Predigen lernen. Ein Lehrbuch für die Praxis 9783767570894, 3767570890

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Predigen lernen. Ein Lehrbuch für die Praxis
 9783767570894, 3767570890

Table of contents :
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Predigen lernen: Ein Lehrbuch für die Praxis
Copyright
Inhalt
Einführung: Ermutigung zum Predigen
Literatur in Auswahl
Predigen lernen Personenregister

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Achim Härtner/ Holger Eschmann Ein Lehrbuch für die Praxis 2., erweiterte Auflage

Im Anfanl

Edition

Ruprecht

Achim Härtnerj Holger Eschmann Predigen lernen Ein Lehrbuch für die Praxis Mit Beiträgen von Rolf Heue und Reinhold Lindner

2 .• erweiterte Auflage

Edition

{j)

Ruprecht

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.

Mit 16 Abbildungen und 4 Tabellen. Für die Umschlagabbildung wurde ein Foto einer Kanzel aus dem Klostermuseum Mariensee verwendet. © Axel Pohl

Abbildungen Seite 185 und Seite 188: Friedemann Schulz von T hun, "Miteinander reden 1. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation".

© 1981 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Abbildung Seite 189: Friedemann Schulz von T hun, "Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlich­ keitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation".

© 1989 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

2., erweiterte Auflage Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abruf bar.

© Edition-Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht eK Postfach 1716, 37007 Göttingen-2008 www.edition-ruprecht.de

© 1. Auflage: Edition Anker, im Christlichen Verlagshaus GmbH, Stuttgart-2001 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach Layout: Daniel Schmidt, Freudenthai Satz: Werbe- und Verlags-GmbH, Calpe/ Spanien Druck: CPI books, Ulm IS8N: 978-3-7675-7089-4

§

52a UrhG.

Inhalt

Einführung Teil A I Grundlagen •••••••••••••••••••



Kapitel 1: Theologische Klärungen zur Predigt in der Gegenwart

15

I.

Der Grund der Predigt

15

11.

Kennzeichen der Predigt

17

111.

1.

Eine Definition

17

2.

Die Predigt als Rede

17

3.

Der Inhalt

18

4.

Die Situation der Predigt

19

5.

Predigtgemeinschaft und Öffentlichkeit

20

6.

Zur Person des Predigers

21

7.

Das homiletische Dreieck

24

Die drei Entstehungsorte der Predigt

24

1.

Der Schreibtisch

25

2.

Die Kanzel

26

3.

Die Kirchenbank

27

IV , Die Predigt im Wirkungsfeld des Geistes Gottes

28

V,

30

Predigtsprache und Predigttypen

VI. Der Zusammenhang von Predigt und Gottesdienst

33

VII. V ergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Predigt

35

1.

2.

3.

Das Verständnis der Predigt im 20. Jahrhundert

35

a) Die dialektisch-theologische Position

35

b) Die empirische Wende in der Praktischen Theologie

36

c) Die Entdeckung der Form

37

Homiletische Ansätze zu Beginn des 21. Jahrhunderts

38

a) Wilfried Engemann: Die ergänzungsbedürftige Predigt

39

b) Martin Nicol: Predigt als Ereignis

43

c) ManfredJosuttis: Das machtvolle Wort

48

Zur Zukunft der Predigt

51

.

5 '

VIII. Rahmenbedingungen der Predigt heute 1.

52

Die Informationsflut und die Veränderung des Verstehens

52

2.

Wandel der Normen und Werte

53

3.

Individualisierung und soziale Entfremdung

55

4.

Kultur des Lebens statt Erlebniskultur

56

5.

»Anfänglichkeit« und Entlastung des Predigers

56

6.

Leitbilder und Gemeinschaft

58

Teil B I Praktischer Leitfaden ...........................



Kapitel 2: Aus der Werkstatt der Predigerin I.

Erster Weg: V om Text zur Predigt

60 61

1. Schritt: Die Auswahl des Bibeltextes

43

2. Schritt: Mein erstes Gespräch mit dem Text

62

3. Schritt: Mein erstes Gespräch mit den Hörerinnen

63

4. Schritt: Exegetische und theologische Überprüfung der Einfalle zum Text

64

5. Schritt: Blick in die Predigtliteratur

64

6. Schritt: Schöpferische Pause

65

7. Schritt: Zuordnung der Bauelemente

66

8. Schritt: Gliederung und Formulierung

66

9. Schritt: Fertigstellung der Predigt und Planung des Gottesdienstes

67

Beispiel: Predigtvorbereitung zu Matthäus 13,10-17

67

Predigt über Matthäus 13,10-17

11.

6



73

Zweiter Weg: Vom Themazur Predigt

78

1. Schritt: Predigtidee

78

2. Schritt: Theologische Fragen

79

3. Schritt: Materialsammlung

79

4. Schritt: Formulierung der Predigtziele

80

5. Schritt: Gestaltung der Predigt

80

Beispiel: Andacht zum Thema: Über das Hören von Predigten

81

Kontrolle des Beispiels

...........

67

10. Schritt: Der Vortrag

83

Kapitel 3: Für Hörer predigen

85

I.

85

Für die Predigt lernen 1.

Die gemeinsame Verantwortung von Predigern

2.

Erfahrungen zum Miteinander von Predigern

und Hörern und Hörern

11.

Erwartungen an die Predigt

86 87 89

1.

Die Predigt -besser als ihr Ruf

89

2.

Typen des Redens und Hörens

91

a) Empfangsbereich Gefühl

92

Suche nach Lebenssinn

93

Gewissmachende Rede

95

b) Empfangsbereich Verstand Suche nach Orientierung Informierende Rede

c) Empfangsbereich Wille

99 99 100 104

Suche nach Entscheidung

104

Heraus/ordernde Rede

105

Kapitel 4: Der Aufbau der Predigt

111

I.

11.

Einladung zum Hören

111

1.

Zuhören -leichter gemacht

112

2.

Erzählen in der Predigt

114

a) Arten des Erzählens -einige Erzählregeln

115

b) Die biblische Nacherzählung

118

c) Alltagsgeschichten

121

Baupläne für Predigten

125

1.

Was Gliederungen leisten können und was nicht

125 126

2.

Regeln zur Gliederung

3.

Modelle für den Aufbau

127

4.

Lernen im Glauben und Veränderung des Lebens

136

7 ••

Kapitel 5: Der Predigtvortrag

141

I.

Das Konzept

141

11.

Der Kontakt mit der Gemeinde

145

111.

Zur Wirkung der Stimme

146

IV. Zu Gestik und Mimik V.

Vom Umgang mit der Predigtangst

152

VII. »Ratschläge für einen schlechtenRedner«

153

Kapitel 6: Die Kontrolle der Predigt

155

I.

Die Notwendigkeit der Predigtkontrolle

155

11.

Predigtnachgespräch und Predigtanalyse

155

1.

Das Pred ig rnacbgespräcb

160

111.

a) Die Aufgabe

160

b) Die Durchführung

161

Die Predigtanalyse

163

a) Die Aufgabe

163

b) Die Durchführung

163

Wo zwei oder drei...

IV. Zur Selbstkontrolle der Predigt

V.

8



150

VI. Zum Umgang mit Pannen

2.

................

149

165 166

L

Anfang und Schluss

166

2.

Der Unterschied zwischen »Spreche« und »Schreibe«

167

3.

Zu Sprache und Inhalt

169

Tugendkatalog für Predigerinnen

171

Teil C I V ertiefung: Die Predigt als Kommunikation des Evangeliums ...........................................

..

Kapitell: Die Predigt als Kommunikationsgeschehen I.

Das Predigtgeschehen im Lichte der Kommunikationswissenschaft 1.

Ein Begriff in aller Munde -Was heißt eigentlich

2.

Kommunikation

»Kommunikation«? +

Evangelium

Kommunikation

Einsichten der Kommunikationsforschung im Überblick 1.

176

180

Ein Grundmodell: Kommunikation als Informationsvermittlung

2.

174 175

=

des Evangeliums?

11.

174

181

Ein erweitertes Modell: menschliche Kommunikation als »vierfaches« Geschehen

184

a) Das »Nachrichten-Quadrat«

184

b) Der »vierohrige Empfänger«

188

c) Das Kommunikationsgeschehen als Wechselspiel zwischen Sender und Empfänger 3.

Die Kommunikation des Evangeliums im Lichte

4.

Die Predigtarbeit im Lichte des Hamburger

des Hamburger Kommunikationsmodells

189 190

Kommunikationsmodells

195

a) Die inhaltliche Seite der Predigt

197

b) Selbstkundgabe in der Predigt

199

c) Die Beziehungsseite der Predigt

201

d) Appelle in der Predigr

206

e) Rückblick und Ausblick

209

••

9

KapitelS: Kommunikativ predigen: Konkretionen und Beispiele I. 11.

Persönlich predigen: Überlegungen zum »I ch« auf der Kanzel

211

Anschaulich predigen: Symbole in der Predigt

215

1.

111.

10 ...........



211

Die Sprache der Bilder als die Muttersprache des Glaubens

215

2.

Fünf Kennzeichen religiöser Symbole

218

3.

Fünf Regeln im Umgang mit Symbolen

222

Humorvoll predigen: Lachen ist gesund - auch für die Predigt!

228

Literatur in Auswahl

232

Personenregister

239

Einführung: Ermutigung zum Predigen Dieses Buch möchte zum Predigen ermutigen. Das ist aus verschie­ denen Gründen nötig und wichtig. Wer predigt, spürt deutlich: Pre­ digen ist kein leichtes Geschäft. Seit den Tagen des Most, des Prophe­ ten Jesaja, seit Johannes dem Taufer, seit Luther und Wesley über Bonhoeffer und Gollwitzer bis in die Gegenwart wird das Predigen des Wortes Gottes nicht nur als beglückend, sondern auch als schwer empfunden. Der evangelische Theologe Kar! Barth (1886-1968) hat das Dilemma der christlichen Predigt einmal so beschrieben: »Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben. Das ist unsere Bedrängnis. Alles andere ist daneben Kinderspiel.« 1 Wer predigt, wird diese Spannung aushalten müssen und darf zugleich getroste Schritte tun und weiter fragen: Wie kommen wir dahin, dass Predigen eine Sache der Freude wird und dass unsere Predigten die Gewissheit und Gelassenheit des Glaubens ausstrahlen? Ermutigung zum Predigen kann im Grunde nur von der Ur-Sache der Predigt ausgehen: dem unverfügbaren Reden und Sich-Bezeugen Ur-Sache der Gottes. Als Predigerinnen und Prediger sind wir somit zuerst auf das Predigt Studium der Schrift und das Gebet verwiesen. So kann Luthers Gedanke auf die Predigtarbeit angewendet heißen: »Arbeiten an der Predigt als ob alles Beten nichts nützte und beten als ob alles Arbeiten nichts nützte.« 2 Die Predigt der liebenden Zuwendung Gottes zur Welt ist Einladung zum Glauben und zum christlichen Leben. Sie gründet in der bleibenden Bundeszusage Gottes in Jesus Christus, dessen Wort auch denen gilt, die heute und morgen predigen werden: »Ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt« (Mt 28,20). 3 Die Predigt ist innerhalb wie außerhalb der Kirche umstritten als Form zeitgemäßer Rede in Gottesdienst und Gesellschaft. »Was wird landauf, landab für ein Aufwand für die Verkündigung des christlichen 1 I K. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie (1922). Wiederabgedruckt in: K.-J. Kusche! (Hg.), lust ander Erkenntnis: Die Theologie des 20. Jahrhunderts, München/Zürich 1986, s. 93-110, Zitat s. 93. 2 I H. Hirschier, Biblisch predigen, 3. Aufl. Hannover 1992, S. 4 3. 3 I Bibelzitate sind bis auf wenige Ausnahmen der revidierten luther-Übersetzung (1984) entnommen; die Abkürzungen der biblischen Bücher richten sich nach dem Abkürzungsver­ zeichnis der 4. Auflage der RGG, Tübingen 1998, Bd. 1, S. XXf.

11 ••

Glaubens getrieben! Aber ist es nicht, von Ausnahmen abgesehen, die 4 institutionalisierte Belanglosigkeit?« Wer daran glaubt, dass die Pre­ digt Zukunft hat, wird fragen: Wie kann angesichts solcher und ähnli­ eher Stimmen die Predigt wieder zunehmend als Chance christlichen Redens begriffen und zur wirksamen Mitteilung des Glaubens werden? Ermutigung zum Predigen ergeht in jüngerer Zeit verstärkt von Ermutigung zum Seiten der Gemeinden her: Menschen suchen und erwarten ein Wort, Predigen das sie in der Tiefe anspricht. Ein Wort, in dem Vergangenheit gedeu­

tet, Gegenwart angesprochen und Zukunft verheißen wird. Biblisch fundierte und zugleich lebensnahe Verkündigung des Evangeliums ist neu gefragt. In Zeiten, in denen die Pluralität der Meinungen eine geistliche Orientierung immer schwieriger macht, entsteht ein wach­ sender Bedarf an biblischer Grundinformation sowie alltagsbezogener Auslegung und Lehre. Kirchennahe Menschen brauchen heute kaum weniger als kirchendistanzierte eine Begründung dafür, weshalb sie dem biblischen Wort und dessen Predigt Glauben schenken sollten. Diese kann unserem Ermessen nach nur glaubhaft gegeben werden, wenn die Predigt nicht isoliert dasteht, sondern Teil eines weiter ge­ henden Prozesses einer Kommunikation des Evangeliums (Ernst lan­ ge) ist, der die Lebensäußerungen des Glaubens, Liebens und Hoffens der Gemeinde als Ganzer einschließt.

Predigen lernen Das Buch wendet sich zunächst an diejenigen, die Predigen lernen wollen. Angesprochen sind damit Studierende der Theologie, ange­ hende »professionelle« Predigerinnen und Prediger, die für ihre Auf­ gabe Grundlagen und praxisorientierte Handreichungen suchen. Viel­ leicht greifen auch erfahrene Verkündigerinnen und Verkündiger zu diesem Buch, weil sie ihre Predigtpraxis neu durchdenken und in einzelnen Punkten verbessern möchten. In besonderer Weise wollen wir ehrenamtliche Predigerinnen und Prediger ansprechen, die wie die hauptamtlichen »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes« (lKor 3,9) sind. In jüngerer Zeit wird in landes- und freikirchlichen Gemeinden zunehmend ein Personenkreis, der kein theologisches Studium absol­ viert hat, mit einem Verkündigungsauftrag betraut: Laienpredige4 I G. Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens, Tübingen 1959, s. 9. 12 ........... •

rinnen und Laienprediger, Prädikantinnen und Prädikanten, Lektorin­ nen und Lektoren. Diese möchten wir mit unserem Buch zur Predigt ermutigen, die nicht in Konkurrenz zum hauptamtlichen Verkündi­ gungsdienst steht, sondern zu dessen notwendiger Ergänzung dient. 5 In der vorliegenden Veröffentlichung treten wir darüber hinaus für eine gemeinsame Verantwortung von Predigenden und Zuhörenden für das Gemeinsame Predigtgeschehen ein. Insofern sind auch die angesprochen, die als Verantwortung aktive Predigthörerinnen und -hörer die Predigt inhaltlich mittragen und ihrem Prediger oder ihrer Predigerin fundierte Rückmeldungen geben wollen. »Predigen lernen« ist ein Buch auch für diejenigen, die Predigten hören lernen wollen! Diese kleine Homiletik (Predigtlehre) gliedert sich in drei Haupt­ teile: in Teil A geht es um Grundlagen der Predigtarbeit: gefragt wird nach Grund und Ziel, nach Chancen und Rahmenbedingungen der Predigt in der Gegenwart. Teil B bietet einen Leitfaden zur praktischen Predigtvorbereitung. In fünf Schritten erörtern wir zentrale Anliegen der praktischen Predigtarbeit, angefangen bei der Arbeit am Text! Thema bis hin zur Auswertung der gehaltenen Predigt in der Ge­ meinde. Übungen und Arbeitsaufgaben bieten Predigerinnen und Predigern ebenso wie Hörerinnen und Hörern an verschiedenen Stellen die Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen angesichts der jeweiligen theoretischen Darstellung zu reflektieren. Teil C schließlich bietet eine Reihe von weiter führenden und vertiefenden Überlegungen zum Pre­ digtgeschehen im Lichte heutiger kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse. Darüber hinaus werden theoretische Bezüge und prakti­ sche Beispiele zur anschaulichen Verkündigung dargestellt, die zu einer kreativen Verkündigungspraxis in Haupt- und Ehrenamt anlei­ ten wollen. In den Kapiteln 2-4 haben wir Textteile des bereits vor rund 30 Jahren unter gleichem Titel erschienenen Studienheftes von RolfHeue und Reinhold Lindner eingearbeitet und aktualisiert. Dass somit ins­ gesamt vier Autoren - mit je eigenem Stil - in diesem Buch zu Wort kommen, wird aufmerksamen Leserinnen und Lesern nicht verborgen bleiben und hoffentlich als Reichtum gewertet. Die beiden Verfasser 5 I »laien sind keine Ersatzpastoren, sondern sie werden auch für die Gemeinde als Träger christlicher Erfahrung zu Zeugen, die andere befähigen, ebenfalls ihren Glauben in der kon­ kreten Situation zu bewähren.« K.H. Voigt, Die Predigt durch laien in der Evangelisch­ methodistischen Kirche damals und heute, Stuttgart 1987, S. 28.

13 ••

des vorliegenden Textes haben diesen gemeinsam erstellt; wo ein » Ich« das Wort ergreift, stehen sie gemeinsam dafür ein. Wer ein Buch schreiben will, das Frauen und Männer gleichermaßen Inklusive ansprechen soll, wird nach Wegen suchen, dieses Anliegen sprachlich Sprache umzusetzen. Die Spannung zwischen sachlicher Angemessenheit auf

der einen und guter Lesbarkeit auf der anderen Seite ist auf keinem der uns bekannten Wege einfach und für alle befriedigend zu lösen. Wir haben uns schließlich dafür entschieden, den Versuch zu wagen, die Kapitel abwechselnd aus männlicher und weiblicher Perspektive zu formulieren. Auch wenn das für manchen Leser und manche Leserin gewöhnungsbedürftig sein mag, wollten wir die Last, sich in den Formulierungen aus der Sicht des jeweils anderen Geschlechts einge­ schlossen zu wissen, nicht, wie vielfach üblich, einseitig den Frauen zumuten. Wir bitten Frauen wie Männer gleichermaßen darum, sich auf die jeweils andere Perspektive einzulassen.

Zur zweiten Auflage Dieses Buch ist aus der Predigterfahrung der Verfasser im Gemein­ dedienst und aus der Arbeit in der praktisch-theologischen Ausbildung von Studierenden im Theologischen Seminar der Evangelisch-metho­ distischen Kirche in Reutlingen erwachsen. Weitere Impulse verdankt es der Mitwirkung beider Verfasser in der Laienpredigerausbildung und in der Fortbildung von Pastorinnen und Pastoren sowie vielen Gesprächen. Vielleicht ist das der Grund, warum das Buch sowohl in Seminaren an theologischen Fakultäten, in homiletischen Weiterbil­ dungskursen als auch in der Ausbildung von Lektoren und Prädikan­ tinnen vielfältige Verwendung gefunden hat. Nachdem die erste Auf­ lage vergriffen war, haben wir uns auf Grund der anhaltenden Nachfrage dafür entschieden, diese zweite, überarbeitete und ergänzte Auflage zu erstellen. Möge auch sie Freude am Predigen wecken und dazu beitragen, dass die gute Geschichte Gottes mit seiner Welt unter die Menschen kommt. Unser Dank gilt allen, die diese Arbeit auf verschiedene Weise unterstützt haben, insbesondere unseren beiden Familien, die auf manche Stunde gemeinsamer Zeit verzichtet haben. Reutlingen, Ostern 2007, Achim Härtner und Holger Eschmann 14 ........... •

Grundlagen



TeilA

Kapitel 1 : Theologische Klärungen zur Predigt in der Gegenwart Bevor es in diesem Buch um einzelne konkrete Schritte zur Vorbe­ reitung einer Predige gehen wird, sollen im ersten Kapitel einige grundsätzliche Fragen angesprochen werden: »Warum wird in der Kirche gepredigt?«, »Was kennzeichnet eine Predigt?«, »Kann man predigen lernen?«, »Auf welche Herausforderungen trifft die Predige in unserer heutigen gesellschaftlichen Situation?« Das sind alles Fra­ gen, auf die es keine schnellen und wohl auch keine endgültigen

Anrworcen gibt. Vieles kann in diesem Rahmen nur angedeutet und n.icht in der nötigen wissenschaftlichen Breite diskutiert werden. Dennoch scheine es uns hilfreich, sich mit solchen grundsätzlichen Fragestellungen am Anfang zu beschäftigen, um die Bedingungen für das eigene Predigen zu klären und es in einen größeren Rahmen zu stellen. Viele der in diesem ersten Kapitel eher überblicksartig ange­ sprochenen Themen werden in den folgenden Kapiteln noch einmal ausführlicher- und mit Beispielen versehen - aufgegriffen.

I. Der Grund der Predigt Ein äthiopisches Sprichwort lautet: »Das WOrt, das dir hil(t, kannst du dir nicht selbst sagen.« Damit wird eine menschliche GrundecCah­

rung ausgedrüc kt. Wir sind in unserem Leben aw ein Gegenüber angewiesen, das uns - vor allem in Krisenzeiten - aus dem Kreisen um uns selbst heraus hilft und uns neue Perspektiven und Möglichkeiten au(zeigt. Kein Mensch kann aw Dauer ohne die Zuwendung und den hel(enden Zuspruch anderer leben. Was in diesem Sprichwort ganz allgemein über die menschliche Existenz gesagt wird, gilt (ür den 15 • ...............

Bereich des christlichen Glaubens im Besonderen. Niemand kann von Unser Glaube ist sich aus Christ werden oder bleiben. Unser Glaube ist darauf angewie­ darauf angewie- sen, dass uns von der guten Geschichte Gottes mit seinen Menschen sen, dass uns von erzählt wird - eben dass gepredigt wird. »Der Glaube kommt aus der der guten Ge- gehörten Botschaft«, schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Ge­ schichte Gottes meinde in Rom (10,17). Martin Luther hat an dieser Stelle übersetzt: mit seinen Men- >:. Der Glaube kommt aus der Predigt«. Dabei ist das Wort Predigt hier schen erzählt natürlich nicht auf die klassische Sonntagmorgenpredigt in einem wird Gottesdienst zu begrenzen, sondern es umschließt alle Formen der

Verkündigung der guten Nachricht. Weil Gott sich des menschlichen Redens und Hörens bedient, um in der Welt zu Wort zu kommen, um Glauben zu wecken und um seine Gemeinde zu bauen, darum ist das Predigen nicht ins Belieben der christlichen Kirche gestellt, sondern ihr von Anfang an aufgegeben. Das ist die eine Seite: Gott beauftragt

Menschen mit der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. 6 Dem entspricht aufder anderen Seite, dass Menschen wie von selbst von dem zu reden beginnen, was sie befreit hat und zutiefst betrifft. Die Bibel und die Geschichte der Kirche sind voller Erzählungen, in denen Menschen die Erfahrung der Liebe Gottes nicht für sich behalten konnten und wollten, sondern davon weitersagten. Bewegt von Gottes Geist haben sie räumliche und soziale Grenzen überschritten, um etwas davon weiterzugeben, von dem ihr Herz voll war. Das Reden von der barmherzigen Zuwendung Gottes zu seiner Schöpfung ist ihnen keine auferlegte lästige Pflicht, sondern ein Herzensanliegen, zu dem es sie drängt. In dieser Spannung von Geschenk und Aufgabe, von Begeisterung und Auftrag bewegt sich auch unser Predigen heute. Wir sind als Laienprediger, Pastoren, Lektoren oder Gemeindereferenten von unse­ rer Kirche im Namen des dreieinigen Gottes dazu berufen und beauf­ tragt, Predigten zu halten. Das kann, wenn man bei der Predigtvor­ bereitung längere Zeit vor einem leeren Blatt gesessen hat und keine überzeugenden Einfälle kommen, ganz schön mühsam und qualvoll sein. Aber wir unterziehen uns dieser Mühe ja nur, weil wir selbst, längst vor aller kirchlichen Beauftragung, von dem Wort Gottes be­ rührt worden sind und weil es uns dazu drängt, etwas von dem Ge­ schenk der Liebe Jesu Christi weiterzusagen. Deshalb hat Predigen 6 I Zrun Begriff »Evangelirun« vg!. die Ausführungen in Kapitel 7.

16 ........... •

zuallererst etwas mit Freude und Begeisterung zu tun: »Predigen ist schön, es macht Freude. Das ist das erste, was in einer Predigtlehre zu Predigen ist lehren ist. Punkt eins im Paragraph eins lautet: Predigtlehre ist Lehre schön, es macht zur Freude; das Predigen soll in die Freude führen! In der Freude Freude kommt die Rede von Gott zu ihrem Ziel.« 7 11. Kennzeichen der Predigt

Was ist nun aber eigentlich eine Predigt? Sie ist Verkündigung des Evangeliums, wurde im vorigen Abschnitt behauptet. Von diesem Was ist eine weiten, Predigtbegriff ist eine besondere Art der Verkündigung, näm- Predigt? lich die Predigt im Gottesdienst der christlichen Gemeinde, zu unterscheiden. Das vorliegende Buch will vor allem für diesen Spezialfall der Predigt Hilfestellungen geben, obwohl vieles darin auch auf andere Formen der Verkündigung übertragen werden kann. 1 . E INE DEFINITION

Folgende klassische Definition soll helfen, in einem ersten Schritt näher zu bestimmen, was die gottesdienstliche Predigt kennzeichnet: »Die Predigt ist die ganz und gar gegenwartsgebundene Rede, in welcher der christliche Glaube, das >alte< Evangelium, im Horizont des heutigen Bewußtseins für die christliche Gemeinde ebenso wie für die Gesellschaft zur Aussage kommen soll.« 8

Was heißt das genauer? 2 . D IE PREDIGT ALS REDE

In der Definition wird gesagt, dass die Predigt eine Rede ist. Damit wird ihr mündlicher Charakter betont. Es macht einen Unterschied, ob ich Bibelworte, einen theologischen Aufsatz oder ein Buch über das Predigen lese oder ob ich von einem Prediger im Gottesdienst ange­ sprochen werde. Der direkten, mündlichen Anrede stehe ich in der Regel viel weniger distanziert gegenüber. Das Ohr kann ich nicht verschließen wie das Auge. Aber ich kann andererseits die gehörten 7 I R. Bohren, Predigtlehre, 4. Aufl., München 1980, S. 17. 8 I W. Trillhaas, Einführung indie Predigtlehre, 3. Aufl., Darmstadt 1983, S. IX.

17 ••

Sätze der Predigt nicht noch einmal nachlesen wie in einem Buch oder Fremdwörter, die ich nicht verstanden habe, in einem Lexikon nach­ schlagen. Durch die Bestimmung der Predigt als mündliche Rede werden daher rhetorische Fragen wie die nach der Gliederung und dem Aufbau der Predigt, nach ihrer Sprache und nach der Form ihrer Dar­ bietung wichtig. Darauf wird in den folgenden Kapiteln ausführlicher emgegangen. 3 . DER INHALT

Weiter wird in der vorangestellten Predigtdefinition gesagt, dass Der Inhalt der die Predigt inhaltlich durch den christlichen Glauben. durch das Predigt ist durch Evangelium von Jesus Christus bestimmt ist. Dies ist das eigentliche Jesus Christus Kriterium, durch das die Predigt von anderen Reden unterschieden bestimmt. werden kann. Eine Rede kann noch so gut gegliedert und rhetorisch

perfekt dargeboten werden. Zur Predigt wird sie erst, wenn sie von der guten Geschichte Gottes mit den Menschen erzählt. Deshalb gilt für die christliche Predigt, dass sie »bei ihrer Sache bleiben (muß) und nicht auf Feldern konkurrieren wollen (darf), die ihr zur Bestellung nicht anvertraut sind. Und auch der Hörer soll sich mit Recht darauf verlassen dürfen, daß er in der Predigt das zu hören bekommt, was ihm nottut, wessen er bedarf, was ihm anderswo so nicht gesagt werden kann.« 9 Nun ist diese Einschränkung keine Einengung, denn die For­ mulierungen »christlicher Glaube« oder >:. Evangelium« als Bestim­ mungen des Predigtinhalts sind sehr weit gefasst. Sie bieten die Grundlage und den Rahmen für die christliche Predigt, ohne schon die einzelnen konkreten Predigtinhalte zu nennen. Zu diesen kann der Prediger grundsätzlich von zwei Richtungen her kommen. Entweder legt er einen vorliegenden biblische Text aus oder er bearbeitet eine grundlegende christliche Glaubensaussage und setzt sie mit der Situa­ tion der Predigthörer in Beziehung. Er kann auch von der Situation, von den Lebensumständen der Predigenden oder Hörenden ausgehen, um diese mit Aussagen der christlichen Tradition ins Gespräch zu bringen. Beide Vorgehensweisen sollten nicht gegeneinander ausge­ spielt werden. In einem Umfeld, in dem die biblischen Texte keine selbstverständliche Relevanz (mehr) bieten, also zum Beispiel bei evangelistischen Veranstaltungen, kann es wichtig sein, bei den Le9 I H. M. Müller, Homiletik, Berlin/New York 1995, S. 204. 18

........... •

bensumständen der Zuhörer anzuknüpfen, um auf diese Weise auf die biblische Botschaft zu sprechen zu kommen. Es verringert sich die Gefahr, über die Köpfe der Leute hinweg zu predigen. Andererseits gibt es gute Gründe, bei der Predigt - vor allem in einem Gemeindegottes­ dienst - im Regelfall von einem biblischen Text auszugehen. Denn die Vielfalt der biblischen Aussagen wehrt der Eintönigkeit der Predigt, die sich einstellen kann, wenn sie überwiegend vom Vorfindlichen ausgeht. Auch sind die Texte der Bibel durch eine Eigenbewegung und Dynamik gekennzeichnet, durch die sie Prediger und Hörer zu inspirieren und zur Antwort des Glaubens herauszufordern vermögen. 4 . D IE SITUATION DER PREDIGT

Als drittes wichtiges Kennzeichen weist unsere Predigtdefinition darauf hin, dass die Predigt gegenwartsgebunden zu sein und im Ho- Predigt ist rizont des heutigen Bewusstseins zu geschehen hat. Dazu ist im vorigen gegenwarts­ Abschnitt schon einiges gesagt worden. Die Predigt ist mehr als die bezogen Konservierung und ständige Wiederholung von vorformulierten Glaubensinhalten und mehr als das Zitieren von Bibeltexten. Die Predigt hat Übersetzungsarbeit zu leisten, um die in eine andere Zeit und Kultur ergangene Botschaft zu aktualisieren und ins Hier und Heute hineinzusprechen. Nur in konkreter Ausrichtung auf die jeweils Hörenden wird eine christliche Rede zur Predigt. Um die Adressaten und ihre Lebensumstände möglichst genau in den Blick zu bekommen, hat es sich bewährt, mit dem Theologen E. Lange zwischen der »homiletischen Großwetterlage« und der »Lage vor Ort« zu unterschei- Homiletische den. »Zur >homiletischen Großwetterlage< gehört der Makrokosmos Großwetterlage der Gesellschaftsordnung und des gesellschaftlichen Lebens in seinem ständigen raschen Wandel, gehören politische Ereignisse und Ideen, aber vor allem auch ihre Wirkung auf die Menschen: Ängste, Hoffnungen, Resignation, das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den großen gesellschaftlichen Prozessen. Die homiletische Großwetterlage enthält alle die Faktoren, die als Zeitgeschick mehr oder weniger hingenommen werden müssen.« 10 Über die homiletische Großwetterlage erfährt der Prediger vor allem durch die Massenmedien, durch das Studium von gesellschaftlichen Untersuchungen und Meinungsumfragen und durch den Blick auf die zeitgenössische Kunst, in der sich das Gegen10 I E. lange, Predigen als Beruf, 2. Aufl., München 1987, s. 38. 19

••

wartsempfinden artikuliert. Auch der Zeitpunkt des Gottesdienstes im Kirchenjahr sollte im Rahmen der homiletischen Großwetterlage Lage vor Ort mitbedacht werden. Bei der »Lage vor Ort« geht es dagegen »um

diejenigen Ereignisse, Beziehungen, Konflikte, Stimmungen, Urteile und Vorurteile, die der Prediger, weil sie nur lokale, kommunale oder gemeindliche Bedeutung haben, nicht aus den Zeitungen erfährt, son­ dern nur durch eigene Ermittlung oder durch Austausch und gemein­ sames Studium mit anderen kirchlichen Mitarbeitern, und die ande­ rerseits durch die Predigt beeinflußt, geklärt, verändert werden können und sollen, weil sie im unmittelbaren Verantwortungsbereich von Prediger und Gemeinde liegen« ll . Von diesen beiden Weisen, die Hörer der Predigt und ihre Lebensumstände in den Blick zu nehmen, ist noch eine dritte zu unterscheiden, die sich nicht aus der direkten Beobachtung ergibt. Der Prediger hat sein Gegenüber (und sich selbst!) aus der Perspektive des Glaubens wahrzunehmen, das heißt als Men­ schen, auf den Gott seine Hand gelegt hat, den er erschaffen und versöhnt hat, mit dem er einen Weg und ein Ziel hat. Ohne diese theologische Perspektive wären die Hörer der Predigt nur unzure1chend erfasst. 5 . PREDIGTGEMEINSCHAFT UND ÖFFENTLICHKEIT

Schließlich sagt die zitierte Definition von Predigt, dass das Evan­ gelium sowohl für die christliche Gemeinde als auch für die Gesell­ schaft verkündigt werden soll. Wenn die christliche Gemeinde Adres­ satin der Verkündigung ist, bedeutet das, dass die Predigt - etwa im Gegensatz zur Seelsorge - keinen einzelnen Menschen, sondern die 2 Gemeinschaft der »Suchenden und Glaubenden« 1 zum Gegenüber hat. Auch wenn es sich in der Praxis bewährt hat, dass sich der Prediger bei der Vorbereitung jeweils einen oder nur wenige potenzielle Pre­ digthörer möglichst genau vorstellt, damit die Predigt konkret wird, kann nicht davon abgesehen werden, dass die Verkündigung im Got­ tesdienst an die Gemeinde als Ganze ergeht. Die Predigt spricht zu Menschen, die von Gott zusammengeführt und füreinander mit viel11 I A.a.O., s. 38f. 12 I Mit diesen beiden Begriffen wird das evangelisch-methodistische Verständnis von Kirche gekennzeichnet. Vgl. Berufen - Beschenkt - Beauftragt, hg. von der Theologischen Kommis­ sion des Europäischen Rates der Evangelisch-methcxiistischen Kirche (EmK heute 68), Stutt­ gart/Zürich 1991, S. 22.

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fältigen Gaben ausgerüstet worden sind. In der Gemeinschaft geschieht ein gegenseitiges Geben und Nehmen, ein Teilen von Freud und Leid, in das die Verkündigenden mit einbezogen sind. 13 Freilich sind diese geistliche Begabung der Gemeinde und auch die Gemeinschaft zwi­ schen der Gemeinde und dem Verkündiger häufig nicht direkt spürbar. Es gilt daher, sie - trotz und in allem Leiden an der real existierenden Kirche - immer wieder neu wahrzunehmen, und zwar im doppelten Sinne des Wortes: Sie sind zu erkennen und sie sind in Anspruch zu nehmen. Wo dies geschieht, wird der Prediger hilfreiche Worte für die Gemeinde und Gemeinde finden und umgekehrt wird die Gemeinde ihm Rückhalt Gesellschaft bieten. Dass neben der christlichen Gemeinde auch die Gesellschaft sind Adressatin Adressatin der Predigt ist, bedeutet, dass sich die Verkündigung so- der Predigt wohl nach innen als auch nach außen zu richten hat. Das gilt nicht nur für die missionarische Verkündigung, sondern auch für die gottesdienstliche Predigt. Sie bewegt sich nicht nur in einem kirchlichen Binnenraum, sondern ist von ihrem Wesen her öffentlich, öffentliche Anliegen können und sollen in ihr Raum haben. Sie geschieht in einem öffentlichen Rahmen. Die Predigt ist, wie das Handeln der christlichen Gemeinde überhaupt, theologisch durch das Ineinander von Samm4 lung und Sendung gekennzeichnet. 1 Erbauliche, missionarische, diakonische und politische Impulse sind in der Predigt eng miteinander verwoben. Auf den öffentlichen Charakter der Verkündigung weist besonders der deutsche Begriff Predigt hin. Er kommt von dem lateinischen Verb praedicare} was das öffentliche Reden und Kundmachen bezeichnet. 6 . Z U R PERSON D E S PREDIGERS

Ein Element des Predigens scheint mir in der vorgestellten Defini­ tion zu wenig betont zu sein. Wenn man über die Bedingungen derPredigt nachdenkt, muss auch von denen die Rede sein, die predigen. Wer predigt, Nur im Durchgang durch ihre Person wird aus den biblisch-christli- hat Überset­ chen Inhalten eine Predigt. Wer predigt, hat Übersetzungsarbeit zu zungsarbeit zu leisten. Aus diesem Grund hat man die Aufgabe des Predigens mit dem leisten

13 I Vgl. C. Möller, Seelsorglich predigen, Göttingen 1983, S. 127-150 und U. Nembach, Predigen heute - ein Handbuch, Stuttgart 1996, S. 135-210. 14 I Die Begriffe Sammlung und Sendung sind hier nicht im chronologischen (erst die Sammlung, dann die Sendung), sondern im komplementären Sinne (gleichzeitig und sich gegenseitig ergänzend und stützend) zu verstehen.

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Dolmetschen verglichen: »Der Prediger sucht das, was den Hörer bewegt und betrifft, in seine eigene Person aufzunehmen und dazu seinen Text ins Gespräch zu ziehen. Oder anders: Der Prediger sucht das, was sein Text sagen will, in sich zu verarbeiten und sodann dem Hörer als ihn angehend nahe zu bringen, um ihn zu einer eigenständi­ gen Reaktion zu veranlassen. Was der Prediger hier tut, ist . . . emer Dolmetschung zu vergleichen. Wie ein Dolmetscher zwischen Ge­ sprächspartnern vermittelt und dadurch ihre Verständigung ermög­ licht, soll der Prediger durch seine Predigt das Gespräch zwischen dem

Hörer und dem biblischen Glaubenszeugnis ermöglichen.« 15 Für diese Verständigungsbemühung ist eine gute Kenntnis sowohl der bibli­ schen Botschaft wie auch der Hörer Voraussetzung. Bei diesem Prozess des Dolmetschens werden sich die Predigten von Theologen und die von Laienpredigern dadurch unterscheiden, dass sie einen unterschied­ lichen Zugang zur biblischen Botschaft und zur Hörerschaft haben: Bringt der Theologe vor allem seine theologische Kompetenz in die Verkündigung ein, liegt das Charisma der Laien insbesondere darin, dass sie als >:. Spezialisten des Alltags« ihre Erfahrungen in Gesellschaft und Kirche zur Sprache bringen. 1 6 Gibt es noch andere Merkmale, die die Predigenden für ihren Dienst mitbringen oder Bedingungen, die sie erfüllen müssen? Was legiti­ miert sie eigentlich für ihre Aufgabe? Diese Frage wird in den ver­ schiedenen theologischen Traditionen unterschiedlich beantwortet. Aus evangelischer Sicht gilt vor dem Hintergrund der Lehre vom Priestertwn aller Priestertum aller Glaubenden der Auftrag der Verkündigung des Glaubenden Evangeliums grundsätzlich jedem Christen. Um aber die Inhalte der

Verkündigung einigermaßen sicherzustellen und um die Eignung zur öffentlichen Verkündigung beurteilen zu können, bildete sich auch im evangelischen Bereich das Predigtamt heraus. Es steht in einem ge­ wissen Gegenüber zur Gemeinde, ohne dass damit eine höhere theolo­ gische oder religiöse Wertigkeit dieser Personen verbunden wäre. Für die Berufung ins Predigtamt - und zwar sowohl bei den hauptamtlich in der Gemeinde Tätigen, als auch bei den Ehrenamtlichen - sind vor Berufung zwn allem zwei sich gegenseitig ergänzende Dimensionen wichtig. Da ist Predigtdienst zum einen die Berufung zum Predigtdienst durch die Gemeinde. Diese 15 I H. M. Müller, Homiletik, a.a.O., S. 20l. 16 I Vgl. K. H. Voigt, Die Predigt durch laien in der Evangelisch-methcxiistischen Kirche damals und heute (EmKheute 51), Stuttgart 1987, bes. S. 26-34.

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öffentliche Berufung, die in der Regel mit einer Schulung oder einem Studium verbunden ist, wird in unterschiedlichen Empfehlungsver­ fahren und in der öffentlichen Beauftragung mit dem Predigtdienst durch die Kirche sichtbar. Hinter dieser kirchlichen Beauftragung Bestätigung steht die neutestamentliche Einsicht, dass die christliche Gemeinde durch die zum Verkündigungsdienst beruft und sendet. Und es ist die Gemeinde, Gemeinde die letztlich die Urteilskraft besitzt, christliche Lehre und Lebensauffassung zu prüfen. 17 Zu dieser öffentlichen Dimension kommt als zweite Voraussetzung für den Verkündigungsdienst die persönliche Persönliche Gewissheit, zu diesem Dienst von Gott gerufen zu sein. Diese schenkt Gewissheit Motivation und Begeisterung für die schöne und schwere Aufgabe des Predigens. Sie ist im Gegensatz zur öffentlichen Beauftragung an keine bestimmte Form gebunden, sondern kann je nach Biografie und Frömmigkeit sehr unterschiedlich aussehen. Sie wird auch immer wieder eine »unsichere Gewißheit« sein, denn der christliche »Glaube ist angefochten«. 18 Beide Dimensionen der Berufung zum Verkündigungsdienst sind wichtig und ergänzen sich gegenseitig. In Situationen, in denen man an der eigenen Begabung zweifelt, ist es eine Hilfe, wenn man weiß, dass die Berufung und Sendung zum Predigen nicht nur in der eigenen Person gründet. Andererseits kann das Predigen zur mühsamen Pflichterfüllung und Routine verkommen, wenn es nicht immer wieder die Freude über Gottes Liebe ist, die zum Weitersagen der Botschaft drängt. Neben dieser grundlegenden kirchenrechtlichen und persönlichen Berufung kann vom Prediger schließlich noch erwartet werden, dass er Glaubwürdig­ ein möglichst glaubwürdiger Zeuge des Evangeliums ist. Was in dieser keit Formulierung vielleicht nach Überforderung klingt, kann durch die Begriffe »Anstrengung des Herzens und des Gewissens« präzisiert und heilsam eingegrenzt werden: »Anstrengung des Herzens bedeutet den ernsthaften und beharrlichen Versuch, sich in die Situation der Menschen einzuf verlangt Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, nie mehr zu sagen, als was man sich selber sagen würde.« 19

17 I Vgl. M. Luther, Dass eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht oder Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursach aus der Schrift, WA 11, S. 408-416. Luther beruft sich in dieser Schrift vor allem aufJoh 10. 18 I W. Härle, Dogmatik, 2. Auf!. Berlin/New York 2000, S. 61. 19 I H. M. Müller, Homiletik, a.a.O., S. 198.

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7 . D A S H O M ILETISCHE DREIECK

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass beim Predigen-Lernen vor allem drei Faktoren zu bedenken sind. Es geht (1) um die biblisch­ christliche Tradition, also um den Text oder um das Thema, das der Predigt zu Grunde liegt und das in die Gegenwart zu übersetzen ist. Für diesen Prozess des Dolmetschens sind (2) die Hörer mit ihrem Lebens­ horizont in den Blick zu nehmen, damit die Predigt ihr Gegenüber wirklich erreicht und anspricht. Schließlich ist (3) nach den Predigern und ihrem Selbstverständnis zu fragen, damit sie ihre Rolle in dem Predigt-Übersetzungs-Geschehen wahrnehmen und angemessen da­ mit umgehen lernen. Man hat diese drei Faktoren das homiletische Dreieck genannt, weil sie nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern in enger wechselseitiger Beziehung zueinander zu betrachten sind. BIBLISC H -CHRI S TLIC H E TRADITION

PREDIGER

HÖRER

111. Die drei Entstehungsorte der Predigt

Predigen ist ein Prozessgeschehen. Die Prediger und Hörer legen mit dem Text oder Thema und miteinander einen Weg zurück. Dem eher statischen Bild des homiletischen Dreiecks entsprechen in dyna­ mischer Weise die drei Wegabschnitte, auf denen die gottesdienstliche Predigt entsteht. Diese Wegabschnitte, Arbeitsphasen oder aufeinan­ der folgenden homiletischen Orte kann man mit den Begriffen Schreibtisch, Kanzel und Kirchenbank kennzeichnen.

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1 . DER SCHRE I B T I S CH

Der Ort des Schreibtischs steht vor allem für die Vorarbeiten, für das Meditieren und Auslegen des biblischen Textes, für das Nachdenken über die Hörer und über die konkrete Gestaltung der Predigt. Diese erste Phase der Predigtvorbereitung kann wiederum in drei Schritte eingeteilt werden. a) Da ist zunächst der Schritt des Wahrnehmens, Beobachtens und Sammelns. Hier geht es darum, den Bibeltext (oder das Predigtthema), Wahrnehmen die Situation der Hörer und die eigene Situation wahrzunehmen und und Sammeln festzuhalten. Am Anfang dieser Wahrnehmungsphase steht die persönliche Betrachtung des Textes (oder Themas), bei der alle Einfälle und Assoziationen zunächst ohne Wertung aufgeschrieben werden. Es folgen dann die Arbeit am Text mit Kommentaren und anderen Hilfsmitteln und die Reflexionen über die Hörer, die ich als Gegenüber meiner Predigt vermute. Dies alles geschieht nicht nur am Schreibtisch, sondern auch bei Begegnungen mit Gemeindegliedern, beim Zeitungslesen oder bei Spaziergängen. b) Nach diesem Schritt des Beobachtens und Sammelns von Eindrücken und Informationen folgt gewöhnlich eine Phase der Konzen- Auswerten und tration, des Verstehens, (Aus-)Wertens und Bündelns der Einfälle. Die Bündeln zuvor gemachten Wahrnehmungen an Text, Thema oder Situation werden in einen Zusammenhang gebracht, gewichtet und interpretiert. Die Predigtinhalte werden größeren Themen der Glaubenslehre (z. B. Schöpfung, Versöhnung, Kirche) zugeordnet und auf grundsätzliche Weise durchdacht. Es wird nach der Wirkungsgeschichte eines Textes oder Themas gefragt, also danach, welche Folgen ein Predigtinhalt in der (Kirchen-)Geschichte möglicherweise gehabt hat und mit welchen Vorverständnissen ich bei meinen Hörern vielleicht zu rechnen habe. In dieser Phase der Predigtvorbereitung habe ich schließlich danach zu fragen, welches Ziel ich mit der Predigt erreichen will. Dieses Ziel sollte möglichst konkret vor dem Niederschreiben der Predigt formuliert werden, damit die Predigt später keinen diffusen Eindruck hinterlässt. c) Der dritte Schritt bei der »Schreibtischarbeit« kann als Phase der Produktion und Gestaltung der Predigt bezeichnet werden. Hier wird Produktion die Predigt formuliert und in eine - im wahrsten Sinne des Wortes - und Gestaltung 25 ••

ansprechende Gestalt gebracht. Überlegungen zur Predigtsprache, zu den zu verwendenden Bildern und Symbolen und zum Aufbau der Predigt stehen dabei im Mittelpunkt. Auch sollte sich der Prediger Zeit dafür nehmen, mit Hilfe bestimmter Kontrollfragen noch einmal gründlich auf die Predigt zu schauen, um beispielsweise zu lange und damit hörunfreundliche Sätze zu kürzen, oder um die verwendeten Bilder auf ihre Stimmigkeit zu überprüfen (vgl. Kapitel 6). Was in der Beschreibung dieser Phasen einfach und reibungslos klingt, ist in der Praxis meist mit heftigen Geburtswehen verbunden. Immer wieder kann es beim Vorbereiten der Predigt zu Frustrations­ phasen kommen, bei denen der Prediger an seiner Aufgabe schier Predigt-Krisen verzweifelt. Wie die Kreativitätsforschung erwiesen hat, lassen sich

solche Predigt-Krisen kaum vermeiden. »Ohne Ausdauer und intensi­ ves Suchen ist selten eine gute Predigt entstanden . . . Blockierungen und Durchstehvermögen sind die conditio sine qua non für das Finden kreativer Lösungen. Frustrationen . . . sind der Preis, den man für eine

Idee bezahlen muß«. 20 Die Freude an gelungenen Predigten und an positiven Hörerreaktionen wird solche Frustration allemal aufwiegen. 2 . D I E KANZEL

Der Ort oder Wegabschnitt der Kanzel steht für die Darbietung der Predigtvortrag Predigt, den Predigtvortrag. Dieses homiletische Element wird häufig

unterschätzt, und entsprechend monoton oder fantasielos wird die Predigt dann gehalten. Dabei gilt auch heute noch, was der Theologe August Tholuck (1799-1877) in etwas blumigen Worten formulierte: »Die Predigt muß eine Tat des Predigers auf seinem Studierzimmer, sie muß abermals eine Tat sein auf der Kanzel, er muß, wenn er herunter­ kommt, Mutterfreuden fühlen, Freuden der Mutter, die unter Gottes Segen ein Kind geboren hat. Nur wo also die Predigt eine doppelte Tat des Predigers gewesen ist, wird sie auch eine Tat im Zuhörer sein.« Bei der Vorbereitung auf den Vortrag der Predigt spielen Fragen nach den Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und Kommunikation mit den Hörern eine Rolle, Fragen des Auftretens und Redens, der Mimik und Gestik, des Umgangs mit technischen Hilfsmitteln und - weil die 20 I H. Arens/F. RichardtlJ. Schulte, Kreativität und Predigtarbeit, 3. Aufl., München 1977, S. 30. Vg!. dazu auch]. Rothermundt, Der Heilige Geist und die Rhetorik, Gütersloh 1984, bes. S. 143-149. Der lateinische Ausdruck: bedeutet: eine Bedingung, ohne die etwas nicht sein kann.

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Predigt im Rahmen des Gottesdienstes gehalten wird - der >:> liturgi­ schen Präsenz« (Thomas Kabel). Kapitel 5 dieses Buches wird sich damit befassen. Hier soll nur ein grundsätzlicher Ratschlag stehen, den der Theologe Karl Barth seiner Mitarbeiterin und Freundin Charlotte von Kirschbaum vor einem ihrer ersten Vorträge gab: »Sei ganz bei der Sache, von der du herkommst, und ganz bei den Zuhörern, die du erreichen willst! Die Rede werde unterwegs von dort nach hier geboren . . . Fürchte Dich nicht! Vergiß Dich selbst und bedenke, daß es sicher 2 gut kommt!« 1 Eine solche geistesgegenwärtige Selbstvergessenheit nimmt Verkrampfungen und Angst. Sie bringt die Sache überzeugend ein und führt dazu, dass sich die Zuhörer ernst genommen fühlen. 3 . D IE KIRCHENBANK

Der dritte Ort, an dem die Predigt entsteht, ist die Kirchenbank. Sie weist schließlich darauf hin, dass die Hörer selbst am Prozess des Die Hörer sind Predigens beteiligt sind. Sie entscheiden bewusst und unbewusst mit, beteiligt was von dem Gesagten gehört oder überhört, zu Herzen genommen oder abgewehrt wird. Sie nehmen Einfluss auf den Verarbeitungsprozess der Predigt von der ersten akustischen Aufnahme bis zur Umsetzung des Gehörten in die Tat. Dadurch entstehen - provokativ gesagt - so viele Predigten wie es Hörer im Gottesdienst gibt. Das bedeutet nicht, dass es beliebig wäre, was die Prediger sagen und wie sie es sagen, weil die Zuhörenden ja doch ihre eigene Predigt daraus machen. Grundsätzlich gilt natürlich: Wer predigt, hat mit Sorgfalt darauf zu achten, dass der biblische Text oder das Thema der Predigt sachgemäß interpretiert und den jeweiligen Hörern verständlich zu Gehör gebracht wird. Eine gewissenhafte Predigtarbeit bewahrt vor einem diffusen Höreindruck. Aber der Entstehungsort Kirchenbank ist ein Hinweis darauf, dass sich die Prediger dessen bewusst sein sollten, dass ihre Worte unterschiedlich gehört, aufgefasst und umgesetzt werden.Ja sie sollten diese Kreativität der Zuhörer sogar fördern, indem sie ihrem Gegenüber Anknüpfungspunkte bieten, »die ihm ermöglichen, die Botschaft in seine Situation zu transponieren und gemäß seinem spezifischen Anliegen zu transformieren« 22 . Wo eine Predigt durch banale Einlinigkeit oder autoritären Stil die kreative Mitwirkung der 21 I Zitiert nach: E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 3. Aufl., München 1978, s. 377. 22 I 1. Reuter, Predigt verstehen. Grundlagen einer homiletischen Hermeneutik, Leipzig 2000, S. 205.

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Hörer unterbindet, gerät sie in die Gefahr, beim Gegenüber nichts mehr zu bewirken. Das Wirken des Geistes Gottes ist für alle der drei genannten Orte Wirken des oder Wegabschnitte verheißen. Er schenkt dem Prediger im NachdenGeistes Gottes ken über das biblische Wort Einfälle, er lässt den Funken beim Vortra­

gen der Predigt auf die Gemeinde überspringen und er lenkt den Vorgang der Aufnahme, Neugestaltung und Umsetzung der Predigt bei den Hörern. Gottes Wort geschieht in diesem ganzen Prozess. Dieses Ineinander von göttlichem Wirken und menschlichem Reden, Hören und Tun in der Predigt soll im folgenden Abschnitt noch etwas genauer entfaltet werden.

IV. Die Predigt im Wirkungsfeld des Geistes Gottes Wenn Gott selbst in der Predigt das Wort ergreift, um zu trösten, zu ermahnen, zur Umkehr zur rufen und Glauben zu wecken, ist die Predigt mehr als ein Informationsgeschehen. Man kann theologisch sagen, dass die Predigt erzeugt, was sie bezeugt. Das Sprachgeschehen der Predigt ist somit ein Machtgeschehen: »Das Wort in der heiligen

Handlung ist erfüllt mit heiliger Kraft.« 23 Wenn es in der Predigtde­ finition zu Anfang hieß, dass die Predigt eine »ganz und gar gegen­ wartsgebundene Rede« zu sein hat, so hat sich das in erster Linie auf die Gott ist »der erste Präsenz des Geistes und des Wortes Gottes zu beziehen. Gott ist »der 24 Hörer« der erste Hörer« der Predigt. »Er entscheidet über Wert und Unwert des Predigt Predigens und hat das letzte Wort nach der Predigt. An der Art und Weise seiner Anwesenheit entscheidet sich alles.« 25 Diese Aussage hat

für die Prediger zwei Seiten. Einerseits entlastet sie sie bei dem an­ spruchsvollen Prozess des Dolmetschens, weil nicht der Mensch, son­ dern der Heilige Geist das letzte Wort hat und über den Wert und Unwert menschlicher Worte entscheidet. Dieser Gedanke hilft gegen mögliche Resignation, wo ich merke, dass etwas nicht so ankommt, wie

23 I M. Josuttis, Die Einführung indas Leben, Gütersloh 1996, S. 104. 24 I »Deshalb ist es ein Wagstück zu predigen: denn indem ich den heiligen Ort besteige ­ mag die Kirche nunüberfüllt sein oder so gut wie leer, mag ich selbst daraufmerken oder nicht: Ich habe einen Zuhörer mehr als da zu sehen ist, einen unsichtbarenZuhörer, Gott im Himmel, welchen ich freilich nicht sehen kann, welcher aber wahrlich mich sehen kann.« S. Kierkegaard, Einübung ins Christentum (1850), Gesammelte Werke, 26. Abt. S. 226. 25 I R. Bohren, Predigtlehre, 4. Aufl., München 1980, S. 454.

