Im Neuen Testament spielt Polemik als sachliche Auseinandersetzung und als literarische Strategie eine große Rolle. Für
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German Pages 696 [694] Year 2017
Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Einführung
Zu Form, Sitz im Leben und Funktion prophetischer „Kritik“. Beobachtungen zu den von einem rîb Jahwes sprechenden Texten der alttestamentlichen Prophetie
Invektive und Polemik in der Antike. Suche nach einer Verhältnisbestimmung
„Soweit meine offenen Worte an dich …“ Form und Funktion von Polemik in den Schriften des Lukian von Samosata
Formen und Funktionen der Polemik in Josephus’, Contra Apionem‘
Polemik der Tora. Der Streit mit Häretikern in der rabbinischen Literatur
Pillars, Hypocrites and False Brothers. Paul’s Polemic against Jerusalem in Galatians
Literarische Strategien der Polemik im Galaterbrief
„Seine Briefe sind gewichtig und gewaltig“ (2Kor 10,10). Polemik im 2. Korintherbrief
Götzendiener, Tempelräuber und Betrüger. Polemik gegen Heiden, Juden und Judenchristen im Römerbrief
Polemik und Autobiographie. Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2– 4a
Polemic in the Epistle to the Colossians
Polemik in den Pastoralbriefen. Formen, Funktionen, Folgerungen
Die Polemik um die Christologie im Ersten Johannesbrief und ihr Verhältnis zu den polemischen Zügen des Johannesevangeliums
Polemik im Jakobusbrief. Formen, Gegenstände und Fronten
Jesus als Polemiker oder: Wie polemisch darf Jesus sein? Historische und normative Aspekte
Die literarische Form der Streitgespräche
Die markinischen ,Streitgespräche‘ im Plan des Evangeliums. Eine kritische relecture der formgeschichtlichen Methode
Kritik an Paulus im Matthäusevangelium? Von der Kunst verdeckter Polemik im Urchristentum
Polemical Strategies in the Gospel of Matthew
Polemik im eschatologischen Kontext Israel und die Heiden im lukanischen Doppelwerk
Implizite Polemik durch Parallelisierung. Der άλλoς άγγελoς ίσχυρός (Apk 10,1 f.5), der Gott Helios und der Koloss von Rhodos
Polemik bei Irenäus von Lyon. Strategie – Ertrag – Wirkung
Polemik bei Augustin
Rhetorical strategies in Jerome’s polemical works
Backmatter
Polemik in der frühchristlichen Literatur
Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche
Herausgegeben von
James D. G. Dunn · Carl R. Holladay Hermann Lichtenberger · Jens Schröter Gregory E. Sterling · Michael Wolter
Band 170
De Gruyter
Polemik in der frühchristlichen Literatur Texte und Kontexte
Herausgegeben von Oda Wischmeyer und Lorenzo Scornaienchi
De Gruyter
ISBN 978-3-11-022353-8 e-ISBN 978-3-11-022354-5 ISSN 0171-6441 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Polemik in der frühchristlichen Literatur : Texte und Kontexte / [herausgegeben von] Oda Wischmeyer, Lorenzo Scornaienchi. p. cm. - (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, ISSN 0171-6441 ; Bd. 170) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-022353-8 (hardcover 23 ¥ 15,5 : alk. paper) 1. Polemics in the Bible. 2. Bible. N.T. - Language, style. 3. Polemics History. 4. Literature, Ancient - History and criticism. I. Wischmeyer, Oda. II. Scornaienchi, Lorenzo. BS2545.P59P65 2010 225.6116-dc22 2010023259
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ” 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi Einfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Teil 1: Grundlagen und Kontexte aus der Literatur Israels und der griechisch-rçmischen Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hans-Christoph Schmitt Zu Form, Sitz im Leben und Funktion prophetischer „Kritik“. Beobachtungen zu den von einem rb Jahwes sprechenden Texten der alttestamentlichen Prophetie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Severin Koster Invektive und Polemik in der Antike. Suche nach einer Verhltnisbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
Peter v. Mçllendorff „Soweit meine offenen Worte an dich …“ Form und Funktion von Polemik in den Schriften des Lukian von Samosata . . . . . . . . . . .
55
Michael Tilly Formen und Funktionen der Polemik in Josephus’ ,Contra Apionem‘
77
Matthias Morgenstern Polemik der Tora. Der Streit mit Hretikern in der rabbinischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
Teil 2: Schwerpunkte und Funktionen von Polemik in neutestamentlichen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
Ian J. Elmer Pillars, Hypocrites and False Brothers. Paul’s Polemic against Jerusalem in Galatians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
Dieter Snger Literarische Strategien der Polemik im Galaterbrief . . . . . . . . . . .
155
Manuel Vogel „Seine Briefe sind gewichtig und gewaltig“ (2Kor 10,10). Polemik im 2. Korintherbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
VI
Inhalt
Friedrich Wilhelm Horn Gçtzendiener, Tempelruber und Betrger. Polemik gegen Heiden, Juden und Judenchristen im Rçmerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
Eve-Marie Becker Polemik und Autobiographie. Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2 – 4a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
Tor Vegge Polemic in the Epistle to the Colossians . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255
Gerd Hfner Polemik in den Pastoralbriefen. Formen, Funktionen, Folgerungen
295
Enno Edzard Popkes Die Polemik um die Christologie im Ersten Johannesbrief und ihr Verhltnis zu den polemischen Zgen des Johannesevangeliums .
331
Oda Wischmeyer Polemik im Jakobusbrief. Formen, Gegenstnde und Fronten . . .
357
Lorenzo Scornaienchi Jesus als Polemiker oder: Wie polemisch darf Jesus sein? Historische und normative Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
381
Boris Repschinski Die literarische Form der Streitgesprche . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415
Eve-Marie Becker Die markinischen ,Streitgesprche‘ im Plan des Evangeliums. Eine kritische relecture der formgeschichtlichen Methode . . . . . . . . . . .
433
Gerd Theißen Kritik an Paulus im Matthusevangelium? Von der Kunst verdeckter Polemik im Urchristentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
465
David C. Sim Polemical Strategies in the Gospel of Matthew . . . . . . . . . . . . .
491
Ulrike Mittmann Polemik im eschatologischen Kontext Israel und die Heiden im lukanischen Doppelwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
517
Thomas Witulski Implizite Polemik durch Parallelisierung. Der %kkor %ccekor Qswuqºr (Apk 10,1 f.5), der Gott Helios und der Koloss von Rhodos
543
Inhalt
VII
Teil 3: Wirkungen und Entwicklungen an Beispielen aus der Alten Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
577
Barbara Aland Polemik bei Irenus von Lyon. Strategie – Ertrag – Wirkung . . . .
579
Wolfgang Wischmeyer Polemik bei Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
603
Maijastina Kahlos Rhetorical strategies in Jerome’s polemical works . . . . . . . . . . . .
621
Register Altes und Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
651
Register rabbinische, griechische und lateinische Literatur . . . . . .
665
Register Sachen und Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einfhrung Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi 1. Polemik im Neuen Testament Am Anfang des Christentums steht das eqacc´kiom YgsoO WqistoO (Rçm 1,1 und Mk 1,1), das von so unterschiedlichen christlichen Schriftstellern der zweiten Generation wie dem Verfasser des Epheserbriefes und dem auctor ad Theophilum gleichermaßen als friedenstiftende Grçße interpretiert wird. „Er ist unser Friede“, lesen wir im Epheserbrief ber Christus (2,14), und das Motiv des Friedens zieht sich durch die lukanische Geburts- und Kindheitsgeschichte1. Schon in der Logienquelle werden die Jnger Jesu als Friedensboten apostrophiert (Lk 10,5 – 12). In derselben Logienquelle findet sich aber auch der schockierende Spruch Jesu: Meint [[ihr]], dass ich gekommen bin, Frieden auf die Erde zu werfen? Ich bin nicht gekommen, Frieden zu werfen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen zu entzweien: den Sohn [[gegen]] seinen Vater [[und]] die Tochter gegen ihre Mutter [[und]] die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter (Lk 12, 51.53)2.
Die Traditionen, die in der Quelle Q aufbewahrt und bearbeitet wurden, weisen Jesus als prophetischen Polemiker aus, der sich seinen Zuhçrern gegenber harter Invektiven bedient. Die markinischen Streitgesprche modellieren Jesus als Lehrer, dem Stellungnahmen zu kontroversen Fragen der Gesetzesinterpretation abverlangt werden. Wenn er auch in diesen Diskussionen als souverner Lehrer erscheint, scheut er sich andererseits doch nicht, seinen erstberufenen Jnger Petrus als „Satan“ anzusprechen (Mk 8,33), als es um sein eigenes Todesschicksal geht. Diese Linie hochpolemischer Invektive zieht sich bis in das Johannesevangelium durch, wenn Jesus ausgerechnet die Juden, „die an ihn glauben“ (Joh 8,31), im Rahmen einer großen çffentlichen Debatte ber die Wahrheit beschuldigt: „Euer Vater ist der Teufel“ (Joh 8,44). Im Matthusevangelium tritt Jesus als 1 2
Vgl. Dinkler, Dinkler-von Schubert, Art. Friede. Nach: Die Spruchquelle Q. Studienausgabe. Griechisch und Deutsch. Herausgegeben und eingeleitet von Paul Hoffmann und Christoph Heil, 86 f.
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Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi
scharfer Polemiker gegen die „Schriftgelehrten und Phariser“ auf (Mt 23). Die polemische Auseinandersetzung mit verschiedenen Gruppierungen von Tora-Auslegung erfolgt in den Evangelien in der Form çffentlicher Reden ohne direkte Antwort von Gegnern oder aber in der literarischen Form der Streitgesprche. Die neuere Jesusforschung entwirft konkurrierende Bilder des Polemikers Jesus. So kann Jesus als jdischer Gesetzeslehrer gezeichnet werden, der auf der Basis seiner Schriftauslegung eine neue Ethik lehrt und mit anderen Gesetzeslehrern in polemischen Auseinandersetzungen in Form von Streitgesprchen begriffen ist, oder als kynischer Wanderphilosoph mit beißender ethischer Polemik. Eine andere Interpretation stellt Jesus ganz in den Zusammenhang des frhen Judentums und spricht ihm daher jede Polemik ab3. Dass Paulus ein großer Polemiker war, zeigt schon ein Blick auf Gal 1,8. Auch bei ihm findet sich die irritierende berlagerung dauernder Friedensund Sanftmut-Rhetorik mit kriegerischen Metaphern und persçnlicher Invektive, wie exemplarisch 2 Kor 10,1 – 6 deutlich macht. Paulus ermahnt die Korinther „bei der Sanftmut und Gte Christi“, um ihnen im selben Atemzug die zerstçrerischen Waffen seines geistlichen Kampfes fr den Gehorsam Christi zu zeigen4. Die spteren Schriften der neutestamentlichen Textsammlung greifen „Gegner“, „falsche Lehrer“ und „Hretiker“ zum Teil mit schrfster Polemik und verstçrender Aggressivitt an. Das wird an Texten wie 2 Petr 2 ebenso deutlich wie in den sieben Sendschreiben der Offenbarung des Johannes. Dabei beobachten wir eine zunehmende Tendenz, „Gegner“ moralisch zu diskreditieren wie jene „Isebel“ in Thyatira, der der Prophet Johannes im Stil prophetischer Topik „Unzucht“ vorwirft. Aus dieser kurzen Skizze geht bereits hervor, dass das Thema der Polemik in den Schriften des Neuen Testaments die unterschiedlichsten Fragen aufwirft, nach verschiedenen Richtungen hin diskutiert werden kann und historisch breit kontextualisiert werden muss. Das Phnomen der Polemik tritt erstmals in der philosophischen und politischen Begriffs- und Streitkultur der Griechen auf. Polemik war Teil des rhetorischen und literarischen Instrumentariums zur Durchsetzung von Meinungen und Richtungen in der griechischen und rçmischen ffentlichkeit. Das frhe Christentum hat sich von Anfang an in diese çffentliche Streitkultur hineingestellt. Wenn der auctor ad Theophilum in Apg 17,18 Paulus in Athen mit den Philosophen 3 4
Vgl. dazu den Beitrag von L. Scornaienchi im vorliegenden Band. Vgl. Wischmeyer, Die paulinische Mission als religiçse und literarische Kommunikation, 90 – 121.
Einfhrung
3
diskutieren lsst (sulb²kkeim)5, ist das frhe Christentum auch literarisch in der çffentlichen Streitkultur der griechisch-rçmischen Welt angekommen. Auseinandersetzungen ber die Auslegung der Tora waren gleichzeitig fester Bestandteil der jdischen Kultur, und die Invektive gehçrte ebenso zum literarischen Inventar der griechisch-rçmischen Literatur6 wie zum Erbe der Propheten Israels7. Wie selbstverstndlich das Phnomen der Polemik und seine rhetorischen und literarischen Strategien dem hellenistischen Judentum war, zeigt nicht nur der Polemiker Paulus, sondern vor allem die Tatsache, dass sowohl Philo als auch Josephus Streitschriften von großer literarischer und sachlicher Qualitt verfassten8. Die Kirchenschriftsteller befanden sich seit den Apologeten im theologisch-literarischen Streit um die wahre Religion. Polemische Fronten taten sich in verschiedene Richtungen auf: gegen das Judentum9, gegen Gnostiker10, gegen sog. Hretiker11, gegen Heiden12.
2. Das Kolloquium Vom 7. bis zum 8.11. 2008 fand in Erlangen die Tagung: „Polemik im Neuen Testament. Texte und Kontexte“ statt. Das Kolloquium hatte das Ziel, (1) die polemischen Aspekte der literarischen Jesusberlieferung, vor allem die markinischen Streitgesprche, und (2) die Polemik des Paulus zu untersuchen und in die notwendigen theoretischen und historischen Kontexte zu stellen, zu denen das Phnomen der Philosophenpolemik und des Streites ber die Auslegung des Gesetzes ebenso gehçrt wie Polemik in 5 Bei Bauer, Griechisch–deutsches Wçrterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frhchristlichen Literatur, 1551, bersetzt: „sich unterreden“, weist aber fr andere neutestamentlichen Stellen die bersetzung „in Zwist oder in Wortstreit geraten“ aus, was auch fr Apg 17,18 vorzuziehen ist. 6 Vgl. den Beitrag von S. Koster in diesem Band. 7 Vgl. den Beitrag von H.-C. Schmitt in diesem Band. 8 Philo, In Flaccum; Josephus, Contra Apionem (vgl. dazu den Beitrag von M. Tilly in diesem Band). – Vgl. auch den Beitrag von M. Morgenstern. 9 Vgl. Rçwekamp, Art. Antijudaistische Dialoge in: Lexikon der antiken christlichen Literatur. 10 Vgl. den Beitrag von B. Aland in diesem Band. 11 Vgl. den Beitrag von W. Wischmeyer in diesem Band. 12 Vgl. nur die großen Werke des Origenes (Contra Celsum) und Augustins (Der Gottesstaat). Diese Polemik war nicht einseitig, sondern befand sich in der Auseinandersetzung mit hochkartiger Polemik von heidnischer Seite: eben mit Celsus, mit Porphyrius, Kaiser Julian und anderen Autoren, vgl. dazu Cameron, Palladas and Christian Polemic, 17 – 30.
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Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi
anderen neutestamentlichen Schriften und die Diskurse der Kirchenvter. Die Beitrge und Diskussionen whrend des Kolloquiums erwiesen sich als so fruchtbar und weiterfhrend, dass die Veranstalter sehr gern die Aufforderung der Herausgeber von BZNWaufnahmen, nicht nur die Mehrzahl der Beitrge der Tagung zu verçffentlichen, sondern die Liste der Beitrge stark zu erweitern. Wir haben das getan, ohne die beide Schwerpunkte: Jesus als Polemiker und Polemik bei Paulus aufzugeben. Der nun vorliegende Band versteht sich daher nicht als ,Handbuch neutestamentlicher Polemik in ihren historischen und literarischen Kontexten‘ – dies Unterfangen htte eine ganz andere Dimensionierung erfordert. Außerdem handelt es sich bei der Polemik im Neuen Testament nicht um ein eingefhrtes und viel bearbeitetes Thema, das nach einer gewissen Ordnung und der Beschreibung eines status quo in einem großen Sammelband verlangt, sondern um eine verhltnismßig wenig bearbeitete Thematik, die den Reiz des Neuen mit vielfltigen Brckenschlgen zur literarischen, philosophischen und religiçsen Kultur der frhen Kaiserzeit verbindet und eher eigene Fragestellungen hervorbringt als ein vollstndiges Tableau bietet. Gerade die Vorbereitung des Bandes hat gezeigt, wie viele weitere Arbeiten fr einen eher enzyklopdischen Wurf noch zu leisten sind. Wenn das Kolloquium auch zur Basis fr die Zugewinnung vieler Beitrge aus allen Feldern, die sich uns als wichtig erwiesen haben, wurde, so haben wir Vollstndigkeit weder angestrebt noch erreicht – schmerzlich vermissen wir allerdings den Beitrag ber das Johannesevangelium, dessen Verfasser ganz kurzfristig absagen musste.
3. Polemik Polemik als Rede- und Schreibform ist zuallererst ein kommunikatives Phnomen, eine Rede-und Schreibstrategie, und als solche eine der Achsen, um die sich Untersuchungen zu personenbezogener Kommunikation und Argumentation drehen13, ist doch Polemik inhrenter Bestandteil nicht nur politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, sondern auch philosophischer, literarischer und religiçser Debatten. Polemik ist dagegen nicht Bestandteil der Rhetoriklehre14, sondern begegnet im rhetorischen Zusammenhang lediglich als Teilaspekt des Tadels (xºcor), der seinerseits im 13 Zur systemischen Bedeutung von Kommunikation vgl. immer noch die grundlegenden berlegungen von N. Luhmann zur „Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation“. 14 Vgl. dazu Stauffer, Art. Polemik.
Einfhrung
5
Gegensatz zum Enkomium konstruiert wird und eigentlich als Unform gilt15. Polemik ist auch keine eigene literarische Gattung oder Form, wohl aber hat Polemik auch eigene literarische Formen hervorgebracht, vor allem die Streitschrift16 und das Streitgesprch17. Die vielfltige Szene der literarischen Aggression – Scheltrede, Invektive, Tadel, Verleumdung, Schmhung18, Kritik, Spottschrift, Pamphlet, Ironie, Satire, Persiflage – in ihren kulturellen und historischen Erscheinungsformen und Transformationen kann hier nur ins Gedchtnis gerufen werden. Sie ist Gegenstand der Klassischen Philologie19 und der Literaturwissenschaft20. Wichtig ist uns der Hinweis darauf, dass das entstehende Christentum von Anfang an dieser Szene teilhat und die Sprach-, Stil- und Argumentationsform der Polemik mit der jdischen und der griechisch-rçmischen literarischen Welt teilt, ja dass die Polemik der neutestamentlichen Schriften berhaupt auch ein literarisches und kulturelles Element ist, das zur kulturellen Koine der frhen Kaiserzeit gehçrt und als solches verstanden werden muss. Damit ist auch schon gesagt, dass sich die frhchristliche Polemik im Fadenkreuz antiker çffentlicher Rhetorik, Philosophie und griechisch-rçmischer Literatur wie prophetischer und weisheitlicher Literatur des Judentums und rabbinischer Schriftdiskussion21 entwickelt und eben damit per se eine kommunikative Funktion erfllt – unbeschadet der Tatsache, dass Polemik stets eher differenzieren, trennen und spalten als versçhnen will. Der Ausdruck pokelijμ t´wmg begegnet nicht im Neuen Testament, wohl aber ist pºkelor und pokel´y Sinne polemischen Streitens zwischen christlichen Lehrern in einer neutestamentlichen Schrift thematisiert: im Jakobusbrief. In Jak 4,1 und 2 polemisiert der Autor in schrfster Weise eben gegen die „Polemik“ christlicher Lehrer22. Er interpretiert die Polemik anderer Lehrer als „Snde der Zunge“ und verurteilt sie als zutiefst unethisch. Und doch ist das Neue Testament voll von Polemik. Sie konzentriert sich
15 Vgl. dazu den Beitrag von P. von Moellendorff in diesem Band. 16 Vgl. dazu den Beitrag von M. Tilly in diesem Band. 17 Vgl. dazu die Beitrge von E.-M. Becker, B. Repschinski und L. Scornaienchi in diesem Band. 18 Tadel und Schmhung sind Teil der Diatribe und gelten mindestens bei Platon als unethisch. 19 Vgl. Speyer, Art. Polemik. 20 Vgl. Schleichl, Art. Polemik. 21 Vgl. dazu den Beitrag von M. Morgenstern in diesem Band. 22 Vgl. dazu den Beitrag von O. Wischmeyer in diesem Band.
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Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi
zunchst bei Jesus und Paulus. Beide sind sowohl Subjekt als auch Objekt23 von offener oder verdeckter Polemik. Whrend wir von Jesu polemischer Sprechweise nur indirekte Zeugnisse haben24, tritt uns Paulus selbst als literarischer Polemiker entgegen.25 Wesentliche Elemente der Funktion der Polemik bei Paulus sind: Identittsbildung, Ausbildung von Theologie im Sinne der angemessenen Rede von Gott und den Menschen im Lichte des eqacc´kiom YgsoO WqistoO, Gemeindeaufbau im Sinne „richtiger Theologie“. Paulus richtet seine Polemik gegen „Juden“und „Heiden“ (Rçm 1 – 3)26 sowie gegen „falsche Brder“ (Galater- und Philipperbief ), gegen einzelne Positionen in den Gemeinden (1 Kor 15, 12 – 19) und gegen „Gegner“, d. h. gegen fremde Missionare, die in den von ihm gegrndeten Gemeinden andere Positionen einfhren wollen (Gal, Phil) oder seine Autoritt infragestellen (2 Kor). Die deuteropaulinischen Briefe27 und die Pastoralbriefe28 fhren diese Linie fort, fgen aber auch neue gegnerische Fronten hinzu. Hier fallen die Stichworte „Philosophie“ (Kol 2,8), „Engelverehrung“ (Kol 2,18) und „Kennen Gottes“ (Tit 1,16), deren mçgliche Nhe zu Vorformen der spteren Gnosis immer wieder diskutiert werden. Dies Thema ist auch fr die scharfe Polemik gegen „falsche“ Christologie im 1. Johannesbrief relevant29. Die polemische Front gegen das heidnische Rçmische Reich wird in der Offenbarung des Johannes aufgebaut30. Personen werden so gut wie niemals namentlich angegriffen31, das ndert sich in der Alten Kirche32. 23 Vgl. dazu die Beitrge von L. Scornaienchi, G. Theißen und D. Sim sowie O. Wischmeyer in diesem Band. 24 Vgl. dazu die Beitrge von L. Scornaienchi, B. Repschinski, E.-M. Becker, G. Theißen und D. Sim in diesem Band. 25 Vgl. dazu die Beitrge von I. Elmer, D. Snger, M. Vogel, F.-W. Horn und E.-M. Becker in diesem Band. 26 So im Rçmerbrief, vgl. dazu den Beitrag von F.-W. Horn in diesem Band. Vgl. auch die offen antijdische Polemik in 1 Thess 2,14 – 16, wo Paulus – selbst Jude – den paganen Standardvorwurf der „Menschenfeindlichkeit“ gegen die Juden richtet; vgl. dazu Schfer, Judeophobia. 27 Vgl. dazu den Beitrag von T. Vegge in diesem Band. 28 Vgl. dazu den Beitrag von G. Hfner in diesem Band. 29 Vgl. dazu den Beitrag von E. Popkes in diesem Band; vgl. ebenfalls den Beitrag von B. Aland. 30 Vgl. dazu den Beitrag von Th. Witulski in diesem Band. Die Offenbarung des Johannes zeugt auch von zunehmender polemischer Schrfe im Umgang mit „Hretikern“ in den Gemeinden (vgl. die sieben Sendschreiben an die kleinasiatischen Gemeinden). 31 Eine Ausnahme stellt die heftige Attacke gegen Simon Magus in Apg 8,20 – 23 dar. Zu den wenigen Namen im Zusammenhang von Polemik vgl. den Beitrag von O.
Einfhrung
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Ausgeformte literarische Polemik als Streitschrift im entwickelten Sinn einer aggressiven und die Person nicht schonenden thematischen kmpferischen Debatte finden wir erst bei den Apologeten. Die neutestamentlichen Schriften legen aber den Grundstein fr alle Arten der spteren altkirchlichen Polemik, fr argumentative Polemik ebenso wie fr ihre narrative und ikonische Erscheinungsform33. Sachlich geht es bei der Polemik um die großen Themen antiker Religions- und Philosophendebatten: um den Zusammenhang von Apologetik und Polemik im Kampf um Text- und Weltdeutungen, die zwischen Heiden und Juden34, Juden und Heiden35, Christen und Heiden, Heiden und Christen36, Christen und Juden, Juden und Christen37, Juden und Juden38 und schließlich Christen und Christen ausgetragen werden. Das Phnomen des frhen Antijudaismus der christlichen Gemeinden39 muss hier ebenso diskutiert werden wie die Ablehnung Jesu von Seiten der jdischen Autoritten und die frhen Fronten und Spaltungen40 in den Gemeinden. Diese und andere polemische Auseinandersetzungen sind historisch gesehen Teil der langen und komplexen Kmpfe zwischen philosophischen Schulen, Literaturen und Religionen in der griechisch-rçmischen Antike, aus denen sich unter anderem die christliche Theologie in ihrer altkirchlichen kontroversen Vielfalt herausgebildet hat. Eine ethische Verurteilung der Polemik, wie wir sie schon bei
32 33 34 35 36 37
38 39 40
Wischmeyer in diesem Band. Zur anonymen Polemik und ihrer ethischen Bedenklichkeit vgl. auch den Beitrag von P. von Moellendorff in diesem Band. Vgl. besonders den Beitrag von M. Kahlos in diesem Band. Vgl. dazu den Beitrag von Th. Witulski in diesem Band. Vgl. dazu die umfangreiche Quellensammlung von Stern, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism. Z.B. Philo und Josephus. S.o. Anm. 12. Ob die markinischen Streitgesprche derartige Debatten spiegeln und wie weit sich Juden berhaupt argumentativ mit Christen auseinandergesetzt haben, ist offen. Vgl. dazu jetzt den Beitrag von T. Rajak auf der Aarhus University International Conference 31. May–4. June 2010 on Invention, Rewriting, Usurpation: Discoursive Fights over Religious Traditions in Antiquity: Invention, Rewriting, Usurpation: Discursive Fights over Religious Traditions in Antiquity, bei: http:// relnorm.au.dk/en/may2010conf/video/monday31may/. Vgl. dazu die Texte aus Qumran. Vgl. dazu den Beitrag von U. Mittmann in diesem Band. Solche Spaltungen bezeugen die Johannesbriefe. Vgl. auch die Unterschiede in der Terminologie der aVqesir zwischen dem negativen ethischen Gebrauch bei Paulus (1 Kor 11,19 und Gal 5,20) und der neutralen Verwendung in der Apostelgeschichte (5,17 u. ç.). Hier ist die „Partei“ weder falsch noch bçse, sondern einfach ein Begriff fr bekannte Gruppierungen: Phariser, Sadduzer, Nazarer.
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Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi
Platon finden, wie sie – selbst in hochpolemischer Form – im Jakobusbrief und in der Bergpredigt formuliert wird und wie sie in wissenschaftlichem Kontext in der neueren neutestamentlichen Antijudaismusforschung verbreitet ist, kann – wie schon erwhnt – unter den Bedingungen historischer Forschung nur im Bewusstsein dieser thematischen und historischen Horizonte diskutiert werden. Dabei erweisen sich Fragestellungen des sog. ethical turn in den Geistes- und Kulturwissenschaften als hilfreich41. Beispielsweise macht eine historische Analyse des gesamten antiken Phnomens des Antijudaismus die mçglichen Folgen einer berzogenen literarischen Polemik gegen „das Fremde“oder „das Andere“deutlich, indem die Polemik Formen kultureller Aggression zugeordnet wird, die ins gesellschaftlichPolitische umschlugen und in Pogromen und Vernichtungskriegen kulminierten. Das gilt in besonderem Maße fr Polemik gegen ethnische und religiçse Alteritt, kaum fr philosophische und literarisch-kulturelle Polemik. Insofern haben wir es bei unserm Thema nicht nur mit antiken Bildungswelten zu tun42, sondern mit der Zndkraft religiçser Polemik. Dass diese Zndkraft den neutestamentlichen Schriftstellern bis zu einem gewissen Grade durchaus bewusst war, zeigt die schon erwhnte Polemik des Jakobusbriefes gegen frhchristliche Lehrer, dessen wtende Angriffe gegen Reiche und gegen theologische Lehrer („die Zunge“) aus der Angst vor der trennenden und als ethisch gefhrlich empfundenen theologischen Lehre hervorgeht, dann aber wieder verblfft, wenn man sie mit der strengen Sprachethik des Briefes vergleicht, die Aggression gerade verbietet. Analoges gilt fr das Matthusevangelium. So ist die Polemik selbst bereits von Anfang an im Frhen Christentum vorhanden und gleichzeitig Gegenstand polemischer Auseinandersetzung.
4. Perspektiven Die hier gesammelten Beitrge zur Polemik im Neuen Testament machen deutlich: Die Polemikforschung ist ein offenes Feld und nach vielen Seiten anschlussfhig. Das mçchte ich fr drei Bereiche skizzieren.
41 Vgl. dazu: ,Ethical Turn‘? Geisteswissenschaften in neuer Verantwortung, hg. von Ch. Lubkoll und O. Wischmeyer. 42 Vgl. dazu den Beitrag von P. von Moellendorff in diesem Band.
Einfhrung
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Die Geschichte des Frhen Christentums Bisher wurde die Polemik der neutestamentlichen Schriften vor allem im Zusammenhang der „Gegner“-Frage wahrgenommen. Seit der Studie von Dieter Georgi zu den Gegnern des Paulus im 2. Korintherbrief 43 diente die Frage nach den Gegnern als methodischer Schlssel zur Vervollkommnung des einseitigen Bildes, das Paulus in seiner Korrespondenz von seiner Mission, seinen Gemeinden und fremden Missionaren zeichnet. Durch die Frage nach den Gegnern wurde aus einem Monolog ein Dialog, Diskurse ließen sich rekonstruieren, und das Bild gerade von der paulinischen Mission gewann perspektivische Tiefe. Das sog. mirror-reading – von Richard Bauckham durchaus kritisch apostrophiert – wurde auch auf die Evangelien angewandt, und Texte wie das Matthusevangelium oder der Jakobusbrief erhalten durch die Hypothese, sie setzten sich polemisch mit Paulus auseinander, historische Konturen und Tiefenschrfe44. Die Analyse der Polemik stand und steht also weitgehend im Dienst der Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums und soll den sprach- und literaturlosen Missionaren und Gemeindeleitern Kontur und Stimme geben. Das gilt auch fr die Sptschriften des Neuen Testaments. Nun fgen sich mehrere Beitrge des vorliegenden Bandes nicht mehr in dies Forschungsparadigma ein. Mindestens Manuel Vogel, Eve-Marie Becker, Tor Vegge, Gerd Hfner und Oda Wischmeyer diagnostizieren in den Texten, aus deren Polemik bisher gegnerische Profile rekonstruiert wurden, so etwas wie eine weitgehende Abwesenheit eines „Gegners“. Sie verstehen die Polemik ihrer – sehr unterschiedlichen – Texte eher im Zusammenhang von Identittssicherung als von realer Gegnerbekmpfung. Damit tritt die propositionale theologische Dimension der polemischen Texte strker in den Vordergrund, whrend die konkrete historische Dimension blasser und unsicherer wird. Die Pragmatik der Texte muss daher neu bestimmt werden. Die polemischen Texte erhalten damit fr einige der Beitrger wieder eher Text- als Quellencharakter, andere Beitrger wie G. Theißen und D. Sim dagegen lesen das Matthusevangelium durchaus als historische Quelle und rekonstruieren die gegnerischen Fronten der ,Matthusgemeinde‘45 – die Frage, ob es diese gab, muss aber weiterhin erlaubt sein – aus der Polemik des Evangeliums. Hier erçffnet unser Band neue historische und methodische Fragestellungen. Wenn die rhetorische Strategie und die literarische Qualitt 43 Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief. 44 Vgl. dazu die Beitrge von G. Theißen, D. Sim und O. Wischmeyer in diesem Band. 45 Vgl. dazu zuletzt Sim, Reconstructing the Social and Religious Milieu of Matthew.
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der polemischen Texte des Neuen Testaments ernstgenommen wird, muss die Methode der Rekonstruktion von „Gegnern“ oder jedenfalls „anderen“ Konzeptionen aufgrund polemischer ußerungen in Briefen und Evangelien berprft werden. In diesem Zusammenhang ist die weitgehende Anonymitt der Polemik wichtig: Zeigt sie ein ethisches Defizit – Hinterhltigkeit, Demut oder verdecktes Machtstreben bieten sich hier als ethische Deutungsmuster an – , oder wie weit kçnnte sie ein Hinweis auf fehlende reale „Gegner“ sein und msste dann eher als Ausdruck theologischer Selbstvergewisserung interpretiert werden? Damit stellt sich auch noch einmal die Frage nach einer mindestens impliziten dialogisch-polemischen Struktur der Texte: Sind sie unter Umstnden mindestens partiell eigentlich eher monologisch zu lesen? Die Denk- und Argumentationsformen des Frhen Christentums In der exegetischen Arbeit der letzten Generation wurde vor allem das Phnomen des Antijudaismus in den polemischen Texten des Neuen Testaments einer notwendigen kritischen Analyse unterzogen, die ihre Maßstbe aus der gegenwrtigen politischen Ethik bezog. Die hier versammelten Aufstze weiten diese Perspektive aus. Wir mssen weiter fragen: In welcher Weise ist die Denk- und Argumentationsform der Polemik mit dem frhen Christentum, ja mit dem Christentum berhaupt verbunden? Und wie soll diese Denkform charakterisiert werden? Im Zusammenhang der schon genannten historischen Identittsforschung einerseits und dem neuen Interesse an Polemik und Apologetik im Kampf um die Auslegung religiçser Texte46 andererseits gibt es weiterreichende Tendenzen, die religiçse Polemik in toto als Ausdruck von Intoleranz zu interpretieren, ihr Drngen auf Klrung, Definition und Abgrenzung einem dezisionistischen und machtbesessenen Weltverstndnis zuzuschreiben47 und damit zugleich die propositionalen theologischen Aussagen, denen die Polemik auch dient, als unerheblich einzustufen, da die Polemik als ethisch minderwertig gilt. Diese berlegungen fordern in der Tat die Sachkritik an jenen neutestamentlichen 46 Vgl. dazu zuletzt: Critique and Apologetics. Jews, Christians and Pagans in Antiquity. Ed. by A.-C. Jacobsen, J. Ulrich, D. Brakke; The Discoursive Fight over Religious Texts in Antiquity, ed. by A.-C. Jacobsen. 47 Vgl. dazu den Beitrag von D. Boyarin auf der Konferenz der Universitt Aarhus, s. o. Anm. 37. Hier muss die grundstzliche Kritik F. Nietzsches am Dogmatismus von Philosophie und Theologie bzw. Religion ebenso bedacht werden wie die Machtdiskurse der franzçsischen Dekonstruktivisten.
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Texten heraus, deren Polemik destruktiv ist48. Wichtiger noch ist eine weitergehende kritische Auseinandersetzung mit dem Gesamtgefge der genannten Denkformen von Definitionen, Antithesen und binren Oppositionen, in deren Zusammenhang die neutestamentliche Polemik gehçrt. Hier ist der Brckenschlag zur Polemik als theologischer Denk- und Argumentationsform der Alten Kirche entscheidend wichtig. Polemik als theologische Denk- und Argumentationsform dient den Kirchenschriftstellern und ihren Gegnern gleichermaßen als Instrument kritischer Bemhung um theologische Wahrheit. Die Grundlagen fr diese berzeugung finden die Kirchenschriftsteller im Neuen Testament. Diese Thematik stellt ein eigenes Arbeitsfeld zwischen antiker Philosophiegeschichte, neutestamentlicher Wissenschaft, Judaistik, Patristik, Kirchengeschichte und theologischer Ideengeschichte dar. So konsequent die hier gesammelten Beitrge die neutestamentliche Polemik in ihre allgemeinen literarischen und kulturellen Kontexte stellen, kann aber nicht bersehen werden, dass wir es bei den Texten des Neuen Testaments mit religiçsen Texten zu tun haben, die selbst einen hohen Anspruch an die Sprachethik stellen. Daher wirft jede Beschftigung mit der neutestamentlichen Polemik die Frage auf: Ist religiçse Polemik notwendig? Oder: Kann es eine irenische Theologie geben, die doch nicht auf begriffliche und sachliche Trennschrfe verzichtet? Weder die Apologeten noch Augustinus htten diese Frage bejaht, aber die polemische Sprache und Argumentation des Hieronymus macht auch die Schwche der Polemik in der Hand von christlichen Theologen deutlich. Die literarische Qualitt der polemischen Texte des Neuen Testaments Die kulturelle Form polemischer Rede verbindet die frhchristlichen Texte mit der literarischen und philosophischen agonalen Kultur ihrer Zeit und ihren Kommunikationsregeln und -strukturen. Nur entsprechende Vergleiche49 kçnnen die Eigenart neutestamentlicher Polemik konturieren. Die Frage, die Tessa Rajak an Justins Dialog mit dem Juden Tryphon richtet50, wie weit in dieser Schrift berhaupt dialogisch argumentiert werde, lsst sich auch als Anfrage an neutestamentliche polemische Texte interpretieren, 48 Vgl. dazu die berlegungen zur Normativitt der Polemik in dem Beitrag von L. Scornaienchi in diesem Band. 49 Vgl. dazu die Beitrge von S. Koster und P. von Moellendorff in diesem Band. 50 S.o. Anm. 37.
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wieweit hier nmlich berhaupt Polemik im Sinn eines gleichsam fairen Streites mit einem klaren Gegner, dessen Position deutlich ist, vorliegt51. Viele der in dem vorliegenden Band gesammelten Beitrge weisen auf die polemischen Defizite ihrer Texte gerade an diesem Punkt ,fairer Polemik‘ hin. Literarische Vergleiche zeigen aber, dass in der griechisch-rçmischen Antike das agonale Denken und Argumentieren im dialogisch-polemischen Sinn jenseits philosophischer Schuldebatten52 nur selten wirklich zustande kam. Das fehlende rçmische Echo auf Josephus‘ Schrift Contra Apionem belegt dasselbe Defizit, das fr neutestamentliche Texte deutlich wird, auch fr die gebildete kaiserzeitliche Literatur53. Polemik als Teil einer dialogischen und sachlichen Bemhung um Wahrheit erweist sich stets als ungemein schwere kommunikative und hermeneutische Aufgabe, unabhngig von den historischen und kulturellen Kontexten54. Neben der Kommunikationsforschung behlt die hermeneutische Frage nach der Mçglichkeit des Verstehens berhaupt in der historischen Brechung der antiken Verstehensmçglichkeiten ihren eigenen Platz. Im Rahmen unseres Themas mndet die Frage, wieweit faire Polemik in dem kommunikativen und hermeneutischen Kontext der Antike mçglich war, in die grçßere Fragestellung nach dem Umgang mit ethnischer und religiçser Alteritt innerhalb und außerhalb der jeweils eigenen Religion.55
5. Ausblick Zum Schluss bedanken wir uns bei allen Beitrgerinnen und Beitrgern, die den Band zu dem gemacht haben, was er hoffentlich ist: einem Neuanstoß fr eine vertiefte Beschftigung mit dem Phnomen der Polemik im Frhen Christentum und seiner kulturellen und religiçsen Umwelt. Wir bedanken uns bei Herrn Dr. Oliver Gußmann und Frau Nina Irrgang M.A., die die 51 Vgl. dazu die kritischen berlegungen von L. Scornaienchi zur agonalen Potenz der markinischen Streitgesprche in diesem Band. 52 T. Rajak weist auf Cicero hin (mndlicher Hinweis). 53 Vgl. dazu Wischmeyer, Criticism of Judaism in Greek and Roman Sources: Charges and Apologetics. 54 Vgl. die grundlegende Problematisierung erfolgreicher Kommunikation bei N. Luhmann (s. o. Anm. 13). 55 Ein verwandtes Feld stellt die Freundschaftsforschung dar. Dazu Rebenich, Freund und Feind bei Augustin. Rebenich (30 f. mit Anm. 125) verweist auf die Kritik J. Assmanns an der ,mosaischen Unterscheidung‘ und ihre theologischen Implikationen hin.
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Manuskriptherstellung (N. Irrgang) und die Herstellung der Register56 (O. Gußmann) in großer Selbstndigkeit und Zuverlssigkeit bernommen haben, sowie bei dem de Gruyter-Verlag fr die wie immer ausgezeichnete Zusammenarbeit. Dem Herausgeberteam von BZNW danken wir fr die Mçglichkeit, den Sammelband in diesem Umfang zu publizieren. Schließlich gebhrt der Universitt Erlangen-Nrnberg Dank fr die namhafte finanzielle Untersttzung der Tagung und der Publikation.
Literatur Assmann, J., Die mosaische Unterscheidung und der Preis des Monotheismus, Mnchen/Wien 2003. Bauer, W., Griechisch–deutsches Wçrterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frhchristlichen Literatur, Berlin/New York 19886. Cameron, A., Palladas and Christian Polemic, in: The Journal of Roman Studies 55 (1965), 17 – 30. Critique and Apologetics. Jews, Christians and Pagans in Antiquity, ed. by A.-Ch. Jakobsen, J. Ulrich and D. Brakke, Frankfurt am Main 2009. Die Spruchquelle Q. Studienausgabe. Griechisch und Deutsch. Hg. und eingeleitet von P. Hoffmann und C. Heil, Darmstadt/Leuven 2002. Dinkler, E., Dinkler-von Schubert, E., Art. Friede, in: RAC 8 (1972), 434 – 505. ,Ethical Turn‘? Geisteswissenschaften in neuer Verantwortung, hg. von C. Lubkoll und O. Wischmeyer, Mnchen 2009. Georgi, D., Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief, Studien zur religiçsen Propaganda in der Sptantike (WMANT 11), Neukirchen-Vluyn 1964. Luhmann N., Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, in: ders., Soziologische Aufklrung. Band 3: Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen 1981. Rebenich, S., Freund und Feind bei Augustin und in der christlichen Sptantike, in: Die christlich-philosophischen Diskurse der Sptantike: Text, Personen, Justitutium, hg. von Th. Fuhrer (Philosophie der Sptantike 28), Stuttgart 2008, 11 – 31. Rçwekamp, G., Art. Antijudaistische Dialoge, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur (20023), 41 f. Schfer, P., Judeophobia. Attitudes towards the Jews in the Ancient World, Cambridge 1997. Schleichl, S.P., Art. Polemik, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 3 (2003), 117 – 120. Sim, D.C., Reconstructing the Social and Religious Milieu of Matthew: Methods, Sources, and Possible Results, in: Matthew, James, and Didache. Three Related 56 Wir haben uns fr text- und problemnahe Einzelbibliographien am Ende jedes Beitrags entschieden und auf eine verdoppelnde Endbibliographie verzichtet.
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Documents in Their Jewish and Christian Settings, ed. by H. van de Sandt and J. Zangenberg, Atlanta 2008, 13 – 32. Speyer, W., Art. Polemik, in: DNP 10 (2001), 3 – 5. Stauffer, H., Art. Polemik, in: HWRh 6 (2003), 1403 – 1415. Stern, M., Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, 3 volumes, Jerusalem 1976 – 1984. The Discoursive Fight over Religious Texts in Antiquity. Religion and Normativity, ed. by A.-C. Jacobsen, Aarhus 2009. Wischmeyer, O., Criticism of Judaism in Greek and Roman Sources: Charges and Apologetics (Second Century BC to Second Century AD) in: Critique and Apologetics. Jews, Christians and Pagans in Antiquity, ed. by A.-Ch. Jakobsen, J. Ulrich and D. Brakke, Frankfurt am Main 2009, 59 – 84. Wischmeyer, O., Die paulinische Mission als religiçse und literarische Kommunikation, in: Die Anfnge des Christentums, hg. von F.W. Graf und K. Wiegandt, Frankfurt am Main 2009, 90 – 121.
Teil 1: Grundlagen und Kontexte aus der Literatur Israels und der griechisch-rçmischen Antike
Zu Form, Sitz im Leben und Funktion prophetischer „Kritik“. Beobachtungen zu den von einem rb Jahwes sprechenden Texten der alttestamentlichen Prophetie Hans-Christoph Schmitt 1. Zwischen vorexilischer alttestamentlicher Prophetie und neutestamentlicher Rezeption Als „Alter Marburger“ darf ich mit einem Zitat von Rudolf Bultmann beginnen. In dem Streitgesprch ber Rein und Unrein in Kap. 7 des Markusevangeliums (Mk 7,1 – 23par.) nimmt Jesus (Mk 7,6 – 7) Bezug auf die Kritik der alttestamentlichen Prophetie am Gottesvolk, und zwar auf das „Scheltwort“ Jes 29,131, das hier in der LXX-bersetzung2 wiedergegeben wird: Dies Volk ehrt mich mit seinen Lippen, ihr Herz ist aber weit weg von mir. Nichtig verehren sie mich mit ihren Lehren von Menschengeboten.3
Rudolf Bultmann interpretiert in seiner Monographie ber „Jesus“ diese Aufnahme der alttestamentlichen prophetischen Kritik an den Menschengeboten als Kritik Jesu4 an der formalen Autoritt des Gesetzes: „Die ußeren 1
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Im hebrischen Masoretischen Text lautet das Prophetenwort Jes 29,13: „Weil sich dieses Volk (nur) mit seinem Munde naht und mich (nur) mit seinen Lippen ehrt, whrend sein Herz fern von mir ist (zur bersetzung vgl. Kaiser, Der Prophet Jesaja Kap. 13 – 39, 217) und ihre Furcht vor mir zu (bloß) angelernter Menschensatzung wurde“ (zur bersetzung vgl. H. Wildberger, Jesaja 3, 1118). Die Septuaginta-bersetzung von Jes 29,13 („dies Volk naht sich mir, sie ehren mich mit ihren Lippen, aber ihr Herz ist weit weg von mir, vergeblich verehren sie mich, sie lehren Menschengebote und -lehren“) liegt in Mk 7,6 – 7 in einer leicht gekrzten Fassung vor. bersetzung nach Bultmann, Jesus, 55. Bultmann, Jesus, 55, weist zu Recht darauf hin, dass diese Streitgesprche „im einzelnen ihre Formulierung erst durch die Gemeinde erhalten“ haben. Trotzdem meint er feststellen zu kçnnen, dass „in diesem Punkt das Verhalten der Gemeinde das beste Zeugnis fr die Lehre Jesu“ ist.
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Reinigungsgebruche werden mit diesem Zitat aus dem Propheten Jesaja als Heuchelei bezeichnet […]. In solcher Polemik5 will Jesus offenbar nur eine bestimmte schriftgelehrte Deutung der alttestamentlichen Schrift treffen. Tatschlich trifft er damit […] das Alte Testament selbst als formale Gesetzesautoritt […] Was Gottes Wille ist, wird also nicht von einer ußeren Autoritt gesagt, […] sondern es wird dem Menschen zugetraut und zugemutet, selbst zu sehen, was von ihm gefordert ist. Gottes Forderungen gelten also als einsichtig“.6 Die Jesustradition knpft somit an die Kritik der alttestamentlichen Prophetie an. In Aufnahme des von Bultmann aufgeworfenen Problems ist dabei allerdings die Frage zu diskutieren, in welchem Verhltnis diese prophetische Kritik zur Autoritt der alttestamentlichen Tora steht. Der lange Weg, den die berlieferung von der Kritik der Prophetie zwischen der Verkndigung der Propheten und ihrer Rezeption im Neuen Testament zurckgelegt hat, kann dabei natrlich nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Vielmehr soll nach zentralen berlieferungsstationen auf dem Weg von der vorexilischen mndlichen Verkndigung zu den nachexilischen Prophetenbchern gefragt werden. Dabei kann hier nicht nur – wie vor einem halben Jahrhundert – die gattungs- und berlieferungsgeschichtliche Fragestellung nach den ,Kleinen Einheiten‘ der mndlichen prophetischen Verkndigung im Mittelpunkt stehen. Vielmehr muss diese verbunden werden mit der literar- und redaktionsgeschichtlichen Frage nach dem nachexilischen Redaktionsprozess der Prophetenbcher.7 Dabei ist vor allem auch danach zu fragen, wie sich im Rahmen der Herausbildung des Kanons der Prophetenbcher das Verhltnis von Prophetie und Autoritt der Tora entwickelt. 5
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„Polemik“ meint im Zusammenhang der prophetischen Botschaft nicht eine unsachliche Auseinandersetzung, sondern vielmehr eine in kmpferischer Form zum Ausdruck gebrachte grundstzliche Kritik. Da kaum eindeutig zu entscheiden ist, wo prophetische Kritik in „Polemik“ bergeht, wird im Folgenden nur von prophetischer „Kritik“ gesprochen. Wir konzentrieren uns jedoch auf die Form der prophetischen Kritik, die sich der Gattungen der gerichtlichen Anklagerede (rb) bedient. Bultmann, Jesus, 55 f. (Kursivsetzungen von mir, HCS). Vgl. zu dieser Umorientierung der Prophetenforschung u. a. Schmid, Klassische und nachklassische Deutungen der alttestamentlichen Prophetie; auch Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, Band 2, 27 f.; Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, 308 f.; Wanke, „Nimm dir eine Buchrolle und schreibe darauf alle Worte, die ich zu dir ber Israel und Juda und ber alle Vçlker gesprochen habe“ (Jer 36,2).
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2. Gegenstand und Maßstbe der alttestamentlichen prophetischen Kritik Beim Blick auf die soeben angesprochene berlieferungs- und Redaktionsgeschichte der prophetischen Texte muss daher mit einem komplexen Verstndnis des „Sitzes im Leben“, auf den sich diese prophetische berlieferung bezieht, gerechnet werden. Teils sind noch die alten prophetischen berlieferungen zu rekonstruieren, die die im Rahmen der mndlichen prophetischen Verkndigung gebte Sozial- und Kultkritik an der vorexilischen Jahwegemeinde wiedergeben. Teils muss fr prophetische Texte jedoch auch mit einem Sitz im Leben in nachexilischer redaktioneller Schriftgelehrsamkeit gerechnet werden. Strittig ist, woher die Prophetie ihre Normen genommen hat. Mein Marburger Lehrer Ernst Wrthwein hat vor fnfzig Jahren die These vertreten, dass bereits die vorexilischen Schriftpropheten auf fixiertes Jahwerecht zurckgegriffen htten.8 Die These erweist sich insofern als problematisch, als die Sammlung des alttestamentlichen Rechts (wie beispielsweise der Rechtsstze des Bundesbuches) wahrscheinlich erst nach dem Aufkommen der Schriftprophetie vorgenommen wurde.9 Whrend sich so die Wrthweinsche These fr die vorexilische Zeit nicht bewhrt, drfte Wrthwein fr die nachexilischen redaktionellen prophetischen Texte Recht haben. Damit sttzt sich die prophetische Kritik der vorexilischen Zeit offensichtlich auf andere Normen als die der nachexilischen Zeit. Whrend die prophetischen Texte der nachexilischen Zeit sich an der – vor allem im Gottesdienst weitergegebenen – heilsgeschichtlichen und gesetzlichen Tradition orientieren, sind die Normen der vorexilischen Zeit noch nicht einer fest fixierten Tradition entnommen.
3. Die Gattungen der alttestamentlichen prophetischen Kritik Entsprechend zeigen sich Unterschiede zwischen der vorexilischen und der exilisch-nachexilischen Prophetie auch im Gebrauch der Redegattungen, in denen die prophetische Kritik geußert wird: So bezieht sich die Kritik der 8 9
Vgl. u. a. Wrthwein, Amos-Studien (1949/50). Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Bundesbuches u. a. Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments Band 1, 81 f.; Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, 294 f.
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vorexilischen Schriftprophetie auf konkrete soziale, politische und kultische Vergehen des Gottesvolkes. Sie findet sich daher in Prophetensprchen, die als „Scheltworte“10 bzw. „Schuldaufweise“ bezeichnet werden und meist als Begrndung fr konkrete, auf die nahe Zukunft bezogene Unheilsweissagungen gebraucht sind. Demgegenber verlieren diese Schuldaufweise gegen Israel bei der nachexilischen Redaktion der Prophetenbcher ihren konkreten historischen Bezug. Sie werden vielmehr eingeordnet in die Vorstellung eines universalen Weltgerichts, die sich vor allem am sog. dreigliedrigen eschatologischen Schema des Aufbaus der Prophetenbcher11 zeigt: Nach diesem Schema wird dem Gericht ber das Gottesvolk Jahwes Gericht ber die Vçlker und vor allem schließlich Jahwes Durchsetzung von Heil folgen. In diesem redaktionellen Rahmen erhalten die Schuldaufweise der vorexilischen Propheten meist die Funktion von Mahnungen, wie das zuknftige Heil zu erlangen sei.
4. Die Gattungen der Gerichtsrede Bei der Formulierung des prophetischen Schuldaufweises macht die Prophetie nun Anleihen bei nichtprophetischen Redegattungen: Am bekanntesten sind die Anleihen bei der Totenklage, wie sie sich in den prophetischen „Wehe“-Worten (vgl. besonders Jes 5,8 ff.) bzw. in den prophetischen Leichenliedern (vgl. besonders Am 5,1 – 2) zeigen.12 Besonders zu behandeln sind hier die Anleihen bei Redeformen der Gerichtsbarkeit. Dabei sind wieder die Unterschiede zwischen den vorexilischen Propheten und den nachexilischen Redaktoren der Prophetenbcher zu beachten. So greifen die vorexilischen Propheten auf Gattungen der profanen „Tor“-Gerichtsbarkeit zurck, whrend die nachexilischen Redaktoren der Prophetenbcher sich an theologischen Gerichts-Konzeptionen orientieren. Genauer untersucht werden soll hier die Gattung der Ge10 Zu „Scheltwort“ vgl. Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, Band 2, 24; Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, 304 f. Zu Scheltwort als Begrndung fr die Unheilsankndigung vgl. auch Jeremias, Kultprophetie und Gerichtsverkndigung in der spten Kçnigszeit Israels, 152. 11 Vgl u. a. Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, Band 2, 81 f. ; Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, 308 f. 12 Zu Wehewort und Leichenlied vgl. Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, 305.
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richtsrede, in der von einem rb (einer Anklage) Jahwes die Rede ist und deren wichtigste alttestamentlichen Beispiele im Folgenden kurz vorzustellen sind.13 Dabei hat Wrthwein14 wahrscheinlich gemacht, dass die Grundbedeutung von rb „Streit, Beschwerde“ ist. Im gerichtlichen Bereich erhlt das Substantiv dann die Bedeutung „Anklage“15 und in entsprechender Weise das Verbum rb die Bedeutung „Anklage erheben“.16 Doch rumt Wrthwein gleichzeitig ein17, dass in zahlreichen Belegen rb im gerichtlichen Bereich auch den Prozess als ganzen18 bezeichnen kann. Des Weiteren vertritt Wrthwein die These, dass sich diese Gerichtsreden aus einer gottesdienstlichen Gerichtsrede Jahwes herleiten, wie sie u. a. in Ps 50 bezeugt ist19. Fr die Herkunft aus einer im Gottesdienst tradierten Gerichtstheologie kçnnte sprechen, dass bei einigen dieser Gerichtsreden bundestheologische Vorstellungen vorausgesetzt werden. In der Mitte des letzten Jahrhunderts nahm man dabei an, dass eine solche Bundestheologie bereits vorexilisch im Bereich des Kultes existiert habe20. Die neuere Forschung21 hat jedoch wahrscheinlich gemacht, dass sich die Bundestheologie nach Anfngen im 7. Jh. v. Chr. erst in exilisch-nachexilischer Zeit in Auseinandersetzung mit Vorstellungen der altorientalischen Staatsvertrge entwickelt hat. So spricht einiges dafr, dass in den prophetischen rb-Texten aus exilisch-nachexilischer Zeit eine solche Bundestheologie vorliegt, wie sie u. a. in Psalmen mit einem kultischen Sitz im Leben belegt ist, whrend in der lteren prophetischen Tradition ein solcher Bundesbezug noch nicht vorausgesetzt wird. 13 14 15 16
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Vgl. besonders Nielsen, Yahwe as Prosecutor and Judge. Der Ursprung der prophetischen Gerichtsrede (1950/1952), 114 Anm. 1. Ebd. Vgl. hnlich Limburg, The Root rb and the Prophetic Lawsuit Speeches. Vor allem gilt dies bei Konstruktionen mit den Prpositionen be (anklagen gegen) und el (anklagen vor); vgl. dazu auch Boecker, Redeformen des Rechtslebens im Alten Testament, 54 Anm. 2. Wrthwein, Der Ursprung der prophetischen Gerichtsrede (1950/1952), 114 f. So vor allem Begrich, Studien zu Deuterojesaja, 31. Wrthwein, Der Ursprung der prophetischen Gerichtsrede (1950/1952), 120 – 126. Vgl. hnlich Nielsen, Yahwe as Prosecutor and Judge, 38 – 61. Vgl. u. a. Wrthwein, Der Sinn des Gesetzes im Alten Testament (1958), in: ders., Wort und Existenz, Gçttingen 1970, 39 – 54, besonders 46 – 52. Vgl. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament; Kutsch, Verheißung und Gesetz; Gertz, Art. Bund II. Altes Testament; Otto, Der Ursprung der Bundestheologie im Alten Testament; Levin, Die Entstehung der Bundestheologie im Alten Testament; Koch, Vertrag, Treueid und Bund.
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Das, was wir in den Abschnitten 1 – 4 zu den Entwicklungen von vorexilischer zu nachexilischer Prophetie mehr oder weniger thetisch festgestellt haben, soll im Folgenden anhand der Gerichtsreden, die von einem rb, einer Anklage Jahwes sprechen, verifiziert werden. Wir beginnen dabei unter 5. mit Gerichtsreden, in denen Jahwe als Anklger und Richter Israels auftritt. Bei ihnen kann vermutet werden, dass sie teilweise auf vorexilische alte prophetische berlieferung zurckgehen. Unter 6. untersuchen wir die Gerichtsreden, in denen Jahwe seine Anklagen gegen Israel mit einer Verteidigungsrede verbindet. Im Hintergrund dieser Verteidigungsreden drfte der Vorwurf Israels stehen, Jahwe habe in den Katastrophen der Exilszeit sein Volk vernachlssigt. Danach thematisieren wir unter 7. die Gerichtsreden, in denen Jahwe als universaler und allmchtiger gerechter Richter ber die Vçlker bzw. ihre Gçtter erscheint. Abschließend wird dann noch kurz auf die Rezeption der prophetischen Vorstellung von Jahwes Anklage gegen Israel in der nichtprophetischen Literatur des Alten Testaments einzugehen sein, wie dies beispielsweise im Hiobbuch und in den Psalmen geschieht. Als Beispiel fr eine solche Rezeption soll hier Ps 50 betrachtet werden.
5. Jahwe als Anklger Israels 1. Die ltesten prophetischen Belege fr die Vorstellung eines gerichtlichen Eingreifens Jahwes stellen Jahwe als Anklger und Richter dar. Wir beginnen mit Hos 12,3 – 15*. Der vorliegende Text stammt zwar aus der Zeit nach der Eroberung Judas durch die Babylonier im Jahre 587 v. Chr., wie u. a. der Bezug der Gerichtsbotschaft auf Juda in V. 3a zeigt. Dass als Angeklagter jetzt Juda statt dem sonst in dieser Einheit berall vorausgesetzten Israel/ Jakob genannt wird, geht wohl auf eine judische Redaktion des Hoseabuches22 zurck. Auch sonst weist Hos 12 zahlreiche Redaktionsspuren auf. Doch kann man nach deren Beseitigung noch einen Prophetenspruch der alten Hoseatradition rekonstruieren. Im Kern dieses alten Prophetenspruches von Hos 12,3 – 15*23 wird offensichtlich eine gerichtliche Anklage nachgeahmt. Dabei erhebt Jahwe eine Anklage, die das Nordreich Israel in seinem Reprsentanten Jakob bzw. Ephraim kritisiert: 22 Vgl. dazu Jeremias, Der Prophet Hosea, 18 und 152. 23 Zur Abgrenzung Hos 12,3 – 15* vgl. Westermann, Grundformen prophetischer Rede, 143.
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3 Eine Anklage (rb) hat Jahwe gegen ,Israel‘. Er wird Jakob heimsuchen (pqd) nach seinem Wandel und ihm vergelten nach seinen Taten. 4 Er hat schon im Mutterleibe seinen Bruder betrogen und in seiner Manneskraft mit Gott gekmpft. […] 8 Wie ein Kanaaner, in dessen Hand falsche Waage ist, der liebt zu betrgen, 9 sprach Ephraim: Wie bin ich reich geworden, wie habe ich fr mich Vermçgen gefunden! Bei all meinen Erwerbungen wird man keine Schuld an mir finden, die Snde wre […] 15 So hat Ephraim ihn (Jahwe) bitter erzrnt […]
In V. 15b geht dann die Anklage in das Strafurteil des Richters Jahwe ber: […] darum wird sein Herr seine Blutschuld ber ihn bringen, und wird ihm vergelten seine Schmhung.
Beachtenswert ist, dass die Kritik am Nordreich Israel und seinen Reprsentaten Ephraim bzw. Jakob sich im Wesentlichen auf Sozialkritik beschrnkt: Jakob/Ephraim begeht Betrug am Bruder und wird aufgrund des Betruges und der Ausbeutung seiner Mitbrder reich, ohne dies als Schuld zu empfinden.24 2. Um eine Anklagerede Jahwes geht es auch in Jes 3,13 – 15.25 Jahwe tritt auf, um Anklage zu erheben (rb), und steht da, die Vçlker zu richten (dn). In der vorliegenden Form von Jes 3,13 wird die Anklage Jahwes einem Vçlkergericht zugeordnet. Jes 3,13 mit seiner Vorstellung vom Vçlkergericht steht dabei allerdings im Widerspruch zu der Auffassung von 3,14, die nur mit einem Gericht ber die Oberschicht des Gottesvolkes rechnet. 3,13 drfte daher teilweise auf einen nachexilischen Redaktor des Jesajabuches zurckgehen,26 zu dem ich unten unter 7. noch Genaueres sagen werde. Die
24 Anders Pfeiffer, Das Heiligtum von Bethel im Spiegel des Hoseabuches, 68 – 100, der als Grundschicht von Hos 12* einen in der Exilszeit entstandenen Text rekonstruiert. 25 Zur Abgrenzung Jes 3,13 – 15 vgl. u. a. Wildberger, Jesaja. 1.Teilband, 131 – 134; Hçffken, Das Buch Jesaja. Kapitel 1 – 39, 55 f. Demgegenber grenzt Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kap. 1 – 12, 83, Jes 3,12 – 15 ab. Ebenso Kilian, Jesaja 1 – 12, 35 – 36, der allerdings nur V. 14 – 15 als jesajanisch ansieht. 26 Hçffken, Das Buch Jesaja. Kapitel 1 – 39, 55 f. Vgl. auch Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kap. 1 – 12, 83 Anm. 5.
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vorgegebene Einheit aus der alten Jesajatradition27 findet sich dann im Gerichtswort gegen die Oberschicht von Juda, wobei Jahwe die Angeklagten in 2. Pers. anredet: 14b Ihr habt den Weinberg abgeweidet, und was ihr den Armen geraubt, ist in euren Husern. 15 Warum zertretet ihr mein Volk und zerschlagt das Angesicht der Armen? Spruch des Herrn Jahwe Zebaoth.
Inhalt der Anklage sind somit soziale Verfehlungen der Oberschicht, der offensichtlich das Gericht Jahwes gilt: Dabei wird in sehr konkreter Weise28 zwischen der Oberschicht und dem unterdrckten Volk, das durch die Oberschicht zertreten wird, unterschieden. 3,14 spricht daher auch nur von dem bevorstehenden Strafgericht ber diese Oberschicht von ltesten und Frsten:29 Jahwe geht ins Gericht (misˇpat¸) mit den ltesten seines Volks und mit seinen Frsten.
Eine hnliche Anklage gegen Juda und Jerusalem findet sich im Weinberglied Jes 5,1 – 730, das ebenfalls auf alte Jesajaberlieferung zurckgehen drfte. Ich kann mich dabei auf den Kommentar meines verstorbenen Augsburger Kollegen Rudolf Kilian berufen, der m. E. die berzeugendste Differenzierung zwischen alter Jesajatradition und jngeren berlieferungen des Jesajabuches vorgenommen hat. In einer Parabel, die von der Enttuschung eines Weinbergbesitzers angesichts seines unfruchtbaren Weinbergs erzhlt31, klagt Jahwe sein Volk an: Im Einzelnen wirft Gott auch hier seinem Volk und dabei vor allem dessen Oberschicht konkrete soziale Vergehen vor und moniert Blutvergießen statt Recht und Geschrei der Rechtlosen statt Gerechtigkeit (V. 7). Ebenso konkret wird die bevorstehende Zerstçrung von Juda und Jerusalem angekndigt (V. 5 – 6). 27 Zur Zugehçrigkeit von Jes 3,14 f. zur alten Jesajatradition vgl. Kilian, Jesaja 1 – 12, 36. 28 Vgl. Hçffken, Das Buch Jesaja. Kapitel 1 – 39, 55 f. 29 Zu der hier vorausgesetzten Doppelrolle Jahwes als Anklger und Richter vgl. Nielsen, Yahwe as Prosecutor and Judge, 30 f. 30 Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, Band 2, 34 (vgl. schon Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kap. 1 – 12, 99 f.) hlt das Weinberglied Jes 5,1 – 7 zwar nicht fr jesajanisch, doch vgl. dagegen Kilian, Jesaja 1 – 12, 39. 31 Dabei werden der Weinberg Israel hier gleichzeitig als treulose Geliebte und der Besitzer Jahwe als enttuschter Liebhaber gezeichnet. Vgl. Kilian, Jesaja 1 – 12, 39 – 41.
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Beachtenswert ist, dass in beiden Anklagereden der alten Jesajatradition die Unterdrckung des Gottesvolkes durch die Oberschicht und dabei die Forderung von Recht und Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht. hnliches gilt fr Hos 12, wo auch soziale Vergehen wie Betrug und Blutschuld kritisiert werden. In allen Fllen handelt es sich um Nachahmung von Anklagen in der profanen Tor-Gerichtsbarkeit. Außerdem zielen alle diese Anklagen darauf, dass Gott in naher Zukunft sein Volk strafen wird. Prophetie ist hier primr Ankndigung von zuknftigem Unheil, die begrndet wird durch prophetische Kritik, vor allem Sozialkritik. 3. Die Darstellung einer gerichtlichen Anklagerede (rb) Jahwes liegt schließlich auch in Hos 4,1 – 3 vor, wie V. 1 zeigt: Hçrt Jahwes Wort32, ihr Israeliten! Eine Anklage (rb) hat Jahwe gegen die Landesbewohner;
Trotzdem kommen wir hier gegenber den bisherigen Anklagereden Jahwes in eine andere Welt, wie schon V. 2 andeutet: denn keine Treue, keine Solidaritt und keine Gotteserkenntnis gibt es im Lande. Fluchen und Betrgen, Morden, Stehlen und Ehebrechen sind ausgebrochen; es reiht sich Blutschuld an Blutschuld.
Hier wird nicht mehr wie in Jes 3,13 – 15* und 5,1 – 7 und in Hos 12,3 – 15* konkret wegen Betrug und sozialer Unterdrckung Anklage erhoben, vielmehr wird hier die fehlende Gotteserkenntnis und gleichzeitig die bertretung einer Reihe von grundlegenden sozialen Geboten moniert. Am problematischsten erweist sich jedoch in Hos 4,3 die abschließende Straffeststellung33 : Daher verdorrt die Erde, verschmachtet jeder, der auf ihr wohnt, samt den Tieren des Feldes und den Vçgeln des Himmels; selbst die Fische des Meeres gehen ein.
Schon Jçrg Jeremias hat in seinem Hoseakommentar34 darauf hingewiesen, dass Hos 4,3 nicht zur alten Hoseatradition gehçren kann. 4,3 erwartet nmlich nicht – wie dies in den vorexilischen Prophetensprchen blich ist – 32 Beachtenswert ist, dass der gleiche Hçraufruf mit folgender Anrede der Beschuldigten ansonsten nicht vor Jeremia und Ezechiel belegt ist. Vgl. Rudnig-Zelt, Hoseastudien, 124. 33 Vgl. Boecker, Redeformen des Rechtslebens im Alten Testament, 152 f., der von einer Tatfolgebestimmung spricht. 34 Jeremias, Der Prophet Hosea, 62 f.
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eine zuknftige Strafe fr die Verfehlungen der Landesbewohner. Vielmehr ist diese Strafe mit der Zerrttung der gesamten kosmischen Weltordnung bereits eingetreten. Dabei wird in V. 3 die ansonsten erst nachexilisch belegte Vorstellung aufgegriffen, nach der eine Stçrung der menschlichen Gemeinschaft zur Zerrttung der gesamten kosmischen Weltordnung35 fhrt. Da Hos 4,3 aber einen integralen Bestandteil36 der Einheit V.1 – 3 bildet, stellt Hos 4,1 – 3 somit eine erst redaktionell zusammengestellte Gerichtsrede dar. Fr diese Deutung als exilisch-nachexilische redaktionelle Zusammenfassung spricht auch, dass im jetzigen Kontext 4,1 – 3 die kompositorische Einleitung des zweiten Teils des Hoseabuches Hos 4 – 11 bildet.37 Hier zeigt sich somit, dass die Vorstellung von Jahwe als Klger einerseits in der alten prophetischen berlieferung Hos 12,3 – 15*; Jes 3,13 – 15*; Jes 5,1 – 7 als Nachahmung von Anklagen in der profanen Tor-Gerichtsbarkeit vorkommt. Andererseits liegt in dem redaktionellen Text von Hos 4,1 – 3 eine theologisiertere Auffassung der Anklage Jahwes vor: Hier ist das Verhltnis zwischen Jahwe und den Landesbewohnern durch theologische Grçßen wie Gotteserkenntnis definiert und außerdem durch die zentralen sozialen Gebote des Dekalogs. Entsprechende theologisierte Gerichtsreden finden sich nun auch in den Texten, in denen Jahwe als sich verteidigender Beschuldigter auftritt.
6. Verteidigungsreden Jahwes aus exilisch-nachexilischer Zeit 1. In Jer 2,4 – 1338 liegt eine Verteidigungsrede Jahwes vor, bei der Jahwe sich unter Hinweis auf seine Wohltaten in der Heilsgeschichte (Exodus bis Landnahme) rechtfertigt und sich damit gegen Anschuldigungen verteidigt, sein Volk vernachlssigt zu haben: 35 Der nchstliegende Beleg fr einen Parallelismus von ’bl und ’mll findet sich in Jes 24,4 in der Jesajaapokalypse. Vgl. Rudnig-Zelt, Hoseastudien, 131 f. Etwas anders Stahl, „Deshalb trocknet die Erde aus und verschmachten alle, die auf ihr wohnen […]“. 36 4,3 kann aus dem Gerichtswort 4,1 – 3 nicht ausgeschieden werden: Ohne 4,3 wrde nach der Anklage 4,1 – 2 die hier zu erwartende Aussage ber die Folge der Schuld fehlen. Zur Einheit von 4,1 – 3 vgl. u. a. Bons, Das Buch Hosea, 67 – 71. 37 So Jeremias, Der Prophet Hosea, 59 f. Vgl. auch Bons, Das Buch Hosea, 67 f. 38 Zur Abgrenzung vgl. Daniels, Is There a „Prophetic Lawsuit“ Genre, 343; Wanke, Jeremia. Teilband 1, 35 – 36; Werner, Das Buch Jeremia. Kapitel 1 – 25, 45. Etwas anders Neef, Gottes Treue und Israels Untreue, 37 – 58; wieder anders Schmidt, Das Buch Jeremia. Kapitel 1 – 20, 65, der 2,1 – 9 abgrenzt.
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5 So spricht Jahwe: Was fanden eure Vter Unrechtes an mir, dass sie sich von mir entfernten und dem Nichtigen nachfolgten und so selbst dem Nichts verfielen. 6 Nicht fragten sie: Wo ist Jahwe, der uns aus dem Land gypten gefhrt, uns in der Wste geleitet hat, in einem Land der Steppen und Schluchten, in einem Land der Drre und Finsternis, in einem Land, durch das niemand zieht und wo keiner wohnt. 7 Dabei brachte ich euch in das fruchtbare Land, seine Frchte und Gter zu genießen Kaum hineingekommen, verunreinigtet ihr mein Land, mein Eigentum machtet ihr zum Gruel.
Die Weise, wie die Heilsgeschichte in Jer 2,4 – 8 dargestellt ist, dass nmlich Israel trotz der Herausfhrung aus gypten, der Fhrung in der Wste und der Gabe des gelobten Landes von Jahwe abgefallen ist und das Land verunreinigt hat. spricht dafr, dass die Verteidigungsrede die deuteronomistischen und damit exilischen Vorstellungen der Heilsgeschichte kennt und daher einen exilisch-nachexilischen Text darstellt. Mit dieser Rede will – nach der Auffassung des exilisch-nachexilischen Verfassers – Jahwe sich rechtfertigen, dass er Israel zu Recht die Strafe des Exils hat erleiden lassen. Dass hier Anspielungen auf deuteronomistische Vorstellungen von der Geschichte Israels vorliegen, ist deutlich erkennbar. Gunther Wanke39 ordnet diese Anspielungen in V. 5 und 6 nachtrglichen deuteronomistischen berarbeitungen zu40, doch fehlen eindeutige literarkritische Anzeichen fr eine sptere Zufgung41 so dass wohl mit einer erst exilischen Entstehung der gesamten Einheit 2,4 – 13 zu rechnen ist. Der Form nach handelt es sich somit bei Jer 2,4 ff. um eine vorgerichtliche Verteidigungsrede (meist als Appellationsrede bezeichnet), mit der der Angeschuldigte eine gerichtliche Klrung anstrebt. Dafr spricht, dass diese Rede in V. 9 in die Ankndigung einmndet, gegen die Beschuldiger offizielle Anklage zu erheben: Darum muss ich noch gegen euch Anklage (rb) erheben – Spruch Jahwes – Anklage (rb) erheben gegen eure Kindeskinder.
Wahrscheinlich ist die in V. 10 ff. folgende Jahwerede vom Kompositor von Jer 2 als die in V. 9 angekndigte Anklagerede verstanden worden: Ich 39 Wanke, Jeremia. Teilband 1, 34 f. Vgl. auch Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1 – 25, 80 f.; Schmidt, Das Buch Jeremia. Kapitel 1 – 20, 67. 40 Zu Jer 2,5b vgl. 2Kçn 17,15 und zu Jer 2,6b vgl. Dtn 8,15. 41 Vgl. zum Fehlen literarkritischer Inkohrenzen in Jer 2,5 – 6 Neef, Gottes Treue und Israels Untreue, 47 – 49, auch Werner, Das Buch Jeremia. Kapitel 1 – 25, 46 f.
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schließe mich hierbei den beiden Kommentatoren Joseph Schreiner42 und Gunther Wanke43 an, die Jer 2,4 – 13 als zusammengesetzte Einheit44 verstehen45, in der eine Appellationsrede mit einer sich daraus ergebenden Anklagerede kombiniert ist. Diese Anklage lautet: 10 Denn geht hin zu den Inseln der Kitter und schaut und sendet nach Kedar und gebt genau acht und schaut, ob‘s daselbst so zugeht, 11 ob ein Volk Gçtter wechselt, die doch keine Gçtter sind. Abermein Volk hat seine Herrlichkeit eingetauscht gegen einen Nichtsnutz.
Zum Abschluss dieser Anklagerede wird in V. 12 und 13 der Himmel als Zeuge angerufen, wobei hier offensichtlich an ein kosmisches Gerichtsforum gedacht ist: 12 Entsetzt euch, ihr Himmel, darber, erschreckt und erschauert gar sehr. Spruch Jahwes.
In diesem Zusammenhang drfte der Kompositor wieder theologische Konzepte benutzt haben, wie sie in nachexilischer Zeit (u. a. im gottesdienstlichen Bereich) tradiert werden: So ist die Vorstellung, dass Himmel und Erde als Bundeszeugen46 angerufen werden, auch in Ps 50,4 und in Dtn 32,1 belegt – wie auch in den sptdeuteronomistischen Texten Dtn 4,26; 30,19; 31,28. Sie drfte in den theologischen Auseinandersetzungen mit den altorientalischen Großreichen den altorientalischen Staatsvertrgen entnommen worden sein.47
42 Schreiner, Jeremia 1 – 25,14, 18 – 21. 43 Wanke, Jeremia. Teilband 1, 35 – 37; vgl. auch Daniels, Is There a „Prophetic Lawsuit“ Genre, 343 – 345. 44 Schreiner, Jeremia 1 – 25,14, 20 hat dabei darauf hingewiesen, dass 2,9 – 11 „wie im Gerichtsverfahren die Konsequenz aus dem aufgezeigten Tatbestand“ ziehen und „zur Anklage in direkter Anrede der Schuldigen“ bergehen. 45 Vgl. Werner, Das Buch Jeremia. Kapitel 1 – 25, 47 f.; auch Fischer, Jeremia 1 – 25, 160 – 162. 46 Anders Gunkel, Begrich, Einleitung in die Psalmen, 364 mit Anm. 5, die Himmel und Erde als Richter verstehen (unter Hinweis auf Ps 50,6; Jes 1,2; Jer 2,12; Mi 6,1 ff.). 47 Vgl. Daniels, Is There a „Prophetic Lawsuit“ Genre, 355 – 360, und v. a. Veijola, Das 5. Buch Mose Deuteronomium Kapitel 1,1 – 16,17, 102 f., der allerdings eine Rezeption dieser Vorstellung aus den Staatsvertrgen erst fr die sptdeuteronomistische Schicht des Dtn annimmt (bundestheologische Redaktion DtrB). Zur Abhngigkeit der Bundestheologie von altorientalischen Staatsvertrgen vgl. auch Koch, Vertrag, Treueid und Bund.
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Beachtenswert ist auch, dass am Ende dieser kompositionellen rhetorischen Einheit keine prophetische Strafankndigung steht. Vielmehr endet sie mit dem Hinweis auf den unerhçrten Charakter der Snde des Gottesvolkes, wie sie im Abfall von Jahwe vorliegt, also mit einer mahnenden Rge. Das indirekte Ziel dieser rhetorischen Einheit besteht somit in der an das exilisch-nachexilische Israel gerichteten allgemeinen Warnung vor der Snde des Abfalls von Jahwe. Hier wird deutlich, wie im nachexilischen Israel der Geist charismatischer Prophetie erlischt und eine schriftgelehrte Theologie an seine Stelle tritt. 2. Besttigt wird diese fr Jer 2,4 – 13 postulierte Annahme einer von Schriftgelehrten komponierten Gerichtsrede durch den hnlichen Befund in Micha 6,1 – 8*. Hier geht es um die Kombination einer Verteidigungsrede Jahwes mit einer priesterlichen Weisung.48 Auch hier sind somit Elemente sehr unterschiedlicher Herkunft zu einer „neuen rhetorischen Einheit“49 verbunden worden.50 hnlich wie Jer 2,4 – 13 ist Mi 6,1 – 8* wohl auch erst in nachexilischer Zeit51 entstanden. Vorausgesetzt wird in dem heilsgeschichtlichen Rckblick Mi 6,3 – 5 bereits „die Kenntnis des Pentateuchs in seiner Verbindung mit dem Josuabuch“.52 Die Anrufung von Bergen und Grundfesten der Erde als Zeugen53 in V. 2 drfte – hnlich wie in Jer 2,4 – 13 die Anrufung des Himmels – der sptdeuteronomistischen Vorstellung von Himmel und Erde als Bundeszeugen entsprechen und von daher auch auf eine nachexilische Entstehung hindeuten. In Mi 6,1 – 8 gehçren V. 1 und V. 2 nicht ursprnglich zusammen: V. 1 geht nmlich von einer Anklage Jahwes gegen die Berge aus: 1 Hçrt doch, was Jahwe spricht: Auf, klage an (rb) die Berge. 48 Vgl. Daniels, Is There a „Prophetic Lawsuit“ Genre, 353 f.; Kessler, Micha, 258; auch Werner, Micha 6,8, 232 – 248. 49 Kessler, Micha, 258. 50 Vgl. auch Werner, Micha 6,8, 237, der vom „Schreibtisch“ als „Sitz im Leben“ von Mi 6,2 – 8 spricht. 51 Vgl. besonders Werner, Micha 6,8, 237. 52 Kessler, Micha, 260. 53 A.a.O., 262 mit Hinweis auf Dtn 32,1und Jes 1,2 f. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, 200, macht darauf aufmerksam, dass in Mi 6,2 nicht wie dort Himmel und Erde, sondern nur die Berge (als die Grundfesten der Erde) als Zeugen angerufen werden. Jedenfalls findet der Prozess „vor einem weltweiten Forum“ (Jeremias) statt.
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In V. 2 werden demgegenber die Berge nur als Zeugen der Anklage Jahwes gegen Israel angesprochen: 2 Hçrt, Berge, die Anklage (rb) Jahwes, ihr Bestndigen, ihr Grundfesten der Erde, denn Jahwe hat eine Anklage (rb) gegen sein Volk, setzt sich mit Israel auseinander.54
Dies spricht dafr, dass V. 1 eine sekundre redaktionelle Einleitung fr Mi 6 – 7 darstellt55, die teilweise aus 6,2 „herausgesponnen“56 ist. Dabei sind bei der „Anklage gegen die Berge“ „die Berge“ wohl als „Chiffre fr die Vçlker“ zu verstehen57 so dass hier – wie oben schon bei Jes 3,13 beobachtet – nachtrglich die Vorstellung des Vçlkergerichts in einen vorgegebenen Spruch vom Gericht ber Israel eingefgt ist. In Mi 6,3 – 5 folgt eine Verteidigungsrede Jahwes58, bei der er – hnlich wie in Jer 2,4 – 13 – gegenber Beschuldigungen, sein Volk beschwert zu haben, auf seine Wohltaten in der Heilsgeschichte Israels verweist. Genannt werden Exodus, Mose, Aaron und Mirjam. Bezug genommen wird schließlich auch auf die Bileamerzhlung und die Landnahmedarstellung von Jos 2 – 5: 3 Mein Volk, was habe ich dir getan, womit dich beschwert? Antworte mir! 4 Ich habe dich doch aus dem Land gypten heraufgefhrt, habe dich aus dem Sklavenhaus befreit und Mose vor dir hergesandt, Aaron und Mirjam (mit ihm). usw.
Eine Antwort auf das somit in Mi 6,2 – 5 aufgeworfene Problem der gestçrten Gottesbeziehung Israels findet sich dann in V. 6 – 8, der prophetischen Nachahmung einer priesterlichen Tora. Zunchst folgt in V. 6 – 7 die
54 Vgl. dazu die Parallele von Jes 1,2, wo im „rein literarischen“ Prolog des Jesajabuches (vgl. hierzu Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kap. 1 – 12, 30) Himmel und Erde angerufen werden. Dass hier eine redaktionelle Einleitung vorliegt, wird daran deutlich, dass das Thema der Anklage Jahwes in V. 2 f. nur von den folgenden jesajanischen Sprchen her inhaltlich zu fllen ist (Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kap. 1 – 12, 31 f.). 55 So Werner, Micha 6,8, 235; Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, 199 f. Anders Kessler, Micha 6,8, 261 f., der den Aufruf zur Anklage gegen die Berge in Mi 6,1 lediglich als die Erçffnung „eines universalen Horizonts“ interpretiert. 56 So Oberforcher, Das Buch Micha, 123. 57 So Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, 199. 58 Vgl. a.a.O., 199.
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Frage Israels nach den Bedingungen einer erneuten Gottesbeziehung, wobei vor allem kultische Leistungen angeboten werden: 6 Womit soll ich Jahwe entgegentreten, mich beugen vor dem Gott der Hçhe? Soll ich ihm entgegentreten mit Brandopfern, mit einjhrigen Klbern? […] Soll ich ihm meinen Erstgeborenen geben fr mein Verbrechen, meine Leibesfrucht fr mein sndiges Leben?
Demgegenber stellt 6,8 fest, dass die Entscheidung ber ein richtiges Verhalten gegenber Gott nicht im Kult, sondern im Alltag fllt: 8 Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Jahwe von dir fordert: Nichts als Recht tun, Solidaritt lieben und besonnen mitgehen mit deinem Gott.
6,8 enthlt somit eine Zusammenfassung der prophetischen Forderungen: Recht, Solidaritt, Orientierung an der mit Gott gegangenen Heilsgeschichte. Die hier vorliegende redaktionell komponierte Gerichtsrede endet somit nicht wie blich mit einer Anklage und einer Strafankndigung gegen Israel, sondern mit einer Mahnung an jeden einzelnen Menschen, sich an den Grundverhaltensweisen des Jahweglaubens zu orientieren.59 Auch hier ist aus Prophetie Schriftgelehrsamkeit geworden.
7. Belehrung ber Jahwe als Richter der Vçlker und ihrer Gçtter 1. Beachtenswert ist, dass die alttestamentliche prophetische berlieferung den gerichtlichen Streit zwischen Jahwe und Israel auch in die Vorstellung eines Vçlkergerichts einbezieht. So findet sich die Vorstellung von einem rb, einem Prozess Jahwes auch in den Vçlkersprchen des Jeremiabuches. Hier in Jer 25,30 – 31 wird in einer spten nachexilischen Schicht60 von einem universalen Gericht Jahwes ber die Vçlker berichtet:
59 Vgl. Werner, Micha 6,8, 245: „In der rechten Erinnerung an die mit Jahwe gegangene gemeinsame Geschichte gewinnt Israel die Maßstbe fr sein ethisches Verhalten“. 60 Vgl. hierzu Wanke, Jeremia. Teilband 2, 230 f.; auch Werner, Das Buch Jeremia. Kapitel 25,15 – 52, 15 f.
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30 Und du sollst ihnen alle diese Worte weissagen und zu ihnen sprechen: Jahwe brllt aus der Hçhe und seine Stimme lsst er hçren aus seiner heiligen Wohnung […], 31 und sein Getçse dringt bis an das Ende der Erde, denn Jahwe fhrt einen Prozess gegen die Vçlker und mit allem Fleisch hlt er Gericht; die Schuldigen wird er dem Schwert bergeben. Spruch Jahwes.
In der Redaktion der Prophetenbcher wird auch sonst diese Vorstellung aufgegriffen. So ordnet – wie bereits erwhnt – die Endfassung von Jes 3,13 – 15 die Anklage gegen Juda einem Vçlkergericht zu und zeigt, dass im Kontext des vorliegenden Endtextes des Jesajabuches das Gericht ber Juda im Rahmen eines Vçlkergerichts gedacht ist61. Gleiches gilt fr die redaktionelle Einleitung von Mi 6 – 7, wo in Mi 6,1 bei dem „Gericht ber die Berge“ an das Vçlkergericht zu denken ist62, das auch sonst in der Redaktion des Michabuches eine zentrale Rolle spielt (vgl. fr Mi 1 – 3: 1,2 und fr Mi 4 – 5: 5,14). Dass fr die Redaktion der Prophetenbcher die Vorstellung eines Vçlkergerichts zentrale Bedeutung besitzt, zeigt vor allem das bereits oben unter 3. erwhnte dreigliedrige eschatologische Schema des Aufbaus zahlreicher Prophetenbcher, bei dem das Gericht ber die Vçlker dem Gericht ber das Gottesvolk folgt. Adressat dieser Anklagen Jahwes gegen die Vçlker ist dabei nur scheinbar die Vçlkerwelt. Vielmehr sollen die Gerichtsszenen ber die Vçlker Israel die Einsicht vermitteln, dass es gegenber den Vçlkern keine Sonderstellung besitzt. So enthlt Jer 25,30 f. die Belehrung, dass Gott mit allem Fleisch Gericht hlt und in allen Vçlkern die Schuldigen dem Schwert bergibt, Der Text vermittelt damit die Einsicht, dass Jahwe seine Gerechtigkeit nicht nur gegenber Israel, sondern gegenber seiner ganzen Schçpfung durchsetzt. 2. Dass es in den exilisch-nachexilischen Gerichtsreden um Belehrung Israels geht, zeigen noch deutlicher die Gerichtsreden zwischen Jahwe und den Gçttern im Deuterojesajabuch. Whrend die alttestamentlichen Gerichtsreden sonst fast durchgehend auf Strafgerichtsprozesse bezogen sind, findet sich bei Deuterojesaja als Sonderfall der Gerichtsreden die Nachahmung eines Zivilgerichtsverfahrens. Dabei geht es um ein Feststellungsverfahren63, 61 Vgl. oben bei Anm. 26. 62 Vgl. oben bei Anm. 57. 63 Als alttestamentlicher Beleg fr ein gerichtliches Feststellungsverfahren ist vor allem 1Kçn 3,24 – 27 zu nennen. Allerdings ist dieses Feststellungsverfahren in 1Kçn 3,16 ff. Teil eines Anklageverfahrens. Vgl. Boecker, Redeformen des Rechtslebens im Alten Testament, 142 f. sowie 73 f.
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bei dem die Frage nach dem Rechtsanspruch der nichtisraelitischen Gçtter auf das Gottsein zu klren ist. In Jes 41,21 – 2964. weist Jahwe anhand eines Weissagungsbeweises nach, dass er der einzige Gott ist. Ich zitiere im Folgenden den ersten – negativen – Teil dieses Weissagungsbeweises: 21 Bringt euren Rechtsanspruch vor, spricht Jahwe; bringt eure Beweise bei, spricht der Kçnig in Jakob. 22 Sie sollen sie beibringen und uns mitteilen, was sich ereignen wird. Das Frhere, was war es? Teilt es mit, damit wir es beachten! 23 Teilt mit, was knftig kommen wird, dass wir merken, dass ihr Gçtter seid. 24 Siehe, ihr seid nichts und euer Tun ist nichtig. Einen Gruel erwhlt man an euch65
Die Polemik richtet sich hier nicht mehr gegen Menschen, sondern gegen die heidnischen Gçtter, die als handlungsunfhig und damit als Nichts entlarvt werden. Fr die Israeliten bedeutet dies die Einsicht: die Gçtter zu erwhlen ist ein Gruel (41,24).
8. Die Transformation von Gerichtsrede zu Lehre Die bei den redaktionellen Gerichtsreden gemachte Beobachtung, dass es bei ihnen nicht mehr um Begrndung von Strafe, sondern vielmehr um Vermittlung von Einsicht geht, gilt nun auch fr Texte außerhalb der Prophetenbcher, bei denen die Gattung der Gerichtsrede rezipiert worden ist. Eine solche Rezeption findet sich vor allem in Psalmen und im Hiobbuch, und auch bei ihnen zeigt sich die gleiche Transformation der Gerichtsrede zu Lehre. Sehr deutlich wird dies an dem nachexilischen Festpsalm Ps 50, der hier exemplarisch behandelt werden soll. Ps 50 hat einerseits Elemente der Gerichtsrede aufgenommen66 :
64 Zur Abgrenzung von Jes 41,21 – 29* vgl. Elliger, Deuterojesaja. 1.Teilband:Jesaja 40,1 – 45,7, 177 – 180; van Oorschot, Von Babel zum Zion, 31 f.; Hçffken, Das Buch Jesaja Kapitel 40 – 66, 59 – 61; Zapff, Jesaja 40 – 55, 245 – 248. 65 Elliger, Deuterojesaja. 1.Teilband:Jesaja 40,1 – 45,7, 187 f., und Zapff, Jesaja 40 – 55, 246 betrachten zwar Jes 41, 24b als „nachtrgliche Ergnzung“, doch liegen keine eindeutigen Befunde fr eine Ausscheidung des Halbverses vor (vgl. auch van Oorschot, Von Babel zum Zion, 32 f.; Hçffken, Das Buch Jesaja Kapitel 40 – 66, 60). 66 Hossfeld, Zenger, Die Psalmen I: Psalm 1 – 50, 308.
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3 Unser Gott kommt und schweiget nicht. […] 5 Versammelt mir meine Frommen, die den Bund mit mir schlossen beim Opfer. […] 7 Hçre, mein Volk, ich will reden; Israel, ich will gegen dich klagen: Ich, Gott, bin dein Gott.
Andererseits wird diese Gerichtsrede durch ausfhrliche lehrhafte, weisheitliche Elemente unterbrochen,67 vor allem durch Aussagen, die den Opferkult relativieren: 9 Ich will von deinem Haus den Stier nicht nehmen noch Bçcke aus deinen Hrden. 10 Denn alles Wild im Walde ist mein und die Tiere auf den Bergen zu Tausenden. 11 Ich kenne alle Vçgel auf den Bergen, und was sich regt auf dem Feld, ist mein.
In Ps 50 wandelt sich somit eine Gerichtsrede Jahwes zur Lehrrede. Der Richter Jahwe tritt hinter dem Lehrer Jahwe zurck. Die Gerichtsrede ist daher auch nicht mehr auf die Strafe des Schuldigen ausgerichtet, vielmehr geht es um Mahnungen zur Umkehr.68 Bemerkenswert ist außerdem, dass nicht mehr Israel als Ganzes oder bestimmte israelitische Gruppen kritisiert werden, sondern der Einzelne, der aufgefordert wird, die Gebote des Dekalogs zu halten:69 16 Was zhlst du meine Gebote auf und nimmst meinen Bund in deinen Mund, 17 da du doch Zucht hassest und wirfst meine Worte hinter dich? 18 Wenn du einen Dieb siehst, so lufst du mit ihm und hast Gemeinschaft mit den Ehebrechern. 19 Deinen Mund lsst du Bçses reden, und deine Zunge treibt Falschheit. 21 Das hast du getan, und ich soll schweigen? …Ich will dich zurechtweisen und es dir vor Augen stellen […].
Die hier in der prophetischen Gerichtsrede zu beobachtende Wandlung der prophetischen berlieferung bringt mein Lehrer Otto Kaiser in seiner Theologie des Alten Testaments70 mit der Kanonbildung von Tora und Propheten zusammen: „Es ist kein Zufall, dass die Schriftprophetie mit der Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert erlosch und nur noch in Fortschrei67 Vgl. Seybold, Die Psalmen, 205, meint die Gerichtsrede und die weisheitlichen Elemente noch literarkritisch trennen zu kçnnen. Doch bildet der Psalm (mit Ausnahme von V.3a.16aa) eine heute nicht mehr trennbare Einheit (vgl. Hossfeld, Zenger, Die Psalmen I: Psalm 1 – 50, 308). 68 Vgl. Hossfeld, Zenger, Die Psalmen I: Psalm 1 – 50, 309. 69 Zum sekundren Charakter von Ps 50,16aa vgl. Hossfeld, Zenger, Die Psalmen I: Psalm 1 – 50, 308. 70 Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments,332 f.
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bungen der bereits bestehenden Prophetenbcher […] weiterlebte, denn die hinter den Drohworten und Verheißungen der Propheten stehenden Forderungen, Jahwe allein zu dienen, ihm zu vertrauen und zu gehorchen und in der eigenen Lebensgemeinschaft allen aufrichtige Treue zu erweisen, fanden sich jetzt konzentrierter und praktikabler in der Tora beieinander.“ Die Kritik der Propheten, die sich ursprnglich gegen konkrete einzelne gesellschaftliche Missstnde gerichtet hatte, wird in diesem Zusammenhang der Kanonisierung von Tora und Propheten zu einer grundstzlichen zeitbergreifenden Kritik, bei der es nicht mehr um „Polemik“ gegen bestimmte Personengruppen, sondern in erster Linie um die Erinnerung an die Verheißung geht.
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Invektive und Polemik in der Antike. Suche nach einer Verhltnisbestimmung Severin Koster Obwohl eine scharfe Abgrenzung der Begriffe Kritik, Polemik und Invektive nicht mçglich erscheint, empfiehlt sich doch aus praktischen Grnden eine Unterscheidung. Kritik zielt a potiori auf eine emotionsfrei wertende, sachlich-rationale Beurteilung einer Person oder Sache, Polemik auf aggressiveren Ausdruck von Meinungsverschiedenheiten ber eine Sache oder Person und Invektive auf die vernichtende Herabsetzung einer Person. Alle drei Begriffe sind also grundstzlich, aber in unterschiedlicher Intensitt, der angreifenden Rede zuzuordnen. Kritik verzichtet auf Schmhung und sollte auch von jedem Affekt frei sein, wenn auch eine gewisse Schrfe in der sachlichen Argumentation vorherrschen kann. Der Begriff geht auf das griechische jqitijºr und dieser auf das Verb jq¸meim zurck, das so viel wie ,differenzierendes Auswhlen und Urteilen’ bedeutet. Der Begriff Polemik ist in der rein bertragenen Bedeutung nicht antik1, wohl aber vom griechischen Adjektiv pokelijºr abgeleitet und von daher als pokelijμ t´wmg zu verstehen. Dahinter steht das Substantiv pºkelor ,Krieg’, so dass ,polemisieren’ eigentlich ,bekriegen’, bzw. etwas abgeschwcht soviel wie ,feindlich behandeln’ heißt2. Im Gegensatz zur Invektive geht es dabei grundstzlich um die Bekmpfung einer konkreten, zuweilen auch nichtkonkreten Sache oder Meinung, nicht aber in erster Linie um einen persçnlichen, vernichtenden Angriff, wenn die aggressive Rede auch nicht immer emotionsfrei ist und die Grenze zur Unsachlichkeit zu berschreiten kann. 1 2
Das Deutsche Wçrterbuch von J. u. W. Grimm verzeichnet s. v. Polmik die bernahme des Begriffs aus dem Franzçsischen im 18. Jh. Vgl. den trefflichen Artikel von Stauffer, Art. Polemik. Vgl. dazu Liddell, Scott, A Greek-English Lexicon, s.v. pokelijºr, 1432. Vgl. auch Opelt, Die lateinischen Schimpfwçrter und verwandte sprachliche Erscheinungen, und dies., Hieronymus‘ Streitschriften.
