Forschendes Lernen und Projektarbeit im Religionsunterricht: Beispiele für die schulische Praxis [1 ed.] 9783666770241, 9783525770245

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Forschendes Lernen und Projektarbeit im Religionsunterricht: Beispiele für die schulische Praxis [1 ed.]
 9783666770241, 9783525770245

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Sönke Zankel / Niklas Günther

Forschendes Lernen und

Projektarbeit im Religionsunterricht

Sönke Zankel / Niklas Günther

Forschendes Lernen und Projektarbeit im Religionsunterricht Beispiele für die schulische Praxis

Mit 9 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Rawpixel.com/shutterstock Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-77024-1

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Zum Projektlernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Kennzeichen von Projektarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Lernchancen beim Projektlernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Zur Rolle der Lehrkraft bei der Projektarbeit . . . . . . . . . 1.3.1 Etablierung einer Fehlerkultur . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Schüler/innen machen lassen und unterstützen 1.4 Probleme und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Forschendes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Projekte organisieren und Forschendes Lernen gestalten . 23 3.1 Klassische Fehler bei Gruppenarbeiten . . . . . . . . . . . . . . 23 3.2 Wie Ideen entwickelt werden können . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.3 Wie Projekte organisiert werden können . . . . . . . . . . . . 26 3.3.1 Klassisches Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.3.2 Die Kanban-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.4 Fahrten planen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.5 Kommunikation führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.6 Das Projekt bekannt machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.7 Richtig recherchieren und präsentieren . . . . . . . . . . . . . 40 3.7.1 Leitfragen und Hypothesen formulieren . . . . . . . . 41 3.7.2 Exakte Quellennachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.7.3 Worauf basiert die Recherche? . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.8 Seminar- und Facharbeit, Forschungsposter . . . . . . . . . 43 4. Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Kreatives Schreiben: das Weihnachtsfest in der Heimatstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Generationen zusammenführen: ein Zeitungsprojekt . 4.3 Vergesst sie nicht! Demenz und Biografiearbeit . . . . . . .

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4.4 Eine Expertendiskussion zu Themen des RU organisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Schöpfung bewahren: nachhaltige Kleidung verkaufen 4.6 Eine Werbekampagne für den Fairen Handel und die Weltläden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Ehrenamtsführer für die Heimatstadt . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Eine Konferenz organisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Wir organisieren ein (Weihnachts-)Fest oder ein (interreligiöses) Fest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Quellengeschichte zur Religionsgeschichte (vor Ort) finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Zeitzeugen interviewen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Soziales Engagement in der Heimatstadt erforschen . . . 5.4 Denkmäler als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Biografien erforschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Umgang mit dem Tod: Traueranzeigen untersuchen . . . 5.7 Einstellungen zur Sexualität erforschen . . . . . . . . . . . . . 5.8 Gottesvorstellungen: Wie Menschen sich Gott vorstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ausblick: Projektideen weiterdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

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Inhalt

Vorwort

Schaut man in die schulische Praxis des Religionsunterrichts, dann sieht man zahlreiche Projektarbeiten. Projektlernen wird nicht nur oft von Lehrkräften im Unterricht als Methode eingesetzt, sondern hat inzwischen auch eine lange Tradition. Zugleich schildern Schüler/innen die Praxis der Projektarbeiten meist so: Wir bekommen eine Aufgabe, eine gewisse Zeit, in der wir sie bearbeiten sollen, und dann passiert erst einmal wenig, kurz vor dem Abgabetermin kommt Panik auf. Manche aus der Gruppe machen sehr viel, einige etwas und andere fast gar nichts. So bleibt ein gewisser Widerspruch: Die breite Praxis der Schulprojekte ist verbunden mit der Unklarheit, wie man Projekte im Unterricht realisiert, wie man lernt, solche Projekte durchzuführen, wie man Ideen für Projekte entwickelt, wie man die Arbeit gerecht verteilt, wie man den Prozess in der Gruppe organisiert, wie man sich die Zeit richtig einteilt, wie man sich strukturiert und letztlich wie man ein Projekt für die entsprechende Zielgruppe präsentiert. Dabei bietet der Religionsunterricht viele Möglichkeiten, Projekte zu realisieren. Die Schüler/innen können nicht nur über den konkreten Inhalt viel lernen, sondern zahlreiche Kompetenzen entwickeln, die sie mit in ihr Leben nehmen können, die ihnen helfen, ihr Leben oder auch ihr Engagement zu organisieren. Projektarbeit und Forschendes Lernen stellen die weitgehend selbständige Arbeit der Schüler/innen in den Mittelpunkt. Insofern erwerben bzw. erweitern die Lernenden – je nach inhaltlicher Ausrichtung – unterschiedliche Kompetenzen. Darüber hinaus wird der Erwerb bzw. die Vertiefung grundlegender fachspezifischer Kompetenzen angestrebt. Zieht man die einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung für das Fach Evangelische Religionslehre heran (Ständige Konferenz der Kultusminister 2006, 7

8 f.), wird deutlich, inwiefern Projektarbeit und Forschendes Lernen wertvolle Beiträge zum Erwerb der Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit (»religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben«), der Deutungsfähigkeit (»religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten«), Urteilsfähigkeit (»in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen«), Dialogfähigkeit (»am religiösen Dialog argumentierend teilnehmen«) und schließlich auch zur Gestaltungsfähigkeit (»religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen verwenden«) leisten können. Eine Möglichkeit, Projektarbeit im Unterricht zu realisieren, bietet das Forschende Lernen. Dieser Zugang hat derzeit vor allem in der Lehrer/innenbildung große Konjunktur. Fast alle Hochschulen, die eine lange Praxisphase in das Lehramtsstudium in Form eines Praxissemesters eingeführt haben, legen einen Schwerpunkt auf das Forschende Lernen. Auch die Empfehlungen der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zur Weiterentwicklung von Lehramtsstudiengängen für Evangelische Religionslehre befürworten eine Integration des Forschenden Lernens in die fachdidaktischen Lehrveranstaltungen, um eine entsprechende »fragende, forschende Haltung« als Ausgangspunkt für die weitere Berufslaufbahn zu schaffen (EKD 2015, 14 f.). Für den Unterricht wird das Forschende Lernen immer wieder gefordert, selten aber so realisiert, dass Schüler/innen eigene Fragestellungen entwickeln und Antworten auf diese Fragen suchen. Dieses Buch möchte sowohl für die Projektarbeit als auch für das Forschende Lernen nicht nur eine theoretische Einordnung, die in den Kapitel 1 und 2 erfolgt, sondern auch Praxisbeispiele liefern. Erst in der Konkretisierung zeigt sich, ob die Theorie eine Verbindung zur Praxis hat oder nur für sich selbst steht. Projektarbeit und auch Forschendes Lernen erfordern Fähigkeiten, die auch fachunabhängig sind. Insofern kann das 3. Kapitel zu »grundlegenden Fertigkeiten« auch auf andere Fachkontexte angewendet werden. Die Praxisideen für den Projektunterricht und das Forschende Lernen werden in den Hauptkapiteln 4 und 5 vorgestellt, in den jeweiligen Unterkapiteln werden weitere, mit ihnen »verwandte« Ideen präsentiert. In der Summe bietet dieses Buch über 65 Ideen zur Projektarbeit und zum Forschenden Lernen. 8

Vorwort

Viele der hier vorgestellten Projektideen wurden in der Praxis erprobt. Dabei wissen alle erfahrenen Praktiker/innen: Wenn eine Idee einmal erfolgreich war, heißt dies nicht, dass es auch in allen anderen unterrichtlichen Zusammenhängen so sein wird. Dies gilt aber auch für den umgekehrten Fall: Wenn z. B. einmal ein Projekt nicht funktioniert hat, heißt dies nicht, dass es bei den nächsten Malen auch so sein wird. Gute Projektarbeit ist prozessorientiert und ergebnisoffen – nicht nur für die Schüler/innen, sondern auch für die Lehrkräfte. Das verlangt von den Lehrer/innen Offenheit für Neues sowie die Bereitschaft, Unsicherheiten zu akzeptieren. Und genau das soll Schule: auf das Leben vorbereiten. Der Lebensweg steht nicht fest, ist unsicher und will gestaltet werden. Das heißt zugleich, zur Projektarbeit gehört, Erfolge und ebenso mögliche Misserfolge von allen Beteiligten zu analysieren: Was haben wir gut gemacht, was können wir für die Zukunft lernen? Die hier vorgestellten Ideen verstehen sich insofern als Fundus, aus dem geschöpft, der modifiziert und weiterentwickelt werden kann, jeweils angepasst an die Bedingungen vor Ort. Neben den Ideen für die konkrete Praxis liefert dieses Buch vor allem auch Methoden zur Projektrealisierung. In der Zusammenschau von Theorie und Praxis möchten wir damit Anregungen für gelingende Projektarbeit liefern. Ein besonderer Dank gilt Tine Günther, Hannah Kristen, Anne Zankel und Rainer Scholz für das Lesen des Manuskripts, für vielfältige Hinweise sowie weiterführende Kritik. Sönke Zankel und Niklas Günther Kiel, im Dezember 2018

Vorwort

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1.  Zum Projektlernen

Im Folgenden wird Grundlegendes zur Projektarbeit erläutert. So werden u. a. die Lernchancen dieses methodischen Zugangs ebenso vorgestellt wie Möglichkeiten der Ideenentwicklung sowie die Rolle der Lehrkraft beim Projektlernen.

1.1  Kennzeichen von Projektarbeit Häufig werden viele Arbeitsformen unter dem Begriff »Projekt« subsumiert. Damit wird er zugleich recht beliebig. Nun sollen einige zentrale Merkmale des Projektlernens dargelegt werden, wie es hier verstanden wird. Am bedeutendsten ist, dass es der Projektarbeit nicht um das Auswendiglernen eines wie auch immer formulierten mehr oder minder gesicherten Wissens geht. Projektarbeit zielt vielmehr auf (Zankel 2018): ȤȤ Problemlösungskompetenz: Bei einem Projekt steht eine Aufgabe, beim Forschenden Lernen eine Leitfrage oder Hypothese im Zentrum. Das heißt, es geht darum, einen Lösungsweg für die Aufgabe oder Frage zu finden. Diesen gilt es systematisch zu planen. ȤȤ Prozessorientierung: Im Vordergrund steht der Arbeits- und Lernprozess an sich und erst in zweiter Hinsicht das angestrebte Ergebnis. ȤȤ Flache Hierarchien: Nicht die Lehrkraft gibt die Marschroute vor und legt Lösungsstrategien fest, sondern die Schüler/innen entwerfen diese selbst. Die Lehrkraft wird somit zur Beraterin, sie ist nicht – wie leider oft – die offene oder geheime Projektleitung. Nur in Ausnahmefällen kann dies gerechtfertigt sein, beispielsweise wenn die Lerngruppen dies erfordern. ȤȤ Selbstständigkeit und Eigenverantwortung: Wenn Schüler/innen beides erlernen sollen, dann muss man ihnen Freiräume geben, 11

in denen sie sich ausprobieren können. Die Lehrkraft sollte die Schüler/innen aber nicht allein lassen, indem sie sie einfach alles ohne Hilfestellung machen lässt. Vielmehr geht es darum, den jungen Menschen Strategien zu zeigen, wie sie Projekte planen und umsetzen können. Erfolgt dies nicht, wird die Projektarbeit schnell theoriefrei und strukturlos, wodurch viele mögliche Lerneffekte zumeist ausbleiben. ȤȤ Produktorientierung: Bei der Projektarbeit strebt man ein Produkt an, das am Ende des Prozesses steht. Dies kann ganz unterschiedlich präsentiert werden – sowohl hinsichtlich der Form (beispielsweise durch eine Präsentation) als auch bezüglich der Zielgruppe (beispielsweise die eigene Klasse, die Schule, die Kirchengemeinde usw.). ȤȤ Handlungsorientierung: Projektarbeit fordert Schüler/innen kognitiv, darüber hinaus aber in unterschiedlichen Kontexten praxisorientiert heraus und sorgt so für eine Vielfalt von Lernwegen. Darüber hinaus gibt es Kriterien, die in der Literatur genannt werden (Gudjons 1986, 14 ff.) und zur Projektarbeit gehören können, aber nicht zwingend erfüllt sein müssen: ȤȤ Orientierung an den Interessen der Schüler/innen: Um Schüler/in­nen zu motivieren, ist dies durchaus sinnvoll, denn wenn etwas für sie persönlich relevant ist, kann dies motivationsfördernd sein (Deci/Ryan 1993). Zugleich sollte der Erfahrungshorizont der Lehrkraft nicht außer Acht gelassen werden: Sie hat auch die Aufgabe, den Schüler/innen etwas von der Gesellschaft und der Welt zu zeigen, was sie nicht kennen. Insofern können Vorschläge der Lehrkraft überaus positiv sein, wenn Schüler/innen ohne deren Hilfe nicht auf diese Idee gekommen wären. ȤȤ Lebensweltorientierung: Wie beim zuvor genannten Punkt kann dies gerade aus motivatorischen Gründen sehr sinnvoll sein, aber es sollte nicht dogmatisch angewendet werden. ȤȤ Gesellschaftliche Relevanz: Gerade im Fach Religion ist es selbstverständlich äußerst positiv, wenn das Projekt eine gesellschaftliche Relevanz hat. Zugleich ist der Begriff schwer zu definieren und Projekte können auch dann sinnvoll sein, wenn dieser Bezug nicht hergestellt wird. 12

Zum Projektlernen

ȤȤ Interdisziplinarität: Gerade wenn Religion nur einstündig unterrichtet wird, bietet sich die Zusammenarbeit mit anderen Fächern an. Das Zeitkontingent wird somit ebenso ausgeweitet wie die Perspektiven auf den Gegenstand. Zwingend notwendig ist ein interdisziplinärer Ansatz in der Projektarbeit jedoch nicht.

1.2  Lernchancen beim Projektlernen Warum sollen Schüler/innen eigentlich projektförmig lernen? Diese Frage sollte immer am Anfang stehen, denn es gibt Themen, Fragen oder zu erlernende Kompetenzen, für die die Projektmethode nicht geeignet ist. Für andere Kompetenzen ist das Projektlernen genau richtig und dabei geht es zwar auch, aber nicht ausschließlich nur um fachspezifische Fragen. Als der Mathematikprofessor Jürg Kramer in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einmal gefragt wurde, ob er ein Problem darin sehe, dass die meisten Studienanfänger nicht über die Mindestkenntnisse in Mathematik verfügen, die für ein erfolgreiches Ingenieurstudium notwendig seien, antwortete er, dass er darin weniger ein Problem sehe, sondern gravierender sei für ihn, dass »allgemeine Fähigkeiten wie Selbstorganisation, Selbsteinschätzung, Anstrengungsbereitschaft, Durchhaltevermögen und Konzentrationsfähigkeit mangelhaft sind« (FAZ 2011). Kramer spricht damit zugleich auch wesentliche Ziele des Projektlernens an. So zielt gut arrangiertes Projektlernen auf diese Fähigkeiten: Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Selbstständigkeit (z. B. die Zeit gut planen und einteilen zu können), Initiative ergreifen, Prozesse planen und vorantreiben, zielstrebiges Arbeiten und Gruppen motivieren und führen können sowie vor allem strategisches Denken und Handeln und damit auch: Problemlösungsfähigkeit. Zugleich sind damit Kompetenzen angesprochen, die es einem ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, denn mit diesen Kompetenzen kann man das realisieren, was einem wichtig ist oder auch was die Gesellschaft braucht, beispielsweise im Rahmen sozialer Tätigkeiten. Nun ist dies für den Religionsunterricht zweifellos nicht entscheidend, aber doch kann ein Blick auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes helfen, um die Bedeutung der Kompetenzen Lernchancen beim Projektlernen

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zu sehen. Schaut man sich z. B. die Prognosen für den Arbeitsmarkt der Zukunft an, dann wird u. a. ein »verstärkte[r] Bedarf an koordinierenden, forschenden, kommunikativen, kreativen und entscheidungsintensiven Tätigkeiten« festgestellt (Vogler-Ludwig et. al. 2016, 23). Nach Aussagen des Weltwirtschaftsforums sind auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft u. a. Kompetenzen gefordert wie komplexe Probleme lösen zu können, kritisches Denken, Kreativität und soziale Fähigkeiten« (World Economic Forum 2016, 20 ff.). Nun können die Erfordernisse der Berufs- und Wirtschaftswelt natürlich nur ein Bezugspunkt unter vielen – gerade auch wichtigeren wie Bildung, Orientierung und Identität – sein. Dennoch lohnt der Blick auf diese, weil sie über den Arbeitsmarkt hinaus wichtige allgemeine Kompetenzen darstellen und nicht allein auf eine wirtschaftliche Verwertung zielen. Beim Projektlernen geht es um das Lernen von Methoden und Inhalten und damit um spezifische Kompetenzen des Faches Religion, aber eben auch darüber hinaus. Dies ist an sich typisch für den Religionsunterricht, wenngleich es für die Schüler/innen nicht immer so erkennbar ist, aber sein sollte. Man lernt insofern auch für das Leben jenseits der Fragen des Faches. Dies ist bedeutend, da hier eine motivatorische Funktion für die Schüler/innen vorliegen kann, denn das nicht selten genannte Argument der Schüler/innen, das brauchten sie später in ihrem Leben nicht mehr, ist damit hinfällig. Sie werden die hier zu erlernenden Kompetenzen in allererster Linie für sich, ihre Orientierung in der Welt, ethische Fragestellungen, ihre Bildung usw. benötigen, wenn sie in der Kirche oder einer anderen (Religions-)Gemeinschaft tätig sind, sich ehrenamtlich engagieren oder familiäre Aufgaben zu erledigen haben oder in einem (gemeinnützigen) Unternehmen arbeiten oder gar eines aufbauen. Gute Planung und Realisierung wird fast überall gebraucht. Projektlernen erhält somit eine persönliche Relevanz für die Schüler/innen und diese sollte ihnen immer transparent gemacht werden.