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ich es gemeint habe, oder dass mir schlicht die Worte fehlen, um das auszudrücken, was mir am Herzen liegt. Auf der anderen Seite wird aber auch ein hoher Anspruch erhoben: Wenn es die Art und Weise von Gottes Anwesenheit ist, die alles entscheidet, wie kann ich dann als Prediger für die heilvolle Anwesenheit Gottes einstehen oder sie gar sicherstellen? Kann man unter diesen Bedingungen das Predigen überhaupt lernen? Gottes Gegenwart ist doch von Seiten der Menschen nicht verfügbar und die Vermittlung der Gnade nicht machbar. Nun, ein Buch mit dem Titel »Predigen lernen« wäre wohl nicht verfasst worden, wenn die Autoren nicht davon überzeugt wären, dass sich im Hinblick auf das Predigen etwas lernen ließe. Allerdings ist genau darauf zu achten, was beim Predigen im Bereich menschlicher Mög­ lichkeiten liegt und was die Predigenden überfordern würde und des­ halb getrost Gott zu überlassen ist. Der Glaube der Hörer (und der Prediger!) ist menschlich nicht machbar, wenn es wirklich der christ­ liche Glaube ist. Gott selbst schenkt durch die Predigt dem Menschen Glauben, damit der Mensch sich wiederum vertrauensvoll auf Gott verlassen kann. Das befreit den Prediger von unrealistischem Erfolgs­ denken. Andererseits ist er dadurch aber nicht aus der Verantwortung für die Arbeit an der Predigt enthoben. Denn dass die gepredigte Botschaft möglichst sach- bzw. evangeliumsgemäß und situationsbe­ zogen hörbar wird, dass sie nicht über die Köpfe der Hörenden hinweg geht, sondern in verständlicher und einfühlsamer Rede geschieht, dafür kann der Prediger sehr wohl etwas tun, wie die weiteren Kapitel in diesem Buch zeigen sollen. Wo man die Predigt als Gotteswort und Menschenwort oder präziser ausgedrückt - als Wort Gottes in Gestalt menschlicher Wörter Gotteswort und versteht, da gewinnt die spirituelle Dimension an Bedeutung. Vorbe- Menschenwort reitung auf die Predigt heißt dann zwar weiterhin, einen biblischen Text sorgfältig auszulegen oder ein christliches Thema gewissenhaft zu bedenken, um eine Botschaft für die Predigt zu gewinnen. Es heißt auch weiterhin, psychologische und gesellschaftliche Faktoren zu studieren, um die Hörer in ihrer Lebenswelt möglichst konkret anzusprechen. Aber in alledem ist das geistliche Fundament dieser Bemühungen zu bedenken. »Pastorale Praxis benötigt die spirituelle Basis .

Jeder einzelne religiöse Akt verlangt eine spirituelle Präparation.« 26 26 I M. Josuttis, Die Einführung indas Leben, a.a.O., S. 48 f.

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Eine geistliche Aufgabe wie das Predigen gewinnt ihre Kraft nur auf Bedeutung des der Grundlage einer geistlichen Existenz. Deshalb kommt dem Gebet Gebets in der Arbeit an der Predigt große Bedeutung zu. Aber auch hier heißt es noch einmal Acht zu geben: Menschenmögliches ist bei der Pre­ digtarbeit nicht gegen Wunderbares auszuspielen. Der Geist Gottes ist keine Ausflucht für menschliche Faulheit. Der Praktische Theologe Rudolf Bohren hat an dieser Stelle den Begriff der »theonomen Rezi­ prozität« ins Spiel gebracht. Dieser Ausdruck bedeutet, dass der Hei­ lige Geist beim Predigen das menschliche Tun in seinen Dienst nimmt: »Wunder und Technik sind

keine Gegensätze, sie signalisieren

lediglich verschiedene Aspekte der theonomen Reziprozität. Beim Werk des Geistes in uns, mit uns, durch uns spreche ich vom Wunder. Wo wir aber vom Geist ans Werk gesetzt werden und uns also selbst ans Werk setzen, kommen Methoden ins Spiel, wird Technik angewandt, Kunst geübt, Wissenschaft gebraucht. In der Partnerschaft des Geistes werden Methode, Kunst, Technik, Wissenschaft nicht ausgeschlossen,

auch wenn sie in die Krisis des Geistes hineingeraten.« 27

V. Predigtsprache und Predigttypen Eng an das Vorangehende schließt sich das Nachdenken darüber an, ob es in der Predigt eine bestimmte Sprachform gibt, die dem Cha­ rakter des Wortes Gottes in Gestalt menschlicher Wörter besonders entspricht. Der amerikanische Predigtlehrer Richard Lischer unter­ scheidet hier zwischen Form und Sprache. Nach ihm gibt es keine bestimmte Form, die sich für die Predigt in den biblischen Büchern oder im Laufe der Geschichte als normativ erwiesen hätte. »Der Heilige Geist benützt alle Formen, aber er ist an keine gebunden.« 28 Die gute Geschichte Gottes mit seiner Welt kann von Laien wie von Ordi­ nierten, von Frauen wie von Männern, von akademisch gebildeten wie von einfachen Menschen mit ihren je verschiedenen Begabungen und Akzentsetzungen verkündigt werden. Sie kann in einer evange­ listischen, also Glauben weckenden, oder in einer für die Gemeinde tröstlichen oder auch sozialpolitisch-herausfordenden Weise laut wer­ den. Allerdings betont Lischer mit Nachdruck, dass es sehr wohl eine 27 I R. Bohren, Predigtlehre, a.a.O., S. 77. 28 I R. lischer, Homiletik inder Wissenschaftskrise derTheologie, in: R. Bohren/K. P. Jörns (Hg.), Die Predigtanalyse als Weg zur Predigt, S. 33-51, S. 39.

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Sprache, einen Sprechakt gibt, der mit der Predigt untrennbar verbunden ist, nämlich die Verheißung. Denn die Verheißung hat eine Verheißung personale Dimension. Sie ist mehr als eine bloße Nachricht, die vom Sender oder vom Empfänger abgekoppelt werden könnte. Sie enthält das Versprechen Gottes. Diesem Versprechen kann vertraut werden, weil Gottes Name selbst Verheißung ist (»Ich bin da!« Ex 3,14 nach der Übersetzung von Martin Buber) und weil seine Verheißung in der Geschichte mit seinem Volk aus Juden und Christen gründet. Solche Verheißung ist realistisch, weil sie die Gnade Gottes zuspricht, dabei aber die schuldhafte Trennung des Menschen von Gott nicht verschweigt. Die Verheißung eröffnet Zukunft, ohne dem fragmentarischen Charakter des Lebens in der Gegenwart entfliehen zu müssen. Die Predigt, die sich am Sprechakt der Verheißung orientiert, sagt die Treue des Gottes zu, der mit uns ist. Dies kann in der direkten Ansprache des Gegenübers, also im Zuspruch, geschehen. Die Verheißung Gottes kann aber auch auf indirekte Weise, das heißt durch Geschichten, Gleichnisse und Bilder vermittelt werden, einleuchten und neue, heilvolle Perspektiven eröffnen. Welche dieser Sprachformen in der Predigt gewählt wird, hängt jeweils stark von dem zu Grunde liegenden Bibeltext und von der Situation der Zuhörer ab. Dazu wird in Kapitel 3 noch mehr gesagt werden. Dass die Predigt an keine Form zwingend gebunden ist, hat zur Folge, dass sich in der Geschichte des Predigens verschiedene Arten oder Typen von Predigten herausgebildet haben. So kann man von Inhalt, Form und Anlass der Predigt her beispielsweise unterscheiden zwischen Lehrpredigten, seelsorglichen Predigten, evangelistischen Predigten, prophetischen Predigten, Dialogpredigten, narrativen Pre­ digten und Kasualpredigten. Diese Predigttypen sind nicht ein für allemal festgelegt. Auch treten sie häufig in Mischformen auf. Dennoch macht es Sinn, sie zu unterscheiden, da an ihnen noch einmal die wesentlichen Charakteristika der Predigt deutlich gemacht werden können, die sie jeweils aufbesondere Weise repräsentieren. (1) Die Lehrpredigt weist vor allem darauf hin, dass eine gute Rhetorik für die Predigt nicht ausreicht. Es gibt christliche Inhalte, die für Lehrpredigt das Predigen konstitutiv sind. Lehrpredigten wenden sich vor allem an den Verstand der Hörer und sind durch einen hohen Informationsgehalt gekennzeichnet. Gemeindeglieder werden durch Lehrpredigten in 31 ••

ihrer Aufgabe gestärkt, über ihren Glauben und ihre Hoffnung Re­ chenschaft abzulegen (lPetr 3,15) 29 (2) Die seelsorgliche Predigt erinnert besonders daran, dass dem Pre­ Seelsorgliche digen verheißen ist, dass der Gott allen Trostes (2Kor 1,30 sich selbst Predigt mitteilen und die Menschen mit seiner Liebe beschenken will. Die

seelsorgliche Predigt hat einen stärker zusprechenden als informieren­ den oder appellierenden Charakter. Sie vermittelt Geborgenheit und Trost und rührt die Hörer in der Tiefe ihrer Existenz an. Darum spricht eine seelsorgliche Predigt »immer vom Entscheidenden: von Gott dem Herrn und von den existentiellen Situationen der Menschen« 30 . (3) Die evangelistische Predigt ist Hinweis darauf, dass alles Predigen Evangelistische Glauben wecken und die Antwort des Menschen auf die liebevolle Predigt Zuwendung Gottes herausfordern will. Sie nimmt dabei die Realität

des Unglaubens ernst und versucht Wege aufzuzeigen, wie Menschen in die verbindliche Nachfolge Jesu Christi hineinfinden können. Evangelistische Predigt wird sich in besondererWeise darum bemühen müssen, »elementares Reden von Gott und seinem Heilshandeln für den Menschen« 31 zu sein. Sie wird dieses Reden sehr persönlich auf die jeweiligen Adressaten hin gestalten, damit sie ihr Ja zu dem Heilshan­ deln Gottes finden und es mit ihrer ganzen Existenz nachvollziehen können. 3 2 (4) Die prophetische Predigt legt ihren Akzent darauf, dass die Ver­ Prophetische kündigung zeitgemäß zu sein und zum Handeln zu ermutigen hat. Predigt Gesellschaftliche und politische Spannungsfelder, ethische und diako­

nische Fragen werden aus der Perspektive des christlichen Glaubens angesprochen. Die Hörer werden - ähnlich wie bei der evangelistischen Predigt - zum Überdenken ihrer Einstellung, zur Umkehr und zum Tun motiviert. Die prophetische Predigt enthält daher konfrontative und appellative Elemente. 33 (5) Die Dialogpredigt erinnert daran, dass das Predigen keine Ein­ Dialogpredigt wegkommunikation und auch keine Ein-Mann-Angelegenheit, son29 I Zwn Thema Lehrpredigt ist immer noch lesenswert: W. Trillhaas, Evangelische Pre­ digtlehre, 5. Aufl., München 1964, S. 93-107. 30 I H. van der Geest, Das Wort geschieht, Zürich 1991, S . l l . Vgl. dazu auch C. Möller, Seelsorglichpredigen. Die parakletische Dimension von Predigt, Seelsorge und Gemeinde, 2. Aufl., Göttingen 1990. 31 I W. Klaiber, Rufund Antwort. Biblische Grundlagen einer Theologie der Evangelisation, Stuttgart/Neukirchen-Vluyn 1990. 32 I Vgl. W. Bub, Evangelisationspredigt in der Volkskirche, 2. Aufl., Stuttgart 1993. 33 I Vgl. R. Hoburg, Prophetisch predigen, Deutsches Pfarrerblatt, 96 (1996)464 fE.

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dern auf der Grundlage des evangelischen Priestertums aller Glauben­ den »Sache der Gemeinde« ist. 3 4 Dabei sollte der Ausdruck Dialog­ predigt nicht auf die seltene und sehr anspruchsvolle Predigtart be­ schränkt werden, bei der zwei Prediger - vorher abgesprochen oder nicht - zu einem Text oder Thema etwas sagen. Er umschließt vielmehr alle Formen der Mitwirkung der Gemeinde an der Verkündigung, sei es durch Predigtvor- und -nachgespräche, durch Fragen im Gottesdienst oder durch ein Predigtteam. 35 (6) Die narrative Predigt gründet in der theologischen Erkenntnis, dass eine stark von Begriffen geprägte, abstrakte Redeweise dem bi- Narrative blischen Zeugnis von Gott allein nicht gerecht zu werden vermag. Gott Predigt ist »ein Gott in Bewegung, ein in Geschichten verstrickter Gott. Von diesem Gott zu reden, heißt deshalb, seine Geschichte laut werden zu lassen« 3 6 . Der Geschichte Gottes mit seinen Menschen entspricht als sprachliche Form vor allem die Erzählung. Allerdings ist die Bezeichnung narrativ nicht dahingehend misszuverstehen, dass erzählendes Predigen ohne Sorgfalt und gründliche Vorbereitung gelingen kann. 37 (7) Die Kasualpredigt schließlich macht in besonderer Weise Ernst mit der Einsicht, dass die Verkündigung des Evangeliums die Situation Kasualpredigt der Hörer genau in den Blick zu nehmen hat. Denn sie ist - wie schon der Name sagt - vor allem durch den Kasus, also durch die besonderen (Lebens-)Umstände der betroffenen Personen bestimmt. Die Kasualpredigt wird bei den lebensgeschichtlichen Ereignissen wie Taufe, Trauung oder Beerdigung vor allem Elemente der seelsorglichen Predigt aufgreifen, aber auch lehrhafte Inhalte berücksichtigen. 38

VI. Der Zusammenhang von Predigt und Gottesdienst Über aller Predigtvorbereitung sollte nicht übersehen werden, dass die Predigt ein Element des Gottesdienstes ist. Ein wichtiges und unverzichtbares Element zwar, aber eben nur eines. Deshalb sollte man 34 I Vgl. o. Herlyn, Sache der Gemeinde. Studien zu einer Praktischen Theologie des »All­ gemeinen Priestertums«, Neukirchen-Vluyn 1997, S. 36-59. 35 I Vgl. M. Haustein, Sprachgestalten der Verkündigung, in: Handbuch der Predigt, bearb. von K.-H. Bieritz u. a., Berlin 1990, S. 459-495, S. 467-47l. 36 I A. Gräzinger, Erzählen und Handeln, S . l l ; R.L Eslinger, The Web of Preaching, Nashville 2002, Kap. 2 u. 3. 37 I Zur Predigt als Erzählung vgl. u. a. R. Bohren, Predigtlehre, a.a.O., S. 170-185. 38 I Zum Verständnis der Kasualien vgl. E. Winkler, Tore zwnleben. Taufe- Konfirmation­ Trauung - Bestattung, Neukirchen-Vluyn 1995.

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die immer wieder zu hörende Rede vom » gottesdienstlichen Rahmen« Der Gottesdienst nicht gebrauchen, weil sie unsachgemäß ist. Der Gottesdienst ist nicht ist nicht nur nur Rahmen zur Predigt. Er ist in sich wertvoll, voller Werte und Rahmen zur Möglichkeiten. Wichtig ist, dass die Predigt auf den Gottesdienst, in Predigt dem sie gehalten wird, abgestimmt ist. Ein roter Faden sollte erkennbar

sein, das heißt die Schriftlesungen, Lieder, Gebete etc. sollten aufein­ ander und auf die Predigt bezogen sein. Dabei ist auch auf den Ort des Gottesdienstes im Kirchenjahr zu achten. Die Vorbereitung des Gottesdienstes ist ein ähnlich kreativer Akt wie die Predigtvorbereitung und braucht ihre Zeit. Schludrigkeit in diesem Punkt lässt schnell Langeweile oder ein diffuses Gefühl auf­ Die Liturgie kommen. Sie wird auch der Predigt schaden, denn: »Die Liturgie predigt mit predigt mit, wie der gottesdienstliche Raum und die Atmosphäre des ganzen Gottesdienstes.« 39

Predigt und Liturgie ergänzen sich und brauchen einander. Das wird deutlich, wenn man die verschiedenen Akzentsetzungen von gottes­ dienstlicher Liturgie und Predigt gegenüberstellt: Wahrend die Pre­ diger bei der Predigt stärker die Handelnden und Gebenden sind, bietet ihnen die Feier des Gottesdienstes heilsame Entlastung, indem gemeinsam auf bekannte und vorgegebene Texte und Traditionen zu­ rückgegriffen werden kann. Durch die liturgischen Texte wird die Predigt in einen größeren Rahmen gestellt und gegebenenfalls in ihrer Einseitigkeit auch korrigiert. Umgekehrt kann die Predigt allgemeine Aussagen der Liturgie auf die Hörerschaft hin aktualisieren. Die ver­ schiedenen Elemente der gottesdienstlichen Feier können dazu beitra­ gen, dass das Evangelium im Gottesdienst auf eine ganzheitliche Weise kommuniziert wird. Rituale, Symbole und Handlungen im Gottes­ dienst sprechen andere Schichten des Menschen an als das gesprochene Wort. Schließlich bindet die Liturgie die Teilnehmenden stärker und in anderer Weise in das Gottesdienstgeschehen ein als die Predigt: Wäh­ rend die Predigt Ansprache an die Hörer ist, richten sich Lieder und Gebete in Dank und Bitte vor allem an Gott.

39 I G. Kretzschmar/E. Winkler, Die Gemeinde, in: Handbuch der Predigt, bearbeitetvon K.­ H. Bieritz u. a., Berlin 1990, S. 187.

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VII. V ergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Predigt Bevor etwas über die Gegenwart und die Zukunft der Predigt gesagt wird, soll zunächst ihre Herkunft in den Blick genommen werden. Dabei beschränken wir uns auf die jüngste Vergangenheit, das 20. Jahrhundert. In ihm sind einige grundlegende Positionen der Predigtlehre formuliert worden, die bis heute nachwirken und nicht 4 überholt sind. 0 1 . DAS VERSTÄNDNIS DER PRE D I GT IM 2 0 . JAHRHUNDERT

Die Predigtlehre im vergangenen Jahrhundert war vor allem durch drei Strömungen gekennzeichnet, die kurz skizziert werden sollen. a) Die dialektisch-theologische Position

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte die Predigtlehre der so genannten Dialektischen Theologie oder Wort-Gottes- Gottes Wort Theologie. Unter dem Eindruck zweier Weltkriege und des offen- bricht sich sichtlichen Versagens liberaler Hochschultheologie sah Karl Barth die selbst Bahn Aufgabe der Predigt darin, dass allein Gott zu Wort kommen soll. Es geht - nach Barth - in Theologie und Predigt nicht um ein Verhandeln menschlicher Probleme, sondern um Gottes Zuspruch und Anspruch an den Menschen. Die Predigt hat konsequent Auslegung der Heiligen Schrift zu sein. Der Praktische Theologe und Freund Barths, Eduard Thurneysen, argumentierte ähnlich. Er schrieb: »Die Predigt ist nicht der Ort, wo um das Verständnis des Menschen, sondern wo um das Verständnis Gottes gerungen wird. Es handelt sich in der Kirche gerade nicht darum, daß ein Mensch auf andere Menschen eingehe, sondern darum, daß die Menschen allem Menschlichen den Rücken kehren und auf Gott eingehen. Also keine Bemühungen um die Psychologie des Predigthörers und um sogenannte Menschenkenntnis mehr. Keine Mitteilung von Lebenserfahrung, auch nicht von frommer Lebenserfahrung auf der Kanzel zu Zwecken der Anregung von neuer Lebenserfahrung bei anderen! Sondern: Gotteserkenntnis, Gottesverkündi40 I Zur Geschichte der Predigt und Predigttheorie von den Anfangen bis zur Gegenwart sei

besonders auf H. M. Müller, Homiletik, Berlin/New York 1996, S. 7-169 und auf die Quel­ lensammlungen zur Predigtlehre im Li teraturverzeichnis verwiesen.

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4 gung.« 1 In dieser Gottesverkündigung bricht sich nach dialektisch­ theologischer Auffassung Gott selbst mit seinem Wort machtvoll Bahn. Die Predigtauffassung der Wort-Gottes-Theologie wurde in den 7üer Jahren durch Rudolf Bohren in seiner berühmten Predigtlehre weitergeführt und hat bis heute erheblichen Einfluss.42 Ihr Verdienst ist, dass sie die Frage nach der Theologie im Predigtgeschehen wach hält. b) Die empirische Wende in der Praktischen Theologie

Gegen die Position der Dialektischen Theologie wandte sich seit Menschen in Mitte der 6üer Jahre die so genannte Situationshomiletik. Wie in der ihrer Lebenswelt Praktischen Theologie überhaupt, so kam es auch in der Predigtlehre zu wahrnehmen einer empirischen Wende. Man erkannte, dass man über den hohen

dogmatischen Definitionen der Predigt die Frage weitgehend aus den Augen verloren hatte, wie man denn die Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation erreichen kann. Die Beobachtung war, dass im Gefolge der Wort-Gottes-Theologie häufig theologisch sauber über die Köpfe der Hörenden hinweg gepredigt wurde. Deshalb wurde jetzt bei der Predigtvorbereitung mehr Wert gelegt auf die Humanwissenschaften wie Psychologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaft.4 3 Die Situation des modernen Menschen und der modemen Gemeinde wurde zum Thema. Diese Wende im Predigtverständnis ist vor allem mit dem Namen Ernst Lange verknüpft. Ein Zitat von ihm spiegelt die AkMit dem Hörer zentverschiebung gut wider: »Predigen heißt: Ich rede mit dem Hörer über sein Leben über sein Leben. Ich rede mit ihm über seine Erfahrungen und Anreden schauungen, seine Hoffnungen und Enttäuschungen, seine Erfolge und

sein Versagen, seine Aufgaben und sein Schicksal. Ich rede mit ihm über seine Welt und seine Verantwortung in dieser Welt, über die Bedrohungen und Chancen seines Daseins. Er, der Hörer, ist mein 44 Thema, nichts anderes; freilich: er, der Hörer vor Gott.« Dieser letzte Satz bewahrt davor, allzu schnell die »Gottvergessenheit« dieser theo­ logischen Richtung zu behaupten, wie es manche Vertreter der Wort41 I E. Thurneysen, Die Aufgabe der Predigt, in: E. Thurneysen/E. Wolf (Hg.), Das Wort Gottes und die Kirche. Aufsätzeund Vorträge, Theologische Bücherei, Bd. 44, München 1971, S. 95-106, S. 102. 42 I Vgl. R. Bohren, Predigtlehre, 6. Aufl., München 2002. 43 I Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 7. 44 I E. lange, Die verbesserliche Welt - Möglichkeiten christlicher Rede erprobt an der Geschichtevom Propheten Jona, Stuttgart/Beriin 1968, S. 58.

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Gottes-Theologie damals taten. Ein Verdienst dieses Predigtansatzes ist, dass die Frage nach dem Menschen in seiner konkreten Lebenssi­ tuation wach gehalten wird. c) Die Entdeckung der Form

Neben den bei den bisher genannten Hauptströmungen der Predigtlehre des 20. Jahrhunderts muss noch auf eine dritte hingewiesen Die Predigt als werden, nämlich auf die Entdeckung der Predigt als Rede. Vor allem Rede die Praktischen Theologen Manfred Josuttis und Gert Otto wiesen in den 70er Jahren neu darauf hin, dass die Predigt eine Rede ist und damit den Gesetzmäßigkeiten der Rhetorik unterworfen ist. Damit meinte Gert Otto allerdings nicht nur den technischen Aspekt der Rhetorik. Es gehe bei der Predigt als Rede nicht nur um Fragen der Gliederung und der rechten Wortwahl, damit die Botschaft die Hörenden gut erreicht. Vielmehr bestimme die Form den Predigtinhalt, das Verständnis von Predigt und die Predigtwirkung stark mit. Kommunikation, Dialog, Verstehen und Veränderung werden zu wichtigen Themen in der homiletischen Diskussion. »In der Predigt geht es darum«, schreibt Gert Otto, »auf dem Forum der Kirche öffentlich, verständlich und wirksam zur Debatte zu stellen, was christlicher Glaube jeweils meint und will, und zwar: •

in Hinsicht auf bestimmte Zeitgenossen,



in Hinsicht auf konkrete Lebenssituationen und Fragen,



in Hinsicht auf den Bußruf und die Heilszusage J esu . in Hinsicht auf besser gelingendes Leben. «45



Die Predigt ist nach Gert Otto durch ihre »verbal-reflektierende 46 Struktur« bestimmt, also durch ihre sprachliche und mündliche Verfasstheit und ihren argumentativen und ins Nachdenken führenden Charakter. Das ist die Stärke der Predigt und gleichzeitig ihre Grenze. Denn Gert Otto gesteht gerne zu, dass es heute auch andere, durchaus gleichberechtigte Weisen der Mitteilung des christlichen Glaubens gibt, nämlich Briefe, Zeitungsartikel, Rundfunk- oder Fernsehsen-

45 I G. Otto , Predigt als rhetorische Aufgabe: homiletische Perspektiven, Neukirchen-Vluyn 1987, S.45. 46 I A.a.O., S. 19. 37 ••

4 dungen. 7 Auch die Entdeckung der Predigt als Rede wirkt bis heute nach und hält die Frage nach der Form der Predigt wach. Fassen wir zusammen, dann sind die drei großen homiletischen Fragestellungen, die uns das 20. Jahrhundert aufgibt, die nach der Theologie der Predigt, die nach dem Menschen und seiner Lebenswelt und die nach der Gestalt der Predigt. Wie sieht dies zu Beginn des 2 1 . Jahrhunderts aus? 2. HOMILETISCHE ANSÄTZE ZU BEGINN DES 2 1 . JAHRHUNDERTS

Seit etwa 25 Jahren wird, in den 80er Jahren zunächst noch verein­ zelt und dann in den 90er Jahren bis heute immer häufiger, der Ruf nach einem neuen Predigtverständnis laut. Begonnen hat die öffentli che Diskussion in Deutschland 1984 mit der Marburger Antrittsvor­ lesung des Praktischen Theologen Gerhard Marcel Martin. Sie trug den Titel »Predigt als ,offenes Kunstwerk? Zum Dialog zwischen Homi­ 4 letik und Rezeptionsästhetik« 8 . Gerhard Marcel Martin hat sich darin mit der Theorie des offenen Kunstwerks des italienischen Literatur­ wissenschaftlers Umberto Eco beschäftigt. Worum geht es dabei? In Kürze sollen hier nur zwei Hauptgedanken entfaltet werden. Kunstwerke sind Erstens: Es gehört zum Wesen eines Kunstwerks, dass es grundsätzlich grundsätzlich eine mehrdeutige Botschaft in sich trägt. Es lässt sich nicht auf eine vieldeutig einzige Interpretation festlegen. Es ist offen für unterschiedliche Er­

fahrungen. Und das bedeutet zweitens, dass der Betrachter eines Kunstwerks aktiv an der Deutung des Kunstwerks beteiligt ist. Die das Kunstwerk betrachtenden Menschen bestimmen maßgeblich mit, was es bedeutet. Das ist nach Eco bei Gemälden und Skulpturen so, aber auch bei Texten. Auf die Predigtlehre übertragen heißt das, dass eine Predigt, wenn man sie denn als Kunstwerk betrachten will, offen ist für Die Predigt ist verschiedene Deutungen und Übertragungen ins Leben der Hörer. offen für Dieser Gedanke ist uns schon einmal begegnet, nämlich in der Aussage, verschiedene dass die Predigt in der Kirchenbank entsteht. Danach gibt es so viele Deutungen Predigten in demselben Gottesdienst wie es Hörer gibt. Dieser Ge-

47 I Vgl. G. ütto, Predigt als Rede. Über die Wechselwirkungen von Homiletik und Rheto­ rik, Stuttgartu. a. 1976, S. 28. Die Thematik wird wiederaufgenommenin: Ders., Rhetorische Predigtlehre, Neukirchen-Vluyn 1999. 48 I Vgl. G. M. Martin, Predigt als »offenes Kunstwerk«? Zum Dialog zwischen Homiletik und Rezeptionsästhetik, in: Evangelische Theologie, 44.Jg. 1984, S. 46-58.

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danke ist einerseits entlastend, da ich als Prediger nicht allein die Last der Kommunikation zu tragen habe, sondern die Hörer mitbeteiligt sind. Anderseits mag es ärgerlich sein, dass meine Gemeindeglieder nicht unbedingt das aus der Predigt heraushören, was ich ihnen sagen will. Um den Unterschied zwischen der herkömmlichen Homiletik und dieser neuen Predigtsicht zu kennzeichnen, könnte man sagen: Bisher wurde die Unschärfe und Mehrdeutigkeit, die zwischen Sender und Empfinger im Predigt- und Hörvorgang zwangsläufig entsteht, nur als zu beklagendes Übel bezeichnet. Mit Hilfe der Kommunikationsfor­ schung und der Rhetorik sollte möglichst Eindeutigkeit hergestellt werden. Jetzt ist eine gewisse Unschärfe im Predigtprozess geradezu gewünscht. Der Hörer soll sich seinen eigenen Reim (beziehungsweise seinen eigenen Text) auf das machen, was der Prediger sagt. 49 Diese rezeptionsästhetischen Gedanken haben weitergewirkt. Sie haben Zustimmung gefunden, aber auch Widerspruch geweckt. Im Folgenden möchte ich drei gegenwärtige homiletische Konzepte vor­ stellen. Zwei davon, nämlich die von Wilfried Engemann und Martin Nicol, bewegen sich in der Spur, die Gerhard Marcel Martin gelegt hat. Ein drittes, das von Manfred Josuttis, geht einen eigenen Weg. Ich denke, dass die drei Positionen nicht als sich ausschließende Alternati­ ven gesehen werden müssen. Sie können alle auf ihre Art anregend für die Predigtarbeit wirken. a) Wilfried Engemann: Die ergänzungsbedürftige Predigt

Der Praktische Theologe Wilfried Engemann ist der Predigtlehrer, der am konsequentesten die Impulse der »Predigt als offenes Kunst­ werk« aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Stärker noch als Gerhard Marcel Martin nimmt Engemann bei seinem Entwurf aufUmberto Eco und seine Schriften zur Semiotik, zur Lehre von den Zeichen, Bezug. Dabei unterscheidet Engemann bei der Predigt zwischen mehreren Texten. 5o

49 I Vgl. dazu K.-H. Bieritz, Offenheit und Eigensinn - Plädoyer für eine eigensinnige Predigt, in: Predigt als offenes Kunstwerk, hg. von E. Garhammer und H.-G. Schättler, München 1998, S. 28. 50 I Vgl. zwnFolgenden W. Engemann, Einführung indie Homiletik, Tubingen/BaseI 2002, S. 163-174.

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(1) Da ist zum einen der Bezugstext, also das biblische Wort, auf das Eine Predigt

-

sich der Prediger in der Regel bezieht. Dieser Bibeltext hat schon einen

verschiedene komplizierten, vielschichtigen Werdegang hinter sich. Im Bibelwort Textwelten ist sowohl der Autor in seiner damaligen Situation enthalten, als auch

die Botschaft, die dieser Autorvermitteln will, und schließlich auch die Situation der Adressaten seiner Botschaft, die der Autor ja einbezieht, um sein Gegenüber anzusprechen und zu erreichen. Wenn dann noch die Redaktionsgeschichte, der Überlieferungsprozess und die Wir­ kungsgeschichte der biblischen Bücher mitbedacht werden, heißt das, dass schon im Bibeltext eine Fülle an Informationen und unterschied­ lichen Inhalten präsent ist. (2) Der zweite Text ist das Predigtmanuskript, das wiederum zum einen den Bezugstext in der beschriebenen Vielschichtigkeit beinhal­ tet. Ebenso steckt im Predigtmanuskript aber natürlich auch der Ver­ kündiger mit seiner Botschaft, also einer bestimmten Interpretation des Bibelworts. Und im Predigtmanuskript ist die Situation der Hörer der Predigt enthalten. (3) Ein dritter Text ist schließlich das von Engemann so genannte

»Auredit«

-

sprachlich ist dies eine Zusammensetzung aus den lateini­

schen Worten für Ohr (auris) und hören (audire). Das Auredit ist der Text, den die Hörer beim Hören der Predigt erstellen. Sie fügen der gehörten Predigt, also dem Text, der die Lebenswelt und die Botschaft des Predigenden und des Bibelworts enthält, eigene Assoziationen, Gefühle und Bedeutungen zu. Sie setzen die Predigt mit ihrem Leben in Beziehung und tragen ihre eigenen Gedanken in das Predigtgesche­ hen ein. Engemann kommt es nun vor allem auf diesen dritten Text an, auf das Auredit und damit auf die Mitarbeit und Interpretation der Hö­ renden. Für ihn steckt die gegenwärtige Predigt in einer Krise, weil die meisten Prediger ein Mitarbeiten und Interpretieren ihrer Hörer zu verhindern suchen. Sie streben lieber eine Eindeutigkeit der Pre­ digtaussagen und damit die Abgeschlossenheit der Predigt gegenüber dem Bibeltext und der Predigtgemeinde an. Das Bibelwort wird nur in einer bestimmten, andere Interpretationen ausschließenden Weise ausgelegt, und die Predigenden versuchen alles, um ihre Interpretation Vieldeutigkeit in möglichst genau, gewissermaßen eins zu eins an den Mann zu bringen. der Predigt ist Engemann nennt das die »obturierte« Predigt, die verstopfte oder erwünscht verschlossene Predigt, die den Hörern und dem Heiligen Geist keinen 40 ........... •

Spielraum bietet, sondern sie auf einen, meist altbekannten, Sinn und Predigtgehalt festlegt. Dagegen stellt Engemann die »ambiguitäre« Predigt, die vieldeutige Predigt, in der viele verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Entdeckungen machen können. Bei der ergän­ zungsbedürftigen Predigt wird den Hörenden die Freiheit geschenkt, unerwartete Entdeckungen zu machen. Er schreibt: Der Prediger »sollte sich um eine Predigt bemühen, deren sich die Hörer selbst bemächtigen können . . . Begünstigt wird eine solche Predigt dadurch, dass sie bewohnbare, begehbare Textwelten entwirft, also bereit ist, über die Abstraktionsebene der dargestellten Welt hinauszukommen und in eine erzählte Welt vorzudringen, die den Hörer als Beobachter lebens- und glaubensrelevanter Ereignisse braucht, ihn dadurch in eine Gleichzeitigkeit mit der Verkündigung bringt und - auf der Ebene von Identifikationsperspektiven - zu Entscheidungen motiviert.« 51 Eine solche Predigt wird dadurch gekennzeichnet sein, dass sie persönlich und nicht allgemein und klischeehaft gehalten ist, dass sie sich kreativer Metaphern und Bilder bedient und erzählende Elemente enthält. Aber auch eine Lehrpredigt kann durchaus zur Mitarbeit ein­ laden, wenn sie versucht, offen zu sein, nicht zu überreden, sondern zu überzeugen, wenn sie die eigenen Voraussetzungen darlegt und die Relativität der eigenen Meinung transparent macht. Ziel ist, dass in der Predigt - ähnlich wie bei einem Kunstwerk - etwas Neues, Unerwar­ tetes aufblitzt, dass Althergebrachtes und Schon-immer-Gewusstes in Frage gestellt wird, dass Gottes ganz andere Wirklichkeit aufscheint. So gewinnt die Predigt und so gewinnen die Menschen Zukunft Gottes Zukunft. Dem Einwand der Beliebigkeit, also dass sich jeder Hörer bei einer Keine mehrdeutigen Predigt das heraussuchen kann, was er hören will, be- Beliebigkeit gegnet Engemann mit dem Hinweis darauf, dass die Hörer der Predigt durch den der Predigt zugrunde liegenden Bibeltext, durch den Kontext des Gottesdienstes und durch die Botschaft des Predigers, die auch in der offenen Predigt nicht einfach wegfällt, geleitet werden. Auch ein Kunstwerk ist nicht offen für alle Interpretationen; es lässt sich auf der anderen Seite aber nicht auf eine einzig gültige reduzieren. Was kann für die Predigt von diesem Ansatz gelernt werden? 51 I w. Engemann, »Unser Text sagt . . . «. Hermeneutischer Versuch zur Interpretation und Überwindung des »Texttods« der Predigt, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 93. Jg. 1996, S. 478f.

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Zum einen werden wir als Prediger entlastet, allein für die Wirkung Entlastung des und den >:. Erfolg« unserer Predigt sorgen zu müssen. Die Hörer gestalPredigers ten - im Wirkungsfeld des Heiligen Geistes - die Predigt mit. Die

Predigt ist Sache der Gemeinde Jesu Christi und nicht Monolog eines einzelnen, einsamen Verkündigers. Die Predigenden werden davon entlastet, die einzig mögliche Interpretation eines Bibelwortes oder fertige Lösungen für Probleme anbieten zu müssen. Die Gemeinde, die bei Engemann in den Blick kommt, ist eine mündige Gemeinde. Sie

verantwortet letztlich die Predigt. 52 Engemanns Predigtkonzept er­ mutigt, Predigten persönlicher, offener, erzählender, bilderreicher und kunstvoller zu gestalten. Was noch weiterer Klärung zu bedürfen scheint, ist das Verhältnis

Performative von mehrdeutiger Predigt und gewiss machendem Zuspruch. Wer Sprechakte segnet oder wer zuspricht: »Dir sind deine Sünden vergeben! « , darf um

Gottes willen nicht mehrdeutig reden, sondern muss sich dessen be­ wusst sein, dass es sich hierbei um performative Sprechakte handelt, ein Reden also, das davon ausgeht, dass das, was gesagt wird, auch ge­ schieht. Auf der anderen Seite kommt auch der Zuspruch der Sünden­ vergebung nicht ohne das aktive Zuhören und das Auf-sieh-Beziehen der Botschaft durch die Zuhörenden an. Schauen wir zum Abschluss der Vorstellung dieses Entwurfs auf eine Predigt von Engemann selbst. Wie versucht er, sein Programm umzu­ setzen? Dazu eignen sich gut einige Passagen aus einer Predigt an Altjahrsabend zu Markus 10, 17-27:

10

»Die Tür war zu. Daran gab es - im wahrsten Sinne des Wortes - nichts zu rütteln. Wtr hatten alles versucht, dabei ein paar Schlüssel verbogen und uns die Finger wund gedrückt. Aber sie gab nicht nach. Schließlich war es eine Kirchentür. Wie konnte uns das nur passieren! Ein kunstgeschichtlich anschei­ nend sehr belesenerBesucher hatte uns nach der Silvesterandacht, kurz bevor die Glocken das neue Jahr einläuteten, auf die wiederentdeckten Fresken in der Südwest-Ecke der Kirche aufmerksam gemacht und sie uns erkltirt. Während­ dessen waren die anderen mit dem Pfarrer nach draußen gegangen. Und wegen der hohen Besucherzahl und des sehr spärlich beleuchteten Raumes hatte niemand bemerkt, dass wir fünf uns für einen Moment abgesondert hatten. Für einen Moment? Inzwischen war mehr als eine Stunde vergangen, und in 52 I Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 6.

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Anbetracht der Knallerei hatte sich alles Rufen und Klopfen als zwecklos erwiesen. Wir würden die Nacht in der Kirche verbringen müssen. Allmählich hatten wir uns mit diesem Gedanken abgefunden und versuchten, das Beste daraus zu machen. Wtr trugen stimtliche Bankkissen aufdem nicht so kühlen Holzpodest vor dem Altar zusammen, holten die Kerzen rechts und links des Gekreuzigten dazu} und der Mann} der uns zu den Bildern entführt hatte, stellte eine Flasche Wein in die Mitte . . . « 53 Die fünf eingesperrten Menschen kommen miteinander ins Ge­ spräch. Ein dicker Wirtschaftsboss, ein alter hagerer Philosoph, eine fromme Kirchgängerin, der Erzähler und ein Mann mit Rucksack, der sich im Verlauf der Predigt als eine Art himmlischer Bote erweist, der den fünf Eingeschlossenen je in ihre Situation ein befreiendes Wort zu sagen vermag. Und alle, bis auf den Erzähler, werden auf wundersame Weise befreit. Der dicke Firmenboss schafft es sogar, durch ein ge­ sangbuchgroßes Fenster hindurch in die Freiheit zu gelangen. Man weiß nicht wie. Auch der Philosoph ist plötzlich fort. Die fromme Kirchgängerin lässt das Pochen auf ihre guten, frommen Werke und gelangt durch die Wand ins Freie. Übrig bleiben der Erzähler und der himmlische Bote. Der Erzähler schläft ein, und als er aufwacht, beginnt der Gottesdienst am Neujahrsmorgen. Erst hier, ganz am Ende der Predigt, wird der biblische Predigttext verlesen, nämlich die Ge­ schichte vom Reichen]üngling in Markus 10, 17-27. Die ganze Pre­ digt hat darauf zugearbeitet, dass verständlich wird, was es heute heißt, alles zu verkaufen,

um

einen Schatz im Himmel zu haben, und was es

heißt, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, wie der dicke Firmen­ boss durch das kleine Kirchenfenster, und was es heißt, dass was den Menschen unmöglich ist, bei Gott möglich ist. Nach der Verlesung des biblischen Textes kommen am Schluss der Predigt nur noch zwei Sätze, :54 nämlich: »Da wachte ich auf Ich wachte auf «

b) Martin Nicol: Predigt als Ereignis

Der Ansatz des Erlanger Praktischen Theologen Martin Nicol be­ rührt sich mit dem Ansatz von Engemann vor allem in der Frage der Bedeutung der Kunst für das Predigen. Allerdings hat Nicol seine 53 I w. Engemann, Ernten, wo man nicht gesät hat. Rechtfertigungspredigt heute, Bielefeld 2001, s. 7l. 54 I A.a.O., S. 78.

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Gedanken zur Zukunft der Predigt nicht aus der Analyse von europäi­ schen philosophischen und sprachwissenschaftlichen Texten gewon­ nen, sondern bei Besuchen in den USA. Dort gibt es seit den 60er

Jahren eine Bewegung, die sich New Homiletic nennt. 55 Sie ist von

ihrer Wirkung in Nordamerika her durchaus mit der amerikanischen Seelsorgebewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ver­ gleichbar. Der Schwerpunkt dieser New Homiletic ist die Ausformung einer >:. homiletische(n) Didaktik mit einem vielgestaltigen methodischen Instrumentarium« . 56 Die theologische Grundlage war in den 60er Jahren ähnlich wie bei uns die Wort-Gottes-Theologie der Dialekti­ schen Theologie, die aber im Laufe der Zeit durch die Fragen nach der Form und der Praxis der Predigt modifiziert wurde. Folgende Punkte waren dabei maßgeblich: Da sind zunächst die Impulse aus dem afro-amerikanischen Raum, Predigt als wie man sie etwa an dem Prediger Martin Luther King beobachten Performance kann. 57 Nicol schreibt: >:. Das ritualisierte Zusammenspiel von Prediger

und Gemeinde, die Mündlichkeit solcher Predigt, ihre Ereignishaftig­ keit, ihre spezifische Musikalität im Kontext der gottesdienstlichen Feier, der lebensnahe Gebrauch der Bibel - mit alledem ist mitten in den europäischen Mustern der ,weißen' Predigtkultur eine Predigt­ weise mit ganz anderen Ursprüngen präsent. « 58 Als zweites nennt Nicol die Wende vom deduktiven Predigen zum Induktiv induktiven Predigen. Das bedeutet, dass nicht mehr so sehr danach predigen gefragt wird, eine Wahrheit des Glaubens mit Argumenten zu erklären

(deduktiv), sondern vielmehr Erfahrungen des Glaubens zu teilen (in­ duktiv). Es geht darum, die Hörenden in die Predigtbewegung mit hinein zu nehmen und ihnen so eigenständige Erfahrungen und Ein­ sichten zu ermöglichen. »Paradigma der Predigt ist nicht länger die akademische Vorlesung mit Thesen und Argumenten, sondern der Film mit seinen bewegten Bildern.« 59 Schließlich wird die Predigt als ein Ereignis der Gotteswirklichkeit Predigt-Kunst verstanden. »Im ,Ereignis' wird das vielschichtige Phänomen der ge55 I Vgl. dazu z. B. D. Buttrick, Homiletics. Moves and Structures, Philadelphia 1987. 56 I M. Nicol, Einander ins Bild setzen. Dramaturgische Homiletik, Göttingen 2002, S. 23. 57 I Vgl. R. L Eslinger, The Web ofPreaching. New Options in HomiieticMethod, Nashville 2002, Kap. 2: Narrative Preaching in the AfricanAmerican Tradition, S. 103-150. 58 I M. Nicol, a.a.O., S. 24. 59 I A.a.O., S. 25.

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haltenen, erlebten, auch erlittenen Predigt fassbar. Was ich in der Predigt höre, ist nicht zu trennen von der Weise, wie es die Predigerin sagt und ich es aufnehme. Ich kann keinen abstrakten Inhalt mehr trennen von der Form, von derSprachgestalt also und der Weise, wie die

Hörenden mit Predigt und Predigtperson zurechtkommen.« 60 Auf Grund dieser Forderung nach Einheit von Inhalt und Form konzipiert Martin Nicol eine dramaturgische Homiletik, in der er programma­ tisch formuliert:

>:>

Produktion, Performance und Rezeption von Kunst

werden zum Paradigma für den Predigtprozess. Dramaturgische Ho­ miletik leitet dazu an, Predigen als Kunst unter Künsten wahrzunehmen.« 61 Wie lassen sich diese Gedanken aus der New Homiletic in die Praxis umsetzen? Nicol nennt einige Schritte, die bei der Gestaltung einer Predigt als Ereignis helfen sollen. (1) Es gilt, die Bibel dramaturgisch zu erkunden. Die Dynamik der biblischen Sprachhandlung soll entdeckt und nutzbar gemacht werden. Die Dynamik Von den Worten und Bildern der Bibel soll etwas Unverwechselbares, der biblischen Bereicherndes, Beglückendes oder auch Ärgerndes erwartet werden. Sprachhand­ »Dramaturgische Erkundung« der Bibel »ist an dramatischem Poten- lung nutzen zial interessiert, an Spannungen also und Spannungsbögen . . . Es kann um Spannungen im Text selbst gehen. Es kann um Spannungen gehen, die sich im Wechselspiel des Textes mit anderen Texten und mit unterschiedlichen Kontexten ergeben . . . Was unbedingt zu meiden ist: dass es zum Spannungsabfall kommt; dass die Rede von Gott banal

wird; dass Kitsch zum Markenzeichen der Kanzel wird.« 62 Um Spannung zu gewinnen, plädiert N icol für einen persönlichen Zugang zum Bibelwort, für ein Inszenieren und Spielen von biblischen Geschichten, für den Blick auf den liturgischen Kontext der Bibelworte, für eine Exegese, die die Wahrnehmung für Spannungen im Text selbst und zwischen unterschiedlichen Texten schärft. Der ganze Prozess soll offen sein für das »Unterwegsbleiben mit einem Gott, der alle Klischees hinter sich lässt und sich immer wieder neu zeigt (Andreas Hoffmann). « 63

60 61 62 63

I I I I

A.a.O., s. 27. A.a.O., S. 29. A.a.O., S. 77 f. Zitiert inNicol, a.a.O., S. 78.

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(2) Es gilt bei einer dramaturgischen Homiletik, die Predigt als Handlung zu entwerfen. Nicht mehr die akademische Vorlesung, son­ dern der Film wird zum Paradigma der Predigt. So wie ein Film einen Stoff und ein Drehbuch braucht, braucht die Predigt biblisch-theolo­ gische Inhalte und eine gute Inszenierung derselben. Anfang und Ende der Predigt werden zu Schlüsselpassagen. Spannungsbögen sollen auf­ gebaut und gehalten werden. Bewegungen im Text sollen bewusst gestaltet werden. Nicht mehr der einsame Denker, zurückgezogen am Schreibtisch, sondern der kreative, die ihn umgebende Welt wahrneh­ mende Künstler im Atelier wird zum Bild für den Prediger. (3) Bei einer dramaturgischen Homiletik ist die Predigt als Ereignis zu gestalten. >:. Der Predigtprozess kulminiert in der gesprochenen und gehörten, erlebten und erlittenen Predigtrede, der Performance. Die Performance ist getragen von der Erwartung, Gott selbst möge in solcher Kommunikation des Evangeliums zur Sprache kommen. In solcher Erwartung sind auch die Vollzüge auf der Kanzel zu gestal­

ten.« 64 In diesem Zusammenhang weist Nicol auf die Wichtigkeit von Stimme und Sprache, von Körpersprache und Bewegung im Raum, von Liturgie und Spiritualität hin. Soviel zur Darstellung der Konzeption. Will man sie beurteilen, so ist das inspirierende, innovative und pragmatische Moment positiv festzuhalten. Auch wenn Nicol viele Impulse aus dem nordamerikani­ schen Raum übernimmt, so ist es doch sein Verdienst, diese Impulse der deutschsprachigen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Pre­ digt wird packender, vielseitiger und im guten Sinne unterhaltsamer. Zu wünschen wäre eine noch deutlichere theoretisch-theologische Grundlegung, wirkt doch dieses homiletische Konzept - trotz eines zweiten, stärker auf die Praxis zielenden Buchs65 - noch sehr assoziativ. Es bleibt abzuwarten, wie Nicols Ansatz die homiletische Diskussion befruchten wird. Jedenfalls setzt die Dramaturgische Homiletik hohe Ansprüche an die Kreativität der Predigenden und an ihre in­ szenatorische und darstellerische Kompetenz. Wie bei Engemann nun auch ein Blick auf die Predigtpraxis von Nicol. Vorgestellt wird der Anfang einer Predigt zur Brotrede Jesu in Johannes 6, die unter anderem die Sätze enthält: Jesus spricht: »Ich bin 64 I A.a.O., S. 114. 65 I M. Nicol/A. Deeg, Im Wechselschritt zur Kanzel. Praxisbuch Dramaturgische Homile­ tik, Göttingen 2005.

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das Brot des Lebens . . . Viele, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede . . . Da J esus merkte, dass seine Jünger murrten, sprach er: Ärgert euch das?« (die Predigt wurde in Erlangen, im Stadtteil Tennenlohe, gehalten).

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»1. Es ist Morgen in Tennenlohe} diimmrig noch und kalt. Ich gehe in die Bäckerei. Hell ist es dort. Und warm. Und es riecht. Es riecht wunderbar: Buttermilchbrot} Ciabatta} Dinkelvollkornbrot} Erlanger Bergbrot} Fitness­ brotehen} Gewürzbrot} Hirtenfladen} Knollenbrot} Laugenbrotehen} Mehr­ kornbrotehen} Rheinisches Vollkornbrot} Saftkornbrot} Tennenloher BauernKommt einer brot} Türkischer Fladen} Vintschgau� Vollkornbaguette herein: »Ich bin das Brot« » Welches Brot darts sein? « »Des Lebens! « » Wie bitte?« II. Ärgert sich jemand? Weil ich die Predigt beginne wie einen Kla­ maukfilm? Johannes sagt: Die Brotrede hat Ärger verursacht} heftigen Ärger. Jedenfalls reagieren die} die zugehort haben} mit Ärger: »Das ist eine harte Rede}' wer kann sie horen? « UndJesus} weit davon entfernt} solchen Ärgerfür unsachgemaß zu halten} setzt noch eins drauf »Ärgert euch das?« Ihr dürft euch ärgern. Meinetwegen über mich. Weil ich so salopp daherrede. Weil ich vom Brot rede und von den Brotehen} obwohl doch vom Lebensbrot die Rede ist} vom Brot} das vom Himmel gekommen ist. In der Tat} ich behaupte: Das Brot ist mitten unter den Brotehen. Das Himmelsbrot und die Laugen­ brotehen liegen nebeneinander im Regal. Ihr dürft euch ärgern. Meinetwegen über mich. Aber dann müsst ihr euch auch überJohannes ärgern} den Evangelisten. Der hat das nämlich so kompo­ niert in seinem sechsten Kapitel. Da ist zu Beginn das Speisungswunder: Brotehenfor die hungrige Menge. Und dann die RedeJesu vom Brot} vom Brot des Lebens. Das Brot und die Brotehen} Himmel und Erde - die gehoren zusammen. Brot und Brotehen - sie liegen im selben Regal. Das ist eine harte Rede. Wer kann sie horen? Ärgert euch das? . . . « 66

66 I A.a.O., S. 30.

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c) ManfredJosuttis: Das machtvolle Wort

Manfred Josuttis' Predigtverständnis hat in den letzten 40 Jahren mehrere Wandlungen durchlaufen. Zunächst befand er sich in den 6üer Jahren als Assistent von Rudolf Bohren stark im Umfeld von dessen Predigtlehre. Bekannt wurde Josuttis mit der 1965 erschienenen Schrift »Gesetzlichkeit in der Predigt der Gegenwart« . 67 In dieser Studie, einer Untersuchung von 907 Predigten, Andachten und Bi­ belarbeiten aus dem Bereich der Rheinischen Kirche, wandte er sich eindrucksvoll gegen alle menschliche, gesetzliche Einengung und Be­ schränkung des Evangeliums. Jahre später versuchte Josuttis, anders als etwa Bohren, die Impulse der so genannten empirischen Wende in der Praktischen Theologie aufzunehmen und beispielsweise in seinem Buch » Der Pfarrer ist anders« auch für die Predigtarbeit fruchtbar zu machen. 68 Seit einigen Jahren geht Josuttis wieder einen anderen, eher einsamen Weg. Da dieser Weg eine interessante Ergänzung zu den beiden bisher besprochenen Konzeptionen darstellt, soll er im Folgen­ den kurz dargestellt werden. Auf der Grundlage religionsphänomenologischer Überlegungen Die Machtfrage wird es für Josuttis zur entscheidenden Überlegensfrage der Kirche, ob stellen es ihr gelingt, die Realität der Macht des Heiligen in ihr Glauben und

Handeln einzubeziehen. Wo das der Fall ist, wird es tief greifende Auswirkungen auf das gesamte pastorale Handeln haben - auch auf die Predigt. Was meint er damit? J osuttis weist zunächst auf den weit verbreiteten Konsens in der Kirche hin, dass das Predigen auf Verstehen zielt und der Verständ­ lichkeit bedarf. Dies stellt er nicht in Frage, behauptet aber, dass mit der Kategorie des Verstehens nur ein Teil der Wirkung des Predigt­ wortes erfasst werden kann. Die Wirkung des Predigtwortes ist nicht allein an den Willen und das Geschick des Sprechenden und auch nicht allein an das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit der Hörer gebun­ den. Die Macht der Sprache geht tiefer. Dies versucht Josuttis neutesDie Macht der tamentlich zu belegen und für die Predigtarbeit fruchtbar zu machen. Sprache geht Er schreibt: »Das schöpferische Wort des Evangeliums ist nicht ab­ tiefer hängig von geschöpflichen Fähigkeiten. Seine spezifische Wirkung, 67 I Neu aufgelegt in ders., Gesetz und Evangelium in der Predigtarbeit. Homiletische Studien 2, Gütersloh 1995, S. 94-181. 68 I M. Josuttis, Der Pfarrer ist anders. Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie, München 1982, 4.Aufl. 1991.

