prinzipienlehre“, wenn er bemerkt, dass diese Vorlesung „ebenso stark dogmatisch orientiert ist wie ethisch“ (PdE, 2). Schon hier scheint eine Gemeinsamkeit mit Bonhoeffer auf, dessen Arbeiten nicht weniger deutlich vom Bewusstsein zeugen, dass Ethik für Christen keine unproblematische Sache sein kann – eine Einsicht, die Bonhoeffer unter dem Stichwort des „Wissens um Gut und Böse“ verhandelt. So hebt etwa das Kapitel „Die Liebe Gottes und der Verfall der Welt“, von dem wir annehmen können, dass es als Eröffnung des geplanten Buches zur „Ethik“5 geplant war,6 mit folgenden Worten an: Das Wissen um Gut und Böse scheint das Ziel aller ethischen Besinnung zu sein. Die christliche Ethik hat ihre erste Aufgabe darin, dieses Wissen aufzuheben. Sie steht mit diesem Angriff auf die Voraussetzungen aller sonstigen Ethik so allein, daß es fraglich wird, ob es einen Sinn hat, überhaupt von christlicher Ethik zu sprechen (E, 301).

Auch Iwand bezieht sich auf diese Vorstellung aus der biblischen Urgeschichte. In seinen Vornotizen zur Göttinger Vorlesung 1945/46 notiert er: „Evangelium hebt den ethischen Unterschied zwischen Gut und Böse auf! Nur das Evangelium kann das“ (PdE, 86). Und in der Vorlesung selbst spricht Iwand davon, dass der Mensch durch das Evangelium herausgenommen wird aus jenem Gegensatz und darum auch „aus dem Wissen um Gut und Böse. Er gibt im Hören auf diese ‚frohe Botschaft‘ dieses Wissen an Gott zurück“ (PdE, 11).

Die heuristische Dimension der Krise Es ist aufschlussreich zu sehen, wie die Erfahrung der Krise von Kirche und Nation, von Theologie und Ideologie bei beiden Theologen jeweils zu einer Heuristik fortgebildet wurde, die dazu verhilft, das Problem der Ethik in größerer Tiefenschärfe wahrzunehmen. In beiden Fällen zeigt sich: Die Krise ist nicht das 5 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, München 1992. Darauf beziehen sich die Seitenzahlen im Text hinter dem Kürzel “E”. 6 Vgl. Nachwort der Herausgeber, E. 455.

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens 269

Problem der Ethik (als Krise der Moral), sondern offeriert in erster Linie Beschreibungsgewinne. Anders gesagt: Die Krise nötigt Erkenntnisse auf, die anders gar nicht zu haben sind. Für Iwand hängt diese heuristische Dimension der Krise damit zusammen, dass sie zu einer Zuspitzung der Alternativen führt, in der sichtbar wird, was die wirkliche, allen anderen Alternativen zugrunde liegende Alternative ist. In einem Entwurf zum Beginn der ersten Vorlesungsstunde nach dem Kriegsende formuliert er dies so: Denn das ist allerdings meine Hoffnung und meine Überzeugung, daß Entscheidendes geschehen ist und daß wir in diesen vergangenen Jahren an den Rand letzter menschlicher Möglichkeiten geführt wurden, dahin, wo der Mensch nur noch ein letztes Entweder-Oder vor sich sieht: Gott oder das Nichts (PdE, 92)!

In Bonhoeffers Urteil hat die Krise, die Christen und andere Menschen unter Hitlers Diktatur und den damit einhergehenden Umstürzen mitsamt allem persönlichen Leiden erfuhren und erfahren, das Potential, ihnen eine neue Sicht auf die Wirklichkeit zu eröffnen, aus der ein erneuertes Handeln in der Welt quellen kann. Es bleibt ein Erlebnis von unvergleichlichem Wert, daß wir die großen Ereignisse der Weltgeschichte einmal von unten, aus der Perspektive der Ausgeschalteten, Beargwöhnten, Schlechtbehandelten, Machtlosen, Unterdrückten und Verhöhnten, kurz der Leidenden, sehen gelernt haben. Wenn nur in dieser Zeit nicht Bitterkeit oder Neid das Herz zerfressen hat, daß wir Großes und Kleines, Glück und Unglück, Stärke und Schwäche mit neuen Augen ansehen, daß unser Blick für Größe, Menschlichkeit, Recht und Barmherzigkeit klarer, freier, unbestechlicher geworden ist, ja, daß das persönliche Leiden ein tauglicherer Schlüssel, ein fruchtbareres Prinzip zur betrachtenden und tätigen Erschließung der Welt ist als persönliches Glück.7

Die Infragestellung des rationalen Ethos: Iwands Göttinger Nachkriegsvorlesung Iwand beginnt seine erste Vorlesung in Göttingen – die erste in der temporalen Abfolge, aber eben auch die erste nach der Katastrophe – gewissermaßen mit einer Atempause. Er stellt zuerst eine Frage: Wo stehen wir heute? Iwand charakterisiert die Dinge, die geschehen sind, als ein schroffes Erwachen aus dem Traum des „humanen Abendland[s]“, nachdem das „Antichristentum“ über den Status einer nur gedanklichen Möglichkeit hinausgewachsen war und sozusagen Fleisch und Blut angenommen hatte (PdE, 4). Die zur Nüchternheit mahnende Lektion für Christenmenschen besteht nach Iwands Auffassung nun darin, dass 7 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 38f.

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sich in der Krise neu zeigte, was immer schon Geltung hatte, was unter dem Schleier des christlichen Abendlands aber leicht übersehen werden konnte: dass die Nachfolge des Nazareners „Ärgernis“ ist und bleibt; dass sie niemals das „Allgemeine“ werden kann, sondern stets das „Besondere“ bleibt. Es wurde offenbar, daß das Allgemeine, das den Massen Zugängliche, das, was man propagandistisch verbreiten kann, immer das Widerchristliche ist. Das Christentum, der christliche Glaube, die christliche Tat wurde als Ausnahme von der Regel offenbar und eben damit als Ärgernis (PdE, 4).

Dass Iwand sich der Sprache der „Offenbarung“ bedient, zeigt, dass er hier mehr im Sinn hat als einen soziologischen Befund, demzufolge Christen sich eben auch einmal in einer Minderheitensituation vorfinden können und darum gut daran tun, eine solche Möglichkeit grundsätzlich auf der Rechnung zu haben. Für Iwand geht es in seiner Bemerkung zu den „Massen“ jedoch nicht um die Dimensionen von „Minderheit“ oder „Mehrheit“, in denen man sich empirisch vorfindet – das wäre für ihn ja wiederum das „Allgemeine“8; es geht ihm vielmehr transempirisch um eine Situation, zu der man erst „erwachen“ muss, da die natürliche Tendenz im Menschen dahin geht, das Anstößige zu meiden und mehr noch jede mögliche Assoziierung der eigenen Person mit diesem Anstößigem. „Wir wundern uns oftmals, und nehmen selbst Anstoß eben daran, daß das Christentum nicht das Allgemeine werden will“ (PdE, 4). Da aus diesem Grunde die Fiktion des „Kulturchristentums“ die Sehnsuchthäfen des natürlichen Menschen besetzt, lautet die nervöse Frage für Iwand eben, ob der brutale Weckruf der geschichtlichen Katastrophe tatsächlich zu einem Erwachen unter den Christen geführt hat; ob die Krise zu einer beständigen Wachsamkeit im Hinblick auf die in ihr zu Tage getretene Wahrheit der „Ausnahme-Situation“ der christlichen Existenz geführt hat, oder ob mit dem Zurücktreten der Chaosmächte die Sehnsucht wieder Oberhand gewinnt, doch Teil des Allgemeinen, Ganzen und Gesicherten sein zu wollen. Die Christenheit war offenbar darauf nicht mehr gefaßt, daß sie auf einmal Anteil haben sollte an diesem „Ärgernis“. Vielleicht atmet sie9 heute auf, daß das Christentum nun doch wieder das Allgemeine sein soll! Ob wir dann aber wirklich die Lehre verstanden haben, die hinter uns liegt (PdE, 5)?

Es ist bemerkenswert, dass Iwand bereits ummittelbar an der Schwelle zur sogenannten „Nachkriegszeit“ jene Wolke kulturprotestantischer Selbstvergewis8 „Die Wahrheit, die aller Welt geltende, allen einsichtige Wahrheit verbirgt sich in das Zeugnis des Einzelnen, sie tritt auf als ein bestimmtes, mit bestimmten Menschen verbundenes Zeugnis, während die Unwahrheit, das Trügerische den Schein des Allgemeinen empfängt, es ist … absolut, System, Prinzip, das, was jedermann in seinen Bann schlägt“ (Iwand, Probleme der Ethik, 5). 9 Im Manuskript irrtümlich „sich“.

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens 271

serungstendenzen10 heraufziehen sah, unter welche sich die evangelischen Kirchen in der Nachkriegszeit tatsächlich rasch wieder versammeln sollten – ungeachtet der wegbereitenden Rolle, die jene Ausprägung des neuzeitlichen Protestantismus für den Siegeszug der Deutschen Christen im „Dritten Reich“ gespielt hatte11. Besonders nachdrücklich verweist Iwand auf eine weitere Erkenntnis, welche den Überlebenden durch die Krise geradezu aufgedrängt wurde: die des „Zerbrechens“ des „rationalen Ethos“ (PdE, 6). Was hiermit gemeint ist, ist nicht der Verlust der etablierten Moral oder deren Mangel an Funktionsfähigkeit. Zwar notiert Iwand, dass das „mörderische System“ des Nationalsozialismus auch mit Ausschreitungen und Ausschweifungen einherging, doch waren dies für ihn eher Randerscheinungen. Iwands Analyse von der Moralität des Systems zielt vielmehr auf den Aufweis, dass es eben jene bewährten moralischen Werte und Haltungen waren, von denen das mörderische System sich nährte: indem es diese in seinen Dienst nahm, und indem diese es zuließen, in den Dienst des Systems gestellt zu werden. So ließ sich über das rationale Ethos sagen: … es funktionierte blendend. Alle taten ihre Pflicht. Der Richter, der Lehrer, der kleine Beamte, ebenso nun der SS-Mann im KZ … Die Waffen, mit denen man so lange gegen das Böse angetreten und mit Erfolg gekämpft zu haben meinte, wirkten auf einmal nicht mehr. Im Gegenteil, es wirkte irgendwie eine andere Kraft dahinter, die alle diese Waffen in ihren Dienst stellte. Gott, die Pflicht, die Gemeinschaft, das Vaterland, der Nächste – alles war hineinverwoben in diesen Lichtglanz, mit dem diese diabolische Verführung alle bezauberte (PdE, 6).

Alle Werte ließen sich mehr oder weniger freiwillig in den Dienst der einen Sache stellen, wie Iwand ausführt, mit einer – allerdings entscheidenden – Ausnahme: „… der Name Jesu schied aus.“ Ungeachtet gewisser Versuche der Deutschen Christen, den „liberalen Jesus“ zu vereinnahmen, markierte der Name des Gekreuzigten die Grenze dessen, was das „Allgemeine“ absorbieren konnte: „das Land, das der Antichrist nicht erobern … kann“ (PdE, 7). Auf diese Weise hatte für Iwand die Katastrophe sichtbar werden lassen, dass Jesus niemals in einen Wertekanon eingereiht werden kann als Begründer, Verstärker oder Vollender eines solchen Kanons. Was immer über die natürliche Ethik zu sagen ist – ohne ihren Nutzen für das Zusammenleben im Allgemeinen zu bestreiten –, steht für Iwand nun unter dem Vorzeichen einer neuen tiefen Nüchternheit, die in eine mit Ausrufungszeichen versehene Frage mündet: Und da eben ist offenbar geworden, daß im Dienst dieser Mächte und Gewalten kein rationales Ethos Bestand haben wird. Damit ist aber unter die ganze Entwicklung der Ethik seit der Aufklärung an ein Fragezeichen gesetzt – nicht von uns, sondern von Gott! 10 Ein jüngeres Beispiel für diesen ungebrochenen Trend: EKD, Kirche der Freiheit. 11 Wolfes, Protestantische Theologie.

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Bernd Wannenwetsch

Und wir sind nur gefragt, ob wir das endlich sehen und endlich dadurch uns und unser Ethos in Frage stellen lassen wollen! Ob … (PdE, 7)

Leider bricht das Vorlesungsmanuskript an dieser Stelle ab. Es fehlt eine Seite, auf der wir mehr darüber erfahren hätten, was die Infragestellung des Ethos genauer für Iwand bedeutete. Immerhin lässt sich anhand der Wiederaufnahme des Gedankens auf der letzten Manuskriptseite der ersten Vorlesungsstunde ersehen, worauf die Infragestellung der Ethik für die theologische Betrachtung hinausläuft: „Wenn man nun von einer christlichen Ethik reden will, dann kann sich das nur beziehen auf die Anordnungen und Regeln, die der militia Christi in diesem Kampf gelten“ (PdE, 8). Sofern für Iwand in der Krise die Wahrheit über die christliche Existenz neu zum Vorschein gekommen ist, wonach sie in der Nachfolge des Gekreuzigten nicht umhin kann, „Ärgernis“12 und „Ausnahme“ zu sein, kommt eine „christliche Ethik“ allenfalls als Rüstzeug für die ecclesia militans in Frage. Als solche ist sie keine Extrapolation zeitloser moralischer Werte und Wahrheiten, sondern dezidiert „zeitbemessen“. In Geltung steht eine solche Proviant-Ethik13 nur für die Dauer dieses Äons, in dem der Kirche der Sieg Christi nur in Form der Ermutigung und Tröstung im Kampf zugänglich ist, nicht aber so in Anspruch genommen werden kann, als läge der Kampf schon hinter den Gläubigen. Zwar hat Iwand durchaus noch weitere Kennzeichnungen der christlichen Ethik auf Lager, wie sich im Fortgang seiner Vorlesung zeigt; doch bleibt festzuhalten, dass die erste Kennzeichnung, die er in jener historischen Vorlesung auf der Schwelle, zwischen den Trümmern der Vergangenheit und dem Eintritt in die nicht einmal schemenhaft erkennbare „Nachkriegszeit“, vorgenommen hat, kreuzestheologisch zur Nüchternheit ruft. Der Kampf ist nicht vorbei mit dem Kriegsende, die Fronten mögen nun anders aussehen, aber im Kern bleibt die Aufgabe für die Schar der Erwählten die gleiche: wachsam zu sein und sich von den Mächten und Gewalten nicht vereinnahmen zu lassen. Hier wird die christliche Ethik nicht nur fallweise, sondern generell als eine Ethik des Widerstands14 kenntlich gemacht. Sie ist, wie wir paraphrasierend sagen könnten, nicht Lebenskunst15, sondern allenfalls streitbare Überlebenskunst. So ist der von christlicher Ethik zuallererst zu erwartende Beitrag in der Welt, wie Iwand sagt, dem antichristlichen Geist „den Besitz der Welt streitig zu machen“ (PdE, 8).

12 Zu einer neueren Auslegung von “Ärgernis” vgl. Girard, Ich sah den Satan. 13 Eine interessante Parallele zu einer solchen itinerarischen Charakterisiung der christlichen Ethik findet sich bei: Hauerwas/Willimon, Resident Aliens. 14 Greisch, Who Stands Fast, 84–101. 15 Rappe, Ethik als Lebenskunst; Mourkojannis, Ethik der Lebenskunst.

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens 273

Gestalten von Moralität, die nicht „standhalten“: Bonhoeffers Zeitdiagnose in den „Ethik“-Fragmenten Wie Iwands erste Göttinger Ethikvorlesung wurden die unter dem Titel „Ethik“ veröffentlichten Fragmente Bonhoeffers unter dem Eindruck der Krise konzipiert, geschrieben in den Jahren von 1940 bis zu seiner Gefangennahme im April 1943. Obgleich Bonhoeffer mit einer gewissen Vorsicht schreiben musste, was die Bezüge zur zeitgenössischen politischen Lage anbetraf, und manches eher bei Andeutungen belassen musste, ist doch kaum von der Hand zu weisen, wie stark sein theologisches Schaffen gerade auch in dieser Periode responsorisch war. Unter „responsorisch“ verstehe ich ein intellektuelles Bemühen, das sich berühren lässt von den zeitgeschichtlichen Vorgängen, ohne sich davon die Parameter des Denkens aufnötigen zu lassen. „Responsorisch“ ist in dieser Hinsicht darum einerseits weniger als „reaktiv“, da ein responsorisches Engagement mit den Vorgängen nicht versucht, eine direkte Einrede oder Einflussnahme zu konstruieren, ein politisches oder ethisches Manifest oder dergleichen; auf der anderen Seite ist es aber auch mehr als ein reaktives Vorgehen, weil es den Kräfteandrang der Krise nicht wie ein return beim Tennis zurückwirft, sondern gewissermaßen ableitet auf die Erkenntnismöglichkeiten einer weiter ausgreifenden Betrachtung, die diesen Andrang – hier: der im Gewand des Nationalsozialismus auftretenden Macht – einordnet in die Geschichte des kosmischen Kampfes Gottes und seiner Kirche mit solchen Mächten und Gewalten vom Anfang bis zum Ende. In dieser heilsgeschichtlichen Betrachtung, deren Linien für Bonhoeffer in Christus konvergieren, gibt es keine Besinnung auf „zeitlose“ Prinzipien der Ethik, die von der Erfahrung der Krise in der Zeit unberührt bleiben könnten; eine solche Annahme würde für Bonhoeffer das Verdikt der „Abstraktheit“ auf sich ziehen, mit der sich die christliche Ethik aus der Verantwortung für die jeweilige Zeit zurückzöge, in der es eben gilt, den Willen Gottes zu erkennen, wie er sich für die in der Zeit entstehenden Herausforderungen ausformt. Wir können sagen, dass Bonhoeffers „Ethik“-Fragment der Versuch ist, seine in der Inkarnation begründete Überzeugung von der Notwendigkeit einer „konkreten Ethik“ (E, 86f) durch eine ganz bestimmte Responsivität16 zu bewähren. Wie diese Responsivität als Zeitdiagnose aussieht, soll in den folgenden Analysen hervortreten. 16 In Bonhoeffers eigener Diktion wäre die hier beschriebene Responsivität Teil dessen, was Bonhoeffer unter dem Begriff der “Verantwortung” ins Zentrum seiner Ethik rückt als dem spezifischen Ineinander von Bindung und Freiheit, innerhalb dessen “Wirklichkeitsgemäßheit” als Näherbestimmung der “Bindung” fungiert. Ethik, 256. Vgl. auch Wannenwetsch, Responsible Living, 125–140.

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Was das Bewusstsein der Krise anbelangt, so ist es bemerkenswert, dass auch die frühen, auf dem Höhepunkt von Hitlers Macht entstandenen Teile der „Ethik“ von einem prophetisch17 anmutenden diagnostischen Scharfblick gekennzeichnet sind. Obgleich Bonhoeffers Ermordung im Konzentrationslager Buchenwald ihm die Möglichkeit einer Rückschau nach dem schmählichen Ende des „Dritten Reichs“ verwehrte, wie Iwand sie 1945 vornehmen konnte, zeigt sich bereits an Bonhoeffers ersten für die „Ethik“ konzipierten Kapiteln, dass es einer theologischen Tiefenwahrnehmung gegeben sein kann, so dicht an den Kern der Dinge herankommen, wie es der geschichtlicher Wahrnehmung allenfalls in der Retrospektive möglich wird, wenn jener Kern gewissermaßen in aller Sichtbarkeit nach außen getrieben hat. Wir können uns für unsere Betrachtung darum auf ein frühes Kapitel der „Ethik“ konzentrieren, das Bonhoeffer wohl im September 1940 unter dem Titel „Ethik als Gestaltung“ konzipiert hat. Es dürfte keineswegs von ungefähr kommen, dass Bonhoeffer in einer Zeit, als Hitler von Sieg zu Sieg eilte – in das Jahr 1940 fielen die Invasionen in Dänemark und Norwegen, die Angriffe auf Holland, Belgien, Luxemburg, und Frankreich, sowie der Dreimächtepakt mit Italien und Japan – das Thema „Erfolg und Misserfolg“18 in der Geschichte einer theologischen Analyse unterzieht. Diese lässt erkennen, dass er schon in Hitlers Erfolgen den Keim des Niedergangs erblickte und ungeachtet der vermeintlichen Heiligung aller Mittel durch den geschichtlichen Erfolg und die damit verbundene Identifizierung des Erfolgs mit dem „Guten“ in der öffentlichen Wahrnehmung, doch bereits die Axt an die Wurzel gelegt sah. Denn die Gestalt des Gerichteten und Gekreuzigten, an der sich das Schicksal der Welt entschieden hat, bleibt, wie Bonhoeffer ausführt, einer Welt „fremd“, in welcher der Erfolg zum Maßstab gemacht wird (E, 75). Mit besonderer Klarheit zeigt sich diese Tiefenschärfe in Bonhoeffers Versuch zu verstehen, warum sich das Volk der „Dichter und Denker“ mitsamt seiner Elite von der Verblendung durch die nationalsozialistische Ideologie erfassen und zum Komplizen eines mörderischen Systems machen ließ. In einem Teil des Kapitels „Ethik als Gestaltung“, der in großer sachlicher Nähe zu dem für Mitkonspiratoren und Familie Ende 1942 verfassten Schreiben „Nach Zehn Jahren“ (seit der Machtergreifung Hitlers) steht, geht Bonhoeffer der Frage nach, warum die zweifellos vorhandene Moralität im deutschen Volk nicht ausreichte, Hitler zu widerstehen. Er untersucht „klassische“ Gestalten der Moralität, die jeweils um einen Zentralbegriff wie Pflicht, Gewissen, Tugend, Vernunft oder Freiheit

17 Janossy, Das prophetische Element, 123–127; Morris, Bonhoeffer’s Ethic, 155–160. 18 Vgl. Brock, Success and Failure, 47–69.

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens 275

kreisen, auf die Frage hin, warum sie die Menschen, die sich an ihnen orientierten, nicht in die Lage versetzten, „stand zu halten“.19 Dabei räumt Bonhoeffer ein, dass jene Formen bürgerlicher Moral als „Güter und Haltungen des hohen Menschentums“ (E, 66) keineswegs diffamiert werden dürfen und unter normalen Umständen durchaus wesentlich dazu beitragen, dass das Zusammenleben in einer Gesellschaft friedlich und gesittet vonstattengeht. Dennoch bleibt es bei der erklärungsbedürftigen geschichtlichen Tatsache, dass das ganze Arsenal von ethischen Haltungen eben nicht verhindern konnte, dass das Volk der Deutschen in den Sog der Inhumanität geriet. Bonhoeffer räumt ein, dass die Herausforderung der Moralität durch die nationalsozialistische Ideologie und das geschichtliche Auftreten Hitlers mitsamt all seinen anfänglichen Erfolgen durchaus mit einer besonderen Verführungskraft ausgestattet war als eine „nie dagewesene Bedrängnis“ (E, 62), die nicht so leicht zu durchschauen war. In einer Zeit, in welcher Satan als Engel des Lichts auftritt20, und in der anstelle der graduellen Unterschiede an Moralität kategoriale Differenzen („Schurken und Heilige“) mit Urgewalt aufbrechen, wird die Orientierung an den klassischen moralischen Begriffen und Haltungen selbst zu einer Form der Orientierungslosigkeit. „Daß das Böse in der Gestalt des Lichtes, der Wohltat, der Treue, der Erneuerung, dass es in der Gestalt des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint“ (E, 63), macht, wie Bonhoeffer ausführt, den ethischen Theoretiker ebenso blind21 wie es den moralischen Menschen widerstandsunfähig macht. Wir können hier nicht auf die einzelnen Analysen, die Bonhoeffer für jeden der angesprochenen Typen der Moralität unternimmt, im Detail eingehen. Für jeden dieser Typen versucht er anzugeben, wo in der konkreten geschichtlichen Bedrängnis der jeweilige Ansatzpunkt für die Schwächung der Widerstandsfähigkeit lag, die Einfallszone für die Verführung in concreto. Dabei fällt auf, dass Bonhoeffer die Reihung in einer gewissen inneren Logik vornimmt, in der wiederholt die jeweils nachfolgende Haltung den Ansatz zur Überwindung der Schwäche der vorausgehenden zu beinhalten scheint – um dann allerdings ihre eigene Schwäche zu offenbaren. So scheint der „Mann des Gewissens“ prima facie in der Lage zu sein, die Enge des ethischen Puristen, des „Fanatikers“ zu überwinden; und der Mensch, der sich allein der Freiheit verpflichtet weiß, erscheint als einer, der zur Tat hindurch zu stoßen in der Lage sein müsste, die über 19 „Wer hält stand?“ ist die Leitfrage in dem angesprochenen Paralleltext „Nach Zehn Jahren.“ Vgl. dazu: Apel, Who Stands Fast, 155–174. 20 Diese Anspielung findet sich in Bonhoeffers Kommentar zu William Paton. Dort heißt es: „… es konnte nur noch eine kleine Schar sein, die hier [in Hitler, wie die Herausgeber einfügen] den Satan in der Gestalt des Engels des Lichts erkannte.“ Anm. 7 der Herausgeber, S. 63. 21 „Mit seinen vorgefassten Begriffen vermag er das Wirkliche nicht aufzunehmen, geschweige dass er dem ernstlich begegnen könnte, dessen Wesen und Kraft er garnicht erkennt.“ E, 63.

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das hinausgeht, was demjenigen möglich ist, der sich allein der Unbeflecktheit seines Gewissens verpflichtet weiß. Aufschlussreich ist hier nun allerdings, dass Bonhoeffer mit dem Typus der „freien Tat“ auch diejenige ethische Haltung, die ihm selbst am nächsten liegt,22 in die Reihung der Formen von Moralität aufnimmt, die ihm sämtlich unter das Verdikt der „rostigen Waffen“ (E, 67) als Indikatoren des Scheiterns fallen. Ein weiteres Merkmal der Liste vermag uns auf eine verheißungsvolle Spur zu setzen, wenn es darum geht, zu verstehen, was Bonhoeffers Diagnostik der Krise der Moralität im weiteren Sinn austragen soll. Die dort verhandelten ethischen Haltungen sind ausgesprochen disparat. Lassen sich zwischen dem Menschen der „Vernunft“ und dem der „Pflicht“ noch gewisse psychologische Gemeinsamkeiten vermuten, so sind etwa der „ethische Fanatiker“ und der Mensch der „Freiheit“ unzweifelhaft auf völlig unterschiedlichen Bahnen unterwegs. Wenn es also keine psychologische oder traditionsbedingte Gemeinsamkeit gibt, die jene Haltungen verbindet, muss es dann bei den isolierten Einzeldiagnostiken bleiben, die Bonhoeffer für jede dieser Haltungen unternimmt? Ich denke, es gibt eine tiefer liegende Gemeinsamkeit jener disparaten Haltungen, die Bonhoeffer selbst nur andeutet, die sich aber erschließen lässt, wenn wir sie aus der Perspektive dessen ansehen, was Bonhoeffer als „blanke“ Alternative zu jenen „rostigen Waffen“ (E, 67) vorschlägt: Die Formel von der „Einfalt“, die allein in der Lage sei, das Böse in Gestalt des Guten zu durchschauen und ihm zu widerstehen, mag zunächst überraschen. Hebt man sie aber von dem nahe liegenden Missverständnis ab, wonach es dabei um eine „Einfältigkeit“ im Sinne des Verzichts auf analytische Schärfe und intellektuelle Durchdringung der Lage ginge – wie sonst könnte Einfalt im Verbund mit Klugheit auftreten, was Bonhoeffer eigens betont? –, wird deutlich: Mit der Betonung der „Einfalt“ geht es Bonhoeffer vielmehr um das genaue Gegenstück zu einer Verfasstheit des Menschen, deren konzise Beschreibung er dem Jakobusbrief entlehnt: Einfältig ist, wer in der Verkehrung, Verwirrung und Verdrehung aller Begriffe allein die schlichte Wahrheit Gottes im Auge behält, wer nicht ein Dipsychos, ein Mann zweier Seelen (Jac 1,8) ist, sondern der Mann des ungeteilten Herzens (E, 67).