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Zum Projektlernen

1.3  Zur Rolle der Lehrkraft bei der Projektarbeit Die Lehrkraft ist beim Projektlernen äußerst wichtig, muss Impulse setzen und sich zugleich zurückhalten und Verantwortung an die Schüler/innen abgeben. Dieser Widerspruch zeigt die Herausforderung, vor der man als Lehrer/in steht. 1.3.1  Etablierung einer Fehlerkultur Projektarbeit bedeutet Unsicherheit und strukturell bildet so ein Projekt damit das ganz normale Leben eines Erwachsenen ab. Man muss sich selbst und ggf. seine Familie organisieren, auch in den beruflichen Feldern sind zunehmend eigenständige Tätigkeiten gefordert. Zugleich läuft der Unterricht meist genau so nicht: Er ist von der Lehrkraft vorstrukturiert, zielt auf ein Ergebnis, das vorher schon feststeht, das die Lehrkraft kennt und zu dem sie die Schüler/innen bewegen will. Eigeninitiative kann sich kaum entfalten. Schüler/innen schildern ihren Alltag oft als ein Abarbeiten von externen Vorgaben: erst Matheaufgaben rechnen, dann im Sport um die Schule laufen, Lieder singen und sich mit biblischen Texten befassen. Eine ähnliche Vorstrukturierung gilt für viele Schüler/innen, gerade im gymnasialen Kontext, auch in ihrem Privatleben: Eltern nehmen Aufgaben ab, manchmal fast alles. Selbstständigkeit wird damit nicht gelernt. So sind manche äußerst herausgefordert, wenn sie eigenständig ein größeres und damit anspruchsvolleres Projekt realisieren sollen. Will man, dass sie sich in der Welt zurechtfinden, dann ist es wichtig, sie darauf vorzubereiten und den Schonraum der Schule dafür zu nutzen. Hier können Fehler gemacht werden, denn Fehler gehören zum Lernen dazu. Man kann üben und so wird der Religionsunterricht zum Proberaum für das Leben, der Live-Auftritt kommt später. Die Unsicherheit des Ausgangs von Projekten, das vorher allen nicht bekannte Ergebnis, die oft unbekannten Schwierigkeiten, die auftreten können und situatives Reagieren erfordern, lassen für das Leben üben. Das heißt zugleich auch, dass die Lehrkraft sich damit anfreunden muss, Verantwortung abzugeben, eigene Unsicherheit zu akzeptieren und sich und den Schüler/innen einzugestehen, dass man nicht alles planen kann und man nicht alles weiß, was kommen Zur Rolle der Lehrkraft bei der Projektarbeit

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wird. Wenn etwas schiefgeht, dann ist es erst einmal kein Problem, vielmehr muss die Situation analysiert werden: Wie lösen wir das Problem? Hätten wir etwas vorher wissen können, was wir nicht gesehen haben? Warum haben wir es nicht gesehen? Was müssen wir beim nächsten Mal mehr beachten? Insofern ist es wichtig, Fehler zuzulassen, sie als Teil des Lernprozesses vorab zu definieren und die ansonsten in Schule und Gesellschaft verbreitete Unsitte, Fehler bestmöglich zu verschleiern, aufzubrechen. Fehler sollten im Projektkontext einem Bedeutungswandel unterzogen und positiv besetzt werden. Ein Kollege brachte es einmal auf den Punkt: »Wenn Schüler schon alles wüssten und könnten, müssten sie nicht mehr in die Schule gehen.« Selbstverständlich können Lehrkräfte auch nicht alles und bisher war es bei allen unseren Projekten nie ein Problem, eigene Fehler als Lehrkraft einzugestehen, zu sagen, dass man gewisse Probleme auch nicht vorhergesehen habe. Insofern geht es um die Etablierung einer Fehlerkultur, die Fehler produktiv wendet: Nicht der Fehler von Schüler/innen oder Lehrer/innen ist das Problem, sondern nur, wenn die Reflexion darüber ebenso fehlt wie das ausbleibende modifizierte Handeln, um entsprechende Fehler nicht noch einmal zu begehen. Letztlich entspricht dieser Umgang mit Fehlern auch einem Menschenbild, das der Religionsunterricht fördern sollte: Eingestehen der Schwächen, aber eben auch der Stärken; niemand ist perfekt. Der eigentliche Wert des Menschen ergibt sich nicht aus seiner – scheinbaren – Fehlerlosigkeit, sondern aus seinem Dasein. 1.3.2  Schüler/innen machen lassen und unterstützen Schüler/innen sollen möglichst eigenständig arbeiten. Sie sollen aber nicht allein gelassen werden. Sie brauchen im Arbeitsprozess immer wieder Beratung und vor allem brauchen sie Strategien, wie man Projekte realisiert. Neben den Strategien zur Planung von Projekten geht es darum, wenn keine eigenen Vorschläge z. B. für eine Problemlösung vorliegen, Impulse in das Team zu geben. Auch sollte die Lehrkraft immer wieder schauen, wie die Prozesse beispielsweise in den einzelnen Projektgruppen laufen und den Schüler/ innen die eigene Einschätzung darlegen. Wenn eine Klasse projekt16

Zum Projektlernen

förmig arbeitet und viele verschiedene Teams dabei sind, ihre Projekte zu realisieren, dann ist die Lehrkraft in dieser Zeit fast immer sehr gefordert: Sie muss sich in die meist unterschiedlichen Projekte der einzelnen Gruppen schnell hineindenken, die Probleme der Schüler/innen verstehen, um dann sinnvolle Impulse zu geben – aber zugleich auf keinen Fall dominant werden und die Projektleitung übernehmen. Unsicherheit ist am Beginn nur zu verständlich, mit der Zeit kommt aber Routine in solche Arbeitsprozesse. Und für uns Lehrkräfte ist das spannend: nicht zum hundertsten Mal das eine Thema mit demselben angestrebten Ergebnis, sondern die ständige Variation, das Neue. Man bleibt in Bewegung. Die Ideen für die Projekte können sowohl von den Schüler/innen als auch von den Lehrer/innen stammen. Meist bietet das Lehrplanthema bereits den Rahmen, innerhalb dessen Schüler/innen Projektideen entwickeln können, indem sie beispielsweise einem Teilaspekt nachgehen. Zugleich kann die Lehrkraft aber eigene Ideen einbringen. Lernkontexte können es erforderlich machen, dass bei aller Orientierung an den Interessen der Schüler/innen die eine für alle zu bearbeitende Projektidee von der Lehrkraft stammt. Auch das entspricht der Lebenswirklichkeit, in der zumeist mehr oder weniger enge Vorgaben vorhanden sind.

1.4  Probleme und Kritik Projektarbeit und auch Forschendes Lernen stellen methodische Wege dar, um die Schüler/innen auf ihre Zukunft vorzubereiten und Inhalte motivierend zu bearbeiten. Zugleich bleibt dieser Zugang, wie jeder andere auch, nicht ohne Kritik. Er hat Stärken, er hat aber auch Schwächen, die ebenfalls thematisiert werden sollen. Auf drei wichtige Gegenargumente sei kurz eingegangen: 1. Ein Einwand ist sicher der Zeitaufwand. Projekte, die diesen Namen verdienen, erfordern Zeit. Schule mit ihrem oft noch 45-Minuten-Rhythmus scheint nicht darauf ausgelegt zu sein, diesen Unterricht zu fördern. Wenn es dennoch möglich ist, muss man abwägen, ob die angestrebten Lernziele mit diesen methodischen Zugängen erreicht werden können. Projektarbeit und Forschendes Lernen sind nicht für alle Lernziele geeignet. Probleme und Kritik

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Auch das bisweilen vorhandene einstündige Fach Religion spricht gegen Projektansätze. Diese können bei solchen Rahmenbedingungen sicher nur in Kooperation mit anderen Fächern realisiert werden. Oder der Unterricht bietet lediglich den ersten Ansatz und die Fortsetzung des eigentlichen Projekts erfolgt dann in der außerunterrichtlichen Arbeit, beispielsweise im Rahmen der Begabten- bzw. Interessiertenförderung oder auch der Ganztagsarbeit. 2. Als weiterer Kritikpunkt sei erwähnt, dass Projektarbeit nicht jede Schülerin und jeden Schüler anspricht. Manche wollen gerade die erwähnten Freiräume gar nicht haben, sondern vielmehr ganz klar vorgegebene Strukturen: Die Lehrkraft referiert, schreibt an die Tafel, man schreibt ab. Das ist aus Schüler/innensicht durchaus nachvollziehbar, da es die eigene Aktivität in Grenzen hält, man sich in eine rezeptive (Zuschauer/innen-)Rolle zurückziehen kann, es bequem ist. Auch wenn das freie Arbeiten manchen mehr als anderen liegt, lässt sich dem entgegnen: Schule ist dafür da, nicht nur auf das Leben vorzubereiten, sondern auch neue Möglichkeiten des Lernens und neue Arbeitsweisen zu zeigen und sie auszuprobieren. Gut gemachte Projektarbeit zeigt den Schüler/innen solche Möglichkeiten. Und wenn manche danach diese pro-aktive Arbeit ablehnen, dann haben sie sie aber zumindest einmal kennengelernt. Die Schüler/innen können sich insofern ausprobieren und damit sich selbst kennenlernen. 3. Projekte zielen auf ein Ergebnis, oft sind es Unterrichtsvorhaben, die für sich stehen, und meist realisieren Lehrkräfte Projekte, die sie für wichtig halten. Kritik könnte an dieser Stelle lauten, dass sie Strohfeuer sind, die kaum nachhaltige Effekte haben. Wenn es jedoch um strukturelles Projektlernen und letztlich um dessen Etablierung geht, sollte an die Konzeption der Strukturen gegangen werden. Dies könnte beispielsweise durch die curriculare Verankerung von Projektarbeit in einer bestimmten Jahrgangsstufe geschehen. Manche der in diesem Buch vorgestellten Projekte, die beispielsweise auf die Gestaltung der Schulgemeinschaft zielen, mögen in einer singulären Ausrichtung bereichernd sein. Unvergleichbar besser werden solche Projekte, wenn sie verstetigt werden, nicht sofort wieder verschwinden. Solche Verstetigung ist nicht immer sinnvoll, sehr wohl aber beispielsweise bei der Organisation eines schulweiten oder jahrgangsweiten Weihnachtsfestes, möglicherweise alle zwei Jahre. 18

Zum Projektlernen

2.  Forschendes Lernen

Forschendes Lernen stellt eine Möglichkeit dar, Projektarbeit zu realisieren. Es wird im hochschuldidaktischen Kontext bereits seit den 1970er Jahren gefordert (Bundesassistentenkonferenz 1970). Auch für das Studium der Religionslehrkräfte sind einige Ansätze vorgelegt worden, die das Forschende Lernen in die Lehrer/innenbildung einbinden (Kalbheim 2013; Riegger 2006). Zwar wird es auch von einzelnen Fachdidaktiken immer wieder gefordert (z. B. für Geschichte: Sauer 2014), für den Religionsunterricht gibt es jedoch keine ausgeprägte didaktische Diskussion oder auch eine umfassende Sammlung praxisorientierter Beispiele. Bezüglich des Forschenden Lernens gibt es zudem unterschiedliche Vorstellungen, was darunter zu verstehen ist. So existiert die Ansicht, die Schüler/innen sollten erfahren, wie Forschung funktioniert, oder aber sie sollten selbst eigene »Forschungsprojekte« durchführen bzw. den Forschungsablauf simulieren (Mieg 2017, 21 f.). Dies wird – bezogen auf alle Fächer – jedoch äußerst selten im Unterricht umgesetzt, selbst in den Naturwissenschaften werden im Rahmen des »Forschenden Lernens« eher Demonstrationsexperimente von den Lehrkräften durchgeführt. Die Schüler/innen entwickeln kaum eigene Fragestellungen und Experimente (Schmidt 2016, 92). In diesem Buch wird aber genau dies unter Forschendem Lernen verstanden und knüpft damit – leicht modifiziert – an die gängige Definition von Ludwig Huber an: »Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lernformen dadurch aus, dass die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens […] in seinen wesentlichen Phasen – von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung der Ergebnisse in selbständiger Arbeit oder in aktiver Mit19

arbeit in einem übergreifenden Projekt – (mit)gestalten, erfahren und reflektieren« (Huber 2009, 11). Folglich sollen die Schüler/innen einen Forschungszyklus durchlaufen. Dabei ist Selbstständigkeit, eigenständig zu forschen, bedeutend, sodass Lernen und Forschen zusammengehören (Huber 2009, 25). Zentral wie bei der Projektarbeit im Allgemeinen ist die Prozessorientierung. Allein das Formulieren eigenständiger Leitfragen ist alles andere als einfach: Die Untersuchungsfragen dürfen nicht zu umfangreich und müssen für den Lernenden zugleich untersuchbar sein. Oft neigen Schüler/innen zu Themen wie »Luther«, »Reformation«, »Kirche im Nationalsozialismus«. Dies sind erstens zu große Themen, zweitens würden die Leitfrage und damit der Untersuchungsfokus fehlen. Oft enden solche Arbeiten in dem Zusammenfassen von Internetbeiträgen, meist von Wikipedia. Wirklich sinnvoll ist das nicht. In einem zweiten Schritt müssen die Schüler/innen beim Forschenden Lernen planen, wie sie Antworten auf ihre Frage erhalten können. Müssen sie dafür Interviews führen? Wenn ja, wer kann seriös Auskunft geben? Usw. Die Methodik muss dann ebenso wie die Ergebnisse reflektiert werden, denn jede Methodik hat Schwachstellen. Hier setzt auch eine zentrale Begründung für das Forschende Lernen an, denn es geht auch darum, dass die Schüler/innen lernen, Informationen kritisch zu hinterfragen. Dies ist vermutlich eine der großen Herausforderungen an die schulische Bildung im 21. Jahrhundert. Diskussionen um »Fake News« und »alternative Fakten« verdeutlichen dies. Allein die große tägliche Datenflut macht es notwendig, dass wir alle lernen müssen, damit umzugehen und Informationen kritisch zu bewerten. Wenn Schüler/innen auf das Leben vorbereitet werden sollen, dann müssen sie in die Lage versetzt werden, Informationen so gut wie möglich zu hinterfragen und im Bestfall sogar einordnen zu können. Folglich geht es um einen wichtigen Teil der Informationskompetenz (Sühl-Strohmenger 2016, 2). Die Kultusministerkonferenz hat dies in ihrer Strategie für die »Bildung in der digitalen Welt« auch für das Fach Religion gefordert (KMK 2016). Hinsichtlich religiöser Fragen ist die Informationsbewertung ebenso relevant, wenn es zum Beispiel um religiösen Extremismus 20

Forschendes Lernen

geht. Salafisten beispielsweise stellen ihre Weltsicht online und für jeden einsehbar zur Verfügung. Manche der Aussagen sind normativ hergeleitet (»Gott will, dass …«), andere basieren aber auch auf scheinbaren oder tatsächlichen Fakten. Man ist gefordert, diese Aussagen überprüfen zu können. Insofern sind beim Forschenden Lernen im Fach Religion nicht nur die jeweiligen Inhalte relevant, sondern auch das Erlernen von Fachmethodik und letztlich ebenso die Ausbildung einer forschend-reflektierten Grundhaltung (Zankel/Heinz/Leonhardt 2018). Es geht also nicht um das unreflektierte Übernehmen von fremden Texten (was in der Schule häufig passiert), sondern z. B. um die Reflexion der Texte bzw. der mit ihnen transportierten Informationen. Dies ist zugleich äußerst lebensrelevant und für die kritische religiöse Bildung notwendig. Für die Lehrkräfte bietet das Forschende Lernen wohl noch öfter als die Projektarbeit im Allgemeinen erkenntnisreiche Prozesse. Die Schüler/innen können hier Neuland betreten, wirklich etwas erforschen, was vorher nicht bekannt war. Sind die Arbeiten gelungen, dann erreichen sie eine Außenwirkung, die bei schulischen Arbeiten kaum vorkommt. Bei den konkreten Vorschlägen (siehe Kap. 5) werden mögliche Praxisbeispiele dafür genannt.

Forschendes Lernen

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3. Projekte organisieren und Forschendes Lernen gestalten

Im Folgenden wird darauf eingegangen, wie Projektarbeit und Forschendes Lernen gestaltet werden kann, worauf zu achten ist, was man vermeiden sollte.

3.1  Klassische Fehler bei Gruppenarbeiten Jeder beobachtet es im eigenen Unterricht und kennt es evtl. sogar aus Arbeitsprozessen im Kollegium. Hier werden die häufigsten Fehler in solchen Teamprozessen während der Projektarbeit dargelegt: 1. Die Drückeberger-Falle: Oft beschreiben Schüler/innen Gruppen­ arbeit so, dass Einzelne sehr viel beitragen, manche etwas und wenige gar nichts machen. Tatsächlich ermöglicht Gruppenarbeit Letzteren sehr häufig, sich hinter anderen zu verstecken, im Strom mitzuschwimmen. Dramatisch vor allem hinsichtlich der Lerneffekte wird es dann, wenn bezüglich der Bewertung in solchen Fällen nicht differenziert wird. Die Schüler/innen nehmen diese Erkenntnis mit: Die anderen werden es schon machen, einer engagiert sich immer und nimmt es in die Hand. Oder hinsichtlich der anderen Seite: Am Ende muss ich alles allein machen (Schmeis 2015). Die Streitigkeiten in den Gruppen entstehen dann vor allem, wenn die Noten relevanter werden, beispielsweise wenn es um das Abschlusszeugnis geht. 2. Fehlende Aufgabenzuweisungen: Oft bestehen in Gruppenarbeiten keine klare Aufgabenzuweisungen, sodass alle »irgendwie« an einer Aufgabe sitzen. Dies fördert die Effekte der Drückeberger-Falle und macht letztlich auch eine differenzierte Bewertung für die Lehrkraft schwierig. 23

3. Die Jasager-Falle: Je größer die Teams sind, desto größer wird die Gefahr, dass sich der Einzelne schlechter vorbereitet, dass vor allem der Wunsch nach Harmonie im Zentrum steht und kritische Diskussionen vermieden werden. Vor allem aber dominieren die Vielredner solche Gruppen. Sie lassen andere kaum zu Wort kommen und ermöglichen ihnen damit auch nicht, ihre Ideen einzubringen. Die zurückhaltenden Schüler/innen schweigen dann lieber, ziehen sich zurück und nicken die Vorschläge der Vielsager ab (Schmeis 2015).

3.2  Wie Ideen entwickelt werden können Ideen für Projekte oder Fragestellungen beim Forschenden Lernen können von der Lehrkraft kommen, jedoch ist es ebenso möglich und auch erstrebenswerter, dass die Schüler/innen selbst ihre Vorschläge und Ideen einbringen. Gerade das Entwickeln von Fragestellungen ist eine äußerst schwierige Aufgabe, die geübt werden muss, da ist es wenig hilfreich, wenn die Lehrkraft die Frage immer vorgibt. Sollen Ideen für Projekte in Gruppenprozessen entwickelt werden, dann sollte eines vermieden werden: Alle setzen sich an einen Tisch und überlegen »gemeinsam«. Es werden wieder einige dominieren und vor allem werden manche Ideen, die formuliert werden, ausführlich diskutiert, andere gar nicht erst entwickelt. Sinnvoller ist vielmehr ein mehrstufiges Verfahren: In einem ersten Schritt formuliert jedes Teammitglied eigene Ideen, schriftlich und nur für sich. Die Gruppenmitglieder sollten in dieser Phase nicht miteinander sprechen. Man kann an dieser Stelle auch ein Brainstorming-Duell durchführen lassen: In begrenzter Zeit entwickelt jeder für sich Ideen, wer am meisten hat, gewinnt. Dieser spielerische Anreiz kann die Schüler/innen dazu motivieren, eigene Ideen zu formulieren und vor allem sich auf sich selbst zu konzentrieren. Ob man nun ein solches Brainstorming-Duell durchführen lässt oder nicht: Wichtig bleibt diese erste Phase, um gerade stillere Schüler/innen und ihre Ideen einzubinden, damit möglichst viele Ideen und somit auch die möglichst besten generiert werden. Gerade bis zur 10. Klasse kann es sinnvoll sein, dass die Schüler/innen z. B. mithilfe einer Mindmap versuchen, ihre Interes24

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sen zu finden, um daraus resultierend Ideen zu entwickeln. Denn besonders in diesem Alter fällt es nicht wenigen Schüler/innen schwer, ihre eigenen Interessen zu erkennen und damit auch artikulieren zu können. Aus diesen Interessen lassen sich wiederum Ideen hervorbringen. Nach der Entwicklung der Ideen sollten die Gruppen die Vorschläge einzeln diskutieren und erörtern, um sich letztlich für die für sie beste Idee entscheiden zu können. Man kann ein mehrstufiges Entscheidungsverfahren anwenden, indem beispielsweise in einem ersten Schritt alle eine gewisse Anzahl an Stimmen haben und dann über die (beiden) Vorschläge mit den meisten Stimmen in einer Stichwahl abgestimmt wird. Ein Verfahren, Projektideen zu besprechen, stellt die Methode der sechs Hüte von Edward de Bono (2009) dar; das Verfahren wird z. B. auch in unternehmerischen Kontexten angewendet. Man kann dieses Vorgehen aber nicht nur bei der Beratung über Projektideen, sondern beispielsweise auch dann anwenden, wenn es um die Lösung eines konkreten Problems geht. De Bono sieht folgende Hüte vor, die aber z. B. auch durch farbige Karten ersetzt werden könnten: –– Weiß symbolisiert das analytische Denken, die Konzentration auf Tatsachen, Anforderungen und wie sie erreicht werden können. –– Rot steht für das emotionale Denken, Empfinden: Konzentration auf Gefühle und Meinungen. –– Schwarz zeigt das kritische Denken: Risikobetrachtung, Probleme, Skepsis, Kritik und Ängste. –– Gelb bringt das optimistische Denken in die Diskussion in der Gruppe: Wie sieht das Best-Case-Szenario aus? –– Grün steht für kreatives, assoziatives Denken: neue Ideen, Kreativität. –– Blau zeigt das ordnende, moderierende Denken: Überblick über die Prozesse.

Die Farben lassen sich entsprechend der jeweiligen Bedingungen auch reduzieren. Auf jeden Fall sollten aber alle Schüler/innen unbedingt in ihrer Rolle bleiben. Die Moderation könnte der blaue Hut übernehmen. Nach der Vorstellung der verschiedenen PerspekWie Ideen entwickelt werden können

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tiven kann die Abstimmung erfolgen. Ob ein solches – recht zeitaufwändiges – Verfahren sinnvoll ist, hängt vom jeweiligen Lernkontext ab.