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Invektive leitet sich vom Adjektiv invectivus ab und ist als invectiva eine Verkrzung der Junktur oratio invectiva. Das Deverbativum geht in dieser Bedeutung von ,anfahren’ auf das mediopassive invehi zurck3. Das substantivierte Adjektiv ist im Lateinischen relativ selten und hat sich als Fremdwort auch im Deutschen nicht eingebrgert. Das heißt, dass es sowohl in der Antike wie auch heute durch andere Begriffe vertreten wird, im Deutschen vornehmlich durch das Wort Polemik, das im gelufigen Sprachgebrauch mit abdeckt, was fr die Invektive spezifisch ist, nmlich den emotionalen Angriff auf eine Person in Form von Verbalinjurien. Invektive ist eher in der Wissenschaftssprache heimisch, wird aber auch dort oft als Synonym fr Polemik gebraucht. Im Lateinischen lsst sich eine erste Unterscheidung nach den Titeln treffen, die praktischerweise die Prpositionen in und contra zulassen, wobei ,in aliquem’ eher auf den persçnlichen Angriff, ,contra rem’ oder ,adversus aliquos’ eher auf die Bekmpfung einer Sache, oft vertreten durch eine Gruppe, hinweist, so etwa, wenn eine Rede wie etwa diejenige Ciceros in Pisonem oder ein Traktat gegen abweichende Auffassungen, wie etwa der des Augustinus adversus Iudaeos, oder contra sermonem Arrianorum berschrieben ist4. Hinzu kommt, dass die Polemik ebenso wie die Kritik weitgehend dem Zugriff der Justiz entzogen ist, die Invektive jedoch als in die Persçnlichkeitsrechte eingreifend von jeher mit dem Gesetz in Konflikt geraten konnte. Diese Dimension ist ein typisches Charakteristikum der Invektive und bindet sie hinsichtlich der Toleranzgrenze hufig an die jeweilige politischen Lage, die sehr unterschiedlich auf die Redefreiheit einwirkt. Die Spanne der Reaktionen auf eine Invektive kann von der Nichtbeachtung bis zur Kapitalstrafe5 reichen. Die Personenbezogenheit der Invektive hat desweiteren zur Folge, dass sie in ihrer krzesten Ausprgung als Schimpfwort und in ihrer umfangreichsten als rhetorisch ausgestaltete Rede anzutreffen ist. Das heißt, dass sie 3 4 5
Vgl. zu den lateinischen Begriffen die jeweiligen Lemmata im Thesaurus linguae Latinae. Vgl. zum folgenden, Koster, Die Invektive in der griechischen und rçmischen Literatur. Vgl. den Index-Band des Thesaurus linguae Latinae. Als Beispiel der Nichtbeachtung kann Ciceros Reaktion dienen, der die Gegenschrift seines Feindes Piso mit der Begrndung unbeachtet ließ, dass dann auch diese Gegenschrift kaum zur Kenntnis genommen wrde: Cicero, ad Quintum fratrem 3,1,11. Andererseits wurde Sotades von Maroneia wegen eines zotigen Schmhverses auf Philadelphos II. im Meer versenkt: Sotades, Fragment 1, Collectanea Alexandrina. ed. Powell.
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einerseits als Bau- oder Integrationselement anderer literarischer Formen, andererseits als selbstndiges Ganzes selbst eine literarische Form darstellt. In diesem Fall gelten fr die Invektive die gleichen rhetorischen Konstruktionsgesetze wie fr ihr Gegenstck, die Lobrede. Sie bildet also als xºcor, vituperatio, das Pendant zum 5paimor, laus. Beiden Formen liegt ein biographisches Schema zugrunde, das Gestaltungselemente von der Geburt bis zum Tod, mit dem Topos post mortem sogar ber den Tod hinaus, aufweist: Geburt, Jugend und Erziehung, Taten, Lebensfhrung und Lebensende, oft mit biographischen Vergleichen ausgestattet und gesteigert. Innerhalb der einzelnen Punkte finden sich Standardvorwrfe, die den Gegebenheiten entsprechend angewandt oder einfach unterstellt werden, zumal da, wo eine direkte Nachprfbarkeit kaum mçglich ist, wie etwa fr die ersten Phasen des Lebens, Geburt und Erziehung, die ja ganz selten dokumentiert und daher fr Unterstellungen besonders geeignet sind. Die Invektive kann sowohl in Prosa wie auch in Poesie erscheinen. Ist sie poetisch, so betrifft das nur die poetische Diktion nicht aber eine festgelegte metrische Form. Eng verwandt ist sie mit der aggressiven jambischen Dichtung, etwa eines Archilochos (7. Jh. v. Chr.) oder Hipponax (6. Jh. v. Chr.), dann auch mit der Satire in Rom, so z. B. der des Lucilius (2. Jh. v. Chr.), des scharfzngigen Vorgngers von Horaz, oder mit dem Spottepigramm, z. B. eines Catull oder Martial. Zuweilen trifft man sie auch in der dramatischen Gattung, wenn dort, wie in der Alten Komçdie auch noch etwa bei Aristophanes im 5. Jh. v. Chr., das amolast¸ jyl\de?m, im Lateinischen nominatim laedere 6, also die namentliche Verunglimpfung, eingesetzt wird. Die Invektive ist auch der populren Diatribe eng verwandt, die Invektivisches als Mittel zum Zweck der Rge einsetzt. Diese schlgt zunchst zwar nieder, will aber nicht vernichten, sondern im Gegenteil ,wiederaufrichten’. Polemik dagegen wendet sich, wie gesagt, nicht in erster Linie gegen die Person selbst, sondern hauptschlich gegen das, was von einer Person oder einer Personengruppe vertreten wird. Daher ist ihr wesentliches Element das Streiten, das besonders augenfllig im Dialog wird. Das antike Drama kennt das stichomythische Streitgesprch, das in der Form der altercatio auf die sophistisch-intellektuelle Disputation zurckzufhren ist und besonders 6
Begriffe beim Scholiasten zu Aristophanes, Aves 1295 und in der Rhetorica ad Herennium 2,13,19: nominatim laedere: C. Caelius iudex absolvit iniuriarum eum qui L. Accium poetam in scaena nominatim laeserat. Aristoteles, de arte poetica 5. 1449b 8. Vgl. dazu jetzt die differenzierende Darstellung zwischen Alter und Neuer Komçdie Schmitt, Aristoteles Poetik, 308 f.
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ausgeprgt in der Tragçdie des Euripides7 vorkommt. In der Form des Agons8 wird es durch einen Schiedsrichter entschieden, etwa wie bekanntlich bei Aristophanes in den „Frçschen“, oder im fiktiven Wettsingen der Hirten in der Bukolik. Als Urbild dafr gilt der Streit zwischen den literarischen Archegeten Homer und Hesiod, der zugunsten Hesiods ausgeht, weil er den friedfertigen Stoff besungen habe9. Die einseitige Bekmpfung, etwa einer Lehrmeinung, ist wohl am hufigsten. Das gilt fr philosophische Auseinandersetzungen, wie z. B. Schriften oder Partien von Schriften bei Cicero oder Seneca, oder fr die zu gewissen Zeiten bevorzugten Lehrgedichte. Diese Polemik zielt in erster Linie nicht auf Ausgleich, sondern auf Abgrenzung10. Da es hinsichtlich des Neuen Testaments um Polemik mit religiçser Thematik geht, scheint es nicht abwegig, auf entsprechende, frheste griechische Zeugnisse als Prototypen ideologischer Auseinandersetzung zurckzugehen. Es handelt sich um die Kritik des Xenophanes von Kolophon aus dem 6. Jh. v. Chr. am Gçtterbild Homers11. Dabei ist zu erwhnen, dass eine derartige Auseinandersetzung bereits bei Homer selbst zu finden ist. In der berhmten Theodizeestelle am Anfang der Odyssee, 1, 32 ff., weist Zeus die Beschwerde der Menschen, dass die Gçtter an allem Unglck und am Bçsen in der Welt schuld seien, damit zurck, dass er sie als uneinsichtige Dummkçpfe, m¶pioi, bezeichnet, weil sie selbst ihr Unglck herbeifhrten12. Diese m¶pioi sind sozusagen die invektivischen Vorlufer der „§ !mºgtoi Cak²tai“ des Paulus in Gal 3,1. Xenophanes nun, etwa 570 bis 470 v. Chr., war einer der bedeutendsten Geister seiner Zeit13. Bekannt geworden ist er durch seine Kritik am berkommenen Gçtterglauben, der durch Homer und Hesiod, neben Orpheus und Musaios die notorischen Lehrer Griechenlands, bis dahin offenbar 7 Vgl. Jens, Die Stichomythie in der frhen griechischen Tragçdie. 8 Vgl. Meier, Art. Agones, 858 ff. allgemein zum „musischen“ Agon. 9 Vgl. Homeri opera recognovit Th.W. Allen, 228 ff., sowie Furley, Wettkampf Homers und Hesiods. 10 Ausgeprgt und entsprechend untersucht sind die dafr signifikanten patristischen Texte, wie Ilona Opelt dies mit ihrer Schrift zur Polemik in der christlichen lateinischen Literatur von Tertullian bis Augustin und zuvor in ihrer Untersuchung zu Hieronymus’ Streitschriften, getan hat. Bei Hieronymus vereinigen sich ciceronische wie auch biblische Tradition. 11 Zu Xenophanes vgl. Die Vorsokratiker, 222 – 283, hier: 249 – 253. Ferner Steinmetz, Xenophanesstudien. 12 Zur Theodizee vgl. die bersicht bei Potter, Art. theodicy. Ferner: Ebert, Art. Theodizee. 13 Texte und bersetzung von Diels, Kranz, Die Vorsokratiker, 21 B 11 – 16.
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unangefochten vorherrschte. Xenophanes erscheint also gleichsam als der erste Zeuge fr religiçse Polemik. Er bekmpft einen Sachverhalt, nicht die Person, die diesen Sachverhalt vertritt. Das bekannteste Fragment (11) wendet sich gegen den Anthropomorphismus und die dadurch den Gçttern unterstellten menschlichen Verfehlungen: „Alles haben den Gçttern Homer und Hesiod angehngt, was nur bei Menschen Schimpf und Tadel ist: Stehlen und Ehebrechen und einander betrgen.“ Ein weiteres Fragment (14) greift die Vorstellung von figrlichen Gçttern an: „Doch whnen die Sterblichen, die Gçtter wrden geboren und htten Gewand und Stimme und Gestalt wie sie“. Folglich, so ußert er sich weiter (15; 16), sehen die Gçtter bei thiopiern wie thiopier aus, und wenn die Tiere malen und bildhauern kçnnten, shen sie so aus, wie die Tiere, die sie dargestellt htten. Damit wird die berkommene Gçttervorstellung ad absurdum gefhrt. Xenophanes sagt deshalb (23): „Ein einziger Gott, unter Gçttern und Menschen am grçßten, weder an Gestalt den sterblichen Menschen hnlich noch an Gedanken“. – Und weiter (24): „Gott ist ganz Auge, ganz Geist, ganz Ohr“. – (26) „Stets am selbigen Ort verharrt er sich gar nicht bewegend, und es geziemt ihm nicht, bald hin- und herzugehen, bald hierhin bald dorthin.“ – (25) „Doch sonder Mhe erschttert er alles mit des Geistes Denkkraft.“ Diese Aussagen stehen, zumindest in den uns berlieferten Fragmenten, ohne jede ausdrckliche Aggression gegen Homer und seine Anhnger. Xenophanes nennt zwar die Gegner mit Namen, jedoch ohne invektivisch gegen sie vorgeht. Es handelt sich, wenn man eine gewisse Entrstung aus der Wortwahl heraushçren mçchte, allenfalls um Polemik, eher aber um sachliche Kritik. Schrfer ußert sich dann allerdings Heraklit,14 der sagt: „Homer verdient aus den Preiswettkmpfen herausgeworfen und mit Ruten gestrichen zu werden und ebenso Archilochos“. Darin zeigt sich eine Attacke gegen Personen, die zwar keine Lebenden mehr treffen konnte, sie immerhin aber als Schdlinge des Gemeinwesens einordnet, die eine kçrperliche Zchtigung verdient htten. Das heißt, dass sie als Kinder, Sklaven oder diffamierte Brger eingestuft werden. Im brigen gehçrt bekanntlich auch Platon in die Reihe dieser Kritiker. Er wollte Homer aus seiner Staatskonzeption da ausschließen, wo er sich als schdlich erweisen konnte15. Nach Xenophanes als Beispiel eines griechischen Lehrdichters kann man im Lateinischen Lukrez, den Zeitgenossen Ciceros und epischen Lehrdichter, als Polemiker nennen. Er geht in seinem Werk De rerum natura 14 Diels, Kranz, Die Vorsokratiker, 22 B 42. 15 Vgl. Platon de re publica. 3; 386 a; 10; 607 b.
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namentlich gegen die Vorsokratiker Empedokles und Anaxagoras vor16, weil ihre Ansichten nicht mit der Atom-Lehre Demokrits (3, 370 ff.) und Epikurs vereinbar sind. Doch beschuldigt er sie ohne Animositt lediglich des Irrtums und betont die Richtigkeit der Lehre Epikurs und Demokrits durch ihr Lob. Invektivisch ergiebiger ist Cicero, der nicht nur die Polemik beherrschte, sondern auch als Meister der Invektive den persçnlichen Angriff auf die Spitze trieb. Allerdings bleiben seine Diskussionen unterschiedlicher Lehrmeinungen in seinen philosophischen Schriften, besonders in de finibus bonorum et malorum oder in de divinatione, ganz im urbanen Gesprchsstil, ohne dass die Polemik als vorherrschend empfunden wird. Sie zeigt sich auch in der gebrochenen Form der Ironie. In der Gattung der Rede dagegen steigert er die Aggression bis zur Hemmungslosigkeit. Das Musterbeispiel einer Großinvektive ist seine Rede gegen Calpurnius Piso Caesoninus, den Schwiegervater Caesars17. Piso, consul eponymus des Jahres 59, jenes Jahres, in dem Cicero in die Verbannung geschickt wurde, war fr ihn der Hauptschuldige. Deswegen griff Cicero ihn nach seiner Rckkehr so heftig an, dass es zu einem invektivischen Schlagabtausch ohnegleichen kam. An dieser Rede in Pisonem lsst sich die Vermischung von Polemik und Invektive gut zeigen, wenn Cicero Weltanschauung und Person miteinander verbindet, um den Gegner zu disqualifizieren. Piso bekannte sich nmlich zu jener philosophischen Richtung, der Cicero am wenigsten etwas abgewinnen konnte, der Lehre Epikurs. So war denn Piso auch eng mit dem griechischen Philosophen, Dichter und Epikureer Philodem aus Gadara befreundet. Offensichtlich trug Piso seine epikureische Lebensauffassung ohne Rcksicht auf Konventionen zur Schau. Fr Cicero war gerade das die Gelegenheit, Piso politische Unkorrektheit und Verachtung des ordo senatorius, wie er selbst ihn verstand, zu unterstellen. Es stçrte ihn dabei nicht, dass sein Gegner bislang anstandslos die regulre mterlaufbahn bis zum Konsulat durchlaufen hatte, ein Beweis dafr, dass die Nobilitt im allgemeinen keinen Anstoß an Pisos Lebenswandel nahm. Denn selbst nach der vermeintlich vernichtenden Attacke durch Cicero erhielt Piso sogar das moralischste aller mter, die Zensur. Als Piso von der Verwaltung der ihm nach seinem Konsulat zugewiesenen Provinz Makedonien nach Rom zurckgekehrt war, konnte Cicero 16 Lucrez, de rerum natura 1, 716 ff. und 1,830 ff. 17 Text und Kommentar: Cicero, in L. Calpurnium Pisonem oratio. Ed. with text, introduction, and commentary by R.G. Nisbet.
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seinen Angriff fhren18. Piso hatte sich in aller Stille, nach Entlassung seiner Soldaten, nach Hause zurckgezogen. Ohne die Privilegien, die Beamten zustanden, zu beanspruchen, hatte er als schlichter Privatmann die Stadt Rom betreten. Fr Cicero bedeutete das eine Verunglimpfung all jener Helden des Vaterlandes, die mit dem Ziel zurckkehrten, ihren wohlverdienten Triumph zu feiern. Piso dagegen hatte offen erklrt, dass er nie diese Ehre erstrebt habe und sie ihm gleichgltig sei. Dabei htte er durchaus einen Triumph einfordern kçnnen, so tchtig hatte er immerhin seine Pflicht frs Vaterland erfllt. Genau diese Verzichtshaltung legt ihm Cicero als Zersetzung der Standes-, in seinem Sinn sogar der Staatsordnung aus und als Respektlosigkeit der Wrde, der Ehre, dem Ansehen und dem Ruhm all jener gegenber, die diese hçchste aller Ehren nicht nur einmal, sondern mehrmals erstrebt und erhalten haben. Fr Cicero ist eine solche Haltung unfassbar, zumal er sich selbst spter vergebens bemhte, einen Triumph zu bekommen, nachdem er whrend seiner Provinzverwaltung in Kilikien im Jahre 51 in eine Art Kriegshandlung eingebunden war und die Soldaten ihn pflichtschuldig zum imperator ausgerufen hatten19. Doch in Rom reichte dies nicht aus, ihm einen Triumph zu bewilligen. Daher ist es aus seiner Sicht und aus der Situation verstndlich, dass er in der Polemik gegen das staatsbrgerliche Fehlverhalten Pisos eine Kaskade von Schimpfwçrtern auf ihn herabstrzen lsst. Er beschimpft ihn als inkorporiertes Verbrechen, als eine Pest und Seuche, scelus, pestis, labes (56), als ein klgliches Mnnlein, eine Schrumpfgestalt, homullus und einen ex argilla et luto fictus Epicurus, einen aus Lehm und Dreck nachgemachten Epikur. Voller Ironie fragt er, warum Piso die treffliche Weisheit seiner Schule, nmlich die Verachtung des Ruhmes, nicht auch seinem Schwiegersohn Caesar beibringe, der ja gerade in Gallien seinen Krieg fhre und sich von nichts mehr leiten lasse als von cupiditas iusti et magni triumphi, der Begier nach einem berechtigten, großen Triumph. Dann formuliert er ihm voller Hohn diese suasio im voraus vor und berreicht ihm sozusagen einen Entwurf dafr mit der Zugabe von harten Schimpfwçrtern, wie Finsterling, Schlamm- und Drecksfigur, tenebrae, lutum, sordes. Pisos philosophische berzeugung und das daraus resultierende Handeln werden also durch Ressentiments gegen diese Schule und ihr Schulhaupt entwertet und obendrein mit invektivischen Attacken gegen den Gegner so stark personalisiert, dass daraus eine Diffamierung wird. Die uneingeschrnkte Redefreiheit in der Zeit der ausgehenden Republik nçtigte Piso dazu, auf einen groben Klotz einen noch grçberen Keil zu 18 Bei dem hier ausgewhlten Text handelt es sich um § 53 ff. 19 Vgl. Gelzer, Art. M. Tullius Cicero, 980 – 983.
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setzen. Cicero reagierte darauf so, dass er sagte, es sei besser zu schweigen. Denn wenn er repliziere, wrde ja wohl oder bel doch der Angriff des Gegners zur Kenntnis genommen. So aber gehe dieser unbeachtet unter20. Noch eine weitere Partie dieser Rede soll unter dem anstehenden Gesichtspunkt hervorgehoben werden. Sie schließt sich gleich im Text an21. Es geht dort um Literarkritik oder die rechte Auslegung einer literarischen ußerung. Piso hat es sich nmlich nicht entgehen lassen, Verse Ciceros aus seinem mit maßlosem Selbstruhm verfassten Elaborat ber die Großartigkeit seines Konsulats, durch das der Staat vor den Catilinariern gerettet worden sei, gensslich zu zitieren und die fr Cicero schdlichen Folgen in Erinnerung zu rufen. Es geht um den Vers: cedant arma togae concedat laurea laudi, oder wie Piso umformuliert: concedat laurea linguae. bersetzt also: ,Es sollen die Waffen der Toga weichen, der Siegeslorbeer dem Rednerlob’, bzw. wie es Piso bissig verflscht, der Rednerzunge, linguae. Als politischer Redner und hier vornehmlich Zivilist beanspruchte Cicero mit seinem Vers eine hçhere Anerkennung als die, die ein imperator fr seine militrischen Verdienste erringt oder errungen hat. Pompeius, dem Ciceros Anspielung galt, war pikiert. Genau darauf beruht der Vorwurf Pisos, dass Cicero nmlich, durch seine Eitelkeit und Hybris verblendet, sich die Gunst des Pompeius verscherzt habe. Cicero reagierte erbost auf diese Interpretation und verhçhnte Piso, indem er ihn einen Phalaris grammaticus nennt, einen Textausleger und Schriftgelehrten mit rcksichtsloser, tyrannischer Deutungswillkr, wie der Vergleich mit Phalaris von Akragas zeigt, dem Urbild und Muster eines grausamen Tyrannen, der einst sogar mit Waffengewalt gegen den renitenten Dichter Stesichoros vorgegangen sein soll. Dann fhrt Cicero seinen Gegner an: quid nunc te, asine, litteras doceam? Was soll ich nun dich, du Esel, das Interpretieren lehren? Bei Piso seien nicht Worte, sondern Prgel angebracht. Trotzdem geht er daran, Piso die besondere Ausdrucksweise der Poesie zu erlutern und ihn ad absurdum zu fhren, wenn er meine, dass ein einziger Vers Pompeius so habe aufregen kçnnen, obwohl er, Cicero, ja doch schon ganze Reden zum Ruhm des Pompeius verfasst habe. Die Lnge der Widerlegung lsst allerdings darauf schließen, dass der Vorwurf Pisos ins Schwarze getroffen hat. Es geht zwar um ein sachliches Problem des richtigen Verstndnisses einer Aussage, die Entgegnung luft jedoch auf einen persçnlichen Angriff hinaus, indem die Behauptung des Gegners gleich zu Anfang geschwcht und zu Fall gebracht 20 Vgl. oben Anm. 5. 21 § 59 ff.
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wird durch den Hinweis auf dessen Anmaßung aufgrund von Inkompetenz und Beschrnktheit. Als ein Beispiel einer sehr heftigen persçnlichen Attacke in der poetischen Literatur gegen hochgestellte und çffentlich exponierte Personen mag ein kleines Catull-Gedicht, carmen 57, dienen, an dem sich zeigen lsst, wie weit Invektive ber mçgliche Polemik hinausgeht22. Die angegriffenen Personen sind Caesar und einer seiner Paladine, der Offizier Mamurra aus Formiae im sdlichen Latium. Catull hatte Mamurra schon im 29. Gedicht als von Caesar und Pompeius geschtzten Verschwender und Bankrotteur angeprangert und nimmt ihn nun erneut aufs Korn, carmen 57: pulchre convenit improbis cinaedis Mamurrae pathicoque Caesarique nec mirum: maculae pares utrisque, urbana altera, altera Formiana, impressae resident nec eluentur: morbosi pariter, gemelli utrique, uno in lecticulo erudituli ambo, non hic quam ille magis vorax adulter, rivales socii puellularum. pulchre convenit improbis cinaedis. „Schçn passt die Situation fr die beiden Schandlustknaben, fr Mamurra und fr den schwulen Csar. Und kein Wunder ist das. Die gleichen Schandmale haben beide, das eine ist stadtrçmisch, das andere aus Formiae: Sie sitzen eingebrannt und werden sich nicht tilgen lassen. Krank ist das Zwillingsprchen gleichermaßen, ist in einem Bettchen niedlich aufgezogen, der eine nicht mehr als der andere ein nimmersatter Ehebrecher, Rivalen und Kumpel zugleich bei den Mdchen. Schçn passt das zu den beiden Schandlustknaben.“
Dieses Schmhgedicht ist ein gut komponiertes Liedchen. Fnf Verse exponieren, fnf explizieren, wobei die Verse 1 und 10 das ganze mit gleichem Wortlaut rahmen. Fr Caesar sind die Verse umso beleidigender, weil er jetzt, anders als noch in carmen 29, ohne Pompeius mit Mamurra auf eine Stufe gestellt wird. Ironisch beginnt Catull mit pulchre convenit, wobei der nchste Versteil die Erklrung bringt, improbis cinaedis. Man erwartet nun einen Ausfall gegen das genannte Laster allgemein. Doch es folgt sofort das nominatim laedere: Mamurrae pathicoque Caesarique. Csar und Mamurra werden als Kinaedenpaar, mit dem bekannten griechischen Laster behaftet, vorgefhrt, 22 Zu diesem Gedicht vgl. C. Valerius Catullus. Hg. und erklrt von W. Kroll; Syndikus, Catull; Koster, Die Invektive in der griechischen und rçmischen Literatur, 282 ff.
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gleich zweimal mit den betreffenden griechischen Termini, schçn verteilt auf den aktiven cinaedus und den passiven pathicus und zugleich auch in jeder Hinsicht austauschbar. Die Einheit und Verbundenheit dieses Paares ist musterhaft durch formale Mittel ausgedrckt. Statt des Plurals im ersten Vers steht jetzt der Singular pathico. Das Wort bildet die Mitte zwischen den beiden Namen und verbindet dieses perverse ,Ehepaar’ wie ein Joch nach rechts und links, wobei das angehngte -que zeigt, dass es sich um ein „sowohl – als auch“ handelt. Nach dieser Vorstellung setzt Catull einem unausgesprochenen mçglichen Erstaunen sein nec mirum entgegen: Das sei wirklich nichts Erstaunliches. Man msse nur folgendes wissen: maculae pares utrisque. Makel seien das Verbindende: Beide seien nmlich gleichermaßen gebrandmarkt, der eine in der Stadt Rom, der andere in Formiae. Brandmarken sind es, wie sonst bei Sklaven blich und bekannt, und als solche unauslçschlich: impressae resident nec eluentur. Catull malt den beiden maßlosen Lstlingen und Schuldenmachern eine dstere Zukunft als Entwrdigte aus. Was er zunchst allgemein geußert hat, fhrt er nun noch im Einzelnen aus. Von ihren augenblicklichen Lebensverhltnissen schaut er zurck in die Vergangenheit, um die Erklrung fr den jetzigen Zustand zu finden. Sie haben beide die gleiche Krankheit. Sie sind nmlich gemelli, Zwillingsbrder, so wie Catull einmal Castor und Pollux als gemelle Castor et gemelle Castoris bezeichnet hat. gemellus nhert sich hier sogar der Bedeutung ,zweigeschlechtlich’23. Folglich haben sie neben der besonderen Form dieser Geburt auch die gleiche besondere und passende Ausbildung: Die beiden niedlichen kleinen Brschchen sind gleichsam eins, wobei die Technik kunstvoll den Sachverhalt sttzt: uno und ambo bilden die Klammer des Verses und alle Wçrter sind durch Synaloephe verschliffen. Sogar auf die Zsur wird verzichtet, so dass der ganze Vers zu einer einzigen Einheit verschmolzen ist als Ausdruck des direkten Verwachsenseins der beiden Zwillinge: unoin lectuloerudituliambo. Die Ausbildung der beiden fand also in ein und demselben Bett statt. Was sie dort gelernt hatten, bten sie folgerichtig auch gleichartig im spteren Leben aus: non hic quam ille magis vorax adulter. Sie sind gleichermaßen zu Ehebrechern geworden und kçnnen beide gar nicht genug davon bekommen. Absichtlich whlt Catull also statt eines mçglichen minus vorax ein magis vorax adulter, um die Lasterhaftigkeit zu steigern. So kam es schließlich, dass die gemelli auch noch zu Rivalen wurden: rivales socii puellularum. Wie nahe dabei die Gegenstze vereint sind, zeigt das asyndetische Oxymoron rivales socii. 23 Vgl. Schmidt, gemelli (Catull, carmina 57,6), 349 – 351.
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Bei dieser Ttigkeit betrgen sie nicht nur ihre Ehefrauen, sondern auch sich selbst gegenseitig. Als Rivalen und Kumpane treffen sie sich wiederum da, wo sie ihren Ausgang genommen haben: im gleichen Bett, nun sogar der gleichen Mdchen. Sie sind Zwillinge und Zwitter des Lasters und bleiben es. Catull findet, dass das schçn passt, und wiederholt nun, was er zu Anfang behauptet hatte, als Besttigung dieser Behauptung: pulchre convenit improbis cinaedis. So ist der Schlussvers der Anfangsvers, und der Gassenhauer vom Kindenpaar kçnnte sofort da capo gesungen werden. Dadurch wrde in besonderer Weise die Prophezeiung des nec eluentur aus v. 5 in Erfllung gehen: Der Hit wird zum Evergreen. Vortrefflich hat Catull seine Behauptungen in asyndetischer Form vorgefhrt, um die Schlagkraft der schmhenden Zeilen zu erhçhen und zugleich den Eindruck einer Beweiskette hervorzurufen. Was hier Zeile fr Zeile gleichsam auf die beiden scheinbar unverbunden herunterprasselt, beruht dennoch auf einer Struktur. Die Invektive als Gegenstck zur Lobschrift hat der Rhetorenschule gemß das schon genannte Grundschema, dem auch dieses Gedicht entspricht: I
Prooemium
pulchre convenit
II
Name, Herkunft urbana Formiana
schçn passt die Situation stadtrçmisch und aus Formiae
III Erziehung
erudituli
in einem Bett niedlich aufgezogen
IV Taten
maculae, rivales socii, cinaedi
Schandmale, Rivalen, Kumpel
V
gemelli
Zwillingsprchen
pulchre convenit
schçn passt‘s zusammen
Synkrisis
VI Epilog
Es liegt also ein xºcor, eine vituperatio, in Kleinform vor, nach den Regeln der rhetorischen Kunst aufgebaut und zugleich durch Kunst versteckt. Wrde man das Gedicht seiner heftigen Aggressionen entkleiden und es sozusagen auf die Stufe der Polemik zurckfhren, bliebe der Vorwurf unstandesgemßer Kameraderie, der Vorwurf schlechter Erziehung ungeachtet der Herkunft und des daraus resultierenden, gravierenden Fehlverhaltens in sexueller Hinsicht aufgrund einer unertrglichen Charakter- und Fhrungsschwche. Doch nun noch ein kurzer Blick ber die pagane Grenze des Faches hinaus! Nicht weit entfernt von den Techniken eines invektivisch gewrzten, polemischen Angriffs ist die Auseinandersetzung zwischen Jesus und den
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Pharisern, Mt 2324. Sieht man diesen Text als literarhistorisches Zeugnis an und nicht als sakrosankte Schrift, so geht es auch da um die çffentliche Bekmpfung einer falschen Auffassung oder Lehre und vor allem um das falsche Verhalten der Phariser als Autorittspersonen. Die Darlegung des Fehlverhaltens wird von Drohungen begleitet, die sich in den wiederholten, entrsteten Weh-Rufen ußern. Doch dabei bleibt es nicht, es finden sich auch invektivische Beschimpfungen, die die Schriftgelehrten und Phariser nicht nur als Heuchler, sondern auch als blinde Wegfhrer, Dummkçpfe, getnchte Grber und, eine letzte Steigerung in der Reihe, als Schlangen und Natterngezcht, eveir, cemm¶lata 1widm_m schelten. Bei diesem letzten Vorwurf ist unter invektivischem Gesichtspunkt gut passend der Herkunftstopos involviert. Die Phariser stammen schon von solchen Schlangen, nmlich ihren Vtern, ab und deshalb sind sie als Sçhne konsequenterweise, gleichsam in Sippenhaft, Natterngezcht. Es gehçrt zur Topik der Invektive, dass Tiere zum Vergleich oder zur Gleichsetzung herangezogen werden. Piso z. B. ist ein lutulentus, In L. Calpurnium Pisonem oratio 27, ein dreckverschmiertes Schwein aus der epikureischen Lustsuhle, nicht aus der Schule, 37, ex hara producte, non ex schola, oder ein Geier seiner Provinz, 38, volturius provinciae. Es mag sein, dass die biblische Beschimpfung als Schlangenbrut gelufige Metapher war. Denn auch Johannes der Tufer bezeichnet nach Mt 3,7 und Lk 3,7, die Volksmenge um ihn herum als cemm¶lata 1widm_m. Es handelt sich dabei allerdings wohl um eine weitere, abgeschwchte Spielart des persçnlichen Angriffs, nmlich die Rge. Sie ist in der Diatribe oder auch der Predigt gelufig25. Sie hat nicht wie die Invektive die moralische Vernichtung als Ziel, sondern die Wiederaufrichtung nach einer verbalen Demtigung. Ob nun die Evangelisten literarisch in die Tradition der Invektive und dann doch wohl eher der griechischen, einzuordnen sind, ist eine schwierige Frage. Denn Lob und Tadel sowie auch Streitdiskussionen sind bis zu einem gewissen Grad allgemein und geradezu alltglich, also nicht spezifisch fr einen bestimmten Kulturkreis, es sei denn, man stellt eine rhetorische Durchformung fest. Aber selbst dann kann man, wie beispielsweise A. Wifstrand26 Zweifel haben, wenn diese auch nicht von der jngeren For24 Vgl. Schmid, Das Evangelium nach Matthus, 315 – 333. (RNT Bd. 1). Vgl. jetzt: Sand, Das Evangelium nach Matthus, 150 ff.: „Antijdische Polemik“. Vgl. ferner: Gnilka, Das Matthusevangelium, 268 – 308, hier: 280 ff. 25 Zur Diatribe vgl. das fundiert umrissene Gesamtbild von W. Capelle und H. I. Marrou, Art. Diatribe. 26 „Die alte Kirche und die griechische Bildung“.
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schung geteilt werden, wie die ausfhrlichen Darlegungen von K. Berger27, zeigen. So bietet sich die diatribische Satire 2,3 des Horaz zum Vergleich an, weil sie ein amsantes Bild volksmissionarischer Beeinflussung zeichnet, deren ernsthafte Variante sich spter etwa in den Traktaten Epiktets findet. Horaz lsst sich in dieser Satire von Damasippus, einem neubekehrten stoischen Sektierer zurechtweisen: Dieser trifft an den Saturnalien auf den Dichter, der sich auf sein Gtchen in den Sabinerbergen zurckgezogen hat. Damasipp selbst war infolge seines Immobilienbankrotts krzlich erst zum Sprung von der Tiberbrcke bereit gewesen, war aber von Stertinius, einem stoischen Wahrheitsapostel gerettet worden. Infolgedessen wurde er bekehrt und zum eifrigen Adepten dieser Weisheitslehren aus der Schule Chrysipps. Horaz erhlt als Anhnger falscher Lehren daher eine Lektion ber das stoische Paradoxon, dass alle Unvernnftigen geistesgestçrt seien. Es geht also um die insania stultorum, fti p÷r %vqym la¸metai, omnes stultos insanire. In Damasipps Predigt dienen Beispiele anderer und seiner selbst dazu, dies einsichtig zu machen. Die zur Bekehrung eingesetzten Beschimpfungen freilich sind sehr allgemein, kollektiv und nur auf die insania bezogen: Etwa zwei Dutzend kunstvoll variierte Bezeichnungen findet Damasipp fr das „Verrcktsein“ des und der Delinquenten. Doch spiegeln sie das horazische ridentem dicere verum und entschrfen somit den bitteren Eifer der Rge. Dasselbe Thema ist brigens auch von Cicero als viertes Stck in seinem kleinen Entwurf der Paradoxa Stoicorum behandelt worden. Es ist leider fragmentarisch, doch genau an diesem Fragment lsst sich zeigen, dass es im Gegensatz zu den anderen Paradoxa schrfer formuliert ist und nicht deren ironische Distanz wahrt, sondern dass Polemik mit invektivischer Verschrfung vorherrscht. Das erhaltene Stck befasst sich nmlich mit seinem Erzfeind P. Clodius, der die treibende Kraft seiner Exilierung war. Cicero biegt hier seine Darstellung so zurecht, dass der einstige politische furor nicht durch ihn, sondern durch Clodius in einem verwilderten Staat tobte, und dass folglich mit ihm, Cicero, Vernunft und Staatsraison ins Exil getrieben worden sei. Daher ist Clodius der homo amentissimus. Die persçnliche Betroffenheit Ciceros fhrt ihn also von der milderen Form des Polemisierens und Ironisierens, die er sonst in diesem Traktat wahrt, zur persçnlichen Attacke. Eine solche kçnnte auch in der genannten biblischen Phariserschelte vorliegen, was sie dem Invektivischen annhern wrde, doch offenbar nur beim Evangelisten Matthus, der allein den Pharisern und Schriftgelehrten einen solch massiven Heuchlervorwurf macht: Gleich sechsmal wird auf sie 27 Hellenistische Gattungen im Neuen Testament.
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eingehmmert, um einen hçheren Effekt der Invektive zu erzielen28. Angesichts der lebensnahen Normalitt streitbarer Selbstbehauptung wird man natrlich auch eine Einwirkung alttestamentlicher rgender Texte und die Praxis der innerjdischen Kontroversen bercksichtigen mssen.29 Wenn man einen Einfluss vom Griechischen sehen mçchte, so kçnnte er nur aus der Tradition der Rhetorenschule kommen. Literarhistorisch gesehen msste dann ein Vergleich mit den Schimpfreden bei Homer beginnen, sich ber die eigentlichen Erfinder der Diatribe in nuce, die Sophisten30, fortsetzen und dann zu den attischen Rednern und den hellenistischen Philosophenschulen fhren, die ja Streitgesprch und protreptische Rede besonders pflegten. Im Neuen Testament jedoch scheint Invektivisches offensichtlich nur in begrenztem Ausmaß von Beschimpfungen aufzufinden zu sein. Berichte von Auseinandersetzung mussten wohl die Ausnahme bleiben und diese drfte eher der Rge und dem ihr eigenen Bekehrungswillen zuzuordnen sein, um so mehr, als Nchstenliebe bei Matthus als das andere der beiden hçchsten Gebote galt31.
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„Soweit meine offenen Worte an dich …“ Form und Funktion von Polemik in den Schriften des Lukian von Samosata Peter v. Mçllendorff 1. Grundstzliches zur Rolle von Polemik in der kaiserzeitlichen Bildungskultur Zuschnitt und soziokulturelle Funktion von griechischer Bildung (paidea) in der rçmischen Kaiserzeit sind in der altertumswissenschaftlichen Forschung der vergangenen zwei Jahrzehnte ausgiebig und detailliert beschrieben worden. Tatschlich ist unter Bildung ein einerseits weitreichendes, andererseits doch auch – aus heutiger Sicht betrachtet – reduktives Bndel von Kompetenzen zu verstehen, die auf der Basis einer eindringlichen Beschftigung mit der literarischen und knstlerischen Vergangenheit erworben werden. Diese Vergangenheit wird beschrnkt auf eine als klassisch wahrgenommene und entsprechend bevorzugte Epoche, nmlich das 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., dessen knstlerische Errungenschaften bestenfalls durch ausgewhlte Reprsentanten vor allem der attisch-athenischen Geistesgeschichte, darunter natrlich vor allem Homer, noch ergnzt werden: Die Autoren und allgemein die Reprsentanten dieser Epoche schließen sich aus der Perspektive der Kaiserzeit zusammen zu einem im Kern verbindlichen Kanon, whrend die jngere Geistes- und Kunstgeschichte, und gar die zeitgençssischen Knstler, Literaten und Rhetoren, eine entschieden sekundre Rolle spielen. Weitreichend ist dieser Kanon gleichwohl in seiner pdagogischen und in seiner gesellschaftsbildenden Bedeutung. Denn seine aktive Beherrschung, die sich insbesondere im Sprachgebrauch niederschlgt – neben der Koin beherrscht der Gebildete, der pepaideumnos, auch das klassische Attisch eines Aristophanes, eines Xenophon, eines Demosthenes –, entscheidet letztlich – neben Faktoren wie Familie und Vermçgen – ber die Zugehçrigkeit des Gebildeten zur eigentlichen, politisch relevanten Oberschicht selbst auf der Ebene der rçmischen Imperialverwaltung.
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Die griechische Bildung, allgemeiner formuliert: der als paidea bezeichnete Sektor kaiserzeitlicher Episteme, entfaltet sich zwischen zwei Polen, die man summarisch mit ,Rhetorik‘ einerseits, ,Philosophie‘ andererseits benennen kçnnte. Whrend sich der rhetorische Bildungsanteil, wie gesagt, vor allem im sprachlichen Auftreten manifestiert, damit aber natrlich auch die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Welt und die Art und Weise beeinflusst, sich mit ihr aneignend und darstellend zu beschftigen, geht es in der philosophischen Ausbildung – die, anders als die Rhetorik, gleichwohl eher als wnschenswerter Zusatz denn als fester und unhintergehbarer Bildungsbestandteil absolviert wurde – in erster Linie um ethische Persçnlichkeitsformung, durchaus aber auch um Grundlagen der Philosophie als wissenschaftlicher Disziplin, in deren Rahmen Probleme aus Metaphysik, Physik und Logik aufgeworfen und diskutiert wurden. Rhetorische wie philosophische Formung sind mithin aktualittsrelevant und weisen zugleich qua Mimesis einen starken Vergangenheitsbezug auf: Die klassischen Vorbilder dienen in ihrer Perfektion als (unerreichbare) Messlatte fr den eigenen Fortschritt und, ber den Vergleich, als Qualittsindikator. Der Gebildete der Kaiserzeit steht vertikal wie horizontal im Wettbewerb, seine Bildungsdemonstration muss sich sowohl im Alltag als auch bei besonderen Gelegenheiten stets agonal bewhren. Dass eine solche elementare Agonalitt des Bildungsvollzugs ein krftiger Nhrboden fr Polemik aller Art sein muss, liegt nahe. Einerseits haben ja die wirklichen pepaideumnoi ein vitales Interesse daran, das geforderte Niveau mçglichst hoch zu halten, um unliebsame Konkurrenz ,von unten‘ schon im Vorfeld fernzuhalten und um paidea als soziales Ausscheidekriterium vollumfnglich bewahren und selbst in ihren Zuschnitten definieren zu kçnnen. Andererseits will man auch innerhalb des ,inner circle‘ der Gebildeten den Konkurrenten ausstechen, und dies lsst sich nicht nur durch einfach bessere Qualitt der eigenen Bildungsußerungen umsetzen, sondern ebenso wirkungsvoll durch die Diffamierung der (angeblichen) Minderleistung des Anderen. Die doppelte Motivation von Bildungspolemik erklrt insbesondere die Reichweite der Bildungsschelte, die oft ber die Kritik an einzelnen Missgriffen hinausgeht und dem Gegenber Bildung in toto abspricht. Diese generelle Kritik erfasst dann, wie es zu der ganzheitlichen Konzeption von Bildung – Wissen, Charakter, Auftreten und Verhalten – auch passt, die gesamte Persçnlichkeit. Dies wiederum fgt sich gut dazu, dass Polemik als Textgenre in der antiken rhetorischen Systematik stets
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unmittelbar mit der Enkomiastik verbunden wird,1 die wiederum ebenfalls grundstzlich die zu lobende Persçnlichkeit in der Gesamtheit ihres Lebensvollzuges zu erfassen sucht. Sptestens hier ist allerdings zu fragen, welche ußerungsformen man eigentlich genau unter ,Polemik‘ subsumieren will. Wie genau funktioniert die Abgrenzung gegen Beschimpfung, wie die gegen Kritik? Kann man von einer Gattung ,Polemik‘ sprechen, die ber bestimmte Gattungsmerkmale verfgt, bzw. ist die Einordnung polemischer Texte in das rhetorische System – unter vituperatio bzw. x|cor – eine mit Blick auf den textlichen Gesamtbefund treffende generische Festlegung? Wie verhalten sich Exemplare einer solchen Gattung zu polemischen Einzelußerungen innerhalb anderer Texte? All diese Fragen sind weder fr die antike Literatur noch fr die Folgeepochen befriedigend geklrt2 und lassen sich wahrscheinlich auch nicht befriedigend klren. Denn tatschlich lsst sich die inhaltliche wie formale Vielfalt polemischer ußerungen innerhalb von Texten aufgrund ihrer Omniprsenz kaum erfassen oder klassifizieren. Kein Genre ist der Polemik verschlossen, die wir genauso im Epos und im Drama wie in der Lyrik finden; die Fachliteratur ist voll davon.3 Eine „Geschichte der antiken Polemik“ drfte schwer zu schreiben sein, und die Eingrenzung der Fragestellung nach Form und Funktion von Polemik auf Texte, deren Grundanliegen und primrer Inhalt polemische Stellungnahmen sind, scheint geboten. Ihren Ausgangspunkt msste eine Bestimmung des Polemischen von seiner grundstzlichen Behandlung bei Lukian nehmen, der dem Phnomen immerhin eine eigene Abhandlung gewidmet hat:4 In Peq· toO 1 2 3
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Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik §§ 1129 sowie 240 und 243 – 247. So konstatiert Stauffer, Art. Polemik, 1404, das Fehlen einer Gesamtdarstellung, die Uferlosigkeit des Materials und den schwer zu greifenden historischen Bedeutungswandel des Begriffs. Nur beispielhalber erwhne ich, unter Beschrnkung auf die frhe griechische Literatur, fr das Epos die bekannte Rede des Thersites gegen Agamemnon in Homer, Ilias 2,211 – 242, fr das Drama die Komçdien des Aristophanes – von Stauffer, Polemik, merkwrdigerweise unerwhnt; vgl. hierzu Mçllendorff, Aristophanes, 173 – 180 –, fr die Lyrik die Iamben des Archilochos und des Hipponax. Aus der Fachliteratur seien, ebenfalls nur beispielhalber, die Dialoge Platons mit ihrer herben antisophistischen Polemik und die Auseinandersetzungen Galens mit konkurrierenden rztlichen Schulen genannt; zahllose Belege ließen sich auch aus der Historiographie, etwa bei Thukydides oder bei Polybios, anfhren. Umso auffallender ist, dass sie in den einschlgigen Handbchern nicht erwhnt wird; so fehlt sie etwa bei Stauffer, Art. Polemik, dessen Behandlung antiker Polemik aber ohnehin einen blinden Fleck im Bereich posthellenistischer griechischer Li-
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lμ Nôd_yr piste}eim diabok0 – in Wielands bertragung: Gegen die Ver-
leumdung, oder Daß man denen, die andern Bçses nachsagen, nicht zu leicht glauben msse – gibt er eine Definition der Verleumdung: 5sti to_mum diabokμ5 jatgcoq_a tir 1n 1qgl_ar cimol]mg, t¹m jatgcoqo}lemom kekghu?a, 1j toO lomoleqoOr !mamtik]jtyr pepisteul]mg. toia}tg l³m B rp|hesir toO k|cou. tqi_m dû emtym pqos~pym, jah\peq 1m ta?r jyl\d_air, toO diab\kkomtor ja· toO diabakkol]mou ja· toO pq¹r dm B diabokμ c_metai, jahû 6jastom aqt_m 1pisjop^sylem oXa eQj¹r eWmai t± cim|lema (Calumniae non temere credendum, 6).6 Die Verleumdung findet in ihrer Einseitigkeit unwidersprochen Glauben, unterscheidet sich aber von der Polemik dadurch, dass sie 1n 1qgl_ar, also hinterrcks und nicht im Beisein des Geschmhten, geußert wird. Mit der Polemik teilt sie das, was Jrgen Stenzel die „polemische Situation“ genannt hat, die schon Lukian kennt: der polemische wie der verleumderische Sprechakt finden zwischen dem polemischen Subjekt, dem polemischen Objekt und der polemischen Instanz statt, und in der Tat ist der eigentliche Adressat des polemischen wie des verleumderischen Texts eben das lesende / hçrende Publikum.7 Die Verworfenheit der Verleumdung resultiert zweifellos aus ihrem Heimlichkeitscharakter, und sie ist es, woraus sich dann fr Lukian geradezu die moralische Rechtfertigung der Polemik ergibt: ja· c±q !paqqgs_astor ja· deik¹r ûpar b toioOtor %mhqypor oqd³m 1r toqlvam³r %cym, !kkû ¦speq oR kow_mter 1n !vamoOr pohem tone}ym, ¢r lgd³ !mtit\nashai dumat¹m eWmai lgd³ !mtacym_sashai, !kkû 1m !poq_ô ja· !cmo_ô
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teratur aufweist, sich jedoch mçglicherweise orientiert an der unerklrlichen NichtBercksichtigung Lukians und berhaupt der kaiserzeitlichen griechischen Literatur in der polemischen Theorie wie in der polemischen Praxis in der grundlegenden Darstellung bei Koster, Die Invektive in der griechischen und rçmischen Literatur, die doch an sich eine Aufarbeitung auch der griechischen Invektive im Titel verspricht. Anders als der x|cor besitzt die diabok^ nicht den Status eines rhetorischen Fachbegriffs, da sie letztlich zumindest theoretisch ohne rhetorische Untersttzung auskommt. Es ist erst die ffentlichkeit einer solchen Beschuldigung, die sie dann auch zum Gegenstand rhetorischer berlegungen macht. „Wir fangen also, um kunstmßig zu verfahren, mit dem Umriss, nmlich mit der Definition der Verleumdung an und sagen, sie sei eine Art von Anklage, die hinter dem Rcken des Beklagten angebracht und dem Klger einseitig geglaubt wird, ohne dass man sich darum bekmmert, was der andere Teil dagegen einzuwenden haben kçnne. Aus dieser Erklrung des Worts ergibt sich nun der Inhalt unsrer Rede von selbst. Denn da wir hier, wie in den Komçdien, nur drei Personen haben, den Verleumder, den Verleumdeten und den, welchem die Verleumdung vorgetragen wird: so werden wir eine nach der andern vornehmen und sehen, was fr eine Rolle sie bei der Sache spielt.“ (bersetzung nach C.M. Wieland) Vgl. Stenzel, Rhetorischer Manichismus.
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toO pokel_ou diavhe_qeshai, d l]cist|m 1sti sgle?om toO lgd³m rci³r to»r diab\kkomtar k]ceim. 1pe· eU t_r ce t!kgh/ jatgcoqoOmti 2aut` sumep_statai, oxtor, oWlai, ja· eQr t¹ vameq¹m 1k]cwei ja· dieuh}mei ja· !mtenet\fei t` k|c\, ¦speq oqde·r #m 1j toO pqovamoOr mij÷m dum\lemor 1m]dqô pot³ ja· !p\t, wq^saito jat± t_m pokel_ym (Calumnia 9).8 Es hat hier geradezu den Anschein, als verleihe ihre ffentlichkeit (t¹ vameq|m) der Anklage schon a
priori Wahrhaftigkeit: Wer offen spricht, der besitzt – wenn man die negativen Charakterisierungen im obigen Textausschnitt in ihr Gegenteil umsetzt – offensichtlich Eigenschaften wie paqqgs_a und !mdqe_a, und er kmpft nicht aus dem Hinterhalt, sondern wie ein Mann. Unterscheidet sich Polemik von der Verleumdung also durch ihren çffentlichen Charakter, so lsst sich ihre definitorische Abgrenzung gegen allgemein oder speziell kritische Texte einerseits, beschimpfende Texte andererseits ber die Umgangsweise mit dem verfolgten Anliegen vornehmen: Es muss erstens ein solches Anliegen (eine Klarstellung, eine Argumentation, eine Richtigstellung, ein Besserungswunsch etc.) hinter den ußerungen erkennbar sein – whrend die Beschimpfung nur die Diskreditierung und Beleidigung des Gegners allein zum Ziel hat –, und es muss zweitens dieses Anliegen auf eine Art und Weise verfolgt werden, dass eine ber das Anliegen als solches hinausgehende Schdigung des Gegners gewollt oder jedenfalls in Kauf genommen wird.9 Eine Abgrenzung gegenber der Satire lsst sich gewinnen ber die Kriterien der Konkretheit (versus dem hohen fiktionalen Anteil der Satire) und Fokussierung des ,Opfers‘: Je allgemeiner das Objekt der Polemik konstituiert wird, desto mehr schwindet der unmittelbar polemische Charakter, der vielmehr von der deutlichen Ausrichtung des 8
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„Diese furchtsame und mit Recht gegen ihre eigene Sache misstrauische Art von Menschen hat nie das Herz, vor der Klinge zu fechten, sondern sie schießen ihre Pfeile, wie wahre Buschklepper, aus einem dunklen Hinterhalt ab, so dass man nicht weiß, wo der Schuss herkommt, und sich also auch gegen den unsichtbaren Feind nicht zur Wehr stellen kann. Aber gerade dies ist, meines Erachtens, ein augenscheinlicher Beweis, dass diese Leute nichts zu Recht Bestndiges sagen und keiner Aufmerksamkeit gewrdigt werden sollten. Denn wer sich bewusst ist, dass er die Wahrheit sagt, der getraut sich auch, denke ich, sie dem andern ins Gesicht zu sagen; er fordert ihn auf, sich zu verteidigen, und ist seiner Gegenantwort und seines Sieges sicher: so wie niemand, der auf offnem Schlachtfelde zu siegen hoffen kann, sich so leicht Hinterlist und Betrug gegen seinen Feind erlauben wird.“ (bersetzung C.M. Wieland) Eine solche Differenzierung ist an dieser Stelle nçtig, da mit den blichen diachronen Differenzierungen – die in ihrer postulierten Trennschrfe auch nicht smtlich berzeugen – im Blick auf die Antike, die in der Polemikforschung (zu Unrecht) als weitgehend homogener Raum wahrgenommen wird, nicht gearbeitet werden kann.
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Sprechaktes auf einen oder mehrere zumindest grundstzlich identifizierbare Objekte gespeist wird. Aus einer solchen Definition folgt, dass Polemik als skalares Konzept verstanden werden muss, anders gesagt: dass es mehr oder weniger polemische Texte gibt. Eine entsprechende Wertung von Texten hngt von Umstnden ab, die nur zum Teil objektivierbar sind. Ein solcher Umstand ist das Publikum, dem ja bereits Lukian einen hohen Stellenwert im polemischen Sprechakt einrumt. Definitorisch bedeutsam wird das Publikum jedoch erst im Rahmen der Frage nach dem jeweiligen Grad von Polemik, denn fr sich genommen ist das bloße Vorhandensein einer solchen berzeugungsabsicht – vorausgesetzt, es besteht, wie oben gesagt, ein erkennbares Anliegen – ja bereits aus der bloßen Tatsache der Publikation des Textes ersichtlich. Je nach Einstellung des Publikums zum Objekt der Polemik kann diese als schrfer oder weniger scharf angesehen werden, wobei sich der paradoxe Effekt einstellen kann, dass die Polemik zur Zeitkritik wird, insofern sie ein Bndnis zwischen Publikum und polemischem Objekt behauptet, wodurch auch das Publikum in die Schussrichtung der Polemik gert. In dieser Wendung beginnt die Polemik ins Satirische umzuschlagen. Schwierig ist in diesem Zusammenhang, dass wir gerade fr die antiken Texte eben ber keine authentische Dokumentation von Publikumsreaktionen verfgen, so dass die Skalierung von Polemik nur subjektiv und potentiell anachronistisch sein kann. Bereits Lukian widmet jedenfalls der Bercksichtigung des Adressaten der Polemik einigen Raum: Der Polemiker msse die empfindsamen Punkte nicht seines Opfers, sondern seines Publikums finden und seine Polemik auf sie abstimmen (Calumnia 15). Dabei verschaffe eine besondere Beliebtheit des Opfers beim Adressaten – wie sie aus Ansehen, Prestige oder Freundschaft resultiere – der Verleumdung paradoxerweise noch mehr Raum (Calumnia 24).
2. Polemische Schriften im Werk Lukians – Versuch einer Abgrenzung Betrachtet man vor dem Hintergrund der obenstehenden definitorischen berlegungen das Œuvre Lukians – ein Werk, das von der Inszenierung, aber auch von der Diskussion von paidea geradezu lebt –, dann zeichnet sich schnell ab, dass unter den mehr als 70 erhaltenen Texten nur ein relativ berschaubares Teilcorpus als eigentlich polemisch bezeichnet werden
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kann; eine weitere kleine Gruppe von Schriften enthlt Texte, deren Zugehçrigkeit zur Polemik erst zu diskutieren wre. Sicher polemisch sind m. E. folgende fnf Texte: Adversus indoctum, Pseudologista, Rhetorum praeceptor, Alexander, De morte Peregrini. In der Gruppe der sicher polemischen Texte sind in der Art der Attacke und in formaler Hinsicht Adversus indoctum und Pseudologista einander besonders hnlich. In beiden Schriften attackiert der Sprecher, der weder eine eigene Figurenbezeichnung erhlt noch im Text mit Namen genannt wird, einen ebenfalls anonym bleibenden Gegner, den er gut zu kennen behauptet,10 wegen seiner Unbildung. Im Falle des ,ungebildeten Bchernarren‘, der das Objekt der Schelte in Adversus indoctum ist, erhebt der Sprecher – den man aufgrund seiner von ihm erwhnten syrischen Herkunft spontan mit Lukian identifizieren mçchte – den Vorwurf, sein (ebenfalls syrischer) Gegner nutze seinen Reichtum nur, um durch den Erwerb teurer Ausgaben und bibliophiler Werke, die er stndig unter dem Arm trage (bei Lukian grundstzlich ein Zeichen bloßer Bildungsprtention), Bildung nur zu suggerieren, nicht aber sich wirklich ernsthaft zu bilden. Dieser Vorwurf wird im Verlauf der Schrift auf die gesamte Lebensfhrung ausgedehnt, indem dem Ungebildeten zudem moralisches Versagen, genauer gesagt: das Feiern homosexueller Orgien, unterstellt wird. In vergleichbarer Weise attackiert der Sprecher seinen Feind in Pseudologista sive De apophrade. Der Sprecher hatte ihn bei einer Begegnung offensichtlich mit einer !povq±r Bl]qa, einem dies nefastus,11 verglichen, was dieser zum Anlass genommen zu haben scheint, dem Sprecher zu unterstellen, er kenne die Bedeutung des Begriffes !povq\r nicht und wisse nicht, wie man ihn richtig anwende. Der Vorwurf wiegt schwer, denn hier wird dem Sprecher mangelnde attizistische Sprachkompetenz unterstellt, womit – wenn das zutrfe – ein markanter Fall von Unbildung evident wrde. Der Sprecher legt demgegenber ausfhrlichst dar, inwieweit er sehr wohl ber die Bedeutung und Verwendungsweise des Begriffes informiert ist, nutzt aber zugleich die Gelegenheit, seinen Gegner zu verunglimpfen und ihm seine eigene Unbildung und – wie in Adversus indoctum – seine unmoralische Lebensfhrung vorzuhalten. 10 Vgl. Pseudologista 2: […] !mdq· 1keuh]q\ ja· oUjoh]m se !jqib_r eQd|ti [„einem Mann (…), der gewohnt ist, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, Dich, von Hause aus, in- und auswendig kennt“ (bersetzung nach C.M.Wieland)] und Adversus indoctum 19: […] ja· lμm fsa ce j!l³ S}qom emta eQd]mai [„Aber soviel ich weiß, der ich auch Syrer bin“ (bersetzung vom Autor)]. 11 Dabei handelt es sich in der griechischen wie in der rçmischen Kultur um Tage von bler Vorbedeutung, an denen daher keine politische oder juristische Aktivitt ausgefhrt wurde.
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Die spezifisch polemischen Merkmale des Pseudologista werden schnell deutlich, wenn man diese Schrift mit zwei weiteren – der Verteidigung Pro lapsu inter salutandum und dem ,sokratischen‘ Dialog Soloecista – vergleicht, in der hnliche Fragen von Sprachrichtigkeit verhandelt werden. In Pro lapsu verteidigt und entschuldigt sich der Sprecher fr einen tatschlichen verbalen Ausrutscher: Er hatte bei der morgendlichen Begrßung eines mchtigen Gçnners ihm rcia_meim statt des – am Morgen blichen – wa_qeim gewnscht und sich damit zum Gespçtt der Umstehenden gemacht. Der Text, vom Verfasser als ,Trostschrift fr ihn selbst‘ (paqaluh_am tim± 1laut`: Pro lapsu 1) bezeichnet, dient dem Zweck, im Nachhinein nicht nur seine Belesenheit und Wohlinformiertheit ber die Geschichte dieses Morgenwunsches zu demonstrieren, sondern den Spieß geradezu umzudrehen: Sein Morgenwunsch, wenngleich fehlerhaft, war im Grunde der bessere und segensreichere. Hingegen enthlt die Schrift kein Wort der Kritik an den Lachern. Im Soloecista lesen wir ein – zur Gnze paratextfreies – Gesprch zwischen Lykinos und einem als Sokoijist^r bezeichneten Dialogpartner, in dem Lykinos in sokratisch-elenktischer Manier nachweist, dass sein Gegenber, der behauptet, ein Sprachkritiker besonderer Gte zu sein und jede sprachliche Unrichtigkeit (Solçzismus) sofort zu bemerken, tatschlich gar nichts weiß und von Sprachrichtigkeit nichts versteht. Das wird zwar in aller Deutlichkeit und Direktheit zum Ausdruck gebracht, es fehlen aber alle Schlge unter die Grtellinie und jede Ausweitung des Vorwurfs hin zu dem gnzlicher Unbildung; vielmehr bleibt das Gesprch durchweg eng beim Thema. Drastik und Generalisierung von Vorwrfen scheinen mithin genuin zum Polemischen dazuzugehçren. Nher an der Polemik steht ein dritter Text mit erneut vergleichbarer Thematik: der Lexiphanes. Der ,Wçrter-Zeiger‘ hat in Konkurrenz mit der durch Platon und Xenophon verkçrperten großen Tradition ein Symposion verfasst,12 das er seinem Freund Lykinos vortrgt: ein attizistisches Machwerk, dessen einziger Zweck die mehr oder weniger zusammenhanglose Verwendung rarsten Wortmaterials ist, das zudem oft genug falsch oder unidiomatisch gebraucht wird. Lykinos ist entsetzt und beschließt, seinem Freund13 durch eine Therapie zu helfen. Unter Hinzuziehung des Arztes 12 Lexiphanes 1: !mtisulposi\fy t` )q_stymor [„I am counter-banqueting the son of Aristo“ (bersetzung nach A.M. Harmon. Keine deutsche bersetzung vorhanden)]. 13 Lykinos redet Lexiphanes wiederholt als ,Freund‘ an: vgl. Lexiphanes 1 (s}ccmyhi, § 2ta?qe [„Excuse me, my friend“ (bersetzung nach A.M. Harmon)]) und 18 (Keniv\mgm paqakab½m 2ta?qom, ¢r oWsha, Bl?m emta [„Do take charge of Lexiphanes here, who is my friend, as you know […]“ (bersetzung nach A.M. Harmon)]).
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Sopolis verabreicht er ihm ein Emetikum, das ihn alle pseudo-attischen Wçrter hervorwrgen lsst, und verordnet ihm dann eine Kur kanonischer Lektren. Whrend der erste Teil – der Vortrag des Symposions – fr den Kenner einfach nur komisch ist, trgt der zweite Teil – die Therapie – insofern polemische Zge, als er zwar die Verdchtigung genereller Unbildung vermeidet, aber doch, insbesondere bei der genauen Schilderung des Erbrechens, an Drastik nicht spart.14 Wre Lexiphanes nicht ausdrcklich Lykinos’ Freund, wrde die Stufe zur wirklichen Polemik wahrscheinlich schnell berschritten, und mit seinem letzten Satz scheint Lykinos eine solche Mçglichkeit auch anzudeuten: Cm d³ k\h,r awhir eQr tμm kiwme_am jatokish~m, 1lo· l³m !popepk^qytai B paqa_mesir, s» d³ seaut¹m aQti\s,, %m ce ja· num0r we_qym cem|lemor (Lexiphanes 25).15 Dieser Text versteht sich offensichtlich noch als (herbe) Parnese, der nchste Schritt kçnnte dann wohl nur noch entweder das Schweigen oder der Umschlag der Kritik ins Polemische sein. Das persçnliche Verhltnis zwischen Kritiker und Kritisiertem ist also ein weiterer Faktor, der fr die Genese von Polemik eine Rolle spielt. Der Unterschied zwischen Polemik und Zeitkritik, wie er eben bereits angesprochen wurde, lsst sich gut an zwei weiteren Texten Lukians festmachen. In Rhetorum Praeceptor wird einem jungen Adepten der Rhetorik von einem anonymen Sprecher zugesagt, in ganz kurzer Zeit zu einem Starredner werden zu kçnnen. Um das zu erreichen, solle er nicht den beschwerlichen Weg langsamer bung und mhseligen Lernens gehen, son14 pq_tom tout· t¹ l_m, eWta letû aqt¹ 1nek^kuhem t¹ jÇta, eWta 1pû aqto?r t¹ G dû fr ja· "lgc]pg ja· k`ste ja· d^pouhem ja· sumew³r t¹ %tta. b_asai dû flyr, ja· j\her eQr tμm v\qucca to»r dajt}kour. oqd]py t¹ Ujtaq 1l^lejar oqd³ t¹ sjoqdim÷shai oqd³ t¹ teut\feshai oqd³ t¹ sj}kkeshai. pokk± 5ti rpod]duje ja· lest^ soi aqt_m B cast^q. %leimom d] , eQ ja· j\ty diawyq^seiem #m 5mia7 B coOm sikgpoqd_a l]cam t¹m x|vom 1qc\setai sumejpesoOsa let± toO pme}lator. !kk’ Edg l³m jahaq¹r ortos· pkμm eU ti lel]mgjem rp|koipom 1m to?r j\ty 1mt]qoir (Lexiphanes 21). [„First, this ‘prithee’then after it ‘eftsoons’ has come up; then on their heels his ‘quoth he’ and ‘in some wise’ and ‘fair sir’ and ‘in sooth’ an his incessant ‘sundry.’ Make an effort, however; put your fingers down your throat. You have not yet given up ‘instanter’ or ‘pandiculation’ or ‘divagation’ or ‘spoliation.’ Many things still lurk in hiding and your inwards are full of them. It would be better if some should take the opposite course. Anyhow, ‘vilipendency’ will make a great racket when it comes tumbling out on the wings of the wind. Well, this man is now purged, unless something has remained behind in his lower intestines.“ (bersetzung von A.M. Harmon)] 15 „… but if you unwittingly slip back into your preciosity, I at least have done my part in advising you and you may blame yourself, if indeed you are conscious of deterioration.“ (bersetzung von A.M. Harmon)
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dern statt dessen vor allem auf ein gepflegtes ußeres achten, die wichtigsten attischen Wçrter memorieren und in seine Rede einstreuen, mçglichst zusammenhanglos, dafr aber dreist und frech daherreden, schließlich auch seine Lebensfhrung auf Hurerei und Gewalttat umstellen. Fr die Darlegung dieser Positionen lsst der Sprecher einen weiteren (ebenfalls anonymen) Rhetor auftreten, der jenen Weg selbst erfolgreich gegangen zu sein behauptet und mit all seinen aus Bildungssicht desastrçsen Defiziten prahlt. Es ist eigentlich erst sein Auftritt, der das, was der erste Sprecher zugesagt hat, als definitiv ironisch intendiert entlarvt; diese Ironie wird auch im kurzen Epilog nur ganz am Ende ins Explizite gewendet, wenn der Sprecher ankndigt, diesen zu erwartenden Erfolgen nicht im Weg stehen zu wollen, habe man doch selbst ihn bertroffen t` Nõstgm ja· pqam/ tqap]shai tμm bd|m (Rhetorum praeceptor 26).16 Der Text arbeitet also durchweg mit der schon bekannten polemischen Topik, die aus rhetorischen Defiziten auf generelle Bildungsschwche schließt und sie zum Vorwurf unmoralischer Lebensfhrung ausbaut, er prsentiert diese Topik aber in ironisch doppelt invertierter Form: Denn er gestaltet sie ja als Selbstlob und damit als Variante der Lobrede, des 1cj~liom, die wiederum in der rhetorischen Theorie mit der Polemik, dem x|cor, insofern eine Einheit bildet, als die Topoi des Tadelns in den rhetorischen Handbchern nicht eigenstndig, sondern nur in Umkehrung der Topoi der Lobrede entwickelt werden – jedoch als eine faktisch ja gesellschaftlich unmçgliche Variante. Will man nun aber einen Begriff von Polemik einigermaßen trennscharf bewahren, so schließt er die Verwendung, jedenfalls eine so ubiquitre und intensivierte Verwendung von Ironie aus. Denn Polemik – dies legt schon der (zugegeben: neuzeitliche) Begriff nahe – ist eine direkte Form der Attacke, die sich zum Zweck der Kritik gewiss auch einmal der Ironie bedienen kann, aber nicht ausschließlich ironisch – und also indirekt – gehalten sein kann. Der Text bewegt sich also offensichtlich im Grenzbereich zwischen Polemik und Satire, und dazu passt, dass man zwar stets den Eindruck hat, es sei eine bestimmte Persçnlichkeit gemeint, deren Identitt fr den zeitgençssischen Leser leicht entzifferbar gewesen sei, die Anonymitt aber doch gewahrt bleibt und auch kein Vorwurf so individualisiert zu sein scheint, dass man aus ihm – jedenfalls nach heutigem Kenntnisstand – den wirklichen Gegner herauslesen kçnnte. Einer insgesamt vergleichbaren, jedoch auf einer Intensittsskala von Polemik sicher tiefer stehenden Vorgehensweise bedient sich der Sprecher in dem geschichtstheoretischen Traktat Quomodo historia sit conscribenda. 16 „Dass ihr den leichtesten aller Wege beschritten habt: den abwrts.“ (bersetzung vom Autor)
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Auch dieser Text ist hochgradig ironisch, auch er geriert sich insgesamt eher als zeitkritisch, indem er die namentliche Nennung der schlechten Exempel zeitgençssischer Geschichtsschreibung vermeidet.17 Die Kritik bleibt aber sachlich und undrastisch, die Lebensfhrung der Gegner wird ausgespart, und damit ist ein wesentliches Charakteristikum Lukianischer Polemik nicht gegeben. Es kommt hinzu, dass fast die gesamte zweite Hlfte des Traktats – ab c. 33 – nur noch sekundr der Kritik, in erster Linie hingegen der konkreten Schreibanweisung zum Verfassen guter historiographischer Texte gewidmet ist. Eine solche positive Wirkabsicht wird man polemischen Texten definitorisch nur indirekt, im wahrsten Sinne des Wortes ex negativo, zugestehen wollen. Dass von den genannten fnf im engeren Sinne polemischen Schriften Lukians allein drei den Gegenstand ihrer Vorwrfe in der Anonymitt belassen, ist mit Blick auf die prsumptive Wirkung der Polemik gewiss erwhnenswert und diskussionswrdig. Ob eine Polemik, die dem Publikum eine Dechiffrierungsleistung abverlangt, wirkungsvoller ist als eine, die die Dinge unmittelbar beim Namen nennt, sei dahingestellt. Sicher wird man sagen drfen, dass die Notwendigkeit des Dechiffrierens das Publikum, das den Text als polemisch zu rezipieren in der Lage ist, von vornherein verkleinert, da hier einige Lektrekenntnis und eine gewisse Kennerschaft in historicis vorausgesetzt wird, die nicht jeder gebildete Leser und von diesen wiederum nicht jeder in vollem Umfang mitbringen wird. Vor dem Leser wird eine Bildungsschranke errichtet, und letztlich muss sich jeder Leser sagen, dass die hier geußerte Kritik in gewisser Weise auch ihn trfe, sollte er nicht fhig sein, sie genau zuzuordnen. Diese Zweischneidigkeit der Polemik – die sich auch daraus ergibt, dass die Chiffrierung die Gefahr in sich birgt, dass der Leser auf sie hereinfllt und womçglich seiner Entzifferung dessen, was letztlich doch bloß Fiktion war, Glauben schenkt – reduziert m. E. die 17 Im Laufe der Darstellung werden einzelne Autoren mit Namen genannt: Jqep]q,or Jakpouqmiam¹r Poglpgzoupok_tgr (15), Jakk_loqvor (16), )mtiowiam|r (30), Dgl^tqior Sacakasse}r (32). Es ist in der Forschung aber weiterhin umstritten, ob es sich hier um erfundene Namen oder um vom Sprecher vergebene Pseudonyme handelt; im letzteren Falle ist obendrein unklar, ob solche Pseudonyme die Identitt der Gemeinten wirklich kaschieren oder ob sie durchschaut werden sollten, womçglich gar in besonderer Weise witzig waren. Darber hinaus zitiert der Sprecher ausgiebig aus den von ihm inkriminierten Texten: Keines dieser Zitate ist uns aber aus anderen Kontexten bekannt. Auch hier muss offen bleiben, ob uns jene Texte einfach nur nicht erhalten sind, ob Lukian sie zum Zweck der Illustration des Gemeinten erfunden und sie allgemein im Stile zeitgençssischer historiographischer Machwerke gehalten hat, oder ob es sich schließlich vielleicht sogar um Parodien von dem Publikum bekannten Texten handelt.
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Stoßkraft der Kritik, weil sie die potentiellen Stoßrichtungen vermehrt. Die Anonymitt der Vorwrfe verndert darber hinaus das Verhltnis zwischen Subjekt und Publikum der Polemik insofern, als selbst dann, wenn der Leser belastbar richtig dechiffriert, sich aus der Namenlosigkeit eine gewisse Generalisierung der Vorwrfe ergibt. Der Leser beginnt obendrein daran zu zweifeln, auf welcher Seite er besser aufgehoben ist. Denn nicht nur kçnnte der Verfasser der Polemik ja mçglicherweise auch ihn bloßstellen, sondern der Leser kann sich außerdem fragen, warum der Autor eigentlich dieses Anonymisierungsverfahren whlt: Will er die direkte Attacke aus Furcht vermeiden? Das wre geradezu ehrenrhrig, und es wrde der polemischen Wirkung gewiss Abbruch tun, wenn ihr Verfasser als feige gelten msste. Distanziert sich der Autor von seinem Sprecher? Dann wre eher eine sophistische Kultur der Polemik Gegenstand der Kritik, die Texte wrden sich dann als Satire auf den agonalen sophistischen Betrieb in seiner ganzen Aggressivitt, wie er uns aus den Schilderungen in Philostrats Sophistenviten so lebendig entgegentritt, erweisen; und Lukian unterstellt ja in seinem Traktat ber die Verleumdung auch dem Verleumder eine ganze Reihe potentieller sachfremder Motive, die samt und sonders auch fr den Polemiker und die Erklrung seines Tuns Gltigkeit besitzen kçnnen: Eifersucht auf den Geschmhten, der die gleiche Profession betreibt, Vorteilsgewinnung im Wettbewerb, schließlich Ablenkung von eigenen Fehlern oder eigener Schuld. Intendiert der Autor eine teilsatirische, auf die Gesamtheit der Vertreter der jeweils inkriminierten einzelnen Profession zielende Wirkung? Dann kann man nicht mehr im eigentlichen Sinne von Polemik sprechen. Mçglicherweise ist die Lçsung aber auch von radikaler Einfachheit. Die Anonymisierung hinterließ ja selbst dann, wenn sie fr den zeitgençssischen Leser letztlich zu durchschauen war, einen letzten Zweifel. Und dieser Zweifel musste es der angefeindeten Person unmçglich machen, auf die Polemik zu reagieren, denn damit htte sie ja diesen letzten Rest an Protektion, die in der Anonymitt lag, selbst beiseite gerumt, htte zugegeben, dass sogar sie selbst sich in der Schilderung wiedergefunden habe, und damit der Attacke geradezu den Anschein von Legitimitt verliehen. Tatschlich kçnnte Lukians Intention darin bestanden haben, seine Feinde mundtot zu machen, ihnen die Mçglichkeit der Verteidigung zu rauben. Und damit wrde sich dann seine Polemik der von ihm selbst doch mit so hehren Worten in seinem Traktat gegen die Verleumdung zurckgewiesenen diabok^ nhern, deren Besonderheit ja in Lukians eigener Definition gerade in ihrer Heimlichkeit und Hinterhltigkeit besteht.
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3. Besondere Gestaltungsformen der Polemik bei Lukian Es bleiben zwei Texte zu besprechen, die zu den bislang behandelten Polemiken in mancher Weise quer stehen: die Attacken gegen den falschen Propheten Alexander zum einen, gegen den falschen Philosophen Proteus Peregrinus zum anderen. Im Unterschied zu den brigen Schriften, von denen bisher die Rede war, sind hier die beiden Gegner von Anfang an namentlich genannt und darber hinaus historisch verifizierbar. Darber hinaus liefert der Sprecher eine ganze Reihe biographischer Details, seine Vorwrfe sind sehr konkreter Natur und berufen sich auf den Augenschein. Eine eindringliche Variation der polemischen Form liegt zudem darin vor, dass die Auseinandersetzung als Erzhlung gegeben wird: Im Alexander sive Pseudomantis schildert Lukian Leben und Karriere des Priesters Alexander von Abonoteichos und entlarvt ihn als Scharlatan, der seinen Ruhm als Prophet des Schlangengottes Glykon Taschenspielertricks und psychologischer Raffinesse, aber auch skrupellosen Versuchen der physischen Vernichtung seiner Gegner – darunter Lukian selbst – verdanke. De morte Peregrini hingegen schildert die Vorgnge um die Selbstverbrennung des Proteus Peregrinus in Olympia zur Zeit der Festspiele von 165 n. Chr.; diese Schrift bietet die wohl raffinierteste Gestaltung von Polemik in Lukians Werk. Der narrative Charakter beider Schilderungen erlaubt es uns, Lukians Darstellung unmittelbar zu den Anweisungen der rhetorischen Theorie zur Abfassung von Tadelreden ins Verhltnis zu setzen. Wie bereits gesagt, orientieren diese sich gnzlich an den rhetorischen Vorgaben fr die Enkomiastik, indem sie die dort vorgesehenen einzelnen Topoi des Lobens semantisch in ihr Gegenteil verkehren. Die Enkomiastik sieht fr das rhetorische Lob einer Person sechs (inhaltliche) Teile vor;18 ich setze tabellarisch daneben die jeweilige Ausfllung in den beiden Schriften Lukians:19
18 Vgl. die standardisierte Form dieser Disposition bei Aphthonios, Rhetores Graeci, 2,36,7 – 19. 19 Dabei sind inhaltlich variierte Ausfllungen der Disposition jeweils kursiviert.
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Aphthonios
Lukian, Alexander
Lukian, Peregrinus
pqoo_liom
1 – 2: Widmung an Kelsos, Mhe der Arbeit, Unangemessenheit des Gegenstandes
1 – 3: Gruß an Adressaten Kronios, Absurditt der Selbstverbrennung, Behauptung der Autopsie. Einfhrung in die Szenerie zu Elis: Auftritt des Kynikers Theagenes mit einer Lobrede auf Peregrinus (4 – 6) sowie eines zweiten, anonymen, Redners mit einer Tadelrede auf Peregrinus (7 – 30).
[Vorrede mit Einfhrung in das Thema; klassische Topik des attentos, dociles, benevolos facere] c]mor
[Lob mit Blick auf Herkommen und Taten der Vorfahren]
!matqov^
[Lob mit Blick auf Ausbildung, Lehrer etc.]
pq\neir
[Lob aufgrund großer Taten und Leistungen, die das berragende Naturell des Gelobten zum Ausdruck bringen]
3 – 4: [fehlt; vgl. aber 43 – 45 mit zwei der Beschreibung von Charakterisierung dienenden Anekdoten] Aussehen und Charakter 10 f.: Alexanders Behauptung seiner Abkunft von Asklepios und Perseus 5: Ausbildung bei einem Scharlatan aus Tyana; verwerfliche sexuelle Lebensfhrung
Im Rahmen der Tadelrede des anonymen Redners: 9 – 10 [sexuelle Perversionen in seiner Jugend, Ermordung seines eigenen Vaters]
6 – 60: Taten des Alexander bis zu seinem schmhlichen Tod
Im Rahmen der Tadelrede des anonymen Redners: 11 – 20 [Leben bei den Christen und Ausnutzen ihrer Brderlichkeit, Einkerkerung und Freilassung, Loskaufung vom Verdacht des Vatermordes durch Spende seines Erbes, Ausweisung aus Italien, Askese in gypten, Versuch der Rckgngigmachung der Spende, Hinwendung zum Kynismus, Lob und Tadel der elischen Wasserleitung des Herodes Atticus an zwei aufeinanderfolgenden Olympiaden.] Im Rahmen des Berichts des Erzhlers: 31 – 36 [Die Selbstverbrennung des Peregrinus]
Form und Funktion von Polemik in den Schriften des Lukian von Samosata
Aphthonios
Lukian, Alexander
2 (Ruber [Lobenswertheit Tilliboros), 25, im Vergleich mit 43 – 47 anderen] (Kontrastierung mit Epikur und seiner wahren Weisheit) s}cjqisir
1p_kocor
[Schlusswort: Zusammenfassung, abschließende hohe Wrdigung]
61: Apostrophierung des Kelsos. Absicht des Werks: Geflligkeit fr K., Rache fr den von Alexander geschmhten Epikur, Nutzen fr alle Leser
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Lukian, Peregrinus 1 (Empedokles). Im Rahmen der Lobrede des Theagenes (4 – 6): Herkules, skulap, Dionysos, Empedokles [Todesart] Diogenes, Antisthenes, Sokrates, Zeus [Leben und Wirken] Im Rahmen der Tadelrede des anonymen Redners: 21 – 30 [Reflexion ber den Sinn der angekndigten Selbstverbrennung] Im Rahmen des Berichts des Erzhlers: 37 – 42 [Reflexion ber die Folgen der stattgefundenen Selbstverbrennung; Erzhlung von der Gutglubigkeit des Publikums] 43 – 45 [zwei anekdotische Nachtrge zur wahren Wesensart des Peregrinus; s. o. zu c]mor]
Der Alexander fllt, wie unmittelbar zu sehen, das Handbuch-Schema einfach und weitgehend aus. Die zunchst zu fehlen scheinenden Ausfhrungen zu Herkunft und Familie werden ersetzt durch eine polemische Gegenberstellung von bestechendem Aussehen und minderwertigem Charakter; dadurch gelingt es Lukian, ein spezifisches Faszinosum des Propheten, sein glanzvolles ußeres, gleich zu Beginn zu desavouieren. Im Gegensatz zu vielen anderen kleinasiatischen Priestern konnte Alexander keine noble und weit zurckreichende Abstammung vorweisen.20 Er ersetzte sie offensichtlich in prtentiçser Weise durch die Behauptung, von Asklepios und Perseus abzustammen, und Lukian konnte sich berechtigt fhlen, diese Vorgehensweise – mit der sich Alexander womçglich nur gegen einen gesellschaftlichen Erwartungsdruck wehrte, sich seiner gleichzeitig aber auch bediente – unter die Rubrik der tadelnswerten ,Handlungen‘ zu subsumieren. Keinen eigenen Platz erhlt auch der Topos des Vergleichs, aber Lukian hat doch darauf geachtet, ihn einem – im Vergleich mit ihm dann doch nur zweitrangigen – Verbrecher (2) zum einen, zum anderen aber zumindest implizit dem Grndervater der ihm offensichtlich kritisch ge20 Vgl. Lukian von Samosata, Alexandros oder Der Lgenprophet, eingeleitet, herausgegeben und bersetzt von U. Victor, 36 f.
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sonnenen Epikureer (25 u. 43 – 47) gegenberzustellen, also einen Vergleich sowohl ex negativo als auch ex positivo zu unternehmen. Selbst hat sich Alexander – wie Lukian immer wieder hervorhebt – anscheinend des çfteren mit Pythagoras verglichen, in Lukians Augen natrlich zu seinem eigenen Schaden. Am Alexander lsst sich hervorragend beobachten, wie geschickt Lukian die Verwendung polemischer Topoi mit historisch verifizierbaren Details vermischt; hinzu kommt das zeitgemße Bestreben „de faire une œuvre littraire conforme aux lois du genre“.21 Entsprechend differieren in der Forschung die Ansichten ber seine Glaubwrdigkeit, die von der Wertung als „polemisch gefrbter […] Tatsachenbericht“, dem weniger in seiner Faktizitt als in seinen Wertungen zu misstrauen sei,22 bis zu klarer Zurckweisung als mehr oder weniger rein literarische Konstruktion reichen.23 In der Tat besitzen nun eine ganze Reihe von Vorwrfen einen literarischen Stammbaum. Die Vorwrfe der niederen Geburt (wie er sich im Umkehrschluß aus Alexanders Behauptung, von Gçttern abzustammen, ergibt), mangelnder Bildung, defizitrer Sitten, der allgemeinen Unehrenhaftigkeit und des Mordes – Motive, die wir teilweise oder zur Gnze auch in den oben behandelten Texten, insbesondere in Adversus indoctum und in Rhetorum praeceptor, finden – sind samt und sonders bereits aus den Fragmenten der archaischen Iambiker (Archilochos, Hipponax), aus der Alten Komçdie (Aristophanes), schließlich aus den attischen Rednern des spten 4. Jhs. n. Chr. (Demosthenes, Aischines) bekannt.24 Man wird von daher die 21 Caster, tudes sur Alexandre ou Le Faux Proph te de Lucien, 83. 22 Lukian von Samosata. Alexandros oder Der Lgenprophet, eingeleitet, herausgegeben und bersetzt von U. Victor, 17 f. 23 Caster, tudes sur Alexandre ou Le Faux Proph te de Lucien, 85 f. 24 Caster, tudes sur Alexandre ou Le Faux Proph te de Lucien, 84 differenziert die Motive – jeweils mit Referenzen aus Demosthenes und Aischines – wie folgt: „la condition d’esclave de l’adversaire, ou de ses parents; son origine barbare; le mtier de ses parents; le vol sous toutes ses formes, jusqu’ l’andrapodisme; les mauvaises mœurs: l’adversaire est sducteur, adult re, pilier de maison close, prostitu, incestueux, amant des vieilles, et prostitue sa femme; le caract re insociable; le mpris de la famille allant jusqu’au parricide; l’affectation de srieux cachant des dbauches ignobles; le mpris de la cit et la l chet la guerre; la mauvaise tenue (dmarche et habillement); la prodigalit sans frein.“ Vgl. des weiteren Caster, tudes sur Alexandre ou Le Faux Proph te de Lucien, 85 f. fr die Verwendung dieser Topoi in den brigen Polemiken Lukians. Die Ausfhrungen des Sprechers in Pseudologista greifen explizit und auch tatschlich auf Archilochos zurck: Vgl. Pseudologista 1 f. Einen guten und ausfhrlichen berblick ber die literarische Tradition der Verunglimpfung und ihre topischen Motive im einzelnen bietet Sss, Studien zur lteren griechischen Rhetorik, 243 – 267, der sich allerdings fast ganz auf die vor-
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Wahrhaftigkeit solcher Vorwrfe stets mit einem Fragezeichen versehen. Auf der anderen Seite kann nicht geleugnet werden, dass eine solche Polemik, selbst wenn sie sich einer literarischen Topik bedient – und man darf nicht vergessen, dass nicht das komplette Motivrepertoire der Lukianischen Polemiken topischer Natur ist –, doch durch die Art und Weise, wie diese Topoi mit biographischen Daten und mit dem tatschlichen Erscheinungsbild und Auftreten des Geschmhten verbunden werden, dann auch dadurch, wie die einzelnen Topoi zueinander ins Verhltnis gesetzt und fr sich ausgearbeitet werden, ein bestimmtes Persçnlichkeitsbild entstehen lsst, dessen Authentizitt auch durch den Stil der Darstellung vermittelt wird. Dies kann durch ganz gegenstzliche Verfahren geschehen. Whrend der Polemiker in Adversus indoctum und in Pseudologista vor lauter Zorn gar nicht recht in der Lage zu sein scheint, seine Gedanken zu ordnen,25 und whrend er in De morte Peregrini an das Ende des Epilogs noch zwei weitere Anekdoten anhngt (De morte Peregrini 43 – 45) und so implizit den Eindruck vermittelt, ihm ginge der Mund ber und er kçnne vor Erregung und Lachen gar kein Ende finden, folgen seine Ausfhrungen im Alexander, wie gezeigt, einer klaren und vorhersehbaren Gliederung, bleiben sehr nchtern – man vergleiche etwa die direkten Beschimpfungen in Adversus indoctum und Pseudologista oder die beißende Ironie in Rhetorum Praeceptor mit den deutlichen, aber doch zurckhaltenden und vor allem auf Dokumentation und Plausibilisierung zielenden Erklrungen im Alexander – und entsprechen, jedenfalls in ihrem Charakter, geradezu Lukians eigenen Maximen in De historia conscribenda. 26 Dazu passt in Adversus indoctum und Pseudologista auch der unvermittelte Beginn, der einen Zornausbruch simuliert und damit dem Sprecher in den Augen der Leser das Ethos der Unverstelltheit verleiht. Ein anderes Mittel der Darstellung, dessen sich Lukian vor allem in Adversus indoctum bedient, ist die Illustration des Gesagten mithilfe von despekchristliche Zeit beschrnkt. Zur Tradition des Spottens in der archaischen Iambik vgl. Rosen, Old comedy. Zur inhaltlich noch differenzierten, insbesondere um politische Aspekte erweiterten namentlichen Schelte (amolast· jyl\de?m) bei Aristophanes vgl. Moellendorff, Aristophanes, 173 – 180 und Sommerstein, How to avoid being a komodoumenos. Zu den Topoi Ciceronianischer Invektive vgl. Nisbet, M. Tulli Ciceronis In L. Calpurnium Pisonem Oratio, 192 – 197, zu einem Beispiel fr Polemik in sptantiker Literatur Levy, Claudian’s In Rufinum and the Rhetorical X|cor. 25 Allenfalls in Pseudologista vermag man noch grob die Reste einer rhetorischen dispositio zu erkennen. 26 Vgl. Lukian von Samosata. Alexandros oder Der Lgenprophet, eingeleitet, herausgegeben und bersetzt von U. Victor, 21 – 26.
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tierlichen, mit dem Geschmhten zunchst gar nicht zu assoziierenden Anekdoten, die zum Vergleich herausfordern, entschieden atopisch sind und dadurch den Gegenstand der Kritik vielfltig beleuchten. Die einzelnen Implikationen des Vergleichs bleiben dabei dem Leser anheimgestellt, der sich somit an der Konstruktion des polemischen Bildes aktiv beteiligt und auf diese Weise indirekt auf die Seite des Polemikers gezogen wird.27 Was also wirkt, ist nicht die konkrete topische Behauptung einzelner Laster, sondern die spezifische Prsentation der aus der Bildungstradition an sich bekannten Topoi, der gewhlte Darstellungsstil und die besondere Verknpfung mit dem Faktenmaterial. Umgekehrt erwartet der gebildete Leser angesichts der Prmissen der paidea-Kultur vom Polemiker die Verwendung der Topoi; sie fhrt ihn allerdings nicht zu der Annahme, durch ihren Einsatz in einen sozial unverbindlichen literarischen Außenraum versetzt zu werden. Eine nochmals ganz andere – und die vielleicht, was ihre Komposition betrifft, gelungenste – Variante der Polemik bietet Lukians (prsumptiver) Augenzeugenbericht De morte Peregrini. Die Berichterstattung konzentriert sich auf die Umstnde der Selbstverbrennung des Peregrinus Proteus selbst und bietet den biographischen Hintergrund – dessen Entfaltung ja im Alexander ganz im Vordergrund steht, die in der unmittelbaren Konfrontation des Titelhelden mit seinem polemischen Gegner Lukian nur einen Hçhepunkt findet – nur in Form eines Referats durch einen anonymen Redner.28 Durch die eindringliche Entfaltung der Szenerie und die weitgehende Informationsvermittlung durch Monologe und dialogische Partien, schließlich durch den hohen Anteil von Handlungsschilderung gewinnt die Darstellung einen geradezu dramatischen Charakter, mit Peregrinos als dem tragikomischen Protagonisten.29 Grundstzlich gilt hier, wie im Falle des Alexander, dass Peregrinus realiter eine beeindruckende Gestalt, geradezu ein he?or !m^q, gewesen sein muss:30 Lukians Polemik zielt auf die „Transformation eines sein Auftreten und die Massen kontrollierenden Charis27 In den 29 Abschnitten von Adversus indoctum werden insgesamt auf elf Abschnitte verteilt acht Anekdoten unterschiedlicher Lnge erzhlt (6, 8 – 10, 11 – 12, 13, 14, 15, 19, 21); zusammen mit den zahlreichen anderen krzeren literarischen Querverweisen macht das fast die Hlfte des gesamten Textes aus. 28 Zu weiteren darstellerischen Unterschieden in Alexander und De morte Peregrini vgl. Hansen, Lukians Peregrinos, 139 – 143. 29 Vgl. hierzu Hansen, Lukians Peregrinos, 143 – 149, der auch die Omniprsenz von theatraler Metaphorik aufschlsselt, und Gerlach, Die Figur des Scharlatans bei Lukian, 170. 30 Vgl. die konzise Beschreibung und Einordnung der entsprechenden Charakteristika bei Gerlach, Die Figur des Scharlatans bei Lukian, 173 f.
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matikers in die jmmerlich-komische Gestalt eines durch die Furie der Ruhmsucht getriebenen armen Irren“.31 Da die spezifische Theatralitt des Textes und seine Einordnung in den soziokulturellen Kontext in der Forschung gut aufgearbeitet sind, beschrnke ich mich hier auf einen etwas ausfhrlicheren Blick auf seine Komposition und damit auf seine Stellung innerhalb der literarischen Gattung ,Polemik‘. Die Wahl der Technik, wesentliche Topoi der polemischen Attacke auf einen internen Sprecher zweiter Ordnung auszulagern, der hier als anonymer çffentlicher Redner auftritt, erinnert an das hnliche Verfahren in Rhetorum Praeceptor; die Pointierung besteht hier darin, dass es sich nicht um eine fingierte Rede handelt – wie es in Rhetorum Praeceptor explizit der Fall ist –, sondern um einen realen Auftritt. Abgehandelt werden in dieser Rede die nun hinlnglich bekannten Motive der sexuellen Ausschweifung, des Mordes und des Betruges; sie werden den historischen Fakten des Lebens bei den Christen, der Ausweisung aus Italien, der Askese in gypten und der widersprchlichen Auftritte in Olympia sozusagen als Jugendsnden vorangestellt und decken damit den Repertoirepunkt der ,Ausbildung‘ ab. Vergleichbare Biographien werden in erster Linie durch Theagenes, den vehementen Befrworter des Peregrinus, geliefert, allerdings in so kondensierter Form, dass diese nicht mehr weiter begrndete Anhufung von insgesamt acht großen Namen der antiken Kulturgeschichte, davon vier Gçtter, Theagenes’ Darstellungsabsicht eher konterkariert; so raffiniert verwandelt Lukian das, was eigentlich als Enkomion gemeint war, in die gewnschte Tadelrede, die umso wirkungsvoller ist, als von so gedankenloser Anbetung kein gutes Licht auf den Verehrten fllt; zugleich bildet diese Passage ein ringkompositorisches Analogon zu Lukians Bericht von seinem Pseudo-Enkomion in De morte Peregrini 37 – 42, indem er fr leichtglubige Festbesucher die Himmelfahrt des Peregrinus erfindet. Ebenso kunstvoll ist der Epilog arrangiert. Hier rahmt Lukian den Bericht von der Selbstverbrennung (De morte Peregrini 31 – 36) durch zwei auf verschiedene Redner verteilte Reflexionen ber den Sinn und die Folgen dieser Aktion, wodurch er die statische rhetorische Gliederung geschickt auflockert: Der wesentliche Teil der ,Taten’ wird so eng mit dem Epilog verschrnkt, und zugleich wird er auf zwei Sprecher verteilt, von denen der eine als Redner auftritt, der andere als Augenzeuge berichtet. Lukian verzichtet auch in dieser Polemik nicht darauf, dem ganzen Geschehen einen satirischen Anstrich zu geben, indem er den polemischen Fokus auf die Allgemeinheit ausweitet, die nur allzuleicht auf Scharlatane 31 Gerlach, Die Figur des Scharlatans bei Lukian, 171.