Wie das Konzept des aner dipsychos, des Menschen mit zwei Seelen in seiner Brust, biblisch vorgeprägt ist, so ist auch das positive Gegenstück, welches Bonhoeffer ins Feld führt, ein biblisches Konzept. „Einfältig“ ist eine wörtlich orientierte Wiedergabe der Begriffe „tamim“ im Hebräischen und „teleios“ im Griechischen, die von Luther auch als „vollkommen“ übersetzt werden. Im 22 Vgl. Bonhoeffers Ausführungen zur „Struktur des verantwortlichen Lebens“, für das „Freiheit“ eines der beiden konstituierenden Merkmale ist. E, 256.

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens 277

Zentrum der Vorstellungen steht die Ganzheit im Sinn des Ungeteiltseins.23 „Vollkommenheit“ im Sinne der biblischen Sprachen ist nichts anderes als der Glaube, der sich ganz und gar auf Gott und seine Gnade verlässt und daneben nichts anderes kennt, auf das er sich verlassen mag. Mit „Vollkommenheit“ ist somit die Haltung umschrieben, die dem ersten Gebot entspricht und darauf angelegt ist, keine anderen Götter „neben“ Gott zu haben. Aufgrund dieses theologischen Zusammenhangs verwundert es auch nicht, dass Bonhoeffer im direkten Anschluss an die Einführung der Konzeptes der „Einfalt“ mit der Betonung des „ungeteilten Herzen“ auf die Gebote zu sprechen kommt und einschärft, dass ein solcher einfältiger Mensch an diesen „hängt“ wie an den Lippen Gottes, den er kennt und liebt (E, 67). Aus der Beschreibung der ungeteilten Ausrichtung auf Gott und seinen Willen, von der Bonhoeffer sagt, dass sie jedes „Schielen“ auf die Welt verbietet, lässt sich nun, wie ich meine, auch ein Rückschluss darauf ableiten, was als die subkutane Gemeinsamkeit der zuvor verhandelten und allesamt für zu leicht empfundenen moralischen Haltungen gelten kann. Es ist dies jenes „und“, mit der die in der jeweiligen Moralität gegebene Loyalität zu dem je im Zentrum stehenden sittlichen Wert kombinierbar gemacht wurde mit jener anderen Loyalität, welche die Ideologie und das Machtsystem des Nationalsozialismus verlangten. An einem Punkt der Beschreibung, die Bonhoeffer in seiner Analyse der „rostigen Waffen“ vornimmt, ist diese Struktur der dualen Loyalität besonders deutlich zu erkennen. Der Mensch der „privaten Tugendhaftigkeit“ wird als einer geschildert, der eine doppelte Loyalität so in seiner moralischen Welt verankert, dass er diese in zwei „getrennte Räume“ teilt: den Bereich domestischer Tugenden, in denen er als guter Vater, treuer Ehemann und freundlicher Nachbar auftritt, auf der einen Seite, und den öffentlichen Bereich der Loyalität zur Staatsmacht, die seine private Tugendhaftigkeit auch dann nicht tangieren kann, wenn sie von ihm das Äußerste an praktizierter Inhumanität einfordert. Zwar spricht Bonhoeffer von „Selbstbetrug“ (E, 66) als Preis der Aufrechterhaltung jenes Konstruktes; dennoch lässt sich an diesem Beispiel zweierlei deutlich machen: Die Inhumanität der Loyalität „zur Rechten“, wie wir sie in Anlehnung an die Zwei-Reiche-Lehre Luthers nennen könnten, wird nicht etwa konterkariert durch die Tugendhaftigkeit „zur Linken“, sondern wird durch diese auf eine perfide Weise erst ermöglicht. Die Aufrechterhaltung des Selbstbildes vom „tugendhaften Menschen“ im Privaten macht es dem Menschen erst möglich, die Inhumanität seiner öffentlichen Existenz zu ertragen, eben weil jene Inhumanität in der Selbstwahrnehmung abspaltbar ist als nur eine von mehreren Seelen in der Brust. In seiner Selbstwahrnehmung kann sich der Mensch so nachdrücklich auf 23 Hübner, Art. teleios, EWNT III, 821–824.

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die eine, tugendhafte Seite berufen, bis er die andere gänzlich zu vergessen meint. Die von Bonhoeffer diagnostizierte moralische Abspaltung ermöglichte jenes Phänomen, das Hannah Arendt später unter dem Stichwort von der „Banalität des Bösen“ in ihren Prozessakten zum Fall Eichmann beschreiben sollte.24 Es ist an dieser Stelle allerdings eine Erwähnung wert, dass Bonhoeffer hier nicht einfach von „Tugend“ per se handelt, sondern eine Qualifizierung vornimmt und von „privater Tugendhaftigkeit“ spricht. Gemessen an der aristotelischen Lehre wäre eine solche „abgespaltene“ und auf den Privatbereich verwiesene Tugend gar keine wirkliche Tugend. Für Aristoteles war ja bekanntlich gerade die Nicht-Reduzibilität auf den Privatbereich konstitutiv für die Tugend, welche sich eben im öffentlichen Leben der Polis ausbildet und bewährt.25 Auch wenn Bonhoeffer eine derartige Qualifizierung in der Adressierung der anderen Formen von Moralität nicht für nötig zu halten scheint – die Pflicht ist schlicht als Pflicht adressiert, und das Gewissen schlicht als Gewissen –, so ließe sich doch fragen, ob sich etwas Analoges nicht zur Ehrenrettung für jede der hier verhandelten klassischen Formen der Moralität sagen ließe. Gerade wenn wir dieser gut begründbaren Annahme folgen, erkennen wir, dass Bonhoeffers Analysen nur dann recht einzuordnen sind, wenn wir sie als einer genuin theologischen Logik verpflichtet erfassen. In dieser Perspektive geht es dann nicht primär darum, die jeweilige Schwachstelle einer jeden dieser Formen von Moralität aufzuweisen, um sie als defizitär oder einer motivationalen religiösen Ergänzung bedürftig hinzustellen. Vielmehr scheint es Bonhoeffer darum zu gehen, zu zeigen wie jede auch in sich stimmige Form von Moralität korrumpierbar ist. Zwar trifft zu, wie Bonhoeffers Analysen aufzuweisen versuchen, dass jede dieser Formen ihre eigene Korruptibilität aufweist, die der Analyse offen steht. So verschieden diese Einfallsstellen jedoch auch empirisch wahrgenommen werden mögen, sind sie für die theologische Wahrnehmung doch durchsichtig auf ein allen gemeinsames Prinzip: dass sie sich in Dienst nehmen lassen für das Projekt menschlicher Selbstrechtfertigung. Diese Gemeinsamkeit wird in Bonhoeffers Einzelanalysen der Gestalten von Moralität nur schemenhaft sichtbar und tritt erst vollends ans Licht, wenn er die „blanken Waffen“ im Gegenüber zu jenen „rostigen“ beschreibt. Nur im festen ungeteilten Blick auf den, in dem die Welt mit Gott versöhnt wurde, ist es möglich, nicht in jenes „Schielen“ zu verfallen, das zusammen mit irgend einem Guten außerhalb des eigenen Selbst (die moralischen Werte, oder auch die Gebote) eben immer auch das Gute für sich selbst im Blick behält und ins Werk setzen möchte. Ohne sich mit und durch Christus an jenen Ort der Versöhnung versetzen zu lassen, würden Einfalt und Klugheit, wie Bonhoeffer 24 Arendt, Eichmann in Jerusalem. 25 MacIntyre, After Virtue.

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens 279

ausdrücklich einräumt, „ebenso zum Scheitern verurteilt wie alle anderen Versuche, vor der Wirklichkeit zu bestehen“ (E, 69). Abgesehen von ihrem konstitutiven Bezug zu Christus würden auch Einfalt und Klugheit zu moralischen Idealen und auf diese Weise jener Gespaltenheit zwischen Sein und Sollen, Möglichkeit und Realisierung anheim fallen, die sie dann nicht umhin kämen, an ihre Verehrer weiter zu geben. Dann würde „Einfalt“, wie wir sagen könnten, in große Nähe zum Purismus der Fanatiker rücken, und „Klugheit“ würde das gleiche Verdikt auf sich ziehen wie es laut Bonhoeffer dem Menschen der „Vernünftigkeit“ zukommt. „Nicht Ideale, Programme, nicht Gewissen, Pflicht, Verantwortung, Tugend, sondern ganz allein die vollkommene Liebe Gottes vermag der Wirklichkeit zu begegnen und sie zu überwinden“ (E, 69). Es dürfte in den bis hierher angestellten Analysen deutlich geworden sein, wie sehr sich Bonhoeffers und Iwands theologische Gedanken zum Problem der Ethik, auch ohne direkt voneinander abhängig zu sein, in parallelen Linien bewegen, die sich zuweilen auch in begrifflicher Gemeinsamkeit kreuzen. Wir haben oben schon gesehen, wie beide ihre Beschreibung des Problems der Ethik in die Vorstellung der Usurpation des „Wissens um Gut und Böse“ fassen. Auch die Nötigung zu einer theologischen Durchdringung von „Erfolg und Misserfolg“ haben beide gleichermaßen verspürt. Bonhoeffers Diktum von der Fremdheit und Feindlichkeit des Kreuzes gegenüber jeder Vergötzung des Erfolges oder jeder Fixierung auf den Misserfolg findet eine nahe Entsprechung in Iwands Göttinger Nachkriegsvorlesung. Hier stellt Iwand seine Überlegungen zu Erfolg und Misserfolg in den Rahmen seiner Vorstellung von der christlichen Ethik als einer Ethik der ecclesia militans. In dieser kommt der Mensch in den Blick nicht als einer der versucht, sich als ethisches Subjekt selbst zu behaupten, sondern dem es gegeben wird, „in der Waffenrüstung Gottes“ an Gottes Siegen mitzukämpfen und auf diese Weise das pro nobis Gottes zu erfahren. Für solche Menschen, die in der Schwachheit stark gemacht werden, gilt nun für Iwand, dass ihnen auch ihre Niederlagen zum Besten dienen müssen, da diese dafür sorgen, dass „niemals aus dem Deus pro nobis ein nos pro Deo werden kann“. Umgekehrt werden, wie Iwand anfügt, den Selbstgerechten sowohl ihre Niederlagen wie ihre Siege zum Schlechten dienen: „die Mißerfolge, um sie zu deprimieren, ihre Erfolge, um sie aufgeblasen und stolz zu machen“ (E, 42).

Das Evangelium als Krise der Ethik Eine weitere Parallele, die für die Thematik meines Beitrags von besonderer Bedeutung ist, hat sich bereits deutlich abgezeichnet: Beide Theologen versuchen theologisch zu erfassen, wie es zur geschichtlichen Katastrophe kommen konnte, in welcher der eine (Bonhoeffer) zur Zeit der Abfassung seines Textes noch

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unmittelbar steckt, und die dem anderen (Iwand) zur Zeit des Vortrags noch spürbar in den Knochen steckt. Auch hier bewegen sich ihre Gedanken weitgehend parallel, was die grundlegende Diagnose angeht, wonach es dem deutschen Volk nicht an Moralität fehlte, sondern an einer tiefer sitzenden trans-moralischen Widerständigkeit, die verhindert hätte, dass die bestehenden Moral sich in den Dienst der Inhumanität nehmen ließ. Bonhoeffer legt hierzu, wie wir gesehen haben, die stärker detaillierten Analysen in Form einer Typologie der verschiedenen Gestalten von Moralität vor, innerhalb derer er für jede einzelne zeigt, warum sie nicht in der Lage war „stand zu halten“. Wir haben auch gesehen, dass Bonhoeffers Charakterisierungen einen theologischen Zusammenhang erst auf den zweiten Blick freigeben – dann nämlich, wenn wir von der Charakterisierung des „Gegengifts“, das er empfiehlt, der klugen Einfalt, zurückblicken auf die Gestalten von Moralität, um so in ihrer Affinität zur Bipolarität (dem „Schielen“) das allen gemeinsame, zugrunde liegende Problem zu erkennen, welches letztlich auf die Tendenz zur menschlichen Selbstrechtfertigung zurückgeführt werden kann. Iwands Analyse des Versagens ist vergleichsweise summarischer, geht dafür allerdings zielstrebiger auf den theologisch neuralgischen Punkt zu. Auch Iwand qualifiziert seine Rede vom „Versagen“ der natürlichen Ethik. Wie für Bonhoeffer, so gelten jene „Lebensordnungen“ auch für Iwand als durchaus funktionstüchtige „Instrumente“ für eine humane Koexistenz. In der Kennzeichnung der Bedingungen, durch die die natürliche Ethik an ihre Grenzen stößt, setzt Iwand nun aber einen anderen Akzent. Während Bonhoeffer der natürlichen Ethik eine ausreichende Bedeutung für die Aufrechterhaltung menschlicher Zivilisation in normalen Zeiten zubilligt, und ihr Versagen im „Dritten Reich“ mit der besonderen Bedingung einer geschichtlich einmaligen „Bedrängnis“ zusammenhängen sieht, in der die Verwirrung ethischer Begriffe und die Verschleierung ethischer Charaktere die Orientierungskraft der herkömmlichen moralischen Kompasse außer Kraft setzte, ist die „Krise“ der Ethik für Iwand unmittelbar mit dem Evangelium gegeben. Nähern wir uns diesem Punkt, der mit „dikaiosyne theou (sic)“ gekennzeichnet ist, dann versagen unsere ethischen und moralischen Maßstäbe, es geht uns wie einem, der sich dem Pol nähert: Dann versagen die Instrumente, mit denen sich der Mensch sonst orientieren kann. Diese Instrumente sind notwendig und arbeiten präzise, solange die Entfernung vom Pol groß genug ist. Sie zeigen uns die Richtung an, an der der Pol liegt. Am Pol selbst aber wird dieses Orientierungsmittel sinnlos. Und die Tatsache, daß es nicht mehr richtig anzeigt, ist ein Zeichen, daß wir am Pol sind. Die Mitte, an der unsere ethischen Orientierungsmittel hinfällig werden … ist erschienen in Jesus Christus. … Das ist das skandalon, der „ethische Skandal“, der vom Evangelium ausgeht. Diesen Skandal abzumildern, einzugrenzen oder zu beseitigen heißt: die Freiheit Gottes aufheben (PdE, 12).

Die Krise der Krise: Iwands und Bonhoeffers Diagnostik des geschichtlichen Versagens 281

Wenngleich völlig unstrittig ist, dass Bonhoeffer um die Differenz von natürlicher Ethik und christlicher Ethik ebenso gut wusste wie Iwand, und, wie wir gesehen haben, auch Bonhoeffers Analyse in letzter Konsequenz die theologischen Hintergründe des Nichtstandhaltens der natürlichen Ethik ausleuchtet, so werden wir im eben zitierten Absatz bei Iwand doch vor eine besonders herausfordernde Erkenntnis gestellt: Im Letzten ist die Krise erst dann voll begriffen und angenommen, wenn ihre heuristische Kraft nicht auf das Offenbarmachen des Versagens, der Schuld und der Nichtigkeit begrenzt wird. Sofern es überhaupt angemessen ist, so unmittelbar von einer Erschließungskraft der Krise zu sprechen, muss jedenfalls deutlich bleiben, dass sie diese Erschließungskraft nicht aus sich selbst hat. In diesem Sinn „lehrt“ die Geschichte gar nichts. Theologisch gesehen bezieht die Krise ihre heuristische Kraft nicht aus den Gegensätzen, unter denen sie erscheint und verhandelt wird – zwischen Sein und Sollen, zwischen Komplizen und Komparsen, zwischen Bösen und Guten – sondern aus jenem anderen Gegensatz, auf den Iwand verweist: dem Gegensatz zwischen Evangelium und Ethik. Wenn das Evangelium selbst als die fundamentale „Krise“ der Ethik verstanden wird, dann – und nur dann – kann auch einer geschichtlichen Krise etwas „abgewonnen“ werden und ihre heuristische Dimension erkannt werden: insofern die geschichtliche Bedrängnis sehen hilft, wie „rostig“ (um Bonhoeffers Ausdruck aufzunehmen) die Waffen der Moralität letztlich sind, hilft die geschichtliche Krise dazu, den Blick frei werden zu lassen für die fundamentale Krise, deren Erkenntnis tatsächlich hoffnungsfroh ist. Denn das was, wie Iwand formuliert, hier über der natürlichen Ethik „wetterleuchtet“ (PdE, 11), ist nichts anderes als die freie Gnade Gottes, die es zu ergreifen gilt. Die Erinnerung an das theologische „Problem der Ethik“ oder gar das theologische „Problem Ethik“, die uns Bonhoeffer und Iwand auf ihre jeweilige Weise andienen, stößt heute auf geringe Resonanz. Im Gegenteil: Unsere Zeit erscheint geradezu Ethik-süchtig, wie die Allgegenwart von Ethikkomitees, Ethikinstituten und Ethiklehrstühlen zeigt. Längst hat sich die Ethik auch jenseits ihrer angestammten Reservate in Theologie und Philosophie etabliert im Verbund praktischer Disziplinen wie Medizin, Ökonomie, Politik und vieler anderen.26 In Deutschland hat sich der Ethik-Rat des Bundestages als eine Art höhere moralische Instanz etabliert, die dabei ist, den Kirchen den Rang abzulaufen und die für die Politik beinahe so maßgeblich geworden ist wie das Verfassungsgericht, dem immer häufiger Fragen von grundsätzlicher moralischer Bedeutung zur Klärung zugeschoben werden. Einem Trend in angelsächsischen Ländern folgend zeigen (durchaus im doppelten Wortsinn von „aufweisen“ und „vorzeigen“)

26 Bogner, Ethisierung der Technik.

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Bernd Wannenwetsch

auch einzelne Unternehmen in Deutschland zunehmend „ethisches Engagement“ und erwarten selbiges auch von ihrer Belegschaft. Ungeachtet der Frage, ob die Konjunktur der „Ethik“ und der Markt, der sich um sie gebildet hat, eher als die Kehrseite der Erosion eines lebendigen und sozial-kohäsiven Ethos zu verstehen ist, wofür manches sprechen dürfte, ist jedenfalls deutlich, dass sich die Marktlage „Ethik“ mindestens mittelbar in den Präferenzen spiegelt, die auch in den Theoriediskursen zu Tage treten. Auch hier gibt es eine deutliche Trendentwicklung in Richtung auf „funktionierende“ Ethikmodelle, mit denen die angestrebte ethische Kolonialisierung der Lebensbereiche vorangetrieben werden kann. Mindestens ein Teil der Begeisterung für die aristotelische Tugendethik, die sich in den letzten Dekaden auch innerhalb der theologischen Ethikdiskussion verbreitet hat, dürfte jenem Bedürfnis nach universaler Applizierbarkeit entspringen. Zeugnis hierfür legt eine Flut von „virtue ethics approaches“ ab, die heute zu allen möglichen Ethikbereichen vorgelegt werden.27 In der Perspektive jener Entwicklungen erscheinen die „Probleme der Ethik“ dann gewissermaßen als der Stoff, mit dem man die Maschinerie füttert: Ethik als Problemlösung. Bei Bonhoeffer und Iwand treffen wir auf eine gegenläufige Denkbewegung, die Umkehrung der applied ethics, wenn man so will. Wo dort die Ethik dazu dient, einer möglichen Krise zuvorzukommen oder die mit einer Krise verbundenen Probleme zu überwinden, wird die Krise bei Iwand und Bonhoeffer eher als eine Art Türöffner verstanden, um das Problem aufzudecken, das die Ethik und der Glaube an die Ethik selbst darstellt. Eine Überwindung des Problems liegt zwar auch hier auf der Fluchtlinie der Betrachtung. In den Horizont rückt diese aber nicht im Sinn einer „besseren“, praktikableren Ethik, sondern im Sinn der Teilhabe am Leben des Gekreuzigten und Auferstandenen, in der die Gebrochenheit ethischer Existenz nicht überspielt oder aufgelöst, sondern durchlitten und durchliebt wird. Auf der Fluchtlinie der hier angestellten Analysen von Bonhoeffers und Iwands Diagnosen des Versagens lässt sich sagen: Die geschichtliche Krise in ihrer ganzen Heillosigkeit kann bestenfalls verstanden werden als ein Hindeuten auf diejenige Krise, um die es im Kern geht: die Krise, die das Evangelium für jedes menschliche Unterfangen darstellt, sich selbst zu richten und zu retten und sich selbst die Maßstäbe des Handelns anzudienen.

27 Vgl. Russell (Hg.), The Cambridge Companion to Virtue Ethics; Sandler/Cafaro (Hg.), Environmental Virtue Ethics. .

Ralf K. Wüstenberg

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie und ihre ethischen Folgerungen im Quervergleich zu Iwand

Bei einem Italienaufenthalt im Jahr 1924 entdeckte Bonhoeffer einen Begriff, der für Katholiken alles und für Protestanten so wenig bedeutet. Er notierte damals in sein Tagebuch: „Ich fange, glaube ich, an, den Begriff der Kirche zu verstehen.“1 In seiner Dissertation Sanctorum Communio2 wird Bonhoeffer 1927 den Begriff der Kirche unter Einbeziehung der Sozialwissenschaften explizieren und in immer neuen Schattierungen in der Folgezeit ausleuchten, prägnant z. B. in seiner spirituellen und sakramentalen Dimension während seiner Verantwortung als Leiter des illegalen Predigerseminars in Finkenwalde (Stichwort Beichte) und dann in seiner weltlichen und nichtreligiösen Dimension als Kirche, die nur „Kirche (ist), wenn sie für andere da ist“3. In den Entwicklungen des Kirchenbegriffs der 1930er und 40er Jahre stecken ethische Verheißungen für heute, die Folgerungen aus einer durch Konkretion und Sozialität bestimmten Ekklesiologie darstellen; die Soziologie verarbeitet Bonhoeffer grundlegend in seinem akademischen Erstlingswerk, der theologischen Dissertation Sanctorum Communio.4

1 Bonhoeffer, Italienisches Tagebuch vom April 1924, DBW 9, 89. 2 Im Folgenden zitiert aus: Dietrich Bonhoeffer Werke Bd. 1 (= DBW 1). 3 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 560. Vgl. hierzu Ralf Wüstenberg, Eine Theologie des Lebens. Dietrich Bonhoeffers nichtreligiöse Interpretation biblischer Begriffe, Leipzig 2006 (engl. Grand Rapids/Cambridge 1998). 4 Ich beziehe mich im Folgenden auf die Ergebnisse der Untersuchung von Joachim von Soosten, Die Sozialität der Kirche. Theologie und Theorie der Kirche in Dietrich Bonhoeffers „Sanctorum Communio“ (Öffentliche Theologie Bd. 2), München 1992.

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1.

Ralf K. Wüstenberg

„Christus als Gemeinde existierend“ – Zur Sozialgestalt von Kirche

Bonhoeffers Interesses liegt, grundsätzlich gesprochen, in der Sozialstruktur, die der Kirche ihrem theologischen Verständnis nach eignet. Bonhoeffer ist überzeugt, dass Sozialität in der Intention sämtlicher theologischer Grundgehalte liegt. Die Theologie wird nicht um ein zusätzliches Thema erweitert, sondern Sozialität wird zum Fundament der Entfaltung eines jeden dogmatischen Sachverhalts erhoben, eben auch der theologischen Ekklesiologie. Der Begriff von Sozialität, den Bonhoeffer zugrunde legt, ist pointiert gegen die individualistische Bestimmung theologischer Kategorien gerichtet und sucht diese zu überwinden. Bonhoeffers Arbeit erschöpft sich dabei nicht in einer Individualismuskritik. Vielmehr unternimmt er den Versuch, über den Individualismus hinauszugelangen, indem Sozialität als die leitende Kategorie der Auslegung theologische Gehalte eingeführt wird. Es wird Neuland betreten: Bonhoeffer integriert nämlich soziologische Überlegungen in seine theologische Fragestellung. Insofern darf Sanctorum Communio als ein frühes Dokument für den disziplinären Dialog zwischen Theologie und Sozialphilosophie bzw. Soziologie gewertet werden. Dabei werden weder soziologische Begriffe den theologischen einfach hinzugefügt, noch kommen theologische und soziologische Perspektiven unverbunden neben einander zu stehen. Vielmehr spricht Bonhoeffer explizit von einer „Synthese“5 von soziologischer und theologisch-ekklesiologischer Betrachtungsweise. Theologisch soll die sanctorum communio zwar gänzlich vom Offenbarungsgeschehen her begriffen werden; ihre materiale Entfaltung greift aber auf soziologische Überlegungen zurück und synthetisiert diese zu einem eigenen soziologischen Typus, der die empirische Realität der Kirche adäquat umschreiben soll. Die voneinander unterschiedenen soziologischen Gebilde Gemeinschaft, Gesellschaft und Herrschaftsverband werden im Kirchenbegriff zusammengeschlossen und bilden den originären Typus der Kirche als einer „Gemeinschaftsgestalt sui generis“6. Auf die drei Begriffe Gemeinschaft, Gesellschaft und Herrschaftsverband wird im zweiten Teil zurückzukommen sein. Wir sehen bereits jetzt, wie kühn Bonhoeffer vorgeht. Er ist von der Auffassung geleitet, dass die theologische Ekklesiologie auf Theorieangebote aus den Sozialwissenschaften verwiesen ist, kurz: die Sozialität liegt in der Intention sämtlicher theologischer Gehalte. Die Frage nach der Sozialgestalt der Kirche entscheidet sich nach Bonhoeffer also bereits daran, ob es der Theologie gelingt, den sozialen Gehalt ihrer Grundbegrifflichkeit herauszuarbeiten. Das Fundament der Ekklesiologie bildet nach ihm ein Begriff der Sozialität, der zwar gegen eine 5 Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 78. 6 Ebd., 185.

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie

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individualistische Verengung der Theologie opponiert, nicht aber auf Kosten von Individualität entfaltet werden muss. Bonhoeffers These, dass die Sozialität in der Intention sämtlicher theologischer Gehalte liegt, beinhaltet für die Ekklesiologie zwei systematische Grundbestimmungen und mündet in die bekannte Bonhoeffer-Formel vom „Christus als Gemeinde existierend“7.

a)

Erste Grundbestimmung: Christus.