3.3  Wie Projekte organisiert werden können Für eine gute Projektorganisation brauchen Schüler/innen Input, wie sie vorgehen können. Wenn sie sich diese Verfahren allein und nur durch die eigene Praxis erschließen sollen, stellt sich die Frage, wozu man die Lehrkraft noch benötigt. Darüber hinaus besteht die Gefahr eines »kopflosen Aktionismus«, der alles andere als weiterführend ist (Reinhardt 2007, 102). Hier sollen nun zwei Vorschläge gemacht werden, wie Projekte organisiert werden können. Der eine orientiert sich am klassischen Projektmanagement, der andere am agilen Projektmanagement, der Kanban-Methode. Beide Zugänge werden hier auf die schulische Projektarbeit bezogen und entsprechend modifiziert. 3.3.1  Klassisches Projektmanagement Beim klassischen Projektmanagement gibt es oft eine/n Projektmanager/in, dies sollte eine Schülerin oder ein Schüler übernehmen. Das heißt zugleich: Projektmanager/in sollte nicht die Lehrkraft sein. Dies passiert oft in den Fällen, wenn die Gruppe größer ist, beispielsweise eine ganze Klasse an einem Projekt arbeitet. Die Gefahr besteht, dass es ein Lehrer/innen-Projekt und somit kein Schüler/innen-Projekt wird. Solche großen Projekte können dann sinnvoll sein, wenn für die Bearbeitung der Aufgabe tatsächlich so viele Personen benötigt werden (beispielsweise bei der Organisation eines Weihnachtsfests für die Schule). In diesem Fall wird es für Schüler/innen außerordentlich schwer sein, die Gruppe zu koordinieren. Man könnte dann so verfahren, dass die Lehrkraft das Projektmanagement gemeinsam mit beispielsweise zwei – sehr motivierten – Schüler/innen kooperativ übernimmt. In aller Regel sollten die Projekte aber kleiner sein, also weniger Personen umfassen, so dass sich die Lehrkraft mehr aus der Projektorganisation zurückziehen und sie den Schüler/innen überlassen kann. 26

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Zuerst ist es bei der Projektarbeit wichtig, dass ein Projekt in einer begrenzten Zeit realisiert werden muss. Das heißt, nicht alles, was wünschenswert ist, kann auch umgesetzt werden. So stehen die zur Verfügung stehende Zeit und die Qualität in einem gewissen Spannungsverhältnis. Walter Jakoby betont in seinem Buch zum Projektmanagement die Bedeutung der Planung: »Die Entscheidungen, die zu Beginn eines Projekts getroffen werden, haben die weitreichendsten Folgen. Damit ein Projekt überhaupt die Chance bekommt, erfolgreich zu sein, müssen die Festlegungen vollständig und eindeutig sein und schriftlich festgehalten werden« (Jakoby 2015, 31). Das heißt, in die Projektplanung muss Zeit investiert werden oder anders gesagt: Ohne gute Planung kein gutes Projekt. Jakoby hat sieben Fragen formuliert, die zugleich ein Projekt strukturieren können: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Was ist das Problem bzw. die Aufgabe? Was muss getan werden? Wie viel Aufwand ist erforderlich? Wer soll es tun? Wann soll es getan werden? Was könnte schiefgehen? Läuft es nach Plan?

Wenn eine Gruppe diese Fragen vorab als Strukturierungshilfe für ihr Projekt erhält und ihr die Bedeutung der einzelnen Fragen erläutert wird, kann sie damit ihr Projekt sinnvoll planen. Vor allem lernen die Schüler/innen eines: ein Projekt zu schätzen, im Bestfall im doppelten Sinne, mindestens aber den Umfang und die möglichen Probleme richtig einschätzen zu können. Die Bearbeitung dieser Fragen sollte auf jeden Fall von allen Schüler/innen schriftlich fixiert werden. Ansonsten passiert das, was oft in Projekten geschieht: Einer schreibt den Planungsprozess auf, fehlt beispielsweise aufgrund von Krankheit und der ganze Prozess kommt zum Erliegen. Das ist ein klassischer Fehler in schulischer Projektarbeit, der auch dadurch vermieden werden kann, wenn die Informationen an einem zentralen und für alle zugänglichen Ort Wie Projekte organisiert werden können

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hinterlegt werden (beispielsweise auf dem Schulserver oder bei der Lehrkraft). Diese Aufteilung der Arbeit hat einen großen Vorteil: Am Anfang einigt sich die Gruppe auf eine gerechte (ggf. auch entsprechend der vorhandenen Kompetenzen) Verteilung der Aufgaben. Damit wird die Gefahr der ansonsten oft entstehenden Ungerechtigkeit hinsichtlich der Aufgabenverteilung (»Drückeberger-Falle«) deutlich reduziert. Zugleich sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Projekt ungeplant, unkoordiniert, anarchisch angegangen wird. Zudem ist es der Lehrkraft bei einer solch gründlichen Planung möglich, konkret auf die Ideen und die Planung der Schüler/innen einzugehen und sie entsprechend zu beraten. Wenn die sieben Fragen für eine Lerngruppe zu viel sein sollten, lässt sich auch eine reduzierte Variante realisieren. Während die erste Frage zweifellos notwendig ist, könnte sich die Projektplanung auf drei weitere reduzieren: 1. Was muss getan werden? 2. Wer erledigt die Aufgabe? 3. Bis wann ist die Aufgabe erledigt?

Oder kürzer und für die Schüler/innen leichter merkbar formuliert: 1. Was? 2. Wer? 3. Bis wann?

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Titel des Projekts:

               

Name der Abteilung:                

Was muss gemacht werden? Wer erledigt die (möglichst kleinschrittig notieren) Aufgabe?

Bis wann ist die Aufgabe erledigt?

Wie Projekte organisiert werden können

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Sehr hilfreich für Projekte ist die Übertragung der Ausarbeitung der sieben bzw. drei Fragen in eine Skizze, einen Projektplan, der sogenannte Meilensteine enthält: Hier kann zum Beispiel ein Blatt verwendet werden, auf dem die Wochen notiert sind, die den zeitlichen Rahmen des Projekts umfassen. Beispiel: Sie wollen mit einem Religionskurs ein (interreligiöses) Fest für eine Jahrgangsstufe organisieren, das Anfang Dezember stattfinden soll. Für das Projekt geben Sie sich sechs Wochen Zeit. Dann sind alle sechs Wochen bis zur Projektrealisierung aufgeführt und es wird jeweils notiert, was bis zu welchem Meilenstein erledigt sein soll und wer diese Aufgabe bearbeitet. Ist ein solcher Plan mit den Meilensteinen ggf. auch im Klassenraum sichtbar, ist für alle immer klar, wer was bis wann erledigen muss. Es sollte jeweils am Tag der Meilensteine innerhalb der Gruppe oder Klasse besprochen werden, inwiefern die Aufgaben abgearbeitet wurden. Beim Zugang über das klassische Projektmanagement sollte eine Schülerin oder ein Schüler (bei größeren Gruppen können es auch zwei Personen sein) die Projektleitung übernehmen. Sie oder er hat die Aufgabe, immer wieder auf die Projektplanung sowie die einzelnen Aufgaben zu verweisen, die Gruppe zu motivieren und letztlich den Überblick über das ganze Projekt zu haben (Läuft es nach Plan?). Die Projektleitung kann von der Gruppe selbst gewählt werden, wobei vorher Kriterien festgelegt werden sollten, welche Kompetenzen die Leitungsperson mitbringen müsste. Wird dies nicht gemacht, erfolgt oft allein eine Wahl nach Sympathie. Insofern sollte die Lehrkraft darauf verweisen, dass der Projekterfolg auch von der Wahl der richtigen Person und ihren Kompetenzen im Hinblick auf das Projekt abhängt. Diese Person kann auch von der Lehrkraft ernannt werden, beispielsweise im Rahmen der Binnendifferenzierung, um gute Schüler/innen zu fördern oder auch das Potenzial von Schüler/innen freizusetzen. Dabei sollte nicht immer die naheliegendste Lösung gewählt werden, also beispielsweise die Schüler/innen, von denen man weiß, dass sie solche Aufgaben sehr gut bearbeiten können. Die Lehrkraft sollte ein Talentsucher sein. Ein Beispiel dazu: Bei einer Schülerfirma, die sich nach einem unterrichtlichen Impuls außerhalb 30

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des Unterrichts organisiert, sind fair gehandelte Textilien aus nachhaltiger Produktion das Geschäftsfeld (möglicher Bezug zum Fach Religion: Bewahrung der Schöpfung und Nächstenliebe in konkretes Handeln umgesetzt). Zu Beginn wurde der Gruppe eine Schülerin als Koordinatorin vorgeschlagen, die sehr schüchtern war, kaum etwas sagte, aber zugleich aufmerksam das Geschehen verfolgte. Mit einem Mitschüler leitete sie die Gruppe und konnte sich hervorragend durch dieses Projekt entwickeln. Gerade in einem Lernfeld wie der Schule ist es so, dass sie als Ort verstanden werden sollte, in dem man sich ausprobieren kann, in dem man ohne große Risiken etwas wagen kann. Chancenorientierung sollte im schulischen Lernen eine ebenso wichtige Vokabel wie Problemorientierung sein. In diesem konkreten Fall war das Risiko für die Lehrkraft nicht vorhanden (ggf. wäre das Projekt gescheitert), die Chancen aber sehr groß. Nicht nur diese eine Schülerin entwickelte sich hervorragend, sondern viele der Schüler/innen im gesamten Projekt. Inzwischen ist hier die dritte Schülergeneration dabei und sie arbeiten weitgehend autonom, ohne Lehrkraft (www.youngandfair.de). 3.3.2 Die Kanban-Methode Die Kanban-Methode spielt im Unterricht bisher fast gar keine Rolle, dabei ist sie nicht nur einfach anzuwenden, sondern reduziert auch viele Probleme, die sich bei Gruppen- und Projektarbeit ergeben. Wie funktioniert sie? Das Wort »Kanban« kommt aus dem Japanischen und kann wörtlich mit »Signalkarte« (Kan: Signal, Ban: Karte) übersetzt werden. Bei der ursprünglich in der Automobilindustrie eingesetzten Projektmethode (Dickmann 2015, 12) geht es eigentlich um eine ausgefeilte Form einer To-do-Liste. Nur wird jede einzelne Aufgabe auf einen Klebezettel geschrieben und die Zettel werden auf dem Kanban-Board aufgeklebt. Je nach Projektgröße und Anzahl der Aufgaben kann es bei kleinen Projekten ein DIN-A3-Blatt sein, ansonsten sind die Formate DIN A2 und DIN A1 möglich. In der oberen Hälfte befindet sich das Backlog, hier werden alle ausgefüllten Aufgabenzettel hingeklebt. Der untere Bereich lässt sich unterschiedlich gestalten. Bei kleineren Projekten kann man mit zwei Spalten arbeiten: 1. »Diese Woche«, dies betrifft die Aufgaben, die in dieser Woche bearbeitet Wie Projekte organisiert werden können

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werden sollen. 2. »Done«: alle Aufgaben, die bearbeitet wurden. Die Zettel wandern vom Backlog zum Feld »Diese Woche«, wenn sie in der Woche abgearbeitet werden sollen, danach zum Feld »Done«, wenn die Aufgabe abgearbeitet wurde. Man kann auch noch quasi Meilensteine (z. B. bei größeren Projekten) einbauen, indem man den unteren Bereich des Boards auf das Gesamtboard überträgt und es so unterteilt, z. B. vier Spalten: 1. Bis Ende April, 2. Bis Mitte Mai, 3. Bis Ende Mai, 4. Done.

Beispiel für die Nutzung eines Kanban-Boards

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Während die Methode auch für die Organisation der eigenen Arbeit (oder beispielsweise auch für die Aufgabenverteilung in der Familie) angewendet werden kann, sind noch einige Punkte zu beachten: 1. Jede/r Schüler/in sollte Klebezettel in jeweils einer bestimmten Farbe verwenden. Hier zeigt sich die Stärke der Projektmethode: Es wird für eine extrem hohe Transparenz des Arbeitsprozesses gesorgt: einerseits innerhalb der Gruppe, andererseits für die Lehrkraft. Man sieht innerhalb weniger Sekunden, ob jeder an einer Aufgabe arbeitet bzw. sich zumindest eine Aufgabe vorgenommen hat. Und vor allem sieht man, ob jemand Fortschritte im Prozess macht oder eben nichts passiert. 2. Die Klebezettel sollten mit möglichst kleinschrittigen Aufgaben beschriftet werden. Ziel ist es, dass die Schüler/innen lernen, den Umfang eines Projekts und der Teilaufgaben einzuschätzen. Dies klingt einfach, ist aber mit das Schwierigste bei der Projektarbeit, denn häufig wird unterschätzt, wie viele Teilschritte an einer Aufgabe hängen. 3. Auf jedem Klebezettel steht nicht nur die jeweilige Aufgabe, sondern auch, wie viel Zeit für diese Aufgabe veranschlagt wird. Diese Angabe erfolgt in Zeiteinheiten, dabei legen wir eine Zeiteinheit mit 15 Minuten fest. Braucht man für eine Aufgabe beispielsweise 45 Minuten, sind hier »3 ZE« vermerkt. Man kann die Schüler/innen die Schritte 2. und 3. auch erst einmal auf einem einfachen Blatt notieren und dann erst auf die Klebezettel übertragen lassen. Dann können sie die Aufgaben noch einmal neu verteilen, durchstreichen, ohne jeweils Klebezettel zu verschwenden. 4. Jedes Gruppenmitglied ist nun selbst gefordert, sich jeweils einen Klebezettel aus dem Backlog des Kanban-Bords zu holen, daher stammt die Methode aus dem »Agilen Projektmanagement«.

Die Vorteile dieser Methode liegen auf der Hand: Es gibt eine hohe Transparenz für alle Beteiligten, das heißt, das Kanban-Board dient wie beschrieben der Kommunikation nach innen (Schüler/innengruppe) und nach außen (mit der Lehrkraft). Die Methode setzt auf flache Hierarchien, denn jeder ist gefordert, seine Aufgaben selbstständig zu erledigen. Macht und Verantwortung liegt dann Wie Projekte organisiert werden können

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bei dem Einzelnen (Dickmann 2015, 118 f.). Zudem lassen sich die Aufgaben entsprechend der Fähigkeiten verteilen. Gut ist auch, dass die Schüler/innen schnell Erfolge bzw. Fortschritte sehen können: Jeder Klebezettel, der bei »Done« klebt, ist ein Erfolg. An einem Kanban-Board sollten maximal fünf Personen arbeiten. Arbeitet die ganze Klasse an einem Projekt, sollten »Abteilungen« gegründet werden, die könnten dann jeweils ein Kanban-Board verwenden. Zu beachten ist auch, dass man möglichst auf Klebezettel mit langfristiger Klebewirkung achten sollte, nicht alle erfüllen dies. Wie bei der Projektarbeit gilt auch hier: Es muss Zeit in die Planung investiert werden. Das mag manchmal übertrieben wirken, ist es aber nicht. Denn eines sollen die Schüler/innen lernen: Projekte zu planen und zu realisieren. Ohne systematische Planung werden sie das nicht lernen.

3.4  Fahrten planen Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, für Projektarbeit bisweilen eine wesentliche Voraussetzung, für Schüler/innen mitunter eine Herausforderung: die selbständige Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs. Dennoch ist es insbesondere für jüngere Lernende, die noch nicht durch ihren Schulweg entsprechende Erfahrungen gemacht haben, unabdingbar, elementar Wissenswertes für eine grobe Orientierung vorab zu thematisieren. Hierzu zählen insbesondere: ȤȤ der grundsätzliche Aufbau des Liniennetzes und dessen Tarifzonen, ȤȤ Hilfen bei der Erläuterung eines einzelnen Linienplans und – als Lesehilfe  – wo auf diesem welche Information zu finden ist (Linie, Uhrzeiten, Wochentag, Wochenende, Fahrzeiten, Abkürzungen), ȤȤ die Unterscheidung von Kinder- und Erwachsenentickets (Ab welcher Altersstufe?), ȤȤ die mögliche Nutzung von Mehrfachfahrkarten, ȤȤ die konkrete Bedienung eines Fahrkartenautomats, ȤȤ die Nutzung von Online-Fahrplänen.

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Konkrete Materialien und Erläuterungen sind häufig direkt bei den örtlichen Verkehrsunternehmen und -verbänden zu bekommen. Letztlich ist aber auch im Vorfeld durch die Lehrkraft zu klären, inwiefern Familien, die sich eventuelle Fahrtkosten der Kinder nicht leisten können, Unterstützung durch die Schule, den Förderverein oder kommunale Stellen erhalten können. Checkliste zur Nutzung des ÖPNV: □□ Ich kenne Start- und Zielhaltestelle und die (Bus-, U-, S-Bahn-) Linie sowie den Weg dorthin und zum Treffpunkt. □□ Ich weiß, welche Fahrkarte erforderlich ist (Tarif, Mehrfachfahrkarte möglich?). □□ Die berechnete Fahrzeit hat einen Zeitpuffer, um pünktlich am verabredeten Treffpunkt zu sein. □□ Ich kann den Fahrkartenautomaten bedienen (Kleingeld bzw. Geldkarte vorhanden).

3.5  Kommunikation führen Wer als Lehrkraft E-Mails von Schüler/innen erhält, weiß, wie diese bisweilen schreiben. Anreden werden nicht verwendet oder – falls vorhanden – verfehlen sie den angemessenen Ton (»Hi, Herr Günther!«). Was innerschulisch Schmunzeln oder Verwunderung auslöst, kann ein Problem werden, wenn es den Bereich der Schule verlässt. Arbeit an Projekten und Forschendes Lernen insgesamt erfordern häufig eine außerschulische Kontaktaufnahme per E-Mail. Insofern ist es wichtig für Lernende, zu wissen, wie eine seriöse E-Mail aussehen kann. Dabei ist es nahezu unabdingbar, dass die Lehrkraft eine verbindliche Vorgabe mit auszutauschenden Bausteinen als Beispiel vorgibt. Hierbei sollten angemessene Anreden genannt sowie der passende Umgangston und die damit verbundene Sprachebene deutlich werden. Gerade am Beginn sollte die Lehrkraft die ersten E-Mails Korrektur lesen, bevor sie abgesendet werden. Es bietet sich auch an, dass die Schüler/innen die Lehrkraft bei den Anschreiben per E-Mail in Cc setzen müssen. So behält man leicht die Übersicht – auch über den Fortgang der Arbeit. Im Vorfeld sollte allerdings auch die Wirkung wenig seriöser, eigener E-Mail-Adressen der Schüler/innen thematisiert werden. Kommunikation führen

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Auch bei guter formaler Vorarbeit bleibt als Schwierigkeit bestehen, das eigene Anliegen klar, kurz und bündig zu formulieren. Das gilt für ein Anschreiben in einer E-Mail, insbesondere aber für Telefonate, in denen der/die Gesprächspartner/in spontan die Anfrage einordnen und verstehen sollte, diese/r aber dem/der Anrufer/in ebenso spontan Rückfragen stellt. Nun kann man davon ausgehen, dass interessierten Schüler/innen grundsätzlich wohlwollend begegnet wird. Dennoch verstärkt ein klares Verständnis über die Anfrage seitens der Lernenden die Bereitschaft zu helfen oder Auskunft zu geben. Auch hier sollte die Lehrkraft eine Vorlage anbieten, in der die Schüler/innen ihre eigenen Notizen einsetzen können. Im Vorfeld sollten die Lernenden auch auf die möglichen Verläufe von Telefonaten bei Behörden oder großen Unternehmen hingewiesen werden: ȤȤ Man wird weitergeleitet und muss die eigene Anfrage wiederholen. ȤȤ Man kann aufgefordert werden, eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter oder bei einer Ansprechpartnerin bzw. einem Ansprechpartner zu hinterlassen. Hier gilt es erneut, klar zu formulieren. ȤȤ Man sollte damit rechnen, eine Nummer zu hinterlassen. Die Schüler/innen sollten wissen, welche Nummer sie konkret hinterlassen (Mobiltelefon, Festnetz oder die Telefonnummer der Lehrkraft oder der Schule). ȤȤ Der Name von Ansprechpartnern sollte in jedem Fall notiert werden. Auf diesem Weg erwerben die Schüler/innen wichtige Kompetenzen, die sich nicht zuletzt später bei Nachfragen zu Praktika oder Ausbildungsplätzen auszahlen. Nicht vergessen werden sollte aber auch, dass gerade bei (Forschungs-)Projekten manchmal die persönliche Kontaktaufnahme vor Ort die schnellste und zuverlässigste Form der Kommunikation oder Kontaktaufnahme ist.

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Vorbereitungscheckliste E-Mail: □□ Die eigene E-Mail-Adresse ist seriös. □□ Die Betreffzeile macht in wenigen Stichworten deutlich, worum es bei dem Anliegen geht. □□ Eine angemessene Anrede wird verwendet (»Sehr geehrte Damen und Herren«). □□ Das Anliegen ist in drei Sätzen verständlich formuliert. □□ Die eigene Person und Schule werden vorgestellt. □□ Die Anfrage ist höflich und klar formuliert. □□ Absätze zur Strukturierung des Textes werden verwendet. □□ Die Bitte um Antwort bzw. Dank ist zum Schluss vorhanden. □□ Die abschließende Grußformel ist angemessen. □□ Die Daten für Kontaktaufnahme (ggf. Telefonnummer) sind genannt. □□ Die E-Mail wurde vor dem Absenden Korrektur gelesen. Vorbereitungscheckliste Telefonat □□ Der Name der Ansprechpartnerin/des Ansprechpartners ist bzw. wird notiert. □□ Das Anliegen ist in drei Sätzen verständlich vorformuliert. □□ Die eigene Person und Schule können vorgestellt werden. □□ Die konkrete Anfrage ist höflich und klar vorformuliert. □□ Ein Notizzettel und ein Stift sind einsatzbereit. □□ Eine Telefonnummer für eventuelle Rückrufe ist vorhanden. □□ Eine Grußformel zur Verabschiedung ist vorformuliert.