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hereinfllt, und wie im Alexander, wo er dem Titelhelden bei der Begrßung in die Hand beißt, schreckt er auch hier nicht vor tatschlicher Einmischung zurck: Er verbreitet bei Zusptkommenden das Gercht, er habe Proteus’ Seele in den Himmel auffahren sehen, und genießt es, seine Geschichte in noch verstrkter Variation kurz darauf von einem angeblichen Augenzeugen wiedererzhlt zu bekommen; dass ein solches Verhalten selbst schon an Scharlatanerie grenzt, hat Gerlach zu Recht hervorgehoben,32 und man drfte wohl berechtigt sein, hierin einen Hçhepunkt des polemischen Gestaltungswillens zu sehen, der vor der Selbstdesavouierung nicht zurckschreckt, wenn es nur dem polemischen Zweck – dass die Leichtglubigkeit seiner Anhnger Peregrinus’ Anspruch auf Seriositt noch mehr schadet – dient. Als letzte Pointe sei schließlich hervorgehoben, dass Lukian in De morte Peregrini auch das Problem der Abgrenzung der Tadelrede von der diabok^ aufgreift, indem zwar die Lobrede auf Peregrinus von einem namentlich genannten Kyniker gehalten wird (Theagenes), die Tadelrede aber von einem anonymen Lacher vorgetragen wird, dessen Anonymitt ausdrcklich in De morte Peregrini 31 betont wird. Nachdem er seine Rede beendet hat und lachend von der Rednertribne heruntergestiegen ist, versucht Theagenes noch, ihn in einer neuerlichen Rede schlecht zu machen, die aber verweigert uns Lukian explizit, so dass also unmittelbar vorgefhrt wird, wie dem Geschmhten, bzw. hier seinem Befrworter, die Mçglichkeit zur Verteidigung abgeschnitten wird,33 was durch die Namenlosigkeit des Sprechers noch forciert wird. Tatschlich liegt hier die raffinierte Konstruktion einer çffentlichen Verleumdung vor – nach Lukians eigenen Ausfhrungen in seinem Traktat ber die diabok^ eigentlich eine contradictio in adiecto. Ganz offensichtlich intendiert Lukian in De morte Peregrini also nicht nur wirkungsvolle Polemik, sondern auch die Perfektionierung eines Genres, das hier in einem Gattungsexemplar vorgelegt wird, das die definitorischen Nebengattungen – das Enkomion, die diabol – zu integrieren und fr seine Zwecke zu operationalisieren vermag. In Lukians Polemik geht es also offensichtlich nicht nur um die Sache als solche, sondern auch um ihre konstruktive literarische Weiterentwicklung.34 32 Vgl. Gerlach, Die Figur des Scharlatans bei Lukian, 175, der von einem „manipulatorischen Eingriff in die Legendenbildung“ spricht. 33 Zu zwei weiteren hnlichen Passagen vgl. Gerlach, Die Figur des Scharlatans bei Lukian, 171 f. 34 Damit eifert Lukian womçglich einem seiner großen literarischen Vorbilder, Aristophanes, nach; vgl. Moellendorff, Die Zungenfertigkeit des Komçdiendichters.
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Literatur Textausgabe und bersetzungen Harmon, A.M., Kilburn, K., Macleod, M.D., Lucian in eight volumes, with an English introduction, London, 1913 – 67. Macleod, M.D., Luciani Opera, 4 Bnde, Oxford 1972 – 80. Lukian. Gegen den ungebildeten Bchernarren, ausgewhlte Werke, bersetzt von P. von Mçllendorff, Dsseldorf/Zrich 2006. Nisbet, R.G.M., M. Tulli Ciceronis In L. Calpurnium Pisonem Oratio, Oxford 1961. Lukian von Samosata. Alexandros oder Der Lgenprophet, eingeleitet, herausgegeben und bersetzt von U. Victor, Leiden u. a. 1997. Lukian. Werke in drei Bnden. Dritter Band, bersetzt von C.M. Wieland, herausgegeben von J. Werner und H. Greiner-Mai, Berlin/Weimar 1974.
Weitere Literatur Caster, M., tudes sur Alexandre ou Le Faux Proph te de Lucien, Paris 1938. Gerlach, J., Die Figur des Scharlatans bei Lukian, in: Pilhofer, P., Baumbach, M., Gerlach, J., Hansen, D.U. (Hg.), Lukian. Der Tod des Peregrinos. Ein Scharlatan auf dem Scheiterhaufen, Darmstadt 2005, 151 – 197. Hansen, D.U., Lukians Peregrinos: Zwei Inszenierungen eines Selbstmordes, in: Pilhofer, P., Baumbach, M., Gerlach, J., Hansen, D.U. (Hg.), Lukian. Der Tod des Peregrinos. Ein Scharlatan auf dem Scheiterhaufen, Darmstadt 2005, 129 – 150. Koster, S., Die Invektive in der griechischen und rçmischen Literatur, Meisenheim 1980. Lausberg, H., Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart 1990. Levy, H.L., Claudian’s In Rufinum and the Rhetorical X|cor, in: TAPhA 77 (1946), 56 – 65. Mçllendorff, P. von, Aristophanes, Hildesheim 2002. Mçllendorff, P. von, Die Zungenfertigkeit des Komçdiendichters. Spott, Oralsex und Metapoetik in den Wespen des Aristophanes, in: Ercolani, A. (Hg.), Spoudaiogeloion. Form und Funktion der Verspottung in der aristophanischen Komçdie, Stuttgart 2002, 299 – 316. Rosen, R., Old comedy and the iambographic tradition, Atlanta 1988. Sommerstein, A.H., How to avoid being a komodoumenos, in: CQ 46 (1996), 327 – 356. Stauffer, H., Art. Polemik, in: Historisches Wçrterbuch der Rhetorik 6 (2003), 1403 – 1415. Stenzel, J., Rhetorischer Manichismus. Vorschlge zu einer Theorie der Polemik, in: Worstbrock, F.J., Koopmann, H. (Hg.), Formen und Formgeschichte des Streitens – Der Literaturstreit, Tbingen 1986, 3 – 11. Sss, W., Studien zur lteren griechischen Rhetorik, Leipzig/Berlin 1910.
Formen und Funktionen der Polemik in Josephus’ ,Contra Apionem‘ Michael Tilly 1. Einleitung Flavius Josephus (37/38–ca. 100 n. Chr.) gilt als die bedeutendste jdische Schriftstellerpersçnlichkeit der Antike. Sein literarisches Werk ist fr die Erhellung der Geschichte und Religion des Judentums in der hellenistischrçmischen Zeit von beraus großem Wert. Seine literarischen Hauptanliegen bestanden in der Verteidigung des Judentums und in der religiçsen Interpretation der Tradition seines Volkes fr die Zeit nach der Zerstçrung des Zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. Als letzte uns erhaltene Schrift verçffentlichte Josephus am Ende des 1. Jh. n. Chr. eine stringent durchdachte literarische Verteidigung des Judentums Contra Apionem („Gegen Apion“ = Ap.),1 in der er sich gegen die verflschende Bçswilligkeit paganer judenfeindlicher Autoren bei der Darstellung des jdischen Volkes, seiner Geschichte, seiner Religion und seiner berlieferungen zur Wehr setzte, indem er danach trachtete, sie einerseits gravierender Fehler zu berfhren (nmlich der mangelnden bereinstimmung, der fehlenden Wahrheitsliebe und des geringen Alters ihrer Quellen) und andererseits aus der theologisch begrndeten Eigenart des Judentums seine Vorbildlichkeit zu erweisen.2 Die intendierten Adressaten der apologetischen Schrift, vor allem nichtjdische rçmische Leser aus der gebildeten Oberschicht,3 sollten ein Bild des Ju-
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Vgl. Labow, Flavius Josephus Contra Apionem; Barclay, Against Apion; Siegert, Protreptik und Polemik bei Josephus; ders. (Hg.), Flavius Josephus, ber die Ursprnglichkeit des Judentums. Vgl. Meiser, Frhjdische und frhchristliche Apologetik. Zur Diskussion um den Charakter der Schrift als Apologie vgl. Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus. So Barclay, Judaism in Roman Dress; Siegert (Hg.), Flavius Josephus, ber die Ursprnglichkeit des Judentums, 12. Vgl. Mason, The Contra Apionem in Social and Literary Context, 222: „The work means to encourage potential converts to Judaism“, sowie Kasher, Polemic and Apologetic Methods of Writing in Contra Apionem,
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dentums als eines alten und ehrwrdigen Volkes erhalten, dessen berlieferungen und Gesetze mit den eigenen Traditionen und Konventionen positiv bereinstimmen.4 Der erste Abschnitt des vorliegenden Beitrags zur Polemik in Contra Apionem enthlt zunchst einfhrende Darlegungen zur polemischen Redeweise des Josephus und zum inhaltlichen Aufbau seines Werkes. Im zweiten Abschnitt folgt eine Zusammenstellung der polemischen Angriffe und Behauptungen seiner literarischen Gegner. Der dritte Abschnitt fragt nach den Personen und Personengruppen, auf die die Gegenangriffe des Josephus abzielen. Im vierten Abschnitt werden die Formen und Inhalte der polemischen Entgegnungen und Vorhaltungen des jdischen Autors ausfhrlich untersucht. Der abschließende fnfte Abschnitt fragt auf der Grundlage des bisher Erkannten danach, welche argumentativen und bergeordneten politischen und religiçsen Ziele er dabei verfolgt. Es ist zu zeigen, dass Josephus sich bei seiner Polemik in bemerkenswert geschickter Weise die Ressentiments und Aversionen seines Lesepublikums zunutze macht und sie zugunsten des Judentums und seiner eigenen Person instrumentalisiert. Josephus macht in Contra Apionem nicht nur Gebrauch von sachlicher, informativer und aufklrender Belehrung (der Begriff !pokoc¸a begegnet erst in Ap 2,147), sondern durchweg auch von unsachlicher Polemik als einem rhetorischen und literarischen Instrument5 der Ablehnung, der abwertenden Darstellung und der parteiischen Delegitimierung der abweichenden oder differenten Traditionen, Praktiken und Positionen seiner Konkurrenten und Opponenten.6 Seine polemische Schreib- und Argumentationsweise ist jedoch (unbeschadet ihrer mitunter drastischen und aggressiven Formen und Inhalte) keinesfalls als Ausdruck eines spontanen oder gar unreflektierten Gefhlsausbruchs des antiken Autors zu bewerten. Sie entspricht vielmehr der zeitgençssischen literarischen Konvention bzw. forensischer Rhetorik.7 Im sprachlichen Gewand einer persuasiven Ge-
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151: „Contra Apionem was intended to debate with the followers of Apion in Roman society.“ Barclay, Judaism in Roman Dress, 233. Zur religiçsen Polemik vgl. grundlegend Cancik, Art. Apologetik/Polemik; Scornaienchi, Art. Polemik. Vgl. Attridge, Josephus and His Works, 227; Kasher, Polemic and Apologetic Methods of Writing in Contra Apionem, 143. Vgl. Feldman, Flavius Josephus Revisited, 858. Zur antiken professionellen Redekunst und zur politischen, juristischen und rhetorischen Polemik vgl. Schmidt, Sthlin, Geschichte der griechischen Literatur, 469 – 479; Martin, Antike Rhetorik. Technik und Methode, 124 – 126; Johnson, The New Testament’s Anti-Jewish
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richts- bzw. Verteidigungsrede zielt sie – in externer Hinsicht – auf die Abgrenzung und Durchsetzung des eigenen Standpunkts gegenber der gebildeten nichtjdischen rçmischen Leserschaft als einem zu berzeugenden Forum und zugleich – in interner Hinsicht – auf die Vergewisserung etwaiger jdischer Adressaten mittels der Erhçhung des auf ihnen lastenden Konformittsdrucks:8 „He felt that this would force the readers to choose between two attitudes: acceptance of his views, or utter rejection.“9 Der kurze Prolog der Schrift (Ap 1,1 – 5) stellt den Lesern zunchst die Absichten vor, die Josephus mit ihrer Abfassung verfolgt. Zum einen soll hier das hohe Alter des jdischen Volkes mit Hilfe von nichtjdischen literarischen Zeugnissen zweifelsfrei erwiesen werden. Zum anderen beabsichtigt Josephus durch seine „quellenkritische“ Arbeit10 die absichtlichen Lgen, Feindseligkeiten und Verleumdungen in den Werken verschiedener paganer Autoren zu entkrften. Die Prolegomena (Ap 1,6 – 59) behandeln in summarischer Weise die griechische Geschichtsschreibung bzw. ihr geringes Alter und ihre Widersprchlichkeit, der die jdische Geschichtsschreibung im allgemeinen und das Werk des Josephus im besonderen vorbildhaft gegenbergestellt werden. Besondere Betonung erfhrt bei dieser geschichtlichen Apologie die Verteidigung des jdischen Historikers selbst gegen verleumderische Anklagen seiner Gegner (Ap 1,53). Das Ziel des umfangreichen Abschnitts Ap 1,60 – 218 besteht darin, anhand einer ausfhrlichen Darbietung gyptischer, phçnizischer, chaldischer und griechischer Zeugnisse (laqtuq¸a) dem Vorwurf entgegenzutreten, kein bedeutender Autor habe das jdische Volk in seinen Schriften erwhnt, so dass es berhaupt kein hohes Alter haben kçnne. In Ap 1,219–II 144 hat Josephus es sich zur Aufgabe gemacht, die unredlichen Behauptungen und belwollenden Anschuldigungen der graeco-gyptischen Geschichtsschreiber Slander and the Conventions of Ancient Polemic (mit zahlreichen Belegen, insb. 430 – 434); Barclay, Josephus v. Apion: Analysis of an Argument, 203: „Josephus’ rhetoric is by no means excessive in comparison with that of his contemporaries.“ 8 Vgl. Feldman, Flavius Josephus Revisited, 858 f.; Bilde, Flavius Josephus between Jerusalem and Rome, 120 f., sowie Riesebrodt, berlegungen zur Legitimitt eines universalen Religionsbegriffs, 128 f. 9 Kasher, Polemic and Apologetic Methods of Writing in Contra Apionem, 161 f.; vgl. ebd., 144: „Polemics are intended, on one hand, to strengthen those who hold similar opinions […]. On the other hand, they are also intended to change the opinions of the distant and the opposed […], and to arouse interest among the indifferent and the uninvolved, with a view to eventually convincing them as well.“ 10 Vgl. Fçrster, Geschichtsforschung als Apologie. Josephus und die nicht-griechischen Historiker in Contra Apionem, 170.
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Manethon, Chairemon, Lysimachos und Apion eine nach der anderen zu widerlegen.11 Die angefhrten judenfeindlichen Autoren sind dabei – im Sinne seiner persuasiven Strategie – erkennbar so angeordnet, dass die von ihnen angestellten Verleumdungen immer schwerwiegender werden. Der anschließende Abschnitt (Ap 2,145 – 286) dient der formgerechten positiven Verteidigung (!pokoc¸a) religiçser Phnomene, Praktiken und Institutionen des Judentums aufgrund des hohen metaphysischen, moralischen und praktischen Wertes seines vorzglichen Gesetzes. Bei dieser positiven Selbstdarstellung wird in Gestalt eines umfangreichen Exkurses auch kontrastierend vergleichende Kritik an der griechischen Religion gebt (Ap 2,236 – 256).12 Der Epilog Ap 2,287 – 296 dient der Zusammenfassung der Verteidigungsschrift,13 wobei Josephus seine Ausfhrungen rckblickend noch einmal deutlich als Erwiderung judenfeindlicher Anschuldigungen (jatgcoq¸ai) und Verleumdungen (koidoq¸ai) bezeichnet.14
2. Anlsse der Polemik des Josephus Die Werke der in der apologetischen Schrift aufgefhrten paganen Autoren enthalten eine Reihe polemischer Vorwrfe und Verleumdungen des Judentums, die mehrheitlich einem verbreiteten literarisch-traditionellen Antijudaismus der hellenistischen Epoche zuzurechnen sind.15 Die von Josephus zitierte und replizierte antijdische Literatur spiegelt durchweg ein stereotypes Bild des Juden in Geschichte und Gegenwart als eines von Anfang 11 Vgl. Barclay, The Politics of Contempt: Judaeans and Egyptians in Josephus’ Contra Apionem, 112 – 114. 12 Hierzu ausfhrlich Kamlah, Frçmmigkeit und Tugend. Die Gesetzesapologie des Josephus in c Ap 2, 145 – 295; Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus, 122 – 389. Vgl. Mason, The Contra Apionem in Social and Literary Context, 214. 13 Vgl. Martin, Antike Rhetorik. Technik und Methode, 153 f. 14 Vgl. Labow, Flavius Josephus Contra Apionem, LXXXI; Barclay, Apion, XXXIf.; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 17 f. 15 Vgl. Bohrmann, Die Sicht des Fremdlings in Contra Apionem, 225. Allgemein zum antiken Antijudaismus vgl. Juster, Les Juifs dans l’empire Romain, leur condition juridique, conomique et sociale, 45 mit Anm. 1; Garson, The Jew in the Classical Literature; Sevenster, The Roots of Pagan Anti-Semitism in the Ancient World; Conzelmann, Heiden – Juden – Christen; Stern, The Jews in Greek and Latin Literature; Feldman, Jew and Gentile in the Ancient World, 107 – 176; ders., Hatred for and Attraction to the Jews in Classical Antiquity; Schfer, Judeophobia; Yavetz, Judenfeindschaft in der Antike.
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an kçrperlich und seelisch verdorbenen, menschenfeindlichen und antisozialen, rebellischen, gottlosen und minderwertigen Wesens wider, das aus der Gemeinschaft der zivilisierten Vçlker auszuschließen ist.16 Eher unspezifisch ist zunchst die in Ap 1,172 f. wiedergegebene Beschreibung der Einwohner Judas als ein wunderliches „Volk von seltsamem Anblick“ (c´mor haulast¹m Qd´shai)17 durch den Epiker Choerilos von Samos (* um 470 v. Chr.), der in seiner (fragmentarische erhaltenen, ursprnglich wohl titellosen) Persika den Sieg Athens ber den Perserkçnig Xerxes schildert.18 Weitaus konkreter ist die polemische Verspottung der jdischen Sabbatobservanz als Ausdruck von Faulheit und Unverstand im (nur in Fragmenten und Exzerpten berlieferten) Werk des Agatharchides von Knidos (2. Jh. v. Chr.), aus dem Josephus in Ap 1,205 – 211 zitiert (vgl. Antiquitates 12,3 – 9).19 Der peripatetische Historiker und Geograph bezeichnet es als ein besonders prgnantes Beispiel des Aberglaubens (deisidailom¸a)20 und der Dummheit (%moia), dass allein die Weigerung der Juden, am Sabbat irgendeine Verrichtung zu ttigen und ihre Verstocktheit, auch dann am Glauben festzuhalten, wenn es ihnen schadet, die kampflose Eroberung Jerusalems durch Ptolemaios I. Soter ermçglicht htten.21 Eine polemische antijdische Tendenz weist auch der in Ap 1,288 – 293 (vgl. Ap 2,1) gebotene Auszug aus der gyptischen Geschichte des alexandrinischen Priesters, Philosophen und Historiographen Chairemon (1. Jh. n. Chr.) auf.22 Gemß seiner Darstellung seien die von Kçnig Amenophis 16 Vgl. Bohrmann, Sicht, 227; Feldman, Hatred, 170 – 175. 17 Vgl. Barclay, Apion, 101 Anm. 568: „The adjective ,remarkable’ (haulastºm) encodes a cultural distance.“ 18 Choerilos von Samos fhrt fort: „ringsum geschoren die struppigen Hupter; und oben drber trugen sie Hute von Pferdekçpfen, getrocknet im Rauch“ (Ap 1,173). Vgl. Labow, Contra Apionem Buch I, 167 – 169; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 30. Zum Verbot eines solchen tonsurartigen Haarschnitts in der Tora s. Lev 19,27 (vgl. Jer 9,25). 19 Vgl. Sevenster, Roots, 126 f.; Conzelmann, Heiden, 58 f.; Feldman, Jew, 158 – 160; Labow, Contra Apionem Buch I, 177 – 179; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 24; Schfer, Judeophobia, 82 – 89. 20 Vgl. Strabon, Geographica 16,2,40 (763); Plutarch, De superstitione 8; Cicero, Pro Flacco 28,67; Horaz, Sermones 1,9. Hierzu Michael, The Jewish Sabbath in the Latin Classical Writers; Goldenberg, The Jewish Sabbath in the Roman World up to the Time of Constantine the Great, 430 – 436; McKay, Sabbath and Synagogue, 89 – 131. 21 Vgl. Labow, Contra Apionem Buch I, 179. 22 Vgl. van der Horst, Chaeremon: Egyptian Priest and Stoic Philosopher; Feldman, Jew, 188; Labow, Contra Apionem Buch I, 221 f. 289 – 299; Schimanowski, Juden
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aufgrund ihres kçrperlichen Gebrechens (1pisim¶r) des Landes verwiesenen 250.000 Unreinen und Ausstzigen von Moses23 und Josef angefhrt worden und somit die in negativer Hinsicht prgenden Vorfahren des (durch den Exodus konstituierten) jdischen Volkes (Ap 1,290). Eine weitere dezidiert judenfeindliche Variante der von Chairemon berlieferten Exodusgeschichte bietet der von Josephus in Ap 1,304 – 311 (vgl. II 16. 20. 145) zitierte alexandrinische Grammatiker Lysimachos (2. Jh. v. Chr.),24 der in seinen (verlorengegangenen) AQcuptiaj²25 ein gehssiges26 Gercht ber den Auszug aus gypten referiert, wonach zur Zeit des gyptischen Kçnigs Bokchoris die von Aussatz, Krtze und anderen Krankheiten befallenen Juden zunchst in die Tempel geflohen wren, um dort vom Betteln zu leben. Die hierdurch bewirkte Verunreinigung der gyptischen Tempel und des Landes habe eine bedrohliche Missernte bewirkt, worauf der Kçnig beschlossen habe, die Kranken zu ertrnken, alle brigen Juden aber zu vertreiben. In dieser Situation habe ein gewisser Moses ihnen geraten, aus gypten zu fliehen und durch die Wste bis in ein bewohntes Land zu ziehen, auf dem Weg niemandem freundschaftlich zu begegnen und smtliche Tempel und Altre entlang des Weges zu vernichten. In Juda htten die Juden sodann eine Stadt Hierosyla (vgl. Reqosuk¸a „Tempelraub“) gegrndet und sie spter in Jerusalem umbenannt.27 Zusammen mit Apollonios Molon (s.u.) bezeichnet Lysimachos Moses in Ap 2,145 als einen „Scharlatan und Betrger“,28 die Tora als Anleitung zur Bosheit (ebd.), und das Volk der Juden in Ap 2,236 explizit als „Nichtswrdigste unter den Menschen“ (vaukot²tour !muq¾pym).
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und Nichtjuden in Alexandrien, 54 – 56; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 29; Schfer, Judeophobia, 30 f. Zu Gestalt Moses als Ziel antijdischer Attacken vgl. Oberhnsli-Widmer, Art. Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften, 352 – 354. Vgl. Sevenster, Roots, 95 f.; Conzelmann, Heiden, 79 – 81; Feldman, Jew, 171 f.; Labow, Contra Apionem Buch I, 222 f. 311 – 315; Schimanowski, Juden, 52 – 54; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 33 f.; Schfer, Judeophobia, 27 f. Vgl. Athenaios, Deipnosophistai 158 D. Der Lysimachos gemß Ap 1,304 treibende Hass (!p´wheia) bezeichnet bei Josephus an anderen Stellen den besonderen Hass gegen das jdische Volk (Bellum 1,40.88; Antiquitates 2,322; 3,179; 11,171). Vgl. Labow, Contra Apionem Buch I, 318 Anm. 32. Vgl. Schfer, Judeophobia, 28: „Lysimachus remodels the motifs which we know from most of his predecessors, both of the belief in a different […] God and of misoxenia or misanthro¯pia […] in an extremely negative fashion.“ Vgl. Vogel, in: F. Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 113.
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Das von Chairemon und Lysimachos rezipierte Traditionsstck vom Exodus als Vertreibung der Juden aus gypten durch Amenophis bzw. Bokchoris begegnet in einer abgewandelten Form bereits bei dem gyptischen Historiographen Manethon (3. Jh. v. Chr.),29 aus dessen dreibndiger Geschichte gyptens von den Anfngen bis auf den Kçnig Nektanebo Josephus in Ap 1,73 – 105. 228 – 287 (vgl. II 16 f.) zitiert, wobei das Werk dem jdischen Schriftsteller wahrscheinlich in Gestalt mehrfach berarbeiteter Exzerpte mit dezidiert judenfeindlicher Tendenz vorlag.30 So erzhlt auch Manethon eine gyptische Version des Exodus als Vertreibung aller Ausstzigen, Unreinen und kçrperlich Verstmmelten (oR t± s¾lata kekybgl´moi) durch Kçnig Amenophis (Ap 1,253). Die Vertriebenen htten sich den Priester Osarsiphos31 aus Heliopolis zum Anfhrer gewhlt, mit Hilfe der Einwohner Jerusalems einen Aufstand angezettelt, sich mit ihnen vermischt, gemeinsam eine Schreckensherrschaft ber gypten errichtet, die Verehrung der gyptischen Gçtter verboten (Ap 1,239. 261), ihre Heiligtmer und Tempel geschndet und zerstçrt, sowie ihre Priester gedemtigt, verhçhnt und getçtet (Ap 1,249. 264). Der aus Oasis stammende alexandrinische Literat Apion32 (ca. 20 v. Chr.–50 n. Chr.) kann aufgrund seiner in Ap 2,2 – 144 ausfhrlich wiedergegebenen massiven Angriffe und Gehssigkeiten in der Darstellung der Geschichte, Lebensweise, Religion und Gesetze des Judentums als „Josephus’ arch-antisemite“ gelten.33 Der Grammatiker und Homerforscher begegnet als einer der Anfhrer bei der Judenverfolgung in Alexandria zur Zeit des Kaisers Caligula.34 Seine im Werk des Josephus erhaltenen feind29 Vgl. Sevenster, Roots, 184 – 188; Conzelmann, Heiden, 74 – 79; Mendels, The Polemical Character of Manetho’s Aegyptiaca; Feldman, Jew, 136 – 145; Labow, Contra Apionem Buch I, 58 – 72. 220 f. 245 – 249; Schimanowski, Juden, 48 – 51; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 34; Schfer, Judeophobia, 17 – 21. 30 Josephus nimmt das Werk Manethons auch als positives Zeugnis in Anspruch (vgl. Ap 1,74 – 92. 93 – 105). 31 Der Name scheint auf Joseph hinzuweisen. In Ap 1,250.265 wird Osarsiphos allerdings ausdrcklich mit Moses identifiziert. 32 Vgl. Conzelmann, Heiden, 81 – 84; Feldman, Jew, 229 f.; Bohrmann, Sicht 226 f.; van der Horst, Who was Apion?; Jones, The Figure of Apion in Josephus’ Contra Apionem; Labow, Contra Apionem Buch I, 223 – 227; Schimanowski, Juden, 56 – 59; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 25 – 27; Schfer, Judeophobia, 28 f. 33 So Schfer, Judeophobia, 28. Vgl. Gager, The Origins of Anti-Semitism. Attitudes Toward Judaism in Pagan and Christian Antiquity, 45 – 47. 34 Vgl. Philon von Alexandria, Legatio ad Gaium; In Flaccum. Hierzu ausfhrlich van der Horst, Philo’s Flaccus: The First Pogrom. Vgl. Yavetz, Judenfeindschaft, 104 – 110.
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seligen Ausfhrungen ber den Exodus, das alexandrinische Judentum, den jdischen Tempelkult und die Toragebote entstammen dem dritten Buch einer fnfbndigen AQcuptiaj² (Ap 2,10).35 Ein Teil der antijdischen Aussagen und Argumente in dem ethnographischen Werk begegnet bereits bei lteren Autoren. Wie diese schreibt auch Apion, Moses habe die kçrperlich verdorbenen „Leprakranken, Blinden und Gehbehinderten“ aus gypten hinausgefhrt (Ap 2,15. 23; vgl. II 289 f.).36 Die polemische Darstellung des Exodus durch Apion erfhrt jedoch in Ap 2,27 eine Steigerung durch die bçsartig verzerrende Behauptung, die krankhaften Beulen an den Leisten der 110.000 Vertriebenen seien aufgrund des gyptischen Wortes fr „Leistenleiden“ (sabb¾) der eigentliche Ursprung der Bezeichnung des jdischen Sabbats (s²bbatom).37 Zur Judenpolemik Apions gehçren zudem die Vorwrfe, die alexandrinischen Juden neigten stndig zur religiçsen Exklusivitt (Ap 2,65) und zur Rebellion (Ap 2,68),38 stellten in ihren Synagogen keine Statuen der rçmischen Kaiser auf (Ap 2,73), und legten einen grausamen Hasseid gegen alle Vçlker, insbesondere aber gegen die Griechen, ab (Ap 2,121).39 Eine von Apion aus griechischen Quellen angefhrte Fiktion vom jdischen Ritualmord begegnet in Ap 2,89 – 96. Der Alexandriner schildert hier recht ausfhrlich die Legende von der alljhrlichen Entfhrung und Opferung eines unglcklichen Griechen im Jerusalemer Tempel.40 In Ap 2,125 behauptet Apion einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der angeblichen jdischen Kultverweigerung und Gottlosigkeit, ihrem Mangel an vernnftigen Gesetzen und ihrem ver35 Vgl. Vogel, in: F. Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 113: „Vermutlich hat Apion seine antijdische Polemik v. a. in demjenigen Teil seiner Aegyptiaca geußert, wo er die Exodus-berlieferung verarbeitete.“ Nicht wahrscheinlich ist die Annahme eines eigenstndigen Werkes Apions ber das Judentum. Vgl. hierzu Labow, Contra Apionem Buch I, 226 Anm. 16; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 25. 36 Apions Datierung des Exodus auf das erste Jahr der siebten Olympiade (752 – 749 v. Chr.) in Ap 2,17 setzt das Alter des jdischen Volkes (vgl. Ap 1,1) radikal herab, was nach antikem Denken auch seine geringe Geltung bedeutet. Vgl. hierzu Pilhofer, Presbyteron kreitton, 193 – 200; Gnilka, Wahrheit und hnlichkeit; Droge, Josephus between Greeks and Barbarians,125: „For Josephus the allegation of „lateness“ was equivalent to the assertion of cultural dependance and historical insignificance.“ 37 Vgl. Barclay, Josephus v. Apion, 207 f.; 218 f.; Schimanowski, Juden, 57. 38 Vgl. Origenes, Contra Celsum III 5. 39 Vgl. Tacitus, Hist. 5,5,1 sowie Conzelmann, Heiden, 46; Bloch, Antike Vorstellungen vom Judentum; ders., Geography without Territory, 43. Zum Misanthropievorwurf vgl. auch Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus, 369 – 372; Berthelot, Philanthr pia Judaica. 40 Vgl. Conzelmann, Heiden, 46 – 48; Jacobson, Apion, the Jew, and Human Sacrifice; Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 108.
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dienten (bzw. gottgegebenen) Schicksal, immer wieder anderen Vçlkern unterworfen zu sein.41 Zu keiner Zeit htten die Juden große und berhmte Mnner, Erfinder oder Weise hervorgebracht (Ap 2,135). Schließlich gehçren zu den Vorwrfen des alexandrinischen Schriftstellers auch die generelle Kritik am jdischen Schlachtopfer und den Speisegeboten sowie die Verspottung der jdischen Beschneidungspraxis (Ap 2,137). Als Gewhrsleute Apions werden in Ap 2,79 f. der stoische Philosoph Poseidonios (135 – 50/51 v. Chr.)42 und der Rhetoriker und Grammatiker Apollonios Molon (1. Jh. v. Chr.)43 genannt, aus deren Werken44 Apion den grotesken Vorwurf entnimmt, im Jerusalemer Tempel sei ein goldener Eselskopf aufgestellt und werde dort mit großem kultischen Aufwand verehrt.45 In Ap 2,148 (vgl. Ap 2,145) bezeichnet der von Apion zitierte Apollonios Molon das Judentum als feige, dreist, verrckt, unbegabt, zu keiner zivilisatorischen Errungenschaft fhig, gottlos46 und menschenfeindlich (%heor ja· lisamhq¾por). Als lteste Version dieser Geschichte von der jdischen Verehrung eines Eselskopfes benutzt Apion in Ap 2,112 – 114 (vgl. Ap 1,216) eine im geographischen Werk des griechischen Schriftstellers Mnaseas (2. Jh. v. Chr.)47 wiedergegebene (bzw. ihm zugeschriebene) antijudische Fabel vom Krieg der Idumer gegen die Juden. Durch eine Kriegslist sei der goldene Eselskopf aus dem Jerusalemer Tempel gestohlen worden.
41 Vgl. Bellum 6,42 sowie Tacitus, Historiae 5,8,2 f. 42 Aus Poseidonios’ (ebenso wie Apollonios Malons Werk ber die Juden) verlorengegangenem Geschichtswerk, das einen Judenexkurs enthielt, kennt Josephus nur, was Apion zitiert. Vgl. Sevenster, Roots, 51 f.; Malitz, Die Historien des Poseidonios; Feldman, Jew,126 f.; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 37 f. 43 Vgl. Sevenster, Roots, 51 f.; Conzelmann, Heiden, 72 – 74; Feldman, Jew,126 – 128; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 27 – 29; Schfer, Judeophobia, 21 f. 44 Vgl. noch Eusebius, Praeparatio Evangelica 9,19,1. 45 Vgl. Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 106. Gussmann, Das Priesterverstndnis des Flavius Josephus, 192 mit Anm. 628. 46 Zum Vorwurf des Atheismus in der Antike vgl. Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus, 324 f. 47 Vgl. Bickermann, Ritualmord und Eselskult; Conzelmann, Heiden, 45; Feldman, Jew, 170 f.; Labow, Contra Apionem Buch I, 218 mit Anm. 4; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 36; Schfer, Judeophobia, 55 – 59.
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3. Objekte der Polemik des Josephus Ein grundlegender Abfassungszweck von Contra Apionem besteht darin, die ungerechtfertigten Vorwrfe gegenber dem Judentum zu entkrften und die persçnliche und kollektive Bçswilligkeit seiner Verleumder herauszustellen. Fragt man jedoch danach, auf welche Personen und Personengruppen die ausfhrliche Gegenpolemik des Josephus in seiner Verteidigungsschrift des Judentums abzielt, stellt man zunchst fest, dass die polemische Sprechweise und unsachliche Argumentation hier zum einen ber die Zurckweisung und Widerlegung der judenfeindlichen Vorwrfe und Verleumdungen der aufgefhrten paganen Schriftsteller hinausgeht und zum anderen in ihrer Ausfhrlichkeit und Intensitt recht ungleich verteilt ist. So bleibt die abwertende Beschreibung der Juder durch Choerilos vçllig unkommentiert. Gegen die Verspottung des Judentums durch Agatharchides richtet sich Josephus nur in Ap 1,205; die Art und Weise seiner Sabbatpolemik stçßt allein in Ap 1,212 auf Kritik.48 Die judenfeindliche Fabel des Mnaseas tadelt der Verfasser der Verteidigungsschrift des Judentums nur summarisch in Ap 1,216 f. Chairemons antijdische Exodusgeschichte provoziert eine polemische Erwiderung des Josephus in Ap 1,293. 301. 303. Gegen die Verleumdungen und Anschuldigungen des Lysimachos polemisiert er in Ap 1,304. 319 f.; II 145. 236 (vgl. II 20). Umfangreicher ist seine Auseinandersetzung mit den judenfeindlichen ußerungen im Werk Manethons (Ap 1,105. 229 f. 252. 254 f. 260. 267. 279. 286f. 293. 298). Das eigentliche Ziel seiner Polemik ist jedoch Josephus’ Hauptgegner Apion als der Schlimmste aller Judenfeinde. Dabei nutzt Josephus den unbestreitbaren Vorteil, dass sein Kontrahent bereits tot ist. Gegen die Invektiven des alexandrinischen Schriftstellers richtet er seine Angriffe in Ap 2,3. 6. 12. 14 f. 17. 20. 22 f. 25 f. 28 – 30. 32. 34. 37 f. 42. 49. 56. 62. 82. 85. 88 f. 91. 97. 100. 102. 109 – 112. 115. 121f. 124 f. 132 f. 135 – 138. 142 – 144. 295 geradezu stakkatoartig (und in mitunter großer Schrfe). Die unzuverlssigen Gewhrsleute Apions werden in Ap 2,79 (Poseidonios) und Ap 2,79. 145. 236. 255. 270. 295 (Apollonois Molon) namentlich, in Ap 2,90 summarisch kritisiert. Der griechische Historiker Hieronymos von Kardia (4. Jh. v. Chr.)49 wird schließlich beschuldigt, das jdische Volk in seiner Geschichte der Diadochen bewusst nicht erwhnt zu haben (Ap 1,214). 48 Barclay, Apion, 120 Anm. 718: „Josephus does not wish to challenge the narrative itself, but the values with which Agatharchides has judged it.“ 49 Vgl. Labow, Contra Apionem Buch I, 79 f.; Barclay, Apion, 121 Anm. 724.
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Generell gegen die aufgefhrten griechischen Autoren bzw. gegen das grundstzliche Unvermçgen der griechischen Geschichtsschreiber richtet sich Ap 1,3 f. 15. 24. 44 – 46. 53. 57. 160. 213f. 217. 219 f. 222. 293; II 255. 287. 289 (vgl. I 72), gegen ihre gedankenlose und schadenfrohe Leserschaft polemisiert Ap 2,4. Die aktive Polemik des jdischen Schriftstellers richtet sich nicht nur gegen seine literarischen Gegner, sondern auch gegen einzelne Gestalten der Geschichte, gegen verschiedene Vçlker und gegen ihre Religion. So werden das rcksichtslose Verhalten des gyptische Kçnigs Harmas (Ap 1,100), die Heimtcke des Seleukidenherrschers Antiochos IV. (Ap 2,90) und allerhand beltaten der Ptolemerin Kleopatra VII. (Ap 2,56 – 60) bemngelt. Explizite Angriffe richten sich gegen die Vçlker der gypter (Ap 1,223 f. 225 f.; II 28 – 32. 65. 70), Skythen (Ap 2,269), Perser (Ap 2,270 f.), Thebaner, Lakedaemonier und Elier (Ap 2,273. 275). In aggressiver und abwertender Weise beanstandet werden Inhalte und Ausdrucksformen der griechischen Religion (Ap 2,242 – 254. 275) und des gyptischen Kultes (Ap 1,224 f.; II 66 f. 81. 138 f.).50 Es ist verstndlich, dass Josephus als Klient der Flavier die rçmischen Historiker und die rçmische Gesetzgebung von dieser pauschalen negativen Beurteilung ausnimmt.51 Es ist jedoch auffllig, dass er es zudem durchweg vermeidet, in seinem Werk auch rçmische polytheistische Glaubensvorstellungen und Praktiken anzufhren, die mit den Mythen und Kulten der von ihm kritisierten Vçlker offenkundig vergleichbar sind.52 Josephus war sich offenbar der Tatsache bewusst, dass der jdische bildlose Monotheismus von Griechen und Rçmern durchaus als Gottlosigkeit ausgelegt werden konnte bzw. den Vorwurf der Intoleranz gegen die Gçtter anderer Vçlker zu provozieren vermochte.
4. Formen und Inhalte der Polemik des Josephus Die Delegitimierung und Abwertung nicht nur der literarischen Gegner des Josephus, sondern auch verschiedener Ethnien, Religionen und Personen, begegnen in Contra Apionem in unterschiedlichen Ausprgungen und zielen 50 Vgl. Mason, The Contra Apionem, 211. 51 Barclay, Apion, XLIX. 52 Vgl. Ap 2,282 und hierzu Barclay, Judaism, 237 f. sowie Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 14: „Jdische Kritik an Bildern, insbesondere Menschendarstellungen zum Zwecke der Verehrung, gibt er so wieder, als geschehe nichts dergleichen in Rom.“
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auf unterschiedliche Aspekte.53 Neben der vielfltigen Sachkritik an der vermeintlich inkompetenten Arbeitsweise der griechischen Historiker begegnen als rhetorische Stilmittel zahlreiche persçnliche Beschimpfungen, Schmhreden, groteske bertreibungen, polemische Ausflle und Dysphemismen mit pejorativer Konnotation.54 Die rhetorische Stilfigur der Ironie wird ebenso gebraucht wie die Reductio ad absurdum. Negative und abwertende Pauschalurteile richten sich in aggressiver Weise gegen nichtjdische Kulte, Vçlker und Personen; bestimmte missliebige Haltungen und Handlungen werden dabei von Josephus besonders abfllig bewertet.55 Die Kritik am Werk seiner Opponenten betrifft zunchst ihren unsachgemßen und ungenauen Umgang mit dem von ihnen herangezogenen Quellenmaterial.56 Bereits die allgemeine Kritik an den griechischen Historikern enthlt die disqualifizierenden Vorwrfe, sie htten ihre Werke nur aus dem Hçrensagen zusammengestellt und deshalb den Begriff „Geschichtsschreibung“ (Rstoq¸a) in geradezu unverschmter Weise verwendet (Ap 1,46). Sie bemhten sich nicht um die Wahrheit, sondern stellten nur die Macht ihrer Worte zur Schau (Ap 1,24).57 Sie berschtzten sich und widerlegten einander (Ap 1,15),58 verfehlten die historische Wahrheit (Ap 1,217) und seien zudem „mit den abgeschmackten Bemhungen des Al-
53 Vgl. Kasher, Polemic, 163: „The defamation of persons and their character was one of the better known rhetorical tactics adopted in the courts of law.“ 54 Vgl. Johnson, Slander, 432: „As so often in Hellenistic rhetoric, these charges became standardized and formed a topos, that is, a standard treatment of a subject. Certain things are conventually said against all opponents“ Vgl. auch Feldman, Jew and Gentile in the Ancient World, 148: „Josephus and his critics were skilled rhetoricians; and one of the techniques they learned in the schools was to take the topic of an encomium and transform it into a xºcor – an invective – and vice versa.“ 55 Vgl. Barclay, Judaism, 231: „Josephus uses countless rhetorical devices in denigrating his selected opponents and in conducting his pseudo-legal argumentation against them.“ 56 Vgl. Barclay, Judaism, 234; Attridge, Josephus, 228: „He employs many commonplaces of the cultural polemics of the Hellenistic period, criticizing the Greeks for their inaccuracy as historians resulting from their inattention to ancient public records, their concern for literary style over accuracy and their incessant rivalries.“ 57 Vgl. Dion Chrysostomos, Orationes 4,33; 23,11; Plutarch, Moralia 1124C. Die wertende Gegenberstellung des Strebens nach Wahrheit und nach Redekunst begegnet ein knappes Jahrhundert spter auch bei dem rçmischen Geschichtsschreiber Herodian (Ab excessu divi Marci liber 1,1). hnlich Antiquitates 1,1 f. Vgl. Johnson, Slander, 434 f.; Barclay, Judaism, 238; Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 63. 58 Vgl. Bellum 1,16.
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legorisierens nicht unvertraut“ (Ap 2,255).59 Besonders Apion gehe leichtfertig mit seinen Quellen um (Ap 2,62. 133).60 Auch Mnaseas arbeite mehr als oberflchlich (Ap 1,216 f.), Lysimachos hingegen sei unaufmerksam (Ap 1,319), Manethon schenke unzuverlssigen Gewhrsleuten Glauben (Ap 1,105. 287) und widerspreche sich sogar selbst (Ap 1,230);61 Chaeremon arbeite nachlssig und oberflchlich (Ap 1,301), was die Autoritt auch seiner Arbeit in den Augen des Josephus drastisch vermindert. Ein zweiter zentraler Kritikpunkt des Josephus ist die angebliche Verlogenheit seiner Gegner.62 Manethon habe große Teile seiner Geschichtsdarstellung selbst erfunden (Ap 1,287). Immer wieder ist es Apion, dem der jdischen Autor vorwirft, er missbrauche die Mittel seiner Redekunst, indem er ein Wirrwar von Lgen und Verballhornungen (Ap 2,6 f.) schreibe, Fakten erfinde (Ap 2,28), und tçlpelhafte Lgenwerke erdichte, die er noch nicht einmal zur Stimmigkeit zu bringen vermag (Ap 2,88). Er verhçhne die Juder und verspotte ihre Namen (Ap 2,48),63 erzhle Phantasiegeschichten voller theatralischer Schauerlichkeit, Schamlosigkeit und Grausamkeit (Ap 2,97), verbreite Unglaubwrdigkeiten (Ap 2,100. 109) und fingiere Tatsachen (Ap 2,110. 124). Ebensolche Kritik betrifft auch die Widersprche im Werk Chaeremons (Ap 1,303) und das ungeordnete Vorgehen Apions (Ap 2,6).64 Dem Vorwurf, Apion schreibe nur Belanglosigkeiten (Ap 2,137), entspricht das despektierliche Urteil, der alexandrinische Autor bleibe durchweg hinter seinem Anspruch zurck, eine wahre Darstellung der geschichtlichen Begebenheiten zu liefern (Ap 2,109). Whrend der jdische Apologet Josephus bei diesen Vorwrfen und Behauptungen eine – wenn auch zumeist nur oberflchliche – Begrndung seiner Kritik bietet, so begegnen hufig auch unbegrndete Unterstellungen und abwertende Schmhungen der Werke bzw. der Motive und Arbeitsweise seiner Gegner sowie aggressiv polemische Ausflle, Beschimpfungen und 59 Die Kritik an der allegorischen Auslegung findet sich bereits bei Platon, Politeia 378d. Vgl. Ramelli (Hg.), Allegoria; Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 127 f. 60 Vgl. Bellum 1,2 f.; Lk 1,3; Dion Chrysostomos, Orationes 54,1. 61 Die mangelnde bereinstimmung der Autoren zeigt nach verbreiteter Ansicht, dass sie nur aufgrund von Vermutungen schreiben. Vgl. Labow, Contra Apionem Buch I, 305 Anm. 73. 62 Vgl. Dion Chrysostomos, Orationes 12,12; 70,10. 63 Es ist mçglich, dass Josephus hier die Paronomasie des Namens Onias (im¸ar) und des Wortes „Esel“ (emor) im Blick hat. 64 Vgl. Antiquitates 1,17; Lk 1,3.
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Beleidigungen ihrer Person.65 So seien die griechischen Schriftsteller unwissende, aber bçswillige Lsterer, die vorstzlich Lgen und Widersprchlichkeiten verbreiteten (Ap 1,3 f.; vgl. I 293; II 289),66 feige, dreist und unehrenhaft (Ap 1,44), leichtfertig und nhmen ihren Mund zu voll (Ap 1,57).67 Sie seien zudem streitschtig (Ap 1,160), missgnstig und htten ungesunde Motive (Ap 1,213).68 Sie zeigten eine generelle Antipathie gegen das Judentum (Ap 1,214), und durch ihre Verleumdungen und Schmhungen verunglimpften sie die anderen Vçlker in bçswilliger Weise (Ap 1,219 f.). Der Grund fr dieses tadelnswerte Verhalten sei in ihrem eigenen neidischen, boshaften und ruhmschtigen Charakter (Ap 1,222)69 und in ihrer Zanksucht und Schamlosigkeit (Ap 2,287) zu suchen.70 Auch ihre Leserschaft sei durch ihre stumpfsinnige Gedankenlosigkeit disqualifiziert (Ap 2,4).71 Von Josephus in einem „Breitband-Angriff“72 heftig kritisiert wird das Werk des Manethon. Der gyptische Historiograph schreibe Fabeleien (Ap 1,105. 230. 254f.) und unglaubwrdige Behauptungen (Ap 1,229. 286. 293), sei ein Schwtzer (Ap 1,252), verbreite Lcherlichkeiten (Ap 1,254 f.), merke nicht, wie wenig berzeugend er lgt (Ap 1,267) und sei insgesamt ein Verleumder ohne jegliche Glaubwrdigkeit (Ap 1,279). In Ap 1,293 wird auch Chaeremon als Erfinder von Lgen und Unwahrheiten geschmht. Lysimachos wiederum wird von Josephus beschuldigt, er schimpfe unbeherrscht (Ap 1,319), lge unverschmt (Ap 1,320) und schreibe seine Fiktionen aus blankem Hass (Ap 1,304). 65 Vgl. Kasher, Polemic, 163: „Josephus […] subjected his personal rivals to crass and contemptuous criticism, to the point of actual insults.“ 66 Hinterlist und Lge als Merkmale einer verfehlten Redekunst begegnen bereits bei Platon, Gorgias 462b–466a; 471d–472c; 502c–503b; 504d–e; Politeia 304a; Theaitetos 172e–173b; Protagoras 313c–d. 67 Vgl. Dion Chrysostomos, Orationes 4,37 f.; 23,11; 55,7; Plutarch, Moralia 1086E; 1129B; Epiktet, Dissertationes I,5,9. 68 Zur rhetorischen Kritik an der Streitsucht vgl. z. B. Platon, Menon 75c–d; Gorgias 454c; Kriton 49c–d; Theaiteos 154d–e; 167e.; Philon von Alexandria, Legum allegoriae I III 233; De cherubim 9 – 10; De agricultura 159. 162; Quaestiones in Genesim 3,33. 69 Vgl. Platon, Apologia Sokratous 20a–c; Protagoras 313c–314c; Sophistes 223c–226a. 70 Vgl. Dion Chrysostomos, Orationes 4,33; 32,30; Plutarch, Moralia 1124C; Aelius Aristides, rp³q t_m tettaq_m 307,6.10.15; 308,10. Hierzu Johnson, Slander, 432 mit Anm. 47. 71 Vgl. Kasher, Polemic, 162. 72 Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 94.
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Der Hauptteil der Invektiven ergießt sich ber das Werk Apions. Es sei geschmacklos geschrieben, „Possenreißerei“ (bylokow¸a) und ein erdichtetes, stmperhaft gearbeitetes Lgenwerk (Ap 2,3. 12. 26).73 Der judenfeindliche Literat lge (Ap 2,14. 29. 34. 49. 82. 121f.), erzhle Unglaubwrdigkeiten und Fabeleien (Ap 2,89). Insbesondere richtet sich die Polemik des Josephus gegen Apions unverschmte Schmhungen, Verleumdungen und Lsterungen (Ap 2,22. 26. 32. 34. 49. 89. 112. 295), mit denen er das Judentum verspotte und verhçhne. Sein Werk bestehe durchweg aus Geschwtz und Geschreibsel (Ap 2,22). Auch seine Gewhrsleute Poseidonios und Apollonios Molon erzhlten Lgen und Blasphemien ber das Judentum (Ap 2,79) und deckten sogar verbrecherische Handlungen (Ap 2,90). Beide seien unwissend, feindselig und verleumderisch (Ap 2,145). Besonders Apollonios Molon sei ein anmaßender Rhetoriker ohne Verstand (Ap 2,255),74 der (in eifriger Nachahmung persischer Praktiken) fremde Frauen vergewaltige, Knaben verschneide (Ap 2,270) und sich an seinen eigenen Unterstellungen und Schmhungen ergçtze (Ap 2,295). Explizite Beschimpfungen der Person treffen die griechischen Historiker als Kollektiv und als einzelne Persçnlichkeiten.75 Sie seien allesamt nichtswrdige Menschen (Ap 1,53), anmaßend und ohne Verstand (Ap 2,255). Lysimachos und Apollonios Molon gelten dem jdischen Schriftsteller als Verleumder, drittklassige Sophisten und Verfhrer der Jugend (Ap 2,236),76 den Manethon hlt er fr einfltig (Ap 1,260). Der gypter Apion ist auch hinsichtlich der persçnlichen Beleidigungen das Hauptziel des Josephus. Er bezichtigt ihn der mangelnden Bildung und des schlechten Charakters eines Marktschreiers (Ap 2,3), des Judenhasses und des mangelnden Selbstbewusstseins (Ap 2,30 [vgl. II 143 f.]). Apion sei ein schamloser Lgner (Ap 2,32; vgl. II 143 f.), ein Schuft und ein Tropf (Ap 2,37), dumm und begriffsstutzig (Ap 2,38. 82. 102). Er habe den Charakter eines Esels und die Schamlosigkeit eines Hundes (Ap 2,85), sei ein Verfhrer und verbreite belste Gottlosigkeit, selbsterdachte Lgen, Bosheiten und Scheußlich73 Ein hnlich negatives Urteil ber Apion fllt Jahrzehnte spter der lateinische Schriftsteller Aulus Gellius (Noctes Atticae V 14,1 – 3). 74 Vgl. Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus, 210. 75 Vgl. Johnson, Slander, 433: „The main thing such slander signified, therefore, was that someone was an opponent.“ 76 Die sophistische Rhetorik gilt auch Josephus als eine Scheinkunst, deren verbale Spitzfindigkeiten und trgerische Beweise keinen notwendigen Gegenstandsbezug haben und der es nicht um das Wissen und die Erkenntnis der Wahrheit geht. Vgl. z. B. Philon von Alexandria, De cherubim 9 – 11; De migratione Abrahami 171; De agricultura 159. 164; De somniis I 220; Plutarch, Moralia 1117D.
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keiten (Ap 2,111).77 In Ap 2,115 beschimpft Josephus ihn als Esel, Schwtzer und Lgner, in Ap 2,135 als Grçßenwahnsinnigen, und in Ap 2,136 als blen Volksverhetzer, verdorben in seiner Lebensweise wie auch in seinen ußerungen.78 Der Kritiker des Judentums sei blind in seinem Verstand (Ap 2,142; vgl. II 132). Seine ausfhrliche Widerlegung Apions lsst Josephus mit der bçsartig spçttischen Bemerkung ber eine maligne Wucherung am Geschlechtsteil des judenfeindlichen Autors und seine missglckte medizinische Beschneidung enden, die seinen Gegner rcksichtslos der Lcherlichkeit preisgibt (Ap 2,143 f.).79 Um seine Kontrahenten lcherlich zu machen, gebraucht Josephus bei seiner Polemik auch das Stilmittel der Ironie, durch das in kritisierender Absicht das Gegenteil dessen behauptet wird, was der Autor eigentlich zu sagen beabsichtigt.80 Lysimachos wird in seiner mangelnden Sachkenntnis als der „Tchtige“ bezeichnet (Ap 1,319); die lckenhafte Darstellung der Exodusberlieferung durch Manethon als „das Großartigste“ (Ap 1,298). Als kontextbedingte Ironie kann auch die – in einem jdischen Werk auffllige – Bekrftigungsformel „bei Zeus“ (mμ D¸a) bei der Wiedergabe des Berichts Manethons ber die gyptische Religion in Ap 1,255 gelten.81 Apions Identifizierung des Moses wird in Ap 2,12 (vgl. Ap 2,20) als „erstaunliche Formulierung des Grammatikers“ bezeichnet, er selbst kurz darauf als „unser genauer Grammatiker“ (Ap 2,15). In Ap 2,17 begegnet Apion als „der von allen verlsslichste“ Historiker.82 Ironisch ist auch seine Kennzeichnung als bewunderungswrdig (Ap 2,25), als edel (Ap 2,32) und als großzgig (Ap 2,42). Apion gleiche einem Propheten (Ap 2,91) und msse fr seine tiefe Einsicht bewundert werden (Ap 2,125). Die polemische 77 Vgl. Dion Chrysostomos, Orationes 11,14; Plutarch, Moralia 1100C. 78 Vgl. Epiktet, Dissertationes III 7,21. 79 Josephus stellt das Leiden Apions als gerechte Bestrafung dar, die seiner Verfehlung spiegelbildlich entspricht. Vgl. Martin, Rhetorik, 145 f.; Vogel, Commentatio mortis, 132 – 134; Attridge, Josephus, 229: „The refutation of Apion’s accusations ends with a report of his death, a fitting example of poetic justice.“ 80 Vgl. Barclay, Josephus v. Apion, 213: „The repetition of such irony serves to erode the credibility of the opponent, enticing the reader into the author’s ,knowing’ and superior stance.“ 81 Labow, Contra Apionem Buch I, 269; Barclay, Apion, Anm. 91; 143 Anm. 893; Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 94. Sollte die in einigen Textzeugen enthaltene Bezeichnung des notorischen gypters Apion (vgl. Ap 2,29) als Abkçmmling „der Makedonen“ (Lajedºmym) in Ap 2,48 ursprnglich sein, wre das ein weiteres Beispiel seiner ironischen Diffamierung durch Josephus. Vgl. Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 167 mit Anm. 10. 82 Vgl. Barclay, Josephus v. Apion, 212 f.
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Beweistechnik der Reductio ad absurdum begegnet in Ap 2,23, indem Josephus zeigt, dass aus der bçswilligen Darstellung des Exodusgeschehens durch Apion ein offensichtlicher sachlogischer Widerspruch folgt.83 Die aktive Polemik gegen einzelne Gestalten der Geschichte beginnt mit dem gyptischen Kçnig Harmas (ca. 14./13. Jh. v. Chr.), den Josephus als rcksichtslos und verdorben beurteilt (Ap 1,100).84 In Ap 2,56 – 60 begegnet eine ausfhrliche Schmhkritik an Kleopatra VII. Philopator (reg. 51 – 30 v. Chr.). Die in Rom unbeliebte letzte Kçnigin des Ptolemerreiches habe keinen Rechtsbruch und keine beltat ausgelassen, sei rcksichtslos, undankbar, hinterhltig, habgierig, rebellisch, verschlagen, grausam und untreu gewesen.85 Den Seleukidenherrscher Antiochos IV. Epiphanes (ca. 215 – 164 v. Chr.) trifft der entehrende Vorwurf des Vertragsbruchs und der Tempelschndung aus bloßer Geldnot (Ap 2,90). Die Missbilligung der Skythen besteht in dem abgrenzenden Vorwurf bzw. Vorurteil, sie gingen gewohnheitsmßig dem brutalen Mord nach (Ap 2,269).86 Den Persern wird in verallgemeinernder Weise vorgehalten, Heiligtmer niederzubrennen, fremde Frauen zu vergewaltigen und Knaben zu verschneiden (Ap 2,270 f.). Die Thebaner, Lakedaemonier und Elier trifft der stereotype Vorwurf der ungezgelten mnnlichen Homosexualitt (Ap 2,273). Die Griechen werden beschuldigt, in ihrer anstçßigen Mythologie Entschuldigungen fr ihre eigenen verkehrten und widernatrlichen Gelste zu suchen (Ap 2,275). Die umfangreichste und massivste Vçlkerpolemik des Josephus betrifft die gypter.87 Ihnen wird vorgehalten, leichtfertig, gedankenlos, oberflchlich und voller blinder Leidenschaft zu sein (Ap 1,225 f.).88 Sie seien ihrem Wesen nach nichtswrdig, opportunistisch und boshaft bis in die 83 Ein Wortspiel aufgrund der Paronomasie kçnnte in Ap 2,7 enthalten sein. Nach der Textberlieferung des Codex Eliensis (15. Jh.) bezeichnet Josephus die Kritik Apions am jdischen Tempelkult nicht als „Anklage“ (jatgcoq¸a), sondern als „ble Nachrede“ (jajgcoq¸a). Vgl. Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 161 mit Anm. 1. 84 Das von Josephus kritisierte Handeln des Harmas wird deutlich mit dem von seinem Bruder geforderten Verhalten (Ap 1,98) kontrastiert. 85 Die antiken Quellen sind Kleopatra VII. gegenber durchweg negativ eingestellt. Vgl. Becher, Das Bild der Kleopatra in der griechischen und lateinischen Literatur; Barclay, Judaism, 236. 86 Zur ethnischen Stereotype der skythischen Brutalitt vgl. 3Makk 7,5; Plinius, Naturalis Historia 7,2 (9); Strabon, Geographica 11,11,3 (517). Vgl. noch Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 127. 87 Vgl. hingegen Platon, Timaios 22b. 88 Vgl. Berthelot, The Use of Greek and Roman Stereotypes of the Egyptians by Hellenistic Jewish Apologists.
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Knochen (Ap 2,28 – 32). Zudem gelten sie dem jdischen Schriftsteller als streitschtig (Ap 2,65) sowie als unbestndig, dumm und verdorben (Ap 2,70). Insbesondere die Aversion der gypter gegen das Judentum sei beredter Ausdruck ihrer schlechten Grundeigenschaften und Wesenszge (Ap 1,223; II 70). Dementsprechend hlt Josephus auch seinen Rivalen Manethon (Ap 1,73. 227. 251) und Apion (Ap 2,29. 138) wiederholt ihre inferiore gyptische Herkunft vor.89 Polemische und emotionale Ausflle gegen den gyptischen Tierkult durchziehen das gesamte Werk. Seine berzeugung von der prinzipiellen Minderwertigkeit der gyptischen Religion und ihrer Unterlegenheit gegenber der jdischen Religion begrndet Josephus durchweg damit, dass in gypten vernunftlose (Ap 1,224 f.) und unreine (Ap 2,66 f.) Tiere als Gçtter verehrt werden (Ap 2,81. 138 f.).90 Im Rahmen einer synkritischen Gegenberstellung mit der jdischen Religion wird auch der griechische Gçtterglaube von Josephus in Ap 2,236 – 256 in pauschaler Weise angeprangert,91 wobei er die Anthropomorphismen und Anthropopathismen in der literarischen und knstlerischen Darstellung des olympischen Pantheons ausfhrlich und in grob karikierender Weise berzeichnet und dabei vor allem die zgellose Unbeherrschtheit und die obszçne Schamlosigkeit der Gçtter herausstellt (Ap 2,242 – 254), die sogar den widernatrlichen Geschlechtsverkehr unter Mnnern und mit Geschwistern einschließe (Ap 2,275).92 89 Vgl. Barclay, Josephus v. Apion, 208 f. mit Anm. 20. 90 Vgl. Herodot, Historiae 2,42; Strabon, Geographica 16,2,35 (760 f.); Juvenal, Saturae 4,1 – 12; und hierzu Hopfner, Der Tierkult der alten gypter nach den griechisch-rçmischen Berichten und den wichtigeren Denkmlern; Smelik, Hemelrijk, „Who Knows not what Monsters Demented Egypt Worships?“ Opinions on Egyptian Animal Worship in Antiquity as Part of the Ancient Concept of Egypt, 1912: „Josephus is trying to rally Greek (and Roman) prejudices against animal worship in order to discredit Apion.“ Vgl. noch Feldman, Jew, 144 f.; Berthelot, Use, 216; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 61; Vogel, in: ebd., Band 2, 92. 91 Vergleichbare Mythenkritik begegnet bereits bei Xenophanes (Fragmente der Vorsokratiker 21, B 11) und Hekataios von Milet (Fragmente Griechischer Historiker 1, F 1) sowie bei Cicero, De natura deorum 2,70. Vgl. Burkert, Kritiken, Rettungen und unterschwellige Lebendigkeit griechischer Mythen zur Zeit des frhen Christentums, 183 f. 92 Als ironisch kann die Bemerkung des Josephus in Ap 2,253 gelten, die einst hochverehrten griechischen Gçtter seien mittlerweile alt geworden. Die Kritik des Josephus an der griechischen Religion begegnet in hnlicher Weise auch bei dem zeitgençssischen rçmischen Schriftsteller Dionysios von Halikarnassos (Antiquitates Romanae 2,18 – 23). Vgl. Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 61; Vogel, in:
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5. Ziele der Polemik des Josephus Die scharfe Polemik des Autors von Contra Apionem gegen seine literarischen Gegner und die von ihnen verfassten Werke zielt auf das Gegenteil dessen, was im kaiserzeitlichen Rom als das Ideal eines rhetorisch gewandten historischen Schriftstellers und als formal und inhaltlich korrekte Geschichtsschreibung galt. Dabei werden von Josephus vor allem standardisierte polemische Topoi93 und Elemente der zeitgençssischen rçmischen Homerkritik, Mythenkritik und Literaturkritik aufgenommen und in apologetischer Absicht instrumentalisiert.94 Der jdische Apologet setzt hier also das Vorverstndnis und das Einverstndnis seiner gebildeten und sachkundigen rçmischen Leser voraus. In ihrer Immunisierung gegen die von Apion und seinen Gewhrsleuten vorgetragenen antijdischen Anschuldigungen besteht die generelle Pragmatik des Josephustextes. Seine offensiv vorgetragenen Argumente und offenen Invektiven dienen Josephus dazu, seinem Lesepublikum die mangelnde Qualifikation und Vertrauenswrdigkeit seiner Kontrahenten und ihrer Bcher zu signalisieren. Er will somit ihre negativen Darstellungen des Judentums, seiner Geschichte, seiner Gesetzgebung und seiner Religion gegenber der Zuverlssigkeit der eigenen biblischen Tradition (und seines eigenen schriftstellerischen Werkes) als unhaltbar, unglaubwrdig und wertlos entlarven.95 Mit dem Alexandriner Apion hat sich der jdische Schriftsteller dabei gezielt einen literarischen Gegenspieler ausgesucht, der in Rom unbeliebt war und dessen Werk hier nicht viel galt.96 Gerade seine delegitimierende Abwertung der Arbeitsweise und des Charakters Apions verknpft also die Behauptung der berlegenheit des jdischen Historikers und seines Werkes mit dem berlegenheitsbewusstsein seiner Adressaten. Josephus nutzt somit in geschickter Weise die antijdischen Vorurteile des alexandrinischen Philologen zugunsten der positiven Darstellung des Judentums und seiner selbst. Es ist daneben durchaus vorstellbar, dass er bei seiner
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ebd., Band 2, 124 f. Zur Intention der synkritischen Gegenberstellung vgl. Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus, 209: „Bei den Juden geht es schon auf Erden gesitteter zu.“ Vgl. Johnson, Slander, 432. Vgl. Barclay, Jews in the Mediterranean Diaspora from Alexander to Trajan, 366; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 60. Vgl. Johnson, Slander, 433; Kasher, Polemic, 163. Vgl. Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus, 75; Vogel, in: Siegert, Ursprnglichkeit, Band 2, 97.
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leidenschaftlichen Schmhkritik auch die Unterhaltung seiner rçmischen Leser im Blick hat.97 In hnlicher Weise setzt die polemisch verzeichnende kollektive Charakterisierung der (ebenso wie die gypter von Rom beherrschten) Griechen und ihrer Religion durch Josephus einerseits voraus, dass kein vernnftiger Mensch unter seinen Lesern an derartiges glaubt. Sie stellt andererseits implizit das direkte Gegenteil dessen dar, was durch das jdische monotheistische Bekenntnis und seine vernunftgemße theonome Gesetzgebung – fr Josephus in geradezu idealer Weise – verkçrpert wird.98 Auch diese deutliche Kontrastierung zwischen Judentum und Griechentum spiegelt nicht nur sein Bewusstsein der berlegenheit der mosaischen Religion und Gesetzgebung wider, sondern auch die bei den Rçmern verbreitete berzeugung von der relativen Unterlegenheit der griechischen Zivilisation und Kultur.99 Die Tatsache, dass seine allgemeine Polemik am olympischen Pantheon und seiner Verehrung unbeschadet der rçmischen Griechenkritik auf eine Religion zielt, die mit dem, was in Rom als staatstragend galt, durchaus Gemeinsamkeiten aufwies, scheint den jdische Autor dabei nicht gestçrt zu haben.100 Auch in seiner polemischen und in aggressiver Weise vorgetragenen Kritik an der fragwrdigen ethnischen Disposition der Skythen, Perser und Griechen, insbesondere aber an den gyptern und ihrer Zoolatrie, versucht Josephus, sich die rçmische Verachtung dieser Vçlker zunutze zu machen.101 Indem er dabei im Sinne der bergeordneten utilitas causae gerade den tiefen Hass und den grundlosen Neid der gypter auf das Judentum betont,102 will er ihre Geschichtswerke diskreditieren und sie als die eigentlichen Urheber smtlicher antijdischen Vor- und Fehlurteile kennzeichnen, die seinen 97 Vgl. Gerber, Antijudaismus und Apologetik, 338: „Josephus betreibt – heutzutage hçchst geschtzt – multitasking.“ 98 So Gerber, Ein Bild des Judentums fr Nichtjuden von Flavius Josephus, 323. 99 Vgl. Sandmel, Judaism and Christian Beginnings, 267 – 277; Haaland, Jewish Laws for a Roman Audience, 284 – 286; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 17; Barclay, Politics, 126 f.; ders., Judaism, 240: „As a long-term resident in Rome, who has absorbed the cultural perspectives of the Roman upper classes, Josephus can play on Roman prejudices in this neat dismissal of the Greeks.“ Anders Feldman, Flavius Josephus Revisited, 857. 100 Vgl. Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 61. 101 Vgl. Barclay, Josephus v. Apion, 199: „His critique of „Gentiles“ is actually very careful targeted against Greeks and Egyptians, while he seems to go out of his way to avoid criticism of Romans, whose values he supports at every turn.“ 102 Zur Betonung der jdischen Toleranz gegenber fremden Vçlkern und ihren Kulten vgl. z. B. Ap 2,237 sowie Antiquitates 4,207; 8,290; 9,1.
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rçmischen Lesern mçglicherweise bekannt sind.103 Neben diesem neutralisierenden Aufweis der Haltlosigkeit aller judenfeindlichen Vorhaltungen gerade seitens der gypter104 will er sein Lesepublikum insgesamt darauf hinweisen, dass das Judentum selbst hinsichtlich seiner Gesetzgebung, Kultur und Religion durchweg auf der „zivilisierten“ Seite der Rçmer steht.105 Obwohl Josephus in seiner parteiischen und konfrontativen Polemik gegen andere Autoren, Vçlker und Religionen106 eine dem Judentum und ihm selbst durchaus nicht feindselig eingestellte Leserschaft anzusprechen scheint,107 fr die der Monotheismus und die Tora keine gnzlich unbekannten Grçßen darstellen, berhrt seine Kritik an keiner Stelle rçmische Kultur, rçmische Politik oder rçmischen Kult.108 Seine Kritik an der Verehrung von Bildern und Statuen spart die Rçmer und ihren Kaiserkult vielmehr durchweg aus (Ap 2,74 f.). Hingegen betont der jdische Klient des Flavierhauses immer wieder die bewunderungswrdige rçmische vikamhqyp¸a (Ap 2,40 f. 73; vgl. I 66; II 57).109 Zudem argumentiert er bei der massiven apologetischen Auseinandersetzung mit seinen Widersachern absichtlich nicht mit positiv begrndenden Aussagen spezifisch jdischer Provenienz, sondern bedient sich als Argumentationsmittel – in strategisch geschickter Weise – durchweg der Argumente und Klischees eines ethnozentrischen rçmischen berlegenheitsbewusstseins und eines in Rom ver103 Vgl. Mason, The Contra Apionem, 211: „Josephus dismisses all of the slanders heard in Rome in his day as derived from envious and spiteful Egyptians.“ Auch Barclay, Hostility to Jews as Cultural Construct: Egyptian, Hellenistic, and Early Christian Paradigms, 367, spricht im Hinblick auf die Darstellung der gypter von „Josephus’ tendency to homogenise hostility to Jews/Judeans, to treat it as a single phenomenon whose roots lie in a single cultural tradition.“ Vgl. ders., Jews, 363; Gager, Origins, 59; Gerber, Antijudaismus, 345, sowie Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 51: „Gerade Juden und gypter fanden sich gegenseitig ekelhaft.“ 104 Vgl. Sherwin-White, Racial Prejudice in Imperial Rome, 98; Balsdon, Romans and Aliens; Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 60: „Josephus verkennt das Problem beginnenden Vçlkerhasses in seiner Tiefe, wenn er meint, eine Polemik gegen die gypter […] werde der jdischen Sache in Rom Vorschub leisen.“ 105 Vgl. Berthelot, Use, 217 f. 106 Vgl. Siegert, Ursprnglichkeit, Band 1, 49: „Es geht Josephus nicht darum, den Streit verschiedener Religionsgemeinschaften zu entschrfen, sondern er will ihn zu seinen Gunsten entscheiden.“ 107 Vgl. Mason, The Contra Apionem, 212: „He is attacking Judaism’s detractors in a safe atmosphere.“ 108 Zur prorçmischen Einstellung des Josephus vgl. Goodman, Josephus as a Roman Citizen, 334 f.; Siegert, Protreptik, 68. 109 Vgl. Barclay, Jews, 366.
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breiteten Klimas religiçser Xenophobie.110 Josephus rckt zwar in Contra Apionem an keiner Stelle von seiner jdischen Identitt ab. Aber er verlangt seinen aufgeklrten Lesern – auch bei seiner Polemik – „keine Akzeptanz jdischer Werte als solcher ab“111 und ist sich selbst in seinem bittersten Spott und in seinen aggressivsten Angriffen der umstrittenen Position des Judentums im rçmischen Reich – und wohl auch der Fragilitt seiner eigenen politisch-sozialen Stellung – bewusst.
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Polemik der Tora. Der Streit mit Hretikern in der rabbinischen Literatur Matthias Morgenstern Der islamische Gelehrte al-Asˇ ‘arı¯ aus dem 10. Jahrhundert wird mit dem Ausspruch zitiert, Gott kçnne man durch Debattieren und Disputieren nher kommen: In dialectical debates and disputations one should seek to get closer to God, the Exalted. They should serve as a way to worship Him and to fulfil His commandments. Their motif should be the desire to achive His reward and to avoid His punishment.1
Damit solcher Lohn erlangt werden kçnne, sei es aber notwendig, so der islamische Theologe, dass es sich bei beiden Disputanten wirklich um Gegner handele: Einer der Sprecher msse Skeptiker, Hretiker oder zumindest Vertreter einer falschen theologischen Meinung sein, da der Streit erst durch diesen realen Gegensatz in religiçser Hinsicht verdienstvoll werde.2 Diese Aussage lsst an die Tatsache denken, dass die Rede und Gegenrede, die Diskussion und das Streitgesprch, zu den Grundformen der rabbinischen Literatur gehçren und Spitzenstze des Talmud den Eindruck erwecken, als sei der Streit ber die Gotteslehre geradezu ein Wert „an sich“. Im babylonischen Talmud (bBaba Mezi’a 85b) wird es Rabbi H . iyya bar Abba I, jenem 3 Zeitgenossen des Rabbi Yehuda ha-Nasi , zugeschrieben, die Tora durch solches Debattieren und Disputieren erst erneuert und erhalten zu haben.
1. Terminologie und Formen des Streitens Wenn wir der rabbinischen Eristik und ihren Grnden auf die Spur kommen wollen, ist es freilich zunchst erforderlich, die talmudische Terminologie genauer zu prfen. Die Encyclopaedia Judaica bietet unterschiedliche 1 2 3
Stroumsa, Freethinkers of Medieval Islam, 176; vgl. auch van Ess, Disputationspraxis in der islamischen Theologie. Vgl. Soffer, The Theological Majlis and Religious Otherness in Medieval Islam. Zu Rabbi H . iyya vgl. unten Anm. 21.
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Eintrge zu den Stichworten „conflict of opionion“, „disputations and polemics“ und „polemics“, ohne freilich eine konsequente Zuordnung zu den entsprechenden hebrisch-aramischen Wendungen einzuhalten.4 In der letztgenannten Talmudstelle (bBM 85b) ist vom „pilpul“ die Rede („pilpalti tora“), der „gepfefferten“ und dialektischen Auseinandersetzung ber die mndliche Lehre.5 Das dem Griechischen entnommene hebrische Fremdwort „pulmus“, das erst im Neuhebrischischen die bertragene Bedeutung der „Polemik“ angenommen hat, wird in den klassischen Wçrterbchern mit Streit, Krieg, Kriegszeit („riv“, „milh. ama“, „‘et milh. ama“) wiedergegeben.6 Sachlich nher kommt unserer Fragestellung ein rabbinischer Text, der von einer „milh. amta shel tora“7 handelt, einem „Krieg“, einer offenbar harten verbalen Auseinandersetzung um die sinaitische Lehre. Daneben kennt die rabbinische Literatur die „mah. loqet“ („pelugta“, im palstinensischen Aramisch „taflugta“8) nach der berhmten Definition in Pirqe Avot 5,17: „Jeder Streit, der um des Himmels willen gefhrt wird, hat einen bleibenden Wert.“9 Religiçser Streit und Polemik werden hier also 4 5 6
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Vgl. Encyclopaedia Judaica 5, 890 – 891; Encyclopaedia Judaica 6, 79 – 103; Encyclopaedia Judaica 13, 790 – 795. Zu diesem Ausdruck vgl. Bacher, Die exegetische Terminologie der jdischen Traditionsliteratur, 157. Vgl. Gur, Millon ‘Iivri, 789 (mit Belegstellen; vgl. z. B. yAvoda Zara 39c,16 [= Wewers, Avoda Zara, 10]); vgl. auch Even-Shoshan, Millon H . adash, 1295 (mit Belegen); E9D=EHE4 E9B@9H, der „Vespasianische Krieg“, ist demnach eine Bezeichnung fr den Jdischen Aufstand im ersten Jahrhundert; vgl. auch Lavi, Handwçrterbuch Hebrisch-Deutsch, s.v. E9B@9H, wo als deutsche Entsprechung nur noch „Polemik“ verzeichnet ist. Von den drei ltesten Belegen bezeichnen zwei (BemidbarRabba 11 [=Wnsche, Midrasch Bemidbar Rabba, 256] und Midrasch Tanchuma (Buber), beshalah. ) den Kampf gegen den eigenen bçsen Trieb; erst der dritte Beleg (bSanhedrin 42a) lsst sich auf eine verbale Auseinandersetzung mit anderen beziehen. Die Argumentation in diesem Talmudtext beginnt mit einem Zitat aus Spr 24,6: „Denn mit berlegung soll man Krieg (milh. ama; LXX: plemos) fhren“, wobei diese „berlegung“ („tah. bulot“) auf die Mischna gedeutet wird, die den Polemiker in der Auseinandersetzung wappnen und ausrsten soll, wenn er (in der Argumentation gegen rabbinische Mitdiskutanten? Gegen nichtrabbinische Juden oder Judenchristen?) sozusagen „Mischna-Pfeile“ in seinem Bndel hat. Vgl. Bacher, Die exegetische Terminologie der jdischen Traditionsliteratur, 156 (mit Belegstellen); als Beispiel vgl. auch bEruvin 50a fin („pelig“). Vgl. www.yeshiva.org.il/midrash/Shiur.asp?id=1589 und www.daat.ac.il/mishpativri/skirot/127 – 2.htm sowie www.education.gov.il/tochniyot_Limudim/ machlokot/mahloket_sugey.htm (zur aktuellen – auch religionspolitischen – Dis-
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nicht ohne Einschrnkungen gelobt, sondern es wird unterschieden zwischen halachischen Diskussionen, denen es um die Sache geht, und Streitigkeiten, die aus selbstschtigen, eigenntzigen Motiven gefhrt werden. Der zitierte Text nennt als Beispiel fr letztere die biblische Auseinandersetzung mit der Rotte Korach (Num 16) – whrend die Diskussion zwischen den Schulen Hillels und Shammais geradezu das Paradigma fr die gewnschte, die notwendige Disputation und Diskussion ist.10 Von den Meinungsußerungen beider Schulhupter heißt es bekanntlich: „Diese wie jene sind Worte des lebendigen Gottes“.11 Die Unterscheidung zwischen legitimem und illegitimem Streit hat nun auch Folgen fr die Beurteilung der polemischen Umgangsformen. Verpçnt ist die Parteienbildung, aber auch jeder Widerstand des Schlers gegenber seinem Lehrer. In bSanhedrin 110a heißt es: „Wer seinem Lehrer widerspricht ist wie einer, der der (gçttlichen) Einwohnung widerspricht – ha-‘os meriba ‘im rabo ke-os ‘im shekhina.“ Getadelt wird ferner, wenn einer am Streit um des Streits willen festhlt („ha-mah. siq bamah. loqet“). Dementsprechend werden die Kontroversgesprche im Talmud nicht nur idyllisch vorgestellt: In Jerusalemer Talmud wird an einer Stelle sogar davon berichtet, dass Schler aus Shammais Schule ihre Hillelitischen Gegner im Streit erschlagen htten, weil diese die erschwerenden Regeln der Shammaiten nicht akzeptieren wollten.12 Am 9. des Monats Adar sei sogar ein Fasttag eingefhrt worden, um der Auseinandersetzung zwischen beiden Schulen trauernd zu gedenken. Diese polemikkritische Tendenz wird im Talmud durch eine Art Dekadenztheorie untermauert. Es heißt dort (yChagiga 2,2 – 77d.21-25 und bSanhedrin 88b), dass es am Anfang keinen Streit (mah. loqet) gab – die Bibel sprach noch mit einer Stimme; Meinungsunterschiede sind demnach sikussion ber die „mah. loqet she-hi le-shem shamayim“, ber den „um des Himmels willen gefhrten Streit“). 10 Die Belegstellen fr den Streit zwischen den Schulen Hillels und Shammais sind uferlos; als Beispiel vgl. etwa yBerakhot 1,3 – 3b (Horowitz, Berakhot, 25); dort wird zugleich deutlich, dass die Diskussion wohl weiter berliefert wird, in praktischer Hinsicht aber nicht ad infinitum geht, weil sie zugunsten der Hilleliten entschieden ist. 11 Vgl. bEruvin 13b. 12 Vgl. yShabbat 3c,35 – 37; dazu: Httenmeister, Shabbat, 43 Anm. 355. Vgl. auch die Warnung in bSota 49a: „Wenn zwei Talmidei H . akhamim in einer Stadt weilen und sich in der Halakha uneinig sind, so (muß) der eine sterben und der andere in die Verbannung geschickt werden.“ Zur Diskussion ber die Umgangsformen bei Disputationen unter Muslimen vgl. Stroumsa, Freethinkers of Medieval Islam, 173 – 179.
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gnifikant fr ein Defizit, das sich erst in spterer Zeit einstellte, mit Hillel und Shammai; und die deplorable Situation, in der es in dieser Perspektive faktisch nun einmal Meinungsgegenstze gibt, erforderte, den Streit in seinen Umgangsformen przise zu regeln.13 Andererseits wird die Bedeutung des legitimen Streitens im Talmud immer wieder positiv hervorgehoben. Dass kontrovers diskutiert werden soll, kann dabei so wichtig werden, dass man Disputationen berliefert, obwohl man nicht mehr weiß, wer eigentlich mitdiskutiert hat.14 Zur positiven Bewertung des Widerspruchs passt auch die bemerkenswerte strafprozessuale Bestimmung im Traktat Sanhedrin, dass ein einmal geflltes Todesurteil ungltig wird, wenn die Richter ihr Urteil einstimmig gefllt haben (bSanhedrin 17a). Ein Urteil kann demnach erst durch den Widerspruch hindurch Geltung erlangen und rechtskrftig werden. Das Disputieren bekommt in einigen Texten eine geradezu fundamentaltheologische Note, wenn es heißt, dass auch zwischen dem irdischen und dem himmlischen Lehrhaus („metivta“) ein Streit ausgetragen werden soll. Die diesseitigen Gelehrten werden dabei ermutigt, nach ihrem menschlichen Verstndnis zu entscheiden – sie sollen sich durchaus nicht nach der nur im Himmel bekannten gçttlichen Wahrheit richten.15 Die berhmte Geschichte des Ofens von Akhnay in bBava Mezi’a 59b macht darber hinaus deutlich, dass in der Tat damit gerechnet wird, dass es Widersprche zwischen Lehrentscheidungen der himmlischen und der irdischen Yeshiva gibt16 13 Vgl. Encyclopaedia Judaica 5, 890 – 891 (s.v. „conflict of opinion“). 14 Vgl. yKetubbot 12,2/3 – 34d, 68: „irgendeiner hat gesagt […], irgendein anderer (aber) hat gesagt […]“; vgl. auch yOrla 1,1/6 – 60c,75 ff.; 3,3/3 – 63a,54-59. Fr die Sachbezogenheit des Streitens spricht, dass in den genannten Fllen an den Streitgegenstand, nicht aber an die streitenden Personen erinnert wird – in der heutigen Medienwirklichkeit stnden, wenn schon etwas „vergessen“wird, die Streitenden im Mittelpunkt und kçnnten Grund und Inhalt der Auseinandersetzung notfalls unerwhnt bleiben. 15 Vgl. dazu die Erzhlung in bBava Mezi’a 86a, nach der Rabba ben Nah. mani in das himmlische Lehrhaus berufen wird, um eine dort verhandelte Streitfrage zu entscheiden (4F=KL7 4N5=NB5 =6@H=B), weil er derjenige ist, der sich in den gerade verhandelten Gesetzesfragen (den Gesetzen von den Ausschlgen und den Gesetzen von den Bezeltungen) am besten auskennt. Der ausgesandte Todesengel vermochte sich dem Gelehrten zunchst nicht zu nhern, weil dessen „Mund nicht vom Studium abließ“. 16 Nach dieser Erzhlung wollte Rabbi Eli‘ezer eine halakhische Streitfrage durch ein Naturwunder entscheiden lassen („wenn die Halakha mit mir bereinstimmt, so soll es dieser Johannisbrotbaum beweisen […], wenn die Halakha mit mir bereinstimmt, so sollen die Wnde des Lehrhauses einstrzen!“). Da stand Rabbi Yehoshua‘auf und sprach: „(Die Tora) ist nicht im Himmel.“ Weiter heißt es, dass nicht
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und auch Gott selbst widersprochen werden kann und soll. „Die Tora ist nicht im Himmel“, sie ist dem auf der Erde tagenden rabbinischen Entscheidungsgremium anvertraut.17
2. Vom Sinn des Streitens Ein Text aus dem Jerusalemer Talmud (yKetubbot 12,3/16 – 35a,72 – 35b,6) zeigt dementsprechend, wie die Polemik große Gelehrte ber ihren Tod hinaus begleitet hat, indem die Nachgeborenen an ihrem Grab streiten und die Auseinandersetzung selbst in der Gruft weitergeht. Bedeutsam scheint im folgenden Beispiel zu sein, dass jeweils ber einen Dritten gestritten wird, zunchst zwischen Rabbi H . aggay und den brigen Gelehrten ber den Begrbnisort des Babyloniers Rav Huna, der im Heiligen Land bestattet werden will, spter im Totenreich zwischen dem uns aus bBava Mezi’a 85b bereits bekannten Rabbi H . ijja und seinen Sçhnen: Als Rav Huna, das Haupt der Diaspora, starb, brachten sie ihn in das Land Israel. Sie sagten: Wenn wir ihn (hier) beisetzen (wollen), mssen wir ihn (seinem Stande gemß) neben Rabbi H . iyya beisetzen[…]. Sie sagten: Wer will ihn in die Hçhle hineinbringen, in der Rabbi H . iyya mit seinen beiden Sçhnen Yehuda und H . izqiyya bestattet war? Rabbi H . aggay sagte: Ich werde ihn dort hineinbringen. Sie sagten zu ihm: Du suchst einen Vorwand, denn du bist schon alt, und du willst selbst dort beigesetzt werden. (Rabbi H . aggay) sagte ihnen, (sie sollten) einen Strick an seinem Fuß befestigen. Wenn es lange dauert, (kçnnt) ihr ziehen (und mich von dort entfernen). (Daraufhin ging Rabbi H . aggay in die Hçhle hinein) und fand (dort) drei (Menschen vor, die miteinander) disputierten, (ob Rav Huna hier beigesetzt werden durfte oder nicht): „Yehuda, mein Sohn, hinter dir (darf ) sonst keiner (mehr hier beigesetzt werden). H . izqiyya, mein Sohn, hinter dir (darf ) sonst keiner (mehr hier beigesetzt werden). Hinter dir, Yosef ben Israel (darf hier) sonst keiner (mehr hier beigesetzt werden). (Rabbi H . aggay) hob seine Augen, um sich umzuschauen, (da) sagte ihm (eine Stimme): Neige dein Antlitz, (damit du niemanden siehst). Rabbi H . iyya der ltere sagte: Yehuda, mein Sohn, mache Platz fr Rav Huna, (damit) er (hier an einmal eine himmlische Hallstimme den Streit entscheiden darf, da die Toragelehrten befugt sind, selbst mit einer Mehrheit zu entscheiden. Am Ende heißt es, dass Gott selbst „schmunzelte und sprach: Meine Kinder haben mich besiegt, meine Kinder haben mich besiegt (=D5 =D9;JD).“ Nach dieser Geschichte kçnnen die rabbinischen Gelehrten im Streit nicht nur mit dem himmlischen Lehrhaus, sondern auch mit Gott selbst den Sieg davontragen. Der hier geltend gemachte Schriftbeweis fr die Anwendbarkeit der Mehrheitsregel (Ex 23,2) beruht auf einer Auslegung der mndlichen Tora und widerspricht dem sensus literalis des Bibeltextes. 17 Vgl. Dtn 30,12 und Rçm 10,6 – 8.
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meiner rechten Seite18) ruhen (kann).“ Aber (Rav Huna19) wollte (es aus Bescheidenheit) nicht zulassen, (dass man den Sohn Rabbi H . iyyas entfernte) und ihn (dort) beisetzte.20 (Darauf ) sagten sie: Wie (Rav Huna es) nicht zulassen wollte, dass man ihn dort beisetzte, so soll sein Geschlecht in alle Ewigkeit nicht aufhçren. (Rabbi H . aggay) ging von dort hinaus als Achtzigjhriger, und seine Jahre wurden ihm verdoppelt.21
Der Disput ber die Tora, die „mah. loqet le-shem shamayim“, hat so Bedeutung ber den Tod der am Streit Beteiligten hinaus; es werden Mittel und Wege gesucht, die Diskussion ber den Tod hinausfortzusetzen. Auf der anfangs zitierten Talmudseite, die am Beispiel Rabbi H . iyyas die Bedeutung der Auseinandersetzung fr die Erhaltung der Tora festlegt, wird folgende Geschichte erzhlt:
18 So die Interpretation des Kommentators Qorban Ha-Eda, David ben Naftali Hirsch Frnkel (1707 – 1762). 19 So David ben Naftali Hirsch Frnkel und Pene Moshe, der Kommentar des Moshe ben Shim‘on Margalioth (gest. 1780). 20 Zur bertragung dieses Textes (yKetubbot 35b,4-29) vgl. Jacob Neusner, The Talmud of the Land of Israel, 352 – 353. 21 Nach Ansicht von David ben Naftali Hirsch Frnkel haben wir hier eine Anspielung auf die biblischen Tradition vom Josefsgrab (vgl. Jos 24,32) vor uns. Der literarische Kontext im Talmudtraktat Ketubbot legt weitere Anspielungen nahe. In diesem Kontext geht es um den Tod von Yehuda Ha-Nasi, des Redaktors der Mischna, der mit dem Erzvater Jakob, also mit demjenigen verglichen wird, der dem Volk Israel seinen Namen und seine Identitt gab. Als der große Lehrer krank geworden war, begab er sich zum Sterben in das etwas hçher gelegene Sepphoris. Sorgfltig whlt der Erzhler jedes Wort, um die Bedeutung der Ereignisse zu beschreiben. Die Verwendung biblischer Sprache gibt den Rang dieses Mannes zu erkennen: Hier starb einer, den noch die Rabbis viele Generationen spter ihren „Lehrer“ nennen sollten, wenn ein Gelehrter „im Namen“ eines anderen Sprche und Erzhlungen weitergab und so die berlieferungskette bis zum Patriarchen „Rabbi“ sicherstellte. Hier starb der Mann, dem das rabbinische Judentum letztlich seine Existenz verdankte. „Rabbi war sehr demtig“, schreibt der Erzhler (yKetubbot 12,3/10 – 35a,41), so wie es von Mose heißt, dass er „demtig“ war (Num 12,3). Und: „Rabbi hielt sich siebzehn Jahre in Sepphoris auf“ – nach dem Vorbild des biblischen Jakob, der siebzehn Jahre im Lande gypten lebte (Gen 47,28). Als Rabbi schließlich starb, es muß etwa um das Jahr 200 n. Chr. gewesen sein, traten (wie nach dem Tod des Erzvaters Jakob in der Bibel) Konflikte unter den berlebenden hervor. Rabbi Yehuda Ha-Nasi, Rabbi H . iyya bar Abba und seine Sçhne werden hier mit den Erzvtern Abraham, Isaak und Jakob sowie mit Jakobs Sohn Josef verglichen, die im Grab auch nicht getrennt oder gestçrt werden drfen. Aber sie sind in gewisser Weise mehr als Jakob, Isaak und Abraham, weil ihre Existenz mit dem lebendigen Prozeß der Traditionsweitergabe verbunden ist. Fast mçchte man an das neutestamentliche Wort denken: „Hier ist mehr als Abraham“ (Joh 8,53).
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Einst zeichnete Resh Laqish die Grfte der Gelehrten, und als er an die Gruft Rabbi H . iyyas herankam, entschwand es ihm; da wurde er betrbt und sprach: Herr der Welt, habe ich etwa nicht gleich ihm in der Tora disputiert (pilpalti)?22 Da ertçnte eine Hallstimme und sprach zu ihm: Du hast wohl gleich ihm in der Tora disputiert, du hast aber nicht gleich ihm die Tora verbreitet. Wenn Rabbi H . ijja und Rabbi H . anina stritten, sprach Rabbi H . anina zu Rabbi H . iyya: Mit mir streitest Du! Sollte, behte und bewahre, die Tora in Israel in Vergessenheit geraten, so wrde ich sie durch meine Disputation beleben.23
Da die Tora ihrerseits die Welt erhlt, sie gilt sptestens seit dem Jerusalemer Talmud als Schçpfungsmittlerin und Schçpfungserhalterin, wird – so kann man erschließen – die Welt durch den Streit in ihren Grundfesten zusammengehalten und getragen.24 Was ist der Sinn dieser Rede und Gegenrede, wenn wir einmal von der toratheologischen Letztbegrndung und zugleich von der – fr die rabbinischen Gelehrten offensichtlich zu unterstellenden – Lust am Disputieren absehen? Die Texte geben zwei bemerkenswerte Motive zu erkennen: Zum einen die Notwendigkeit, die in der Gegenwart geltende toragemße religionsgesetzliche Praxis in der schriftlichen Tora zu verankern und dort begrndet zu finden; zum andern die immer wieder geltend gemachte Furcht, die Lehre vom Sinai kçnnte im Volk Israel „vergessen werden.“25 So nimmt es nicht wunder, dass es Traditionen gibt, in denen auch das Thema des Streites selbst der Meinungsverschiedenheit unterliegt. Der genannte Rabbi H . iyya gehçrte der davidischen Dynastie an; er wurde von Rabbi Yehuda ha-Nasi hochgeschtzt (bMenachot 88b); seine Bedeutung fr das sptere rabbinische Judentum ergibt sich daraus, dass er als Schlsselfigur des bergangs von der Mischna zur Gemara, von der palstinensisch-tannaitischen zur babylonisch-amorischen Zeit gilt und die Gotteslehre an seinen babylonischen Schler und Neffen Abba Areka („Rav“) weitergab. Rabbi H . iyya hatte freilich mehr getan als zu streiten: er war 22 Wollte Resh Laqish sich das Grab Rabbi H . iyyas vergegenwrtigen und dann mit ihm die Disputation fortfhren? 23 bMenachot 85b. 24 Dies erinnert an Heraklits Wort vom Krieg („plemos“) als dem Vater aller Dinge; vgl. Capelle, Die Vorsokratiker, 135 (= Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker, 88, fr. 53), ohne dass man natrlich annehmen muß, dass die Rabbinen mit der vorsokratischen Philosophie vertraut waren. 25 Vgl. bSukka 20a, wo Rabbi H . iyya als Erneuerer der Tora vorgestellt wird: Die Erneuerung wurde notwendig, weil die Tora „vergessen“worden war; zum Topos des „Vergessens“der Tora vgl. auch SifDev 48 (= Bietenhard, Der tannaitische Midrasch Sifre Deuteronomium, 179).
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praktisch ttig geworden und hatte sich um die materiellen Voraussetzungen der Toragelehrsamkeit verdient gemacht: Rabbi H . iyya erwiderte Rabbi H . anina: Mit mir streitest du?! Ich sorge dafr, dass die Tora nicht in Israel in Vergessenheit gert. Ich tue folgendes: Ich baue Flachs und flechte Netze, dann fange ich Hirsche und gebe das Fleisch den Weisen zu essen und fertige aus den Huten Pergamentrollen, auf die ich die fnf Bcher des Pentateuches schreibe. Sodann gehe ich zur Stadt, lese mit fnf Kindern die fnf Bcher des Pentateuchs, lehre sechs Kinder die sechs Ordnungen der Mischna und sage dann zu ihnen: Bis ich zurckkomme, leset miteinander die Schrift und lehret einander die Mischna. So wirke ich, dass die Tora nicht in Israel in Vergessenheit gerate.26
Aber selbst in diesem Abschnitt, der mit der Praxis des guten Tuns ber den Streit hinausfhren soll, lßt sich eine Anspielung auf die talmudische Rede und Gegenrede finden: Die Tatsache, dass man die Bibel „lesen“, also rezitieren, die Mischna aber „lehren“ soll, gibt diese Akzentsetzung zu erkennen. Es ist die mndliche Lehre, die – offensichtlich gerade aufgrund ihrer Mndlichkeit – Gegenstand der pdagogischen Bemhung und daher auch der Polemik ist.