Im Zentrum von Bonhoeffers Kirchenlehre steht die Stellvertretung Christi. Dabei wird Christus von vornherein auf das in seiner Sozialität versehrte Gattungssubjekt Menschheit bezogen.8 Auf der Basis der paulinischen AdamChristus-Typologie (Röm 5) wird Christus als Stellvertreter der zu versöhnenden Menschheit verstanden. In und durch Christi stellvertretendes Handeln werden die Grundbeziehungen sozialen Seins wie die Gemeinschaft des Menschen mit Gott restituiert. Dabei wird in unmissverständlicher Weise die Exklusivität der Stellvertretung Christi hervorgehoben. Die Gemeinde kann nichts tragen, wenn sie selbst nicht von der Liebe Christi getragen wäre9. Die in und durch Christus begründete Loslösung aus der Ich-Gebundenheit führt in die Freiheit des stellvertretenden Mit- und Füreinander hinein. Wo Bonhoeffer das Geschehen der in Christus gründenden Liebe in seiner ekklesiologischen Bedeutung entfaltet, zeigt sich seine Lutherrezeption10 am deutlichsten. Mit Luther versteht Bonhoeffer den Anderen im Zusammenhang des Leibes Christi als denjenigen, durch, an und mit

7 Vgl. ebd., 76, 87, 126ff, 133f u. ö. Mit der Formulierung „Christus als Gemeinde existierend“ variiert Bonhoeffer einen Ausdruck Hegels. Hegel spricht in seiner Religionsphilosophie von „Gott als Gemeinde existierend“. Joachim von Soosten, Sozialität, 73 verweist zu Recht darauf, dass Bonhoeffers Formel nicht von Hegel aus interpretiert werden darf. Denn Bonhoeffer löst nicht die Christologie in der Ekklesiologie auf, sondern umgekehrt: Bonhoeffers Entfaltung des Verhältnisses von Christus und Gemeinde ist vor dem Hintergrund seiner christologisch bestimmten Stellvertretungstheologie zu rekonstruieren. Nicht von der Vielheit der Glieder der Gemeinde blickt Bonhoeffer auf ihre Einheit in Christus, sondern er schaut umgekehrt von Christus auf die Glieder des Leibes Christi. Christus wird nicht in die Kirche aufgelöst, sondern bleibt Konstitutionsgrund und Gegenüber der Kirche. Oder anders: Das Verhältnis der Identifikation von Christus und Gemeinde ist nach Bonhoeffer ein unumkehrbares Verhältnis der Konstitution der Gemeinde durch Christus. Enger lässt sich das Verhältnis von Christologie und Ekklesiologie nicht fassen. 8 Vgl. zum Nachfolgenden J. von Soosten, Sozialität, 69f. 9 Vgl. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 126. 10 Besonders nachhaltig lassen sich Spuren von Luthers Schrift „Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi und den Bruderschaften“ von 1519 nachweisen. Vgl. J. von Soosten, Sozialität, 173f.

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dem sich mein eigenes Sein allererst verwirklicht, kurz: Selbstsein (Individualität) und In-Beziehung-Sein (Sozialität) setzen sich wechselseitig voraus.

b)

Zweite Grundbestimmung: „als Gemeinde existierend“

Kirche als „sanctorum communio“ wird konkret gegenwärtig in ihrer empirischgeschichtlichen Gestalt. Es ist die Vergegenwärtigung Christi im Heiligen Geist in Wort und Sakrament. Was sich hier „als Gemeinde existierend“ aktualisiert, ist nichts anderes als die in Christus schon wirkliche Kirche. Bonhoeffer unterscheidet zwischen Realisierung durch Christus und Aktualisierung der Kirche. Das hat einen entlastenden Sinn: Die Verwirklichung der Kirche geht nämlich nicht auf die ethische Anstrengung des Menschen zurück. Das in Christus wiederhergestellte Beziehungsgefüge zwischen Gott und Mensch ist, wie Bonhoeffer mehrfach betont, kein Ideal, das der Mensch anstreben müsste. Die Bestimmung der Aktualisierung der Kirche in ihrer unlöslichen Bezogenheit auf ihre Realität in Christus hat zugleich eine kritische Funktion: Insofern nämlich der aktualisierten Kirche ihre Realisierung immer schon voraus geht, bleibt Christus kritische Norm und unverrückbarer Maßstab der geschichtlichen Darstellung der sanctorum communio im Vergegenwärtigungsgeschehen des Heiligen Geistes. Die Struktur der Stellvertretungstheologie wird von Bonhoeffer in der Formel „Christus als Gemeinde existierend“ zusammengefasst: Christus ist der Konstitutionsgrund der Gemeinde. Es ist Christus, der als Gemeinde existiert – das Verhältnis von Christus und Gemeinde ist unumkehrbar (Christus als Haupt seines Leibes). Auf der Grundlage des exklusiven Verständnisses der Stellvertretung Christi kann deren inklusiver Gehalt gedacht werden: Die Gemeinde existiert als Leib Christi in der Struktur der Stellvertretung in Entsprechung zu dem durch die stellvertretende Liebe gekennzeichneten Christus als Gemeinde existierend.

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie

2.

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Kirchenverständnis

a)

Vorbemerkung zu den Rahmenbedingungen

287

Bedingung des Dialogs von Theologie und Soziologie ist für Bonhoeffer die theologische Binnenperspektive: „Nur von oben nach unten bzw. von innen nach außen, nicht umgekehrt, ist ein Verständnis der empirischen Kirche möglich“11. So lautet der in Sanctorum Communio beständig wiederholte methodische Grundsatz. Der Begriff der Kirche muss also zunächst in seinem Konstitutionsgrund zur Geltung gebracht werden. Ein normatives Verständnis der Kirche aus ihrer geschichtlich-empirischen Wirklichkeit heraus wird abgelehnt. Dennoch gilt es, das eschatologische Wirken Gottes mit und unter den Menschen zu thematisieren. Wie verhalten sich aber geglaubte und empirische Kirche zueinander? Bei Bonhoeffer finden sich zunächst Hinweise via negationis12: – Vermieden wird ein Dualismus von geglaubter und empirischer Kirche. Stattdessen hält Bonhoeffer beharrlich an der einen Wirklichkeit der Kirche Jesu Christi fest: Die aktualisierte Kirche Jesu Christi wird nicht jenseits der empirischen Kirche wirklich, sondern immer nur mitten in ihr. – Vermieden wird aber auch die differenzlose Identität von geglaubter und empirischer Kirche, die die Wirklichkeit der wahren Kirche Jesu Christi in der Wirklichkeit der empirischen Kirche aufgehen lässt. – Vermieden wir ein normativ-dogmatischer Deduktionismus von empirischer und geglaubter Kirche. Hier verfehlt die Kirche Jesu Christi die empirische Realität insofern, als dogmatisch gesetzt wird, was als empirische Realität von Kirche zu gelten hat. Im Ergebnis wird die eine Wirklichkeit der Kirche Jesu Christi vielmehr „als ein dynamisches Differenzgeschehen angesehen, in dem die Unterscheidung und Bezogenheit von geglaubter und empirischer Kirche am Ort und in der Praxis der gegenwärtig wirklichen Kirche beständig bezogen wird.“13

11 Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 141. 12 Die nachfolgenden Punkte sind der Analyse von J. von Soosten, Sozialität, 239 entnommen. 13 J. von Soosten, Sozialität, 241.

288 b)

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Die Kirche als soziologischer Typus

Nehmen wir nun die Verarbeitung der Soziologie bei Bonhoeffer im engeren Sinn in den Blick! Es ist aufschlussreich, dass Bonhoeffers dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche in einen Abschnitt mündet, in dem die Kirche in die soziologische Typologie eingezeichnet wird14. Bonhoeffer ringt in diesem fundamentalen Abschnitt mit der Tatsache, dass der Begriff der Kirche sich nicht umstandslos in die Typologie sozialer Gebilde einzeichnen lässt. Im Ergebnis stellt er fest, dass Kirche eine selbständige und höchst originäre Struktur besitzt: „Kirche ist Gemeinschaftsgestalt sui generis, Geistgemeinschaft, Liebesgemeinschaft. In ihr sind die soziologischen Grundtypen Gesellschaft, Gemeinschaft und Herrschaftsverband zusammengezogen und überwunden.“15 Der Weg, auf dem Bonhoeffer zu diesem Ergebnis gelangt, führt interessanter Weise über die Verknüpfung der theologischen Binnenperspektive mit der soziologischen Außenperspektive. Im Einzelnen geht Bonhoeffer das Problem des soziologischen Strukturtyps der Kirche an, indem er jeden soziologischen Typus (also Kirche als Gesellschaft, Kirche als Gemeinschaft und Kirche als Herrschaftsverband) analysierend diskutiert und prüft, inwieweit die vorgestellten Typen dem Begriff der Kirche zu entsprechen vermögen. Kirche als Gesellschaft: In einem ersten Schritt wird die soziologische Kategorie der Gesellschaft, die sich wiederum in die zwei Typen des Vereins und der Anstalt zerlegen lässt, diskutiert. Der Begriff des Vereins erweist sich wenigstens aus zwei Gründen als unzulänglich: Ein Verein wird gebildet durch den freien und bewussten Zusammentritt der Mitglieder. Unter dem Gesichtspunkt der bewussten Entscheidung zur Mitgliedschaft in einem Verein muss z. B. die Kindertaufpraxis der Kirche als sinnwidrig erscheinen. Weiter macht Bonhoeffer ein theologisches Argument gegen die Vereinstheorie geltend, das sich auf die Kirche unter dem Gesichtspunkt ihrer Konstitution in dem in Christus offenbaren Willen Gottes bezieht. Im Blick auf die Frage nach der Wahrheit der Kirche als Kirche Jesu Christi muss die soziologische Betrachtung kapitulieren. „Ein Blick auf die christliche Anschauung von Sünde, Gnade, Christus, heiligem Geist, Kirche erweist die völlige Unzulänglichkeit des Vereinsbegriffs in seiner Anwendung auf den Kirchenbegriff“16. Gerade das letzte Argument, das Bonhoeffer gegen die Vereinstheorie anführt, scheint für den soziologischen Begriff der Anstalt zu sprechen; denn hier würde die Gnadengabe als konstitutiv für den soziologischen Typus der Kirche angesehen. Explizit greift Bonhoeffer an dieser Stelle auf die Definition der Anstalt 14 Vgl. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 173–188. 15 Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 185. 16 Ebd., 175.

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie

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von Max Weber und Ernst Troeltsch zurück. Die Kennzeichen der Anstalt bestehen nach Weber in einem von der Welt ausgesonderten Berufspriesterstand, einer anstaltsartigen Organisationsform, die ein genuin ausgebildetes Kirchenrecht erforderlich macht und schließlich der Loslösung des Charismas von der Person und seiner Verknüpfung mit der Anstaltsinstitutionalität. An dieser Stelle setzt aber die Kritik von Bonhoeffer ein: „Der kritische Punkt der Theorie wird erst dort getroffen, wo man nach der die Anstalt begründenden Autorität fragt.“17 Wie schon beim Vereinsbegriff macht Bonhoeffer kein soziologisches, sondern ein theologisches Argument gegen die Anstaltstheorie Webers geltend. Zwar hat der Anstaltsbegriff gegenüber der Kategorie des Vereins den Vorzug, dass Mitgliedschaft nicht als Resultat individueller Entscheidung aufgefasst werden muss. Der entscheidende Nachteil des Anstaltsbegriffes liegt aber darin, dass das Amt, das die Heilsgüter der Kirche verwaltet, der Gemeinde autoritativ übergeordnet wird. Da die Kirche nach Bonhoeffer durch Gottes freie Selbstvergegenwärtigung im Wort konstituiert wird, kann eine Sonderstellung des Amtes und des Amtsträgers über der Gemeinde nicht postuliert werden. Sie würde der Lehre vom Priestertum aller Gläubigen widersprechen. Die evangelische ,Anstalt‘ ist nicht von Gott über die Gemeinde gestiftet, sondern ist Tat der Gemeinde selbst, weil auch das Amt der Gemeinde gehört und nur im Zusammenhang mit dieser gedacht werden darf. Damit fällt aber der eigentliche soziologische Sinn des Anstaltsbegriffs dahin, insofern es keine Anstalt ohne Gemeinde gibt wie im Katholizismus, und insofern als die Gaben, die in der Kirche versprochen werden, solche sind, die Gott einer Gemeinschaft von Personen, seiner Gemeinde, gab, indem er dieser das Wort der Verkündigung anvertraute, durch das er sie auch erhält.18

Beurteilt man den Begriff der Anstalt aus dieser Perspektive, scheint der Vereinsbegriff der soziologischen Kategorie der Anstalt grundsätzlich überlegen. In ihm wird Kirche nämlich als eine Gemeinschaft von Personen gedacht. Obwohl Vereins- wie auch Anstaltsbegriff Elemente des soziologischen Typus der Kirche aufweisen, favorisiert Bonhoeffer einen Typus, der zwischen Verein und Anstalt liegt und zum einen auf die Konstitution der Gemeinde durch das Wort und zum anderen auf den sozial-kommunikativen Charakter der Gemeinschaft von Personen abhebt. Man kann vielleicht am ehesten von einem Typus sprechen, der durch charismatische (durch das Wort konstituierte) Vergemeinschaftung geprägt ist. Kirche als Gemeinschaft: Bonhoeffer betrachtet die Kirche unter den kategorialen Bestimmungen der Gemeinschaft und vermeidet – soziologisch gesehen – die Unzulänglichkeit des Anstaltsbegriffs, die darin bestand, dass die Kirche als ein Institut betrachtet wird. Für Bonhoeffer aber ist deutlich: „Nur von der Ge17 Ebd., 176. 18 Ebd., 177.

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meinde als Persongemeinschaft aus sind die evangelisch-kirchlichen Formen von Taufe, Konfirmation, Austritt, Versammlung und die rechtlichen Regelungen (Steuerverfahren) zu verstehen.“19 Für den Begriff der Gemeinschaft ist der freie Akt ihrer Bejahung wesentlich: „Alle echte Gemeinschaft als Willensgemeinschaft setzt den freien Akt der Bejahung der Gemeinschaft voraus“20. Der Begriff der Kirche vermag dem insofern zu entsprechen, als unter dem Akt der freien Bejahung die Bekenntnisvollzüge der Gemeinde verstanden werden können, die in Taufe, Konfirmation und Abendmahl zur Darstellung gelangen. Die Kindertaufe muss aus diesem Verständnis nicht herausfallen, da Bonhoeffer Kinder, bis sie über einen selbständigen Willen verfügen, als „ein Stück des Willens ihrer Eltern“21 ansieht. Der Gang der Erörterung wird bei Bonhoeffer wieder mit einem theologischen Argument abgeschlossen: Die Einzigartigkeit des soziologischen Typus der Kirche wird nämlich erst dort offenkundig, wo wir sie als die geistgegründete und -gewirkte Gemeinschaft und Gemeinde Gottes erfassen, als welche sie ist ’Christus als Gemeinde existierend’, die Gegenwart Christi. Vereinstheorie wie Anstaltsbegriff scheitern an dem evangelischen Verständnis von Geist und Gemeinde, jene, indem sie das Problem der Realität des Geistes gar nicht in Betracht zieht, dieser, indem er Geist und Gemeinde aus ihrem wesenhaften Zusammenhange reißt.22

Mit dem zuletzt angesprochenen Argument, das gegen die Vereins- wie die Anstaltstheorie ins Spiel gebracht wird, ist die Stelle erreicht, an der die Beurteilungskriterien in der Bestimmung des soziologischen Typus der Kirche wechseln. Die empirische Kirche als Darstellungsraum und -gestalt der Kirche Jesu Christi lässt sich aber nicht in soziologischer, sondern nur in theologischer Perspektive aussagen. Folglich muss Bonhoeffer auf den Begründungszusammenhang zu sprechen kommen, in dem sich die empirische Kirche als gegenwärtig wirkliche Gemeinschaft der Heiligen (sanctorum communio) begreifen lässt. Dieser Begründungszusammenhang, an den die soziologische Außenperspektive nicht heran reicht, besteht in der Aktualisierung der Kirche durch den heiligen Geist. Nach Bonhoeffer muss der Gemeinschaftsbegriff qualifiziert werden: Kirche „ist zwar Gemeinschaft, aber konkret bestimmt als Geistgemeinschaft“23. Die Akzentuierung des Gemeinschaftsbegriffs vom heiligen Geist her verändert die Struktur der Grundbeziehungen der Gemeinschaft: Das geistbegründete Erschließungsgeschehen der sanctorum communio am Ort der 19 20 21 22 23

Ebd. Ebd., 178. Ebd., 58. Ebd., 179f. Ebd., 180.

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie

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empirischen Kirche verweist jetzt auf den transzendenten Grund der Gemeinschaft. Hier greift die von Bonhoeffer bereitgestellte Kategorie des Herrschaftsverbandes. Die sanctorum communio als gegenwärtig wirkliche Kirche besitzt ihren Grund in ihrem Verhältnis zu dem ihr vorgegebenen, unverfügbaren Gegenüber; das Konstitutionsmoment dieses Gefüges muss in der Herrschaft Gottes ausgemacht werden. Kirche als Herrschaftsverband: Herrschaft Gottes wird von Bonhoeffer bestimmt als Selbsthingabe Gottes. Gott begründet Gemeinschaft nicht dadurch, dass er die Willen der Menschen gewaltsam unterwirft, sondern sich in seiner Selbsthingabe in Christus zum Mittel seines eigenen Zwecks setzt. „Der seinen Willen durchsetzen wollende Gott gibt sich selbst in die Herzen der Menschen und schafft Gemeinschaft, d. h. er setzt sich selbst zum Mittel seines Zweckes.“24 Dieser Akt der Selbsthingabe ist Ausdruck der Liebe Gottes. Demgemäß gilt: Gottes Herrschaft besteht in der Liebe zu den Menschen, die er mit sich und untereinander in und durch Christus versöhnen will. Blickt man von hier aus auf die durch die Herrschaft Gottes begründete Kirche, so modifiziert sich sowohl die Kategorie der Gemeinschaft als auch die der Gesellschaft. Joachim von Soosten analysiert den Gedankengang Bonhoeffers zutreffend: Die Kirche ist Herrschaftsverband, insofern sie durch die allen menschlichen Bemühungen zuvorkommende Herrschaft Gottes gestiftet wird. Diese Herrschaft Gottes wird von Bonhoeffer als Liebeshandeln Gottes verstanden, in dem die Liebe sowohl den Zweck als auch das Mittel seiner Herrschaft bildet. Die Kirche ist Geistgemeinschaft, insofern sie durch die Selbstvergegenwärtigung der in und durch Christus zum Ausdruck kommende Liebe Gottes in seinem Geist aktualisiert wird. Als Geistgemeinschaft ist die Kirche schließlich Liebesgemeinschaft, insofern die Liebe in der Kraft des Heiligen Geistes zu ihrem Lebensprinzip wird. Die gottgegründete und geistgewirkte Kirche verkörpert in ihrem Handeln dabei nichts Geringeres als das Doppelgebot der Liebe. Wie sich die Liebe gegenüber der versöhnenden Liebe Gottes in Christus in der Liebe zum Nächsten als wirklich erweist, so wird umgekehrt in der Nächstenliebe Gehorsam gegenüber Gott, eben die Liebe Gottes geübt (vgl. SC 181).25

Damit ist das Ziel der Ausführungen Bonhoeffers erreicht. Der originäre soziologische Typus der Kirche ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihm die „soziologischen Grundtypen Gesellschaft, Gemeinschaft und Herrschaftsverband zusammengezogen und überwunden“26 sind. Als Herrschaftsverband, Geist- und Liebesgemeinschaft weist sie, die Kirche, eine soziologische Struktur sui generis auf.

24 Ebd., 181. 25 Joachim von Soosten, Sozialität, 262. 26 Bonhoeffer, Sanctorum Communio, DBW 1, 181.

292

3.

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Ethische Folgerungen einer durch Sozialität und Konkretion bestimmten Kirche – Iwand und Bonhoeffer im Vergleich

Das konstruktiv-kritische Potential eines durch Konkretion und Sozialität bestimmten Kirchenbegriffs soll im nun folgenden Abschnitt bedacht werden. Dabei sind die ethischen Folgerungen zwar nicht nahtlos aus der soziologischen Bestimmung des Kirchenbegriffs abzuleiten. Aber zumindest für Bonhoeffer wird man sagen dürfen: Die innere Verbindung von Christus und Kirche (bei aller dogmatischen und christologischen Problematik) zielt auf die ethische Konkretion: Eine im Gespräch mit der Soziologie artikulierte Grundfigur aus dem frühen Schaffen Bonhoeffers wird später zum entscheidenden ethischen Impuls, nämlich als Frage nach dem konkreten Gebot, kurz: Scharnier- und Angelpunkt aller Ethik ist eine christologisch begründete Ekklesiologie.27 Für Dietrich Bonhoeffer erschließt sich das kritische Potential einer durch Konkretion und Sozialität bestimmten Kirchenbegriffs einige Jahre nach seiner Dissertation Sanctorum Communio und hält interessante Parallelen im Quervergleich mit Hans Joachim Iwand bereit. Es sind vor allem die auch aus der Soziologie stammenden Grundfragen, die Iwand in seiner großen Vorlesung zu Kirche und Gesellschaft aus dem Jahr 1951 aufnimmt. Im Querbezug zu Troeltsch fragt Iwand in seiner Vorlesung: „Was bedeutet ethisch gesehen die Bergpredigt? Wie ist sie zu realisieren? Wie müsste die Gesellschaft, die Gemeinde aussehen, in der die Bergpredigt gelebt würde?“28 Und Bonhoeffer fragt fast 20 Jahre vor Iwands Vorlesung in einem Vortrag aus dem Jahr 1932 nach der Bedeutung der Bergpredigt für die Formulierung eines konkreten Gebots: Was ist das Christentum, von dem wir da reden hören? Ist es im Wesentlichen der Inhalt der Bergpredigt oder ist es die Botschaft von der Versöhnung in Kreuz und Auferstehung unseres Herrn? Was für eine Bedeutung hat die Bergpredigt für unser Handeln? und was für eine Bedeutung die Botschaft vom Kreuz? Wie verhalten sich die Gestalten unseres neuzeitlichen Lebens zu der christlichen Verkündigung? Was hat der Staat, was hat die Wirtschaft, was hat unser soziales Leben mit dem Christentum zu tun? 29

Eindrucksvolle Parallelen kündigen sich an, wo Bonhoeffer mit Iwand ins Gespräch gebracht wird. Es sollen in diesem Schlussteil zumindest einige ethische Folgerungen der ekklesiologischen Ansätze beider Theologen angerissen werden. Bei Bonhoeffer treten die ethisch-konkreten Folgerungen aus seinen grundlegenden soziologischen Analysen aus Sanctorum Communio hervor, wie 27 In den Tegeler Briefen kann Bonhoeffer sagen, dass Kirche nur Kirche ist, wenn sie für andere da ist – und begründet dieses Dasein für andere – ontologisch ganz ungeschützt – im Dasein Jesu für die Menschen; vgl. DBW 8, 560. 28 Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 77. 29 Bonhoeffer, Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 329.

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die Frage nach der Bedeutung der Bergpredigt oder die nach den Ordnungen des menschlichen Lebens, die er später unter dem Begriff „Mandat“ in seiner Ethik voranzubringen versucht.30

a)

Ablehnung der neulutherischen Deutung der sog. Zwei-Reiche-Lehre

Eine eindrucksvolle Parallele zwischen Bonhoeffer und Iwand zeigt sich in zwei Zitaten, die in unterschiedliche Zeiten und Kontexte hineinsprechen: 1932 fordert Bonhoeffer in einem Vortrag programmatisch: Die Kirche als die eine Gemeinde des Herrn Jesus Christus, der Herr der Welt ist, hat den Auftrag, sein Wort der ganzen Welt zu sagen. Das Revier der einen Kirche Christi ist die ganze Welt.31

1947 formuliert Iwand nicht minder deutlich: Die Gemeinde Gottes in der Welt ist selbst die Darstellung des Neuen, das mit Jesus Christus seinen Anfang genommen hat. Sie weiß sich diesem, ihrem Herrn verbunden als dem einen Haupt und als dem einen Herrn. Sie ist die Mitte, von der die Erneuerung der Welt ausgeht.32

Und ein paar Seiten weiter heißt es: „Jesus Christus ist nicht nur das Haupt der Kirche (…), sondern er ist zugleich Herr der Welt.“33 Die Parallele liegt im Anspruch Christi auf die Welt. Das Dritte, woraufhin die beiden Zitate verglichen werden können (tertium comparationis), liegt in der gemeinsamen Ablehnung eines „Denkens in zwei Räumen“34. In kritischer Distanz zu wirkungsmächtigen Strömungen seiner Zeit lehnt Bonhoeffer35 den Gedanken ab, „dass es gottgewollte Eigengesetzlichkeiten des Lebens gebe, die der Herrschaft Jesu Christi entzogen wären.“ Pointiert: „Nicht ein heiliger, sakraler Bezirk der Welt gehört Christus, sondern die ganze Welt“. Grundgedanken aus Sanctorum Communio aufnehmend, vor allem den der Stellvertretung, kann Bonhoeffer pointiert sagen: „Die Kirche ist die Gegenwart Christi auf Erden, die 30 31 32 33 34

Vgl. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 392ff. Ders., Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 331. Iwand, Kirche und öffentlichkeit, NW 2, 25. Ebd., 41. Bonhoeffer wird die Zwei-Reiche-Lehre in seiner Ethik neu interpretieren mittels der Leitunterscheidung zwischen den „letzten und vorletzten Dingen“, vgl. Ethik, DBW 6, 136–162. Zur friedensethischen Diskussion im Zusammenhang der sog. „Zwei-Reiche-Lehre“ vgl. Ralf K. Wüstenberg, Die politische Dimension der Versöhnung. Eine theologische Studie zum Umgang mit Schuld nach den Systemumbrüchen in Südafrika und Deutschland, Gütersloh 2004 (engl. Grand Rapids/Cambridge 2009), 491–521, bes. 508f. 35 Nachfolgende Zitate: Bonhoeffer, Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 331.

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Kirche ist der Christus praesens. Darum allein hat ihr Wort Vollmacht. Das Wort der Kirche ist das Wort des gegenwärtigen Christus, es ist Evangelium und Gebot.“36 Auch Iwand lehnt verfehlte Interpretationen Luthers ab. Mit ironischem Unterton hält er in seiner Vorlesung zu Kirche und Gesellschaft fest: „Es gibt eine bestimmte Theorie – man hat sie als die lutherische gepriesen –, wonach die Kirche den Gesellschafts- und Staatsformen gegenüber neutral sei.“37 Iwand konstatiert, dass jene vermeintliche Neutralität sich gerne mit Indifferenz und Konservativismus verbindet. „Die Neutralität ist keine echte Mitte, kein nach beiden Seiten hin gleich offenes und gleich kritisches Zeugnis.“ „Sie ist nicht in der Lage, Frieden zu bringen.“ Und pointiert schließt Iwand den Gedankengang ab: Neutralität der Kirche im Sinne der Unterscheidung der beiden Reiche – so dass sie im Reich der Welt die Eigenständigkeit seiner Ordnungen zulässt – muss immer dazu führen, diese Ordnungen von der Kirche her heiligzusprechen und somit zu übersehen, dass in und hinter diesen Ordnungen Menschen schmachten, die auf die Botschaft der Befreiung harren! 38

Besonders in dem letzten Teilsatz wird eine weitere Parallele zu Bonhoeffer deutlich, nämlich die Ablehnung von Schöpfungsordnungen zugunsten der Erhaltungsordnung. Letztere rechnet dezidiert damit, dass die Ordnungen der Welt zur gefallenen Schöpfung gehören. Alle weltlichen Ordnungen sind „Erhaltungsordnungen Gottes“39: Sie erhalten die Welt und die Menschen, damit er erlöst werden kann, tragen aber nicht die Erlösung in sich. „Jede Ordnung … kann zerbrochen werden und muss es“, so Bonhoeffer, „wenn sie sich in sich selbst verschließt, verhärtet und die Verkündigung der Offenbarung nicht mehr zulässt“. Nur von hier aus, d. h. im Glauben, kann und muss die Kirche es wagen, für oder gegen den Bestand einer Ordnung zu entscheiden. Auch für Iwand ist deutlich, dass man jenseits „aller soziologischen Analogien“40 kommt, wo man Gottes Gnade das Urteil überlässt.