3.6  Das Projekt bekannt machen Manche Projekte bleiben im Klassenraum, werden dort präsentiert. Das ist ein Wert an sich und soll nicht infrage gestellt werden. Hier soll es aber darüber hinaus um die Ergebnispräsentation von Projekten gehen, die für die Schulöffentlichkeit oder auch für die Kommune, Kirche oder Region interessant sein könnten. Das heißt, es geht darum, wie man die Schüler/innen an Öffentlichkeitsarbeit heranführt, wie sie als Abschluss ihres Projektes lernen, ihre Ergebnisse in einer gewissen Öffentlichkeit ansprechend darzustellen und zu verbreiten. Darüber hinaus werden durch die Pressearbeit gute Ideen bekannt gemacht. Die Öffentlichkeitsarbeit kann auch für die Das Projekt bekannt machen

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Schule von Bedeutung sein, um zu zeigen, dass man in der Stadt oder Region präsent ist. Gleiches gilt natürlich auch für die Fachschaft Religion, die damit ihre Bedeutung z. B. in der Schule dokumentieren kann. Strebt man Pressearbeit an, ist die Frage wichtig, welche Presseorgane bzw. Medien es eigentlich gibt, die über das Projekt berichten würden. Es kann gemeinsam mit den Schüler/innen überlegt werden, welche Medien dazuzählen. Hierbei kann die Internetseite der Schule von Interesse sein, ebenso die Schulzeitung, etwaige Schülermedien, die Lokalzeitungen, die lokalen oder regionalen Anzeigenblätter, der Gemeindebrief der Kirchengemeinde und ggf. die Kirchenzeitung der Landeskirche. Auch die Presseorgane der lokalen Parteien bzw. der Stadt (z. B. deren Internetseite) können je nach Projekt nennenswert sein. Grundsätzlich gilt dabei: Je kleiner die Stadt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass extern über das Projekt berichtet wird. Die Schüler/innen sollten jedoch nicht einfach einen Artikel schreiben und ihn dann an die Presse schicken, ohne zu wissen, wie man ihn verfassen könnte. Das heißt, man sollte ihnen Kriterien an die Hand geben – die Zusammenarbeit mit dem Fach Deutsch liegt hier nahe. Verwendet werden kann die Kriterienliste anbei.

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Kriterien für das Verfassen von Zeitungsberichten Allgemein: □□ Satzbau: Achte darauf, dass dem Leser/der Leserin ein flüssiges Durchlesen des Textes ermöglicht wird: keine Hypotaxen (lange Satzgefüge mit mehreren Nebensätzen)! Die Sätze umfassen nicht mehr als 12–14 Wörter. □□ Perspektive: Die Wörter »ich« und »wir« werden nicht verwendet, außer bei Zitaten. □□ Dem Text liegt mindestens ein Foto bei. Die Überschrift: □□ Die Überschrift soll Lust darauf machen, den Text zu lesen. □□ Schreibe eine kurze und zugespitzte Überschrift. Sie enthält die wichtigste Nachricht, sodass die Leserinnen und Leser sofort erkennen, worum es geht. Du kannst auch eine zweite Überschrift formulieren. Der Text: □□ Anfang: Schilderung einer besonders einprägsamen Szene oder eines Menschen, der mit dem Thema zu tun hat. Ein prägnantes Zitat eignet sich auch. Der Anfang kann auch etwas schildern, das in der Mitte oder am Ende des Ereignisses stattfand. □□ Zweiter Absatz (dritter oder vierter Satz): Sag direkt, worum es in dem Artikel geht. Beantworte die wichtigsten W-Fragen: Wer, was, wann, wo, warum, wie oft, wie? □□ Schreibe Einzelheiten zur Nachricht in die Textmitte. □□ In der Mitteilung finden sich wörtliche Zitate von den Beteiligten. Achte darauf, dass es eine zugespitzte, verständliche und lebendige Äußerung ist. □□ Nenne unbedingt weitere Informationsadressen im Internet und die Kontaktdaten der Ansprechpartner/innen, die für Nachfragen zur Verfügung stehen. □□ Der Text wird nach der Fertigstellung Korrektur gelesen.

Das Projekt bekannt machen

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Kurz sei darüber hinaus auf die Bedeutung einiger der Kriterien eingegangen: Ein guter, die Leserschaft ansprechender Anfang ist wichtig, damit der Artikel überhaupt weitergelesen wird – dies entscheidet sich in den ersten Zeilen. Will man zudem Aufmerksamkeit für sein Thema erzeugen, sollte immer ein aussagekräftiges Foto mit an die Presse geschickt werden. O-Töne, also Zitate, machen einen solchen Beitrag lebendiger, für Zeitungen sind sie vor allem auch dann wichtig, wenn sie von den Schüler/innen kommen. Die O-Töne müssen aussagekräftig und prägnant sein. Auf verschachtelte Sätze sollte verzichtet werden, denn Leser/innen von Zeitungen und Online-Veröffentlichungen lesen solche Texte oft nebenbei, z. B. während sie frühstücken. Überlegt werden kann, ob die Schüler/innen den Text selbst an die Veröffentlichungsorgane schicken. Im Sinne einer größtmöglichen Aktivität und Verantwortung wäre dies sinnvoll, manchmal steigt aber die Veröffentlichungswahrscheinlichkeit, wenn ihn die Lehrkraft schickt. Spannend können auch Pressekonferenzen sein, die die Schüler/innen selbst durchführen. Dies funktioniert meist aber nur in kleinstädtischen Kontexten, in denen den Journalist/innen nur ein begrenztes Angebot an Themen vorliegt. Werbefilme können bei manchen Projekten auch noch eine eigene Aufgabe darstellen. Zugleich ist dies aber äußerst anspruchsvoll, Filme sehen meist so aus, als stünde dahinter kein großer Aufwand. Filmarbeit ist äußerst aufwändig. Hier müssen die Schüler/innen den Spagat hinbekommen: Es darf technisch und filmisch nicht zu aufwändig, sollte aber dennoch wirksam sein.

3.7  Richtig recherchieren und präsentieren Durch die Digitalisierung ist es möglich, extrem schnell an Informationen zu gelangen. Dies ist aber nicht nur eine große Chance für die Wissensgesellschaft und das Lernen, sondern auch ein Problem. Die schnelle Verfügbarkeit von Informationen bringt auch das Problem der schnellen Verführbarkeit mit sich. Zu schnell glauben – nicht nur Schüler/innen – dem, was sie irgendwo gelesen haben. Aber wer spricht gerade zu ihnen, wer erzählt ihnen eine 40

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Geschichte? Welche Interessen hat der Erzähler? Das wird zu oft kaum hinterfragt. Ein prägnantes Beispiel dazu liefert »Karl-Maria Steinberg«: Schüler/innen hatten die Aufgabe, ein Kurzreferat über den angeblichen Privatgelehrten und von den Nationalsozialisten verfolgten Sozialdemokraten vorzubereiten. Man ahnt, was passiert ist: Die Schüler/innen saßen am heimischen PC, gaben den Namen in eine Suchmaschine ein, es kam ein Wikipedia-Treffer, sie schrieben den Inhalt ab und präsentierten ihn in der nächsten Stunde, nannten dabei auch das angeblich einzig überlieferte Fragment Steinbergs »Glaubt nicht alles, was Ihr lest!« Wie in einem Brennglas wird die Problematik der Verführbarkeit der schnellen Informationen deutlich, auch in quantitativer Hinsicht: In drei Klassen wurde das Experiment durchgeführt, lediglich eine Schülerin kam auf die Idee, die Informationen zu hinterfragen. Sie legte dabei eine Argumentation vor, die beeindruckte: Es gebe außer dem Wikipedia-Beitrag fast keine Treffer zu Steinberg, der Beitrag sei erst kurz vor der Hausaufgabe erstellt worden, die Belege habe sie geprüft, sie stimmten nicht und außerdem seien die Themen von Steinberg auch die ihres Lehrers. Man konnte nur applaudieren, sie hatte die Sachlage durchschaut. Der Beitrag, der inzwischen gelöscht wurde, stammte aus der Feder ihres Lehrers (Zankel 2015, 14 ff.). Hinsichtlich der heute üblichen Referate stellen Präsentationsprogramme wie PowerPoint nicht nur eine Chance, nämlich auch dem schlechtesten Redner eine bessere Vorstellung zu ermöglichen, sondern zugleich ein Problem dar. Burkhard Spinnen kommt daher zu dem Schluss, dass die Kombination von Internet und PowerPoint »massiv zur unreflektierten […] Übernahme von digitalem Material« verführe und damit letztlich »die unkritische ›Copy & Paste‹-Mentalität« fördere (Spinnen 2011, 62 und 69). Oft sind diese Referate nur Nacherzählungen, Zusammenfassungen vorhandener Internettexte, eine Reflexion erfolgt dann nicht und wird vermutlich auch nicht allzu oft gefordert. 3.7.1  Leitfragen und Hypothesen formulieren Um das Kopieren oder das alleinige Reproduzieren von Inhalten zu vermeiden, sollten beim Forschenden Lernen Leitfragen formuRichtig recherchieren und präsentieren

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liert werden, möglich sind ebenso Hypothesen. Bei einer problemorientierten Leitfrage steht zumeist die Erörterung dieser Frage im Zentrum, sodass nicht mehr nur einfach ein Wikipedia-Artikel (übertragen in PowerPoint-Folien) vorgetragen werden kann. Das Formulieren von Leitfragen ist eine große Herausforderung, denn sie sollen thematisch nicht zu umfangreich und zugleich nicht zu klein sein, sondern möglichst eine abwägende Urteilsbildung zulassen. Insofern muss es geübt werden, solche Fragen zu formulieren. Am Anfang oder bei schwächeren Schüler/innen kann beispielsweise auch eine Leitfrage vorgegeben werden, dann sollte das eigenständige Formulieren von Leitfragen aber trainiert werden. Wichtig bleibt für die Ergebnispräsentation, dass die Beantwortung der Leitfrage im Zentrum steht und nicht Beiwerk ist, auf das am Ende kurz eingegangen wird. Gerade in höheren Klassen sollte dann dargelegt werden, wie die Leitfrage beantwortet werden soll, also welche Methodik angewendet wird. Dies kann von der Erläuterung der zugrunde gelegten Literatur oder Texte bis hin zum Untersuchungsdesign z. B. bei Befragungen reichen. Auch auf diese Frage der Methodik kann der Schwerpunkt der Urteilsbildung gelegt werden. 3.7.2  Exakte Quellennachweise Um den Lehrkräften und auch allen Zuhörer/innen eine Chance zu geben, die Grundlage der Präsentation oder auch einer schriftlichen Arbeit bewerten zu können, ist es wichtig, dass die Quellen angegeben werden. Diese Rückbesinnung auf klassische Elemente der Wissenschaftspropädeutik scheint im digitalen Zeitalter notwendiger denn je. Dabei reicht es nicht aus, am Ende gesammelt die Quellenangaben zu nennen. Für alle anderen ist es in aller Regel nicht mehr möglich, nachzuvollziehen, woher der Referent die einzelne Aussage hat und letztlich ist damit auch eine Bewertung nur bedingt möglich. All das bedeutet, dass nach jeder Aussage (bei der Präsentation nach jedem einzelnen Punkt auf den Folien) jeweils ein Quellennachweis (entsprechend Fußnoten) erfolgt. Welche Zitationsweise angewendet werden soll, kann die Schule oder die Lehrkraft jeweils selbst entscheiden. All das ist zweifellos mühselig, aber unabdingbar, um den Schüler/innen immer wieder deutlich zu machen, dass die Grundlage 42

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ihrer Erzählung ein ganz entscheidendes Qualitätskriterium ist. Vorab können bei Präsentationen die Folien ggf. auch an die ganze Klasse gesendet werden, Mitschüler/innen könnten die Aufgaben bekommen, allein die zugrunde gelegten Quellen zu überprüfen. 3.7.3  Worauf basiert die Recherche? Wie Schüler/innen im digitalen Zeitalter mit seiner Informationsflut darin geschult werden können, Informationen gerade aus dem Internet zu bewerten, stellt eine bedeutende Aufgabe an Bildung dar. Die Schwierigkeit bei der Bewertung von Texten hinsichtlich ihrer Qualität besteht entweder darin, dass zu viele oder gar keine Kriterien angelegt werden. Zu viele Kriterien führen meist dazu, dass die Schüler/innen dies nicht in ihre (Lebens-)Praxis übernehmen – es sind wohl auch nur die wenigsten Erwachsenen, die jeweils z. B. ins Impressum einer Website schauen. Zwei bzw. drei alltagstaugliche Regeln seien formuliert, anhand derer der Quellenwert zumindest zu einem gewissen Grad geprüft werden kann: 1. Wer schreibt? 2. Welche Interessen hat der Autor? Weiterführend wäre: Worüber gibt der Text (oder der Film usw.) keine Auskunft? Hier taucht eine Herausforderung auf, die die Schüler/innen bereits aus der Arbeit mit biblischen Texten kennen: das Hinterfragen der Autorschaft, der Zielsetzung. Eines ist letztlich bei all dem wichtig: Es geht im Kern um die kritische Reflexion von Informationen, um multiperspektivische Urteilsbildung. Es geht um Bildung und nicht ums Präsentieren von irgendetwas und damit letztlich auch nicht ums Verkaufen.

3.8  Seminar- und Facharbeit, Forschungsposter Generell sind die oben beschriebenen Grundsätze auch bei den schriftlichen Hausarbeiten zu beachten. Solche Arbeiten können beispielsweise als Seminararbeit im Rahmen des Abiturs oder z. B. als Klausurersatzleistung verfasst werden. Für die Schüler/innen sind solche Arbeiten zumindest etwas anders gelagert als Referate, da bei schriftlichen Ausarbeitungen Nachfragen z. B. auf Grund von Verständnisschwierigkeiten in der Regel nicht möglich sind. Das heißt, die Schüler/innen müssen sich exakt (fachsprachlich) ausdrücken. Seminar- und Facharbeit, Forschungsposter

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Wichtig ist es daher, dass die Schüler/innen ihre einmal verfassten Texte nicht als fertig ansehen, sondern vielmehr den Überarbeitungsprozess als bedeutenden Teil der Textproduktion verstehen. In Klassenarbeiten findet dies allein schon aus Zeitgründen nicht oder nur sehr begrenzt statt. Möglich ist beispielsweise, dass die Schüler/innen anhand vorgegebener Kriterien ihre Texte gegenseitig korrigieren. Dies fordert von den Schüler/innen, sich mit (fremden) Textkonzeptionen auseinanderzusetzen und es entlastet zugleich die Lehrkraft. Auch ist es möglich, sie einen Plagiatcheck durchführen zu lassen, indem beispielsweise jede/r Autor/in seine bzw. ihre Quellen bereithält und dann geprüft wird, ob alle Nachweise erfolgt sind und inwiefern die Ausführungen im Text lediglich kopiert wurden. Die Schüler-Prüfer/innen können jeweils unterschreiben, dass es keine Plagiate in den Texten der Mitschüler/innen gibt, eine falsche Angabe könnte auch in ihre Note einfließen. Als Alternative zu einer Facharbeit kann – auch aufgrund des geringeren Korrekturaufwands – ein Forschungsposter (z. B. im Format DIN A3) erstellt werden. Hier sollten sich dann die entsprechenden Aspekte wie in den Hausarbeiten in Kurzform wiederfinden: Leitfrage, Methode, Ergebnisdarstellung, Bewertung, Fazit, Quellen.

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Checkliste für schriftliche Hausarbeiten Einleitung: □□ Spannender Einstieg in das Thema, sodass der Leser/die Leserin zugleich weiß, worum es in der Arbeit geht. □□ Die Fragestellung(en) für die Arbeit wurde(n) klar formuliert: möglichst ein oder zwei Leitfragen, die dann »Unterfragen« einschließen können. □□ Es wurde dargelegt, wie die Fragestellung(en) bearbeitet werden sollen, dabei: verwendete Quellen und Literatur (Forschungsstand) nennen. Hauptteil □□ Zentral: Im Hauptteil wurde versucht, die Leitfragen mit Quellen und Literatur zu beantworten. □□ Die Quellen wurden kritisch hinterfragt. Ich glaube z. B. nicht blind einem Zeitzeugen. Jede Quelle nimmt eine bestimmte Perspektive ein, ich habe jedoch eine multiperspektivische Darstellung verfasst. □□ Gedruckte Publikationen wurden verwendet. □□ Internettexte wurden hinsichtlich der Seriosität geprüft. □□ Der Hauptteil wurde sinnvoll in mehrere Kapitel untergliedert, mehr als eine Unterkapitelebene wurde vermieden (maximal: 1., 1.1., 1.2.). □□ Ich weise alle fremden Gedanken, die ich gelesen oder von denen mir berichtet wurde, in den Fußnoten nach. Alles andere wird als Täuschungsversuch gewertet. □□ Zitate wurden kenntlich gemacht. □□ Die Quellen- und Literaturangaben sind so genau wie möglich – zur Zitation siehe Kriterien für Referate. □□ Alle meine Aussagen wurden begründet. Schlussbetrachtung □□ Die Leitfragen wurden wieder aufgegriffen und die Ergebnisse der Untersuchungen werden kurz und prägnant zusammengefasst. □□ Ggf. erfolgt ein Ausblick auf neue, untersuchenswerte Forschungsfragen in diesem Themenfeld.

Seminar- und Facharbeit, Forschungsposter

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Quellen- und Literaturverzeichnis □□ In alphabetischer Reihenfolge sind jeweils die Quellen und die Literatur aufgeführt. Anhang □□ Es sind nur Materialien wie Quellen im Anhang zu finden, auf die auch im Text Bezug genommen wurde. Hier können auch Korrespondenzen von der Recherche angehängt werden, z. B. Briefe von Zeitzeug/innen, Archiven usw. Bei empirischen Arbeiten müssen beispielsweise die Interviews eingereicht werden. Zeigen Sie, dass Sie gründlich recherchiert haben. Allgemein: □□ Deckblatt: Name, Titel der Arbeit, Datum □□ Inhaltsverzeichnis mit den Kapiteln und den Seitenzahlen □□ Ich habe immer vollständige Sätze formuliert. □□ Ich habe die Arbeit von mindestens zwei Personen Korrektur lesen lassen.

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4.  Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

4.1 Kreatives Schreiben: das Weihnachtsfest in der Heimatstadt Kreatives Schreiben bietet viele Möglichkeiten für den RU. Dabei können die Schüler/innen eigene Gedanken, Ideen und auch ihre Fantasie einbringen. Bei dem hier vorgestellten Beispiel handelt es sich um einen Schreibwettbewerb (Kurzgeschichten) zum Thema »Weihnachten in Uetersen in den 50er Jahren«. Dabei wurde der Wettbewerb jahrgangsübergreifend (Acht- bis Dreizehntklässler/innen) und außerhalb des regulären Unterrichts verwirklicht, es lässt sich aber ebenso auf den Buchcover des Projektprodukts Unterricht einer Lerngruppe über- © Ludwig-­Meyn-Gymnasium, Uetersen tragen. Die Schüler/innen recherchierten, um etwas über das Weihnachtsfest in ihrer Heimatstadt vor rund einem halben Jahrhundert zu erfahren. Hierfür wurden Quellen zur Verfügung gestellt, beispielsweise die Ausgaben aus dem Archiv der örtlichen Zeitung. Besonders interessant für die Schüler/innen waren die Werbeanzeigen aus der Weihnachtszeit. Darüber hinaus haben wir Lehrkräfte noch Zeitzeug/innen (die Kontakte kamen über den örtlichen Seniorenbeirat) organisiert, die in die Schule kamen und von den Schüler/innen interviewt wurden. Die Schüler/innen hat47

ten auch noch die Möglichkeit, z. B. ihre eigenen Großeltern zu befragen. Hinsichtlich der Schreibprozesse erfolgte neben dem Herausarbeiten von Kennzeichen einer Kurzgeschichte die Einführung in das Entwickeln von Ideen. Hierbei wurde das Cluster-Verfahren angewendet. Zu eigenen, aber auch vorgegebenen Begriffen sollten Assoziationen notiert werden. Diese Ideen wurden danach mit den Rechercheergebnissen in ein mögliches Gerüst für eine Erzählung übertragen. Beim Schreibprozess selbst waren die Schüler/innen auf sich allein gestellt. Es zeigte sich, dass dem manchmal doch sehr »kopflastigen« Unterricht diese Ergänzung guttat. So konnte dem Bedürfnis der Schüler/innen nach einer selbstverantwortlichen Weltaneignung mithilfe des kreativen Schreibens entgegengekommen werden. Die Ergebnisse waren beeindruckend. Deren Präsentation erfolgte auf zwei Wegen: Erstens wurden die besten Geschichten in einem kleinen Büchlein veröffentlicht. Die 650 Exemplare waren in der Kleinstadt in Kürze ausverkauft. Darüber hinaus präsentierten Schüler/innen ihre Geschichten u. a. in der örtlichen Kirche. Ein Pastor schrieb uns Lehrkräften nach einer Lesung in seiner Gemeinde dazu: »Nach dieser Weihnachtsfeier fehlen mir doch etwas die Worte. Es war wirklich sehr bewegend. Insbesondere die Geschichte von Marie-Christin hat viele der Senioren sehr bewegt, einer ganzen Reihe standen die Tränen in den Augen. Besonders offenbar dadurch, dass sie die Geschichte selbst vorgelesen hat. […] Als die beiden [Schüler/innen] vorgelesen haben, war es so still, wie ich das bislang noch nie erlebt habe. Es sind nach der Feier sehr viel mehr Menschen als sonst gewesen, die mich angesprochen haben. Die meisten mit dem Tenor: ›Ja. So ist es gewesen‹ – und dann hat sich die eigene Geschichte angeschlossen und es sind eine ganze Reihe sehr feiner Gespräche entstanden. So sind die Geschichten Ihrer SchülerInnen in vielerlei Hinsicht Türenöffner gewesen.« Auch von den Schüler/innen kamen sehr positive Rückmeldungen. Eine Schülerin schrieb beispielsweise: »Solche Schulprojekte motivieren Schüler und sind vonnöten, um sie auf freiwilliger Basis zu moti48

Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

vieren.« Eine andere sagte: »Das Schulprojekt war ausgesprochen toll, da es für Schüler eine Herausforderung darstellte, durch schriftstellerische Eigenleistung ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sich mit der Heimat und der Historie auseinanderzusetzen und somit seine Allgemeinbildung zu erweitern, seinen kreativen Geist zum Leben zu erwecken und das mit dem Gefühl von Realismus zu koppeln. Ein Projekt dieser Art sollte unbedingt wiederholt werden!!!« Geeignet für Klassenstufe Grundsätzlich ist es in allen Klassenstufen einsetzbar, also auch in der Grundschule, sobald das Schreiben von Geschichten den Schüler/innen möglich ist. Art der Lerngruppe Das Projekt ist sowohl im Klassenverband, in einem Kurs, in einer Arbeitsgemeinschaft oder aber in einer einmal zusammenkommenden Gruppe möglich (schulischer Workshop). Zeitlicher Aufwand Die Lehrkräfte sollten vorher den Kontakt mit möglichen Zeitzeug/ innen, ggf. auch dem Archiv der Zeitung aufnehmen. Findet das Projekt in einer festen Lerngruppe statt, kann dies auch durch die Schüler/innen erfolgen. Als reine Projektzeit inkl. Vorstellung innerhalb der Klasse sollte von rund acht Schulstunden ausgegangen werden. Eingebundene Akteure In diesem Fall war es der Seniorenbeirat bzw. Senioren aus der Kleinstadt sowie die örtliche Zeitung. Es ließe sich aber z. B. auch mit der Kirchengemeinde kooperieren. Mögliche Probleme Der Abgabetermin der Kurzgeschichte sollte möglichst dicht an dem Input bezüglich Recherche und Ideenentwicklung liegen. Ansonsten wird der Motivationsschub nicht genutzt, manche Schüler/innen schieben die Aufgabe weg und bearbeiten sie dann nicht mehr, vor allem wenn sie freiwillig ist.