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Glauben zu schaffen, resultiert nicht aus der Rechtgläubigkeit oder der Frömmigkeit der Prediger/innen, nicht aus der rhetorischen Artistik der Predigt, nicht aus der perfekten Organisation der Kommunika­ tionsbedingungen. Das alles wird nützlich und notwendig sein, wenn man individual- und sozialpsychologische Effekte erzielen will. Damit die energetische Potenz der Verkündigung das schafft, was in dieser und in der anderen Welt den Menschen zum Heil dient, ist nur eines erforderlich, dies aber unbedingt: Der Geist Gottes, oder wie es die orthodoxe Theologie des Ostens formuliert: die ungeschaffenen Ener­

gien Gottes müssen das Sprachgeschehen erfüllen.« 69

Was zieht solch ein Wort-Geist-Verständnis für praktisch-theologi­ sche Folgerungen nach sich? Josuttis legt zum Beispiel Wert auf die Präparation des Verkündigers und der Verkündigerin. Es geht um die angemessene persönliche Einstellung für Predigt und Gottesdienst, um eine Art meditative Reinigung. »Die eigenen Wünsche nach Grandio­ sität, die Idealbilder eines christlichen Lebens, die eigenen politischen Einstellungen, ja auch die theologischen Überzeugungen muß hinter sich lassen, wer sich der Sprachlehre des Geistes anvertraut . . . Was in mir ist, muß wahrgenommen und abgeführt werden. Nicht ein voll­ kommener, sondern ein von den eigenen Wünschen und Ängsten ent­ leerter Mensch wird zum Sprachrohr des Geistes werden. « 70 Dies ge­ schieht vor allem im Gebet. Wer so frei geworden ist, kann mit dem Geist der Schrift erfüllt werden. »Auf die Selbstentleerung folgt die Schrifterfüllung, nicht im Sinn eines natürlichen Mechanismus oder eines psychologischen Automatismus, sondern im Sinne der Sachlogik religiöser Praxis.« 71 Übrigens gilt der Vorgang der Präparation auch den Hörenden, die nur dann von Gottes Geist erfüllt werden können, wenn sie mit leeren Händen, in geistlicher Armut, zum Gottesdienst kommen. Im Vollzug der Predigt kommt es zu einem dreifachen Kommunizieren. Zum einen werden kognitive, gedanklich-inhaltliche Impulse Dreifaches vermittelt. Es geht um Theologie, Lehre und Verstehen. Ebenso weist Kommuni­ Josuttis auf die sozial wissenschaftlichen Forschungen hin, die deutlich zieren gemacht haben, dass beim Predigen Gefühle und Erwartungen trans69 I M. Josuttis, Die Einführung in das Leben. Pastoraltheologie zwischen Phänomenologie und Spiritualität, Gütersloh 1996, S. 105. 70 I A.a.O., S. 108. 71 I Ebd.

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portiert werden. Was seiner Meinung nach die Predigtlehre bisher vernachlässigt habe, ist das Phänomen, dass beim Predigen »die An­ wesenheit göttlicher Atmosphären zur Wirkung (kommt)« . 7 2 Das kann man nicht einfach machen, aber das ist verheißen. Und dazu hilft besonders der Gottesdienst mit Singen, Beten, Reden, Hören, sich Bewegen und Segnen. Auf diesem Hintergrund dürfte verständlich sein, dass J osuttis auch Kritik an einem Verständnis der Predigt als offenem Kunstwerk übt. »Kann man die Begegnung mit einem machtvollen Kunstwerk, mit göttlicher Geistesgegenwart oder auch nur mit einem anderen Men­ schen vollständig als einen Rezeptionsvorgang beschreiben, der im Atmoshärische rezipierenden Subjekt vonstatten geht und bewusst oder unbewusst Macht von ihm gelenkt wird?

Wenn an einem Kunstwerk, in einem

Menschen, in einer geisterfüllten Predigt nicht nur menschliche Be­ mächtigungstendenzen, sondern die Macht des Heiligen selber begeg­ net, dann werden Menschen von einer atmosphärischen Macht ergrif­ fen, die ihre Subjekthaftigkeit erweitert, bedroht und verändert. Aus dem Rezeptionsprozeß wird ein Konversionsgeschehen. Aus einem Sünder macht das Wort einen Gerechten. « 73 Das energetische Konzept von Josuttis hat Zuspruch, aber auch viel Widerspruch geerntet. Man hat ihm magisches Denken, einen Rückfall ins Mittelalter und theologische Unschärfe vorgeworfen. Auf der an­ deren Seite weist J osuttis wie kaum ein anderer auf die Dynamik der Gottesbegegnung und auf ihre geistliche Dimension hin. Es geht in der Religion neben dem Verstehen und Verarbeiten auch um Ergriffensein, Bekehrung und Erfüllung. Schauen wir auch bei J osuttis auf die Predigtpraxis. Besonders eignet sich dazu sein Predigtband »Offene Geheimnisse« 74 . Nehmen wir als Beispiel den Anfang und Schluss einer Predigt zu Matthäus 26,69-75. Es ist der Abschnitt, in dem Petrus nach dem nächtlichen Verhör Jesu und seiner Verurteilung Jesus dreimal verleugnet. Danach kräht der Hahn, Petrus erinnert sich an die Worte Jesu, geht hinaus und weint bitterlich.

72 I A.a.O., s. 112. 73 I M.Josuttis, Gottes Wort im kultischen Ritual, in: Predigt als offenes Kunstwerk, hg. von E. Garhammerund H.-G. Schättler, München 1998, S. 178{ 74 I M. ]osuttis, Offene Geheimnisse. Predigten, Gütersloh 1999.

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»Wenn der Hahn kraht, dann geht die Nacht zu Ende. Der Tag bricht an. Es wird alles klar. ,Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen{. Im Schatten der Nacht verschwimmen die Grenzen. Männer und Frauen tun sich zusammen in der Hoffnung aufein gemeinsames Glück. Andere dringen in fremde Wohnungen ein, wagen einen Überfall aufder Straße. Militärstrategen kalkulieren den nächsten Angriff. Viele kannen vor Angst nicht mehr schlafen. Wann fallt die Bombe? Wann kommen die Panzer? Im Schatten der Nacht verschwimmen die Grenzen. Zwischen den Menschen. Zwischen Krieg und Frieden. Zwischen Leben und Tod. Wer gehart zu wem? Wem gehart was? Wie kann man in der bedrohlichen Finsternis überleben? «75

10

Nachdem Josuttis im weiteren Verlauf der Predigt die Geschichte des Petrus und seiner Verleugnung Jesu nacherzählt, stellt er am Ende dem weinenden Petrus Judas, den Verräter Jesu, gegenüber. Auch der zeigt Reue und bringt die Silberlinge zurück. Aber es wird nicht überliefert, dass er weint. Er verflucht sich und nimmt sich selbst das Leben. Am Schluss der Predigt heißt es dann:

»Die Mächtigen sprechen Todesurteile. Die Geldgierigen bringen andere und sich selber ums Leben. Dazwischen weint einer. Wenn Tränen fließen, lasen Besitzgier und Großmachtgehabe sich auf Wenn Menschen in ihrer Härte und in ihrer Verzweiflung zu weinen lernen, kann Frieden wachsen. Am Ende der Nacht sind Tränen die einzige Sprache der Hoffnung. « 7 6

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3. ZUR ZUKUNFT DER PREDIGT

Bei dem kurzen geschichtlichen Rückblick sahen wir, dass die Predigtlehre des 20. Jahrhunderts vor allem durch drei Fragestellungen In der Predigt gekennzeichnet war, nämlich durch die Frage nach der Theologie der verheißt Gott Predigt, durch die Frage nach den Adressaten der Predigt und ihrer Glauben und Lebenswelt und durch die Frage nach der Gestalt der Predigt oder nach Leben ihrer Rhetorik. Diese drei Fragen sind nicht überholt. Jedoch hat der Blick aufdie neueren Entwicklungen in der Homiletikgezeigt, dass sie zu ergänzen sind. Zu ergänzen zum Beispiel durch das Nachdenken über die Mitarbeit der Hörer bei der Predigtrezeption. Zu ergänzen auch durch Überlegungen zur Präsentation oder Performance der Predigt, zu ihrer Dramaturgie. Und in alledem ist an die göttliche Dynamik des Redens und Hörens im Predigtprozess zu erinnern. Gerade dies 75 I A.a.O., S. 23. 76 I A.a.O., S. 26.

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Letztgenannte gibt der Predigt Zukunft, weil in ihr der auf uns Men­ schen zukommt, der der Predigt Sprache und Geist verleiht und uns durch die Predigt Glauben und Leben verheißt.

VIII. Rahmenbedingungen der Predigt heute Wer die wechselvolle Geschichte der Kirche in den Blick nimmt, Die Predigt im wird gewahr, dass sich das Predigen im Laufe der Zeit immer wieder Laufe der Zeit gewandelt hat. Das ist nach dem zuvor Gesagten nicht verwunderlich, da

es ja schließlich ein wichtiges Kennzeichen der Predigt ist, dass sie sich neben der Orientierung an der biblischen Botschaft - möglichst sorgfältig auf die Lebenswelt der Menschen einstellt, die sie erreichen will. Weil die Predigt in diesem Sinne zeitgemäß zu sein hat, ist es am Schluss dieses einleitenden Kapitels nur folgerichtig, dass in einem Buch über das Predigen der Frage nachgegangen wird, wie diese Lebenswelt heute cha­ rakterisiert werden kann. Der nachfolgende Versuch einer groben Analyse von einigen der für das Predigen relevanten gesellschaftlichen Rahmen­ bedingungen stellt diese Veröffentlichung an einen bestimmten Ort und in eine bestimmte Zeit. Während die zuvor beschriebenen Elemente und Dimensionen des Predigens stärker allgemein gültigen Charakter bean­ spruchen, werden die folgenden Gedanken möglicherweise schon bald von der Wirklichkeit überholt sein. Dabei handelt es sich vor allem um Überlegungen zur »homiletischen Großwetterlage«, die durch Beobach­ tungen der jeweiligen »Lage vor Ort« zu ergänzen sind. 1 . D I E INFORMATIONSFLUT UND D I E VERÄNDERUNG D E S VERSTEHENS

Unsere Zeit, man spricht häufig von der postmodernen Zeit,77 ist dadurch gekennzeichnet, dass sich alles immer schneller verändert. Neues stürmt so rasch und massiv auf uns ein, dass es für die Einzelnen kaum mehr zu verarbeiten ist. Durch zahllose Bücher, Zeitungen, Fernsehen und das Internet werden wir mit Informationen überflutet. Die so genannte Vertaktung der Zeit wird ständig rasanter, was man an den schneller wechselnden Bildfolgen der Fernseh- und Kinowerbung oder an den kürzer werdenden Wortbeiträgen im Rundfunk besonders 77 I Zwn umstrittenen Begriff der Postmoderne vgl. unter anderem J. F. lyotard, Das post­ moderne Wissen. Ein Bericht, hg. v. P. Engelmann, 3. Aufl., Wien 1994; W. Welsch, Unsere postmoderne Moderne. 5. Aufl., Berlin 1997, bes. S. 1-43.

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drastisch wahrnehmen kann. Ein Vorteil dieser Informationsfülle ist, dass das Wissen heute immer mehr Menschen zugänglich ist und dadurch die Macht der Experten relativiert wird. So weiß zum Beispiel mancher Patient durch das Internet und die darin zu findenden Selbst­ hilfegruppen inzwischen mehr über seine Krankheit als der behan­ delnde Arzt. Und den Predigern kann es bei ihren Hörern ähnlich ergehen. Allerdings sind der Aufnahmekapazität des Menschen Gren- Informations­ zen gesetzt. »Je mehr Informationen auf das Individuum einstürzen, flut desto stärker verschwinden Hintergrund, Zusammenhang und das Gefühl für die Wertigkeit der Information, bis zu dem Punkt, an dem sich die Informationsflut in ein >weißes Rauschen:> •





hat sich . . . der

Prediger vielmehr nach seinen zuhörern/weil sie nach ihm nicht kön­ nenlzu richten: Allezeit aber mehr auff die einfältigen/so den meisten theil machen als auff etliche wenige gelehrte zu sehen. « 99 Ob wir als Prediger »einfältige« oder »gelehrte« Menschen vor uns haben: Für unsere Hörer predigen wir! Sie sollen die Botschaft der Predigt besser aufnehmen und verarbeiten und mit dem Gehörten mehr anfangen können. Damit das geschehen kann, brauchen Prediger eine genauere Kenntnis von Gesetzmäßigkeiten und Regeln, wie sie beim Predigen am besten mit ihren Hörern »umgehen«.

I. Für die Predigt lernen Prediger wissen in der Regel viel von ihrem Predigttext, aber oft wenig von ihren Hörern. Hörer hingegen können nur selten eine Aus- Was haben kunft darüber geben, was sie im einzelnen »von der Predigt haben«. Hörer von der Das zu erfahren, ist für den Prediger wichtig. Er stellt in solchen Predigt? Gesprächen fest, was seine Predigt bewirkt hat. Dabei kann er bemer99 I P.]. Spener, PiaDesideria, Hg. v. K. Aland, 1940, S. 79.

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ken, dass die große Mühe, die er für seine Predigt aufwendet, nicht umsonst ist. Genau festgestellte Hörerreaktionen helfen dem Prediger, etwas dazuzulernen. Er erfährt, wie er seine Sache besser anpacken kann. 1 . D I E GEMEINSAME VERANTWORTUNG VON PREDIGERN UND HÖRERN

Wenn ein Prediger seine Hörer fragt, warum sie eine Predigt hören wollen, wie sie diese aufnehmen und verarbeiten und was sie mit dem Gehörten anfangen, erhält er - in der Regel - nur unbestimmte Ant­ worten. Man bestätigt ihm zum Beispiel: •

dass man von der Predigt etwas mitnimmt (aber was?)



dass man dem Prediger gern zuhört (aber warum?)



dass man aufgerüttelt wurde (mit welchen Folgen?) Manche Hörer, die nichts Positives zu sagen wissen, schweigen

lieber. Andere möchten sich zwar mit Kritik an den Prediger wenden: »Ich war heute mit Ihrer Predigt nicht einverstanden . . . « , aber das fällt dem Hörer unmittelbar nach der Predigt schwer. Denn er spürt, dass der Prediger leicht verletzlich ist. Dieser hat eine Anstrengung hinter sich. Er hat - im doppelten Sinn des Wortes - etwas »von sich gegeben« und braucht nun etwas Abstand, um sachlich reagieren zu können. Auch das ist zu bedenken: Wenn dem Prediger der Umgang mit seinen Hörern nicht so gelungen ist, wie er es wollte, hat er ein ungutes Gefühl. Er ist mit der Frage beschäftigt: Wie hätte ich das Evangelium den Hörern besser nahe bringen können? Wie ein Sportler nach einem Wettkampf braucht der Prediger unmittelbar nach dem Gottesdienst Schonung. Das spüren Hörer, die helfende Kritik üben wollen. In vielen Gemeinden sind Gemeindeglieder dazu bereit, Mit­ verantwortung für die Predigt tragen. Manchmal ist es die Frau des Predigers, ein guter Freund. Oder es trifft sich ein Kreis von mehreren Predigthörern, vielleicht gibt es eine Gottesdienstvorbereitungsgrup­ pe, die nach dem Gottesdienst »Manöverkritik« übt und sich mit dem Prediger verständigt. Wie die gemeinsamen Verantwortung für das Predigtgeschehen im einzelnen wahrgenommen werden kann, wird in Kapitel 6 näher erläutert. An dieser Stelle sollen einige Hinweise genügen, wie Hörer ihrem Wie Hörer Prediger am besten helfen können. Von lohn Wesley (1703-1791), Predigern helfen dem Begründer der methodistischen Bewegung in England, wird be­ können richtet, er habe seine (sehr ausführlichen!) Predigten vorab seiner Magd 86 ........... •

vorgelesen. Die Möglichkeit, ein Predigtmanuskript probeweise vorzutragen oder lesen zu lassen, müsste eigentlich jedem Prediger ohne Gemeinsame große Mühe offen stehen. Aussichtsreicher dürfte es jedoch sein, wenn - Gottesdienst­ wenigstens gelegentlich - eine Gruppe von Mitarbeitern schon an der vorbereitungen Vorbereitung von Gottesdienst und Predigt mitwirkt. loo Im gemeinsamen Beten bleibt im Blick, dass im Gottesdienst Gott es ist, der den Menschen dient und nicht umgekehrt. Das Thema oder der Text wird gemeinsam ausgewählt. Predigtreihen werden längerfristig geplant und die Gottesdienste mit ansprechenden Elementen gestaltet. Der Prediger kann in der Planung einbringen, was er sagen will. Seine Partner korrigieren ihn oder machen ihm Veränderungsvorschläge. In manchen Gemeinden hat man sich darauf verständigt, dass das Predigtmanuskript vorher von Teammitgliedern gegengelesen wird. Dies nicht, um

um

die Wirkung des Heiligen Geistes auszuschalten, sondern

die Predigt insbesondere im Hinblick auf die Hörerorientierung zu

überprüfen und sie insgesamt qualitativ zu verbessern. Ein solches Vorgehen bietet sich besonders dort an, wo man sich gezielt an kirIOI chendistanzierte Menschen wendet. Auch wenn die gemeinsame Predigtarbeit Zeit und Kraft kostet, werden die Vorteile überwiegen: Vieles kann vor der Predigt geklärt werden. Das Gespräch nach der Predigt fällt dann sachgemäßer aus. Das gegenseitige Vertrauen der Vertrauen Gruppe, die den Prediger trägt, lässt auch Kritik zu. Wenn der Prediger ermöglicht solche Hilfe findet, wird er besser predigen lernen. Den Partnern des kritische Kritik Predigers wird es ähnlich ergehen: Sie werden das Predigthören besser lernen und Predigern sachkundig helfen, ihre Aufgabe zu erfüllen. 2 . ERFAHRUNGEN Z U M MITEINANDER VON PREDI GERN UND H ÖRERN

Aus der unterschiedlichen Perspektive von Predigern und Hörern ergeben sich hinsichtlich der Gestaltung und Auswertung der Predigt verschiedene Fragestellungen. Hörer möchten beispielsweise wissen:

100 I Eine Vielzahl von Anregungen für die gemeinsame Gestaltung von Gottesdiensten bietet K. Douglass, Gottes Liebe feiern. Aufbruch Zillll neuen Gottesdienst, 2. Aufl., Emmels­ büll 2000, bes. S. 151 ff. 101 I Hier bietet es sich auch an, eine Kurzfassung der Predigt in geschriebener Form Zillll Mitnehmen bereitzuhalten. Darüber hinaus könnte Gottesdienstteilnehmern mit Hilfe eines "Feedback-Zettels« die Möglichkeit zur schriftlichen Rückmeldung gegeben werden.

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Warum hat mich diese Predigt angesprochen? Warum konnte ich von der Predigt viel behalten und etwas damit anfangen?



Warum habe ich mich geärgert? Warum hat sie mir nichts gesagt?



Warum hat meine Predigt die Gemeinde angesprochen? Was an

Prediger möchten gerne wissen: meiner Predigt hat dazu geführt, dass viele Zuhörer ermutigt nach Hause gingen? •

Warum habe ich diesmal keine Rückmeldungen bekommen? War­ um richtet meine Predigt offenbar so wenig aus? Auf solche Fragen können eine Reihe von Antworten gegeben wer­

den. Im Verlauf dieses Kapitels werden zum Beispiel drei Typen des Redens und Hörens vorgestellt, die dazu beitragen können, dass die Predigt ihre Hörer erreicht. In Kapitel 7 werden dann die Prediger­ Hörer-Beziehung und die Wirkung der Predigt nochmals aus einem kommunikationswissenschaftlichen Blickwinkel untersucht. Zunächst aber soll an dieser Stelle die eigene Erfahrung reflektiert werden. Dem soll folgende Übung dienen. Bitte schreiben Sie auf, was Ihnen zu folgenden Fragen einfällt:



Übung

FRAGEN F Ü R HÖ R E R :

Denken Sie darüber nach, wie der Prediger, den Sie regelmäßig hören, beim Predigen mit Ihnen umgeht: •

Die Predigt spricht mich an!nicht an, weil .



Ich kann der Predigt folgen/nicht folgen, weil .



Der Prediger spricht seine Hörer direkt anlist unverbindlich. Das merkt man daran, dass .



Die Predigt würde mir besser gefallen, wenn der Prediger .

FRAGEN F Ü R PREDI G E R : •

Was ist mir in einer meiner letzten Predigten am besten gelungen!



Wo hatte ich den Eindruck, dass die Hörer dabei waren, wo weni­

weniger gelungen? ger? •

Bestimmte Stellen haben mir bei der Vorbereitung Schwierigkeiten bereitet. Wie erging es mir damit beim Predigen?



Ist mir klar geworden, worauf ich mit meiner Predigt hinauswollte, welches Ziel ich damit verfolgte?

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Diese Fragen können Predigthörern und Predigern helfen, sich ihrer Erfahrungen mit der Predigt und dem gemeinsamen Weg des Verste­ hens der biblischen Botschaft bewusster zu werden. Davon können Prediger und Hörer je für sich und ihren Anteil am Predigtgeschehen profitieren. Wenn es darüber hinaus gelingt, diese Erfahrungen in einer Gruppe von Predigern und Hörern auszutauschen, können beide Sei­ ten, Prediger wie Hörer, miteinander zu Fachleuten der Predigtkom­ munikation werden. Sie können in gleicher Weise für die gemeinsame Verantwortung der Predigt lernen. Das ist eine gute Voraussetzung für partnerschaftliche Gespräche. Dazu ist es wichtig, die Erwartungen zu kennen, die an eine Predigt gestellt werden. 11. Erwartungen an die Predigt 1 . D IE PRED I GT - BES SER A L S IHR RUF

Unter Theologen ist es seit geraumer Zeit üblich, von der » Krise der Predigt« zu reden. Einige meinen sogar, man solle im Zuge der »Pre- Krise der digtnot« mit diesem Geschäft überhaupt aufhören. Regelrechte »Kil- Predigt lerparolen« hat man ausgegeben. 102 Es ist schwierig, solche Meinungen zu diskutieren oder gar zu entkräften. Der Zweifel sitzt oft sehr tief. Theologische Ausführungen, die Zweifel nehmen wollen, werden in der Regel als wenig hilfreich empfunden. Es ist zu vermuten, dass ein anderer Weg dem Prediger mehr hilft, der am nächsten Sonntag wieder auf der Kanzel stehen muss. Wenn feststeht, dass er für die Predigt etwas dazulernen kann und dadurch »Erfolgserlebnisse« hat, wird ihm seine Arbeit auch wieder mehr Freude machen. Die gemeinsame Ver­ antwortung für die Predigt in Gebet und Gespräch, von der wir gesprochen haben, hat hier ihren Ort. Sein Zweifel am Sinn des Predigens lähmt den Prediger nicht mehr so sehr. Er behält nur die notwendigen Zweifel an seiner Arbeit. Er wird dann nicht selbstsicher und bewahrt sich ein Wissen um die grundsätzliche Unverfügbarkeit des Redens Gottes. Neben dem Lernen für die Predigt ist ein anderer Gesichtspunkt wichtig, ob das Predigen einen Sinn hat: das Interesse vieler Menschen an der Predigt. Die Information mag manchen erstaunen: An gewöhn-

102 I G. Theißen, Über homiletische Killerparolen - oder die Chancen protestantischer Pre­ digt heute, in Praktische Theologie (1997), Heft 3-97, S. 179-202.

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lichen Sonntagen hören in der Bundesrepublik etwa eine Million Christen eine Predigt in einem evangelisch-Iandeskirchlichen Gottes­ dienst (nach Angaben von K.-W Dahm), einer neueren Erhebung zufolge kommt dazu mehr als eine weitere Dreiviertelmillion Hörer aus dem Raum der evangelischen Freikirchen. Andere kirchliche Traditio­ nen sind damit ebenso wenig erfasst wie die Hörer und Zuschauer von Verkündigungssendungen in Rundfunk und Fernsehen sowie Leservon christlichen Andachten in Zeitschriften und Magazinen, wenn wir >:, Predigt« einmal weiter fassen wollen. So schwierig es ist, an wissenschaftlich gesicherte Daten in diesem Zusammenhang zu kommen und so sehr es auch andere Gründe gibt, einen Gottesdienst zu besuchen, so deutlich dürfte eines sein: Die Es besteht ein Predigt ist offenbar besser als ihr Ruf. Es besteht eine Nachfrage, ein Bedürfnis nach Bedürfnis nach guten Predigten, die biblisch verwurzelt und auf die guten Predigten Lebenspraxis ausgerichtet sind. 103 Viele evangelische Christen »wollen

etwas von der Predigt haben« , ihr bewusst folgen, sie aufnehmen und verarbeiten können. Aus diesem gestiegenen Hörerbewusstsein er­ wächst dem Prediger die Verpflichtung, so zu reden, dass es eine Einladung zum Hören ist. Das Interesse an der Predigt ist genauer zu untersuchen. Warum wollen viele Menschen eine Predigt hören? Folgendes ist zu vermuten: •

Hörer empfinden einen bestimmten Mangel;



Hörer erwarten auf Grund von Erfahrungen, dass die Predigt des biblischen Evangeliums ihren Mangel mildem oder beheben kann. Man kann ganz allgemein sagen, dass nur derjenige hörbereit ist, der

etwas Bestimmtes braucht und weiß, dass er das Gesuchte in Gottesdienst und Predigt finden kann. Auch wiederholte schlechte Erfah­ rungen bringen den, der hören will, in der Regel über lange Zeit nicht vom Predigthören ab. Mancher hat schon oft im Ärger beteuert, nicht wieder in die Kirche gehen zu wollen und kam dann doch wieder. Ein Hörer lässt sich nicht leicht von der Hoffnung abbringen, dass die Predigt seinen Mangel mildert oder behebt. Denn das Sehnen und Suchen vieler Zeitgenossen nach Halt und Orientierung für ihr Leben 103 I Neuere Daten und Auswertungen zu Gottesdienstbesuch, Erwartungen an die Kirche, Prägekraft der Lehre etc. im Raum der EKD finden sich bei: W. Huber/]. Friedrich/P. Stein­ acker (Hg.), Kirche in der Vielfalt der Lebensberuge. Die vierte EKD-Erhebung über Kir­ chenmitgliedschaft, Gütersloh 2006. Einblicke in die freikirchliche Situation in Deutschland bieten: H.-M. Niethammer Kirchenmitgliedschaft inder Freikirche, Gättingen 1995 (EmK), sowie B. Marchlowitz, Freikirchlicher Gemeindeaufbau, Berlin/New York 1995 (BEFG).

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richtet sich auf Gott, der im Gottesdienst durch die Predigt oder auch an ihr vorbei durch andere Gestaltungselemente reden und wirken kann. 2 . TYPEN DES REDENS UND HÖRENS

Eine Mangellage löst in der Regel Suchbewegungen aus. Das ist eine allgemein menschliche Verhaltensweise. Wer friert, möchte sich wär- Suchbewe­ men. Wer Hunger hat, sucht ihn zu stillen. So sind auch Menschen, die gungen von eine Predigt hören wollen, auf der Suche nach etwas Bestimmtem. Das Hörern ist nicht bei allen Menschen gleich. Es lassen sich aber bestimmte Typen erkennen. Wer sie beschreiben will, muss stark schematisieren. Dasselbe gilt von Redetypen, die geeignet sind, den Suchbewegungen der Hörer entgegenzukommen. Diese Hörer- und Redetypen lassen sich auf Grund langer Erfahrungen des Umgangs von Rednern mit ihren Hörern beschreiben. Zu beachten ist, dass die Typen in der Regel in Mischformen auftreten. Jede Person wird Anteile von allen drei Rede- und Hörtypen in sich tragen. Dennoch hat jeder Hörer und jeder Prediger sein eigenes Profil, seine besondere Art zu hören und zu reden, wenn sich auch die Akzente je nach Lebenssituation nach der einen oder anderen Richtung hin verschieben können. Hörer werden auf den folgenden Seiten wiederfinden, was sie in besonderer Weise in der Predigt suchen und was sie an bestimmten Redetypen stört. Der Hörer kann erkennen, was sein Mangel ist, der eine bestimmte Suchbewegung auslöst. Auch der Prediger wird feststellen, welche Redeweisen ihm besser und welche weniger gut gelingen. Er hat eine bestimmte rhetorische Ausprägung. Wenn er andere Redetypen kennen lernt, kann er versuchen, sich darin zu üben. Dann wird er mehr Menschen ansprechen und bei seinen Hörern mehr und breitere Emp­ fangsbereiche erschließen. Hörer und Prediger können einen weiteren Spielraum gewinnen. Sie können besser hören und reden lernen. Im Folgenden werden drei Typen des Redens und Hörens beschrieben. Sie sprechen jeweils verschiedene »Empfangsbereiche« des mensch­ lichen Bewusstseins an und haben unterschiedliche Wirkungen. Die genannten Redetypen sind seit der Antike bekannt, der grie­ chische Philosoph Aristoteies hat sie in seiner »Rhetorik« dargestellt. Aristoteies vertrat die Auffassung, die Redekunst diene dem »guten Leben« in einer menschlichen Gemeinschaft, während vordem Plato dieselbe als »Schmeichelkunst« abgelehnt hatte. 91 ••

Suchbewegungen

EntspreZeitbezug

von Hörern

Empfangs-

chende

bereiche

Redeweisen

bei Hörern

Lebenssinn

Gegenwart

gewissmachend

Gefühl

Orientierung

Vergangenheit

informierend

Verstand

Entscheidung

Zukunft

herausfordernd

Wille

gewissmachende • Die gewissmachende Rede galt einem Staatsmann oder Wissenschaft­ Rede

ler, um seine Leistungen zu würdigen.

informierende • Die informierende Rede wurde vor Gericht angewandt, um dem Rede

Richter durch Beweise und Argumente zu einem gerechten Urteil zu verhelfen.

herausfordernde • Die herausfordernde Rede wurde in politischen Versammlungen geRede

übt. Der Hörer sollte sich für eine Partei entscheiden und für sein Handeln daraus die Konsequenzen ziehen. Diese Redetypen sind nicht die Erfindung eines Philosophen, son­ dern bündeln Erfahrungen von Rednern im Umgang mit Hörern zu bestimmten Anlässen. Es soll eine vom Redner gewünschte Wirkung erzielt werden. Inwiefern die klassischen Redetypen für die Predigt brauchbar sind, also unter anderen Voraussetzungen, soll im Folgenden . cl 4 geze1gt wer en. 10

a) Empfangsbereich Gefühl Der Mangel an Gewissheit ist in der gegenwärtigen Situation wahr­ scheinlich das stärkste Motiv, um etwas von der Predigt zu erwarten (vgl. Kapitel 1) . Der Hörer weiß nicht recht, woran er sich halten soll. Ihm fehlt Vertrauen in seine Welt. Die Gegenwart ist ihm fraglich geworden. Eine bestimmte Begebenheit hat ihn unsicher gemacht. Das lässt ihn nach Grund unter den Füßen suchen. Oder der Hörer leidet unter kleinen und großen Enttäuschungen: Misserfolg im Beruf, Schwierigkeiten mit seinen Kindern, Angst vor Dingen, die ihm be­ vorstehen. Ein Stück Lebenssinn ist ins Wanken geraten. Er kommt nicht mehr aus eigener Kraft zurecht.

104 I Zur wechselvollen Geschichte der Beziehung zwischen Rhetorik und Homiletik vgl. A. Gräzinger, Die Sprache des Menschen, München 1991, S. 70 fE.

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Suche nach Lebenssinn Menschen auf der Suche nach Lebenssinn kommen in den Gottesdienst. Sie suchen einen Ort der Ruhe und Geborgenheit. Sie möchten Leitmotiv: Gewissheit wiedergewinnen, die ihnen verloren ging. Ist der Glaube, Suche nach der für sie bisher galt, noch tragfähig? Eigene Zweifel und die ständige Vergewisserung »Antipredigt« des Alltags haben das in Frage gestellt. Dem regelmäßigen Predigthörer begegnen viele Meinungen, die seinem Glauben widersprechen. EIN BEISPIEL.

Am Sonntagmorgen hat die Frau von ihrem Mann zu hiiren bekommen: »Musst du schon wieder in die Kirche rennen? Was soll das eigentlich!« Dieser Frau kommen auf dem Weg zur Kirche Zwei/el, ob ihr Mann nicht recht hat und ob sie es nicht wie viele Menschen machen sollte, die sie kennt: am Sonntagmorgen ausschlafen oder ins Grüne fahren. In einer solchen Gemütsverfassung sucht die Frau Hilfe in der Kirche. Sie erwartet vom Predi­ g� dass er sie wieder in die Geborgenheit des Glaubens einordnet, die sie bei ihrem Mann und bei anderen Menschen nicht findet. Das Erleben des Gottes­ dienstes soll sie wieder in die Gotteskindschaft einsetzen. Sie möchte zusammen mit Menschen, die wie sie Glaubenssttirkung suchen, aufatmen konnen, frei von der Bedrängnis des Widerspruchs gegen ihren Glauben. Sie mochte am Sonntag »auftanken«, um bereit zu werden für die ungewissen Tage, die vor ihr liegen. Der Hörer, der aus seinem grauen Alltag kommt, sucht aber mehr als Ruhe und Geborgenheit. Er sucht nicht nur Zuspruch und Erbauung, sondern auch eine kraftvolle Erhebung und festliche Freude. Die dunklen Gedanken sollen von hellem Licht vertrieben werden. Der Hörer will hinter sich lassen, was war, und sich nicht um das sorgen müssen, was kommt. Er möchte feiern, in dieser Stunde etwas von der Erfüllung seiner Sehnsüchte erleben, dem Wirken Gottes spürbar nahe sem. Es wäre kleinlich zu fragen, welche Konsequenzen die Zuhörenden aus einer Festpredigt ziehen. Ihr Erleben hat einen Wert in sich und ist nicht nach seinem Nutzwert zu beurteilen. Nach einem erhebenden Urlaubserlebnis oder nach einem schönen Konzert fragt man auch nicht nach einem »Erfolg« . Das ästhetische Erleben steht für sich. Ferner ist zu beachten, dass sich ein Mensch in der Regel erst umorientieren kann, wenn er sich selbst (wieder)gefunden hat. Dann kann er aufgefordert werden, erste Schritte in eine andere Richtung zu tun. Zuerst muss ein Mensch aufrecht stehen; dann kann er um sich sehen und vorwärts gehen. 93 ••

Bitte nehmen Sie sich Zeit für die folgende Übung:



Übung

F R A G E F Ü R HÖ R E R :

Wahrscheinlich erinnern Sie sich an bestimmte

Situationen in Ihrem Leben, in denen Ihnen eine Predigt geholfen hat. Versuchen Sie, den Mangel zu beschreiben, den Sie damals hatten, und was Sie von der Predigt, von ihrer Art und ihrem Inhalt und vom Prediger (seine Stimme, seine persönliche Erscheinung, seine Art zu predigen) behalten haben. F R A G E F Ü R PREDI G E R :

Beschreiben Sie Ihre Reaktion, wenn Ihnen

jemand nach dem Gottesdienst dankbar die Hand drückt und Ihnen sagt: »Das war heute eine schöne Predigt! « , oder: »Es war so feierlich!« Wie beurteilen Sie das Empfinden des dankbaren Hörers und Ihre Reaktion darauf? Wer auf der Suche nach Lebenssinn ist und erlebt, dass er Grund unter den Füßen, Erbauung und Erhebung findet, wird besonders in seiner Gefühlswelt angesprochen. Ein sehr nüchterner Gottesdienst und eine lehrhafte Predigt über Probleme, die den Hörer nicht unmit­ telbar betreffen, sprechen ihn weniger an. Sein Verstand ist ohnehin in seiner rationalen Alltagswelt stark gefordert. Sein Wille ist im Gottes­ dienst nicht darauf gespannt, neue Aufgaben gestellt zu bekommen. Wer die ganze Woche hart arbeiten musste, möchte sich am Sonntag­ morgen ausruhen und etwas Positives aufnehmen können. Viele Hörer sind über den Empfangsbereich Gefühl am leichtesten ansprechbar. Sie sind weniger »Verstandesmenschen« oder »Willens­ »Gefühls- menschen«, sondern eher »Gefühlsmenschen« . Sie erleben die Welt menschen« nicht zuerst im Zugriff ihres Verstandes oder Willens, also nicht lo­ gisch geordnet. Sie bemühen sich auch nicht ständig

um

eine solche

Ordnung. Sie erfahren die Welt vielmehr in Augenblicken, in Bildern, in Stimmungen. Sie registrieren die Dinge, die ihnen begegnen, zuerst gefühlsmäßig: mit Sorge, Angst, Aggression, Trauer, Mitgefühl, Hin­ gabe, Freude. Sie wollen durch Erbauuog uod Erhebung Gewissheit über den Sinnzusammenhang ihres Lebens gewinnen, nicht mit Hilfe des Kopfes, sondern des Herzens. Sie suchen im Gottesdienst weniger Belehrung oder Appell als vielmehr »Spiritualität« , ein geistliches Erleben, das den Menschen als ganzen anspricht.

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Gewissmachende Rede Es sind mehr Menschen, die zu dem geschilderten Hörertyp gehören, als protestantische Prediger im allgemeinen annehmen. Diese geben sich oft nüchtern-lehrhaft und verdrängen dabei ihre Gefühlswelt. Die Predigt soll nicht schön oder feierlich sein, sondern ernst und inhalts­ reich. Ohne sich dessen bewusst zu sein, meinen viele Prediger, man brauche nur die Inhalte eines Predigttextes richtig zu erklären: die Hörer würden dann schon verstehen, worum es geht. Aber das ist ein Die Zuhören­ Irrtum. Wenigstens am Anfang einer Predigt sollte ein Prediger auf die den abholen gefühlsmäßigen Suchbewegungen der Zuhörenden achten, um sie dort abzuholen und weiterzuführen. Prediger und Hörer auf der Suche nach Lebenssinn können sich begegnen und miteinander kommunizieren. Dafür eignet sich in be­ sonderer Weise das gewissmachende Reden. Wem die Hörersituation klar ist, dem werden sofort eine Reihe von Bibeltexten einfallen, die trösten, ermutigen und erfreuen wollen. Einige Beispiele: •

>:> •





und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein

Unglück; denn du bist bei mir.« (Ps 23,4) •

»Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen.« (Ps 103,1)



»In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.« Gah 16,33)



»Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.« (Mt 5,3)

• •

»Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?« (Röm 8,31) »Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.« (Apk 2 1 , 1 ) Wer eine Bibelkonkordanz unter den Stichworten: fürchten} sorgen}

trosten} helfen} lieben} freuen} loben aufschlägt, findet eine Fülle bibli­ scher Worte, die unmittelbar zu Menschen auf der Suche nach Le­ benssinn sprechen und Prediger zu einer gewissmachenden Redeweise anregen. Bibeltext und Redeweise sollten einander entsprechen. Der Prediger hat also nicht nur auf die Erwartungen seiner Hörer zu achten, auf ihren Bibeltext und Mangel, sondern auch auf die Form des Bibeltextes, um seinen Inhalt Redeweisen angemessener zur Sprache zu bringen. Denn Form und Inhalt sind oft sollten sich nicht voneinander zu trennen. Man würde z. B. dem Schöpfungs- entsprechen hymnus Psalm 8 Gewalt antun, wenn man ihn für eine Klärung des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaft benutzte. Der •

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Schöpfungsbericht Genesis 1 in seiner lehrhaften Form legt ein solches Thema eher nahe. Das folgende Beispiel zeigt, wie der Kurseelsorger Wilhelm Knuth versuchte, den Bibeltext Lukas 12,22-31 mit der Form seiner Predigt in Einklang zu bringen. Dabei führt er die Hörer - Urlauber auf einer Nordseeinsel - gleichsam aus der Kirche hinaus und lässt ihnen die Natur zum Gleichnis der Sorge des Vaters für die kleingläubigen Menschen werden. Der Prediger überträgt u. a. das Bild von den Lilien und dem Gras auf das Dünengras und preist den, der für das Gras, die Dünen und noch viel mehr für die Menschen sorgt:

»Seht das Dünengras an! So klein es ist} es erfüllt seine Aufgabe. Es verhindert die Bildung der gefährlichen Wanderdünen und schützt damit Wald und Feld vor Versandung. WIe kann es mit der Sonnenglut auf dem dürren Flugsand leben? Es hat Wurzeln} die mehr als zehnmal so lang sind wie das Grüne. Sie holen die Nahrung aus der Tiefe. Nur wenn es dem Windgelingt} die Düne von unten her an den Wurzeln des Strandhafers zu packen} kann er sie verwehen. Das Gras lost seine Probleme} - undfür uns Menschen sollte es keine Quellen in der Tiefe geben} aus denen wir leben konnten? 10

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Unser Urlaub wird dann geglückt sein} wenn wir uns den Ausweg aus den Schwierigkeiten unseres Lebens zeigen lassen. Diesen Weg hat Gott für uns bereits gebahnt. Ebenso hat er uns hingst Halt und Quellen der Tiefe gegeben in seinem Wort. Er selbst ist der Urgrund unseres Seins. Gott liegt bestimmt mehr an seinen Menschenkindern als an der übrigen Natur. Wenn er die Verhaltnisse der kleinsten Lebewesen so wunderbar ordnet} hat er auch den Lebensplan bereit} derfür uns gut ist. Jesu Aufforderung: Seht! heißt also: Nicht nur "sthetisch die Schonheit der Natur genießen oder sie biologisch untersuchen} sondern ihre Symbolsprache lernen! Diese Sprache wird nicht nur von der Natur gespnxhen und ist nicht nur im Urlaub zu horen. Wir werden Schritt für Schritt weiter­ kommen} wenn wir das hier Gelernte im täglichen Leben und auch in der Steinwüste der Großstadt anwenden. Wir sindgeheilt} wenn wir die liebevolle Fürsorge des Vaters für uns in unserem eigenen Leben erkennen lernen. Dann wird die Kritik an seiner Führung unseres Lebens verwandelt in das Vertrauen des Kindes} das beim Vater geborgen ist. « 105 Dieser Predigtabschnitt ist darum interessant, weil er zeigt, wie die zwei Redetypen ineinander übergehen. Das Bild des Dünengrases, das zur Meditation anregen will, wird zum Lehrmeister gegen das Sorgen 105 I w. Knuth, Zwischen Sorge undFreude, Gladbeck 1973, S. 12.

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(informierend-erklärend). Der Prediger hat für das meditative Reden viele Mittel. Er kann auch seine eigene heillose Lage zum Gleichnis machen. Eine Ehefrau und Mutter sprach das so aus: Oft packt mich die Angst. Ich habe MS Gefühl, aufeiner dünnen Eisschicht zu stehen} und es knackt schon. Da sind hundert Fallen} die mich bedrohen. Mein Mann - ob er nicht beim Autofahren verunglückt? Die Kinder - was wird aus ihnen in dieser unheimlichen Welt? Meine Freundin - sie hat Krebs und wird nur noch wenige Monate leben. Morgen kann das mir passieren. Manchmal forsche ich vor dem Spiegel ängstlich nach den ersten Falten in meinem Gesicht. Wie werde ich aussehen} wenn ich 60 bin oder 70? Verbittert} verhärmt oder weise und heiter? Irgendwann wird dieses Gesicht nicht mehr lächeln oder weinen} irgend­ wann wird es starr sein} zu Staub werden. Mein Gesicht} es ist mir nur geliehen wie mein Leben. Ein Geschenk} das ich verschwenden kann oder nutzen. Das ist keine »schöne Rede«, wie sie in der griechischen Redekunst geübt wurde. Sie preist nicht den Menschen in seiner Herrlichkeit, sondern beschreibt ihn in seiner Angst. Er soll nicht »empor gejubelt« werden. Es geht um seine Erhebung aus der Tiefe durch Gottes retten­ des Handeln, wie er es in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten für alle Zeiten gültig gezeigt hat. Weil Menschen darin Trost finden, braucht dem Hörer über seine heillose Lage nichts vorgemacht zu werden. Es fällt dem Hörer leichter, mit dem Prediger überein zu stimmen, wenn dieser wie die Frau offen »ich« sagt, in der Zeitform der Gegen­ wart (»oft packt mich . . . , ich habe das Gefühl . . . , manchmal forsche ich vor dem Spiegel . . . «). Dann sind Hörer und Prediger einander ganz Hörer und nah. Beide stehen in diesem Augenblick vor Gott. Die Worte des Prediger stehen Predigers können ohne Mühe in ein Gebet übergehen. So lesen wir es in gemeinsam vor den Psalmen. Beter und Bekenner schildern ihre ausweglose Lage und Gott die Rettung aus der Not (z. B. Ps 22) . Aus der Gottverlassenheit wird ein Mensch herausgerissen und lobt Gott dafür, dass sein Gebet erhört wurde (V. 20-25). Wie leicht ein Hörer mit dem Ich des Predigers übereinstimmen kann, zeigt auch der folgende Ausschnitt aus einer Weihnachtspredigt von Bernhard Fitzke. Nachdem er als Theologiestudent die typischen Redeweisen kennengelernt hatte, entwarf er eine reine Form der ge­ wissmachenden Predigt: 97 ••

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»Fürchtet euch nicht!« hat ein Engel gesagt. Fürchte ich mich? »Ich verkündige euch große Freude. Euch ist heute der Heiland geboren. « Ich sehe nur einen armseligen Stall. >:> Welcher ist Christus der Herr. « Habe ich nicht Herren genug? Wie gern mochte ich dem Engel glauben! Wie gern ginge ich nach Bethlehem! . Nur ziJgernd sind die ersten Schritte auf dem Wege nach Bethlehem. Meine Schritte werden dann schnell� denn ich war nicht gern} wo ich herkomme. Aber weiß ich, wo ich ankommen werde? Und dann stehe ich vor dem Stall, über ihm der Stern} vertraut und fremd zugleich. Ich trete ein. Mutter und Kin� die Krippe, alles sehe ich nicht zum ersten Mal} alles ist so, wie es Tausende zuvor liebevoll gemalt und erzählt haben. Alles ist mir wohlvertraut, doch ich sehe mit neuen Augen. Es ist hell hier im dunklen Stall. Meine Augen sind aufgetan, entzündet am Lichtschein der Krippe, und erst jetzt sehe ich mit Entsetzen, aus welcher Dunkelheit ich kam. Was mir Licht schien, war der Mantel der Finsternis, der Vorhang der Dunkelheit, war mein Verhtingnis, doch der Vorhang zerreißt von oben an bis unten durch: Hier ist Licht!« Der Prediger versucht, Hörer aus ihrer Dunkelheit zu befreien und sie in das Licht des Evangeliums zu führen. Die Gemeinde wird dann in großer Freude einen Choral singen können: Das Wort des Predigers und der Lobpreis der Gemeinde werden zu einer Einheit. Der Prediger ist kein einsamer Solist. Er ist eingebunden in den Gottesdienst der Ge­ meinde. Er ist das Gemeindeglied Prediger. Er wirkt wie andere Ge­ meindeglieder am Gelingen der gottesdienstlichen Feier mit. Diese und die Predigt in ihr ist Sache der Gemeinde. Hierzu eine weitere Übung:



Übung

FRAGEN F Ü R HÖ R E R :

Was hat Sie beim Lesen der Predigtausschnitte

bewegt? Was spricht Sie an/was hat Sie gestört? FRAGEN F Ü R PREDIGE R :

Können Sie so predigen, dass Menschen

ermutigt und erfreut werden? Überprüfen Sie bitte einmal einige Predigtmanuskripte. Welche Art zu reden fällt Ihnen leichter: das Verweisen auf ein fremdes Beispiel oder das Reden über eigenes Erleben? Trauen Sie sich zu, Redeweisen einzuüben, die Ihnen weniger liegen?

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b) Empfangsbereich Verstand Bei der Suche nach Lebenssinn und bei der ihr entsprechenden gewissmachenden Redeweise geht es darum, dass Menschen wieder aufrecht stehen können. Sie sollen erbaut und erhoben, gestärkt und von dem auf ihnen lastenden Druck befreit werden. Solche psychische Entlastung und Stärkung ist eine wichtige Seite. Wem jedoch aus dem Loch einer seelischen Tiefstimmung herausgeholfen wurde, braucht Leitmotiv: auch Informationen, warum Gott ihm in seiner Not hilft und wo der Suche nach feste Grund für die weiteren Schritte zu finden ist. Ein Prediger wird Orientierung sich deshalb darum bemühen, auch den Verstand anzusprechen. Got­ tesdienstbesucher sollen nicht nur in eine festliche Ruhe hineingenommen werden, sondern sich in ihrer Welt besser orientieren können. Hörer sollen nicht nur aufrecht stehen, sondern auch um sich sehen und dann vorwärts gehen.

Suche nach Orientierung Wenn ein Mensch unter einem Mangel an Lebenssinn leidet, kann er meistens keine neuen Informationen aufnehmen. Er sieht nichts, weil es um

ihn herum dunkel ist. Darum sucht er nach Licht. Wenn er es

findet, meint er oft, jetzt alles zu haben. Seine Suchbewegung ist befriedigt. Das dürfte auf viele Predigthörer zutreffen. Sie weiterzu­ führen, ist nicht leicht. Weil dieses ein wesentliches Interesse der christlichen Verkündigung ist, wird der Prediger besondere Sorgfalt darauf verwenden müssen, dass vom Gefühl her bestimmte Hörer ihre Suchbewegung fortsetzen. Sie brauchen nicht nur die Bestärkung ihres Glaubens. Sie sollen auch darin wachsen, etwas dazulernen, die Kreise ihres Lebens erweitern. Außer »Gefühlsmenschen« gibt es Hörer, die in der Predigt vor allem anderen etwas lernen wollen. Sie sind »Verstandesmenschen« »Verstandes­ und suchen logisch klare Argumente, die für den christlichen Glauben menschen« sprechen. Auch sie leiden unter einem Mangel. Sie sind gewohnt, die Welt durch den Zugriff der Vernunft zu begreifen. Aber das gelingt ihnen oft nicht, wenn es um Glaubensfragen geht. Darum kommen sie zur Predigt und suchen Antwort. Ein Mensch versteht beispielsweise bestimmte Probleme seines Lebens nicht mehr. Er kann sich keinen Reim darauf machen. Er möchte einen Überblick haben, hindurchschauen, beurteilen und ordnen können, was ihm unklar ist. Vielleicht hat er mit seinen bisherigen Informationen über Glauben und christli99 ••

ches Leben Schiffbruch erlitten. Ihm geht es jetzt darum: Wie kann mein Glaube neu gegründet werden, wie kann ich im Glauben wach­ sen? Der Hörer will eine Auskunft, die er mit seinem Verstand begreifen und die er anderen in einem logischen Gedankengang in begrifflicher Klarheit darlegen kann. Er will verstehen, wie sein gegenwärtiges Leben mit der Tradition, der Vergangenheit in Verbindung steht. Dafür braucht er Informationen und Deutungshilfen, die der Kritik der Vernunft standhalten. Die heranwachsende Tochter hat dem Vater oder der Mutter entgegengehalten: »Der Pfarrer mit seinen Wunderge­ schichten -, das sind doch Märchen, die man einem vernünftigen Menschen nicht zumuten kann!« Die Eltern suchen darum eine Infor­ mation, was die Wunder J esu heute bedeuten. In einer solchen Unsi­ cherheit kann es dem Hörer helfen, wenn der Prediger ihm Auskunft gibt, wie er persönlich mit dem Wunderbericht umgeht, wie er ihn in sein Weltbild einordnet. Auch wenn der Hörer dann zu dem Urteil kommt, dass ihm das nicht so gelingt wie dem Prediger, weil ihm vieles verstandesmäßig noch unklar ist, wird er den von ihm vorgetragenen Lösungsversuch respektieren. Der Hörer erwartet eine persönlich ge­ färbte Lösung, ein Bekenntnis im Zusammenhang einer Information über Glauben und Leben. Suche nach Orientierung ist also nicht allein durch eine nüchterne Information zu befriedigen. Logische Sätze und klare Begriffe genügen nicht. Der Hörer erwartet von der Predigt etwas anderes als von einem theologischen Vortrag. Das macht vielen Predigern Mühe. Sie tragen zwar Glaubensinformationen »theologisch sauber« vor, die Predigt gerät »totrichtig« (R. Bohren). Sie spüren zugleich, wie wenig ihnen davon abgenommen wird. Offensichtlich sind die großen Worte der Bibel zu schwer für die Hörer. Sie gleichen eher Steinen als Brot. Predigt des Evangeliums dagegen ist einem guten Essen zu verglei­ chen, zu dem die Gäste sich gerne einladen lassen. Wenn diese fern­ bleiben, resignieren viele Gastgeber, die Prediger. Mancher fragt: Sollte kein Hunger nach der Wahrheit des Evangeliums unter den Menschen sein (vgl. Am 8 , 1 1 ) '

Informierende Rede Ähnlich wie mit Menschen, die vorwiegend im Empfangsbereich Gefühl ansprechbar sind, ist es mit den Hörern, die die Welt im Zugriff 100 ........... •

ihres Verstandes begreifen. Sie brauchen eine Redeweise, die Glau­ bensinformationen vom Prediger zum Hörer transportieren. Das ist Glaubens­ nicht leicht. Darum ziehen manche Hörer, die Argumente für den informationen christlichen Glauben brauchen, eine Gruppendiskussion vor. Aber transportieren auch eine Predigt kann das leisten. Im Folgenden werden zwei Beispiele informierender Redeweise vorgeführt. Diese wollen - wie alle Beispiele - zur kritischen Ausein­ andersetzung anregen. In einer Predigt über die Jungfrauengeburt J esu Christi hat Bischof Hanns Lil je gezeigt, wie eine schwierige dogmatische Aussage dem Hörer nahegebracht werden kann. 106 Lilje nimmt am Anfang seiner Predigt die kritischen Anfragen seiner Hörer an diese »unglaubliche Geschichte« ganz ernst, weist Missverständnisse zurück und erklärt dann, warum im Bekenntnis zur Jungfrau Maria >:. die Garantie unseres Heils« verkündigt wird. Lilje stellt seine Information darüber vor den Hörer hin, damit er sich ein Urteil bilden kann:

»Zuerst: Unser HerrJesus ist in unsere irdische Welt hineingegangen. Er ist geboren. Er ist Mensch geworden. Er hat das Unbegreifliche getan und unser gesamtes menschliches Schicksal tatstichlich auf sich genommen. Keine der Weltreligionen} so viel sie auch von den Inkarnationen ihrer Gotter reden} hat uns zu sagen gewagt} was die Christen von ihrem Herrn bekennen: dass er wie einer von uns geworden ist. Das heißt: Wir sind nicht allein gelassen in der Wirrnis von Gewalt} Schul� Lebensangst und Todesfurcht. Gott ist da. Jesus ist zu uns gekommen. Zweitens aber wird an dieser Stelle des Evangeliums eine Tatsache bezeugt} die nicht weniger wichtig ist:Jesus ist nicht einfach unser Kamerad geworden} sondern unser Heiland. Und das war moglich} weil er nicht von unserer Art und nicht aus unserer Welt war. An diesem Punkt hängt nun alles. Darum war es ein so elementares Miss­ verständnis der christlichen Botschaft} als man anfing} einen artgemäßen Christus zu verkündigen. Gerade daran hängt alles} wirklich alles} dass er nicht unserer Art ist - Gott von Gott} Licht vom Lichte} wie das alte nietinische Glaubensbekenntnis es aussagt. «

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Vielen Predigern fällt ein dogmatisches Argumentieren schwer. Sie vermuten, dass die Hörer nicht durch »ewige Wahrheiten von oben« anzusprechen sind. Im Predigerseminar Loccum hat man darum eine 106 I Abgedruckt in: H.-R. Müller-Schwefe, Zur Zeit oder Unzeit, Stuttgart 1958, S. 47-55.