36 37 38 39 40

Ebd., 331. Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 19; nachfolgende Zitate ebd., S.20. Ebd., 20. Bonhoeffer, Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 337. Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 30.

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie

b)

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Kirche muss konkret in die Welt hinein reden

In einem Brief an seinen Studienfreund Helmut Rößler fasst Bonhoeffer den Zusammenhang pointiert in den Satz: „Christus gebietet, auch in seiner Verhüllung in der Kirche, (…) ganz konkret“41. Und wenn die Kirche nicht in konkretester Weise das Wort Gottes sagt, dann spricht sie nach Bonhoeffer nicht ein Wort der Vollmacht, sondern ein Wort der Ohnmacht. Soll sie als Kirche aber selbst in der Vollmacht des Christus praesens sprechen, so darf sie nach Bonhoeffer „keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind“42 und den Adressaten in seiner konkreten Situation betreffen. Die Kirche muss im Entscheidungsfall etwa nicht nur sagen können: es sollte eigentlich kein Krieg sein; aber es gibt auch notwendige Kriege, und nun jedem Einzelnen die Anwendung des Prinzips überlassen, sondern sie soll konkret sagen können: geh in diesen Krieg oder geh nicht in diesen Krieg.43

Iwand mahnt ebenso zur Konkretion, auch wenn der Kontext nach dem 2. Weltkrieg verändert ist und auch die Rede vom konkreten Gebot bei ihm – zumindest in seiner großen Vorlesung von 1951 – nicht explizit auftaucht.44 Das Thema Kirche und Gesellschaft sei in sich das „aufregendste Stück Ethik“, denn Kirche „muss die Christusbotschaft der Versöhnung Gottes mit der Welt in die Gesellschaft hineintragen.“45 Ja, Kreuz und Ärgernis soll die Kirche nach Iwand in der Welt sein; ihre Realität darf nicht durch das Jenseits bestimmt sein, sondern im Diesseits. Es darf nicht die Ethik an die Gesellschaft abgeben und sich allein auf soteriologische Fragen zurückdrängen lassen. Ähnlich wie bei Bonhoeffer später findet sich bei Iwand in diesem Zusammenhang bereits eine Religionskritik. Religion habe jedes kritische Potential verloren. „Religion heißt Ruhe und Frieden“, bedeutet die private, geistliche Existenz.“ Kirche darf aber nach Iwand nicht der Gesellschaft ihre „Selbstberuhigung“ geben, sondern sie soll „den ersten Schritt in diese Welt mit dem Wort Gottes beginnen“46 und, er verstärkt diesen Gedanken soteriologisch, wenn er pointiert sagt: „Die Predigt des Gesetzes Gottes ist das Heil in unserer Mitte. Sie besagt, dass Gott das Kommando ergriffen hat und uns dahin ruft, wohin wir gehören. Sein Gebot ist, weil es sein Gebot ist, wie eine Wand zwischen uns und dem Abgrund.“47 Manches spricht 41 42 43 44

Bonhoeffer, Brief an Helmut Rößler v. 25. Dezember 1932, DBW 12, 40. Bonhoeffer, Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 332. Ebd., 333. Vgl. aber Iwands Aufsatz Das Gebot Gottes und das Leben, NW 2, 46–73, und auch schon ders., Die Predigt des Gesetzes, GA II, 145–170. 45 Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 303. 46 Ebd., 38. 47 Ebd., 149–150.

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dafür, anzunehmen, dass Iwand hier über Bonhoeffer hinausgeht, weil er die Verkündigung des Gebotes in der Welt nicht nur ethisch, sondern soteriologisch begründen kann.

c)

Konkretes Gebot und Bergpredigt

Bonhoeffer48 diskutiert die Frage, ob man das konkrete Reden der Kirche aus dem biblischen Gesetz entnehmen könne, etwa der Bergpredigt „als absoluter Norm unseres Handelns“ nach der Maßgabe: „Wir haben einfach die Bergpredigt ernst zu nehmen und zu realisieren.“ Demgegenüber sei aber nach Bonhoeffer einzuwenden: „Auch die Bergpredigt darf uns nicht zum gesetzlichen Buchstaben werden. Sie ist in ihren Geboten die Veranschaulichung dessen, was Gottes Gebot sein kann, aber nicht, was es gerade heute und gerade für uns ist.“ Wenn das konkrete Gebot weder aus den Ordnungen der gefallen Welt (Schöpfungsordnungen), noch unmittelbar aus der Bibel (Bergpredigt) entnommen werden kann, woher dann? Für Bonhoeffer lautet die Antwort: von Christus her als von dem, „der an unserer Stelle das Gebot Gottes erfüllt hat, als dem, der die neue Welt bringt und verheißt“49. Und für Bonhoeffer lautet das konkrete Gebot, das die Kirche an die Völkergemeinschaft 1932 zu sprechen hat: „Die im Weltbund zusammengeschlossenen Kirchen meinen eine ganz bestimmte Ordnung als uns von Gott geboten zu erkennen. Die Ordnung des internationalen Friedens ist heute Gottes Gebot für uns.“50 1951 fragt Iwand in einer Bibelarbeit zur Gottesgerechtigkeit ebenfalls nach der Relevanz der Bergpredigt: „Haben nicht Tolstoi und Gandhi recht, wenn sie die Gewaltlosigkeit predigen?“ „Hat nicht Troeltsch Recht, wenn er in Röm 13 den Bruch sieht zwischen dem revolutionären Ethos der Bergpredigt und dieser religiös sanktionierenden konservativen Haltung des Paulus?“51 Auch Iwand geht es, wenn ich recht sehe, um die konkrete Ausrichtung des Gebots Gottes. Zitat „Wenn wir Gottes Gebot sagen, dann meinen wir hoffentlich nicht wieder eine mit dem Namen Gottes verherrlichte, gesicherte, begründete, schmackhaft gemachte Moral.“52 Vielmehr gelte es auch für die Predigt in die Welt hinein, dass sie mit „Vollmacht“ geschehe, „mit der Gott eigenen Autorität“53. Wie bei Bonhoeffer geht es den Mitarbeitern Gottes um das „Tun des Guten“; es geht darum 48 Nachfolgende Zitate aus Bonhoeffer, Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, DBW 11, 335. 49 Ebd., 336–337. 50 Ebd., 338. 51 Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1, 223. 52 Ders., Das Gebot Gottes und das Leben, NW 2, 49. 53 Ebd., 50.

Die Verarbeitung der Soziologie in Bonhoeffers Ekklesiologie

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die positiven Dinge zu fördern nicht um prinzipielle Erklärungen. Diese überlasse man getrost einem anderen“54. Die Wendung vom „Tun des Gerechten“ begegnet ebenso bei Bonhoeffer, hier in bekannt gewordenen Taufgedanken, wonach das Christsein in der Welt in zweierlei bestehen wird, nämlich „im Beten und im Tun des Gerechten“55. Wie Iwand lehnt auch Bonhoeffer ein prinzipienethisches Denken ab. Was immer richtig sei, kann heute gerade nicht richtig, noch geboten sein. Das konkrete Reden der Kirche in die Welt hinein ist für beide Theologen immer ein Wagnis, aber ein notwendiges. Es muss gewagt werden, und es kann gewagt werden, weil immer rückgebunden an die Vergebung Gottes. Drei Gesichtspunkte sollen aus dem Quervergleich festgehalten werden: – Die Unterscheidung zwischen konkreter Rede, die heute gilt, und Prinzipien, die immer gelten, bleibt friedensethisch wichtig. Das sei am Beispiel der Bergpredigtforderung aufgezeigt: Hatte Bonhoeffer im Juli 1932 die Bergpredigtforderungen als mögliche Illustration des göttlichen Gebots verstanden, so entdeckt er in ihnen wenig später das notwendige Gebot Gottes heute, im Jahr 1934. Er fordert nun eine Lektüre, die „für den einfältigen Leser ganz unmissverständliche Dinge“56 sagt und jede Dispensierung vom Gebot ausschließt. Unter „Einfalt“ versteht Bonhoeffer „eine Höchstform des innerlich Versammeltseins, (…) einen augenblicklichen, direkten Akt des Bewusstseins, der jeden Zwiespalt der Reflexion, jede Qual der Wahl (…) überwunden hat und auf das eine Ziel hin ausgerichtet ist.“ In diesem Sinn einfältig hört er das Bergpredigtgebot des Gewaltverzichts und der Feindesliebe jetzt, 1934. Und weil es sich um ein „konkretes Gebot“ handelt, ist wieder kein prinzipieller christlicher Pazifismus abzuleiten! Im Gegenteil: Später wird an die Stelle des einfachen Gehorsams die Verantwortung treten, eindrucksvoll in der „Struktur verantwortlichen Lebens“57 ausdifferenziert. Der existentielle Vollzug des Guten wird nicht mehr vom biblischen Gebotsgehorsam her begründet. Überhaupt tritt der Bezug auf die Bergpredigt zurück. Gewaltverzicht ist für Bonhoeffer in der Zeit des Widerstands jetzt nicht konkretes Gebot. – Die Bedingungsanalyse zur Formulierung des konkreter kirchlicher Rede, nämlich die präzise Kenntnis der politischen Gegenwart (in theologischer Sprache: der gefallenen Wirklichkeit) ist bleibend wichtig, damit christliche Friedensethik nicht mit alltagspolitischen Appellen verwechselt wird. Die Verkündigung des konkreten Gebots kann nur im Hören auf das Evangelium von Jesus Christus und in dezidierter Kenntnis der Situation erfolgen. Im Blick 54 55 56 57

Ebd., 72. Vgl. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, 428f. Ders., Christus und der Friede, DBW 17, 116. Vgl. im Ethik-Fragment „Die Geschichte und das Gute“, in: DBW 6, 245ff.

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Ralf K. Wüstenberg

auf letzteres ist die Rahmensituation angesichts einer sich abzeichnenden Kriegsgefahr in einem zum totalitären System hinwendenden Deutschland einschlägig. Bonhoeffer erkannte den drohenden Ausbruch eines Weltkrieges früh und forderte die Ökumene als die eine Kirche Jesu Christi zur Verkündigung des konkreten Gebots heraus. Wie ein Nachhall auf Bonhoeffers Forderung lautet auf Grund der Erfahrung des 2. Weltkrieges die Erklärung des frisch gegründeten Weltkirchenrates in Amsterdam 1948: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“. Bonhoeffer wäre aber m. E. heute missverstanden, wenn kirchlichen Verlautbarungen mit alltagspolitischer Parteinahme verwechselt werden. Auf der anderen Seite ermutigt er dazu die Verkündigung des konkreten Gebots auch dann zu wagen, wenn die Kirchen deswegen von der öffentlichen Meinung attackiert werden. – Bonhoeffers und Iwands Voraussetzung, dass es sich bei den Konfliktparteien um dezidiert christliche Völker handelt, die sich unter dem Eindruck kerygmatisch vermittelter Evidenz eines konkreten Gebots zum Frieden bewegen lassen, ist heute wohl mit Zurückhaltung zu begegnen. Bonhoeffer ist explizit in Fanö an der Auffassung geleitet, dass die christliche Kirche als Verkörperung des Christus praesens in allen Völkern lebt, dass deshalb die Christen „nicht die Waffen gegeneinander richten (können), weil sie wissen, dass die damit die Waffen auf Jesus Christus selbst richten“58. Zumindest implizit setzt auch der wiederholt zitierte Tschechoslowakei-Vortrag Bonhoeffers Christen als Adressaten des konkreten Gebots voraus. Andernfalls würde die Rede von der Wirklichkeit als Sakrament des Gebots wenig Sinn machen. Schließlich sollten die Adressaten auf einen christlichen Indikativ hin ansprechbar sein. Auch wenn das ethische Sakrament durch den Verkündiger konkret wird, so wird es doch – als Sakrament – im Glauben empfangen bzw. vernommen! In einer hermeneutischen Übertragung wäre zu fragen, ob nicht eine Differenzierung im Blick auf den Adressatenkreis innerhalb der verzweigten Bonhoefferschen Rede vom konkreten Gebot – später nutzt er die Rede selbst vielfältig in innerkirchlichen Seelsorgebezügen59 – notwendig würde bzw. der Begründungszusammenhang für heutige friedensethische Herausforderungen verändert werden müsste. Auch bei Bonhoeffer selbst tritt später die Verantwortung des einzelnen Glaubenden an die Stelle eines mit Vollmacht gesprochenen Wortes der Kirche.

58 DBW 13, 299–300. 59 Vgl. z. B. DBW 14, 570f.

3. Bilanz und Ausblick

Hans G. Ulrich

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre im Hinblick auf die heutige Lage der Kirche und der Theologie

Ich erinnere Euch mahnend aufgrund der barmherzigen Taten Gottes, dass Ihr Euer Leben ganz hingebt – zum Opfer – das sei Euer wortgetreuer Gottesdienst – und stellt Euch nicht den Mustern dieser Weltzeit gleich, sondern lasst Euch Eure Lebensform verändern durch die Erneuerung Eurer Wahrnehmung, damit ihr erproben könnt, was Gott für Euch und von Euch will: das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene. (Röm 12,1–2).

Was Paulus hier formuliert, enthält die Grundregeln der Grammatik, die die theologische Arbeit Bonhoeffers und Iwands leitet. Mit dieser Grammatik ist die Spur markiert, die hier zu verfolgen ist. Es ist die Spur der „Erneuerung“, die wegführt von aller Anpassung an die Denk- und Lebensmuster dieser „Weltzeit“. Dieser messianisch-eschatologischen Spur folgt Bonhoeffers und Iwands Theologie, die Kirche und Theologie in ihren zentralen Aufgaben provoziert und durchkreuzt.

I

Am Anfang war das Wort – Wort und Wirklichkeit

Bemerkungen zum Thema – das schon die leitende Grammatik –anzeigt Das Thema, so formuliert, ist genuin auf Bonhoeffer und Iwand bezogen, denn beide – das haben sie gewiss gemeinsam – sind in ihrem Theologie Treiben durchweg auf die Kirche und die ihr zugehörige und ihr verpflichtete Theologie bezogen. Immer wird die Kirche und die Theologie auf ihre Aufgabe hin angesprochen, auf das hin, was Kirche und Theologie konfrontiert, bestärkt und weiterführt.1 Gewiss wäre immens vieles hier in diesem Sinne in den Blick zu rücken und wir könnten versucht sein, ein ganzes Spektrum aufzumachen. Das ist zur 1 Siehe das Nachwort Eberhard Lempp/Edgar Thaidigsmann zu: Iwand, Christologie.

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Hans G. Ulrich

Wahrnehmung der komplexen Systematik gewiss angezeigt2, ist aber auch mit der Gefahr der Enzyklopädisierung3 verbunden. Jedoch will ich im Folgenden einer bestimmten Spur folgen, wie sie von Bonhoeffer und Iwand vorgezeichnet ist und von der her sich das erschließt, was hier Kirche und Theologie betrifft. Das birgt das Risiko, dass eben diese Spur dies nicht in jeder Hinsicht erschließt – aber doch ist es besser, ein solches Risiko einzugehen, als durch viele verschiedene Perspektiven die Provokation dieses theologischen Zeugnisses nicht mehr zuzulassen. Die Spur, die ich hier verfolgen will, ist von Iwand und Bonhoeffer her mit einem Stichwort vorgegeben – es ist das Schlüsselwort „Wirklichkeit“4, mit der Frage verbunden „Was ist wirklich?“ oder: „Was ist die wirkliche Wirklichkeit?“ – entgegen allem als ‚wirklich‘ Behaupteten und entgegen aller ‚Schwarmgeisterei‘.5 Sowohl bei Bonhoeffer als auch bei Iwand wird immer wieder der kritische Blick auf „Schwärmerei“ gelenkt – auf den Wirklichkeitsverlust von Weltveränderungsideologien, wie auf den Wirklichkeitsverlust des „Säkularismus“6, oder auch den Wirklichkeitsverlust in der Einforderung eines „politischen Realismus“, der sich der neuen, anderen Wirklichkeit verschließt, die von „Gottes Handeln“ bestimmt ist. Die Wirklichkeit ohne jenes göttliche Handeln in ihr (sc. Gottes Versöhnung mit der Welt in Jesus Christus) und an ihr verstehen zu wollen, bedeutet in einer Abstraktion leben, an ihr vorbeileben, zwischen den Extremen der Servilität vor dem Faktischen und dem grundsätzlichen Widerspruch gegen das Faktische hin und her zu schwanken.7

Die Wirklichkeit wird nur präsent im „Wirklichwerden der Offenbarungswirklichkeit Gottes in Jesus Christus unter seinen Geschöpfen“, die in Gottes Wort gefasst ist, das uns begegnet. So gilt, „dass wir auch in der falschen Wirklichkeit gar nicht anders leben können als von der wahren Wirklichkeit des Wortes Gottes“.8 Entsprechend kennzeichnet Bonhoeffer „Wirklichkeitsgemäßheit“ als leitendes Kriterium theologisch-ethischen Urteilens. „Was mit Bonhoeffer und Iwand im Blick auf die heutige Lage der Kirche und der Theologie zu verhandeln wäre“ – so heißt es in der Themenstellung, die von Gerard den Hertog vorgegeben wurde. Genau so ist das Thema zu stellen, sofern es eben nicht um „die Kirche“ oder „die Theologie“ als solche gehen kann, sondern um ein „was“, das heißt um die „Sache“, mit der Kirche und Theologie 2 Siehe zu Bonhoeffer insbesondere F. Barth, Die Wirklichkeit des Guten. 3 Siehe dazu MacIntyre, Der Verlust der Tugend. 4 Siehe zu Bonhoeffer: Feil, Die Theologie Dietrich Bonhoeffers, 86–115. Zur Diskussion in der Bonhoeffer-Forschung siehe auch: Clark/Mawson/Green, Ontology and ethics. 5 Siehe: Wiebel, Schwarmgeisterei. 6 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 236. 7 Ebd., 222. 8 Ebd., 33f..

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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gegeben sind und mit der sie stehen und fallen. Nur von dieser Sache her kann die heutige Lage in den Blick kommen. Die „Sache“ ist mit dem Wort gegeben, es ist die als Wort gegebene Sache – es ist das (hebräisch) „dabar“. Im Dienst der Kirche – heißt im Dienst der Sache, heißt im Dienst am Wort und so an der mit ihm eröffneten Erkenntnis. Es ist im Dienst der Kirche, wenn die Theologie ihr hilft, ihre Sache nicht zu verlieren. Das wird im Wesentlichen heißen, nicht den Charakter ihrer Zeugenschaft zu verlieren und so für nichts mehr zu stehen, das womöglich auch quer steht zu all den Alternativen, die verhandelt werden. Mit der Sache, dem Wort geht es immer um die heutige Lage, weil das Wort adressiertes Wort ist, immer hier und dort anredend, auftreffend, was aber nicht heißt, dass diese heutige Lage nicht zugleich von einer immer gegebenen Lage bestimmt ist, die mit der heutigen Lage auf je verschieden dramatische Weise akut wird. Das ist die Lage einer Welt zugleich mit der Lage einer Kirche und Theologie wie sie von der Botschaft, von ihrer Sache her zu sehen ist. Wir werden bei Iwand in besonderer Weise auf ein solches „Heute“ treffen, und auch Bonhoeffer thematisiert auf eigene Weise dieses „Heute“. So geht es, wie Bonhoeffer eindrücklich ausgeführt hat, nicht darum, im Theologie Treiben „Lösungen“ für dieses oder jenes Problem anzubieten, sondern es gilt, die Botschaft von der Erlösung zu artikulieren9, durch deren Heuristik die Gebrochenheit der Welt – durch die Brechungen der Erkenntnis hindurch – sichtbar wird. Die Aufgabe der Theologie ist es, diese gebrochene Gebrochenheit erscheinen zu lassen und so die Wege oder Spuren markieren, auf denen zu gehen ist. Das mögen dann freilich ganz andere Wege sein als die, die sich dadurch empfehlen, dass man versucht, Probleme zu identifizieren und dafür aus der Theologie und ihren Heuristiken Lösungen zu schöpfen. Wenn man der Hermeneutik und Heuristik von Bonhoeffer und Iwand folgt, wird man nicht versuchen, freischwebend Diagnosen zur „Lage“ oder Problemlagen zu fixieren, vielmehr wird man diese von dem her zu gewinnen suchen, was in der Kirche und in der Theologie und ebenso an die Kirche und an die Theologie adressiert mitzuteilen ist. Diese Mitteilung an uns auf den Weg zu bringen, ist die Aufgabe der Theologie. Dies macht diese Theologie zu einer kritischen Theologie, die nicht nur Gegebenes reflexiv aufbereitet, sondern einem Einspruch und einer Verheißung folgt, die sie kritisch zu bewähren sucht und so eine Christologie als kritische Anthropologie10 einschließt. Sie hat zu zeigen, wie in dem gebrochenen Jesus, im ecce homo, der ganz Gott zugehört, menschliches Leiden als selbst in Gottes Geschichte gebrochenes, in Gottes Geschichte verborgen11, erscheint. 9 Siehe Bonhoeffer, Über die Möglichkeit des Wortes der Kirche an die Welt, DBW 6. 10 Iwand, Christologie, NWN 2. Siehe das Nachwort von Lempp und Thaidigsmann. 11 Sauter, Gerhard, Das verborgene Leben.

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Immer wieder wird von Iwand unterstrichen, dass dieses „was“ der Mitteilung, die „Sache“ nicht verloren gehen darf, so dass die Kontexte und Themen, die anzusprechen sind, dieses „was“ der Mitteilung verschwinden lassen. Und damit sei auch für das Folgende festgehalten, dass hier nicht „über“ das zu reden ist, was Kirche und Theologie von Bonhoeffer und Iwand her gesehen betrifft, sondern dies ist an Kirche und Theologie und somit an uns zu adressieren. „Heute, so Ihr meine Stimme höret …“ (Heb 3,15) Es gilt, eben dieses „Was“ zur Mitteilung zu bringen und so eine kritische und befreiende Erkenntnis12 in Gang zu setzen. Diese Disposition von Entdecken und Finden13 ist selbst auch nicht in einer allgemeinen Einsicht begründet, die jedenfalls solange nichtssagend bleibt, solange nicht gesagt werden kann, in welcher Bestimmtheit von einem wiederum bestimmten Entdeckungszusammenhang auszugehen ist, dem einzig dies so angemessen ist. Auch diese Disposition ist dann einem „was“ geschuldet, einem Wort, das wir immer neu zu hören suchen und von dem wir uns dann leiten lassen dürfen, auch in dem, was wir an heutiger Lage zu erkennen suchen und in dem, was wir dann akut mitzuteilen haben. Wir dürfen uns als die betrachten, die Gottes Wort leitet und führt. „Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach Deinem Wort …“14 In der Logik dieses Gebetes dürfen wir uns aufhalten. Iwand spricht in „Die Predigt des Gesetzes“ von einem „führenden“ Reden Gottes15. Das heißt: wir dürfen darauf vertrauen, dass das Wort, nach dem wir greifen, auch wenn wir es sind, die es ergreifen, uns leitet und auf dem Weg führt, auf dem wir gehen sollen. Ohne dieses Gebet und das darin beschlossene Vertrauen – wären wir mitsamt dem Wort Gottes auf uns zurückgeworfen, auf das, was wir als „Wort“ glauben hervorheben und auszeichnen zu müssen. So, wie die Bibel in ihren Geschichten das Wort-geschehen beschreibt, ist es das Wort-Ereignis, das zu allem weiteren führt. Dieses Wort kommt inhaltlich bestimmt, es ist nicht ableitbar oder in einer Weltanschauung zu verorten. Es bricht inhaltlich herein in das, was wir reden und denken, wie auch immer quer dazu, um uns dann mitzunehmen dorthin, wohin wir gehen sollen. Dieses Wort ist Botschaft an uns – und zugleich (eben deshalb) erinnernd an die Geschichte, in der wir uns finden dürfen, zu der wir gehören. Diese Geschichte, diese andere Geschichte (Christus-Geschichte, Geschichte von Gottes Gerechtigkeit, die vom Geist geleitete Geschichte des Zeugnisses) verläuft quer zu dem permanenten Geschehen und den wie auch immer sich abzeichnenden Geschichten und Geschichtsphilosophien, in denen wir uns aufhalten, die wir erzählen, uns rekon12 13 14 15

Den Hertog, Befreiende Erkenntnis. Siehe dazu O’Donovan, Finding and Seeking. Evangelisches Kirchengesangbuch, Lied Nr. 445, Vers. 4. Iwand, Die Predigt des Gesetzes, 164. Martin Buber übersetzt „Wort“, sofern es von „IHM“ kommt, immer mit „Rede“.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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struieren und erklären.16 Die so bestimmte Unableitbarkeit der anderen Geschichte ist absolut different zu der unbestimmten Zufälligkeit der Entdeckungszusammenhänge und Geschichten, die wir uns zurechtlegen, auch des Kontingenten, das wir identifizieren, weil wir keinen Erklärungszusammenhang haben und doch auf einer Erklärung insistieren. Was im Hinblick auf die heutige Lage der Theologie und Kirche zu sagen ist, kann also – wenn wir Iwand und Bonhoeffer folgen, nur so einsetzen, dass das bestimmte „Wort“ kenntlich wird, dem zu folgen ist, sowohl in dem, was zur Mitteilung kommen soll als auch in der damit eröffneten Wahrnehmung der „Lage“. Bonhoeffer bemerkt: „Meint man, dass es vom Christentum her zu den weltlichen Dingen etwas Bestimmtes zu sagen gibt, so ist das richtig.“17 Und so ist auch das Wort Gottes, das an die „Welt“ zu richten ist, inhaltlich bestimmt: Das Wort der Kirche an die Welt ist das Wort vom Kommen Gottes ins Fleisch, von der Liebe Gottes zur Welt in der Sendung seines Sohnes, vom Gericht Gottes über den Unglauben; das Wort der Kirche ist der Ruf zur Umkehr, zum Glauben an Gottes Liebe in Christus, zum sich-bereiten auf die Wiederkunft Christi, auf das kommende Reich Gottes. Es ist also Wort der Erlösung für alle Menschen.18

Eben dies ist heute in Bezug auf Kirche und Theologie und mit Kirche und Theologie zu besprechen. Dem Wort zu folgen, ist die Aufgabe von Theologie und Kirche und dies ist dann auch der Dienst an der Kirche, es ist der Dienst an diesem bestimmten Wort, das der Kirche aufgetragen ist und in dem allein sie ihren Bestand hat. Damit ist für die Predigt der Brennpunkt markiert.19 Von der Predigt her und auf sie hin ist die ganze Aufgabe der Theologie zu bestimmen.20 Hier könnten wir kritisch mit Theorien von der Kirche (Ekklesiologien) und ihrer Aufgabe umgehen, in denen diese Disposition verschwindet, sodass nicht mehr sichtbar wird, in welcher Aufgabe die Kirche ihren Bestand hat, etwa dann, wenn die Kirche religionssoziologisch gekennzeichnet wird im System „Religion“, das „Kontingenzbewältigung“ zu leisten hat21 (Niklas Luhmann). Funktionen wie diese sind transformierbar und auf andere Akteure im System Religion übertragbar. Nicht übertragbar oder austauschbar sind der Dienst am Wort und andere „Praktiken“ (practices), die genuin kirchliches Handeln ausmachen, weil sie von Gottes Handeln nicht zu trennen sind. Diese Praktiken dienen der „Sache“. In ihnen findet die Kirche selbst ihren Bestand. So kann Vergebung nicht 16 17 18 19 20 21

Vgl. Hofheinz/Mathwig/Zeindler (Hg.): Ethik und Erzählung. Ethik, DBW 6, 357. Ebd., 358f. Hermelink, Die homiletische Situation. Siehe insbesondere dazu: Schwarz, „Denn wenn ich schwach bin, bin ich stark“. Zu einer gegenläufigen pneumatologischen Erschließung siehe: Reinders, Disability, Providence, and Ethics.