Kreatives Schreiben: das Weihnachtsfest in der Heimatstadt

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Mögliche Differenzierung Bezüglich der Anforderungen an den zu produzierenden Text könnte differenziert werden. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Eine Möglichkeit besteht hinsichtlich der Zeitzeugen. Schüler/innen können mit dem Seniorenbeirat Kontakt aufnehmen oder z. B. auch in ihrem Umfeld fragen, wer in die Klasse kommen würde, um Fragen der Schüler/innen zu beantworten. Auch wäre es möglich, einen Aufruf in der Zeitung zu starten. Hier müssten Kontakte mit der örtlichen Zeitung aufgenommen werden. Den Erstkontakt sollte am besten die Lehrkraft übernehmen, dann könnte der Pressetext aber von den Schüler/innen selbst verfasst werden. Weitere, verwandte Ideen Grundsätzlich ließe sich dieser Schreibanlass (Weihnachten in der Heimatstadt in den 50er Jahren) auf viele andere Themen übertragen, z. B.: Weihnachten in den 60er, 70er, 80er Jahren. Auch Themen wie Flucht und Vertreibung wären möglich, hier lassen sich Zeitzeugen u. a. über die Vertriebenenverbände finden. Denkbar ist ebenso die innerkirchliche Auseinandersetzung um die Friedensbewegung in den 1970er und 1980er Jahren. Aber auch zu Themen, die keinen historischen Bezug haben, lässt sich ein kreativer Schreibprozess initiieren, z. B.: mein Erlebnis mit Gott, Umgang mit Krisen, Nächstenliebe.

4.2 Generationen zusammenführen: ein Zeitungsprojekt Der demografische Wandel hat unsere Gesellschaft erreicht. Während viele Menschen älter werden und damit Lebenszeit gewinnen, zeigen sich aber auch Nebenwirkungen wie z. B. Einsamkeit. Diese sind z. T. auch durch die zunehmende Individualisierung bedingt, die sich auf viele Alte und Hilfebedürftigen fatal auswirkt. In diesem Projekt wird versucht, dem entgegenzuwirken, und zwar durch ein Kooperationsprojekt zwischen Seniorenheim und Schule. Das Seniorenheim hatte bereits eine hausinterne Zeitung 50

Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

und war immer an externen Beiträgen interessiert. An dieser Stelle kam die Schule ins Spiel. Die Schüler/innen hatten die Aufgabe, Artikel zu schreiben. Sie konnten Themen frei wählen (z. B. die erste große Liebe), suchten die Bewohner/innen des Seniorenheims auf, führten mehrere Interviews, werteten sie aus und verfassten ihre Artikel. Kriteriengeleitet redigierten sie gegenseitig ihre Texte und anschließend gab die Lehrkraft noch Verbesserungsvorschläge. Im letzten Schritt wurden dann die Artikel an die Heimzeitung »Rosenblatt« geschickt und dort heimintern veröffentlicht. Bei dem Projekt konnte man viele ältere Menschen beobachten, die strahlten, die glücklich waren, dass die Jungen zu ihnen kamen und von ihrem Leben etwas erfahren wollten. Damit zeigten die Schüler/innen zugleich eines: Wertschätzung. Die damalige Achtklässlerin Janina schrieb dazu: »Ich fand es total schön, die Freude in den Gesichtern der Altenheimbewohner zu sehen.« Ähnlich drückte sich ihre Klassenkameradin Vivien aus: »Das Schönste für mich bei dem Besuch im Altenheim war, dass man gesehen hat, dass die Menschen sich wirklich gefreut haben, dass wir da waren.« Hier wird deutlich, was mehrere Untersuchungen zum Glücklichsein nachweisen konnten: Menschen zu helfen, ist ein wichtiger Faktor, auch das eigene Glück zu steigern. Der damals vierzehnjährige Nils dachte ebenso gerne an den Besuch zurück: »Mein schönstes Erlebnis im Haus Am Rosarium war, dass ich mich mit den älteren Herrschaften so wunderbar austauschen konnte und sie viel Verständnis für einen aufgebracht haben.« Insofern gaben Jugendliche nicht nur Aufmerksamkeit und Wertschätzung, sondern sie erhielten sie auch. Anfängliche Begegnungsängste der Teenager konnten abgebaut werden. Die Schülerin Gesa merkte dazu an: »Ich finde es wichtig, dass dieser Kontakt zwischen Senioren und Jugendlichen wirklich weiterhin besteht, dass niemand Angst hat, sich mit ihnen zu unterhalten.« Geeignet für Klassenstufe Das hier vorgestellte Projekt wurde mit einer achten Klasse durchgeführt, es lässt sich aber ebenso auf Ältere übertragen. Grundsätzlich ist es für die Klassen 7–12 empfehlenswert.

Generationen zusammenführen: ein Zeitungsprojekt

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Zeitlicher Aufwand Die größte Aufgabe ist es, die Schüler/innen auf die Kontakte mit den Senior/innen vorzubereiten und Grundlagen des journalistischen Arbeitens zu thematisieren, Letzteres kann auch im Deutschunterricht erfolgen. Die Besuche selbst benötigen anschließend auch Zeit, es sollte selbstverständlich eine Kooperation mit einem Seniorenheim möglichst in der Nähe der Schule eingegangen werden. Insgesamt sind 12–14 Schulstunden zu veranschlagen. Eingebundene Akteure Der wichtigste Partner ist das Seniorenheim. Ggf. lässt sich dies als erweiterte Kooperation mit bereits existierenden Zeitungsprojekten kombinieren (z. B. »Zeitung in der Schule«). Mögliche Probleme Das Interesse eines Seniorenheims einmal vorausgesetzt, kann es sein, dass dort keine hausinterne Zeitung vorliegt. Dann wäre es möglich, dass die Schüler/innen auch das – am besten vorher standardisierte – Layout selbst gestalten. Ggf. reichen zusammengeheftete Kopien aus. Schwierigkeiten könnten ebenso beim Umgang mit den Heimbewohner/innen auftreten, da beispielsweise Schüler/innen aufgrund des Grads der Beeinträchtigung Schwierigkeiten haben, damit umzugehen. Diese Fragen sollten vorab mit dem Seniorenheim geklärt werden. Mögliche Differenzierung Gerade die redaktionelle Überarbeitung der Texte kann leistungsstärkeren und besonders interessierten Schüler/innen übertragen werden, ebenso das möglicherweise noch zu erledigende Layout. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Der Gang bzw. die Fahrt zum Seniorenheim kann ggf. von Schüler/innen geplant werden. Auch ist es sinnvoll, eine Redaktionskonferenz einzuführen, in der beispielsweise über die Eignung bestimmter Themen gesprochen wird, diese kann auch von Schüler/innen durchgeführt werden. Nach einer ersten Kontaktauf52

Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

nahme mit dem Seniorenheim können Schüler/innen als Ansprechpartner/innen für die Heimleitung fungieren. Dies sollte aber vorher abgesprochen werden. Viele Menschen sind es nicht gewohnt, dass Schüler/innen Verantwortung übertragen wird. Weitere, verwandte Ideen Dieser Ansatz lässt sich z. B. auf die Kirchengemeinde übertragen, auch auf die islamische Gemeinde, beispielsweise zu dem Thema, wie es aus religiöser Sicht z. B. für die sogenannten Gastarbeiter war, in ein christlich geprägtes Land zu kommen. Ebenso lässt sich das ehrenamtliche Engagement in der Kirchengemeinde z. B. für den Gemeindebrief vorstellen. Ähnliches ist auch für das Engagement jenseits der kirchlichen Strukturen denkbar, auch hier wäre evtl. eine Kooperation mit der örtlichen Zeitung möglich.

4.3  Vergesst sie nicht! Demenz und Biografiearbeit Demenz ist eine Krankheit, die viele ältere Menschen unserer Gesellschaft erfasst hat. Die Erinnerungen schwinden, vor allem die Orientierung in der Gegenwart fällt den Betroffenen immer schwerer. Das vorgestellte Projekt widmet sich diesem gesellschaftlich hochrelevanten Thema, ganz praktisch und nah am Leben der Menschen – sowohl dem der Schüler/innen als auch dem der meist älteren Betroffenen. Im Zentrum steht dabei die Biografiearbeit. Das Projekt wurde von dem Uetersener Religionslehrer Christoph ­Lederich entwickelt und bisher einige Male erfolgreich umgesetzt. Im Kern geht es darum, die Auseinandersetzung der Schüler/innen mit dem Thema Demenz zu initiieren und damit letztlich auch die Reflexion über die Fragen: Was ist der Mensch? Was macht das Leben des Menschen aus? Die Schüler/innen treffen Senioren, führen mit ihnen Interviews zu ihrer Lebensgeschichte und gestalten ein Produkt, das dieses Leben symbolisch widerspiegelt. So haben die Schüler/innen z. B. Einweckgläser gestaltet, in denen sich Symbole aus dem Leben der Interviewten fanden. Vorab sollte bei den Schüler/innen abgefragt werden, inwiefern Demenz-Fälle in der eigenen Familie vorhanden sind, um entsprechend darauf reagieren zu können. Als Einstieg in das Thema Vergesst sie nicht! Demenz und Biografiearbeit

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Einweckglas mit wichtigen Erinnerungen der beschenkten Person © Mareike Otzdorff

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können die ersten fünf Minuten des Dokumentarfilms »Der Tag, der in der Handtasche verschwand« (siehe YouTube:   https://www.youtube.com/watch? v=vKUY4mounhc) dienen. Auf der theoretischen Ebene findet die Auseinandersetzung mit verschie­ denen Positionen statt, u. a. mit denen von Peter Singer und Dominik Becker. Letzterer vertrat in seiner Dissertation die Position des Menschen als Beziehungswesen, dabei zeichnete den Menschen seine doppelte Beziehung zu Gott und zum Mitmenschen aus. Becker plädiert für einen transzendenten Ansatz von Würde. Dabei könne die Beziehung des Menschen zu Gott eben nicht abbrechen, gleichgültig, welche Einschränkungen der Mensch habe. Bei den ersten Begegnungen mit den Senior/innen (möglich mit einem Seniorenheim im Ort der Schule) haben die Schüler/innen mit den Älteren erst einmal gesungen, z. B. alte Schlager. Das wurde zuvor im Unterricht geübt, da diese Lieder den jungen Menschen oft nicht mehr bekannt sind. Die Schlager haben zugleich Gesprächsanlässe geschaffen und in diesen Gesprächen, die jeweils ein oder zwei Schüler/innen mit einem/r Bewohner/in geführt haben, ging es dann um deren Geschichte, die eigene Kindheit, die Jugend, die Familie oder das Berufsleben. Den Schüler/innen gebe dies viel,

© Johanna Schulz Vergesst sie nicht! Demenz und Biografiearbeit

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»weil sie selten so interessante Gespräche mit Senioren führen«, sagt Christoph Lederich. Nach den biografischen Gesprächen gestalten die Schüler/innen ein Produkt als ein Geschenk für ihre älteren Gesprächspartner/ innen, beispielsweise das besagte Einweckglas. Ein Schüler hatte sogar ein Modellschiff gebaut, extra für »seinen« Senioren, einen alten Hafenarbeiter. Das Schiff hat der Schüler nach dem Mann benannt, die »MS K.«. Die Senior/innen stellten die Geschenke in ihr Zimmer und manchmal wurde auch den Pflegekräften die Lebensgeschichte der Bewohner/innen nähergebracht. Der Schiffsbesitzer sagte zum Personal immer, dass das Schiff von »meinen Schülern« komme. Die Produkte überzeugten auch den Lehrer. »Sie waren wirklich toll, denn die Schüler wollten etwas für andere machen«, so Christoph Lederich. Bei einem zweiten Termin im Heim wurden die Geschenke den Senior/innen überreicht. Einige haben die Heimbewohner/innen auch nach dem Projekt noch besucht, waren z. B. bei deren Geburtstag dort. Für die Schüler/innen sind bei diesem Projekt meist die Fragen bedeutend, was das Leben und was die Identität ausmacht. So konnten auch sie davon profitieren. Das Produkt war ein Teil des Leistungsnachweises, der andere bestand in einer schriftlichen Reflexion zur Frage, was den Menschen ausmache bzw. dessen Identität und wie daher die Gestaltung des Produkts begründet wird. Geeignet für Klassenstufe Das Projekt eignet sich am ehesten für die Oberstufe. Zeitlicher Aufwand Nach Möglichkeit zwei gemeinsame Besuche im Pflegeheim (in der Oberstufe übrigens schwierig zu organisieren). Die beiden Besuche sollten nicht allzu lang auseinander liegen. Zusätzlich wird Zeit für die »Theorie« im Unterricht und für das Gestalten der Produkte sowie für die Vorbereitung auf den ersten Besuch benötigt, insgesamt ca. sechs Doppelstunden.

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Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

Eingebundene Akteure Die Kooperation mit einem Seniorenheim ist entscheidend. Mögliche Probleme Probleme können entstehen, wenn die Schüler/innen den Älteren zu wenig Respekt entgegenbringen. In den bisher durchgeführten Projekten war dies aber nicht der Fall. Mögliche Differenzierung Die Differenzierung erfolgt schon dadurch, dass unterschiedliche Bereiche und Kompetenzen angesprochen werden und entsprechend eingebracht werden können. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Die Schüler/innen übernehmen viel Verantwortung, da sie das besagte Geschenk für die Senior/innen gestalten. Zugleich können auch noch die Fahrten zum Seniorenheim von Schüler/innen geplant werden. Weitere, verwandte Ideen Denkbar ist es auch, auf das Geschenk zu verzichten und sich allein auf die musikalischen Teile des Kontaktes mit den Senior/innen zu konzentrieren (ggf. in Kooperation mit dem Fach Musik), wobei man sich damit des Kerns des Projekts entledigen würde. Erweiternd wäre es noch möglich, dass die Schüler/innen »ihren« Senior/innen jeweils eine Postkarte, beispielsweise zum Weihnachtsfest, schicken. Diese könnten dann auch wiederum »biografisch gestaltet« sein.

4.4 Eine Expertendiskussion zu Themen des RU organisieren Außerschulische Expert/innen in die Schule einzuladen, ist für Schule immer wichtig, um sie so für die Welt zu öffnen. Noch interessanter wird es, wenn mehrere Expert/innen nicht nur miteinander – kontrovers – diskutieren, sondern auch noch Schüler/innen in die Diskussion einbezogen werden. Bei dem umgesetzten Beispiel handelte es sich um eine Podiumsdiskussion zum Thema Salafismus. Im Religionsunterricht in einem Eine Expertendiskussion zu Themen des RU organisieren

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Oberstufenkurs ging es um das Thema Islamismus. Bei den Schüler/innen kam die Frage auf, wie man eigentlich als Jugendlicher reagieren solle, wenn z. B. eine Freundin oder ein Freund sich radikalisiert. Es entstand die Idee einer Podiumsdiskussion. Eine Schülergruppe fand sich zusammen und organisierte mit Unterstützung der Lehrkraft die Veranstaltung, zu der der ganze Jahrgang eingeladen war. Die Herausforderung war groß und umfasste viele Aufgaben, u. a.: Absprachen mit der Schulleitung, mit dem Verantwortlichen für den Stundenplan, mit den Fachkolleginnen und -kollegen, geeignete Diskussionspartner/innen finden, Raum organisieren, für die Technik sorgen, Werbung gestalten, Pressearbeit organisieren, Vorbereitung der anderen Kurse auf die Diskussion. Die Veranstaltung wurde von den Schüler/innen moderiert und war ein voller Erfolg. Aber der größte Erfolg war wohl, dass die Podiumsdiskussion kein singuläres Ereignis blieb, sondern erst der Anfang war. Aus dem Religionsunterricht und dieser Veranstaltung entstand die Arbeitsgemeinschaft »Schule diskutiert«, die inzwischen seit über zwei Jahren Diskussionsveranstaltungen organisiert. Geeignet für Klassenstufe Es kommt darauf an, ob die Schüler/innen nur die Diskussion organisieren oder auch in die Diskussion selbst eingebunden sind. Im zweiten Fall ist dazu zu raten, solche Veranstaltungen ab der neunten Klasse zu organisieren. Im ersten Fall sind auch Formate ab der siebten Klasse denkbar, hier könnte man z. B. auch Veranstaltungen mit nur einem/r Diskussionspartner/in, beispielsweise dem/r örtlichen Pastor/in oder dem Imam durchführen. Art der Lerngruppe Das Projekt ist sowohl im Klassenverband, in einem Kurs oder in einer Arbeitsgemeinschaft möglich. Zeitlicher Aufwand Abhängig vom Format braucht der Planungsprozess in der Klasse Zeit, ebenso die Aufgabenverteilung. Zugleich können mehrere Aufgaben auch auf die Arbeit jenseits des Unterrichts verlagert wer58

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den, beispielsweise die Anfrage an den Schulleiter bzw. die Schulleiterin. Wenn die eigentliche thematische Arbeit bereits erfolgt ist, lässt sich eine solche Diskussion in vier Schulstunden organisieren, nicht unbedingt am Stück, aber insgesamt. Eingebundene Akteure Abhängig vom Diskussionsgegenstand können es Expertinnen und Experten der Landesregierung sein (wie im Fall der Salafismus-­ Diskussion), Pastor/innen, Imame oder auch Wissenschaftler/innen z. B. der nächsten Universität. Mögliche Probleme Eine Schwierigkeit könnte sein, dass manche Schüler/innen ihre Aufgaben nicht erfüllen. Da aber alle Rädchen ineinandergreifen müssen, könnten sich daraus Folgeprobleme ergeben. Falls bei einer Person mehrfach solche Probleme auftreten und Aufgaben immer weitergeschoben werden, sollte ihr die Aufgabe ggf. entzogen werden. Wichtig ist auch, dass die Schulleitung eingebunden ist. Sollten andere Klassen an der Diskussion teilnehmen, ist eine Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen notwendig. Mögliche Differenzierung Da die Anforderungen höchst unterschiedlich sind, ist ein differenzierender Einsatz der Schüler/innen möglich. Besonders herausfordernd wäre die Diskussionsleitung, ebenso alle koordinierenden Aufgaben, beispielsweise die Gruppe, die sich um die Werbung kümmert. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Wie immer gilt: Je mehr die Schüler/innen von der Organisation übernehmen, desto besser. Man könnte auch ein oder zwei Schüler/innen auswählen (lassen), die das Projekt koordinieren. Mit ihnen sollte sich die Lehrkraft eng abstimmen und immer für Beratung zur Verfügung stehen. Weitere, verwandte Ideen Der Ansatz lässt sich auf verschiedene Themen übertragen und kann in der reduzierten Variante auch so gestaltet werden, dass nur ein/e Eine Expertendiskussion zu Themen des RU organisieren

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Experte/in eingeladen wird. Beispielsweise gab es in dem besagten Religionskurs eine kursinterne Diskussion zum Thema Abtreibung. Dafür wurden Abtreibungsgegner/innen eingeladen. Das normalerweise geltende Kontroversitätsgebot hinsichtlich der Auswahl der Diskussionspartner/innen war in diesem Fall nicht notwendig, da die Schüler/innen den Gegenpart übernahmen. Grundsätzlich müssen es nicht immer Expertendiskussionen sein, die man organisiert. Man kann auch Diskussionsrunden zu Themen bewusst mit Laien gestalten. Ziel wäre auch hier, einen bewussten Austausch z. B. innerhalb der Schule oder auch in der Kommune zu initiieren. Veranstaltungen wären beispielsweise zu diesen Themen denkbar: »Hilft es mir, zu glauben?«, »Nächstenliebe heute« oder »Bewahrung der Schöpfung, aber wie mache ich das im Alltag?« Interreligiöse Gesprächsrunden wären auch sehr reizvoll, thematisch sind dem kaum Grenzen gesetzt. Vielleicht kann eine Schule damit einen Diskurs zwischen den Religionen und ein gegenseitiges Verständnis vor Ort fördern, der ansonsten bisweilen nicht gelingt. Eine Verstetigung solcher Veranstaltungen kann das Schulleben oder auch das der Kommune sehr bereichern.