3. Polemik gegen Dritte In einigen Texten lßt der Diskurs ber die mndliche Lehre als „mah. loqet le-shem shamayim“ eine Kommunikationssituation entstehen, die meist implizit, gelegentlich aber auch explizit, auf eine dritte Seite bezogen ist; das Ziel der Auseinandersetzung in diesen Fllen ist es, diese dritte Seite, die entweder ganz ungenannt bleibt oder von im Text unbestimmt bleibenden ,Hretikern‘ (Minim) reprsentiert wird, vom Streit auszuschließen – offenbar um auf diesem Wege die Entstehung eines „nicht um des Himmels willen gefhrten Streits“, einer „mah. loqet she-eina le shem-shamayim“, zu verhindern. In der Interpretation dieser Texte erscheint es sinnvoll, von der Konzeption einer Gegnerschaft auszugehen, wie sie Daniel Boyarin im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des rabbinischen Judentums in seiner Abgrenzung zum Christentum gezeichnet hat. Nach dem perspektivischen Modell Boyarins ist fr das zweite bis vierte Jahrhundert im Spektrum vom Heidentum ber die Gnosis und das Christentum bis zum rabbinischen Judentum von einer Skala mit fließenden bergngen auszugehen: mit grundstzlichen Kritikern der biblischen berlieferung wie Celsus oder aber der Gnosis an einem Ende, dem Christentum in der Mitte 26 bBava Mezi’a 85b.
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und dem rabbinischen Judentum am anderen Ende des Spektrums. Dazwischen nimmt Boyarin viele Mischformen an, zunchst ohne feste theologische und soziologische Grenzen, wobei sich die jeweiligen „Orthodoxien“ sukzessive durch die Definition und den Ausschluss des jeweils „Anderen“ konstituieren und, wenn man perspektivisch von der Skala her denkt, im Einzelfall nicht zu erkennen ist, in welchem Maße die jeweiligen Gegner der rabbinischen Gelehrten, die Minim, heidnische, gnostische oder christliche Argumentationsstrategien vertreten. Dieses Modell hat den Vorteil, dass es nicht von essentialistischen Festsetzungen ausgeht und in der Interpretation der kontroverstheologischen und hresiologischen Literatur die Perspektivitt der gegenseitigen Wahrnehmungen mit abbilden kann, was dann jeweils Verschiebungen auf der Skala ergibt. „Die christlichen Gnostiker haben sich ja, sehr zum rger ihrer grosskirchlichen Rivalen, selbst als Christen, durchaus nicht als ,Heiden‘ gefhlt und auch so bezeichnet.“27 Auch Celsus, der scharfsinnige Kritiker des Christentums, hat im zweiten Jahrhundert keinen Unterschied zwischen Christentum und Gnosis gemacht. Dementsprechend wurde das Christentum auf jdischer Seite gnostisierend wahrgenommen. Es ist schon von diesen grundstzlichen Erwgungen her nicht in jedem Fall nçtig oder mçglich, die in der rabbinischen Literatur auftretenden Minim genauer zu identifizieren. Im folgenden Beispiel aus dem palstinensischen Talmudtraktat Shabbat im spten vierten oder frhen fnften nachchristlichen Jahrhundert, in dem es um den Lohn der Gerechten in der kommenden Welt und zugleich um die Frage geht, wie sich der Status der Menschen knftig von dem der Dienstengel unterscheidet, bleibt die eigentlich gemeinte ,dritte Seite‘ gnzlich ungenannt; sie wird im exegetischen Diskurs hinter dem babylonischen Kçnig Nebukadnezzar verborgen: Rabbi Yirmeya ben El‘azar sagte: In Zukunft wird eine Hallstimme in den Zelten der Gerechten mit lauter Stimme rufen: Jeder, der mit Gott gewirkt hat, komme und empfange seinen Lohn! Rabbi Berekhya (sagte) im Namen des Rabbi Abba bar Kahana: In der Zukunft wird der Heilige, er sei gepriesen!, die Abteilung fr die Gerechten nher bei sich machen als die Abteilung fr die Dienstengel, und die Dienstengel werden die Gerechten fragen und zu ihnen sprechen: Was tut Gott? Was hat euch der Heilige, er sei gepriesen!, gelehrt? Rabbi Lewi bar H . aita sagte: Hat er denn das nicht schon in dieser Welt getan? Das ist es, was geschrieben steht: Nebukadnezzar antwortete und sprach: Aber ich sehe vier 27 Vgl. Rudolph, Die Gnosis, 223; zur Auseinandersetzung mit den Minim im frhen rabbinischen Judentum und zur Bedeutung dieser Auseinandersetzung fr die Konstruktion der rabbinisch-jdischen Identitt vgl. auch Goodman, The Function of Minim in Early Rabbinic Judaism.
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Mnner mitten im Feuer umherwandeln. Und sie sind unversehrt (Dan 3,25) […]. Und die Gestalt des Vierten […] gleicht einem Sohn Gottes 28 – Re’uven sprach: In diesem Augenblick stieg ein Engel herab und schlug jenen Bçsewicht29 auf den Mund. Er sprach zu ihm: Berichtige deine Aussage! Hat denn (Gott) einen Sohn? Darauf nderte er seine Rede und sagte: Gelobt sei der Gott des Schadrach, des Meschach und des Abed-Nego, der seinen Sohn gesandt hat, steht dort nicht, sondern der seinen Engel gesandt hat und seine Diener errettet hat, die auf ihn vertraut haben (Dan 3,28).30
Die kontroverstheologische Auslegung des Danielbuches mit dem Streit um die Auslegung der Wendung „bar lahin“ in Dan 3,25 weist deutlich auf eine Auseinandersetzung mit christlichen Positionen. Das folgende Beispiel einer „mah. loqet le-shem shamayim“, in dem am Ende ebenfalls Bezug auf die Geschichte von Daniels Feuerofen genommen wird, zeigt noch deutlichere Spuren christlich-dogmatischer Streitigkeiten.31 Zu Beginn geht es erst einmal um die Interpretation der biblischen Schçpfungsgeschichte mit ihren pluralischen Wendungen. Rabbi Simlai32, von den „Minern“ nach der Anzahl der Gçtter befragt, die die Welt erschaffen haben, antwortet: Mich fragt ihr? Geht, fragt doch den ersten Menschen (Adam), denn es heißt: Frage doch nach den Tagen des ersten Menschen usw. (Dtn 4,32). Es heißt (in der Fortsetzung dieses Verses) nicht: Als die Gçtter (elohim) den Menschen auf Erden geschaffen haben, sondern: Von dem Tage an, da Gott (elohim) den Menschen auf Erden geschaffen hat. 33
Die Gottesbezeichnung steht nach dieser Argumentation zwar der Form nach im Plural („Gçtter“), an der singularen Form des Verbs kann man aber erkennen, dass der eine Gott Israels gemeint ist. In einer zweiten Frage nehmen die „Miner“ daraufhin Bezug auf den ersten Vers der Bibel: 28 Dan 3,25; der Streit richtet sich auf die Auslegung des Terminus „Sohn Gottes“ (C=8@4 L5). 29 D.h. Nebukadnezzar, der hier wahrscheinlich „Platzhalter“ fr einen ungenannt bleibenden Ausleger ist, der diesen Vers christologisch interpretiert. 30 yShabbat 6,10/12–14 – 8d,24-37; vgl. Httenmeister, Shabbat, 208 mit Anm. 336. Zu Streitgesprchen zwischen jdischen Weisen und Fremdherrschern vgl. auch: Holtz, Der Herrscher und der Weise im Gesprch. 31 Visotzky, Trinitarian Testimonies, 61 – 74. 32 Rabbi Simlai aus Darom hat wahrscheinlich 100 – 175 Jahre vor der Endredaktion des Yerushalmi gelebt; ihm werden offensichtlich Worte in den Mund gelegt, die den Intentionen des vierten oder fnften Jahrhunderts entsprechen. 33 Vgl. yBerakhot 9,1/9 – 12d,59-62 (der biblische Text verwendet nicht die pluralische Verbform 94L5, sondern das singularische 4L5); zu den textkritischen Fragen vgl. Schfer, Becker (Hg.), Synopse zum Talmud Yerushalmi, 220 f.; vgl. auch Visotzky, Goys Aren’t Us, 299 – 313, hier: 309; vgl. ferner Horowitz, Berakhot, 217.
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Dann fragen sie ihn: Es steht doch geschrieben: Am Anfang schuf Elohim (Gen 1,1). Darauf entgegnete er ihnen: Steht denn sie schufen geschrieben? Es steht doch er schuf (ebd.) geschrieben.34 Rabbi Simlai sagte: So oft die Minim (an Bibelstellen) etwas auszusetzen hatten (und Fragen stellten), bekamen sie sofort die richtige Antwort.35 Sie (die Minim) sind noch einmal darauf zurckgekommen und fragten ihn (Rabbi Simlai): Was bedeutet das, was geschrieben steht: Lasset uns einen Menschen machen nach unserem Bilde, uns hnlich (Gen 1,26)? Darauf entgegnete er ihnen: Es heißt doch nicht: Und Gçtter schufen den Menschen nach ihrem Bilde, sondern es heißt: Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde (Gen 1,27).36 Da sagten seine Schler zu ihm (Rabbi Simlai): Diese (die Minim) konntest du mit einem Schilfrohr verdrngen (und mit einer nicht stichhaltigen Antwort abspeisen), was wirst du aber uns antworten? Hierauf entgegnete er ihnen: In der Vergangenheit (am Anfang) wurde der erste (Mensch) Adam aus der Erde geschaffen und Eva wurde aus (der Rippe) Adams geschaffen. Von Adam an und weiter (entspricht der Vorgang den biblischen Worten, weil von diesem Moment an mit Gott selbst sowie Adam und Eva eine Mehrzahl vorhanden war): Nach unseren Bilde, uns hnlich (d. h. Adam und Eva hnlich); der Mann kann die Frau nicht entbehren, die Frau kann den Mann nicht entbehren, sie beide kçnnen die gçttliche Einwohnung nicht entbehren.37
Die Konstellation ist klar: Vor uns haben wir eine doppelte Gesprchssituation: Die Konfrontation Rabbi Simlais mit den Hretikern und das interne Gesprch Rabbi Simlais mit seinen Schlern, nachdem die Hretiker zurechtgewiesen worden sind. In beiden Gesprchskonstellationen geht es um dieselbe theologische Frage, die mit dem Verstndnis derjenigen „schwierigen“ Textstellen der hebrischen Bibel zu tun hat, die auf eine Pluralitt in Gott hinzudeuten scheinen. Die Vorstellung, dass in dieser Diskussion ein mçgliches trinitarisches Gottesverstndnis bekmpft werden soll, scheint nicht aus der Luft gegriffen zu sein, zumal es nicht an Beleg34 Das pluralische Substantiv „Elohim“ („Gott“) wird in Gen 1,1 mit der singularischen Verbform 4L5 kombiniert; zu dieser Diskussion vgl. Veltri, Eine Tora fr den Kçnig Talmai, 25; der mit Gen 1,1 in Verbindung gebrachte Polytheismusverdacht hat im rabbinischen Judentum zu der berlieferung gefhrt, dass bei der bersetzung der Tora „fr den Kçnig Talmai“ (d. h. „Ptolemus“; offensichtlich ist an die Septuaginta gedacht) eine Reihe von Bibelstellen gendert worden sei; vgl. Veltri, Eine Tora fr den Kçnig Talmai, 2. 35 Vielleicht ist auch gemeint: berall, wo die Minim einen Vers mißverstehen und aus dem Zusammenhang reißen, findet man die angemessene biblische Antwort gleich im Anschluss an den zitierten Text; zur Deutung dieser Stelle vgl. Veltri, Eine Tora fr den Kçnig Talmai, 39 Anm. 50. 36 Es heißt A=8@4 4L5=9, und nicht A=8@4 94L5=9; vgl. auch die Parallele dieses Textes in BerR 8,9 – 11 (=Wnsche, Midrasch Bereschit Rabba, 34). 37 Vgl. yBer 9,1/10 – 12d,62 – 71(Schfer, Becker [Hg.], Synopse zum Talmud Yerushalmi, 220 f.); angespielt wird auf Gen 5,1 – 3; vgl. dazu: Visotzky, Goys Aren’t Us, 309, und Veltri, Eine Tora fr den Kçnig Talmai, 39 – 41 und 106 sowie 222 f.
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stellen dafr mangelt, dass die von den Minim angefhrten Schriftverse in der patristischen Literatur tatschlich trinitarisch ausgelegt wurden.38 Zugleich muss man sich bei der Interpretation dieses Textes natrlich klarmachen, dass der Bericht tendenziçs ist, da die Rabbinen die Gedanken der Hretiker nicht unvoreingenommen darstellen, sondern zeigen wollten, dass sie widersinnig und haltlos sind. Denken muß man weniger an ein çffentliches Streitgesprch oder an ein akademisches Streitgesprch als an eine ideale Szene.39 Dabei ist auch die Auseinandersetzung zwischen Rabbi Simlai und seinen Schlern nicht ohne Spannungen. Die letzteren insistieren immer wieder und werfen ihrem Lehrer offenbar vor, dass er die Anfragen der „Miner“ eher leichtfertig behandelt. Zugleich wird vorausgesetzt, dass das Problem in der Konfrontation mit den Hretikern nur oberflchlich gelçst werden kann. Die Schrifthermeneutik, die eine sachgemße Auseinandersetzung mit den gestellten Fragen ermçglicht, steht nur intern zu Verfgung. Darber hinaus kann man aber sagen, dass der Leser des Textes eben durch die Lektre in das interne Lehrgesprch einbezogen und dadurch sozusagen zum Insider wird.
4. Ein neutestamentliches Zitat im Talmud Besonders bemerkenswert ist dabei aber die Tatsache, dass der letzte Satz des zitierten Textes als Zitat oder zumindest als deutliche Anspielung auf 1Kor 11,11 zu erkennen ist40 : „Doch in dem Herrn ist weder die Frau etwas ohne den Mann noch der Mann etwas ohne die Frau, denn wie die Frau von dem Mann so kommt auch der Mann durch die Frau, aber alles von Gott“ – ein Abschnitt, der in den trinitarischen Debatten auf christlicher Seite, namentlich bei Augustin, ebenfalls als Schriftbeweis Verwendung gefunden hat.41 Burton Visotzky hat in diesem Zitat eine besondere Pointe im dialektischen Hin und Her zwischen dem Rabbi und seinen unzufriedenen Schlern gefunden, die das Pauluswort ja hçchstwahrscheinlich nicht 38 Vgl. Augustinus; De Trinitate XII 7,9; Irenus, Adversus Haereses IV, Vorrede und 20,1; 38,3. 39 Zu solchen idealen Szenen vgl. Visotzky, Goys Aren’t Us, 301 und May, Apelles und die Entwicklung der markionitischen Theologie, 108. 40 Vgl. Strack, Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 440 und Visotzky, Goys Aren’t Us, 301 (mit Anm. 6) und 309. 41 Vgl. Visotzky, Fathers of the World, 61 – 74 mit Belegstellen; vgl. auch Bereshit Rabba 22,2 zu Gen 4,1 (= Wnsche, Bereschit Rabba, 99).
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kannten, denen ihr Lehrer aber sozusagen ironisch begegnet. Auf diesen neutestamentlichen Text wrde dann nicht in der Auseinandersetzung mit den Hretikern (mçglicherweise mit mit dem Christentum sympathisierenden Juden oder mit judaisierenden Christen), sondern gerade im kleinen Kreis des rabbinischen Lehrers mit seinen Schlern hingewiesen. Eine ebensolche doppelte Gesprchssituation wiederholt sich noch einige Male in unserem Text. Es heißt nun: (Die Minim) ließen nicht ab und fragten ihn (weiter): Was bedeutet das, was geschrieben steht: El Elohim Adonai, El Elohim Adonai, er weiß es (Jos 22,22)? Darauf entgegnete er ihnen: Es steht hier nicht geschrieben: Sie wissen es, sondern es steht geschrieben: Er weiß es. Da sagten seine Schler zu ihm: Diese (die Minim) konntest du mit einem Schilfrohr verdrngen (und mit einer nicht stichhaltigen Antwort abspeisen), was wirst du aber uns antworten? Hierauf entgegente er ihnen: Diese drei (Namen) sind wie ein einziger Name anzusehen, wie ein Mensch (zu einer Majestt) sagen wrde: Basileus, Csar, Augustus. Sie fragten ihn weiter: Was bedeutet das, was geschrieben steht: El Elohim Adonai redet und ruft die Erde (Ps 50,1)? Darauf entgegnete er ihnen: Steht denn hier geschrieben: Sie reden und sie rufen (die Erde)? Es steht doch vielmehr geschrieben: Er redet und er ruft die Erde. Da sagten seine Schler zu ihm: Diese (die Minim) konntest du mit einem Schilfrohr verdrngen (und mit einer nicht stichhaltigen Antwort abspeisen), was wirst du aber uns antworten? (Da) sagte er zu ihnen: Diese drei (Namen) sind wie ein einziger Name anzusehen, wie ein Mensch (zu einem Bauunternehmer) sagt: Meister, Baumeister, Architekt.42
Ziel der Polemik ist erneut nicht die direkte Auseinandersetzung mit den Minim. Im Vordergrund steht vielmehr die interne Debatte, die offensichtlich der Identittsfindung dienen soll.
5. Ein „Philosoph“ und die Deutung des Leidens In einer neueren Studie hat Burton Visotzky vorgeschlagen, die Passage der „Trinitarian Testimonies“ auf der Makrotextebene mit dem folgenden Abschnitt zusammenzulesen, in dem es um das rçmische Patronatssystem und seine Unfhigkeit geht, die ihm Unterworfenen vor Gefahren zu bewahren oder vor dem Martyrium zu retten. In vier Gesprchsrunden geht es in der 42 yBerakhot 9,1/12 – 12d,71 – 13a,4 (=Schfer, Becker [Hg.], Synopse zum Talmud Yerushalmi, 220; Horowitz, Berakhot, 217 – 218); vgl. auch Visotzky, Goys Aren’t Us, 303 und 310 sowie die Parallelstelle Bereshit Rabba 8,10 (= Wnsche, Bereschit Rabba, 33 – 34). Visotzky bemerkt zu dieser Antwort: „This is, of course, a theologically weak answer, and were it actually advanced in a real argument with Trinitarian Christian opponents, their reply might well have been: Q.E.D.“
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rabbinischen Diskussion, wiederum mit den Mitteln der Bibelexegese, um Verfolgungssituationen, vor denen die Patrone aus Fleisch und Blut die ihnen Unterworfenen nicht bewahren kçnnen. Darber hinaus werden die unterschiedlichen Hinrichtungsarten thematisiert: Die Kreuzigung43, das Ertrnken, der Feuertod und die Auslieferung an wilde Tiere. In jeder der Situationen ist der Patron unfhig dazu, dem Unrecht zu wehren und seinen Schutzbefohlenen zu befreien. In jeder der beschriebenen Situationen wird der Patron aber mit Gott selbst verglichen – der ausweislich des biblischen Zeugnisses – seine Schutzbefohlenen vom Tode errettet hat: Mose vor dem Schwert des Pharao, Jona vor dem Tod durch Ertrinken, die drei Mnner aus dem Feuerofen bei Daniel und Daniel selbst vor dem Lçwen. Im Fortgang der Diskussion wird der Vergleich gesteigert: Die unendliche berlegenheit des Gottes Israels bliebe selbst dann erhalten, wenn dieser Patron44 ein zustzliches Attribut erhielte, wenn er – wie es im hebrischen Text auf Griechisch heißt – „Kosmokrator“45 wre, denn selbst ein solcher Weltherrscher gebietet nur ber das Land, nicht ber das Meer. Weiter heißt es: Rabbi Abun, Rabbi Ah. a und Rabbi Shim‘on b. Laqish sagten: Ein Mensch aus Fleisch und Blut hat einen Verwandten – wenn dieser ein Philosoph ist, sagt er: Dieser (Philosoph) zhlt zu meiner Verwandtschaft. Der Heilige, er sei gepriesen, hingegen zhlt alle Israeliten (ohne Ausnahme) zu seinen Verwandten.46
In diesem Text wird ein Patron „aus Fleisch und Blut“ mit seinem einen Verwandten, einem „Philosophen“, dem Gott Israels gegenbergestellt, der das ganze Volk Israel zu seiner Verwandtschaft zhlt. Wenn der „philoso43 Vgl. yBerakhot 9,1/19 – 13a,34 (=Schfer, Becker (Hg.), Synopse zum Talmud Yerushalmi, 222) mit der auf die Kreuzigung bezogenen Verbform N9@N=@ (vgl. Dtn 21,23 und Gal 3,13). 44 Vgl. yBerakhot 9,1/30 – 13b,20; die Handschrift Leiden, die editio princeps Venedig (1523), die Edition Amsterdam (1710) und Krotoszyn (Talmud Yerushalmi ‘al pi hos.’at Qerot.oshin, Jerusalem 1968/69) sprechen von einem Kçnig (ý@B), der einen Patron hat (vgl. Schfer, Becker (Hg.), Synopse zum Talmud Yerushalmi, 226 f.). 45 yBerakhot 9,1/30 – 13b,21 (= Horowitz, Berakhot, 222); „Kosmokrator“ lesen die Handschriften Paris und Leiden sowie der Erstdruck; die Lesart der anderen Textzeugen (z. B. MS Vatikan: L9ü@KB99K) ist verderbt (Schfer, Becker [Hg.], Synopse zum Talmud Yerushalmi, 226). Selbst wenn mit diesem (aus der Sicht der Rabbinen: angeblichen) Kosmokrator nicht Christus, sondern der byzantinische Kaiser gemeint wre, htte die Argumentation aufgrund der massiven Sakralisierung des Kaisertums eine anti-christliche Komponente. 46 yBerakhot 9,1/34 – 13b,41 – 44 (=Schfer, Becker [Hg.], Synopse zum Talmud Yerushalmi, 228 f.; Horowitz, Berakhot, 223); vgl. Visotzky, Goys Aren’t Us, 313.
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phus“, dieser Einzelne, mçglicherweise mit einem christlichen Mçnch zu identifizieren ist47, so luft der Vergleich auf die Feststellung hinaus, dass bei „den anderen“ nur dieser eine Philosoph im Mittelpunkt des Interesse steht, der im Falle des Martyriums offensichtlich noch nicht einmal gerettet werden kann. Demgegenber setzt das Judentum, das in diesem Text einen „universalistischeren“ Anspruch zu haben scheint als die christliche Konkurrenz (!), sein Vertrauen auf den Gott Israels, der sein ganzes Volk aus dem Verderben holt.48 Nach Visotzky wollen die Rabbinen hier mit Blick auf die christlichen Mrtyrer behaupten, dass diese ihre Hoffnung vergeblich auf Jesus gesetzt htten, da nur das Vertrauen auf den Gott Israels selbst zu retten vermçge. Bezeichnenderweise finden wir hier auf jdischer Seite keine Leidensgeschichte, sondern eine Rettungsgeschichte, die einer – nach der Polemik vergeblichen – Leidensgeschichte gegenbergestellt wird. Wenn man sich vor Augen hlt, wie in der Kirchenvtertradition das Mysterium Christi als heilsgeschichtliche Gegengeschichte zur Sndengeschichte der Menschheit und „vorausgeordnete“ Leidensgeschichte prsentiert wird, die bis zu den Tagen der biblischen Patriarchen zurckreicht49, so wird das ganze Ausmaß des hier thematisch werdenden Gegensatzes sichtbar. So liegt die Annahme nahe, dass es ber die von Visotzky in Anschlag gebrachte Trinittslehre in unserem Text hinaus in zentraler Weise polemisch um die Christologie selbst 47 Vgl. Visotzky, Goys Aren’t Us, 307 Anm. 22; Payne Smith, A Compendious Syriac Dictionary; Drijvers, Die Legende des Hl. Alexius und der Typus des Gottesmannes im syrischen Christentum, 200 – 202; Dçlger, Byzanz und die europische Staatenwelt, 199: „so bezeichnet philosopha […] manchmal auch schon fr sich allein, in der ganzen byzantinischen Zeit das mçnchische Leben und philsophos den Mçnch“; Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, 7 – 10 (mit Belegstellen); demnach „bedeutete fr den Vater des byzantinischen Mçnchtums, Basileios d. Gr., trpos philsophos soviel wie Leben des Mçnchs“ (7); Leipoldt, Griechische Philosophie und frhchristliche Askese. Zu Philosophen in der rabbinischen Literatur vgl. weiterhin Visotzky, Fathers of the World, 81 (mit Verweis auf bShabbat 116ab). Fr wertvolle Literaturhinweise zum Themenkreis „der Philosoph als Mçnch“ danke ich Dr. Alexander Toepel. 48 In dieser Hinsicht steht dieser Text in einer eigentmlich Spannung zu dem folgenden Bericht ber das Martyrium Rabbi Akivas (yBerakhot 9,7 – 14b); vgl. dazu Holtz, Der Herrscher und der Weise im Gesprch, 190 – 197. 49 Vgl. z. B. die Passah-Homilie des Melito von Sardes, 57: „Es hatte aber der Herr seine Leiden vorausgeordnet in den Patriarchen, in den Propheten und in dem ganzen Volke, sie durch das Gesetz und die Propheten eingeprgt; das, was sich in der Zukunft auf neue und großartige Weise ereignen sollte, das wurde von langer Hand vorbereitet, damit, wenn es geschhe, es Glauben finde, indem es als seit langem vorgebildet geschaut wrde“ (Meliton von Sardes. Vom Passa, 116).
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geht. Die Stichwçrter der Kreuzigung, das dreitgige Verweilen des Propheten Jona im Buch des Fisches sowie die Rettung vor dem Feuertod scheinen auf das nach Meinung unseres Textes sinnlose Leiden Jesu von Nazareth hinzuweisen: In der rabbinischen Polemik, die hier aber bewußt oder unbewußt genau das Skandalon des Kreuzes trifft (1Kor 1,23), wird das Leiden eines angeblichen Kosmokrators sichtbar, dessen Dynamis aber begrenzt ist, weil sie sich nur auf das Land, nicht aber ber die Hçllenmacht des Meeres erstreckt und auch andere nicht vor dem Tode retten kann, weil er selbst dem Tode verfallen ist. Das „um des Himmels willen“ gefhrte Streitgesprch der Rabbinen hat ber deren Tod hinaus bleibenden Wert, whrend die Vergeblichkeit des Strebens der „Miner“ sich nach dieser Deutung gerade in ihrer Hilflosigkeit angesichts der Verfolgungen und ihrer Todesverfallenheit erweist.50
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50 Nach dem Abschluss des Manuskripts erschien: Schfer, P., Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, Tbingen 2010, mit dem ausgezeichneten Aufsatz „Rabbi Simlai und die Hretiker. Ein Gott oder mehrere Gçtter“ (33 – 63).
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Teil 2: Schwerpunkte und Funktionen von Polemik in neutestamentlichen Texten
Pillars, Hypocrites and False Brothers. Paul’s Polemic against Jerusalem in Galatians Ian J. Elmer Paul’s letter to the Galatians is perhaps the most polemical of all the Pauline correspondence, bearing witness to one of the first conflicts in the primitive Church.1 In Galatians, Paul addresses a question that would split the earliest communities in faith and shape much of the material that would later form the canon of the Christian scriptures – under what conditions could Gentile converts be included in a movement that had its origins in Judaism? The question had serious ramifications for Jewish converts as well; to what extent did devotion to Jesus take precedence over adherence to the Mosaic Law, especially circumcision, Sabbath observance, and the purity and dietary proscriptions? Accordingly, Paul’s opponents at Galatia have traditionally been labelled “Judaisers”; that is, that they were proponents of a traditional Jewish proselyte model of Christian mission, which required Gentile Christians to attach themselves to ethnic Israel.2 Paul himself never names them, implying
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As I have argued elsewhere, Galatians is likely to be one of the earliest extant letters, if not the very first, that Paul wrote; probably around 50 to 51 CE, soon after the events described in the first two chapters of the letter. See Elmer, Paul, Jerusalem and the Judaisers, 118 – 130. Also Dunn, A Commentary on the Epistle to the Galatians, 19; and Martyn, Galatians, 19 – 20. Compare Witherington III, Grace in Galatia, 8 – 13, who argues that Galatians must be dated no earlier than 49 C.E. and no later than 53 – 54 C.E. This identification has a long history dating back to the second-century, when Marcion first inferred that Paul’s opponents were fanatical Jewish Christians from Jerusalem (Tertullianus, adversus Marcionem 5:2 – 4). This view was further supported by both John Calvin and Martin Luther during the Reformation. Since then most Protestant exegetes have held to some form of this theory. See the discussion in Russell, Who Were Paul’s Opponents in Galatia?, 329 – 350; Matera, Galatians, 7 – 11; and Longenecker, Galatians, xliii, lii–lv. More recently, scholars have preferred to use less pejorative labels, like “agitators”, “troublemakers”, “missionaries” or “teachers” – see Martyn, Galatians, 431 – 466; and Jewett, The Agitators and the Galatian Congregation. In this paper I will use these titles interchangeably.
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only that that are illicit interlopers on his territory who come only to cause trouble and agitation. In his response to these troublemakers, Paul opens his letter with a description of his own experiences, and particularly two proceeding conflicts in which he was involved, that centred on similar issues. Specifically, he singles out his encounters with members of the Jerusalem church, the “false brothers” and “James, Cephas and John” (Gal 1:18 – 19; 2:4, 9), as well as James’ people from Jerusalem and the “circumcision party” at Antioch (Gal 2:12). While there is wide disagreement among commentators about the precise relationship between Paul’s earlier conflicts and the Galatian crisis, most agree that the Judaisers claimed some connection to the apostolic authorities in Jerusalem.3 Many scholars similarly concur that the crisis was not the result of inherent divisions within the Galatian communities, but that those divisive tensions were initiated by outsiders, latter-day missionaries who attempted to persuade Paul’s Gentile converts to adopt a vision of Christianity that was radically different from the one preached by Paul.4 Of specific concern in analysing the polemical nature of Paul’s letter to Galatia, therefore, is the question: Were the Judaisers agents of the Jerusalem church acting under the authority of the apostolic leadership? While all commentators agree that Galatians is Paul’s most polemical letter, few are prepared to explain Paul’s bitter rhetoric by suggesting any connection between Paul’s Galatian opponents and Jerusalem. Most prefer to see the Judaisers as a maverick group of Christian Jews who acted 3
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See the surveys of the competing theories in Elmer, Paul, 3 – 26; Martyn, Galatians, 117 – 126; Gunther, St. Paul’s Opponents and Their Background, 1 – 5; Ellis, Paul and His Opponents, 264 – 298; and Watson, Paul, Judaism and the Gentiles, 59 – 72. In addition to these theories about the identity of the troublemakers there has been much recent discussion on the methods used by commentators to interpret Paul’s references to his opponents at Galatia; see, Tyson, Paul’s Opponents in Galatia, which became the stimulus for further discussions pursued by Lyons, Pauline Autobiography; Barclay, Mirror-Reading a Polemical Letter, 73 – 93; idem, Obeying the Truth, 1 – 35; Cosgrove, The Cross and the Spirit, 31, 39 – 40; Martyn, A Law-Observant Mission to Gentiles: The Background of Galatians, 310 – 313; idem, Events in Galatia, 160 – 163; and Sumney, “Servants of Satan”, “False Brothers” and Other Opponents of Paul, 77 – 85, 134 – 159. E.g., Barclay, Obeying the Truth, 36 – 74; Russell, Paul’s Opponents, 345 – 350; Longenecker, Galatians, xcv; Matera, Galatians, 7 – 11; Martyn, Galatians, 120; Sumney, “Servants of Satan”, 137; Das, Paul and the Jews, 17 – 48; and Betz, Galatians, 7.
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without the explicit sanction of Jerusalem. By contrast, one might argue that the success of the Judaisers’ counter mission at Galatia can only be explained if they were representatives of some centre with important authority, such as Jerusalem or Antioch. When Paul wrote Galatians, these Judaisers were well established and were enjoying some success (Gal 1:6; 3:1; 4:21; 5:4, 7). Indeed, many of Paul’s Gentile converts were apparently adopting some aspects of Law-observance (Gal 4:10 – 11), and Paul expresses astonishment at the rapidity with which the Galatians had deserted the gospel he preached (1:6). Furthermore, it must be significant that Paul finds it necessary to begin his polemic against his opponents with a detailed description of his previous dealings with Jerusalem. This might indicate that Paul was forced to respond to allegations by the Judaisers that Paul, like they, had similarly received the “gospel” by way of Jerusalem.5 There may also be here, as F. F. Bruce points out, a further implied charge that Paul had failed to preach that gospel correctly, abridging and adulterating the import of the message that he had received at Jerusalem.6 To make such an argument, of course, we would have to find clear confirmation from within the letter itself, and any argument would have to be founded on the whole letter and not on isolated fragments of Paul’s polemic.
1. Who were Paul’s Opponents? The clearest hints we obtain from the letter concerning Paul’s opponents are the initial statements in 1:6 – 9 and the postscript of 6:11 – 18. In the first of these passages we discover that the troublemakers were urging “another gospel” (6teqom eqacc´kiom), which in Paul’s opinion was “really no gospel at all” (1:6). In the verse immediately following, he details the gist of the story he has received: “Evidently, some (tim´r) people are troubling (taq²ssomter) you and wishing to pervert the gospel of Christ” (1:7). R. N. Longenecker observes that Paul’s allusion to “an angel from heaven” here suggests that Paul wants to ridicule his opponents’ impressive credentials, since it is likely that in support of their “gospel” they were ap5
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See for example Martyn, Galatians, 117. Similar views are expressed by Longenecker, Galatians, 36, 42, 44 – 45, 64 – 66; Betz, Galatians, 64 – 66; Bruce, The Epistle to the Galatians, 26; and Dunn, A Commentary on the Epistle to the Galatians, 72 – 78. Bruce, Galatians, 101 – 102.
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pealing to authorities that were superior to Paul.7 As we will see a key element of Paul’s polemic in Galatians is Paul’s subtle mockery of the Jerusalem apostles, which he achieves by alluding to direct links between the Judaisers and the Jerusalem authorities. In the closing passages of the letter Paul cautions his readers about the motivations of his opponents. Paul says, “It is those who want to make a showing in the flesh, these people compel (!macj²fousim) you to be circumcised” (6:12). In addition to this aim, Paul suggests that they only want to evade “being persecuted for the cross of Christ” (6:12). This statement is a highly polemical assertion, which reveals a great deal about what Paul knew of his opponents’ religious affiliations.8 Consequently, in attempting to uncover the origins of the Galatian Judaisers these two sets of passages must be the principal focus of our investigations; but these passages are not our sole evidence. Various other inferences may be drawn from both the structure and content of Paul’s argument in Galatians. In particular, the assertions and allegations that his opponents have made against him are probably evident even within the context of the letter’s idiosyncratic salutation or prescript (1:1 – 5). Paul begins here with a characteristic identification of himself as the author and the Galatians as the recipients of his letter (1:1 – 2) to whom he sends greetings (1:3). To this conventional opening, however, Paul adds several unconventional features, which seem to be intended as an introduction to the three dominant themes of his argument.9 First, Paul introduces an energetic defence of his apostleship as the product of a divine revelation (1:1), which is further developed in 1:11 – 2:21. Second, Paul draws on early Christian formulae that speak of a Christian kinship based on the paternity of God and the salvific effect of Christ’s sacrifice (1:4 – 5), which is most likely meant to both recall the original thrust of his gospel and prepare the way for his polemic against his opponents’ gospel in 3:1 – 4:31. Finally, Paul makes reference to Christ’s death as the means of deliverance from the “present evil age”, which might suggest that his opponents were offering a different avenue 7 8 9
Longenecker, Galatians, xcv. Sumney, “Servants of Satan”, 136; Longenecker, Galatians, lxxxviii–xcvi; and Lhrmann, Galatians, 23. This view is universally accepted, see Russell, Paul’s Opponents, 338 – 341; Betz, Galatians, 38 – 40; Longenecker, Galatians, 10; Dunn, Theology of Paul’s Letter, 20 – 21; and Smiles, The Gospel and the Law in Galatia, 31 – 32.
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for salvation that undermined what Paul calls the “truth of the gospel” (2:5, 14) – an issue that Paul will develop in 5:1 – 6:10. H. D. Betz has called these three themes the “hermeneutical keys” for unlocking Paul’s concerns about his opponents’ ministry in Galatia.10 We may use these three premises as a line of attack for our exploration of the Judaisers and their gospel.
2. Excluding Gentiles We will begin with our second “hermeneutical key”, that is Paul’s emphasis on the paternity of God, which appears first in the prescript of Galatians. God the Father is mentioned three times in the opening passages of Galatians (1:1, 3, 4) which, among the salutations of the Pauline corpus, is exceptional. In the salutations of eleven of the other epistles God’s fatherhood is mentioned only once, while 2 Thessalonians has two occurrences (1:1 – 2). So Galatians is unusual with its threefold repetition within the opening verses. Apparently the underscoring of God’s fatherhood over the Galatian “brothers” (v. 2) weighed heavily in Paul’s thoughts as he began his epistle. If the Judaisers queried Paul’s apostolic rank and his gospel, as we will argue presently, then they probably also claimed that Paul’s gospel could not bring Gentiles into the family of God. As Christian Jews, Paul’s opponents must have noted that for males, admittance to the family of God must entail circumcision as an initiatory step. After all, the strongest and most consistent facet of Paul’s assault on his opponents focuses on the subject of circumcision. This fact suggests that the demand for circumcision was an essential plank in the Judaisers’ platform. The most obvious evidence for this is in Paul’s closing remarks (Gal 6:12 – 13), where he directly accuses his opponents of seeking to circumcise the Galatians in order to make a good showing in the flesh, avoid persecution, and boast of their accomplishments.11 Scholars who focus on Paul’s polemical strategy unanimously concur that these remarks represent part of Paul’s conclusio – an epilogue that restates and recapitulates 10 Betz, Galatians, 39. Cf. Russell, Paul’s Opponents, 338 – 339; and idem, Rhetorical Analysis of the Book of Galatians, Part 2, 417 – 421. 11 Betz, Galatians, 313; Lyons, Pauline Autobiography, 168; Kennedy, New Testament Interpretation through Rhetorical Criticism, 151; and Hall, The Rhetorical Outline for Galatians: A Reconsideration, 286. Sumney, “Servants of Satan”, 135 – 136, rates this passage as one of “the most direct statements about the other teachers in Galatia”.
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the central arguments canvassed in the body of the letter. On that basis, it would seem that circumcision is one of the fundamental issues in Paul’s dispute with the Judaisers at Galatia. In maintaining their pro-circumcision putsch, Paul’s opponents seem to have appealed to the story of Abraham (3:6 – 29; 4:21 – 31), in which the institution of circumcision was imposed on God’s elect (Gen 17:1 – 27). In Galatians 4:22 – 5:1 Paul outlines a comprehensive allegory focusing on two significant women, Sarah and Hagar, from the Torah. At this point, Paul is returning to a scriptural argument that he has previously surveyed in his earlier discussion of Abraham (3:6 – 18). In both these passages Paul draws extensively on material in Genesis 16 – 21, which figures at the heart of the Abraham cycle in the patriarchal accounts. Paul introduces the allegory of Hagar and Sarah as a contrast between a former covenant and the new covenant. According to Paul’s exegesis, the allegory serves to support his claim for the subordination of the old regime to a new agreement which God wrought by the death and resurrection of Christ. In so doing, Paul upends the whole thrust of the Abraham cycle that Israel is descended from Isaac, the son of Abraham’s wife Sarah, and equates the nation of Israel with the descendents of Ishmael, the son of the slave woman Hagar. This curious reversal of the accepted tradition must imply that Paul is addressing arguments first raised by the Judaisers.12 J. Sumney rejects this conclusion, arguing that Paul, and not his opponents, introduced Abraham into the argument as “evidence” against the opponents’ claims regarding the necessity of circumcision.13 However, Paul’s innovative (even arbitrary) reinterpretation of the Abraham narrative indicates that he is reacting directly against the arguments of his opponents; for it seems improbable that Paul would have employed such an argument against circumcision, since the issue of circumcision and the covenant are intimately associated with the Abraham story (Gen 17:1 – 27).14 12 So Longenecker, Galatians, 200, who notes that the polemical character of the Hagar-Sarah story suggests a direct response to usage of the same story by the Judaisers in similar “ad hominen fashion”. See also, Dunn, Galatians, 243 – 244. 13 Sumney, “Servants of Satan”, 144 – 145; and Cousar, Galatians, 73, whom Sumney follows. Similarly, Dunn, Galatians, 16, expresses some concerns over the connection between the opponents and the Abraham argument. 14 Martyn, Galatians, 448. Similarly, Betz, Galatians, 237, suggests that at this point Paul seeks to win back the Galatians by directly addressing the Judaisers, attempting to refute their claims with an appeal to the same scripture hat formed
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Indeed, Paul’s stress on Gentile inclusion in the family of God may have been developed to directly counter an opposing view of membership based on Abrahamic descent.15 Paul takes the Abrahamic tradition of circumcision and spiritualises it in such a way as to make the uncircumcised, rather than the circumcised, beneficiaries of the promise, rendering the cross of Christ as the divine instrument of the Gentiles’ inclusion in the people of God (3:13 – 14). Accordingly, Paul can reiterate the baptismal formula that must have been current during his time as a missionary under the auspices of Antioch, which serves to remind the Galatians of their incorporation “in Christ […] where there is neither Jew nor Gentile, slave nor free, man nor woman” (3:27 – 28). Paul is able to twist the Abraham narrative in such a way as to sketch the route by which the Gentiles become the adopted children in the family of God, thus becoming heirs who are able to join with other Christians in addressing God as “Abba! Father!” (4:1 – 7).16 While some scholars have noticed Paul’s use of kinship language both here in Galatians and elsewhere, they seldom see the polemical nature of Paul’s kinship metaphors in this specific context.17 It is only at this point in Paul’s argument that he introduces adoption language. Prior to his appeal to the story of Abraham to support his proclamation of Gentile righteousness wrought by faith (3:6 – 29), Paul made only scant use of inclusive categories.18 He had addressed the Galatians as “brothers” on only one occasion in his opening salvo against the
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a central aspect of their gospel. But see also, Perkins, Abraham’s Divided Children: Galatians and the Politics of Faith, 88, who notes that Paul’s misuse of scripture here results in a “shocking denial of Jewish claims to be descended from Isaac”. Esler, Paul’s Contestation of Israel’s (Ethnic) Memory of Abraham in Galatians 3, 25 – 27. White, God’s Paternity as Root Metaphor in Paul’s Conception of Community, explores the use and origins of kinship language in Paul’s letters and the Synoptic tradition. One exception here is Roetzel, Paul: The Man and the Myth, 122 – 123, who argues that “the claim and counter-claim of kin against kin” that Paul brings to bear on the dispute in Galatia played a seminal role in “the development of Paul’s adoption metaphor”. See also, more recently, Gaventa, Our Mother Paul, 29 – 39; and Eastman, Recovering Paul’s Mother Tongue, 161 – 180. See the discussion of Paul’s use of adoption language within the context of the Abraham story in Witherington, Grace in Galatia, 281 – 292; Eastman, Recovering Paul’s Mother Tongue, 163 – 169; Campbell, Paul and the Creation of Christian Identity, 61 – 64.
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rival gospel (1:11). However, once Paul introduces Abraham into his argument he resorts constantly to fraternal metaphors that are intended to mark the inclusion of Gentiles. Eight times in the space of the next four chapters (3:15; 4:12, 28, 31; 5:11, 13; 6:1, 18), Paul addresses his auditors as “brothers”. A similar pattern can be detected in Paul’s use of family metaphors. Beginning with 3:26 Paul makes wide use of familial language, recognising his Gentile converts as “children of God” (3:26; 4:6 – 7), “children of Abraham” (3:7) “children of the promise” and “children of freedom” (3:7). By bringing together the Abraham story and the Law-free mission in this manner Paul effectively radicalises the familial metaphors so deeply embedded in the Abraham tradition to embrace the Gentiles, who were never formerly considered family members.19 This status as family members was considered the sole preserve of the circumcised elect of Israel; but, now, according to Paul’s reading of the Abraham story, it was granted to uncircumcised Gentiles. Paul’s ploy was to separate what his opponents’ gospel no doubt held together, Abraham’s faith (Gen 15:6) and his Law-observance (Gen 17:10 – 11). Arguing that God’s promises were to Abraham’s seed (cf. Gen 12:7; 13:15; 17:7; 24:7), a singular form that he interpreted as referring to Christ (Gal 3:16), Paul could assert that it was through faith in the seed of Abraham, not through Law-observance expressed via circumcision, that Gentiles were made the children of Abraham. Not only was this a highly innovative interpretation, it must also have been read as offensive and polemical to the Law-observant. As H. D. Betz has noted, in a manner not unlike the polemic of the Qumran Covenanters, Paul’s blatantly sectarian language served to exclude other Law-observant Jews from the family of God by asserting that only the Law-free Christian community constituted the true Israel of God (6:16).20 It would seem, therefore, that the key aspect of the agitators’ gospel was the demand for circumcision. But we must ask, was this their only concern? Were they motivated by this single issue, or was circumcision only one element in a broader set of demands?21 19 Betz, Galatians, 186; and Roetzel, Paul, 122. 20 Betz, Galatians, 323. 21 Schmithals, Paul and the Gnostics, 19, argues that the opponents preached a gospel of circumcision rather than full Law-observance. Munck, Paul and the Salvation of Mankind, 132; Harvey, The Opposition to Paul, 319 – 332; and Gaston, Paul and Torah, 29 – 30, 81 – 82, offer similar views. See also Elliott, Cutting Too Close for Comfort, 13, who, while arguing that circumcision remains the central
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The fact that Abraham figured strongly in the gospel of the Judaisers suggests that circumcision was not the sole aspect of the Law at stake in Galatia. R. N. Longenecker remarks that Jewish traditions frequently considered Abraham to have observed the Law despite the fact that the Law was given to Moses generations later (Jub 16:28; Sir 44:20; 2 Bar 57:2; Philo, de Abrahamo 5 – 6, 60 – 61, 275; Baylonischer Talmud Joma 286; Mischna. Qiddushin 4:14; cf. Gen 25:6).22 Moreover, we know of no ardent Jews in the Second Temple period who upheld Abraham as a central figure in Jewish self-definition while at the same time suggesting that his significance was limited to observance of only some of the Law. Accordingly, we must assume that the troublemakers at Galatia were demanding that the Gentiles adopt complete observance of the Mosaic Law. This much is suggested by 5:2 – 3, where Paul warns the Galatians in the most strident terms that if any man allows himself to “be circumcised, he is obliged to obey the whole Law”. Paul’s reminder that the whole Law is binding was probably not a negative statement within first-century Judaism, and it certainly would not be a surprise to his opponents.23 Circumcision alone did not constitute being a Jew and circumcision as an initiatory rite for male proselytes was the end result of a long process of conversion and study.24 Furthermore, in most forms of Judaism during this period, the Law was perceived to be an indivisible whole. This is indicated by the Mishnah, which stresses that one must heed the light as well as the heavy commandments (Mishna Avot, 2:1; 4:2). Closer to Paul’s own time, the author of 4 Maccabees (5:20 – 21) proclaims that transgressions of the Law in either small or large things is equally indictable, since both demonstrate that the transgressor despises the Law. Finally, we might quote Sirach (7:3) who suggests that any sin renders one guilty of violating the Law, not just a law. Apparently, therefore, a person or community was not at liberty to pick and choose their practices, or discriminate about which legal regulations were binding – a sentiment shared by some Christians as well. Thus, we find that the author of the letter of James (2:10) decrees that “whoever keeps the issue in Galatians, postulates that Paul’s concern over the issue “does not originate from an antipathy towards the Law, but from an antipathy toward the [Celtic] cult of the Mother of the Gods and an abhorrence of self castration”. 22 Longenecker, The Triumph of Abraham’s God, 31 – 32. Cf. Betz, Galatians, 158. 23 Russell, Paul’s Opponents, 343. 24 Dunn, Galatians, 265 – 266; and Perkins, Abraham’s Divided Children, 9 – 12.
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whole Law, yet stumbles at one point is guilty of breaking all of it” (cf. Mt 5:18 – 19). Paul makes it clear that his opponents advocated the efficacy of complete observance of the whole Law by addressing them as “you who are under the Law” (4:21). Paul makes a similar statement in 2:15 – 17, including himself alongside the Judaisers as “Jews”.25 More specifically, Paul’s polemic against troublemakers’ concern for the observance of “days, months, seasons and years” (4:10) can only be seen as a clear reference to Jewish observance of the Sabbath, holy days and liturgical seasons. The overall context of Paul’s attack on the pro-circumcision sensibilities of his opponents makes it clear that Paul is referring to the cultic festivals of the Jewish calendar, especially the important new moon festival, which seems to be implied in Paul’s description of the “observation of months” (4:10).26 It must be admitted, that in referring to these Jewish cultic practices being advocated by his opponents (4:8 – 10), Paul does not employ specific Jewish terminology. D. Lhrmann has tried to draw parallels between Paul’s reference to the “elements” (stoiwe?a) mentioned here (4:9) and a similar reference in 4:3, suggesting that Paul is decrying a form of pantheistic practice.27 However, the reference to the “elements” in 4:3 is clearly within the context of the Galatians’ former pagan faith-practice and, therefore, the allusion to the “elements” in 4:9 should not be seen as part of the teachings of Paul’s opponents.28 The mention of 25 Although Walker, Does the ‘We’ in Gal 2:15 – 17 Include Paul’s Opponents?, suggests that the reference is to the Antiochene incident (2:11 – 14) and Paul is addressing Cephas, Barnabas, and “all the Jews” at Antioch. However, this does not necessarily exclude his Galatian opponents who clearly shared a great deal in terms of identity and activity. 26 See Thornton, Jewish New Moon Festivals, Galatians 4:3 – 11 and Colossians 2:16; and Sumney, “Servants of Satan”, 142 – 143, who follows Thornton. Cf. Longenecker, Galatians, 181 – 183, who provides a brief but thorough analysis. 27 Lhrmann, Galatians, 84 – 85, 126. Similar views are expressed by Nanos (ed.), The Galatians Debate, 267 – 269; and Martin, Apostasy to Paganism, 437 – 461, both of whom suggest that Paul is referring to the Galatians as backsliding into their old observance of the Imperial cult. On the other hand, Betz, Galatians, 217 – 218, suggests a reference to syncretistic practices that involve both Jewish and pagan elements. 28 Barclay, Mirror-Reading, 82, makes the point that attributing a belief in the “elements” to the troublemakers at this point can only be sustained by recourse to unsupported mirror-reading. One would need to find some corroborating indication elsewhere in Galatians to substantiate this claim.
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the “elements” in 4:9 could be an attempt on Paul’s part to discredit his opponents by making an erroneous accusation about their teachings. One might compare the use of similar terminology in Colossians (2:8, 20) where stoiwe?a is used as a polemical accusation against Judaising opponents.29 J.D. G. Dunn speculates that Paul’s tactic in Galatians 4:9 is to associate the careful reckoning of dates for the Jewish calendar with recourse to the “elements”.30 But J. Sumney is probably correct in his assertion that “the point is more simple and polemical: Paul is making the keeping of these [Jewish] feasts by Gentiles equivalent to keeping pagan observances”.31 The manner in which Paul attempts to satirise his opponents’ message by drawing comparisons between the festivals and the veneration of the elements implies that, in addition to circumcision, his opponents placed significant value on the holy days of the Jewish liturgical calendar. This would intimate that the troublemakers were causing disquiet amongst the Galatians by advocating full Law-observance. Furthermore, Paul suggests that his opponents wished to compel the Gentile Christians to be circumcised for fear of being persecuted for “the cross of Christ” (6:13), which implies that they are Christian Jews. It seems unlikely that the troublemakers at Galatia were non-Christian Jews or Gentile converts to Judaism who wanted to force Paul’s Gentile converts to become Jewish proselytes so as to avoid persecution from the civil authorities.32 Rather 6:13 indicates that Paul is dealing with Christian Jews who wanted to force circumcision and Law-observance on his Gentile converts. Paul’s claim that the Galatian Judaisers were motivated by the fear of being persecuted for Christ (6:12) substantiates the view that his opponents were fellow believers in Jesus. Paul must have understood that his opponents shared his and his readers’ common belief in 29 So Betz, Galatians, 216 – 217. Cf. Forbes, Paul’s Principalities and Powers: Demythologizing Apocalyptic?, 81 – 83. 30 Dunn, Galatians, 228 – 229. 31 Sumney, “Servants of Satan”, 143 n. 52. 32 As argued by Nanos, The Irony of Galatians, 264 – 267, who suggests that the troublemakers were Jews who tried to encourage the Gentile Christians to become Jewish proselytes so as to avoid being persecuted because of their association with the Christian community. By contrast, Harvey, “Opposition”, 324, argues that the opponents were Gentiles, newly converted to Judaism, seeking to offer circumcision to Paul’s converts as a means of avoiding persecution. Harvey contends that these proselytes were pressuring fellow Christians to avoid persecution from the synagogue by adopting Jewish practices, but not Jewish theology.
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Christ, or else the insult – that they wished to avoid persecution on account of Christ – would make no sense whatsoever.33 Where his gospel differed from theirs was in their demand for full adherence to the Law. This is the nub of Paul’s polemic in Galatians; his opponents profess to preach Law-observance as “good news”, which Paul rejects completely as nothing less than a “perversion of the Gospel of Christ” (1:7). This brings us to another significant point. J. L. Martyn argues correctly that Paul must have used the term “gospel” to describe the preaching of his opponents deliberately since it is a key concept in his understanding of the Christian kerygma. 34 In the Pauline correspondence, “gospel” has almost achieved the status of technical terminology and, therefore, Paul would not have used it here unless his opponents were also using the same terminology. Moreover, it is highly unlikely that Paul would have employed this term for a message that did not include a proclamation of Jesus Messiah. It stands to reason that his opponents preached a “gospel” that, in addition to the proclamation of Jesus as the Messiah, entailed a demand for circumcision (5:2 – 4; 6:12 – 13); or, put more accurately, they apparently preached the necessity of circumcision and Law-observance as the only means of entry into the family of God. Paul’s response was to warn the Galatians that those who were tempted to “judaise” by receiving circumcision (5:2) needed to realise that they were subjecting themselves again to a yoke of slavery (5:1) by putting themselves under obligation to adhere to the whole Law (5:3) and thereby, they would sever themselves from Christ. Paul wished to stress that Christ was the only one who could set them free from the Law and failure (2:15 – 21; cf. Rom. 8:1 – 4).
3. Undermining Paul We are now in a position to address the key issue of Paul’s apostolic status, which seems to have played a significant role in the Judaisers’ arguments. The obvious inference that must be drawn from Paul’s opening 33 With few exceptions, most commentators accept this reading of the passage. See, for example, Jewett, Agitators, 205; Longenecker, Galatians, xciv–xcv, 290 – 291; Matera, Galatians, 230 – 231; Martyn, Galatians, 560 – 563; Das, Paul, 18 – 19; Lightfoot, Galatians, 222 – 223; and Bruce, Galatians, 268 – 269. 34 Martyn, Galatians, 109.
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parenthesis (1:1) is that he believed that his status as an apostle was under attack from his opponents at Galatia. It is not entirely clear how his opponents had made this challenge or in what context the attack on Paul’s credentials was made. However, the Judaisers seem to have undermined Paul’s authority by directly referring to his past dealings with the apostolic authorities at Jerusalem.35 In particular, they appear to have cast doubts on the bases of Paul’s apostolic status with reference to his commission, or lack thereof, from the appropriate authorities at Jerusalem. Several factors support these assumptions. First, we should note by way of an initial overview that in Paul’s letters there are a mere ten explicit references to Jerusalem, half of which occur in Galatians (1:17, 18; 2:1 – 2; 4:25, 26; cf. Rom 15:19, 21, 26, 31; 1 Cor 16:3).36 The names of the pre-eminent leaders of the Jerusalem church – Cephas (Gal 1:18; 2:9, 11, 14; cf. 1 Cor 1:12; 3:22; 9:5; 15:5) or alternatively Peter (Gal 2:7, 8), Jesus’ brother James (Gal 1:19; 2:9, 12; cf. 1 Cor 15:7), and John (Gal 2:9) – appear more often in Galatians than any of the other Pauline texts. Similarly, we find Barnabas (2:1, 9, 13; cf. 1 Cor 9:6; Col 4:10), an erstwhile member of the earliest Jerusalem community (Acts 4:36; 9:27), figuring prominently with the aforementioned Jerusalem triumvirate in Paul’s opening autobiographical narrative (Gal 1:12 – 2:14 2:1, 9, 13). Later Jerusalem reappears in some of Paul’s most polemical statements as a figure of derision “for she and her children are in slavery” to the covenant from Mount Sinai (4:25). This claim echoes Paul’s earlier attack on the false brothers at Jerusalem (2:4), whose attempt to “make us slaves” by imposing circumcision on the Gentiles is later extended to the James party, and then to Peter, Barnabas and the rest at Antioch (2:13), who were attempting to “compel the Gentiles to live like Jews” (2:14).37 This repeated focus on the apostolic community suggests that the spectre of the Jerusalem church and its leadership haunts the pages of this letter like no other in the Pauline corpus. 35 Elmer, Paul, 110 – 116. 36 Romans (9:33; 11:26) contains two further references to “Zion”, both of which are Scriptural quotes dealing with messianic themes drawn directly from Isaiah (28:16; 59:20 – 21). Another relevant, alternative term is “Judea”, which occurs infrequently in the Pauline corpus; but, here again, Galatians (1:22) is represented along with 1 Thessalonians (2:14) and 2 Corinthians (1:16). 37 We shall examine the connections between these verses in chapter five. See also Esler, Galatians, 138; and more fully in his earlier work, Esler, The First Christians, 57 – 62. Similarly Martyn, Galatians, 462 – 466.
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Second, from the very outset of the letter Paul appears on the defensive with regard to his apostolic authority vis--vis the original apostolic circle at Jerusalem. The emphatic initial negatives in 1:1 – “neither from human authorities […] nor through human commission” – represent more than a mere, rhetorical, opening gambit. As G. Ebeling rightly observes, “At the beginning of a letter so highly charged in style and content, in an antithetical explication of his own apostolic authority clearly placed so emphatically at the start, Paul can hardly be employing purely stylistic variation”.38 The negative and ardent tenor of this remark suggests that the rhetoric present here must reflect the polemical situation of the letter. This appears all-the-more probable when we note the similar denials of verses 11 – 12, which exactly parallel those of 1:1 – “the gospel that was proclaimed by me is not of human origin; for I did not receive it from a human source, nor was I taught it”. These denials in turn anticipate the postponed, but emphatic, main clause of verses l6 – 17 – “I did not immediately confer with flesh and blood […] nor did I go up to Jerusalem to those who were already Apostles before me”.39 Such emphatic and repeated denials must reflect the fact that Paul’s apostolate has been portrayed by the opponents in Galatia as derivative from former apostolic authorities – perhaps, specifically from either Cephas and James in Jerusalem, or from Barnabas in Antioch, since all of these play a role in the stories related by Paul.40 Moreover, the Judaisers must also have been claiming that Paul had wilfully neglected to proclaim that gospel accurately, adulterating the Law-observant import of message that he had received at Jerusalem. G. Lyons, however, has argued that we should not read so much into Paul’s rehearsal of his previous relationship with Jerusalem. Drawing on studies in Greco-Roman rhetoric and epistolography, Lyons argues that 38 Ebeling, The Truth of the Gospel, 12 – 13. By contrast, Betz, Galatians, 39 cautions against attempts to determine the content of the charge against Paul on the basis of the prescript alone. 39 There may even be here an intended chiastic structure with the dual denials (“not by human authority; not through human commission” – 1:1, 11) being balanced by affirmations (“but though Jesus Christ” – 1:1, 12). So Ebeling, The Truth of the Gospel, 13; who is followed by Smiles, The Gospel, 32. 40 The argument that 1:1 was composed as a direct response to accusations that Paul’s apostolate was derivative, either of Jerusalem or Antioch, is widely accepted. See, for example, Longenecker, Galatians, 4; Dunn, Galatians, 25; Martyn, Galatians, 92 – 95; Esler, Galatians, 118 – 120; and Perkins, Abraham’s Divided Children, 36 – 37.
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Paul’s letter to Galatia is “deliberative” rather than “forensic” or “apologetic” in nature.41 Accordingly, Paul revisits past events only in as far as it helps establish his character and ethos; hence, his apparently defensive assertions “are often, if not always, examples of pleonastic tautology used in the interest of clarity”.42 Lyons may be correct in suggesting that the letter was primarily “deliberative”, but this does not mean that it is devoid of any apologetic statements. Deliberative speech could and often did contain statements that directly addressed false accusations against the speaker and, in that case, would have included elements of both apologetic argument and forensic analysis of past or current events that had a direct bearing on the present discussion.43 A narratio of the kind found in Galatians 1:13 – 2:14, while uncommon in deliberative speeches, could be included when such would serve to correct mistaken impressions about the speaker and, thereby, improve his standing and encourage his audience to be sympathetic to the arguments that were to follow.44 The ancient rhetorician, Quintilian (institutio oratoria, 3:8:10 – 11), advised rhetors that statements about external matters that are nonetheless immediately relevant to the matters at hand could be introduced via a narratio when making a deliberative speech (cf. Dion Chrysostomos, orationes, 40:8 – 19; 41:1 – 6). Such a narratio, even in a deliberative speech, had two functions.45 First, the purpose of a narratio was not simply to inform or remind the auditors of past events, but to recall those past events as lessons for the future. In this way the rhetor could persuade his auditors by placing the facts of his case in a certain context and presenting them in the manner most conducive to his point of view. Quintilian (institutio oratoria, 4:2:87) observes that it was the correct and accepted convention in a nar41 Lyons, Pauline Autobiography, 25 – 27, 112 – 119. Cf. Kennedy, New Testament Interpretation, 23 – 25; Hall, Rhetorical Outline, 277 – 287; and Nanos, Irony, 32 – 61. For others who see the letter as primarily apologetic, see Betz, Galatians, 14; idem, Literary Composition, 353 – 379; Ldemann, Paul, 46 – 48; and Hester, The Use and Influence of Rhetoric in Galatians 2:1 – 14. 42 Lyons, Pauline Autobiography, 110. 43 Esler, Galatians, 65. Cf. Aune, The New Testament in Its Literary Environment, 203, 207; Barclay, Obeying the Truth, 23 – 25; Longenecker, Galatians, cxix; Smiles, The Gospel, 13; Witherington, Grace in Galatia, 95 – 97; and Perkins, Abraham’s Divided Children, 20 – 24. 44 Witherington, Grace in Galatia, 95. 45 Betz, Galatians, 61 – 62; Esler, Galatians, 64 – 65; and Witherington, Grace in Galatia, 97.
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ratio to chronicle the relevant events surrounding an issue in chronological order so as to provide the proper context. Furthermore, a narratio afforded the rhetor the opportunity to either attack the character of an opponent or eulogise an ally. Lyons agrees with the first, arguing that the narratio in Galatians has to do with Paul’s concern to establish “his divinely determined ethos, not defending his personal or official credentials”.46 Put otherwise, Paul’s opponents need not have made any accusations against Paul for Paul to want to stress his authority and offer himself as an example to the Galatians of one who formerly stood against similar onslaughts from Judaising opponents. However, Lyons seems unaware of the second option, that Paul must have recalled his earlier dealings with Jerusalem in order to attack the character of his opponents because they were directly linked with the Jerusalem church. In a narratio the rhetor could resort to pejorative language in order to dispose his auditors to his point of view and against that of his opponents. Throughout the narratio, Paul responds directly to his opponents’ views on the Law from the perspective of their shared Christian traditions (1:7, 13 – 14; 2:15). Nevertheless his polemic strategy is to cast his fellow Christians in the role of adversaries and credit them with duplicitous motives. We may be scandalized to imagine that one of the great founding fathers of Christianity would act so underhandedly. But the first century is not the twenty-first. We should not judge Paul by our standards. Firstcentury Mediterranean society was highly competitive. The contemporary rules of rhetoric condoned a no-holds-barred approach to social interaction. With this in mind, it is no surprise that in his polemic against his opponents at Jerusalem Paul labels them as “false brothers” who were “secretly brought in to spy on our freedom” by “those reputed pillars”. The martial language here is most likely intentional. Paul wants to portray his defence of the Gospel as a military campaign involving a series of battles. In the subsequent battle at Antioch, Peter and Barnabas are accused of “hypocrisy” and cowardice in the face of the interference of the factional and divisive “men from James”. Similarly, Paul’s present opponents at Galatia are cast as “troublemakers” and “agitators” who are motivated by fear of persecution. Such pejorative and emotional language 46 Lyons, Pauline Autobiography, 133. See also Cosgrove, The Cross and the Spirit, 133; and Witherington, Grace in Galatia, 71 – 73, both of whom agree with Lyons on this point.
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could not be accidental. It is meant to be polemical and it is intended to raise animus against the viewpoint of those whom Paul perceived to be his adversaries.47 To pursue these points further, it should be noted that Paul explicitly signals his readers’ familiarity with some version of events in his past, and he implicitly signals that this knowledge could only be derived from his opponents. In support of this view, we might cite Paul’s rhetorical question “why am I still persecuted if I am still preaching circumcision?” (5:11), which many scholars read as an indication that Paul’s opponents must have told the Galatians that Paul still taught circumcision.48 However, this seems a rather difficult claim to defend. Surely the Galatians, who had been the recipients of Paul’s gospel, would be well aware of Paul’s position vis--vis circumcision. A far better understanding of 5:11 is that Paul’s opponents had accused him of being inconsistent in having preached circumcision at other times and places, despite the fact that he was now preaching a circumcision-free gospel.49 P. Perkins points out that Paul’s defence is couched within “the context of an intra-Christian conflict” and, therefore, we might assume that the Judaisers are making claims about “some element in his earlier activity as a Christian missionary”.50 Elsewhere Paul admits to a level of flexibility in the course of his apostolic career (1Cor 9:20; cf. Rom 15:1). According to missionary expediency, Paul appears to have adopted differing but appropriate lifestyles according to the community to whom he ministered. It may be possible that Paul’s opponents could cite actual examples of Paul’s willingness to accommodate his faith-practice to his audience. There is no significant evidence to suggest that following his conversion Paul ever returned to the practice of Law-observance. It would seem, therefore, that the refer47 Betz, Galatians, 61. 48 Tyson, Paul’s Opponents, 248 – 249; Jewett, Agitators, 208; Watson, Paul, Judaism and the Gentiles, 55; Bruce, Galatians, 236; and Betz, Galatians, 268. 49 So Witherington, Grace in Galatia, 373; and Perkins, Abraham’s Divided Children, 99 – 100. More recently, Johnston Hodge, Apostle to the Gentiles: Constrictions of Paul’s Identity, has revived the theory that Paul understood his role as a Judean teacher of Gentiles to warrant a good deal of flexibility vis-vis his identity as a “Jew”. 50 Perkins, Abraham’s Divided Children, 100. Cf. Schlier, Der Brief an die Galater, 238; and Betz, Galatians, 269, who suggest that Paul’s indifference towards circumcision evident even in Galatians (3:28; 5:6; 6:15) could be read as either critical or supportive of circumcision.
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ence to Paul preaching circumcision, if genuine, could only have been to Paul’s pre-Christian period – although this conclusion is far from certain.51 On that basis, we might imagine that the Judaisers had attempted to discredit Paul by telling his Gentile converts of his former persecution of the early Church. It is significant that Paul introduces the account of his past with the formula, “You will have heard, no doubt, of my earlier life in Judaism […].” (1:13), which must signal that the Galatians had been informed of his career as a zealous Jew. Paul’s narration of his early career does not simply stop at his preChristian phase, but goes on in precise detail to describe events that followed his conversion. Paul’s statement in 5:11 does imply that Paul feels that he must respond to a distorted version of events from his past. If we were to ask what events these might be, the only answer possible would be those events surrounding his conversion and his early commerce with the Law-observant Jerusalem church, which are the subject of the early chapters of the letter.52 Given the links Paul draws, we might assume that just as Paul’s disagreements with the gospel and the ministry of his Galatian opponents leads to polemical, ad hominem attacks on their character, so they too must have been equally critical of Paul, attacking both the content of his gospel and his right as an apostle to preach it. If these were not at issue, why would Paul make them so? It seems highly unlikely that Paul would have raised both the subject of his own authority and the spectre of his past controversies at Jerusalem and Antioch if these were not already central to the debate. Here again, we might refer to Quintilian (institutio oratoria 4:2:43) who counsels the rhetor that one “should never say more than the case demands”. This practice of providing only the most relevant details also explains why Paul’s description of these earlier events in Jerusalem and Antioch is brief and to the point. Paul is not providing his entire curriculum vitae or attempting to compose his autobiography. He is arguing a specific case, which requires historical contextualisation. Moreover, it is likely that he is responding to direct accusations about his gospel and his apostolic status that require a relevant reply. Again, this approach is nothing less than would be expected of one following the conventions of ancient rhetoric, which required a narratio to be clear, brief, plausible, and devoid of all 51 See Elmer, Paul, 73 – 79, where I have argued that Paul was converted into the Law-free movement of the Hellenists and, therefore, had never preached circumcision as part of Christian mission. Similarly, Matera, Galatians, 182. 52 Martyn, Galatians, 476 – 477.
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material that was not absolutely germane.53 The fact that Paul finds it necessary to detail his relationship with the apostolic authorities at Jerusalem implies that these Christian Judaisers were asserting a direct commission from the Jerusalem church as a counter to Paul’s own claims to apostolic authority. By way of substantiation of this line of speculation, we note that a significant aspect of the Judaisers’ message must have been the record of the events surrounding Paul’s early association with the Jerusalem Apostles, Peter, James and John, including the Council at Jerusalem. Why else would Paul report the performances of both the false brothers and Peter in supporting James’ pro-circumcision putsch at Antioch if their duplicity were not directly related to the current behaviour of the Judaisers at Galatia?54 There would seem to be here a clear allusion to possible claims by Paul’s opponents at Galatia that Paul, like they, had similarly received the gospel by way of Jerusalem. Against such claims, Paul asserts that he first went to Jerusalem in order to get “acquainted” with Peter (1:18), not to be “taught” or “receive” the content of the gospel he preached (1:12) or the “call” to preach it (1:15 – 16). Both his gospel and his apostolic commission (1:15) are the products of the revelation (1:12) he received three years prior to his initial meeting with Cephas and James (1:15 – 17) and fourteen years before the Council meeting that recognised the legitimacy of his Apostleship among the Gentiles (2:1 – 10). Paul is determined to set the record straight by explaining what kind of relationship existed between himself and the Jerusalem triumvirate, James, Cephas, and John. He is resolute in his willingness to demonstrate that no rift exists between him and them and, thus, that the gospel he preaches was not at variance with apostolic teaching. Paul seeks to establish that at the Jerusalem Council his gospel was recognised by the “Pillars” as divinely authorised (2:7 – 9). Paul asserts that he went to Jerusalem to “present” (!meh´lgm) his gospel to the Jerusalem Apostles, not to seek their approval. The verb !mat¸heshai is best understood as communication of information with the 53 See the discussion of this important point in Hall, Historical Inference and Rhetorical Effect. Cf. Witherington, Grace in Galatia, 96. 54 Hill, Hellenists and Hebrews, 111, attempts to avoid this problem by suggesting that the problem in Galatia was not identical to that in Antioch. But this begs the question as stated above, why then did Paul include this detail if it were not relevant to his concerns in Galatia? This point is also made by Sim, The Gospel of Matthew and Christian Judaism, 98. Cf. Dunn, Galatians, 72 – 78; and Bruce, Galatians, 101 – 102.
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added notion of seeking an opinion.55 Clearly, he is attempting to argue that he did not go to Jerusalem to seek apostolic sanction for his gospel, in the sense of an inferior seeking the blessing of a superior, but merely to present the details of his gospel message, which was to provide the subject for a conversation amongst equals.56 But it might also seem that Paul’s version of events is far from accurate, and that both his gospel and his mission among the Gentiles were subject to the scrutiny of the apostolic authorities at Jerusalem. P. F. Esler suggests that the language Paul employs to describe the Pillars as offering him and Barnabas “the right hand of fellowship” does not necessarily imply a unanimous and mutual agreement between equal partners.57 Rather in the contemporary biblical literature, especially the Maccabees (1 Macc 6:58; 11:50, 62, 66; 13:45, 50; 2 Macc 4:34; 11:26; 12:11; 13:22; 14:19), “giving the right hand” refers to establishing a truce following the cessation of hostilities. The commander or superior party “gives the right hand” while the inferior, on occasion portrayed as the petitioner, takes it in recognition of his acceptance of the terms of the treaty. This makes it inherently difficult to read the accord as an agreement forged between equals who recognise each other’s authority within clearly defined boundaries, be they ideological, geographical or even ethnic. Rather, the language used by Paul seems to suggest that the 55 An excellent study of this and other vocabulary of the passage is provided by Dunn, Jesus, Paul and the Law, 108 – 128, who explains that there can be no question of !mat¸heshai denoting “the relative competence or status of the parties involved” (113). 56 Holmberg, Paul and Power, 23, attempts to argue otherwise, but no ancient texts support this rendering of !mat¸heshai, as Dunn’s analysis makes clear (see preceding note). Stuhlmacher, Das paulinische Evangelium, 1:87, contrasts Antioch’s acceptance of Jerusalem’s judicial authority at the time of the Council with Paul’s view at the time of writing Galatians. Paul’s recognition of Jerusalem’s authority may at the time have been comparable, but after the events described have transpired, Paul is no longer willing to recognise Jerusalem’s right to rule on matters of contention (87 – 88). For a detailed analysis of the divisive nature of the Jerusalem Council, the Incident at Antioch and the ramifications of both for the Galatian crisis, see Elmer, Paul, 81 – 116. 57 Esler, Galatians, 298 – 299. See also Perkins, Abraham’s Divided Children, 52, who follows Esler. Smiles, The Gospel, 48, makes the point that Paul’s “qualification of den¸a (“right hand”) by joimym¸a precludes the thought that those who ‘gave the right hand’ thereby demonstrated their superior position”. Betz, Galatians, 100, also notes that joimym¸a can be interpreted to mean “various forms of relationship, anything from unity to separation”.
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outcome of the meeting was far from a decisive and clear-cut victory for Paul and the Antiochene delegation. Paul’s insistent assertions that he does not regard the Jerusalem Apostles as his superiors is probably meant to obscure the ambiguities inherent in the accord reached at Jerusalem. Esler’s interpretation carries the military metaphor of espionage and conflict first introduced with polemical reference to the false brothers as “spies” and “infiltrators” over to the final accord with the Pillar Apostles, suggesting that any agreement would have been both fragile and conditional. Paul presents the accord as final and binding on all participants. But the Jerusalem delegates may have understood it in terms of a provisional armistice, whereby the present, loose, ethnically-defined demarcation of the missionary communities was but a temporary measure to stave off any immediate re-engagement between the warring factions. In effect, any treaty would have been little more than a moratorium. Clearly, the necessity of sharing a common table between Jewish converts and Gentile converts would require a definitive compromise on the part of one or other constituency in an ethnically diverse community like Antioch. So there was more than one way to read the outcome of the Council, and subsequent events at Antioch demonstrated that no lasting solution to the schism between Jerusalem and Antioch was achieved at the time of Council. With the victory of James’ subsequent pro-circumcision putsch, Antioch came under the authority of Jerusalem, and Paul was marginalised and forced to depart Antioch.58 Given this situation, we can only conclude that Paul’s peculiar emphasis on apostolic authority implies that he is trying to avoid a trap laid by his Galatian opponents, which would allow it to be said that, as a result of the meeting with the Pillars and the change in leadership at Antioch, Jerusalem has jurisdiction over Paul’s gospel and his apostolate.59 It seems clear enough that Paul cannot ignore the connections be58 Elmer, Paul, 116. 59 Schlier, Galater, 68, sees Paul here as recognising the decisive authority of the “earlier apostolate” at Jerusalem and demonstrating how he was willing to validate the genuineness of his mission by their acknowledgement. However, against this view, Stuhlmacher, Das paulinische Evangelium, 1:88, observes that one misconstrues the intent of Paul’s report if Paul in Jerusalem is seen as seeking the confirmation of his mission and message from the binding authorities of the “earlier gospel” and the “earlier apostolate”. The better interpretation of Paul’s intention is to distinguish clearly between his mission as “apostle to the Gentiles” and that of the Jerusalem apostles’ original mission among the Jews.
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tween the Galatian troublemakers and his erstwhile opponents at Jerusalem and Antioch who had similarly challenged the content of his Lawfree gospel and his right as an apostle to preach that gospel among the Gentiles. And despite his attempt to drive a wedge between his opponents and the apostolic triumvirate at Jerusalem, Paul implies wittingly or unwittingly that they all sought to undermine his apostolate by forcing his Gentile converts to accept circumcision and adhere to the Law.60
4. Compromising the Gospel At this point in our discussion we are able to answer the question: why did Paul react so aggressively and polemically to the message of the Judaisers at Galatia? Elsewhere, we find Paul ready to counsel tolerance in the face of conflicting interpretations of the Christian message (cf. 1Cor 8:1 – 13; 10:14 – 33; Rom 14:1 – 15:13). The crisis that confronts Paul at Galatia is severe. According to Paul, the Galatians are in danger of “falling from grace” (Gal 5:4) as a result of the Judaisers who have “bewitched” (3:1) and “unsettled” (1:7; 5:12; cf. 6:12 – 13) the communities. Such is the severity of the crisis that it is not enough for Paul to simply reassure the Galatians, he must also confront the situation head on, demonstrating the “truth of the gospel” and relating how he has consistently fought for that truth, formerly in Jerusalem and Antioch, and presently in Galatia. As noted earlier, Paul relates the story of events in Jerusalem and Antioch most likely because his opponents have been circulating a very different version of the same episodes. For his opponents, this story underpins both their attack on Paul’s apostolate and the Law-free gospel he sponsors. Paul is forced to provide another perspective that neatly avoids the inference that his apostleship and his gospel are derivative of either Jerusalem or Antioch. Moreover, Paul turns the story to good purpose by demonstrating how the central issue at Jerusalem and Antioch is the same as that which occasioned the Galatian crisis – the long-running conflict between the two competing forms of the Christian message that grew up in Jerusalem and Antioch prior to more recent developments. 60 So Esler, Galatians, 138; idem, The First Christians, 57 – 62; and Martyn, Galatians, 462 – 466; Sumney, “Servants of Satan”, 137; and Witherington, Grace in Galatia, 448 – 449.
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Paul’s reports of the Jerusalem Council and the Antiochene incident, therefore, set the stage for Paul’s response to the Galatian Judaisers because they demonstrate, on the one hand, how the contingencies of the present situation impinge on his language and, on the other, how the central issue, the gospel’s relation to the Law, has been a constant issue of contention between himself and Jerusalem. The entire crisis is for Paul a question of the supreme power of the gospel, which cannot be compromised in the name of even the most revered authorities, be they the Jerusalem Apostles, or even Moses, whose Law they follow. We should not underestimate how important this crisis was for Paul. For Paul, the gospel at its most fundamental was being undermined by the interference of the Judaisers at Galatia.61 Demanding that the Gentiles be circumcised and adhere to the Law amounted to an active denial of full membership of the community for the Gentile converts. In Paul’s view, denying Gentiles full incorporation into the Christian community (unless they first become Jewish proselytes) amounted to a denial that Christ’s death is sufficient to “justify” all humans equally before God so that believers can indeed be “one in Christ” (Gal 3:8, 28; cf. Rom 3:30). The pro-circumcision putsch at Galatia resurrected that which Paul claimed the gospel had destroyed – all the boundaries that separated Jewish converts from their Gentile co-religionists, not only within the Christian movement, but in the eyes of God (Gal 3:28; cf. Rom 1:16; 10:12). Paul is emphatic that Law-observance can only mean a diminution of the “liberty” (1keuheq¸a) wrought by Christ (5:1, 13). He equates circumcision and Law-observance, for which circumcision stands as the quintessential mark, with “a yoke of slavery” (5:1b; cf. Rom 7:25). This reference may be intended as a pun on the phrase the “yoke of the Law” common in some Jewish traditions preserved in the Mishnah. R. N. Longenecker makes the point that the term fucºr (yoke) was a common “honourable” metaphor in later Jewish literature for Torah study (Mishna Avot, 3:5; Mishna Berakhot, 2:2).62 In the Hebrew Scriptures, Jeremiah 5:5 presents apostasy as a “breaking of the yoke”. Even in Christianity the Matthean Evangelist has Jesus refer to his program as a “yoke” that constitutes an “easy burden” (Matt 11:29 – 30). However, contrary to the 61 For an excellent discussion of Paul’s unique appreciation of the Jesus’ story in Galatians, see Brondos, The Cross and the Curse: Galatians 3:13 and Paul’s Doctrine of Redemption. 62 Longenecker, Galatians, 224 – 225.
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tone of these other references, Paul’s use of the term appears to be polemical, drawing parallels between his opponents calls for the Galatians to adopt circumcision and Law-observance with the selling of themselves into servitude. This tenor of compulsion and coercion is further emphasised by Paul’s charge that the troublemakers were attempting to “compel” (!macj²fousim) the Galatian Gentile converts to submit to circumcision (6:12). Paul was clearly familiar with these people. He had encountered others from this pro-circumcision putsch elsewhere, as he testifies in his opening biographical comments. He relates how the “false brothers” at Jerusalem had tried to “compel” (!macj²fy) the Gentile Titus to be circumcised (2:3). Their aim too had been to both “spy on the liberty (1keuheq¸a) we have in Christ Jesus and to make us slaves (Bl÷r jatadouk_sousim)” (2:4). Similarly in Antioch some time later, Peter, out of fear of this “circumcision party”, backed a new policy intended to “compel (!macj²fy) the Gentiles to live like Jews” (2:14). We observe that Paul’s use of the verb !macj²fy to describe Peter’s actions mirrors both that of the false brothers at Jerusalem and the troublemakers at Galatia. The clear implication here is that the demands of the three groups, the false brothers at Jerusalem, the circumcision group at Antioch and the missionaries at Galatia, were identical. Attempts have been made to counter any association between the Galatian missionaries and James’ people at Antioch by linking them rather with the “false brothers”, who are taken to be a maverick minority within the Jerusalem church.63 But this theory is based on a questionable assumption, in that it overlooks the probability that these “false brothers” only gained admission to proceeding via the tacit approval of the Pillar Apostles. Other scholars are prepared to accept the Judean origins of the missionaries without drawing any direct connection to Jerusalem.64 D. Lhrmann suggests that these Christian Jewish missionaries may have been free agents who operated independently of either Jerusalem or Antioch.65 Similarly, J. Sumney concludes that we have insufficient evidence to draw any clear link between the two groups and, moreover, the
63 Holmberg, Paul and Power, 49; Betz, Galatians, 5 – 7, 92, 100 – 101; Longenecker, Galatians, xcv; and Taylor, Paul, Antioch and Jerusalem, 170 – 176. 64 Bruce, Galatians, 31 – 32. 65 Lhrmann, Galatians, 126. Cf. Murphy-O’Connor, Paul: A Critical Life, 193.
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troublemakers at Galatia probably did not even perceive themselves as opponents of Paul.66 The discussion thus far seems to indicate that, as to the basis of their warrant for preaching circumcision, the Judaisers at Galatia appear to have appealed to Scripture, particularly the story of the covenant with Abraham, at which the institution of circumcision was imposed on God’s chosen people (Gen 17:1 – 27). The argument in support of circumcision had no doubt been fought out at Jerusalem and Antioch along similar lines, as Paul implies with his statement in 4:24 – 25 concerning Jerusalem and its children as presently serving as a slave to the covenant from Mount Sinai. This claim echoes Paul’s earlier attack on the false brothers at Jerusalem (2:4), whose attempt to “make us slaves” by imposing circumcision on the Gentiles is later extended to the James party, and then to Peter, Barnabas and the rest at Antioch (2:13).67 These obvious parallels must indicate an association between the troublemakers at Galatia and James’ circumcision party at Jerusalem. Thus it is impossible to avoid the conclusion that Paul’s polemic is addressed directly at Jerusalem and its Law-observant program as both a form of slavery and as the immediate cause of the present attempts to enslave the Galatians.68 Consequently, the Judaisers at Galatia must have argued their case for circumcision and Law-observance by citing the precedent of the Jerusalem church, where circumcision was a sine qua non for all males entering the apostolic community. One further point in support of this conclusion concerns the singular character of the Judaisers’ demands. Paul describes both Peter and the agitators at Galatia as attempting to “force” or “compel” the Gentile converts to adopt Jewish customs, which is linked to the even earlier attempt by the false brothers at Jerusalem to “compel” Titus to be circumcised. This description of their behaviour is striking, not only because of the parallels Paul draws between the three episodes, but also because it seems to run counter to the overwhelming scholarly consensus that Jews did not actively proselytise Gentiles. Those Gentiles who did become Jewish proselytes tended to have sought out conversion proactively, usually on the basis of close, personal or familial ties with local Jewish 66 Sumney, “Servants of Satan”, 158 – 159. 67 Esler, The First Christians, 57 – 62; and Martyn, Galatians, 462 – 466. 68 Esler, Galatians, 74.
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communities.69 M. Goodman notes that it was in the interest of Diaspora Jewish communities to encourage Gentile sympathisers whose links with the local synagogues could only lend support to Jews who were often marginalised because of their distinctive customs and ethnicity.70 However, there is no evidence to suggest that such sympathisers were ever “compelled” to become proselytes or adopt the full gamut of Jewish ritual and custom. Jewish synagogues welcomed Gentile God-fearers without demanding circumcision as a condition for attending assembly. God-fearers were embraced by the synagogue, surrendering their worship of idols, giving their children Jewish names, receiving instruction in Torah, observing Jewish Sabbath and Holy days, and even serving as generous patrons without converting and receiving circumcision.71 If a male Godfearer wanted to become a Jewish convert then circumcision would be required, but if a Gentile Christian wanted to attend synagogue there was no such requirement and no likelihood that they would be coerced into doing so. At Galatia, as at Antioch previously, Paul’s rivals appear to have demanded that Gentile convents to the Jesus movement accept the practice of circumcision and complete Law-observance as a requirement for inclusion in the Christian community. We must assume that what we appear to be dealing with here is not a Jewish phenomenon per se, but a Christian Jewish one, which can find no other precedent than those cited by Paul himself and laid at the feet of the apostolic authorities at Jerusalem. P. Perkins makes the astute observation that all the “divisive rhetoric that dominates Galatians was provoked by Gentile converts seeking to come under the Law (Gal 3:1 – 5; 4:21); that is, they wanted in some context to be considered part of the politeia that had its centre in Jerusalem”.72 The crisis that was dividing the Galatian churches was nothing less than the outworking of a widening schism between Law-observant Christian Judaism and Paul’s Law-free Gentile mission. P. F. Esler has criticised commentators on Galatians for failing to fully appreciate both the general 69 Goodman, Mission and Conversion, 84 – 88; Cohen, The Beginnings of Jewishness, 179 – 181; Perkins, Abraham’s Divided Children, 13; and Nanos, Irony, 117. 70 Goodman, Mission and Conversion, 87 – 88. 71 See the discussion in Cohen, Beginnings, 150 – 162, 219 – 221. Cf. Friedriksen, Judaism, the Circumcision of Gentiles, and Apocalyptic Hope: Another Look at Galatians 1 and 2. 72 Perkins, Abraham’s Divided Children, 12.
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competitiveness of ancient Mediterranean society and the specific level of animosity that existed between Paul and Jerusalem.73 Esler argues that Paul’s polemical strategy in Galatians is aimed at drawing explicit connections between all of his opponents and this must lead us to conclude that the Judaisers at Galatia are to be directly identified with the “false brothers” and the “men from James”. Esler places emphasis on the numerous occasions where Paul implicates the Jerusalem church and its apostolic leadership in attempts to “enslave” Gentiles and hinder Paul’s mission by the imposition of circumcision and Law-observance on the Gentile converts. Accordingly, the leadership of the Jerusalem church alone emerges as the primary focus of Paul’s polemic, which is illustrated by Paul’s reported attempts to fight off efforts to enslave both him and his converts by imposing circumcision on the Gentiles. In Paul’s autobiographical narratio in Gal 1:11 – 2:14 the Jerusalem Apostles are the centre of attention, suggesting that the issue of circumcision and Law-observance, which had proved a divisive element in his previous dealings with Jerusalem, was also central to the problems at Galatia. Not surprisingly, Paul’s rhetorical strategy in this case would seem to indicate that he intended to promote a link between the Judaisers at Galatia and both the false brothers at Jerusalem along with the James party at Antioch. It may be true that in his account of the Jerusalem Council and the ensuing incident at Antioch Paul lays most of the blame at the feet of “false brothers” or people associated with a James’ faction; however, the Apostles are not completely exonerated from complicity in these events. In his account of the Jerusalem Council, Paul implies that James, Peter and John conspired with the pro-circumcision party at Jerusalem and Antioch (2:4), making them equally false in their show of brotherly fellowship. In recalling events at Antioch, Paul accuses James of acting with duplicity in sending a delegation to Antioch to undo the agreement forged at Jerusalem; and he cites Peter’s hypocrisy in yielding to James’ initiative, despite Peter’s previous acceptance of the mixed table fellowship at Antioch (2:12 – 13). With specific reference to the Galatian crisis, we might detect echoes of these earlier events in Jerusalem and Antioch in Paul’s polemic against his opponents at Galatia.74 When Paul claims that the members of the pro-circumcision putsch are only acting in the interests of self-aggrandise73 Esler, Galatians, 74. 74 Esler, Galatians, 138.
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ment (4:17), he may be consciously reiterating the motives he earlier attributed to James, Peter and John who thought themselves important and reputed pillars of the Church (2:6.9).75 When Paul suggests that not even those who are circumcised keep the Law (6:13), he may also have in mind the hypocrisy of Peter, Barnabas and the Antiochene Jews who defected to the circumcision party under the onslaught of James’ people from Jerusalem. And when he accuses his opponents of preaching circumcision for fear of persecution, he may be alluding to the cowardice of Peter who abstained from sharing table fellowship with the Gentiles for fear of the circumcision party (2:12). Whatever the strength of these observations, one thing seems clear. The thrust of Paul’s polemic is to tar them all with the same brush. His opponents at Galatia and his adversaries at Jerusalem and Antioch, along with James, Peter, Barnabas and the Antiochene Jews, are all of one mind and all have in Paul’s opinion conspired to undermine the truth of the gospel that he preaches. The only possible conclusion that one can draw is that Paul is fighting, on several fronts, a war against a single group of adversaries whose origins must be attributed to the circumcision party around the Pillar Apostles at Jerusalem.76 For this reason, Paul’s polemic in Galatians is directed as much at the Pillar Apostles at Jerusalem as it is at his troublemakers at Galatia. For Paul, they are all hypocrites and false brothers.
Bibliography Aune, D.E., The New Testament in Its Literary Environment (LEC), Philadelphia 1987. 75 Paul refers to James, Peter and John as “the ones reputed to be important” (2:6; cf. 2:2) and “reputed pillars” (2:9), to which he adds the comment, “whatever they were makes no difference to me; God does not judge by external appearances” (2:6). Later (6:3), Paul counsels the Galatians that “if anyone who is nothing thinks himself something, he is deceiving himself ”. This implies that in his earlier statements about James, Peter and John, Paul is sarcastically inferring that the triumvirate thought of themselves as important and, in the pursuit of self-aggrandisement, styled themselves as the pillars upon which the Christian movement stood. See Barrett, Paul: Controversies and Councils, 43 – 44. 76 So correctly, Watson, Paul, Judaism and the Gentiles, 61; and earlier, Bligh, Galatians, 233.
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Literarische Strategien der Polemik im Galaterbrief Dieter Snger Der Galaterbrief nimmt unter den authentischen Paulinen gleich in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Wie kein anderer Brief ist er von einer Auseinandersetzung zwischen Paulus und konkurrierenden christlichen Missionaren1 geprgt. Wie nirgends sonst durchzieht der Konflikt das ganze Schreiben und drckt ihm seinen Stempel auf. Singulr ist schließlich die z. T. scharfe Polemik, mit der Paulus auf eine Entwicklung reagiert, die er als bedrohlich empfindet und aus der Ferne aufzuhalten sucht2. Seine begrenzten Mçglichkeiten sind ihm bewusst (4,11.20).
1. Zur Vorurteilsstruktur der paulinischen Perspektive auf den Konflikt ber welche Kanle und von wem Paulus schriftlich oder mndlich ber den aktuellen Stand der Dinge in den Empfngergemeinden informiert worden ist, wissen wir nicht. Doch gibt es keine belastbaren Indizien, die es nahe legen, er habe die Lage vçllig falsch eingeschtzt. Immerhin ist durchaus 1
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Dass es sich bei den von außen in die Gemeinden gekommenen Kontrahenten um Christen jdischer Herkunft, nicht um Juden handelt, so u. a. Walter, Paulus und seine Gegner des Christusevangeliums in Galatien, ergibt sich aus 1,6 f und 6,12c. Entsprechend siedelt Paulus den Konflikt im innerchristlichen Bereich an, vgl. 2,3 f.6 – 10.11 – 14; 3,28.; 6,12. An Vertreter der çrtlichen Synagogen denkt Nanos, The Irony of Galatians, 193 – 199. Er identifiziert sie nherhin als Proselyten, die von den lokalen jdischen Gemeinden eigens damit beauftragt worden seien, den Kontakt zu Nichtjuden zu pflegen und im Falle ihres bertritts den Konversionsprozess zu begleiten. Zu den dagegen sprechenden Grnden vgl. meine Rez. in ThLZ 130 (2005) 1192 – 1194. Der Brief selbst liefert keinen Hinweis auf seinen Abfassungsort. Unter den vorgeschlagenen Alternativen (Ephesus, Makedonien, Korinth, Rom [vgl. die subscriptio]) scheiden die beiden zuletzt genannten m. E. aus. Fr Makedonien spricht die grçßere Entfernung. Von Ephesus aus wre es Paulus relativ leicht gefallen, die Gemeinden aufzusuchen und den Fremdmissionaren persçnlich entgegenzutreten – gleichviel, ob der Brief an Christen im provinzgalatischen Sden oder in der Landschaft Galatien gerichtet ist.
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mçglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass seine Beurteilung der Situation von der seiner Gegner abweicht. Deshalb muss offen bleiben, ob und inwieweit die in den Brief eingeschriebene Wirklichkeitsannahme den realen Gegebenheiten entspricht. Paulus’ Analyse und Bewertung der galatischen Krise sind subjektiv, interessengeleitet, tendenziell apologetisch und spiegeln sein persçnliches Betroffensein. Er agiert aus einer Position, die ihm teils von außen aufgezwungen wurde, teils selbst gewhlt ist. Er ist Angegriffener und Angreifer, Kritisierter und Kritiker, Angeklagter und Anklger, Verteidiger und Richter in einem. Etwas anderes kommt hinzu. Seine Interpretation der konfliktauslçsenden Vorgnge steht und fllt mit der Zuverlssigkeit der ihm berbrachten Nachrichten. Ein potentieller, wenngleich schwer zu gewichtender Unsicherheitsfaktor. Paulus scheint ihn jedoch zu ignorieren. Jedenfalls misst er ihm keine grçßere Bedeutung zu. Etwaige Einwnde, die aus zweiter Hand stammenden Informationen kçnnten unvollstndig sein und nicht frei von Verzeichnungen, haben im Brief keine Spuren hinterlassen. Mçgliche Bedenken, den handelnden Akteuren vielleicht Unrecht zu tun und sie in ein falsches Licht zu rcken, werden ebenfalls ausgeblendet3. Paulus orientiert sich am eigenen Kenntnisstand, den er seinen Gewhrsleuten verdankt, und setzt ihn als gegeben voraus. Was er durch sie vermittelt erfahren hat, entspricht fr ihn den tatschlichen Verhltnissen in Galatien. Daran zu zweifeln, sieht er keinen Anlass. Wohl auch aus diesem Grund gibt er jede Zurckhaltung auf. Er verzichtet auf Grautçne, polarisiert und geht in die Offensive. Dies alles macht verstndlich, zumindest aber nachvollziehbar, warum und in welch hohem Maße er mit Mitteln der rhetorischen persuasio operiert und sie strategisch gezielt einsetzt, um den erhofften Wirkeffekt zu erreichen. Er will die Galater fr sein Evangelium zurckgewinnen. Bereits der Eingangssatz: „Paulus, Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch einen (bestimmten) Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, […]“ reflektiert die dem Galaterbrief inhrente Vorurteilsstruktur. Der programmatische Verweis auf den gçttlich autorisierten Apostolat dient ihrer theologischen Legitimierung. Diese das Darstellungskonzept bestimmende Vorurteilsstruktur ist insofern hermeneutisch 3
Hier liegt die particula veri der besonders von W. Schmithals vertretenen These, Paulus sei ber die Verhltnisse in Galatien falsch informiert gewesen, vgl. Schmithals, Die Hretiker in Galatien. Freilich wird bei ihm die denkbare Mçglichkeit unter der Hand zur Prmisse, die seine Auslegung in methodisch unzulssiger Weise bestimmt.