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Redeweise zu entwickeln versucht, die den Hörer zu einer Such­ Hörer zur bewegung ermutigt. Er soll mitdenken können, sich wie ein Richter in eigenen einem Prozess ein Urteil bilden. Zum Thema » Weihnachten feiern« Urteilsbildung dürfte Horst Hirschler ein Entwurf gut gelungen sein, den wir hier als ermutigen zweites Beispiel einbringen. lo7

»DerJugendkreis hatte ganz normal begonnen. Erst waren nur drei da, im Laufe der ntichsten Stunden kamen die restlichen acht Jungen und Mtidchen. Wir sprachen über die Arbeit einer Berliner Kirchengemeinde in der Advents­ zeit. Einer hatte von dort ein Flugblatt zugeschickt bekommen. >Aktion Kriti­ sche Weihnacht, stand dick gedruckt darauf >Kehrt von der Konsumorgie zum christlichen Weihnachtsfest zurück. Kauft nicht alles, was ihr kaufen mochtet!, Ein Teil des Weihnachtsgeldes wurde für ein ptidagogisches Zentrum in Afrika erbeten. Wir sprachen darüber. Und plotzlich kamen wir auf den Abend in der eigenen Familie. Es ist 10 einfach langweilig, sagten sie. Einer meinte: Bei der Bescherung ist es ja noch ganz schon, aber spater hockt jeder mit einem Buch in der Ecke, und nichts ist mehr los. Ein Madchen erztihlte: Bei uns ist es auch furchtbar. Meine beiden Brüder kommen mit ihren Frauen, die reden nur über ihren Kram. Und unsere Oma ist da. Manchmal finde ich sie ja ganz gut. Die Brüder wollen immer 15 nicht in die Kirche. Und singen wollen sie schon gar nicht. Aber Oma sagt jedesmal: Kin� ihr wisst nicht, wie lange ich noch lebe, vielleicht ist es mein letztes Fest, singt mir noch einmal die schonen Lieder. Und dann müssen wir uns hinsetzen. Sie teilt Gesangbücher aus, und dann wird ein Lied nach dem anderen gesungen. Dasfinde ich ja noch ganz gut. Aber spätet; nach dem Essen, 20 ist nichts mehr los. - Eigentlich sagte keiner etwas Gutes über den Aben� auch als ich nachfragte. Und dann schlug einer vor: Konnen wir denn nicht Heiligabend hier im Jugendraum . . . ? Wir konnten uns doch um acht, halb neun hier treffen. Da ist zu Hause alles vorbei. Dann machen wir mal Aktion Christliche Weihnacht. 25 Davon kann ich zu Hause sowieso nichts anbringen. Letztes Mal hatte ich eine ganz moderne Weihnachtsgeschichte zum Vorlesen, aber sie winkten nur ab. Wir konnten den Raum schon schmücken. - Ich besorge einen Tannenbaum, riefeiner dazwischen. Wir bringen Musik mit. Wir lesen was Ordentliches vor. Wir machen Spiele . 30 Mir war nicht ganz wohl dabei. Die Aktivitat war ja ganz schon. Aber ausgerechnet am Heiligen Abend? Gehorten sie da nicht in die Familien? Oder 107 I Rundfunkandacht im NDRf\X!DR, abgedruckt in: werkstatt predigt 1/1973, s. 3 f.

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war das zu altmodisch? In vielen Familien ist das ja wirklich ein P'robtem. 'Vas mache'l wir eigentlich an dem Abend? Wer bestimmt das Pt'ogramm? Gibt es überhaupt eins? Die Erwachsenen haben oft Angst vor der Kritik der jungen Leute. Die aber haben das Gefühl, sie kommen nicht zu ihrem Recht. Das Gespräch im JugendkreiS halle Nachwirkungen: Einige empörte Anrufe von Eltern im Pfarramt. Ein sehr gutes Gespräch mit zwei Elternpaaren und ihren Kindern über das, was beiden Seiten zu \Veihnachten fehlt.

Was ist eigentlich ein christliches Weihnachtsfest? Gehören dieLieder dazu? Sollte etwas vorgelesen werden? Was würde zum GeburtstagJesu passen? Dass man sich gegeflSeitig in seine jeweilige Generation entlässt und alt undjungfür sich getrennt feiert? Das kann ja auch mal ni/fig sein, wie ich kürzlich von Eltern mit schon bald erwachsenen Kindern hi/rte, die mit' sagten: UflSere kommen dieses Jahr nicht. Jeder soll das Fest in seiner Weise feiern. Wir sind auch mal froh, l1icht nach der Pfeife UflSerer kritischen Kinder tanzen zu müssen. Aber vielleicht birgt der 'Yleihnachtsabend dach eher die andere MO'glichkeit, dass man sich füreinander Zeit nimmt. Denn wenn Ältere undJüngere versu­

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chen, aufeinander zu horen, sich gegenseitig gelten zu !assen, würde das gut zu dem StilJesu passen.

Aus der geplanten lYIeihnachtsparty wurde dann dach nichts. Hauptsiichlich

20

deshalb, weil durch den P fan ein Gespräch in den Familien begonl1en hatte, waS

sie wohl machel1 kiinnten am Heiligen Abend. Eine Familie machte sogar einen afrikanischel1 Studenten ausfindig und lud ihn für einige Tage eil1. Das war auch eine gute Sache. « Diese Andacht ist nach einem bestimmten Schema aufgebaut wor­ den. Im folgenden Kapitel wird es näher erläutert. Hier ging es nur darum zu zeigen, wie Hörer sich eine Meinung bilden, wie sie sich über »christliche Weihnachten�� orientieren können. Eine weitere Übung: FRAGE F Ü R HÖ R E R : Bitte beschreiben Sie, was Sie beim Lesen der

Übung

h

abgedruckten Predigtausschnitte empfinden. Was spricht Sie an/was

nicht? FRAGE FÜ R P R E D 1 G E R :

Welche Redeweise liegt Ihnen mehr: die dog­

matische Information oder die Suche nach Orientierung zusammen mit den Hörern?

103 . ...............

c) Empfangsbereich Wille Wer aufrecht stehen und um sich sehen kann, ist nicht von selbst in der Lage, vorwärts zu gehen, um Schritte des Glaubens zu tun. Er ist gestärkt und hat sich über die Grundlagen des christlichen Glaubens Leitmotiv: Suche informiert. Er kann sie anderen vielleicht in logischen Sätzen erklären. nach Entschei- Das heißt noch nicht, dass Hörer und Prediger daraus konkrete Kondungshilfen sequenzen ableiten und den christlichen Glauben leben, z. B. indem sie

sich anderen Menschen in Liebe zuwenden, ihnen Gutes tun. Sie selbst haben durch die Predigt die Geborgenheit der Liebe in der Tiefe ihres Gefühls erfahren. Aber ihr Wille hat noch keinen Impuls erhalten, bestimmten Menschen in bestimmter Weise die empfangene Liebe weiterzugeben, die zugesagte Zukunft auch gestaltend » in die Hand zu nehmen« . Das kann eine zum Handeln herausfordernde Redeweise im Empfangsbereich Wille auslösen.

Suche nach Entscheidung Junge Hörer sind vielfach ungeduldig, wenn eine Predigt sich lange »Willens- bei meditativen Betrachtungen und Glaubensinformationen aufhält. menschen« Aber auch andere Menschen, die vor allem die Welt im Zugriff ihres

Willens begreifen, drängen auf eine Antwort: Was heißt das praktisch, wie wird christlicher Glaube gelebt? Prediger geben darüber oft keine Auskunft, allenfalls am Schluss der Predigt in einigen allgemeinen Sätzen. Sie reden »drum herum« , wie manche sagen. Das wird als unbefriedigend empfunden. Von der Predigt enttäuschte »Willens­ menschen« ziehen es darum manchmal vor, in Aktionsgruppen Pro­ jektarbeit zu treiben. Unter den Predigthörem sind nicht wenige Menschen, die Ent­ scheidungshilfen für ihre gegenwärtige und zukünftige Lebenspraxis suchen. Das können Prediger daran feststellen, dass ihnen gelegentlich berichtet wird: »Ich habe Ihren Rat befolgt und habe

getan.«

Vielleicht hat der Prediger ein paar allgemeine Andeutungen gemacht und ist erstaunt, wie anders seine Worte verstanden wurden, als sie gemeint waren. Der Hörer, der unter einem Entscheidungsdruck litt, hat in der Predigt einen Anstoß in eine bestimmte Richtung bekom­ men. Die Predigt hat den Hörer zu einer Tat befreit, weil er das Gesagte auf sich bezogen und weitergedacht hat. Solche Reaktionen weisen auf einen Mangel hin: Es fehlen vielen Hörern Anstöße zur praktischen Umsetzung des Glaubens. Viele wis104 ........... •

sen, was an Gutem getan werden könnte, unterlassen es aber, weil sie keinen Mut haben oder nicht sicher sind, ob sie es ausführen können. Das ist besonders bei großen Entscheidungen der Fall. Viele Hörer wissen: Wenn ich die Predigt ernst nehmen will, muss ich mein Leben von Grund auf ändern; aber ich wage nicht, was andere getan haben. Es ist wie mit den beiden kleinen Jungen, die auf eine Mauer gestiegen waren und dort oben in Lebensgefahr kamen. Ein Mann rief ihnen zu: »Springt in meine Arme!« Der eine Junge sprang und wurde sicher aufgefangen. Es war sein Vater, der gerufen hatte. Der Sog des Vertrauens rettete ihn. Den anderenjungen mussten Feuerwehrmänner von der Mauer herunterholen. Dieses Problem ist in vielen evangelistischen Predigten bearbeitet. Der Evangelist Charles H. Spurgeon (1834-1892) hat einmal so zur Entscheidung Entscheidung für Christus aufgerufen.

lOB

Er lockt seine Hörer ein- für Christus

dringlich:

»Ich beschwiire euch bei dem} dessen Herz lauter Liebe ist} bei dem gekreu­ zigten Erliiset; der heute durch mich euch einladen lasst} und der über euch weint} wie ich weine. Ich beschwiire euch: Wendet euch zu ihm} so werdet ihr selig} denn er ist gekommen in die Welt} zu suchen und selig zu machen} was verloren ist} und wer zu ihm kommt} den wird er nimmermehr hinausstoßen . Bringe} 0 Gott Heiliger Geist} bringe heute Sünder zu dir! Ich ermahne euch} ihr Sünder: Haltet euch an Christus fest. Berührt jetzt seines Kleides Saum! Schaut ihn an} wie er vor euch am Kreuz htingt! Wie Mose die Schlange erhohte in der Wüste} so ist Christus vor euren Augen erhoht. Schaut} ich bitte euch} schaut ihn an und lebt! Glaubt an den Herrn Jesus Christus} so werdet ihr selig! Als ob Gott selbst durch mich euch beschwore} so flehe ich nun an Christi Statt: Lasset euch versohnen mit Gott!«

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Herausfordernde Rede Der Ruf zur Entscheidung unterbleibt oft, insbesondere im üblichen Sonntagsgottesdienst. 109 Immer wieder ist zu hören, Menschen zum Der Ruf zum Glauben zu rufen, sei »unzeitgemäß«. Viele stoßen sich eher an mis- Glauben bleibt sionarischen Aktivitäten der Ausbreitung des Evangeliums als an der häufig aus faktischen Ausbreitung des Unglaubens in weiten Teilen der Gesellschaft. Wer Kritiker der missionarischen Verkündigung und der 108 I Zitiert bei H. Thielicke, Vom geistlichen Reden, Stuttgart 1961, S. 259 f. 109 I Vgl. W. Bub, Evangelisationspredigt in der Volkskirche, 2. Aufl., Stuttgart 1993, S. 140ff.

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Glauben weckenden Predigt nach Alternativen fragt, geht häufig leer aus. In den evangelischen Volks- und Freikirchen ist in jüngerer Zeit eine Wiederentdeckung des Sendungsauftrags der Kirche festzustel­

len. llo Man müht sich um ein neues evangelistisch-missionarisches Bewusstsein in den Gemeinden und sucht nach neuen Wegen hin zu denen, die dem christlichen Glauben entfremdet sind. Mission und Evangelisation Evangelisation sollen nicht mehr Sonderfall sondern Normalfall der lll Dabei kommt zu­ soll Normalfall gemeindlichen und kirchlichen Arbeit werden. werden nehmend (wieder) die ökumenische Dimension missionarischen Han­ delns in den Blick. 11 2

Die herausfordernde Redeweise der Verkündigung ist die schwie­ rigste. Sie erfordert ein großes rednerisches Können und eine besondere Sensibilität im Umgang mit Appellen in der Predigt (s. Kapitel 7) . Viele Prediger schrecken vor der herausfordernden Rede zurück, weil sie dem Hörer »nicht zu nahe treten« wollen. Die Zurückhaltung von Predigern mag auch daran liegen, dass viele Hörer sich der großen Herausforderung des Glaubens entziehen. Die Hilfestellung, die der Prediger anbietet, wird abgelehnt. Er ruft eindringlich, aber man will ihn nicht hören. Der direkt Angesprochene wagt nicht den Sprung, auch wenn gute Worte ihn gewiss machen wollen, dass er es getrost tun kann. Das hat Jesus mit dem reichen Mann erlebt, den er in seine Nachfolge rufen wollte (Mk 10,17-27) . Der Mann entschied sich da­ gegen. Jesus hatte ihm die Freiheit dazu gelassen. Das heißt für die Nicht herausfordernde Predigt: Sie darf Hörer weder zu einer bestimmten manipulieren Entscheidung zwingen, noch sie manipulieren wollen.

Der Schriftsteller Kurt Marti hat das in seiner Auslegung der Ge­ schichte vom reichen Mann nicht getan. Die Predigt hat ihren Höhe­ punkt bei der Bemerkung des Evangelisten Markus: Da blickte J esus den Mann an und gewann ihn lieb (y 21) .

110 I So hat der evangelische Theologe E. Jüngel in seinem Einführungsreferat zur EKD­ Synode in leipzig im November 1999 daran erinnert: »Eigentlich müssten sich Mission und Evangelisation für die christliche Kirche von selbst verstehen. Eigentlich müssten da, wo auch nur zwei oder drei im Namen Jesu Christi versammelt sind, diese zwei oder drei intensiv und leidenschaftlich darauf aus sein, das alsbald vier oder fünf im Namen Jesu zusammenkommen (Quelle: epd-Dokwnentationen 4/99). 111 I Vgl. W. Klaiber, Rufund Antwort. Biblische Grundlagen einer Theologie der Evange­ lisation. StuttgartiNeukirchen 1990, U. laepple/H.-H. Pompe, Normalfall Evangelisation, Neukirchen-Vluyn 1997. 112 I Vgl. H. Vorster (Hg.), Ökwnene lohnt sich, Frankfurt 1998; EMW/ACK/missio (Hg.), Aufbruch zu einer missionarischen Ökwnene, Hamburg 1999. • • •

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»Hierkonnte ich nun eigentlich schließen undAmen sagen. Denn gibt es noch mehr undBesseres} als dassJesm einen Menschen liebgewinnt? Das ist alles} ist das Letzte und Hochste} was uns widerfahren kann. Wenn Jesus heute uns anblickt und liebgewinnt} dann ist dieser Sonntag ein Festtag ohnegleichen} dann sind wir >putzt und gschtrahlt, bis ins Herz hinein} dann konnen wir nachherfroh/ich unseres Weges gehen} dann kann uns nichts mehrpassieren} wir sindgerettetfür Zeit und Ewigkeit. Und ich glaube tatsdchlich} dass heute viele da sin� an denen Jesm Freude hat} weil sie in sich den Hunger nach dem lebendigen Gott nicht abgetofet haben. Ich glaube zudem} dass es viele gibt} die nicht hier sind und in keine Kirche gehen} und die doch von diesem Hunger umgetrieben sind. Auch sie sind um ihrer Unruhe willen geliebt von Jesus. An uns ist es} ihnen das zu sagen. Aber ich kann jetzt trotzdem noch nicht Amen sagen} denn unsere Geschichte geht noch weitet; weil auch die Liebe Jesu weitergeht} weiter drdngt in unser Leben hinein. Darum sagt er zujenem Manne} den er liebgewonnen hat: >Eins fehlt dir. Geh hin} verkaufe alles} was du hast} und gib es den Armen} und du wirst einen Schatz im Himmel haben/ und komm} folge mir nach!, Die LiebeJesu geht weit� als wir glauben. Hiet; so scheint es allerdings} geht sie zu weit. Darum hat diese Geschichte kein Happyend. Darum wird es zum Schluss noch unbehaglich. Jeder von uns reagiert mit der genau gleichen Antwort: Das geht mir zu weit. >Komm} folge mir nach! '} das ginge ja noch} weil man sich heute unter Nachfolge etwas Geistiges vorstellen kann. >Aber verkaufe alles} was du hast . . . '} nein} das geht zu weit} das ist nicht . . . ,, 1 1 3 zumutbar

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Die Schwierigkeit der herausfordernden Rede liegt unter anderem in ihrer Ausrichtung auf Zukunft hin. Im Blick darauf soll sich der Hörer Ausrichtung entscheiden. Er zweifelt, ob es das Richtige ist. Lohnt sich der gefor- auf die Zukunft derte Einsatz, lässt sich das vom Prediger gesteckte Ziel erreichen? Auch dieser ist sich seiner Sache, die in der Zukunft liegt, oft nicht sicher. Die informierende Rede hat es leichter. Sie berichtet über Vergangenheit, über Geschichtliches oder früher gesammeltes Wissen. Die gewissmachende Rede hat die Zeitform der Gegenwart. Sie sucht die Nähe Gottes und der Menschen, die da sind und denen der Prediger ganz nahe sein möchte. Die herausfordernde Rede wird erfahrungsgemäß am besten aufge­ nommen, wenn es ihr gelingt, mit dem Hörer den Punkt zu suchen, von 113 I K. Marti, Das Markus-Evangelium, Basel 1967, S. 214-218.

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dem aus er den Sprung wagen kann. Wer zur Entscheidung aufruft, muss auch Auskunft geben können, wie es nach der Entscheidung für ein Leben in der Nachfolgeweitergehen soll. Die herausfordernde Rede Herausfordernde braucht Konkretionen. Darum rufen manche evangelistischen Prediger Rede braucht diejenigen auf, die zur Glaubensentscheidung bereit sind, in ein 4 Konkretionen » Übergabegebet« 11 einzustimmen. Andere rufen dazu auf, »nach

vorn« zu kommen und damit ein öffentliches Bekenntnis abzulegen. Manche Evangelisten laden zu einem persönlichen Gespräch ein. Die Angesprochenen sollen in einem intimen, geschützten Rahmen erste Schritte des Glaubens wagen. Das kann eine Lebensbeichte werden, ein gemeinsames Gebet, eine Segenshandlung. In den letzten Jahren hat es sich zunehmend bewährt, wenn eine Gemeindegruppe zu einem »Grundkurs des Glaubens« einlädt, an dessen Ende - in ungezwunge­ ner Atmosphäre - die Möglichkeit zu einer Hingabe des Lebens an Gott gegeben wird. 115 Konkrete Hinweise, was Menschen tun können, die durch das Evan­ Ziele ohne Wege gelium angesprochen und zu einer grundsätzlichen (Wieder-)Ausrich­ heben sich auf tung auf Gott bereit sind, dürfen im Zusammenhang von missiona­

risch-evangelistischen Bemühungen nicht fehlen. Je nach Situation wird man nach einer geeigneten Form suchen: wichtig ist, dass es ge­ schieht. Wenn ein Prediger lediglich zur Entscheidung für eine sehr große Sache aufruft ohne Wege aufzuzeigen, wie das konkret gehen kann, verunsichert er seine Hörer zutiefst. Der Appell läuft ins Leere und kann längerfristig zu einer »Immunisierung« gegenüber dem Anspruch des Evangeliums führen. Ähnliches gilt auch für die politische Predigt. Sie muss Aktionen anstiften, die realisierbar sind: Unterschriftenaktionen, öffentliche Kundgebungen und zeichenhaftes Handeln. Sonst resignieren diejeni­ gen, die mitgemacht haben, oder verfallen in einen schädlichen Aktio­ nismus. Die Probleme der evangelistischen und der politischen Predigt sind ähnlich. Denn es handelt sich um herausfordernde Rede. Helmut Gollwitzer hat während seiner Zeit als Theologieprofessor in Berlin in seinen politischen Predigten solche Konkretionen ange­ boten. Der Zeitbezug zum Weltgeschehen ist klar erkennbar. Gollwit­ zer spricht immer wieder den einzelnen Hörer an. Wenn dieser anfängt, 114 I Beispiele s. W. Bub, Evangelisationspredigt, a.a.O., 145 f. 115 I Vgl. K. Douglass, Glaube hat Grunde, 2. Aufl., Stuttgart 1999 und B. Krause, Reise ins

land des Glaubens. Christ werden - Christ bleiben, Neukirchen-Vluyn 2000.

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sich zu ändern, kann das weit reichende persönliche und politische Folgen haben. Sein Bewusstsein wird verändert.

»lesus sagt: Frage dich selbst, was dir wirklich not ist, was du unbedingt brauchst, wonach du schreist, was du bitter entbehrst. Du bist vielleicht ein sehr einsamer Mensch und sehnst dich wie nach ttiglichem Brot nach einem Men­ schen, der sich um dich kümmert, dir zuhiirt unddich versteht. Sei den Menschen um dich herum der Mensch, den du brauchst -sagtlesus -, und schon wird deine Einsamkeit behoben sein. Du sehnst dich nach einem anderen Ehegatten, einem nicht so egoistischen, einem heiteren undfürsorglichen. Sei deinem Gatten der Gatte, nach dem du dich sehnst - sagtlesus -, und es wird in eurer Ehe vieles anders werden. Du lebst in der Tretmühle eines ungeliebten Broterwerbs, der dein Leben leer hisst. Schau um dich, wie es den anderen in deinem Büro und Betrieb nicht anders ergeht, und sei ihnen ein Mensch, der einen neuen Ton, vielleicht sogar einen neuen Inhalt in die Tretmühle, die ihr nicht tindern kiinnt, hineinbringt! Den anderen sein, was ich von den anderen brauche, -das ist das Wort lesu, das wie ein Schlüssel uns den Zugang zum Leben der anderen Menschen offnet. Merkwürdig ist das: Indem du auf dich schaust, bekommst du die anderen Menschen, ihre Not in den Blick, bekommst du ein Wissen um sie. Und dann wirst du sehen: sie leiden noch mehr an dem, was du entbehrst: Du brauchst Gel� es reicht dir nicht, aber um dich herum sind Unztihlige, denen es noch weniger reicht. Du brauchst Freiheit, Recht, einen freiheitlichen Rechtsstaat und bist dank bat; wenn du in einem leben kannst. Dort liegen sie in den persischen und türkischen Geftingnissen und werden gefoltert und zum Tode verurteilt. Du brauchst die Freiheit, deine Meinung, deine religiose und deine politische, offen zu sagen. Dort in der Tschechoslowakei, in Griechenland ist ihnen der Mund verschlossen. Du bist ein Weißer in Südafrika oder Rhodesien und hast ein Haus mit Garten und die Welt steht dir offen. Und neben dir die anderen mit der anderen Hautfarbe, die Bürger vierter Klasse, vertrieben von Grund und Boden, sie brauchen das Gleiche. >Alles, was du willst, dass dir die Menschen tun, das tue ihnen. Das ist das Gesetz und die Propheten (Mt 7,12). , « 1 1 6

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Wer sich die Schwierigkeiten der herausfordernden Predigt klar macht, wird sie in Verantwortung wagen können. Er braucht dazu Mut oder, wie die Vater und Mütter des Glaubens sagten, Vollmacht. Weil er von Gott ergriffen ist; kann er Partei für ihn ergreifen und seine 116 I H. Gollwitzer, Veränderungen im Diesseits, München 1973, s. 52 f.

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Hörer zur Entscheidung und zur Tat auffordern. Er kann in der Auto­ rität des bittenden Christus (2Kor 5,20) reden. Der Prediger braucht Gegenwart des Geistes und Geistesgegenwart, dazu ein hohes Einfüh­ lungsvermögen für das rechte Wort zur rechten Zeit. Dieses Wort zielt auf das hin, was noch aussteht: die Nachfolge J esu, Veränderungen im Diesseits, das Vorwärtsgehen in eine offene Zukunft unter der Verhei­ ßung Gottes. Hierzu eine abschließende Übung:



Übung

FRA GEN FÜ R HÖRE R : Wie beurteilen Sie die herausfordernde Predigt?

Wünschen Sie sich diese Redeweise? Haben Sie schlechte Erfahrungen damit gemacht (welche)? Wie kann eine für Sie überzeugende Form herausfordernder Rede aussehen? FRAGEN F Ü R PREDIGE R :

Wann haben Sie das letzte Mal herausfor­

dernd gepredigt (evangelistisch oder politisch)? Haben Sie Hemmun­ gen, herausfordernd zu predigen? Worin liegen diese begründet und wie können sie möglicherweise überwunden werden?

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Kapitel 4: Der Aufbau der Predigt Wenn eine Predigt den Zuhörerinnen gerecht werden will, wie wir es im vorhergehenden Kapitel dargelegt haben, muss sie einen entspre­ chenden Aufbau haben. Dazu will dieses Kapitel eine Anleitung geben. Predigten sollen einladend sein, gut geplant und gut gebaut. Die Predigerin, die so arbeitet, ist wie eine Architektin und Baumeisterin, Die Predigerin die ein großes Wohnhaus baut und dabei mit Liebe an die künftigen als Architektin Bewohnerinnen denkt. Diese leben dann gern in dem Haus und müssen sich nicht über viele Mängel beklagen. Auf die Predigt übertragen heißt das: Die meisten Predigthörerinnen folgen lieber einer sorgfältig vorbereiteten Predigt und werden sich eher auf deren inhaltliche Aussagen und Herausforderungen einlassen, als wenn diese planlos vorgetragen werden. Wer die Wirkung einer Predigt erfassen will, wird sie allerdings nicht nur dem Können der Predigerin zuschreiben. Die Zuhörenden spüren, dass sich in gut vorbereitetem Reden und aufmerksamem Hören, also im verantwortlichen Mitwirken am Gelingen der Predigt, etwas ereignet, das sie tief anspricht, bewegt und verändert. Umge­ kehrt kann es vorkommen, dass eine gut vorbereitete und vorgetragene Predigt nicht die erwartete Wirkung zeigt. Zu vielschichtig sind die Faktoren, die am Predigtgeschehen beteiligt sind, als dass das Gelingen bis ins Letzte planbar wäre. Das wird die Predigerin aber nicht davon abhalten, sich um einen guten Aufbau ihrer Predigt zu bemühen. Sie wird ihr handwerkliches Können verbessern wollen, weil sie davon ausgehen kann, dass dadurch ihre Predigten besser verstanden werden.

I. Einladung zum Hören Predigten sollen nicht abschrecken, sondern zum Hören einladen wie zu einem Fest. Dieses Bild hat Jesus gern für sein Evangelium gebraucht (Mt 22,1-10 u. a.). Damit wollte er seinen Hörern einen Vorgeschmack vom himmlischen Reich, von der Freude Gottes geben, die Menschen auf dieser Erde erleben sollen. Viele Prediger geben sich zwar große Mühe, den Bibeltext in der Tiefe zu erfassen und die III ••

theologischen Probleme zu bedenken. Es fehlt scheinbar nichts. Und doch ist das Gesagte schwer genießbar, keine Einladung zum Hören. Das kann wie in einer Predigt über Philipper 4,4 so aussehen:

»Der Herr ist nahe! Seine Nähe bestimmt hier undjetzt schon das Leben der Christen und erfüllt es mit Freude. Deshalb heißt es: Freuet euch in dem Herrn! Die Freude} die von ihm herkommt} zerbricht nicht an den Sorgen und Proble­ men des Alltags} sondern überwindet sie. Das oft so freudlose und niederdrük­ kende Dasein wird weder verharmlost noch idealisiert} es wird vielmehr tat­ sächlich verändert} so wieJesus Christus dem Leben der Menschen} denen er auf Erden begegnet ist} einen neuen Inhalt gegeben hat. « Was diese Predigerin sagt, ist alles richtig. Aber sie sagt in wenigen Sachliche Sätzen viel zu viel. Ein dogmatischer Satz folgt dem anderen. Bevor die Richtigkeit Hörerin aufnehmen und bedenken kann, was das Nahen des Christus genügt nicht für sie bedeutet, soll sie sich schon darüber freuen und das, was sie

bedrängt, hinter sich lassen, weil ihr Leben einen neuen Inhalt hat. Da kann kein Mensch mitkommen. Die Hörerinnen schalten ab, denken an etwas anderes. Die Predigerin braucht sich darum nicht zu wundern, wenn ihre Informationen nicht aufgenommen werden. Das Evangeli um, das sie verkünden will, ist kein Evangelium, weil es nicht gehört werden kann. 1 . ZUH ÖREN - LEICHTER GEMACHT

Reden und Texte, die zu schwer sind, können leichter gemacht werden. Dabei haben Leserinnen gegenüber Hörerinnen den entschei­ denden Vorteil, dass sie Sätze noch einmal lesen können. Leserinnen können Dinge, die ihnen schwer verständlich waren, mit jemandem besprechen und klären. Die Predigthörerinnen dagegen müssen sofort verstehen, was ihnen gesagt wird. Sie können es sich nicht wiederholen lassen. Darum müssen Predigten sorgfältig vorbereitet werden. In ihnen Bekanntes und soll den Hörerinnen Bekanntes und Unbekanntes mitgeteilt werden. Unbekanntes Bekanntes wirkt zur Vergewisserung, Neues hilft zum weiteren Ver­

stehen. Enthält die Predigt viel Neues, muss die Hörerin genügend Zeit haben, sich damit auseinander zu setzen. Sie braucht Ruhepausen, um nicht auf dem Weg, den die Predigerin ihr zumutet, zu ermüden. Die Hörerin braucht Anregungen, die bei ihr das Interesse wach halten oder wecken. Das gilt für alle Hörerinnen, für die mehr und die weniger Informierten. Es tut jeder gut, wenn Bekanntes noch einmal anspre112 ........... •

chend und in neuer Weise gesagt und Neues so dargeboten wird , dass sie es begreifen kann. Das ist gemeint, wenn von Redundanz die Rede Redundanz ist. Das Wort kommt von dem lateinischen redtmdare. Das heißt: zurück- , herum-, überfließen. Es ist nicht das Ü berflüssige gemeint. Davon gibt es manches in Predigten . Sie wirken dann langweilig. Sie haben einem nichts zu sagen. Hier gilt das Wort von Goethe : » Getretener Quark wird breit , nicht stark. « Im Allgemeinen leiden Predigten aber daran, dass die Predigerin zu viel sagen will. Es fehlt Redundanz, die vertiefende Wiederholung . Das sieht dann so aus : .�--� . '-----4 .�----� . �--� . �--4 .�--4 .�------� . �___4> ��

Günstiger wäre es so:

Die Herstellung von Redundanz ist in der Predigt so wichtig wie zum Beispiel in einer Nachrichtensendung des Fernsehens . E I N BE I S P I E L . Die Nachricht, dass der Intercity-Express zwischen Kassel

und Fulda entgleist ist und dass es dabei eine A nzahl von Verletzten gegeben hat, kann man in wenigen sachlich richtigen Worten heschreihen. Damit aher die Hiirerin diese Nachricht hesser aufnehmen und verarheiten kann, ist es notwendig, die Umstände des Entgleisens ausführlich zu schildern. Das Fern­ sehen stellt diese Redundanz dadurch her, dass es, nachdem die Sprecherin die Nachricht verlesen hat, einen B ildhericht einschieht. Es wird noch einmal die Unglücksste!le gezeigt und die aus den Schienen gesprungenen Wagen. Augen­ zeuginnen werden interviewt. Eine Verantwortliche der Bahn wird zum Un­ glück hefragt tmd zu den Möglichkeiten seiner Verhinderung. Das alles macht die Information redundant. Hat sie eine solche Redundanz nicht, ist mit A hschalteffekten zu rechnen, da.r heißt die Fern.rehzu.rchauerin » zappt« weiter zum näch.rten Programm. Sie macht .rich nicht die Mühe, die Information zu hewerten und zu heurteilen. Sie ist für sie nicht mehr von Interesse. Sie vergisst sehr schnell, was sie gehört und gesehen hat. Die Predigerin kann vom Fernsehen lernen. Sie will ja ihre Höre­ rinnen für das i nteressieren, was sie zu sagen hat . Dafür gibt es viele

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Möglichkeiten. Manche ergeben sich aus dem aufmerksamen Studium Verschiedene des Bibeltextes. Andere bieten sich auf Grund der Verkündigungs­ Sprachformen situation an. Um den Bibeltext in der Predigt auszulegen, ist es hilf­ und Redestile reich, verschiedene Sprachformen und Stilelemente einzusetzen. Je einsetzen nach Predigttext sind dies beispielsweise: •

Genaue Information über einen Sachverhalt Q esus verhielt sich völlig unerwartet . . . )



Wichtige Hintergrundinformationen (Die Hirten gehörten zu den



Verständliche Erklärung eines Begriffs (Das Reich Gottes ist keine



Kurzer Hinweis auf allgemein Bekanntes Qesus heilte Kranke . . . )



Direktes Ansprechen eines Problems (Viele haben Schwierigkeiten



Ausführliche Beschreibung eines Bildes (Christus, das Licht der



Kurzer Vergleich (Christen sollen Salz der Erde sein . . . )



Geprägte Redewendungen und Wortspiele (Wie du mir, so ich

Randgruppen der jüdischen Gesellschaft . . . ) politische Größe, sondern . . . )

mit diesem Wort Jesu . . . ) Welt . . . )

dir . . . ) •

Erzählungen (aus Bibel, Literatur, Alltag . . . ) Es kann freilich auch ein Zuviel an Redundanz geben. Solche Pre­

digten treten inhaltlich auf der Stelle und langweilen. Anhaltende Wiederholungen können manipulierend wirken, weil den Hörerinnen und ihrer Fantasie nicht genügend Raum gegeben wird. 2 . ERZÄHLEN IN DER PREDIGT

Eines der wichtigsten Mittel für einen wirkungsvollen Aufbau der Die Bibel - ein Predigt ist die Erzählung. Die Predigerin entfaltet vor ihren HörerinErzählbuch nen eine Geschichte. Sie berichtet von einem Ereignis oder einem

Gespräch, das sie in den letzten Tagen beschäftigt hat. Wer die Bibel aufschlägt, stellt bald fest, was sie vor allem ist: Ein Erzählbuch. Die Bibel erzählt Geschichten vom Leben, Geschichten von Gott und der Welt. Sie sprechen vom Vergangenen, vom Zukünftigen, und in bei­ dem immer wieder überraschend vom Heutigen. Die biblischen Ge­ schichten wissen von Hoffung und Verzweiflung zu berichten, von Liebe und Versagen, von Macht und Ohnmacht. Einmal kommt ein Schriftgelehrter zu Jesus und stellt ihm Fragen. Die Leute um ihn herum hören gespannt zu: Was wirdJ esus antworten? 1 14 ........... •

Er erzählt von einem Überfall auf einen Wanderer in den Bergen zwischen ]erusalem und]ericho (Lk 10, 30-35). Dieses in den damali­ gen Verhältnissen häufige Ereignis baut Jesus zu einem Gleichnis aus, indem er von den vorübergehenden Personen erzählt. Die Vergleichs­ geschichte vom »Barmherzigen Samariter« gehört zu den biblischen Erzählungen, die sich einem tief ins Gedächtnis einprägen, wenn man sie einmal gehört hat. Durch Geschichten können bei den Zuhörenden Erinnerungen geweckt, vergessene Erfahrungen wachgerufen und in ein neues Licht gestellt werden. Tiefe Hoffnungen und Sehnsüchte werden angesprochen, wichtige Lebensfragen werden durch Geschichten wach gehalten. Entscheidend ist hierbei: Biblische Erzählungen lassen Zwischenräu- Biblische me. Die Hörerin wird nicht festgelegt. Ihr bleibt es überlassen, wie Erzählungen intensiv sie sich mit den Schicksalen befasst, mit welchen Personen sie lassen Zwi­ sich identifiziert. Bin ich schon einmal »unter die Räuberinnen gefal- schenräume len « ? Gab es in meinem Leben schon einmal eine »barmherzige Samariterin��? Habe ich selbst schon jemanden »links liegen gelassen« ? Manchmal sind es die Nebensätze, die Nebenfiguren, die Nebenschauplätze, die uns ansprechen, uns neue Handlungs- und Lebens­ gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.

a) Arten des Erzählens - einige Erztihlregeln Bevor wir uns der biblischen Nacherztihlung und der Alltagserzählung näher zuwenden, sollen einige Erzählarten und grundsätzliche Erzähl­ regeln vorgestellt werden. 117 Es soll zum einen die Vielfalt der Erzähl­ möglichkeiten aufgezeigt werden, zum anderen geben bewährte Grundregeln Gestaltungshilfen an die Hand, die das Erzählen in der Praxis erleichtern sollen. Beispiele für verschiedene Erzählarten sind: •

Die biblische Nacherzählung orientiert sich an der Grundrichtung des Textes. Dabei kommt es weniger darauf an, dass alle Einzelheiten Biblische der Geschichte beibehalten werden als darauf, dass die wesentlichen Nacherzählung Elemente erhalten bleiben: Personen-Konstellation, Orte, Wendepunkte des Geschehens.

117 I Im Folgenden wird Bezug genommen auf: H.K. Berg, Bibeldidaktik, München 1993,

s. 182 ff sowie G. Adam/R. lachmann (Hg.), Methodisches Kompendiwn für den Religions­

unterricht 1, Basisband, 4. Aufl., Göttingen 2002, S. 137-162.

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Zusammenfas- • Die zusammenfassende Erzdhlung: Die Evangelien (Mt l5,30,]oh 7,1) sende Erzählung

und die Apostelgeschichte (8,1) kennen Sammelberichte, in denen längere Zeiträume oder eine Reihe von Geschehnissen zusammen­ gefasst werden. In ähnlicher Weise kann in der Predigt das Geschick eines alttestamentlichen Propheten oder die Passion Jesu im Über­ blick erzählt werden. So können Zusammenhänge aufgezeigt und biblische Einzelaussagen verortet werden.

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Umwelt- • Die Umwelterzahlung erzählung

versucht, geschichtliche Hintergrundin­

formationen (z. B. wie lebten zur Zeit Jesu die Hirten, warum waren Zöllner unbeliebt . . . ) nicht im Sinne einer Erklärung wie in einem Lexikonartikel einzubringen, sondern in Form einer Geschichte.

Rahmen- • Der Rahmenerzählung erzählung

1l9 geht es in ähnlicher Weise um Hinter­

grundinformationen zu biblischen Inhalten. Die Gleichnisse J esu allesamt, aber auch die meisten Prophetentexte des Alten Testa­ ments haben Antwortcharakter. Auch die lehrhaften Texte der neutestamentlichen Briefliteratur gehen auf reale Situationen und Fra­ gestellungen zurück, auf Grund derer sie entstanden sind. Diese zu erhellen ist Aufgabe der Rahmenerzählung.

Perspektivische • Die perspektivische Erzählung: Hier schlüpft die Erzählerin in die Erzählung

Rolle einer beteiligten Person und schildert die Vorgänge konse­ quent aus deren Sicht. So bekommen auch bekannte Geschichten eine neue Färbung und sprechen uns in neuer Weise an. Je nachdem, ob beispielsweise die Geschichte der »Salbung Jesu durch eine Sünderin" (Lk 7,35-50) aus der Sicht der Frau, des Pharisäers Simon, eines Gastes oder Jesu selbst erzählt wird, werden sich den Zuhörenden verschiedene Perspektiven auftun.

120 knüpft an der biblischen Nacherzählung

Weiter­ • Die Weiter-Erzählung Erzählung

an, bleibt dort aber nicht stehen. Sie lädt die Zuhörenden ein, weiterzudenken, wie es mit dem »reichen Jüngling« nach seiner bitteren Niederlage im Gespräch mit Jesus (Mt 19,22) weiter er-

118 I Eine ansprechende erzählende Darstellung des Lebens und Wirkens Jesu im Rahmen seinerZeit hat G. Theißen vorgelegt: Der Schattendes Galiläers. Historische Jesusforschung in erzählender Form, 13. Aufl., Gütersloh 1993. 119 I Biblische Beispiele rur Rahmenerzählungen findenwir jeweils zu Beginn und am Schluss der Bücher Hiob und Jona; die »eigentlichen« Inhalte sind von einem erzählenden Rahmen wngeben. 120 I Diesen Erzähltyp hat vor allem W. Neidhart überzeugend entwickelt. Siehe literatur­ angaben am Schluss dieses Buches.

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ging, oder was Zachäus in der darauf folgenden Woche tat, nachdem ihm und >:> seinem ganzen Hause Heil widerfahren« war (Lk 19,10) . Wichtige Erzählregeln sind: •

Die Erzählperson passend wählen: Je nach Text und Erzählsituation Erzählperson wird man verschiedenen Personen und Erzählperspektiven wählen. passend wählen Abweichungen vom Gewohnten schaffen eine erhöhte Aufmerksamkeit.



Einen Spannungsbogen aufbauen: Jede Erzählung braucht einen An- Spannungsbo­ fang und einen Schluss. Dazwischen ist - wie beim Schul aufsatz - gen aufbauen der Hauptteil. Spannend ist eine Geschichte (genau wie ein Roman oder ein Film), wenn sie mit manchen Informationen vorerst noch hinter dem Berg hält, Motive zurückstellt und schließlich in einer unerwarteten Wendung des Erzählgeschicks auflöst.



Erzählsprache beibehalten: Die Sprache des Erzählens ist gekenn- Erzählsprache zeichnet durch kurze Sätze (wie man spricht, nicht wie man beibehalten schreibt), günstige Erzählzeiten sind die Gegenwartsform und die einfache Vergangenheit (er ging, nicht: er war gegangen . . . ). Direkte Rede und aktivisches Erzählen machen eine Erzählung besser nachvollziehbar Qesus sagte: »Dir sind deine Sünden vergeben . . . « statt: »Sie hörten Jesus, wie er sagte, ihr seien ihre Sünden vergeben« . . . ). Mit ausschmückenden Adjektiven (groß, schön) sollte man sparsam umgehen und Wertungen (gut, böse) möglichst vermeiden. Eine gute Geschichte lebt davon, dass der Hörerin Freiraum zur eigenen Interpretation bleibt.



Schwierige Ausdrücke umschreiben: Hilfreich ist es für die Zuhörerin- Schwierige nen, wenn die Erzählerin schwierige Begriffe (Reich Gottes, Ge- Ausdrücke richt, Sünde, Ewigkeit) zunächst mit Hilfe einer Handlung

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umschreiben

schreibt und erst dann den Begriff einführt. •

Gefühle und Handlungsmotive herausarbeiten: Erzählen spricht den Gefühle und ganzen Menschen an. Es wird insbesondere die Gefühlswelt berührt. Handlungs­ Eine gute Erzählung bringt daher nicht nur Fakten, sondern lässt motive heraus­ die Zuhörenden etwas über die Hintergründe und Motive (Fragen, arbeiten Sorgen, Ängste) der handelnden Personen erfahren.



Neugier und Fragen wecken: Gute Geschichten bleiben denk- und Neugier und merk-würdig, auch nachdem sie erzählt sind. Sie halten unsere Fragen wecken Aufmerksamkeit aufrecht und wecken Fragen: Was wäre wenn? Wie könnte es weitergehen? Was könnte das bedeuten? 1 17 ••

Unlösbare Fragen • Unliisbare Fragen und Geheimnisse nicht auflasen: Viele biblische Geund Geheimnisse schichten sind »Immer-Geschichten«, weil sie menschliche Grund­ nicht auflösen fragen (Sinn des Lebens, woher kommt das Leid in der Welt),

Grundkonflikte (Gut - Böse, Gewinnen - Verlieren) oder »Lebens­ themen« (Älter werden, Abschied nehmen) ansprechen. Eine gute Erzählung versucht, unter der Oberfläche der Handlung die Tiefen­ schichten der menschlichen Existenz durchscheinen zu lassen. Ge­ heimnisse, etwa bei einer Wundergeschichte, sollten daher nicht erklärt, sondern belassen werden. Die Geschichte konzentriert sich eher darauf, was das geheimnisvolle Geschehen bei den betroffenen Menschen auslöst.

b) Die biblische Nacherzählung Es ist erstaunlich, wie wenige Predigerinnen die Formen beachten, die ihnen die biblischen Texte anbieten. Häufig greifen sie nach der Schriftlesung, beispielsweise einer Prophetengeschichte oder eines Gleichnisses J esu, den Erzählfaden nicht mehr auf. Der Text kommt innerhalb des Predigtthemas nur noch verstümmelt in kurzen AuszüDen Erzähl- gen vor: »im Text heißt es in Vers 17 . . . « . Der Erzählzusammenhang zusammenhang der biblischen Geschichte ist damit weitgehend verloren gegangen. beibehalten Das anschauliche Material vieler biblischer Stoffe bietet genügend

Anregungen, die theologischen Inhalte in die Gegenwart der Hörerin zu übertragen. Erfahrungen in Gottesdiensten für alle Altersgruppen (mancherorts sagt man dazu Familiengottesdienste) zeigen, dass auch Erwachsene es schätzen, biblische Geschichten anschaulich erzählt zu bekommen. Auch unter Erwachsenen sind viele biblische Geschichten fast oder ganz unbekannt! Jede biblische Nacherzählung sollte im Grunde dazu einladen, dass die Hörerinnen selbst zum »Original« greifen und in ihren Bibeln nachlesen, »wie es wirklich war«. EI N

BEISPIEL. Der Sterndeuter (Mt 2, 1-12) »Zwei Kiinigehab ich gesehen. Kurz hintereinander. Es war damals Oktob� und ich beobachtete -die Leute nennen mich einen Weisen -, wie der Saturn sich dem Sternbild der Fische näherte. Ihm folgte der fupiter. Acht Monate wan­ derten beide Planeten nebeneinander her. Das musste etwas bedeuten. Der Saturn ist doch das »Auge Gottes« und derJupiterder »Kiinigsstern«. Dreimal kamen sie sich ganz nah, aber als sie in das Sternbild der Fische eintraten, schienen sie zu verschmelzen. Sie überstrahlten das Firmament wie ein einziger

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herrlicher Stern. Damit nicht genug! Bevor beide Planeten das Sternbild wieder verließen} geschah etwas sehr Seltenes: der Mars trat nlXh hinzu. Daforschte ich in den Büchern und erfuht; dass bei dieser Konstellation der Messias geboren werden sollte im jüdischen Land. Ich besann mich nicht lange und machte mich aufden Weg. Die Reise war beschwerlich. Oft hatte ich nicht genug zu essen für mich und mein Tiet; und die Unterkünfte waren miserabel. Manchmal} wenn ich besonders müde und zerschlagen wat; befielen mich auch Zweifel} ob ich mich womiiglich vergeblich auf den Weg gemacht hatte} ob das Gerede um den erwarteten Erliiser womiiglich nichts weiter sei als ein frommer Wunsch. Aber dann trafich eines Tages in einer Herberge einen Ausländer; der die Zeichen am Himmel auch beobachtet hatte und sie genauso deutete wie ich. Da wurde ich wieder zuversichtlich} und wir setzten den Weg gemeinsamfort. NachJerusalem natürlich. Wohin denn sonst? Wo anders als im Kiinigspalast hätte ein Kiinig geboren werden sollen? In Jerusalem wies man uns den Weg zur Zwingburg Antonia. Sie stand unmittelbar am Tempelplatz und sollte wohl wie ein ziviles Schlo'sschen aussehen. Aber eine ganze Legion Soldaten lag dort in Bereitschaft. Die Wächter musterten uns genau und meldeten uns schließlich bei Herodes an. Da sah ich ihn} den Ko'nig. Er war arm. Denn er hatte viel Geld notig und viele wissenschaftliche Beratet; Hofdamen und Soldner über Soldner. Sie alle mussten ihm täglich bestätigen} was nicht der Wahrheit entsprach} nämlich: dass er groß sei und mächtig und unwiderstehlich. Als ich ihm sagte} dass wir gekommen seien} den neugeborenen Herrscher zu grüßen} befiel ihn eine schreck­ liche Angst. Aus dem Mund der Schriftgelehrten horte ich aber; dass wir nach Bethlehem hätten gehen müssen. Denn dort sollte der Messias geboren werden} wie der Prophet Micha sagt. In Bethlehemfand ich dann den anderen Ko'nig. Er lag in einem Futtertrog und war doch unbeschreiblich reich} denn er benotigte keinen wehrhaften Palast. Gott verbarg ihn in der Unscheinbarkeit eines Stalles vor machtgierigen Neidern. Er brauchte auch keine Daunendecke. Gott wärmte ihn im Atem der Tiere. Auf kluge Kopfe konnte er verzichten} weil Gottes Wahrheit ihn erleuchtete. Ja} selbst Soldaten konnte er entbehren} weil ein Heer von Engeln ihn behütete nach dem Willen seines Vaters im Himmel. Zwei Ko'nige hab ich gesehen. Der eine war arm in seinem Reichtum. Der andere reich in seiner Armut. 121 Dem schenkten wir Gol� Weihrauch und Myrrhe«

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121 I Aus: F.-K. Kurowski, Du redest mit mir, 2. Bd. , Verlag »Die Spur«, Berlin 1974.

1 19 ••

Wenn Predigerinnen biblische Geschichten nacherzählen, tun sie mehr, als lediglich Redundanz herzustellen. Dass es den Hörerinnen leichter fällt zuzuhören, wenn gut erzählt wird, ist nur eine Begleiter­ scheinung. Denn in der biblischen Geschichte geht es um die Botschaft selbst, nicht nur um die Veranschaulichung einer abstrakten Wahrheit! Um diese nicht zu verlieren, möchte die Predigerin die Geschichte Erzählnotwen- nacherzählen. Je plausibler diese Erzählnotwendigkeit wird, um so digkeit heraus- besser. Die Hörerin soll sich in der erzählten biblischen Welt zurechtstellen finden können, mit den handelnden Personen fühlen und den Anspruch

der Geschichte übernehmen. In der Erzählung ereignet sich die Be­ gegnung der Hörerin mit der erzählten Sache. Wenn sich die Zuhöre­ rinnen auf das Erzählte einlassen, wird sozusagen von innen her deut­ lich, inwiefern die Botschaft der Geschichte sie angeht. Das Bedrängende vieler Predigten besteht darin, dass sie die erste Geschichten Phase der Einladung zum Hören überspringen und gleich in Reflexion schenken Zeit und Deutung übergehen, etwa so: »Was hier von Jesus berichtet wird,

bedeutet für uns heute dreierlei: 1 . . . . , 2 . . . . , 3 . . . . « In solchen Predigten soll den Hörerinnen vom ersten Augenblick an »etwas bei­ gebracht« werden, statt ihnen Ruhe und Zeit zu lassen, sich zu öffnen. Wer einmal in eine Geschichte verwickelt ist, wird schnell bei der Sache sein, die die Predigerin ihren Hörerinnen nahe bringen will. Darum hat Jesus Gleichnisse erzählt. Er wollte seine Hörer und Hörerinnen mit der Wahrheit seiner Person und seiner Botschaft konfrontieren. Die Wahrheit tritt zutage. Sie bricht auf, sie leuchtet hervor, wenn Jesus erzählt. Ein typisches Beispiel dafür ist das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-15) . Es ist falsch, diesem Gleichnis bestimmte Muster unseres Denkens überzustülpen, etwa den Gedanken des Un­ terschiedes zwischen der Leistung einerseits und der Barmherzigkeit Gottes andererseits. Die Geschichte verwickelt uns in einen konkreten Fall. Am Ende steht merkwürdigerweise eine Frage (y. 1 5 ) . Der Guts­ besitzer will von den murrenden Arbeitern wissen, ob sie darum so ärgerlich sind, weil er so freundlich ist. An dieser Frage entscheidet sich alles. Es geht hier nicht darum, eine Liebe Gottes für alle und über allem zu proklamieren, die von vornherein feststeht. Vielmehr muss ich an dieser Frage Jesu entscheiden, ob ich mich dieser Güte Gottes, die auch dem Ärmsten und Letzten das Seine gibt, anvertraue oder ob ich murrend beiseite stehe. Die Wahrheit dieser Geschichte ist nicht da120 ........... •

durch zu finden, dass ich eine Reflexion über die Universalität der Barmherzigkeit Gottes anstelle, sondern dass ich - als Predigerin wie Hörerin - diesem]esus vertraue, der für die Wahrheit dieser Geschichte mit seinem eigenen Leben bürgt. Indem ]esus Geschichten aus unserer Welt erzählt, erzählt er zu­ gleich seine eigene Geschichte. Indem er uns in Geschichten ver­ wickelt, verwickelt er uns in die Geschichte seines eigenen Lebens und Sterbens. Es ist seine große Kunst, Gleichnisse zu erzählen. Plötzlich werden die Bilder, die er seinen Hörern und Hörerinnen vor Augen malt, durchsichtig für die Wahrheit seiner eigenen Person und Ge­ schichte. So wie]esus Bilder, Vergleiche, Symbole und Gesten in seiner Verkündigung einsetzt, können auch wir es tun. In Kapitel 8 dieses Buches wird darauf weiter eingegangen.

c) Alltagsgeschichten In seinen Gleichnissen redet ]esus von seiner Welt, vom Alltag und von den Verhältnissen der Menschen. Diese sind gleichnisfähig für Gottes Reich. Die Lilien auf dem Felde sind auf einmal nicht nur unbeachtete Blumen am Wegrand, sondern sie erzählen von den Klei­ dern des Königs Salomo und predigen von Gottes großen Sorgen für mich. 1 22 Mit dem winzigen Senfkorn verhält es sich wie mit dem Reich Gottes: am Anfang ist es ganz klein, am Ende, als Kraut, ganz groß (Mk 4,30-32). Wie ]esus können Predigerinnen in ihrem Alltag Entdeckungen machen, die für die Wahrheit des Evangeliums gleichnisfähig sind. Alltags­ Geeignete Geschichten dafür zu finden, ist nicht leicht. Am besten ist erfahrungen es freilich, wenn die Predigerin eigene Entdeckungen und Erfahrungen sind gleich­ verarbeitet. Diese liegen ihr am nächsten und sie kann sie darum am nisfahig überzeugendsten darbieten. Dass die Geschichten spannend sind, ist nicht das Entscheidende. Denn das bewirkt nur ein kurzfristiges Aufmerken der Hörerinnen. Wenn Geschichten nur ein Aufhänger sind, an dem nachher nichts hängt, lenken sie davon ab, wohin die Predigerin ihre Hörerin führen will. Geschichten sollen die Menschen in der Tiefe ihrer Existenz ansprechen, sonst kann man getrost auf sie verzichten. Mit dem Hinweis auf die Erzählung als einem wichtigen Element der Predigt geht es um die Grundfrage: Wie kann sich die Hörerin in 122 I Vgl. dazu das Beispiel in Kap. 3.