4.5 Schöpfung bewahren: nachhaltige Kleidung verkaufen Damit das Thema »Schöpfung« und »Schöpfung bewahren« nicht isoliert im Unterricht verbleibt, sondern möglichst eine Handlungsrelevanz im täglichen Leben bekommt, ist es wichtig, dass den Schüler/innen Handlungsalternativen gezeigt werden. Dies sei an einem Beispiel erläutert, in dessen Zentrum das Thema Nachhaltigkeit steht: ein nachhaltiger Fashion-Store oder anders ausgedrückt: ein Secondhandladen in der Schule. Ein solches Projekt hat vor allem den Vorteil, dass es recht einfach umzusetzen ist, zumindest soweit einem in der Schule ein Raum zur Verfügung steht. In Uetersen wurden hierfür Kleiderspenden innerhalb der Schule eingesammelt, wobei darauf geachtet wurde, möglichst angesagte Kleidung zu erhalten, die die Zielgruppe, nämlich Schüler/innen, anspricht. Die Preise für die Kleidung sind äußerst niedrig, damit hat das Projekt auch schulintern eine soziale Komponente. Nachhaltig ist es deswegen, da 60

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es dem derzeitigen Fast-Fashion-Trend mit den gravierenden ökologischen und sozialen Kosten in den Produktionsländern etwas entgegensetzt. Eine zweite Variante, die im Religionsunterricht initiiert, aber entweder in Wahlpflichtstrukturen oder im außerunterrichtlichen Bereich (z. B. im Ganztag) realisiert werden sollte, ist die Gründung einer Schülerfirma, die Textilien aus fair gehandelter Biobaumwolle für Schulen usw. bedrucken lässt (Beispiel: www.youngandfair.de). Geeignet für Klassenstufe Die Idee des Fashion Stores ist für alle Klassenstufen der weiterführenden Schulen realisierbar (Klassen 5–13). Eine Schülerfirma wie »Young and Fair« empfiehlt sich in der Regel ab der achten Klasse. Zeitlicher Aufwand Die zentrale Frage ist, ob der Unterricht das Projekt initiieren soll oder ob das Projekt fester Bestandteil des Unterrichts werden sollte. Es empfiehlt sich die Variante der Initiierung. Hierfür sind lediglich rund vier Schulstunden erforderlich. Man sollte als Lehrkraft dann jedoch darauf achten, dass das Projekt in Gang kommt. Am Beginn der nachhaltigen Schülerfirma »Young and Fair« war die Lehrkraft bei den Treffen dabei, hat sich dann immer weiter zurückgezogen, steht den Schüler/innen inzwischen nur noch bei Fragen und Problemen zur Verfügung. Zudem ist man als Lehrkraft gefordert, wenn die generationellen Übergänge organisiert werden müssen, wenn also aktive Schüler/in­nen die Schule verlassen und neue in Verantwortungsstrukturen hineingehen müssen. Auch muss sie die Finanzen kontrollieren. Eingebundene Akteure Beim Fashion Store kann es ein Secondhandladen oder ein Einzelhandel in der Heimatstadt sein, beispielsweise durch Hilfe bei der Beratung in Verkaufsgesprächen. Gerade bezüglich fair gehandelter Textilien bieten sich Kooperationen mit den Weltläden an, »Young and Fair« verkauft beispielsweise in einem solchen Laden die eigenen Shirts. Innerschulisch ist die Kooperation z. B. mit Fächern wie Wirtschaft/Politik sinnvoll. Schöpfung bewahren: nachhaltige Kleidung verkaufen

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Mögliche Probleme Bezüglich des Fashion Stores stellt es sich z. T. als schwierig dar, wenn die Schüler/innen Hemmungen haben, gebrauchte Kleidung zu kaufen. Hier wird versucht, dem mit Werbeaktionen wie kleinen Events (z. B. Pausenkonzerte) entgegenzuwirken. Geht die Organisation in Schüler/innenhände, ist die oben genannte Frage der Kontinuität wichtig, auch ist es zentral, dass sehr motivierte Schüler/innen die Koordination übernehmen. Mögliche Differenzierung Eine Differenzierung kann dadurch erfolgen, dass bei der Umsetzung völlig unterschiedliche Aufgaben, Bereiche und Kompetenzen angesprochen werden und Schüler/innen sich entsprechend einbringen können. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Die Leitung der Projekte bzw. die Unterstützung der Leitung stellt eine Möglichkeit dar und sollte auch angestrebt werden. Je eigenständiger die Schüler/innen arbeiten (können), desto besser. Auch können einzelne Verantwortungsbereiche (durch die Schüler/innen selbst) vergeben werden, beispielsweise der Bereich der Werbung oder die Aufgabe der informellen Bildung (z. B. Plakate zum ethischen Hintergrund des Projekts), sodass es bei dem Projekt nicht nur ums Verkaufen geht, sondern um die Verbreitung der Idee. Weitere, verwandte Ideen Der Bereich des Textildrucks bietet noch verschiedene Erweiterungsmöglichkeiten, z. B. können die Schüler/innen dies selbst übernehmen. Allerdings ist dann die enge Betreuung der Schüler/in­nen allein aufgrund der teuren Geräte notwendig. Die Grundund Gemeinschaftsschule Quellental in Pinneberg realisiert diesen Ansatz. Gerade für Schüler/innen, die eine Berufsausbildung anstreben, können diese technischen Fragen interessant sein. Der Religionsunterricht wird solche großen Projekte aber nicht allein realisieren können. Kooperationen bieten sich z. B. mit dem Fach Kunst an.

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Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

4.6 Eine Werbekampagne für den Fairen Handel und die Weltläden Fair gehandelte Produkte haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterverbreitet, zugleich befinden sie sich aber noch immer in einer Marktnische. Weltläden gibt es in vielen Orten, Schulen haben eigene Fairtrade-Verkaufsstellen und können sich sogar als Fairtrade-School auszeichnen lassen (www.fairtrade-schools.de). Für den Religionsunterricht bieten sich hier mehrere Ansätze, beispielsweise hinsichtlich christlich-ethischer Ausrichtung und vor allem deren Konkretisierung im Leben des Einzelnen an. Das heißt, es geht nicht nur um das Erkennen eigener ethischer Werte, sondern auch um das entsprechende Handeln. Dies muss zugleich aber auch bedeuten, dass den Schüler/innen kein Handeln auferlegt wird, sondern dass sie selbst sich dafür entscheiden – oder eben auch nicht, das obliegt ihrer freien Wahl. (Religions-)Unterricht ist eine Pflichtveranstaltung, sodass kein Handeln von den Schüler/innen beispielsweise im Sinne einer fairen Welt verlangt werden kann. Fairer Handel wird des Öfteren im Religionsunterricht thematisiert. Es stellt sich aber die Frage, wie konkret die Lebensanbindung erfolgt: Geht es nur um die Erkenntnis, dass die Weltwirtschaft nicht immer gerecht organisiert ist? Es ist möglich, das Thema Fairer Handel mit dem Religionsunterricht (ggf. in Kooperation beispielsweise mit dem Fach Wirtschaft/Politik oder Kunst) zu verbinden, indem nach einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema eine Werbekampagne für den Weltladen in der Nähe entwickelt wird. Aufgabe: Wie können der – fast immer ehrenamtlich geführte – Weltladen und dessen Produkte in der Region bekannter gemacht werden? Eine solche Kampagne könnte beispielsweise in Form von Werbeplakaten gestaltet sein, die dann tatsächlich auch aufgehängt werden. Also eine Produktion für das reale Leben, nicht nur für den eigenen Unterricht. Der Vorteil eines solchen Zugangs liegt auf der Hand: Das Produkt der Schüler/innen – vorausgesetzt, es ist gelungen – hat auch eine Funktion für die Weltläden, bei denen das Haupttätigkeitsfeld der Akteure meist nicht das Marketing ist.

Eine Werbekampagne für den Fairen Handel und die Weltläden

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Geeignet für Klassenstufe Ein in diesem Kontext konzipiertes Projekt lässt sich mit allen Klassenstufen von 5 bis 13 realisieren. Zeitlicher Aufwand Das hängt davon ab, wie umfangreich auch die inhaltliche bzw. theoretische Vorarbeit sein soll. Mit 10–16 Schulstunden sollte man auskommen. Eingebundene Akteure Die Kooperation mit einem Weltladen ist hier entscheidend. Mögliche Probleme Ein solches Projekt könnte auf Widerstand der Schüler/innen stoßen, da sie beispielsweise den Fairen Handel ablehnen. Das muss man ihnen zugestehen. Hier sollten alternative, neutralere Aufgaben bereitgehalten werden. Dies könnten beispielsweise Umfragen zu Kenntnissen des Fairen Handels in der Schülerschaft oder bei den Bürger/innen der Heimatstadt sein. Mögliche Differenzierung Eine mögliche Differenzierung ist bei den »möglichen Problemen« bereits angesprochen. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Den Schüler/innen sollte möglichst viel Verantwortung übertragen werden. Dies kann beispielsweise auch den Kontakt zum Weltladen betreffen. Da Besuche notwendig sind, könnten die Fahrten dorthin von den Schüler/innen organisiert werden. Weitere, verwandte Ideen Um fair gehandelte Produkte und die Weltläden bekannter zu machen, können auch andere Produkte entstehen: Denkbar sind beispielsweise Filme zum Thema, die die Schüler/innen produzieren. Auch ist es möglich, eine Ausstellung zu konzipieren, die aber nicht nur in der Schule verbleiben sollte, sondern beispielsweise auch in der Kirchengemeinde, in der Stadtverwaltung, im Supermarkt 64

Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

usw. gezeigt werden könnte. Hier könnte explizit nach theologischen Begründungen für den Fairen Handel gesucht werden. Ein Zugang, der weniger auf eine Wirkung nach außen zielt, ist das Schließen eines Handelsabkommens, und zwar mit sich selbst. Hierin kann die Beschäftigung mit dem Thema Fair Trade münden. Beispielsweise über einen Zeitraum von drei Wochen könnten alle einen Vertrag mit sich abschließen, z. B. nur noch fair gehandelte Schokolade zu kaufen. Hierüber kann Tagebuch geführt werden, um die Erfahrungen anschließend zu reflektieren. Eine solche Aufgabe sollte selbstverständlich freiwillig sein. Zugleich kann dabei auch die Freiwilligkeit thematisiert werden, nachdem ausgewertet wurde, inwiefern die einzelne »Verträge« umgesetzt wurden. Wie ist das Ergebnis für etwaige moralische Forderungen zu deuten: Reichen Selbstverpflichtungen von Bürger/innen (oder auch Unternehmen) oder muss die Politik bzw. der Gesetzgeber evtl. den Menschen Entscheidungen vorgeben? All das mündet letztlich in der Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und moralischen Werten, ganz lebensnah und praktisch.

4.7  Ehrenamtsführer für die Heimatstadt »Die Heimatstadt zum Klassenzimmer« machen, der Ansatz hat mehrere Vorteile, u. a. die Öffnung der Schule für die (Lebens-)Welt der Schüler/innen. Einen Zugang kann das ehrenamtliche Engagement bieten. Die Lerngruppe wäre dann herausgefordert, das in der Heimatstadt vorhandene Engagement erst einmal zu erfassen: Wo finde ich die dafür notwendigen Informationen? Vermutlich nicht nur im Internet. Mit wem muss ich sprechen, um die Informationen zu erhalten? Aufgaben lassen sich hier problemlos aufteilen. Ein solcher Ehrenamtsführer könnte online erscheinen, z. B. auf der Seite der Schule oder auch der Stadt. Sollte er gedruckt werden, sind Geldgeber zu organisieren (z. B. die Stadtverwaltung oder auch einzelne Institutionen) oder man könnte auch einige Exemplare in der Schule kopieren. Man muss sich ein standardisiertes Layout für die Gestaltung der Broschüre überlegen. Eine Standardisierung hat den Vorteil, dass jede/r einzelne Autor/in seinen/ihren Beitrag danach gestalten könnte, die Aufgaben für den Endlayouter damit deutlich reduziert werden. Ehrenamtsführer für die Heimatstadt

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Am Schluss sollte zudem die Pressearbeit stehen, um die Arbeit der Schüler/innen bekannt zu machen. Geeignet für Klassenstufe Grundsätzlich ist es für die Klassen 7–12 empfehlenswert. Zeitlicher Aufwand Das Projekt ist recht umfangreich, auch wenn Teile in die Hausaufgabe verlagert werden könnten. Man sollte bei jüngeren Schüler/innen rund 20 Schulstunden veranschlagen. Eingebundene Akteure Es empfiehlt sich, die Institutionen einzubinden, bei denen Ehrenamtliche tätig sind, z. B. die Religionsgemeinschaften, die örtliche Tafel, die Parteien oder Vereine. Mögliche Probleme Die Schüler/innen müssen gut vorbereitet in die Gespräche mit den Institutionen gehen, bei denen man sich ehrenamtlich engagieren kann. Die Fragen sollten klar formuliert sein. Auch müssen die Schüler/innen alles genau protokollieren, ggf. das Gespräch auch aufzeichnen. Oft ist es sinnvoll, dass die Schüler/innen, nachdem sie etwas aufgeschrieben haben, gegenüber den Interviewten das Notierte noch einmal wiederholen. So werden – mit Sicherheit auftretende Fehler in den Notizen – vermieden. Die Texte kann man am Ende den betreffenden Institutionen oder Personen noch einmal zur Korrektur vorlegen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass den vorgestellten Institutionen klar ist, dass es sich um Schüler/innentexte handelt, also oft keine stilistischen Meisterwerke, das sollte die Lehrkraft im Vorfeld klar kommunizieren. Mögliche Differenzierung Gerade die redaktionelle Überarbeitung der Texte kann leistungsstärkeren Schüler/innen übertragen werden, ebenso das möglicherweise noch zu erledigende Layout an Interessierte.

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Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Ein solches Projekt ließe sich auch mit einer ganzen Klasse realisieren. Dann ist es aber notwendig, dass kleinere Arbeitseinheiten bzw. Abteilungen, gegründet werden. Hier können jeweils Schüler/innen vorstehen und selbstverständlich könnte die Gesamtprojektleitung von Schüler/innen übernommen werden. Weitere, verwandte Ideen Denkbar wäre auch, eine kleine Messe für das Ehrenamt in der Heimstadt oder in größeren Städten des Stadtteils zu organisieren. Man muss diesen Ansatz nicht auf die Heimatstadt beziehen, eine kleinere Variante wäre, einen solchen Ehrenamtsführer auch für die eigene Schule zu erstellen. Den gibt es an fast keiner Schule.

4.8  Eine Konferenz organisieren Es gibt in einer Schule oder in der Gemeinde viele Herausforderungen. Sie strategisch anzugehen, könnte auch aus dem Kontext einer Religionsklasse kommen. Eine Möglichkeit ist es, eine Konferenz zu organisieren, bei der alle potenziellen Akteure zusammengeholt werden. Um welches Thema es sich handelt, hängt von den Begebenheiten vor Ort ab, beispielsweise ließe sich eine Konferenz zum interkulturellen oder interreligiösen Zusammenleben organisieren. In Uetersen wurden bisher zwei Konferenzen realisiert: 1. eine Konferenz der Generationen, bei der es um die Gestaltung des Zusammenlebens der Generationen in der Kleinstadt ging, 2. eine Flüchtlingskonferenz, bei der die Gestaltung der Situation mit den 2015 angekommenen Flüchtlingen im Zentrum stand. Beide Konferenzen hatten das Ziel, Projektideen in dem jeweiligen Feld zu entwickeln und ehrenamtliches Engagement zu generieren. Für die Schüler/innen der beteiligten Klasse ist dabei eine doppelte Freiwilligkeit wichtig: Einerseits sollte allen und damit auch der ganzen Klasse eine Alternative zu der Organisation der jeweiligen Konferenz eröffnet werden. Andererseits sollte von niemandem ein Engagement erwartet werden. Hintergrund ist, dass man gerade bei diesen politischen Fragen kein Engagement erzwingen darf – eigentlich ist das ein Widerspruch in sich. Eine Konferenz organisieren

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Die Organisation einer Konferenz ist eine logistische Herausforderung. Sie muss inhaltlich gut strukturiert werden, die Werbung muss entsprechend der Zielgruppe effizient sein und vor allem muss die Konferenz so gestaltet werden, dass dort nicht nur möglichst viele und sinnvolle Projektideen entwickelt, sondern dass viele von ihnen danach auch realisiert werden. Die Lerngruppe, die eine solche Konferenz organisiert, sorgt also letztlich für den Rahmen, damit sich Menschen zusammenfinden und etwas auf die Beine stellen können. Das heißt eben auch, sie müssen für eine gute Atmosphäre sorgen, in der sich die Besucher wohl- und wertgeschätzt fühlen. Dies fängt bei der persönlichen Begrüßung am Anfang an und geht bis zum Catering während der Konferenz. Einen Einblick in die beiden Konferenzen in Uetersen kann man auf YouTube gewinnen:   www.youtube.com/watch?v=oI0N_A_6PSQ und   www.youtube.com/watch?v=OvEtUJH5HW8. Geeignet für Klassenstufe Geeignet ist ein solches Projekt für die Klassen 9–13. Zeitlicher Aufwand Insgesamt sollten ca. zwölf Stunden veranschlagt werden. Eingebundene Akteure Vertreter/innen der Stadt, der Religionsgemeinschaft, des Seniorenbeirats – das hängt jeweils vom Thema ab. Es sollte aber nicht auf außerschulische Partner verzichtet werden. Mögliche Probleme Eine große Herausforderung besteht darin, dass nicht nur Ideen entwickelt, sondern auch Freiwillige gefunden werden, die sich um die Umsetzung kümmern. Das heißt, die Organisation muss entsprechend gestaltet sein. Bei der Konferenz wurde so vorgegangen, dass in einer ersten – produktiven – Kaffeepause Ideen für Projekte auf einer Wand notiert wurden. Diese wurden dann geordnet und in 68

Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

sich nach Interessen zusammenfindenden Gruppen diskutiert. Der Gesprächsleitfaden für den Moderierenden hatte zugleich zum Ziel, jemanden zu finden, der sich um die Realisierung des entsprechenden Projekts kümmern wird. Gibt es eine solche Person nicht, wird das Projekt in aller Regel nicht realisiert. Dabei darf man nicht erwarten, dass alle Ideen umgesetzt werden, das wird nicht passieren. Bedacht werden sollte auch, dass für das Catering Geld erforderlich ist. Hier kann beispielsweise der Förderverein der Schule einspringen, je nach Thema ggf. auch die Stadt, die Parteien oder Religionsgemeinschaften. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Die Schüler/innen sollten die Organisation weitgehend eigenständig übernehmen. Kleingruppen können sich den Teilaufgaben widmen. Und vor allem die Herausforderung der Moderation wird sicher eine bleibende Erinnerung sein. Weitere, verwandte Ideen Genannt wurden bereits Ideen wie eine Konferenz der Schule zum interkulturellen bzw. interreligiösen Zusammenleben innerhalb der Schule oder auch innerhalb der Kommune.