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ersetzt werden, etwa durch eine gute seelsorgerliche Beratung, Verkündigung kann nicht ersetzt werden durch eine ermutigende oder ermahnende Rede und die Rechenschaft von der Hoffnung und der mit ihr verbundenen Erwartung der Gegenwart Gottes nicht durch Zukunftsrhetorik. Wir gehen also im Folgenden der Frage nach, was es heißt, dass die Kirche mit der Bezeugung der Sache, mit dem Bekenntnis und dem prophetischen Reden steht und fällt, – und umgekehrt, dass die Sache der Kirche und der Theologie mit dieser Bezeugung, diesem Bekenntnis und diesem prophetischen Reden steht und fällt. Dass dies nicht wiederum von einem Beobachter mit der Reflexion auf das „Kerngeschäft“ (und seinen Verschiebungen22) zu fassen ist, ergibt sich aus der Sache und der ihr entsprechenden Praxis, genauer den Praktiken, in denen das Zeugnis präsent wird. Diese Praktiken – und einzig sie – stehen für die Sichtbarkeit der verborgenen, der wirklichen Kirche, für die performative Sichtbarkeit der Kirche, die in Gottes Handeln, in Gottes Gerechtigkeit und Treue ihren Bestand hat. Dies ist die spezifische, eigenständige Öffentlichkeit der Kirche. So ist also zur Kirche – von Bonhoeffer und Iwand her – zu sagen, dass sie in eben diesen Praktiken (practices) 23 besteht – im Bezeugen, im Bekennen, im prophetischen Reden und in all den weiteren Praktiken, die dazu gehören, wie „Beten und Tun des Gerechten“24 als ihrem Angelpunkt. So können wir festhalten: Die Kirche steht und fällt mit dem Zeugnis, dem Bekennen, sie ist in ihrem Wesen bekennende Kirche: Wo Gott nicht das Haus baut, da arbeiten die Bauleute umsonst. Der Aufbau der Kirche ist das Geschenk und die Beglaubigung für das rechte Bekenntnis. Darum ist die Bekennende Kirche in ihrer so gewordenen, sichtbaren Gestalt nicht zu trennen von den Bekenntnissen von Barmen und Dahlem. …Bekennen heißt ja nicht, der Propheten Gräber schmücken, sondern auf die Stimmen der Glaubenszeugen hören, die uns durch die Jahrhunderte hindurch zu einem klaren und mutigen Bekenntnis heute rufen. Darum steht die Wolke der Zeugen über uns, dass wir mit ihnen einstimmen in den Lobpreis der Gnade Gottes in Jesus Christus – heute und in eigenen Entscheidungen, so wie sie selbst ihre Zeit vor Entscheidungen gestellt haben.25

22 Habermas spricht von einer Verschiebung ins seelsorgerlich Pastorale – siehe: Habermas, Nachmetaphysisches Denken II, 312. 23 Zur Entfaltung und Diskussion siehe: Volf/Bass (Hg.), Practicing theology. Beliefs and practices in Christian life; Hütter, Suffering divine things. 24 Bonhoeffer, Gedanken zum Tauftag von D.W.R., Mai 1944, DBW 8, 435f. 25 Iwand, Briefe, Vorträge, Predigtmeditationen, 196f.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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Bei Bonhoeffer (Die bekennende Kirche und die Ökumene) ist zu lesen: Die Bekennende Kirche ist die Kirche, die in ihrer Ganzheit ausschließlich durch das Bekenntnis bestimmte Kirche sein will. Es ist grundsätzlich nicht möglich, an irgend einem Punkt mit dieser Kirche ins Gespräch zu kommen, ohne sofort die Bekenntnisfrage zu stellen. (243f.) Bekenntnislose oder bekenntnisfreie Kirche ist nicht Kirche, sondern Schwärmerei und macht sich zum Herrn über Bibel und Wort Gottes. Bekenntnis ist die mit eigenen Worten ausgesprochene formulierte Antwort der Kirche auf das Wort Gottes in der Heiligen Schrift. (250)

Hier erfahren wir auch: Bekenntnis der Sünde und der Rechtfertigungsbedürftigkeit ist das erste, grundlegende Bekenntnis (255). Bekennen geschieht durch alle Praktiken, die Hinweis sind auf die Verheißung, die Gott auf dieses Tun legt (256). Die Bekennende Kirche ist die Kirche, die nicht aus ihrer Reinheit, sondern in ihrer Unreinheit lebt – die Kirche der Sünder, die Kirche der Buße und der Gnade, die Kirche, die allein durch Christus, allein durch die Gnade, allein durch den Glauben leben kann. Als solche Kirche, die täglich in der Buße steht, ist sie Kirche, die ihre Schuld an der Zerrissenheit der Christenheit bekennt und die jeden Augenblick ganz auf das Geschenk der Gnade Gottes angewiesen bleibt. Sie existiert darum nur als hörende Kirche, sie ist frei für das Hören auf den anderen, der sie zur Buße ruft. (259)

Bekennende Kirche, die eben darin als Kirche in der Brechung durch das Bekenntnis, in der Brechung durch das, was zu bezeugen ist, erscheint. Von „Brechung“ ist zu reden im Sinne der „Krisis“, der einbrechenden Differenzsetzung und Unterscheidung – wie die Unterscheidung der Geister –, die immer neu die Spur markiert, auf der Gottes Geschichte verläuft. Diese Krisis findet im Bekenntnis der Sünde ihre genuine Form, sofern dieses Bekenntnis aus der Wahrnehmung der barmherzigen Zuwendung Gottes kommt, durch die das Zeugnis und das Bekenntnis auf der mit dem Wort gegebenen Spur bleibt. Mit dem Zeugnis geht es um die Kirche in ihrem substantiellen Vollzug und in der Brechung der wie auch immer identifizierten „Kirche“ und ihrer irgendwie rekonstruierten Historie. Dass sich an dieser Brechung die Gebrochenheit der Wirklichkeit so zeigt, dass sie einer anderen Geschichte zugehört, das ist die immer neue kritische Aufgabe der Theologie. Was schließt dies ein – woran wird dies akut?

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Zusammenfassung Brechung am Bekenntnis, am Zeugnis – das ist der Vorgang der Kritik, des Urteilens, Unterscheidens26 und Verstehens durch das Zeugnis. Wenn von Kritik (und Krise) die Rede ist, dann von diesem die Wirklichkeit kritisch brechenden Zeugnis. Dieses ist aber nicht formal bestimmt, sondern inhaltlich gegeben mit dem bestimmten Wort und dem Glauben, einem neuen „Geist“ erschlossen. Dieses Was ist definitiv inhaltlich bestimmt als Gottes Handeln (an uns Menschen am Ort der Kirche) in seiner Gerechtigkeit – in Jesus Christus in seinem Kreuz und in allem weiteren Handeln Gottes im Heiligen Geist. Von dieser Geschichte des bestimmten Handelns Gottes, hat die Kirche zu zeugen. Und so gehört sie selbst zu dieser Geschichte. Wirklichkeit wird anders nicht präsent: Die Wirklichkeit ohne jenes göttliches Handeln in ihr und an ihr verstehen zu wollen, bedeutet in einer Abstraktion leben, an ihr vorbeileben, zwischen den Extremen der Servilität vor dem Faktischen und dem grundsätzlichen Widerspruch gegen das Faktische hin und her zu schwanken.27

Was heute zu verhandeln ist, ist eben dies: was es heißt Kirche zu sein – als diese bekennende Kirche. Damit verbunden ist dann zu fragen, wie durch die Praxis des Bekennens derer, die sich von Gottes Wort leiten und von Gottes Handeln verändern lassen, die „Wirklichkeit“ sichtbar wird, die in Gottes Wort beschlossen ist.

II

Kirche in ihren Praktiken als Zeugnis von Gottes Gegenwart

Kirche ist der Ort, an dem Gott selbst zu Wort kommen will (Bonhoeffer). Kirche wird damit paradigmatisch als die Kirche derer wahrgenommen, die Gott an sich arbeiten lassen (Iwand). Es ist die Kirche – bei Bonhoeffer und Iwand oft unterstrichen – der Buße und der Umkehr.28 Es ist die Kirche, die in dieser Brechung existiert, die nur so empfänglich bleibt für Gottes Handeln und in dieser Empfänglichkeit ihren Bestand hat. Um diese in dieser Brechung substantiierte Kirche geht es – um diese von diesem Positivum des Wirkens Gottes nicht entleerte Kirche. „Ekklesio-logie“, die Thematisierung von „Kirche“, kann dann nur als Botschaft von der „Kirche“ für die Kirche zur Sprache kommen. Es geht darin um die Bezeugung dessen, was Kirche ist und sein darf. Es ist damit nicht gesagt, dass 26 Ulrich, The Ways of Discernment; siehe auch Reinders, zu „the spirit of discernment“ in: ders., Disability, Providence, and Ethics. 27 Bonhoeffer, Die Geschichte und das Gute, DBW 6, 222f. 28 Vgl. Bonhoeffer, Die bekennende Kirche und Ökumene, GS 1, 240–261.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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„Kirche“ im Zielfeld (telos) dessen ist, was theologisch zu sagen und zu fassen ist. Kirche ist kein Ziel für sich, ohnehin kein letztes Ziel. Das Ziel (telos) ist das Zeugnis von Gottes Gegenwart. Die „sanctorum communio“ wird nur dadurch überhaupt (als Botschaft) adressierbar, dass sie als diejenige Gemeinschaft berufen ist, die Gottes Gegenwart glaubt und hofft – dass sie in dieser Brechung von Gottes Gegenwart, seinem Wirken und seiner Verheißung existiert. Damit wird es möglich, „Kirche“ zu thematisieren – aber wirklich nur so, wenn nicht „Kirche“ affirmiert, herbeigedacht und identifiziert werden soll. Es kommt dann aus dem Blick, dass Kirche als Geschöpf des Wortes (creatura verbi) als sanctorum communio wirklich wird, als Kirche derer, die Gott an sich handeln lassen, als Kirche seiner „Heiligen“. Dies steht in der Abgrenzung gegen eine Bestimmung (oder Selbstbestimmung) von Kirche, die auf sich selbst zielt, die sich selbst zum Gegenstand oder Projekt macht, die ihre Erscheinung, ihre Präsenz, ihr Gesehen- und BeachtetWerden oder auch ihr Überleben thematisiert – statt dass sie genuin in den Praktiken erscheint, die sie in ihrer Zeugenschaft kennzeichnet, Zeugenschaft von dem, was Gott wirkt – im Gebet, im Bekennen, in der Verkündigung, im Zuspruch der Vergebung, im Tun des Gerechten. Am Thema „Kirche und Öffentlichkeit“29 (Iwand) kann dies erprobt werden. An dieser Thematisierung – auch an „Kirche und Gesellschaft“30 – ist die Differenz auszumachen zwischen einer Positivierung von „Kirche“ und einer Wahrnehmung, einer Anerkenntnis dessen, was „Kirche“ im Positiven, in ihrer objektiven Gestalt ausmacht, nämlich in den bestimmten Praktiken, die dann, wenn sie ausgeübt werden, Kirche im Positiven wirklich sein lassen31: Wo Gottes Wort gepredigt und die Gemeinschaft im Brotbrechen gefeiert wird, im Ganzen des Gottesdienstes – da existiert Kirche, nicht, um sich als Kirche zu präsentieren, sondern um Gott in seinem Handeln präsent sein zu lassen. Zu bewähren hat sich dies auch an der Thematisierung von „Religion“ und deren Brechung in der „sanctorum communio“.32 Das stimmt mit Bonhoeffers Beschreibung des „gemeinsamen Lebens“ zusammen (und auch mit der Beschreibung der ökumenischen Existenz der Kirche), das eben in diesen Praktiken gelebt wird, im Beten, Schriftlesen, Singen, Beichten, Vergebung der Sünden, Taufen, Gemeinschaftsmahl feiern.33 Dies sind die Praktiken, in denen die Kirche als Geschöpf in Gottes Handeln erscheint.34

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Iwand, Kirche und Öffentlichkeit (A und B), NW 2, 11–45. Ders., Kirche und Gesellschaft, NWN 1. Siehe auch: Bonhoeffer, Sanctorum communio, DBW 1, 140–171. Siehe dazu u. Siehe Entsprechendes bei John Howard Yoder, Stanley Hauerwas. Siehe auch: Bonhoeffer, Die bekennende Kirche und die Ökumene, GS 1.

310

Hans G. Ulrich

Auch Iwands Beschreibung der „Gemeinschaft christlichen Lebens“35 bezieht sich ausdrücklich auf solche Praktiken. Entscheidend daran ist – was Iwand besonders hervorhebt – dass es in all diesen Praktiken (wie sie auch bei Bonhoeffer gekennzeichnet sind) immer um solches menschliches Tun geht, das Gott in seinem genuinen Tun bezeugt, es geht um menschliches Tun in der Brechung durch Gottes Tun. So schreibt Iwand zur Vergebung: Da begreifen wir, dass es kein besseres und edleres Werk auf Erden gibt, als wenn ein Mensch dem anderen die Vergebung seiner Sünden schenkt. Die Gemeinschaft, in der solches Werk zu finden ist, verdient allein den Namen der Gemeinschaft des Blutes Jesu Christi. (12) Vergebung der Sünden“ – „da ist nicht zuerst von uns die Rede, von der Gemeinschaft, die wir miteinander haben, sondern da ist zuerst – ebenso wie zuletzt! – von Gott die Rede, von dem, was Gott ist und was Er tut und von der Gemeinschaft mit IHM, und alles, was wir sind und tun und gerade auch in der Gemeinschaft sind und tun, ist eingeschlossen in Gott. (4f). Diese Gemeinschaft, in der Vergebung geübt wird als das innerste Band ihrer Gemeinschaft, ist die Gemeinde.36

Die Praktiken sind durchaus weit zu fassen, wenn denn die Grammatik, der sie folgen, leitend bleibt: Kirche ist dort, wo Menschen in ihrem bestimmten Tun Gottes bestimmtes Handeln (Gottes Vergebung, Gottes Reden, Gottes barmherziges Eingreifen) zur Geltung kommen lassen und wo eben deshalb ihr eigenes Tun nicht das – genuine – Handeln Gottes ersetzt. So – aktiv-passiv – korrespondiert die Kirche dem Reich Gottes. Sie verbleibt im Gebet „Dein Reich komme“. Kirche ist dort, wo Vergebung durch Gott geschieht, nicht dort, wo Schuld in Schulden verwandelt wird, die man abzahlen kann oder in die Verschuldung führt37. Kirche ist dort, wo befreiende Erkenntnis durch Gottes Wort geschieht. Kirche ist dort, wo „der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft“, erscheint, Kirche ist dort, wo jede Gewalt, auch die der Rhetorik38 durch das Wort gebrochen wird, Kirche ist dort, wo die Gerechtigkeit Gottes zugesprochen wird, nicht dort, wo die Mitteilung der Gerechtigkeit Gottes in Rechtfertigung oder gar in SelbstRechtfertigung verwandelt wird, Kirche ist dort, wo nicht nur „das Andere der Gerechtigkeit“ erscheint, sondern die andere Gerechtigkeit, die in Gottes Treue besteht, Kirche ist dort, wo gebetet und darin um Gottes Urteil gebetet wird, nicht dort, wo Urteilen abhängig geworden ist von Weltdeutung und gar Beten zur 35 36 37 38

Iwand, Von der Gemeinschaft christlichen Lebens. Ders., Kirche und Öffentlichkeit (A), NW 2, 25. Benjamin, Kapitalismus als Religion. Pickstock, After Writing.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

311

Weltdeutung geworden ist, Kirche ist dort, wo Menschen sich in ihrem Geist verändern (transformieren) lassen. Kirche ist dort, wo das „Tun des Gerechten“ geschieht, wo eben die bestimmten „guten Werke“ getan werden, „die Gott zuvor bereitet hat“ (Eph 2,10).

III

Die Wirklichkeit des Wortes – in messianischer Zeit

Kirche ist dort, wo eben das praktiziert wird, was von Gottes Handeln und von seiner Verheißung explizit getragen ist.39 Dies heißt nicht, um genau hier Bonhoeffers Warnung zu hören, einen zweiten Raum in der Welt aufzumachen.40 Im Gegenteil: es heißt – so wie dies auch Iwand ausgeführt hat41 – „Welt“ als die von Gott bestimmte Wirklichkeit im Zeugnis kenntlich werden zu lassen. Es gilt, wie Bonhoeffer dies gesagt hat, der „Welt“ etwas Bestimmtes mitzuteilen. So kommt das in den Blick, was (in Bonhoeffers Kennzeichnung des „gemeinsamen Lebens“) als die „geistliche Wirklichkeit“ – unterschieden von der „seelischen“ – erscheint. Es ist die vom Geist Gottes gewirkte Wirklichkeit, die einzige „Wirklichkeit“, die für das stehen kann, was „wirklich“ ist. Es ist die „Wirklichkeit“, die in diese Welt gekommen ist und in der sich diese Welt – messianisch-apokalyptisch – bricht. Genau darauf zielt auch Iwands Beschreibung der „Gemeinschaft christlichen Lebens“, indem er zugleich vor allem die kämpferische Seite und die Spannung und Differenz zwischen dieser Wirklichkeit und der „Welt“ in den Blick rückt, ohne dass auch Iwand etwa eine ZweiRäume-Theorie aufmacht. Es geht um die Wirklichkeit, die einzig von Gott bestimmt ist und in seinem Handeln Bestand hat. ‚So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.‘ Gerade weil alle, die in Christus sind, die Geretteten sind, die wahrhaft Bleibenden und Bewahrten, gehört ihnen die Wirklichkeit. Oder besser noch, weil Christus der Auferstandene, der Herr und Sieger ist, darum gehört ihnen die Wirklichkeit. Nicht so, wie die Menschen dieser Welt sich die Welt zu unterwerfen suchen, mit Macht und Gewalt und unheilschwangerem Trotz, sondern so, daß sie ihn anrufen. Christus will dem Gebet, das in seinem Namen geschieht, Erhörung verschaffen. Er will, dass die Seinen den Kampf mit der Wirklichkeit bestehen. (26) …wer nicht in Christus ist, der ist – ob er das nun weiß oder nicht, – in eines anderen Hand, der ist den Mächten dieser Welt preisgegeben und der Tag Gottes wird das offenbar machen … (26) 42 39 40 41 42

Dies tritt explizit in den Sakramenten – nach reformatorischem Verständnis – hervor. Vgl. Bonhoeffer, Christus, die Wirklichkeit und das Gute, DBW 6, 43–50. Siehe vor allem Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1 Dies ist die Umkehrung von Heideggers „Schicklichkeit“ – siehe dazu: Habermas: Die Grenze zwischen Glauben und Wissen, 227.

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So ist mit der Frage nach der „Wirklichkeit“ – die genuin mit der Frage nach der wirklichen Kirche verbunden ist – die Frage nach der rettenden Wirklichkeit angezeigt. Nur als „rettende“ Wirklichkeit bezeugt, nicht in Affirmationen oder Vergewisserungen, kann sie uns begegnen. Sie begegnet in der Gewissheit des Zeugnisses von ihrer Ankunft. Das Zeugnis spricht nicht affirmativ, sondern assertorisch. Das Zeugnis der Praktiken, auch der Taten spricht nicht affirmativ von einer besseren Welt, sondern bezeugt assertorisch die andere und einzige Wirklichkeit, der wir zugehören und die uns so gehört. Nicht die Logik der Vergewisserung, sondern die der Umkehr und des Neuwerdens leitet dies Zeugnis. Vom Wort her, von der gegebenen Sache her (den Hertog) die Botschaft ausrichten – das ist die Grundpraktik. Diese Praktik – wie alle weiteren – sind von diesem „Was“ bestimmt, von seinem bestimmten Inhalt, von der Sache dieses „Was“. Die Sache, das „Was“ erscheint im Wort, als logos. Sie erscheint so immer auch adressiert an uns als Wort.43 Die Sache ist das, was die Wirklichkeit präsent werden lässt, die Gott seinen Menschen gewährt. Kirche ist dort, wo dies bezeugt wird.

1.

Was bedeutet: „im Wort“?

Zentral bei Bonhoeffer ist zu lesen: Das der Kirche gegebene Mandat ist das der Verkündigung. Gott will einen Ort, an dem sein Wort bis ans Ende der Welt immer wieder gesagt, ausgesprochen, ausgerichtet, ausgelegt, ausgebreitet wird. Das in Jesus Christus vom Himmel gekommene Wort will wiederkommen in der Gestalt menschlicher Rede. … In der Kirche will Gott selbst zu Wort kommen.44

Dies ist die Grundpraktik des Zeugnisses. Auf diese Praktik – als essentielles Kennzeichen der Kirche – soll hier der Blick gelenkt werden, auf eine Kirche und ihre Theologie, die in der Praxis des Zeugnisses ihren Bestand hat.45 Das Zeugnis wird bei Bonhoeffer und Iwand immer zugleich daraufhin beschrieben, wie es die „Gesellschaft“, die „Öffentlichkeit“ und „Kirche und Gesellschaft“ zugleich tangiert und erreicht.46 43 Buber übersetzt „Wort“, wenn es von Gott kommt, als „Rede“. 44 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 399f. 45 Siehe grundlegend dazu, bezogen auf Hauerwas: Baan, Necessity of witness. Dazu in Auseinandersetzung mit Geschichtsphilosophie und -theologie: Stoellger, Geschichten aus der Lebenswelt. 46 Iwand, Kirche und Gesellschaft, NWN 1; vgl. ders., Um Einheit und Reinheit der Bekennenden Kirche.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

2.

313

Die Wirklichkeit der bestimmten Geschichte

Das Wort, das so zur Sprache kommen soll, dass Gott selbst zu Wort kommt, das ist die Sache der Theologie – es ist die Wirklichkeit der (story) Geschichte Gottes, wie sie ins Wort gefasst ist. Es geht um eine uns mitgeteilte, uns begegnende Wirklichkeit. Und dies ist die Wirklichkeit einer Geschichte, einer story – der Geschichte Gottes mit seinem Volk und mit allen seinen Menschen.47 Um diese bestimmte wirkliche Geschichte geht es. Einzig sie und nicht irgendeine Historie oder Weltdeutung kann der Entdeckungszusammenhang sein, in dem wir uns bewegen und von dem wir Zeugnis geben, um darin die Welt, die Kirche und die Theologie wahrzunehmen. Es ist die bestimmte Geschichte wie sie biblisch überliefert und auch dort immer neu pointiert als solche in den Blick gerückt wird. „Also hat Gott die Welt geliebt ….“ (Joh 3,16): welche Summierung der story wir auch nehmen, es bleibt diese eine und bestimmte Geschichte. So kann Bonhoeffer gleichermaßen biblisch lapidar sagen: „Dass Gott die Welt in Christus geliebt und mit sich versöhnt hat, ist die zentrale Verkündigung des Neuen Testaments.“ (Ethik, 52).

Die Geschichte in allen ihren Dimensionen und in allem, was sie berührt, bestimmt und umfasst, ist die Sache, in der Menschen sich finden dürfen und die sie leitet – als ihre Zeugen und so als Kirche. Um die Mitteilung dieser Sache, um die Erscheinung ihrer Wirklichkeit geht es. Es geht um diesen Advent. Es geht um diese Kirche im Advent, die Kirche im Ankommen Gottes. Geleitet werden wir so von einer Theologie, die auf eigene Weise „sagt, was wirklich ist“: dicit quod res est. Martin Luther kennzeichnet so die theologia crucis.48 Dies ist die Theologie, die von eben der bestimmten Geschichte Gottes her die Wirklichkeit erfasst, zu der das Kreuz Christi gehört – und das heißt, zu der die Tatsache gehört, dass Gott sich der menschlichen Wirklichkeit ausgeliefert hat und dennoch ihr nicht ausgeliefert geblieben ist. Das ist keine um das Unrecht, den Tod und das Leiden verkürzte Wirklichkeit, sondern eine Wirklichkeit, die in diesem Geschehen ihre Brechung erfahren hat, die Brechung ihrer Gebrochenheit. Es ist aber auch nicht eine Wirklichkeit, die in dieser Brechung verbleibt und ihrer begründeten Hoffnung beraubt ist. Nicht die Transformation der Welt, sondern die Durchkreuzung dieser Welt und Wirklichkeit ist die Geschichte, der zu folgen ist – und nur diese Geschichte geht nicht in dem auf, was wir als Historie wie auch immer zu fassen suchen und doch nie zu fassen bekommen. Damit ist eine bestimmte Disposition gegeben, wie zu erkennen und zu verstehen ist, was die Wirklichkeit ist, in der wir Menschen uns finden. Es ist die 47 Siehe zum Verständnis auch: Schmitz, „Nachfolge“, bes. 150–154. 48 Heidelberger Disputation (1518), These 21, WA 1, 362,21f.

314

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Disposition des Advents der Geschichte Gottes, vom Anfang bis zum Ende, Israel und alle Menschen einschließend.

3.