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der Verkündigung des Evangeliums wiederfinden? Wie wird sie ins Geschehen hinein verwickelt, damit es ihr leichter fällt, die Wahrheit zu begreifen? Bleibt ihr andererseits genug Freiraum, sich in solcher Hautnähe ernsthaft mit der Geschichte auseinander zu setzen? Was eine gut erzählte Geschichte oder Schilderung zu leisten ver­ mag, kann vielleicht an einem unscheinbaren Beispiel aus dem Tage­

buch des Schweizer Schriftstellers Max Frisch deutlich werden: 1 23

»Heutefragte UrseI} unsere Sechsjtihrige} mitten aus dem Spiel heraus} ob ich gern sterbe. >Alle Leute müssen sterben,} sagte ich hinter meiner Zeitung} >aber gern stirbt niemand. , Sie besinnt sich. >Ich sterbe gern!, - >jetzt?, sagte ich: > Wirklich?, - >Jetzt nicht} nein} jetzt nicht!, - Ich lasse die Zeitung etwas sinken} um sie zu sehen} sie sitzt am Tisch} mischt Wasserfarben. >Aber sptiten sagt sie und malt mit stiller Lust} ,spater sterbe ich gern,. " In dieser Schilderung werden Erfahrungen, die jede machen kann, Erzählungen Ängste und Wünsche, die jede kennt, in einer Szene verdichtet. Die sprechen Lebens- Hörerin kann darüber selbst nachdenken. Vielleicht wehrt sie sich themen an zuerst dagegen. Aber sie wird die Frage nach ihrem Sterben nicht los:

Sterbe ich gern? Warum mag ich nicht an meinen Tod denken? Was kann mir im Sterben helfen? - Oder die Hörerin möchte wissen, wie sie einer Sterbenden in ihrer Verwandtschaft helfen kann. Oder sie ist überrascht von einer solchen Kinderfrage nach dem Tod und denkt darüber nach, warum das Mädchen so fragt. Die Erzählung der Predigerin ist vielleicht besser, als was sie nachher darüber und zu den Fragen zu sagen hat, die bei ihren Hörerinnen aufkamen. Die scheinbar harmlose Szene wirkt weiter. Das kommt daher, dass eine gute Erzählung einen Wirklichkeitsbezug herstellen kann, in der die Wahrheit des Evangeliums zur Sprache kommt. Die Predigt lebt von einer solchen Verwurzelung in der Tiefe von WirkErzählen lernen lichkeitserfahrung. Darum sollten Predigerinnen das rechte Erzählen

und das Auswählen geeigneter Geschichten lernen, sei es aus dem eigenen Erleben, sei es aus der Literatur. Die Verwendung von Ge­ schichtensammlungen für die Verkündigung (die es inzwischen reich­ lich und auch auf elektronischen Datenträgern mit komfortablen Suchfunktionen gibt) ist allemal besser, als in der Predigt mangels eigener Ideen aufErzählmaterial gänzlich zu verzichten. 1 24 123 I M. Frisch, Tagebuch 1946--1949, Frankfurt/M. (1950) 1977, s. 349. 124 I Bewährt haben sich die Geschichtensammlungen von W. HoffSÜlllmer (Hg.), Kurzge­ schichten 1-8, München 2006. Weitere literaturhinweise am Ende dieses Buches.

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Wenn eine Predigerin erzählt, was sie gleichsam aus dem Reichtum menschlicher Erfahrungen schöpft, braucht sie nicht nur auf das wache Träume Bewusstsein zurückgreifen. Auch Träume sprechen Hörerinnen in tie- verdichten feren Schichten an, weil sie das Erleben und Erfahren zu Symbolen Erfahrungen

verdichten. 1 25

»Als ich ein Kind wa0 trtiumte ich oft denselben Traum. Ich fand mich draußen vor den bekannten Straßen der Stadt aufeinem Feld mit Bäumen und Sträuchern. Dort spielte ich. Die Umgebung war mir vertraut, denn ich blieb ja in der Nähe von Menschen und Häusern. Pliitzlich beim Spielen erhob sich hinter mir der Verfolger. Ich nenne ihn so, weil mir seine Gestalt nur undeutlich war. Hatte er den katzengleichen Sprung eines Liiwen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls brüllte er mit lauter Stimme undjagte hinter mir her. Ich versuchte, ihm zu entkommen, ich hatte alle Chancen dazu. Das Gebrüll wurde schwti­ cher/ aber dann wuchs mein Entsetzen. Die Füße wollten nicht vorwärts. Sie blieben im Boden stecken, als klebte schwerer Lehm an ihnen. So kam ich nur mühsam voran und der Verfolger war mir wieder auf den Fersen. Mit blei­ schweren Füßen floh ich auf die Stadt zu. Da waren die Häus� die Men­ schen,- aber sie konnten mir nicht helfen. Auch war der Weg nicht leichter geworden. }etzt klebten die Schuhe im aufgeweichten Teer der Straßenfest. Mit jedem Schritt musste ich sie wieder herausreißen. Hinter mir war der Verfolger. Die Straßen wurden eng� die Wege verzweigter. Aber dann sah ich endlich das rettende Haus vor mir. Ich druckte aufdie Klingel, atemlos vom schweren Lauf In letzter Minute, noch ehe der Verfolger mich packen konnte, sprang die Türe auf aber ich bekam sie nicht mehr zu. Erdrückte von außen dagegen. So ging die Flucht weit� die Treppe hinauf Wieder diese bleischweren Füße. Wieder diese mühsamen zähen Schritte. Die Wohnungstür stand offen. Schnell herein. Aber wieder war der Verfolger fast zur gleichen Zeit angekommen. Ich konnte seine mächtige Gestalt hinter dem Milchglas der Tür sehen. Ein Spalt war noch offen. Langsam, aber sichet; drückte er sich in den Raum. Ich weiß noch - so hat man es mir erzählt -, dass ich an dieser Stelle meines Traums oft geschrien habe. Dann bin ich schweißüberstriimt aufgewacht. Die Mutter kam. Die Lampe brannte. Die Türen waren zu, und alles war gut. Seltsamerweise habe ich diesen Traum später anders zu Ende geträumt. Im Augenblick der hiichsten Not nämlich, als der Verfolger vor der Tür stand und sie langsam nach innen drückte, fasste ich mir ein Herz. Ich tratzur Seite, ließ die Tür aufspringen und sprang dann selbst in den aufgerissenen Schlund des Ungeheuers hinein. Dann 125 I Das folgende Beispiel stammt aus: R. Heue, in: werkstatt predigt 7/74, S. 46 f.

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war es so} als hätte dieser Sprung ihn gelotet. Die Dunkelheit wich. Es wurde hell. Ich war heil, und er war verschwunden. Offenbar hatte sich alles umge­ kehrt. Nicht ich war verschlungen, sondern er. Ich war lebendig, und er war tot. Sehr viel später habe ich durch diesen Traum ein Bild verstanden, das der Apostel Paulus vor sich gesehen hat: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Manchmal denke ich: Wenn mich der Tod verfolgt} wenn er vor der Tür steht, wenn er einbrechen will in mein Leben, ob ich dann wohl auch den Mut habe} die Tür au/zumachen? Manchmal denke ich: Vielleicht wiederholt sich an uns die Erfahrungjesu. To� wo ist dein Stachel, Holle, wo ist dein Sieg? « Wer als Predigerin einmal anfängt, in ihrer Verkündigung zu er­ zählen, wird feststellen, wie wenige Geschichten sie kennt, die dazu wirklich geeignet sind. Hat sie aber erst einmal damit begonnen, dieses wertvolle Element für den Aufbau der Predigt zu entdecken, wird sie zunehmend sensibler dafür. Sie erlebt ihre Welt mit anderen Augen, sie hört und liest aufmerksamer. Die Predigerin stößt aufTiefenschichten des Daseins, die ihr das Geheimnis der Wahrheit des Evangeliums in unserer Welt erschließen. Das wird man ihren Predigten abspüren.



Übung

Zum Schluss dieses Abschnitts soll eine Übungsaufgabe gestellt wer­ den, um Hörerinnen-Reaktionen zur Frage der Verständlichkeit und Redundanz festzustellen. In einer Gruppe von Hörerinnen und Predi­ gerinnen wird ein schwieriger Predigtteil vorgetragen (beispielsweise der zu Beginn dieses Kapitels). Die Hörerinnen sollen danach Auskunft geben: •

Was habe ich behalten'



Was habe ich nicht verstanden?



Wo habe ich abgeschaltet und an etwas anderes gedacht? Angeregt durch die Reaktionen der Hörerinnen können sich die

Predigerinnen daran machen, dem Abschnitt Redundanz zu geben und durch eine Erweiterung der Sprachform (Erzählung, Beispiel) die Ver­ stehbarkeit zu erleichtern. Ein weiterer Hörtest wird ergeben, ob und wie das geglückt ist. In der Regel belohnen Hörerinnen solche Versu­ che, indem sie den veränderten Predigtteil als besser gelungen beur­ teilen. Eine weitere Übung in unserem Zusammenhang kann darin beste­ hen, eine schriftlich vorliegende Predigt (am besten eine selbst ver­ fasste) einmal gezielt unter dem Blickwinkel der Verständlichkeit aus­ zuwerten und zu fragen, wo durch erzählerische Elemente noch mehr 124 ........... •

Anschaulichkeit zu gewinnen wäre. Weitere Übungen in dieser Rich­ tung finden sich in Kapitel 7. 11. Baupläne für Predigten

Die Erzählung ist ein wichtiges Element für den Aufbau der Predigt, sie ist gewissermaßen ihr Kristallisationskern. Weitere gestalterische Elemente für den Aufbau der Predigt müssen hinzukommen. Beispiele hierfür sind: Informationen über Sachverhalte, Hintergrundwissen, Erklärung von Begriffen. Auch Hinweise auf allgemein Bekanntes, Beschreibung eines Bildes, kurze Vergleiche, Redewendungen und Wortspiele sind solche gestalterische Elemente, die an verschiedenen Stellen der Predigt ihren Platz haben können. Die folgenden Predigt-Baupläne versuchen, den im vorhergehenden Kapitel erläuterten Typen des Hörens zu entsprechen: der Suche nach Lebenssinn, nach Orientierung, nach Hilfe zur Entscheidung (vgl. Kap. 3). Ein weiteres Gliederungsschema kommt von der Lernpsychologie her. Dieses nimmt Elemente der zuerst beschriebenen Modelle auf und führt diese zusammen. 1 . WAS GLIEDERUNGEN LEISTEN KÖNNEN UND WAS NICHT

Gliederungen helfen zu einem vertieften Verstehen der Predigt, sich das Vorgetragene anzueignen, dieses weiter zu bedenken sowie Ein- Vor und -

stellungen und Verhalten zu ändern. Diesem Vorteil gut gegliederter Nachteile v on Predigten stehen Nachteile entgegen. Eine Gliederung kann einen Gliederungen lebendigen Gedankengang in ein Korsett zwängen oder dem Bibeltext nicht angemessen sein. Oder der Predigtaufbau entspricht der Hörerin nicht; sie fühlt sich in einer >:> Wohnung« mit einem solchen Grundriss nicht zu Hause und möchte am liebsten gleich wieder ausziehen. Wenn Predigerin und Hörerin bei der Predigtvorbereitung zusam­ menarbeiten, können sie für die von der Predigerin vorgetragenen Gedanken geeignete Grundrisse für die Predigt auswählen und ihre Vor- und Nachteile erwägen. Die Predigerin kann ihre Arbeit kontrol­ lieren, auch in einem Predigtnachgespräch. Mängel werden im Ver­ gleich mit dem gewählten Gliederungsmodell erkennbar. Auch steht die Frage erneut zur Diskussion, ob ein anderer Bauplan im Blick auf den Bibeltext und die Zuhörenden geeigneter gewesen wäre. 125 ••

2 . REGELN Z U R GLIEDERUNG

Die Arbeit mit Modellen wird nicht jeder Predigerin gleichermaßen liegen. Auf einige Chancen und Grenzen wurde schon aufmerksam gemacht. Folgende vier Punkte haben sich in der Praxis bewährt: (1) Es gelingt selten, sich ganz am Anfang der Predigtvorbereitung

einen genauen Bauplan zu machen und ihn dann einzuhalten. (2) Modelle sind vor allem Kontrollraster für eine schon gefertigte Predigtskizze. Nachdem die Predigerin eine erste Fassung hergestellt hat, überlegt sie sich anhand der ihr bekannten Gliederungsmodelle, wie sie disponiert hat. Sie kontrolliert damit ihren Entwurf und wird feststellen, wo etwas fehlt und was noch genauer ausgearbeitet werden muss. (3) Die Predigerin kann vom Modell her ihre Predigt verbessern: • •

Sie formuliert und entfaltet ihr Thema genauer. Sie markiert die Übergänge zwischen den einzelnen Teilen deutli cher.



Sie fasst mit Hilfe ihrer Gliederung zum Schluss ihre Botschaft zusammen und führt den Hörerinnen nochmals den Weg vor Au­ gen, den sie mit ihnen gegangen ist. (4) Eine Kontrolle des Predigtentwurfs mit Hilfe eines Gliede­

rungsmodells gibt der Predigerin darüber Auskunft, ob sie der Höre­ rin eventuell eine zu große Informationslast aufgebürdet hat. Wer beispielweise mehr als drei Entfaltungskreise hat, steht in dieser Ge­ fahr. Insgesamt gilt: Der Bauplan muss dem Predigtziel entsprechen. Der Bauplan Wenn die Predigerin sich über das Ziel nicht im Klaren ist, können ihr muss dem die Zuhörerinnen nur schwer folgen. Sie sollte sich etwa bewusst ma­ Predigtziel chen, wie viel Zeit sie ihren Hörerinnen lassen muss, um sie mit einem entsprechen Bibeltext vertraut zu machen. Die Modelle 1-3 sind für die schrittweise

Erklärung und Auslegung von Texten besonders geeignet. Doch nun zu den Modellen im einzelnen:

126 ........... •

3.

MODELLE F Ü R D E N A U F B A U

Modell l : Sich erweiternde Kreise

Ein Bild steht in der Mitte: der Turmbau zu Babel , der gute Hirte, die Lilien auf dem Felde , das Spiegelbild einer Frau (vgl. das Beispiel in Kap . 3 ) . Das Bild spricht in seiner Symbolik die Tiefe des Gefühls an. Es eignet sich, um es in Ruhe zu betrachten, i n sich aufzunehmen, zu meditieren. Die Predigt umspielt das Bild und interpretiert wenig . Sie ermutigt die Hörerin, sich eigenständig mit dem Predigt-Bild zu befassen. Der Gedankengang der Predigt ist weniger logisch fort­ schreitend als assoziativ. Die Teile der Predigt sind nicht gleich lang und gleich gewichtig . Sie sind nicht in sich geschlossen, sondern gehen ineinander über und halten Freiräume offen. Die Predigerin führt die Hörerin immer wieder zum Bild zurück, damit diese es noch einmal betrachten und Neues daran entdecken kann.

Modell 2 : Perspektive

Wie Modell 1 gehört dieses zur gewissmachenden und erhebenden Redeweise. Modell 2 grenzt die einzelnen Gedankengänge deutlicher voneinander ab. Von einem Bild aus wird nach verschiedenen Seiten hin meditiert , wobei die einzelnen Strahlen verschieden lang sein können

127 • ...............

128 ................ •

und auf das Bild zurückführen . Der perspektivischen Entfaltung kann eine gute Nacherzählung des B ibeltextes vorausgehen.

Modell 3: Entfaltung

I.

11.

111.

Dieses Modell ist die bekannteste und gebräuchlichste Gliede­ tungsform . Es eignet sich wie das folgende Modell für eine gedanklich­ informierende Redeweise, die vorwiegend den Verstand anspricht und der Hörerin eine Orientietung zu einem bestimmten Problem geben will . Es geht um Lehre . Die Disposition (Aufriss) dient ihrer logischen Entfaltung . Ein thematischer Leitsatz (Beispiel : » Nehmt einander an, wie Chri­ stus euch angenommen hat, zum Lob Gottes . « Röm 1 5 ,7) wird nach zwei oder drei Seiten hin entfaltet. Die Teile stehen gleichrangig auf einer Ebene. Sie sollten möglichst die gleiche Länge haben. Am Schluss wird das Ergebnis aus den einzelnen Teilen herausgearbeitet und in Merkpunkten zusammengefasst. Am Overheadproj ektor oder auf Pla­ katen können diese zusätzlich visualisiert werden. Ein solches Schema hilft der Hörerin, sich darüber zu informieren, an welchem Punkt sich die Predigerin befindet . Wenn sich die Hörerin­ nen daraufverlassen können, dass die einzelnen Teile in etwa gleich lang sind und nicht der letzte am längsten, weil er nicht so straff formuliert wurde, dann wird die Geduld der aufmerksamen Zuhörerin nicht überstrapaziert . Das Entfaltungsmodell hat auch Nachteile . Es verführt viele Predi­ gerinnen dazu, deduktiv vorzugehen, das heißt, sich in Behauptungen ohne Begründungen zu ergehen ( » So ist es, glaub es ! «). Die Predigerin hat ihr Thema und entwickelt es nicht erst im Gespräch mit der Hörerin . Diese hat kaum Zeit zum kritischen Mitdenken. Außerdem kann der häufige Gebrauch des Entfaltungsmodells bei der Hörerin zur Gewöhnung und zur Langeweile führen, besonders wenn sie schon weiß , dass der 2 . oder 3 . Teil in der Qualität abfällt.

Gliederung am Beispiel von Mt 1 5 ,2 1 -2 8 (Auseinandersetzung ] esu mit einer Kanaanäischen Frau) :

Thema: Das dreifache Wagnis des Glaubens 1. Glaube als Begegnung mit der Person des Christus l l . Glaube als Begegnung mit der Freiheit Gottes 111. Glaube als Begegnung mit der Zukunft der Welt

Modell 4: Dialektik II

111 .

.

ANTITHESE

SYNTHESE

Zunächst wird eine These aufgestellt und erklärt (Beispiel : » Chri­ stinnen sind nicht besser, aber sie sind besser dran ! «). Ihr wird eine Antithese entgegengestellt (Sind Christinnen wirklich besser dran ) . Schließlich versucht die Predigerin, eine Synthese zu bilden, das heißt, These und Antithese auf eine nach vorn gerichtete Weise miteinander zu verbinden . Dieses Modell eignet sich besonders dann, wenn Ein­ wände gegen eine These oder gegen den Bibeltext aufgenommen wer­ den sollen, beispielsweise in Form einer » Antipredigt « (vgl. das Bei­ spiel in Kap . 2). Dabei wird z . B. an bestimmte Personen(gruppen) erinnert, die so reden ( » Mein Kollege hat es kürzlich wieder gesagt: Gott gibt es nicht; er schweigt . « ) . Dabei kann es nicht darum gehen, Feindbilder aufzubauen - häufig genug ist ja die Antithese als An­ fechtung des Glaubens zugleich bei den Zuhörerinnen und in der Predigerin selbst vertreten ! In der Synthese versucht nun die Predigerin vom Evangelium her auf die Antithese Antwort zu geben. Sie befähigt dadurch ihre Hörerinnen, gegen die Antipredigt des Alltagslebens oder der Anfechtung mit guten Argumenten anzugehen. In manchen Fällen wird sie freilich nicht mehr tun können als zu einem » Gegen-an­ Glauben gegen die Fakten« zu ermutigen. Der Glaube der Zuhörerin­ nen wird gefestigt; die Predigerin kann ihnen im Rahmen des Modells

Dialektik Argumentationshilfen für die Auseinandersetzung mit An­ fechtung und Anfeindung des Glaubens an die Hand geben. Gliederung für Matthäus 1 5 , 2 1 - 2 8 :

1 29 • ...............

1 30 ................ •

Thema: Das Schweigen Gottes und die Verheißung des Christus These: Unser Umgang mit Gott: die Sicherheit der » billigen Gnade« (D . B onhoeffer) A ntithese: Das Schweigen Gottes : sein Widerstand gegen unsere Sicherheit Synthese: Die Macht der Bitte: Jesus verläs st keinen, der nach Hilfe schreit .

Modell 5: Vertiefung

Dieser Bauplan ist sowohl für die gedanklich-informierende Rede­ weise geeignet als auch für die zur Entscheidung rufende . Die wieder­ um vorrangig an den Verstand gerichtete Predigt fängt weit und offen an. Sie ist einladend für viele Hörerinnen. Das Thema soll sie interes­ sieren und zur Ausei nandersetzung einladen. Die Predigt vertieft es in den folgenden beiden Teilen. Der zweite Teil unterstützt den ersten. Es werden Hintergrundi nformationen geliefert . Im dritten Teil dringt die Predigt zur Kernaussage vor. Der große Rahmen des Anfangs wird ständig verengt, die Aussage genauer gefas st, bis es zu einem abschlie­ ßenden Urteil kommt. Die Hörerin soll diesem zustimmen: » So ist es wirklich . « Gliederung für Matthäus 1 5 , 2 1 - 2 8 : Thema: Der Testfall des Glaubens 1. Die äußere Not der Frau und die harte Ablehnung durch Jesus H. Die Erfahrung der Grenze und die Unmöglichkeit der Hilfe H1. Der überwundene Gott und das Lob aus der Tiefe

Das Vertiefungsmodell liegt häufig auch einer Predigt zugrunde, die zur Entscheidung ruft. Der Hörerin wird beispielsweise im ersten Teil aufgezeigt, dass verschiedene Lebensentwürfe (Röm 2,lft) in die Irre führen (»Gesetz«). Im zweiten Teil wird nachgewiesen, dass nur bei Christus (Apg 4, 12) das Heil zu finden ist (>:.Evangelium«). Im dritten Teil werden die Hörerinnen mit dieser Botschaft direkt konfrontiert (2Kor 5,20). Sie sollen sich für Christus entscheiden, für das Leben und nicht für den Tod. Was heißt das aber konkret? Das zu sagen, fällt manchen Predigerinnen schwer, die das Vertiefungsmodell benutzen. Ein einfaches »J esus ist die Antwort!« reicht nicht aus. Predigerinnen müssen vielmehr den Zuhörenden zeigen können, wie nach der Ent­ scheidung für ein Leben mit Christus der Weg weitergeht. Nach der Führung in die Enge muss die Weite sichtbar werden, denn der Ruf zur Bindung des Lebens an Christus eröffnet die >:. herrliche Freiheit der Kinder Gottes« (Röm 8,21). Wer mit dem Vertiefungsmodell arbeitet, nutzt die Chance, eine Fragestellung »auf den Punkt« zu bringen, deutlich verschiedene Al­ ternativen vorzustellen und schließlich die Hörerin in die Entschei­ dung hineinzuführen. Gleichwohl wird die Predigerin sich davor hüten wollen, in eine »Minus-Plus-Theologie« zu verfallen, die kritische Hörerinnen kaum ansprechen wird.

Modell 6: Lernpsychologisches Schema Am ausführlichsten soll dieses Gliederungsschema beschrieben werden, das im Zusammenhang der Wiederentdeckung der »Predigt als Lernprozess« diskutiert wird. 1 26 Das Schema nimmt Elemente der Modelle 1-5 auf und führt diese weiter. Modell 6 wurde anhand von Forschungsergebnissen der Lernpsychologie entwickelt. l27 Dieses Schema soll der Hörerin helfen, der Predigt gern zu folgen, kritisch mitzudenken, immer wieder ausruhen zu können und bis zum Ende dabeizubleiben. Das Zuhören soll keine große Mühe machen, es soll erleichtert werden.

126 I Vgl. H. Arens, Predigt als Lernprozeß, München 1972; P. Bukowski, Predigt wahrneh­ men, Neukirchen-Vluyn 1991, S. 3 l ff; PT Brinkmann, Praktische Homiletik, Stuttgartl Berlin!Köln 2000, 144 ff. 127 I Aktuelle Porschungsergebnisse bietet: N. M. See!, Psychologie des Lernens, München! Base! 2000.

131 ••

Das lernpsychologische Schema verläuft in 5 Phasen:

(1) Motivation. In der ersten Phase soll die Hörerin »abgeholt« und Motivation zum Zuhören eingeladen werden. Sie soll dazu motiviert werden, der

Predigt bis zum Ende zuzuhören und sich für das Lösungsangebot zu öffnen. Erzählungen, Dialoge, Bildbetrachtungen, Hinweise auf aktu­ elle Ereignisse können als Mittel der Motivation dienen. Die Predigerin beginnt nicht mit der Darstellung eines Problems. Sie will ihren Hö­ rerinnen nicht gleich etwas beibringen. Sie will diese vielmehr schritt­ weise an die Botschaft heranführen. Sie sucht den Sitz des Problems im Leben der Zuhörerinnen auf. Dabei geht sie mit ihnen sorgsam um. Sie wendet sich ihnen persönlich zu, um eine Grundlage des Vertrauens zu schaffen. Ihre Botschaft wird ihr leichter abgenommen, wenn es ihr gelingt, eine gute Beziehung zu ihren Hörerinnen herzustellen. Das ist eine wichtige Aufgabe der Motivationsphase. In Kapitel 3 (S. 84) ist ein Beispiel für die Anwendung des lernpsy­ chologischen Schemas abgedruckt. Horst Hirschler hat in seiner Rundfunkandacht die Motivationsphase breit verlaufen lassen (Zeilen 1-21). Er möchte zum Nachdenken über das Feiern von Weihnachten anregen. Dazu berichtet er von der Diskussion in einem ]ugendkreis, in der viel Unbehagen und Ratlosigkeit gegenüber Weihnachten zum Ausdruck kommt. Das Problem wird an einer konkreten Situation festgemacht. Die jungen Leute wissen ebenso wie die Vertreterin der älteren Generation (Zeilen 15-21), dass Heiligabend so gefeiert werden sollte, wie es diesem Fest entspricht. (2) ProblemMrstellung. Die 1. Phase leitet zum Problem hin, um das Problem- es dem Prediger geht: »Eigentlich sagte keiner etwas Gutes über den darstellung Abend, auch als ich nachfragte« (Zeile 21). Hirschler rechnet mit

einem großen Unbehagen bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörern. Darum benennt er das Problem nur, was in diesem Fall auch genügen dürfte. Ist die Motivationsphase gut verlaufen, macht die Problemdar­ stellung der Predigerin in der Regel keine Mühe. Sie hat ihre Hörerin­ nen gut darauf vorbereitet. Es wird eine Frage aufgedeckt, die die Zuhörenden betrifft, oder sie werden mit einem aktuellen Problem konfrontiert. Dies geschieht möglichst präzise. Die Fragestellung wird klar umrissen. Überlagerungen von verschiedenen Problemgefügen an dieser Stelle können bleibende Störfaktoren für die Predigt bilden. Die Hörerinnen sollen spillen, dass die Frage auch die Predigerin beschäf132 ........... •

tigt. Diese fühlt sich ihren Hörerinnen nicht überlegen und sucht zusammen mit ihnen nach Lösungen. Das verstärkt die Beziehung zwischen Predigerin und Hörerin. Die Zuhörenden haben es dadurch leichter, sich mit der verhandelten Frage zu beschäftigen und selbst­ ständig mitzudenken. Als Methode bietet sich in dieser Phase an, dass die Erlebnisse, Ereignisse und Geschichten, die der Motivation dienten, auf ihren Sachinhalt beziehungsweise ihren Problemhorizont hin betrachtet werden. Das Problem, das in der Motivationsphase indirekt dargestellt wurde, wird jetzt beim Namen genannt und eingegrenzt. Der biblische Text kann an dieser Stelle zu Wort kommen. Er wird eingeführt oder, wenn er vor der Predigt verlesen wurde, an dieser Stelle noch einmal aufgenommen. Die Predigerin macht deutlich, wozu der Text in dieser Predigt etwas zu sagen hat. In der Rundfunkandacht von Hirschler fehlt der Bezug zu einem biblischen Text. Er wäre hergestellt gewesen, wenn Hirschler etwa formuliert hätte: »Eigentlich sagte keiner etwas Gutes über den Abend. Denn alle meinten, dass etwas Besonderes passieren müsse, wenn die Geburt J esu richtig gefeiert werden soll. Damals, in Bethlehem, war doch einiges los gewesen . . . «

(3) Versuch und Irrtum. Predigerinnen schließen häufig unmittelbar an die Darstellung des Problems die Lösung an. Das hat oft zur Folge, Versuch und dass die Hörerinnen nicht mitkommen. Sie sind noch mit der Frage Irrtum beschäftigt, die die Predigerin ausgesprochen hat, und möchten noch weiter darüber nachdenken. Zudem gibt es kaum Probleme, die auf eine einzige Weise lösbar sind. Manche Hörerin will sich an der Suche nach einer Lösung selbst beteiligen. Dabei kann ihr die Predigerin helfen, indem sie verschiedenen Lösungsmöglichkeiten nachgeht und diese durchspielt. Wenn sie der Überzeugung ist, dass solche Versuche in Sackgassen enden, macht sie das deutlich. Sie deckt den Irrtum auf. Oder sie überlässt es der Hörerin zu entscheiden, ob die verschiedenen Versuche, eine Lösung zu finden, in die Irre führen. Die Phase »Versuch und Irrtum« (englisch: trial and error) soll die Hörerin befähigen, in eine Auseinandersetzung mit eigenen Überzeu­ gungen und denen anderer einzutreten. Je ernster diese Überzeugungen genommen werden, desto leichter wird ihr das fallen. Die Hörerin braucht Argumente, die sie auch in Gesprächen mit Freundinnen, Verwandten, Nachbarinnen, Berufskolleginnen verwenden kann. Da133 ••

für ist es nützlich, wenn die Predigerin der Hörerin, die Argumente mit Beispielen und Geschichten illustriert. Das hat zur Folge, dass das Zuhören nach der manchmal abstrakten Problemdarstellung wieder leichter fällt. Entscheidend ist in unserem Zusammenhang, dass die in der Predigt vorgestellten »Versuche« als solche ernst genommen wer­ den und nicht nur eine Statistenrolle spielen. Eine faire inhaltliche Auseinandersetzung erkennt man daran, dass sie gerade diejenigen Positionen, die sie (vom Evangelium her) kritisieren muss, mit dem gebotenen Respekt behandelt. Die Andacht von Hirschlerwirkt in dieser Phase überzeugend (S. 84, z.

22-S. 8 5 , Z. 7). Es gibt nach Meinung des Autors kein gültiges

Rezept für eine christliche Weihnachtsfeier. Das macht Hirschler durch eine Reihe von Fragen deutlich. Aber er sagt auch seine persönliche Meinung, dass am Heiligen Abend Ältere und Jüngere aufeinander hören und darum zusammen feiern sollen. Das bietet Hirschler dann als Problemlösung an (S. 8 5 , Z. 16-19).

(4) Uisungsangebot. Wenn die Predigerin in der Phase »Versuch und Lösungsangebot Irrtum« die Hörerin von der Ernsthaftigkeit der Fragestellung und

verschiedener Versuche, ihr gerecht zu werden, überzeugt hat, wird sie das Lösungsangebot der Predigerin leichter anerkennen oder annehmen können. Dabei soll vor allem der biblische Text zu Wort kommen, und zwar in seinem antwortenden Charakter. Die Perspektive des Glaubens wird plausibel aufgezeigt. Dass sich daraus keine Patentlösungen, son­ dern vielfach neue Fragen und Schwierigkeiten ergeben, sollte nicht in jeder Predigt ausgeführt werden, aber doch im Blick bleiben. Antwor­ ten des Glaubens reißen häufig mehr Fragen auf als sie lösen können. Ohne über diese Tatsache hinwegzugehen, soll die Phase des Lösungs­ angebotes dazu dienen, dass Menschen in ihrem Glauben gewisser werden, darin eine Orientierungshilfe finden und zu einem veränderten Verhalten ermutigt werden, was zur letzten Phase dieses Predigtauf­ baus führt: zur Lösungsverstärkung. Die Andacht von Hirschler enthält ein zurückhaltend formuliertes Lösungsangebot. Das entspricht dem Charakter der Ansprache. Man­ cher Hörerin wird allerdings unklar bleiben, was unter dem »Stil J esu« zu verstehen ist. Hier wünscht man sich weitere biblische Orientie­ rungshilfen in Richtung einer »Aktion Christliche Weihnachten« .

134 ........... •

Zusammenfassung des Lernpsychologischen Modells

Phasen

( 1 ) Motivation

(2) Problemdarstellung

Verlauf

1

� 2

(3) Versuch und Irrtum

(4) Lösungsangebot

(5) Lösungsverstärkung

3



EI

l 5

. ....... \,).l VI

Ziele

Methoden

Interesse wecken

Aktuelle Beispiele und Erlebnisse

Herstellen einer Beziehung zwischen Predigerin und

Provokative Aussagen

Hörerin

Gedankenführung vom Allgemeinen

Hinführen zum Thema (Text)

zum speziellen oder umgekehrt

Herstellen einer Beziehung zwischen Hörerin und

In das Thema oder in den biblischen

Thema (Text)

Text einführen

Im Idealfall gilt:

Die Fragestellung eingrenzen oder das

P

=

Thema entfalten (verallgemeinern)

P



T: Predigerin und Thema (Text) stimmen überein

H



T: Hörerin und Thema (Text) stimmen überein

H : Predigerin und Hörerin stimmen überein

Aufzeigen der Vielschichtigkeit der Fragestellung

Argumentation

Reflexion des biblischen Textes

Illustrationen

Kennenlernen verschiedener Lösungsmöglichkeiten

Texte

Zur eigenen kritischen Auseinandersetzung der Hörerin

Bilder

mit dem Thema (dem Text) ermutigen

Symbole

Formulieren von Einsichten (Abstraktion)

Zuspitzen der biblischen Botschaft

Vorstellen eines Lösungsangebotes

(Patentlösungen vermeiden)

Anerkennung des Lösungsangebotes oder Einverständnis

Kern- oder Merksätze formulieren

von Seiten der Hörerin gewinnen Übertragen des Lösungsangebots in die Alltagswelt

Erfahrungsberichte

(Konkretion)

B eispiele zur Anwendung

Vertiefen des Gesagten auf der Erfahrungsebene

(5) Uisungsverstärkung. Eine Lösung, die die Predigerin im Blick auf Lösungs- das verhandelte Problem anbietet, darf nicht in allgemeine Aussagen verstärkung (»Wer nicht . . . , kann auch nicht . . . «) und pauschale Appelle ein­ münden (»Jede sollte . . . «). Vielmehr müssen konkrete Vorschläge gemacht werden, die das Finden eigener Lösungen in ähnlichen Frage­ stellungen unterstützen. Entscheidend ist, dass die gefundene Lösung in die Lebenswelt der Hörerin übertragen wird und einzelne, gangbare Schritte aufgezeigt werden. Die Predigerin erzählt Beispiele, wie sie oder andere sich in ihrem eigenen Leben die Lösung vorstellen. Sie weist auf Erfahrungen hin, die in diesem Zusammenhang gemacht wurden (vgl. Andacht Hirschler, Zeilen 78-84). Oder es wird noch einmal das Beispiel aus der Motivationsphase aufgenommen. Die dort gestellte Frage findet jetzt eine Antwort. Neuartige Informationen würden an dieser Stelle das gedankliche Weiterschreiten stören. In der Phase der Lösungsverstär­ kung geht es um die Übertragung der vertretenen Sache in die Lebens­ praxis der Zuhörerinnen. Wenn das gelingt, wird die Predigt im Leben der Menschen weiter wirken und auf Umsetzung des Gehörten drän­ gen. Grundsätzlich ist zu sagen: Wer mit Modellen wie den hier vorge­ stellten arbeitet, wird zu überlegen haben, welche Zielrichtung die Predigt insgesamt haben soll. Was soll erreicht werden - auf Grund welcher Motivation der Zuhörenden? Eine Predigt, die sich vorwie­ gend am Defizit der Hörerin orientiert (»Ich sage euch, was euch noch fehlt!«) muss sich bewusst sein, dass sie bei vielen Hörerinnen aufeinen angstmotivierten Glauben hinzielt. Eine Predigt, die sich hingegen an der Verheißung Gottes, am durch Gottes gnädigen Zuwendung neu geschenkten Leben und so eröffneten Zukunft orientiert (»Stellt euch vor: Ein neues Leben in Christus bedeutet . . . !«) zielt auf einen erfül­ lungsmotivierten Glauben hin. 1 28 4 . LERNEN IM GLAUBEN UND VERÄNDERUNG DES LEBENS

Die Predigt des biblischen Wortes will nicht bloß unterhalten, informieren oder belehren. Auch wenn die christliche Verkündigung ein Potenzial zur menschlichen Problemlösung in sich trägt (Gottes heilvolle Nähe gilt ja dem »wirklichen Leben« !), ist dies nicht ihre 128 I Vgl. B. Gram, Religionspädagogische Psychologie, 5. Aufl., Düsseldorf 2000.

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einzige Aufgabe. Die Predigt als Gottes Wort in Gestalt menschlicher Wörter zielt auf Glauben (Röm 10,17) und Veränderung des einzelnen wie des gemeinschaftlichen Lebens (Phil 2,12f). Wenn eine Predigt wirkt, dann ist dies Geschenk Gottes und lässt sich nicht psychologisch oder didaktisch verrechnen. Zu verschieden sind die Zugänge, Lebens- Die Predigt hintergründe und individuellen Möglichkeiten bei Predigerinnen wie zielt auf Glau­ Zuhörerinnen im Umgang mit dem biblischen Wort. Die Predigt- ben und Ver­ arbeit wird sich darum nicht nur auf berechenbare Lemstoffe, Lern- änderung des schritte und Lernerfolge verlassen wollen. Gleichwohl ist es, wie wir zu Lebens zeigen versuchten, legitim und geboten, die Hemmnisse des Verstehens in der Verkündigung des Evangeliums möglichst gering zu halten. Dazu gehört ein Bezug zur Wirklichkeit und ihren Fragestellungen ebenso wie ein Bewusstsein des lebenslangen Lernens (Heiligung), das in der Praxis seine Form finden muss. Die beschriebenen Aufbaumodelle für Predigten garantieren keinen »Erfolg« hinsichtlich des Lernens im Glauben und der Veränderung des Lebens der Predigthörerinnen, sie können ihm jedoch dienen. Insbesondere das zuletzt vorgestellte Modell hat eine große Plausibilität. Die fünf Schritte des lernpsychologischen Modells finden sich in ähnlicher Weise schon in der Rhetorik der Antike1 29 , sie werden in der Werbung, in Literatur, Film und Fernsehen eingesetzt. l 3 O Sie liegen überdies - so ist zu vermuten - mancher Predigt zu Grunde, ohne dass die Predigerin ihre Arbeit bewusst nach dem Schema ausgerichtet hätte! Für die praktische Arbeit wird noch zu beachten sein: Durch eine einzelne Predigt wird die Predigerin nur selten das gesteckte »Lernziel« erreichen. Das geschieht in der Regel in einem längerfristigen Prozess, in dem mehrere Predigten dann eine besondere Bedeutung für die Hörerin bekommen. Ein Text oder ein Thema braucht nicht in einer einzigen Predigt erschöpfend behandelt zu werden. Sie können in meh­ rere thematische Schwerpunkte unterteilt werden. Diese Übung hat es in der Kirche früher oft gegeben. Es sei an Katechismuspredigten

129 I Vgl. A. Gräzinger, Die Sprache des Menschen, München 1991, S. 81 ff; P. Bukowski, Predigt wahrnehmen, 3 . Aufl., Neukirchen-Vluyn 1995, S. 30ff. 130 I F. T. Brinkmann, Praktische Homiletik, a.a.O., 147 f, zieht in unserem Zusammenhang den Vergleich zum Gliederungsschema vieler moderner st(Jl"ies, die nach folgendem Muster »gestrickt« sind: 1. Der Held und seine Aufgabe! 2. Der Widersacher! 3. Auseinanderset­ zung und Sieg/ 4. Rückkehr des Helden! 5. Schluss. Die Nähe dieses Schemas Zillll klassi­ schen Drama Cz. B. im Stile von Schillers Mana Stuart) ist ebenso erkennbar wie die Zillll lernpsychologischen Modell.

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erinnert, wo zu jedem der Hauptstücke des Katechismus (10 Gebote, Glaubensbekenntnis, Vaterunser; Taufe; Abendmahl; Beichte) auf ein­ ander folgende Predigten gehalten wurden. Ähnliches empfiehlt sich auch zur Auslegung zusammenhängender biblischer Texte. Wenn die Gemeinde zu Themenreihen eingeladen wird und die Predigerin ihr klarzumachen versteht, dass der inhaltliche Gewinn im kontinuierli­ chen Hören liegt, wird sie vermutlich mit Interesse an solch einer überschaubaren Predigtreihe teilnehmen. Die Predigerin sollte das da­ durch unterstützen, dass sie die Themen vorher ankündigt. Wenn sie darüber hinaus die Möglichkeit hat, die Themen oder Texte im Rahmen einer kirchlichen Wochenveranstaltung (Bibelgespräch, ]ugendgruppe etc.) oder in Predigtnachgesprächen nochmals aufzugreifen, ist dies noch besser. Auch ein geistlicher Lernprozess braucht seine Zeit. Nur die Wiederholung führt in die Tiefe und zur Veränderung. Darum ist es gut, ein Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten zu entfalten. Dass Predigten unterschiedlich intensiv gehört und behalten wer­ Predigten wer- den, hat auch eine Befragung von Predigthörerinnen und -hörern er­ den sehr unter- geben, die eine hohe Zustimmung zur gehaltenen Predigt und damit zu schiedlich gehört den Predigenden zeigte (über 80 %), während sich nur wenige Zuhö­

rende an den Inhalt der Predigt richtig oder teilweise richtig erinnern konnten (etwa 30 %). Diese als klassisch geltende Befragung wurde 1967 unter Leitung von Osmund Schreuder in je 25 evangelisch­ landeskirchlichen und römisch-katholischen Gemeinden durchgeführt und erfasste etwa je 1250 Predigthörerinnen und -hörer. Unter ande­ rem wurden folgende zwei Fragen gestellt: 131 >:>

Wie hat Ihnen diese Predigt zugesagt?«

(Geschlossene Frage mit vorgegebenem Bewertungskatalog) Gesamteindruck:

evang.

kath.

sehr gut

25 %

14 %

gut

57 %

55 %

teils-teils

6%

11 %

nicht so sehr oder gar nicht

8%

12 %

131 I o. Schreuder, Die schweigende Mehrheit, zuletzt abgedruckt in: A. BeutelN. Drehsen/ H.M. Müller (Hg.), Homiletisches Lesebuch, 2. Aufl., Tubingen 1989, S. 253-260. Eine neuere, wnfangreichere Gottesdienstbefragung haben vorgelegt: K.-F. Daiber/H.W. Dan­ nowski u. a. (Hg.), Predigen und Hören. Bd.2: Kommunikation zwischen Predigern und Hörern - sozialwissenschaftliche Untersuchungen, München 1983.

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Ganz andere Zahlen ergab die Frage danach, wie die Predigten verarbeitet wurden: »Woran können Sie sich noch erinnern?« (Offene Frage) Inhalt der Fredigt:

evang.

kath.

richtige Antwort

4%

6%

teilweise richtig

27 %

30 %

falsche Antwort

31 %

22 %

keine Antwort

38 %

42 %

Manche Untersuchungen im Bereich der Volkskirchen kommen auf noch geringere Reichweiten von Gottesdienst und Predigt hinsichtlich einer Inhaltsvermittlung und Prägung der Zuhörerinnen. 13 2 Zu sol­ chen - für Predigerinnen nicht gerade ermutigenden - Ergebnissen kann es auf vielerlei Weise kommen. Nicht alles darf der Predigt zugeschrieben werden, vielschichtige gesellschaftliche Vorprägungen und individuelle Erwartungen dürfen hier nicht außer Acht bleiben (vgl. Kapitel l). Die dritte EKD-Studie »Fremde Heimat Kirche« Neues Interesse belegt, dass 74 % (West) und 82 % (Ost) der befragten Kirchenmit- an der Predigt glieder mit großer Dringlichkeit eine Gottesdienstgestaltung fordern, »durch die sich die Menschen angesprochen fühlen« 133 . Nach der aktuellen EKD-Studie »Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge« sprechen sich 63 % (West) und sogar 77 % (Ost) derjenigen Kirchenmitglieder, die Gottesdienste besuchen, dafür aus, ein Gottesdienst »soll vor allem eine gute Predigt enthalten«. 134 Heutige Erfahrungen, insbesondere in wachsenden Gemeinden volks- wie freikirchlicher

132 I Vgl. V. Drehsen, Das öffentliche Schweigen christlicher Rede (1982), zuletzt abgedruckt in: A. BeutelN. Drehsen/H.M. Müller (Hg.), Homiletisches Lesebuch, 2. Aufl., Tübingen 1989, S. 261-286. Drehsen spricht davon, dass bei einer Gottesdienstbefragung unter jungen Erwachsenen (die zu mehr als der Hälfte immerhin auf sporadische gottesdienstliche Erfah­ rungen zurückgreifen konnten) 9 5,5 % der Befragten angaben, ihre »Informationen zu Glaube und Kirche überall sonstwoher, karun aber aus ihrem Gottesdienstbesuch bezogen hätten« S. 263). 133 IK. Engelhardt/H. v. loewenich!P. Steinacker (Hg.), Fremde Heimat Kirche. Die dritte EKD-Erhebilllg über Kirchenmitgliedschaft. Hannover 1997, S. 391. Bei den Konfessionslo­ sen ergeben sich folgende Werte: 57 % (\X!est) und 66 % (Ost) wünschen sich eine entspre­ chende Gottesdienstgestaltung. 134 IW. Huber/]. Friedrich/P. Steinacker (Hg.), Kirche in der Vielfalt der lebensberuge. Die vierte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 2006, S. 454.

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Prägung zeigen, dass die Predigt vielerorts wieder an Interesse gewon­ nen und für viele Hörerinnen eine beachtliche Prägekraft für ihr Leben hat. 135 Diese Chancen gilt es, in Gemeindeaufbau und Gottesdienst weiter zu nutzen und auszubauen. Zum Schluss soll nochmals daran erinnert werden, dass es (wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt wurde) in der Predigt nicht nur um die Vermittlung von Wissen geht, sondern ebenso um das Gewissmachen des Glaubens sowie um Hilfen zur Entscheidung. Ein gelungener Predigtaufbau kann allen drei Zielsetzungen dienen.

135 I Vgl. B. Krause, Auszug aus dem Schneckenhaus. Praxisentwürfe für einen verheißungs­ orientierten Gemeindeaufbau, Neukirchen-Vluyn 1996, S. 67 fund 214 f sowie: K. Douglass, Gottes liebe feiern. Aufbruch zum neuen Gottesdienst, 2. Aufl., Emmelsbüll 2000, S. 139 ff.

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Kapitel 5: Der Predigtvortrag Wenn Gemeindeglieder gefragt werden, wie sie sich eine gut vorge­ tragene Predigt wünschen, sagen sie oft: •

Die Predigt sollte möglichst frei und mit viel » Publikumskontakt« gehalten werden.



Sie sollte laut, langsam und verständlich dargeboten werden.



Die Prediger sollten sich um eine gute Mischung von lebendigem Vortrag und ruhiger Ausstrahlung bemühen. Die Unterschiede der Meinungen werden bei dieser Frage allerdings beträchtlich sein: je nach Alter, Prägung und eigenen Vorstellungen werden ganz verschiedene Erwartungen an den Prediger herange­ tragen. Ein gelungener Sprechakt ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu

gehören unter anderem: •

eine gute inhaltliche Vorbereitung dessen, was man sagen will



eine erwartungsvolle Einstellung zu dem, was man zu tun hat



eine - im positiven Sinne - angespannte Konzentration, damit die Predigt spannend und nicht langweilig wird



einen ansprechenden, kommunikativen Stil, der eigenes Nachden­ ken anregt, Horizonte eröffnet und zur Antwort einlädt



eine deutliche Aussprache und eine dem Inhalt und der Situation angemessene Gestik und Mimik. Vieles davon kann gelernt werden, ja muss gelernt werden, wenn das

Predigen langfristig Freude bereiten soll. Anderes ist Begabung, die man mehr oder weniger mitbekommen hat. Sie gilt es zu entdecken, zu fördern und zu formen oder möglicherweise auch zu bremsen. Im Folgenden sollen einige der oben genannten Faktoren angesprochen werden, die für einen gelungenen Vortrag der Predigt von Bedeutung sind.

I. Das Konzept Eine Predigt ohne vorliegendes Konzept zu halten, ist - wenn es gelingt - eine gute Sache, weil die Aufmerksamkeit viel stärker auf die 141 ••

Predigthörer konzentriert werden kann, als wenn der Blick immer wieder auf das Predigtmanuskript gerichtet ist oder gar ablesend an ihm klebt. Allerdings ist bei der frei gehaltenen Predigt die Gefahr groß, dass der Prediger nach kurzer Zeit bei seinen Lieblingsgedanken landet. Auch kann er leicht abschweifen, sich wiederholen oder vom Hundertsten ins Tausendste kommen, so dass das Gegenüber keinen roten Faden mehr erkennen kann. Jedenfalls sollte man nicht denken, dass es ein Zeichen eines stärkeren Glaubens oder Gottvertrauens sei, wenn die Predigt nicht schriftlich vorbereitet wird: »Wer predigt, muß immer wissen, was er sagt, egal ob er sich >nebenbei< oder >gezielt< vorbereitet. Das Konzept ist dann nur eine Frage des Gedächtnisses und nicht der geistlichen Vollmacht.« 13 6 Für ein ausgeschriebenes Predigtkonzept sprechen vor allem drei Gründe:

(1) Das Erstellen eines Konzeptes für die Predigt zwingt zum klaren Klarheit Durchdenken und Strukturieren der Botschaft. So können unnötige

Wiederholungen und Geschwätzigkeit auf der Kanzel vermieden wer­ den. Zudem lassen sich die Ergebnisse der Predigtarbeit besser kon­ trollieren und auswerten. (2) Wenn die Predigt schriftlich vorliegt, verleiht das dem Prediger Sicherheit eine gewisse Sicherheit. Auch wenn die Nervosität groß ist oder wenn

der Prediger auf der Kanzel einmal einen Blackout hat und nicht mehr weiter weiß, kann er sich immer noch an sein Konzept halten und die Predigt zu Ende bringen. (3) Schließlich macht ein Konzept eine Predigt leichter wiederholWiederholbarkeit bar. Vor allem wenn das Predigtkonzept am Computer erstellt wurde,

kann es immer wieder aktualisiert und auf die neue Situation umge­ schrieben werden. Was an Inhalten sorgfältig erarbeitet wurde, kann durchaus guten Gewissens mehrmals eingesetzt werden. Gefahren, die ausgeschriebene Predigtkonzepte in sich bergen, sind vor allem das Ablesen und Am-Konzept-Kleben beim Predigtvortrag. Geachtet werden muss auch auf die Tendenz des geschriebenen Wortes zur »Schreibe«, die mit ihrer Komplexität die Hörenden schnell über-

136 I w. Klippert, Vom Text zur Predigt. Grundlagen und Praxis biblischer Verkündigung, Wuppertal/Zürich 1995, S. 136. Wahrend viele der gängigen homiletischen Lehrbücher zu diesen ganz praktischen Fragen nur wenig Information bieten, nimmt die Präsentation der Predigt in Klipperts Buch einen erfreulich großen Rawn ein (S. 136-163). Ihm sind wichtige Gedanken dieser Ausführungen zum Predigtmanuskript entnommen.

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fordert. Durch die Fixierung auf ein Konzept kann die Spontaneität beim Vortrag stark eingeschränkt werden. Wolfgang Klippert schreibt hierzu: »Das Konzept ist ein Diener und kein Herr; es darf seinem Meister nicht die Freiheit rauben, auf aktuelle Ereignisse und neue Ideen einzugehen . . . Wer sich zum Sklaven seines Manuskripts macht, wird in entscheidenden Situationen den Kairos, den göttlichen Zeit­ punkt verpassen. Sie sollten sich grundsätzlich schon an Ihr Manu­ skript halten und nicht jeden Gedanken, der Ihnen durch den Kopf schießt, einflechten oder gar als Geistesleitung interpretieren. Aber Sie sollten Ihr Manuskript dann fröhlich verlassen, wenn es die Situation erfordert. « 13 7 Auch H. Hirschler plädiert in seiner Predigtlehre dafür, die Predigt wörtlich auszuformulieren, sie dann aber mit Unterstreichungen und farbigen Markierungen zu präparieren. Dieses präparierte Manuskript sollten die Prediger sich einprägen und dann auf der Kanzel jeden Satz neu formulieren. Hirschler nennt dies »das freie über das Manuskript Hinwegreden « 138 . Das Auswendiglernen der Predigt halten wir weder für notwendig noch für sinnvoll. Denn der auswendig gelernte Vortrag ist ebenfalls Die Predigt kein lebendiger kommunikativer Akt, sondern gleichsam eine »Vorle- nicht sung von einem inneren Manuskript« (Friso Melzer). Demgegenüber auswendig soll in der Predigt Raum bleiben für Entdeckungen und Einfalle des lernen Augenblicks, für Improvisation und Rücksicht auf die Hörer. Ein freies »Spielbein�< jedoch hat nur, wer auf seinem »Standbein« genügend Halt hat. Von daher ist es günstig, sich die Gliederung und die wesentlichen Gedankengänge der Predigt einzuprägen. 139 Wer einen Schritt weiter gehen und gezielt an der frei gehaltenen Predigt arbeiten will, dem empfiehlt sich das kleine Büchlein von 4ü Damblon gibt viele Ratschläge,

Albert Damblon »Frei Predigen« . 1

wie man von der Abhängigkeit vom Manuskript wegkommen und zu einem freien - nicht frei schwebenden! - Prediger werden kann. Von der Erarbeitung eines ausgeschriebenen Manuskripts rät er allerdings

137 I w. Klippert, Vom Text zur Predigt,a.a.O., S. 138. 138 I H. Hirschler, Biblisch predigen, 3. Aufl., Hannover 1992, S. 577. 139 I Vgl. A. Pahl, Anleitung Zillll Predigen, 3. Aufl., WuppertallKassei 1976, S. 76. 140 I A. Damblon, Frei Predigen. Ein lehr- und Arbeitsbuch, Düsseldorf 1991. Vgl. auch V. lehnert, Kein Blatt vor'rn Mund. Frei predigen lernen in sieben Schritten, Neukirchen-Vluyn 2006.

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ab und setzt stattdessen konsequent auf die Erstellung von Stichwort­ zetteln und Gedächtnishilfen für die freie Rede. Folgende Gründe benennt Damblon für die frei vorgetragene Pre­ 4 digt: 1 1 (1) Die freie Predigt ist ein öffentliches Zeugnis der Botschaft Jesu Christi. Zur Verkündigungskompetenz gehört die Fähigkeit, in freier Rede und auf überzeugende Art »jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt« (lPetr 3,15). (2) Die freie Predigt betont besonders den Zeugnischarakter des Predigens. Jemand spricht live von dem, was uns »unbedingt angeht« (Paul Tillich). Biblisch gesprochen: "Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über« (Mt 12,34). (3) Freie Predigt geschieht als »Sprechdenken«. Deutlich wird daSprechdenken bei: der Prediger denkt nicht nur bei der Predigtvorbereitung, sondern

auch während er predigt. Dann stimmen der Sprechprozess des Predi­ gers und der Denkprozess der Hörers stärker überein. Sprechpausen beim Reden sind Denkpausen beim Hören. (4) Die Kommunikationssituation Predigt erfordert eine ihr ent­ sprechende Sprachform und die ist nicht das geschriebene, sondern das gesprochene Wort. Dieses ist eher situationsgebunden, stilistisch ein­ fach, einmalig, dynamisch, provisorisch, während Geschriebenes den Hang zum Statischen und Wiederholbaren in sich trägt. (5) Die freie Rede schafft Kontakte. Auch wenn die Predigt mono­ logischen Charakter trägt, soll sie wesensmäßig Gespräch sein. Der Prediger führt einen inneren Dialog mit seinem Gegenüber. Er braucht dazu die nötige Freiheit des Sprechens, damit der Hörer die nötige Freiheit des Hörens findet. Vieles spricht für die freie Predigt. Sie erfordert in hohem Maße Geistesgegenwart, im doppelten Sinne des Wortes. Sie ist - wie jede Kunst - eine Sache der Begabung und eine Sache geduldiger Übung. Allerdings muss auch gesagt werden: Die freie Rede ist weder das Maß aller Dinge und noch jedermanns Ding. Es gibt gute Prediger, die einen geübten Umgang mit dem Manuskript haben, und deren Kommuni­ kation deshalb gelingt, weil sie bewusst den Kontakt mit ihren Hörern anstreben. Auf keinen Fall sollte der Verzicht auf ein Manuskript und damit die freie Rede Ergebnis mangelnder Vorbereitung sein. Wemer 141 I Vgl. a.a.O., S. 25-46. 144 ........... •

Jetter merkt hierzu augenzwinkernd an: »der Heilige Geist holt die Überstunden nicht nach, um die der Prediger sich drückte« . 142 Wie soll ein Manuskript aussehen? Als Format für die Konzeptblätter hat sich DIN A 5 bewährt. DIN A 4 passt nicht auf jede Das Manu­ Kanzel und bei kleineren Formaten als DIN A 5 muss der Prediger zu skript häufig blättern. Wer ohne Ablage auskommen muss und nur wenige Notizen braucht, kann immer noch auf Karteikarten DIN A6 zurückgreifen. Die Blätter sollten durchnummeriert und nur einseitig beschriftet sein, dass die entsprechenden Passagen immer schnell gefunden werden können. Damit der jeweils nächste Zeilenanfang leichter auffindbar ist, sollte kein Blocksatz verwendet werden. Eine große Schrift ist vor allem bei schlechtem Licht und niedriger Kanzel wichtig. Gliederungen helfen zur Übersichtlichkeit. Der Predigttext sollte möglichst aus der Bibel vorgelesen werden und nicht aus dem Pre­ digtmanuskript. Damit wird deutlich: jetzt wird aus der Heiligen Schrift zitiert; alle können den Text in gleicher Weise zu Hause nachlesen. 11. Der Kontakt mit der Gemeinde

Es klang schon beim vorigen Abschnitt an: Der Prediger soll seine Gemeinde wahrnehmen. Er bemerkt nämlich einiges, wenn er seine Hörer im Blick hat. Er spürt und sieht, ob sie der Predigt folgen oderob sie mit Gedanken ganz woanders sind. Letzteres ist freilich nicht nur negativ zu bewerten. Ein Spielen-Lassen der Gedanken kann durch interessante Aussagen und Bilder in der Predigt geradezu provoziert werden und gewünscht sein. H. Hirschier empfiehlt, beim Vortrag der Predigt »drei bis fünf feste Punkte in der Gemeinde zu suchen und den Blick ruhig und gelassen Blickkontakt

vom einen zum anderen wandern zu lassen« . 143 Besser als von Punkten

sollte man wohl von Gesichtern sprechen, in die der Prediger schauen kann. Es macht einem Mut, wenn ein Blick freundlich erwidert wird. Und es gibt den Hörern das Gefühl: Da redet einer mit mir und nicht an mir vorbei oder über mich hinweg. Etwas vom Schlimmsten ist, wenn Prediger irgend einen Fixpunkt über oder unter ihrem Gegenüber im 142 I w. Jetter, Homiletische Akupunktur. Teilnahmsvolle Notizen- die Predigt betreffend, Gättingen 1976, S. 106. 143 I H. Hirschler, Biblisch predigen, a.a.O., S. 579.