4.9 Wir organisieren ein (Weihnachts-)Fest oder ein (interreligiöses) Fest Feste zu organisieren, bringt Schüler/innen oft Freude, am Ende steht etwas Konkretes, etwas, das man sieht, das sie geschaffen haben. Möglich sind hier verschiedene Ansätze, z. B. ein Weihnachtsfest, ein interreligiöses Fest usw. Es ist gut, zu überlegen, wie groß das Fest sein sollte und was man den Lernenden zutrauen kann. Hat die Schule viele Schüler/innen, beispielsweise über 1 000, stellt ein Fest für die ganze Schule eine andere Herausforderung dar, als wenn die Schule nur die Hälfte der Schüler/innen und damit entsprechend auch ungefähr die Hälfte der Lehrkräfte und Eltern umfasst. Um ggf. kleiner anzufangen, wäre auch ein Fest für eine Jahrgangsstufe möglich oder auch für eine Klasse. Wir organisieren ein (Weihnachts-)Fest

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Wichtig ist, wer jeweils eingebunden wird. Eine Klasse sollte nicht alles selbst organisieren, sondern eher dafür sorgen, dass unterschiedliche Personen dort etwas anbieten. So könnten z. B. die Eltern unterschiedlicher Kulturen eingebunden werden, um beispielsweise Essen aus ihrer Kultur vorzustellen, wenn denn ein kultureller Schwerpunkt bestehen sollte. Geht es um ein interreligiöses Fest, dann wären sicher Vertreter/innen der einzelnen Religionsgemeinschaften einzuladen, die sich hier vorstellen. Interessant wären interreligiöse Gesprächsrunden zu unterschiedlichen Themen, beispielsweise zu Gottesvorstellungen, Jenseitsvorstellungen, Gleichberechtigung der Frau, Homosexualität usw. Auch ist es möglich, hierzu jeweils Workshops anzubieten bzw. das Angebot zu organisieren. Gelingt es, dass ein solches Fest kein singuläres Ereignis bleibt, sondern institutionalisiert wird, kann dies auch für die Schulkultur jeweils ein wichtiges Ereignis sein. Geeignet für Klassenstufe Geeignet sind solche Projekte für die Klassen 8–13. Zeitlicher Aufwand Je nach Konzeption des Festes sollten mindestens 16 Stunden veranschlagt werden. Ein Fest für die ganze Schule erfordert je nach Kompetenzen der Schüler/innen zwischen einem viertel und einem halben Schuljahr. Eingebundene Akteure Je nach Festfokus sollten Vertreter/innen der Religionsgemeinschaft bzw. der kulturellen Vereinigungen vor Ort eingebunden werden. Eine Abstimmung mit der Schulleitung und der Lehrer- sowie der Schulkonferenz sind zudem auch ratsam. Sollten einzelne Klassen etwas anbieten, sind rechtzeitig mit den Fachkolleg/innen entsprechende Absprachen zu treffen. Es bietet sich auch an, ein solches Fest nicht nur im Alleingang mit den eigenen Schüler/innen zu organisieren, sondern auch mit Kolleginnen und Kollegen des Faches Religion oder anderer Fächer. Oder sogar ein Fest, das von der Fachschaft Religion getragen wird? Eine schöne Idee. 70

Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

Mögliche Probleme Je größer das Fest, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Probleme auftreten werden. Genau das ist es aber, was solche Projekte lehrreich macht, denn Probleme müssen gelöst werden und darum geht es zentral bei Projektarbeit. Sollte ein Fest für die Schule angestrebt werden, ist damit zu rechnen, dass es z. B. Widerstände im Kollegium gibt. Ein Teil davon bezieht sich vermutlich auf ein unterschiedliches Verständnis von Unterricht und dem, was man den Schüler/innen zutraut. So werden bei solchen Festen an Schüler/innen, die ein solches Fest organisieren, oft deutlich kritischere Fragen gestellt, als wenn das Fest von Lehrkräften organisiert worden wäre. Dies ist auch Ausdruck eines anderen Verständnisses der Lehrer/innen-Schüler/innen-Rolle sowie des Umgangs mit Fehlern, wie es in diesem Buch nicht angelegt wird. Fehler als Teil eines solchen Prozesses zu verstehen, liegt einigen fern. Der Druck, den Lehrkräfte zum Teil ausüben, ist für das Lernen kein Problem und sollte auch nicht von Schüler/innen ferngehalten werden. Im Gegenteil: Sie sollen merken, dass die Erwartungen bei solchen Herausforderungen groß sind und dass es auf jede/n ankommt. Letztlich ist das nur ein Spiegel der gesellschaftlichen und beruflichen Realität: Manche unterstützen alles blind, trauen sich viel zu und andere nörgeln. Mit ihnen produktiv umzugehen, kann für die Schüler/innen eine sehr gute Schulung für das Leben sein. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Bei einem solchen Projekt bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen einzubinden. Dies beginnt bei den Kontakten zu den Lehrkräften, reicht über das Vorstellen des Projektes in den jeweiligen Konferenzen und endet bei der Verantwortung der Teilgruppen (z. B. der Bereich Werbung) sowie der Koordinationsleistung der Projektleitung. Weitere, verwandte Ideen Bereits angesprochen wurde die Möglichkeit eines interkulturellen Festes, sodass sich die Nationen präsentieren, die an der Schule vertreten sind. Ebenso ist es möglich, alle hier vorgestellten Feiern im kleineren Rahmen der Klassengemeinschaft stattfinden zu lassen. Wir organisieren ein (Weihnachts-)Fest

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Eine weitere Variante wären interreligiöse Gespräche, beispielsweise zwei- oder dreimal in einem Schuljahr. Hier könnten Vertreter/innen der Religionsgemeinschaften eingeladen werden. Diese Gespräche müssen auch nicht immer in Form einer Podiumsdiskussion stattfinden. Denkbar sind ebenso verschiedene Diskussionsforen, beispielsweise könnten die Vertreter/innen in abgetrennten Foren mit den Schüler/innen diskutieren. Alternativ könnte man auch beides anbieten: Podiumsdiskussion und Diskussionsforen.

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Praxisbeispiele zur Projektarbeit im RU

5  Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

5.1 Quellengeschichte zur Religionsgeschichte (vor Ort) finden Die Kirchengeschichte bietet zahlreiche Themen für den Unterricht, aber auch für Arbeiten, die beispielsweise bei den Schulabschlüssen eine Rolle spielen, so für Präsentationsprüfungen oder auch für Facharbeiten, die in mehreren Bundesländern geschrieben werden. Kirchengeschichtliche Projekte im Bereich des Forschenden Lernens sind sehr reizvoll, bieten sie doch oft die Möglichkeit, bisher Unerforschtes zu erkunden, das heißt, die Schüler/innen können tatsächlich etwas entdecken. Zugleich ist es aber notwendig, dass sich die Lehrkraft vorher intensiv mit dem Thema befasst, vorrecherchiert, welche Themen möglich sind. Dabei ist zu beachten, dass die Quellenbestände für Schüler/innen bearbeitbar und nicht zu umfangreich sind. Zugleich müssen sie aber auch so umfangreich sein, dass die Quellen genügend Raum für z. B. eine Hausarbeit liefern. Quellen findet man in verschiedenen Archiven. So haben die Kirchenkreise meist eigene Archive, ebenso die Landeskirchen. Aber auch die staatlichen Archive könnten je nach Fragestellung Quellen gelagert haben. Es empfiehlt sich anzufragen, ob in dem jeweiligen Archiv Quellen zum zu untersuchenden Thema liegen. Beispielsweise könnte sich im Landesarchiv erkundigt werden, ob dort Gerichtsakten zu vom Nationalsozialismus verfolgten Pastor/innen, Zeugen Jehovas usw. liegen. Man kann auch Kopien anfordern, die meist jedoch recht teuer sind, sodass die Kosten vorher geklärt werden sollten. Wenn man erforschen will, wie sich die Wahrnehmung bestimmter Ereignisse im Laufe der Zeit verändert hat, bieten sich auch die örtlichen Tageszeitungen an, die in der Regel ein eigenes 73

Archiv haben. Ansonsten lagern die alten Zeitungen außerdem in den Stadt- bzw. Kreisarchiven vor Ort bzw. in der Nähe. Auch in den Kirchengemeinden können noch Quellen ­liegen. Beispielsweise sind Gemeindebriefe durchaus ein interessanter Quellenbestand. Auch der Kirchenraum kann eine historische Quel­le darstellen, beispielsweise hinsichtlich architekturgeschichtlicher Fragestellungen. Um Themen vor Ort zu finden, empfiehlt es sich auch, mit Expert/ innen Kontakt aufzunehmen. Das können beispielsweise Heimatforscher/innen oder auch die jeweiligen Archivare sein; sie haben meist Ideen für gute Themen.

5.2  Zeitzeugen interviewen Zeitzeug/innen spielen in der medialen Darstellung von (Religions-)Geschichte eine außerordentlich große Rolle. »Dabei gewesen zu sein« wird damit gleichgesetzt, dass man wissen müsse, wie es war. Das ist mitnichten so und vielleicht ein zentrales Lernziel bei der Arbeit mit Zeitzeug/innen. Sie erzählen eine Geschichte, nicht unbedingt, wie sie sie erlebt haben, sondern wie sie sie heute erinnern. Beides ist nicht identisch und je öfter sie über das Ereignis gesprochen haben (z. B. mit Verwandten oder anderen Zeitzeug/ innen) oder auch etwas darüber gelesen oder im Fernsehen gesehen haben, desto stärker mischen sich die eigenen Erinnerungen mit diesen anderen Eindrücken. Der Mensch ist dann kaum noch in der Lage, das erlebte Vergangene und die »neue Erinnerung« auseinanderzuhalten (Markowitsch/Welzer 2006; Zankel 2008, 24). Letztlich muss auch immer bedacht werden, dass Zeitzeug/innen nur einen kleinen Ausschnitt der Vergangenheit miterlebt haben, über die geforscht wird. Ob z. B. der Enkel eines Pastors über die berufliche Tätigkeit seines Großvaters durchgängig verlässliche Aussagen machen kann, bleibt mehr als zweifelhaft. Problematisch ist, dass Schüler/innen dazu neigen, die Aussagen von Zeitzeug/innen als »historische Wahrheit« zu verstehen (Bertram/Wagner/Trautwein 2017). Eine Möglichkeit, beim Forschenden Lernen damit umzugehen, könnten Fragestellungen sein, die weniger versuchen, sich dem anzunähern, was damals geschah, sondern 74

Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

vielmehr der Erzählung des/der Zeitzeug/innen: Welche Geschichte, welche Narration erzählt sie/er uns über ein Thema (Zankel/Günther 2017, 80 ff.)? Aber selbst wenn man Zeitzeug/innen als Quelle versteht, um etwas über die Vergangenheit herauszufinden, dann sollte mit den Schüler/innen auf die quellenkritischen Aspekte eingegangen werden. Geschieht dies nicht, ist fraglich, dass sie hinsichtlich der methodischen Kompetenzen etwas Sinnvolles gelernt haben. Hinsichtlich der Auswertung von Interviews finden sich Hinweise zur Differenzierung auf S. 85.

5.3 Soziales Engagement in der Heimatstadt erforschen Ohne ehrenamtliches Engagement funktioniert ein Gemeinwesen nicht. Kirchen und auch andere Religionsgemeinschaften leben davon. Das heißt, ein solches ehrenamtliches, soziales Engagement ist für unsere Gesellschaft von übergroßer Bedeutung. Das bietet die Möglichkeit, sich mit Schüler/innen diesem Thema forschend lernend zu widmen. Von Interesse können dabei mehrere Fragestellungen sein, z. B. nach den Motiven der Ehrenamtlichen (ggf. auch vergleichend hinsichtlich des Unterschieds kirchlicher und nicht-kirchlicher Organisationen). Die Gründe herauszuarbeiten, könnte dann wiederum auch für die Schüler/innen interessant sein, da es meist nicht nur ein Geben der Ehrenamtlichen ist, sie bekommen oder versprechen sich auch etwas davon, z. B. Zufriedenheit, Glück oder Anerkennung. Interessant wäre auch, was sich die Ehrenamtlichen wünschen würden, beispielsweise von der Institution, in der sie tätig sind: Fühlen sie sich gesehen und wahrgenommen? Geeignet für Klassenstufe Solche Zugänge eignen sich für alle Klassenstufen (5–13). Art der Lerngruppe Ein solches Projekt kann sowohl im Klassenverband, in einem Kurs oder in einer Arbeitsgemeinschaft realisiert werden. Soziales Engagement in der Heimatstadt erforschen

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Zeitlicher Aufwand Das hängt davon ab, wie groß man die Untersuchung gestalten möchte. Wenn man die Interviews vorbereitet, Interviewpartner finden muss, die Gespräche geführt und ausgewertet werden, dann kann zwar ein Teil als Hausaufgabe erfolgen, mit 14 Unterrichtsstunden muss aber gerechnet werden. Eingebundene Akteure Um die Interviewpartner/innen zu finden, ist der Kontakt zu verschiedenen Einrichtungen – am besten vor Ort – wichtig. Dies können die Religionsgemeinschaften, die Sozialverbände oder auch Vereine sein. Mögliche Probleme Es ist eher unwahrscheinlich, dass man keine Interviewpartner/ in­nen findet. Schwieriger wird hingegen die Interviewführung. Es empfiehlt sich, die Interviewführung anhand eines Leitfadens mit den zu stellenden Fragen mit den Schüler/innen zu üben. Die einen können die Interviewerrolle übernehmen, die anderen die der Befragten. Hier lässt sich gut mit Rollenkarten arbeiten. Die Interviews sollten – mit Einverständnis der Interviewpartner/innen – möglichst aufgezeichnet werden. Mögliche Differenzierung Differenziert werden kann dabei u. a. bezüglich des Umfangs und der Tiefe des Interviews, aber auch hinsichtlich der Aufgabenfelder (z. B. Interviewführung, technische Begleitung). Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Falls die ganze Lerngruppe ein solches Projekt durchführen sollte, könnten zwei Schüler/innen die Koordination der Gruppe übernehmen. Auf jeden Fall sollten die Schüler/innen den Kontakt mit den Institutionen aufnehmen, von denen die Interviewpartner/innen kommen.

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Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

Weitere, verwandte Ideen Es ließen sich auch die Hauptamtlichen in den jeweiligen Institutionen befragen, beispielsweise die Pastor/innen: Wie sehen sie die Rolle der Ehrenamtlichen in der Gemeinde? Hier taucht das methodische Problem der sozialen Erwünschtheit auf. Das heißt, die Interviewten antworten eher das, von dem sie vermuten, dass die Interviewer es von ihnen – entsprechend ihrer Rolle – erwarten. Hier hilft meist die Konkretisierung. Dazu ein Beispiel: Ein Pastor wird mit großer Sicherheit sagen, dass ihm die Tätigkeit der Ehrenamtlichen sehr wichtig ist. Interessant wäre, wie er dies im Täglichen zeigt: Geht er einmal im Monat zu den Gruppen hin und fragt, ob er sie irgendwie unterstützen kann? Oder wie drückt er seine Freude über das Engagement aus? Hier könnte nach drei konkreten Beispielen der letzten drei Monate gefragt werden. Interessant wäre dann, ob beispielsweise Pastor/innen unterschiedlich agieren. Oder agieren die Pastor/innen vor Ort anders als die Verantwortlichen z. B. der AWO? Man könnte die Pastor/innen auch danach fragen, warum sie diesen Beruf gewählt haben. Das methodische Problem der sozialen Erwünschtheit bliebe auch hier bestehen, man bekäme eine Erzählung geliefert. Interessant wäre ebenso, den Wandel hinsichtlich des Ehrenamtes zu untersuchen: Welches Selbstverständnis und welche Motive hatten die Ehrenamtlichen z. B. in den 1960er Jahren in einer Kirchengemeinde, welches haben sie heute? Hier müssten dann Zeitzeugeninterviews geführt werden.

5.4  Denkmäler als Forschungsgegenstand Denkmäler gibt es fast überall und doch werden sie äußerst selten in den Geschichts- oder in den Religionsunterricht eingebunden. Dabei sind sie eine ganz hervorragende Quelle für die Zeit, in der sie entstanden sind. Vor allem Denkmäler, die an die gestorbenen Soldaten im Ersten Weltkrieg erinnern, gibt es in fast jedem kleinen Ort. Hier versuchte eine Generation, eine sinnstiftende Erklärung für den Tod ihrer Angehörigen zu liefern. Fast immer ist es ein Helden-­ Narrativ, das diese Denkmäler transportieren (Pätzold 2012). Dies Denkmäler als Forschungsgegenstand

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wird zumeist durch religiöse Elemente erweitert, womit das Handeln der Soldaten und damit letztlich auch das der Nation göttlich legitimiert werden soll. Einen weiteren Vorteil haben diese Quellen, da sie nicht nur sehr oft in kleinen Orten vorhanden sind, sondern auch, weil dort die Namen der gefallenen Soldaten zu lesen sind. Und Schüler/innen stehen nicht selten staunend davor, weil sie diese Namen kennen, weil es Namen aus ihrem eigenen kleinen Ort sind. Die Bedeutung der Denkmäler ist dabei im Laufe der Geschichte aber alles andere als konstant. Im Gegenteil: Diese Orte werden immer wieder umgedeutet und diese Umdeutungsprozesse bieten einen Anlass für das Forschende Lernen. Einen Ansatz kann der Volkstrauertag bieten, an dem sich einzelne gesellschaftliche Gruppen wie Kirchen, Bundeswehr, Stadtvertreter/innen usw. häufig an diesen Denkmälern zusammenfinden und gemeinsam gedenken. Nur wessen gedenken sie, welche Botschaft wollen sie transportieren? Die Heldenverehrung von einst nach dem Ersten Weltkrieg ist in der Gegenwart oft einer Kriegsmahnung gewichen. Quellen zum Volkstrauertag kann die Lokalzeitung bieten, die darüber immer wieder berichtet. Ähnliche Denkmäler finden sich z. T. in den Schulen selbst. Selten werden sie beachtet. Eine interessante Frage für das Forschende Lernen könnte lauten: Wer aus der eigenen Schule kennt welche Denkmäler? Ist das, was einst für die Menschen der Heimatstadt bedeutend war, inzwischen irrelevant? Was sagt das über die Gesellschaften von damals und heute aus? Geeignet für Klassenstufe Denkmäler wirken einfach, sind aber in ihren Narrativen meist komplex und für Schüler/innen nicht leicht zu verstehen. Ab der neunten Klasse sind Projekte hierzu gleichwohl möglich. Art der Lerngruppe Das Projekt kann sowohl im Klassenverband, in einem Kurs oder in einer Arbeitsgemeinschaft realisiert werden. Zeitlicher Aufwand Dies ist davon abhängig, wie konkret man das Projekt gestaltet. Man könnte in einem ersten Schritt auch Schüler/innen die Denkmäler 78

Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

in ihren Heimatorten dokumentieren lassen, um beispielsweise in einem zweiten Schritt die Narrative herauszuarbeiten. Acht Schulstunden sind hierfür mindestens zu veranschlagen. Eingebundene Akteure Falls mit den Zeitungsartikeln über den Volkstrauertag gearbeitet werden soll, ist die örtliche Zeitung oder das Stadtarchiv einzubeziehen. Ansonsten kann auch mit den gesellschaftlichen Gruppen zusammengearbeitet werden, die z. B. am Volkstrauertag präsent sind, also oft die Kirchen, die Bundeswehr usw. Mögliche Probleme Da viele Schüler/innen an die eine Geschichte, das eine »richtige« Narrativ glauben, kann es für sie schwierig sein, die wandelnde Bedeutung, die einem Denkmal zugeschrieben wird, zu verstehen. Auch sind die Inschriften auf den Denkmälern mit ihren oftmals theologischen Kontexten für die Schüler/innen nicht einfach zu verstehen. Theologische Kurzkommentare (z. B. die Stuttgarter Erklärungsbibel, 2007, oder das Stuttgarter Alte und Neue Testament, 2004) können hierbei helfen. Mögliche Differenzierung Befragungen zum Bekanntheitsgrad eines Denkmals sind einfacher umzusetzen als das Hinterfragen eines Helden-Narrativs. In dieser Hinsicht kann die Lehrkraft differenzieren. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Kontakt zu Vertreter/innen der genannten Gruppe, ggf. auch das Einladen in den Unterricht, kann über Schüler/innen erfolgen. Sollte die ganze Klasse gemeinsam an einem Projekt arbeiten, kann wiederum die Projektkoordination von ein oder zwei Schüler/innen übernommen werden. Weitere, verwandte Ideen Die Beschäftigung mit Denkmälern kann zugleich auch einen Anstoß für die Auseinandersetzung damit (oder auch dem Volkstrauertag) in der Schule oder Kommune liefern. Eine Podiumsdiskussion hierzu wäre denkbar. Auch ließe sich – ggf. in Kooperation mit Denkmäler als Forschungsgegenstand

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dem Fach Kunst – eine gemeinsame Kunstaktion entwickeln, mit der eine erneute Umdeutung des Denkmals im Sinne der Schüler/innen erfolgt – auf diese Umdeutung müsste sich die Gruppe vorher selbstverständlich verständigen. Dieser Diskussionsprozess kann eine inspirierende Auseinandersetzung zu Themen wie Tod, Erinnerungen oder Frieden mit sich bringen.