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von Belang, als sie den Rezipienten nolens volens Raum lsst fr Deutungen des Konflikts, die unter Umstnden quer liegen zu dem von Paulus kommunizierten Erklrungsmodell und geeignet sind, dessen Plausibilitt in Frage zu stellen: Ist der Sachverhalt wirklich so eindeutig, dass sich jede weitere Diskussion erbrigt (vgl. 6,17a)? Hat der Konflikt die ihm zugeschriebene Brisanz? Rhrt die Position der Gegner, sollte sie sich durchsetzen, an den Nerv christlicher Identitt? Wie steht es um die jeweilige Motivationslage der in den Streit involvierten Parteien? Jenseits der auktorialen Fixierung auf die in ihm vorausgesetzte und argumentativ entfaltete Sinnwelt regt der Brief selbst seine Leser bzw. Hçrer dazu an, sich im Blick auf die Genese und theologische Relevanz des strittigen Kasus ein eigenes Urteil zu bilden und alternative Optionen ins Kalkl zu ziehen. Angesichts der Tatsache, dass wir ber keine weiteren Quellen verfgen, die es uns erlaubten, fr die von Paulus diagnostizierten Ursachen der krisenhaften Symptome von anderer Seite eine Besttigung zu finden – sei es aus der Perspektive der intendierten Adressaten4, sei es aus der eines neutralen Beobachters –, kommen wir ber mehr oder weniger begrndete Vermutungen nicht hinaus. Freilich ist gerade im Blick auf die Beweggrnde der Gegner Vorsicht angebracht. Dass sie gezielt, vielleicht sogar mit Rckendeckung Dritter die Konfrontation mit Paulus gesucht haben, bleibt hypothetisch, auch wenn er davon berzeugt gewesen sein mag. In diesem Fall wre am ehesten eine Verbindung zur Jerusalemer Gemeinde denkbar, die in der von Paulus praktizierten beschneidungsfreien Heidenmission eine Gefhrdung des eigenen fragilen religiçsen und politischen Status als christusglubige Gruppe im kultisch-politischen Zentrum des Judentums sehen konnte5. Fr die im 4
5
In erster Linie sind es die mehrheitlich heidenchristlichen Mitglieder der galatischen Gemeinden (3,14; 4,8; 5,2 f; 6,12 f ). Dass daneben auch an Christen jdischer Herkunft gedacht ist, geht aus 2,15 f hervor. Wen genau Paulus vor Augen hat, muss offen bleiben. Das zur Identifikation einladende „ich“ bzw. „wir“ in 2,17 – 21 erweitert den Adressatenkreis noch einmal. Angesprochen und darin eingeschlossen sind alle Glaubenden, fr die gilt: oq dijaioOtai %mhqypor 1n 5qcym mºlou (2,16). Vgl. 2,3 f.12; 6,12; Joh 9,22; 12,42; 16,2; Apg 12,1 – 3.17; Josephus, Antiquitates 14,190 – 264. Sollte das oR dojoOmter in 2,6 ein „Moment der Distanzierung“ enthalten, Vouga, An die Galater, 41, und stellt man darber hinaus in Rechnung, dass mit Petrus und – wenngleich indirekt – auch mit Jakobus (2,12: tim³r !p¹ Yaj¾bou) zwei der „Sulen“ (2,9) als Akteure in den antiochenischen Zwischenfall involviert sind (2,11 – 14), der kaum zufllig an das von Paulus abgewiesene Ansinnen der sog. Falschbrder auf dem Apostelkonvent erinnern lsst (2,3 f ), ist diese Mçglichkeit keineswegs auszuschließen. Nicht ganz so weit geht Schewe, Die Galater zurckgewinnen, 75: Paulus dienen der Apostelkonvent und der antiochenische Konflikt
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Brief mehrfach angeschnittene Jerusalem-Thematik (1,17 – 19; 2,1 – 10; 4,21 – 31, vgl. 2,11 – 14) ergbe sich dadurch eine plausible Erklrung.
2. Der Konflikt und seine Hintergrnde Trotz der genannten Schwierigkeiten lsst sich mit einiger Sicherheit so viel sagen, ohne Gefahr zu laufen, die paulinische Konstruktion der geschichtlichen Ereignisse, die zur Abfassung des Galaterbriefs gefhrt haben, mit der ihm vorausliegenden, uns aber nicht unmittelbar zugnglichen historischen Wirklichkeit zu verwechseln6 : Streitgegenstand ist die Frage nach den Konstitutionsbedingungen fr die Zugehçrigkeit zur 1jjkgs¸a toO heoO (1,13, vgl. 1Kor 1,1; 10,32; 11,22; 15,9; 2Kor 1,1)7. Sie ist gleichbedeutend mit der anderen, warum und mit welchem Recht Heidenchristen sich als Mitglieder des erwhlten Gottesvolkes verstehen und auf Abraham berufen drfen8. Whrend Paulus darauf insistiert, der Glaube an Jesus Christus sei nicht nur eine notwendige, sondern auch hinreichende Bedingung fr ihre Teilhabe an der Erwhlung Abrahams9, machen seine Kontrahenten diese Teilhabe von der Erfllung einer zustzlichen Forderung abhngig. Der durch Christus erçffnete Weg
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7 8 9
„als eine Art historischer Modellfall, als Przedenzfall fr die Beurteilung der galatischen Situation“. Ich setze also voraus, dass der Galaterbrief ein wirklicher Brief ist und ein Brief an die Galater. Anders freilich Vouga, Der Galaterbrief: kein Brief an die Galater?: Paulus habe den Text von Anfang an als Schlussteil einer von ihm herausgegebenen Briefsammlung entworfen, innerhalb derer er sich als „eine systematisierende und verfeinerte Zusammenfassung des Rçmerbriefes und der Korintherbriefe“ zu erkennen gebe (ebd. 250). Fiktiv sei aber nicht nur der Brief, sondern auch die galatische Krise. Der (vermeintliche) Anlass diene Paulus lediglich als Aufhnger, „um eine kurze und klare Darstellung seiner Interpretation des Christentums zu hinterlassen“ (ebd. 258). Gegen diese radikale These sprechen a) der eindeutige Referenzbezug in der adscriptio (1,2), b) seine kommunikative Funktion als rezeptionssteuerndes Signal fr die intendierten Adressaten und schließlich c) die Pragmatik des Texts. Die pluralische Formulierung in 1Kor 11,16 und 1Thess 2,14 macht deutlich, dass fr Paulus jede an einem Ort versammelte christliche Gemeinde „Gemeinde Gottes“ ist. Vgl. Barclay, Obeying the Truth, 45 – 60; Kraus, Das Volk Gottes, 125; Schnelle, Paulus, 328; Theißen, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth, 287. Der Erwhlungsgedanke ist ein Integral der Gottesvolkthematik, vgl. Dtn 4,37; 7,7 f; 10,15; 14,2; Jub 2,19 f; 15,30 f u. ç.
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zum Heil ist fr sie an die Zugehçrigkeit zum Judentum gebunden. Erst wenn die christusglubigen Galater die jdischen Identittsmerkmale bernehmen, konkret: sich beschneiden lassen (5,2; 6,12 f, vgl. 2,3 f ) und die Ritualvorschriften (Speise- und Reinheitsgebote) einhalten10, gehçren sie zum erwhlten Gottesvolk Israel und gewinnen sie Anteil am Erbe Abrahams11. Nach dieser Auffassung hebt der Glaube die heilsgeschichtlich begrndete Differenz zwischen Juden und Nichtjuden weder auf noch wird sie durch ihn gegenstandslos. Hingegen impliziert aus paulinischer Sicht der Versuch, den mºlor in das christologisch-soteriologische Koordinatengefge von Kreuz und Auferweckung Jesu Christi zu integrieren, eine Annullierung der Gnade Gottes (1,6; 2,21a). Denn gesetzt den Fall, er tolerierte die beabsichtigte Aufwertung des Gesetzes zu einer heilsrelevanten Grçße, fhrte dieses Zugestndnis nicht nur zur Relativierung des Christusgeschehens, 10 Darauf deutet der Rckblick auf den antiochenischen Konflikt hin, der sich an der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen entzndete. Ihn zu thematisieren wirkte nach der in 2,1 – 10 erfolgten Klrung der Beschneidungsfrage unmotiviert, htte die Speiseproblematik im aktuellen Konflikt keine Rolle gespielt. Ob die Galater darber hinaus zur Beachtung aller Gebotsvorschriften angehalten wurden, ist wegen 5,3 unwahrscheinlich. 11 Gut mçglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich ist, dass die im Galaterbrief eine dominierende Rolle spielende Abraham-Thematik von den Gegnern eingebracht worden ist. Sie war geeignet, ihre Position zu strken. Um Kinder Abrahams zu sein, mssten die Galater sich wie seine mnnlichen Nachkommen (Gen 17,9 – 14) einschließlich Ismael (17,23.25 f ) und Isaak (21,3 f ) der Beschneidung unterziehen. Vgl. Barrett, The Allegory of Abraham, 161 – 165; Hansen, Abraham in Galatians. Epistolary and Rhetorical Contexts, 113.169 – 173; Longenecker, Galatians, 109 f.199; Konradt, „Die aus Glauben, diese sind Abrahams Kinder“ (Gal 3,7). Erwgungen zum galatischen Konflikt im Lichte frhjdischer Abrahamtraditionen, 25.38.44 f, und jetzt Wolter, Das Israelproblem nach Gal 4,21 – 31 und Rçm 9 – 11, 3 f. Paulus begegnet diesem Einwand, indem er gleich zu Beginn seiner Argumentation Gen 15,6; 12,3 und 18,18 anfhrt (3,6 – 9) und die mit diesen Zitaten eingespielten Leitbegriffe der Abrahamberlieferung – p¸stir/piste¼eim, eqkoce?m – samt den auf ihre Seite gehçrenden Lexemen 1paccek¸a, sp´qla, jkgqomol¸a/jkgqomºlor/jkgqomole?m, diah¶jg, die bis auf 1paccek¸a ebenfalls der biblischen Abrahamberlieferung entnommen sind, zur Basis seiner exegetischen Beweisfhrung macht: p¸stir/piste¼eim (3,8.9.11.12.14.22.23.25.26), eqkoce?m (3,14, vgl. Gen 12,2.3; 17,16.20; 22,17; 24,1), 1paccek¸a (3,14.16.17.18.21.22. 29; 4,23.28), sp´qla (3,16.19.29, vgl. Gen 12,7; 13,15.16.17; 15,5.18; 16,10; 17,7.8.9.10.12.19; 21,12; 22,17.18; 24,7), jkgqomol¸a/jkgqomºlor/jkgqomole?m (3,18.29; 4,1.7.30, vgl. Gen 15,4; 21,10; 28,4); diah¶jg (3,15.17; 4,24, vgl. Gen 15,18; 17,2. 4.7. 9. 10.11.13.14.19.21). In der fr Paulus grundlegenden Schriftstelle Gen 15,6 (zit. in 3,6) fehlt allerdings, was die anschließende Folgerung: „Erkennt also: Die aus Glauben (leben), (nur) diese sind Abrahams Kinder“ (3,7) aus ihr herausliest. Von Abrahamskindschaft ist im Vorlagetext nicht die Rede.
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sondern htte, wie Paulus mit einem argumentum e contrario klarstellt, zwangslufig dessen Suspendierung zur Folge (2,21b). Dann trte an die Stelle des rechtfertigungstheologisch formulierten „Grund-Satzes“, niemand werde „aus Werken des Gesetzes, sondern ausschließlich (1±m lμ)12 durch den Glauben an Jesus Christus“ gerecht gesprochen (2,16a, vgl. Rçm 3,28), die doppelt strukturierte soteriologische Aussage: dijaioOtai %mhqypor di± p¸steyr YgsoO WqistoO ja· oqj 1n 5qcym mºlou13. In dieser Heilskonzeption, die den mºlor ausdrcklich mit einbezieht und die Suffizienz der sich allein der Gnade Gottes und seinem rechtfertigenden Handeln verdankenden p¸stir (vgl. 2,20 f mit 3,22) bestreitet, sieht Paulus die „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14, vgl. 5,7) im Kern preisgegeben. Doch was er als „Evangelium“ bezeichnet, nmlich die universal entschrnkte, im Glauben an Jesus Christus sich erschließende und in der Taufe bekrftigte Zusage der Gotteskindschaft, durch die ethnisch, sozial und geschçpflich definierte Identitten der Vergangenheit angehçren (3,26 – 28, vgl. 1Kor 12,12 f ), hat fr seine Gegner einen entscheidenden Mangel. Ihm fehlt die durch Abraham vermittelte jdische Signatur. Deshalb kçnnen sie sich den religiçsen Statuswechsel der aus ihrer Sicht heidnischen Galater14 nur in Kontinuitt zu der mit Abraham beginnenden Verheißungsgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel, d. h. innerhalb der halachisch fixierten Grenzen des Judentums vorstellen. Aus eben diesem Grund lehnen sie das paulinische Evangelium, das die spezifischen notae Judaicae (Beschneidung, Einhalten der Speise- und Reinheitsvorschriften) vermissen lsst, ja sie christologisch fr berholt und darum soteriologisch fr irrelevant erklrt,
12 Im Unterschied zu 1,19 ist das 1±m lμ wie das eQ l¶ in 1,7 nicht exzeptiv, sondern adversativ („sondern nur, ausschließlich“) zu verstehen. So mit Recht u. a. S.J. Gathercole, The Petrine and Pauline Sola Fide in Galatians, in: Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive, 325 f; Hunn, 9±m l¶ in Galatians 2:16: A Look at Greek Literature; Roo, Works of the Law at Qumran and in Paul, 194 f. (Anm. 77). In diesem Sinne auch Rçm 14,14 und außerpaulinisch Mk 2,26 par. Mt 12,4/Lk 6,4; Mk 13,32 par. Mt 24,36; Lk 4,26; Joh 13,10. 13 Auf einem anderen Blatt steht, dass sie im Neuen Testament mit Matthus einen prominenten Frsprecher hat, vgl. Snger, Ist Arbeit nur das halbe Leben? Zu einem vernachlssigten Aspekt von „Leben“ im Neuen Testament, und den Beitrag von G. Theißen in diesem Band. 14 Diese Perspektive auf die galatischen Konvertiten nimmt Paulus in 6,15 auf. Der jdischen Unterscheidung von peqitol¶ und !jqobust¸a (vgl. 2,7; 5,6) setzt er entgegen: In Christus sind christliche Nichtjuden und Juden weder „Vorhaut“ noch „Beschneidung“ , sondern „neue Schçpfung“.
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als defizitr ab15. Wir haben es mit zwei unterschiedlich ausgestalteten, genauer noch: miteinander unvereinbaren Konzeptionen hinsichtlich der Funktion, Bedeutung und Begrndungsstruktur des Glaubens zu tun. Erhebt Paulus den Anspruch, in seiner missionarischen Verkndigung und Praxis den exklusiven Charakter der p¸stir WqistoO zur Geltung zu bringen – nur sie rechtfertigt und fhrt zum Leben (2,16; 3,11 f.21 f ) –, beanspruchen seine Gegner, an Paulus anzuknpfen und mit ihrer Forderung, die p¸stir WqistoO in eine jdische Identitt zu integrieren, „[d]en Heilsstand der Galater (zu) verbessern“16.
3. Die polemische Grundierung des Galaterbriefs Dieser Konflikt, der nach Einschtzung des Galaterbriefs einen theologischen Fundamentaldissens widerspiegelt, schlgt sich zunchst auf der sprachlichen Ebene nieder. Obwohl den eigenen Angaben zufolge ein „Laie in der Redekunst“ (2Kor 11,6)17, zeigt Paulus sich mit den gngigen rhetorischen termini technici und den Grundregeln ihrer Applikation vertraut18. Immer wieder bedient er sich aus dem Repertoire der in der rhetorischen Theorie als besonders wirkungsvoll geltenden Gedanken-, Sprachund Stilfiguren, um sein Anliegen in pointierter Form zu vermitteln und die Leser/Hçrer zu bewegen, ihm beizupflichten. Weil die rumliche Distanz es nicht gestattet, seine Kontrahenten vor Ort zu stellen und ihren Forderungen entgegenzutreten, muss er durch das Geschriebene „reden“. Er weiß darum 15 Dass sie bona fide handelten, wird man unterstellen drfen, auch wenn sie ihr „Evangelium“ als einen Gegenentwurf zum paulinischen Evangelium verstanden haben, Mußner, Der Galaterbrief, 59. Fr sie wurde der Glaube durch die Beschneidung „vollendet“ (3,3). 16 Burchard, Zu Galater 4,1 – 11, 401 Anm. 3. Vgl. Theobald, Der Galaterbrief, 356: „Aus ihrer (sc. der Gegner) Perspektive ging es also nicht um ein Entweder-Oder, sondern um […] eine Nachbesserung der pln Erstmission“ (Kursivierung im Orig.). Von einer „Ergnzungsmission“ spricht Alvarez Cineira, Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission, 309. 17 Vgl. 1Kor 1,17; 2,4; 2Kor 10,10; 13,3 f; 1Thess 2,2 – 4. 18 Im Grundsatz wird man C.J. Classen, Paul and the Terminology of Ancient Greek Rhetorik, zustimmen kçnnen: Die Flle der „technical terms of Greek rhetoric […] together with that of technical terms of philosophy signify a standard of education which warrants the assumption that Paul was familiar through theory (handbooks) or practice (actual application) with the rules and precepts of ancient rhetoric (and epistolography).“ (ebd. 44). Vgl. ders., Kann die rhetorische Theorie helfen, das Neue Testament, vor allem die Briefe des Paulus, besser zu verstehen?.
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(4,20) und gestaltet den Brief als medial inszenierten Sprechakt. Im Akt des Hçrens/Lesens sollen die verschrifteten verba transparent werden fr die gemeinte Sache (res). Um seiner Intervention trotz Abwesenheit die nçtige Durchschlagskraft zu verleihen, whlt Paulus den aus seiner Sicht einzig Erfolg versprechenden Weg. Er verlagert den Konflikt in die Sprache. Die Sprache wird zur Waffe19. Das Spektrum der realisierten Mçglichkeiten ist breit. Es reicht von bissiger Ironie und unverhohlenem Spott ber offene Drohungen bis zu grimmigen Invektiven und schneidendem Sarkasmus. Polemik hat viele Gesichter20. Sie kann um der Sache willen scharf sein, ohne verletzen zu wollen. Sie kann im Ton moderat sein, ohne auf feine Nadelstiche oder leichte Seitenhiebe zu verzichten. Sie kann durch vielsagendes Schweigen oder verdeckte Anspielungen die polemische Instanz mobilisieren, das polemische Objekt zu identifizieren und der Beurteilung des Polemikers, es sei im eigentlichen Sinne des Wortes nicht der Rede wert, zuzustimmen21. Sie kann aber auch Mittel zum Zweck und darauf aus sein, den ins Visier Genommenen persçnlich zu treffen. Im Galaterbrief kommen alle vier Varianten zum Zug. Erst durch ihr Ineinanderspiel gewinnt der Brief seine polemisch grundierte „Architektonik“ und wird zum lehrhaft gestalteten „Kampfbrief“22. Rivalitt und Konkurrenz bestimmen das Verhltnis zwischen Paulus und denen, die er fr die Krise in Galatien verantwortlich macht. Das ihre Beziehung kennzeichnende antagonistische Moment tritt jeweils dort besonders deutlich hervor, wo Paulus den Gemeinden zu erkennen gibt, auf wen sie sich eingelassen haben. Doch nicht sie, sondern die nie direkt angesprochenen und anonym bleibenden Fremdmissionare23 stehen im Fokus
19 Vgl. Lategan, The Argumentative Situation of Galatians: Paulus bekmpft seine Gegner „with every weapon at his disposial“, ebd. 386 20 Zum Wesen der Polemik gehçrt, dass sie im Unterschied zur Beschimpfung argumentiert. Polemische Rede lsst sich vor allem an ihrem Stil erkennen. In ihr hat die Darstellungsfunktion der Sprache einen Vorrang vor der Ausdrucksfunktion. Deshalb muss die Aggressivitt des Polemikers „in organisierter Rede aufgefangen und auf Wirkung hin funktionalisiert sein“, Stenzel, Rhetorischer Manichismus, 5. Insofern Polemik emphatische Rede ist, fllt sie in den Analysebereich der Rhetorik. 21 Mit Stenzel, Rhetorischer Manichismus, 5 f., unterscheide ich hier und im Folgenden zwischen polemischem Subjekt (Paulus), polemischem Objekt (Gegner) und polemischer Instanz (Galater). Zusammen bilden sie ein Dreieck, in dessen Mitte das polemische Thema liegt. 22 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 112 f. 23 Ihre Anonymitt wird durch die in den Brief eingeschriebenen Inhalte ihrer Verkndigung (vgl. 2,11 – 14; 3,2 – 5; 4,9 f.21; 5,1 – 4; 6,12 f.15) nur partiell aufge-
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seiner Attacken. Ihre Position soll erschttert, ihre Autoritt untergraben, ihre Seriositt in Zweifel gezogen, ihr Ansinnen als heuchlerisch entlarvt und ihr Treiben insgesamt als ein Verstoß gegen die Jerusalemer bereinkunft gebrandmarkt werden24. Leitend ist die Absicht, ihren wachsenden Einfluss zumindest auf den meinungsbildenden Teil der galatischen Heidenchristen zurckzudrngen, wenn mçglich ganz zu unterbinden. An diesem bergeordneten Ziel orientiert sich der Einsatz polemischer Topoi, pejorativer Prdikationen und inventarisierter Formen polemischer Rede. Paulus scheut sich nicht, seine Gegner frontal anzugreifen und sie moralisch zu diskreditieren: Sie verdrehen das Evangelium (1,7), stiften Aufruhr und verwirren (1,7; 5,10), verzaubern die Galater (3,1), hetzen sie gegen ihn auf (5,12) und hindern sie daran, der Wahrheit zu gehorchen (5,7). Gehçr finden sie nicht, weil ihr „Evangelium“ dem Seinen berlegen ist, sondern weil sie sich auf die Kunst der „berredung“ (peislom¶) verstehen (5,8). Das Nomen ist neutestamentliches Hapaxlegomenon und von pe¸hy oder pe¸holai abgeleitet. Im klassischen Griechisch ist pe¸hy semantisch nicht festgelegt. Je nach Zusammenhang schwankt seine Bedeutung zwischen „berzeugen“ (Platon, Respublica 327C; Thukydides, Historia 3,31), „berreden“ (Homer, Ilias 9,345), „verfhren“ (Homer, Ilias 6,360) und „bestechen“ (Herodot, Historien 8,134). Das mediale pe¸holai heißt dann „sich berzeugen bzw. berreden lassen“ (Platon, Protagoras 338 A) oder auch „gehorchen“ (Homer, Ilias 1,79; Sophokles, Antigone 67). Das biblische Griechisch knpft daran an. Neben „berreden, berzeugen“ kann pe¸hy in der Septuaginta als bersetzung der hebr. Wurzel avn (hi.) die Bedeutung „tuschen“ im Sinne von „verfhren“ annehmen (Jer 29[36],8) und wird damit analog zu !pat²y gebraucht25. Dem korrespondiert die Verwendungsbreite im Neuen Testament: „berzeugen“ (Apg 18,4; 28,23), „berreden“ (Apg 26,28), aber auch „bestechen“ (Mt 28,14; Apg 12,20, vgl. 2Makk 4,45) und „verfhren“ (Mt 27,20; Apg 14,19; 19,26). Das Passiv pe¸holai meint in Rçm 2,8 und Gal 5,7 „gehorchen“ (vgl. Jak 3,3; hoben. Diese verdeckte Polemik ist Teil der literarischen Strategie (nheres hierzu unter 4.). 24 Paulus interpretiert das Abkommen im Sinne eines ausdrcklichen Verbots. Heidenchristen drfen sich nicht beschneiden lassen und an die jdischen Speise- und Reinheitsgebote halten. Tatschlich beschlossen wurde aber nur, dass sie dazu nicht verpflichtet waren. Eine freiwillige bernahme dieser Vorschriften htte der Vereinbarung also nicht widersprochen, vgl. Theißen, Gegenmission, 285 f. 25 Gen 3,13; 2Chr 32,15; Jes 36,14; 37,10; Jer 4,10 [2x], hier jeweils als quivalent zu avn [hi.].
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Hebr 13,17). Ihm entspricht sachlich der Ausdruck rpajo¼eim t` eqaccek¸\ in Rçm 10,16. Der Bedeutungsgehalt von pe¸hy/pe¸holai muss jeweils aus dem Kontext erschlossen werden. Mitsamt seinem Derivat peislom¶ deckt das positiv wie negativ konnotierte Verb ein semantisches Spektrum ab, zu dem auch basja¸my (Gal 3,1) gehçrt. In 5,7 f stellt Paulus das den Wahrheitsanspruch des Evangeliums26 anerkennende und zur Geltung bringende pe¸heshai in Opposition zu dem verfhrerischen „berreden“ (peislom¶) der Fremdmissionare und aktiviert so das mit dem Nomen verbundene negative Assoziationspotential. Die im paronomastischen pe¸heshai […]peislom¶ durch semantische Inversion bis ins Paradoxe gesteigerte Kontrastierung der beiden stammverwandten Lexeme insinuiert: Die Gegner spielen mit gezinkten Karten und versuchen zu tuschen. Ihr „berreden“ entlarvt sie als Betrger. Mehr noch, es trgt dmonische Zge27. Denn in Wirklichkeit ist es ein „Verzaubern“ (3,1). Auf die Schwchung des polemischen Objekts zielt auch der Vorwurf, die Gegner bemhten sich nicht im Guten um die Gunst der Gemeinden, sondern wollten sie aus dem Kreis der Kinder Abrahams ausschließen28, nur 26 In 5,7 steht (B) !k¶heia fr den volleren Ausdruck B !k¶heia toO eqaccek¸ou (2,5.14, vgl. Kol 1,5). Da die „Wahrheit“ hier als „die semantische Bestimmtheit des Evangeliums“ erscheint, Ch. Landmesser, Art. Wahrheit/Wahrhaftigkeit II: Neues Testament, TRE 35 (2003) 340 – 345: 344, kann das nomen regens B !k¶heia ohne das nomen rectum toO eqaccek¸ou – es aber inhaltlich einschließend – auch absolut stehen, vgl. 2Kor 4,2. Wie das korrespondierende eqgccekis²lgm rl?m in 4,13 (vgl. 1,11; 1Kor 15,1 f; 2Kor 11,7) deutlich macht, bezeichnet !kghe¼eim in 4,16 die Verkndigung des Evangeliums. 27 Vgl. Schlier, Der Brief an die Galater, 236. 28 Alverez Cineira, Religionspolitik, 316 f, vermutet, Paulus habe 1jjke?sai in bertragener Bedeutung benutzt, wobei rechtliche oder politische Untertçne mitgeschwungen haben kçnnten. Gemeint sei womçglich der Ausschluss von politischen Rechten und Privilegien, die Augustus und dann erneut Claudius den Juden gewhrt hatten. Um ihre Beziehungen zu Rom und den rçmischen Behçrden nicht zu gefhrden, htten sie sich von den abtrnnigen Christen abgegrenzt und versucht, sie in die Illegalitt abzudrngen. Dadurch sahen sich die Judenchristen in Jerusalem in die Enge getrieben, mussten sie doch befrchten, ihren bisherigen Status als eine von Rom geschtzte jdische Gruppe zu verlieren. Angesichts dieser fr sie schwierigen Lage htten sie sich dazu entschieden, trotz der bereinkunft auf dem Jerusalemer Konvent eine Gegenmission zu organisieren und die paulinischen Gemeinden auf die Beschneidung sowie auf das Einhalten des jdischen Festkalenders und der Reinheits- und Speisegebote zu verpflichten. Nur dann sei sichergestellt, dass sie von außen weiter als zum Judentum gehçrig betrachtet wurden (ebd. 312 – 316). Orientiert man sich an den Informationen, die der Galaterbrief bietet, liegt eine andere Deutung des 1jjke?sai nher: Der Ausschluss aus der Heilsgemeinde Israel. Das
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um sie fr sich zu gewinnen und selbst umworben zu werden (4,17 f ). Er wird gerahmt durch einen sehr persçnlich gehaltenen Rckblick auf die erste Begegnung mit den Galatern (V.13 – 15) und den – freilich irrealen – Wunsch, jetzt wieder bei ihnen sein und sie von Neuem gebren zu kçnnen (V.19 f ). Die anamnetische Vergegenwrtigung ihrer von Beginn an herzlichen, durch Selbstlosigkeit gekennzeichneten (V.15) Beziehung fungiert ebenso wie der Verweis auf das seinerzeitige Werben der Gemeinden um Paulus whrend seiner Anwesenheit (V.18) und ihre sich ihm verdankende Existenz als ein Evidenzargument, dessen Gltigkeit von der polemischen Instanz nicht zu leugnen ist. In der antiken Rhetorik besitzt ein solch normatives, auf deduktivem Weg gewonnenes Argument einen außerordentlich hohen Stellenwert. Aristoteles beschftigt sich mit ihm eingangs und am Ende der Ars rhetorica 29. Quintilian widmet ihm im 5. Buch der Institutio Oratoria ein eigenes Kapitel (V 10). Ihm zufolge besteht die kriteriologische Funktion dieses Arguments darin, dass es „der Beweisfhrung Beweiskraft liefert, wodurch etwas durch etwas anderes erschlossen und etwas Zweifelhaftes durch etwas Unzweifelhaftes in seiner Gewissheit bestrkt wird“30. Lsst sich also eine beiderseits akzeptierte Prmisse namhaft machen, muss auch die von ihr abgeleitete Schlussfolgerung, die damit den Charakter eines „gerechtfertigten Imperativs“31 erhlt, als zustimmungsfhig gelten32. Zu dem, was nicht bezweifelbar ist und „keinen Erweis nçtig hat“, gehçrt fr Quintilian in erster Linie, „was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen“, sodann all das, „worber nach allgemeiner Anschauung bereinstimmung herrscht“33. Damit ist in besonderer Weise erfahrungsbezogenes Wissen gemeint. An eben dieses erfahrungsbezogene Wissen appelliert Paulus in 4,12 – 20. Die Galater kçnnen nur besttigen, was er ihnen schreibt. Ihnen bleibt auch nichts anderes brig. Dass er ihnen die Wahrheit gesagt hat (V.16) und sie seiner Verkndigung Glauben geschenkt haben (1,2.6; 5,7a), gehçrt zu
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schließt politische oder rechtliche Konsequenzen fr die davon Betroffenen nicht aus. I 2,1356a–1358a; III 18,1419a. Institutio Oratoria V 10,11. Vgl. Cicero, De Inventione I 31.34. Frank-Bçhringer, Rhetorische Kommunikation, 36. Vgl. Probst, Paulus und der Brief, 103 f. Vgl. Perelman, Das Reich der Rhetorik, 30; Lategan, Levels of Reader Instructions in the Text of Galatians, 177 f. Im Unterschied zur antiken Rhetorik unterscheidet die „Neue Rhetorik“ jedoch streng zwischen „Beweisfhrung“ und „Argumentation“, Perelman, Das Reich der Rhetorik, 18 – 29. Institutio Oratoria V 10,11 f.
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den basalen Erfahrungen ihrer gemeinsamen, von gegenseitiger Freundschaft geprgten Geschichte. Diese im kollektiven Bewusstsein als erinnerte Vergangenheit prsente Erfahrung schließt jeden Zweifel an seiner Loyalitt gegenber den Gemeinden kategorisch aus. Deshalb muss die rhetorische Frage: „Bin ich also euer Feind geworden, weil (oder: dadurch dass) ich euch die Wahrheit gesagt habe?“ (V.16) von ihnen verneint werden. Eine Antwort auf diese Frage zu finden und die verbleibende Leerstelle zu fllen – wenn nicht Paulus, wer ist es dann? – berlsst Paulus den Galatern. Um sie auf die richtige Spur zu fhren, hilft er nach (V.17). Das ihm entgegengebrachte Misstrauen projiziert er auf seine Gegner, indem er den Verdacht auf sie lenkt und Zweifel an ihrer persçnlichen Integritt schrt. Er bezichtigt sie, die Gemeinden „kçdern“ (fgkoOm) und „gefgig machen“ zu wollen34. Dazu bedient er sich einer dem rhetorischen Ornatus entlehnten Gedankenfigur, die das Gemeinte durch Negation des Gegenteils zum Ausdruck bringt (Litotes): Sie eifern „nicht im Guten“ – will sagen: aus Eigennutz – um die Gemeinden. Suggeriert wird ein Wissen, das die wahre Absicht der Gegner enthllt und ihr Werben, vor allem aber sie selbst disqualifiziert. Anders als Paulus, der, wie die Galater bezeugen kçnnen, im Guten um sie geworben hat (vgl. V.18), haben die Eindringlinge unlautere Motive. Sie instrumentalisieren die Gemeinden fr ihre rein egoistischen Zwecke und benutzen sie zur Selbstdarstellung (6,13b). Deshalb sind sie deren eigentlicher „Feind“. Die Rollen sind damit verteilt. In der polemischen Elocutio erscheint Paulus als der vir bonus, den Gegnern fllt die Rolle des vir malus zu. Durch ihre Stilisierung als demagogische Verfhrer, die ein sublim verbrmtes Herrschaftsgebahren an den Tag legen, geraten die Fremdmissionare in den Dunstkreis bler Machenschaften. Evoziert wird eine Verbindung von Aggressivitt und Machtanspruch. Sie setzen die Galater unter Druck und wollen die mnnlichen Gemeindeglieder zur Beschneidung „zwingen“ (6,12). Unterstellt wird: Den Gegnern fehlen die Argumente. Daher greifen sie zu Methoden, die den Tatbestand der Nçtigung erfllen35. Wiederum ist deutlich, dass hinter diesem Vorwurf Kalkl steckt. Paulus setzt auf das physikalische Prinzip „Druck erzeugt Gegendruck“. Das po34 Vgl. Hoppe, Parnese und Theologie im Galaterbrief – eine Profilskizze, 224. 35 Dass Paulus hier bertreibt, liegt auf der Hand. Kaum zufllig vermeidet er es zu sagen, wie diese Nçtigung ausgesehen haben kçnnte. Von 2,3.14 her (dort begegnet !macj²feim ebenfalls) ist allerdings wahrscheinlich, dass auf die Galater zumindest theologischer Druck ausgebt wurde. Nur als Beschnittene, so die Botschaft der Fremdmissionare, seien sie Abrahams Kinder und Mitglieder des erwhlten Gottesvolks.
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lemische Objekt soll nun seinerseits zum Aggressionsobjekt der polemischen Instanz werden und dadurch eine weitere Schwchung erfahren. Den Gegnern Pressionsversuche anzulasten, um sie in Misskredit zu bringen, gehçrt zum topischen Areal polemischer Diffamierung. Der gewnschte psychologische Effekt liegt auf der Hand. Vorurteile sollen suggestiv erzeugt und Abwehrimpulse stimuliert werden. Sie zu verstrken bedarf es zustzlicher Anklagepunkte, deren Norm- und Sittenwidrigkeit evident ist. Unter diese Rubrik fllt die Behauptung mangelnder Glaubwrdigkeit. Dem Kontrahenten ethisch-moralische Defizite zu attestieren, gilt in der rhetorischen Theoriebildung als probates Mittel, sich selbst als vir bonus zu inszenieren, der das moralisch Gute vom Schlechten zu unterscheiden weiß und sein Handeln an der Maxime ausrichtet: talis oratio qualis vita (Quintilian, Institutio Oratoria XI 1,30)36. Paulus beschuldigt seine Gegner, sich doppelbçdig zu verhalten. Whrend sie die Galater durch den Vollzug der Beschneidung und das Einhalten der kultischen Reinheitsvorschriften auf das Gesetz verpflichten wollen, sind sie selbst nicht bereit, die Konsequenzen aus den nomistischen Vorgaben ihrer Verkndigung zu ziehen und in die Praxis umzusetzen. Sie predigen zwar das Gesetz, nehmen es aber selbst nicht ernst (6,13a)37. Sicher, das ist Polemik, die kompromittieren soll und den Anschein erweckt, bloß ein Faktum zu beschreiben38. Vermutlich ist es aber keine ohne Realittsgehalt. Eine hinsichtlich der kritisierten Haltung vergleichbare Differenzerfahrung reflektiert der antiochenische Zwischenfall (2,11 – 14). Nachdem Petrus die Tischgemeinschaft mit nichtjdischen Gemeindegliedern aufgekndigt hat, wirft Paulus ihm und all denen, die es ihm gleich tun, Heuchelei vor: „Wenn du, der du ein Jude bist, heidnisch lebst (1hmij_r f0r) und nicht jdisch, wie kannst du die Heiden(christen) zwingen, nach j36 Vgl. Andersen, Im Garten der Rhetorik, 213 – 218. 37 Nach SifreNumeri 15,22 zerstçrt der, der ein Gebot der Tora bertritt, den Bund. Im brigen war es durchgngige berzeugung des – nicht nur rabbinisch geprgten – Judentums, dass das Nichtbefolgen eines Gebots die ganze Tora aufhebt; vgl. 4Makk 5,17.19 – 21.33; Philo, de specialibus legibus 3,182; 1QS 1,13 f; yQiddushin 61d; bMakkot 24a; SifraLeviticus 19,33 (91a); MidrashPsalmen 15 § 7 (60a), ferner Dtn 28,58; 30,10; Rçm 2,25; Gal 3,10; 5,3; Jak 2,10. Weitere Belege bei Billerbeck IV, 435 – 451. 38 Fr Paulus ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, dass sich die Gegner wohl mit einem Minimalprogramm begngt haben und von den Galatern nicht mehr erwarteten als die bernahme der jdischen Identittsmerkmale. Gerade dieses Zugestndnis, das ihre Chance erhçhte, auf positive Resonanz zu stoßen, wird ihnen als Inkonsequenz ausgelegt und polemisch gegen sie verwendet.
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discher Art zu leben?“ (V.14)39. In der Briefsituation wird die historische Reminszenz transparent fr den galatischen Konflikt. Hier wie dort geht es um die Diastase von Erkenntnis und Verhalten. Lehre und Tun driften auseinander. Sie fhren ein Eigenleben und bleiben unvermittelt. Wie Petrus haben die Gegner ein gespaltenes Verhltnis zu sich selbst. Sie schrfen Heidenchristen die Normativitt der Tora ein, weigern sich jedoch, deren ungeteilte Verbindlichkeit fr sich selbst gelten zu lassen. Durch die Parallelisierung beider Konflikte und ihrer Hauptakteure gewinnt der Bericht ber den antiochenischen Zwischenfall unter der Hand den Charakter eines Imperativs. Die Galater werden aufgefordert, sich der Beurteilung des Vorfalls durch Paulus anzuschließen und das scharf getadelte Verhalten des Petrus mit dem der Fremdmissionare zu korrelieren. Deren Verhalten steht in radikalem Widerspruch zu ihrer Behauptung, Gesetzesobservanz sei konstitutiv fr die Heilsteilhabe. Als direkt Betroffene werden die Adressaten zu Richtern in eigener Sache. Im Sinne des polemischen Subjekts sollen sie entscheiden, dass die Fremdmissionare wie damals Petrus dem eigenen Erkenntnisstand zuwider handeln und sich schon dadurch als Propagandisten einer von ihnen selbst falsifizierten Alternative zum paulinischen Evangelium erweisen. Auf die offenkundige Bereitschaft der Galater, den Forderungen nachzugeben und auf die Linie seiner Gegner einzuschwenken, reagiert Paulus mit einer Mischung aus theologischer Sachkritik, emotionaler Erregung, unverhohlener Polemik und direktiv vorgetragenen Handlungsanweisungen. Im Prskript (1,1 – 5) und im verfremdeten Proçmium (1,6 – 9) ruft er ihnen zunchst ihre gemeinsame Basis – das sie verbindende eqacc´kiom toO WqistoO (1,7) – und die Wirkfunktion des Christusgeschehens (1,4) ins Gedchtnis zurck40. In dem diatribisch gehaltenen 39 Das prsentisch formulierte 1hmij_r f0r impliziert „that Peter (and perhaps Barnabas and the other Jews in Antioch) sat rather loose to the requirements of Torah more generally as well“, Gathercole, The Petrine and Pauline Sola Fide in Galatians 2, 321. Auch das Imperfekt sum¶shiem in 2,12 weist darauf hin, dass Petrus regelmßig Tischgemeinschaft mit Nichtjuden hat (V.12a). Vgl. Schlier, Galater, 83; Betz, Der Galaterbrief, 210. 40 Hierher gehçrt auch der mehrfach gebrauchte ekklesiologische Plural (1,4; 2,16 f; 3,13 f.23 – 25; 4,3.5 f.31; 5,1.5.25 f; 6,9 f ), mit dem Paulus sich und die Adressaten zusammenschließt. Dass sich der Galaterbrief im entscheidenden Punkt – der in ihm erstmals programmatisch entfalteten Rechtfertigungslehre – als eine anamnetische Vergegenwrtigung der anfnglichen Missionsverkndigung in den galatischen Gemeinden zu erkennen gibt, habe ich andernorts zu zeigen versucht: Snger, Die Adressaten des Galaterbriefs und das Problem einer Entwicklung in Paulus’ theologischem Denken.
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Abschnitt 2,15 – 21, der die Ausfhrungen der beiden folgenden Kapitel prospektivisch bndelt, und dann besonders im argumentativen Hauptteil (3,1 – 4,31) werden den Galatern die soteriologischen und ekklesiologischen Implikationen des paulinischen Evangeliums erneut „vor Augen gestellt“ (3,1: jatû avhaklo»r […] pqoecq²vg). 5,13 – 6,10 schließlich bringt die dem Evangelium entsprechenden ethischen Konsequenzen zur Anschauung. Flankierend zu seiner diskursiv entfalteten These, nicht die Orientierung am Gesetz, sondern der in der geistgewirkten Liebe (5,22) Gestalt annehmende Glaube (5,6) habe kriteriologische Funktion fr die Zugehçrigkeit zum „Israel Gottes“ (6,16)41, bekundet Paulus im Stil indignierter Bestrzung seine eigene Betroffenheit. Er zeigt sich verwundert (1,6) und erstaunt bis entrstet (3,1.3). Seine Verwunderung ber die Vorgnge in Galatien drckt sich auch in der Frage aus: „Wer hat euch gehindert, der Wahrheit gehorsam zu sein?“ (5,7b)42. Daneben ußert er mit ironisch gebrochener Emphase sein vçlliges Unverstndnis ber die so schnell (ovtyr taw´yr, 1,6)43 erfolgte Kehrtwendung der Galater, obwohl sie vorher so „gut liefen“ (5,7a)44. Metaphorisch kodiert wird ihnen hier mitgeteilt, dass sie sich irrational verhalten. Sie haben das eschatologische Ziel vor Augen und lassen 41 Der Kontext (vgl. 3,7.9.29; 4,28.31) und nicht zuletzt das argumentative Geflle des Briefs sprechen dafr, die Nominalverbindung Ysqaμk toO heoO nicht auf das empirische Israel zu beziehen, sondern auf die „community of those who know themselves to be, in Christ, former Jews and former Gentiles“, Martyn, Galatians, 576. 42 Vgl. Mußner, Galaterbrief, 355. Der hier gemeinte Gehorsam ist nicht ethisch verstanden, sondern bezeichnet den Glauben an Jesus Christus, vgl. Rçm 1,5; 6,17; 15,18; 16,19.26. 43 Die adverbiale Bestimmung referiert m. E. nicht auf den Zeitpunkt des Weggangs von Paulus aus Galatien, sondern auf den Beginn der Aktivitten seiner Gegner in den Gemeinden. Anders etwa Betz, Galaterbrief, 104. Er bezieht die Zeitangabe auf die erfolgreich verlaufene Grndungsphase. 44 Bildspendender Bereich ist der sportliche Wettlauf auf der Kampfbahn. Gemeint ist ein von Mitlaufenden – auch die Fremdmissionare sind Christen! – verursachte Behinderung, die ins Straucheln geraten lsst und aus der Spur wirft, Poplutz, Athlet des Evangeliums, 337 – 342. In 2,2 findet sich die gleiche aus der agonistischen Motivik stammende Metapher. Dort kennzeichnet sie Paulus’ eigene Evangeliumsverkndigung und die Frucht seines Wirkens, vgl. noch Rçm 9,16; 1Kor 9,24 – 27; Phil 2,16; 3,13 f; 4,1.3; 1Thess 2,1 f.19 sowie 2Thess 3,1. Aus der Athletik stammende Kampfmetaphorik fungiert hufig in der kynisch-stoischen Diatribe als Interpretament fr die tugendhafte, ber die Leidenschaften triumphierende Lebensgestaltung, Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 17,1; 78,16; 109,6; Epiktet, Diss II 18,27 f; III 10,6 – 8; 15,2 f; 21,2 f; 25,2 – 4; Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 3,4; 4,18. Vom jak¹r !c¾m bzw. von der jakμ stqate¸a ist in 1Tim 1,18; 6,12 und 2Tim 4,7 (hier in Verbindung mit dqºlor) die Rede.
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sich dennoch ohne Not vom geraden Weg abbringen. Durch ihren zwar noch nicht vollzogenen, doch zu befrchtenden Abfall45 stehen sie im Begriff, sich selbst zu schaden. Wie schon in 4,21: „Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt, hçrt ihr das Gesetz (d. h. die Schrift) nicht?“ mssen sie es sich abermals gefallen lassen, als die „tçrichten Galater“ (3,1) vorgefhrt zu werden46. Ihr – aus paulinischer Sicht allerdings von außen an sie herangetragener – Wunsch, beschnitten zu werden (3,3), erweist sich nmlich in doppelter Hinsicht als kontraproduktiv. Er stellt das bisher freundschaftliche Verhltnis zu Paulus (4,12 – 20; 5,7a) vor eine Zerreißprobe, beschdigt es womçglich irreparabel. Noch gravierender aber ist, dass mit der angstrebten Proselytenidentitt ihre jetzige Identitt als ekklesiale Gemeinschaft (1,2), deren kohsive Kraft im Glauben an den gekreuzigten Christus (3,1, vgl. 2,19) grndet, der „uns herausgerissen hat aus der gegenwrtigen bçsen Weltzeit“ (1,4), aufs ußerste gefhrdet ist, ja zerstçrt zu werden droht47. Kennzeichnend fr den affektischen, trotz aller gedanklichen Hçhenlage und begrifflichen Przision emotional aufgeladenen Sprachgestus48 ist 45 Die im durativen Indikativ Prsens formulierten Verben letat¸heshai (1,6), 1piteke?shai (3,3) und paqatgqe?shai (4,10) lassen erkennen, dass der den Abfall besiegelnde letzte Schritt noch nicht vollzogen ist. 46 Einen polemischen Seitenhieb gegen ihre Unvernunft enthlt auch die an Petrus gerichtete Rede (2,14d21). Trotz der vorausgesetzten formalen Einheit indiziert das Ble?r von 2,15 eine Erweiterung des Adressatenkreises. Zwar hat das betonte „wir“ von 2,1517 zunchst nur die Judenchristen im Blick. Doch zielt die Pragmatik der Rede auf die mehrheitlich heidenchristlichen Galater. Was fr die v¼sei Youda?oi gilt, gilt fr sie ebenfalls. Die Feststellung „Wir […] wissen aber“ schließt daher, wie sptestens 3,1b (vgl. 2,19 f ) deutlich macht, auch die Empfnger des Galaterbriefs ein, was das nicht determinierte generische %mhqypor (V. 16a) und das universalisierende p÷sa s²qn (V.16fin.) auf ihre Weise unterstreichen. Ihre Unvernunft besteht darin, den zu ihrem eigenen Wissenbestand gehçrenden GrundSatz von der Rechtfertigung (2,16) durch den Zu-Satz „und aus Werken des Gesetzes“ seiner assertorischen Funktion zu berauben. 47 Vgl. Sçding, Ekklesia und Koinonia, 117 ff. 48 berlegungen zum wirkungssthetischen Potential und zur pragmatischen Funktion der Affektstimulation haben in der rhetorischen Stillehre ihren festen Platz. Besonders zu Beginn und am Schluss einer Rede gilt der Einsatz affektischer bzw. psychologischer berzeugungsmittel als ein wirksames Instrument der Rezeptionssteuerung, vgl. Aristoteles, Rhetorica I 2,1355b–56a; II 2,1380a–80b (in den Kap. II 2 – 11 werden 15 Affekte behandelt und analysiert); Cicero, Orator 128; De Oratore 1,60; 2,114 f.121.128 f.196.206; Quintilian, Institutio Orataroria VI 1,9; 2,1 – 36; VIII [Praefatio 7]. Damit ist freilich kein unkontrolliertes Zurschaustellen von Gefhlen gemeint oder dem Gebrauch manipulativer Praktiken das Wort geredet. Vielmehr ist fr Aristoteles – hnlich wie fr Cicero und trotz einiger Abstriche auch fr Quintilian – die Affekterregung ein ebenso rationaler wie intentionaler
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die geradezu sarkastisch anmutende Empfehlung, die zur Beschneidung drngenden Unruhestifter sollten sich doch gleich kastrieren lassen (5,12)49. Mit solchen Menschen und den ihnen zuneigenden Galatern erbrigt sich jede weitere Diskussion (6,17a). Bleiben diese auf dem eingeschlagenen Weg und kommen nicht zur Einsicht, steht unabwendbar fest: Sie sind von Christus losgelçst, sie sind aus der Gnade herausgefallen (5,4). Ihnen wird damit, wenn auch in bedingter Form, das gleiche Geschick angedroht wie denen, die ein anderes Evangelium als die „wir“, d. h. Paulus und die ungenannten Mitabsender des Briefs (1,2), verkndigen. Gemeint sind die Gegner50. Sie ziehen den Fluch auf sich (1,8 f ). Der verwnschende Fluch gehçrt zu den mythischen Ahnen der Polemik51. Dass der in der Protasis von V.8 angenommene Eventualfall schon frher einmal eingetreten ist, gibt V.9 zu erkennen. Paulus ist also bereit, wenn nçtig seine Drohung wahr zu machen und diejenigen, die das Evangelium ins Gegenteil verkehren (1,7), von Neuem unter das Anathema zu stellen. Prozess, der unter dem Primat der vernunftgemßen, sachbezogenen Argumentation steht und ganz in den Logos integriert ist. Vgl. hierzu Wçrner, Pathos als berzeugungsmittel in der Rhetorik des Aristoteles; Wisse, Ethos and Pathos from Aristotle to Cicero; Lampe, Psychologische Einsichten Quintilians in der Institutio Oratoria, 540 – 546. 49 Eine Variante dieser Sprachfigur, durch maßlose bertreibung etwas Missbilligtes ad absurdum zu fhren, findet sich in 1Kor 11,6: Im Gottesdienst ohne Kopfbedeckung betende Frauen sollten konsequent sein und sich gleich kahl schweren lassen. – Im Blick auf Gal 5,12 von einem wenn auch „grausigen“ Witz, so Campenhausen, Ein Witz des Apostels Paulus und die Anfnge des christlichen Humors, 104, oder „makabren Scherz“ zu sprechen, so Betz, Galaterbrief, 461, wird der Schrfe der Polemik nicht gerecht. Zu bedenken ist immerhin, dass nach Dtn 23,2 die Kastration aus der Kultgemeinde Israel ausschließt. Vor allem Elliott, Cutting Too Close for Comfort, 233 – 257, versteht diese Bemerkung auf dem Hintergrund des in der Landschaft Galatien verbreiteten Attis-Kybele-Kults, in dem die sakrale Kastration der Priesterschaft (Galloi) blich war. Doch abgesehen von der Frage, ob die galatischen Gemeinden tatschlich im Umkreis von Pessinus, dem Zentrum der Mater Magna-Verehrung zu lokalisieren sind, fehlen berzeugende Indizien fr den behaupteten Einfluss dieser kultischen Praxis auf die Galater. 50 Der Indikativ realis eqaccek¸fetai (1,9b) schließt zwar „jede Person der galatischen Gemeinden und ihres Umfelds, deren Verkndigung mit der Tradition in Konflikt steht, in die Drohung ein“, Bachmann, Gal 1,19: „Wie wir schon frher gesagt haben, so sage ich jetzt erneut“, 115. Der engere Kontext (V.8) und das direkt auf die Adressaten bezogene Objekt (rle?r) des eqaccek¸fetai machen es aber wahrscheinlich, dass Paulus „einen konkreten Anlaß“ vor Augen hat – eben die Verkndigung des 6teqom eqacc´kiom seitens der Gegner, Betz, Galaterbrief, 114. 51 Vgl. Stenzel, Rhetorischer Manichismus, 6.
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In gleicher Weise polemisch akzentuiert ist die Gerichtsansage in 5,10b. „Wer euch aber verwirrt, wird das (Gerichts-)Urteil tragen mssen – ganz gleich, um wen es sich handelt“. Jedenfalls dann, wenn man im Anschluss an die antike Rhetorik unter „Polemik“ das Phnomen der vituperatio bzw. des xºcor versteht, das als Gegenstck zum 5paimor/laus nicht nur agonistische Elemente enthlt, sondern dezidiert agonistisch, d. h. destruktiv ausgerichtet ist52. Aus anderen Briefen wird ersichtlich, dass wir es mit einem Topos der Gegnerpolemik zu tun haben (Rçm 3,8; 1Kor 3,17; 2Kor 11,15b; Phil 1,28; 3,18 f [vgl. 3,2]; 1Thess 2,16c). Der Hinweis auf das endzeitliche Geschick, dem sie nicht entrinnen kçnnen, „gehçrt geradezu zum Standardrepertoire der Auseinandersetzung des Apostels mit seinen „,Gegnern‘“53. Der Satz – oder richtiger Ausbruch – ist wenig kontextgemß und erscheint unvermittelt. Er wirkt zwischen V.10a („Ich habe zu euch das Vertrauen im Herrn, dass ihr keiner anderen Meinung sein werdet“) und V.11 („Ich aber, Brder, wenn ich noch die Beschneidung verkndige, warum werde ich noch verfolgt?“) wie ein Fremdkçrper. Trotz des generischen Artikels vor taq²ssym – das ergibt sich aus der nachgeschobenen Bemerkung fstir 1±m × – ist die Referenz klar. Paulus hat die bereits in 1,7 abschtzig als taq²ssomter titulierten Fremdmissionare vor Augen, an die er speziell auch in 1,8 f und 5,7b denkt. Das futurische bast²sei („wird tragen mssen“) und das Stichwort jq¸la („Gerichts- bzw. Strafurteil“) stellen den eschatologischen Horizont der Aussage heraus. Durch ihre Bestimmtheit gewinnt sie performativen Charakter. ber die Gegner wird „das knftige Verdammungsgericht Gottes nicht nur angekndigt, sondern durch den Apostel als den Bevollmchtigten Gottes geradezu rechtswirksam verhngt“54. Natrlich weiß Paulus, dass nicht er, sondern Gott den Urteilsspruch vollstrecken wird. Er selbst ist „der charismatische Verknder des gçttlichen Gerichts“55, nicht die verurteilende oder verfluchende Instanz. Wie jeder andere zçge auch er den Fluch auf sich, hielte er sich nicht an die ihm aufgetragene Evangeliumsverkndigung gebunden und wiche von ihr ab (1,8). Diese „bedingte ,Selbstverfluchung‘“56 zeigt, dass Paulus zwischen seiner 52 Vgl. Baumgart, Zur Rhetorik der Polemik in der frhen Neuzeit, 1 – 21. 53 Konradt, Gericht und Gemeinde, 487 (Anm. 56). In 2Petr 2,3 werden t¹ jq¸la und B !p¾keia synonym gebraucht. Den Gottlosen, die Gottes Gnade verkehren und „unseren Herrn Jesus Christus verleugnen“, wird in Jud 4 bescheinigt, sie seien schon lngst fr das Gericht aufgezeichnet. Auch hier sind Christen gemeint, die sich von außen in die Gemeinde „eingeschlichen“ (vgl. Gal 2,4) haben. 54 Synofzik, Die Gerichts- und Vergeltungsaussagen bei Paulus, 33. 55 A.a.O., 33. Vgl. Mußner, Galater, 61, Schewe, Die Galater zurckgewinnen, 78. 56 Betz, Galaterbrief, 112.
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apostolischen Autoritt und der Autoritt des ihm vorgegebenen Evangeliums unterscheidet (vgl. 2Kor 5,19 f ). Aber es drfte kein Zufall sein, dass er diese grundlegende Differenz in der polemischen Situation zu ignorieren scheint, sie jedenfalls nicht eigens betont. Aus der Perspektive der adressierten Gemeinden wie aus der des polemischen Objekts ist er es, der fr sich beansprucht, den Eventualfall zu antizipieren und den Fluch auszusprechen. Damit verstrkt Paulus den Druck auf die Galater. Ihnen bleibt einzig die Alternative, sich entweder auf seine Seite zu stellen oder ins Verderben zu laufen. Eine dritte Mçglichkeit haben sie nicht. Im Machtkampf zwischen ihm und seinen Gegnern wird ihre Rolle neu definiert. Sie sind jetzt nicht mehr nur als polemische Instanz gefragt, die ber Erfolg oder Misserfolg der um ihre Zustimmung werbenden Parteien zu urteilen hat, sondern werden auch vor eine Entscheidung gestellt, die je nach Ausgang das eigene Schicksal besiegelt. Sollten Paulus’ Bemhungen um die Wiederherstellung des Status quo ante vergeblich sein, sollten die Galater den letzten Schritt gehen und „im Fleisch vollenden“, was sie „im Geist begonnen“ haben (3,3), sind sie von Christus geschieden und verspielen das ihnen mit der – di± p¸steyr YgsoO WqistoO (2,16) schon gewhrten – Rechtfertigung verbrgte Hoffnungsgut (5,5). Bildlich gesprochen: Sen sie auf das Fleisch, werden sie aus dem Fleisch das Verderben ernten, sen sie aber auf den Geist, werden sie das ewige Leben ernten (6,8). Der Versuch, die Gemeinden mit den unvermeidlichen Folgen zu konfrontieren, sollten sie darauf beharren, ihren gegenwrtigen Status als „Kinder der Freien“ (4,26.29, vgl. 5,1) zugunsten der von ihnen angestrebten Proselytenidentitt rp¹ mºlom aufzugeben (4,21, vgl. 3,23; 4,5; 5,18), ist nicht ohne Risiko. Paulus ist sich dessen bewusst (4,11, vgl. 3,4b). Statt den erhofften Sinneswandel zu bewirken, der sie bleiben ließe, wer sie und Paulus jetzt sind (4,12), nmlich von Christus zur Freiheit Befreite (5,1, vgl. 2,4; 5,13), kann sein kompromissloses Nein zu ihrem an der Tora orientierten Identittskonzept genau den gegenteiligen Effekt auslçsen: Endgltige Abkehr vom fernen Gemeindegrnder, Solidarisierung mit den unter ihnen weilenden Fremdmissionaren. Vor allem das Anathema kçnnte sich als dysfunktional erweisen und Widerspruch provozieren. Gut vorstellbar wre etwa eine Reaktion wie diese: Paulus maßt sich an, ein eschatologisches Urteil zu fllen, das allein Gott zusteht, besitzt er doch die „ausschließliche Richterkompetenz“57 (vgl. Rçm 2,1 – 16). Und Gott ist es auch, der sie „in die Gnade“ berufen (1,6) hat, nicht der Apostel. Wenngleich 57 Wischmeyer, Rçmer 2.1 – 24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit, 365.
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die Pragmatik der Gerichtsaussagen in erster Linie auf die Disqualifizierung der Gegner zielt, erscheint ihre polemische Exposition eher geeignet, die Fronten zu verhrten, als dass sie dazu beitrge, den fortschreitenden Entfremdungsprozess aufzuhalten und die galatischen Christen fr das Evangelium zurckzugewinnen. Paulus ist sich dieser Problematik bewusst. Er ist gefordert, die Gegner zu isolieren. Dazu muss er die Gemeinden im polemischen Dreieck so positionieren, dass sie vom polemischen Objekt (Gegner) distanziert werden und mit dem polemisches Subjekt (Paulus) eine geschlossene Front bilden, die dem polemischen Objekt gegenbersteht.
4. Elemente literarischer Strategien der Polemik Bereits das Prskript lsst die von Paulus verfolgte Strategie erkennen, die Galater aus dem Verbund mit seinen Gegnern herauszubrechen. Insofern hat der Eingangsteil in der Tat eine Art Schlsselfunktion fr das Verstndnis des Briefs und seine konzeptionelle Gestaltung als polemisches Kampfinstrument58. Gleich nach der intitulatio stellt Paulus sich und die Adressaten in eine Beziehung. Ohne limitierenden Vorbehalt redet er sie als 1jjkgs¸ai t/r Cakat¸ar (1,2) an und kennzeichnet damit ihren gegenwrtigen Status. Dass es sich bei dieser Anrede nicht „um einen wertneutralen Organisationsbegriff“ handelt, sondern um eine performative Identittszuschreibung59, verdeutlicht neben den spteren Bezeichnungen „Sçhne Gottes“ (3,26) und „Kinder“ bzw. „Same Abrahams“ (3,7.29, vgl. 4,6 f.28.31)60 vor allem der Fortgang in 1,4. Der hier mehrfach gebrauchte ekklesiologische Plural Ble?r61 hat Signalfunktion. Das Paulus und die Galater inkludierende „wir“ bringt knapp, aber unmissverstndlich ihre bleibende Verbundenheit zum Ausdruck, die in dem komprimiert entfalteten Heilsgeschehen grndet62. 58 Vgl. Cook, The Prescript as Programme in Galatians. 59 So mit Recht Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus, 127. 60 Jeweils akzentuiert durch den Ind. Prs. von eQl¸. Zur semantischen und theologischen Valenz dieser Metaphorik vgl. Mller, Die Metapher vom „Kind Gottes“ und die neutestamentliche Theologie, in: ders. u. a. (Hg.), „[…] was ihr auf dem Weg verhandelt habt“, 200 f. 61 Vgl. 2,16 f; 3,13 f.23 – 25; 4,3.5 f.31; 5,1.5.25 f; 6,9 f 62 Die syntaktische Struktur von V.4 sowie die Formulierung 1j toO aQ_mor toO 1mest_tor pomgqoO lassen auf Tradition schließen. Paulus bevorzugt sonst aQ½m oxtor, Rçm 12,2; 1Kor 1,20; 2,6.8; 3,18; 2Kor 4,4. In Rçm 8,38 wird das 1mest_ta dem l´kkomta gegenbergestellt.
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Sind beide gemeinsam in die Geschichte des sich fr unsere Snden dahin gegebenen Kyrios Jesus Christus (vgl. 6,14.18: toO juq¸ou Bl_m YgsoO WqistoO) einbezogen, hat ihre von Gott gewollte (jat± t¹ h´kgla toO heoO) Gemeinschaft auch in ihm Bestand (1,3 f ). Der anamnetische Rekurs vergegenwrtigt jedoch nicht nur die ekklesiologischen Implikationen des Heilshandelns Jesu Christi. Indem Paulus den gegenwrtigen on (aQ½m b 1mest¾r) und damit den Lebensraum der „wir“ als bçse (pomgqºr) qualifiziert (1,4), schiebt er ein Kontrastmoment ein. Seine Gemeinschaft mit den Galatern ist bedroht. Der Stçrfaktor hat schon Wirkung gezeigt und die Galater veranlasst, ihren eigenen Erfahrungshorizont neu zu interpretieren (3,2.5; 4,21, vgl. 3,14; 4,6; 5,16.18 – 22.25). Personifiziert wird diese Gefahr durch von außen eingedrungene Fremdmissionare. Deren Verkndigung steht im Widerspruch zum Christusevangelium (1,7), das den Apostel und seine Gemeinden verbindet. Da es im Rahmen der von Paulus vorausgesetzten Wirklichkeitsannahme aber nur dieses eine von Gott autorisierte (1,1.11 f.15 f, vgl. 2,9; 6,17) Evangelium gibt, das auch den Glauben der Galater bewirkt und sie zu Abrahamskindern gemacht hat, kann die als 6teqom eqacc´kiom bezeichnete Grçße legitimerweise gar kein Evangelium sein. In den Eingangsversen sind drei Oppositionspaare leitend, deren positiv wie negativ konnotierten Glieder einander zugeordnet und auf der gleichen Ebene angesiedelt sind. Paulus und den galatischen Gemeinden steht eine nicht nher bezeichnete dritte Gruppe gegenber, dem gemeinschaftsstiftenden Christusevangelium das einheitsgefhrdende 6teqom eqacc´kiom, dem Lobpreis Gottes in alle Ewigkeit (1,5) der die Gegenwart noch verfinsternde „bçse on“. Diese antithetisch entworfene bipolare Grundstruktur steckt die Koordinaten ab, innerhalb derer Paulus sich bewegt und argumentiert. Im weiteren Verlauf des Briefs wird sie dann fortgefhrt, inhaltlich nher entfaltet und przisiert63. Sie dient einzig dem Zweck, die in den Brief eingeschriebene ekklesiale Einheit von Absender und Empfnger herauszustellen und eindeutig zu markieren. Paulus’ literarische Strategie der Polemik luft darauf hinaus, zwischen sich und den Galatern auf der einen und den Gegnern auf der anderen Seite eine scharfe Grenze zu ziehen, die er christologisch untermauert und ekklesiologisch fixiert. Das im Prskript 63 Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes vs. Gerechtigkeit aus Glauben an Jesus Christus (2,16 – 21; 3,1 – 14), Versklavung unter das Gesetz vs. Freiheit und Kindschaft in Christus (3,23 – 4,7; 4,21 – 31), Beschneidung vs. Glauben (5,1 – 12), Fleisch vs. Geist (5,13 – 6,10).
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verwendete inklusive „wir“ und die betonte Anrede „Brder“64 kodieren diese alles bestimmende Absicht. Ist Gott unser Vater (1,3 f, vgl. 4,5 – 7), sind wir seine Kinder und also Geschwister. Die das Beziehungsverhltnis von Absender und Empfnger illustrierende Familienmetaphorik – als Bild spendendes Motiv begegnet sie gehuft im brieflichen Hauptteil (3,15 – 18; 4,1 – 7.12 – 20.21 – 31)65 – ist Mittel polemischer Kontrastierung und hat zugleich distanzierende Funktion. Die Gegner gehçren nicht zur Familie. In 1,6; 3,3; 4,10; 5,4 und 6,12 (vgl. 4,17) gibt Paulus das Ansinnen der Gegner und der ihnen zuneigenden Galater mit den Verben letat¸heshai, 1piteke?shai, paqatgqe?shai, dijaioOshai und !macj²feim wieder. Aufgrund ihrer Zielorientierung, die dem paulinischen Evangelium zuwiderluft, sind sie durchweg negativ besetzt. Dass die jeweils im durativen Indikativ Prsens formulierten Verben eine vollendete Handlung ausdrcken, ist schon wegen der prinzipiellen Unmçglichkeit des 1m mºl\ dijaioOshai (5,4b, vgl. 2,16)66 ausgeschlossen. Wir haben es daher jeweils mit einem Prsens de conatu zu tun67, dessen semantischer Gehalt die im Prskript vorweggenommene Identittszuschreibung bekrftigt und auf die galatische Situation hin auslegt. Stehen die Galater erst im Begriff, sich einem anderen Evangelium zuzuwenden (1,6), den stoiwe?a zu dienen (4,9), dem Festkalender Reverenz zu erweisen (4,10) und der Beschneidungsforderung nachzugeben (vgl. 3,4)68, ist ihre Identitt als Ekklesia zwar gefhrdet, aber noch nicht verspielt. Noch sind sie nicht aus der Gnade herausgefallen (5,4). Innerhalb 64 Vgl. 1,11; 3,15; 4,12.28.31; 5,11.13; 6,1.18. Die gleiche Bezeichnung fr die Mitabsender („und alle Brder, die bei mir sind“ [1,2], vgl. Phil 4,21 und die enge sprachliche Parallele in der inscriptio des Polykarpbriefs: „Polykarp und die ltesten, die bei ihm sind“) unterstreicht diesen Sachverhalt. 65 Zu ihr Lategan, The Argumentative Situation of Galatians, 262 f.270 – 273. 66 Vgl. Rçm 1,16 f; 3,20.28. Das Prsens dijaioOtai trgt ebenso wie das !pojak¼ptetai in Rçm 1,18 futurischen Sinn. Gleiches gilt fr Rçm 3,20 und Gal 5,4. 67 Vgl. BDR § 319. 68 Der Sache nach formuliert 1,6: letat¸heshe !p¹ toO jak´samtor rl÷r […] eQr 6teqom eqacc´kiom den Status quaestionis. Die brigen Verben haben explikative Funktion und bringen begrifflich auf den Punkt, worin das letat¸heshai genauerhin besteht. Dass es sich bei ihm wie auch bei 1piteke?she, paqatgqe?she und !macj²fousim jeweils um ein Prsens de conatu handelt, wird durch 1,7 (h´komter letastq´xai), 4,9 (douke¼eim h´kete), 4,17 (1jjke?sai rl÷r h´kousim), 6,13 (h´kousim) und 4,21 (k´cet´ loi, oR rp¹ mºlom h´komter eWmai, t¹m mºlom oqj !jo¼ete) sichergestellt. Vgl. auch !mhq¾pour pe¸hy ; „will ich Menschen berreden?“ (1,10), und 1pºqhei „er versuchte zu vernichten“ (1,23). Zutreffend Wisdom, Blessing for the Nation and the Curse of the Law, 203: „The Galatians are on the verge of apostasy […] (and) in danger of breaking their central obligation of loyalty to the Lord which is expressed through loyalty to the gospel“ (Kursivierung von mir).
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dieser Wirklichkeitsannahme wird die sprachliche Form hermeneutisch produktiv. Sie fungiert als Interpretament der paulinischen Leitprmisse und schrft den Galatern ein, wer sie trotz ihrer Absatzbewegung nach wie vor sind: die 1jjkgs¸ai t/r Cakat¸ar und damit „Gemeinde Gottes“ (1,13) Analog dazu bringt Paulus die in den Eingangsversen vorbereitete Verhltnisbestimmung der Parteien im polemischen Dreieck nun auch im Blick auf die Gegner zur Geltung. Dem inklusiven „wir“ korrespondiert das distanzierende „sie“ (1,7; 4,17; 5,12; 6,12 f ). Der differenzierte Sprachgebrauch reflektiert nicht nur die Destruktion des traditionellen Beziehungsgefges im polemischen Dreieck, in dem die Gegner nun zum alleinigen Aggressionsobjekt werden, sondern spiegelt auch die Absicht, primr sie mit den eschatologischen Konsequenzen ihres Tuns zu behaften. Hingegen wird den Galatern die Opferrolle zugewiesen. Nicht sie, sondern die Eindringlinge verdrehen das Evangelium, stiften Aufruhr, verzaubern die Gemeinden, hetzen sie gegen Paulus auf, hindern sie daran, der Wahrheit zu gehorchen, und nçtigen sie, sich beschneiden zu lassen69. Um wen es sich nherhin handelt, wird verschwiegen. Die Gegner bleiben im anonymen Dunkel. Als einzelne oder Gruppe verschwinden sie hinter den Indefinitpronomen tir („ein gewisser, irgendjemand“: 3,1; 5,7) bzw. tim´r („einige“: 1,7, vgl. 4,17; 5,10.12; 6,12 f ). Ihre Namen erscheinen ebenso wenig wie die der Jakobusleute (2,12) fr Wert befunden, genannt zu werden, obwohl sie den Galatern – und vermutlich auch Paulus – bekannt waren. Die Anonymisierung der Gegner ist Teil der literarischen Strategie, sie zu isolieren und aus der Gemeinschaft der „wir“ auszuschließen. Jemanden totzuschweigen ist der radikalste Ausdruck von Geringschtzung. Er wird zur Unperson erklrt. In der polemischen Situation ist das Schweigen beredt. Es kommuniziert die Verwunderung des Apostels darber, dass sich die Galater von Leuten haben verwirren lassen, „die es nicht verdienen, aus der Anonymitt herausgeholt zu werden“70. Sein vielsagendes Schweigen ist verdeckte Polemik, die freilich mehr enthllt als verschleiert. Zugleich enthlt es – wiederum in kodierter Form – eine Handlungsanweisung an die polemische Instanz. Sie soll die Degradierung des polemischen Objekts zur persona non grata auf ihr Verhltnis zu ihm anwenden und sich von gewissen Leuten, die keiner Rede wert sind, nicht imponieren lassen. Richtet sie sich danach, hat der Polemiker sein Ziel erreicht.
69 Vgl. Longenecker, Galatians, CXVII. 70 Vgl. Mußner, Galaterbrief, 11.
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5. Schluss Der Galaterbrief ist eine fulminante Streitschrift. Seine polemische Signatur ist Programm. Es erscheint paradox. Um die ekklesiale Einheit mit den Galatern zu bewahren und sie fr das Evangelium zurckzugewinnen, beschreitet Paulus einen Weg, der durch schroffe Antithetik, Dissoziation, aggressive Sprache und bis zur Diffamie reichende Polemik gekennzeichnet ist. Der Brief endet jedoch, wie er beginnt: mit einem Hoffnungsblick. Am Schluss nimmt Paulus die ersehnte Antwort der Galater vorweg und schreibt sie in den Text ein. Stimmen sie in das „Amen“ (6,18) ein und machen es sich zu eigen, bekennen sie sich zur „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14) und bleiben, wer sie sind: die 1jjkgr¸ai t/r Cakat¸ar und damit seine Geschwister, die wie er Anteil am Erbe Abrahams haben (3,29; 4,7, vgl. 3,14)71. Ob seine Hoffnung getrogen oder sie sich erfllt hat, wissen nur die am Konflikt beteiligten Parteien. Wir wissen es nicht.
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„Seine Briefe sind gewichtig und gewaltig“ (2Kor 10,10). Polemik im 2. Korintherbrief Manuel Vogel Einleitung Paulus hat sich des Mittels der brieflichen Kommunikation souvern zu bedienen gewusst. Das haben ausweislich des Zitats in 2Kor 10,10 auch seine Kritiker nicht bestritten. Zumal der 2. Korintherbrief vermittelt einen lebendigen Eindruck von einer Auffassung von Sprache als „a form of power to affect behaviour“1. Aus dieser pragmatisch-rhetorischen Perspektive erscheint die Bezeichnungsfunktion der Sprache („signification“2) als Mittel zum Zweck. Auf Paulus gemnzt gert seine Theologie in ein problematisches Verhltnis zur Rhetorik seiner Briefe. Dass auch der 2. Korintherbrief Theologie von Weltgeltung enthlt, ist unbenommen. Zu vermeiden ist aber, dass die Exegese rhetorische Strategien theologisch aufwertet, die dadurch selber nichts gewinnen, die Theologie aber in Mitleidenschaft ziehen. Sehr berspitzt kann man sagen, dass Paulus im 2. Korintherbrief nur ein einziges Thema hat, und das ist – in vielfacher theologischer berhçhung – er selbst. Was sich im ersten Brief anbahnt, nmlich die Notwendigkeit einer Selbstdarstellung, die ihm die exklusive Stellung als Grndungsapostel der korinthischen Gemeinde sichert, wird im 2. Korintherbrief zum alles beherrschenden Argumentationsziel. Der Brief muss in einer hçchst grundstzlichen und fr Paulus existenziellen Streitfrage ganze Arbeit leisten. Die schriftlich bermittelten Worte des abwesenden Apostels mssen eine derartige Wirkung entfalten, dass sie nicht nur seine Kritiker berzeugen, sondern auch seine in Korinth persçnlich anwesenden Konkurrenten „aus dem Felde schlagen“ – eine metasprachliche Formulierung, die unwillkrlich die an vielen Stellen polemische Stoßrichtung der paulinischen Argumentation im 2. Korintherbrief aufnimmt. Soll unter „Polemik“ ge1 2
Vgl. Wire, „Since God is One“: Rhetoric as Theology and History in Paul’s Romans, 210: „[I]n classical times language was understood as a form of power to affect behaviour, whereas today we have come to see language as signification“. S.o. Anm. 1.
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genwartssprachlich ein „scharfer, verunglimpfender Angriff“3 verstanden werden, ist dieser Begriff auf den 2. Korintherbrief mhelos anzuwenden, etwa auf die Beschimpfung der Gegner als „Satansdiener“ (11,15), die an Schrfe kaum zu berbieten ist. Aber auch am lteren Sprachgebrauch seit dem 18. Jh., der Polemik als eine Form des gelehrten Streites verstand,4 hat dieser Paulusbrief Anhalt, etwa im dritten Kapitel, wo mit Bezug auf den gegnerischen Gebrauch von Empfehlungsbriefen eine beraus kritische Entgegensetzung von Altem und Neuem Bund, von Buchstaben und Geist entwickelt wird. Umgekehrt klingt gegnerische Kritik an Paulus etwa in der konzessiven Formulierung eQ d³ ja· 5stim jejakull´mom t¹ eqacc´kiom Bl_m in 4,3 an: War Paulus in Korinth mit dem Vorwurf der geringen Wirkung seiner Missionspredigt konfrontiert? Sucht man in der antiken Rhetorik nach Orientierung, wie „Polemik“ im 2. Korintherbrief zwischen persçnlicher Verunglimpfung und sachlichem Streit zu positionieren ist, stçßt man auf die Schwierigkeit, dass der Terminus weder in den griechischen und rçmischen rhetorischen Lehrwerken noch als literarischer Gattungsbegriff vorkommt. Das Adjektiv pokelijºr bzw. die nominale Bildung pokelijμ t´wmg ist in der bertragenen Bedeutung eines „Kampfes mit Worten“ griechisch gar nicht und rçmisch erst sptantik mit unklarer Herkunft belegt.5 Statt dessen ist man auf eine Vielzahl von Lexemen gewiesen, die zwar die Stilmittel der Schmh- und Tadelrede (jatgcoq¸a, vituperatio) terminologisch differenzieren,6 die sich aber gleichwohl nicht eignen drften, die polemischen Passagen im 2. Korintherbrief als solche zu identifizieren und als Teil eines grçßeren argumentativen Zusammenhangs auszuweisen. Vielmehr entspinnt sich Polemik in einem facettenreichen und komplexen 3 4
5 6
So Kluge, Etymologisches Wçrterbuch der deutschen Sprache, 553. Vgl. dazu Stauffer, Art. Polemik, 1404: Polemik ist „[b]is in das 19. Jh. hinein […] eine entschieden gefhrte Auseinandersetzung meist auf dem Gebiet der Wissenschaft […], das sich seinerseits historisch zunchst auf das Feld der Theologie, dann der Literatur und der Philosophie konzentriert hat“. Durch Schleiermacher erhielt die Polemik als zweiter Teil der Philosophischen Theologie nach der Apologetik ihren festen Platz im theologischen Fcherkanon. Noch 1904 definiert Tschackert, Art. Polemik, 508, die Polemik als „Streitwissenschaft“ mit folgender schçner Erluterung: „Da das Christentum als die Offenbarung Gottes in die Welt der Snde und des Irrtums eingetreten ist, und deren Einwirkung durch seine ganze geschichtliche Entwickelung hindurch erleidet, so muss gegen beide gekmpft werden; das Christentum ist auf bestndigen Kampf gegen Snde und Irrtum angewiesen“. So Stauffer, Art. Polemik, 1404. Stauffer, Art. Polemik, 1404, nennt koidoq¸a, emeidor, jajgcoq¸a, und Ualbor als griechische und contumelia, convicium, detrectatio, exprobratio, infamatio und opproprium als lateinische Termini.
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Gefge von Beziehungen zwischen Paulus, seiner Gemeinde und seinen Konkurrenten. Die rhetorische Kunst des 2. Korintherbriefes besteht darin, dieses Beziehungsgefge so zu manipulieren, dass Paulus seine Gemeinde exklusiv an sich bindet und seine Konkurrenten de iure und de facto aus der Gemeinde ausschließt. In dieser umfassenden Strategie der Inklusion und Exklusion bilden die polemischen Passagen die dunklen Segmente auf einer breiten Skala von Emotionen, die Nhe und Distanz inszenieren: Nhe zwischen Paulus und seiner Gemeinde und Distanz zwischen Paulus und der Gemeinde einerseits und den Konkurrenten des Paulus andererseits. Aus dieser Perspektive scheint es angebracht, das Phnomen Polemik im 2. Korintherbrief nicht anhand schulrhetorischer Terminologie, sondern mit J. Stenzel ber eine spezifisch polemische Situation zu erschließen: Unter dem Begriff der polemischen Situation „soll die Stellung der folgenden Elemente zueinander verstanden werden: Da ist zunchst das polemische Subjekt, der Polemiker. Der Angegriffene soll polemisches Objekt heißen. In einer Wechselpolemik tauschen beide die Rollen. Der indirekte oder direkte Adressat polemischer Rede ist die polemische Instanz, worunter wir nach dem Muster der Rechtssprache das als entscheidungsmchtig vorgestellte Publikum begreifen. Der polemische Prozeß handelt von einem polemischen Thema. Dieses Thema muß kontrovers sein und eine ausgiebige Energiequelle fr Aggressionen, es muß also intensive Wertgefhle aktivieren kçnnen […]. [D]ie Absicht des Polemikers [lsst sich] als Vernichtung des Gegners und seiner Position bezeichnen. […] [Es] geht […] um einen Machtkampf zwischen Vertretern von Positionen oder Gruppen, und die Macht liegt dabei in der von starken Wertgefhlen begleiteten Zustimmung der polemischen Instanz zu Position und Person des Angreifers – Ohnmacht in entsprechender Ablehnung des Angegriffenen. Die Beteiligung intensiver Wertgefhle und die damit gekoppelte Aggressivitt polemischer Rede fhren zu starker Personalisierung des Kampfes. Genauer: Aggressivitt, Wertgefhle und Personalisierung ziehen eines das andere nach sich, wobei der Anstoß von jedem dieser drei Momente ausgehen kann […]“7.
Der Vorteil dieser Herangehensweise besteht darin, dass Polemik als Eigenschaft eines Gefges schriftlicher Kommunikation insgesamt in den Blick kommt, d. h. unter Einschluss auch solcher Elemente, die fr sich selbst gar nicht polemisch wirken. Das gilt etwa fr die angesprochene Aktivierung von intensiven Wertgefhlen, die mittelbar auf die Exklusion der Konkurrenten zielen, die als solche aber noch nicht einmal negativ konnotiert sind, beispielsweise die Erzeugung von Empathie fr das Geschick des Paulus in der Asia in 2Kor 1,8 – 11: Hier wird auf der Seite der polemischen Instanz ein positives Eingenommensein fr das polemische Subjekt erzeugt, das im 7
Stenzel, Rhetorischer Manichismus, 5 f., Kursive bernommen.
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Verlauf der Argumentation mittelbar zu Lasten des polemischen Objekts geht.8 Dass die Beziehungsdynamik der im 2. Korintherbrief inszenierten Situation auf die „Vernichtung“ der Gegner als religiçse Autoritten und Glieder der korinthischen Gemeinde zielt, drfte unstrittig sein, gehçren doch „falsche Apostel“und „Diener des Satans“ (11,13.15) dringend aus der Gemeinde entfernt.9 Damit wird die Kommunikationssituation des 2. Korintherbriefes insgesamt als polemisch qualifiziert,10 also unter Einschluss ihrer apologetischen und versçhnenden Aspekte. Die Aufwertung des polemischen Subjekts Paulus und die Festigung seiner Beziehung zur polemischen Instanz (Gemeinde) ist mithin ebenso Teil der rhetorischen Strategie wie die aggressive Diskreditierung des polemischen Objekts: „Der Polemiker soll samt seiner Position in den Augen der polemischen Instanz als wertvoll erscheinen, der Angegriffene und seine Position als minderwertig. Polemik folgt dem Schema eines skularisierten Manichismus, das die Beteiligten in die Extremregionen von Licht und Finsternis auseinandertreibt. Sei es ein Individuum oder eine Gruppe – das polemische Objekt soll geschwcht 8 Vgl. dazu Welborn, Paul’s Appeal to the Emotions in 2 Corinthians 1.1 – 2.13; 7,5 – 16, 39 – 44. 9 Johnson, Satan Talk in Corinth: The Rhetoric of Conflict, 145 – 155, erhellt die gehuften Rekurse auf die Satansfigur in den Korintherbriefen (1Kor 5,5; 7,5; 2Kor 2,11; 11,14; 12,7; bei Paulus sonst nur noch Rçm 16,20) durch einen instruktiven kulturanthropologischen Vergleich mit „witchcraft societies“ und sieht darin „a phenomenon arising out of social conflict over Paul’s authority in Corinth, rather than a reflection of Paul’s cosmology“ (145). „Paul’s true enemies were his rivals, those who could unseat him in his position of authority in the churches“ (154). 10 Der im Anschluss an Stenzel gewhlte weite Begriff von Polemik als ein vielfach nicht explizit polemischer Niederschlag einer spezifischen Kommunikationssituation fhrt in der bis heute nicht befriedigend beantworteten Frage, ob der 2. Korintherbrief als literarisch einheitliches Dokument oder als ein redaktionelles Gebilde aus mehreren Paulusbief(teil)en zu behandeln ist, zwar keine Entscheidung herbei, lsst aber jedenfalls eine Interpretation des 2. Korintherbriefes als ursprngliche literarische Einheit zu. Die Absicht der definitiven Exklusion der Gegner kann, um ihr Ziel zu erreichen, sehr weit ausholen und argumentativ wie emotional in einer Weise vorgehen, die sich einer diskursiven Logik nicht sofort erschließt, die sich aber rhetorisch durchaus plausibilisieren lsst. Dies betrifft u. a. den oft beobachteten Stimmungsumschwung von der erneuten Annherung der Gemeinde an Paulus in 2Kor 7 und der akuten Krise in 2Kor 10 – 13. Im Folgenden werden einige berlegungen dazu angestellt. Fr die Einheit des 2. Korintherbriefes insgesamt unter rhetorischen Gesichtspunkten argumentieren Bosenius, Die Abwesenheit des Apostels als theologisches Programm, 104 f. und Amador, Revisiting 2 Corinthians: Rhetoric and the Case for Unity, 92 – 111. Die bekannten Teilungshypothesen haben durch den Artikel von M. Mitchell in der vierten Auflage der RGG (vgl. dies., Art. Korintherbriefe) auf lngere Sicht einen festen Stand.
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und zum sozialen Außenseiter oder gar Feind gestempelt werden, dem die geschlossene Front von Polemiker und Publikum gegenbersteht. Das bedeutet schließlich: Das polemische Objekt und seine Position sollen ihres Unwertes wegen zum Aggressionsobjekt der polemischen Instanz werden.“11
Die dergestalt hinsichtlich ihrer Ziele skizzierte polemische Situation ist insofern prozesshaft aufzufassen, als die unversçhnlichen Gegenstze, die eine eindeutige Positionierung der Beteiligten im Sinne der polemischen Strategie ermçglichen, in deren Verlauf allererst erzeugt werden mssen. Hier ist der paulinischen Rhetorik ein hohes Maß an Kunstfertigkeit zu bescheinigen. Der 2. Korintherbrief ist von Anfang an stets auch intensive Beziehungsarbeit, die die Verbindung der Gemeinde zu Paulus ebenso beharrlich neu zu festigen sucht, wie sie deren Beziehung zu seinen Konkurrenten engagiert unterluft. Wie aber ist das polemische Thema zu bestimmen? Sehr vorlufig kçnnte man sagen: In Kap 1 – 7 geht es um die Legitimitt des paulinischen Apostolats, in Kap 10 – 13 dagegen vorrangig um die exklusive Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde.12 Freilich hat Paulus diese Beziehung bereits in 1Kor im Auge, als seine Autoritt noch weitgehend unangefochten ist. Schon in 1Kor ist stellenweise zu beobachten, wie Paulus seine Position als Grndungsapostel der Gemeinde in den theologischen Gedankengang einflicht. Schon im Prskript macht Paulus seine apostolische Autoritt geltend: Der Rekurs auf das h´kgla heoO (deutlicher nur noch in Gal: oqj !p( !mhq¾pym oqd³ dQ !mhq¾pou) deutet ebenso wie die sprbare Unterordnung des Mitabsenders (auch: Mitverfassers?) Sosthenes als eines einfachen !dekvºr darauf hin, dass der Apostelstatus fr Paulus zentral die Frage seiner persçnlichen Autoritt berhrt. Die Prskripte des 1. Thessalonicherbriefes (PaOkor ja· Sikouam¹r ja· Tilºheor) und des Philipperbriefes (PaOkor ja· Tilºheor doOkoi WqistoO YgsoO), wo Paulus ohne den Aposteltitel auskommt, zeigen die situative Bedingtheit der Formulierung. Ein sich anbahnender Konflikt um die Autoritt des Paulus ist darber hinaus sprbar, wenn er in 4,3 f. seine Unabhngigkeit vom Urteil der Gemeinde betont, oder wenn er in 4,15 f. die exklusive Rolle des „Vaters“/„Erzeugers“der Gemeinde beansprucht und 11 Stenzel, Manichismus, 7. 12 hnlich urteilt auch Gerber, Paulus und seine ,Kinder‘, 231, im Blick auf die in Kap 10 – 13 verwendete Bildsprache: „[E]ine Zusammenschau der Bilder des Textes […] zeigt, dass die Beziehung des Paulus zu der angeschriebenen Gemeinde vor Gott und Christus und in Abgrenzung von KonkurrentInnen ein zentrales Thema des Textes ist. Alle bildlichen Aussagen sprechen von mehreren Grçßen dieses Beziehungsquadrates und sind Teil einer rhetorischen Strategie, mit der die Beziehung der Gemeinde zum Autor im Sinne des Letzteren bestimmt werden soll.“
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daraus den Imperativ zu einer imitatio Pauli ableitet, die nach 11,1 (lilgta¸ lou c¸meshe, jah½r j!c½ WqistoO) in den Rang einer mittelbaren imitatio Christi gehoben wird. Die Vater-Metapher aktiviert außerdem durch die Praeteritio oqj 1mtq´pym rl÷r cq²vy taOta in 4,14 und den Gegensatz von „Vater“ und „Erzieher“ in 4,15 ambivalente, mit den Konnotaten „Strenge“ und „Frsorge“ spielende Emotionen, die auf ihre Weise die Bindung der Adressaten an den Adressanten festigen sollen.13 Auch dies weist schon auf den 2. Korintherbrief voraus, wo Paulus die Adressaten in noch viel strkerem Maße auf der Ebene der Emotionen anspricht. Dass bereits im Vorfeld der Abfassung des 1. Korintherbriefes Kritik an Paulus laut wurde, geht sodann aus 4,18 – 21 hervor: Die pevusiyl´moi (vgl. noch 4,6.19; 5,2; 8,1) scheinen Paulus zu unterstellen, dass er nur deshalb Timotheus nach Korinth sendet, weil er sich selbst nicht dort hin traut.14 Eine Probe auf seine polemische Argumentationskunst gibt Paulus aber v. a. in 1Kor 3,5 – 17. Was in 3,5 – 7 mit einer Beteuerung der Gleichheit des Paulus und des Apollos coram Deo beginnt, endet in 3,15 – 17 mit einer verbrmten aber hçrbaren Dpierung des Apollos. Gewaltttig ist das von Paulus verwendete Bild – schlecht gebaute Huser brennen bis auf die Grundmauern nieder, unseriçsen Bauunternehmern wird der Prozess gemacht – allemal, und theologisch wird handfest polemisiert.
1. Die Frhphase des Konflikts: Paulus und Apollos in 1Kor 3,5 – 17 Whrend die Gegner im 2. Korintherbrief namenlos bleiben, geht es im nun nher zu untersuchenden Passus in der Person des Apollos um eines der korinthischen „Schulhupter“, die von Paulus neben Kephas namentlich 13 Unklar ist die Formulierung t¹ rl´teqom rst´qgla oxtoi !mepk¶qysam in 16,17. Nach Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 457 f., geht es um die fehlende unmittelbare Kommunikation mit Paulus, die durch die Anwesenheit der korinthischen Delegation ausgeglichen wurde. Schrage betont aber zugleich die Unsicherheit dieses Verstndnisses und verweist auf alternative Auslegungen, die einen leisen Tadel an die Adresse der korinthischen Gemeinde erkennen, so etwa schon Heinrici, Der erste Brief an die Korinther, 520: Es geht um „ein Ersetzen des Mangels an Zutrauen und Gehorsam, der von der Gemeinde dem Ap[ostel] vorher thatschlich nicht gewhrt worden war“ (im Original z. T. kursiv). Fr diese Deutung spricht 16,8: „Eine Beruhigung setzt Angst und sorgen voraus. Diese erwuchs aus den Befrchtungen, welche der Ap[ostel] wegen der Gemeinde hegte“ (a.a.O.). 14 So Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 361.
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genannt werden. In 16,12 ist nochmals von ihm die Rede als von einem „Bruder“. Zwar klingt hier ein Dissens an – Apollos, der sich zur Zeit der Abfassung des 1Kor nicht in der Gemeinde aufhlt, lsst sich von Paulus nicht zu einer baldigen Reise nach Korinth bewegen –, doch scheint die Beziehung zwischen beiden nicht belastet oder gar gefhrdet zu sein. Da Apollos im 2. Korintherbrief nicht mehr namentlich auftaucht, ist keine Aussage darber mçglich, ob er mittlerweile ins Lager der Konkurrenten gewechselt ist, die von Paulus heftig attackiert werden. Immerhin berichtet der Verfasser der Apostelgeschichte, der den Bruch zwischen Paulus und Barnabas (freilich mit wenig durchsichtigen Grnden15) in seiner Geschichtsdarstellung unterbringt (Apg 15,39), nichts von einem Zerwrfnis zwischen beiden. Jedenfalls ist im 1. Korintherbrief ein solches Zerwrfnis, sollte es dieses denn gegeben haben, noch nicht in Sicht. Und dennoch versteht es Paulus, den „Bruder“ subtil auf die Pltze zu verweisen, genauer: auf einen Platz weit unterhalb von ihm selbst.16 In 3,5 erscheinen Paulus und Apollos in einer Doppelfrage in gleichem Rang: Sie sind di²jomoi, d. h. sie sind in einer inferioren Stellung, entweder in Relation zur Gemeinde (vgl. Rçm 16,1: t/r 1jjkgs¸ar) oder zu Gott/ Christus (vgl. 2Kor 11,23: WqistoO). In der objektlosen Stellung von di²jomoi klingt beides an: Die Eigenstndigkeit gegenber der Gemeinde als Diener Christi, dem allein sie verantwortlich sind (entfaltet fr die Person des Paulus in 4,3 f.), wie auch die Dienstbarkeit gegenber der Gemeinde. Letzterer Aspekt hat durch das anschließende dQ ¨m 1piste¼sate deutliches bergewicht: Das Glubigwerden der Korinther geschah in Ausbung der Paulus und Apollos obliegenden peripheren Dienstpflicht, peripher, weil das „Glubiggewordensein“ der Adressaten auf Gott/Christus bezogen ist, nicht auf Apostel oder Missionar, die diese Beziehung nur anbahnen. V.6 f. fhrt die Parataxe von V.5 fort, doch wird die Indifferenz der Aufzhlung (Paulus und Apollos sind gleich wichtig bzw. unwichtig) in einem Atem erheblich verstrkt und massiv unterwandert. Die Verstrkung der Indifferenz kommt (a) dadurch zustande, dass mit „Pflanzen“ und „Gießen“ zwei gleichrangige, gleichwertige und gleich bedeutende Ttigkeiten eingefhrt werden. Keine der beiden „schafft“oder „wirkt“etwas, d. h. weder schafft der Pflanzende die 15 Auch dann, wenn man zwischen dem in Gal 2,11 – 14 thematisierten Konflikt und dem Zerwrfnis wegen Johannes Markus unterscheidet, gilt, so Dunn, Christianity in the Making. Volume 2: Beginning from Jerusalem, 492: „[I]t is unlikely that Luke has told the whole story“. hler, Barnabas, 127 f., sieht in Apg 15,39 den Niederschlag grundstzlicher missionsstrategischer Differenzen. 16 So auch Barnett, Paul, apologist to the Corinthians, 317; dort weiteres zur Person des Apollos (316 – 319).