Ethos und Äthos – das bezeugte Äthos, das messianische Äthos

Die Wirklichkeit, in der wir uns finden, ist auch mit dem Begriff „Ethos“ zu fassen. Unser viel gebrauchter Begriff „Ethik“ geht signifikanter Weise auf eine zweifache griechische Wurzel zurück, nämlich auf „Ethos“ und „Äthos“. „Ethos“ meint das für alle Menschen unbedingt Gültige, „Äthos“ hingegen das, worin wir zu Hause sind, das „Gewohnte“ oder (besser:) das, worin wir wohnen, unser zu Hause haben, das, worin wir uns als Menschen finden können. „Äthos“ muss nicht so gefasst werden, dass es eine von Menschen generierte Lebenswirklichkeit meint, in der nicht kenntlich ist, was Menschen erfahren, erleiden und empfangen. Das biblische Äquivalent für „Äthos“ ist in „Torah“ zu finden. Jedenfalls bestätigt die Rede von der „Torah“ auch die Semantik von „Wohnen“, und von „Wirklichkeit“, „Zu Hause sein“. Zu erinnern ist beispielsweise an Psalm 19,8 – „Die Torah des Herrn ist vollkommen – die Seele wiederbringend“ (Übersetzung von Martin Buber). Es ist von der Torah so die Rede, dass wir dorthin zurückkehren, wohin wir hingehören. Wenn wir nach einem Äquivalent für „ethos“ suchen, liegt es nahe, dieses in der griechischen Übersetzung von „Torah“ zu sehen – also in „nomos“ („Gesetz“). Das Problem ist freilich, dass dann der auch gegebene Unterschied zwischen Torah und „Gesetz“ (Nomos) verschwindet und damit auch das Problem entsteht, was „Gesetz“ heißt. Hier stoßen wir auf die lange dramatische Geschichte einer nötigen Unterscheidung zwischen Torah und „Gesetz“.49 In der theologischen Ethik wurde entsprechend zwischen „Gesetz“ und „Gebot“ unterschieden. Das ist hier nicht aufzurollen, aber es ist festzuhalten, dass theologische Ethik auf diese Differenz zu achten hat, um in der biblischen Semantik zu bleiben, die darauf verweist, dass „Ethik“ die Erkundung und Erprobung eben der „Wirklichkeit“, des „Äthos“ ist, das uns mit Gottes Torah, mit seinem Wort gegeben ist.50 Bekannt ist Heideggers Interpretation in seinem „Brief über den Humanismus“ (1946) 51, der aber den Blick auf die Frage nach dem in einer und mit einer bestimmten Geschichte gegebenen „Äthos“ verdeckt: Die Tragödien des Sophokles bergen, falls überhaupt ein solcher Vergleich erlaubt ist, in ihrem Sagen das ἦθος anfänglicher als die Vorlesungen des Aristoteles über «Ethik». Ein 49 Zu Iwand siehe besonders: Klappert, Die Thora ist in sich immer geistlich. 50 Arnold Wiebel hat auf einige signifikanten Aussagen Iwands zur griechischen Begriffsbildung hingewiesen. Das wäre hier weiter auszuführen. 51 Heidegger, Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den „Humanismus“.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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Spruch des Heraklit, der nur aus drei Wörtern besteht, sagt so Einfaches, daß aus ihm das Wesen des Ethos unmittelbar ans Licht kommt. Der Spruch des Heraklit lautet (Frgm. 119): ἦθος ἀνθρώπῳ δαίμων. Man pflegt allgemein zu übersetzen: «Seine Eigenart ist dem Menschen sein Dämon.» Diese Übersetzung denkt modern, aber nicht griechisch, ἦθος bedeutet Aufenthalt, Ort des Wohnens. Das Wort nennt den offenen Bezirk, worin der Mensch wohnt. Das Offene seines Aufenthaltes läßt das erscheinen, was auf das Wesen des Menschen zukommt und also ankommend in seiner Nähe sich aufhält. Der Aufenthalt des Menschen enthält und bewahrt die Ankunft dessen, dem der Mensch in seinem Wesen gehört. Das ist nach dem Wort des Heraklit δαίμων, der Gott. Der Spruch sagt: der Mensch wohnt, insofern er Mensch ist, in der Nähe des Gottes. (106)

Heidegger spricht hier – griechisch – wie auch sonst von dem anonymen „Gott“, dessen Ort der „Ankunft“ das „Äthos“ ist. Hier ist einiges theologisch gegenzulesen. Hier gibt es keinen Gott mehr, der dem Menschen begegnet in Widerspruch und Barmherzigkeit. Das Äthos, das in dieser Begegnung Gottes gründet, ist das bezeugte Äthos, kein anderes, in welcher Genealogie auch immer zu erfassendes. Wir sind mit diesen Andeutungen dabei, genau hier von der Aufgabe der Kirche und der Theologie zu sprechen, so direkt wie dies von Bonhoeffer und auch von Iwand unternommen worden ist. In der Wahrnehmung eben dieser Aufgabe, die Wirklichkeit des Wortes – in dem Doppelsinn von „Wirklichkeit des Wortes“: der Wirklichkeit des Wortes und der durch diese Wirklichkeit erschlossenen Wirklichkeit – erscheinen zu lassen, erfüllt die Theologie ihren Dienst an der Kirche und am Wort. So wird die Kirche in ihrer Zeugenschaft bewahrt, die sie dann auch in die wirkliche Auseinandersetzung mit all dem führt, was sich daran in der Welt bricht, – entgegen Funktionen oder Strategien, die die Kirche von diesem Zeugnis abbringen. In den Darstellungen von Iwands Theologie von Gerard den Hertog und Christian Johannes Neddens tritt diese Aufgabe der Theologie, Wirklichkeit zu erschließen, mit Recht deutlich hervor. Es wird ausdrücklich thematisiert, was Theologie ist, was ihre Sache und Aufgabe ist. Eben damit geht es um nichts anderes als um Zeugenschaft. Neddens schreibt zu Iwands Dogmatik-Vorlesung: Die theologische Lehre als ganze wird mit ihrem Zeugnis von Wirklichkeit zur kritischen Wahrnehmungslehre. Das ist Iwands genuin theologischer Beitrag im Konflikt mit der politischen Theologie des Gesetzes in ihren unterschiedlichen Formen. Nicht die Lehre vom Gesetz oder von der Inkarnation, vom Geist oder von der Eschatologie allein bietet dieses kritische Potential, sondern nur die Lehre als ganze, zusammengehalten freilich durch ihre ‚Mitte‘, theologia crucis (Neddens, 635).52

52 Zur Theologia crucis: Neddens, Politische Theologie und Theologie des Kreuzes, 461ff.

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Das heißt die Theologie folgt der ganzen Geschichte Gottes, ihrer Wirklichkeit, die ohne Reservatio (ausgeliefert) unsere Welt und Wirklichkeit erschließt, weil sie nur so offen und durchlässig ist für das, was einzig von Gott zu erfahren ist: seine Treue in Gerechtigkeit.53 Die Theologie hat die Wirklichkeit (die res) zu bezeugen, wie sie in unserer Welt erscheint und unsere Welt durchkreuzt – wie sie in Gottes Geschichte mit seinem Volk und in Jesus Christus präsent wird. Dieser Geschichte (story) im Zeugnis zu folgen, ist die Aufgabe in Kirche und Theologie. So ist es nicht dieses oder jenes Thema, sondern welches Thema auch immer hervorzuheben ist – es muss, es darf durch diese Heuristik hindurch. Sie folgt immer der Frage: wie ist darin und dabei Gott in seinem Handeln und Wirken beteiligt, so wie es seiner story mit uns, und zwar seiner ganzen Story mit uns, entspricht.

4.

Theologia gloriae, theologia crucis – heute

Zeugenschaft heißt nicht, eine Geschichte von Gott, Mensch und Welt uns irgendwie vor Augen zu halten, sondern den Ort nicht zu verlassen, an dem uns diese Geschichte trifft, und von dem aus wir denn mit der ganzen Geschichte verbunden und konfrontiert sind – und das heißt, den Ort der Kirche nicht zu verlassen, als den Ort, an der Gott zu Wort kommt, als den Ort, an dem Gott an uns handelt und als den Ort, an dem zu Gott um sein Handeln gebetet wird. Dies ist (wie dies in Barths Dogmatik in den Blick kommt) der Ort in der Versöhnung als der Ort des Gebets, den Barth als den zentralen Ort jeder Ethik – bei aller Bedeutung der anderen – bestimmt sieht. Das Gebet, diese zentrale Praktik, macht jeden zum Kind Gottes, das den Vater bittet. Es ist also nicht einfach davon zu reden, dass wir eben auch auf Gottes ganze Schöpfung blicken, oder auf den „Kosmos“ und Gottes Versöhnung mit dem Kosmos, sondern vielmehr, dass wir hier, wo wir sind, auf dieses Wort von der Versöhnung zu hören haben und uns nicht in der Betrachtung dessen zu verlieren haben, was darüber hinausreicht. Die Aufgabe ist nicht, ein Weltbild zu beschreiben, sondern diese Lebenswirklichkeit, der wir zugehören, zu erschließen. Hier tritt die Differenz zwischen einer Theologie des Kreuzes und der Theologia gloriae hervor. Es ist die Differenz von Paradigmen. Die Theologia gloriae sucht durch das gegeben Sichtbare hindurch zu weiteren Wirklichkeiten – dem Unsichtbaren – vorzudringen, um davon zu reden, jedenfalls, um es (als gegebene Voraussetzung) in Anspruch zu nehmen – wie dies z. B. jede Moraltheologie tut, aber auch jede Theologie, die sich auf eine Gegebenheit beruft, die affirmiert 53 Habermas, Das ‚gute Leben‘ eine ‚abscheuliche Phrase‘, 272. Statthalter der Transzendenz ist die Voraussetzung der moralischen Fairness-Gerechtigkeit.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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erscheint. Diese Theologie hat diejenige Theologie verdrängt, die nur dort zu Wort kommt, wo von jener Geschichte Zeugnis gegeben wird.54 Das geschieht im Lebenszeugnis eines jeden Menschen, der seinen Weg in dieser Geschichte – vom Wort geleitet – wahrnimmt. Die Theologie des Kreuzes bleibt im Gang der Geschichte, zu der das Kreuz gehört, und folgt der Geschichte, die von hier aus weiterführt – und das ist eben die Geschichte des offenkundigen Advent, der damit begonnen hat, dass Gottes Wort zu uns gekommen ist. Er hat damit begonnen, dass Gott Mensch geworden ist und so nicht nur eingreift in die Welt, sondern sich in ihr in seinem Handeln präsent zeigt. Es muss hier nicht ausgeführt werden, wie entschieden dies bei Bonhoeffer und Iwand als die alles bestimmende Geschichte hervortritt, die in der Geschichte von Jesus Christus paradigmatisch als die Geschichte Gottes erscheint, in der sich Gott exponiert und ausliefert – die damit jeder anderen Disposition widerspricht, die in irgend einer Weise – als theologia gloriae – von Mensch und Gott, dem Menschen und seinem Gott spricht. Den Hertog55 formuliert als Summarium dieses Angelpunktes der Theologie – eines erkenntnistheoretischen Angelpunktes, der als solcher alle praktische und politische Zeugenschaft trägt: Wenn Iwand die Inkarnation also als eine ganz besondere Weise des Hineingehens Gottes in die Geschichte denkt, dann heißt das, daß man sich solange, wie man die Möglichkeit der Gotteserkenntnis theoretisch von der Schöpfung oder sogar von der Inkarnation her erörtert, nicht mit der Wirklichkeit beschäftigt, sondern nur dann, wenn man dem Weg des Handelns Gottes folgt: Menschwerdung, Kreuz, Auferstehung, Geist, Zeugen. So kann Iwand sagen, daß das Kreuz bereits in der Menschwerdung enthalten ist. Wenn ich die Behauptung aufstelle, für Iwand sei die Menschwerdung Ausgangspunkt für das Denken, bedeutet das, daß wir Gottes Geschichte mit uns vollauf ernstzunehmen und nicht von der Möglichkeit der Gotteserkenntnis, sondern von ihrer Wirklichkeit auszugehen haben. (401)

Die Wirklichkeit ist, daß wir Gott de facto nicht kennen, ja es nicht tragen könnten, ihn zu kennen – und dass sich Gott daher auf eine für uns bestimmte Weise zu erkennen gibt. ‚Die Gnade besteht eben darin, daß von Gott her ein ‚Vermittelndes‘ gesetzt ist‘, nämlich ‚Gottes Wort, welches das verlorene Gegenüber von Gott und Mensch wiederherstellt.‘ (402) 56 54 Siehe die Darstellung von Rawls‘ Moraltheologie bei Habermas, Das ‚gute Leben‘ eine ‚abscheuliche Phrase‘. 55 den Hertog, Befreiende Erkenntnis. 56 den Hertog verweist auf Iwand, Glauben und Wissen, 204.

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Dogmatik als theologia crucis kann daher nie ein System sein. Es ist die Bewegung des Suchens nach Erkenntnis Gottes auf dem Felde der Geschichte. (408)

Damit ist auch der Ort bestimmt, an dem wir uns mit unserer Theologie aufhalten: Das Wort stellt eine kritische Präsenz des eschatologischen Reiches Gottes in dieser Wirklichkeit dar. (270) Das Wort ist als Ganzes auf den unfreien Willen bezogen. Es ist nicht ‚jenseits von Gesetz und Evangelium‘. Es existiert nicht für sich, sondern – und da liegt die Kontinuität in Iwands Denken – es ist nur in der Bezogenheit auf den Menschen und seine Geschichte da. Die Erfahrung wird kritisch geschärft, ohne damit ihren Charakter als Erfahrung einzubüßen. Die Erkenntnis, die die Lehre vom unfreien Willen bringt, wird jetzt aber – und das ist neu – bestimmend für die gesamte Wirklichkeit. (271) Aus den oben genannten Gründen ist es aus Iwands Sicht so wichtig und dringend, daß eine Annäherung zwischen Glauben und Wissen zustande kommt, nicht als eine Theorie, sondern als ein Verstehen von Wirklichkeit, in der wir leben. Deshalb beinhaltet Erkenntnis der Wirklichkeit auch wesentlich ein Erkennen der Geschichte. (In diesem Punkt sieht er die Bedeutung Hegels.) (376)

Mit alledem ist die Disposition der theologischen Aufgabe angezeigt. Theologie hat davon Zeugnis zu geben, was „wirklich“ ist. Diese Disposition ist keiner allgemeinen erkenntnistheoretischen Problemstellung geschuldet, sondern diese Disposition ist gegeben mit der Wirklichkeit der Geschichte selbst, mit der Gott präsent geworden ist. Sie bringt die von diesem Geschehen bestimmte Wirklichkeit ans Licht, die als unsere Wirklichkeit erscheint und die nicht anders präsent bleibt als durch Zeugenschaft. So wird bei Iwand in der Christologie unter der Überschrift „Die Menschwerdung Gottes und die Wirklichkeit des Menschen“ diese ganze Erkenntnislehre und die damit verbundene Praxis des Bezeugens zur Darstellung gebracht. Bonhoeffer spricht von der Wirklichkeit Gottes, die die Wirklichkeit der Welt in sich „hineingezogen“ hat, in der Wirklichkeit der Welt, die so durch Gottes Handeln erschlossen in den Blick kommt. „Die Wirklichkeit Christi fasst die Wirklichkeit der Welt in sich.“57 Entsprechend bemerkt George Lindbeck zu der im Wort und im „Text“ artikulierten Wirklichkeit: „Der Text absorbiert … die Welt und nicht die Welt den Text.“58 Damit ist an die Adresse der Theologie zu sagen: alles andere ist Theologia gloriae, eine Theologie, die hinter diese bestimmte Geschichte zurückgeht und ihren eigenen Interpretationen und Dekonstruktionen von Mensch und Welt nachgeht. Die Geschichte Gottes aber ist nicht anders präsent als in der be57 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 43. 58 Lindbeck, Christliche Lehre als Grammatik des Glaubens, 127.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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stimmten und sichtbaren Geschichte, zu der das Kreuz gehört, und allen Historien, die sich darin brechen. Entsprechendes ist bei Bonhoeffer zu finden, wie es vor allem schon in „Communio sanctorum“ ausgeführt ist. Hier zeigt sich, wie Ekklesiologie und eine theologische Wahrnehmung von „Geschichte“ untrennbar zusammengehören.59

IV

Theologia crucis und die eschatologisch gebrochene Wirklichkeit – Beispiele

Es ist zu sehen, dass die Brechung in Gottes Geschichte in allem menschlich Alltäglichem geschieht, in dem, was „Lebenswelt“ oder „Lebenswirklichkeit“ („Äthos“) genannt werden kann – in der Familie, in der Arbeit, in der Ökonomie, im politischen Bereich. Überall dort geht es um das, was „wirklich“ ist entgegen allem Wirklichkeitsverlust und entgegen aller verkehrten Wirklichkeit. Es gibt unabsehbar viele signifikante, auch paradigmatische Inhalte, an denen deutlich wird, wie gefährdet dies ist – und damit blicken wir ( jedenfalls beispielhaft) auf die gegenwärtige „geistige“ Lage. Eine eigene, weitere Spur hat hier Bonhoeffer verfolgt, indem er im Sinne der Frage, wie unsere Welt von der Christusgeschichte bestimmt ist, auf die „Mandate“ zu sprechen kommt.60

1.

Advent – Gebrochene Zukunft

„Wie geht diese Geschichte, die andere Geschichte, diese einzige Geschichte weiter?“ ist zu fragen. Damit ist alles Reden von „Zukunft“ für die Orientierung obsolet geworden. Dieses Reden führt ins Unbestimmte – dorthin, wohin die Theologia gloriae hingelangen will, um es zu fassen. Nicht von „Zukunft“ ist zu reden, also von dem, was wie auch immer hoffnungsvoll gefasst aussteht, sondern von dem Advent in seiner ganzen Erstreckung und Brechung. Diese adventliche – und wir können sagen: „messianische“ – Wirklichkeit gilt es zu entdecken und zu verstehen, statt ihr in das hinein, was „Zukunft“ heißt, zu entweichen. Das Zukünftige (ta mellonta) ist in der biblischen Sprache, das, was uns begegnet, was uns entgegenkommt. Von „Zukunft“ ist daher nur so zu reden, dass es die „Zukunft“ ist, die in der „Story“ liegt, in der mit ihr gegebenen „begründeten Hoffnung“61, die sich dann auch bis zu dem neuen Himmel und der neuen Erde 59 Bonhoeffer, Sanctorum communio, DBW 1, 140–144 und 150f. Dies impliziert auch Bonhoeffers Auseinandersetzung mit Hegels Geschichtsphilosophie. 60 Siehe dazu insbesondere: Brock, Bonhoeffer and the Bible in Christian Ethics. 61 Sauter, Begründete Hoffnung. Sauter, Schrittfolgen der Hoffnung.

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erstreckt.62 „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die bei euch ist“63 (1Petr 3,15). Es ist damit die Rechenschaft von der anderen Zu-kunft gemeint, die mit der anderen Geschichte gegebene adventliche Zu-kunft. Damit diese aber unsere Zu-kunft wird, muss sie bei uns ankommen. Es geht um die Ankunft, um den Advent dieser anderen Geschichte und darum, wie sie unsere Geschichte wird. Dann wird es auch den neuen Himmel geben und die neue Erde – doch von dieser anderen Zukunft zu reden ist das Zweite, nicht das Erste. Es besteht immer wieder das Gefälle zu einer Theologia gloriae, die von jener Zukunft spricht als wäre sie „unsere“ Zukunft und nicht die in der Ankunft befindliche „Zukunft des Gekommenen“64. Dass wir uns im Advent aufhalten – in messianischer Zeit – macht die Differenz aus zu jeder Zeitvorstellung und Thematisierung von Zeitlichkeit.65 Es ist der Advent einer wirklichen Geschichte, derer wir uns nicht anders vergewissern müssen und können als dadurch, dass wir uns von ihr leiten lassen – in seine Bewahrheitung hinein, explorativ. So folgen wir der Hoffnung, die bei uns angekommen ist (1Petr 3,15). Wir befinden uns am Ort des Zeugnisses von dieser Hoffnung, nicht ihrer Affirmation durch die Rhetorik von der Zukunft, den „Möglichkeiten der Geschichte“, die wir aufzuweisen hätten, und von anderen „Perspektiven“, die uns Ausblicke vor Augen zu führen suchen, im Gefälle einer Theologie, die in die invisibilia versucht vorzudringen, statt zu sehen und zu bezeugen, was vor Augen liegt. Wir befinden uns aber auch nicht dort, wo ein anderer Advent erwartet wird – „apokalyptisch“ irgendwann – der diesen messianischen Advent hinter sich lässt.66 Die Frage an Kirche und Theologie ist, inwiefern sie sich an diesem messianischen Ort des Advent aufhält, am Ort der Zeugenschaft von dieser Hoffnung, oder ob sie einer Geschichtsbetrachtung und Interpretation folgt, die die Situation als die eines ausstehenden Advent sieht: „Die Zeit, die bleibt“, ist keine leere Zeit, in der Gottes Herrlichkeit aussteht. Giorgio Agamben der darauf insistiert, die messianische Zeit von der künftigen Apokalypse zu unterscheiden,67 verkennt die messianisch-apokalyptische Wirklichkeit des Advents. So wird die „messianische Zeit“, die Ankunft des Gekommenen verdeckt, ja sie steht seiner Ankunft 62 63 64 65 66

Bei Karl Barth: der gnädig gewährte Raum des Lebens in der Versöhnung. Das griechische „en hymin“ ist eher nicht zu verstehen als „in euch“. Walter Kreck, Die Zukunft des Gekommenen. Siehe oben den Hertog: mit dem Wort ist Gottes Reich präsent. Siehe Heideggers „epochales Wort“ in seinem Spiegel-Interview: Heidegger, „Nur noch ein Gott kann uns retten“. Ich war einer der Hörer von Hans Jonas, den Karl Löwith zu dieser Zeit zu einem Vortrag nach Heidelberg eingeladen hatte. Jonas warnte uns Theologen vor Heidegger. 67 Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit. Auch kritisch gegen Karl Löwith. Und: Agamben, Die Zeit, die bleibt.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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entgegen. Es ist die Situation eines erstarrten Advents, die Benjamin in Paul Klees Engel der Geschichte – als Betrachtung der Geschichte – uns vor Augen gestellt sah.68 Was auch immer dieses „Aufhaltende“ (katechon, 2Thess 2,6) und das dieses Bezähmende ist, es ist von dem Advent durchbrochen, der hier und jetzt von der Kirche bezeugt wird, in eben jenen Praktiken, die die Kirche kennzeichnen. Dieser Advent widerspricht der Behauptung von einem „Ausnahmezustand“, der jede Art von Herrschaft zu fordern und zu legitimieren scheint. In Benjamins Beschreibung des Engels der Geschichte, der nicht ankommen kann, ist es der „Fortschritt“, der den Advent verhindert, alles das, was in der Logik der Zukunft als vor uns liegende Erstreckung oder Möglichkeit gedacht ist. Ihre unaufhaltsame Dynamik ebenso wie ihre Unbestimmtheit verhindert, dass Gottes story mit uns weitergeht, die mit dem Gekommenen angefangen hat. Abgelenkt vor allem durch den Utopismus69, der verspricht, dass wir immer und immer neu die Möglichkeit haben, die Welt „besser“ zumachen. Hier können wir eine „Lage“ sich abzeichnen sehen, in der nichts deutlicher wird als dieses Aufhaltende und ein Verstummen der Hoffnung (und ihrer philosophischen Artikulation) – bis hin zu wirklicher Regression hinter damit verbundene Erkenntnisse (der docta spes), die dann doch einmal aufgeleuchtet sind, wie die Brechung des Krieges als „ultima ratio“ und die Brechung der Versuche, Schuld durch Schuldenabgleich abzutragen. Diese Brechungen haben offensichtlich keinen Bestand, immer wieder werden sie überlagert davon, dass es schließlich doch Krieg gibt, ungebrochen, vielleicht nur mit einigen Vorbehalten versehen, weil schließlich die Geduld der Hoffnung, die den Raum bildet für das politische Handeln, ausbleibt. „Wo mir nichts anderes bleibt als der lebendige Gott und seine Verheißung, das reine Wort“.70 Solche adventlichen Brechungen sind wahrzunehmen, wenn wir an der Sache der Theologie und ihrer Ankunft bleiben, von der Zeugnis zu geben ist. Dies bringt diese Theologie in die Nähe der philosophischen Unternehmungen – wie der „negativen Dialektik“ und der „kritischen Theorie“ –, die gleichermaßen solche Brechungen haben zeigen können, wenn auch aufgrund einer anderen Heuristik, wie der aus der dialektischen Negation alles dessen heraus, was als positiv gegeben nur affirmiert wird, weil es grundlos geworden ist. Entsprechendes gilt von den Philosophien der Dekonstruktion, die jetzt die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Es kommt alles darauf an, zu erkennen, worin eine solche Betrachtung sich brechender Wirklichkeit gründet, das heißt, in welcher „Wirklichkeit“, die ihren eigenen Ursprung hat – deren Genese sonst das Fatum wäre, das vielleicht so 68 Benjamin, Über den Begriff der Geschichte. Siehe dazu: Konersmann, Erstarrte Unruhe. 69 Siehe Hans Jonas‘ Kritik am Utopismus, in: Jonas, Prinzip Verantwortung. 70 Iwand, Theologia crucis, NW 2, 390.

322

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verliefe, dass wohl Kriege nicht mehr als „ultima ratio“ erscheinen, dass aber dennoch kein Friede ist oder gar Krieg universell geworden ist. Man kann darüber nachsinnen, warum dieses oder jenes Kennzeichen unserer „heutigen Lage“ dieser Botschaft auch entgegenkommt – wie eben die Brechung des Krieges.71

2.