5.5  Biografien erforschen Biografien bieten für Schüler/innen oft sinnvolle Zugänge: Die Quellen halten sich zumeist in Grenzen und vor allem gibt es einen persönlichen Zugang zum Thema. Nicht (nur) Akten stehen im Mittelpunkt der Untersuchung, sondern Menschen, mit denen man sich identifizieren kann oder gerade auch nicht. Sie können als Selbstvergewisserung dienen, z. B. welche Werte einem selbst wichtig sind und welche nicht. Biografische Zugänge gibt es viele: Man kann über Ehrenamtliche forschen oder über die Hauptamtlichen z. B. in der Kirche, in der muslimischen oder jüdischen Gemeinde. Wichtig ist, eine ansprechende Fragestellung zu entwickeln. Dies muss sich nicht auf die ganze Biografie beziehen, da ein solcher Ansatz meist dazu führt, dass Schüler/innen nur eine Chronologie erstellen, die aber keinen tieferen Erkenntniswert liefert. Sinnvoll sind daher Fragen, bei denen sich z. B. politische Ereignisse in der Biografie spiegeln. Das kann bei Pastor/innen die Frage des Umgangs mit der Friedensbewegung oder mit der Migration sein. Gerade die theologischen Begründungen und Vorstellungen können interessant sein, also die Frage, wie die jeweilige Person ihr Handeln (theologisch) begründet. Geeignet für Klassenstufe Mit einfachen Zugängen lässt sich dieser Ansatz auch in unteren Klassenstufen umsetzen. Dass dort noch stärker zu chronologischen Ansätzen geneigt wird, liegt nahe. Dies ließe sich insofern verhindern, indem eine Fragestellung formuliert wird, die nur einen kleineren Aspekt der Biografie betrifft. Man kann den Ansatz also von den Klassen 5–13 anwenden. 80

Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

Art der Lerngruppe Das Projekt kann sowohl im Klassenverband, in einem Kurs oder in einer Arbeitsgemeinschaft realisiert werden. Zeitlicher Aufwand Wenn alle Schüler/innen mit einem solchen Ansatz forschend lernen, wird einige Zeit aufgewendet werden müssen. Eine Einführung in die Methodik der Interviewführung, die Entwicklung eines Interviewleitfadens, eine Auswertung, all das kostet Zeit. Sollte keine Hausarbeit, sondern beispielsweise ein Forschungsposter erstellt werden, dann reduziert sich der Aufwand nochmals. Man kann also ohne Probleme ein halbes Schuljahr mit einem solchen Ansatz verwenden (beispielsweise auch im Seminarfach in der Oberstufe), aber auch Einheiten im Umfang von ca. 12–16 Schulstunden sind möglich. Eingebundene Akteure Hier geht es vor allem um die Interviewpartner/innen. Diese könnten z. B. von den Religionsgemeinschaften stammen. Mögliche Probleme Eine Schwierigkeit kann darin bestehen, dass die Erzählung über die Personen, denen sich die Schüler/innen widmen, nicht selten äußerst positiv ist. Dies gilt einerseits für die Erzählungen der betreffenden Personen über sich selbst, andererseits aber ggf. auch bei Fremdperspektiven: Stehen diese Befragten den zu erforschenden Personen nahe? Hat das nicht auch einen Einfluss auf die Erzählung, die sie einem präsentieren? Das müsste dann methodisch reflektiert werden. Am besten sind sicher Themen, die mit der Biografie zusammenhängen und kontrovers sind. Hier könnten die Schüler/innen versuchen, verschiedene Personen mit unterschiedlichen Perspektiven einzubeziehen. Mögliche Differenzierung Bei diesem Ansatz kann über die Art und den Umfang der Fragestellung, aber ggf. auch über den Umfang der zu bearbeitenden Quellen differenziert werden. Biografien erforschen

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Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Falls die ganze Lerngruppe ein solches Projekt durchführen sollte, könnten zwei Schüler/innen die Koordination der Gruppe übernehmen. Auf jeden Fall sollten die Schüler/innen den Kontakt mit den Institutionen aufnehmen, von denen die Interviewpartner/innen kommen. Weitere, verwandte Ideen Einen interessanten Zugang könnten die ersten Pastorinnen liefern, die in der jeweiligen Gemeinde tätig waren. Wie reagierte die ansonsten männerdominierte Domäne auf die Kollegin, wie die Gemeinde? Bei den ersten Pastorinnen aus Schleswig-Holstein war es beispielsweise so, dass sie von den Pastoren eben nicht als gleichberechtigte Kolleginnen gesehen wurden. Die erste Bischöfin Jepsen bekam z. B. zahlreiche Schmähbriefe von Kirchenmitgliedern. Leider ist dieser interessante Quellenbestand nicht überliefert.

5.6 Umgang mit dem Tod: Traueranzeigen untersuchen Einen interessanten Quellenbestand, vor allem da er übersichtlich und leicht zugänglich ist, stellen Traueranzeigen dar. Sehr gut kann man hier den Untersuchungsgegenstand unterteilen, beispielsweise für einzelne Schüler/innen oder Gruppen. So ließen sich nach vorher festgelegten Kriterien z. B. Traueranzeigen in der örtlichen Tageszeitung aus den 1920er Jahren untersuchen, ggf. auch im Vergleich mit denen von heute. Welche Erzählung wird dort transportiert, werden (religiöse) Symbole verwendet und welche Bedeutung kommt ihnen zu? Gerade in Kriegszeiten: Welches Verhältnis von Nation und Gott ist in den Anzeigen erkennbar? Geeignet für Klassenstufe Je nachdem, wann das Thema Tod im Curriculum behandelt werden soll, kann zum entsprechenden Zeitpunkt ein Projekt hierzu realisiert werden.

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Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

Art der Lerngruppe Das Projekt kann sowohl im Klassenverband, in einem Kurs oder in einer Arbeitsgemeinschaft realisiert werden. Voraussetzung bei dem Thema ist allerdings ein gewisses Vertrauen innerhalb der Lerngruppe, da auch mit einer persönlichen Betroffenheit der Schüler/ in­nen gerechnet werden muss. Diese sollte vorher erfragt werden. Zeitlicher Aufwand Interessant ist es, wenn die Schüler/innen selbst die Anzeigen heraussuchen. Dies könnte bei einem Besuch im örtlichen Archiv der Stadt oder der Tageszeitung erfolgen. Es ließe sich aber auch – ggf. gemeinsam mit Fachkolleg/innen – eine Auswahl zusammenstellen, die die Schüler/innen dann untersuchen können. Das spart Zeit, klammert aber das Archiv als außerschulischen Lernort beim Forschenden Lernen aus. Wählt man diese kleine Variante, sind vier Schulstunden angemessen. Entscheidet man sich für die größere Variante, sollten zwölf Schulstunden eingeplant werden. Dazu gehört dann auch das Einigen auf eine Auswahl der Todesanzeigen. Soll z. B. ein Jahrzehnt untersucht werden, könnten sich die einzelnen Gruppen auf spezielle Monate einigen. Eingebundene Akteure Vor allem die Archive wären einzubinden, um mit den Materialien arbeiten zu können. Mögliche Probleme Auf die Archivalien ist Acht zu geben. Diesbezüglich sind die Schüler/innen zu instruieren, denn zumeist liegen in den Archiven nur Unikate. Mögliche Differenzierung Bei diesem Ansatz kann über die Art und den Umfang der Fragestellung, aber ggf. auch über die Anzahl der zu untersuchenden Todesanzeigen differenziert werden.

Umgang mit dem Tod: Traueranzeigen untersuchen

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Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Schüler/innen könnten mit den Archiven den Kontakt aufnehmen, Termine absprechen sowie die Hin- und Rückfahrt organisieren. Sollte es sich zudem um ein Projekt der ganzen Klasse handeln, muss das Projekt koordiniert werden, dies könnten ebenfalls Schüler/innen übernehmen. Weitere, verwandte Ideen Ein ähnlicher Ansatz ließe sich mit Geburtsanzeigen realisieren, wobei es die noch nicht so lange in den Zeitungen gibt. Interessant ist auch die Untersuchung von Kontaktanzeigen. Diese könnte sich auf einen Vergleich der Anzeigen zu unterschiedlichen Zeiten oder in verschiedenen Presseorganen beziehen. Welche Partneranzeigen finden sich beispielsweise in überregionalen Zeitungen, welche in der örtlichen Zeitung? Inwiefern lassen sich Unterschiede, inwiefern Gemeinsamkeiten feststellen? Welche Partnerschaftsvorstellungen und Werte werden dort jeweils formuliert? Auch die Art und Weise der Gestaltung von Grabstätten auf Friedhöfen unterliegen einem Wandel der Zeit. Diesen können Schüler/innen anhand der Gestaltung der Grabsteine (Inschrift, Berufsbezeichnung, Bibelworte, Abbildung und Figuren), der Größe der Grabfelder und deren Aufbau (Blumenschmuck, Raseneindeckung) gut untersuchen und vergleichen. Schüler/innen erfahren so vor Ort von einem sich verändernden Blick auf den Tod in unserer Gesellschaft. An diesem Blick ist viel über die Gesellschaft selbst abzulesen (Verdrängung des Todes, Effizienzdenken z. B. aufgrund kleinerer Gräber oder auch die höhere Mobilität). Ein Ergebnis der Untersuchung könnte ein Vorschlag für einen Rundgang über den Friedhof oder ein Informationsblatt zu bestimmten Grabstätten sein – vielleicht sogar digital durch QR-Codes oder mit GPS-Daten für Mobiltelefone gestaltet.

5.7  Einstellungen zur Sexualität erforschen In den letzten Jahren hat sich die Gesellschaft in Deutschland hinsichtlich der sexuellen Orientierung der Menschen erheblich libe84

Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

ralisiert. Dadurch bietet dieses Feld Zugänge für den Bereich des Forschenden Lernens. So könnten beispielsweise die Einstellungen von Geistlichen verschiedener Religionen zur Homosexualität einen interessanten Forschungsfokus bieten. Diese können in qualitativen Verfahren mit Interviews erhoben werden. In solchen Interviews kann insbesondere auch nach den theologischen Herleitungen der jeweiligen Positionen gefragt werden. Geeignet für Klassenstufe Ein solches Projekt lässt sich ab der neunten Klasse realisieren. Zeitlicher Aufwand Dies ist von der Konzeption des Projektes abhängig. Das Führen der Interviews kann beispielsweise auch arbeitsteilig und jenseits der Unterrichtszeit als Hausaufgabe erfolgen. Für die thematische Einführung sowie die Entwicklung eines Interviewleitfadens muss zudem Zeit investiert werden. Insgesamt sollten mindestens 14 Stunden eingeplant werden. Eingebundene Akteure Hier sind vor allem die Interviewpartner/innen einzubinden. Mögliche Probleme Mögliche Antipathien der Schüler/innen z. B. gegenüber homosexuellen Partnerschaften könnten bei der Durchführung hinderlich sein, zugleich bieten sich dadurch aber auch wertvolle Gesprächsanlässe zum Thema. Mögliche Differenzierung Differenziert werden kann bezüglich der unterschiedlich komplexen Auswertung der Interviews. Hier reicht das Spektrum weit, da die Aufgaben recht umfangreich sein können: Die Interviews sollten transkribiert werden. Zudem sollte ein erster inhaltlicher Abgleich der Interviews erfolgen, anschließend können Kategorien entsprechend der Fragestellung und damit des Erkenntnisinteresses gebildet werden. Diese Kategorien können aus den Interviews resultieren oder auch selbst gebildet werden (im höchsten AnforderungsEinstellungen zur Sexualität erforschen

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bereich auf Grundlage von Literatur). Zudem kann der Interviewleitfaden nach jedem Interview überarbeitet werden, da sich z. B. neue Fragen aus den vorangegangenen Gesprächen ergeben. Einbindung von Schüler/innen in Verantwortungsstrukturen Gerade die Kontakte zu den Interviewpartner/innen sowie die Durchführung der Gespräche kann in die Hand der Schüler/innen gelegt werden. Weitere, verwandte Ideen Nach einem ersten qualitativen Zugang könnte auch versucht werden, eine Erhebung auf breiter Basis aufzustellen und ein quantitatives Verfahren anzuwenden. Uetersener Schüler hatten beispielsweise einmal flächendeckend die Pastor/innen der Nordkirche per Fragebogen zu dem Thema befragt. Auch lassen sich in diesem Themenfeld weitere Projekte realisieren, beispielsweise zu Transgender-Fragen. Die Frage nach den Einstellungen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bietet eine andere Möglichkeit.

5.8 Gottesvorstellungen: Wie Menschen sich Gott vorstellen Eine gute Möglichkeit, das Forschende Lernen früh in den Religionsunterricht einzubeziehen, bietet eine Untersuchung vorhandener Gottesvorstellungen unterschiedlicher Personengruppen. Dabei können schon Schüler/innen jüngerer Jahrgänge eine erste kleinere Forschungsarbeit starten. Den Hintergrund bilden dabei einerseits die klassischen Stufenkonzepte und Entwicklungstheorien hinsichtlich Gottesvorstellungen und Glaubensaussagen sowie andererseits deren Infragestellung und Diskussion heute (Büttner/ Dieterich 2016). Einzelne Gruppen von Schüler/innen einer Klasse erhalten dabei den Auftrag, etwas über die unterschiedlichen Gottesvorstellungen einer Personengruppe herauszufinden. Eine fokussierte Leitfrage sollte daher formuliert werden, z. B.: Welche Vorstellung von Gott haben unterschiedliche Personengruppen? Inwiefern unterscheiden 86

Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

sich diese? Die jeweilige Kleingruppe arbeitet autonom und muss zunächst die Entscheidung fällen, welche Personengruppe befragt werden soll. Als Testgruppe können – je nach Interesse und Bereitschaft – die eigene Klasse, eine Parallelklasse oder ein paralleler Religionskurs, eine Gruppe von älteren Schüler/innen, Personen aus der Verwandtschaft oder gar die Lehrerschaft einer Schule herangezogen werden. Bei der Vorgehensweise stehen grundsätzlich verschiedene Verfahren zur Auswahl. Bei jüngeren Lernenden empfiehlt es sich jedoch, dass die Lehrkraft ein Verfahren vorgibt: Die Mitglieder der ausgewählten Testgruppe werden gebeten, ihre individuelle Gottesvorstellung in einem Bild auszudrücken. Dabei kann es passieren, dass Einzelne lieber einen Text zur Erläuterung schreiben, was ebenfalls eine Möglichkeit darstellt. Jede Gruppe von Schüler/innen erhält so ein Bündel an Bildern und ggf. Texten oder Kommentaren, die sie nun zusammenfassen, kategorisieren (Gott als Person, Darstellungen aus der Natur, Symbole, weiße Blätter) und auswerten kann. Die Lernenden der einzelnen Kleingruppen kommen so zu eigenen Ergebnissen, die sie der Klasse oder dem Kurs und darüber hinaus exemplarisch in einem Wechselrahmen an prominenter Stelle mit Erläuterungen in der Schule präsentieren können. Eine Diskussion hinsichtlich Respekt gegenüber unterschiedlichen Gottesvorstellungen und unterschiedlichen Auswirkungen verschiedener Gottesvorstellungen kann sich anschließen. Geeignet für Klassenstufe Diese Untersuchungen eignen sich für Schüler/innen ab Klassenstufe 5/6. Art der Lerngruppe Das Projekt ist sowohl im Klassenverband als auch in einem Kurs möglich. Zeitlicher Aufwand Für die Umsetzung werden mindestens zwei Zeitfenster mit jeweils vier Unterrichtsstunden benötigt: eines zur Vorbereitung des Vorgehens und Durchführung durch die Kleingruppen, ein zweites zur Gottesvorstellungen: Wie Menschen sich Gott vorstellen

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Auswertung der Ergebnisse. Darüber hinaus bietet das Thema vielfältige Möglichkeiten zur Vertiefung durch z. B. Theologisieren an. Eingebundene Akteure Je nach Interesse der einzelnen Gruppen kann es für die Lehrkraft erforderlich sein, den Kontakt zu anderen Klassen, Religionskursen oder Lehrkräften herzustellen. Mögliche Probleme Eine Herausforderung bildet die Präsentation der Ergebnisse und die zuvor ggf. herauszuarbeitende Kategorisierung. Hier sollte die Lehrkraft die einzelnen Gruppen beraten. Mögliche Differenzierung Sowohl in der Auswahl der Fragestellung (s. u. weitere, verwandte Ideen) als auch in den Zusammenstellungen der Kleingruppen (eher leistungshomogene oder -heterogene Gruppen) stecken Chancen zur adaptiven Gestaltung. Weitere, verwandte Ideen Neben der Darstellung in Bildform kann alternativ eine Auswahl von Satzanfängen zur Verfügung gestellt werden (»Wenn ich Gott wäre, würde ich …; Wenn es Gott wirklich gibt, …; Ich vertraue auf Gott, weil …; Gott gibt es nicht, weil … o. Ä.), die die Testgruppe vervollständigen soll. Denkbar ist ebenfalls, die Mitglieder der Testgruppe zu bitten, zu ausgewählten Gottesdarstellungen in Kunstwerken Einfälle zu notieren und Favoriten auszuwählen. Das wäre auch bei ausgewählten Geschichten möglich (z. B. »Die Blinden und der Elefant« o. Ä.). Man könnte auch der zu befragenden Gruppe Bildworte (Gott als Burg, Licht, Fels, Quelle, Richter u. v. m.), die aus der Bibel stammen, vorlegen, Favoriten auswählen oder einen Kommentar zu einem Bildwort verfassen lassen. Letzteres ist auch umsetzbar mit einer Auswahl aus den 99 Namen Gottes im Islam. Zu bedenken ist dabei, dass so die Auswertung komplexer wird. Generell ließe sich die grundsätzliche Vorgehensweise auf vielfältige, weitere Fragen des Glaubens anwenden.

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Praxisbeispiele zum Forschenden Lernen

Ausblick: Projektideen weiterdenken

Die Darstellung der in der Praxis erprobten Beispiele in diesem Buch umfasst eine große thematische Bandbreite. Die Projekte und Forschungsvorhaben sind durch Schüler/innen mit unterschiedlichen Kompetenzen und in verschiedenen Altersstufen realisierbar. Ein Verzeichnis aller Ideen ist diese Sammlung selbstverständlich nicht. Stetig kommen Anregungen durch Erfahrungsberichte zu Projektideen in Online-Foren und Fachzeitschriften hinzu, die insbesondere dann gut gelingen können, wenn die grundsätzlich zu erwerbenden Strategien und Fertigkeiten im Hinblick auf Ideenentwicklung, Recherche, Leitfragenentwicklung und Projektorganisation sowie Projektmanagement mitgedacht werden. Viele in Fachzeitschriften vorgestellte Projekte zielen auf von Schüler/innen organisierte (Foto-)Ausstellungen in der Schule, in denen Menschen unterschiedlicher Generationen die Gegenstände präsentieren, die Ihnen wichtig sind oder Trost spenden, die sie durch das Leben begleitet haben. Sie zielen auf Videoprojekte, in denen Menschen aller Altersklassen von ihren Erlebnissen zu besonderen Festtagen (Konfirmation, Weihnachten, Hochzeit o. A.) erzählen, auf schriftlich festgehaltene Berichte, in denen Menschen zu Wort kommen, die Krieg, Terror oder Flucht heute oder in der Vergangenheit erlebt haben. Ebenso geht es bei vielen Vorschlägen um die Planung und Realisierung von gemeinsamen Feiern, interreligiösen Andachten oder Schulgottesdiensten. Überaus spannend gestaltet sich auch die (Wieder-)Entdeckung besonderer und/oder religiöser Orte in der Umgebung der Schule mit Schüler/innen für Schüler/innen (auch als digitale Schnitzeljagd umsetzbar durch das sogenannte »Geocaching« mit GPS oder vor Ort hinterlegten QR-Codes, die zu weiterführenden abrufbaren Informationen führen). 89

Darstellungen von Ideen für das Forschende Lernen beziehen sich zumeist auf Befragungen und kleinere Untersuchungen vor Ort: Was denken Besucher/innen der Weihnachts-, Karfreitagsoder Ostergottesdienste über das, was die Bibel über den Festtag erzählt? Wer spendet Geld für gemeinnützige Organisationen und warum? Was passiert mit dem Geld aus der Kollekte im Gottesdienst? Haben die Schüler/innen einer Schule oder eines Jahrgangs eigene Erfahrungen mit Mobbingerlebnissen in sog. sozialen Netzwerken? Was haben sie für Vorstellungen, Sorgen oder gar Hoffnungen zum Sterben und zum Tod? Religionslehrkräften bieten sich so zahlreiche Möglichkeiten, weitere Projekte mit oder durch Schüler/innen zu erproben und weiterzuentwickeln. Zugleich sind die Anforderungen an Lehrkräfte hoch und die zur Verfügung stehende Zeit ist grundsätzlich knapp bemessen. Auch hat sich die Schülerschaft verändert und wird sich weiter verändern. Daher ist nicht alles sofort und vor allen Dingen nicht gleichzeitig in mehreren Klassen oder Kursen umsetzbar. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die professionelle Entwicklung von Lehrkräften ein stetiger Prozess ist, der sich durch eine Offenheit gegenüber neuen Ideen, zu denen Projektarbeit und Forschendes Lernen mit den vielfältigen Möglichkeiten und Chancen für das Lernen von Schüler/innen gehört, auszeichnet. Bewährte Wege und neue Verfahren sollten also immer (wieder) erprobt, kontinuierlich weiterentwickelt und auch hinterfragt werden. Insofern freuen auch wir uns für die Weiterentwicklung über Hinweise, Feedback und Kritik.

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Ausblick: Projektideen weiterdenken

Literatur

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Literatur

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