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Kirchenraum anpeilen. Das verrät Unsicherheit und vermittelt An­ onymität. Der Blickkontakt dagegen »schafft eine Atmosphäre der Offenheit und der persönlichen Nähe« und »vermittelt den Eindruck 44 .

von Ehrlichkeit und Selbstbewußtsein« 1

Anzeichen, dass die Hörer »abgehängt« haben, können zum Beispiel der Blick auf die Uhr oder das Blättern in Gesangbuch oder Bibel sein, das Rascheln mit dem Bonbonpapier, das Ganz-in-sich-versunken-Sein oder gar das Einschlafen in der Kirchenbank. All das kann einen als Prediger ganz schön aus der Fassung bringen. Auch das Schreien von Kindern kann Prediger wie Hörer ablenken - so schön es auch ist, dass Eltern ihre kleinen Kinder mitbringen, und so wichtig deren Präsenz im Gottesdienst ist. Hilfreich kann es in solchen Situationen sein, ohne großes Aufhebens einfach einen Satz oder eine Passage der Predigt zu wiederholen. Dies gilt auch für den Fall, dass jemand während der Predigt den Gottesdienstraum verlässt. In den seltensten Fällen ist solch ein Herausgehen persönlich zu nehmen und als Reaktion auf die Predigt zu verstehen. Meist liegen ganz natürliche Gründe vor . Vom Humor wird noch einmal in einem anderen Zusammenhang die Rede sein (Kapitel 8). Hier nur soviel: Es ist in mehrerer Hinsicht Die Gemeinde gut, wenn es dem Prediger gelingt, die Gemeinde in der Predigt zum zum

Lachen Schmunzeln oder Lachen zu bringen. Das entkrampft und lässt aufat-

bringen men und aufwachen. Es muss natürlich zur Situation und zum Text

passen. Es ist sicher keine schlechte Regel, wenn es in jedem Gottes­ dienst mindestens ein Mal für die Gottesdienstteilnehmer etwas zu lachen gibt. 111. Zur Wirkung der Stimme

»Sie sollten Ihre Stimme annehmen! . . . Schon die Tatsache, daß Sie sich selbst annehmen - auch ihre Stimme - wirkt sich so positiv aufIhre Ausstrahlung aus, daß Sie in kürzester Zeit viele Punkte wettma­ 4 chen«. 1 5 Unter Sängern ist bekannt, dass ein guter Ton nur dann zu erreichen ist, wenn die singende Person mit sich selbst versöhnt ist, wenn eine innere Balance gefunden wird. Unsicherheit und Angst verhindern einen guten Klang und damit auch das überzeugende Re-

144 I w. Klippert, Vom Text zur Predigt, a.a.O., S. 160. 145 I E. Wagner, Rhetorik in der christlichen Gemeinde, Stuttgart 1992, S. 314. 146 ........... •

den. Nun ist es zugegebenermaßen nicht einfach, sich selbst anzunehmen, und auch nicht einfach, die eigene Stimme anzunehmen, wenn sie Die eigene einem nicht gefällt. Appelle zur Selbstannahme nützen da wenig, eher Stimme an­ schon der Hinweis darauf, dass die Verkündiger der guten Botschaft nehmen von der Liebe Gottes selbst in diese Liebe mit eingeschlossen sind. Ihnen gilt die Barmherzigkeit Gottes genauso wie allen anderen und darum dürfen sie auch sich selbst und ihrer Stimme gegenüber barmherzig sein. Wichtig ist, dass die Sprache der Prediger möglichst echt und au­ thentisch klingt. Ein aufgesetztes Kanzelpathos oder eine gestelzte Ausdrucksweise wirken unglaubwürdig und auf die Dauer peinlich. Allerdings merken das die Redenden häufig gar nicht selbst. Deshalb ist es gut, wenn sie in der Gemeinde Menschen haben, die ihnen immer wieder dazu (liebevolle!) Rückmeldungen geben. Denn es wäre auch falsch, beim Reden nun ständig auf die eigene Stimme zu achten. Das kann zu einer überhöhten Selbstbeobachtung führen, die in der Regel die Unsicherheit nur verstärkt. Wo Sprechprobleme das Predigen deutlich behindern, kann durch gezielte Sprecherziehung und durch die Arbeit mit Audio- und Videoaufnahmen der eigenen Predigten viel erreicht werden. Eine angemessene Lautstärke, eine saubere Aussprache und ein stimmiges Sprechtempo sind gewissermaßen Gebote der Nächstenlie- Lautstärke und be, vor allem schwer hörenden Menschen gegenüber. Allerdings kann Aussprache das Gebot der adäquaten Lautstärke nicht bedeuten, dass damit alle Modulationen und die leisen Tone von der Kanzel verbannt werden. Manche Passagen müssen leise oder auch geheimnisvoll gesagt werden, damit es dem Predigtinhalt entspricht. Und gute Verstehbarkeit hängt nicht nur mit der Lautstärke zusammen, sondern auch mit der Präzision des Sprechens, der sauberen Artikulation. Wer die Zähne beim Reden nicht auseinander bekommt, wer nuschelt oder Wortendungen verschluckt, wird auch bei größerer Lautstärke schlecht verstanden. In beiden Fällen, bei zu leisem und zu undeutlichem Sprechen, müssen sich die Hörer zu sehr anstrengen, um etwas mitzubekommen. Sie ermüden deshalb schneller und >:> schalten ab«. Auch das richtige Redetempo ist beim Predigen wichtig. Die Faustregel ist, dass eher langsam als schnell gesprochen werden soll. Redetempo Die Zuhörer brauchen Zeit, um das Gehörte verstehen und einordnen zu können. Pausen an der richtigen Stelle sind wichtig und unterstrei147 ••

ehen das Gehörte. Allerdings gilt aueh das Umgekehrte: Zu lange Pausen und zu langsames Sprechen ermüden ebenfalls. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass auch die Zuhörenden an dieser Stelle Verantwortung haben und ihren Teil zum akustischen und inhaltlichen Verstehen der Predigt beitragen sollten. Das bedeutet konkret, dass sie sich auf einen möglichst hörfreundlichen Platz setzen und eventuell von einem Hörgerät beziehungsweise von der Induk­ tionsschleife Gebrauch machen. Und das bedeutet auch, dass sie mit Erwartungen an den Gottesdienst und an die Predigt kommen. Über unseren Atem reflektieren wir in der Regel nicht. Das Atmen Atem geschieht unbewusst und selbstverständlich. Wenn wir aber beim Pre­

digen angespannt oder nervös sind, werden wir oft »kurzatmig und atmen gegen den natürlichen Rhythmus. Durch eine zu schnelle At­ mung kann es geschehen, dass (. . . ) unser Kreislauf ins Wanken gerät und es uns schwindelig und schwarz vor Augen wird.« 146 Dagegen hilft eine bewusst langsame Atmung, die sich nicht auf den Brustbe­ reich beschränkt, sondern als Tief- oder Vollatmung den Bauchraum 4 einbezieht. 1 7 Bei F. Melzer, einem Autor, der sich über Jahrzehnte hinweg mit Sprache und Sprechen beschäftigt hat, kann man lesen, dass durch richtige Atmung das Luft- und Sauerstoffvolumen fast verdop­ pelt werden kann, was einem Prediger einen langen Atem für seinen 4 Predigtvortrag geben kann. 1 8 In jedem Fall bestimmt der Atem den Satz, gestaltet den Satzbau. Wenn der Prediger eine Unstimmigkeit von Satz und Atem nicht bemerkt - dem Hörerwird sie nicht entgehen. Es kommt häufig vor, dass die Mikrofon- beziehungsweise Ver­ Mikrofone und stärkeranlage in einer Kirche keine befriedigende Wirkung zeigt. In Lautsprecher diesem Fall ist darauf zu drängen, dass an der Stelle nicht gespart wird.

Es ist ärgerlich und störend, wenn eine verzerrte Stimme zu Ver­ stehensproblemen führt oder eine kalte, technische Wiedergabe der Stimme die seelsorgliche Wirkung von Worten mindert. Mikrofone und Lautsprecheranlagen können wie die Raumakustik in verschiede­ nen Räumen so unterschiedlich sein, dass es sich empfiehlt, bei Gast­ predigten jemanden vor Ort zu fragen, wie der Abstand vom Mikrofon und die Lautstärke des Sprechens optimal sind. Der Mikrofonständer oder -halter ist möglichst schon vor dem Gottesdienst in die richtige 146 I w. Klippert, Vom Text zur Predigt, a.a.O., S. 14l. 147 I Vgl. hierzu die praktischen Übungen in: H. lodes, Atme richtig!, München 2000. 148 I F. Melzer, Evangelische Verkündigung und deutsche Sprache, Tübingen 1970, S. 6.

148 ........... •

Stellung zu bringen. Es ist zu überlegen, ob die Mikrofonanlage über­ haupt erforderlich ist. Manche Prediger engen ihre Redekünste da­ durch ein, dass sie mehr dem technischen Hilfsmittel als ihrem eigenen Stimmvermögen und ihrer Redeausstrahlung vertrauen. Weniger Technik ist häufig mehr.

IV , Zu Gestik und Mimik Die Predigt beginnt nicht erst, wenn der Prediger auf der Kanzel steht, und sie auch ist nicht zu Ende, wenn der Prediger Amen gesagt Körpersprache hat. Unser gesamtes Verhalten vor, in und nach dem Gottesdienst ist Teil des Predigtgeschehens. Das Auftreten im Gottesdienst bei der Eröffnung, bei Lesungen, Gebeten und beim Predigtvortrag sollte, wie die Stimme, möglichst natürlich wirken. Der Weg zu Kanzel oder Lesepult sollte aufrecht und in normalem Schritttempo zurückgelegt werden. Hektische Bewegungen sind zu vermeiden. Der ganze Körper spricht mit. Gestik und Mimik unterstreichen die Botschaft und lassen das Ge­ sagte glaubwürdiger erscheinen. Allerdings ist zu empfehlen, dass man bei der Predigt mit dem Einsatz von Gestik vorsichtig umgeht. »Zap­ pelige« Prediger kann man nur kurz anschauen. Sie machen einen nervös. Vor allem Bewegungen des ganzen Körpers und der Beine sollten ruhig erfolgen. Die Gestik ist mit dem direkten Anschauen der Gemeinde zu verbinden. Irgendwelche unterstreichenden Gesten, während man mit dem Blick ins Manuskript vertieft ist, wirken meist albern. Ein besonderes Augenmerk sollte man auf seine Hände legen. Hände Wenn man nicht weiß, wohin mit ihnen, können sie auf der Kanzel locker abgelegt werden. Das macht einen natürlicheren Eindruck als wenn man sich Halt suchend am Kanzelrand festkrallt. Wer sich innerlich frei fühlt und fest steht, wird Gestik und Mimik natürlich und stimmig einsetzen können. Es gilt aber auch umgekehrt, dass maßvolle Bewegung frei macht und Nervosität vermindern kann. Mimik heißt nicht Grimassen schneiden. Vielmehr bedeutet es, dem Inhalt und dem emotionalen Gehalt einer Predigt entsprechend zu Gesicht schauen und zu wirken. Wer mit einem gelangweilten oder allzu di­ stanzierten Gesichtsausdruck predigt, der wird wenig Interesse bei seinen Hörern wecken können. Wer ständig mit den Augen zuckt oder auf den Lippen kaut, wird seine Nervosität auf die Gemeinde übertra149 .'

gen. Wie bei der Stimme merkt man die eigenen Ticks häufig nicht selbst. Es gibt Prediger, bei denen die Zuhörern mitzählen, wie oft er sich räuspert, die Brille auf- und absetzt, aus einem Wasserglas trinkt oder bestimmte Füllwörter in der Predigt gebraucht. Um Stimme, Mimik und Gestik in rechter Weise einzusetzen, ist es eine Hilfe, an einen vertrauten Menschen im Kirchenraum zu denken, sich ihm innerlich zuzuwenden und zu ihm zu sprechen. Das Auftreten wird dadurch natürlicher und zugewandter.

V. Vom Umgang mit der Predigtangst Es gibt kaum ein homiletisches Lehrbuch, das die Predigtangst kennt. RudolfBohren schreibt über die Furcht des Predigers vor Gott: »Der Prediger, der Gott fürchtet, braucht die Menschen nicht zu

fürchten.« 149 Das ist richtig, aber vielleicht doch noch nicht alles, was hierzu gesagt werden kann.

Am ausführlichsten ist hier wiederum das Buch von Damblon. Er widmet dem Thema ein ganzes Kapitel. Wichtige Erkenntnisse hieraus sind:

(1) Predigtangst ist normal. Sprecherzieherische Untersuchungen haben ergeben, dass nur 8,8 % einer Probandengruppe keine Redeangst haben. Die Sprecherzieher Waltraud und Dieter Allhoff schreiben: »Nahezu jeder kennt das Gefühl der Sprechangst: aus einer Rede vor vielen oder einer mündlichen Prüfung oder einem unangenehmen Ge­ spräch mit Vorgesetzten. Dem einen >schlägt es auf den Magenweiche KnieKloß im HalsAtem bleibt wegPredigtpäpste< jeden Verkündigungsversuch sezieren und auseinandernehmen?« 152 Demgegenüber ist an die göttliche Gnade zu erinnern, die der Gemeinde schon längst zuteil geworden ist, bevor der Prediger auf die Kanzel steigt. Wer die Gemeinde als eine Gemein­ schaft der Begnadeten ansieht und sich selbst einbringt in die Mittei­ lung der befreienden und ermutigenden Botschaft des Evangeliums, der wird der Gemeinde das geben wollen, wonach sie sich im Innersten Liebe zur sehnt: ein Wort von Gott für die Gegenwart, mitgeteilt von einem Gemeinde Menschen, der es selbst vernimmt und sein Leben danach auszurichten versucht. Bischof Walter Klaiber hat einem Pastor, der fortwährend über seine Gemeinde geschimpft hat, die Frage gestellt: »Hast du deine Gemeinde lieb?« Wie ein Prediger diese Frage beantwortet, wird sein Predigen und auch den Umgang mit der Predigtangst beeinflussen.

(5) Die gründliche Vorbereitung. Wer gut vorbereitet ist, kann auf das vertrauen, was gearbeitet wurde. Wer aber bei der Predigtarbeitvon der

151 I u. H. Nix, Überzeugend und lebendig reden, landsberg a.L 1985, Zitat bei Damblon, a.a.O., s. 53. 152 I Damblon, a.a.O., S. 62.

151 ••

Hand in den Mund lebt, fällt leichter dem Stressfaktor Predigtangst Gründliche zum Opfer. Der Rhetoriker Maximilian Weller schreibt dazu: »An die Vorbereitung Spitze unserer Zusammenstellung von Heilmitteln gegen die Rede­

hemmungen gehört die kategorische und strenge Forderung: Bereite dich als junger Redner, den noch Redeangst und Lampenfieber be­ drängt, unter Festlegung zahlreicher Stichworte so gründlich wie nur möglich auf dein Thema vor, so daß du das Gefühl hast, es unbedingt zu beherrschen, es geradezu aus dem Ärmel schütteln zu können, um wenigstens stofflich aufkeinen Fall unsicher zu sein«. 153

VI. Zum Umgang mit Pannen Mancher Prediger hat schon in der Nacht von Samstag auf Sonntag Pannen machen geträumt, dass er auf die Kanzel steigt und das Predigtmanuskript Perfektion verschwunden ist. Andere haben erlebt, dass just in dem Moment, in menschlich dem Sie beginnen wollten, die Mikrofonanlage ihren Dienst versagte.

Ob zwei verschiedenfarbige Socken, fehlender Blumenstrauß oder unfreiwillige Situationskomik (ein Prediger hat einmal aus einem aktuellen Zeitungsabschnitt »einige Strophen« vorgelesen und sich dann verbessert: »einige Verse« . . . ) - Pannen machen manche per­ fekte Veranstaltung menschlich. Das gilt auch für Gottesdienste. Pannen können also die Wirkung eines Ereignisses erhöhen und sind deshalb nicht nur negativ zu sehen. Es kommt natürlich darauf an, wie oft etwas und was schief geht. Gelegentliche leichte, also nicht belei­ digende Missgeschicke wecken in den Zuhörenden einen Mitleids­ oder Beschützereffekt. Alle werden aufatmen und sich mitfreuen, wenn es dann klappt. Es gilt, aus der Panne kein Drama zu machen. Meist ist die Panne schnell vergessen. Ein paar scherzhafte oder ver­ bindende Worte schaffen Nähe zu den Zuhörenden und entspannen die Situation.

153 I M. Weller, Das Buch der Redekunst, München 1989, S. 67. 152 ........... .

VII. »Ratschläge für einen schlechtenRedner« Die folgenden »Ratschläge für einen schlechten Redner« stammen von Kurt Tucholsky. In den humorvollen und ironischen Anmerkun­ gen werden sich wohl die meisten Prediger - zumindest an der ein oder anderen Stelle - wiederfinden können. 1 54

Fang nie mit dem Anfang an} sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so: >Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abend komme} lassen Sie mich Ihnen kurz . . . Die Steuern sind zu hoch. Ich mochte zu dem} was ich soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, daß mir die Steuern bei weitem . . . :> •





wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich

mitten unter ihnen« (Mt 18,20).

IV. Zur Selbstkontrolle der Predigt Es gehört zur Verantwortung der Predigerinnen, dass sie - bevor sie Die Predigt- die Kanzel betreten - ihre Predigt einer gewissenhaften Kontrolle kommunikation unterziehen. Dazu sollen einige der schon im vorigen Abschnitt zur verbessern Predigtanalyse formulierten Fragen, die sich nicht nur für das Grup­

pengespräch, sondern auch für ein Selbstgespräch über die Predigt eignen, näher ausgeführt und noch weitere Kriterien und Tipps ge­ nannt werden, mit deren Hilfe eine Selbstkontrolle vorgenommen werden kann. Auch wenn manche der Ratschläge sich scheinbar von selbst verstehen, zeigen Untersuchungen von Predigten, dass es doch immer wieder ganz ähnliche Problemfelder sind, die die Predigtkom­ munikation behindern. 1 . ANFANG UN D SCHL U S S

Aller Anfang ist auch beim Predigen schwer. Befragungen haben Der erste Satz ergeben, dass die ersten Sätze einer Predigt für das weitere Interesse der

Hörerinnen sehr entscheidend sind. Als wichtige Regel formuliert M. Josuttis: »Der erste Satz soll auf jeden Fall kurz sein. Denn die Aufmerksamkeit des Hörers will erst erobert werden; er muss sich auf den Beginn der Predigt konzentrieren und auf die Art des Predigers einstellen. Das kann er nur, wenn ihm kurze Sätze zu Anfang das

Mitgehen erleichtern. « 1 64 Und weiter schreibt er: >:> Der erste Satz sollte nach Möglichkeit inhaltlich offen sein. Damit ist gemeint: Er sollte

164 I M. Josuttis, Über den Predigtanfang, in: Ders., Rhetorik und Theologie inder Predigt­ arbeit. Homiletische Studien, München 1985, S. 166-186, S. 167.

166 ........... .

zum Weiterhören anregen, er sollte neugierig, stutzig, nachdenklich machen.« Das kann gelingen, wenn die Predigerin beispielsweise mit dem Hinweis auf einen ungewöhnlichen und überraschenden Satz oder Gedanken des Bibeltextes beginnt oder ein interessantes Zitat, ein Gedicht oder eine Erzählung an den Anfang der Predigt stellt. Heikel ist es hingegen, wenn sie gleich zu Beginn von ihren Problemen mit dem Bibeltext erzählt. Wer mit der Negation anfängt, vermag in vielen Fällen das Positive nicht mehr auszusagen; dazu kommt, dass die Gemeinde nach einer solchen Einführung unter Umständen nicht mehr viel von Bibeltext und Predigt erwartet. Hilfreich für die Zuhörerinnen kann der Predigtbeginn in Form einer interessant gestalteten Hinfüh­ rung zum Bibeltext sein, durch die die Gemeinde den Text konkreter und intensiver hört. Auch der Predigtschluss bedarf einiger Aufmerksamkeit. Denn er bleibt den Hörerinnen eventuell noch lange im Ohr, besonders dann, Der Predigt­ wenn nach der Predigt eine Zeit der Stille (und nicht gleich ein Lied schluss oder Gebet) folgt. Auch für den Predigtschluss empfehlen sich kurze und prägnante Sätze, aber auch ein Zitat, Gedicht oder Lied, das die Hauptgedanken der Predigt noch einmal unterstreicht. Mit den letzten Worten der Predigt sollten die Hörerinnen möglichst nicht überfordert werden, was leicht geschehen kann, wenn sie zum Beispiel von der Predigerin zu einem bestimmten Handeln aufgefordert und dann damit allein gelassen werden. Dem kann entgegengewirkt werden, wenn der ethische Impuls mitten in der Predigt gut begründet zur Sprache kommt und die Predigt dann mit einem Zuspruch endet, der Freiheit eröffnet und dadurch zum Handeln motiviert. Wichtig ist jedenfalls, dass die Predigerinnen ein Ende finden und den Mut haben, all das Bedeutsame, das es noch zu sagen gäbe, für ihre nächsten Predigten aufzusparen. 2 . DER UNTERSCHIED Z W I SCHEN » S PRECHE" UND }>

SCHREIBE"

In der Schule lernen wir am Beispiel von literarischen Texten und eigenen Aufsätzen, wie wir uns schriftlich auszudrücken haben. Wer studiert, wird mit den Grundsätzen wissenschaftlichen Schreibens vertraut gemacht. All diese Regeln und Fertigkeiten, die wir uns zum Teil mühsam angeeignet haben, wenden wir auch später - bewusst oder unbewusst - beim Schreiben von Predigten an. Wir verfassen ein 167 ••

Predigtmanuskript. Dabei muss uns aber bewusst sein, dass solch ein schriftlich vorliegender Text noch keine Predigt ist. Denn Predigt ist »Spreche« und keine »Schreibe«, ja sie ist vielleicht nicht einmal eine wohlgeschliffene Rede, deren scharfsinnige Formulierungen man ei­ gentlich nur gedruckt versteht. Was heißt das für den Predigtstil? Zunächst gilt hier das, was auch für Predigtanfang und Predigt­ Die Predigt als schluss schon wichtig war: Lange Sätze sollten möglichst vermieden »Spreche« werden. Sie machen eine Predigt schwerfällig und schwer verständlich. Natürlich spielt auch die Betonung beim Sprechen eine große Rolle dabei, wie gut man dem Gesagten folgen kann. Aber da die Zuhörenden - anders als bei gedruckten Texten - keine Möglichkeit haben, eine Passage zur Wiederholung noch einmal durchzulesen, sollte ihre Hör­ bereitschaft nicht mit verschachtelten Nebensätzen auf die Probe ge­ stellt werden. Eine Faustregel aus der Rundfunkhomiletik, wo es ja besonders auf leichte Verstehbarkeit ankommt, besagt, dass kein Satz mehr als 1 3 Wörter haben sollte. Beim Predigen ist ein gesundes Maß an Redundanz nötig (vgl. Kapitel 4). Die Predigerinnen sollten sich dem biblischen Text oder dem Predigtthema von verschiedenen Seiten nähern. Und was im Deutschaufsatz als Stilfehler angekreidet würde, nämlich der mehrfa­ che Gebrauch desselben Wortes oder Begriffs, kann in der Predigt um der Verständlichkeit willen geradezu geboten sein. Wie wichtig ein guter Aufbau der Predigt ist, wurde bereits in Kapitel 4 deutlich gemacht. Bei der abschließenden Überprüfung des Manuskripts sollte noch einmal darauf geachtet werden, ob die einzel­ nen Teile der Predigt in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und ob die Übergänge zwischen ihnen gut nachvollziehbar sind. Gedankensprünge sind zu vermeiden. Erzählende Sprache ist leichter zu verstehen als abstrakte Sprache. Das bedeutet für die Predigt, dass die Substantivierung der Verben (das Erkennen, das Handeln), wie sie vor allem in wissenschaftlicher Sprache häufig zu finden ist, möglichst vermieden werden sollte. Und wenn wir schon bei der Grammatik sind: Auch der Gebrauch zu vieler Partizipien (die Erkennenden, die Handelnden) kann die direkte und packende Anrede des Gegenübers schwächen. Ebenso schmälert die Häufung von passiven Formulierungen (es ist beobachtet worden) und Konjunktiven (würde dieses Wort beherzigt, dann wäre . . . ) Aussagekraft und Glaubwürdigkeit der Predigt. Das kann übrigens auch geschehen, 168 ........... •

wenn zu viele Fragen gestellt werden, die in der Predigt dann nicht beantwortet werden oder auf die es gar keine Antworten gibt. Ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem beim Thema Sprachstil der Predigt ist das der so genannten inklusiven Sprache. Unsere Inklusive Erfahrung ist, dass es vielen Frauen gut tut, wenn die Prediger und Sprache Predigerinnen Frauen und Männer gleichermaßen anzusprechen versuchen. Leider wird die Predigt durch die Verwendung von inklusiver Sprache meist holpriger. Eine einheitliche Sprachregelung ist hier noch . 1 65 L den. nlCht gemn 3 . Z u SPRACHE UND INHALT

Zurecht ist schon häufig darauf hingewiesen worden, dass die Pre­ digerinnen keine fromme Insidersprache oder »Sprache Kanaans« be­ nutzen sollen. Wenn wir den Anspruch erheben, dass unsere Gottes­ dienste öffentlich und für alle zugänglich sind (vgL Kapitel 1), und wenn wir mit unseren Predigten missionarisch wirken wollen, dann sollten wir uns um Verständlichkeit für möglichst viele Menschen innerhalb und außerhalb der Gemeindegrenzen bemühen. Wer von seinem Gegenüber verstanden werden will, muss dessen Sprache spre­ chen. Die lernt man, wenn man die Hörerinnen der Predigt besser kennen lernt, wenn man aufdas hört, was sie sagen und wie sie es sagen. »Der Prediger muß auf die Sprache des Alltags achten.« 1 66 Das soll Alltagssprache nicht heißen, dass beim Predigen nicht auch andere Wörter gebraucht werden dürfen als solche, die in der Alltagssprache üblich sind. Die frohe Botschaft ist wahrlich nichts Alltägliches oder Selbstverständliches. Aber es muss bei der Predigtsprache - wie natürlich auch beim Predigtinhalt - daraufgeachtet werden, dass sie die Lebenssituation der Hörerinnen trifft, und nicht an ihr vorbeiredet. Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle allerdings auch, dass es nämlich nicht nur eine Sprache Kanaans bei den Predigerinnen, sondern auch >:> Kanaaniter-ohren« bei den Hörerinnen gibt. Das sind, mit dem Praktischen Theologen Werner J etter gesprochen, >:>Hörer-Vorverständnisse, generationenalte Hör-Dressate, die eine enorme Fähigkeit zum Umhören entwickeln. Wir können dann jebusitisch oder philistäisch, apokalyp165 I Einige Hinweise dazu gibt die Handreichung: Für eine Sprache, die Frauen anspricht. Empfehlungen, hg. vom Amt für Information der Evangelischen landeskirche in Württem­ berg, Stuttgart 1996. Vgl. auch die Hinweise, bes. unter Punkt 6 im literaturverzeichnis. 166 I H. Hirschler, Biblisch predigen, 3. Aufl., Hannover 1992, S. 531.

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tisch oder existenzialistisch daherreden, in die Ohren vieler träufelt es immer kanaanäisch hinein; und nach Abzug einer Verbrauchsrate an geistlicher Unverständlichkeit bleibt genau das übrig, was schon der Amtsvorgänger immer sagte.« 1 67 Die Predigt sollte daraufhin überprüft werden, ob sie Allgemein­ Keine plätze enthält. Das sind Aussagen über die Menschen, die modeme Allgemeinplätze Gesellschaft oder die politische Lage, die für alle Zuhörerinnen gelten

und alle ansprechen sollen. Aber gerade dadurch betreffen sie nieman­ den wirklich. Die Dinge liegen komplizierter als Allerweltsweisheiten Glauben machen wollen. »Gemeinplätze sind deshalb gemein . . . , weil sie wohl betreten sein wollen, dem Betreten aber nicht standhalten. « 1 6 8 Sie stimmen im Konkreten nicht. Es gibt auch theologische Allgemeinplätze, die dogmatisch richtig sein mögen, aber in ihrer Allgemeinheit zu unverbindlich wirken und die durch ihre häufige Wiederholung die Zuhörenden zum Abschalten bewegen. Wenn das Vertraute nicht auch unkonventionell zur Sprache gebracht wird, kann eine Predigt öde und langweilig werden. Mit dem Problem der Allgemeinplätze hängt noch ein weiteres zusammen: Formulierungen wie >:>Wir alle wissen doch . . . « unterstellen den Hö­ rerinnen in der Regel etwas. Wissen wir alle es wirklich, oder will manche Predigerin alles besser wissen, oder weiß die Gemeinde viel­ leicht manches genauer als die Predigerin? Durch die Verwendung von Bildern, Beispielen und gegenständli­ Bilder, Beispiele chen Symbolen wird die Sprache der Predigt anschaulicher und damit und gegenständ- leichter zugänglich. In Kapitel 7 und 8 wird dazu noch Einiges gesagt liehe Symbole werden. Bei der Eigenkontrolle der Predigt muss daraufgeachtet wer­

den, ob die Bilder, Beispiele und Symbole stimmen und eventuell nicht ganz andere Assoziationen wecken als ursprünglich beabsichtigt. Gleiches gilt auch für Zitate, die in der Predigt verwendet werden. Sie können einen stärkeren Eindruck auf die Zuhörerinnen ausüben als der der Predigt zu Grunde liegende Bibeltext. Zitate sollten nur dann namentlich gekennzeichnet werden, wenn es wirklich etwas für die Predigt austrägt. Unbekannte Namen zu nennen, verwirrt entweder oder vermittelt den Hörerinnen das Gefühl, dass sie etwas nicht wissen, 167 I w. Jetter, Die Predigt als Gespräch mit dem Hörer, in: A. Beutel/V. Drehsen/H. M. Müller (Hg.), Homiletisches Lesebuch. Texte zur heutigen Predigtlehre, Tubingen 1989, s. 206-221, s. 214. 168 I R. Bohren, Predigtlehre, a.a.O., S. 408.

170 ........... •

was sie eigentlich wissen sollten. Etwas anderes ist es, wenn (bekannte) Namen wie Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King oder andere bewusst genannt werden, um damit bestimmte Vorstellungen zu erzeugen. Man spricht dann von Miranda und Antimiranda. »Als Mi- Miranda und randa bezeichnet man positiv empfundene, als Antimiranda negativ Antimiranda empfundene Reizwörter.« 1 69 Nicht nur Personen, sondern auch Ortsnamen und bestimmte Begriffe können solche gefühlsgeladenen Stimmungsträger sein (Tschernobyl, Greenpeace). Dabei ist die Wirkung dieser Reizwörter natürlich sehr stark von den jeweiligen Adressatinnen abhängig. Was bei jungen Leuten in der Stadt ein Mirandum ist, kann bei älteren Landbewohnerinnen geradezu ein Antimirandum sein und umgekehrt, Grundsätzlich kann zum Schluss noch gesagt werden, dass es ein Problem vieler Predigerinnen ist, dass sie zu viel in die Predigt hin- Weniger ist oft einpacken wollen. Weniger ist oft mehr. Das gilt sowohl in Bezug auf mehr die Predigtlänge, als auch auf die Anzahl der Gedanken, Impulse und Anregungen. Die Konzentration auf wenige Grundgedanken hilft zum besseren Verstehen und Behalten der Predigt. Bei der abschließenden Durchsicht des Predigtmanuskripts oder des Stichwortkonzepts sollte auch darauf das Augenmerk gerichtet werden. Als Checkliste zur Eigenkontrolle der Predigt soll der nachfolgende »Tugendkatalog« dienen. Seine zum Teil humorvollen Formulierun­ gen weisen darauf hin, dass man den Katalog mit einem Augenzwin­ kern lesen und sich bei aller berechtigten Sorgfalt und Verantwortung für die Predigt nicht die Freude am Predigen nehmen lassen sollte. Schließlich ist es tröstlich, dass hier auf Erden nichts perfekt ist, auch nicht die Predigtkritik!

V. Tugendkatalog für Predigerinnen170 •

Ich habe komplizierte und lange Sätze vermieden. Jeden Satz über zwei Zeilen Länge habe ich radikal gekürzt.



Inhaltlich habe ich mich auf zwei bis drei Gedanken beschränkt. Konkret und zielstrebig habe ich sie ausgeführt.

169 I P. Bukowski, Predigt wahrnehmen. Homiletische Perspektiven, 2. Aufl., Neukirchen­ Vluyn 1992, S. 86. 170 I Frei nach C. D. Hinnenberg, Tugendkatalog für Prediger, in: Deutsches Pfarrerblatt 75 (1975),S. 297.

171 .'



Ich habe die Lieder, Lesungen und Gebete des Gottesdienstes mit der Predigt abgestimmt.



Sprache Kanaans habe ich eliminiert.



Ankündigungen (»Das heißt: . . . « , »Außerdem meine ich . . . «) habe ich vermieden, wo sie unpassend sind und die Sprache zum Amtsdeutsch machen.



Ich habe den Text auf falsches Pathos hin abgehorcht und mein



Modalverben (sollen) kannen} müssen} dürfen) habe ich behutsam ein­

Rollenverständnis als Predigerin überdacht. gesetzt, passive Formulierungen ins Aktive verwandelt. •

Partizipien und unnötige Substantivbildungen habe ich vermieden. Ich traue stattdessen dem Verb wirklich die Aussage des Satzes zu.



Ich habe definitorisches Reden (»So und nicht anders ist es!«) aufein Minimum beschränkt.

• •

Konjunktive habe ich sparsam und gezielt eingesetzt. Dass-Folgen habe ich vermieden. Ich weiß ja: Die Hauptsache ge­ hört in den Hauptsatz. Deswegen habe ich kurze Sätze formuliert.



Da ich noch nicht frei rede, habe ich den Text so weit wie möglich von einer »Schreibe« zur »Spreche« entwickelt.



Phrasen habe ich mir verkniffen. Sie sind wie Allgemeinplätze Nüsse ohne Kern.



Unnötige Verstärkungen (»wirkliches Gespräch«) kommen bei mir nicht vor.



Meine Bilder habe ich auf ihren Aussagegehalt und ihre Verwend­ barkeit hin überprüft.



Wörter mit -heit und -keit habe ich durch Verben ersetzt.



Schwarzweiß-Malerei habe ich mir abgewöhnt. Die Dinge liegen



Miesmacherei macht mutlos. Sie ist aus meinem Vokabular gestri­

komplizierter. chen. •

Seminarstil und theologische Richtigkeiten behalte ich lieber für mich.



Ich habe Argumente statt wohl gemeinter Beteuerungen gebraucht.



Bei abstrakten Formulierungen habe ich mich gefragt: Wieso? Was



Was die Kommunikation angeht, so weiß ich: Vor den Kopf stoßen

nun? Das hat mir zur Konkretion verholfen. nützt gar nichts, wenn ich andere gewinnen will. 172 ........... •



Unqualifizierte Polemik und Vereinfachungen verärgern ernsthafte und engagierte Hörerinnen.



Ich habe an das Image der Kirchgängerin gedacht und mich be­ müht, es zu verbessern. Die Gottesdienstbesucherinnen sind nicht so schlecht wie ihr Ruf.



Ich habe Solidarität mit meinen Hörerinnen gesucht, mich aber nicht angebiedert (unechtes » Wir«).



Unbeantwortbare Fragen frustrieren die Hörerinnen. Ich stelle sie darum erst gar nicht.



Ich habe meine Hörerinnen sowohl durch die Fülle als auch durch die Dichte meiner Aussagen weder über- noch unterfordert.



Ich habe den Text nicht nur interpretiert, sondern der Gemeinde Worte zugesprochen.



Ich bin nicht in der Negation stecken geblieben. Ich habe das Positive, die reale Möglichkeit und Wirklichkeit des Evangeliums verkündigt.

173 ••

Teil C Vertiefung: Die Predigt als Kommunikation des Evangeliums Kapitel 7: Die Predigt als Kommunikations­ geschehen

I. Das Predigtgeschehen im Lichte der Kommunikationswissenschaft Warum hat der Mensch zwei Ohren und eine Zunge?« »Damit er mit zwei Ohren hort und mit einer Zunge spricht und nicht umgekehrt! « »

Diese östliche Weisheit bringt eine Alltagserfahrung auf den Punkt: Hören und Verstehen, Reden und Sich-Mitteilen gehören zu unserem Leben und gelingen einmal mehr, einmal weniger gut. Was für unser zwischenmenschliches Miteinander gilt, wird im Hinblick auf das Gespräch über Bibel und Glaube kaum anders sein. In der Geschichte der Predigtforschung hat es verschiedene »Alli­ anzen« mit fachfremden wissenschaftlichen Disziplinen gegeben (vgl. Kapitel 1 .VII); das Gespräch mit der Kommunikationswissenschaft hat eine ganze Reihe von Anstößen für die Predigtlehre gebracht. Um diese soll es im folgenden Kapitel gehen: Am Anfang stehen einige Überlegungen zum Begriff »Kommuni­ kation des Evangeliums«, dann wenden wir uns einigen Ergebnissen der Kommunikationsforschung zu, um schließlich nach Konsequenzen für die Gestaltung der Verkündigung des Evangeliums in Gottesdienst und Predigt zu fragen. 174 ........... •

1 . E I N BEGRIFF IN ALLER MUNDE - WAS H E I S S T E I GENTLICH }>

KOMMUNIKATI O N « ?

In allen Bereichen des öffentlichen Lebens wird heute von »Kom­ muni kation« gesprochen, ob in den Massenmedien, in Politik und Wissenschaft, Kultur und Sport bis hinein in die Alltagskommunika­ tion. Das aus dem Lateinischen stammende Wort bedeutet soviel wie »Mitteilung, Unterredung«. Erst im 20. Jahrhundert hat sich der Kommunika­ Begriff im alltäglichen Sprachgebrauch durchgesetzt. Dabei wurde tion gehört zum deutlich: Kommunikation ist ein menschliches Grundphänomen, eine Menschsein »universale Bedingung des Menschseins«, wie der Philosoph Karl Jaspers feststellt. »Alles, was wir sind«, kann er sagen, »sind wir in I Kommunikation«. 71 Im heutigen, vieldeutigen Gebrauch des Begriffs Kommunikation hat sich eine doppelte Zielrichtung herausgebildet: •

zum einen zielt Kommunikation auf Verstehen (das heißt Anteilnehmen an der Sache, dem Inhalt der Mitteilung oder Bot- Anteil nehmen schaft),



zum anderen zielt Kommunikation auf Verständigung mit anderen Anteil geben Menschen (das heißt Anteilgeben an der Sache, beispielsweise dem Inhalt eines Textes). Verstehen und Verständigung bestimmen unsere zwischenmensch­

liche Kommunikation. Wir sind ununterbrochen dabei, die Flut von Signalen und Nachrichten, die auf uns einströmt, einzuordnen und zu deuten. Wir legen aus, was » bei uns ankommt« und geben das, was wir verstanden haben und uns wichtig geworden ist, an andere Menschen weiter. Verstehen und Verständigung sind gerade dort unerlässlich, wo es um

die Mitteilung biblischer Inhalte geht, die uns als Zeugnisse von In Der an­

Gotteserfahrungen aus vergangener Zeit überliefert sind.

dauernde Prozess des Verstehens und der Verständigung bestimmt somit auch unsere Predigtvorbereitung. Im Hinblick auf den Aspekt des Verstehens (Anteilnehmen) setzen wir uns einerseits mit der bibli­ schen Überlieferung und christlichen Tradition und andererseits mit der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit von Hörer und Prediger ausei­ nander. Niemand von uns fängt beim Predigen »bei Null« an. Im 171 I K. Jaspers, Philosophische Logik, Bd. 1: Von der Wahrheit. München 1958, s. 378. 172 I Vgl. A. Pahl, Anleitung Zillll Predigen, 3. Aufl. Wuppertal/Kassel 1976, S. 7 ff.

175 ••

Hinblick auf den Aspekt des Anteilgebens (Verständigung) sind wir in der Predigt bemüht, das, was uns ergriffen hat und was wir verstanden haben, an die Gemeinde weiterzugeben und auf ansprechende Weise mitzuteilen. Doch damit ist die Kommunikation noch nicht beendet, denn die Kommunikation Hörer unserer Predigt sind nun ihrerseits herausgefordert, das, was sie als Prozess aufgenommen und verstanden haben, weiterzugeben und mitzuteilen.

So sind wir als Prediger ein Teil im fortwährenden Prozess des Verste­ hens und Mitteilens der biblischen Botschaft. Im besten Falle bildet sich in der Gemeinde eine Verständigungs- und Handlungsgemein­ schaft heraus, in der Prediger wie Hörer sich aufs Neue von der bibli­ schen Botschaft ansprechen und betreffen lassen. 2 . KOMMUNIKATION

+

EVANGELIUM

=

KOMMUNIKATION D E S

EVANGEL I U M S ?

Wenn wir von »Kommunikation des Evangeliums« sprechen, liegt es nahe, die oben stehende Gleichung aufzustellen. Wir gehen dann stillschweigend davon aus, dass »Evangelium« eine fest umrissene Größe ist, die es nun zu vermitteln gilt. Kommunikation ist damit konzentriert und reduziert auf die Frage »wie sag' ich's . . . ?« Die sprachliche Wendung »Kommunikation des Evangeliums« kann aller­ dings grammatisch in zwei Richtungen gedeutet werden, was theolo­ gisch zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führt: Zum einen kann, wie in der Gleichung angedeutet, die Vermittlung Evangelium als des Evangeliums als eines bestimmten Inhalts oder Objekts (gramma­ Sachinhalt und tikalisch gesprochen: genetivus obiectivus) gemeint sein. Zum anderen »Kraft Gottes�� kann aber das Evangelium auch selbst als handelndes Subjekt der

Kommunikation aufgefasst werden (genetivus subiectivus). Das bedeutet dann: das Evangelium schafft sich selbst Bahn, es wirkt (durch Gottes Geist) selbsttätig Gemeinschaft und Verstehen unter den Menschen, die es anspricht und mit seiner Wahrheit ergreift. Beide Teilaspekte müssen unterschieden und gleichwohl auf einander bezogen werden. Der erste weist in Richtung des Handwerklichen, des Erlem- und Überprüfbaren, das es auch im Hinblick auf die Verkündigung gibt. Gemeinden wie Predigtlehrer wissen sehr wohl zu sagen, was eine »gute Predigt« ist und was nicht. Der zweite Aspekt indes weist auf die grundsätzliche Unverfügbarkeit des göttlichen Wirkens hin, für das wir in Gottesdienst und Predigt - wenn überhaupt - nur vorbereitend 176 ........... •

und anbahnend tätig sein können. 173 Das kann auch bedeuten, dass Gott sich in seinem Wirken über eine »schlechte Predigt« oder einen »lieblosen Gottesdienst« segnend hinwegsetzen kann! Der Ausdruck Gott vertraut Kommunikation des Evangeliums macht theologisch deutlich: einer- Menschen die seits hat Gott den Menschen den Auftrag zur Verkündigung anvertraut Verkündigung Oes 6,8; Mt 28,18-20), andererseits bleibt Gott selbst Herr seiner an Gnade und der Geschichte mit dieser Welt (1Sam 2,6f; 1Kor 12,1 1). Dies bedeutet: Die Glaubenden sind angehalten, im Hinblick auf die Kommunikation des Evangeliums »mit den anvertrauten Pfunden zu wuchern« (vgl. Mt 25, 14-30) und bleiben zugleich an die unmögliche Möglichkeit (K. Barth) ihres Tuns und Lassens erinnert (vgl. Phil 2,12. 1 3). Ernst Lange war es, der Mitte der 196üer Jahre die Rede von der Kommunikation des Evangeliums in die kirchliche Diskussion um Predigt und Gemeindeaufbau einbrachte. 174 Seine Beschreibung der Aufgabe eröffnet einen weiten Horizont: »Wir sprechen von Kommu­ nikation des Evangeliums und nicht von >Verkündigung< oder gar >PredigtBauplanSpiel des Glaubens< miteinander bringt. « 178 Das Predigtgeschehen darf sich nach dem Gesagten als Teil der großen Bewegung Gottes hin zur Welt und zu den Menschen verste­ hen. Menschen ins :>,Spiel des Glaubens« bringen - welch reizvolle, lohnende Aufgabe! Langes Betonung der Mehrdimensionalität der umfassenden Kommunikationsaufgabe der Christen und das Beharren auf dem :>,dialogischen Prinzip« zwischen Prediger und Hörer bezie­ hungsweise Gesellschaft bilden bis heute bleibende Anstöße für eine bibel- wie lebensbezogene Predigt- und Gemeindepraxis. Die nach­ denklichen Worte des Predigers und Predigtlehrers Hans Joachim Iwand allerdings weisen nicht weniger bleibend auf die Grenzen unse­ rer menschlichen Bemühungen hin: :>,Zuweilen muß man an Luthers Wort vom :>Platzregen< denken, den die Sonne bald aufleckt; das Geschehen des Wortes Gottes ist und bleibt ein kontingentes Geschehen, bleibt etwas, was wir nicht in der Hand haben, das man auch mit der besten Theologie nicht garan­ tieren und erzwingen kann. Gott kann auch schweigen. Immerhin wäre es wichtig, wenn man sich dieser Not wirklich bewußt würde. Alle Öffentlichkeitswirkung, alle kirchliche Repräsentation, alles Dringen auf die kirchliche Unterrichtung der Jugend und was sol­ cher Aufgaben mehr sind, wird leer und wirkungslos bleiben, wenn die Quelle versiegt, aus der die Gemeinde lebt. Diese ist und bleibt das :>lebendige Wort,lebendige Wort« , das Evangelium, von dem Was heißt jetzt schon viel die Rede war, inhaltlich beschreiben? Im neuen Testa:>,Evangelium«? ment, vor allem in den Paulusbriefen, wird euangelion in der Hälfte der

Belege ohne nähere Bestimmung gebraucht; in Röm 2,16 beispiels­ weise spricht Paulus von >,seinem Evangelium« , wenn er seine Deu­ tung des Christusgeschehens zusammenfasst. Offenbar wussten die Leser damals, was mit Evangelium gemeint war, so dass sich eine Erklärung erübrigte. Dies ist heute ganz anders. Wer weiß noch außerhalb wie innerhalb der Kirchen! -, was Evangelium im Sinne der

178 I E. lange, Chancen des Alltags. Überlegungen zur Funktion des christlichen Gottes­ dienstes in der Gegenwart, Stuttgart/Geinhausen 1965, S. 110. 179 I Aus dem Nachwort z um 10 Jg. der Predigtmeditationen (1956). In: H.-J. Iwand, Predigtmeditationen I, 4. Aufl., Göttingen 1984, S. 528.

178 ........... •

Bibel ist? Dazu sollen im Folgenden einige Grundlinien aufgezeigt werden: 180 Evangelium ist gute, frohe Botschaft Ges 52,7) und steht nach dem biblischen Zeugnis im Zeichen der sich durchsetzenden Gerechtigkeit Froh machende (Ps 98,2) und Herrschaft Gottes (Apk 2 1 ,3f). Das biblische Evangeli- Botschaft um ist ein Reden und Sich-Bezeugen Gottes in der Schöpfung, in der Geschichte des Gottesvolkes und schließlich im Wirken und Geschick Jesu Christi, dessen endzeitliche Vollendung noch aussteht (Phil 2,lOff). Dabei hat Jesus nicht nur das Evangelium von der gnädigen Zuwendung Gottes verkündigt, sondern es selbst in aller Konsequenz selbst vollzogen: in seiner Zuwendung zu den Zöllnern und Sündern, in seinen Machttaten als sichtbaren Zeichen der Gottesherrschaft gegen alle lebensfeindlichen Mächte und schließlich in Kreuz und Auferstehung. Das Evangelium, das in seinem Kern von der Menschenfreundlichkeit Gottes (Gen 9,2lff, Tit 3,4) getragen wird, zielt auf umfassendes, Gelingendes gelingendes Leben (hebräisch: Schalom), das nun gerade denjenigen Leben verheißen ist, die dazu nicht aus eigener Kraft kommen können Ges 61,1ff; Mt 5,3ff). Damit ist Evangelium ein Wort gegen den Augenschein; es trägt, weil es vom Geist Gottes gewirkte Botschaft ist, erneuernde und schöpferische Kraft in sich. Nirgends wird dies deut' ' licher als in der Rechtfertigung des Gottlosen 8 (Röm 3,23f) und der Rechtfertigung Setzung eines neuen Gemeinschaftsverhältnisses mit Gott Ger 3 1 ,3 1 f; Röm 5,1f). So ist das Evangelium immer auch Ruf zur Umkehr und zum Glauben (Mi 7,18; Mk 1 , 1 5) und- neutestamentlich gesprochen Ruf hinein in die verbindliche Nachfolge Jesu Christi zusammen mit anderen Glaubenden (Mt 28,18-20). Überhaupt ist das, was in der Bibel Heil genannt wird, niemals individueller Besitz, sondern verwirklicht sich erst in der Gemeinschaft mit anderen Christen und im verantwortlichen Dienst in der Welt. 182 Evangelium will Leben ver- Veränderung ändern und gestalten (Phil 2,12f), es wirkt durch Gottes Geist als befreiende (GaI 5,1) und Weg weisende Botschaft Oes 58,7; GaI 2,20). 180 I Vgl. w. Klaiber, Ruf und Antwort, Biblische Grundlagen einer Theologie der Evange­ lisation. Stuttgart/Neukirchen-Vluyn 1990, S. 34-157. 181 I Vgl. E. JüngeI, Das Evangelirun von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrwn des christlichen Glaubens, 3. Aufl., Tubingen 1999; W. Klaiber: Gerechtvor Gott. Rechtfertigung inder Bibel und heute, Gättingen 2000. 182 I Vgl. dazu: W. Rebell, Zrun neuen Leben berufen. Kommunikative Gemeindepraxis im frühen Christentrun, München 1990; W. Härle, Dogmatik, Berlin/New York 1995, S. 493 ff.

179 ••

Im Zusammenhang dieses Kapitels sind uns drei Aspekte der frohen Botschaft der Bibel besonders wichtig: (1) Wer sich in den Dienst der Kommunikation des Evangeliums Antwort stellen will, kann dies nur in der Überzeugung tun, dass die in der Bibel

überlieferte frohe Botschaft auch heute bleibende Antwort auf das Fragen des Menschen nach Anfang und Ende, nach Heil und Leben, nach Gerechtigkeit und Zukunft ist. Wer das Evangelium nicht selbst als frohe Botschaft und lebenseröffnende Perspektive für das eigene Leben erfahren hat, wird es schwerlich überzeugend weitergeben kön­ nen. (2) Das Evangelium ist bleibende Einladung und Verpflichtung für Einladung und diejenigen, die es vernommen und sich von ihm haben ansprechen Verpflichtung lassen, sich in ihrem Leben mit all seinen Bezügen dieser Botschaft

mehr und mehr anzuvertrauen (das meint der biblische Ausdruck Heiligung' 8' ). (3) Schließlich ist es bleibender Auftrag, nun im Zutrauen auf die Auftrag Kraft des göttlichen Evangeliums (Röm 1,16) auf zeitgemäße, einla­

dende Weise für das Evangelium in Wort und Tat einzutreten, öffent­ lich wie privat (2Kor 5 , 19f). Dabei teilen wir die Zuversicht Hans­ Joachim Iwands: »Es wird sich dann sehr bald zeigen, daß der >moderne Mensch< so unaufnahmefähig, wie wir meinen, gar nicht ist, daß er vielmehr gerade nach Stetigkeit und Standfestigkeit verlangt, daß er gar nicht will, daß wir immer nur hinter ihm herjagen, er ist ja selbst ein Gejagter und 4 sucht die Hand, die ihn führt und leitet . . . « 18 11. Einsichten der Kommunikationsforschung im Überblick

Aus der Fülle kommunikationstheoretischer Entwürfe, die im 20. Jahrhundert veröffentlicht wurden, sollen im Folgenden zwei Modelle vorgestellt und auf ihre Anwendbarkeit für unser Thema hin befragt werden.

183 I Vgl. w. Klaiber/M. Marquardt, Gelebte Gnade, Stuttgart 1993, S. 215 ff. 184 I H.-J. lwand, Predigtmeditationen I, 4. Auf!. Gättingen 1984, S. 503 f, zu 1Petr 5, 5b--l l (1955).