Heiligung – Gebrochener Humanismus

Es wird darum gehen, wie die adventliche Wirklichkeit wie sie in Bonhoeffers und Iwands Theologie durchaus in ihrer eigenen (nicht in Geschichtsmächtigkeit auszuweisender) Positivität erscheint, die diesen Brechungen Bestand gibt. Nicht die Negation, nicht das Widersprüchliche, sondern der Advent dieser anderen Wirklichkeit bleibt entscheidend. Nicht der leere Widerspruch, sondern der positive, jedoch nicht affirmative Widerspruch, die andere Geschichte, kommt mit dem Wort in die Welt. Und diese Welt wird jetzt von ihm getragen. An ihm zeigt sich die Brechung der Welt und des Menschen. Es geht immer zugleich eben um diesen „wirklichen Menschen“ – gegen eine theologia gloriae, die über den wirklichen Menschen hinaus („der Mensch ist zu überwinden“ oder lebt als zu überwindender) den Menschen zu konditionieren sucht, der darin „wahrer“ Mensch ist, dass er (als soziales Wesen, auch als homo politicus oder was immer) für sich steht. Dieser Mensch bleibt ohne das ihn bestimmende Gegenüber, sofern dieses nicht allgemein (religiös) als Transzendenz etc. zu fassen ist, sondern eben als der begegnende Gott, der mit ihm eine Geschichte eingegangen ist. „Mensch ohne Gott“ ist das Thema, nicht „Mensch ohne Transzendenz“.72 Der wirkliche Mensch erscheint – performativ – dort, wo das Wort gehört wird (Schriftlesung), wo gebetet wird, wo das Abendmahl gefeiert wird. Dieser wirkliche Mensch erscheint so selbst als Zeuge, wenn er die Praktiken dieser Communio teilt, die nur in der Communio und als Communio stattfinden können, weil sonst der wirkliche Mensch schon verloren wäre als der, der nicht von anderen Zeugen immer schon gelebt hätte.73 In der communio und als communio erscheint das „extra nos“. Das ist – bei Bonhoeffer hervorgehoben – das Gebot: „Während das ‚Ethische‘ nur die Grenzen, das Formale, das Negative bestimmt, und es darum als Thema auch immer nur an der Grenze, formal, negativ möglich ist, geht es im Gebot Gottes um den positiven Gehalt und um die Freiheit des Menschen, diesen positiven Gehalt zu bejahen.“74. Es ist auch die 71 Siehe dazu, auch Bonhoeffer und Iwand aufnehmend: Hofheinz, „Er ist unser Friede“. zu Iwand besonders: Lienemann, Eine magna charta der Friedensethik. 72 Siehe die Begrenzung der Sicht bei Habermas zu Rawls’ Reflexionen über „Religion“, vgl. Das ‚gute Leben‘ eine ‚abscheuliche Phrase‘. 73 Vielleicht ist hier ein Wahrheitsmoment bei Rawls, das Habermas gesehen hat. 74 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 389.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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Gestalt Christi, die in uns Menschen Gestalt gewinnt (Ethik, 80). So sind Menschen in die Zeugenschaft versetzt. „Der Inhalt der christlichen Botschaft ist nicht, zu werden wie eine jener biblischen Gestalten (Abraham etc.), sondern zu sein – wie Christus selbst.“ (Ethik, 141). Das heißt: in seiner Geschichte und Nachfolge75 zu bleiben – in der Nachfolge des Christus, sonst wäre die Funktion der Zeugenschaft die der Weitergabe einer „Tradition“ (worüber auch zu sprechen ist), die dann in ihrer eigenen Ungebrochenheit erscheinen muss. Die Zeugenschaft aber bezieht sich auf die Treue Gottes (seine Gerechtigkeit) und das Weitergeben eben dieser „Tradition“. In der Treue Gottes bricht sich die Tradition. Das Positive, das zu Bezeugende erscheint so als Soteriologie, als rettende Befreiung. So ist auch von „Heiligung“ zu reden – also dann auch von der „communio sanctorum“. Sie selbst wird in ihrem Geformtwerden und ihrer Gestalt zum Zeugen in der „Welt“ und steht für das, was „öffentlich“ mitgeteilt wird. „Diese Gemeinschaft der Heiligen, in der Vergebung geübt wird, als das innerste Band ihrer Gemeinschaft, ist die Gemeinde. Wo eine solche Gemeinde existiert, da ist Friede.“76 Damit sind wir bei der Brechung, die mit der Geschichte Gottes akut wird, bei der Brechung dessen, was mit jeder Moraltheologie und -philosophie gegeben ist: eine Form des Humanismus, der vom Menschen redet ohne von dem Gott zu reden, der an diesem Menschen handelt, und so den wirklichen Menschen verfehlt. Vergebung ist Gottes Sache – darin bricht sich jede Art von Versöhnung, die nicht in dieser Vergebung wurzelt. Das viel traktierte Thema und Schema „Freiheit und Verantwortung“ bleibt leer, sprachlos, wenn nicht von der Befreiung des Menschen durch Gott immer zugleich die Rede ist. Auch „Verantwortung“ wird dann anders gefasst als bei Bonhoeffer.77 So geht es immer um die Frage, wie das Positive des Handelns Gottes präsent bleibt und nicht zu einer irgendwie gegebenen Voraussetzung wird. Das Positive erscheint bei Iwand und bei Bonhoeffer auch als „Recht“. Hier ist ein eigenes Kapitel angesagt, das in der Brechung des „Rechts“ (und der mit der „Rechtssetzung“ verbundenen Gewalt) das erschließt, was Gottes Gerechtigkeit heißt. Schließlich zeigt Bonhoeffer in seiner Beschreibung der „Mandate“, wie das, was als die „Ordnungen“ (oder Institutionen) menschlicher Lebenswirklichkeit erfasst werden kann, wiederum in der Brechung der gegebenen Verheißung als die Orte erscheinen, an denen Gottes Handeln erfahren wird. Bei Iwand ist besonders deutlich der Status des Menschen im Werden78 (fieri) kenntlich. Nicht der befreite Mensch, sondern der zu befreiende (Luther) ist der 75 Siehe besonders: Schmitz, „Nachfolge“. 76 Iwand, Kirche und Öffentlichkeit (A), NW 2. Am deutlichsten ausgeprägt und weitergeführt ist dies bei Stanley Hauerwas, vgl. vor allem: Hauerwas, A Community of Character. 77 Vgl. Wannenwetsch, ‚Responsible Living‘ or ‚Responsible Self‘? 78 Siehe dazu Karin Ulrich-Eschemann, Menschwerdung.

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wirkliche Mensch. Die Gefahr der Verkürzung auf ein „Befreit-Sein“ oder „FreiSein“ des Menschen, der damit zum „Subjekt“ der Verantwortung wird – ohne dass sein Subjectum-sein noch im Blick bleibt –, ist so nicht gegeben. Im Advent leben heißt, in der Befreiung leben. Dies ist das entscheidend Widerständige, an dem sich die gebrochene Wirklichkeit heilsam bricht, die von Menschen verantwortet und gemacht wird. So erscheint nicht zuletzt „Freiheit“, die selbst gebrochen ist, heilsam gebrochen durch die immer neu nötige Befreiung „aus den gottlosen Bindungen“ (Barmen II). Die – genannte – Unterscheidung zwischen dem „freien Menschen“ und dem „zu befreienden“ leitet hier diese kritische Theologie.79

3.

Neues Leben – Brechung der Apotheose des Lebens

Nichts ist freilich dem Präsentwerden des wirklichen Menschen gegenüber dominanter in vielen Lebensbereichen – von der Medizin und dem, was Biopolitik heißt ganz zu schweigen – als die Affirmation oder gar Apotheose „des Lebens“ gegen den Tod. Affirmation ist die gegenteilige Praktik zu der der Zeugenschaft. Wie ist die Gemeinsame Erklärung (Evangelische Kirche, Bischofskonferenz der katholischen Kirche, Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) „Gott, ist ein Freund des Lebens“80 intoniert? Wird da zunächst einmal vor allem auch die Rede davon laut, dass „das Leben stärker als der Tod“ sei? So ist zu lesen: Das ewige Leben ist freilich mehr als ein „Leben danach“: Es ist ein Leben, das kraft der Auferstehung Christi von der Herrschaft des Todes befreit und im Glauben an Christus schon gegenwärtig wirksam ist. Es baut auf Gottes Treue zum Leben, hält in allen Belastungen und Gefährdungen an der Hoffnung auf den Sieg des Lebens über den Tod fest und vollendet sich in der ewigen Gemeinschaft mit Gott. (28)

Diese Rhetorik sucht die Behauptung von „Leben“ gegen den „Tod“ in die Auferstehungshoffnung einzutragen, was aber befestigt, wogegen sie zu sprechen versucht. Eine entsprechende Rhetorik spiegelt das wider: „Fülle des Lebens“, auch „Gott ist ein Freund des Lebens“ lässt nicht erkennen, wie gebrochen „Leben“ erscheint. Von “Fülle des Lebens“ zu reden wird dort gar zynisch, wenn „Fülle des Lebens“ nicht an die Armen und Schwachen adressiert ist. Auch die Rhetorik der „Lebensdienlichkeit“ gerät allzu leicht in das Gefälle bloßer Affirmation. Der Verlust des „wirklichen“ Lebens im Kampf gegen den Tod, auch im religiösen Kampf gegen den Tod, macht diese Botschaft offensichtlich brisant 79 Siehe dazu das Projekt „Reformation radikal“. Duchrow/Ulrich (Hg.), Befreiung vom Mammon. 80 Evangelische Kirche in Deutschland/Katholische Kirche/Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, „Gott ist ein Freund des Lebens“.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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und immer brisanter je mehr Mittel gegen den Tod zum Einsatz gebracht werden: nicht nur im buchstäblichen Sinne der Lebensverlängerung, sondern in der Fixierung darauf, Leben zu behaupten, statt dem „wirklichen“ Leben Raum zu geben, das Gott in seiner Geschichte mit uns Menschen teilt. Für dieses Leben markiert der Tod nicht nur seine „Endlichkeit“ – in Bezug auf das Ende, das Gott setzt –, sondern die Zugehörigkeit zu jener Geschichte der Rettung, die von der Auferstehung mit Christus reden lässt.81 Die Tonlage – im Zusammenhang mit Sterbebegleitung – ist weitgehend darauf gestimmt, von der „Würde“ des Menschen zu sprechen, die ihn vor anderem menschlichen Zugriff schützen soll, und damit negativ, nicht aber positiv davon, dass dieser Mensch der Zuwendung Gottes (Heiligung) gewürdigt ist.

4.

Brechung aller Apotheosen – Brechung der gottlosen Bindungen

An solchen Fronten zeichnet sich die Gegenbewegung zu der Apotheose82 (oder Metaphysizierung) von Wirklichkeiten ab, die die Erkenntnis und ihre Rhetorik treibt: die Apotheose des Selbst und seiner Freiheit, die Apotheose der Vernunft (des menschlichen Geistes83), oder jedenfalls die ungebrochene Affirmation des Menschen in den verschiedenen Fassungen eines wie auch immer modernen oder post-modernen „Humanismus“, nicht zuletzt, am wenigsten auffällig, die Affirmation eines moralisch-ethischen Humanismus, der den Menschen in seiner unabdingbaren Verantwortlichkeit thematisiert, weil seine Aufgaben nicht bestimmbar sind. (Man hat hier auch von „Werten“ gesprochen – ein eigenes Kapitel modern-postmoderner Rhetorik.) Auch die Affirmation des aufgeklärten und kritischen Geistes bleibt – wie es scheint paradoxer Weise – ohne weitere kritische Brechung. Die Apotheose der Hoffnung und ihrer Zukunft – der deus spes statt des Deus spei – verdeckt die bestimmte Hoffnung „wider alle Hoffnung“. Es ist offensichtlich, dass in die Apotheose des Lebens die anderen einmünden. In alle dem wird fixiert, totgestellt, was menschliches Leben in seinem Werden innerhalb der Geschichte Gottes bestimmt. Es genügt ein Seitenblick auf Nietzsche, um zu erfahren, dass hier – noch immer – auf dem Spiel steht, wie eben derMensch weder als einer erscheint, auf den schließlich alles ankommt – auch wenn noch im Blick bleibt, woraus er lebt und was ihm unveräußerlich Mensch sein lässt – noch schließlich als einer gesehen wird, der abgründig ausgeliefert ist an das, was geschieht oder nicht geschieht, und nur in dieser (aufrechterhaltenen) Unbestimmtheit gewiss sein 81 Iwand dazu – gegen die „Unsterblichkeit“, siehe: Dogmatik-Vorlesungen 1957.1960, 32. 82 Iwand, Christologie, NWN 2, 28: Apotheose des Menschen. 83 Iwand, Dogmatik-Vorlesungen, 222f.

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kann, dass er keiner Illusion nachjagt. Demgegenüber ist derjenige „wirkliche“ Mensch zu erkennen und zu bezeugen, der eben darin Mensch sein und bleiben darf, dass er immer neu umkehrt in das Leben mit Gott, das in Jesus Christus in die Welt gekommen ist. Kein Humanismus dieser oder jener Art, sondern die Geschichte Gottes mit den Menschen ist dann einzig der Gegenstand – von dem Zeugnis zu geben ist. Bei Iwand ist zu lesen: Die Christologie ist also nichts anderes als das Bemühen des Glaubens und der Anbetung, Jesus Christus so zu erkennen, daß wir in ihm Gott und uns, den wirklichen Gott und den wirklichen Menschen, gleichzeitig finden, und zwar so, daß beide miteinander versöhnt sind.84

Es ist die Geschichte der Versöhnung Gottes mit dem Menschen, es ist nicht die Begründung dieser oder jener menschlichen Existenz, sondern die ankommende Wirklichkeit dieser Geschichte, die uns den wirklichen Menschen eben nur zugleich mit dem wirklichen Gott wahrnehmen und erfahren lässt.85

5.

Gebrochene Wirklichkeitswahrnehmung – bezeugte Wirklichkeit

Von diesem Positiven der Geschichte Gottes mit dem Menschen, dem Positiven des Werdens des Menschen ist zu reden als von dem, worin Gottes Handeln präsent ist. Anders würde Wirklichkeit sich an nichts Bestimmtem brechen und die Soteriologie, die Geschichte von der Rettung und das Zeugnis von Gottes Handeln verschwinden. Diese von Gottes Handeln bestimmte „Wirklichkeit“ bleibt adressiert an uns – immer sind wir gefragt, wie wir darin vorkommen, wie Kirche und Theologie, wie „Welt“ darin vorkommt. Wir sind gefragt, wohin wir gehören. Das ist nicht diese oder jene „Welt“, erfasst durch das, was man eine „Weltanschauung“86 nennt und jeder Religion zugehört. Keine solche Religion oder Weltanschauung, sondern ein „Glaube und eine Hoffnung“, die Gottes Geschichte folgen im Verstehen – das ist die Aufgabe des Zeugnisses. Keine Hermeneutik der Geschichte, keine Philosophie oder Theologie der Geschichte kann an deren Stelle treten, keine Weltdeutung oder Weltanschauung, in die die Geschichte einzuordnen wäre – im Gegenteil gilt es eben diesem allen eine andere Geschichte zur Seite zu stellen – zu konfrontieren. Dem entspricht dann im Unterschied zu einer (wie auch immer „religiösen“) „Weltanschauung“ die Ge-

84 Ders., Christologie, NWN 2, 24. 85 Siehe dazu zu Iwand: Thaidigsmann, Geschehene und aufgegebene Versöhnung. 86 Dagegen Iwand, vgl. den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 407.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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winnung einer „Welt“ im unterscheidenden, urteilenden Erkennen, das mit wirklicher Erfahrung verbunden ist.87 Dass die Frage nach der Wirklichkeit, nach der wirklichen und das wird heißen „anderen“ Geschichte, in die wir gehören, jeden Bereich der Erkenntnis betrifft, wird nicht zuletzt an den so dominant gewordenen Bereichen der Medizin und Biowissenschaft deutlich, in denen die Frage brisant wird, was zum Menschen gehört – die Frage: was heißt sterben, gesund-sein, krank-sein, geboren-werden? Die „Freiheit der Erkenntnis“ kann – eben auch um der Wissenschaft willen – nicht darin bestehen, über das Verstehen dessen hinwegzugehen, was wirklich ist.88 Die Aufgabe der Theologie kann nicht darin bestehen, „freie Erkenntnis“ oder auch eine „Vernunft“ zu affirmieren, statt zu bezeugen, in welcher Umkehr, in welcher Geschichte der Rettung und Befreiung Erkenntnis, Verstehen und Vernunft wirklich werden. Was von Bonhoeffer und Iwand her heute an Kirche und Theologie zu adressieren ist, als befreiende, rettende und weiterführende Botschaft, ist die Befreiung zur Erkenntnis und zum Verstehen dieser Wirklichkeit, des wirklichen Menschen und seiner Welt – entgegen allem, was Wirklichkeitsverlust bedeutet und erzeugt.

6.

Gebrochene Öffentlichkeit – im Offenbarwerden der Wahrheit

Aufgrund der Zeugenschaft, die genuin Kirche ausmacht, hat die Kirche die Aufgabe „Öffentlichkeit“ zu bilden. Was „Öffentlichkeit“ heißen kann, ist von dem Zeugnis her bestimmt, das dieser „Welt“ gilt und das in dieser „Welt“ Öffentlichkeit hervorbringt. Nicht die Übersetzung oder Transformation des Zeugnisses in eine irgendwie bestehende „Öffentlichkeit“ hinein, sondern deren Brechung, die Brechung einer vielfach zerrissenen Öffentlichkeit, und Bildung einer kritischen Öffentlichkeit ist die Aufgabe. Es geht um einen „Kampf um die Öffentlichkeit“, nicht im Sinne des Einflusses oder gar der Dominanz, sondern im Sinne der Frage, in welcher „Wahrheit“, die Offenbarung mitteilt, Öffentlichkeit sich bildet und gründet. Wo Wahrheit so bezeugt wird, entsteht Demokratie – sie besteht darin, dass es Zeugenschaft von solcher Wahrheit gibt.89 Wir lesen bei Iwand: Wenn wir also von der Kirche und der Öffentlichkeit sprechen, so meinen wir dieses Thema ganz schlicht, wir verstehen darunter die Aufgabe der Kirche, daran zu wirken, daß diese Öffentlichkeit stattfindet, daß es zu einem wirklichen Offenbarwerden kommt 87 Vgl. Arendt, Das Urteilen. Siehe dazu: Ulrich, Sinn und Geschmack für Gottes Willen. 88 Beispiele dazu aus dem Bereich der medizinischen Ethik finden sich bei: Hauerwas, Approaching the End. 89 Iwand, Kirche und Öffentlichkeit (B), NW 2, 43.

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und der Schleier zerreißt, solange dies noch möglich ist um der Wahrheit willen, und nicht erst wenn es zu spät ist und sich diese Wahrheit nolens volens nicht mehr abstreiten läßt.90

Die „Wahrheit“, die es mitzuteilen gilt, betrifft – wie Iwand weiter unterstreicht – alle Bereiche des menschlichen Lebens. Immer neu gilt es zu zeigen, was „wirklich“ ist, sofern es von Gottes Handeln bestimmt und getragen wird. Dies entspricht Bonhoeffers Leitsatz in der Ethik: „das Problem der christlichen Ethik ist das Wirklichwerden der Offenbarungswirklichkeit Gottes in Christus unter seinen Geschöpfen“91. An dieser „Offenbarungswirklichkeit“ bricht sich die wie auch immer „öffentlich“ repräsentierte oder behauptete Realität. Der Modus der „Aufklärung“ besteht im „offenbar“ werden – so ist „Öffentlichkeit bestimmt – und dieses Offenbarwerden geschieht nicht dadurch, dass Hintergründiges zum Vorschein kommt, sondern dass eine neue Wahrheit und Wirklichkeit bezeugt wird, die die gegebenen Wahrheiten als die Spur durchkreuzt, in der Gottes Handeln erscheint und offenbar werden lässt, was verdeckt ist.92 Das Zeugnis der kirchlichen Praktiken lässt dieses Handeln Gottes öffentlich präsent werden – in der Verkündigung, der Vergebung, dem Beten – dem ganzen öffentlichen Gottesdienst, nicht zuletzt der „öffentlichen Buße“93.

7.

Gebrochene Religion – Kirche und Öffentlichkeit

Die Öffentlichkeit der Kirche, die öffentliche Präsenz der Kirche in ihren practices ist nicht ohne weiteres identisch mit dem, was in einer Perspektive von außen (oder auch religionstheologisch) als „Religion“ in welcher Theorie von Religion auch immer und was als Öffentlichkeit von „Religion“ thematisiert wird. Die Diskussion um den Begriff „Religion“ – wie die ganze Geschichte des Begriffs – lässt erkennen, wie der Begriff zwar viele verschiedene Identifikationen und Identifikationsmethoden von „Religion“ anzeigt, aber selbst diesen Vorgang nicht kritisch durchbrechen, sondern immer nur bestätigen kann. „Religion“ ist dann das, was in dieser Allgemeinheit, als solche identifiziert wird, und entgeht so nicht der Identifikation von „Funktionen“, die ihr zugeordnet werden. Iwand hat vom „Wert“ gesprochen, auf den hin „Religion“ thematisiert wird.94 Dem funktionalen Verständnis kann offensichtlich auch nicht die Unterscheidung von „funktionalem“ und „substantiellem“ Verständnis von Religion entgehen, denn, 90 91 92 93 94

Ebd., 31. Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 34. Iwand, Kirche und Öffentlichkeit (B), NW 2, 32f. Siehe dazu jetzt G. Barth, Die Öffentlichkeit der Buße. Iwand, Religion und Kultur (1931).

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was als „substantieller“ Gehalt von „Religion“, was als Inhalt gilt, wird in dieser Außensicht vor allem auch gesellschaftspolitisch gesehen, z. B. wenn vom „Dialog der Religionen“ die Rede ist, oder davon, dass „Religionen“ etwas zu dem Konsens beitragen, den alle teilen. Welche „Religion“ als zu diesem Dialog zugehörig ausgemacht wird, ergibt sich aus der Identifikation der „Religionen“ im gesellschaftspolitischen Kontext, der vor allem im Blick auf ein konfliktfreies Miteinander adressiert wird. Dieses lässt sich über die identitätsbildende Funktion von „Religion“ als Handlungsziel thematisieren. Die Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland nimmt dies genau so auf und folgt damit der gesellschaftspolitischen Aufgabe und ihrer Grammatik, die Differenz, Anerkennung und Identität aufeinander abstimmen muss. So wird festgestellt: Die Präsenz der evangelischen Kirche in der pluralistischen Bürgergesellschaft hängt davon ab, dass Theologie, staatliches wie kirchliches Recht und die praktische Kirchenordnung zum Umgang mit der Vielfalt der Religionen konsistente, nicht nur pragmatisch orientierte Antworten finden.95

Über den gesellschaftspolitischen Aspekt hinaus, der freilich für jeden Verfassungsbürger und eine entsprechende Ethik nicht fraglich sein kann, wird dann aber auch – ohne ein bestimmtes „religionstheologisches Modell“ (11) zu vertreten – „religionstheologisch“ gesagt: „Die Gewissheit im Glauben an Christus schließt auch das Bewusstsein dafür ein, dass Gottes Möglichkeiten, sich den Menschen bekannt zu machen, keine Grenzen haben.“ (9) Und weiter: Denn die Pluralität der Religionen bekräftigt die evangelische Einsicht in die vielfältige Zuwendung Gottes zu den Menschen: Die Existenz anderer Formen religiöser Gewissheit bildet das Gegenstück zur Freiheit des Glaubens, aus dem Christinnen und Christen leben. (15)

So wird die Thematisierung von „Religion“ im ethisch-politischen Kontext doch weitergeführt zu der Aussage von Gottes vielfältiger Zuwendung, die in den Religionen erscheint. Dies soll dann wiederum eine „Wertschätzung“ begründen, die über „Toleranz“ hinausgeht. Worin aber lässt sich „inhaltlich“ wirklich fassen, was „Religionen“ derart auszeichnet und dann auch gemeinsam haben, inwiefern zeigt dies ein „Dialog“? Kritisiert wird der Versuch, allgemeine inhaltliche Gemeinsamkeiten zu fixieren. (31) Und doch werden die „Religionen“ als solche identifiziert, die „mit Gott zu tun haben“ (33). Daher sei eine gemeinsame Suche

95 Evangelische Kirche in Deutschland: Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive (2015), 14.

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nach „der Wahrheit“ angesagt. Darum hofft und vertraut der christliche Glaube an Gott darauf, dass sich die Wahrheit auch den eigenen Glaubensvollzügen gegenüber durchsetzt. Diese Hoffnung gründet in der neutestamentlichen Verheißung des Geistes: »Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen« (Joh 8,32). Dem Glauben ist damit nicht verheißen, dass er in allem Recht behält. (33)

So wird der christliche Glaube in die Pluralität dessen eingereiht, was als „Religion“ angezeigt wird. „Freiheit“ wird verstanden als immer mögliche Wahlfreiheit, so wird betätigt, was unabdingbar zur „Religionsfreiheit“ gehört. Diese „Freiheit“ wird als Wesenselement dieser so gekennzeichneten – christlichen – „Religion“ verstanden. Dies gibt den Raum dafür frei, sich auf die gemeinsame Suche nach der Wahrheit zu begeben. Die zitierte Rede aus Joh 8 lautet aber vollständig: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Damit ist gesagt, dass christliche „Religion“ durch das „Wort“ gebrochen erscheint, durch das Bleiben am Verstehen des artikulierten Wortes, durch das die Verständigung hindurchgehen muss – durch eine Hermeneutik des Wortes und nicht darüber hinweg. Sie wird dann in der Tat nicht zu allgemeinen Aussagen über Gemeinsamkeiten der „Religionen“ führen können, sondern als Auslegung erscheinen. So ginge es um eine hermeneutische Praxis, nicht ohne „Lebenswirklichkeit“, in der sie erscheint und in Bezug auf die sie strittig ist. Iwand hat insbesondere auf diesen Zusammenhang insistiert und eben darin die Logik einer „Kreuzestheologie“ gesehen, die die Wahrheit als Wahrheit der Wirklichkeit aufzusuchen hat, die nicht irgendwie „religiös“ vermittelt erscheint, oder durch „Religion“ interpretiert, kompensiert oder verdeckt wird. Genau diese Differenz markiert der Begriff „Religion“. Dies muss nicht heißen, dass schließlich doch der christliche Glaube und seine Erscheinungsformen nicht auch als „Religion“ erscheinen. Es bleibt aber die immer nötige Rückfrage, was dieses Kennzeichen dann impliziert, etwa eben dies, dass bestimmte Funktionen erfüllt werden, die mit „Religion“ verbunden erscheinen, wie die Ausbildung einer „Identität“, die nur als „religiöse“ so zu haben ist. Bonhoeffers Aussicht auf ein „religionsloses“ Zeitalter hat denn naheliegender Weise den Blick darauf gelenkt, dass „Religion“, die – was bei Bonhoeffer vorausgesetzt wird – solche Funktionen zu erfüllen hat, verschwinden wird. Solche Funktionen sind ersetzbar und sie sind selbst, auch wenn sie mit „Religion“ gegeben sind und weiterleben, schon Ersatz. Wer mit „Religion“ Profil zeigen will, hat sich schon dieser Religion bedient und kann diesbezüglich kein Profil, sondern nur Konformität zeigen. So ist Bonhoeffers Aussicht nicht überholt durch den Hinweis auf die vielfältige Gegebenheit von „Religion“ und

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„religiösen“ Phänomenen, sondern fordert umso mehr dazu auf, zu fragen, was als „Religion“ erscheint.96 So geht es auch in dieser Hinsicht um eine kritische Hermeneutik, die die Wahrheit und Lebenswirklichkeit aufsucht, in der „Religion“ in ihrer Funktionalität kenntlich wird. Mit dieser kann dann so oder so, um des einen oder anderen Zieles wegen, verfahren werden. Aber dies muss thematisierbar bleiben, und so kann „Religion“ nicht als Unfassbares – vielleicht radikal Subjektives – deklariert werden und so der Kritik entzogen sein. Gegenüber einem alles übergreifenden Begriff von „Religion“ kennzeichnet es die christliche „Religion“, dass sie in dem artikulierten Wort fassbar ist. Dieses provoziert dann die Fragen, über die Verständigung zwischen den „Religionen“ zu suchen ist. Diese Verständigung sollte eine nicht-religiöse, weltliche sein, das heißt jedenfalls keiner religiösen Interpretation folgen, die die politische Nötigung zur Koexistenz hinter sich lässt und so etwas wie „Religion“ für die Konstitution dieser einzig politischen zu fassenden Welt geltend macht.97 Eben daraufhin wären denn auch die „Religionen“ zu befragen, inwiefern sie dem folgen können. So geht es doch um eine „Kritik“ der Religion und der Religionen, die bestimmten Kriterien folgt – wie diesem Kriterium der „Weltlichkeit“. Die Gebrochenheit der „Religionen“ durch solche Kritik, ist durch Bonhoeffer und Iwand angesagt. Diese Kritik an „Religion“ gilt gewiss auch jeder „christlichen Religion“.

8.