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Saat noch wirkt der Begießende den Wachstumsvorgang, sondern beide leisten nur Zuarbeiten, die je fr sich keinen Bestand haben, mithin nur miteinander sinnvoll ausgefhrt werden kçnnen. Der seit V.4 angeschlagene Ton der Indifferenz wird zweitens dadurch verstrkt, dass (b) Gott als der, der wachsen lsst, als Vergleichsgrçße eingebracht wird. Verglichen mit Gott sind die beiden menschlichen Grtner tatschlich „nichts“, weder der eine noch der andere: oute b vute¼ym 1st¸m ti oute b pot¸fym. Der Anklang an 1,28 (t± lμ emta [1nek´nato b heºr]) ist kaum zufllig. Sodann wird (c) in V.8a die Einheit bzw. das Einssein von Paulus und Apollos betont. Dass jedoch beide nach ihrer Arbeitsleistung individuell beurteilt und „entlohnt“ werden (V.8b), weist bereits auf eine bei allem Insistieren auf Egalitt bestehende Ungleichheit. Diese expliziert Paulus durch eine zunchst unauffllige, aber folgenreiche Variation der Metaphorik: Aus der Pflanzung wird ein Bau. Um diesen Metaphernwechsel mçglichst geschmeidig zu formulieren, bezeichnet Paulus sich und Apollos nun als Gottes sumeqco¸, das passt auf Grtner wie auf Bauingenieure. Der Wechsel vollzieht sich in einer doppelten Prdikation der Gemeinde als „Ackerfeld“ und „Bau“. Dem Pflanzen auf dem Acker korrespondiert das Fundament auf der Baustelle. Die Entsprechung ist eingngig, weil sowohl das Sen der Saat in den Boden als auch die Grndung des Fundaments „unterirdische“ Vorgnge sind. Dass die agrarische Bildlogik nicht bruchlos und schon gar nicht absichtslos in die Baumetapher berfhrt wird, wird indes bereits daran deutlich, dass die bisher bestimmende Symmetrie zwischen Paulus und Apollos aufgegeben wird zugunsten der Fokussierung auf die Person und Ttigkeit des Paulus bei gleichzeitiger Anonymisierung des Apollos, die nicht von ungefhr kommt. Paulus hebt seine eigene Beauftragung in feierlichem Ton hervor und reklamiert die w²qir Gottes als eine Art habitueller Amtsgnade, die ihm „gegeben“ ist. Apollos wird nun nicht mehr mit Namen genannt, er ist ein unbestimmter %kkor (diff. 6teqor : einer von zweien), und er wird in ein ebenso diffuses Kollektiv eingereiht, in dem „jeder“ (6jastor) auf die Qualitt seiner Arbeit achten muss. Damit ist der Weg frei, mit Apollos nun in einem ganz anderen Ton zu reden, ohne ihn mit Namen nennen zu mssen. Dass er gemeint ist, ist evident. In V.11 f. wird die gravierende Asymmetrie, die Paulus durch eine zunchst harmlos erscheinende Variation der Bildersprache zu Wege bringt, vollends greifbar: Paulus reklamiert nmlich fr seinen Part am gçttlichen Bauwerk vçllige Immunitt und gçttliche Qualitt: Er hat „Christus“ als „Fundament“ gelegt in einem in der Vergangenheit liegenden, unwiederholbaren und unanfechtbaren Akt. Mit der Bemerkung, dass „niemand“ ein anderes Fundament legen kann, als das schon gelegte, macht sich Paulus als Grndungsapostel der korinthischen
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Gemeinde persçnlich und theologisch unangreifbar und unersetzbar. Die Negation der Mçglichkeit, Paulus als „weisen Baumeister“ zu ersetzen, ist eine indirekte Warnung an alle, die dies versuchen sollten. Sein Werk ist Gotteswerk. Dagegen ist, wie V.11 – 13 ausfhrt, das „Weiterbauen“auf dem von Paulus gelegten Fundament, das ja nach allem bisherigen v. a. von Apollos besorgt wird, reines Menschenwerk mit allen Risiken des Irrtums und des Scheiterns und in voller Verantwortlichkeit im Endgericht.17 Das Feuer des Gerichts wird die beim Gemeindebau verwendeten Baustoffe einer Materialprfung unterziehen. Der (artifiziellen, rein auf Brennbarkeit der Materialien hin konstruierten) Bildlogik folgend werden nur Gold, Silber und Stein Bestand haben. Bei den brigen Materialien wird sich zeigen, dass sie immer schon nichts getaugt haben. V.14 f. entwirft das Szenario eines Gerichts nach den Werken mit doppeltem Ausgang. Die Besonderheit ist hierbei, dass es nicht um endgltigen Heilsverlust oder –gewinn geht, sondern um eine reine Beurteilung des Werkes. Zwar wird der Beurteilte im negativen Fall „Schaden erleiden“, doch wird er „gerettet werden“ (syh¶setai). Das undeutliche fgliyh¶setai wird durch den Modus der Rettung ovtyr ¢r di± puqºr (vielleicht eine Redensart wie „mit knapper Not“) anschaulich: Wes Werk verbrennt, der wird nicht selbst mit verbrennen, aber doch etwas angesengt dastehen. Das ist nichts anderes als eine Soteriologie ad personam des Apollos, den Paulus als Konkurrenten frchtet, den er aber nicht inhaltlich kritisiert und mit dem er sich nicht berwerfen will. Das Lohnmotiv, das bereits in 3,8 anklingt und in 3,14 aufgenommen wird, erhlt im Blick auf Apollos einen ironischen Klang: Brandblasen werden sein Lohn sein. Rhetorik wirkt hier unmittelbar theologiebildend. V.16 f. schließt mit einer Prdikation der Adressaten als „Tempel Gottes“, der dem „Geist Gottes“ als Wohnstatt dient. Um eine Antwort auf die Frage, wie sich denn diese hohe Ekklesiologie mit der eben noch formulierten Kritik am sarkischen Wandel der Korinther vertrgt, die nicht als Pneumatiker an17 Bachmann, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, 162, drfte kaum im Recht sein, wenn er meint, das Bild des Fundaments werde in V.11 gegenber V.10 in einer Weise vertieft, dass damit nun strikt eine Tat Gottes gemeint sei und Paulus sich unter die 1poijodoloOmter einreihe. Richtig dagegen Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 297: Paulus bringt „mit dem Bild vom Fundament das zeitliche und sachliche Pr seines apostolischen Wirkens und damit seine Autoritt und Sonderstellung zum Ausdruck. Das Legen des Fundaments durch den Apostel ist das sachlich Grundlegende, Entscheidende und Unberholbare, das durch kein 1poijodole?m rckgngig gemacht werden kann und allen anderen Charismatikern vorund bergeordnet bleibt. […] [D]as Weiterbauen berantwortet Paulus anderen, die dafr selbst die Verantwortung zu bernehmen haben.“
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sprechbar waren und sind (3,1 f.), wre Paulus wohl nicht verlegen gewesen, denn das herausfordernde oqj oUdate den Status der Gemeinde als geistlicher Tempel betreffend rechnet ja bereits mit einer Diskrepanz zwischen Sein und Wandel. Dennoch ist es bemerkenswert, wie behnd Paulus den Fortgang der Argumentation seinem rhetorischen Zweck zu unterwerfen versteht. Dieser besteht nun in keiner Weise darin, der Gemeinde etwas Nettes zu sagen. V.16 f. hat vielmehr die Funktion, den Druck auf Apollos zustzlich dadurch zu erhçhen, dass dieser in die Position eines potentiellen Schdigers der Gemeinde gert und die Gemeinde dadurch gegen sich aufbringt oder sie zumindest misstrauisch macht. Nachdem in V.15 klargestellt ist, dass Paulus fr seine(n) Konkurrenten das eschatologische Heil nicht in Frage stellen will, folgt außerdem in V.17 doch nochmals eine heftige Drohung: vheqe? toOtom b Heºr. Was genau ist gemeint? Doch jedenfalls kein definitiver Heilsverlust, eher schon eine Totalblamage im Endgericht, so wie man von gestrzten Politikern sagt, dass sie „total erledigt“ sind. Der Passus 1Kor 3,5 – 17 zeigt anschaulich, wie Paulus in jedem Moment dazu in der Lage ist, seine Vorrangstellung in Korinth zur Geltung zu bringen, und zwar auch in einem argumentativen Kontext, der dieses Ansinnen nicht begnstigt. Die in 3,5 betonte Indifferenz zwischen Paulus und Apollos, die den Widersinn der korinthischen Parteien demonstrieren soll, wird in 3,21 nochmals aufgerufen (eUte PaOkor eUte )pokk_r), und doch gelingt es Paulus, sich selbst unmittelbar vorher weit von Apollos abzusetzen.
2. „Gewisse Leute“ – Zur Rhetorik des Unbestimmten Sodann markiert 1Kor 3,5 – 17 im Konflikt zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde den bergang von der im 1. Korintherbrief noch mçglichen persçnlichen Auseinandersetzung hin zur Polemik der vagen „Jemand“-Aussagen, die im 1. Korintherbrief noch in 4,18 (1vusi¾hgs²m timer) und dann mehrfach im 2. Korintherbrief, namentlich in Kap 10 – 13 auftreten. Das viermalige tir in 1Kor 3,12.14 f.17, das sich stilistisch ganz im Rahmen der im 1. Korintherbrief zahlreichen mit eU tir oder eQ d´ tir beginnenden Konditionalstze bewegt,18 zeigt gleichwohl, wie Paulus genau an der Stelle anonymisiert, an der seine Argumentation polemisch wird. In 2Kor 2,5 referiert das indefinite tir auf die nicht namentlich genannte Einzelperson, die ihn çffentlich beleidigt hat (eQ d´ tir kek¼pgjem, oqj 1l³ 18 Diese sind der brieftypischen „Kasuistik“ geschuldet; vgl. noch 3,18; 7,12.13.36; 8,2.3; 10,27; 11,16; 11,34; 14,27.37.38.
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kek¼pgjem), in 3,1 geht es um die Empfehlungsbriefpraxis seiner Kontrahenten (C lμ wq-folem ¦r timer sustatij_m 1pistok_m […]), in 10,2 um diejenigen, die Paulus einen sarkischen Wandel unterstellen ([…] 1p¸ timar to»r kocifol´mour Bl÷r ¢r jat± s²qja peqipatoOmtar), in 10,7 um Kritiker, die sich auf ihre Zugehçrigkeit zu Christus berufen (eU tir p´poihem 2aut` WqistoO eWmai […]), in 10,12 um den Vorwurf der Selbstempfehlung ([…] tisim t_m 2auto»r sumistamºmtym), in 11,20 um das herrische Gebaren der Kontrahenten in der Gemeinde (!m´weshe c±q eU tir rl÷r jatadouko?, eU tir jatesh¸ei, eU tir kalb²mei, eU tir 1pa¸qetai, eU tir eQr pqºsypom rl÷r d´qei), und in 11,21 um die von den Kontrahenten reklamierten Vorzge (1m è d( %m tir toklø […]). Die Stellen zeigen in der Zusammenschau, dass sie ein breites Spektrum von Inklusion auf der einen und Exklusion auf der anderen Seite abdecken: Dem in 2,5 genannten „Beleidiger“ hat Paulus erklrtermaßen verziehen, er soll seinen Platz in der Gemeinde behalten. Die in 11,20 indirekt hart kritisierten und kurz zuvor als „Falschapostel“und „Satansdiener“ (11,13 – 15) beschimpften Kontrahenten haben dagegen selbstredend keinen Platz mehr unter den korinthischen Christen. Im Mittelfeld bewegt sich die Aussage in 10,7: Die Genannten sind Paulus gegenber kritisch eingestellt, ohne dass Paulus ihre Zugehçrigkeit zu Christus bestreitet. Ein mçglicher Schluss aus dieser Beobachtung ist, dass Paulus ber die Gemengelage in der Gemeinde nur ungenau informiert war und deshalb seine Kritik und Polemik nicht auf konkrete Personen zuspitzen konnte. Oder aber Paulus zieht deshalb keine scharfen Frontlinien, weil diese sich berhaupt erst im Verlauf der brieflichen Kommunikation durch Einstellungsnderungen auf der Seite der Rezipienten bilden sollen. Die diffus Angeredeten stellen eine bezglich ihrer Einstellung zu Paulus heterogene Gruppe dar, in der Versçhnung mit Paulus, exemplarisch vorgefhrt anhand des „Beleidigers“ in 2,5, ebenso mçglich ist wie der definitive Ausschluss aus der Gemeinde. Es ist diese fehlende Eindeutigkeit, die pragmatisch auf eine Aktivierung der Rezipienten zielt, sich selbst entweder auf der Seite des Paulus oder aber auf der Seite seiner Gegner zu positionieren. Von hier kann der umstrittene Passus 2Kor 6,14 – 7,1 als ursprnglicher Bestandteil des 2. Korintherbriefes verstndlich gemacht werden, sofern gerade seine eigentmliche Unverbundenheit mit der korinthischen Konfliktlage rhetorisch einen Sinn ergibt. Als Abschluss der Apologie 2,14 – 7,4 und im Vorgriff 19 auf die kontroversen Kapitel 10 – 13 werden die Adres19 An dieser Stelle ist natrlich zu fragen, ob nicht die Kollektenkapitel 2Kor 8 – 9 den Duktus empfindlich stçren. Wre nicht die Erçrterung des Kollektenthemas am Schluss des Briefes, dann also, wenn alles Kontroverse gesagt ist, angemessener
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saten auf eine Entscheidungssituation eingeschworen, in der alles an der Wahl zwischen Paulus und den Falschaposteln hngt. Die zu fllende Entscheidung muss dualistisch verschrft und theologisch so stark wie mçglich dramatisiert werden, und zwar so, dass zwischen der Distanzierung von den Gegnern und dem Rckzug aus der Sphre des Heidnischen gerade nicht unterschieden wird. Dies leistet in der notwendigen Abstraktheit das Stck 6,14 – 7,1. Die Sequenz der Oppositionen in 6,14 – 16 (dijaios¼mg/!mol¸a, v_r/sjºtor, Wqistºr/Beki²q, pistºr/%pistor, ma¹r heoO/eUdyka) hat allein den Zweck, einen Dualismus zu inszenieren, der der Stellungnahme der korinthischen Christen fr oder gegen Paulus hçchste Dringlichkeit beimisst. Die Konfliktlinie innerhalb der Gemeinde wird von der Trennungslinie zwischen Gemeinde und sndiger Welt berlagert. Die geforderte Distanzierung von den Gegnern, die in der ersten Hlfte des Jesajazitats in 6,17a anklingt, wird als Rckzug aus der Sphre der Unreinheit stilisiert.20 gewesen? Aber die Dringlichkeit des Konflikts verlangte fr seine Erçrterung das Achtergewicht des Schlussteils. Strukturell vergleichbar ist Gal 6,11 – 18: Nach der Parnese muss der akute theologische Konflikt nochmals thematisiert werden und das letzte Wort haben. Dem entspricht, dass die peroratio rhetorisch der Ort ist, an dem in besonderer Dichte Affekte aufgerufen werden, so Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik § 436, mit Hinweis auf Quintilian, Inst. 6,1,51: „Die peroratio ist die letzte Gelegenheit, die Richter (das Publikum) fr die eigene Partei gnstig zu stimmen und gegen die Partei des Gegners zu beeinflussen. Whrend der Affektgebrauch in den brigen Redeteilen gemßigt ist […], kçnnen in der peroratio alle Affektschleusen geçffnet werden“. Den Hinweis auf Lausberg gibt Thompson, Paul’s Argument from Pathos in 2 Corinthians, 143, der 2Kor 10 – 13 insgesamt als peroratio des als ursprngliche Einheit verstandenen 2. Korintherbriefes liest. 20 So votiert etwa Wolff, Der zweite Brief an die Korinther, 148: Es geht um die „Aufforderung zur radikalen Abkehr von den Kontrahenten“. Zu 6,17a (leicht verndertes Zitat von Jes 52,11LXX) notiert Wolff, a.a.O., 151: „Die Korinther sollen also entschlossen die gottesdienstliche Gemeinschaft mit den Gegnern des Apostels aufkndigen“. Zu 6,14 – 7,1 insgesamt anders J. Schrçter, Der versçhnte Versçhner, 338: „Die Intention des Stckes lsst sich […] am besten so bersetzen, dass Paulus die Korinther auffordert, das ihnen von Gott in der Person des Mittlers Paulus angebotene Heil nicht durch heidnischen Lebenswandel aufs Spiel zu setzen“. Auch so lsst sich ein Bezug zur polemischen Situation des 2. Korintherbriefes herstellen: 6,14 – 7,1 macht im parnetischen Vollzug deutlich, dass die Gemeinde nur mit Paulus an der Spitze die Gewhr hat, ihre Integritt als Tempel Gottes bzw. Leib Christi zu bewahren. Denn es oblag ja Paulus und nicht seinen Kritikern, die gefhrlichen Missstnde in der Gemeinde, etwa die fatale Kontamination von Leib Christi und Gemeinde im Kontakt mit Prostituierten, als solche zu erkennen und zu unterbinden. Durch die Parnese 6,14 – 7,1 ruft Paulus der Gemeinde seine Autoritt auch in ethischen Fragen in Erinnerung. Er sagt nicht nur, dass er diese Autoritt hat, er bt sie auch aktuell aus.
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Nimmt man die rahmenden Aussagen 6,11 f.; 7,2 f. hinzu, ergibt sich eine stimmige Konstellation von polemischem Subjekt, polemischem Objekt und polemischer Instanz: In 6,11 f.; 7,2 – 4 wird die Beziehung zwischen polemischem Subjekt und polemischer Instanz durch die Betonung der emotionalen Ebene intensiviert. Dabei kommt das noch nicht hergestellte vçllige Einvernehmen (6,12b: stemowyqe?she d³ 1m to?r spk²cwmoir rl_m) so zur Sprache, dass es von vornherein von der Empathie des Paulus fr die Gemeinde (6,11b.12a: B jaqd¸a Bl_m pepk²tumtai 7 oq stemowyqe?she 1m Bl?m) berholt wird. Die unter Rekurs auf das so enge wie exklusive VaterKinder-Verhltnis formulierte Aufforderung an die Gemeinde, die empathische Zugewandtheit des Paulus zu erwidern (6,13: tμm d³ aqtμm !mtilish¸am, ¢r t´jmoir k´cy, pkat¼mhgte ja· rle?r), zieht dann die korrespondierende Aufforderung zur Abwendung von den Unglubigen in 6,14 nach sich, die in der Folge grçßtmçgliches theologisches Gewicht erhlt: Es geht um die Abkehr von allem heidnischen Wandel. Im Blick auf das dann verheißene Mit-Sein Gottes (6,16b–7,1, auch hier das Vater-Kinder-Verhltnis) bezieht sich Paulus mit ein und konstatiert damit im Blick auf die Gemeinschaft mit Gott auch Gemeinschaft zwischen ihm und den korinthischen Christen. Die Beteuerung der eigenen Rechtschaffenheit in 7,2 erscheint nach dem erklrten Bemhen um heiligen Wandel in 7,1 plausibel, und die vorgeschaltete Aufforderung wyq¶sate Bl÷r ist zusammen mit der abermaligen21 Betonung der „Herzensbeziehung“ des Paulus zu den Korinthern (7,3) ein Ansporn, die coram Deo bestehende Gemeinschaft mit dem Apostel nun auch innerlich mitzuvollziehen. Entscheidend ist: Indem die Aufforderung zur Abkehr von den „Unglubigen“ (6,14) in direkten Gegensatz zu der in den Rahmenstcken 6,11 f.; 7,2 – 4 geforderten Hinwendung zu Paulus zu stehen kommt, ergibt sich unwillkrlich eine Affinitt zwischen den %pistoi und den Kritikern bzw. Konkurrenten des Paulus.22 In 21 In 7,3 ist pqoe¸qgja c±q fti 1m ta?r jaqd¸air Bl_m 1ste doch wohl als Rckverweis auf 6,11 f. zu lesen, so Thrall, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians, 482 – 484, nach grndlicher Diskussion der Auslegungsalternativen (Bezug auf 1,4 – 7 oder 5,14). Dagegen spricht auch nicht die anschließende Phrase eQr t¹ sumapohame?m ja· suf/m, die als stehende Wendung nicht theologisch konnotiert ist. „Paul is simply making use of a current motif to underline his own affection for his readers and, by implication, to plead for similar deep friendship on their part“ (484). 22 Anders neuerdings wieder Lepp, Believers and Unbelievers in 2 Corinthians 6:14 – 15, der 2Kor 6,14 – 7,1 mit dem Argument fr interpoliert hlt, dass der Gebrauch von %pistor in der Bedeutung „faithless Christians“ erst seit dem Ende des 1. Jh. nachweisbar sei.
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2Kor 10 – 13 wird diese Linie dann noch strker ausgezogen. Den Rezipienten wird beim Lesen/Hçren nachtrglich klar, wer in 6,14 (mit)gemeint war, wenn sie die ganze Wahrheit ber die Konkurrenten des Paulus erfahren, dass sie nmlich „Falschapostel“ und „Satansdiener“ sind (11,13.15), der Aussage in 4,4 eingedenk, dass der „Gott dieser Welt“ in den „Unglubigen“ am Werk ist. Das polemische Objekt nimmt im Rezeptionsprozess Gestalt an. Die Rhetorik des Unbestimmten zielt auf Akte der Objektkonstitution auf Seiten der Adressaten. Sie sollen selbst zur Einsicht gelangen, wie dramatisch und gewichtig die anstehende Entscheidung auch im Blick darauf ist, gegen wen es Stellung zu beziehen gilt.
3. Vollkommener Gehorsam – gestrafter Ungehorsam: Die polemische Beziehungsdynamik nach 2Kor 10,6 Das Beziehungsgefge innerhalb der fr den 2. Korintherbrief kennzeichnenden polemischen Situation ist nun im Blick auf das Geflle von Versçhnung (Kap 1 – 7) und Konflikt (Kap 10 – 13) zu untersuchen. Fr ein mçgliches Verstndnis dieser nicht selten als sperrig empfundenen Abfolge23 ist zunchst einmal geltend zu machen, dass innerhalb der polemischen Beziehungskonstellation die Beziehung zwischen polemischem Subjekt und polemischer Instanz auf der einen Seite und polemischer Instanz und polemischem Objekt auf der anderen Seite von einander zu unterscheiden sind. Mit der in 2Kor 7,5 – 16 thematisierten neuen Annherung zwischen Paulus und der Gemeinde, die nach der berbringung des Trnenbriefes durch die Vermittlung des Titus zustande gekommen ist, ist ber die Beziehung der Gemeinde zu den Konkurrenten noch nicht entschieden. Dann ist aber zu erwarten, dass beide Beziehungsebenen auch argumentativ unterscheidbar sind, und zwar dergestalt, dass die Festigung der Beziehung zwischen polemischen Subjekt und polemischer Instanz die Bedingung dafr ist, dass auch die Beziehung der polemischen Instanz zum polemischen Objekt in dieser Weise gestaltet wird. Erst muss die Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde auf eine neue Grundlage gestellt werden – dies leistet die Apologie 23 Auch dort, wo die Abfolge als ursprnglich gilt, rechnet man oft mit neuen Nachrichten aus Korinth, der zunchst beigelegte Konflikt sei wieder aufgebrochen. Paulus habe mit einem weiteren Schreiben, das nun 2Kor 10 – 13 bildet, auf die vernderte Situation reagiert. Vgl. dazu den Forschungsberblick bei Horrell, The Social Ethos of the Corinthian Correspondence, 296 – 312 (Anhang 1 zu „The Painful Letter and the Chronological Order of 2Cor 1 – 9 and 10 – 13“).
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des paulinischen Apostolats in Kap 1 – 7 mit dem abschließenden ausfhrlichen Rekurs auf die neue Zuneigung der Gemeinde zu Paulus –, damit in einem zweiten Schritt ein Keil zwischen die Gemeinde und die Konkurrenten getrieben werden kann.24 Hierzu schlgt Paulus nochmals kritische Tçne an, auch der Gemeinde gegenber. Polemische Rhetorik arbeitet, wie sich zeigte, an mehreren Beziehungen. Daraus ergeben sich argumentative, rhetorische und emotionale Konstellationen, die heutigen psychologischen Grundannahmen („man vertrgt sich und alles ist wieder gut“) zunchst zu widersprechen scheinen. Dass das rhetorische Gesamtkonzept des 2. Korintherbriefes in seinem kanonischen Textbestand tatschlich so angelegt sein kçnnte, legt die Formulierung 1m 2to¸l\ 5womter 1jdij/sai p÷sam paqajo¶m, ftam pkgqyh0 rl_m B rpajo¶ in 2Kor 10,6 nahe: Erst dann, wenn der „Gehorsam“ der Korinther gegenber Paulus „zur Vollendung gekommen sein wird“, kann in einem zweiten Schritt jeglicher dann noch verbliebener „Ungehorsam“ ohne Rcksicht geahndet werden. Umgekehrt heißt das: Mit der erneuten Zuwendung25 der Korinther zu Paulus ist der Konflikt noch nicht ausgestanden. Auf die Inklusion der polemischen Instanz in ein stabiles Beziehungsgefge mit dem polemischen Subjekt muss die Exklusion des polemischen Objekts erfolgen. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn Paulus die korinthischen Christen in 7,5 – 16 fr ihr neu gefasstes Vertrauen zu ihm lobt, sie aber im Verlauf der Kapitel 10 – 13 fr ihre mangelnde Distanzierung von den Gegnern hart angeht. 26 Auch hier gilt 24 Vgl. dazu Sumney, Paul’s Use of P²hor, 147 – 160. 25 Von einer endgltigen Versçhnung kann nicht die Rede sein. Mit 1pipºhgsir, aduqlºr und f/kor rp³q 1loO in 7,7 und spoud¶, !pokoc¸a, !cam²jtgsir, vºbor, 1pipºhgsir, f/kor und 1jd¸jgsir in 7,11 wird wortreich eine Wiederannherung mehr beschworen als konstatiert. Ob die let²moia eQr sytgq¸am (7,10) schon geschehen ist, wird gerade nicht gesagt. Die in 7,15 erwhnte rpajo¶ bezieht sich auf die Aufnahme des Titus, auf mehr nicht. Seine Beziehung zu den Korinthern wird dadurch gefestigt, nicht die des Paulus! 26 Vegge, 2 Corinthians – A Letter About Reconciliation, 139, versteht das ganze Stck 7,5 – 17 als „idealized praise with a hortative objective of full reconciliation between Paul and the Corinthians“. Paulus rhmt die anfngliche Versçhnung in hçchsten Tçnen, um die Adressaten zu weiteren Schritten in Richtung einer vollstndigen Beilegung des Konflikts zu bewegen. Fr die Diskussion um Teilungshypothesen zum 2. Korintherbrief bedeutet das: Die in 7,5 – 16 betonte Geneigtheit der Korinther gegenber Paulus steht „not necessarily in contrast to their ,incomplete obedience‘ in 10:6, and cannot be used as an argument for partition theories“. Auch R.F. Hock, Rez. Olbricht, Th.H., Sumney, J.L. (Hg.), Paul and Pathos, 4, hlt die Abfolge 2Kor 1 – 7(9)/10 – 13 mit Thompson, Paul’s Argument, fr ursprnglich: „The Corinthians have responded positively to his letter of tears, but they are still vulnerable to the rival apostles who challenge Paul’s credentials and demeanor.“
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wieder, dass die vom polemischen Subjekt angestrebte Dissoziation des aktuellen Beziehungsgefges in einen Binnen- und Außenraum erst durch ein entsprechendes Verhalten der Adressaten (Parteinahme fr Paulus, Exklusion der Konkurrenten) zustande kommt. Die Argumentation des Paulus stellt lediglich die Weichen. Das „Mittelfeld“ der Pauluskritiker soll sich verteilen auf diejenigen, die sich von Paulus berzeugen lassen und sich ihm wieder anschließen, andererseits aber auf diejenigen, die Paulus ohne Aussicht auf Verstndigung zu seinen Gegnern zhlt.27 Auch 2Kor 10,6 ist Teil eines Argumentationsgangs, in welchem sich die auf die Aktivierung der Rezipienten zielende Rhetorik des Unbestimmten fortsetzt. Außerdem wird in 2Kor 10,1 – 6 die Verschrnkung von Theologie und Polemik anschaulich. Nach den Kollektenkapiteln, in denen wiederholt „Brder“ involviert waren,28 bringt Paulus in 10,1 mit aqt¹r d³ 1c¾ betont seine eigene Person und Autoritt29 ins Spiel. Zugleich wird damit die briefliche Kommunikation als Modus der Vergegenwrtigung des Verfassers kenntlich: Das Ich des Autors ist das Ich des Paulus, der im Medium des Briefes bei seiner Gemeinde gegenwrtig ist. Schon damit wird der anschließend paraphrasierte Vorwurf (dr jat± pqºsypom l³m tapeim¹r 1m rl?m, !p½m d³ haqq_ eQr rl÷r) relativiert: Auch in der brieflichen Kommunikation ist es kein anderer als Paulus selbst, der sich da zu Wort meldet. Das angesprochene „Ermahnen“ ist außerdem zugleich ein „Bitten“ (V.2), und es geschieht di± t/r pqa`tgtor ja· 1pieije¸ar toO WqistoO, ist also ein Beweis dafr, dass die von den Kritikern behauptete Rollenverteilung des abwesend strengen, anwesend aber „demtigen“ (d. h. servilen30) Apostels so nicht stimmt: Auch in 27 hnlich auch Vegge, Reconciliation, 302: „[T]he collective ,you‘ in 10,6b is best understood as an open invitation to all the Corinthians to be among those who Paul will not punish. The threat in 10,6a of punishing ,every disobedience‘ appears, then, to be a rhetorical device which Paul uses in order to urge as many Corinthians as possible to ,complete obedience‘“. Die „Bestrafung des Ungehorsams“ bezieht sich also nicht auf die definierte Gruppe der Gegner (vgl. dazu die Diskussion bei Aejmelaeus, Schwachheit als Waffe, 70 – 76), sondern auf eine Gruppe, die sich erst noch formieren wird. 28 So Wolff, Der zweite Brief an die Korinther, 195, unter Hinweis auf 8,6.16 – 19.22.24; 9,3 – 5. 29 Mit Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, 184, unter Hinweis auf die hnlichen Formulierungen in 12,13; Rçm 9,3; 15,14; Gal 5,2 und R.P. Martin, 2 Corinthians, 302 (Die Formulierung „gives an air of authority to what follows“). 30 So W. Grundmann, Art. tapeimºr jtk, 17, mit Bezug auf tapeimºr in 2Kor 10,1: Paulus ist „der Vorwurf niedriger Gesinnung und servilen Auftretens gemacht worden“.
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seinen Briefen kann er behutsam sein31, und – das wre nun der Umkehrschluss – anwesend auch streng. Diese Mçglichkeit kommt in V.2 allerdings nur als zu vermeidende zur Sprache, zu vermeiden dadurch, dass die nachfolgend (V.4 f.) in ein kriegerisches Bild gefasste Strenge des Paulus ihre Wirkung allein dadurch tut, dass Paulus sie androht. Was seine Kritiker als Widerspruch auffassen, will Paulus also als einen stimmigen funktionalen Zusammenhang verstanden wissen: Gerade weil er in seinem Brief Strenge walten lsst, besteht die Chance, dass der angekndigte dritte Besuch (12,14; 13,1) milde ausfllt. Sein entschlossenes Vorgehen 1p¸ timar to»r kocifol´mour Bl÷r ¢r jat± s²qja peqipatoOmtar kann entfallen, wenn die so bezeichneten Kritiker sich davon berzeugen lassen, dass Paulus trotz seiner unscheinbaren menschlichen Erscheinung (V.3: 1m saqj¸) mit pneumatischer Vollmacht offensiv gegen seine (und Gottes) Widersacher vorzugehen bereit und in der Lage ist. Die „gewissen Leute“, auf die Paulus nicht in direkter Anrede, sondern in dritter Person zu sprechen kommt, bleiben im Blick auf ihre Beziehung zu Paulus im Ungefhren: Spricht Paulus hier von Kritikern, die eines besseren belehrbar sind, oder von seinen Konkurrenten? Die Antwort muss lauten: Die so Bezeichneten entscheiden im Rezeptionsprozess des Briefes selbst darber, in welchem Lager sie zu stehen kommen.32 Die Offenheit der Situation wird dadurch erreicht, dass das in V.4 f. aufgerufene Bildfeld des Krieges33 die Aspekte „Zerstçrung“ und „Gefangennahme“ aktiviert. Beides bezieht sich auf Vorgnge auf der Ebene der Gedanken (kocislo¸, p÷m mºgla), aber eben gegenstzlich: Die „Erwgungen“ (kocislo¸) fallen im Zuge einer Eroberung wie Mauern einer zu erstrmenden Stadt oder Festung der Zerstçrung anheim (4), wogegen „jeder Gedanke“ (p÷m mºgla), auf dessen Konto „aller Hochmut, der sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt“ (p÷m vxyla 1paiqºlemom jat± t/r cm¾seyr toO heoO), „gefangen genommen“ wird, nachdem die Stadt bzw. die Festung geschleift ist, und zwar mit dem Ziel des „Gehorsams gegenber Christus“ (rpajoμ toO WqistoO), gleichsam seiner Reintegration in den Herrschaftsbereich Christi. Der geistliche Kampf des Paulus gegen das in 31 Das trifft auch dann zu, wenn pqa`tgr ja· 1pieije¸a „die von oben kommende richterliche Milde und Barmherzigkeit“ meint, wenn also „Paulus mit seiner Schwurformel auf Christus eben als den im Himmel herrschenden Herrn hinweist“, so Aejmelaeus, Schwachheit als Waffe, 50 (Kursive hinzugefgt), der diese Mçglichkeit diskutiert, sie aber zugunsten eines Bezuges auf den kenotischen Christus zurck weist (50 – 52). 32 Die Referenz in dritter Person indiziert also noch keinen definitiven Ausschluss, wie gegen Wannamaker, „By the Power of God“, 203 f.214, zu betonen ist. 33 Dazu ausfhrlich Gerber, Krieg und Hochzeit in Korinth, 105 – 113.
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Korinth grassierende, gegen Gott und seinen Apostel gerichtete widersetzliche Denken hat also zwei mçgliche gegenstzliche Wirkungen, eine destruktive und eine konstruktive. Im einen Fall geht es um definitive Exklusion („Zerstçrung“), im anderen um vollstndige Inklusion („Gehorsam“). Diese gegenstzlichen Mçglichkeiten mnden folgerichtig in die Optionen „vollendeter Gehorsam“ oder definitiver „zu strafender Ungehorsam“. Wer wo stehen wird, wenn Paulus nach Korinth kommt, ist zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes noch nicht klar, das Beziehungsgefge der polemischen Situation noch im Fluss. Wer zur polemischen Instanz und wer zum polemischen Objekt gehçren wird, ist noch offen. Diese Offenheit aktiviert die Rezipienten, sich zu positionieren. Zur Rhetorik des Unbestimmten gehçrt, wie bereits anhand von 2Kor 6,14 – 7,1 deutlich wurde, dass sich die relative gemeindliche Binnengrenze und die Außengrenze, die die Gemeinde von der unheilen Welt trennt, perspektivisch ineinander schieben. War mit dem Rekurs auf die %pistoi in 6,14 bereits ein erster Rckbezug auf 4,4 (t± mo¶lata t_m !p¸stym) gegeben, so werden in 10,5 mit cm_sir toO heoO und p÷m mºgla weitere Stichwortverbindungen zu 4,4 sowie zu 4,6 (cm_sir t/r dºngr toO heoO) geknpft. Wieder wird suggeriert, dass mit der Kritik an Paulus die Integritt des Heilsraumes der Gemeinde bedroht ist. Paulus wird bei seinem anstehenden dritten Besuch nicht nur seine eigene Autoritt unter Beweis stellen, sondern damit auch die Gefahr abwenden, dass die Gemeinde – natrlich verschuldet von den Gegnern – dem erkenntnislosen Dunkel des Unglaubens anheim fllt.34 Selbstredend ist die Wirkmacht des Paulus von Gott gegeben (10,4: fpka […] dumat± t` he`), und sie wird fr Gott (d. h. fr die Befçrderung seiner Erkenntnis unter den Menschen) bzw. fr Christus eingesetzt. Daraus folgt, dass jede Kritik an und erst recht jegliche dezidierte Gegnerschaft gegen Paulus in den Bereich des Widergçttlichen gert. In 2Kor 11,1 – 4 unternimmt Paulus nach 4,3 f.; 6,14 – 7,1 und 10,1 – 6 einen weiteren Anlauf in Richtung einer Dmonisierung der Gegner, die in 11,13 – 15 schließlich explizit wird. Fragt man, mit welchen Sachargumenten Paulus diese Dmonisierung theologisch plausibilisiert, drngt sich allerdings der Schluss 34 Zutreffend Wolff, Der zweite Brief an die Korinther, 195, im Anschluss an die Beobachtung, dass Paulus in 10,1 – 6 gehuft die Sprache der Mission verwendet: „Wenn […] nun von Paulus fundamentale Missionstermini und -vorstellungen gebraucht werden, dann ußert sich darin seine berzeugung: Wer sich ihm und seiner Verkndigung widersetzt (wie das die Gegner tun), der muss als Werkzeug des Satans entlarvt werden […], und wer sich von den Antipaulinern beeinflussen lsst […], der muss letztlich neu fr Christus gewonnen werden“.
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auf, dass er solche Argumente gar nicht zur Verfgung hat. Je heftiger seine Polemik wird, desto evidenter wird die Drftigkeit ihrer sachlichen Basis.
4. Wie anders ist das andere Evangelium? Polemik ohne Sachgehalt Die exklusive Beziehung zwischen polemischem Subjekt und polemischer Instanz erfordert die vçllige Diskreditierung des polemischen Objekts. Angesichts der weitgehenden hnlichkeiten zwischen Paulus und seinen Gegnern nach Herkunft und Selbstverstndnis – es handelte sich, soweit die paulinische Darstellung erkennen lsst, um judenchristliche „Apostel“ im „Dienste Christi“ (11,13.21 – 23) – wre eine umso schrfere Profilierung der alles entscheidenden Unterschiede zu erwarten, die die der Gemeinde zugemutete Entscheidung zwischen Paulus und seinen Kontrahenten theologisch rechtfertigte. Dies unterbleibt aber im gesamten 2. Korintherbrief. Selbst in dem theologisch so gehaltvollen dritten Kapitel des 2. Korintherbriefes scheint der „Mose“ zugeschriebene „Dienst des Todes“ bzw. „des Buchstabens“ lediglich eine polemische Chiffre zu sein, eine dunkle Folie fr die apologetische Selbstdarstellung, die den wesensmßigen Gegensatz zwischen gegnerischer und paulinischer Theologie eher schlagwortartig behauptet als theologisch begrndet. Auch in den Kapiteln 10 bis 13 sucht man vergeblich nach einem wirklichen theologischen Dissens zwischen Paulus und den Kontrahenten, so wie er sich etwa im Galaterbrief so deutlich fassen lsst. Die Rede von der „Verkleidung“ der falschen Apostel in echte bzw. der Satansdiener in Diener Christi in 11,13.15 (letaswglat¸fy) liest sich wie ein Zugestndnis an die faktische weitgehende Nichtunterscheidbarkeit der Gegner von Paulus. Der fundamentale Unterschied kann nicht begrndet, er muss polemisch behauptet werden. Dies ist nun abschießend anhand des kurzen Abschnitts 11,1 – 4 zu zeigen. V.1a evekom !me¸wesh´ lou lijqºm ti !vqos¼mgr markiert, neu einsetzend, den Beginn der sog. Narrenrede. Die zunchst als unerfllbarer Wunsch35 stilisierte Aussage wird 11,16 (p²kim k´cy) wieder aufgenommen und gibt mit dem Stichwort !vqos¼mg die Perspektive vor, aus der das Folgende gelesen werden will, nmlich als ein notgedrungenes sich Einlassen des Paulus auf die falschen Maßstbe der Gemeinde. V.1b relativiert das Irreale des Wunsches dahingehend, dass die Gemeinde Paulus selbst36 (lou) 35 So die meisten Ausleger und BDR § 392, 1 Anm. 2. 36 Er „redet hier noch in vollem Ernst; die Maske des %vqym hat er noch nicht umgelegt“, so Windisch, Der zweite Korintherbrief, 318.
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jedenfalls „ertrgt“. V.2 nennt nicht die rechtmßige Begrndung fr solches Ertragen,37 sondern gleichsam eine Erfahrungstatsache, die Paulus zu solcher Gewissheit ermchtigt: Sein Mhen um die Gemeinde lsst diese sich ja immerhin gefallen, und wenn sie sich auch von den Gegnern bisher nicht distanziert hat, so ist doch auch ein Bruch mit Paulus nicht erfolgt. Man hçrt ihm noch zu. Dieses Mhen wird nun freilich bar jeder anfnglichen Bescheidenheit mit dem „Eifer Gottes“ gleichgesetzt. Des Paulus fgkoOm heoO f¶k\, das das atl. Motiv vom „eifernden Gott“ um seine Alleinverehrung aufruft, lsst sein „Handeln […] als Durchsetzung des gçttlichen Anspruchs an die Menschen“38 erscheinen. Die polemische Spitze gegen die Kontrahenten klingt hier bereits an: Paulus „will es nicht zulassen, dass die Gemeinde seinen Widersachern verfllt; deren Wirken versteht er also als ein letztlich auf den Abfall von Gott ausgerichtetes“39. Schon im Alten Testament besteht eine Verbindung zwischen dem „Eifer“ Jahwes und dem Bild der Ehe zwischen Gott und Volk. Paulus wendet dieses Bild auf Christus, spricht aber nicht von Hochzeit, sondern von Verlobung. Sich selbst misst er die Rolle des Brautfhrers zu, der die Gemeinde als Braut Christus als dem Brutigam „zufhrt“ bzw. „prsentiert“. Damit ist ein eschatologischer Akzent gesetzt, denn zur Begegnung zwischen Braut und Brutigam kommt es erst bei der Parusie, und nicht eher endet auch die exklusive Stellung des Paulus als „Brautfhrer“. Dieser Stellung korrespondiert die Exklusivitt des von Paulus verkndigten Christus als des „einen“ Mannes (eXr !m¶q), zu welchem die gegnerische Verkndigung eines „anderen Jesus“ in unversçhnlichen Widerspruch gert. Die Gegner agieren dann eo ipso als „Verfhrer“ wie einst die Paradiesesschlange. Sie bedrohen die „jungfruliche Reinheit“ (V.2b) der Braut. Ihre charakterliche Diskreditierung wird durch den Vergleich mit der pamouqc¸a der Schlange gleich mit erledigt. Die verfhrerische Agitation wird in Ergnzung zum „anderen Jesus“ schlagwortartig als Vermittlung eines „anderen Geistes“ und eines „anderen Evangeliums“ charakterisiert, und zwar in dreifach betontem Gegensatz zum Wirken des Paulus (jgq¼sseim, auf Seiten der Gemeinde: kalb²meim, d´weshai). Warum aber „frchtet“ Paulus, die Gemeinde kçnnte von Christus weg verfhrt werden? Weil sie sich gegenber den Kontrahenten genauso verhlt wie gegenber Paulus auch: Sie „ertrgt“ sie. Sie lsst sich das Eifern 37 So aber Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, 202, c²q in V.2a mit „das ist auch recht, denn […]“ paraphrasierend. 38 Gerber, Krieg und Hochzeit, 115; zu 11,1 – 4 insgesamt ausfhrlich a.a.O., 113 – 123. 39 Wolff, Der zweite Brief an die Korinther, 211.
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des Paulus genauso gern gefallen wie die verfhrerische Agitation der Gegner mit ihrem anderen Christus, Geist und Evangelium. Das Verb !m´weshai bildet somit eine Klammer um den Abschnitt 11,1b–4, der eine konzentrische Struktur aufweist: a b c voboOlai d´ d verfhrte Eva c’ Gegner: Anderer Jesus b’ !m´weshe a’ !m´weshe
Paulus: Ein Mann reine Jungfrau
Die Identitt der Gegner verbleibt mit der Phrase eQ l³m c±q b 1qwºlemor in doppelter Hinsicht im Ungefhren: Erstens wird, was lngst eingetreten ist, durch die konditionale Formulierung als bloße Mçglichkeit eingefhrt, und außerdem werden ebenso wenig wie mit den vorgenannten Anspielungen auf „gewisse Leute“ die Gegner persçnlich fassbar. Dem partizipialen b 1qwºlemor kann man allenfalls entnehmen, dass die Gegner von außen in die Gemeinde gekommen sind, etwa als Wandermissionare. Doch lsst die Formulierung die Mçglichkeit zu, dass Personen aus dieser Gruppe sich der Autoritt des Paulus unterordnen und dann eben nicht „anders“ verkndigen. Wiederum klren sich die Fronten erst im Rezeptionsprozess. Ob man auf der Seite der „Verfhrung“ zu stehen kommt, entscheidet sich ausschließlich an der bereinstimmung mit der paulinischen Predigt. Liegt diese bereinstimmung vor, gibt es keinen legitimen Grund, die Autoritt des Paulus als Grndungsapostel zu bestreiten. Wo sich Widerspruch regt, geht dieser voll zu Lasten der Widersprechenden, die sich allein dadurch, dass sie sich gegen Paulus stellen, als Akteure der Verfhrung zu erkennen geben. Obwohl Paulus in 2Kor 11,1 – 4 fundamentale Differenzen zwischen seiner und der gegnerischen Verkndigung ins Feld fhrt, wird nicht expliziert, worin diese Differenzen genauer bestehen. Die Grçßen %kkor YgsoOr, pmeOla 6teqom und eqacc´kiom 6teqom sind polemische Schlagworte, mehr nicht.40 Vergleicht man die verwandte Formulierung Gal 1,6 letat¸40 Zu den zahlreichen Versuchen, die hinter 2Kor 11,4 stehenden gegnerischen Anschauungen zu rekonstruieren, vgl. Murphy-O’Connor, Another Jesus, 238 – 251 sowie den kurzen berblick bei Wolff, Der zweite Brief an die Korinther, 214 und den Exkurs zu 2Kor 11,4 bei Thrall, A Critical and Exegetical Commentary, 667 – 670. Aber wenn es Paulus auf theologische Differenzen ankam, warum werden diese
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heshe […] eQr 6teqom eqacc´kiom in Verbindung mit Gal 1,8 ja· 1±m Ble?r C %ccekor 1n oqqamoO rl?m eqaccek¸fgtai paM f eqgccekis²leha rl?m, !m²hela 5sty, so fllt die Einmndung des Gedankens von 2Kor 11,4 in das ironische jak_r !m´weshe auffllig schwach und konturlos aus. Paulus hat hier gar
keine theologischen Differenzen auszufechten, sondern seine persçnliche Position in einer polemischen Situation zu festigen. Es gilt, die im kontrren !m´weshai greifbare Indifferenz der Adressaten zu berwinden und sie auf ihre Rolle als polemische Instanz mit Paulus als polemischem Subjekt einzuschwçren. Hinter der in 11,4 namhaft gemachten Sachdifferenz verbirgt sich also wieder nur die in Korinth anhngige Personalie, die Paulus in seinem Sinne entscheiden will.
5. Schluss Polemik ist im 2. Korintherbrief als Strukturmerkmal einer kommunikativen Situation zu fassen, auf die mit den Mitteln brieflicher Rhetorik so eingewirkt werden soll, dass die Adressaten als polemische Instanz die vom Briefverfasser als dem polemischen Subjekt forcierte Konstruktion und Exklusion des polemischen Objekts in Gestalt der Paulusgegner nachvollziehen. Polemisches Thema ist die Legitimitt, Autoritt und Exklusivitt des paulinischen Apostolats, d. h. im Falle des 2. Korintherbriefes thematisiert das polemische Subjekt sich selbst. Durchweg geht es im 2. Korintherbrief um die Person des Paulus, der seine Beziehung zur korinthischen dann im 2. Korintherbrief nicht namhaft gemacht? Wolff, a.a.O., vermutet mit Blick auf den „anderen Jesus“, dass der Gekreuzigte bei den Gegnern nicht die fr Paulus zentrale Rolle gespielt habe, meint dann aber einschrnkend: „Man wird nicht dahinter zurckfragen kçnnen, nach einer fr die Antipauliner besonderen Jesusverkndigung; es bleibt unsicher, ob sie eine solche berhaupt hatten“. Damit schließt er sich der Auffassung von Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, 204 an: „[D]ie Formulierung zwingt berhaupt nicht, an bestimmte dogmatische christologische Lehren zu denken, und gegen solche polemisiert Paulus ja berhaupt nicht. Die Bestreitung des paulinischen Apostolats und die Anmaßung eines falschen Apostolats (V.13 – 15) bedeutet fr ihn schon eine Verflschung des Evangeliums“. Dieser letzte Satz lsst sich m. E. auf alle drei genannten Grçßen (Jesus, Geist, Evangelium) anwenden. In jedem Fall gilt: „A careful reading of 2 Cor. 10 – 13 discloses very little about the group’s theology“, so Bash, A Psychodynamic Approach to the Interpretation of 2 Corinthians 10 – 13, 60 f. Sein psychologisierender Deutungsversuch, Paulus richte seine Aggressionen gegen die korinthische Gemeinde, weil ihm die Gegner aufgrund seiner Unkenntnis ihrer theologischen Position nicht als Aggressionsobjekt zur Verfgung standen, vermag freilich nicht zu berzeugen.
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Gemeinde in einer akuten Krisensituation neu zu begrnden und gegen konkurrierende Ansprche und fundamentale Kritik zu verteidigen sucht. Polemik war daher als Phnomen des 2. Korintherbriefes insgesamt in den Blick zu nehmen und nicht in Beschrnkung auf Passagen, in denen Paulus seine Kritiker und Gegner direkt angreift. Deutlich wurde, dass Paulus das polemische Objekt nicht starr definiert, sondern dessen Konstituierung den Adressaten berlsst. So differenziert die Kriegsmetaphorik in 10,1 – 6 zwischen „niederzureißenden Mauern“ einerseits und „Gefangenen“, die aufs neue der Autoritt Christi unterstellt werden sollen, andererseits. Zu welchen Teilen und bei wem diese Metaphorik eine „destruierende“ oder aber „integrierende“ Wirkung entfaltet, wird dem Rezeptionsprozess anheim gestellt. Die von den Rezipienten zu treffende Entscheidung zwischen Paulus und den Gegnern wird dadurch dramatisiert, dass Paulus in einer Rhetorik des Unbestimmten die geforderte Distanzierung von den Gegnern und die theologisch eingeschrfte Distanzierung von der Sphre des Unglaubens auf eine Weise perspektivisch in einander schiebt, dass beides nicht mehr scharf zu trennen ist. Dies war in 6,14 – 7,1 ebenso zu beobachten wie in 10,1 – 6 (Wiedergewinnung der Gemeinde in der Sprache der Mission) und 11,1 – 4 (Parteinahme der Gemeinde fr die Gegner als drohender „Sndenfall“). Ein Blick auf die Frhphase des Konflikts im 1. Korintherbrief anhand des Passus 1Kor 3,5 – 17 zeigte beispielhaft, wie tief greifend der paulinische Versuch, seine Machtposition zu sichern, die theologische Argumentation bestimmt, ja, dass der exklusive Anspruch des Paulus unmittelbar Theologie generiert. Dass 1Kor 3,15 die Unterscheidung von Person und Werk im Endgericht konzediert, 2Kor 11,15 dagegen zur ultima ratio der Dmonisierung greift, ist allein den unterschiedlichen Konfliktlagen beider Passagen geschuldet. Apollos in 1Kor 3 davon kommen zu lassen, die Gegner von 2Kor 11 dagegen zu verteufeln, ist eine kirchenpolitische Entscheidung, die theologisch fundiert werden muss, nicht aber eine theologische Einsicht, die der kirchenpolitischen Durchsetzung bedarf. Dass der Konflikt im 2. Korintherbrief wenig theologische Substanz hat, lsst der Schlagwortcharakter der in 2Kor 11,4 formulierten Dissenspunkte erahnen. Bemerkenswert ist ja, dass Paulus auch dort, wo es um nichts Geringeres geht als um die Nichtigkeit des Glaubens (1Kor 15,15) oder das drohende Verderben des Bruders, fr den Christus gestorben ist (1Kor 8,11), ganz ohne Polemik auskommen kann. Weder die innergemeindlich konflikttrchtige Opferfleischproblematik noch das theologisch grundlegende Auferstehungsthema lassen Figuren der polemischen Exklusion bestimmter Personen erkennen. Hermeneutisch ergibt sich im Blick auf den polemi-
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schen Grundzug des 2. Korintherbriefes ein ethisches Problem.41 Wird der Theologie dieses Briefes ihr durchgngiges Machtinteresse in Rechnung gestellt, erscheint eine kritische Distanz ratsam, die das paulinische Argument nicht immer schon sachlich im Recht whnt. Zu fragen ist etwa, ob Paulus nicht die Kreuzestheologie des 1Kor in 2Kor 10 – 13 unterboten hat bzw. hinter sie zurck gefallen ist und notwendig zurck fallen musste, wenn er sich in Korinth durchsetzen wollte.42 Die Pointe der Kreuzestheologie in 1Kor 1 – 4 ist nmlich ein tatschlicher Machtverzicht, den Paulus unter Hinweis auf das gçttliche Erwhltsein derer, die nichts gelten (1Kor 1,28), den korinthischen Oberschichtchristen zumutet, eine ethische Figur, die sich durch den ganzen Brief zieht. Im 2. Korintherbrief steht dagegen die Dialektik von Schwachheit und Kraft im Interesse des persçnlichen Machterhalts des Paulus. Derlei Kritik versteht sich nicht destruktiv, noch mag sie sich ber ihren Gegenstand stellen. Ihr Interesse haftet vielmehr an den zahlreichen Teilen des paulinischen Gedankenbaus, die – ¢r di± puqºr – der rhetorischen Dekonstruktion stand halten.
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Gçtzendiener, Tempelruber und Betrger. Polemik gegen Heiden, Juden und Judenchristen im Rçmerbrief Friedrich Wilhelm Horn 1. Polemik im Rçmerbrief – Einfhrung „In der klassisch-antiken Rhetorik existiert keine eigene Gattung P., wohl aber bestimmte Systemstellen, an denen sich Anweisungen fr polemische Texte finden: so im Kontext der Lob- und Tadelrede oder im Zusammenhang der Gerichtsrede; schließlich innerhalb der Lehre von den Redeteilen, zu denen auch die Widerlegung der Gegenmeinung gehçrt.“1 Solche polemischen Texte werden blicherweise und verallgemeinernd auch als eine Invektive angesprochen, obwohl der lateinische Begriff invectiva in der Antike erst seit dem 4. Jh. n. Chr. belegt ist. Im eigentlichen Sinn handelt es sich bei dieser um eine Schmhung einer Person, die sowohl als Teil eines grçßeren Werkes als auch selbststndig, etwa als Gedicht, erscheinen kann. Wolf-Lder Liebermann hat hierzu den Forschungsstand jngst dargestellt und ihr Vorkommen in der klassischen Literatur verfolgt. Wesentlich sind der Bezug zu Lob und Tadel und die mittels der Kontrastbildung gegebene Zuordnung zu einem Wertekodex. Fr Liebermann bleibt allerdings unbefriedigend, „daß weder die konkrete Intentionalitt der I. erfaßt wird, noch die spezielle Form der Identifikation Bercksichtigung findet, welche fr das Publikum angestrebt wird. Im Fall der I. bernimmt der Hçrer/Leser zugleich die Funktion des Richters.“2 Als eine spezielle Ausdrucksform innerhalb der Invektive spricht Severin Koster die Polemik an, in der die Auseinandersetzung in erster Linie der Sache und nicht der Person gilt. Gehe die Polemik allerdings zur ausflligen Anklage gegen die individuellen Vertreter der Sache vor, dann gerate sie leicht in eine bedenkliche Nhe zur 1 2
Braungart, Art. Polemik, 1440. Liebermann, Art. Invektive, 1050. Außerdem: Koster, Die Invektive in der griechischen und rçmischen Literatur. Einen Forschungsberblick bietet Koster, Die Invektive in der griechischen und rçmischen Literatur, 1 – 6.
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Verbalinjurie.3 Im Blick auf die Verwendung der Invektive in christlicher Literatur betont Liebermann wiederum die Verknpfung von ideologischgruppenspezifischer und persçnlicher Schmhung. Freilich geht Liebermann in seinem Beitrag nicht ausfhrlich auf frhchristliches Schrifttum ein, das seit Justins jat± pas_m aRq´seym, vor allem aber seit Irenus 5kecwor ja· !matqopμ t/r xeudym¼lou cm¾seyr ausgeprgt polemische Literatur produziert.4 In der Exegese der neutestamentlichen Texte spielen Polemik und – in Verbindung mit ihr – vermeintliche Gegnerrekonstruktionen eine grundlegende Rolle, was bislang keinesfalls hinreichend gewrdigt wurde. Ob es immer die neutestamentlichen Autoren sind, die den Gemeinden mit Polemik begegnen, oder ob es die Exegeten sind, die in der vermeintlichen Gegnerpolemik ein probates Mittel zur Profilierung der Autorenintention erkannt haben, sei einstweilen dahingestellt. Leicht ließe sich ein berblick erstellen, der fr jeden Brief des Neuen Testaments eine oder bisweilen auch mehrere Gegnerschaften benennt, denen sich die jeweiligen Verfasser gegenbergestellt sahen. Aber auch die Evangelien und die Sendschreiben der Offenbarung des Johannes wren in dieser Hinsicht auszuwerten. Die spezifische Intention der Briefe wird zumeist gerade durch die Verarbeitung und Abweisung der gegnerischen Position gefunden, die damit zur Profilierung der apostolischen Botschaft erst beitrugen. Man wird zugleich vermuten drfen, dass die Verfasser der Briefe auch ihrerseits dazu beitragen, solche Gegnerentwrfe bewusst zu profilieren, und sei es durch absichtsvolle Verzeichnung, um der eigenen Position somit Eindringlichkeit zu verleihen und eine Entscheidungssituation zwischen den jeweiligen Entwrfen zu provozieren. Wer in dieser Gesprchslage eine Mehrheits- oder Minderheitenposition vertritt, wer als Exponent einer Gemeinde auftritt oder wer ihr gegenbersteht, wer, um es in klassischer Weise zu formulieren, Hresie und wer Orthodoxie vertritt, das ist fr den unmittelbaren Abfassungszeitraum der Briefe gelegentlich schwer zu entscheiden.5 Der Verfasser der Johannesoffenbarung scheint den in den Sendschreiben angesprochenen Gemeinden eher mit einer Einzelstimme gegenberzustehen. Seine Pole3 4 5
Koster, Die Invektive in der griechischen und rçmischen Literatur, 30 f. Einen knappen berblick bietet Tschackert, Art. Polemik II. Geschichte und Litteratur. Außerdem: Jacobsen, Ulrich, Brakke (Hg.), Critique and Apologetics. Vgl. die forschungsgeschichtlich knappen, aber interessanten Bemerkungen bei Becker, Paulus, 4. Ausfhrlich: Berger, Die impliziten Gegner. Zur Methode des Erschließens von Gegnern in neutestamentlichen Texten; Sumney, Identifying Paul’s Opponents; zuletzt zum Thema: Theißen, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien.
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mik, stereotyp mit !kk± 5wy jat± soO eingeleitet, belegt die Theologie der Gemeinden mit hresiologischem Inventar und verknpft die eigenen Aussagen mit Droh- und Gerichtsworten. Ich mçchte im Folgenden Braungarts Hinweis aufnehmen und fragen, ob auch im Rçmerbrief die zweifelsfrei vorhandenen polemischen Aussagen an solchen Schaltstellen des Briefs begegnen und welche Funktion sie gegebenenfalls dort einnehmen. Dabei soll am Begriff Polemik an sich zunchst nicht viel liegen, da er keine gattungsspezifische Prgung impliziert. Als polemischer Text soll, im Sinne eines Sammelbegriffs, angesehen werden, was als ausfllige Schmhrede gegen eine Sache oder eine Person oder mehrere Personen bzw. eine Gruppe vorgetragen wird. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf der Wahrnehmung der formalen Gestalt und des verwendeten Vokabulars der Polemik liegen. Es ist etwa zu fragen, ob die konkrete Polemik gattungsmßige Anleihen in der alttestamentlich-jdischen Gerichtsrede oder in griechisch-rçmischen Vorgaben macht oder ob sie wesentlich von aktuellen Erfahrungen geprgt ist. Insbesondere ist auf die breit bezeugte Polemik gegenber paganer Lebensweise in jdischen Quellen der hellenistisch-rçmischen Zeit zu achten, in deren Bahnen sich die urchristliche Verkndigung bewegte.6 Ein Vergleich mit der Abfassungssituation des Briefs an die galatischen Gemeinden soll zunchst die vçllig andere Ausgangssituation des Briefs an die rçmischen Christen verdeutlichen. Die Kommunikationssituation im Galaterbrief ist dadurch bestimmt, dass Paulus Grnder der Gemeinden ist, zwischenzeitlich ber deren Situation nach seiner Abreise durch Informanten Kenntnis erhalten hat und jetzt in seinem Brief an die Gemeinden auf die strittigen Punkte eingeht, die mittlerweile zwischen ihm als dem Gemeindegrnder, der Gemeinde und den anderen Missionaren, die wiederum gegen Paulus vorgehen, bestehen. Die oftmals mit Recht angesprochene polemische Argumentation des Galaterbriefs verdankt sich dieser Ausgangssituation.7 Mit dem Rçmerbrief hingegen tritt Paulus einer Gemeinde gegenber, die er nicht gegrndet hat und die er bislang auch nicht besucht hat (Rçm 1,13). Die sog. Nicht-Einmischungsformel, an die Paulus sich grundstzlich gebunden weiß, nmlich das Evangelium nur dort zu predigen, wo der Name Christi noch nicht bekannt ist (Rçm 15,20b), hat den Apostel in der Ver6 7
Informationsreich ist in dieser Hinsicht die Arbeit von Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘. Frey, Galaterbrief, 207 f. Wischmeyer, Die paulinische Mission als religiçse und literarische Kommunikation, spricht vom Galaterbrief als von einem Kampfbrief, in dem die Polemik vorherrsche (117).
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gangenheit davon abgehalten, nach Rom zu kommen. Diese Formel begrenzt berdies die Mçglichkeiten seiner gegenwrtigen Einflussnahme auf die Gemeinden erheblich. Es ist eine wesentliche Nebenabsicht des Rçmerbriefs, sich als Apostel und seine Theologie vorzustellen, auch gegenber mçglichen Verzerrungen, die Rom bereits erreicht haben. Diese Selbstvorstellung soll auch der erhofften Beteiligung der rçmischen Christen an der geplanten Spanienmission dienen (Rçm 15,24), aber sie kann nicht auf diesen Zweck begrenzt werden. Dem Rçmerbrief ist ber weite Strecken, wenn auch nicht durchgehend, der Charakter einer grundlegenden theologischen Abhandlung eigen. Die Charakterisierungen seines Inhalts als Testament, theologischer Traktat oder als Summe des Evangeliums haben dies zum Ausdruck gebracht. Der Rçmerbrief ist, so Michael Theobald im Blick auf den Galaterbrief, „eine Wiederaufnahme jener Kampfepistel unter neuen Bedingungen“.8 Die polemische Situation des Galaterbriefs, die direkte Konfrontation mit Gegnern und Gemeinde liegt bereits zurck. Auch dies will bedacht sein, um nicht die polemische Kommunikationssituation des Galaterbriefs in den Rçmerbrief zu bertragen. Polemische Ausflle gegen konkrete, mçglicherweise innerhalb der Gemeinde auftretende oder sie doch bald bedrohende Personen bietet der Rçmerbrief ausschließlich in Rçm 16,17 – 20a. Die Stellung und die Aussage dieses Textes im Postskript des Briefes (Rçm 16,1–23) gibt allerdings mehrfach Interpretationsprobleme auf. Literarkritisch ist die Positionierung dieser „Ketzerpolemik“9 zwischen den Schlussgrßen (Rçm 16,3 – 16.21 f.) und dem Gnadenwunsch (Rçm 16,20b) umstritten. Die Sachaussage des Textes steht auf den ersten Blick in keiner Relation zur Botschaft des Rçmerbriefs. Daneben begegnen polemische Aussagen in der einleitenden, argumentativen Entfaltung des Briefthemas (Rçm 1,16f.) in Rçm 1,18–3,20 zunchst im Kontext einer Gerichtsrede gegen die Heiden (Rçm 1,18–32), sodann darauf Bezug nehmend und diese Rede fortschreibend, innerhalb der Gerichtsrede gegen die Juden (Rçm 2,17–24) sowie abschließend in einem Schlusspldoyer (Rçm 3,9–20), in dem die vorangegangenen Anklagen aufgenommen und nochmals gegenber beiden Gruppen, Juden und Heiden, verschrft und in ein Urteil gefasst werden. Diese genannten Texte sind mehrfach Gegenstand ausfhrlicher und grndlicher Untersuchungen 8 9
Theobald, Der Rçmerbrief, 114. Theobald, Der Rçmerbrief, spricht im Blick auf Rçm 16,17–20a vom ,Ketzerschluss‘ (19).
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gewesen und vor allem in den neueren Kommentaren zum Rçmerbrief 10 ausfhrlich besprochen worden. Daher kann im Folgenden auf vieles verwiesen werden. Diese Texte sollen in diesem Beitrag hier recht ausschließlich auf ihr direkt polemisches Inventar untersucht werden.
2. Die Polemik gegen pagane Lebensweise in Rçm 1,18–32 Der Text11 hat eine klare Disposition12 : 1,18
These
Offenbarung des Zornes Gottes
1,19–20
Begrndung
Verweigerung der Gottesverehrung
1,21–23
1. Beleg
Gçtzendienst
1,24
Reaktion Gottes
Auslieferung in Unreinheit in Form sexueller Fehlorientierung
1,25
2. Beleg
Gçtzendienst
1,26–27
Reaktion Gottes
Auslieferung in Leidenschaften in Form sexueller Fehlorientierung
1,28a
3. Beleg
Ablehnung der Gotteserkenntnis
1,28b–31 Reaktion Gottes 1,32
Auslieferung in einen verkehrten Sinn in Form zahlreicher Laster
Urteil und Urteilsspruch
Die rhetorische Kunst dieser Einheit, einer Gerichtsrede13, ist eindrcklich.14 Der Argumentation werden zwei Hauptvorwrfe vorangestellt, das 10 Jewett, Romans; Lohse, Der Brief an die Rçmer; Haacker, Der Brief des Paulus an die Rçmer; Fitzmyer, Romans; Wilckens, Der Brief an die Rçmer; Lgasse, L’ptre de Paul aux Romains; Moo, The Epistle to the Romans; Dunn, Romans; Theobald, Rçmerbrief; Cranfield, Romans. 11 Aus der neueren Literatur verweise ich auf Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘, 370 – 444; Holtz, Damit Gott sei alles in allem, 18 – 25; Bell, No one seeks for God; Horn, Die Herrlichkeit des unvergnglichen Gottes und die Bilder der vergnglichen Menschen. 12 Popkes, Zum Aufbau und Charakter von Rçmer 1,18–32. 13 Anklage, Begrndung und Strafurteil sind dem Text klar zu entnehmen. Auch die Fortfhrung in 2,1 bleibt der forensischen Sprache verpflichtet. Wischmeyer, Rçmer 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit, erkennt die Elemente der klassischen prophetischen Gerichtsrede wieder (263). Deutlicher noch
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Vorhandensein von !s´beia und !dij¸a. Beide werden im Text aufgenommen und expliziert. Der dreifach vorgetragenen Begrndung des Vorwurfs, die angemessene Gottesverehrung verweigert zu haben, wird eine jeweils mit paq´dyjem aqto»r b heºr eingeleitete Reaktion Gottes beschrieben, in der im Sinne einer adquaten Vergeltung die Menschen in ihrer Grundverfehlung festgehalten und bestraft werden. Diese Ansagen des strafenden Handelns Gottes beschreiben und reflektieren freilich das gegenwrtige Verhalten der Menschen, das in seiner verfehlten Ausrichtung bereits als vorweggenommene Strafe verstanden wird. Unbenommen davon endet die Gerichtsrede mit dem Urteil, den Tod verdient zu haben (1,32). Die Grundverfehlung wiederum, in V.19 – 23 ausfhrlich als Vertauschung von ewigem Gott und Abbildern vergnglicher Menschen und Tiere beschrieben, wird im Text aufgenommen und in dem Verb !kk²ssy (1,23) bzw. letakk²ssy (1,25.26) verdichtet. Polemisch ist dieser Text bereits in seiner Einseitigkeit. Scheint er zunchst ausschließlich diejenigen Menschen im Blick zu haben, die durch Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Wahrheit entgegenstehen (1,18), so werden im Schlussurteil nicht nur die faktisch Schuldigen, also die Tter, sondern auch diejenigen, die deren Verhalten widerspruchslos akzeptieren und gutheißen, des Todes verurteilt (1,32). Die Aufnahme und Fortfhrung dieser Gerichtsrede in 2,1 und 3,9 wird sodann dahin fhren, dass die gesamte Menschheit ausnahmslos unter dem Vorwurf der Verweigerung der Gottesverehrung und somit unter dem Urteilsspruch steht, ohne Verteidigung zu sein (2,1). Dieser Text ist polemisch, da ihm jegliche Differenzierung in der Wahrnehmung und Beschreibung fehlt und da er das Verhalten der Menschen grobflchig als eine sexuelle Verwirrung und ein Abgleiten in die Flle jeder Ungerechtigkeit (pepkgqyl´mour p²s, !dij¸ô 1,29a) beschreibt. Aber auch die Einzelargumente der Gerichtsrede treiben Polemik und bewegen sich in den ersten beiden Vertauschungsaussagen in vorgezeichneten Bahnen hellenistisch-jdischer Heidenpolemik. Zunchst stellt Paulus das Vertauschen des unvergnglichen Gottes und des vergnglichen Menschen einander gegenber, wobei die zustzlich genannten drei Tierarten peteim², tetq²poda, 2qpet² (1,23b) den Vorwurf, Geschçpfliches zu verehren, ausdehnen und zugleich illustrieren. Die Auflçsung der prpositionalen Wendung 1m bloi¾lati eQjºmor ist unsicher. Woyke hat eine ausPopkes, Zum Aufbau und Charakter von Rçmer 1,18–32, 499, der darauf hinweist, dass auch in der alttestamentlichen Prophetie die Fremdvçlkerpolemik vorgeschaltet ist und dann plçtzlich auf Israel zielt.
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fhrliche Diskussion vorgetragen und ist zu folgendem Urteil gekommen: „Unter Beachtung aller Befunde muss in Rçm 1,23 eQjºmor als genitivus materiae zu bloi¾lati und vhaqtoO !mhq¾pou als genitivus possesoris zu eQjºmor […] interpretiert werden […]: ,Sie tauschten die dem unvergnglichen Gott eigene Herrlichkeit ein in eine Nachahmung in Gestalt eines vergnglichen Menschen.‘“15 „Die Verwendung sowohl von blo¸yla als auch von eQj¾m zeigt, dass nicht das Material von Kultbildern im Zentrum des Interesses steht, sondern die vçllige Inadquatheit des in ihnen Dargestellten bzw. des durch sie gçttlich Verehrten in Bezug auf die Majestt Gottes.“16 Die zustzliche Nennung der theriomorphen Gçtterdarstellung nach der anthropomorphen verstrkt den Grundgedanken der Inadquatheit nur, wird aber sicher auch auf konkrete, im Judentum bekannte Tierverehrung vor allem in gypten anspielen. Bereits im Aristeasbrief war die Tierverehrung der gypter und anderer Vçlker mit Polemik bedacht worden: „Lohnt es sich da, ber die anderen, noch viel dmmeren zu reden, die gypter und hnlichen (Vçlker), die an Tiere glauben, und dabei noch meistens an Kriech- und Raubtiere, und ihnen opfern, lebendigen wie auch ihren Kadavern?“ (Aristeasbrief 138).17 Die zweite Aussage, die einen Tausch anspricht (1,25), folgt in der ersten Satzhlfte partiell 1,23, bietet aber mit dem Gegensatz von Wahrheit Gottes und Lge einen weiteren Vorwurf an die Adressaten der Gerichtsrede. Die Verkehrung der !k¶heia toO heoO in xeOdor, also der Wahrheit ber Gott18 in eine Lge ber Gott, besteht darin, dass die Differenz von Gott und seiner Schçpfung aufgehoben wird und die Schçpfungswerke zum Gegenstand der Verehrung werden. Diese Verehrung des Geschaffenen anstelle des Schçpfers, der jt¸sir anstelle t¹m jt¸samta, ist als eine geradezu stehende Formel jdischer Heidenpolemik im Werk Philos von Alexandrien zu bewerten.19 14 Die rhetorische Kunst wird dargestellt und gewrdigt bei Wilckens, Der Brief an die Rçmer, 96; Tobin, Paul’s Rhetoric in its Contexts, 104 – 123; Jewett, Romans, 150, 166 und 148: „The first proof in Paul’s argument opens with a rhetorical tour de force, a beautifully balanced thesis statement about the revelation of wrath in 1:18, which is followed by a rationale expressed in four periods with balanced lines.“ 15 Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘, 379. 16 Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘, 379. 17 Zur theriomorphen Reprsentation Gottes: Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘, 381 – 384. 18 Es handelt sich also um einen genitivus materiae, der kognitiv an der Erkenntnis Gottes als des Weltenschçpfers interessiert ist; ausfhrlich dazu und zu denkbaren Alternativen der Auflçsung des Genitivs: Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘, 384. 19 De opificio mundi 7; de Abrahamo 70; de virtutibus 218; de specialibus legibus 2,255 u. ç. Ausfhrlich zur ,Verehrung des Erschaffenen anstelle des Schçpfers‘ als Formel der Heidenpolemik Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘, 386 – 392 und 441, der sei-
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Die Polemik findet neben dieser Beurteilung des Grundfehlers heidnischer Religiositt in den Bahnen jdischer Heidenpolemik auf einer zweiten Ebene statt, die den moralischen Verfall der Heiden beschreibt. Zwar handelt es sich in den mit paq´dyjem aqto»r b heºr eingeleiteten Stzen um bereits zurckliegende und bis in die Gegenwart reichende Auslieferungen oder Preisgaben Gottes, die sich in adquater Weise am Fehlverhalten orientieren und die Menschen in ihrer Fehlorientierung behaften. Gerade aber wegen dieser engen Bezogenheit von Fehlverhalten und Preisgabe sind auch diese drei Textteile (1,24.26f.28b–31) Gegenstnde der Polemik. Angesprochen werden zunchst sexuelle Fehlorientierungen, die Folgen der Auslieferung an die 1pihul¸ai t_m jaqdi_m (1,24) bzw. an die p²hg !til¸ar sind. Im frhjdischen und frhchristlichen Schrifttum besteht eine durchweg negative Konnotation fr 1pihul¸a. Das Gebot oqj 1pihul¶seir fasst in Rçm 7,7 geradezu die gesamte zweite Tafel des Dekalogs zusammen, so dass eQdykokatq¸a und 1pihul¸ai die Verfehlungen schlechthin aus jdischer Sicht darstellen. Paulus tritt hiermit in vorgezeichnete Bahnen jdischer Heidenpolemik ein, die auf den stehenden Vorwurf des Gçtzendienstes und der vorwiegend sexuellen Begierden abzielten, mit denen sich wiederum sexuelle und kultische Unreinheit verband. Sie sind in 1,24 mit dem Stichwort !jahaqs¸a aufgenommen. Unter der Hellenisierung Israels in der Seleukidenzeit wurde diese Polemik entworfen, um unter anderem normative Grundlagen fr das eigene Leben unter der Halacha zu finden.20 Polemisch ist diese Beschreibung paganer Sexualitt, weil sie undifferenziert und allumfassend nichts anderes erkennt als Aufgabe der eigenen Ehre (!til²feim 1,24, !til¸a 1,26) und widernatrliches Verhalten (paq± v¼sim 1,26, !v´mter tμm vusijμm wq/sim 1,27). Man muss natrlich die Frage stellen, was Paulus hier konkret mit ,gegen die Natur‘ im Blick hat. Der von Theobald gefhrte Nachweis ist hierbei zu beachten, dass die Kritik sich vordergrndig natrlich gegen die Homosexualitt und den willentlichen Verstoß gegen das Verbot homosexueller Praktiken durch den Schçpfer
nerseits im Blick auf Philo vermutet, dass „hinter der fast formelhaften paulinischen Formulierung hnliche Assoziationen stehen“ (392). 20 Wilckens, Der Brief an die Rçmer, 110: „Er (Paulus) ist darin einfach abhngig von der religiçs begrndeten jdischen Tradition spontanen Abscheus gegenber der Lebensweise hellenistischer Kultur, der seinen geschichtlichen Ursprung hat in den innerjdischen Auseinandersetzungen seit der Diadochen-Herrschaft zwischen der hellenophil-,progressiven‘ Oberschicht und der schroff antihellenistischen, exklusiv auf die Tradition der Vter sich festlegenden Mittel- und Unterschicht.“
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richtet, mit dem Verweis auf ,gegen die Natur‘ aber speziell auf die Verweigerung abzielt, Nachkommenschaft zu zeugen.21 Als Adressat dieser Gerichtsrede gert durch das in Anspruch genommene Inventar der jdischen Heidenpolemik zunchst und vordergrndig der heidnische Mensch in den Fokus. Allerdings wird man sehr bald zu der Erkenntnis gefhrt, dass bereits diese erste Gerichtsverkndigung gedanklich auf den folgenden Abschnitt zielt. Die Themen, ihre Begrifflichkeit und Motivik werden in 2,1 ff. erneut aufgegriffen.22 Wischmeyer spricht im Blick auf 2,1–10 von einer Folgerede zu 1,18 – 32. Aber neben dem Formalen sind es Sachberlegungen, die Woyke przise erfasst hat: „Allerdings scheint Rçm 1,18 – 32 nur vorbereitenden Charakter auf 2,1 ff. hin zu haben. Damit konterkariert Paulus das hellenistisch-jdische Argumentationsmuster, welches nach der Beschreibung von Polytheismus und Idolatrie der Vçlker bzw. der Menschheit die wahre Gotteserkenntnis und -verehrung des jdischen Volkes herausstellt […]“.23
3. Die Polemik gegen Juden in Rçm 2,17 – 24 In einer rhetorisch eindringlichen Gestalt konfrontiert Paulus in Rçm 2,17–20 das Selbstverstndnis eines Juden mit einer Infragestellung dieses Selbstverstndnisses in Rçm 2,21–24.24 Die Einheit fhrt gegenber dem fiktiven Gesprchspartner den Nachweis, dass sein Anspruch und seine Wirklichkeit empfindlich auseinanderklaffen. Das Selbstverstndnis des jdischen Gesprchspartners wird zunchst mit solchen Aussagen aufgenommen, die das heilsgeschichtliche Privileg reflektieren, sodann aber auch durch Attribute, die eine Vorrangstellung gegenber den Heiden implizieren. Der Ruhm, den der jdische Gesprchspartner bei Gott (2,17) und 21 Theobald, Rçm 1,26 f.: Eine paulinische Weisung zur Homosexualitt? hnlich argumentiert auch Debel, ,Unnatural Intercourse‘ in Rom 1,26 – 27. 22 Holtz, Damit Gott sei alles in allem, 18 – 25. 23 Woyke, Gçtter, ,Gçtzen‘, 444. Ganz hnlich bereits Popkes, Zum Aufbau und Charakter von Rçmer 1,18 – 32, 499: „So lßt sich auch Rçm 1.18 – 32 als juridische Rede im Rahmen eines taktisch-psychologischen Vorhabens prophetischer Art bezeichnen.“ Der Abschnitt sei nur „Vorspann zu dem eigentlichen Anliegen des Paulus, nmlich den Torafrommen der Heillosigkeit zu berfhren“ (499). 24 Aus der neueren Literatur zu diesem Text verweise ich auf Forbes, Comparison, SelfPraise and Irony; Gathercole, Where is Boasting?; vgl. dazu meine Besprechung in ThLZ 129 (2004), 634 – 637; Thorsteinsson, Paul’s Interlocutor in Romans 2; vgl. dazu meine Besprechung in ThLZ 130 (2005), 786 – 789.
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im Gesetz (2,23) zu haben meint, dieser Ruhm wird ihm durch den schrittweise Einzelargumente aneinanderreihenden Nachweis, dass Anspruch und Wirklichkeit sich bei ihm eben nicht decken, entzogen. Mag der Gesprchspartner auch in der Vorstellung leben, den Heiden gegenber einen Vorrang zu haben (2,19f.), so entwindet ihm das abschließende Schriftzitat dieses Selbsturteil, indem es ihm vorwirft, dass durch sein Verhalten der Name Gottes unter den Heiden verlstert werde (2,24). Freilich zielt die Polemik nicht auf jeden Juden oder auf das Judentum allgemein, sondern wendet sich an denjenigen jdischen Gesprchspartner, der im Wissen um den Torabesitz eine Sonderstellung gegenber den Heiden reklamiert.25 Dass dieser Text von Polemik durchsetzt ist und wohl auch vorgegebenen innerjdischen, vielleicht sogar paganen Mustern der Polemik und frhchristlichen Argumentationen gegenber Juden folgt, ist in der exegetischen Literatur mehrfach angesprochen und festgehalten worden. Auch hat dieser Text, vor allem Rçm 2,24, in der Geschichte der Kirche vielfach Anlass zu antijdischer Polemik gegeben.26 Aus den Vorwrfen, wenngleich in sie eingebunden, ragt die Aussage heraus, der jdische Gesprchspartner verabscheue zwar Gçtzen, begehe aber gleichzeitig Tempelraub (2,22). Diese Polemik, in Frageform vorgetragen, „eine grobe, antijdische Verleumdung, auf die man vereinzelt auch bei heidnischen Schriftstellern trifft“27, soll im Folgenden ausfhrlich behandelt werden.28 Dieser an den jdischen Gesprchspartner gerichtete Vorwurf ist der vierte in einer Folge von Vorwrfen, die sich allesamt auf unterschiedliche Lebensbereiche beziehen, in denen Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Eingangs wird stets dem jdischen Selbstverstndnis Ausdruck gegeben, und zwar im Blick auf das eigene Volk, auf die Stellung zur Tora und abschließend mit Blick auf die pagane Welt. Nur in den ersten drei Bereichen stellt Paulus einen sprachlich vermittelten Selbstanspruch (did²sjym, jgq¼ssym, k´cym) der Wirklichkeit des faktischen Lebens gegenber, im 25 Ausfhrlich in diesem Sinn Dunn, Romans, 114. Thorsteinsson, Paul’s Interlocutor in Romans 2, hat mich mit seinem Versuch nachzuweisen, dass der Gesprchspartner in Rçm 2 ein Heide sei, nicht berzeugt. 26 Merkel, Art. Gotteslsterung, 1193; 1197. 27 Theobald, Rçmerbrief, 79. 28 Zum Text: Goppelt, Der Missionar des Gesetzes; Garlington, IEQOSUKEIM and the Idolatry of Israel (Romans 2.22); Krentz, The Name of God in Disrepute: Romans 2:17 – 29; Bell, No one seeks for God, 189 – 191. Goppelts Beitrag ist stark auslegungsgeschichtlich orientiert und fhrt zurck bis in die altkirchliche Exegese des Wortes.
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vierten Anklagepunkt ist das auch denkbar, aber nicht explizit gesagt. Der Gesprchspartner erscheint zunchst als Lehrer Israels, der die Tora verkndet. Im zweiten und dritten Gesprchsgang nimmt Paulus mit dem Verbot des Diebstahls und des Ehebruchs (7. und 6. Gebot des Dekalogs) Teile der Tora auf, sodass das Verhalten des jdischen Gesprchspartners nicht nur durch das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit gezeichnet ist, sondern sich darber hinaus dezidiert gegen die Tora wendet. Abschließend kommt Paulus auf die Verabscheuung von Gçtzenbildern bei gleichzeitigem Tempelraub zu sprechen. Hinter bdekussºlemor ist gedanklich t± eUdyka zu ergnzen. Hier ist der Selbstwiderspruch des Gesprchspartners nicht eindeutig zu fassen, da sich der in diesem Vorwurf vorgetragene Selbstwiderspruch in der Lebenswirklichkeit so nicht direkt wiederfindet oder nur undeutlich eine Abbildung hat. Aber es gehçrt ja zur Polemik, eine unverhltnismßige, die Lebenswirklichkeit wohl aufnehmende, aber doch nicht spiegelnde, sondern bisweilen maßlos ausweitende Anklage vorzutragen. Im Anschluss daran konstatiert Paulus den Widerspruch, dass der Gesprchspartner sich des Gesetzes rhmt, gleichzeitig aber das Gesetz bertritt und damit Gott schndet. In dem Vordersatz des Vorwurfs wird die jdische Verabscheuung der Gçtzen vorausgesetzt. Diese folgt Ex 20,4–6; Dtn 5,8–10 und ist in der jdischen Heidenpolemik in hellenistisch-rçmischer Zeit zum stehenden Inventar geworden (vgl. im vorangehenden Kontext: Rçm 1,23). Schwieriger ist die Interpretation des Nachsatzes, sowohl einerseits hinsichtlich der Frage, auf welchen Sachverhalt die dem jdischen Gesprchspartner vorgehaltene Frage, ob er nicht gleichzeitig Tempelraub vollziehe, zu beziehen ist, und andererseits wie sodann der in diesem vierten und abschließenden Vorwurf zum Ausdruck kommende Widerspruch zwischen Theorie und Praxis aufzunehmen ist. Das ntl. Hapaxlegomenon Reqosuk´y bezieht sich auf das Delikt des Tempelraubs, gelegentlich auch auf das der Tempelschndung (sacrilegium29, vgl. auch den Gebrauch des Adjektivs Reqºsukor in Apg 19,37).30 Gedacht ist an Tempeldiebstahl bzw. Tempelraub, an Entwendung heiligen Eigentums von heiliger Sttte (furtum rei sacrae e loco sacro). Dieser 29 Pfaff, Art. Sacrilegium, 1678: „Man verstand unter s. ursprnglich bloß den Tempeldiebstahl, bezw. den Tempelraub, und entsprach dies Delikt in wesentlichen Punkten der griechischen Reqosuk¸a. In dieser Hinsicht ist zu bemerken, daß es sich hier wie dort um Entwendung heiligen Eigentums, und zwar beweglicher Sachen, aus heiliger Sttte handelte.“ 30 Belege bei Liddell, Scott, Greek-English Lexicon, 822 f.; Schrenk, Art. Reqºr jtk ; Linderski, Art. Sacrilegium.
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Rechtsbruch wird hufig, aber nicht immer, unter Verwendung dieser beiden Begriffe angesprochen (Reqosuk´y und Reqºsukor) und er hat in Reqosuk¸a einen Terminus technicus gefunden. Dieser Sprachgebrauch ist im hellenistischen Judentum aufgenommen worden, sowohl im eigentlichen als auch im bertragenen Sinn, und er hat Eingang in Lasterkataloge gefunden.31 Das Delikt gilt im griechischen, rçmischen und gyptischen Recht als eines der schwersten Verbrechen berhaupt und es wurde mit drastischen Strafen geahndet (vgl. Platons Darlegung des Gesetzes ber den Tempelraub in Leges IX 854–855). Im rçmischen Recht ahndete man den Tempelraub ursprnglich mit der Todesstrafe (Ulpian, Jul. Dig. 48,13,7), in der Kaiserzeit auch mit der aqua et igni interdictio, gelegentlich ist von Verbrennungen und Deportationen die Rede.32 Um den geschichtlichen Ort des von Paulus gegenber Juden vorgetragenen Vorwurfs, Tempelraub zu begehen, genauer zu erfassen, mçchte ich zunchst die Bewertung dieses Rechtsbruchs innerhalb des Judentums darstellen, und zwar zunchst im Blick auf heidnische Tempel. Innerhalb der Tora ist das Verbot, pagane Kultgegenstnde in Besitz zu nehmen, vorgegeben. Diese sollen nicht entwendet, sondern verbrannt werden, keinesfalls aber dem eigenen Kultgebude zugefhrt werden (Dtn 7,25f.). Bereits Schrenk notierte, dass die Rezeption dieses Gebotes im hellenistischen Judentum und sodann auch im rabbinischen Judentum merkwrdig mild sei. Josephus, Antiquitates 4,207 (= 4,8,10) erweitert das Verbot der Beraubung fremder Heiligtmer und die Entwendung von Weihegeschenken irgendeines Gçtzenbildes um den einleitenden Satz: ,Niemand soll die Gçtter schmhen, an die fremde Vçlker glauben‘. Diese milde Haltung des Josephus ist vielleicht auf dem Hintergrund der Tatsache verstndlich, dass er sich an anderer Stelle von dem Vorwurf des Manetho (Contra Apionem 1,249) und des Lysimachos (Contra Apionem 1,310) absetzen muss, Jerusalem sei – wie auch die Etymologie des Namens Jerusalem (Zeqºsuka) zeige (Contra Apionem 1,311) – in der Folge des wiederholten Tempelraubs der Juden außerhalb Judas zu seinem Status gekommen. Josephus schreibt in Contra Apionem 1,249: „Denn sie zndeten nicht nur die Stdte und Dçrfer an und begngten sich auch nicht damit, Tempel auszurauben (ReqosukoOmter) und Gçtterbilder zu vernichten, sondern sie gebrauchten auch die Heiligtmer als Orte zum Braten der (von den gyptern) verehrten heiligen Tiere, zwangen die Priester und Propheten, diese (Tiere) zu opfern 31 Schrenk, Art. Reqºr jtk, 255 f. 32 Ausfhrlich Pfaff, Art. Sacrilegium; Mommsen, Der Religionsfrevel nach rçmischem Recht.
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und zu schlachten, und warfen sie (dann) nackt hinaus.“ Labow geht diesem Vorwurf nach und zeigt, dass in der paganen Welt die Ausraubung heidnischer Tempel durch Juden durchaus vorstellbar war, da diese ohnehin in diesen Tempeln den Ort von Gçtzendienst sahen.33 Daneben existiert auch innerhalb jdischer Gruppierungen der gegeneinander erhobene Vorwurf, den eigenen jdischen Tempel beraubt zu haben. Testamentum Levi 14,1 nennt in einer Priesterpolemik den Raub der fr den Herrn bestimmten Opfergaben und stellt dieser Anklage die weiteren des Diebstahls und der sexuellen Unzucht an die Seite (14,1–6). Ein konkreter Hintergrund dieser Polemik ist nicht auszumachen.34 Ganz hnlich argumentiert die Damaskusschrift, die von drei Netzen Belials spricht, mit denen er in Israel auf Fang ging und die er ihnen vor Augen gestellt hat als drei Arten der Gerechtigkeit: ,Die erste ist die Unzucht, die zweite der Reichtum, die dritte ist die Verunreinigung des Heiligtums.‘ Weitere Belege fr hnlich argumentierende innerjdische Polemik bieten PsSal 1,8; 2,3; 8,12; 0Q CD IV 15–18; VI 15f. Der Vorwurf, Tempelruber zu sein, begegnet in einem Kontext, der auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit abzielt. Insofern ist die oft gestellte Frage, ob die Abscheu paganer Gçtzenbilder nicht durch das Verhalten im Blick auf den eigenen, jdischen Tempel konterkariert wird, nur dann eindeutig zu beantworten, wenn es sich beim Tempelraub um heidnische Tempel handelt.35 Nur dann wrden Abscheu der Gçtzenbilder und Raub derselben in vollem Sinn auf einen eklatanten Selbstwiderspruch hindeuten, da der Jerusalemer Tempel frei von Gçtzenbildern war. Der Text arbeitet mit geprgt polemischem Material, und er ist eingebettet in polemische Anwrfe. Insofern liegt eine zeitgeschichtlich przise Verortung des Vorwurfs auf konkret begangenen Tempelraub fern, auch wenn die Forschungsgeschichte in dieser Hinsicht etliche Haftpunkte gesucht und ge-
33 Ausfhrlich dazu Labow, Flavius Josephus, 314 – 331. Die bersetzung in I 249 folgt der von Labow vorgeschlagenen bersetzung. Apg 19,37 ist vielleicht ein entferntes Zeugnis fr diese Sicht, da der Jude Paulus in Ephesus von dem Verdacht, Tempelruber und Gotteslsterer zu sein, entlastet werden muss. 34 Becker, Die Testamente der zwçlf Patriarchen, 57 Anm. 8. 35 So auch Goppelt, Der Missionar des Gesetzes, 144; Lohse, Der Brief an die Rçmer, 111; ebenso zuvor Strack, Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 113, die im brigen auf eine eklatante Differenz zwischen Theorie (Dtn 7,25f.) und Praxis in rabbinischer Zeit verweisen und Belege fr die erlaubte Nutznießung paganer Kultgegenstnde anfhren.
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funden hat.36 Da aber der Vorwurf, heidnische Tempel auszurauben, eine Vorgeschichte innerhalb der paganen, antijdischen Polemik hat, wendet Paulus hier also einen paganen Vorwurf gegen den jdischen Gesprchspartner und stellt diesen vor das Tribunal des Heiden.37 Innerhalb des rçmischen Rechts wiederum wird der jdische Gesprchspartner durch diese Frage, ob er nicht Tempel ausraube, in den Verdacht gestellt, ein Staatsverbrecher zu sein, und des mçglichen Hochverrates bezichtigt.38 Die Bewertung eines sacrilegium als eines Religionsverbrechens hingegen entsteht erst unter christlichem Einfluss in der spten Kaiserzeit. Der Tempelraub wre vor einem staatlichen Gericht zu behandeln, wenn auch im Einzelnen undeutlich ist, vor welches Gericht genau ein sacrilegium gehçrte.39 Vor diesem juridisch klar definierten Kontext gewinnt die Frage, ob der Gesprchspartner nicht Tempelruber sei, eine extrem polemische Schrfe, ja muss als Verleumdung angesehen werden. Der polemische Gehalt reicht jedoch ber diese Zuspitzung hinaus. Rçm 2,22 schließt sich an polemisches Katalogmaterial an, das durch die Zusammenstellung der drei Laster Diebstahl, Ehebruch, Tempelraub bzw. Gçtzendienst geprgt ist. Paulus hat seinerseits in 1Kor 5,11 in einem Katalog u. a. pºqmor, pkeom´jtgr und eQdykok²tqgr zusammengestellt. Philo, 36 Fitzmyer, Romans, 318: „Thus Paul uses the vb. hierosylein in a figurative sense […]“. Haacker, Der Brief des Paulus an die Rçmer, 75, erwgt hingegen, dass der fiktive Gesprchspartner ein „Vertreter jener Radikalisierung des Bilderverbotes (gewesen sei), die zu seinen Lebzeiten in zelotischen Kreisen propagiert wurde.“ Anders noch Haacker, Art. Reqºsukor, 897: „Vielleicht spielt Paulus auf den Fall einer Veruntreuung von Spenden fr den Tempel von Jerusalem an, der unter Tiberius in Rom çffentliches Aufsehen erregt und antijdische Maßnahmen nach sich gezogen hatte.“ Einzelflle jdischen Tempelraubs hatte bereits Lietzmann, An die Rçmer, 43, zusammengestellt. 37 Garlington, IEQOSUKEIM and the Idolatry of Israel (Romans 2.22), interpretiert hingegen vçllig abweichend von meiner Exegese folgendermaßen: Paulus stelle die Frage, ob seine jdischen Landsleute, die die Gçtzenbilder verabscheuen, nicht selbst der Abgçtterei schuldig sind, nmlich der Vergçtterung des Gesetzes, indem sie es mit ungerechtfertigter Verehrung versehen und ihm eine Dauer verleihen, die in Gottes Plan nie beabsichtigt war. Im Gegensatz zu Israel, das sich selbst als Hter der Traditionen sah und demzufolge an einer unvernderten Tora festhielt, sah Paulus Christus sowohl als das Ziel als auch als das Ende des Gesetzes. Fr ihn war demnach Israels Festhalten am Gesetz unter Ausschluss von Christus nichts weniger als ein Reqosuke?m, ein Akt des Sakrilegs. Es wre fr Paulus unmçglich gewesen, sich etwas Abscheulicheres vorzustellen. 38 Zahn, Der Brief des Paulus an die Rçmer, 139, betont die Anklagesituation sowohl vor dem rçmischen Staatsgesetz als auch vor der Tora (Dtn 7,25f.). 39 Pfaff, Art. Sacrilegium.
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de confusione linguarum 163, kombiniert jk´pteim, loiwe¼eim, !mdqovome?m und Reqosuke?m, und auf Testamentum Levi 14,1 – 6 als weitere Parallele fr diese Kombination wurde bereits hingewiesen. Im Corpus Hermeticum XII 5 werden Ehebruch, Tempelraub und Schlechtigkeit zusammengestellt. Ehebruch und Diebstahl, Diebstahl und Gçtzendienst oder Unzucht und Gçtzendienst sind darber hinaus hufig als Paare oder in einem Katalog neben anderen Lastern bezeugt (1Kor 6,10; Offb 2,14; 9,21).40 Dies bedeutet, dass Paulus relativ verfestigtes, durchweg negativ besetztes Katalogmaterial aufnimmt und dem jdischen Gesprchspartner als Beweis dafr entgegenhlt, dass bei ihm Anspruch und Wirklichkeit, konkret Ruhm des Gesetzes und bertreten des Gesetzes, auseinanderklaffen.