180 ........... •

1 . E I N GRUND MODELL: K OMMUNIKATION ALS INFORMATIONSVERMITTLUNG

Das kybernetische Grundmodell ist das wohl bekannteste und am leichtesten zu überschauende Kommunikationsmodell. 185 Es besteht aus den drei Größen: Sender - Kanal/Botschaft - Empfänger, die in einem gesteuerten (griechisch: kybernetes, Steuermann) Prozess der Nachrichtenübermittlung zusammenwirken. gemeinsamer Zeichenvorrat

I

I

SENDER

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I

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I

• KANAL/BoTSCHAFT

_________ _

Rückkopplung

I CC�dV I I •

EMPFÄNGER

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I

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_____________

Das Sender-Empfänger-Modell hat vor allem den Austausch von Informationen im Blick: Der Sender codiert seine Informationen zu­ nächst, indem er sie in Worte, Gesten oder Bewegungen fasst und hofft, nachdem er seine Botschaft auf den Weg gebracht hat, dass der Wahr­ nehmungsapparat des Empfängers diese aufnimmt und richtig deko­ diert, so dass schließlich die gewünschte Nachricht im Bewusstsein des Gegenübers ankommt. Deutlich wird hier erstens: Ein gelingender Informationsaustausch setzt einen gemeinsamen sozialen und sprach­ lichen Rahmen oder »gemeinsamen Zeichenvorrat« voraus. Zum zweiten weist dieses Modell auf potenzielle Fehlerquellen in der Kommunikation hin: Im »Kanal« kann es neben der Botschaft zu »Rauschen« kommen, zu Störungen (Lärm, Ablenkung, emotionale Widersprüchlichkeiten), die die Information verfremden und den Kommunikationsfluss hemmen können. Positive Faktoren (gemeinsa­ me Erfahrungen, nonverbale Signale) hingegen können den Informati­ onsaustausch fördern. Ebenso kann eine »Rückkopplung« zwischen

185 I Vgl. F. v. Cube, Was ist Kybernetik, Bremen 1967; H. Glaser, Kybernetikon. Neue Modelle der Information und Kommunikation, München 1971.

181 ••

Empfänger und Sender zeigen, ob die gewünschte Information ange­ kommen ist oder nicht . Dieses Grundmodell wurde von Karl-Wilhelm Dahm auf die Pre­ digt übertragen.

1 86

C 2b I -C 61

_______

A t ....... ....... Prediger

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C. Hörer

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Quelle: Karl-Wilhelm Dahm, Hören llUd Verstehen, in: Homiletisches Lesebuch, a.a.O . , S . 246

Dahm beschrieb mit Hilfe des kybernetischen Kommunikations­ modells das » System Predigt« mit den drei Faktoren:

= Prediger = Die Predigt C: Empfanger = Hörerschaft

• A: Sender

• B : Kanal/Botschaft •

Entscheidend war bei Dahm , dass er j edem der drei Faktoren so » Hintergrund- genannte » H intergrundvariablen« zuordnete , also zusätzliche Einflüs­ variablen«

182 ................ .

se, die die Vielgestaltigkeit der Kommunikationsaufgabe » Predigt « noch deutlicher machen sollten . (A 1-5 ) : Der Prediger ist keine unveränderbare Größe, sondern ein Mensch, der einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt ist. Dahm nannte: 1 . verschiedene Merkmale der Persönlichkeit , 2 . seine Berufsauffassung , 3 . besondere Tagesereignisse,

4 . den Bibeltext sowie 5 . die Erwartung der Reaktion der Gemeinde ( » Rückkoppelung « ) . ( B 1-3): D i e Predigt i s t nicht einfach eine Nachricht, sondern ein » Nachrichtenpaket« , das durch verschiedene Einzelfaktoren bestimmt wird : Dahm nannte hier: 1 . den Sachinhalt, 2. die rhetorische Präsentation sowie 186

I K . -W. Dahm, Hören und Vetstehen. Kommunikationssoziologische Überlegungen zur

gegenwärtigen Predigrnot. In: Predigrstudien IV/ 2 , 1 97 0 . Wiederabdruck in: A . Beutel!

V. Drehsen/H. M . Müller (Hg . ) , Homiletisches Lesebuch, 2. Aufl . , Tübingen 1 98 9 , S. 242252.

3. die gottesdienstliche Atmosphäre insgesamt. (e 1-6): Die Hörerschaft besteht aus einer Vielzahl von Menschen, von denen jeder einzelne im Schnittpunkt verschiedener Einflusskräfte steht. Dahm benannte folgende >:> Hintergrundvariablen « hierzu: (1) verschiedene Persönlichkeiten und Biografien, (2) spezielle Auffassungen zu Gottesdienst Predigt und Prediger, (3) aktuelle Tagesereignisse, (4) der Text (der nach Dahm im allgemeinen nicht behalten wird I); (5) Rückkoppelung (entfallt häufig I) sowie schließlich

(6) das "Paket« Predigt. Der Vorteil des kybernetischen Kommunikationsmodells ist seine Konzentration auf den Informationsaustausch. Kommunikation ist je­ doch mehr. Dies gilt gerade für die Predigt uod die Verkündigung des Evangeliums im Ganzen. Dahms Verdienst war es, die Predigtfor­ schung an Hand kommunikationswissenschaftlicher Bezüge auf die Vielschichtigkeit des »Systems Predigt« hingewiesen zu haben. Seine Analyse der Predigt als » Einwegkommunikation« wirkte ernüchternd und erhellend zugleich, zeigte sie doch treffend die Konkurrenzsitua­ tion auf, in der das Predigtgeschehen im Wirkungsfeld der beschrie­ benen Einflussgrößen (die leicht zu vermehren wären!) immer steht. 187 Der Autor forderte seinerzeit eine Ergänzung der Predigt durch das Gespräch in der Gruppe; dies wird heute in vielen Gemeinden prakti ziert, kann aber im Zusammenhang einer weiter gehenden Kommuni­ kation des Evangeliums - wie die Predigt selbst - nur ein weiterer Baustein sein. In jüngerer Zeit ist wieder stärker gesehen worden, dass die Predigt, auch wenn diese meist eine monologische Rede ist, eben doch als Die Predigt ist wechselseitiges Geschehen zwischen Prediger und Hörer anzusehen ist. ein Geschehen Die Predigt ist gleichsam ein Ausschnitt aus einem umfassenderen zwischen Gespräch, das der Prediger mit der Gemeinde führt. Weder ist damit Prediger und der Prediger auf die aktive Rolle des Senders, noch der Hörer auf die Gemeinde passive des Empfängers - und damit eines Objekts - festzulegen. Im Blick auf das Predigtgeschehen ist uns daher der gemeinsame Bezug von Prediger und Hörer auf den Bibeltext wichtig, der bei einer allzu schematischen Übertragung des Modells in den Hintergrund geraten 187 I Vgl. die Ausführungen in Kapitel 1.

183 ••

kann. Prediger wie Hörer stehen gemeinsam vor Gott, dessen Zuspruch und Anspruch für unser Leben im gemeinsamen Hören auf das bibli­ sehe Wort wirksam werden soll. 2 . E I N ERWEITERTES MODELL: MENSCHLICHE KOMMUNIKATION ALS "VIERFA C H E S " GESCHEHEN

Als die in jüngerer Zeit einflussreichsten Arbeiten im Bereich der Das Hamburger Kommunikationspsychologie können die Publikationen des Hambur­ Kommunika- ger Psychologen Friedemann Schulz von Thuns gelten; zu nennen sind tionsmodell vor allem die drei Bände »Miteinander reden«. 188 Der Autor erhellt

mit Hilfe des »Nachrichtenquadrats« eine Vielzahl von kommunika­ tiven Alltagssituationen (Bd. 1), entwickelt dann aus der Zusammen­ schau mehrerer psychologischer Ansätze heraus acht »Kommunika­ tionsstile« (Bd. 2) und zeigt schließlich anhand des Modells vom »Inneren Team« Wege zu einer person- wie situationsgemäßen Kom­ munikation auf (Bd. 3).

a) Das »Nachrichten-Quadrat« Jeder kennt die Erfahrung, dass Mitteilungen, die wir empfangen oder aussenden, mehrere Botschaften enthalten und unterschiedliche Wirkungen erzielen. Wer hätte nicht schon unter Missverständnissen gelitten, die so entstanden sind! Die Theorie des »Nachrichten­ quadrats« kann hier in vielerlei Hinsicht zur Klärung und Veränderung beitragen - auch im Zusammenhang mit der Predigt, wie noch zu zeigen sein wird. Ansatzpunkt ist die von Paul Watzlawick und anderen erarbeitete Teilaspekte der Unterscheidung von Sach- und Beziehungsaspekt in der menschlichen Kommunikation Kommunikation. 189 Ihre zentrale These lautet: »Jede Kommunikation

hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei letztere den ersteren bestimmt.« Den Beziehungsaspekt differenziert Schulz von Thun nun nochmals dreifach aus und spannt damit das »Nachrichten­ quadrat« auf.

188 I F. Schuh von Thun, Miteinander reden. 3 Bde., Reinbek 1981, 1989 und 1998 (Ge­ samtausgabe: Reinbek 2006) 189 I P. Watzlawick!J. H. Beavin/D. D. Jack:son, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, 10. unveränderte Aufl., Bern 2000.

184 ........... •

� Sender

Sachinhalt Selbstoffenbarung

---

Nachricht

Appell ----+

Beziehung Quelle: Friedemann Schuh von Thun, Miteinander reden 1, 1 9R 1 , S . 30

Nehmen wir eine alltagsnahe Szene unter die kommunikations­ psychologische Lupe:

Ampel ist grün

DU, DA VORNE IST GRÜN

Du brauchst meine Hilfestellung!

Qnelle: Friedemann Scl1lllz von Thnn, Miteinander reden 1, 1 98 1 , S. 25 nnd 3 1

• Der

Sachaspekt bezeichnet den inhaltlichen Gehalt der Nachricht

beziehungsweise Äußerung : Was wird sachlich ausgesagt? Im Bei- Sachaspekt spiel erfahren wir etwas über den Zustand der Ampel : Sie steht auf grün, Der inhaltliche Aspekt einer Mitteilung steht immer dann im Vordergrund, wo es » um die Sache « geht . Allerdings: Gerade wo dies betont wird, geht es häufig um mehr ! • Der

Selbstkundgabeaspekt macht deutlich, dass wir mit j eder Ä uße-

rung gleichermaßen eine Kostprobe unserer selbst geben . Auch Selbstkund­ dort , wo wir nicht von uns selbst sprechen, scheint etwas von der gabeaspekt Persönlichkeit und der aktuellen Befi ndlichkeit durch. Direkt oder i ndirekt erfahren wir bei j eder Unterhaltung immer auch etwas über die Person des Senders , sei es durch das Gesagte selbst oder durch die Begleitumstände wie Körperhaltung und Stimm-

185 . ...............

führung, Gestik und Mimik. Hier im Beispiel lautet die Selbst­ kundgabe: Ich bin ein aufmerksamer Beifahrer und überhaupt ich habe es eilig! Im Hinblick auf den Selbstkundgabeanteil innerhalb einer Un­ terhaltung gibt es zwei Grundvarianten. Wir können unsere Mit­ teilungen entweder zur Selbstdarstellung (die offensive Variante: »sich von der besten Seite zeigen«, imponieren) nutzen oder zur Selbstverbergung (die defensive Variante: »die Katze nicht aus dem Sack lassen«, demonstrative Selbstverkleinerung). Dazu kommt die Möglichkeit einer unabsichtlichen Selbstenthilliung (»sich eine Blöße geben«), die einen in peinliche Situationen hin­ einführen kann. Mit dem Selbstkundgabeaspekt ist die Thematik der Echtheit (Authentizität) in den Blick gerückt, die ein wesent­ liches Kriterium gelingender menschlicher Kommunikation dar­ stellt. •

Beziehungs­ aspekt

Der Beziehungsaspekt einer Nachricht sagt etwas darüber aus, was wir vom Gegenüber halten und wie wir die Beziehung zum Gegenüber sehen. Der Volksmund drückt dies so aus: »Der Ton macht die Musik!« Hierbei ist zunächst die Perspektive des Senders bestim­ mend, der in seiner Mitteilung zugleich etwas davon durchblicken lässt, wie die bei den Kommunikationspartner zu einander stehen. Der Empfänger kann sich daraufhin akzeptiert und vollwertig be­ handelt, aber auch herabgesetzt oder bevormundet fühlen. Schauen wir auf unser Beispiel. »Du, da vorne ist grün!« heißt im Klartext: Der Sender macht der Empfängerin deutlich, dass er sie für nicht imstande oder willens hält, optimal zu fahren. Die Beziehungsseite der Kommunikation ist wohl die häufigste Fehlerquelle im zwi­ schenmenschlichen Miteinander. Dies wird auch im Beispiel deut­ lich, in dem die Frau (die ihrem Beifahrer auf der inhaltlichen Ebene zustimmen wird!) auf der Beziehungsebene antwortet: Fährst du oder fahre ich? Stärker zum Beziehungsaspekt als zu anderen Aspekten des Nach­ richtenquadrats gehört die Unterscheidung zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation. Während in der verbalen Kommu­ nikation Informationen unter Zuhilfenahme sprachlicher Zeichen vermittelt werden, sind es in der nonverbalen Reize, die uns auf verschiedenen Wahrnehmungskanälen (den menschlichen Sinnen) zu Bewusstsein kommen. Nonverbale Signalquellen können sein:

186 ........... •

Bilder, Geräusche, Düfte, Berührungsreize, Temperaturverän­ derungen und anderes mehr. 190 Die genannten Faktoren bestimmen - bewusst oder unbewusst - die Gesprächsatmosphäre und damit die Verständigung zwischen Menschen entscheidend mit. •

Der Appellaspekt schließlich legt das Augenmerk auf die Frage, wozu wir als Sender den Empfänger veranlassen wollen. Eine >:.Nachricht« Appellaspekt ist in der Regel nicht absichtslos dahingesagt, sondern hat eine spezifische »Botschaft« oder Funktion. Der Empfinger soll aufgrund der Mitteilung etwas tun oder fühlen, etwas denken oder unterlassen. l 9 l Im Beispiel lautet der Appell unzweideutig: Gib doch endlich Gas' Es gehört zur Alltagserfahrung, dass Worte trösten und aufbauen, aber auch verletzen und zerstören können. Auf den engen Zusam­ menhang von Sprechen und Handeln hat vor allem die von J ohn Austin und John Searle entwickelte Sprechakttheorie hingewie­ sen. ln Wer spricht, handelt und will damit einen Einfluss auf das Gegenüber ausüben. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit Appellen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen offenen Appellen (z. B. klare Anweisungen oder geäußerte Erwartungen), die leicht einzuordnen sind, und verdeckten Appellen (z. B. Erheischen von Bewunderung oder Mitleid), die als »heimliche Tagesordnung« eines Gesprächs einer Ausübung von Macht gleichkommen und nachhaltige Wirkungen hervorrufen können. Paradoxe Appelle schließlich liegen vor, wenn deren Befolgung zugleich eine Nicht­ befolgung mit sich bringt (z. B . »sei spontan!« oder »tue es freiwil­ lig!«). Allein offene Appelle entsprechen einer Kommunikation, die von einer gegenseitigen mitmenschlichen Achtung zwischen Sender und Empfänger ausgeht. Offene Appelle entlasten die Beziehung der beiden Partner und ermöglichen ein klares Ja oder Nein. Von Manipulation hingegen ist zu sprechen, wenn die anderen drei Aspekte von Mitteilungen konsequent in den Dienst des Appells

190 I Vgl. K.R. Scherer, Non-verbale Kommunikation. Hamburg 1970, S. 6 ff. 191 I H. D. lasswell hat bereits inden40erJahren in seiner Formel: »Wer sagt was in welcher Form mit welcher Absicht?« auf die Wtrkungsbezogenheit menschlicher Kommunikation hingewiesen. 192 I J. L Austin, Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1956 und J. R. Searle, Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, 1971. Vgl. dazu: A. Gräzinger, Die Sprache des Menschen, München 1991, S. 197-209 sowie P. Precht!, Sprachphilosophie, Stuttgart 1998.

187 ••

.

gestellt werden und zugleich davon auszugehen ist, dass das Ge­ genüber dies nicht oder nicht gleich merkt .

b) Der » vierohrige Empfänger« Wir haben bislang das Nachrichtenquadrat vornehmlich aus der Sicht des Senders kennen gelernt . Dabei wurde deutlich, dass eine Nachricht ein ganzes Bündel verschiedener Botschaften enthält, die gleichzeitig auf vier Kanälen ausgesendet werden . Als Entsprechung muss es dem­ zufolge auf der anderen Seite einen » vierohrigen Empfänger« geben, der diese Botschaften aufnimmt, entschlüsselt und auswertet . Was ist das für einer? Was ist mit ihm?

Wie redet der eigentlich mit mir? Wen glaubt er vor

Wie ist der Sachverhalt zu verstehen?

Was soll ich tun, denken, fühlen auf Grund seiner Mitteilung?

sich zu haben? Quelle: Friedemann Schuh von Thun, Miteinander reden 1 , 1 98 1 , S. 4 5

Schulz von Thun betont : der Empfänger unserer Nachricht hat im Freie Auswahl Prinzip » freie Auswahl « bezüglich der Ohren, die er öffnet oder ver­

schließt! Damit ist wiederum ein hohes Potenzial an Missverstehens­ möglichkeiten angedeutet, wenn der andere mit meiner Nachricht sozusagen » machen kann, was er will « . Dazu kommt, dass eine wirkliHörgewohn- che Verständigung häufig durch einseitige Hörgewohnheiten Cbesonheiten dere Ansprechbarkeit auf bestimmte Inhalte, eigene und fremde Rol­

lenvorgaben, psychische Befindlichkeiten) seitens der Partner er­ schwert wird . Menschen, die ein besonders ausgebildetes » Sach-Ohr« haben, verarbeiten alles Gesagte auf einer nüchternen, sachlichen Ebe­ ne. Andere haben ein besonders sensibles » Selbstkundgabe-Ohr« und hören eine Frage wie » siehst du das Flugzeug da oben/ « als Ausdruck der Befindlichkeit des Gegenübers . Menschen mit einem ausgeprägten » Beziehungs-Ohr« tendieren dazu, ständig die zwischenmenschliche » Chemie« zu prüfen und Dinge persönlich zu nehmen. Menschen mit übergroßem Appell-Ohr schließlich stehen ihrer Umwelt im wörtli-

1 88

. .. ... .. . . .

. .

. .

.

chen Sinne » zuvorkommend « gegenüber und lassen sich damit stärker von Erwartungen anderer leiten als von eigenen Antrieben.

c) Das Kommunikationsgeschehen als Wechselspiel zwischen Sender und Empfänger Was bisher über die » Datenverarbeitung « auf Sender- und Empfängerseite gesagt wurde, bildet je eine Momentaufnahme des kommunikativen Geschehens . In der Wirklichkeit aber kommt eine zeitliche Dimension hinzu. Im Dialog tauschen Sender und Empfänger fort- Zeitliche während und abwechselnd die Rollen. Neben dem sachlichen Fort- Dimension schritt einer Unterhaltung geschieht auch auf den drei weiteren Ebenen ein ständiger Abgleich zwischen dem , was gesagt wurde und dem , was erkennbar angekommen ist. Was dabei der j eweilige Gesprächspartner als » Äußerung « aussendet , kann mit dessen dahinter stehender geistigen Haltung ( » lnnerung « ) deckungsgleich sein oder davon abweichen . Jede Äußerung zielt auf die Innerung des Empfängers , und der Sender erwartet seinerseits eine erkennbare Reaktion des Gegenübers (wiederum als Äußerung) . Folgendes Gesamtmodell eines Kommunikationsvorgangs soll den Zusammenhang veranschaulichen .

?

g e m e i nt ';' aufgenommen

Sach­ verständ­ nis

Quelle: Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden 2 , 1 98 9 , S . 22

1 89 . ...............

Jede menschliche Kommunikation hat eine innere Dynamik. Sie wird durch Handlungs- oder Ereignisfolgen bestimmt, die wie Satz­ zeichen den Fortgang der Verständigung strukturieren (Begrüßungs­ formeln, Gesten, Rituale). Das bedeutet, dass es in der alltäglichen Kommunikation meist keinen klaren Anfang oder Schluss einer VerInnere Dynamik ständigung gibt, sondern immer bereits vorher gemachte Erfahrungen (und damit verbundene Vor-Urteile und Ängste) als »Innerungen« in

den Prozess einfließen. Dazu kommt, dass erlernte, wiederkehrende Reaktions- oder Verhaltensmuster zusätzliche Risiken und Kon­ fliktpotenziale hinsichtlich des gegenseitigen Verstehens in sich ber­ gen. 193 Auch wenn die Partner einen für sich passenden Gesprächsan­ fang oder -schluss wählen, bleibt die Aufgabe, sich vorher und nachher zum Gegenüber zu verhalten. Das Kommunikationsgeschehen kann daher mit einem Kreislauf verglichen werden. Wenn das eben Gesagte mit einbezogen wird, erinnert es an das Bild einer Spirale, die nach vorn und hinten offen bleibt. Dadurch wird der Tatsache Rechnung getra­ gen, dass es in der zwischenmenschlichen Kommunikation nicht nur vorwärts, sondern auch rückwärts gehen kann. 3 . D I E KOMMUNIKATION D E S EVANGEL I U M S IM LICHTE D E S HAMBURGER KOMMUNIKATIONSMODELLS

Wie alle anderen geistigen Werkzeuge zur Klärung und Verbesse­ rung zwischenmenschlicher Kommunikation hat auch dieser psycho­ logisch orientierte Ansatz im folgenden Zusammenhang den Charakter eines Hilfsmittels. Die Verkündigung des Evangeliums in Kirche und Gesellschaft hat eine geistliche Qualität, die von weltlichen Methoden immer nur unzureichend erfasst werden kann. Andererseits kann nicht bestritten werden, dass die Predigt und andere Formen des christlichen Zeugnisses stets von einer kommunikativen Grundstruktur getragen sind. Schon von daher erscheint es aussichtsreich, die »Kommunikati­ on des Evangeliums« im weiteren wie im engeren Sinne mit diesem Ansatz in Verbindung zu bringen. Bevorwir uns der Predigt als Spezi­ alfall einer Kommunikation des Evangeliums zuwenden, soll die um­ fassendere Aufgabe im Lichte des vorgestellten Modells theologisch bedacht werden. 193 I InderTransaktionsanalyse (TA) sprichtmanhiervon "Spielen«. Vgl.E. Beme, Spiele der Erwachsenen, Reinbek 1967; ders., Was sagen Sie, nachdem Sie ,Guten Tag< gesagt haben?, Frankfurt/M. (1975) 1993.

190 ........... •

Beginnen wir mit einer Ü bung : Lassen Sie bitte die folgende Karikatur auf sich wirken und versuchen Sie dann, das Geschehen mit Hilfe des vorgestellten kommunikations-

Ü bung

fI:JJ

psychologischen Modells zu deuten . Was geht hier vor?

Quelle: AMD der WestHilischen Landeskirche, Dortmund

191 . ...............

In den »Äußerungen« auf der Senderseite können beispielsweise

Senderseite folgende » Innerungen« zum Ausdruck kommen: • Sachaspekt: "Alle brauchen Christus: Sie auchi" Goh 3,16; Apg 4,12) • Selbstkundgabeaspekt: »Das Evangelium vonJesus Christus ist uns

so wichtig, dass wir dafür sogar von Haus zu Haus gehen und wildfremde Leute ansprechen!«

• Beziehungsaspekt: »Wir haben, was Sie brauchen!« 194 • Appellaspekt: »Lassen Sie uns herein, hören Sie uns zu und - be­

kehren Sie sich!« Auf der Empfängerseite können zum Beispiel folgende »Äußerun-

Empfängerseite gen« wahrgenommen werden, die auf verwandte »Innerungen« schließen lassen: • Sachaspekt: »Zu spät! Ich habe mich längst anderweitig orientiert.« • Selbstkuodgabeaspekt: "Nur mal mit der Ruhe. Schaut mich doch

an! Christus? Brauche ich nicht. Lasst mich in Frieden, interessiert mich nicht (mehr) !« • Beziehungsaspekt: »Vergessen wir es! Wir interessieren uns alle drei

nicht wirklich für einander!« • Appellaspekt: "Euer Appell geht ins Leere. Und außerdem: Denkt

noch einmal über euren Spruch nach!« Mit der Grundunterscheidung zwischen Inhalts- und Beziehungs­ aspekten ist für die Aufgabe der Kommunikation des Evangeliums in den Blick gerückt, dass Wort- und Tatzeugnis zu unterscheiden und zugleich auf einander zu beziehen sind. Ließe man bei der Anwendung

Botschafter an der vorgestellten Theorie den theologischen Aspekt außer Acht, dass Christi statt Gott selbst durch Bileams Esel reden kann (Num 22,28ff), hätte das Evangelium als Nachricht ohne eine gleichzeitige glaubhafte Verge­ wisserung in den übrigen drei Aspekten wohl kaum eine Chance, bei unseren Zeitgenossen als frohe Botschaft anzukommen. Aber es ist keine Schmälerung der Souveränität des Wirkens Gottes, wenn wir feststellen, dass die menschlichen Begleitumstände sowie die beteilig­ ten Personen in der Kommunikation des Evangeliums durchaus von entscheidendem Gewicht sind. 1 9 5 Christen sind » Botschafter an Chri-

194 I Es liegt eine komplementäre Kommunikationssituation des Gebens und Nehmensl Wissens und Nichtwissens vor, die ohne wirkliche Kontaktaufnahme auskommen will. 195 I Einer Untersuchung im deutschsprachigen Teil Europas (1.600 Befragte) zufolgekamen 76 % der Befragten durch persönliche Beziehungen zu FreundewVerwandten Zillll Glauben und zur Gemeinde. C. A. Schwarz, Grundkurs Evangelisation, Emmelsbüll 1993, S. 17.

192 ........... •

sti Statt« (2Kor 5,20), die den »Schatz« des Evangeliums in »irdenen Gefäßen« (2Kor 4,7) - und nicht anders haben und weitergeben kön­ nen. In jüngerer Zeit hat man darum immer wieder mit Recht auf die 6 für ein glaub­

Bedeutung der »Körpersprache des Leibes Christi« 19

würdiges Christuszeugnis in der Gegenwart hingewiesen. Das in die­ sem Zusammenhang entscheidende Stichwort Liebe findet sich in

1 Thess 2,8, wo Paulus festhält: »Wir waren bereit, euch nicht allein am Evangelium Gottes Teil zu geben, sondern auch an unserem Leben; denn wir hatten euch lieb gewonnen. « Hinsichtlich des Sachaspekts der Verkündigung bleibt der christlichen Gemeinde als Frage aufgegeben: Ist uns genügend klar, was wir Sachaspekt kommunizieren wollen, was »Evangelium« meint? Dies wird in jeder Generation neu zu buchstabieren sein. Hier sei nochmals an E. Lange erinnert: »Der homiletische Akt ist eine Verständigungsbemühung. Gegenstand dieser Bemühung ist die christliche Überlieferung in ihrer Relevanz für die gegenwärtige Situation des Hörers und der Hörergemeinde. Die Verheißung dieser Verständnisbemühung ist das Einverständnis und die Einwilligung des Glaubens in das Bekenntnis der christlichen Kirche, dass Jesus Christus der Herr sei, und zwar in der zugespitzten Form, dass er sei mein Herr in je meiner Situation «. 197 Im Blick auf Selbstkundgabe und Beziehung gilt: Wer die Kommunikation des Evangeliums nicht auf die sachlich richtige Ausrich- Selbstkund­ tung einer Botschaft reduziert, rechnet damit, dass es Gott um den gabe und Be­ ganzen Menschen geht. Ob in Predigt oder Unterricht, in sozialdia- ziehungs aspekt konischen Aktivitäten oder im persönlichen Gespräch über den Glauben: Unsere Mitmenschen wollen - wie wir selbst auch - als ein echtes Gegenüber (das heißt mit allen privaten, beruflichen und sozialen Nöten) wahr- und ernst genommen werden (Beziehungsaspekt). Sie werden ihrerseits einem wirklichen Gesprächspartner (Selbstkundgabeaspekt) dessen Botschaft eher abnehmen als jemandem, der wie die beiden Männer in unserer Karikatur auftritt. Das Evangelium vonJesus Christus ist weniger eine Sach- als eine Person-Botschaft. Daher sind wir als Glaubende, als haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter der Kir-

196 I W. Abraham, The Logic ofEvangeiism, Grand Rapids/Michigan 1989. Noch sprechen­ der im Original: »the body language of the bcxiy ofChrist« (S.l3). 197 I E. lange, Theorie und Praxis der Predigtarbeit. In: ders., Predigen als Beruf, 2. Aufl., München 1987, s. 9-51, hier S. 20.

193 ••

che genauso als Personen gefragt wie unser Gegenüber es ist. 19 lateinischen Wort

8

Im

communicatio steckt communio (Gemeinschaft). Das

Ziel der communicatio des göttlichen Evangeliums ist demnach erst dann erreicht, wenn Sender wie Empfinger in und durch dieselbe Person-Botschaft in der Gemeinschaft des Gottesvolkes stehen. Und schließlich: Einem Appell wird ein Mensch heute nur dann

Appellaspekt

Folge leisten wollen, wenn er von der Sache selbst überzeugt ist und wenn zu den Personen, die sie vertreten, Vertrauen gewachsen ist. Wo dieses Vertrauen besteht, muss nicht vornehme Zurückhaltung199 re­ gieren, sondern kann der Mut aufgebracht werden, auch zur Appell­ Seite der biblischen Botschaft200 zu stehen - und dies ohne Besserwis­ serei. Wo wir an unser Gegenüber appellieren, wird es wichtig sein, die Balance zu finden zwischen der gebotenen Dringlichkeit einerseits und der Freiheit des Hörers andererseits, die wir, wenn wir nicht manipu­ lieren wollen, nicht antasten dürfen. Eine Fabel des dänischen Philosophen und Theologen Sören Kier­ kegaard macht deutlich, dass die größte Herausforderung für eine gelingende Kommunikation des Evangeliums darin liegt, dass die Glaubenden sich immer wieder auf die Wirklichkeit und Kraft des Wirkens Gottes einlassen, ja mehr noch: sich darauf verlassen.

»Die Christen leben wie Gänse aufeinem Hof An jedem siebten Tag wird eine Parade abgehalten, und der beredsame Gänserich steht aufdem Gatter und schnattert über das Wunder der Gänse, erzahlt von den Taten der Vorfahren, die einst zu fliegen wagten und lobt die Barmherzigkeit des Schopfers, der den Gänsen Flügel und den Instinkt zum Fliegen gab. Die Gänse sind tiefgerührt, senken in Ergriffenheit die Kopfe und loben die Predigt und den beredten Gänserich. Aber das ist auch alles. Eines tun sie nicht - sie fliegen nicht,' sie gehen zum Mittagsmahl. Siefliegen nicht, denn das Korn ist gut und der Hofist sicher . . . «201

198 I Das lateinische Wort per-sonare (hindurchtänen, beispielsweise durch eine vorgehaltene Maske beim Schauspiel) bringt in ähnlicher Weise das Zillll Ausdruck, was wir oben in der Zuordnung von »Innerung« und »Äußerung« gesehen haben. 199 I H. Wrogemann spricht von einer »vorauslaufenden Selbstzurücknahme« der Christen, die zwar »missionarisch« sein wollen, aber von vornherein jede Auseinandersetzung vermeiden wollen (Evangelische Theologie 6/1998, S. 425). 200 I Im Zuspruch der liebe Gottes (»Evangelium«)wurzelt auch dessen Anspruch auf unser leben (»Gesetz«): dies wird deutlich im Ruf zur Umkehr und zu einem leben in der Heiligung (im Sinne des Einzelnen wie der Gesellschaft als Ganzer). 201 I Zitiert nach W. Hoffsümmer, Kurzgeschichten 3 , 4. Aufl., Mainz 1990, S. 59.

194 ........... •

4 . D IE PREDIGTARBEIT IM LICHTE D E S HAMBURGER K OMM UNI KATIONSMODELLS (1) In unserer Arbeit i n der Aus- und Weiterbildung von (zukünf­ tigen) Predigern hat es sich als hilfreich erwiesen, als einen erSten Schritt der Übertragung und Anwendung von kommunikations­

wissenschaftlichen Erkenntnissen des vorgestellten Modells die eigene Predigtpraxis auf die vier Aspekte des Nachrichtenquadrats hin zu befragen. Dazu schlagen wir vor, sich einer Farbenlehre zu bedienen, in der wir Leitfragen, die den vier Kommunikationsaspekten entsprechen, Leitfragen unterschiedliche Farben zuordnen: ..... BLAU: Was ist der Informationsgehalt meiner Predigt? Was ist das froh machende »Evangelium«, was das den Menschen in Frage stellende »Gesetz«, das zu verkündigen mir aufgetragen ist? ..... GELB: Wo erfährt die Gemeinde etwas von mir persönlich, von meinem Glauben, meinen Fragen, Hoffnungen, Ä ngsten?

..... ROT: Was wird durch meine Predigt davon deuclich, wie ich über die Gemeinde denke und in w el cher Beziehung Prediger

und Gemeinde nach meiner Ansicht stehen?

� GRÜN: WO appelliere ich (offen oder verdeckt) an die Vernunft, an Gefühl und Willen, an das Handeln der Zuhörer' Schließlich: Wie sind die vier Aspekte gewichtet und wie kann ich diese Gewichtung theologisch (im Lichte des biblischen Tex­ tes) verantworten?

Vielleicht probieren Sie dieses Verfahren einmal aus, und nehmen das Manuskript einer Ihrer Predigten oder der Predigt, an der Sie gerade

Übung

h

arbeiten, in dieser Weise in Augenschein. Wenn wir davon ausgehen, dass jede Nachricht alle vier Aspekte enthalten kann, geht es bei dieser Übung darum, den jeweiligen Schwerpunkt der Aussage zu markieren. • Sind alle vier Farben in Ihrem Predigtmanuskript vorhanden? • Herrscht eine Farbe vor und wenn ja, warum? • Welchen Sätzen konnten Sie mehrere Farben zuordnen? • Was ist Ihnen noch aufgefallen'

Die Gewichtung der einzelnen Farbanteile der Predigtbotschaft ist dafür maßgeblich, welches Gesicht die Predigt trägt. Nur im Über-

195 • .. . . . . . . . . . . . . .

blick über das ausgearbeitete Manuskript wird deutlich, welche Hauptaussage die Predigt inhaltlich tatsächlich prägt und welche Ne­ benaussagen auf den anderen kommunikativen Ebenen gemacht wer­ den. Besondere Aufmerksamkeit verdienen diejenigen Sätze oder Teile der Predigt, die mehrfarbig gekennzeichnet werden, sie bieten häufig Anlass zu Missverständnissen. Die Übung mit den vorgestellten Leit­ fragen kann dazu dienen, die Aussageabsicht der Predigt möglichst klar herauszuarbeiten. Besonders erhellend ist es, wenn die so festgestellte Aussageabsicht des Predigers mit den ebenfalls farbig gekennzeichne­ ten Eindrücken von Hörern beziehungsweise Lesern der Predigt in einem Gespräch verglichen wird. Insgesamt geht es um die Angemessenheit der vorbereiteten Rede hinsichtlich des Textes beziehungsweise Themas, der Person des Pre­ digers sowie der Hörergemeinde, also im Rahmen dessen, was wir in Kapitel 1 als homiletisches Dreieck bezeichnet haben.

(2) In einem zweiten Schritt sollen Aspekte kommunikativen Pre­ digens erwogen werden; auch hier wird das Nachrichtenquadrat den Bezugspunkt bilden. 202 Ob ein Gespräch gelingt oder nicht, ist bei Schulz von Thun von einer Reihe von Faktoren bestimmt, die unseres Erachtens auch für die

Den Hauptaspekt Kommunikation des Evangeliums in der Predigt Geltung haben kön­ klar zur Sprache nen. Kommunikationsziel ist hier wie dort »quadratische Klarheit«. bringen Grundsätzlich ist es ratsam, den jeweiligen Hauptaspekt dessen, was man sagen will, klar und direkt zur Sprache zu bringen. Dies leuchtet bei Sachinformationen und Selbstkundgabe-Aussagen unmittelbar ein. Dass jedoch Beziehungs- und Appellanteile häufig nur als Ober- oder Untertöne in vermeintlich reinen Sachaussagen >:. mitschwingen«, ist in der Praxis häufig genug die Ursache von Missverständnissen. Insofern ist bei den zuletzt genannten Aussageanteilen besondere Aufmerk­ samkeit und Mut zur Klarheit vonnöten. Auf der inhaltlichen Ebene sind Sachlichkeit und Verständlichkeit

Sachlichkeit und in der Argumentation geboten, auf der Ebene der Selbstkundgabe sind Verständlichkeit persönliche Echtheit wie Situationsbezug gefragt. Ohne eine von ge­ genseitigem Respekt getragene akzeptierende Grundhaltung auf der Beziehungsebene wird es eine inhaltliche Auseinandersetzung ebenso 202 I Im Folgenden wird Bezug genommen auf: F. Schuh von Thun, Miteinander reden 1, a.a.O., S. 1l6f, 129f, 158f und 252f sowie G. Theißen, Zeichensprache des Glaubens, Gütersloh 1994, S. 134-162.

196 ........... •

schwer haben wie ein Appell. Letzerer dürfte dann am ehesten fruchten, wenn erkennbar wird, dass der Sender ihn zuerst für sich selbst hört und damit deutlich macht, dass er für das, was er sagt, Verantwortung übernimmt. Diese Überlegungen sollen im Folgenden präzisiert werden.

a) Die inhaltliche Seite der Predigt Auch in anderen Lebensbezügen geben wir sachkundigen Personen die Gelegenheit, ihre Gedanken geordnet, zusammenhängend und da­ mit fast unvermeidlich auch in einer längeren Rede darzustellen. Die politische Kultur einer Demokratie ist ohne Rede und Gegenrede nicht zu denken. Wo sonst als in der Predigt haben die Gemeinden dazu Gelegenheit, eine biblische Geschichte oder ein Thema des Glaubens sorgfältig dargelegt zu bekommen? Der Bedarf an sachgemäßen und Chancen der didaktisch-rhetorisch gut aufbereiteten theologischen Informationen Predigt in den Gemeinden wird von manchen Predigern unterschätzt! In aller Regel werden die Hörer eine biblisch fundierte, auf den Alltag und die soziale Wirklichkeit bezogene Verkündigung zu schätzen wissen. Die Predigten von ausgebildeten Theologen und die von ehrenamtlichen Predigern dürfen und sollen hier durchaus unterschiedliche Akzente setzen. Beide werden versuchen, neben der angestrebten sachlichen Richtigkeit die Relevanz der theologischen Aussagen für ihre Hörer im Auge zu behalten. Gehen wir von einer Textpredigt aus, ergibt sich ein Doppeltes: Eine angemessene inhaltliche Gestaltung der Predigt wird nicht nur nach Textinhalt dem theologischen Gehalt des Textes (Zentralaussagen, ursprüngliche Aussageabsichten, Eigensinn des Textes) fragen, sondern auch den sprachlichen Charakter des Textes aufnehmen wollen. Hilfreich ist es zu versuchen, dem Text die Form abzuspüren, in der er vermittelt Textform werden möchte. Häufig genug gibt es dabei offensichtliche Überein­ stimmungen zwischen Predigtinhalt und Predigtform, die zumindest bedacht werden sollten. So wird ein lehrhafter Paulus-Text den Charakter einer Lehrpredigt (viele blaue Anteile) ebenso nahe legen wie die Auslegung eines Psalms Prediger wie Gemeinde (gelb und rot dürfen darum nicht fehlen!) ins Gebet hinein führen will. Im Grunde wird freilich jede Predigt auf ihre Weise zu einer Gottesbegegnung hinführen wollen und im Sinne der Kierkegaard'schen Fabel dazu ermutigen, dass Menschen ihr Vertrauen in die Gegenwart und Verheißung Gottes legen!

197 ••

Was die Gestaltung der Predigt als Rede angeht, haben wir das Stichwort Verständlichkeit bereits genannt. Verständlichkeit steht im Dienst der Vermittlung des Sachinhalts und wird von Zuhörern hono­ riert. Friedemann Schulz von Thun nennt vier »Verständlichmacher«, die auch einer Predigt gut tun: •

Einfachheit (Gegenteil: Kompliziertheit) in Wortwahl und Satzbau: klare Sprache, kurze Sätze, bekannte Wörter, Fachbegriffe werden

Einfachheit

erklärt. Einfachheit ist nicht zu verwechseln mit Primitivität. •

Gliederung und Ordnung (Gegenteil: Unübersichtlichkeit, Zusammenhangslosigkeit) in Aufbau und Darstelluog der Gedankenfüh-

Gliederung und

rung helfen den Zuhörern, der Predigt besser zu folgen. So wird die

Ordnung

Aufmerksamkeit auf Höhepunkte oder Merksätze in der Predigt gelenkt, die die Hörer mit nach Hause nehmen können. •

Kürze und Prtignanz (Gegenteil: Weitschweifigkeit): Die Auf­ merksamkeitsgrenzen der Zuhörer werden geachtet. Die Sprachge­

Kürze und

staltung vermeidet Telegrammstil auf der einen und epische Breite

Prägnanz

auf der anderen Seite. •

Zustitzliche Anregung (Gegenteil: keine zusätzliche Stimulanz). Un­

Zusätzliche

sere Sprache bietet eine Fülle von Möglichkeiten, mit denen wir eine

Anregung

Rede würzen können. Wortspiele und Sprichwörter aber auch ein­ gesetzte Bilder, Symbole und Gegenstände bieten zusätzliche Sti­ mulanz, die bei den Hörern Motivation und Aufmerksamkeit erhö­ hen und zugleich die Sachaussage vertiefend unterstützen. Gerd Theißen spricht in diesem Zusammenhang von »dosierten Abwei­ chungen Wer diese meine Worte hiirt und tut sie} der gleicht einem klugen Menschen! ich< sagt, ständig um seine Empfindungen kreist oder von seinem Innenleben berichtet, sondern dadurch, dass er klar zum Ausdruck bringt, was ervor sich selbst aufrichtig verantworten kann.« 22o

220 I H.M. Müller, Homiletik, Berlin/New York 1996, S. 291.

212 ........... •

Wenn sich nun die Predigerin im Zuge dessen, was sie »vor sich selbst aufrichtig verantworten kann«, dazu entschließt »ich« zu sagen, ist die folgende Unterscheidung verschiedener Ich-Varianten von

ManfredJosuttis hilfreich: 22 1 •

Das verifikatorische (bezeugende) Ich. Die eigene Glaubenserfahrung wird zur Bestätigung der Textaussage herangezogen: »Liebe Ge- Das verifika­ meinde, ich habe es auch so erlebt wie der Apostel Petrus, dass . . . «



torisehe Ich

Das konfessorische (bekennende) Ich. In Zustimmung oder Ablehnung wird ein statement eingebracht, in dem die Predigerin bekennt: Das konfesso­ »Ich bin ganz anderer (oder: genau dieser) Auffassung . . . « . Wenn rische Ich hier eigene Positionen vertreten werden, geht es nicht wie bei der vorhergehenden Ich-Variante darum, dass die Predigerin mit der Wirklichkeit ihres Lebens die Wahrheit des Textes belegen will, sondern darum, an der eigenen Person die Differenz zwischen der Wahrheit der Sache Gottes und der gelebten Existenz aufzuzeigen.



Das biografische (lebensgeschichtliche) Ich. Hier redet die Predigerin von ihrer Person im Lichte der eigenen Lebensgeschichte: Kind- Das biogra­ heitserfahrungen, Begegnungen, Lesefrüchte werden eingebracht, fische Ich ohne dass damit der Anspruch einer Legitimierung der Textwahrheit verbunden wäre. Die eigene Lebenserfahrung kann so ohne exhibitionistische Tendenzen - dazu dienen, die Hörerinnen in Tiefendimensionen der menschlichen Existenz hineinzuführen.



Das repräsentative (stellvertretende) Ich. Die Predigerin spricht von sich, ohne dass dabei ein biografischer Bezug bestünde. Vielmehr Das repräsen­ spricht sie von sich für alle Hörerinnen mit. Sie will damit dem Text tative Ich zugleich in einer persönlichen und in einer allgemein gültigen Form begegnen. Die Chance der Verwendung dieser Ich-Variante liegt in der Möglichkeit einer hohen Identifikation zwischen Predigerin und Hörerin. Die Grenze dieser Redeform wird durch ihre Tendenz zur Vereinnahmung markiert, die besonders dort besteht, wo das repräsentative Ich (für das Gegenüber nicht leicht erkennbar) mit einer bekenntnishaften Ich-Rede verbunden wird.



Das exemplarische (beispielhafte) Ich steht dem repräsentativen Ich nahe. Wieder setzt die Predigerin bei der eigenen Person an, um den Das exempla­ Hörerinnen zu sagen, was auch für sie wichtig ist. Allerdings wird rische Ich

221 I Vgl. M. Josuttis, Der Prediger in der Predigt. Sündiger Mensch oder mündiger Zeuge? In: ders., Praxis des Evangeliums zwischen Politik und Religion. Grundprobleme der Prakti­ schen Theologie, München 1974, S. 70-94. 213

••

deutlich, dass die Predigerin die Botschaft des Textes zuerst für sich selbst hört und erst dann zur Bedeutung für die Zuhörenden kommt . •

Das fiktiv e Ich

Das fiktive (vorgestellte, erfundene) Ich. Ähnlich wie bei einem Roman kann auch in der Predigt ein Ich auftreten, das erkennbar nicht mit dem der Predigerin identisch ist. Viele biblische Passagen können aus einer Ich-Perspektive nacherzählt oder auch gepredigt werden. Dann sprechen König David, der Prophet J ona oder Maria, die Mutter Jesu, von ihren Gotteserfahrungen. Hiob breitet seine Zweifel und Not aus, oder eine der Frauen, die dem auferstandenen Christus begegnet ist, lässt die Zuhörenden an ihrer Osterfreude teilhaben, in die sich noch Angst mischt . Zu diesen Ich-Formen können noch zwei weitere hinzugefügt wer­

Das fordernde den: das fordernde und das behauptende Ich. 222 Beide Ich-Varianten Ich kommen am ehesten im Rahmen der herausfordernden Rede vor (vgl.

Kapitel 3). In der politischen oder evangelistischen Predigt fordert die Predigerin etwas von ihren Hörerinnen oder stellt Sachverhalte fest, ohne dies an die eigene religiöse Erfahrung zu binden. Hier kommt ein normativer (bestimmender) Anspruch der Predigerin zum Ausdruck, den sie in ihrer Berufung und Beauftragung zur Verkündigung be­ gründet sieht. Dieser normative Anspruch kann von den Hörerinnen entweder als Vollmacht akzeptiert oder aber als Anmaßung zurückge­ wiesen werden. Diese hier vorgestellten Unterscheidungen zeigen, wie vielfältig die Wir-Aussagen sprachlichen Möglichkeiten sind, in denen die Person der Predigerin in

der Ich-Form Teil der Wortverkündigung werden kann. In diesem Zusammenhang soll noch ein Hinweis auf den Gebrauch der Wir-Form gelegt werden. Mit einem »Wir« ist in der Predigt noch sorgsamer umzugehen als mit einem »Ich«! Die Chance von Wir-Aussagen be­ steht darin, dass eine echte Verbundenheit zwischen Predigerin und Hörerin hergestellt und benannt werden kann. Die Gefahr dieser Re­ deweise besteht in der Vereinnahmung des Gegenübers (unechtes Wir). Wo allerdings die Predigerin weder im Ich-Stil noch in der Wir­ Form redet, muss sie damit rechnen, dass ihre Predigt von den Zuhö­ rerinnen als unpersönlich und distanziert wahrgenommen wird. Die Predigerin wird auf diese Weise nur schwer zu Aussagen finden kön222 I Vgl. W. Bub, Evangelisationspredigt, a.a.O., s. 55 f.

214 ........... •

nen, die sie selbst und ihre Hörerinnen als gemeinsam vor Gott stehend ansprechen. 11. Anschaulich predigen: Symbole in der Predigt 1 . D IE SPRACHE DER B ILDER ALS D I E MUTTERSPRACHE D E S GLAUBENS

Das Fräulein stand am Meere und seufzte lang und bang, Es rührte sie so sehre der Sonnenuntergang. Mein Fräulein! Sei'n sie munt� das ist ein altes Stück/ Hier vorne geht sie unter und kehrt von hinten zurück. Dieses Gedicht von Heinrich Heine (1797-1856) verdeutlicht den Unterschied zwischen einer rein sachlichen und einer symbolischen Betrachtung derselben Sache. 223 Welche Sicht hat hier Recht? Wohl beide je auf ihre Art. Jedes Kind weiß heute, dass die Erde sich dreht und Sonnenuntergänge Folge der Erddrehung sind. Dennoch sagt nie­ mand: »Schau einmal, wie schön sich die Erde weggedreht hat!« son­ dern: »Welch ein schöner Sonnenuntergangk . Neben die nüchterne Sacherklärung tritt die tiefer gehende symbolische Betrachtung; je nach Person und Situation kann das Eine oder das Andere überwiegen, wenn etwas Wahres ausgesagt werden soll. Das Alte Testament ist geprägt von einer lebensnahen, bildhaften Sprache. So steht beispielsweise beim hebräischen Wort für »Seele«

(nä/tisch) die Urbedeutung »Kehle«, also der lebenswichtige Ort der Nahrungsaufnahme und des Atemholens im Hintergrund. An wichti­ gen Stellen finden wir auch eine enge Verbindung von Reden und zeichenhaftem Handeln, vor allem in den Prophetenbüchern der he­ bräischen Bibel. Im Jesajabuch wird das Volk Israel mit dem spre­ chenden Bild des »Weinbergs Gottes« bezeichnet Ges 5,lfE). Jeremia legt sich im Auftrag Jahwes eine hölzerne Jochstange über die Schul­ tern Ger 27 ,2fE), um damit seine Predigt vom Joch N ebukadnezars zu bekräftigen. Hesekiel läuft mit Fluchtgepäck durch die Stadt, um so 223 I H. Heine, Sämtliche Werke, hg. v. E. Elster, Bd. 1 , Leipzig/Wien 1889, S. 229

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seine Botschaft zu unterstreichen (Ez 12,lff). Bei Hosea sind es gar seine Frau(en) und Kinder, die - auf für uns heute schwerlich nach­ vollziehbare Weise - in den Verkündigungsauftrag des Propheten ein­ gebunden werden (Hos 1,2ff). Ähnlich ist es auch im Neuen Testament. J esus hat in seinen Pre­ digten ständig Vergleiche und Bildworte, Wortspiele uod Symbole gebraucht. Er knüpfte beim Nächstliegenden an, um seinen Zuhörern und Zuhörerinnen in ihrer Lebenswelt (mit ihren Bezügen, ihrer Logik) etwas von Gott zu sagen. Nur so lassen sich beispielsweise die Gleich­ nisse vom Sämann (Mk 4, 1-20par), vom Senfkorn (Mk 4,30-34par), vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme, oder den beiden je auf ihre Weise verlorenen Söhnen (Lk 1 5 ) angemessen verstehen. Auch die Ich-Bin-Worte des Johannesevangeliums wenden sich mit ihrer bild­ haften Rede treffend an Menschen der biblischen Zeit in ihrem Verste­ henshorizont und Wirklichkeitsverständnis. All diese Beispiele ma­ chen deutlich: »Jesus hat Gesten, Symbole, Ausmalungen des neuen Lebens versucht und neue Bedeutungen gesetzt .

Er hat nicht nur

Freundschaft gestiftet, sondern auch Gesten dieser Freundschaft er­ funden und ihr Zeichen gesetzt: Brot und Wein, Öl und Wasser, Segnungen und Umarmungen, Fußwaschung und In-den-Sand­ Schreiben, Fasten und Trinken wurden zu neuen Gesten des Le­ bens.« 224 Diese Symbole des Lebens, wie wir sie in der Bibel finden, können eine wechselvolle Geschichte erzählen, was ihre Auslegung und ihr Gebrauch in der Kirche angeht. Über lange Zeit war die reformatorisch geprägte Predigt(lehre) mit ihrer Konzentration auf das Wort weitge­ hend eine »Homiletik ohne Symbole« (Horst Albrecht). Im Raum der römisch-katholischen Tradition hingegen hatte man schon seit gerau­ mer Zeit einen offeneren Umgang mit Symbolen in Verkündigung und Predigtlehre geübt. In den vergangenen drei Jahrzehnten kam es auch im protestantischen Raum zu einer verstärkten Aufmerksamkeit für den Einsatz von Symbolen im biblischen Unterricht wie in der Ver­ kündigung auf der Kanzel. 225 Neben pädagogischen Gründen, die sich 224 I F. Steffensky, Feier des Lebens. Spiritualität im Alltag, Stuttgart 1984, S. 78. 225 I Entscheidende Anstöße gingen dabei von der Symboldidaktik der 1980er Jahre aus, insbesondere durch die Arbeiten zum Religionsunterricht von Hubertus Halbfas auf der römisch-katholischen und Peter Biehl aufder evangelischen Seite. Vgl. auch die grundlegende Arbeit von W. Jetter, Symbol und Ritual, Göttingen 1978.

216 ........... •

aus den gesellschaftlichen Veränderungen ergeben hatten,226 war dafür vor allem eine theologische Erkenntnis bestimmend. Die Kommuni­ kation des Evangeliums in all ihren Ausdrucksformen nimmt die Aufgabe wahr, von Gott zu reden, das Unsagbare auszusprechen, das Nicht- Wer von Gott Darstellbare darzustellen. Dies kann nicht anders geschehen als in reden will, bildhafter und symbolischer Sprache. Wo wir vom Unbedingten und braucht Letztgültigen, vom Heiligen und Ewigen reden, kommen wir ohne Symbole Symbole nicht aus. Die Sprache der Symbole darf somit als die »Mut22 7 Der Theologe Paul Tillich hat zum »Sinn und Recht religiöser Symbole« festgehalten ?28

tersprache des Glaubens« gelten.

>:. Religiöse Symbole bedürfen keiner Rechtfertigung, wenn ihr Sinn begriffen ist. Denn ihr Sinn ist, daß sie die Sprache der Religionen sind, die einzige Sprache, in der sich Religion unmittelbar ausdrücken kann.

Über die Religion kann man auch in philosophischen und theologi­ schen Begriffen Aussagen machen, oder man kann das Religiöse in künstlerischen Bildern zu erfassen suchen. Aber das Religiöse selbst kann sich nur in Symbolen ausdrücken oder in Komplexen von Sym­ bolen, die wir, wenn sie zu einer Einheit verbunden sind, Mythen nennen.« Dass es in unserem Zusammenhang nicht nur

um

Veranschauli-

chung im Sinne einer vordergründigen Aufmerksamkeitssteigerung Kennzeichen geht, wird deutlich, wenn wir uns einige Kennzeichen religiöser Sym- religiöser bole vor Augen stellen. Diese sollen an Hand des Symbols Wasser Symbole

beispielhaft verdeutlicht werden. 22 9

226 I Drei Beispiele seien hier genannt: Die Deutung von Lebenszusammenhängen wird auf Grund der zunehmenden Vielfalt in der Gesellschaft schwieriger. Immer weniger Menschen haben ein biblisches Wissen, an dem die christliche Verkündigung und Lehre anknüpfen könnte. Bildungsprozesse sind prinzipiell unabschließbar und dürfen nicht auf intellektuelle Vermi ttlung beschränkt werden. 227 I 1. Burgdörfer, Symbolisierend predigen, Studienbrief P1 in: Brennpunkt Gemeinde 47.Jg. 1994, Heft 4, S. 2. 228 I Aus: P. Tillich, Sinn und Recht religiöser Symbole (dt. 1961), in: ders., Symbol und Wirklichkeit, 3. Aufl., Göttingen 1986., S. 3-12, hier S . 3 . Kritik an diesem Symbolver­ ständnis üben vor allem Vertreter der Semiotik (lehre von den Zeichen). Vgl. M. Meyer­ Blanck, Vom Symbol zwnZeichen. Symboldidaktikund Semiotik, 2. überarb. und erw. Aufl., Rheinbach 2003; R. Volp, Zeichen, Semiotik in Theologie und Gottesdienst, München 1982 u.a. 229 I Vgl. zwn Folgenden P. Tillich, a.a.O., S. 4 ff, P. Biehl, Symbole geben zu lernen, Bd. II, Neukirchen-Vluyn 1993, S. 1l6-171

217 ••

2 . ) F Ü N F KENNZEICHEN REL I G I Ö S ER SYMBOLE

a) Symbole haben Teil an der endlichen Wirklichkeit und weisen über diese hinaus. Symbole sind Worte, Bilder, Gegenstände, Handlungen mit mehr­ facher Bedeutung. Sie sind sozusagen lichtdurchlässig für eine Wirk­ lichkeit, die hinter der alltäglichen liegt. Das Sichtbare wird durch­ sichtig für das Unsichtbare. Symbole haben Anteil an der endlichen Wirklichkeit und weisen zugleich über diese hinaus. Umgekehrt gilt: Sie haben zwar eine übertragene Bedeutung, müssen aber immer auch wörtlich verstanden werden können. 23o Zu den Eindeutigkeiten, die sich mit den Mitteln der exakten Wissenschaften beschreiben lassen,

Symb ol is cher kommt ein symbolischer Mehrwert. Dieser wird im Symbol gleichsam Mehrwert verdichtet. Von daher erklärt sich die Wortbedeutung: das griechische Verb symballein heißt übersetzt zusammenwerfen, vereinigen. Beispiel Wasser: Im Lexikon stehen Sachinformationen wie: >:.ge­ ruchs- und geschmacklose Flüssigkeit, in dünner Schicht farblos, chem. das Oxid des Wasserstoffs: HzO; Schmelzpunkt 0 oe, Siedepunkt 100 oe . . . « 2 3 \ die Wasser im Sinne naturwissenschaftlicher Erkennt­ nisse als unverzichtbares Lebenselement beschreiben. Fassen wir auch das Wortfeld in den Blick, eröffnet sich der Bedeutungsüberschuss des Symbols: Wasserkraft, Fruchtwasser, Wasserverschmutzung, Weih­ wasser,

Hochwasserkatastrophe,

Wasserwaage,

Wasserknappheit,

Kirschwasser .

b) Symbole haben Teil an der unendlichen Wirklichkeit, aufdie sie hinweisen. Was Symbole zum Ausdruck bringen, liegt oft jenseits des Sagba­ ren. Man kann es nur erspüren oder erahnen. Symbole stehen stellver­ tretend für Wirklichkeiten, die größer sind als wir. Sie bringen uns in Kontakt mit Realitäten, die wir nicht gänzlich kennen, die bei allem

Bleibende Bemühen unergründlich bleiben. Symbnle erschließen uns Geheim­ Geheimnisse nisse, die Geheimnisse bleiben, auch nachdem sie »erkannt« sind; dies gilt in besonderer Weise im Zusammenhang mit den Dingen des Glaubens.