Gebrochene Herrschaft – In allen Lebensbereichen

Wie „Religion“ so sind alle Lebensbereiche betroffen, in denen sich das kritische Zeugnis abzeichnet – so wie sie bei Bonhoeffer (Mandate) und Iwand auch thematisiert werden: Arbeit, Ökonomie, Familie, Staat, Krieg, Frieden, „Leben“. Wie wird darin das Leben mit Gott bezeugt? Das ist die inhaltliche Frage nach einer Zeugenschaft in dem ganzen Feld, das wir „Ethos“ oder eben „Gebot“ nennen können.98 Wir können die akuten Felder auch an der Ausdifferenzierung einer „governance“-(Herrschafts- und Steuerungs-)Politik abgebildet sehen, die eben Arbeitspolitik, Wirtschaftspolitik, Friedenspolitik, Biopolitik, Familienpolitik, Rechtspolitik, Religionspolitik etc. umfasst. Entscheidend ist, ob das politische Handeln durch seine (auf den Staat fixierten) Dispositionen zur „gover-

96 Siehe zur Klärung: Tietz, Unzeitgemäße Aktualität. Religionskritik in Zeiten der „Wiederkehr der Religion“. 97 Siehe Krötke, Barmen – Barth – Bonhoeffer. 98 Siehe dazu auch McKenny, The Analogy of Grace.

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nance“ fixiert ist oder eben dem Raum gibt, was als politische Praxis der Christenbürger der „anderen“ Geschichte entspricht. Entscheidend geht es um Rechtsfindung (Iwand) – im Zusammenhang dessen, was Gerechtigkeit Gottes heißt.99 Es geht um „Rechtfertigung und Recht“. Die theologische und kirchliche Auseinandersetzung in diesem Feld ist hier an vielen Punkten anzusprechen – nicht zuletzt oder auch paradigmatisch im Bereich der Biopolitik100 (Embryonenschutzgesetz etc.). Dies ist ein dramatisches Feld permanenter Auseinandersetzung um jener Ankunft der Botschaft willen, die den wirklichen Menschen wahrnehmen lässt. Wie das umfassende Problemfeld „Humanismus und wirklicher Mensch“ so sind die Bruchstellen in allen Lebensbereichen zu markieren, die mit dem Wort erscheinen. In der Tat zeichnen sich hier eine Art von „Minima Moralia“ (Adorno) ab, die die Brechungen der menschlichen Lebenswelt wiederum gebrochen zeigen, wie sie sich an Gottes Wort, an Gebot und Heiligung abzeichnen. Anders als die Minima Moralia sind diese Brechungen begründet im Advent der anderen Geschichte, in der Gottes Geschichte mit den Menschen erscheint und darin „neue Menschen“ und ihr Zeugnis von Gottes Geschichte. Dies ist der Mensch in der Heiligung. Es ist der Mensch, der Gott – wie Iwand sagt – an sich arbeiten lässt.101 Es ist der Mensch in der passio, die seine actio umgreift – so dass sein Tun „einmündet“ in Gottes Führung102. Dieser Mensch ist der Zeuge. Wir sind so bei der Thematisierung einer „geistigen Lage“ der Zeit, wie sie Iwand seinerseits als „geistige Krise“ gesehen hat – und diese geistige Lage ist in durchaus gegenläufigen und kontroversen „geistigen“ Bewegungen und Strategien zu sehen, die aber gemeinsam haben, dass sie den Humanismus gerade auch in seiner Gebrochenheit als einen solchen verteidigen und natürlich dort durchaus verstärken, wo sie erneut unterstreichen, dass „Mensch ohne Gott“ nicht zu denken ist. Dies macht die „Immanenz“ aus, von der Iwand spricht. Die christlich-biblische Theologie, die dem Wort folgt, das am Anfang war, und mit dem Wort, dem Faktum der anderen Geschichte, eben der Geschichte Gottes mit dem Menschen, ist daher absolut anders unterwegs. Sie ist diesem Wort folgend damit befasst, zu verstehen, was dieses Wort zur Mitteilung bringt und welche Wirklichkeit es erschließt. Die Krise tritt nicht irgendwie zutage, sondern wird an dieser anderen Geschichte offenbar.

99 Iwand, Kirche und Öffentlichkeit (B), NW 2, 43f. 100 Siehe zur kritischen Auseinandersetzung: Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht; Finkelde u. a. (Hg.), Normiertes Leben. 101 Iwand, Theologia crucis, NW 2, 392. 102 Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, 225.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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Heute haben irgendwie beide Seiten begriffen, dass ihre Not auf eine Wurzel zurückgeht … heute geht es … um die Frage nach dem Inhalt, nach dem ‚Was‘.103

So ist eine Umkehr angesagt, die Umkehr zu einer geistigen Praxis, die keiner theologia gloriae mehr folgt, sei es die einer Moraltheologie oder einer (nur) radikalisierten Kritik. Mit dieser Umkehr ist die Umkehr zu einer Ethik der geistigen Praktiken gegeben, und eben damit auch einer Ethik des Vernunftgebrauchs. Was vor Augen kommt ist ein neuer Blick auf den Menschen als „animal rationale“, das darin seine durchaus „geistige Existenz“ findet.104 So könnte es sein, dass der Satz vom Menschen als einem vernünftigen Wesen ein neues Gewicht und neue, verpflichtende Kraft gewönne, wenn wir anfingen, die Vernunft zu entgöttern und die Bestimmung des Menschen nicht aus ihr herleiteten, sondern vielmehr sie als eingeordnet in diese gelten zu lassen.105

Dies heißt nicht, dass damit die Vernunft nicht geachtet oder gar missachtet wird – im Gegenteil, sie wird der Affinität von absolut (frei-)gesetzter Vernunft und Irrationalität entzogen. Iwand hat nicht zuletzt in der Vernunftfeindlichkeit höchste Gefahr gesehen. Im Christentum war die Verachtung der Vernunft und in dem System der natürlichen Geisteswissenschaften die des Christentums gepflegt und gefördert worden. Beide hatten sich selbst unbewußt und darum heute vielen unbegreiflich, Pate gestanden bei der unheimlichen Erscheinung, die in der Weltanschauung des Nationalsozialismus erst bei uns, dann aber auch im ganzen übrigen Europa die Krise unserer Kultur zur Krise aller Lebensbeziehungen machte. …beide hatten keinen Instinkt mehr besessen für den ‚spiritus rector‘, der ihre eigenen Handlungen, ihr Denken und ihre Prinzipien beseelte.106

Adressiert an unsere Gegenwart ist neu zu fassen, was es heißt, ohne einen „Humanismus“ zu fixieren, sich in den „Grenzen der Vernunft“ und ihren Praktiken zu bewegen, aber auch wirklich sich darin zu bewegen und diese Grenzen „positiv“ gegeben zu sehen, in dem, was von Gott uns begegnet,107 das heißt, die Vernunft nicht für eine theologia gloriae gebrauchen zu wollen, sondern zur Verständigung in der urteilenden Wahrnehmung der Wirklichkeit. Vor dieser so begrenzten Vernunft und ihren Grenzen sollte niemand zu fliehen suchen – in die Strategien letzter Begründungen, in die Vergangenheit, in einen Mythos (wie Iwand sagt), in eine Moral oder einen „Idealismus“, aber auch nicht in eine Steigerung der Reflexivität, die alles zu fassen verspricht. 103 104 105 106 107

Iwand, Das Christentum und die geistige Krise der Gegenwart, NW 2, 108. Vgl. parallel dazu die Diskussion um Heidegger: Derrida, Vom Geist. Iwand, Das Christentum und die geistige Krise der Gegenwart, NW 2, 114. Ebd., 109. Siehe dazu Habermas, Wie soll man die ethische Frage beantworten?

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V

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Adventliche Eschatologie – in der Gegenwart des Geistes

Zugleich aber ist zu hören: Wir werden fragen müssen, ob die Immanenz der Welt, die eben in jenem natürlichen System der Geisteswissenschaften festgelegt und gleichsam dogmatisiert war, aufrechterhalten und zum modernen Dogma erhoben werden kann. Vielleicht reißt schon der Fortgang der modernen Naturwissenschaft ein Loch in diese – nun wahrhaft chinesische Mauer. Die letzte und einzig echte – weil heilsame – Krise der geistigen Welt, in der wir leben, würde die Eschatologie sein, das Hineintreten einer anderen Welt, der Ruf aus einem neuen Äon und die Sprache eines neuen Geistes. … und wir würden dann vielleicht wieder verstehen, daß Geist eben dies heißt, Erinnerung an den kommenden Äon, Aufruf und Weckruf aus einer anderen Welt, wirkliches Erwachen im Licht des kommenden Tages. … Wir würden wissen, daß das noch nicht Ethik ist, wenn die Ideale über einer verwüsteten Welt als Worte, als ‚nomina‘ schweben wie Gottes Geist über dem Chaos, sondern daß Ethik eigentlich erst beginnt, wenn gefragt wird: ‚quomodo bona opera fieri possunt‘ Wie gute Werke möglich sind. Wir würden wissen, daß sie erst dann möglich sind, wenn die Auferstehung von den Toten mitten in dieser Welt wirklich ist.108

Gute Werke sind nur möglich, wenn die Auferstehung wirklich wird in der Welt. Die guten Werke kommen nur eschatologisch in den Blick – als zugehörig zu der anderen Geschichte. Damit ist die Jetzt-Zeit keine leere Zeit, wartend auf die Herrlichkeit, sondern es ist die Zeit des adventus. Es ist nicht die „Zeit, die bleibt“ (Agamben109), sondern es ist die Zeit des Geistes Gottes. Es ist „erfüllte Zeit“ in der Zeit (vor der Fülle der Zeiten). Es ist die Zeit mit dem „Angeld“ des Geistes Gottes (2Kor 1,21). Ohne diese adventliche Eschatologie des anwesenden Geistes Gottes, entsteht eben jene Leere, die durch Apotheosen und Affirmationen ausgefüllt wird – durch das, was denn wirklich das „Katechon“ (2Thess 2,6) ist, das der Ankunft Gottes entgegensteht, und dem selbst wiederum nur Gewalt entgegensteht, nicht aber diese andere Geschichte und ihre Wirklichkeit. Kein Theologe hat so konsequent wie Iwand diese eschatologisch-adventliche Pneumatologie durchgehalten, was keineswegs eine andere Gesamtsicht auf sein theologisches Werk wirft, als die Theologie des Kreuzes oder die Geschichte von der „Befreienden Erkenntnis“ (den Hertog) sie darstellt. Hier sollte die pneumatologische Eschatologie noch einmal hervorgehoben werden110, weil Iwand selbst sich daran hält, auch gerade dann, wenn er die gegenwärtige Lage anspricht, und daran die Sicht auf die Lage sich brechen lässt. Die „geistige Krise der 108 Iwand, Das Christentum und die geistige Krise der Gegenwart, NW 2, 116f. 109 Agamben, Die Zeit, die bleibt. 110 Siehe dazu Ulrich, Eschatologie und Ethik.

Was mit Bonhoeffer und Iwand heute zu besprechen wäre

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Gegenwart“ kommt in den Blick als eine Zeit, in der Gottes Geschichte nicht kenntlich ist, das Zeugnis davon undeutlich ist oder ausfällt. Glaube – Liebe – Hoffnung werden von Iwand signifikanter Weise eben daraufhin gefasst, dass sie zur Erscheinung dieser Geschichte gehören, wiederum nicht affirmativ oder gar in Gestalt einer „Apotheose“. Es geht auch nicht um eine Apotheose der Hoffnung (deus spes), sondern um die Gegenwart des Gottes, in dessen Verheißung wir unsere Hoffnung setzen dürfen. An der pneumatologischen Eschatologie, der Eschatologie des geschichtlichen Wirkens des Geistes Gottes, bricht sich das Verstehen von Wirklichkeit und ihrer Krisen ebenso wie an der Theologie des Kreuzes. Das Kreuz im Blick zu behalten wie die Ankunft des Geistes – das ist die Aufgabe – angesichts der gegenwärtigen Lage.. Was von hier aus in viele Problemstellungen hinein verfolgt werden kann, sollte nicht verdecken, wo die besondere Fokussierung heute zu sehen ist. Es geht um eine Christusverkündigung, die adventlich bleibt, messianisch („messianisch ohne Messianismus“111) und damit nicht fixiert darauf, wie diese „Welt“ zu beherrschen ist, ohne die positive Brechung menschlichen Vermögens präsent zu halten. Es geht um eine Verkündigung, die konzentriert ist auf diese andere Geschichte112, mit der eine andere Welt erscheint, die jetzt schon diese „Welt“ trägt, weil Gott sie in seiner Treue hält und wir zu nichts anderem berufen sind, als in dieser Treue zu bleiben – in Gottes Gerechtigkeit. Dieses Zeugnis steht einer Theologie entgegen, die nicht mehr der anderen Geschichte folgt, sondern auf diese und jene Welt oder Weltanschauung (Weltbild113) ausgerichtet ist, in die Gottes Geschichte nicht einzuordnen ist (Iwand) und mit deren Kategorien sie nicht zu fassen ist. Von dieser anderen Geschichte und ihrer Welt Zeugnis zu geben ist aber der einzig „wirklichkeitsgemäße“ Auftrag. Wir sind so bei der grundlegenden Frage nach einer Theologie, die zu sagen weiß, was „wirklich“ ist und wie dies mit der sanctorum communio in der Welt präsent wird. Das „Heute“ erscheint so als messianische Zeit. Davon Zeugnis zu geben ist die Aufgabe von Kirche und Theologie.

111 Derrida, Abraham der andere, 53f. 112 Dies gegenüber der „vernünftigen“ Übersetzung des „Gottes in der Zeit“ in die temporale Fassung des Absoluten (Habermas, Die Grenze zwischen Glauben und Wissen, 224f.). 113 Siehe Habermas: Weltbild – Lebenswelt, in: Kritik der Vernunft, 203ff. So ist hier von einer „anderen“ Lebenswelt zu reden, oder von einer positiv gebrochenen Lebenswelt.

Literaturverzeichnis

Kurztitel, auf die in den einzelnen Beiträgen verwiesen wird, werden in Kursivdruck hervorgehoben.

1.

Hans Joachim Iwand

a)

Werkausgaben:

Nachgelassene Werke (= NW):

– Bd. 1: Glauben und Wissen, hg. v. Helmut Gollwitzer, München 1962 / Gütersloh 22000. – Bd. 2: Vorträge und Aufsätze, hg. v. Dieter Schellong/Karl Gerhard Steck, München 1966 / Gütersloh 22000. – Bd. 3: Ausgewählte Predigten, hg. v. Hans Helmut Eßer/Helmut Gollwitzer, München 1963 / Gütersloh 22000. – Bd. 4: Gesetz und Evangelium, hg. v. Walter Kreck, München 1964/Gütersloh 22000. – Bd. 5: Luthers Theologie, hg. v. Johann Haar, München 1983 / Gütersloh 22000. – Bd. 6: Briefe an Rudolf Hermann, hg. v. Karl Gerhard Steck, München 1964 / Gütersloh 2 2000.

Nachgelassene Werke Neue Folge (= NWN):

– Bd. 1: Kirche und Gesellschaft, bearbeitet, kommentiert und mit einem Nachwort versehen v. Ekkehard Börsch, Gütersloh 1998. – Bd. 2: Christologie. Die Umkehrung des Menschen zur Menschlichkeit, bearbeitet, kommentiert und mit einem Nachwort versehen v. Eberhard Lempp und Edgar Thaidigsmann, Gütersloh 1999. – Bd. 3: Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. „Väter und Söhne“, bearbeitet, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Gerard C. den Hertog, Gütersloh 2001. – Bd. 4: Briefe [noch nicht erschienen]. – Bd. 5: Predigten und Predigtlehre, bearbeitet, kommentiert und mit einem Nachwort versehen v. Albrecht Grözinger, Bertold Klappert, Rudolf Landau und Jürgen Seim, Gütersloh 2004.

338

Literaturverzeichnis

Briefe, Vorträge, Predigtmeditationen (= BVP). Eine Auswahl, hg. v. Peter-Paul Sänger, Berlin 1979.

Frieden mit dem Osten (= FO). Texte 1933–1959, hg. v. Gerard C. den Hertog unter Mitarbeit von Klaus Geyer, Jürgen Seim und Dieter Schellong (Kaiser Taschenbücher 28), München 1988. Um den rechten Glauben (= GA I), hg. v. Karl Gerhard Steck (Theologische Bücherei 9), München (1959) 21965. Glaubensgerechtigkeit (= GA II). Lutherstudien, hg. v. Gerhard Sauter (Theologische Bücherei. Systematische Theologie 64), München 21991.

b) Einzelne Titel: Andacht am 24. September 1935, in: Wilhelm Niemöller (Hg.), Die Synode zu Steglitz. Geschichte – Dokumente – Berichte (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes 23), Göttingen 1970, 159–162. Antwortbrief v. 21. 10. 1959, in: Briefe an Professor Iwand [und Antwortbriefe], in: Junge Kirche 20 (1959), 613–623, hier: 622f. Das Aufrüstungsproblem – von Deutschland her gesehen (1951), in: FO, 56–61. Die 1. Barmer These und die Theologie Martin Luthers, in: Evangelische Theologie 46 (1986), 214–231. Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben, in: GA I, 13–30. Zur theologischen Begründung des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, in: NW 2, 230–242. Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben. Eine Einführung in Luthers Schrift vom unfreien Willen, in: GA I, 13–30. Der ökumenische Beitrag der osteuropäischen Kirchen (1959), in: FO, 218–231. Das Bild Jesu Christi nach ausgewählten Zeugnissen seiner Gläubigen. Vorlesung Christologie 1928/29, hg. v. Arnold Wiebel, http://www.theologie.uni-greifswald.de/fileadmin/ media pool/5_LS-Assel/Iwand_Fruehe_Christologie_Endfassung.pdf [abgerufen am 01. 07. 2015]. Das Christentum und die geistige Krise der Gegenwart, in: NW 2, 106–124. Daß ihr bestehen könnt. Epheser 6, 10–17, in: NW 3, 171–183. Dogmatik-Vorlesungen, 1957–1960. Ausgewählte Texte zur Prinzipienlehre, Schöpfungslehre, Rechtfertigungslehre, Christologie, Ekklesiologie mit Einführungen, hg. v. Thomas Bergfeld/ Edgar Thaidigsmann (Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie 18), Berlin 2013. Du sollst nicht töten. Matthäus 5,21–22 – Predigt auf der Tagung des Christlichen Friedensdienstes in Stein bei Nürnberg am 6. August 1950, in: Evangelische Theologie 10 (1950/51), 145–153 (abgedr. in: NW 3, 213–225). Ecce homo [Ein Wort zu Eugen Kogon, Der SS-Staat], DIE ZEIT, 2. Jg., 14. 08. 1947, 5. Um Einheit und Reinheit der Bekennenden Kirche, Wuppertal-Barmen, 1936. Geistige Entscheidungen und die Politik (1958), in: FO, 159–175. Entwurf zum Darmstädter Wort (1947), in: Hartmut Ludwig, Die Entstehung des Darmstädter Wortes, in: Junge Kirche. Beiheft 8/9, 1977, 28f (abgedr. in: FO, 20–22).

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Literaturverzeichnis

2.

Dietrich Bonhoeffer

a)

Werkausgaben:

341

Gesammelte Schriften (= GS):

– Bd. 1: Ökumene Briefe, Aufsätze, Dokumente, 1928 bis 1942, hg. von Eberhard Bethge, München 1958. – Bd. 2: Kirchenkampf und Finkenwalde. Resolutionen – Aufsätze – Rundbriefe, 1933– 1945, hg. von Eberhard Bethge, München 1959. – Bd. 3: Theologie – Gemeinde. Vorlesungen – Briefe – Gespräche, 1927–1944, hg. von Eberhard Bethge, München 1960. – Bd. 4: Auslegungen – Predigten, 1933–1944, hg. von Eberhard Bethge, München 1961. – Bd. 5 / Erster Ergänzungsband: Seminare – Vorlesungen – Predigten, 1924–1941, hg. von Eberhard Bethge, München 1972. – Bd. 6 / Zweiter Ergänzungsband: Tagebücher, Briefe, Dokumente, hg. von Eberhard Bethge, München 1974.

Dietrich Bonhoeffer Werke (= DBW):

– Bd. 1: Sanctorum Communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche, hg. v. Joachim von Soosten, Gütersloh 22005. – Bd. 2: Akt und Sein. Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie, hg. v. Hans-Richard Reuter, München 1988. – Bd. 3: Schöpfung und Fall, hg. v. Martin Rüter und Ilse Tödt, München 1989. – Bd. 4: Nachfolge, hg. v. Martin Kuske und Ilse Tödt, München 1989. – Bd. 5: Gemeinsames Leben / Das Gebetbuch der Bibel, herausgegeben von Gerhard L. Müller und Albrecht Schönherr, Gütersloh 32008. – Bd. 6: Ethik, hg. v. Ilse Tödt und Eberhard Bethge, Gütersloh 21998. – Bd. 7: Fragmente aus Tegel, hg. v. Renate Bethge und Ilse Tödt, München 1994. – Bd. 8: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Christian Gremmels, Eberhard Bethge und Renate Bethge, in Zusammenarbeit mit Ilse Tödt, Gütersloh 1998. – Bd. 9: Jugend und Studium 1918–1927, hg. v. Hans Pfeifer in Zusammenarbeit mit Clifford Green und Carl-Jürgen Kaltenborn, Gütersloh 22005. – Bd. 10: Barcelona, Berlin, Amerika 1928–1931, hg. v. Reinhart Staats und Hans Christoph von Hase, Gütersloh 1992. – Bd. 11: Ökumene, Universität, Pfarramt 1931–1932, hg. v. Eberhard Amelung und Christoph Strohm, Gütersloh 1994. – Bd. 12: Berlin 1932–1933, hg. v. Carsten Nicolaisen und Ernst-Albert Scharffenorth, Gütersloh 1997. – Bd. 13: London 1933–1935, hg. v. Hans Goedeking, Martin Heimbucher, Hans W. Schleicher, Gütersloh 1994. – Bd. 14: Illegale Theologenausbildung. Finkenwalde 1935–1937, hg. v. Otto Dudzus und Jürgen Henkys in Zusammenarbeit mit Sabine Bobert-Stützel, Dirk Schulz und Ilse Tödt. Bearbeitet von Herbert Anzinger, Gütersloh 1996. – Bd. 15: Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937–1940, hg. v. Dirk Schulz, Gütersloh 1998.

342

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– Bd. 16: Konspiration und Haft 1940–1945, hg. v. Jørgen Glenthøj, Ulrich Kabitz und Wolf Krötke. Bearbeitet von Herbert Anzinger, Gütersloh 1996. – Bd. 17: Register und Ergänzungen, hg. v. Herbert Anzinger und Hans Pfeifer unter Mitarbeit von Waltraud Anzinger und Ilse Tödt mit einem Nachwort von Wolfgang Huber, Gütersloh 1999.

b)

Einzelne Titel:

Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit. Vortrag in Ciernohorské Kúpele v, 26. 7. 1932, DBW 11, 327–343. Brief an Eberhard Bethge vom 23. 11. 1940, in: DBW 16, 75–77. Brief an Eberhard Bethge v. 26.–30. 11. 1943, in: DBW 8, 209–216. Brief an Eberhard Bethge v. 11. 4. 1944, in: DBW 8, 389–392. Brief an Eberhard Bethge v. 30. 4. 1944, in: DBW 8, 401–408. Brief an Elisabeth Zinn v. 27. 1. 1936, in: DBW 14, 112–114. Brief an Karl Friedrich Bonhoeffer v. 14. 1. 1935, DBW 13, 272f. Christus und der Friede (Mitschriften), in: DBW 12, 232–235; DBW 17, 116–120. Christus, die Wirklichkeit und das Gute, DBW Um Einheit und Reinheit der Bekennenden Kirche, Wuppertal-Barmen 1936. Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, in: DBW 14, 655–680. Die Frage nach dem Menschen in der gegenwärtigen Philosophie und Theologie, DBW 10, 357– 378. Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation, in: DBW 12, 242–260. Gedanken für den Prediger am Volkstrauertag, in: GS 4, 197–199. Gedanken zum Tauftag von D.W.R. Mai 1944, in: ders., Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. von Eberhard Bethge, Berlin 1977, 323. Die Geschichte und das Gute [1. Fassung], in: DBW 6, 218–244. Grundfragen einer christlichen Ethik, in: DBW 10, 323–345. Theologisches Gutachten: Staat und Kirche, in: DBW 16, 506–535. Die Kirche vor der Judenfrage, in: DBW 12, 349–358. Die bekennende Kirche und die Ökumene, in: GS 1, 240–261. Kirche und Völkerwelt, in: DBW 13, 298–301. Die Kirche und die Welt der Nationen. Zur theologischen Grundlegung der Arbeit des Weltbundes, in: DBW 13, 295–297. Meditation über Psalm 119, in: DBW 15, 499–536. Über die Möglichkeit des Wortes der Kirche an die Welt, in: DBW 6, 354–364. Predigt zu Matthäus 24,6–14. Berlin, Reminiscere (Volkstrauertag), 21. Februar 1932, in: DBW 11, 398–408. Predigt zu Weisheit 3,3. London, Totensonntag, 26. 11. 1933, in: DBW 13, 325–331. Predigtmeditation zu Jes 5,5f, Weihnachten 1940, in: DBW 16, 633–639. Predigtmediation zu Johannes 14,23–31. Für den ersten Pfingsttag, in: DBW 15, 565–571. Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943, in: DBW 8, 19–39. Das Recht auf Selbstbehauptung, DBW 11, 215–226. Rundbrief vom 20. September 1939, in: DBW 15, 267–272.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Dr. Michael Basse, geb. 1961, ist Professor für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Kirchen- und Theologiegeschichte an der TU Dortmund. Dr. Gerard den Hertog, geb. 1949, ist Professor für Systematische Theologie (Schwerpunkt Ethik) an der Theologischen Universität Apeldoorn. Markus Franz, geb. 1979, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie der Universität Leipzig, ist nun Pfarrer der EvangelischLutherischen Lutherkirchgemeinde Limbach-Oberfrohna. Dr. Marco Hofheinz, geb. 1973, ist Professor für Systematische Theologie (Schwerpunkt Ethik) im Institut für Theologie und Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Annette Kern, geb. 1983, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie I (Dogmatik) im Fachbereich Theologie der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dr. Christian Neddens, geb. 1972, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Historische und Systematische Theologie an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Cees-Jan Smits, geb. 1986, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Theologischen Universität Apeldoorn. Dr. Edgar Thaidigsmann, geb. 1941, ist emeritierter Professor für evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Clara Aurelia Tolkemit, geb. 1984, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie im Institut für Evangelische Theologie der TU Dortmund. Dr. Hans G. Ulrich, geb. 1942, ist emeritierter Professor für Ethik am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Dr. Wilken Veen, geb. 1953, ist Pfarrer der Protestantse Kerk der Niederlande und verantwortlich für die Lehrhausarbeit dieser Kirche in Amsterdam. Dr. Johannes von Lüpke, geb. 1951, ist Professor für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Dr. Bernd Wannenwetsch, geb. 1959, ist Pfarrer der Evangelisch Lutheri-schen Kirche in Bayern und lehrte als Professor für Systematische Theolo-gie an den Universitäten Oxford und Aberdeen. Dr. Ralf K. Wüstenberg, geb. 1965, ist Professor für Evangelische Theologie mit den Schwerpunkten Systematische und Historische Theologie an der EuropaUniversität Universität Flensburg.