4. Die conclusio in Rçm 3,9 – 20 Die polemischen Spitzenstze der bisherigen Ausfhrungen in Rçm 1,19–3,8 haben der Anklage, dass alle Menschen aufgrund ihres Verhaltens des Todes schuldig sind (Rçm 1,32) und keine Verteidigung haben (Rçm 1,20), zugearbeitet. Denn die polemische berhçhung der Beschreibung menschlichen Lebens in undifferenzierte, pauschale Vorwrfe – die ausnahmslose Hinwendung aller zu Gçtzendienst, Unreinheit, Lge, Unzucht, ja zur Verrichtung des Tempelraubs – dient der Anklage: ,Denn wir haben soeben bewiesen, dass alle, Juden wie Heiden, unter der Snde sind, wie geschrieben steht: Da ist keiner der gerecht ist, auch nicht einer‘ (Rçm 3,9b.10a). Die Polemik ist ein rhetorisch mchtiger Baustein innerhalb der theologischen Argumentation, da sie dazu beitrgt, die Unausweichlichkeit des Urteils ber die Verfallenheit der Juden und der Heiden zu belegen.41 Rçm 3,9–20 bemht im Anschluss daran das Zeugnis der Schrift, um die Anklage der Schuldverfallenheit aller Menschen nicht nur aus der Wahrnehmung und Erfahrung, sondern eben auch aus der Schrift zu belegen.42 Diese Zitatenkette in Rçm 3,10–18 folgt nicht einer bereits vorhandenen 40 Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 175, zu Kol 3,5: „Ihre besondere Bedeutung an unserer Stelle erhlt die Habsucht aber vor allem durch ihre Verbindung mit den sexuellen Lastern und durch ihre Gleichsetzung mit dem Gçtzendienst.“ Auf den Zusammenhang mit Lasterkatalogen wies bereits Goppelt, Der Missionar des Gesetzes, 144 f., hin. 41 Hays, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, 46 – 51, handelt ber die theologische Verwendung der Schriftzitate im Kontext von Rçm 1 – 3. 42 Dem Abschnitt Rçm 3,9–20 eignet somit der Charakter einer conclusio; so Theobald, Der Rçmerbrief, 61.
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schriftlichen Vorlage, ist aber wohl auch nicht im Zusammenhang der Abfassung des Rçmerbriefs hier erstmals formuliert worden. Eduard Lohse vermutet eine Vorgeschichte dieser Zitatenkombination in der mndlichen Unterweisung des Paulus.43 Die Abfolge orientiert sich mçglicherweise an den Gliedern des menschlichen Kçrpers, da Rachen, Zunge, Lippen, Mund, Fße und Augen nacheinander mittels der Zitate bedacht werden. Das Ziel der Zitatenkombination liegt in dem Urteilsspruch o»j 5stim oqd³ eXr, der fnfmal wiederholt wird und der die allgemeine Verfallenheit festhlt. Dass hier die Schrift im Dienst der Polemik gebraucht wird, ist angesichts der Themen der Zitate eindeutig. Es werden Betrug, Fluch, Gewalt, evtl. Mord, fehlende Friedensbereitschaft und fehlende Gottesfurcht unterstellt. Gerade die beiden letztgenannten Attribute werden auf dem Hintergrund ihrer Rezeption im rçmischen Christentum Aufmerksamkeit beanspruchen, da sie den Idealen der pax Romana und der religio Romana zuwiderlaufen.
5. Die ,Ketzerpolemik‘ in Rçm 16,17 – 20a Einige Bemerkungen zu textkritischen und literarkritischen Problemen des Briefabschlusses sind voranzustellen.44 Nach den Grußauftrgen mit abschließendem Zeichen des Heiligen Kusses (16,3 – 16a) und dem çkumenischen Gruß (16,16b) folgt eine maßlose Polemik gegen ,Ketzer‘, deren Lehre sich von derjenigen unterscheidet, die in der rçmischen Gemeinde Geltung besitzt (16,17–20a). Im Anschluss daran ist der Gnadenwunsch zu lesen (16,20b) sowie Grße einzelner Personen (16,21–23). Ein weiterer Gnadenwunsch in 16,24 fehlt bei wesentlichen alten Textzeugen.45 Hieran schließt sich eine Doxologie mit abschließendem Amen an (16,25–27). Sowohl die textliche Bezeugung der einzelnen Teile, damit verbunden die Frage nach dem ursprnglichen Schluss des Rçmerbriefs, als auch die Absicht der Polemik innerhalb des Schlussteils werden seit jeher intensiv diskutiert. Hinsichtlich der sog. Ketzerpolemik in 16,17 – 20a gibt zu denken, dass diese Verse in der handschriftlichen berlieferung vçllig eindeutig Teil des Rçmerbriefs sind, hinsichtlich des Inhalts und seiner sprachlichen Ge43 Lohse, Der Brief an die Rçmer, 123; Jewett, Romans, 254, hingegen: „The catena probably originated in a Jewish milieu […]“. 44 Ausfhrlich dazu Theobald, Der Rçmerbrief, 10 – 27; Mller, Vom Schluß zum Ganzen. 45 Vgl. das Schaubild bei Wischmeyer, Rçmerbrief, 242 – 244; ausfhrlich zur epistolographischen Gestalt des Briefschlusses: Mller, Vom Schluß zum Ganzen, 212.
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stalt jedoch, an dieser Stelle im Briefganzen zumal, fr etliche Exegeten einen unpaulinischen Eindruck machen. Ob also dieser Abschnitt eine sekundre Erweiterung des Rçmerbriefs, eine Interpolation oder Glosse von spterer Hand darstellt46 oder ob es sich um einen integralen Bestandteil des Schreibens handelt47, wird bis in die jngste Gegenwart unterschiedlich beantwortet. Zuletzt hat Jewett in seinem Kommentar ausfhrlich die Argumente fr die These einer Interpolation zusammengetragen. Sie sollen hier kurz benannt, gleichzeitig aber doch mit kritischen Einwnden versehen werden: a) Rçm 16,17b–20 unterbreche die Schlussgrße empfindlich und der Wechsel im Tonfall sei unerklrlich. Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass Paulus zwischen 16,3 – 16 und 16,21 – 23 einen Perspektivwechsel von den zu Grßenden zu denen, die grßen, vornimmt. Die Ketzerpolemik bleibt gedanklich ein letztes Mal bei der rçmischen Gemeinde und ihrem Wohlergehen, setzt mçglicherweise wegen des Hinweises auf den Heiligen Kuss sogar die gottesdienstliche Versammlung der Gemeinde voraus, bevor Paulus die Grße des Abfassungsortes nennt. Auch in Gal 6,11–17 wechselt Paulus vor dem Schlussvers des Briefes unvermittelt ber in eine schroffe Polemik. Verhaltensanweisungen gegenber Abweichlern begegnen nahezu stereotyp am Ende etlicher, zugestanden berwiegend jngerer neutestamentlicher Briefe, jedoch nicht ohne Vorstufen in den paulinischen Briefen.48 Denkbar ist auch, dass die Polemik an dieser Stelle formgeschichtlich als Parallele zu der Anathema-Formel zu verstehen ist (vgl. 1Kor 16,22)49. b) Rçm 6,17 habe der rçmischen Gemeinde einen Gehorsam gegenber der empfangenen Lehre attestiert, whrend Rçm 16,17 plçtzlich vor einer oppositionellen Gruppe innerhalb der rçmischen Gemeinde warne. Dagegen ist mit Lampe50 einzuwenden, dass aus Rçm 16,17 keinesfalls hervorgeht, 46 So Theobald, Der Rçmerbrief, 19; sehr ausfhrlich bereits zuvor ders., Rçmerbrief, 249 – 253; Jewett, Romans, 985 – 996, vor allem auch 986 Anm. 5; Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 139 f. 47 Lohse, Der Brief an die Rçmer, 411 f.; Mller, Vom Schluß zum Ganzen, 217 – 219; Lampe, The Roman Christians of Romans 16, 221; Schreiber, Der Rçmerbrief, 285 f. 48 Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, 142 – 144 (§ 43 Der parnetische Ketzerschluß in Briefen). 49 Michel, Der Brief an die Rçmer, 479; Wilckens, Der Brief an die Rçmer, 139. 50 Lampe, The Roman Christians of Romans 16, 221: „The harsh tone is not directed against the Roman church […]. The sharp polemic is directed against third persons: against possible heretics not belonging to the Roman church but maybe planning to infiltrate it.“ Ebenso Wilckens, Der Brief an die Rçmer, 143. Auch Haacker, Der Brief des Paulus an die Rçmer, 362, spricht von einer prophylaktischen Warnung.
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dass die Abweichler Mitglieder der rçmischen Gemeinde sind. c) Rhetorik und Vokabular des Abschnitts entspreche nicht dem blichen paulinischen Stil, verrate hingegen eine erhebliche Nhe zur Gegnerpolemik der Pastoralbriefe und der Ignatiusbriefe.51 Allerdings zeigt Rçm 16,19 eine große Nhe zu Rçm 1,8 und muss nicht notwendig als gezielte sekundr eingefgte Anspielung interpretiert werden.52 Zur Vorsicht im Urteil mahnt der Sachverhalt, dass Paulus in Rçm 16,18 dem Inventar der Gegnerpolemik (vgl. Phil 3,19) gleichwie in Rçm 16,19b.20 apokalyptischen, also traditionellen Vorstellungen folgt und dass er sich eventuell sprachlich durch diese Vorgaben leiten lsst. d) Es sei undenkbar, dass nach dem Austausch des heiligen Kusses in der Gemeindeversammlung (Rçm 16,16a) zu solcher Polemik gegen Gemeindeglieder ausgeholt werde. Allerdings kann dieses Argument auch ins Gegenteil gesetzt werden, wenn man bedenkt, dass die Gegner ja nicht zwangslufig Glieder der Gemeinde sind. Dann nmlich erhlt die in der Gemeindeversammlung vorgetragene Warnung vor mçglichen Spaltern eigentlich erst rechten Sinn und trgt zum Zusammenhalt der Gemeinde bei. Theobald verweist berdies, meines Erachtens in einer berinterpretation des schmalen Befundes, auf die Differenz in der Verwendung des Begriffs didaw¶, der in Rçm 6,17 als Taufkatechese und in Rçm 16,19 allgemein als Glaubensnorm belegt sei.53 Wenn man diesen Gegenargumenten folgt und den sog. Ketzerschluss als integralen Bestandteil des Rçmerbriefs aufnimmt sowie die ohnehin problematische These einer Glosse verwirft, dann muss der Text auch im Kontext der Abfassungssituation dieses Briefes interpretiert werden.54 Keinesfalls aber stellt dieser Teil dann eine nachtrglich eingeschobene Interpolation in sachlicher Nhe zu den Pastoralbriefen dar, noch ist er Appendix eines Schreibens an die Gemeinde zu Ephesus, da Rçm 16 nicht, wie in
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Schnelle erkennt in seiner presidential address, vorgetragen auf dem Colloquium Biblicum Lovaniense 2007 mit Blick auf Rçm 16,17 – 20 eine „militante Gegenmission“, die sich auch in Rom breitmache (ders., Der Rçmerbrief und die Aporien des paulinischen Denkens, hier 6). Hapaxlegomena sind: 1jjk¸meim (aber in 3,12 im Zitat), wqgstokoc¸a, %jajor, !vijme?shai, sumtq¸beim, 1m t²wei, eqkoc¸a. Unpaulinisch (nach Jewett, Romans 987) sei douke¼eim t` juq¸\ Bl_m Wqist` sowie der Gebrauch des Futurs sumtq¸xei anstelle des Optativs. Theobald, Rçmerbrief, 253. Theobald, Rçmerbrief , 251. Schreiber, Der Rçmerbrief, 286: „Die exegetische Herausforderung besteht in der Frage, welche Personen Paulus bei dieser Polemik vor Augen standen, was auf die geschichtlich-konkrete Seite der Kommunikationssituation aufmerksam macht.“
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Zeiten ausgeprgter Literarkritik gerne angenommen wurde55, als eigenstndiger Brief betrachtet werden kann.56 Aus der Mahnung in Rçm 16,17f. geht keineswegs hervor, dass sich die Falschlehrer bereits jetzt, zur Abfassungszeit des Briefes, in der rçmischen Gemeinde befinden. Der Artikel to»r vor t± diwostas¸ar […] poioOmtar deutet wohl auf eine klar definierte Gruppe hin, aber doch wohl eher am Horizont der Gemeinde. Vor ihnen soll sie sich in Acht nehmen (sjope?m in diesem Sinn auch in Phil 3,17; Gal 6,1; vgl. auch in entsprechender Funktion bk´pete in Phil 3,2). Spekulationen ber das exakte Profil dieser Gruppe sind vom Text her mßig: Es wird nicht mehr angezeigt, als dass diese Gegner in einem Gegensatz zu derjenigen Lehre stehen, die in der rçmischen Gemeinde in Geltung ist, und dass sie durch ihr Auftreten Spaltungen herbeifhren werden. Dass Paulus sich auch von seinen jngst zurckliegenden Erfahrungen mit judenchristlichen Gegnerschaften in Galatien und Korinth leiten lsst und berdies die in Rçm 15,30f. angesprochene, ihn in Jerusalem erwartende Feindschaft im Blick hat, sollte wahrscheinlich sein.57 Eine Nhe zur Gegnerbeschreibung in Phil 3,19 besteht durchaus. Um diesen gewnschten Gegensatz zu den mçglicherweise auftretenden Gegnern zu verstrken und um die Verbindung zur Gemeinde zu festigen, fgt Paulus eine polemische Beschreibung an, die die Gegner als selbstbezogen darstellt und sie als Verfhrer inkriminiert. Es mçgen durchaus christliche Missionare gewesen sein, da sie auf der Ebene des douke¼eim (vgl. Paulus als doOkor WqistoO in Rçm 1,1) beurteilt werden. Ihr Dienst wird allerdings nicht als christusbezogen bewertet, sondern als selbstbezogen. Mit t0 2aut_m joik¸ô douke¼eim nimmt Paulus eine stehende Abqualifizierung auf (vgl. schon 3Makk 7,11 ber jdische Apostaten). Bereits in Phil 3,19 hatte er die avisierten Gegner mit diesem polemischen Inventar belegt (b he¹r B joik¸a). Gedacht ist wohl daran, dass diese Menschen auf ihren Gewinn aus sind (vgl. dazu wieder innerhalb der Gegnerpolemik: 2Kor 2,17f.; 11,20; 55 Schmithals, Die Irrlehrer von Rçm 16,17–20, kommt zu vçllig anderen Ergebnissen, da er sowohl in der Literarkritik des Rçmerbriefs als auch in der Bestimmung des Antipaulinismus andere Wege beschreitet. 56 Gegen diese Sicht etwa Donfried, A Short Note on Romans 16. 57 berzeugend Wilckens, Der Brief an die Rçmer, 143 – 145. Daher sprach Zahn, Der Brief des Paulus an die Rçmer, 611, bereits von einer durch den Blick auf die anderen, auf alle Gemeinden (Rçm 16,16b) gelenkten Digression. Demgegenber betont Lohse, Apostolische Ermahnung in Rçm 16,17–20, die Gestaltung des Briefschlusses mit traditionellen Elementen, zu denen auch die Ermahnung in Rçm 16,17 – 20 zhle. Die Mahnung sei im Bedarfsfall sowohl auf Judaisten als auch auf Libertinisten zu beziehen (95).
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Tit 1,10f.), mçglicherweise wird aber auch – grob abqualifizierend – in Analogie zu Phil 3,19 ein triebhaft58 gesteuertes Verhalten unterstellt. Es ist Teil der Polemik, das mçgliche zuknftige Auftreten dieser Gegner bereits jetzt vollstndig zu desavouieren. Paulus unterstellt ihnen List und Betrug, die mittels schçner, prchtiger Rede vorgetragen werden und, darin besteht die Gefahr, unkritisch von den rçmischen Christen als arglos Denkenden aufgenommen werden. Die Wortgruppe 1napat²y (Rçm 16,18; 2Thess 2,3; sowie im Blick auf die Paradiesesschlange Rçm 7,11; 2Kor 11,3; 2Tim 2,14), !pat²y (Eph 5,6), !p²tg (Eph 4,22; Kol 2,8; 2Thess 2,10; 2Petr 2,13) gehçrt zum hresiologischen Inventar des Neuen Testaments. Der Bezug zur Tuschung durch die Schlange im Paradies wird im genannten Wortstamm immer mitgehçrt, was der List und dem Betrug dmonische Zge verleiht. Blickt man bereits voraus auf Rçm 16,20 und die Erwhnung des Satans als endzeitlichen Gegenspieler der Gemeinde, dann werden die Gegner „als Funktionre des Teufels zu gelten haben.“59 Die Attribute der Tuschung (1napat÷m in Rçm 16,18) und des Bçsen (t¹ jajºm in Rçm 16,19) stellen sozusagen die Brcke zwischen Gegnern und Satan her, da diese Attribute hufig auch fr den Satan bzw. die Paradiesesschlange belegt sind. Es gehçrt unbedingt zum verfhrerischen, ja teuflischen Charakter des Auftretens dieser Missionare, dass deren Gestalt unter falscher Etikette erscheint. Dies wird weniger im Gapaxlegomenon wqgstokoc¸a erkennbar,60 dem das Attribut der Scheinheiligkeit und der Schmeichelrede anhaftet, als an eqkoc¸a, welches ja im brigen durchweg positiv besetzt ist, sogar das Auftreten des Apostels charakterisieren kann und allgemein den Segen benennt (Rçm 15,19; 2Kor 9,6 u.ç.).61 Mit dem Rçmerbrief unternimmt Paulus den Versuch, die ihm bislang unbekannte Gemeinde fr sich, seine Theologie und seine Missionsplne zu gewinnen. Da die zu58 So Michel, Der Brief an die Rçmer, 480 f.; Jewett, Romans, 991, mit Verweis auf Philo, legum allegoriae 3,115, und der hier zum Ausdruck kommenden dualistischen Anthropologie und ihrer Abwertung der joik¸a. Es geht freilich gegen Schmithals, Die Irrlehrer von Rçm 16,17 – 20, 168, nicht an, von dem Gebrauch der Metapher joik¸a auf eine libertinistische, gnostische Bewegung zu schließen und zu folgern: „Nur sie kann also in Rçm 16,18 bekmpft sein.“ 59 Wilckens, Der Brief an die Rçmer, 143. 60 Dieses Wort begegnet hier erstmals in der antiken Literatur: Jewett, Romans, 992; ThWNT IX (1973) 481; EWNT III (1983) 1137 f.; dazu auch North, ,Good Wordes and Faire Speeches‘ (zu seiner Erklrung von wqgstokoc¸a wiederum Haacker, Der Brief des Paulus an die Rçmer, 364, und Jewett, Romans, 992. 61 Jewett, Romans, 992: „Taken together, the expression ,sweet talk and well-chosen words‘ is a rhetorical hendiadys that reinforces the idea of misusing rhetorical gifts to mislead and corrupt others.“
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rckliegenden Jahre missionarischer Arbeit durchweg auch von einem Antipaulinismus begleitet waren, muss die scharfe Polemik in Rçm 16,17–20a auch als Versuch verstanden werden, die rçmische Gemeinde mçglichst weitgehend von diesem bereits sie erreicht habenden oder ihr drohenden Antipaulinismus fernzuhalten. Paulus seinerseits bekrftigt zwar die vollstndige Akzeptanz der in Rom vorherrschenden Theologie (Rçm 6,17; 16,17b), gibt ihr mit seinem Brief allerdings eine deutliche, von seinem Denken her geprgte Frbung.
6. Auswertung Polemisch werden die Ausfhrungen des Rçmerbriefs an drei Stellen und dies gegenber unterschiedlichen Gesprchspartnern. Whrend die Beschreibung paganen Lebens in Rçm 1,18–32 im Wesentlichen noch in vorgezeichneten Bahnen jdischer Polemik verluft, gipfelt die Anklage des jdischen Gesprchspartners in Rçm 2,17–24 in der polemischen Frage, ob er nicht nur die Tora missachte, sondern sich berdies als jemand, der Reqosuk¸a (sacrilegium) begeht, des Hochverrats schuldig mache. Da dieses Delikt im griechischen und rçmischen Recht als eines der schwersten Verbrechen berhaupt galt, muss schon die Frage, ob der jdische Gesprchspartner ein Tempelruber sei, als schwere Verleumdung betrachtet werden. Mçglicherweise aktiviert Paulus hier bewusst einen paganen antijdischen Vorwurf. Die sog. Ketzerpolemik in Rçm 16,17–20a, die hier als integraler Bestandteil des Rçmerbriefs gelesen wird, beschreibt die von der in der rçmischen Gemeinde und der Sicht des Paulus verbindlichen Lehre abweichenden judenchristlichen Missionare in polemischer Abwertung als triebgesteuerte, betrgerische Agenten des Satans. Man darf die Polemik des Paulus im Rçmerbrief nicht ausschließlich in historischer Perspektive nachzeichnen, ohne sich gegenwrtig theologisch dazu zu verhalten. Diese Verleumdungen und Verbalinjurien stellen inakzeptable Grenzberschreitungen dar, die keinesfalls damit zu rechtfertigen sind, dass sie letztlich der Wahrheit des Evangeliums dienen oder dass sie nur bereits bestehende, akzeptierte antike Muster aufnehmen und fortschreiben. Abgrenzungen gegenber andersdenkenden Menschen sind oftmals in der Sache geboten. Hierbei wird es dann darum gehen mssen, die strittigen Sachfragen zu besprechen, ohne die jeweiligen von der eigenen Position abweichenden Menschen polemisch in der Erwartung anzugreifen, ber eine personenbezogene Polemik eine Sachentscheidung herbeifhren zu kçnnen. Was die judenchristlichen Missionare, die Paulus in Rçm
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16,17–20a attackiert, gelehrt haben, wird im Rçmerbrief nicht gesagt. Die Polemik bezieht sich ausschließlich auf die Personen und umgeht jegliche Sachauseinandersetzung. Sie ignoriert berdies, dass auch diese christlichen Missionare zur Kirche zhlen, und sie missachtet den Grundsatz des in der Kirche gebotenen geschwisterlichen Umgangs. Die Polemik gegenber Juden, zwar in Frageform vorgetragen, in der Sache aber denunzierend, erhebt einen schweren Vorwurf und kriminalisiert den Gesprchspartner. Dass solche Vorwrfe in der Geschichte rezipiert, antijudaistisch ausgebaut und somit eine Grundlage fr weitere Angriffe wurden, gehçrt zur bedenklichen Nachgeschichte der Polemik des Rçmerbriefs.
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Polemik und Autobiographie. Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2 – 4a Eve-Marie Becker 1. Phil 3,2 – 4a im Kontext des Philipperbriefes In Phil 3,2 – 4a findet sich eine der schrfsten Formen paulinischer Polemik: „2 Schaut auf die Hunde, schaut auf die schlechten Arbeiter, schaut auf die Zerstckelung. 3 Wir nmlich sind die Beschneidung – die wir im Geist Gottes dienen und uns in Christus Jesus rhmen und nicht auf unser Fleisch vertrauen, 4a obgleich ich auch auf das Fleisch Vertrauen haben kçnnte.“
Die paulinische Polemik besteht hier darin, Widersacher als mçgliche Gegner oder Konkurrenten zu bezeichnen, von denen Paulus sich selbst und seine Adressaten abzugrenzen sucht. Er belegt diese Personengruppen mit negativer, teils aggressiver Semantik (,Hunde […], schlechte Arbeiter […], Zerstckelung [statt Beschneidung]‘). Die ungewçhnliche Schrfe dieser Polemik verlangt nach einer Deutung, die nicht nur die Sprache, sondern auch die Stellung des Textes im Kontext des Philipperbriefes in den Blick nimmt. Der folgende Beitrag wird die polemische Passage in erster Linie im Zusammenhang mit dem autobiographisch geprgten Mikrokontext (Phil 3,4bff.) betrachten und von daher die Funktion der Polemik im Argumentationsgang in Phil 3 bestimmen. Dabei ist auch die Makrostruktur des Gesamtbriefes zu betrachten. Die Forschung hat nmlich immer wieder gezeigt, dass die Deutung von Phil 3,2 – 4a eng mit der Interpretationen des Philipperbriefes als Gesamtbrief in Zusammenhang steht, ja sogar eine zentrale Rolle fr seine einleitungswissenschaftliche Erschließung spielt. Phil 3,2 – 4a gehçrt so gesehen gemeinhin zu den Schaltstellen oder Schlsseltexten des Philipperbriefes.
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1.1. Phil 3,2 – 4a und die Frage der literarischen Einheitlichkeit des Philipperbriefes Im bergang von Phil 3,1 zu 3,21 wird vielfach ein ,Stimmungsumschwung‘ erkannt, der literarkritische Fragen aufwirft2. Da sich der Mikrokontext in 3,1 vor allem in semantischer Hinsicht (V. 1: wa¸qete […] oqj ajmgqºm […] !svak´r) inkohsiv zu 3,2 (z. B.: bk´pete to»r jajo»r 1qc²tar) zu verhalten scheint3, ist zu fragen, ob sich Phil 3,2 – 4a hier an originrer Stelle befindet oder ob wir bei dem uns vorliegenden kanonischen Philipperbrief mit einer Brief-Kompilation zu rechnen haben. Demnach htte eine spterer Abschreiber oder Redaktor4 den Abschnitt zufllig oder intentional an der vorliegenden Stelle im Gesamtbrief platziert. Whrend Ernst Lohmeyer und Ulrich B. Mller von der literarischen Einheitlichkeit des Briefes ausgehen und den Stimmungsumschwung in Phil 3,2 z. B. mit Hilfe der Annahme einer „Diktatpause“ deuten5, ordnen Wolfgang Schenk und hnlich Nikolaus Walter, Lukas Bormann oder zuletzt auch John Reumann Phil 3,2 – 21 oder 3,2 – 4,3.8 f. dem sog. ,Warnbrief C‘ zu, der mit der Abwehr jdischer Agitatoren befasst sei6. Joachim Gnilka geht nur von einer Zweiteilung des Philipperbriefes aus und rechnet Kap. 3 dann einem sog. ,Kampfbrief B‘ zu7. Bei diesen oder hnlichen Teilungsmodellen wird die Polemik in Phil 3 als eine konkrete Gegner-Polemik und damit als ein gewichtiges und eigenstndiges Brief-Thema gewertet8, das sogar zur Re1 2 3 4
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Zur Frage der Zusammengehçrigkeit von Phil 3,1 und 3,2 s. auch unter 2.1. Vgl. zur bersicht: Gnilka, Der Philipperbrief, besonders: 7 f. Zuletzt z. B. Reumann, Philippians, 8 – 13; Bormann, Philipperbrief, 226 – 227. S. aber unten unter 2.1. Zwischen den Funktionen des Abschreibens und der redaktionellen Bearbeitung von Paulus-Briefen ist zu unterscheiden: Vgl. Becker, Schreiben und Verstehen, besonders: 78 ff. – Zur bersicht ber die traditionellen Redaktionstheorien vgl. Reumann, Philippians, 15. Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, 8; Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, besonders: 12. Vgl. Schenk, Die Philipperbriefe des Paulus, 291 ff.; Walter, Der Brief an die Philipper, 9 – 101, 20; Bormann, Philippi – Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus, 87 – 118; ders., Philipperbrief, 227; Reumann, Philippians, z. B. 3 und 17. – Zur bersicht ber die Kompilationstheorien vgl. auch Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 8. Vgl. Gnilka, Der Philipperbrief, 10. Dieser Brief beinhaltet Phil 3,1b–4,1.8 f. Anders z. B. Brucker, ,Christushymnen‘ oder ,epideiktische Passagen‘?, 297 f., der ausgehend von einer rhetorischen Gliederung des Philipperbriefes den Abschnitt in 3,1 – 21 als Wiederaufnahme der propositio in 1,27 – 30 versteht: „Dabei stellt v. 1 eine berleitung dar, die zum eigentlichen Gegenstand zurcklenkt (%vodor/
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konstruktion eines ursprnglich selbstndigen Briefes bzw. Briefteiles fhrt: Das Auftreten von Gegnern in Philippi habe Paulus dazu veranlasst, mit ebendieser situativen Polemik zu reagieren und einen solchen ,Warnbrief‘9 zu schreiben. Walter erklrt den in der uns vorliegenden Brief-Kompilation immer noch erkennbaren ,Stimmungsumschwung‘ zwischen Phil 3,1 und 3,2 dann damit, dass hier „ein Stck einleitender Text weggefallen“ sein muss10. Die literarkritische Diskussion ber die Einheitlichkeit oder die Kompilation des Philipperbriefes soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Fr die Deutung von Phil 3,2 – 4a indes ist zweierlei wichtig: Zunchst ist allgemein unbestritten, dass weder diese drei Verse selbst noch die sich hieran anschließende autobiographische Rede zwei unterschiedlichen Briefteilen zuzurechnen sind: 3,2 – 16 befinden sich vielmehr in jedem Fall in einem Briefzusammenhang. Damit werden literarkritische Fragen fr die Deutung von Phil 3,2 – 4a und 3,4bff. selbst zweitrangig. Eine exegetische Analyse von Phil 3,2 – 4a im Mikro- und Makrokontext des Briefes wird dann aber zu prfen haben, wie sich der Textabschnitt in seinen Mikrokontext (Phil 3,1.4b) einfgt, wie er sich zur Polemik in 3,18 f. verhlt und ob sich die polemischen Passagen in Phil 3 sinnvoll in den bergeordneten Argumentationszusammenhang des Gesamtbriefes (Kap. 1 – 4) einbinden lassen. Sollte speziell die paulinische Polemik in 3,2 – 4a ein solch eigenstndiges thematisches Gewicht haben, dass sie sich dem Makrokontext des Briefes nicht zuweisen lsst, so kçnnte in der Tat die Annahme eines selbstndigen, in Phil 3,2 oder 3,1 beginnenden Briefteiles literarkritisch notwendig werden.11 transitio), whrend 3,2 – 4a als Proçmium des neuen Abschnitts erneut die Aufmerksamkeit der Adressaten zu wecken sucht“, a.a.O., 297. 9 Zur Frage, ob hier berhaupt eine Warnung vorliege, s.u. 1.2. 10 Walter, Der Brief an die Philipper, 74. 11 Ich mçchte mich an dieser Stelle nicht auf die eine oder andere Beurteilung festlegen, sondern verstehe diese Frage zunchst als Problemanzeige. – Grundstzlich aber gilt im Blick auf diese und andere umstrittene Fragen, was Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, 8 speziell zur Wrdigung von Thesen zur Bestreitung der Echtheit des Philipperbriefes (Baur, Paulus, der Apostel Jesu Christi, 58 – 94) oder auch zur Wrdigung von Kompilationsmodellen (seinerzeit z. B. Clemen, Einheitlichkeit der paulinischen Briefe an der Hand der bisher mit bezug auf sie aufgestellten Interpolations- und Compilationshypothesen, 133 ff.; Weiß, Das Urchristentum, 296 f.) so formuliert hatte: Ihr „unleugbarer Wert“ besteht darin, „dort Fragen gestellt zu haben und zu stellen, wo man gewçhnt war, keine Fragen mehr zu sehen“.
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1.2. Phil 3,2 – 4a und die Frage nach den Gegnern in Philippi Eng im Zusammenhang mit der literarkritischen Diskussion steht die Frage, ob Paulus mit seiner Polemik in Phil 3,2 – 4a auf eine aktuelle Situation in Philippi reagiert und ob er sich dabei mit einer Gegnerschaft auseinandersetzt, die sich genauer identifizieren lsst12. Speziell die oben genannten Kompilationstheorien setzen ja voraus, dass die Abfassung des Briefes C durch das konkrete Auftreten von Gegnern motiviert sei. Doch auch die Annahme einer literarischen Einheitlichkeit des Briefes, die mit einer Diktatpause zwischen Phil 3,1 und 3,2 begrndet wird, geht letztlich von einer nderung der Situation in Philippi aus: Paulus erhlt neue „Nachrichten ber die Irrlehrer“13 und fhrt daraufhin mit seinem Briefeschreiben fort. Im Blick auf die Identifizierung dieser Gegner ist in der jngeren Forschung – wie schon in der patristischen Exegese14 – eine zunehmende Tendenz zu erkennen, in den hier polemisch angegriffenen Widersachern des Paulus, hnlich wie im Galaterbrief, judaisierende Agitatoren erkennen zu wollen15 : Paulus warne vor „Propagandisten, die in die Gemeinde eindringen“16 bzw. sei in der Weise mit „judaistischen Gegnern“ konfrontiert, wie er sich schon offenbar kurz zuvor im Galaterbrief „mit entsprechenden Hretikern in Galatien“auseinanderzusetzen hatte17. Besonders der Hinweis auf die peqitol¶ in Phil 3,3 scheint eine solche Deutung nahezulegen. Allerdings ist ebendiese Deutung nicht so eindeutig und unumstritten, wie sie auf den ersten Blick scheinen kçnnte. Denn schon Bernhard Weiß hat sie in seinem wichtigen, vielfach auch bersehenen Kommentar zum Philipperbrief (1859) mit guter Begrndung und in doppelter Hinsicht in Frage gestellt. Weiß mçchte nmlich zum einen zwischen den drei in V. 2 genannten 12 Grundlegend fr diese Diskussion war Schmithals, Die Irrlehrer des Philipperbriefes. – Omerzu, Spurensuche, 320 – 322 will zuletzt die Polemik in Phil 3 weniger von der Situation in Philippi als vielmehr von den Ereignissen her deuten, die mit der ephesinischen Gefangenschaft des Paulus verbunden waren. Zur Frage der Datierung des Philipperbriefes s.u. bes. Anm. 32 – 33. 13 Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 12. 14 Vgl. dazu ausfhrlich Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, Berlin 1859, bes. 222 ff. 15 Vgl. z. B. Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, 126: „So fhren denn alle Ausdrcke darauf, in den Gegnern jdische Agitatoren oder vielleicht nur Angehçrige der jdischen Gemeinde zu Philippi zu sehen“. Vgl. zuletzt auch Reumann, Philippians, 469 f. 16 So Gnilka, Philipperbrief 184. 17 Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 25.
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Gruppen differenzieren: Paulus warnt die Philipper ja zunchst vor den ,Hunden‘, dann vor den ,schlechten Arbeitern‘ und zuletzt vor der ,Zerstckelung‘. Hat Paulus demnach auch drei verschiedene Gruppen von Gegnern oder Konkurrenten im Blick?18 Auszuschließen ist diese Annahme jedenfalls nicht. Zum anderen sieht Weiß bei allen drei mçglichen Gruppen keine hinreichenden Hinweise speziell auf judaisierende Kreise, die die Gemeinde in Philippi akut und direkt bedrngt htten19 : Weiß will hingegen die ,Hunde‘ als Warnung vor dem ,unreinen heidnischen Wesen‘ verstehen (vgl. Phil 1,15 – 17) und deutet die jajo· 1qc²tai mehr als Ausdruck fr die „schlechte Beschaffenheit der Arbeiter“ denn als Hinweise auf deren spezifische religiçse oder ethnische Identitt (vgl. Phil 3,18 f.; anders 2Kor 11,13)20. Die jatatol¶ schließlich bezieht Weiß ebenso wenig auf ,judenchristliche Irrlehrer‘21, sondern auf „unglubige Juden […], die […] in den fleischlichen Vorzgen ihres Volkes ihre Freude und ihren Ruhm suchen“ (vgl. Phil 3,3 – 11)22. So deutet Weiß die paulinische Polemik in Phil 3 in erster Linie topisch und stellt sie dabei in eine direkte Beziehung zu jenen Teilen des Philipperbriefes (1,15 – 17; 3,3 – 11; 3,18 – 19), in denen Paulus in hnlicher Weise um Abgrenzung von anderen Personengruppen – also konkurrierenden Predigern (Phil 1,15), (pharisischen) Juden (Phil 3,3 ff.) und Feinden des Kreuzes‘ (Phil 3,18) – sowie um die Bestimmung und Wahrung der Identitt seiner eigenen Person und die seiner Adressaten in Philippi bemht ist. In diesem Zusammenhang wre daneben auch auf die topische paulinische Warnung vor den ,Widersachern‘ in Phil 1,28 hinzuweisen (vgl. 18 Vgl. Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 220 – 224. 19 Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 223: „Warum […] der Apostel gegen Leute, die noch gar nicht gefhrlich geworden, vielleicht gar nicht anwesend waren, auf einmal […] die heftigste Polemik erçffnet haben soll, ist in der That schwer abzusehen“. 20 Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 221; 222. 21 Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 223: „So wenig Paulus je die judenchristlichen Irrlehrer als die peqitol¶ schlechthin bezeichnet, so wenig kann hier jatatol¶ auf dieselben gehen“. 22 Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 223: „So muß es denn in der That immer zweifelhafter werden, ob Paulus hier wirklich an judenchristliche Irrlehrer denkt“. Demnach wre im Vergleich mit 1,15 – 17 an solche Arbeiter zu denken, „die nicht an der Sache des Evangeliums, fr die sie zu wirken vorgaben, sondern an ihrem eigenschtigen Treiben und dem Verfechten ihrer persçnlichen Interessen ihre Freude finden“, a.a.O., 224.
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auch z. B. 1 Kor 16,9), die hier als eine Gefahr fr die Einmtigkeit in der Gemeinde dargestellt wird. Im Ergebnis kann Weiß keine konkreten Bezge zu einem zurckliegenden oder gegenwrtigen Auftreten von judaisierenden Gegnern oder Irrlehrern in Philippi erkennen. Er grenzt damit auch den Philipperbrief von der Situation, die hinter dem 2. Korinther- und dem Galaterbrief zu vermuten ist, sachlich und zeitlich deutlich ab: „Was mich zu dieser von der gewçhnlichen so ganz abweichenden Auffassung veranlaßt, ist…, daß ich im Folgenden keinerlei Polemik gegen judaistische Irrlehrer finden kann […]“23. Unabhngig von der Frage, ob Weiß in der Tendenz seiner Textwahrnehmung oder gar im Blick auf seine einzelnen Textbeobachtungen zuzustimmen ist, macht seine detaillierte Analyse des Textes deutlich, dass die in der Kommentar-Literatur gerne wiederkehrende Rede von ,judaisierenden Agitatoren‘ in Philippi zumindest einer erneuten kritischen Prfung unterzogen werden muss.24 In diesem Zusammenhang muss auch das weit verbreitete Urteil berprft werden, mit dem dreimaligen bk´pete werde eine direkte Warnung vor diesen Gegnern zum Ausdruck gebracht25. Vielmehr ist bk´pete in Phil 3,2 hnlich wie in 1Kor 1,26; 10,18 als Imperativ mit anschließendem Akkusativ konstruiert. Bei dieser Konstruktion ist bk´pete im Sinne von ,betrachten‘, ,in den Blick nehmen‘ zu verstehen. Das ,Sehen‘ hat also eine ,geistige Funktion‘26 (anders das parnetisch verwendete sjope?te in 3,17). Wenn dagegen bk´pete im Sinne einer Warnung fungiert, so wird es bei Paulus mit einer nachfolgenden Konstruktion verknpft, die durch lμ, p_r oder Vma eingeleitet wird (vgl. 1Kor 3,10; 8,9; 10,12; 16,10; Gal 5,15)27. Demnach ist das dreimalige bk´pete in Phil 3,2 kaum als eine solche Warnung vor konkreten Gegnern28, sondern eher als Aufforderung des Paulus an die Gemeinde in Philippi zu lesen, andere – reale oder fiktive – Gruppen als 23 Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 224. 24 S.o. Anm. 11. 25 Kritisch schon Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 220 f. 26 So Bauer, Griechisch-Deutsches Wçrterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der brigen urchristlichen Literatur, 285. 27 Vgl. auch Schmoller, Handkonkordanz zum griechischen Neuen Testament, 85 f., der die Bedeutung von bk´peim zu recht mit (1) oculis cernere, intueri, spectare und (2) providere, cavere, curare erfasst und Phil 3,2 der Gruppe (1) zuweist. 28 An dieser Bedeutung halten dennoch Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 144 besonders: Anm. 23 und zuletzt Reumann, Philippians, 460 und 470 fest.
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mçgliche Gegner zu enttarnen und mit Distanz zu betrachten, um sich von ihnen abgrenzen zu kçnnen, so wie Paulus dies tut. 1.3. Phil 3,2 – 4a und die Frage der Datierung des Philipperbriefes Schließlich dient die paulinische Polemik in Phil 3 indirekt oder auch direkt der Datierung des Philipperbriefes. Wenn wir Weiß folgen und eine tendenziell topische Deutung der Polemik vorschlagen – eine Deutung, mit Hilfe derer Ferdinand Christian Baur im Unterschied zu Weiß wesentlich die Annahme der Unechtheit des Philipperbriefes begrndete –, dann ist die polemische Passage in Phil 3 jedenfalls nicht notwendig an eine bestimmte Situation oder Lebensphase des Paulus gebunden29. Auch befindet sich Phil dann nicht zwangslufig in zeitlicher Nhe zum Gal. Weiß’ Beurteilung trgt also gleichsam e silentio, und d. h. indirekt zur Datierung des Briefes bei. Ulrich B. Mller hingegen zieht die polemische Passage direkt zur Datierung heran, ja er begrndet diese wesentlich von der Polemik in Phil 3 her: Denn Mller versteht die paulinische Polemik als eine Gegner-Polemik, die sich in zeitlicher Nhe zu 2Kor und Gal befindet. Er datiert den Philipperbrief damit in die Mitte der 50er Jahre, genauer: in die Zeit der ephesinischen Gefangenschaft, und vertritt damit eine Tendenz, die in der jngsten Forschung verstrkt zu beobachten ist30. Zudem versucht Mller, die paulinische Auseinandersetzung mit den mutmaßlich judaisierenden Gegnern und damit mit bestimmten Themen des Judentums (bes. Gesetz und Beschneidung) konzise in die biographische Entwicklung des Paulus einzuzeichnen: „In Rçm 7 gelingt es Paulus schließlich in subtiler Reflexion beides zusammenzudenken, das gçttliche Wesen der Tora und ihre vçllige Ohnmacht, Leben zu schaffen; in Phil. 3 scheint sie noch der vçlligen Negativitt verfallen zu sein – eine zugespitzte Position, die sich zum großen Teil der polemischen Kampfsituation des Paulus verdankt (hnlich wie im 29 Vgl. Baur, Paulus, der Apostel Jesu Christi, bes. 59 f.: „… Zwar wird gegen jdische Gegner polemisirt, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, es geschehe diess nur deswegen, weil es einmal zum stehenden Character der paulinischen Briefe zu gehçren schien. Es fehlt dieser Polemik durchaus an Frische und Natrlichkeit, an der Objectivitt der gegebenen Verhltnisse…“. – Vgl. Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 27 selbst lokalisiert den Philipperbrief in Rom und datiert ihn damit auf das Ende der paulinischen Wirksamkeit. Zur ausfhrlichen Diskussion der lteren Forschung, vgl. a.a.O., 7 ff. 30 Vgl. Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 24. Vgl. auch Reumann, Art. Philipperbrief, 1272 sowie unten Anm. 32; ders., Philippians, 13 – 15
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Gal.)“31. Demnach kçnne der Philipperbrief zeitlich nicht nach, sondern nur vor dem Rçmerbrief geschrieben worden sein. Ich stimme Mller darin zu, dass die Frage der Datierung des Philipperbriefes die biographische Entwicklung des Paulus bercksichtigen und daher eine Deutung von Phil 3 miteinbeziehen kann oder sogar muss. Denn die Datierung und damit eng verbunden die Lokalisierung32 des Philipperbriefes kçnnen nicht allein – vielleicht noch nicht einmal in erster Linie – auf den Hinweisen zum Aufenthaltsort des Paulus, die sich in Phil 1 und 4 finden, basieren: Die Erwhnung des pqait¾qiom in Phil 1,13 sowie der Verweis auf ,das Haus des Kaisers‘ in 4,22 spielen zwar als mçgliche historische Referenzen eine besondere Rolle bei der Datierung und Lokalisierung des Briefes. Im Ergebnis zeigt die Forschungsdiskussion allerdings, dass diese Ortsangaben wenig spezifisch und aussagekrftig sind und sich weder mit Ephesus noch mit Caesarea oder Rom eindeutig in Zusammenhang bringen lassen33. Wichtiger fr die Datierung des Philipperbriefes kçnnte daher in 31 Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 22 f. 32 Zur bersicht ber die neuere Forschung vgl. z. B.: Ware, The Mission of the Church in Paul’s Letter to the Philippians in the Context of Ancient Judaism, 171 f. Anm. 24. Folgende Vorschlge zur Lokalisierung werden zuletzt gemacht: (a) Ephesus = Anfang/Mitte der 50er Jahre: 52 – 55 n. Chr.: z. B. Cousar, Philippians and Philemon,11; (b) Korinth = 56/57, z. B. Gnilka, Philipperbrief, 25; (c) Caesarea = Ende der 50er Jahre, z. B. Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, 3; (d) Rom = frhe 60er Jahre: z. B. Bockmuehl, The Epistle to the Philippians, 32 (nach 62 n. Chr.?); Ware, The Mission of the Church in Paul’s Letter to the Philippians in the Context of Ancient Judaism, 171 (61 – 62 n. Chr.); (e) zwischen 54/55 (Ephesus) und 63 (Rom): Martin, The Epistle of Paul to the Philippians, 37. 33 Der Begriff Prtorium (praetorium) begegnet als Lehnwort in der zeitgençssischen griechischen Literatur (z. B. Philo; Josephus) außerhalb des Neuen Testaments (vgl. auch Mk 15,16; Mt 27,27; Joh 18,28.33; 19,9; Apg 23,35) noch nicht, erst in der patristischen Rezeption besonders der Passionsgeschichte. – Paulus kçnnte mit ,Prtorium‘ hier wohl entweder den Sitz des Statthalters in Caesarea (zu den praetoria in der Provinz Judaea in Jerusalem und Caesarea vgl. Egger, Das Praetorium als Amtssitz und Quartier rçmischer Spitzenfunktionre, 17 – 22) bezeichnen. Oder er bezieht sich mit einem pars pro toto-Begriff auf die Prtorianergarde in Rom (s.u.). Fr Ephesus als Provinzstadt scheint zu sprechen, dass Cicero (in Verrem 4,65; 5,92) mit praetorium den Sitz eines Statthalters in Syrakus/Sizilien bezeichnete (so auch z. B. Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 54) und dass eine in Mainz gefundene Terra-Nigra-Schssel die Verwendung des Begriffs in rçmischer Provinz zu Beginn des 2. Jhs. belegt. Plausibler sind allerdings Caesarea oder Rom: Fr Caesarea spricht, dass das Prtorium hier Amtssitz des rçmischen Statthalters wre (vgl. auch Apg 23,35): „Zu den glanzvollen Bauten des Herrschers zhlt seine Residenz in der Oberstadt, das bas¸keiom mit zwei besonders schçnen Slen, die Jai-
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der Tat die Deutung einzelner Textabschnitte im Philipperbrief sein, die zur Rekonstruktion der biographischen Entwicklung bzw. der aktuellen Lebenssituation des Paulus beitragen34. Und doch ist Mllers methodischer Zugang zur Deutung von Phil 3,2 – 4a und die daraus resultierende Rekonstruktion der biographischen Entwicklung des Paulus in Frage zu stellen. Zunchst ist der historische Wert polemischer Passagen zu hinterfragen: Sind polemische Texte zwangslufig mit historischen Ereignissen oder Situationen verbunden oder darauf bezogen, und tragen sie – wie Mller vermutet – sogar zur Rekonstruktion einer realen historischen Situation, also z. B. zur Identifizierung von bestimmten Gegnergruppen in der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. in Makedonien bei? Oder ist der historische Wert von polemischen Texten grundstzlich zu bezweifeln, weil Polemik zunchst ein literarisches Phnomen ist, das sich weder przise ereignisgeschichtlich einordnen noch lebensgeschichtlich eingrenzen lsst? Ich meine, dass eine solche Skepsis gegenber dem historischen Wert polemischer Passagen und gegenber deren Zuordnung zur biographischen Entwicklung einer Person notwendig ist. Weder muss Polemik historisch veranlasst oder begrndet sein, noch entwickelt sich literarische Polemik parallel und kontinuierlich zum Denken und Handeln einer Person. saqe?om und )cqippe?om hießen […]“ (Egger, Das Praetorium als Amtssitz und Quartier rçmischer Spitzenfunktionre, 17 mit Hinweis auf Josephus, Bellum 1,21,1/1,402). Fr Rom sprechen folgende Belege: Bei Tacitus und Sueton finden sich Belege dafr, dass das Prtorium auch fr Prtorianer (Annales 2,11,3: […] veterani e praetorio […]) oder fr kaiserliche Gebude (Caligula 37,2: […] in extructionibus praetoriorum atque uillorum […]) stehen konnte. – Vgl. dazu insgesamt auch die DNP-Artikel Praetorianer und Praetorium (Campbell: DNP 10 [2001] 262 – 264 und 264); Neumann, Art. Prtorium, 1117. Zu der unter Seianus 23 errichteten castra praetoria (Tacitus, Annales 4,2; Sueton, Tiberius 37) vgl.: Durry, Art. Praetoria cohortes, 1611. Zum breiten Bedeutungsspektrum vgl. auch Lammert, Art. Praetorium, 2535 – 2537. – Auch die Erwhnung des ,Hauses des Kaisers‘ in Phil 4,22 deutet nicht zwangslufig auf Rom hin: Vgl. etwa Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, 191 bes. Anm. 1 (mit Hinweis auf Caesarea); Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 212 und Reumann, Philippians, 739 f. (mit Hinweis auf Ephesus), ebenso Gnilka, Philipperbrief, 182, der Phil 4,22 ja Brief A zurechnet. Zur auslegungsgeschichtlichen Diskussion: Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 353 f. 34 Poplutz, Athlet des Evangeliums, 221 hat z. B. eine „persçnliche Entwicklung“ bei der „Verwendung des Agonmotivs entsprechend der jeweiligen konkreten Lebenssituation des Apostels“ nachzuzeichnen versucht. – Allerdings bleibt grundstzlich zu diskutieren, ob wir beim Denken und Handeln des Paulus berhaupt mit einer kontinuierlichen biographischen Entwicklung rechnen kçnnen.
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So findet sich ja auch in dem vermeintlichen Alterswerk des Paulus, dem Rçmerbrief, der laut Mller gerade wegen der ausgewogenen Auseinandersetzung mit dem Gesetz in Kap. 7 zeitlich nach dem Philipperbrief verfasst worden sein muss, durchaus eine anti-jdische Polemik (Kap. 2,17 ff.)35 : Kap. 2 und 7 stehen sich hier in einer deutlich erkennbaren Spannung gegenber. Die paulinische Polemik ist also offenbar gerade nicht ein Phnomen, das auf eine bestimmte Lebensphase des Paulus beschrnkt werden kçnnte. Vielmehr ist die Polemik ein Teil der paulinischen Biographie (vgl. z. B. Apg 23,3). Und so durchziehen polemische Elemente (fast) alle Briefe des Paulus36. Polemik ist ein konstitutiver Teil des paulinischen Schreibstils37. Insofern kann eine relative Chronologie der paulinischen Briefe kaum auf der bloßen Wahrnehmung und der lebens- bzw. ereignisgeschichtlichen Zuordnung von Polemik basieren. So sehr Mllers Vorschlag, biographische Elemente verstrkt in Datierungsfragen einzubeziehen, zu begrßen ist, so sehr ist zu bezweifeln, ob polemische Passagen direkt und unmittelbar fr die historische Rekonstruktion einer Biographie herangezogen werden kçnnen. Vielmehr meine ich, zeigen zu kçnnen, dass die paulinische Polemik in Phil 3 im wesentlichen der rhetorischen und literarischen Begrndung autobiographischer Rede (3,4bff.) dient und uns deswegen nur mittelbar an die historische Situation des Briefes heranfhren kann, weil hier die Selbstinszenierung der Person des Briefeschreibers im Vordergrund steht. Dass die Person des Paulus im Mittelpunkt der topisch verwendeten Polemik im Philipperbrief steht, hatte brigens schon Baur konstatiert, wenn auch mit der Absicht, dem Brief die paulinische Verfasserschaft abzusprechen38. Dieser Beitrag indes zielt darauf, anders als Mller einerseits oder Baur andererseits insinuieren, aufzudecken, dass die polemische Passage in Phil 3,2 – 4a weder konkret ereignisgeschichtich motiviert noch bloß pseudepigraph stilisiert ist, sondern dass sie dadurch literarisch spezifisch wirkt, 35 Vgl. Wischmeyer, Rçm 2,1 – 24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit. 36 Eine Ausnahme stellt hçchstens der Philemonbrief dar. 37 Vgl. dazu auch die brigen Beitrge zu den paulinischen Briefen in diesem Band. 38 Baur, Paulus, der Apostel Jesu Christi, 60: „… Und dieser so eigene unnatrliche Gegensatz [zwischen der jatatol¶/peqitol¶, Verf.in] wird nicht gemacht, um etwas die Sache selbst Betreffendes zu sagen, sondern nur… in der Absicht, um dem Apostel, indem er die peqitol¶ von sich selbst aussagt, dadurch Gelegenheit zu geben, von seiner eigenen Person zu reden, woran den Verfassern der pseudoapostolischen Briefe… im Bewusstsein der Duplicitt ihrer Person immer gar viel gelegen ist“.
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dass sie ihren Fluchtpunkt außerhalb ihrer selbst, nmlich in der anschließenden autobiographischen Passage in Phil 3,4bff. hat (2.1.): Paulus schreibt hier ber sich selbst. An diese Beobachtung anschließend, wird ber Phil 3 hinaus zu diskutieren sein, welche Bedeutung der autobiographischen Rede des Paulus im Phil zukommt (2.2.). Unter 2.3. wird der Ertrag dieser Textbeobachtungen kurz resmiert.
2. Zur autobiographischen Funktion der Polemik in Phil 3,2 – 4a Die exegetische Analyse und Deutung der paulinischen Polemik in Phil 3,2 – 4a setzt mit der Frage ein: Wie konstruiert Paulus syntaktisch und semantisch diesen polemischen Text, wie ist dieser Text in seinen Mikrokontext eingebunden, und welche Funktion kommt der Polemik in diesem Kontext zu? 2.1. Der autobiographische Fluchtpunkt in Phil 3,4a In den neueren Kommentaren wird in Phil 3,2 gerne ein Einschnitt markiert, so dass 3,2 – 4a als kleine literarische Einheit gilt, die sich innerhalb von 3,2 – 21 oder 3,2 – 4,1/3 befindet39. Der Einschnitt zwischen Phil 3,1 und 3,2 scheint sich aufgrund der oben genannten Inkohsionsmerkmale nahezulegen. Allerdings lsst sich diese Untergliederung auch in Frage stellen. Deutlich ist nmlich, dass bereits Phil 3,1 einen Einschnitt markiert: Denn Paulus setzt hier zwar die Rede in der 2. Person Plural von 2,25 ff. fort, spricht aber mit t¹ koip¹m, !dekvo¸ lou seine Adressaten nun direkt an und geht nach einer speziellen Empfehlung fr Epaphroditus (2,25 – 30) jetzt zu einer generalisierenden oder resmierenden Rede ber (t¹ koip¹m […] wa¸qete […]). Wenn dann nach 3,1 ein weiterer Einschnitt markiert wird, stnde dieser Vers unverbunden zwischen 2,30 und 3,2. So bietet sich eher eine Verknpfung von 3,1 mit 3,2 an, zumal sich in beiden Versen entsprechende Kohsionsmerkmale finden lassen. Denn Phil 3,2 nimmt mit dem dreimaligen Imperativ bk´pete direkt die imperativische Rede in 3,1 auf. Dass zwischen 3,1 und 3,2 ein Einschnitt bzw. ,Stim39 Vgl. z. B. Schenk, Philipperbriefe, 250 ff.; Walter, Der Brief an die Philipper, 73 ff. (Walter fasst allerdings 3,2 – 11 zusammen); Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 144 ff.; Bormann, Philipperbrief, 219; Reumann, Philippians, 460 ff.
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mungsumschwung‘ erkennbar sei, ist also nicht eindeutig40. Vielmehr lassen sich auch Phil 3,1 ff. als eine literarische Einheit betrachten. Noch knstlicher wirkt indes der Einschnitt, der nach 3,4a gewhlt wird: Denn 3,4b setzt die durch 1c¾ emphatisch betonte Rede in der 1. Person Singular fort, die Paulus in 3,4a bereits begonnen hatte. Zudem begibt sich Paulus in 3,4b in eine direkte Konfrontation mit einem mçglichen Kontrahenten (eU tir […] 1c½ l÷kkom), die zugleich als berleitung zwischen der negativen Qualifizierung seiner mutmaßlichen Kontrahenten in 3,2 – 4a und der autobiographischen Rede (3,5 ff.) fungiert. Wenn 3,2 – 4a im vorliegenden Beitrag also als ein zusammenhngender Abschnitt untersucht wird, so soll diese Abgrenzung keinen vorschnellen Vorschlag zur Gliederung des Philipperbriefes abbilden. Vielmehr dient die so gewhlte Textabgrenzung einer konzentrierten Sicht auf die scharfe paulinische Polemik in diesem Abschnitt. Nun zu dem Abschnitt selbst: Das gewhlte Textsegment in 3,2 – 4a besteht textlinguistisch betrachtet aus insgesamt acht Stzen 41. In V. 2 finden sich drei kurze Imperativ-Stze. Hier fllt die dreimalige Nennung von bk´pete auf, die als eine vehemens anaphora fungiert42 und damit durchaus auch ein ,rhetorischer Trick‘ ist, mit dem Paulus die Aufmerksamkeit seiner Leser erweckt43. In V. 3 finden sich insgesamt vier Stze, nmlich ein Hauptsatz sowie ein Relativsatz, der als Apposition zu Ble?r fungiert und aus drei Teilstzen besteht. So wird in V. 3b die Dreiteilung von V. 2 wieder aufgenommen44. V. 4 ist konzessiv und antithetisch an V. 3 angeschlossen45. Es ergibt sich folgende Struktur46 : V. 2 S 1 mit P (a) S 2 mit P (b) S 3 mit P (c) 40 Vgl. hierzu auch Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 214 ff., der Phil 3,1 – 3 als Einheit betrachtet. 41 Zur Differenzierung von Segment und Satz in der Textlinguistik vgl. Brinker, Linguistische Textanalyse, 21 – 27. 42 Vgl. Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 221. 43 Gegen Reumann, Philippians, 470, der die Polemik als eine reale versteht. 44 hnlich Gnilka, Philipperbrief, 184 f. – Diese Struktur verkennen indes Schenk, Philipperbriefe, 253 f. und zuletzt Reumann, Philippians, 468 f. 45 Vgl. Hoffmann, Siebenthal, Griechische Grammatik zum Neuen Testament, §231 g. 46 S = Satz; P = Proposition.
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V. 3 S 4 = HS S 5 mit P (a‘) S 6 mit P (b‘) S 7 mit P (c‘) V. 4a S 8 (konzessiv/antithetisch zu S 7)
Die dreigliedrige Aufforderung zur Distanz gegenber gegnerischen oder konkurrierenden Gruppen und Personenkreisen in V. 2 besteht aus zwei Propositionen, die Paulus sonst nicht verwendet: dem Hinweis auf ,Hunde‘ (a) und dem Begriff der ,Zerstckelung‘ (c). Whrend der letzte Ausdruck eine Metonymie ist und sich als ein Wortspiel (jatatol¶/peqitol¶) erklren lsst47, mit Hilfe dessen Paulus die Verknpfung von V. 2 zu V. 3 herstellt, bleibt die Deutung von j¼ym umstritten. Formal betrachtet handelt es sich hierbei um eine Metapher mit pejorativer Konnotation. Sachlich gesehen ist indes unklar, ob Paulus sich hier – wie Weiß meint – gegen das ,heidnische Wesen‘ wendet48 oder ob er „die jdische Waffe gegen ihre eigenen Trger“ anwendet49. Aufschluss ber die mit ,Hund‘ bezeichneten Kontrahenten kçnnte der antithetische Parallelismus in V. 3 (S 5 mit P a‘) geben: Demnach fungieren die ,Hunde‘ als semantische Opposition und stehen pauschalisierend fr diejenigen, die nicht im ,Geist Gottes dienen‘ (s.u.)50. 47 Vgl. Blass, Debrunner, Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, §4884. 48 Vgl. Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 221. Vgl. auch Strack-Billerbeck III, 621 f.: „Als Hunde werden bezeichnet die Unwissenden, die Gottlosen u. die Nichtisraeliten“. 49 So fragt Michel, Art. j¼ym, jum²qiom, 1102. Noch schrfer Pedersen, Art. j¼ym, jumºr, 823: Die drei Prdikate in „Phil 3,2 […] besttigen, daß j. im NT eine Ketzerbezeichnung ist“. – Vgl. zur neuesten Diskussion auch Reumann, Philippians, bes. 460 f. und 469 f. 50 Vgl. dazu auch hnlich die topische Warnung vor den ,Hunden‘ in Ign Eph 7,1: Denen, die Gott unwrdige Dinge tun, muss man ausweichen wie wilden Tieren, sie sind nmlich tolle Hunde (… j¼mer kuss_mter). – Dass mit den ,Hunden’ ggf. nichtjdische Gegner bezeichnet sind, z. B. Personen, die sich in anderen Kultzusammenhngen bewegen, legt sich von der Wortverwendung bei Philo (Legatio ad Gaium 139; de somniis 2,267 [vgl. Ex 11,7]; de decalogo 79) und Josephus (contra Apionem 2,85) her nahe: Beide Autoren beziehen sich hier auf gyptische Bruche oder Kulte. – Vgl. neben einem eher neutralen Hinweis auf ,Hunde (Philo, de Abrahamo 266) auch die generelle Negativbewertung von ,Hunden’ (Philo, de decalogo 114 f.), den Exkurs zur Homonymie des ,Hundes’ (Philo, de plantatione 151), die Negativbezeichnung von Menschen im Vergleich mit ,Hunden‘ (z. B. quod omnis probus liber sit 90), so z. B. auch: Bdoma¸ als ,Hunde’ (Philo, de gigantibus 35), Menschen, die sich bei Symposien wie Hunde verhalten (Philo, de vita contem-
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In der Mitte der dreigliedrigen Aufforderung in V. 2 (= P [b]) findet sich das Element der,schlechten Arbeiter‘ (jajo· 1qc²tai), das hnlich bereits aus 2Kor 11,13 (1qc²tai dºkioi) bekannt ist. Mit dieser Proposition disqualifiziert Paulus seine (mçglichen) Gegner und Konkurrenten. Sowohl in Hinsicht auf ihre Dreigliedrigkeit als auch im Blick auf die aggressive, begrifflich-verkrzende Semantik, wirkt die gesamte Aufforderung in V. 2 in ihren drei Teilstzen (S 1 – 3) literarisch konstruiert und stilisiert. Dieser Eindruck wird durch die Beobachtung gesttzt, dass das Schema der Dreigliedrigkeit von V. 2 in den aus Partizipien konstruierten Teilstzen des Relativsatzes in V. 3 (= S 5 – 7) wiederaufgenommen wird: Diese Stze, die einige fr Paulus typische Propositionen enthalten51, fungieren zugleich als parallel angeordnete, semantische Opposition zu der dreigliedrigen Aufforderung, d. h., sie erlutern ex positivo, was den Personen, von denen Paulus sich und die Gemeinde in V. 2 abgrenzt, mangelt. Es ergibt sich also folgende Struktur in V. 2 und 3: S 1 […] to»r j¼mar
S 5 pmeul²ti (heoO) katqe¼omter
S 2 […] to»r jajo»r 1qc²tar
S 6 jauw¾lemoi 1m Wqist` YgsoO
S 3 […] tμm jatatol¶m
S 7 oqj 1m saqj· pepoihºter
So stehen die ,Hunde‘ denen, die ,im Geist Gottes dienen‘ gegenber. Die ,schlechten Arbeiter‘ sind als Gegensatz zu denen bezeichnet, die sich ,in Christus Jesus rhmen‘ – hier nimmt Paulus deutlich erkennbar eine wichtige Thematik des 2. Korintherbriefes auf 52. Und die Metonymie der ,Zerschneidung‘ bezieht sich auf diejenige Gruppe von Personen, die von denen zu unterscheiden ist, die ,nicht auf das Fleisch vertrauen‘. Neben der Semantik ist das Textsegment in 3,2 – 4a auch grammatisch zu untersuchen, denn es ist durch auffllig hufigen Personenwechsel bestimmt: In den drei imperativischen Stzen sind die Adressaten in der 2. Person Plural angesprochen. V. 3 wechselt zur 1. Person Plural, die eine inklusivische Funktion hat: Hier ist nicht die plurale Absendergruppe (Phil 1,1) im Blick, vielmehr nimmt Paulus eine Inklusion der Absender in die
plativa 40). – Zur Bedeutung des ,Hundes‘ in der Antike vgl. auch: Richter, Art. Hund; Anderson, Art. dogs. 51 Zu (a) vgl. Rçm 1,9; zu (b) vgl. z. B. Rçm 5,11; 15,17; 1Kor 1,31; 2Kor 10,17; Gal 6,14; zu (c) vgl. hnliche Konstruktionen z. B. in Gal 3,3; 6,12; Phil 3,4. 52 Vgl. z. B. Zmijewski, Art. jauw²olai jtk., 688 ff.
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Gruppe der Adressaten vor53. So schafft Paulus schließlich den bergang zur Rede in der 1. Person Singular in V. 4a, die er in V. 4bff. fortsetzt. Der Personenwechsel in Phil 3,2 – 4a ist also durchaus als eine Klimax zu lesen: Der Fluchtpunkt der Polemik liegt in der autobiographischen Rede des Paulus (3,4bff.).54 Zusammenfassend lassen sich folgende Textbeobachtungen festhalten: Phil 3,2 – 4a ist syntaktisch, grammatisch und semantisch stilisiert, d. h., es handelt sich um ein literarisch sorgfltig gestaltetes Textsegment. Die mçglichen Kontrahenten des Paulus werden – anders als in 2Kor 10 – 13, wo sich Paulus ausfhrlicher mit seinen Gegnern in Korinth auseinandersetzt – pejorativ etikettiert und sachlich disqualifiziert. Es gibt aber keinen deutlichen Hinweis darauf, dass Paulus in Phil 3 reale Gegner oder Konkurrenten oder konkrete Konflikte im Blick htte. Vielmehr fordert er seine Adressaten in Philippi mit dem dreimaligen bk´pete dazu auf, gegnerische oder konkurrierende Personengruppen als solche gleichsam intellektuell zu enttarnen, d. h. zu identifizieren. Der Fluchtpunkt der polemischen Passage liegt in der autobiographischen Rede in der 1. Person Singular. So fungiert die polemische Passage insgesamt als eine literarisch-stilisierte Erçffnung fr die autobiographische Rede des Paulus (3,4bff.), d. h. als ein Negativkontrast zu dem, wie sich Paulus (in seiner Haft) selbst inszeniert. 55 2.2. Autobiographische Passagen in Phil 1,12 ff. und 3,4bff. Wir mssen Phil 3,2 – 4a daher im Zusammenhang mit der autobiographischen Passage in 3,4bff. deuten und verstehen. Wie Peter Oakes gezeigt hat, ist der Philipperbrief insgesamt durch autobiographische Passagen, die sich ber 3,4b–16 hinaus auch in 1,12 ff. finden, geprgt. Diese autobiographischen Passagen sind fr die Auslegung des Philipperbriefes nicht 53 Vgl. hnlich die inter-kommunikative Funktion der Co-Sender im 2Kor, vgl. Becker, Schreiben und Verstehen, 149 ff. 54 Im Blick auf die Untergliederung ist Reumann (Philippians, 468) zuzustimmen, der Phil 3,2 – 3 als exordium und 3,4 als „transition to autobiography“ bezeichnet. 55 Damit soll freilich nicht ausgeschlossen werden, dass es entsprechende Gegnerschaften in Philippi gegeben hat. Die These dieses Beitrags zielt indes darauf zu zeigen, dass die paulinische Polemik in Phil 3 in erster Linie autobiographisch motiviert ist: Sie muss also literarisch, d. h. im Blick auf ihre Stilisierung und ihre textuelle Funktion, und dann auch biographisch, d. h. im Blick auf die gegenwrtige Lebenssituation des Paulus in seiner Haft, erschlossen werden.
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zuletzt deswegen von erheblicher Bedeutung56, weil sie wichtige Aspekte der Biographie und der Person des Paulus zu erkennen geben und damit auch Licht auf die Entstehungsgeschichte des Phil werfen57. In Phil 1,12 – 26 schreibt Paulus in erster Linie ber seine Situation in der Haft. Der Abschnitt ist ußerst persçnlich gehalten und gibt uns vor allem einen Einblick in die innere Situation des Paulus: Paulus ist ,in Fesseln‘ (Phil 1,12 u. ç.) und gert in einen inneren Konflikt, weil ihn einerseits die Sehnsucht treibt, der Haft durch Flucht zu entkommen: Er mçchte ,aufbrechen und mit Christus sein‘ (Phil 1,23). Andererseits weiß Paulus aber um seine Verantwortung fr die Gemeinden und entscheidet daher (aRq¶solai, V. 22b), seiner Christus-Sehnsucht nicht nachzugeben, sondern ,im Fleisch‘ zu bleiben (Phil 1,24)58. Die starke Christus-Sehnsucht in Phil 1,21 ff. kçnnte darauf hindeuten, dass Paulus hier als lterer oder sogar als alter Mann schreibt, der nicht nur an seiner Haft, sondern mçglicherweise auch an einer Krankheit oder an seinem Alter leidet59. So gibt uns die autobiographische Passage in Phil 1 zunchst Einblick in die aktuelle Lebenssituation des Paulus: Wir gewinnen den Eindruck, dass Paulus den Philipperbrief in seiner letzten Lebensphase schreibt. Er befindet sich also vermutlich bei der Abfassung des Briefes in Caesarea oder Rom. Die Hinweise in Phil 1 auf das Alter und die innerlich zerrissene Situation des Paulus in seiner Haft sind historisch umso bedeutender, als Paulus sonst im Philipperbrief keine eindeutigen Anhaltspunkte fr seine Haftumstnde oder seinen Aufenthaltsort gibt. Zugleich aber hat die autobiographische Passage in Phil 1 eine literarische Dimension: Denn Paulus inszeniert sich hier als ,Gefangener‘ und schafft damit einen literarischen Topos, der in den 56 „Paul primarily writes about himself in order to give an example of the way he wants the Philippians to live“, Oakes, Philippians. From people to letter, 103. 57 Allerdings haben autobiographische Passagen gleichermaßen eine historische und eine literarische Dimension: Denn sie haben einen ,Aussagegehalt fr die Biographie einer historischen Person‘ (vgl. auch die sog. Ego-Dokumente) und ,konstituieren eine eigene literarische Gattung‘, in der die Lebensgeschichte und -situation einer Person zum Thema wird. Wir werden daher die autobiographischen Texte in Phil 1 und 3 gleichermaßen als historische und als literarische Texte zu lesen und zu verstehen haben: Vgl. dazu: Becker, Die Person des Paulus, 107 – 119; dies., Person des Paulus: Paulus-Handbuch, hg. v. F.-W. Horn, Tbingen 2011 (im Druck); vgl. dies., Autobiographisches bei Paulus. Aspekte und Aufgaben, besonders: 71 ff. Vgl. auch Wischmeyer, Paulus als Ich-Erzhler. 58 Vgl. dazu Becker, Paulus „in Fesseln“ (Phil 1,23 – 24) (im Druck). 59 Vgl. hnlich auch Heinrici, Paulinische Probleme, 33: „In seinem Alter schrieb Paulus den Philipperbrief und den Philemonbrief“.
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pseudepigraphen Gefangenschaftsbriefen aufgegriffen und programmatisch weiter ausgebaut wird60. Paulus nimmt diese Inszenierung offenbar auch deswegen vor, weil seine Gefangenschaft die ,Brder‘ vorbildhaft darin bestrkt hat, nun selbst ,das Wort furchtlos‘ zu verkndigen (Phil 1,14). Es sind also nicht erst die pseudepigraphen Gefangenschaftsbriefe, sondern es ist bereits Paulus selbst, der sich in seiner Gefangenschaft als ein Vorbild fr andere darstellt. In Phil 1 ist er Vorbild fr ihm nacheifernde Prediger. Zugleich bt er den Philippern gegenber an ebendiesen Predigern Kritik. Im Unterschied zu Phil 3 jedoch artet diese Kritik nicht in Polemik aus. Vielmehr blickt Paulus in Phil 1 mit expliziter Gelassenheit auf die ihn nachahmenden, teils mit ihm konkurrierenden Prediger und Missionare: Auch wenn es einige (tim´r) gibt, die aus Neid, Streitsucht und Eigennutz verkndigen (Phil 1,15 – 17), so freut sich Paulus und wird sich weiter freuen (Phil 1,18). Wie ist diese Nachsicht zu erklren? In Phil 1 berwiegen offenbar die Auseinandersetzung mit der eigenen, innerlich zerrissenen Situation und die Frage nach der Vorbildfunktion fr andere gegenber einer etwaigen scharfen oder polemischen Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von konkurrierenden Predigern. So wirkt auch der Hinweis auf die ,Widersacher‘ in Phil 1,28 letztlich topisch und stereotyp. Auch in Phil 3 reflektiert Paulus – hnlich wie in Phil 1 – seine Vorbildfunktion (t¼por, bes. 3,17 ff.). Es geht ihm nun aber – anders als in Kapitel 1, wo er die Wirkung seiner Gefangenschaft auf die Verkndigung des Evangeliums thematisiert hatte – darum, sein biographisches Vorbild fr die Adressaten des Briefes in Philippi, die, wie etwa Oakes meint, in einer hnlich bedrngten Situation wie Paulus sind61 und der Ermutigung und Selbstvergewisserung bedrfen, in Kontrast zu mçglichen Kontrahenten 60 Gerade der Begriff deslºr wird als ein metaphorisches Stereotyp weiter verwendet (Kol 4,18; 2Tim 2,9) und ausgeprgt (Cyprian; Eusebius). Darber hinaus begegnet der Begriff auch in den Schriften der sog. Apostolischen Vter (vgl. Polykarp an die Philipper 1,1; Ignatius an die Epheser 11,2). Bei Cyprian und Eusebius werden die „Fesseln“ dann rein metaphorisch als ,geistliche Perlen‘ gedeutet (vgl. z. B. Eusebius, Historia ecclesiastica 5,1,35; Cyprianus, epistulae 76,2). Vgl. dazu Paulsen, Die Briefe des Ignatius von Antiochia und der Polykarpbrief, 37. 61 In Phil 3,17 beschreibt Paulus diese Vorbildfunktion mit: sullilgta¸ lou c¸meshe[…] 5wete t¼pom Bl÷r. „Paul presents himself as a model for the Philippians […] Paul’s aim in offering himself as a model is to respond to the situation of suffering among the Philippians“, Oakes, Philippians, 121. Vgl. auch z. B. Wansink, Chained in Christ, 211: Die paulinische Inhaftierung wurde zu einem Vorbild in der Verfolgungszeit. – Vgl. zum Weiterwirken dieses Motivs auch: 2Tim 1,16; Ignatius, Brief an die Smyrner 10,2; Polykarp an die Philipper 12,2.
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darzustellen. In diesem Zusammenhang verweist Paulus auf seine eigene Biographie (3,5 – 11) und deren Bestimmung. Angesichts der berwltigenden Christus-Erkenntnis betrachtet er sein frheres Leben im Rckblick als ,Schaden‘ (3,7 f.). So hat die Biographie des Paulus, die seit jeher von der Suche nach der dijaios¼mg bestimmt war (3,6), in der Christus-Erkenntnis (cm_sir WqistoO YgsoO toO juq¸ou lou) ihr eigentliches Ziel gefunden. Diese Christus-Erkenntnis bedeutet ,Gerechtigkeit aus Glauben‘ (3,9) und geht mit dem Wunsch einher, Gemeinschaft mit Christus in Leiden, Sterben und Auferstehung zu haben (3,10 f.). So finden sich in Phil 3,10 f. durchaus semantische und thematische Anklnge an die paulinische Auseinandersetzung mit dem Sterben, wie sie bereits in Phil 1,21 ff. formuliert sind. Phil 1 und 3 stehen nicht unverbunden nebeneinander, auch wenn die Richtung der Argumentation variiert: In Phil 1 gewhrt Paulus den Philippern Einsicht in seine aktuelle innere Situation in seiner Haft und diskutiert seine Vorbildfunktion fr andere Prediger. In Phil 3 entwickelt Paulus seine Vorbildfunktion fr die Philipper offensiv, und d. h. in polemischer Abgrenzung von Anderen. Diese Abgrenzung erfolgt in doppelter Weise: So wie die Philipper die Distanz zwischen Paulus und seinen mçglichen Kontrahenten erkennen sollen (3,2 – 4a), so sollen sie sich selbst von den ,Feinden des Kreuzes‘ abgrenzen (3,18 f.)62. Der Argumentationsgang in Phil 3 wird also erkennbar mit Polemik erçffnet und mit Polemik abgeschlossen. Er ist gleichsam durch polemische Passagen gerahmt (3,2 – 4a; 18 f.)63. Mit dieser Polemik fordert Paulus letztlich zu einer Identifizierung von gegnerischen Gruppen und zugleich zur Identittsfindung der Gemeinde in Philippi auf: Wohl wissend, dass die %my jk/sir noch nicht vollstndig errungen ist (3,12 – 14), ermahnt Paulus die Philipper zur rechten Gesinnung und dazu, sullilgta¸ lou zu werden (3,17). Das aber heißt auch, sich von den ,Feinden des Kreuzes Christi‘ abzugrenzen (3,18): Whrend die 1whqo· toO stauqoO irdisch gesinnt sind 62 Zur Frage, ob es sich in 3,2 – 4a und 3,18 f. um dieselbe ,Gegnerfront‘ handelt, vgl. z. B. Weiß, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, 275 – 277, Schenk, Philipperbriefe, 258 f.; Mller, Der Brief des Paulus an die Philipper, 176 f.; Reumann, Philipppians, 589, die dies bejahen. Anders Walter, Brief, 84 f. – Gnilka, Philipperbrief, 204 f. legt sich nicht fest. Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, 153 hlt die in 3,18 bezeichneten ,Feinde‘ fr lapsi. 63 Interessant ist hier die Textbeobachtung von Schenk, Philipperbriefe, 258 f.: Weil P46 in 3,18 das bk´pete von 3,2 eintrgt, trgt die Papyrushandschrift zu einer – wenn auch sekundren, aber sachlich zutreffenden – „kommunikativ quivalenten Textrezeption“ bei, a.a.O., 259. Vgl. auch Gnilka, Philipperbrief, 204.
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(3,19), leben die Philipper doch wie Paulus in der eschatologischen Erwartung des himmlischen pok¸teula (3,20 f.). Phil 3,17 ff. ist daher als ein parnetischer Text zu lesen64. Beide polemischen Passagen in Phil 3,2 – 4a und 3,18 f. sind untrennbar auf ihren Mikrokontext bezogen: In Phil 3,2 – 4a ist die Polemik als Negativkontrast zur Biographie des Paulus gestaltet – die polemische Passage bereitet die autobiographische Passage vor. In Phil 3,18 f. gestaltet Paulus die Polemik als einen Negativkontrast zu dem, wie die Philipper gesinnt sein sollen – hier befindet sich die polemische Passage in einem parnetischen Zusammenhang. So ist die paulinische Polemik in Phil 3 teils der autobiographischen, teils der parnetischen Rede des Paulus zu- oder besser: untergeordnet. 2.3. Autobiographie und Polemik Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass die paulinische Polemik in Phil 3,2 – 4a literarisch stilisiert ist und der Einleitung in die autobiographische Rede in 3,4bff. dient. So ist die Polemik kaum gegen reale Gegner oder akut auftretende Agitatoren in Philippi gerichtet. Sie ist aber ebenso wenig durch einen pseudepigraphen Briefeschreiber stilisiert. Sie hat vielmehr eine rhetorisch-appellative und literarisch-rahmende Funktion im Argumentationsgang von Kap. 3. Der Argumentationsgang mndet in eine Parnese (3,17 – 21), die wiederum mit einer Polemik verknpft ist (3,18 f.). Der parnetische Abschnitt legt – wie schon 3,2 – die Pragmatik dieser Argumentation offen: Paulus fordert die Philipper auf, sich ihn zum Vorbild zu nehmen (3,17). Um sich den Philippern gegenber als ein solches Vorbild inszenieren zu kçnnen, grenzt sich Paulus von mçglichen Widersachern ab (3,2 – 4a): Sie sind der Negativkontrast zu seiner eigenen Biographie (3,4bff.). So dient die Polemik in Phil 3 einerseits der autobiographischen Selbstvergewisserung des Paulus65 und andererseits der Identittsfindung und -wahrung der Gemeinde in Philippi. Wenn der vorliegende Beitrag auf den engen Bezug der Polemik in 3,2 – 4a auf die autobiographische Rede in 3,4b–16 hingewiesen hat, so ist 64 Vgl. dazu auch die Grammatik (Imperativformen) und Semantik in V. 17 f. (sjope?te, peqipatoOmtar, peqipatoOsim) mit nachfolgender Gerichtsankndigung in V. 19. 65 Vgl. hnlich Reumann, Philippians, 470, auch wenn seine These, dass sich Paulus hnlich wie im Gal – mit „an aggressive Jewish-Christian missionary group“ auseinandersetzt, hier nicht geteilt wird.
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damit auch angedeutet, dass Phil 1 und 3 thematisch und literarisch miteinander verbunden sind: Nicht nur werden in Phil 3 bestimmte Motive aus Phil 1 wieder aufgenommen (vgl. 3,10 f. und 1,21 ff.). Vielmehr sind beide Kapitel durch autobiographische Passagen geprgt, in denen es Paulus nicht nur um sich selbst, sondern immer auch um sein Verhltnis zu den Adressaten sowie zu einer dritten Grçße von Rivalen oder Kontrahenten geht. In dieser Auseinandersetzung reflektiert und inszeniert Paulus seine Vorbildfunktion fr andere. Und doch weicht die autobiographische Rede des Paulus in Phil 3 insofern von der in Kap. 1 ab, als sie mit einer scharfen Polemik verbunden wird (3,2 – 4a): Diese Polemik ist als eine offensive Selbstinszenierung, ja als ein berzeichneter Negativkontrast zur autobiographischen Rede des Paulus zu lesen. In Phil 1 hingegen kommt Paulus explizit nachsichtig auf die ihm nacheifernden Prediger oder stereotyp auf die ,Widersacher‘ (1,28) zu sprechen, weil hier offenbar seine eigene, innerlich zerrissene Situation im Vordergrund steht und thematisiert werden soll (1,12). Wie lsst sich diese Vernderung hinsichtlich der autobiographischen Selbstinszenierung des Paulus in Phil 1 und 3, d. h. der Wechsel von defensiver zu offensiver Rede, erklren? Wird die Annahme einer Diktatpause zwischen Kap. 1 und 3 oder gar einer Brief-Kompilation notwendig? Unabhngig davon, ob wir annehmen, Paulus habe den Philipperbrief in einem Zug oder mit einer zeitlichen Unterbrechung verfasst, oder aber es seien die Philipper gewesen, die verschiedene Paulus-Briefe zu dem uns vorliegenden Gesamtbrief kompiliert htten, gilt: Paulus tendiert dazu, den Philippern autobiographisch zu schreiben und setzt in diesem Zusammenhang die Polemik als Mittel offensiver Rede literarisch flexibel ein. So ist es weniger die Polemik in 3,2 – 4a als vielmehr die Autobiographie, die die Kap. 1 und 3 prgt, welche uns den literarischen Charakter und den historischen Ort des Philipperbriefes und seiner Teilabschnitte erschließt: Der gefangene Paulus schreibt den Philippern ber sich und ermahnt so die Gemeinde.
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Polemic in the Epistle to the Colossians Tor Vegge Scholarly interpretations of Colossians normally explore the question of “controversies as context for the letter”. One notices the warning against being taken captive through philosophy (Chapter 2), and several scholarly pages have been written on the Colossian philosophy1 as well as on the opponents referred to in the Letter to the Colossians.2 While the discussion in this essay will draw on such contributions, its main purpose is to discuss possible polemical traits in Colossians and their function in the reasoning and in view of a supposed setting and intention of the letter. It will be argued that a distinct polemic is not prominent in Colossians. The “polemic” against other teachings is rather general, and is to be seen with the purpose of serving the identity formation of intended readers.
1. Polemic – analytical questions The keyword polemic 3 is in the present essay understood as both denoting function and appearing as a literary phenomenon. We are interested in specific (linguistic) procedures rather than a broader perspective, including different types of controversies.4 In spite of its Greek etymology – pºkelor meaning war or combat and pokelijºr meaning martial –, the modern concept of polemic is not found in antiquity, and the word is not used metaphorically in a way that resembles our usage.5 When searching for polemic in ancient texts, we in modern times have a notion of polemic being distinct, often passionate and personal, and mostly possessing negative connotations: in short, being polemical means being impertinent and detractive. However, in modern times the word also has a history denoting resolutely conducted debates in academic settings – theol1 2 3 4 5
See e. g. in Schweizer, Der Brief an die Kolosser; Hartman, Kolosserbrevet. See Mller, Gegner im Kolosserbrief. The starting point here for the definition of polemic is Stauffer, Polemik. Ibid., 1403. Ibid., 1404.
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ogy, literature and philosophy – the focus directed as well on beliefs and convictions. Therefore, the argumentation must not be addressed directly to one’s opponent, but rather be intended to convince the audience of the disadvantages of the refuted beliefs, thus winning the audience over to the side of the speaker.6 Based on H. Stauffer’s discussion, we will look for both controversies represented in the texts and strongly worded arguments concerning beliefs and ethos, argumentation that might also be passionate and/or aimed at certain individual opponents known to speaker and audience.7 This understanding of the term polemic introduces several concepts of ancient rhetoric, and it concerns the nature of and self-perception in primitive Christian religion. It seems probable that what we understand as polemical features in ancient texts may be formally analysed through drawing upon both literary skills as they were cultivated in rhetoric and philosophy as well as the concept of identity formation within early Christian groups. 1.1 Resources from ancient rhetoric and philosophy Within the rhetorical sphere the place one starts looking is within the demonstrative genre and the speech forms “praise” (1cj¾liom/laus) and “blame” (xºcor/vituperatio). Rhetoric handbooks focus on praise, and blame is understood as being a negative reflection of such language of praise. But all argumentative language somehow relates to controversies as far as judicial texts are concerned with justice and injustice, deliberative texts with advantage and disadvantage and epideictic texts with honour and shame.8 Established value systems – the virtues and vices – have to be supposed to be the sounding board of every literary polemic. In judicial rhetoric there are functions such as defence and accusation, and in deliberative rhetoric the reasoning favouring a certain solution or decision often includes or presupposes a critique of alternative decisions. On a somewhat lower level in a genre hierarchy, one may look for polemical language in various literary forms, including diatribe9 and satire.10 More6 7 8 9
Ibid., 1404. Ibid., 1405. And see Lampe, Can Words Be Violent?, 226 f. See Plett, Rhetorische Textanalyse, 17. On the diatribe see Stowers, The Diatribe; Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, 212 – 220.
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over, when referring to rhetorical dispositio polemical traits may be found as early as in the exordium of a text, but primarily where the argumentation contains refutation of the convictions, which the speaker is out to argue against refutatio/confutatio).11 Literary skills are trained through literary education, in antiquity predominantly through the literary exercises, progymnasmata. 12 According to Theon from Alexandria, confirmation is followed by its counterpart refutation in the outline of several exercises, from the elaboration of chreia to the complex exercise nomos, which included refutation and confirmation of a law.13 The more complex exercise thesis had close affinities to the deliberative genre,14 and is by Theon defined as “a verbal inquiry admitting controversy without specifying any persons and circumstance.”15 The controversy could be on political or non-political matters, or in other words on practical or non-practical matters.16 The non-political theoretical matters were at home in the philosophical schools and were employed “for the sake of understanding and knowledge; for example, whether the gods provide for the world”.17 The literary education acquainted learners with the distinction between general argumentation (quaestio infinita) (thesis) and specific argumentation (quaestio finita) (hypothesis). While questions were discussed on a general level in the thesis, a general line of reasoning could be applied to specific cases, persons, places and circumstances.18 The arguments could, however, also be strongly worded in a general line of reasoning, and it could be left up to the audience to apply it to a specific situation. The abovementioned elements (to which more factors and texts may be added) outline a context in ancient literacy that may be used to evaluate early Christian text passages, ones which we consider to contain po10 Stauffer, Polemik, 1404 f. 11 Ibid., 1405. 12 See Kennedy, Progymnasmata; Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, 121 – 185. 13 Theon, Progymnasmata 101 and 128 – 129. 14 See Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, 183 f. 15 Theon, Progymnasmata 120 (Translation: Kennedy, Progymnasmata). 16 Hermogenes, Progymnasmata 11; Theon, Progymnasmata 121. 17 Theon, Progymnasmata 121 (Translation: Kennedy, Progymnasmata). 18 See Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik, § 82, further Fuhrmann, Die antike Rhetorik, 99 ff.; Hellholm, Amplificatio, 132 f. In Cicero, De oratore II.41 f; II.65 f; II.78, it is maintained that the distinction between the general and specific issues concern the entire rhetoric.
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lemics. Regarding the concept of polemic referred to above19 it should be noted that lines of reasoning learned in encomion had personally oriented arguments, and were concerned with virtues and actions: “Encomion is language revealing the greatness of virtuous actions and other good qualities belonging to a particular person.”20 Furthermore, general argumentation as taught in the exercise thesis could in certain situations have a concrete and specific address. However, reasoning not aimed at specific opponents or composed as invectives of certain persons also included controversies as far as the arguments were based on value systems. Such argumentation was assumed to be effective because the values, even if not realised, were generally accepted. Therefore, even if some moral philosophers could appear as harsh preachers,21 the preached values were acknowledged values. The competition between different philosophies or cults could be on being the one providing the best context for a virtuous (and thereby happy) life. 1.2 Further analytical questions It will be argued below that the arguments in Colossians are employed in a context of identity formation. I regard Colossians as a deliberative piece of literature, and any polemics in Colossians function in a broader context being a context of philosophic-religious teaching and counselling. The model for such counselling was guidance given by philosophers and rabbis to those who wanted to adopt their world view and ethos.22 Colossians is a literary text that constructs a situation of counselling that in certain respects is fictive since the reader/audience is invited to imagine themselves in such a teacher-pupil relationship where Paul is the teacher. The intention of such counselling may in modern terms be labelled as identity formation. 23 In the Colossians text this is moulded linguistically and literarily; identity is interpreted in a linguistic system. To 19 As discussed in Stauffer, Polemik. 20 9cj¾liºm 1sti kºcor 1lvam¸fym l´cehor t_m jat( !qetμm pq²neym ja· t_m %kkym !cah_m peq¸ ti ¢qisl´mom pqºsypom (Theon, Progymnasmata 109) (Translation: Kennedy, Progymnasmata, 50). 21 See Malherbe, ‘Gentle as a Nurse’, 39 – 42. 22 For the concepts “ethos” and “world view” applied in the present essay, see Geertz, The Interpretation of Cultures, 126 ff. 23 For this concept see e. g. Holmberg, Winninge, Identity Formation; Moxnes, From Theology to Identity.
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suggest a theoretical framework for these considerations, a semiotic approach to religion seems appropriate. In George Lindbeck’s cultural-linguistic approach “religions are seen as comprehensive interpretive schemes, usually embodied in myths or narratives and heavily ritualized, which structure human experience and understanding of self and world.”24
Such schemes gain character and distinction when dialectically compared with other schemes. The signs of the religion approved through Colossians have a systemic character25 which, according to Gerd Theissen, has “the capacity to organize itself from its own centre […]. Secondly, it has the capacity to distinguish itself from its environment – i. e. to differentiate between reference to itself and reference to outsiders.”26 For a group of believers in Christ gathered in worship of one certain divine being central to their world view and also motivating their morals, it follows that they defined themselves in relation and opposition to other cults, philosophies and not least groups using the same texts and traditions as they did themselves. The possibility always existed that those other cults and philosophies seemed more appealing. Such tensions in the shaping of identity probably occur due to the following reasons: “religions are universal or ‘comprehensive interpretive schemes’ centered on that which is taken to be ‘more important than anything else in the universe’, and used in organizing all of life, including both behavior and beliefs, in relation to this particularity”27
Furthermore, religions “like cultures and languages, […] shape the raw material of human potentialities into different, sometimes mutually exclusive, experiences of self, community, and world.”28 Such particularity seems to have been more at the centre of the self-perception in Judaism and Christianity than in any other of the known cults and philosophies of late antiquity:
24 Lindbeck, The Nature of Doctrine, 18. Lindbeck’s approach seems, at least in some ways, to correspond to C. Geertz’ semiotic approach to culture (Geertz, The Interpretation of Cultures, 24 – 30). See also Meeks, The Moral World of the First Christians, 11 – 17 and Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 1 ff. 25 Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 4. 26 Ibid., 5. 27 Lindbeck, The Nature of Doctrine, 132. 28 Ibid., 130.
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“For with monotheism, primitive Christianity had inherited this sense of superiority and antisyncretistic self-understanding: it repudiated both the worship of other gods and the adoption of elements of the religious sign language associated with other cults.”29
In his essay “From Theology to Identity”, Halvor Moxnes raises the question of the “identity or self-presentation of early Christians from a synchronic perspective”,30 and maintains that “the discussion of identity always implies the construction and maintenance of boundaries”.31 Such boundaries are social, mental and symbolic,32 and they are “established and maintained in processes of encounters and conflicts with other groups.”33 Moxnes’ focus is on “the pragmatic function of boundaries within Paul’s argumentation, not on their general function as parts of a construction of a worldview or a belief ‘system’.”34 Nevertheless, Moxnes reads the arguments “as intellectual arguments, or […] as expressions of religious thought. Still, Paul’s arguments participate in a social process, by proffering ideals of self-presentations with the purpose of shaping identities. These self-presentations or self-ascriptions are crucial elements in establishing a distinguishable group.”35 Moxnes’ “interpretation represents an attempt to read the thought world of early Christians, but with a view also to how this thought world functioned.”36 In his analysis of negative criticism found in New Testament texts, Lauri Thurn investigates the identities of the antagonists referred to in the texts.37 He finds that in certain epistles the antagonists are described with too many mutually “exclusive attributes”, and further that “the labels given to the antagonists tend to be stereotyped and to follow a fixed pat29 30 31 32 33 34 35 36
Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 49. Moxnes, From Theology to Identity, 264. Ibid., 279. Ibid., 272. Ibid., 266. Ibid., 279. Ibid., 279. Ibid., 280. See also C. Markschies, who maintains that the majority of first-century Christians managed with a relatively narrow “theology” consisting of a few succinct formulas. They assumed a critical attitude towards rational explications of the relations between God and the world as defined in philosophies, without their own development of a corresponding theology but relying on the tradition (paq²dosir) (1 Cor 15:1 – 3). Markschies refers to Col 2:8 regarding this attitude (Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen, 28). 37 Thurn, The Antagonists.
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tern known from other Hellenistic and Jewish sources.”38 Commenting on the different suggestions in New Testament research on the opponents’ identity in Colossae, Thurn holds that it is “difficult, if not virtually impossible, to create a coherent picture of the antagonists based on the multifaceted accusations against them in this letter.”39 Nonetheless, the description of the antagonists had a purpose: “The antagonists, as they appear in the text, represent opposite values, alternative thinking or inappropriate behaviour, which the author condemns.” Accordingly, Thurn further suggests that “instead of focusing on historical antagonists, we should study them as they appear in the texts.” They are invented in the texts because “serious persuasion requires antagonists”,40 and on the basis of Paul’s letters, Thurn develops the “thesis that Paul needed antagonists because of his theology, not vice versa.”41 These more theoretical-oriented contributions seem to be relevant in relation to rhetorical and philosophical reasoning (as referred to above). Philosophical guidance intended as Bildung/moral progression was structured in contrastive patterns encouraging the cultivation of virtues and warning against vices, arguing that the virtues were in concordance with the nature (v¼sir) of both reality and mankind. I find Colossians to be a deliberative text containing traits resembling moral guidance as performed in philosophical schools, which means that any possible polemic is related to the argumentative functions of such texts. The text seems to hint at alternative world views, cults and philosophies. In the dynamics of the literary reasoning, these alternatives make the text’s own teaching stand out through its characteristics. Before comments are made on dynamics of the literary reasoning in Colossians, it seems relevant to look for the role of the author/speaker as constructed in the text.
38 39 40 41
Ibid., Ibid., Ibid., Ibid.,
80. 83. 90. 94.