230 I Im Unterschied zur Metapher, die stets im übertragenen Sinne zu verstehen ist. 231 I Das neue Fischer Lexikon inFarbe, Bd. 10, München 1981, S. 6387.

218 ........... •

Beispiel Wasser: Der Satz »Ohne Wasser gibt es kein Leben! « stimmt i n vielerlei Hinsicht, zunächst im wörtlichen, dann im über­ tragenen Sinne. Das Symbol der Quelle erinnert uns daran, dass es auch in Zeiten der Dürre Hoffnung auf leben gibt. Das Symbol des Flusses weist darauf hin: »Alles fließt!« - auch die Zeit unseres Lebens im Kreislauf zwischen Werden, Wachsen und Vergehen. Der weite Ozean mit seinen Tiefen erinnert uns daran, was unter der Oberfläche unseres Lebens liegen mag, welche Schätze zu heben, welche Lasten zu versen­ ken sind. Als unentbehrliches Lebens-Mittel ist Wasser zugleich Hinweis auf die Verantwortung des Menschen für die Erhaltung der Lebensgrund­ lagen und Symbol des Segens Gottes, auf den alles leben auf der Erde täglich angewiesen ist. So gilt im Alten Testament Gott als »Quelle des Lebens« (Ps 36,10). Für Christen ist Wasser darüber hinaus Erinnerung an die Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes, der als Schöpfer, Erhalter und Vollender des Kosmos sich in Jesus Christus auch dem Einzelnen gnädig zuwendet.

c) Symbole haben ein »Leben«: Sie werden geboren und sterben. Bloße Zeichen wie Verkehrsschilder oder die Schriftzeichen eines Alphabets können frei erfunden, ein- oder abgesetzt werden. Sie müs­ sen dabei nicht notwendig etwas mit dem Inhalt zu tun haben, für den sie stehen. Symbole sind an ihren Inhalt gebunden. Sie haben in ihrer Symbole sind stellvertretenden Funktion eine Art Lebensgeschichte, sie »werden an ihren Inhalt geboren und sterben« (F. Tillich). Symbole können zur Bedeutungslo- gebunden sigkeit verblassen oder zu neuer Aktualität zurück finden, ihre Bedeutung ist nicht auf Dauer fest geschrieben. Beispiel Wasser: Wasser galt und gilt zu allen Zeiten und in allen menschlichen Kulturen als Bedeutungsträger für religiöse Aussagen und Rituale des Glaubens. Insofern ist Wasser ein Symbol von großer Beständigkeit. Durch die Umweltbedrohung ist in jüngerer Zeit Wasser wieder verstärkt als Symbol des Lebens in den Blickgekommen. Je stärker Menschen im Alltagsleben um ihre existenzielle Abhängig­ keit vom Wasser wissen, desto intensiver wird auch die symbolische Aufladung des Begriffs in den Bereich des Glaubens hineinwirken. In der Bibel gibt es eine nahezu unüberschaubare Zahl von Bezugs­ stellen mit einer großen Bedeutungsvielfalt. Im ersten Schöpfungsbe­ richt schwebt Gottes Geist »über den Wassern« des Chaos Gen 1 ,2f). In 219 ••

der neuen Welt Gottes dürfen alle, die Durst haben, umsonst vom »Wasser des Lebens« trinken (Apk 22,17). Für die biblischen Zeugen steht Wasser in einem lebensnahen Zusammenhang mit dem göttli chen Wirken in Gericht und Gnade. Von daher erklärt sich die häufige Verwendung des Symbols gerade in entscheidenden theologischen Zu­ sammenhängen.

d) Symbole erschließen den Sinn von Wirklichkeit gerade dort, wo andere Zugtinge dies nicht vermiigen. Unsere Alltagswelt orientiert sich in weiten Teilen an wirtschaft­ lich-zweckbestimmten, naturwissenschaftlich geprägten Vorstellun­ gen und Handlungsanweisungen. Logisches Denken im Sinne von Ursache und Wirkung ist in erster Linie gefragt. Symbole tragen durch Aufschlussreiche ihre aufschlussreiche Bedeutungsvielfalt die Kraft in sich, unseren Bedeutungs- Blick auf Wahrheiten zu lenken, die im Alltagsleben durch die Vorvielfalt herrschaft vordergründiger Sachzusammenhänge verschüttet liegen.

Sie greifen dort, wo die intellektuelle Bemühung nicht weiter kommt. Sie sprechen den ganzen Menschen an, sie »geben zu denken« (Faul Ricoeur), aber eben auch zu fühlen, und tiefer zu verstehen. Dies gilt insbesondere für religiöse Symbole. So geben heilige Texte und Bilder, die Begegnung an heiligen Orten, Anteil am Heiligen selbst, ohne dass dieses Geschehen in unserer Verfügungsgewalt stünde. Aber auch wenn wir uns auf eine symbolische Deutung alltäglicher Vorgänge einlassen, eröffnen sich - häufig unerwartet - überraschende Hinweise zur Welt­ deutung und Sinnerschließung des Lebens. Dies kann geschehen im Hinblick auf den Einzelnen, auf eine Gemeinschaft von Menschen und schließlich auf die Welt als Ganzes. Beispiel Wasser: Wir trinken Wasser, benutzen es bei der Zuberei­ tung unserer Nahrung, zur Körperreinigung, zum Waschen unserer Kleidung. Der Umgang mit Wasser geschieht vielfach gedankenlos und ist bestimmt von der Alltagsroutine. Oft ist es erst eine Störung des Gewohnten (Natur- oder Umweltkatastrophe, Rohrbruch), die uns die Augen dafür öffnet, wie kostbar jeder Tropfen Wasser in Wahrheit ist. Das Symbol Wasser weist einerseits auf die individuelle Bedürftig­ keit des Menschen hin, eröffnet andererseits den Horizont hin zu ge­ meinschaftlichen Zusammenhängen in den Bereichen •

des Sozialen (»Bei Wasser und Brot« - Symbol für Bestrafung nach begangenem Unrecht)

220 ........... •



des Wirtschaftlichen (»Geteiltes« oder »zugeteiltes Wasser« ? Ange­ sprochen ist das Thema Gerechtigkeit)



des Politischen (Wasser als wichtigster Rohstoff im 2 1 . Jahrhundert kann Grund zu Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzun­ gen bieten)



sowie des Religiosen (Bleibende Abhängigkeit allen Lebens von Fak­ toren, die nicht in der Hand des Menschen liegen).

e) Die Wirkungen von Symbolen sind uneinheitlich (ambivalent). Symbole haben nach Tillich »aufbauende, ordnende, zersetzende und zerstörerische Macht« 2 3 2 . Dies gilt sowohl für die Einzelne wie für eine Gemeinschaft. So verschieden die Symbole sind, so unterschiedlich können sie auf uns wirken. Die Funktion eines Symbols wird wesent­ lich durch dessen Annahme und Verwendung in Gemeinschaften be­ stimmt. So wurde beispielsweise in der Frühzeit der Christenheit das Symbol Fisch233 schnell zum Erkennungszeichen der wachsenden Bewegung. Dieses Symbol fand nur deshalb weite Verbreitung, weil in Symbole den Gemeinden geistliche Gemeinschaft und soziale Fürsorge im Na- leben von men Christi erlebt wurden und die Menschen auch in Notsituationen Anerkennung zusammen hielten. Benannt werden muss an dieser Stelle auch eine Gefahr im Umgang mit Symbolen: Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts kennt eine mit Tod und Schrecken besetzte Geschichte des Missbrauchs von Symbolen. Symbole Personen, Bilder, Gegenstände können als selbstherrliche Idole gleich- können miss­ sam zu Götzenbildern hochstilisiert und als Mittel zu menschenver- braucht werden achtender Propaganda und Zerstörung eingesetzt werden. Beispiel Wasser: Wasser ist in seiner Vielfalt der Erscheinungsfor­ men (gasförmig, flüssig, fest) zugleich Symbol des Ungeformten, wie auch der Anpassung und Wandlung. Wasser kann als »spiegelglatter See« Ruhe und Frieden ausstrahlen, als »aufgewühlte See« für eisige Todesgewalt stehen. Das Symbol »frisches Quellwasser« kann in uns Kräfte freisetzen. Der Sonnenuntergang über dem Meer vermag die Sehnsucht nach Freiheit und Leben wach zu halten. Nicht weniger vermögen die Symbole »brennender Fluss« und »ausgetrockneter Brunnen« Hoffnungen auf Leben und Zukunft zunichte zu machen 232 I P. Tillich, a.a.O., S. 5. 233 I Das griechische Wort für Fisch (ichthys), wurde als Abkürzung für die AussageJesus Christus Gottes Sohn (der) Retterverstanden.

221 ••

oder kann das Symbol >:> brauner Sumpf« an die Gefahr des Missbrauchs und die Notwendigkeit des Widerstands erinnern. Auch die Bibel kennt diese verschiedenartigen Wirkungen des Symbols Wassers. Der Regen ist Sinnbild des geschenkten Segens (Ps 65,1 1). Als Sintflut ist er für uns heute ein Symbol für das Strafgericht Gottes (Gen 7,lff), das sich - im Zeichen des Regenbogens - nicht wiederholen soll (Gen 8,22). ]esus zeigt sich als Freund des Lebens, indem er Wasser in Wein wandelt aoh 2,1-1 1). Er wäscht seinen Jüngern mit Wasser die Füße Goh 13,5f); in der Taufe werden Men­ schen in die Gemeinschaft seines Todes und seiner Auferstehung mit hinein genommen (Röm 6). Gerade in dieser Vielfalt, wie sie die biblischen Belege aufzeigen, widersetzt sich das Symbol Wasser einer inhaltlichen Festlegung. Es bleibt hinsichtlich seiner Deutungsmöglichkeiten, was es ist: flüssig. Fassen wir zusammen: Symbole sind Bedeutungsträger, die in der endlichen Wirklichkeit zu Hause sind, diese aber in ihrer Bedeutung überschreiten. Religiöse Symbole haben eine Brückenfunktion zwi­ schen unserer alltäglichen Wirklichkeit und der göttlichen Wirklich­ keit. Biblische und aus der Alltagswelt entnommene Symbole sind durch ihren Bedeutungsüberschuss und ihre Bedeutungsoffenheit ei­ genständige und angemessene Ausdrucksformen des Religiösen, ohne die eine Glaubenserfahrung weder bewusst gemacht noch mitgeteilt werden kann. Symbole sprechen nicht nur den Verstand an, sondern auch die Gefühlswelt; sie richten sich an den ganzen Menschen. Weil Symbole situationsbedingt und mehrdeutig sind, ist im Umgang mit Ein Deutungs- ihnen ein Deutungsrahmen oder hermeneutischer Schlüssel234 not­ rahmen ist wendig,

um

erforderlich formatorisch

eine gelingende Kommunikation sicherzustellen. Für re­ geprägte

Verkündigerinnen

kann

Luthers

Ver­

stehensschlüssel >:>Was Christum treibet . . . « auch als Leitlinie für den verantwortlichen Umgang mit Symbolen dienen. 3 . FÜNF REGELN IM UMGANG MIT SYMBOLEN

Zunächst können vier Klassen von Bedeutungsträgern unterschie­ den werden, die sowohl in der Bibel als auch in der Gegenwart vor-

234 I Das griechische Wort he:rmeneuein bedeutet verstehen.

222 ........... •

kommen: sprachliche, bildhafte, gegenständliche und handlungs­ bezogene. 235 Alle vier Symbol klassen lassen sich in der Verkündigung einset­ zen: •

Texte: Biblische Erzählungen und Geschichten, Gebetstexte (Psal-

men), prophetische, lehr- und bekenntnishafte Texte. 23 6 Liturgische Texte Stücke und Lieder. Gedichte, Geschichten und Lieder aus der Weltliteratur. Religiöse Schriften aus verschiedenen Traditionen. Aktuelle Berichte in Tageszeitungen und Magazinen. •

Bilder: Religiöse und säkulare Gemälde, Grafiken, Drucke und Kunstpostkarten. Fotos, Dias, Overheadfolien. Filme und Videos. Bilder Computeranimationen und Präsentationen mit Hilfe eines Video­ beamers.



Gegensttinde: Sakrale Gegenstände und Kunstgegenstände, die sich im Kirchenraum befinden (Kreuz, Bibel, Kerzen, Taufschale). Mit- Gegenstände gebrachte Gegenstände wie ein Tonkrug, ein altes Wagenrad, eine Computerdiskette, eine Blumenzwiebel.



Handlungen: Sakramentales Handeln in Taufe und Abendmahl. Symbolische Gesten wie Segenshandlungen, Salbung, Kreuzzei - Handlungen chen, häufig im Zusammenhang mit Kasualien (situationsbezogene gottesdienstliche Feiern wie Taufe/Segnung, Konfirmation/Einsegnung, Trauung, Beerdigung). Darstellende Elemente der Verkündigung wie Theaterstücke, Pantomimen, Tanze, Zeichenhandlungen, Prozessionen, Schweigemärsche. In den genannten Beispielen wird deutlich, dass sich nicht jede

Möglichkeit für jede Verkündigungssituation und für jede Verkündi­ gerin eignet. In allen Fällen wird aufStimmigkeit zu achten sein, denn nicht jedes Mittel wird vom Zweck geheiligt. Für den praktischen Umgang mit Symbolen und Gegenständen in derVerkündigung haben sich folgende Regeln bewährt:

a) Sich aufein Symbol} eine Symbolwelt konzentrieren Wenn wir davon ausgehen, dass Symbole die Tiefendimensionen des Lebens anrühren, dann sollten wir keinen »Symbolsalat« anrichten, 235 I Vgl. hierzu: A. Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter -Von der Zerstörung der Sinnlich­ keit. 2. Aufl., Frankfurt/M. 1992. 236 I In der Frühzeit der kirchlichen Lehrbildung hat man die Glaubensbekenntnisse als Symbole bezeichnet.

223 ••

sondern uns auf ein Symbol und dessen Symbolwelt konzentrieren. Zu einem vertieften Verstehen des Symbols kann es nur kommen, wenn ablenkende und störende Faktoren so weit als möglich ausgeschlossen werden. Gerade ein Überfluss an Symbolen kann zum Überdruss fühKonzentration ren, zur Zerstreuung statt zur Konzentration auf das Wesentliche. auf das Erschwerend kommt heute hinzu, dass wir mit einer Inflation der Wesentliche Symbole rechnen müssen. Denn nicht nur in der Kirche werden Sym­

bole eingesetzt. Auch die Werbung und die elektronischen Medien haben längst die Kraft des Symbolischen erkannt. Gerade religiöse Symbole werden in jüngerer Zeit bevorzugt eingesetzt (Kreuz, ver­ fremdete Bibelworte, Personen mit erkennbar kirchlicher Kleidung). Der Trendforscher Matthias Horx vertritt die Auffassung: >:>Je mehr sich die Gesellschaft von den Kirchen abkehrt, desto verbreiteter wer­ den religiöse Symbole in der Alltagskultur. « 237 Wenn wir abhanden gekommene religiös-christliche Symbole für die kirchliche Arbeit zurück gewinnen wollen, gilt für die Praxis vor Weniger ist mehr allem: weniger ist mehr! Nur so kann das Kostbare als solches erkannt

werden. Dies erfordert freilich zuerst bei der Predigerin selbst das Zutrauen, dass das Symbol für seine Sache sprechen wird. Der katholische Religionspädagoge Hubertus Halbfas formulierte 1982 in seinem grundlegenden Werk zur Symboldidaktik in harten Worten seine Kritik am damals vorherrschenden »thematisch-pro­ blemorientierten Religionsunterricht«. Seine Mahnung gilt auch heu­ te noch für einen guten Umgang mit Symbolen in Verkündigung und Unterricht: »Was geblieben ist, ist grobschlächtig. Medien aller Art werden vernutzt. Sie werden nicht mehr in behutsamen kleinen Schritten auf ihre eigenen Aussagen hin befragt, sondern unter vorgegebenen the­ matischen Problemstellungen Fremdbefragungen ausgeliefert. Auf diese Weise werden Texte, Bilder, Filme, Tonbänder als >AufhängerAnschauungsmaterialienDiskussionsunterlagenAnwendungs­ beispiele< mißbraucht, büßen aber die Würde einer eigenständigen Bedeutung oft vollständig ein. Am beschämendsten ist dieses Schicksal biblischen Texten zuteil geworden, die als Alibiträger einer Pro­ blemerörterung aufgenötigt werden. Infolgedessen geschieht der Um­ gang mit diesen >Medien< unter thematisch-funktionalem Aspekt. Es 237 I M. Horx, TrendbuchlI, 2. Aufl., Düsseldorfl996, S. 123.

224 ........... •

regieren Pauschalperspektiven, vage Redensarten, allgemeine Senten­ zen; die sorgfältige Bemühung um Hintersinn und Zwischentöne, um leise Stimmen und das Nicht-Sagbare ist selten geworden.« 238

b) Das Symbol einführen Eine schnelllebige und abwechslungsverwöhnte Zeit braucht die Reduzierung der Sinnesreize, wenn eine Vertiefung im Umgang mit Reduzierung dem Symbol angestrebt werden soll. In der Tiefe unserer Existenz der Sinnesreize werden wir nicht im Vorübergehen und schon gar nicht aufKommando angesprochen. Predigerinnen sollten daher die Gemeinde in der Verkündigung nicht mit einem Symbol gleichsam überfallen, sondern sie allmählich zu ihm hinführen. Dies kann bereits in der Begrüßung im Gottesdienst geschehen, durch (wenige!) verbindende Worte zwischen den Schriftlesungen, vor allem dann aber in der Predigt selbst. Die Predigerin wird ihre Hörerinnen Schritt um Schritt auf den PredigtWeg mitnehmen und an geeigneten Aussichtsstellen Rast machen. Bewährt hat sich im Zusammenhang mit der Verwendung von Symbolen in der Verkündigung die so genannte vorbereitete Umge- Vorbereitete bung. Gemeint ist eine ansprechende Dekoration des Raumes, eine Umgebung sinnvoll gewählte Sitzordnung, passend ausgesuchte Musik und anderes mehr. Ziel ist dabei, Aufmerksamkeit zu gewinnen und Konzentration zu fordern. Dies gelingt erfahrungsgemäß am ehesten im Rahmen einer Atmosphäre der Stille und Besinnlichkeit.

Anlässlich einer Predigt zur Hochzeit zu Kana Uoh 2,1-1 1), die ich zum Thema » Wandlung ist mi/glich« gestaltet habe, waren im Kirchenraum ver­ schiedene Tonkrügeverteilt. Neben der Kanzel stand ein leeres, schlankes Podest. Zu Beginn der Predigt stellte ich darauf einen großen Tonkrug und zog auf meditative Weise Verbindungslinien zwischen dem Symbol Tonkrug und dem menschlichen Leben. Die Gemeinde war eingeladen, selbst eine innere Verbin­ dung zum Symbol aufzunehmen. Dabei spielten Fragen wie die folgenden eine Rolle: Wie ist der Krug unseres Lebens beschaffen? Was ist alles drin? Wo ist der Krug unseres Lebens bedroht (Hammer)? Wo wurde in meinem Leben schon Wasser in Wein verwandelt durch Gottes Wirken? Wo ist heute Veränderung natig und was kann ich selber tun? Im Laufe der Predigt wurde dann der Zuspruch der biblischen Erzählung herausgearbeitet: In der Gegenwart Gottes ist Wandlung maglich. 238 I H. Halbfas, Dasdritte Auge, Düsseldorf 1982.

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c) Dem Symbol seine Eigenmächtigkeit zutrauen und belassen Wenn es zu einem intensiveren Umgang mit dem Symbol kommen soll, ist Zeit notwendig. Ein zu rasches Weiterschreiten in der Predigt kann dazu führen, dass bei der Hörerin die inhaltliche Auseinander­ setzung abbricht. Ebenso notwendig ist es, dass die Predigerin darauf vertraut, dass das Symbol für sich selbst spricht beziehungsweise von Gottes Geist in Dienst genommen wird. Vorschnelles, bestimmendes Erklären engt die Hörerinnen gedanklich und gefühlsmäßig ein. Eine behutsame und erwartungsvolle Moderation hingegen ermutigt sie zu einer aktiven Aneignung des Symbolgehalts. Der Umgang mit Symbolen in der Verkündigung spricht besonders die Fantasie der Zuhörerinnen an. Kleinere Abweichungen vom zu Erwartenden (beispielsweise das Einordnen des Symbols in einen un­ gewohnten Zusammenhang), bringen in aller Regel neue Aufmerk­ samkeit. Scharfe Kontraste (ein Gegensymbol einführen; das Symbol zerstören) provozieren und eröffnen bei denen, die sich daraufeinlassen, weitere Horizonte des Verstehens. Wer hier als Predigerin allerdings den Bogen überspannt, muss mit Verweigerungsreaktionen rechnen.

d) Das Symbol wieder ausführen Wer über die Hochzeit zu Kana zu predigen hat, darf die Zu­ hörinnen am Ende nicht in Galiläa zurücklassen. Verkündigen heißt, den Weg vom Heute zum Text und auch wieder zurück zu gehen! So schließt der verantwortliche Einsatz von Symbolen auch die Aufgabe ein, die Zuhörerinnen aus der Begegnung mit dem Symbol wieder zurück in die Alltagswelt zu begleiten. Wo dies unterbleibt, laufen wir Gefahr, dass letzten Endes alles beim Alten bleibt. Dann wäre womög­ lich der Sonntagsgottesdienst ohne erkennbare Bedeutung für den Gottesdienst im Alltag (Röm 12,1). Eine Funktion der angesprochenen Begleitung auf dem Weg in den Grenzen im Alltag ist, die Grenzen der Begegnung mit dem Symbol aufzuzei­ Umgang mit gen. 239 Einerseits ist klar: Kein Text, kein Bild, kein Symbol kann und Symbolen muss alles sagen. Auf der anderen Seite gibt es Symbole, die so unter­

schiedliche, ja in entgegengesetzte Richtungen weisende Gedanken­ gänge auslösen können, dass ihr undifferenzierter Einsatz in der Predigt zur inhaltlichen Beliebigkeit führt. Dies kann beispielsweise bei dem 239 I Inder Religionspädagogik hat sich hierfür der Ausdruck Symbolkritik durchgesetzt.

226 ........... •

Symbol Stein geschehen, das sowohl positiv für Festigkeit und Dauer steht als auch negativ für Kälte und Gewalt. Zu fragen ist darum, wie Symbolkritik das eingesetzte Symbol im Deutungsrahmen des Evangeliums zu werten ist, genauer: wie es sich zum christlichen Grundsymbol des Kreuzes verhält. Weiter ist in der Predigt zu bedenken, welche Perspektiven sich für das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft aus der Begegnung mit dem Symbol ergeben können. Um ein eingeführtes Symbol wieder auszuführen, bieten sich ver­ schiedene Möglichkeiten an. In der Predigt selbst kann dies, um noch einmal auf das obige Beispiel zurück zu kommen, im Sinne eines Ab­ schiednehmens von Kana geschehen. Die Zuhörerinnen können ermu­ tigt werden, das, was ihnen im Gottesdienst bewusst wurde, auf Zettel zu notieren und so schwarz auf weiß getrost nach Hause zu tragen. Oder die Predigerin macht Vorschläge, was das Gesagte oder Erlebte für sie selbst oder für die Hörerinnen in der nächsten Zeit bedeuten könnte. Eine weitere Möglichkeit, Symbole auszuführen, bieten persönliche Wortbeiträge einzelner Gottesdienstteilnehmerinnen, in denen sie Glaubenserfahrungen mitteilen, die im Zusammenhang mit dem Symbolgeschehen stehen. Auch ins Fürbittengebet können Erfahrun­ gen mit dem Symbol einfließen, die vor Gott gebracht werden.

e) Den Ertrag sichern Die Verkündigung des Evangeliums steht unter der Verheißung Gottes. Sie darf davon ausgehen, dass es im Gottesdienst zu tiefen, lebensprägenden Einsichten kommt, die Gott in der Auseinanderset­ zung mit dem biblischen Wort und den darauf bezogenen Symbolen schenkt. Dass diese Einsichten ihre prägende Kraft dann auch im Alltag erweisen, ist ebenso ein geistlicher Vorgang. Dies alles soll nicht bestritten werden, wenn noch auf die psychologische Einsicht hingewie- Erinnerungund sen wird, dass Symbole (besonders gegenständliche) eine erinnernde Verstärkung und verstärkende Funktion haben. Die lernpsychologische Forschung hat erwiesen, dass der Mensch weniger als 20 % dessen, was er lediglich hört, im Gedächtnis behält. Kommt zum Hören das Sehen dazu, steigt der Wert bis über 50 % an. 70 % dessen, was ein Mensch sagt, bleibt bei ihm im Gedächtnis. Über 90 % können es werden, wenn zum Hören, 24o Sehen und Reden auch das eigene Tun hinzu kommt. Im Sinne des 240 I Vgl. K. Witzenbacher, Praxisder Unterrichtsvorbereitung, München 1994. 227 ••

lernpsychologischenModells (vgl. Kapitel 4) kann daher in der Predigt nach der Phase der Lösungsfindung noch eine Lösungsverstärkung sinnvoll sein. Dies kann beispielsweise geschehen, indem den Gottesdienst­ teilnehmerinnen das in der Predigt eingesetzte Symbol (Tonkrug en

miniature mit Anhänger: >:> Wandlung ist möglich

-

J oh 2,1-11«) am

Schluss mitgegeben wird. Wenn das Tonkrügchen auf dem Schreib­ tisch neben dem Pe-Bildschirm immer wieder in den Blick fallt, geschieht eine Vertiefung des Verkündigungsinhalts. Noch weiter geht Handlungs- der Vorschlag, in der Predigt Handlungsperspektiven in Richtung perspektiven eines Projektes aufzuzeigen. Beispiele hierfür wären: aufzeigen • zusammen mit anderen Christen am Ort ein Stadtttilprojekt

durchführen, •

auf dem nahegelegenen Kinderspielplatz eine Spielgruppe einrichten,



eine Partnerschaft mit einer Gemeinde in Nigeria aufbauen. Zu guter Letzt: In diesen Überlegungen wurden die Möglichkeiten

des Einsatzes von Symbolen in der Verkündigung herausgearbeitet. Dabei dürften auch die Grenzen dieses Unterfangens deutlich gewor­ den sein. Keinesfalls sind Symbole als Allheilmittel gegen die Sprach­ losigkeit der Glaubenden anzusehen, über die vielfach geklagt wird. Dennoch wird die Sprache der Symbole, die Muttersprache des Glau­ bens, für die Kommunikation des Evangeliums, deren Aufgabe es ist, die Gegenwart Gottes in der Welt gültig und verständlich zu bezeugen, unverzichtbar sein.

111. Humorvoll predigen: Lachen ist gesund - auch für die Predigt!

Zwei Rechtsanwälte treffen sich. » Wie geht's, Kollege? « »Schlecht. « »Ach. Wteso? « »Ich kann nicht klagen!« . Das Christentum, insbesondere das protestantisch geprägte, ist nicht gerade für seinen Humor bekannt. Friedrich Nietzsche war es, der die nur schwer abweisbare Kritik formulierte: »Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten 228 ........... •

mir seine Jünger aussehen.« 24 1 Die Zurückhaltung vieler Christinnen in Sachen Humor (im Zusammenhang mit Glaube, Gott und Kirche) hat anscheinend eine Parallele in den Schriften des Alten und Neuen

Testaments. 242

In der Hebräischen Bibel lesen wir nur selten, dass Gott lacht; allenfalls ertönt sein Hohnlachen angesichts törichter menschlicher Humor in der Vorhaben (vgl. Ps 2,37; Ps 59,9). Auf der anderen Seite zeigt das Alte Bibel Testament Humor, wenn es von der Namensgebung des großen jüdischen Patriarchen Isaak erzählt. Der Name Isaak (Jitzchak, hebräisch: er lachte) geht zurück auf die Geschichte in Gen 17,15-21 und 18,1-15, nach der Abraham und Sara noch in hohem Alter von Gott ein Sohn verheißen wird, und sie dies mit Lachen quittieren. So hat, so könnte man hier sagen, das Lachen alttestamentliche Geschichte, ja Heilsgeschichte geschrieben. Auch im Neuen Testament werden wir nicht leicht fündig, was den Humor angeht. Wird in Lk 6,21 im Rahmen der Seligpreisungen den Weinenden ein zukünftiges Lachen verheißen, so werden wenige Verse später in einem Weheruf die jetzt Lachenden gewarnt (Lk 6,25). Der griechische KirchenvaterJohannes Chrysostomos behauptete, Jesus habe niemals gelacht. Auch wenn die biblischen Quellen darüber tatsächlich schweigen,243 wird man annehmen dürfen, dass ein Fest wie die Hochzeit zu Kana keine Trauerfeier war. Und am Schluss der Bergpredigt erzählt das Matthäusevangelium ein Gleichnis Jesu, in der es um den Hausbau im übertragenen Sinne geht. Sie ist bei näherem Hinsehen - wie manch anderes Gleichnis auch - voller augenzwinkernder Ironie. Auch wenn es in der Bibel scheinbar nicht viel zu lachen gibt, sei die Vermutung ausgesprochen, dass die Aussagen zur Freude der Befreiten,

241 I F. Nietzsche, Von den Prisestern. In: ders., Also sprach Zarathustrall (1883), Kritische Studienausgabe, Neuausgabe, München 1999, S. 118. 242 I So finden wir inder Bibel der Gattung nach nur wenige Witze (lSam 21, 11-15; 2Sam 6, 16.20-23, Gal 5,20): Vg!. W. Thiede, Das verheißene lachen, Hwnor in theologischer Perspektive, Gättingen 1986, S. 106-114; L Kretz, Witz, Hwnor und Ironie bei Jesus, Olten 1981. 243 I W. Thiede erklärt die Tatsache, dass die Evangelien ein eher ernstes Bild von Jesus zeichnen mit dem »für Jesus kennzeichnenden Wesenszug des Mitleidens . . . In seinem Mitleiden steht Jesus prinzipiell auf der Seite des unter Mitmenschen, Katastrophen, Hunger, Krankheit, Tod, ja des an Gott leidenden Menschen. Sein Weg wird geschildert als konse­ quenter Weg ans Kreuz - seine Gegner hattendaslachen, freilich ein bitteres lachen!« (A.a.O., S. 40).

229 ••

zum Jubel der Erlösten, das Lachen mit einschließen.

244

Von dem

Philosophen und christlichen Schriftsteller Sören Kierkegaard ist ein Satz überliefert, den er in Anklang an das Bibelwort aus 1 . Joh 5,4 formuliert hat: »Der Humor ist . . . die Freude, die die Welt überwunHumor und den hat«. Auf die enge Verbindung von Humor und Glaube weist auch 24 Glaube der amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr hin: 5

»Die intime Beziehung zwischen Humor und Glaube ergibt sich aus der Tatsache, daß beide sich mit der Widersprüchlichkeit unserer Existenz befassen. Der Humor hat es mit den unmittelbaren Widersprüchen des Lebens zu tun, der Glaube mit den letzten. In beiden drückt sich die Freiheit des menschlichen Geistes aus, seine Fahigkeit, sich außerhalb des Lebenszusammenhanges zu stellen, außerhalb des Menschen selbst und die Wirklichkeit insgesamt zu überblicken. Doch jeder Blick auf MS Ganze wirft sogleich MS Problem auf, wie man mit den Widersprüchen des Lebens umgehen soll,' denn die Anstrengung, das Leben und unseren Ort im Leben zu verstehen, konfrontiert uns mit Unge­ reimtheilen und Widersprüchlichkeilen, die in kein säuberlich geordnetes Bild vom Ganzen passen. Das Lachen ist unsere Reaktion aufunmittelbare Wider­ sprüche, solche, die uns nicht wesentlich berühren. Glaube ist die einzig mogliche Reaktion aufdie letzten Widersprüche der Existenz, die den Sinn unseres Lebens selbst bedrohen. « Es wurde bereits auf die Regel hingewiesen, dass es wenigstens einmal in jedem Gottesdienst etwas zu lachen geben sollte. Diese Regel wendet sich nicht gegen die gebotene Ernsthaftigkeit in Gottesdienst und Predigt. Aber wer hat nicht schon erlebt, wie eine humorvolle Bemerkung oder Reaktion eine angespannte Situation durch ein »er246 entspannt, oder wie eine gut gewählte Karikatur Lachen stiftet lösendes Lachen« Beziehung und oder ein treffender Witz eine Sache weit effektiver auf den Punkt bringt schafft Auf- als eine »richtige« Analyse! Lachen verbindet, Lachen schafft eine merksamkeit positive Lernatmosphäre, Lachen (nicht Gelächter) schafft Aufmerk­ 24 samkeit für wichtige Dinge auch in Gottesdienst und Predigt. 7 Wer

bei einem Witz oder Theatersketch zunächst gelacht und dann erkannt

244 I Vg!. H. Cox, Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe, Berlin! Stuttgart 1970; J. Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung. Versuche über die Freude ander Freiheitunddas Wohlgefallen am Spiel, 5. Aufl., München 1976. 245 I R. Niebuhr, Discerning the Signs of the Times, New York 1946, S. 111 ff. 246 I So der Titel eines Fach- (und lach-)buches zum Thema des amerikanischen Sozialwis­ senschaftIers P i. Berger, Berlin/New York 1998. 247 I Gleiches gilt für die Seelsorge. Vgl. P Bukowski, Hwnor inder Seelsorge, Neukirchen­ Vluyn/WuppertaI2001.

230 ........... .

hat: »Du bist der Mann (die Frau)! « (vgl. 2Sam 12,7), weiß, wie wirksam und hilfreich Humor gerade dort ist, wo Kritisches angemerkt Humor und werden muss.

Kritik

Wer Humor in der Predigt liebt, muss Augenmaß walten lassen, denn ein Witz, der nicht zündet, wirkt peinlich. Hier gilt Ähnliches wie beim Einsatz von Geschichten und Symbolen: sorgfältig auswäh­ len, dosieren und an der richtigen Stelle platzieren! Der Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch hat in Anklang an Ps 3 1 ein Gedicht verfasst, das als Ermutigung am Schluss dieses Kapitels und Buchs stehen sol1: 248 Ich bin vergnügt erlöst befreit Gott nahm in seine Hände meine Zeit Mein Fühlen Denken Hören Sagen Mein Triumphieren Und Versagen Das Elend Und die Zärtlichkeit Was macht daß ich so fröhlich bin In meinem kleinen Reich Ich sing und tanze her und hin Vom Kindbett bis zur Leich Was macht daß ich so furchtlos bin An vielen dunklen Tagen Es kommt ein Geist in meinen Sinn Will mich durchs Leben tragen Was macht daß ich so unbeschwert Und mich kein Trübsinn hält Weil mich mein Gott das Lachen lehrt Wohlüber alle Welt

248 I H.-D. Hüsch, Das Schwere leicht gesagt, Düsseldorf l991, S. 45.

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Literatur in Auswahl

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Zeichen- und Sprechakttheorie in der homiletischen Diskussion

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Psychologische Aspekte des Predigtgeschehens

Engemann, W., Persönlichkeitsstruktur und Predigt, 2. Aufl, BerEn 1992. Münzberger, L.!Ruthe, R., Typen und Temperamente, 5 . überarb. Aufl, Moers 2006. Piper, H.-C., Kommunizieren lernen in Seelsorge und Predigt, Göttingen 1981. Riemann, F., Grundformen der Angst, 3 7 . A ufl , MünchenlBasel 2006. Riess, R., Zur pastoralpsychologischen Problematik des Predigers, Wiederab­ druck in: Beutel, A. u. a. (Hg.), Homiletisches Lesebuch, a.a.O., S. 156-176. Schulz von Thun, F., Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen, Reinbek 1981. Ders., Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung , Reinbek 1989. Ders., Miteinander reden 3 : Das »innere Team« und situationsgerechte Kom­ munikation, Reinbek 1998 (Sonderausgabe: Miteinander reden 1 - 3 , Rein­ bek 2006). Watzlawick, P.!Beavin, J. H.!Jackson, D. D., Menschliche Kommunikation, 1 0 . Aufl, Bem/Stuttgart/Wien 2000.

6. Gottesdienstgestaltung und Predigt Baltruweit, E/Ruddat, G., Gemeinde gestaltet Gottesdienst, Gütersloh 2002. Bieritz, K.-H., Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, 7. aktualisierte Aufl., München 2005. Ders., Liturgik, Berlin/New York 2004. Douglass, K., Gottes Liebe feiern, 2. Aufl., Emmelsbü1l 2000. Domay, E.!Köhler, H. (Hg.), Der Gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache, Bd. 1 : Der GottesdienstlBd. 2: Das Abendmahl/Bd. 3: Die Psal­ men/Bd. 4: Die Lesungen, Gütersloh 1997f. Fischer, H., Gottesdienst praktisch. 3. neu bearb. Aufl., Göttingen 2001. Grethlein, Chr., Grundfragen der Liturgik. Ein Studienbuch zur zeitgemäßen Gottesdienstgestaltung , Gütersloh 2001. Ders.IRuddat, G. (Hg.), Liturgisches Kompendium, Göttingen 2003. Josuttis, M., Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, 2. Aufl., Gütersloh 1993. Ders., Die Einführung in das Leben. Pastoraltheologie zwischen Phänomeno­ logie und Spiritualität, 2. Aufl., Gütersloh 2004.

Kabel, T., Handbuch Liturgische Präsenz, Bd. 1: Zur praktischen Inszenierung des Gottesdienstes/Bd. 2: Zur praktischen Inszenierung der Kasualien, Gü­ tersloh 2002/2007. Lange, E., Chancen des Alltags, Überlegungen zur Funktion des Gottesdiens­ tes in der Gegenwart, 2. Aufl., München 1984. Mildenberger, LlRatzmann, W. , Klage - Lob - Verkündigung. Formen und Funktionen gottesdienstlicher Musik, Leipzig 2004.

Mozer, T., Begeistert Gott feiern. Liturgie verstehen und gestalten, Göttingen 2005.

234 •

...........

Schilson, A.!Hake, J., Drama »Gottesdienst«. Zwischen Inszenierung und Kult, Stuttgart u. a. 1998. Schmidt-Lauber, H.-C.!Meyer-Blanck, M.!Bieritz, K.-H. (Hg.), Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche, 3 . vollst. überarb. und erg. Aufl., Göttingen 2003. Z

Der Predigtvortrag

Damblon, A., Frei predigen. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Düsseldorf 1 9 9 1 . Ders., Kleine Sprech- und Gesprächserziehung für kirchliche Mitarbeiter, Düsseldorf 1993.

Lehnert, V , Kein Blatt vor'm Mund. Frei predigen lernen in sieben Schritten, Neukirchen-Vluyn 2006. Lodes, H., Atme richtig ! , München 2000. Wiedenmann, R.-D. u. a., Der Rhetorik-Trainer. Reden lernen für Gemeinde und Beruf, 2. Aufl., Haan 2004.

8. Kontrolle der Predigt - Empirische Predigtforschung Bohren, R.!Jörns, K.-P. (Hg.), Die Predigtanalyse als Weg zur Predigt, Tu­ bingen 1989. Dahm, K. W. , Hören und Verstehen. Kommunikationssoziologische Überle­ gungen zur gegenwärtigen Predigtnot. In: Predigtstudien, IV/2, Stuttgartl Berlin 1970 (Wiederabdruck in: Beutel, A. u. a. (Hg.) Homiletisches Lese­ buch. a.a.O

.•

S. 242-252).

Daiber, K.-F. u. a., Predigen und Hören. Ergebnisse einer Gottesdienstbefra­ gung. Bd. 2 : Kommunikation zwischen Predigern und Hörern, München 1983. Eickhoff, K., Die Predigt beurteilen, Neukirchen-Vluyn 1998. Piper, H.-C., Kommunikation und Kommunikationsstörungen in der Predigt, Göttingen 1976 (Wiederabdruck in: Wintzer, F. , Predigt, a.a.O., S. 232244). Rothermundt, J., Der Heilige Geist und die Rhetorik. Theologische Grundli­ nien einer empirischen Homiletik, Gütersloh 1984.

11. Gestaltungshilfen für die Predigt 1.

I n der Predigt Geschichten vorlesen und erzählen

Beck, I. (Hg.), Vorlesebuch Ökumene, Geschichten vom Glauben und Leben der Christen in aller Welt, Lahr 1 9 9 1 . D e Vries, S. und R . (Hg.), Erzählbuch Gottesdienst, Bd. 1/Bd. 2, 2. Aufl., Haan 1 997/2002. Egli, A., Erzählen in der Predigt. Untersuchungen zu Form und Leistungsfa­ higkeit erzählender Sprache in der Predigt, Zürich 1995.

235 ••

Hoffsümmer, W. (Hg.), Kurzgeschichten. Bd. 1-8, München 2006. Kreitzscheck, D., Zeitgewinn. Theorie und Praxis der erzählenden Predigt, Leipzig 2004. Neidhart W.!Eggenberger, H. (Hg.), Erzählbuch zur Bibel, Bd. 1 , 6. Aufl./Bd. 2 , 2. Auf!.lBd. 3, LahrIDüsseldorf 1990/1993/1997. Steinwede, D . (Hg.), Neues Vorlesebuch Religion, Bd. 1/Bd.2, Lahr 1996/ 1997. Ders.!Ruprecht, S. (Hg.), Vorlesebuch Religion, Bd. l /Bd.2/Bd. 3, 2. Aufl, Lahr/Düsseldorf 1992f., Registerband, 2 . Aufl., 1994. Jürgensen, E., Frauen und Mädchen in der BibeL Ein Vorlesebuch für Schule und Gemeinde, Lahr 1997. Uhle, H. J., Geschichten erzählen in Predigt und Gottesdienst. In: Pastoral­ theologie 1997, S. 274ff.

2. Weltliteratur und biblische V erkündigung Brecht, B., Kalendergeschichten, Frankfurt1M. (1953) 2003. Hebel, J. P., Kalendergeschichten, München 2000. Kuschel, K.-J ., Jesus im Spiegel der Weltliteratur, Düsseldorf 2007. Vin�on, H. (Hg.), Osterfreude, Erzählungen und Gedichte zum Ostergesche­ hen, 2. Aufl., Gütersloh 2002. Ders. (Hg.), Spuren des Wortes, Bdl .lBd.2IBd.3, Stuttgart, 1988/1989/1990. Waggerl, H., Kalendergeschichten, Frankfurt1M. 1994.

3. Anschaulich predigen mit Symbolen, Bildern und

Gegenständen Bäcker, R., Bildbegegnungen 2000-2003, Frankfurt1M. 2000ff. Beer, U., Was Farben uns verraten, 5 . Aufl, Herbolzheim 2004. Biehl, P./Hinze, U./Tammeus, R., Symbole geben zu lernen Bd.1/Bd. 2, 2. Auf!., Neukirchen-V1uyn 1991/1993. Biehl, P. , Festsymbole, Neukirchen-Vluyn 1999. Dannowski, H.-W./Sand, G., Im Anfang das Bild. Predigten und Denkanstöße zu moderner Kunst, Gütersloh 2006. Domay, E., Vorlesebuch Symbole, 2. Aufl, LahrlDüsseldorf 1990. Früchtel, U., Mit der Bibel Symbole entdecken, Göttingen 1 9 9 1 . Goecke-Seischab, M . , Von Klee bis Chagall, Kreativ arbeiten mit zeitgenössischen Graphiken zur Bibel, München/Stuttgart 1994. Goldschmidt, S. , Gottesdienste mit Symbolen, 2. durchges. Aufl., Göttingen 2005. Grün, A., Der Himmel öffnet sich - Mit Bildern beten, Würzburg 1994. Hoffsümmer, W. (Hg.), 122 Symbolpredigten durch das Kirchenjahr. Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Mainz 1992. Ders. (Hg.), 88 Symbolpredigten durch das Kirchenjahr. Für Erwachsene, Jugendliche und Kinder, Mainz 1995.

236 •

...........

Ders. (Hg.), Anschaulich verkündigen, 30 Ideen zur kreativen Gottesdienst­ gestaltung, Mainz 1998. Möller, Chr., Ich singe dir mit Herz und Mund. Liedauslegungen, Liedmedi­ tationen, Liedpredigten, Stuttgart 1997. Ott, M., Bewegte Botschaft. 35 Liedtänze, Zürich 1998.

Riedel, 1., Farben in Religion, Gesellschaft, Kunst und Psychotherapie, 2. Aufl, Stuttgart 1999. Dies., Bilder in Psychotherapie, Kunst und Religion. Ein Schlüssel zur Inter­ pretation, Stuttgart 2005. 4,

Humor in derV erkündigung

Berger, P. L., Erlösendes Lachen, New York/Berlin 1998. Bukowski, P. , Humor in der Seelsorge. Eine Animation, Neukirchen-Vluyn 200l. Müller, B., Um Himmels willen. Karikaturen zum Thema Kirche und Reli­ gion. Ein Arbeitsbuch, 2. Aufl, Stuttgart/München 2002. Kretz, L., Witz, Humor und Ironie bei Jesus, 2. Aufl, Olten 1982. Ruddat, G .!Schroeter, H. (Hg.) Kleiner kabarettistischer Katechismus, Rheinbach 2001. Thiede, W. , Das verheißene Lachen. Humor in theologischer Perspektive, Göttingen 1986. 5,

Weitere kreative Elemente für Gottesdienst und Predigt

Becker, J. (Hg.), Praxisbuch Anspiele 3, Stuttgart 1996. Beutel, M./Heinze, C., Gottesdienste kreativ gestalten, WuppertaliKassel 1996,

Beutel, M.!Ellwanger, K.!Heinze, c., Gottesdienste kreativ gestalten 11, WuppertaliKassel 1998.

Bittlinger, C.!Vogt, E , Die Sehnsucht leben. Gottesdienst - neu entdeckt, München 1999. Douglass, K., Gottes Liebe feiern, 2. Aufl., Emmelsbüll 2000. Grün, A., Geborgenheit finden - Rituale feiern, Stuttgart 2002. Kimball, D., Emerging Church. Die postmoderne Kirche. Spiritualität und Gemeinde für neue Generationen, Asslar 2005. Kirchhoff, C.!Grube, A., Gottesdienst Impulse. Konzepte, Modelle und Bau­ steine für eine situationsgerechte Gottesdienstarbeit, Bochum 2004. Magin, C.!Schwier, H., Kanzel, Kreuz und Kamera. Impulse für Gottesdienst und Predigt, Leipzig 2005. Mette, J., Impulsbuch Offener Gottesdienst, 2. Aufl., Haan 2002. Pohl-Patalong, U., Bibliolog. Gemeinsam die Bibel entdecken - im Gottes­ dienst - in der Gemeinde - in der Schule, Stuttgart u. a. 2005.

237 .'

111. Empfehlenswerte Predigtbände und Predigtmeditationen Berger, K., Wie ein Vogel ist das Wort. Wirklichkeit des Menschen und Parteilichkeit des Herzens nach Texten der Bibel, Stuttgart 1987. Bohren, R., Der Ruf in die Herrlichkeit, Waltrop 2002. Engemann, W. , Ernten, wo man nicht gesät hat. Rechtfertigungspredigt heute, Bielefeld 200l . Josuttis, M., Offene Geheimnisse. Predigten, Gütersloh 1999. Ders., Wirklichkeiten der Kirche. Zwanzig Predigten und ein Protest, Gütersloh 2003.

Iwand, H.-J., Predigt-Meditationen, Bd. I u. 11, Göttingen 1963. Jüngel, E., Predigten, Bd. I-VI, MünchenlStuttgart 1 968-2004. Rad, G. v., Predigten, München 1972. SäHe, D.!Steffensky, F., Löse die Fesseln der Ungerechtigkeit. Predigten, Stuttgart 2005. Theißen, G., Erlösungsbilder, Gütersloh 2002.

238 •

...........

Predigen lernen Personenregister

Abraham, W.

Eggenberger, H.

193

Ackermann, R.

68

Egli, A.

57

57 139

Adam, G.

115

Engelhardt, K.

Adloff, K .

60

Engelmann, P.

52

Eslinger, R. L.

3 3 , 44

Allhoff, W. u. D. Austin,J. L . Arens, H.

150

187

Engemann, w.

26, 1 3 1

Aristoteles

Fischer, M.

90

207

Fitzke, B. Barth, K.

1 1 , 3 5 , 7 1-72, 1 7 7 , 202

Beavin,]. H.

Friedrich, J.

90, 1 3 9 122

156 55

Berg , H. K. Berger, P. L. Beme, E.

Garhammer, E.

39, 5 0

115

Geest, H. v. d .

32, 1 5 9

230

Glaser, H .

Beutel, A.

1 3 9 170, 182

2 1 6-217

113

Gollwitzer, H. Grom, B .

33-34, 39, 56

Bieritz, K.-H. Bohren, R.

181

Goethe, W. v.

190

108-109

136

Grözinger, A.

3 3 , 54-5 5 , 57 , 92, 1 37 , 187

1 7 , 28, 33, 36, 56, 65, 100, 1 50,

1 5 5 , 1 58, 164, 170

Brinkmann, F. T.

Bub, W.

97

Frisch, M.

184

Becher, W. Beck, U .

Biel, P.

39, 4 1-43

68, 1 3 1 , 13 7

32, 1 0 5 , 108, 2 1 4

Buber, M .

31

Burgdörfer, L. Busch, E.

217

Härle, W.

83

23 , 5 8

Heine, H.

33

215

Herlyn, O . Heue, R .

27

Buttrick, D .

2 1 6 , 225

Hanselmann, J. Haustein, M.

1 7 1 , 230

Bukowski, P.

Halbfas, H.

33 1 3 , 7 3 , 123

Hinnenberg , C. D.

44

Hirschler, H . Campiche, R. Cox, H .

Hoburg, R.

55

230

Cube, F. v.

Chrysostomos, J . Dahm, K.-W.

229

90, 182-183

Damblon, A.

143, 1 50

Deeg, A.

Horx, M.

Huber, W.

138

79, 90, 1 3 9

Iwand, H.-J.

231 178, 180

164 46

Douglass, K.

Drehnsen, V. Dubach, A.

J ackson, D. D. 87, 108, 140

Jaspers, K.

1 3 9 , 170, 182

Jetter, W.

55

Ebeling, G .

12

37-38

184

175, 210 145, 170, 202, 2 1 6

Jöms, K.-P.

30, 1 64

Josuttis, M. Eco, U .

122, 194

224

Hüsch, H.-D.

138

Danowski, H. W.

45

Hoffsümmer, W.

Daiber, K.-F.

Debus, G .

32

Hoffmann, A.

181

171

1 1 , 102, 1 32, 1 34, 143, 145

28-29, 36-37, 48-5 1 ,

166,

177, 2 1 3 Jüngel, E .

5 7 , 106, 1 7 9

239 ••

Kierkegaard, S. K1aiber, W.

28, 194, 197, 230

32, 57-58, 106, 1 5 1 , 179-180

Klessmann, M. K1ippert W.

156

Poh1, A. Prechtl, P.

142-14 3 , 146, 148

Knuth, W.

96

Rebell, W.

Krause, B.

108, 140

Reuter, !.

Kretz, L.

1 3 9 , 143, 1 7 5

Pompe, H.-H.

229

179 27, 5 3 , 20 1

Rothermundt, J .

Kretschmar, G.

Kurowski, F. -K.

1 19

Searle,]. R.

11

187

Scherer, K. R. Schiller, F.

Lachmann, R.

115

Schöttler, H.-G.

Lange, E.

19, 36, 177-178, 1 9 3

Langer, I.

206

Schreuder, O. Schulte,].

Lasswell, H. D.

187

137

Schneider, H . D.

106

Leggewie, C.

26 , 66

34

Kuschel, K.-J .

Laepp1e, U.

106

187

39 138

26

Schu1zvon Thun, F.

187 55

Schulze, G.

Lehnert, V.

143

Schwarz, C . A .

Lindner, R.

13, 81

See!, N. M.

131

Spener, P. J .

85

Lischer, R .

30

Lodes, H.

148

Lorenzer, A.

1 39

223

Luther, M.

52

Marchlowitz, B.

216

Steinacker, P.

90, 1 39

Theißen, G.

Tillich, P.

148

Möller, C.

21, 32

Müller, H . M .

26

Thurneysen, E.

38

Melzer, F.

105

2 1 7 , 221

Tho1uck, A.

106-107

Meyer-Blanck, M.

229

Thielicke, H.

58, 180

Martin, G. M.

89, 1 1 6, 194, 198, 2 1 0

Thiede, W.

90

Marquardt, M.

217

1 8 , 22-23, 3 5 , 1 3 8 , 170, 182,

212 Müller-Schwefe, H.-R.

101

153

Trillhaas, W.

17, 32

Voigt, K.H.

1 3 , 22

Vo1p, R.

106 217

Neidharr, W.

57, 116

Watzlawick, P.

Nembach, U .

2 1 , 203

Wagner, E.

39, 43-46

Niethammer, H.-M. Niebuhr, R. Nietzsche, F. Nix, U. H.

230 229 151

90, 203

37-38

Weder, H.

158

Weller, M.

152

We!sch, W. Wes1ey, ].

52 86

Witzenbacher, K.

Piper, H.-C.

240 ........... .

1 56

36

227

33-34

Wrogemann, H. Wolf, E.

184

146

Wink1er, E. Ütto, G.

35-36

Tucho1sky, K.

Vorster, H.

Nico1, M.

69, 105

Steffensky, F.

1 6 , 23, 74, 77

Lyotard, ] . F.

Marti, K.

192

Spurgeon, C . H.

Loewenich, H. v.

184-190, 196, 1 99-200

55

194