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2. A self-presentation of the implied author (1:24 – 2:5) The paragraphs in Col 1:24 – 2:5 contain ethos arguments, within which the speaker constructs his moral credibility by means of his words.42 The author talks about his sufferings as being sufferings of Christ undergone for the church’s benefit (1:24). Suffering for the benefit of others shows personal virtue and goodwill. The author also claims to be a servant of the church (1:25). The service performed for the benefit of the readers has to do with the household and word of God (1:25), having been a hidden mystery (lust¶qiom), now, however, revealed to his saints (1:26). Beginning with 1:25 the text, based on the ethos arguments, imparts a more consistent picture of the speaker’s role, a picture constructed in the text but relying on the figure of Paul and referring to the identity and selfconception of the circle referred to as “we” in these sentences. The mystery (that is identified with the word of God [1:25 f.] and with Christ [1:27]) is what the author and his companions announce by warning and teaching in all wisdom in order to present every human being mature in Christ (dm Ble?r jatacc´kkolem mouhetoOmter p²mta %mhqypom ja· did²sjomter p²mta %mhqypom 1m p²s, sov¸ô, Vma paqast¶sylem p²mta %mhqypom t´keiom 1m Wqist`, 1:28). Warning and teaching are characteristic tasks of a teacher,43 and the ultimate goal of a moral philosopher and teacher is the progression his students make (pqojop¶) towards achieving maturation/perfection (teke¸ysir).44 A combination of the concepts did²sjeim, sov¸a and t´keior seems to correspond to Paul’s conception of his own teaching, as he describes it in 1Cor 2 (sov¸am d³ kakoOlem 1m to?r teke¸oir, 2:6).45
42 See Andersen, Im Garten der Rhetorik, 41 f. According to Aristotle, “it makes a great difference when it comes to credibility, especially in the deliberative speeches […] that the audience perceives [the speaker] to be disposed towards them in a certain way” (Aristoteles, Rhetorica II.1.3/1377b). Furthermore, according to Aristotle, there are three qualities that can make the speakers themselves appear credible: good sense (vq|mgsir), virtue (!qet¶) and goodwill (eumoia) (Aristoteles, Rhetorica II.1.5 f/1378a). 43 See Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, 54 ff., with references to texts by Xenophon, Epictetus and Dion Chrysostomos. Further Malherbe, ‘Gentle as a Nurse’. 44 See Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, 305 – 329. 45 Ibid., 508 f.
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3. The partitio of the letter A variety of suggestions regarding the division of the letter indicate that transitions in the text between sections having different forms and functions are not easily recognised.46 J.D.G. Dunn sees 2:6 – 7 (“As you therefore have received Christ Jesus the Lord, continue […]”) as the thematic statement of the letter,47 while M. Wolter finds the partitio in 2:6 – 8 indicating the disposition of the whole letter body.48 The question of the propositio or partitio/divisio (in which the speech’s content is briefly described) is important in view of both genre and the letter’s overall function. I will point to a couple of other passages that might be seen as specifying the intention of the letter, the first being 1:9 f., which follows the thanksgiving section and expresses the wish that readers “may be filled with the knowledge of God’s will in all spiritual wisdom and understanding, so that you may lead lives worthy of the Lord […].” The direct reference here is, however, the constant prayers the implied authors make for the implied readers. Further, in 2:1 – 2 we meet a clear metacommunicative utterance that might be seen as revealing the intention of the entire letter: “For I want you to know how much I am struggling for you and for those in Laodicea […]. I want their hearts to be encouraged and united in love, so that they may have all the riches of assured understanding and have the knowledge of God’s mystery, that is, Christ himself.”
This is not very different from 1:9 f., in which encouragement and knowledge are signified. “The knowledge of God’s mystery, that is, Christ himself ” is sketched in the passage 1:15 – 20, praising Christ with statements of his cosmic power and status. This type of knowledge is the framework of moral guidance. The same passage also comments on the communicative function: “I am saying this so that no one may deceive you with plausible arguments” (2:4). These statements, communicating as they do the intention of imparting knowledge/understanding merged with moral exhortation,49 appear (regardless of how they are classified in 46 See Hellholm, Die Gattung Haustafel im Kolosser- und Epheserbrief, 104 f. 47 Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 41. 48 Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 114 – 116. B. Witherington finds the propositio/partitio in 1:21 – 23 (Witherington, The letters to Philemon, the Colossians and the Ephesians, 137). 49 This connection of knowledge and moral guidance corresponds to the concept of paraenesis discussed in Engberg-Pedersen, Starr, Early Christian Paraenesis in
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view of the dispositio) to be important in the evaluation of the letter’s overall function and, further, in the assessment of the polemical language’s function.
4. Genre and function In the present essay it is presupposed that Colossians is deuteropauline and written by one of Paul’s students within a setting that I prefer to call a school or school tradition. The letter might have first been written and used within such a minor group.50 The town of Colossae was probably demolished in an earthquake in the early 60’s, and the address might be fictive.51 This essay’s hypothesis is as suggested above that polemic (understood as passionate argumentation aimed at certain individual opponents) is not prominent in the letter. Such presuppositions may refer to an assumed situation of communication, but also to a discussion of genre. The function of specific utterances should be seen in relation to the letter’s main line of reasoning. It is somehow conventional to see the letter to the Colossians – like a typical Pauline letter – divided into a teaching (descriptive) section and a paraenetic (prescriptive) section. There is, however, a discussion regarding where the beginning of the paraenetic section is to be found, either in 2:6, 2:20, 3:1 or 3:5.52 This suggests an uncertainty regarding the sections commonly perceived as being polemical (2:6 – 23); that is, if they should be perceived within a context of descriptive or of prescriptive language. Instead of pursuing a discussion of such divisions, it seems to me more beneficial to regard the letter as a whole as being deliberative, subsequently considering its overall intended function as being a guiding one, which in this context – as far as physics is the framework of ethics Context. In a suggested definition “Paraenesis is [1] clear, concrete, benevolent guidance that […], [3] expresses a shared, articulated world view” (Popkes, Paraenesis in the New Testament, 42 f.) Further, Starr, Paraenesis for Beginners?, 111. I perceive the discussion of the concept “paraenesis” in these contributions to be held in a hermeneutical context that is comparable to the theoretical framework outlined in the present essay’s introduction. 50 4:16 seems however to indicate that the letter was intended to be read when the congregation was gathered, perhaps even during the worship service, see Hartman, Kolosserbrevet, 193; Betz, Paul’s “Second Presence”, 515. 51 Lindemann, Der Kolosserbrief, 12 f.; Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 337. 52 See Hellholm, Die Gattung Haustafel im Kolosser- und Epheserbrief, 104 f.
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– includes seeing oneself in relation to a world view. In an early Christian context this would imply framing one’s self-perception in a Christian theological world view. Teaching in a descriptive form can be taken as an invitation to position oneself in this particular world view, which then results in a certain way of leading one’s life. Deliberative rhetoric does not work without a foundation in view of the communicative context; that is, in some recognized truth claims53 (even world view), and in a shared view of the purpose of being occupied with the subject matter at hand established between speaker and recipient and, presumably, in a notion of belonging to the same group with shared interests in the group’s wellbeing. Accordingly, it seems appropriate to recognize paraenesis54 as guiding the main line of reasoning in the letter, as done in the outline suggested by L. Hartman,55 and hence the letter as belonging to the deliberative genre. The suggestion may be forwarded that the letter was not supposed to be read as an actual sermon when the whole congregation was gathered, but rather was meant for a smaller circle including persons who could use the text for their own learning as well as further their own teaching and guidance of other believers. If, however, the address “in Co-
53 George A. Kennedy emphasizes the often deliberative function of epideictic rhetoric (Kennedy, New Testament Interpretation Through Rhetorical Criticism, 73 ff.). See also Betz: “Paraensis, therefore, consists of more than free-standing moral commandments or recommendations. It implies an appeal to reason, claiming that the exhortation, whatever it may be, stands upon a rational framework as well as practical experience” (Betz, Paraenesis and the Concept of God, 227). For a brief discussion of rhetorical genres in literary texts, see T. Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, 349 – 352. 54 In the use of “paraenesis”, I favour a functional understanding of the concept. See Popkes, Paraenesis in the New Testament, 17; 34; 42. The point here is not a clear-cut definition of paraenesis in relation to e. g. exhortation (paq²jkgsir), but the relations between doctrines and ethics. See Engberg-Pedersen, The Concept of Paraenesis, 54 ff.; Starr, Paraenesis for Beginners, 79 – 81. 55 After the address (1:1 – 2) follows the main section (1:3 – 4:6), the sermon containing “softer exhortation with Christological basis” (1:3 – 23), a “direct exhortation with Christological basis” (1:24 – 2:23), and then “ethical prescriptions” based on the previous section (3:1 – 4:6) (Hartman, Kolosserbrevet, 195 f.) See also Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 136; Popkes, Paraenesis in the New Testament, 16; Hellholm, Die Gattung Haustafel im Kolosserund Epheserbrief, 104 f.
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lossae” is fictitious, one might suppose the intended function of the letter to be of a more general kind.56 Without pursuing a discussion of the detailed disposition/division of the letter, it seems important within the context of the present essay to note that the letter has sections dealing with world view (myths and doctrines) (1:15 – 20; 1:26 – 27; 2:3; 2:8 – 10; 2:12b; 2:14 – 15), sections concerned with ethos (actions recommended) (2:16 – 4:6) and sections referring to rite (2:11 – 12; 2:16 – 23). Furthermore, paragraphs and sentences containing paradigmatic interpretations of life story (1:21 – 22; 2:11 – 13; 3:7) might be highlighted. These dimensions of world view, ethos and rite are interwoven with one another, as the sections are literarily interdependent on one another.
5. Systemic and boundary marking text functions in Colossians The reasoning in Colossians reveals a dialectical interaction between systemic character and boundary marking functions.57 Distinct metacommunicative utterances have already been identified. However, a metaperspective on the writing and teaching represented by the writing is communicated in several paragraphs. Considered from a modern theoretical viewpoint, these paragraphs seem to argue that the teaching stands out as a characteristic sign system in relation and opposition to other sign systems.58 Other sign systems are hinted at in a general way, that is, through general characterizations of their disadvantageous effects. 5.1 Thanksgiving and prayer report (1:3 – 14) After the salutation follows (as in other Pauline letters) a thanksgiving section (1:3 – 8) that in Colossians is extended with a “report” (1:9 – 11) on the author’s and his companions’ prayers for the intended readers (similar to Phil 1:9 – 11). The report on those prayers’ content sets the 56 A. Lindemann supposes the address to be fictitious, the letter nevertheless being addressed to a certain congregation, the congregation in Laodicea (Lindemann, Der Kolosserbrief, 12 f. The extensive reasoning may be found in Lindemann, Die Gemeinde von “Koloss”). 57 Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 4; Moxnes, From Theology to Identity. 58 Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 4.
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stage for the teaching imparted throughout the letter. According to the prayer report, the teaching is concerned with both world view and ethos, and is intended to impart “knowledge of God’s will in all spiritual wisdom and understanding” (1:9). In light of 1:15 – 20 (the Christ eulogy) this knowledge, wisdom and understanding deal with what we perceive as world view. Further, the teaching is intended to help the readers lead their lives (peqipat/sai) “worthy of the Lord […], bear fruit in every good work”, which can be said to concern the ethos-dimension of religion. It might be significant that to “bear fruit in every good work” is combined with a growth in knowledge of God (1:10). Moreover, “to be made strong” (1:11) is ethos-related in that it is thought as effectuating rpolom¶ (endurance) and lajqohul¸a (patience). It is significant that this strength is in accordance with the might of God’s glory. Ethos and world view are interwoven in this line of reasoning. It has already been remarked upon that these utterances impart the implied author’s intentions concerning his communication, and the themes mentioned here are referred to and developed somewhat further in other parts of the writing. It might also be presupposed that the audience is acquainted with the teaching from other settings, and of its basis in the teaching and letters of Paul. This well-considered notification of what the implied author prays for and for what he is thankful is an indication of the character and intended function of the teaching; in linguistic terms: it sketches the semantic and pragmatic dimensions of the communication. From the perspective of polemic, one may look for language of differentiation or boundary marking language in these sentences. The expression b kºcor t/r !kghe¸ar toO eqaccek¸ou (1:5) of course presupposes that there is a teaching that is not “the gospel”, and that does not impart the truth, i. e. that is false, misleading, “empty deceit, according to human tradition” and so forth (2:8). Further, the “true way of learning to know God’s grace” (Ajo¼sate ja· 1p´cmyte tμm w²qim toO heoO 1m !kghe¸ô, 1:6) stands in opposition to a false way of learning about God. This dialectic perspective can be extended to further expressions in these sentences. To the extent there is a way of leading one’s life worthy of the Lord (peqipat/sai !n¸yr toO juq¸ou, 1:10), there is also a way of leading it in an unworthy manner (as referred to in Chapter 3). Finally, the present existence of the believers in the light (1m t` vyt¸) stands in contrast to their former existence under the power of darkness (1:12 – 13). This contrast is explicated in the text. While the themes denoted here are general, they are concerned with both world view and ethos,
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and their characteristic meaning emerges in view of a dialectical comparison that both speaker and intended audience presuppose may also be performed when it is not clarified in the text. 5.2 A world view (myths and doctrines) focused in Christ (1:15 – 20) Grammatically expanding on the expression 1m è (“in whom we have redemption […]”) (1:14), there immediately follows an elaboration on the authority and power of Christ (a section often referred to as the Christ hymn59). For instance, 1:15 – 20 is a passage in refined prose style (a prose hymn) expressing the deeds, qualities and roles of Christ in God’s history with the existent reality, and his power in all the domains of this reality. It ends with a reference to the cross of Christ. This status and these qualities of Christ are supposed to be at the very centre of the believers’ world view. The passage presents the grandness and overwhelming significance of the Christian beliefs. In terms of the sign language of religion this expresses myth,60 or doctrines and cosmic stories/myths.61 The meaning of the expressions may be comprehended dialectically, an interpretation that in turn might be used polemically. When Christ is the firstborn (pqytºtojor) (1:15), all other figures that might claim such a position are excluded. Moreover, when all things were created in him – and the author takes great care to explicate what “all things” means62 – he is, together with God, the supreme divine figure in all reality. This implies (as indicated in the text) that all other figures that might be thought of as having a corresponding position, or might be asserted to have a supreme status, in reality are excluded from such positions; they are subordinated Christ. The focus is precisely on such possible figures, the text explicitly mentioning that thrones, dominions, rulers 59 The question of a possible prehistory of these passages will not be discussed here. See Bosch, Der Hymnus Kol 1,15 – 20, and in commentaries as e. g. Lindemann, Der Kolosserbrief, 25 f.; Sumney, Colossians, 60 ff. 60 Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 3. 61 Lindbeck, The Nature of Doctrine, 19. 62 “Es gibt […] keinen Bereich im Himmel […] und auf der Erde […] d. h. in der ganzen Schçpfung, der nicht von Christus her bestimmt wre […]. Um dies zu unterstreichen, folgen als Auslegung des Wortes ,alles‘ vier einander entsprechende Begriffspaare, mit denen der Dichter die Ganzheit des Kosmos zu erfassen trachtet” (Lindemann, Der Kolosserbrief, 27). See also Sumney, Colossians, 68 f.
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and powers63 (eUte hqºmoi eUte juqiºtgter eUte !qwa· eUte 1nous¸ai) are “created through him and for him” (t± p²mta dQ aqtoO ja· eQr aqt¹m 5jtistai, 1:16). This elaborate – in itself epideictic rhetorical – reasoning aims at demonstrating the supreme position of Christ. It seems reasonable to perceive it as intended to sketch the world view in its totality. The reasoning mentions “all things in the heavens and on the earth, all things visible and invisible” (t± p²mta 1m to?r oqqamo?r ja· 1p· t/r c/r, t± bqat± ja· t± !ºqata, 1:16).64 Additionally, the fullness (p÷m t¹ pk¶qyla) dwells in him (1:19).65 The temporal dimension also is referred to: “He himself is before all things” (aqtºr 1stim pq¹ p²mtym, 1:17). While the passage is not polemically styled, its meaning can be supposed to be based in dialectical comparison. It would be possible to work out a rhetoric-philosophical synkrisis/comparison between Christ and other supposed divine authorities based on the topoi applied in this encomion of Christ. As such the passage has a polemical potential that may be used when confronting teachers and preachers arguing for other world views. Passage 1:18 denotes the significance of this world view for the community of believers’ social dimension, the 1jjkgs¸a. The supreme authority of the total reality is at the same time head of the church (aqtºr 1stim B jevakμ toO s¾lator t/r 1jjkgs¸ar, 1:18), a fact that gives the believers/ community access to the fullness (1:19). The final sentences in this section mentioning reconciliation (!pojatakk²nai) and peace-making (eQqgmopoi¶sar) (1:20) might refer to tensions concerning world view as well as possible instances of polemical arguing among the believers. In this case the author supposes the basis for such tensions to be removed through this grand Christ-centred world view. 63 A. Lindemann assumes that the words “thrones” etc. refer to “Engel-Hierarchien” common in not only Judaism but also in Gnosis (Lindemann, Der Kolosserbrief, 27). This is similar to Sumney who, however, remarks that “these names also designate visible social and political offices, structures and realities” (Sumney, Colossians, 67). 64 A. Lindemann suggest that t± p²mta could be translated “das All” (Lindemann, Der Kolosserbrief, 27). 65 The “fullness” seems to incorporate what is said in the foregoing statements about how everything is created in him, how he existed before everything and how everything is held together in him (t± p²mta 1m aqt` sum´stgjem). According to L. Hartman, “fullness” is a way of denoting God (Hartman, Kolosserbrevet, 47). See also Lindemann, Der Kolosserbrief, 28; Sumney, Colossians, 74.
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5.3 A warning (1:21 – 23) This grand concept of reality is followed by a reference to the self-perception of the readers/believers (a statement on their new identity/position in relation to God). They were once “estranged”, but are now “reconciled”. The reference to the former “identity” – being “estranged and hostile in mind, doing evil deeds” – is also based on a dialectical contrast which in this instance refers to the believers’ life story, but containing a contrast carrying polemical potential that in another context might be applied in argumentation against persons teaching a world view and an ethos perceived as not being reconcilable with Pauline teaching. This statement and identity reminder are coupled with a gentle warning anticipating the more explicit warnings found later in the text: “provided that you continue securely established […]” (1:23). The warning indicates the possibility of shifting to another teaching/gospel (letajimo¼lemoi !p¹ t/r 1kp¸dor toO eqaccek¸ou ox Ajo¼sate) and of associating with another teacher than Paul (ox 1cemºlgm 1c½ PaOkor di²jomor, 1:23). 5.4 The reasoning concerning the philosophy (2:6 ff.) Colossians 2:6 introduces the sections that are supposed to contain a direct polemic against certain opponents.66 Regarding the question of these opponents’ identity, I have already indicated that my own perception lies in the direction of evaluating the argumentation to be more of a general kind and not envisaging certain individuals of a particular persuasion known to the author and addressees trying to win the Colossian Christians for their own persuasion.67 66 For the discussion see e. g. Francis, Meeks, Conflict at Colossae; Hartman, Kolosserbrevet, 117 – 125; Ernst, Kolosserbrief; DeMaris, The Colossian Controversy; Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 23 – 35; Mller, Gegner im Kolosserbrief. 67 This perception is not very original. My evaluation of the arguments’ energy and the possibility of concrete identification of the opponents is not very different from Dunn (Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 23 ff.) and resembles M. D. Hooker (Hooker, Were there false teachers in Colossae?, 316), even if the analysis by Hooker is made on the presupposition that Colossians is written by Paul (315). See also the lineup of four types of identification of opponents by P. Mller, where my own seems most congruent with the fourth type: “Es existieren keine Gegner im ausdrcklichen Sinn. Kol 2 warnt vielmehr
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5.4.1 Line of reasoning in Colossians 2 The section, that by many is regarded polemical, may be said to start around 2:6 and end in 2:23.68 The more strongly worded arguments of Chapter 2 are imparted in a context designed linguistically by the preceding sections already commented upon. After the section in which the implied author presents himself follows a passage containing a direct address to the audience (in 2:6) with the exhortation to “walk in Christ Jesus the Lord”. Even with this exhortation marking a transition in the text, the mode of speaking is still mainly descriptive, while the text from 3:5 is dominated by prescriptive language.69 Central in this section is 2:9 – 15, a teaching according to Christ (jat± Wqistºm) with a fundamental world view statement (theological/Christological) (2:9) followed by an application to the implied readers (2:10 – 15).70 allgemein vor dem paganen Umfeld, aus dem die christliche Gemeinde entstanden ist, vor dem Judentum oder vor Verunsicherungen bei den Adressaten selbst, die durch die Konversion hervorgerufen wurden” (Mller, Gegner im Kolosserbrief, 369 f.). See also Hooker, Were there false teachers in Colossae?, 323. 68 See Mller, Gegner im Kolosserbrief, 366. DeMaris finds 2:8 and 2:16 – 23 to be the polemical core of the letter (DeMaris, The Colossian Controversy, 41 ff.). Schweizer defines 2:6 – 23 as “the confrontation with the Colossian Philosophy”, a section that he further sees divided into “the basic foundation in vv. 6 f.; the Christology, in vv. 8 – 15, set in contrast to the Colossian philosophy […], and the actual defence against the false claims in vv. 16 – 23” (Schweizer, The Letter to the Colossians, 121 f.). J.D.G. Dunn sees 2:6 – 4:6 as the theme of the letter. Vv. 2:6 – 7 is the thematic statement for the entire letter, and 2:8 – 23 states in three sections that “the cross of Christ renders unnecessary any further human traditions and rules” (Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 41 f.). M. Wolter identifies 2:6 – 4:6 as the “Briefcorpus”, that has two main parts. Vv. 2:9 – 23 constitutes a classic argumentatio that is further divided in a probatio (9 – 15) and a refutatio (16 – 23). This argumentatio is followed by the exhortatio (3:5 – 4:6) and Wolter finds the partitio in 2:6 – 8 (Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 114 – 116). In similar fashion P. Mller sees 2:6 – 23 as argumentatio, with the division in a probatio and a refutatio, however without defining a partitio (Mller, Gegner im Kolosserbrief, 368 f.). 69 As mentioned above, certain scholars believe the paraenetic (prescriptive) section of the letter to begin either with 2:6, 2:20, 3:1 or 3:5. See Hellholm, Die Gattung Haustafel im Kolosser- und Epheserbrief, 104 f. Related to this discussion is the question of the nature of exhortation/paraenesis. See Engberg-Pedersen, Starr, Early Christian Paraenesis in Context. 70 For the structure see: Vegge, Baptismal Phrases.
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This application of the “fullness of deity” to the implied reader (2:9 – 15) is preceded by the exhortation to “walk in him [Christ] […]” (2:6 – 8) that implies to be “rooted and built up in him” (1m aqt`) (2:7), and to be “established when it comes to the faith”. This established faith is founded in teaching (jah½r 1did²whgte) (2:7). The encouragement is followed by a warning, and the phrasing relates to teaching and learning. It is a warning against another type of teaching labelled “philosophy”, a philosophy that the implied author claims to be in accordance with “human tradition” and the “elements of the world” and not in line with Christ (jat± Wqistºm) (2:8). This exact jat± Wqistºm is then elaborated upon in the following sentences (2,9 ff.). The transmission is brought about through the relative sentence fti 1m aqt` jatoije? […]. “Philosophy” not reconcilable with the Christianity taught in this letter is referred to again (somewhat more detailed) in 2:16 – 23. Thus, a contrast is established in the text which discusses teaching that mutually exclude one another, a contrast which, as indicated, is visible in the outline of the section. M. Wolter identifies 2:9 – 23 as the argumentatio of the letter. The argumentatio is further divided in a probatio (9 – 15) and a refutatio (16 – 23).71 Dunn points to a chiastic structure: 8a and 16 – 23 containing polemical denunciation, and 8b and 9 – 15 the teaching in accordance with Christ, with 2:8 functioning “as a heading and initial statement of the section’s theme.”72 The addressees hear this encouragement to walk in Christ Jesus the Lord (2:6) just after hearing the implied author communicate clearly metacommunicative utterances as outlined above. The implied author is a construction of the person of Paul, and the readers have of course not met him (“all who have not seen me face to face” [2:1]). A few lines later it is stressed that “Paul”, although “absent in body”, is with them in spirit. Moreover, “Paul” rejoices over their morale and firmness of faith in Christ (2:5). Having by these literary means created a “second presence” of Paul,73 and an intimate and personally demanding atmosphere, the speaker communicates the exhortation to walk in Christ
71 “Diese Verse bilden eine klassische argumentatio” (Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 115). Similarly Mller who sees 2:6 – 23 as argumentatio, with the division in probatio and refutatio (Mller, Gegner im Kolosserbrief, 368 f.). 72 Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 144. 73 Betz, Paul’s “Second Presence”.
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Jesus the Lord, which implies that they must abstain from other religious or philosophical guidance. 5.4.2 Philosophies excluding one another (2:8 ff.) The word “philosophy” is found only in this text of The New Testament and is here associated with jemμ !p²tg (“empty delusion”) and paq²dosir t_m !mhq¾pym (“human tradition”), being further coupled with “someone” (tir) who might use the philosophy to lead astray (sukacyce?m). The definite (di±) t/r vikosov¸ar can be read as the author referring to an actual philosophy known to the readers.74 The definite article would normally presuppose that the concept is already presented in the linguistic context or is known to the audience without further presentation. It is difficult for us to discern a distinct philosophy that is argued against in the writing,75 even when the broad use of the word is taken into account.76 The idea can of course not be excluded that a certain teaching, conviction, or cult, is referred to, one that is unknown to us who are not among the intended readers. The reasoning seems, however, to make sense when a more general reference is presupposed. Col 2:8 is a fairly general characterization mentioning that other teachings may be deceitful, based on human traditions, and most importantly, not founded in Christ. We will return to the polemical functions below. A factor that is also important for the perspective from which the author’s own teaching is seen is that vikosov¸a may be assumed to have a fairly broad range of meaning. M. Wolter mentions that according to 4 Macc and Philo, the religious foundations of Judaism may be labelled as philosophy, and that Josephus calls the teachings of the Essenes, Sadducees and Pharisees philosophies, and further that Philo describes the adherents of the Therapeutics as philosophers. As philosophy counted further redemptive teachings of different religious movements, the secret teachings of the mysteries, knowledge of magic, and the esoteric teachings appearing in the Hermetic literature.77 According to Seneca, philosophy 74 Hartman, Kolosserbrevet, 117. P. Mller maintains, “der bestimmte Artikel und die erst im Zusammenhang mit der folgenden Bestimmung mit der Philosophie verbundene Wertung machen es wahrscheinlich, dass ihn die Gegner (als Selbstbezeichnung?) verwendet haben.” (Mller, Gegner im Kolosserbrief, 376) 75 See Thurn, The Antagonists, 83. 76 Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 120 f. 77 Ibid., 120 f., with references to texts. Similarly Lindemann, Der Kolosserbrief, 39; Mller, Gegner im Kolosserbrief, 376.
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is concerned with virtues. “Wisdom is the perfect good of the human soul (sapientia perfectum bonum est mentis humanae), and philosophy is the love of wisdom and the pursuit of it (philosophia sapientiae amor est et adfectatio).”78 The one and only task of philosophy is “to find the truth concerning divine and human things”, and philosophy is accompanied by “conscientiousness (religio), piety (pietas), righteousness (iustitia) and all other interrelated virtues.”79 As stated by M. Wolter it seems obvious that philosophy was not only concerned with “ein […] denkerisches Bemhen um die Erkenntnis der dem Verhltnis von Gott, Welt und Mensch zugrundeliegenden Prinzipien”,80 and (from the perspective of the present essay) it is also of interest to emphasize that philosophy might have been perceived as choice of lifestyle based on a world view including ethos,81 a world view that also includes religious beliefs. Hence, the comments on polemic in Colossians should include such a broad philosophical perspective, and they should also include the dimension of rite. Furthermore, it seems of interest to point to the broad range of meaning. The word vikosov¸a was convenient if the intention was a general reference to alternative beliefs, religions and cults. 5.4.3 Polemical potential In the context of the knowledge of the modern reader the boundary demarcation, that is, the portrayal of the disadvantageous philosophy is, as already remarked upon, not very specific and mostly limited to general characteristics and warnings (2:8 and 16 – 23). The utterances have, however, a polemical potential, and they suggest polemical energy when the readers are reminded that they encounter the philosophies as convictions of individual persons. Philosophies do not just float around on their own; they exist in people’s heads, or in the language and texts of persons having identity in social contexts; they exist in contexts of convictions (beliefs), rites, sentiments and practices. The text suggests that philosophies are held by persons. The “no one” (tir) (2:8) and the “anyone” (tir) (2:16), not only may refer to real persons that the author had in mind, but may also be considered as referring 78 Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 89.4. 79 Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 90.3. See Vegge, Paulus und das antike Schulwesen, 271 – 278. 80 Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 120. 81 See Mller, Gegner im Kolosserbrief, 376, footnote 29.
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to characters one might expect to encounter in a typical Hellenistic polis of Asia Minor,82 or they may be antagonists constructed in the text for the purpose of creating a dialectical reasoning, creating binary oppositions to make one’s own teaching stand out with its characteristics.83 In accordance with the pragmatic function of the text, such persons or antagonists are – with a polemical tendency – valued as being the following: 1) eQj0 vusio¼lemor rp¹ toO mo¹r t/r saqj¹r aqtoO (“puffed up without cause by a human way of thinking”, 2:18),
and their recommended practices are 2) jat± t± 1mt²klata ja· didasjak¸ar t_m !mhq¾pym (“simply human commands and teachings”, 2:22).
More significantly, the portrayal suggests deceit: 3) ûtim² 1stim kºcom l³m 5womta sov¸ar 1m 1hekohqgsj¸ô ja· tapeimovqos¼m, [ja·] !veid¸ô s¾lator, oqj 1m til0 timi pq¹r pkgslomμm t/r saqjºr (“these have indeed an appearance of wisdom in promoting self-imposed piety, humility, and severe treatment of the body, but they are of no value in checking self-indulgence”, 2:23).
In the antecedent sections in which the author presents himself (1:24 – 2:5), there is no outspoken polemic against other teachers;84 nevertheless, the presentation still functions as a contrast to the warnings against the philosophy and the invectives cited here. The author’s actual intentions for the audience are expressed in the words understanding (s¼mesir), knowledge (1p¸cmysir, cm¾sir) and wisdom (sov¸a) (2:2 f.). These themes occupy philosophers, and the author consequently contrasts himself to persons teaching other forms of philosophy (2:4 and 8). In 2:4 he states that he “says this” – referring to the abovementioned content of his own teaching – in order that the readers may be able to confront persons that might try to convince them otherwise by using plausible arguments (toOto k´cy Vma lgde·r rl÷r paqakoc¸fgtai 1m pihamokoc¸ô).
82 See Ibid., 369 f. 83 Thurn, The Antagonists. 84 B. Heininger, however, when relating pihamokoc¸a (2:4) to !c¾m in 2:1 maintains that the !c¾m denotes “einen Agon, den ‘Paulus’ und […] Epaphras […] mit der kolossischen Philosophie ausfechten. Dieses agonale Konzept hat Entsprechungen in der stoischen Popularphilosophie” (Heininger, Soziale und politische Metaphorik, 70).
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Compared to Paul’s aggressive arguing against the “superapostels” in 2Cor 11:5 and 13 – 15,85 the invectives in Colossians seem rather reluctant. For instance, in 2 Corinthians Paul questions his opponents’ ethos, accusing them of being “boasters”, “false apostles”, “deceitful workers, disguising themselves as apostles of Christ”, and he even compares them with Satan (2Cor 11:12 – 15). Although none of the opponents are mentioned by name,86 we need not doubt that the utterances are polemical, meaning they are invectives written in a specific conflictive situation. P. Lampe has explored the context for this aggressive, passionate argumentation in the “polemical culture” of Paul’s time as attested in e. g. speeches of Cicero.87 Additionally, the polemic in the epistles of PseudoHeraclitus that will be referred to below seems sharper than do the invectives in Colossians. The invectives in Colossians (with the possible exception of the last reference to deceit) are also not directly recognizable as topoi from 1cj¾liom and xºcor as referred to above, but they may still be developed in a religiously nuanced vituperation (xºcor), relating it to certain specific individuals and circumstances. General references made to the disadvantageous philosophy and the “anyone” advocating the philosophy may be perceived rhetorically as thetical reasoning (quaestio infinita) designed to prepare intended readers for a reasoning concerning definite philosophies held by actual persons (quaestio finita).88 Viewed dialectically, the general demarcation of boundaries listed in the three points above and pointing at possible antagonists in effect characterize the teaching approved by the author as 1) being a grand but godly way of thinking, 2) being teachings according to Christ, and 3) not only having an appearance of wisdom but also being the true wisdom of God. It makes sense to perceive the antagonists as having been invented in the text for the purpose of allowing this teaching to appear with characteristic features.89 Further, in the section’s line of reasoning, it is possible to discern demarcation against “other signs” concerning both world view as well as rite and ethos.90
85 86 87 88 89 90
See Lampe, Can Words Be Violent?, 223. Ibid., 231. Ibid. See above: Resources from ancient rhetoric and philosophy. Thurn, The Antagonists, 89 ff. See Mller, Gegner im Kolosserbrief, 388.
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As already suggested, the word vikosov¸a (2:8) does not in itself characterize a specific teaching. On the contrary, it is my impression that the word denotes the function of the reasoning presented in the letter. As regards contents, it refers to philosophy as taught in the philosophical schools (or the philosophy of Jewish teachers, or even the doctrines of some cults), and as to the pragmatic dimension, the implied author presents himself in the manner of a teacher and moral philosopher imparting knowledge of reality and moral formation, that in certain respects stand in opposition to other philosophies. Philosophy may be both strongly worded and polemical. Philosophers might provocatively attack a lifestyle devoid of virtues governed by desire for and delight in wealth and praise. The Cynics in particular were notorious for such preaching.91 If you engaged a Cynic as coach or counsellor, you had to prepare for a severe training program.92 Dion from Prusa (Chrysostomos) held that the task of philosophy was to “promote virtue and sobriety and trying to lead all men thereto, partly by persuading and exhorting, partly by abusing and reproaching, in the hope that he may thereby rescue somebody from folly and from low desires and intemperance and soft living.”93
The Stoic Epictetus declared the following: “he who can show to each man the contradiction which causes him to err, and can clearly bring home to him how he is not doing what he wishes, 91 See Malherbe, ‘Gentle as a Nurse’, 39 ff. 92 The following satirical account by Lucian may be supposed to rely on the type as it was generally perceived: “DIOGENES: I am a liberator of men and a physician to their ills; in short I desire to be an interpreter of truth and free speech —BUYER: Very good, interpreter! But if I buy you, what course of training will you give me? —DIOGENES: First, after taking you in charge, stripping you of your luxury and shackling you to want, I will put a short cloak on you. Next I will compel you to undergo pains and hardships, sleeping on the ground, drinking nothing but water and filling yourself with any food that comes your way. As for your money, in case you have any, if you follow my advice you will throw it into the sea forthwith. You will take no thought for marriage or children or native land: all that will be sheer nonsense to you, and you will leave the house of your fathers and make your home in a tomb or a deserted tower or even a jar. Your wallet will be full of lupines, and of papyrus rolls written on both sides. Leading this life you will say that you are happier than the Great King; and if anyone flogs you or twists you on the rack, you will think that there is nothing painful in it” (Lucianus, vitarum auctio 8 f.) (Translation: Harmon [Loeb]). 93 Dion Chrysostomos, Orationes 77/78. 38.
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and is doing what he does not wish, is strong in argument, and at the same time effective both in encouragement and refutation.”94
Such strongly worded teaching was intended for the student in a teacherstudent relationship. The contrast between virtues and vices is prominent. But philosophical argument could also be polemical, criticizing adversaries or other persons outside the circle of students and sympathizers. In the pseudonymous epistles of Heraclitus (belonging to the so-called Cynic Epistles dating from the 1st century A.D.),95 there is polemic against adversaries. A person who has accused “Heraclitus” of impiety is in return called blind and ignorant, and these invectives are coupled with lacking knowledge of God.96 Epistle 6 contains polemics against the doctors who had tried to diagnose the disease of “Heraclitus” “although they understand neither science nor nature”.97 The polemic emphasizes this lack of understanding as well as ignorance, impiousness, deceit (“they pretend to skills they do not have” [6.2]), disgrace and shame (“it is a greater shame to claim knowledge when one in fact does not possess it” [6.2]), and further that the doctors make money through deceit (6.2). In epistle 7 a polemic against politicians is coupled with vice lists.98 The polemic emphasizes ethos (vices), and the context and basis of ethos include knowledge of nature (nature meaning the reality in its totality). In these texts, then, ethos is related to world view, and knowledge of nature (v¼sir) is the key to understanding man’s condition. In epistle 5 the topics are disease and health, and the key to the latter is knowledge: “Since I understand the nature of the world, I understand also that of man” (1c½ eQ oWda jºslou v¼sim, oWda ja· !mhq¾pou).99 We meet ethos in these texts based on world view, in this instance imparted in epistles as well and probably belonging to a philosophical school con94 (4) deim¹r owm 1m kºc\, b d’ aqt¹r ja· pqotqeptij¹r ja· 1kecjtij¹r oxtor b dum²lemor 2j²st\ paqade?nai tμm ‹l²wgm›, jah’ Dm "laqt²mei, ja· sav_r paqast/sai, p_r d h´kei oq poie? ja· (5) d lμ h´kei poie? (Epictetus, Dissertationes II.26.4 – 5). See Stowers, The Diatribe, 105. 95 Malherbe, The Cynic Epistles, 22 f. 96 Pseudo-Heraclitus, Epistolae 4.1 – 2. 97 Pseudo-Heraclitus, Epistolae 6.1. 98 Pseudo-Heraclitus, Epistolae 7.4 – 5. 99 Pseudo-Heraclitus, Epistolae 5.1. See also further in the epistle statements on the balance of the world, knowledge of the universe, and how the soul of the philosopher “will fly high into heaven” and the philosopher will be a citizen among the gods (5.2).
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text.100 The polemic contains criticism that resembles the warnings in Colossians referred to above. However, as regards polemical sharpness, passion and individual address, the polemic stands closer to 2Cor 11, while the invectives in Colossians seem somewhat more general and reserved. 5.4.4 Pauline philosophy Paul never calls his teaching “philosophy”, even if he says he teaches wisdom; neither does the author of Colossians, even if he contrasts the philosophy in a way that makes the “Pauline” teaching stand forth as true philosophy. In a previous section I briefly pointed to passages in 1 Corinthians 2 that resemble the self-presentation of the author and his teaching in Colossians. Paul talks about his weakness (1m !sheme¸ô) (1Cor 2:3) and says that he taught them the mystery of God (jatacc´kkym rl?m t¹ lust¶qiom toO heoO, 2:1). This mystery is God’s wisdom, having been hidden, and the powers of this world did not know it (Dm oqde·r t_m !qwºmtym toO aQ_mor to¼tou 5cmyjem, 2:8). The wisdom is now revealed to Paul and his companions/pupils (2:10 ff.). It also seems relevant for the interpretation of Colossians that there exists, according to Paul, wisdom of different kinds. For example, there is a wisdom paired with lofty words (rpeqowμm kºcou C sov¸ar, 1Cor 2:1), teaching (kºcor) imparted through persuasive words of wisdom (1m peiho?[r] sov¸ar [kºcoir], 2:4), and there is also the wisdom of men (sov¸a !mhq¾pym) (2:5). But there is the other kind of wisdom not known to the powers of this world, a kind which Paul and his companions teach among the “perfect” (2:6) and which was hidden in a secret (2:7): sov¸am d³ kakoOlem 1m to?r teke¸oir […], kakoOlem heoO sov¸am 1m lustgq¸\, tμm !pojejqull´mgm (2:6 – 7). In Colossians “Paul” talks about his sufferings (1:24). He teaches wisdom along with his companions (Ble?r jatacc´kkolem mouhetoOmter p²mta %mhqypom ja· did²sjomter p²mta %mhqypom 1m p²s, sov¸ô, 1:28). The teaching contains knowledge of God’s mystery (2:2) that is hidden (2:3), and Christ, who is himself God’s mystery, is the head of all powers and authorities (2:10). Wisdom (sov¸a) is the prominent concern of philosophy. Moreover, according to Colossians, there are different kinds of wisdom. There is on the one hand spiritual wisdom (sov¸a pmeulatij¶) (1:9), “teaching in wisdom” (Ble?r jatacc´kkolem […] did²sjomter p²mta %mhqypom 1m p²s, sov¸ô, 1:28; also 3:16), and the hidden 100 Malherbe, The Cynic Epistles, 2 f.
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treasures of wisdom (oR hgsauqo· t/r sov¸ar […] !pºjquvoi, 2:3). On the other hand, there are persons merely having an appearance of wisdom (ûtim² 1stim kºcom l³m 5womta sov¸ar, 2:23). Based on the background of 1 Corinthians, the teaching in Colossians may be perceived as imparting “God’s wisdom” (heoO sov¸a). According to 1 Corinthians, God’s wisdom excludes wisdom paired with lofty words, teaching imparted through persuasive words and “human wisdom”. A similar evaluation is given to the disadvantageous philosophy in Col 2:8 and 22 – 23. Further, in Colossians as in 1 Corinthians, advantageous teaching imparts wisdom, the once hidden secret of God (Col 2:2). This secret is identified with Christ, whereas in 1Cor 1:30 the wisdom is identified with Christ. 5.4.5 Christ-centred world view and exclusivism When comparison is made with polemic in a philosophical context, it should be emphasized that the Christians cultivated a theological exclusivism only paralleled in Judaism.101 The dogmatic and mythical dimensions were being thought of as exclusive (none other than the one god should be worshipped) and supreme.102 If religions in general are “centered on that which is taken to be ‘more important than anything else in the universe,’ and used in organizing all of life, including both behaviour and beliefs, in relation to this particularity,”103 this was in the Jewish and Christian religions coupled with monotheism. The implied boundary demarcations became more precarious for the Christians than for the synagogue as far as the Christian groups included everyone on equal terms, while the religion of the synagogue had an ethnic basis. This theological exclusivism had cultic implications, and the reasoning 101 C. Markschies explains the development of a Christian theology (beliefs, doctrines, world view) with the particular evangelising of the first Christians combined with the Christian claim for absoluteness (“Absolutheitsanspruch”) that was a universalising of the Jewish monotheism. This particularity distinguished in turn the new religion from the other contemporary cults (Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen, 30). See also B. D. Ehrman, who maintains that when “Christians began to understand that Jesus himself was, in some way, the only means of a right standing before God, the only way of salvation […], a new factor entered the religion scene of antiquity. Christians by their very nature became exclusivists, claiming to be right in such a way that everyone else was necessarily wrong” (Ehrman, Lost Christianities, 92). 102 Lindbeck, The Nature of Doctrine, 130; Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 49. 103 Lindbeck, The Nature of Doctrine, 132.
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about ethos was placed in a significant Christian context. The material commented on in this essay does not indicate that the polemic is particularly prominent and sharp in Colossians, rather the contrary, but the polemic obtained a distinct context when rite and ethos were interpreted in the dialectical systemic and boundary marking reasoning of the Christcentred and theological exclusivistic world view. 5.5 Rite The reference to the initiation rite of baptism is central to the reasoning in 2:9 – 15. A sentence from the final passage of the world view statements 1:15 – 20 is nearly literally cited in 2:9: fti 1m aqt` eqdºjgsem p÷m t¹ pk¶qyla jatoij/sai (1:19) fti 1m aqt` jatoije? p÷m t¹ pk¶qyla t/r heºtgtor sylatij_r (2:9)
As far as baptism is invented in 2:9 ff., the addition sylatij_r in 2:9 seems significant. It should, however, be taken in a fairly straightforward manner as denoting bodily presence or “the accessibility (come-at-ableness) of the divine epiphany”,104 or the “Wirklichkeit” of God’s presence in Christ.105 In relation to baptism, it may refer to the concrete “bodily” performance of the rite itself. In 2:11 – 12 the baptismal rite that the readers have experienced is symbolically interpreted as signifying a burial with Christ, an interpretation that implies an application of his significant death. The subsequent formulation in 2:12b – 1m è ja· sumgc´qhgte di± t/r p¸steyr t/r 1meqce¸ar toO heoO toO 1ce¸qamtor aqt¹m 1j mejq_m106 – is still an interpretation of baptism. As in Rom 6 the text in Col 2:12 proposes an integration of the performance/experience of the initiation rite with the Christ myth, Christ’s significant death and resurrection. Thus, world view and rite are related, reciprocally interpreting one another and strengthening the identity which, according to the author, might be corrupted by other world view elements and rituals. 104 Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 152. 105 Lindemann, Der Kolosserbrief, 41; Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 126. 106 The relative pronoun in 1m è could relate to baptism (so Schweizer, The Letter to the Colossians, 145 f.), but if this were the case, the later formulation of the same sentence (toO heoO toO 1ce¸qamtor aqt¹m 1j mejq_m) would probably have had the proper name of Christ (and not the pronoun).
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5.5.1 Circumcision The articulate use of circumcision imagery (1m è ja· peqietl¶hgte peqitol0 !weiqopoi¶t\ 1m t0 !pejd¼sei toO s¾lator t/r saqjºr, 1m t0 peqitol0 toO WqistoO, sumtav´mter aqt` 1m t` baptisl`, 2:11 – 12) suggests that circumcision was a topic with which the audience was familiar. Col 1:21.27 and 3:5 – 7 seem to envisage the audience as believers having a Gentile background. The mention made of the Gentiles, as found in 1:27 and the vice list in 3:5 identifying one or more of the vices as being idolatry, might also have functioned with readers having a Jewish background. The readers seem in any case to have been imagined as being familiar with circumcision as a Jewish mark of identity.107 One possibility is to assume that the “philosophy” warned against (2:8) emphasised circumcision, another that circumcision was a topic of discussion in the contact with Jewish groups, including proselytes and God-fearers.108 The implied reader is familiar with circumcision and its religious and identity-marking significance. The mention of circumcision is, however, not polemical,109 and circumcision is not referred to in the paragraphs
107 J.D.G. Dunn supposes “a church made up initially of Jews and God-fearing Gentiles or proselytes (mostly the latter if 1:12, 27 and 2:13 are any guide)” (Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 29). For the question of circumcision as a Jewish mark of identity, see Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 154. 108 L. Hartman doubts that we are dealing with a philosophy practicing circumcision, but rather that the representatives of this philosophy may have been God-fearing Gentiles associated with the synagogue without having become proselytes, but sharing Jewish monotheism and observing Jewish purity rules, without, however, having been circumcised (Hartman, Kolosserbrevet, 119 and 121). Dunn supposes that “circumcision was indeed a factor in the threatening situation in Colossae. Moreover, the evidence clearly indicates that this factor included Jews as such, with their distinctive attitude to Gentiles as ‘the uncircumcision’ (2:13; 3:11)” (Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 155). A. Lindemann also assumes the philosophy to have demanded circumcision; however, that the issue at stake was a Gnostic conviction that “die kçrperliche Beschneidung als einen sinnflligen Akt der Beseitigung irdischer Weltbindungen gedeutet haben” (Lindemann, Der Kolosserbrief, 42). See the further discussion of this problem in Schweizer, The Letter to the Colossians, 125 – 134; Hartman, Kolosserbrevet, 117 – 125; Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 23 – 35. 109 J.D.G. Dunn, who maintains that “circumcision was indeed a factor in the threatening situation in Colossae” (Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 155) writes nonetheless of “the lightness of polemic and the posi-
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(2:16 – 23) determined as refutatio by M. Wolter and P. Mller,110 even if there are other boundary demarcations in those paragraphs reflecting Jewish piety. Circumcision is applied metaphorically interpreting the rite of baptism, and the metaphorical language of circumcision (also denoting virtue) stands in good Jewish tradition as will be indicated below. This application is different from the passionate polemic referring to the concrete circumcision in Galatians and Philippians.111 In Philippians, in a rhythmic amplificatio, the antagonist or opponents are called “dogs”, “evil workers” and “those who mutilate the flesh” (bk´pete to»r j¼mar, bk´pete to»r jajo»r 1qc²tar, bk´pete tμm jatatol¶m, Phil 3:2). In Galatians Paul writes that whoever “lets himself be circumcised” has been “detached from Christ” (jatgqc¶hgte !p¹ WqistoO) (5:3 f.). Although no opponents are identified by names,112 Paul writes of people having “bewitched” (3:1) the intended readers and someone “confusing” them (5:10). Furthermore, he writes of himself as being persecuted for not preaching circumcision (5:11) before sarcastically uttering his final wish that “those who unsettle you would castrate themselves” (evekom ja· !pojºxomtai oR !mastatoOmter rl÷r, 5:12).113 Summing up: Circumcision is not applied polemically in Colossians, but rather is used metaphorically, interpreting baptism and indicating the implication of baptism as being connected to the ethos dimension of the Christian religion. 5.5.2 Religious practices Colossians 2:16 – 23 may be viewed as completing a chiastic structure in 2:8 – 23114 repeating and developing phrases in 2:8a (human traditions/
110 111
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tiveness in the understanding of the imagery of circumcision” (Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 156). Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 115 f.; Mller, Gegner im Kolosserbrief, 368 f. Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 156; Hooker, Were there false teachers in Colossae?, 318. Betz writes about the introduction of the statement on circumcision in Gal 5:2: “The emphatic way in which Paul introduces this statement shows that he mobilizes his whole authority as an apostle” (Betz, Galatians, 258). Betz assumes that Paul is addressing the opponents, but “it is difficult to speculate if Paul has a specific person in mind” (Betz, Galatians, 267). Betz writes that “Paul is conforming here to the practice of diatribe preachers, when he salts his arguments with this joke. The ridiculing of eunuchs was a standby of the diatribe preacher” (Ibid., 270). Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 144.
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teachings, the elements of the world), asserting the secure status of the believer unified with Christ by marking boundaries against rituals, religious practices and experiences. These demarcations have been interpreted as being specifically polemic against opponents. Showing piety by observing purity rules concerning food and observing certain festival days, “meolgm¸ar C sabb²tym” may be understood in Jewish terms,115 while observing food rules was widespread for cultic purposes in Hellenistic times.116 The warning against “self-abasement”, “worship of angels”, and “visions” (2:18) seems to indicate additional rites or practices evoking religious sentiments or experiences. Possible intended references to concrete cults are, however, obscure to us.117 Within the scope of this essay, I would like to emphasize the general character of the boundary demarcation referring to a spectrum of religious-cultic practices found in Hellenistic poleis. They are referred to in a polemical tone, questioning the ethos of the “anyone” advocating such practices, an admittedly reserved and general polemic that nevertheless serves to underline the exclusiveness of one’s own rituals. 5.5.3 Rite – those on the inside and those on the outside Lastly, in this section I would like to add some comments on the social context/dimension that corresponds to the initiation rite, the doctrines and myth, and the recommended actions. The text of Colossians presents a significant conjunction of the cosmos and all the powers and authorities with the church. Christ is the head of both entities. The implied readers know that they belong to a church, and they have learned (or been reminded of the fact) in 1:18 and 1:24 that the church is the body of Christ. Moreover, these believers are now filled with him who also is the head of all powers and authorities (ja· 1st³ 1m aqt` pepkgqyl´moi, fr 1stim B jevakμ p²sgr !qw/r ja· 1nous¸ar, 2:10). Thus, they belong to a body whose head is also the head of all powers and authorities in the cosmos. These are the cosmological truth claims identifying the church being the social place where believers met. The believer had entered the church through baptismal initiation into a social space having this all-embracing framework. Seen from the perspective of baptism, this ritual had granted 115 Ibid., 34. 116 See Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon. 117 Ibid., 148. But see Arnold, The Colossian Syncretism.
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recipients entrance into a room,118 a context carrying the potential of the qualities that had belonged to Christ since before time began, and that were at his disposal in all spheres of reality. In regard to the social group of believers there was an inside and an outside. The initiation rite of baptism drew boundaries between those on the inside and those on the outside,119 boundaries that obtained a “surplus value” as they were interpreted within the Christ-centred world view.120 5.6 Ethos and actions recommended (3:5 ff.) The mode of speech from 3:5 is dominated by exhortations developing the ethos dimension of the applied comprehensive interpretive scheme.121 While exhortations apply contrasting patterns, they are not developed polemically in Col 3:5 ff., blaming certain individuals of immorality. The contrast between vices and virtues is instead related to the exclusiveness of Christian beliefs and the transition marked by the initiation rite. There are, however, utterances referring to ethos in the earlier sections, too. The figure of speech “circumcision not made with hands” related to baptism in 2:11 should most likely be taken as denoting ethical quality,122 where the phrase “not made with hands” connotes divine agency.123 When Paul writes about circumcision in a figurative way as a “circumcision of heart” (Rom 2:29), this refers to Dtn 30:6; Jer 4:4; 9:25 f., and further texts may be included on this subject.124 “In NT days the figurative and spiritualized view of circumcision was by no means unknown 118 See Dahl, The Concept of Baptism in Ephesians, 416. Also Theissen, Die urchristliche Taufe, 100. 119 Moxnes, From Theology to Identity, 272 f. 120 G. Theissen maintains regarding the interpretation of rite that “in the words of interpretation the myth is made present in concentrated form. Through them actions take on symbolic surplus value” (Theissen, The Religion of The Earliest Churches, 3). See also Lindbeck, The Nature of Doctrine, 22 f. 121 See Lindbeck, The Nature of Doctrine, 18. 122 Hartman, Into the Name of the Lord Jesus, 96; Lindemann, Der Kolosserbrief, 41 f. Wolter interprets the expression in a somewhat broader sense: “Weil sie [die Taufbeschneidung] von Gott vorgenommen ist, wird der einzelne in seiner gesamten Existenz umgestaltet” (Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 130). 123 Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, 129 f.; Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon, 156. 124 See Jewett, Romans, 236.
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in Palestinian Judaism.”125 In Qumran texts we learn that the circumcision of the “lower nature’s” foreskin promotes virtuous conduct.126 Philo equals “being uncircumcised in heart” with not having undertaken the “labours of virtue” and being “ignorant of the taste of moral excellence”.127 It has already been remarked that in 2:10 – 12 world view and rite are related, reciprocally interpreting one another. Through the figurative speech of circumcision, the ethos dimension is also introduced, indicating comprehensiveness in the way the believers interpret and lead their lives, a comprehensiveness expressed in the teaching represented in the writing. This pattern of dimension integration is also found in Paul, as there is descriptive language in both Romans 6 and Colossians 2 combining the Christ myth with the baptismal ritual of initiation. The integration of dimensions, and also the very identification of the believer with the mythical fate of Christ, is carried over in subsequent prescriptive passages. The exhortations in Col 3:1 ff. continue to demonstrate the baptismal language of the former passages in a similar way as the exhortations in Rom 6:12 ff.128 Thus, in both Romans and Colossians, the language of baptism as being incorporated into Christ’s death is the foundation for moral progress. This structure itself is significant for the Pauline version of a Christian comprehensive interpretive scheme. 5.6.1 Self-perception of the believers The integration of dimensions is present in the brief passage 3:1 – 4 marking the transition to the more concrete exhortations. The sumgc´qhgte t` Wqist` (3:1) introduces the passage containing strongly positive encouragements to the believer to “seek the things that are above” and to “set your minds on things that are above”, as this is “where Christ is seated at the right hand of God”. Moreover, the passage contains the assurance that the believer will be revealed in glory with Christ. This transition passage states both the orientation of beliefs and ethos. The encouragements focus on self-perception (identity), one decisive referent being baptism and its interpretation (sumgc´qhgte t` Wqist` [3:1]; !peh²mete c²q [3:3]), another being the status of Christ (t± %my fgte?te, ox b Wqistºr 1stim 1m deniø toO heoO jah¶lemor, 3:1). Thus, rite interpreted and inte125 126 127 128
Meyer, Peritemno, 79. 1QS 5:3 – 6. See also 1QS 5:24 – 26 Philo, de specialibus legibus I.304 f. For the argumentative structure of Rom 6, see Hellholm, Enthymemic Argumentation in Paul.
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grated with beliefs (world view) is the basis and context for the ethos expressed in the subsequent exhortations, which are abundant in the remainder of the writing. 5.6.2 Self-presentation of the believers Exhortation is based on contrasts – between good and bad, what is honourable and shameful, what is beneficial and disadvantageous, between virtues and vices –, contrasts with the potential to give power to polemics. These value systems are used by moral philosophers in their exhortations and reproachments,129 and they define what people are praised for in encomions and vituperated for in invectives (xºcor). The exhortations in Colossians 3:5 ff. are not developed in a polemical way. No individuals are being criticised. The text historically somewhat uncertain expression to»r uRo»r t/r !peihe¸ar (3:6) refers to people outside the groups of believers not only in a negative way but also in general terms. Passage 4:5 mentions the outsiders (oR 5ny), but with no trace of polemics; on the contrary, readers are encouraged to conduct themselves wisely (1m sov¸ô peqipate?te pq¹r to»r 5ny) and let their speech be gracious (b kºcor rl_m p²mtote 1m w²qiti, 4:6). The “no one” (tir) (2:8) and the “anyone” (tir) (2:16) are not referred to in Chapters 3 and 4. Moreover, the concluding section with its final greetings, including comments on the mutual relationship between “Paul” and the audience, gives no indications of tensions or pressure from other persons or groups where special attention is required. This could be considered peculiar if the reasoning in 2:8 ff. is regarded as polemic against known individuals making their philosophy known to the believers. In the abovementioned epistle 7 of Pseudo-Heraclitus, vice lists, which in some respects resemble the lists in Col 3:5 ff., are used in a polemic against politicians.130 In Romans 1 – 3 the amplification of vices has a clear address to outside groups. The refutation is, however, still general and not against named opponents, but against the “Jew” and “Greek” as representing teachings alternative to Paul’s gospel. The exhortations cannot be commented on in detail here. It seems, however, important to emphasize how the exhortations are integrated in the comprehensive scheme presented in the teaching in the writing, and further, that the exhortations are not polemically developed. The vir129 Dion Chrysostomos, Orationes 77/78. 38. 130 Pseudo-Heraclitus, Epistolae 7.4 – 5.
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tues presented are not in themselves capable of showing the distinguishing character of Christian identity. Different philosophies and cults to a large extent shared the ideas of a good and virtuous life.131 Nonetheless, within the overall reasoning of the writing, intended to contribute to the identity formation (Bildung) of the readers, and having – as I have tried to show – a significant conceptual comprehensiveness that is exclusive of other beliefs and rites, the exhortations function as arguments in showing how the ethos outlined is in harmony with the beliefs.132 This structure of reasoning, based on the accordance between world view and ethos (nature and ethos), can count as philosophical.133 Pseudo-Heraclitus reasons based on a correspondence between actions and knowing nature.134 Epictetus asks where moral progress takes place: “If any man among you […] has turned his attention to the question of his own moral purpose, cultivating and perfecting it so as to make it finally harmonious with nature […].”135 The function of Hellenistic philosophical reasoning concerning world view within a concept of identity formation may be further illuminated by a passage written by Seneca, who writes about the goal of philosophical formation/Bildung as being the status where “the rational soul has scorned all accidental things, has risen to be superior to fears, has learned to seek its riches from itself, has thrown away fear of gods and men, knowing that it has not much to fear from a man and nothing from a god; when man […] has dedicated his soul to virtue […] and perceives the world as one house for all, has opened his conscience to the gods […]; this person is protected from storms, stands on solid ground and has integrated the beneficial and necessary knowledge”.136
The envisaged ideal is embedded in a comprehensive cognitive system that provides the basis for the calmness of the soul. This resembles the intentions expressed in Col 1:23: “provided that you continue securely 131 See Malherbe, Paraenesis in the Epistle to Titus, 298 ff.; 317. 132 For a similar structure in Romans 6, see Hellholm, Enthymemic Argumentation in Paul, 167 – 169. For Colossians L. Bormann maintains: “Die Struktur der empirisch erfahrbaren Schçpfung stimmt nach Kol mit der Struktur der ethischen Orientierung berein” (Bormann, Weltbild und gruppenspezifische Raumkonfiguration im Kolosserbrief, 98). 133 For the integration of beliefs and moral advice, see Malherbe’s discussion of conceptual world and paraenesis in philosophical schools and in Titus (Malherbe, Paraenesis in the Epistle to Titus, 311 – 317). 134 Pseudo-Heraclitus, Epistolae 6. 135 Epictetus, Dissertationes I.4.18. 136 Seneca, De beneficiis 7.1.7.
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established and steadfast in the faith, without shifting from the hope promised by the gospel that you heard […]”, and further in 2:7: “continue to live your lives in him, (7) rooted and built up in him and established in the faith, just as you were taught, abounding in thanksgiving.” The last statement is coupled with a corresponding warning: “See to it that no one takes you captive through philosophy and empty deceit […]” (2:8). There is a comparable warning in one of Seneca’s letters: “Be careful, however, that there is no element of discursiveness and desultoriness about this reading you refer to, this reading of many different authors and books of every description […]”.137 Thus, in the structure of reasoning, the author of Colossians seems to be meeting philosophy on its home ground, developing an argument that in certain respects may be considered to be wisdom, the proper subject of philosophy.
6. Concluding remarks It has been argued above that sharp polemic is not prominent in Colossians. Rather, the “polemic” against other teachings is general and has the purpose of serving the identity formation of the intended readers. The reasoning, including paragraphs where the philosophy and “anyone” (tir) recommending certain religious practices are warned against, is generic and also reserved, lacking the passionate argumentation found in Paul’s 2nd letter to the Corinthians and his letters to the Galatians and Philippians. A certain number of the arguments could be labelled polemic if the concept includes arguing over objective themes where beliefs exclude one another. The reasoning in Colossians may, however, be perceived rhetorically as thetical reasoning (quaestio infinita) designed to prepare intended readers for a reasoning concerning definite philosophies held by actual persons (quaestio finita). The nature of the Christian religious sign language or the Christian comprehensive interpretive scheme is exclusive, promoting an antisyncretistic self-perception. This being the case, antagonists play important roles in the argumentation as they represent opposite values and beliefs that are criticized in order to let the teaching approved by the author stand out in its distinctiveness. The ar137 Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 2,2. Translation from Seneca, Letters from a Stoic. Epistulae Morales ad Lucilium. Selected and Translated with an Introduction by Robin Campell.
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gumentation in Colossians serving identity formation displays a dialectic between a systemic concern accounting for the comprehensiveness in the sign language and boundary demarcation focusing on boundaries between those on the inside and those on the outside. Such a demarcation would in several instances lead to a polemic against certain individuals and their preaching or teaching.
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Polemik in den Pastoralbriefen. Formen, Funktionen, Folgerungen Gerd Hfner Man hat die Pastoralbriefe in verschiedener Hinsicht kritisiert, ein Mangel an Polemik aber wurde ihnen nicht vorgeworfen. Wer einen originellen theologischen Denker sucht, wird sich an eine andere Adresse wenden als an den Verfasser der Briefe an Timotheus und Titus. Wem an einem Einblick in lebendiges Gemeindeleben gelegen ist, muss sich tief unter die Textoberflche durchgraben. Dagegen hat kein Problem, wer Streit und Auseinandersetzung studieren will: Ihm begegnet sein Untersuchungsobjekt gleich am Beginn der Lektre; es begleitet ihn auf Schritt und Tritt und lsst ihn auch am Ende nicht im Stich. Umfang und Intensitt der Polemik kçnnen allerdings verwirren. Ist sie gegen den Vorwurf gefeit, der sich in merkantiler Metaphorik mit dem Prdikat „billig“ verbindet? Ehe die folgende Untersuchung einen Blick auf das Phnomen wirft, sind die Ausgangspunkte zu klren.
1. Ausgangspunkte Nimmt man die beiden tragenden Begriffe der berschrift in den Blick, so konnte man bis vor einiger Zeit wenigstens fr die Rede von den Pastoralbriefen von einem Konsens in der kritischen Exegese ausgehen. Unter diesem Titel wurden die beiden Briefe an Timotheus sowie derjenige an Titus zusammengefasst, gewçhnlich als zusammengehçrendes pseudepigraphisches Schriftenkorpus gelesen. Die Situation ist in jngerer Zeit unbersichtlicher geworden. Es sind nicht nur große Kommentare erschienen, die alle drei Briefe als authentische Paulusbriefe auslegen1; auch die Zusammengehçrigkeit der einzelnen Schreiben zu einem Briefkorpus wird in Zweifel gezogen, und zwar sowohl von Vertretern der Authentizitt2, der pseudepigraphischen Abfassung3 wie auch einer differenzierten Position im Blick auf 1 2 3
Vgl. Mounce, Pastoralbriefe; Johnson, 1/2Tim; Towner, Pastoralbriefe. Vgl. Fuchs, Unterschiede; Towner, Pastoralbriefe, 88 f. Vgl. Richards, Difference.
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die Verfasserfrage4. Hier ist nicht der Ort, diese Fragen zu diskutieren, dennoch muss der Ausgangspunkt der folgenden berlegungen ausdrcklich benannt werden: Zugrundegelegt wird die (nach wie vor heute berwiegend vertretene) Sicht, dass die Pastoralbriefe in nachpaulinischer Zeit als einheitliches Schriftenkorpus entstanden sind5. Was unter Polemik zu verstehen ist, lsst sich nicht durch eine vorgegebene Definition bestimmen. In der antiken Rhetorik spielt dieser Begriff keine Rolle6. Das mit ihm bezeichnete Phnomen ist in der griechisch-rçmischen Welt dagegen reich bezeugt: Philosophen, Dichter, Rhetoren konnten gegen- und untereinander in literarisch ausgetragenen Streit geraten7. Geht man von der Wortbedeutung aus (pokelijμ t´wmg), so ist fr Polemik nicht allein eine Auseinandersetzung als kennzeichnend anzunehmen, sondern auch deren Heftigkeit vorauszusetzen. Wolfgang Speyer spricht von der „verletzende[n] Auseinandersetzung durch Worte“ und grenzt die Polemik von der Invektive dadurch ab, dass diese auf die Schmhung der Person, jene auf Themen und also sachlich orientiert ist8. Legen wir diese weite Bestimmung zugrunde, so kann man in den Pastoralbriefen tatschlich reiches Anschauungsmaterial fr jenes Phnomen finden, das in der Antike verbreitet, aber kaum theoretisch erfasst war9. Deshalb versuchen die folgenden berlegungen den polemischen Charakter der Pastoralbriefe ohne Bezug auf vorgegebene Kategorien analytisch zu erfassen und systematisch zu ordnen, indem zunchst Grundformen von
4 5 6
7 8 9
Vgl. Herzer, Abschied. Die hier erstmals formulierte Anfrage hat Herzer in weiteren Beitrgen verfolgt, vgl. z. B. ders., Gegnerproblematik; ders., Fiktion. Vgl. zur nheren Begrndung meinen Beitrag: Hfner, Konstrukt. Was Stauffer, Art. Polemik, 1403, grundlegend festhlt, betrifft auch den Befund zur antiken Rhetorik: „Weder existiert P(olemik) als rhetorischer Fachbegriff, noch gibt es eine ausgebildete Lehre von ihr als Typos einer Redegattung.“ Die Antike kannte die bertragene Bedeutung des Begriffs noch nicht (vgl. ebd., 1404). In der Rhetorik erscheint die schmhende oder tadelnde Rede „als meist nur kurz gestreifte Umkehrung des eingehend behandelten Lobens“ (ebd., 1405). Vgl. Speyer, Art. Polemik, 4. Vgl. Speyer, Art. Polemik, 3; grundlegend zur Invektive Koster, Invektive; vgl. auch Liebermann, Art. Invektive. Auch wenn man zeigen kann, dass der Verfasser der Pastoralbriefe auf typische Motive aus der Polemik gegen Sophisten zurckgreifen konnte, ist die Existenz eines Schemas doch unwahrscheinlich. Karris, Background, hat ein Motivrepertoire aufgezeigt (darauf weist auch die Darstellung ebd., 556 Anm. 29), aber kein festes Muster, das in verschiedenen Texten wiederkehren wrde. Auf die einzelnen von Karris erhobenen Topoi wird in der folgenden Untersuchung hingewiesen.
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Polemik herausgearbeitet werden10. In einem zweiten Schritt sollen Bauformen der Polemik umschrieben werden im Blick auf die Zusammensetzung der Grundformen zu grçßeren Einheiten wie auch auf den strukturellen Ort der polemischen Passagen in den einzelnen Briefen und im Briefkorpus. Zum Dritten ist die Funktion der Polemik zu diskutieren, ehe Folgerungen aus dem Befund fr den geschichtlichen Ort der Pastoralbriefe gezogen werden. In einem Ausblick sollen die gewonnenen Ergebnisse allgemein-theoretischen berlegungen zur Polemik zugeordnet und zusammenfassend gewrdigt werden11.
2. Grundformen der Polemik in den Pastoralbriefen Versucht man die Polemik der Pastoralbriefe in verschiedene Gruppen zu kategorisieren, so lassen sich sechs Formen unterscheiden. Sie werden nachfolgend besprochen, nach ihrer Hufigkeit in absteigender Reihenfolge geordnet. 2.1 Das Sprachspiel der Abgrenzung a) Ein hervorstechendes Merkmal der Pastoralbriefe ist das Konzept der „gesunden Lehre“ (rcia¸mousa didasjak¸a), die der Verfasser fr die eigene Seite reklamiert, den Gegnern hingegen abspricht. In allen drei Briefen ist diese Wendung belegt (1Tim 1,10; 2Tim 4,3; Tit 1,9; 2,1), und zwar jeweils im Kontext der Gegnerbekmpfung12. Die Fronten sind also klar abgesteckt: 10 Zugrundegelegt werden folgende Passagen: 1Tim 1,3 – 10.19 f.; 4,1 – 5.7 f.; 6,3 – 5.10.20 f.; Tit 1,10 – 16; 3,9 – 11; 2Tim 2,16 – 21; 3,1 – 9.13; 4,3 f.14 f. Es kommen demnach nur solche Texte in den Blick, die sich direkt mit den Gegnern befassen, also den Zusammenhang der Auseinandersetzung unmittelbar erkennen lassen. Passagen, die mçglicherweise antihretische Funktion haben (wie 1Tim 2,11 – 15), sind nicht Gegenstand der folgenden Untersuchung. 11 Ausgangspunkt ist also der Text, kein moderner Theorie-Rahmen, wie dies das Vorgehen von Pietersen, Polemic, kennzeichnet. Sein Anliegen ist allerdings nicht die Erfassung der Polemik um ihrer selbst willen. 12 Dies gilt auch fr Tit 2,1, weil die nachfolgend entfaltete Gemeindeparnese als Gegenmodell zum Verhalten der zuvor besprochenen Falschlehrer vorgestellt wird (vgl. dazu Oberlinner, Pastoralbriefe III, 105; Marshall, Pastoralbriefe, 237; Mounce, Pastoralbriefe, 408; Towner, Pastoralbriefe, 718). Statt von „gesunder Lehre“ kann auch von „gesunden Worten“ (rcia¸momter kºcoi) die Rede sein, sei es im Zusammenhang der Gegnerpolemik (1Tim 6,3) oder außerhalb dieses Rahmens (2Tim 1,13).
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dem rechten Glauben steht eine Fehlform gegenber, die schon durch die Gegenberstellung zur „gesunden Lehre“ indirekt metaphorisch als „krank“ gekennzeichnet wird. Entsprechend kann von den Vertretern der Falschlehre13 auch behauptet werden, sie seien krank im Blick auf Streitfragen und Wortgefechte (1Tim 6,3: mos_m peq· fgt¶seir ja· kocolaw¸ar) und mssten im Glauben gesunden (Tit 1,13: Vma rcia¸mysim 1m t0 p¸stei).14 Auch der nicht weiter erluterte Begriff des 2teqodidasjake?m (1Tim 1,3; 6,3) setzt jene eindeutig bestimmbare Grenze voraus: Es gibt die richtige Lehre, von der die Gegner abweichen, indem sie „anders lehren“. Eine sprachliche Variante des antihretischen Konzepts der „gesunden Lehre“ begegnet in der Rede von der Wahrheit. Es wird nicht diskutiert, was sie inhaltlich ausmacht. Die Kirche ist Sule und Fundament der Wahrheit, wobei vorausgesetzt ist, dass man den Weisungen folgt, die „Paulus“ in den Briefen erteilt (1Tim 3,15). Das „Wort der Wahrheit“, dem sich Timotheus verpflichtet fhlen soll, wird dem „gottlosen leeren Geschwtz“ der Falschlehrer gegenbergestellt (2Tim 2,15 f.). Zur „Erkenntnis der Wahrheit“ (1Tim 2,4; 4,3; 2Tim 2,25; Tit 1,1) kommen heißt einfach so viel wie „den rechten Glauben haben“15. Wer unter dem Einfluss der Falschlehrer steht, kommt nicht zur Erkenntnis der Wahrheit (2Tim 3,7) und wendet sich von der Wahrheit ab (Tit 1,14; 2Tim 4,4), haben sich die Falschlehrer doch der Wahrheit beraubt (1Tim 6,5), sind von der Wahrheit abgeirrt (2Tim 2,18), leisten ihr Widerstand (2Tim 3,8)16. b) Im Zusammenhang mit der Rede von der Wahrheit ist ein Kennzeichen zu beobachten, das auch ohne solche Verbindung erscheinen kann: Es finden sich in der Gegnerpolemik nicht wenige Verben, die eine liminale Distanzierung ausdrcken. Eine solche Abgrenzung wird von beiden Seiten aus formuliert. Zum einen kann der Briefadressat aufgefordert werden, sich von den Gegnern und ihren Lehren fernzuhalten. Er soll sie abweisen (1Tim 4,7; Tit 3,10; 2Tim 2,23: paqaitoO), ihnen aus dem Weg gehen (Tit 3,9; 2Tim 2,16: peqiýstaso) und sich von ihnen abwenden (2Tim 3,5: !potq´13 Die Begriffe „Falschlehre, Falschlehrer“ geben die Perspektive des Autors der Pastoralbriefe wieder. Sie werden hier der Einfachheit halber verwendet, nicht weil sie als Beschreibung eines unstrittigen Sachverhalts verstanden wrden. 14 Das „gesund sein im Glauben“ kann auch außerhalb von unmittelbar polemischen Kontexten erscheinen, um die rechte Form des Glaubens zu bezeichnen (vgl. Tit 2,2). 15 Vgl. Oberlinner, Pastoralbriefe I, 159: „p¸stir ist die Wahrheit, die, von Gott kommend, ber die apostolische = paulinische Tradition der Kirche anvertraut ist.“ 16 Pratscher, Auseinandersetzung, 9, fasst den beschriebenen Grundzug als „dogmatische Distanzierung“.
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pou, 1Tim 6,20: 1jtqepºlemor). In diesen Fllen wird also immer imperativisch gesprochen17: Es geht um die notwendige Abgrenzung von der Falschlehre, die der Briefadressat und mit ihm die Amtstrger zur Zeit der Pastoralbriefe18 vollziehen mssen. Zum andern wird aber festgehalten, dass diese Abgrenzung von Seiten der Gegner lngst stattgefunden hat. Sie sind auf Abwege geraten (1Tim 1,6; 6,21; 2Tim 2,18: !stow´y), haben das gute Gewissen zurckgestoßen (1Tim 1,19: !pyh´olai), sind vom Glauben abgefallen (1Tim 4,1: !v¸stalai) oder abgeirrt (1Tim 6,10: !popkame?shai)19. In diesen Zusammenhngen geht es um die faktische Abgrenzung, die von den Gegnern durch ihre Falschlehre bereits vollzogen ist20. Hier wird das polemische Potential dieses Sprachspiels besonders deutlich: Vorausgesetzt ist die fraglose Richtigkeit der eigenen Position; wer sie nicht teilt, entfernt sich, weicht ab, gert auf Abwege und ist damit abqualifiziert. c) Die Abgrenzung kann schließlich untermauert werden durch wenigstens ansatzweise entfaltete Gegenberstellungen. So wird in 1Tim 4,8 der sylatijμ culmas¸a, die offensichtlich auf Askese bezogen und dadurch mit der Wiedergabe der gegnerischen Position in 1Tim 4,3 verbunden ist, die eqs´beia gegenbergestellt21. Ist jene zu wenigem ntzlich, so diese zu allem, 17 Dies gilt auch fr 1Tim 6,20, da die partizipiale Form in eine imperativische Konstruktion eingebunden ist: tμm paqah¶jgm v¼kanom. 18 Vgl. zu dieser Transparenz der Adressaten z. B. Lohfink, Normativitt, 103; Roloff, 1Tim, 170.179 f.; Oberlinner, Pastoralbriefe III, 76; auch Thiessen, Ephesus, 261 f. 19 Wer unter ihrem Einfluss steht, wendet sich ab und geht hinter dem Satan her (1Tim 5,15: 1netq²pgsam ap¸sy toO satam÷). Ob man diese auf die Witwen bezogene Aussage auch auf das Wirken der Falschlehrer beziehen kann, ist umstritten (kritisch Wagener, Ordnung, 219 f.). Fr einen solchen Zusammenhang drfte aber sprechen, dass die kritische Einstellung der Gegner zur Ehe (1Tim 4,3) eine Verbindung zu ehelos lebenden Frauen plausibel erscheinen lsst (ohne dass man deshalb alle Frauen im Witwenstand den Gegnern zurechnen msste). Außerdem legt die Verwendung der sonst fr die Gegner gebrauchten Terminologie nahe, dass der Verfasser der Pastoralbriefe eine entsprechende Verbindung suggerieren will. Auch die Ausrichtung der Abwendung („hinter den Satan“) spricht fr einen Zusammenhang mit der Falschlehre. Der einzige weitere Beleg fr satam÷r in den Pastoralbriefen (1Tim 1,20) erscheint im Kontext der Gegnerbekmpfung (vgl. zur hier vertretenen Position auch Roloff, 1Tim, 300 f.; Marshall, Pastoralbriefe, 605; an 2Tim 3,6 f. ansetzend erkennt Thiessen, Ephesus, 283 f., einen Zusammenhang zwischen der Kritik an Frauen in den Pastoralbriefen und deren Affinitt zur Falschlehre). 20 Zu den genannten Wendungen kommen diejenigen hinzu, die im Zusammenhang mit der Abwendung von der Wahrheit bereits im vorigen Abschnitt besprochen wurden: !postq´volai tμm !k¶heiam, !posteqe?shai t/r !kghe¸ar, !stowe?m peq· tμm !k¶heiam. 21 Vgl. zum Zusammenhang zwischen 1Tim 4,8 und 4,3 auch Schlarb, Lehre, 91.
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da ihr die Verheißung umfassenden Lebens gegeben ist. Mit eqs´beia kennzeichnen die Pastoralbriefe vor allem die rechte Glaubenspraxis, die freilich nicht ohne Bezug auf die inhaltliche Seite des Glaubens zu denken ist22. Deshalb kann die eqs´beia mit der didasjak¸a und der !k¶heia verbunden sein23 und den Gegnern abgesprochen werden (2Tim 3,5). Wenn in 1Tim 4,7 das Verb culm²feim mit der eqs´beia verbunden ist, wird die folgende Gegenberstellung vorbereitet: Auch die eqs´beia ist eine culmas¸a, und zwar eine beraus ntzliche – im Gegensatz zu dem, was die Falschlehrer propagieren. In 2Tim 4,3 f. beruft sich der Verfasser der Pastoralbriefe nicht nur auf das Konzept der „gesunden Lehre“, sondern fhrt den Kontrast zur bekmpften Position etwas nher aus. Die „gesunde Lehre“ wird nicht mehr ertragen, sie erscheint als zu anspruchsvoll: Wer sie ablehnt, handelt nach seinen Begierden (jat± t±r Qd¸ar 1pihul¸ar), verlangt nach Ohrenkitzel (jmghºlemoi tμm !jo¶m). Da zudem vom Anhufen der Lehrer die Rede ist (1pisyqe¼sousim didasj²kour), entsteht das Bild eines willkrlich zusammengestellten Glaubens, der die von Paulus herkommende berlieferung verlsst. An die Stelle der Wahrheit treten die Mythen (4,4). Am eindrcklichsten wird die kontrastierende Abgrenzung in der Reaktion auf die Lehre der Gegner von der Auferstehung entfaltet (2Tim 2,19 – 21). Eigentlich erwartet man eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem in 2,18 zitierten Satz, dass die Auferstehung schon geschehen sei – analog zum Vorgehen in 1Tim 4,3 – 5, wo wenigstens ansatzweise argumentiert wird. Der Verfasser whlt jedoch eine andere Strategie. Die Bedrohung durch die Falschlehre ist offensichtlich nicht gering. Nach 2,17 wuchert sie wie ein Krebsgeschwr, weshalb es wohl eine gewisse Verharmlosung darstellt, dass die Falschlehrer nur den Glauben einiger (timym) zu Fall brchten (2,18)24. Mit dieser Rckstufung des Erfolgs soll wohl die Entgegnung vorbereitet werden, die in 2,19 einsetzt. Sie hebt darauf ab, dass die Gegner letztlich scheitern mssen, weil der Herr diejenigen kennt, die zu ihm gehçren. Dass die Falschlehrer von diesem Kreis ausgeschlossen sind, ist als selbstverstndlich vorausgesetzt25. So ergibt sich ein scharfer Kontrast zwi22 Vgl. von Lips, Glaube, 80 – 87; Schlarb, Lehre, 292; vgl. zur eqs´beia auch Brox, Pastoralbriefe 174 – 177; Marshall, Pastoralbriefe 135 – 144. Die Bedeutung dieses Begriffs fr die Bestimmung des historischen Ortes der Pastoralbriefe erçrtert Standhartinger, Eusebeia. 23 Vgl. 1Tim 6,3: B jat( eqs´beiam didasjak¸a, Tit 1,1: B !k¶heia B jat( eqs´beiam. 24 Zum Erfolg der Gegner s.a. unten 2.4 Abschnitt b. 25 Zu einzelexegetischen Fragen der „Argumentation“ mit der Schrift vgl. Hfner, Belehrung, 210 – 223.
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schen den im Sinne der Pastoralbriefe Rechtglubigen einerseits und den Gegnern und ihren Anhngern andererseits: Die einen gehçren fraglos zum j¼qior, den anderen wird ohne Umschweife eine solche Verbindung abgesprochen. Vertieft wird die Gegenberstellung zu den Falschlehrern durch das Bild von den unterschiedlichen Gefßen in einem Haushalt, das auf Rçm 9,21 f. zurckgreift. Whrend es dort aber um die Freiheit Gottes zu Verstockung und Erbarmen geht, wird in 2Tim 2,20 die Unvermeidlichkeit der Falschlehre ausgedrckt. Man muss sich von diesem Phnomen also nicht beunruhigen lassen, im Haus Gottes ist es wie in jedem Haus: Es gibt nicht nur wertvolle Gerte. Wenn gegen die Bildlogik auch der Wechsel von der einen zur anderen Sorte als Mçglichkeit vorgestellt wird (2,21), zeigt sich, dass der Verfasser der Pastoralbriefe noch damit rechnet, Anhnger der Gegner auf seine Seite ziehen zu kçnnen (s.a. 2,25). Die Schrfe des Kontrasts zwischen gesunder und falscher Lehre und ihren jeweiligen Vertretern wird dadurch aber nicht gemildert. Gerade in 2Tim 2,19 soll dieser Kontrast als theologisch fundiert erscheinen, wenn nur die eigene Seite als dem j¼qior zugehçrig gekennzeichnet wird. 2.2 Abqualifizierung der Falschlehrer: Bestreitung von Kompetenz und Lauterkeit Auch unabhngig vom Sprachspiel der Abgrenzung werden die Falschlehrer abqualifiziert. Der Verfasser der Pastoralbriefe verfolgt dabei eine doppelte Strategie: Zum einen unterstellt er den Gegnern unlautere Absichten, zum andern sollen sie auch als unfhige, unzuverlssige Lehrer erscheinen26. a) Dass die Gegner es nicht ehrlich meinen, wird vor allem im Blick auf finanzielle Ziele ausgesagt. Ihnen wird also Habgier unterstellt27. Sie meinen, Frçmmigkeit sei ein Gewerbe (1Tim 6,5). Aufgrund dieser Aussage wird man auch bei der folgenden Entfaltung der eqs´beia die Gegner im Hintergrund prsent halten mssen. Wenn die Geldgier als Wurzel aller bel vorgestellt wird und von einigen die Rede ist, die nach ihr streben (1Tim 6,10), dann sind immer noch die Falschlehrer im Blick, die meinen,
26 Pratscher, Auseinandersetzung, 10, spricht von „moralische[r] Distanzierung“. 27 Im von Karris erhobenen Schema der Antisophistenpolemik ist dies der erste Punkt (vgl. Background, 552).
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aus der eqs´beia finanzielle Vorteile schlagen zu kçnnen28. Auch der Titusbrief belegt diesen Vorwurf. Die !mtik´comter, die der Episkopos berfhren soll (1,9), lehren Ungehçriges um schndlichen Gewinnes willen (1,11: aQswqoO j´qdour w²qim). Dass sie dabei ganze Huser zerrtten (fkour oUjour !matq´pousim), kçnnte auch eine Verbindung zu 2Tim 3,6 ziehen lassen. Jedoch wird das Einschleichen in die Huser (1md¼momter eQr t±r oQj¸ar) dort nicht ausdrcklich mit Habgier in Verbindung gebracht. Die unlautere Absicht wird anders akzentuiert. Sie zeigt sich darin, dass die Gegner leichte Beute suchen. Die Rede von „Beute“ ist insofern gerechtfertigt, als der Verfasser das Tun der Gegner als ein aQwlakyt¸feim beschreibt. „Leicht“ ist die Beute, weil sie aus im Glauben ungefestigten Frauen besteht. Die abwertende Einschtzung zeigt sich nicht nur in der Verwendung von cumaij²qia anstelle des neutralen cuma?jer29 ; auch die nhere Beschreibung der Frauen in 2Tim 3,6 f. hebt deren negative Eigenschaften heraus. Im Rahmen der Pastoralbriefe kann man einen inneren Zusammenhang mit der Begrndung der (in den Augen des Verfassers) angemessenen Frauenrolle in 1Tim 2,14 erkennen. Dass sich die Frau (B cum¶) im Ursprung als verfhrbar (1napatghe?sa) und deshalb als bertreterin des gçttlichen Gebots erwiesen hat (1m paqab²sei c´comem), hat in der Gegenwart seine Entsprechung im Verhalten der Frauen, die der gegnerischen Lehre folgen. Sie sind von zahlreichen Begierden getrieben und hufen Snden an (2Tim 3,6). Damit fllt aber zugleich ein schlechtes Licht auf die Gegner: Wrden sie es ehrlich meinen, kçnnten sie sich nicht am Verhalten der Schlange in der Paradiesesgeschichte orientieren30. b) Die Gegner verfolgen aber nicht nur unlautere Absichten, sie sind auch als Lehrer diskreditiert. Dies will der Verfasser durch etliche Bemerkungen sicherstellen, nach denen die Gegner nicht ernst genommen werden kçnnen. Manche dieser Aussagen sind einfach abwertend und erlauben 28 1Tim 6,6 macht durch die Aufnahme beider Stichworte aus 6,5 (eqs´beia, poqislºr) deutlich, dass nun das Gegenbild entworfen wird. Zur Verbindung von 1Tim 6,10 mit der Gegnerpolemik vgl. auch Roloff, 1Tim, 339; Oberlinner, Pastoralbriefe I, 283; Towner, Pastoralbriefe, 404 f. 29 Vgl. Oberlinner, Pastoralbriefe II, 126; Weiser, 2Tim, 257. 30 Das Einschleichen in die Huser kçnnte an das Vorgehen der Schlange erinnern wollen, die sich hinterlistig an Eva wendet, um sie dazu zu bringen, von der verbotenen Frucht zu essen (Gen 3,1). Doch auch wenn man hier anders urteilt: In jedem Fall ist die Ausrichtung des Wirkens der Gegner auf Frauen in den aufgezeigten negativen Rahmen eingezeichnet. Das Verhltnis zu Frauen ist nach Karris, Background, 553, ein (wenn auch nicht hufiger) Kritikpunkt gegenber den Sophisten. Dass die Falschlehrer der Pastoralbriefe in 2Tim 3,13 als Verfhrer erscheinen, passt sich in dasselbe Schema ein (vgl. ebd., 552).
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keinerlei Rckschlsse auf die Positionen der Gegner. Dazu zhlt die Charakterisierung in 1Tim 6,4 f.: Diejenigen, die anders lehrten (eU tir 2teqodidasjake? ), seien aufgeblasen, verstnden nichts, krankten an Streitfragen und Wortgefechten, aus denen nur bles entsteht, htten einen zerrtteten Verstand (%mhqypoi dievhaql´moi t¹m moOm ; s.a. 2Tim 3,8). Auf derselben Linie liegt Tit 1,10 – 11a, wenn die Gegner als Ungehorsame (!mupºtajtoi), als Schwtzer und Schwindler (lataiokºcoi ja· vqemap²tai) bezeichnet werden, denen man das Maul stopfen msse31. In Tit 3,10 f. werden sie dem Muster eines aRqetij¹r %mhqypor zugeordnet und als Snder vorgestellt, die sich selbst verurteilen. Glaube wird durch sie nicht gestrkt, sondern zu Fall gebracht (2Tim 2,18), sind sie doch „bçse Menschen und Zauberer (cºgter)“, die als Verfhrer selbst Verfhrte sind (2Tim 3,13). Als Lehrer bieten sie leichte Kost, die dem Geschmack der Hçrer entgegenkommt (2Tim 4,3). Außerdem sind sie als Lehrer auch dadurch diskreditiert, dass sie grundlegend am Glauben scheitern: Sie sind unbewhrt im Glauben (2Tim 3,8: !dºjiloi peq· tμm p¸stim) und haben im Glauben Schiffbruch erlitten (1Tim 1,19: peq· tμm p¸stim 1mau²cgsam). An zwei Stellen wird die Diskrepanz zwischen ußerem Schein und tatschlichem Glaubensleben bemht. In Tit 1,16 geht es um den Graben zwischen Gotteserkenntnis und Handeln32 : Durch die 5qca wird die Gotteserkenntnis als vorgebliche entlarvt. Das Tun der Gegner erweist sie als ungeeignet zu jedem guten Werk33, so dass sie in ihrem Gottesverhltnis nur negativ bestimmt werden kçnnen: bdekujto· ja· !pehe?r34. Im selben Sinn wird im Blick auf die eqs´beia davon gesprochen, dass die Gegner nur deren Gestalt haben, aber ihre Kraft verleugnen (2Tim 3,5). Mit !qm´olai wird dasselbe Verb verwendet, das in Tit 1,16 die beanspruchte Gotteserkenntnis als wertlos kennzeichnet. Da es in Verbindung mit der p¸stir (1Tim 5,8) oder absolut gebraucht (2Tim 2,12) das Verfehlen des rechten Glaubens aus-
31 Auch solche Lasterkataloge spielen in der Antisophistenpolemik eine Rolle, vgl. Karris, Background, 553 f. 32 Die Diskrepanz von Reden und Tun ist ein Topos der Antisophistenpolemik, vgl. Karris, Background, 552 f. 33 Gerade im Titusbrief wird das Tun guter Werke besonders betont (3,8.14: jeweils jak± 5qca) und damit der Gegensatz zu den Falschlehrern besonders betont: Diese sind zu dem nicht in der Lage, was eigentlich alle Glaubenden auszeichnen msste. 34 Die Wahl eines Wortes vom Stamm bdekuj- kçnnte getroffen worden sein, weil sich damit auch die Vorstellung des kultisch Unreinen verbinden kann (vgl. Fçrster, Art. bdek¼ssolai jtk., 599). Damit wre die Polemik von V. 15 (s.u.) verstrkt.
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drckt35, attestiert der Verfasser den Falschlehrern also ein umfassendes Scheitern, ber das der ußere Schein nicht hinwegtuschen kçnne. Indirekt wird den Gegnern damit freilich zugestanden, dass ihre Fehlform der eqs´beia nicht ohne weiteres als solche erkennbar ist. Sie ist nicht so grotesk, dass sie sich auf den ersten Blick hin selbst entlarvte. Einen indirekten Rckschluss inhaltlicher Art erlaubt die Abqualifizierung der Falschlehrer in den Pastoralbriefen an zwei anderen Stellen. Wenn der Verfasser die Gegner als „Mçchtegern-Gesetzeslehrer“ karikiert (1Tim 1,7)36, legt er nahe, dass sich seine Kontrahenten in irgendeiner Form mit Texten aus der jdischen Tora befassen. Ein solcher Zusammenhang mit jdischen Traditionen lsst sich auch aus Tit 1,15 erschließen37. Den Gegnern wird vorgeworfen, ihnen sei nichts rein – im Gegensatz zu den Reinen, denen alles rein ist. Hier scheinen Reinheitskonzepte der bekmpften Gruppe polemisch gegen sie gewendet zu werden: In der Aussage, ihnen sei nichts rein, wird das Achten auf kultische Reinheit und die Unterscheidung zwischen Reinem und Unreinen berspitzt und einem Konzept gegenbergestellt, in dem alles als rein gilt. Die Abqualifizierung liegt darin, dass diejenigen, die diesem zweiten Konzept folgen, als rein bezeichnet werden (p²mta jahaq± to?r jahaqo?r), whrend sich die Gegenseite mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, befleckt und unglubig (leliall´moir ja· !p¸stoir) zu sein. In beiden besprochenen Fllen setzt der Verfasser mit seiner Polemik also bei einer Vorgabe seiner Gegner an, um diese dann durch berzeichnung oder Verzerrung in ein schlechtes Licht zu rcken38. In den zuvor besprochenen Belegen funktioniert die Polemik auch ohne konkrete Ansatzpunkte bei den gegnerischen Lehrern39. 35 Dies gilt, auch wenn !qm´olai „an manchen Stellen der Pastoralbriefe ein mehr ethisch-praktisches Verleugnen und Versagen bezeichnet“ (Weiser, 2Tim, 174, im Blick auch auf Tit 1,16). Zum Glauben gehçrt das rechte Handeln dazu (vgl. z. B. Thiessen, Ephesus, 275). Positiv gespiegelt kennzeichnet das Verleugnen der !s´beia die Abkehr vom falschen Weg (Tit 2,12). 36 Die Bezeichnung als „Mçchtegern-Gesetzeslehrer“ fasst die Aussage in 1Tim 1,7 in einen Begriff zusammen, Die Gegner treten mit dem Anspruch auf, das Gesetz auszulegen (h´komter eWmai molodid²sjakoi), scheitern daran aber in der Praxis (lμ mooOmter l¶te k´cousim l¶te peq· t¸mym diabebaioOmtai). 37 Vgl. auch Thiessen, Ephesus, 319, der allein jdischen Hintergrund der Gegner gelten lsst. 38 Zu weiteren Auswertungen der Polemik fr die Position der Gegner s.u. 5. 39 Wenigstens indirekt wird in 1Tim 1,9 f. ein Lasterkatalog auf die Falschlehrer bezogen, da die genannten Verhaltensweisen als Widerspruch zur „gesunden Lehre“ beschrieben werden, zu der wiederum die Gegner in Widerspruch stehen. Die hnlich ausgelegte, aber direkte Abqualifizierung der Gegner in 2Tim 3,2 – 4 wird
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2.3 Abqualifizierung der Falschlehre Die Strategie der Pastoralbriefe in Sachen Gegnerpolemik beschrnkt sich nicht darauf, die Trger der Falschlehre abzuqualifizieren. Auch die bekmpfte Lehre wird mit negativen Attributen versehen. Wenn sie in Verbindung gebracht wird mit „Mythen und Genealogien“ (1Tim 1,4), so ergibt sich deren negativer Charakter nicht allein aus dem negativ besetzten Mythos-Begriff 40 und der Anweisung, sich nicht an sie zu halten (lgd³ pqos´weim). Die Bestimmung der Genealogien als „endlos“ (!p´qamtor) und die Beschreibung ihrer Effekte verstrken die Abwertung: Sie wirken nicht im Sinne der oQjomol¸a heoO, sondern rufen Streitfragen (1jfgt¶seir)41 hervor. Im weiteren Verlauf der Pastoralbriefe wird vor allem die negative Kennzeichnung der lOhoi weiter ausgebaut. Sie sind „gottlos und altweiberhaft“ (1Tim 4,7: b´bgkoi ja· cqa¾deir), sie werden mit „Geboten von Menschen“ parallelisiert (Tit 1,14)42 und erscheinen als Gegensatz zur !k¶heia (2Tim 4,4). Die gegnerische Lehre wird nicht nur ber die Abwertung der „Mythen“ in Misskredit gebracht, ihre Wertlosigkeit wird durch abschtzige und nicht weiter begrndete Urteile betont. Sie ist Geschwtz (1Tim 1,16: lataiokoc¸a), gottloses leeres Gerede (2Tim 2,16: b´bgkoi jemovym¸ai)43 und steht berhaupt in grundlegendem Widerspruch zu dem, was als erlaubt gelten kann (Tit 1,11: did²sjomter $ lμ de? ). Wenn ihr Erfolg zugestanden werden muss, kann deshalb die negative Metapher des wuchernden Krebsgeschwrs verwendet werden (2Tim 2,17: ¢r c²ccqaima molμm 6nei).
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im Zusammenhang der Besprechung von Negativ-Mustern bercksichtigt (s.u. 2.4 Abschnitt a). Vgl. zu dieser Wertung Balz, Art. lOhor, 1094 f.; Brox, Pastoralbriefe, 103; Roloff, 1Tim, 64; Thiessen, Ephesus, 321; Marshall, Pastoralbriefe, 206; Weiser, 2Tim, 303 f.; Gerber, Antijudaismus, 349 Anm. 68. Die Wiedergabe mit „Streitfragen“ versucht dem Wortbestandteil der f¶tgsir gerecht zu werden, die in den Pastoralbriefen semantisch in die Nhe des Streitens gerckt sein kann (s. 1Tim 6,4). Auch wenn man 1jfgt¶seir mit „Grbeleien, Spekulationen“ bersetzt (vgl. Bauer-Aland, Wçrterbuch, s.v. 1jf¶tgsir), sollte deshalb das Moment des Streits nicht außer Betracht bleiben. Auch hier wird (wie in 1Tim 1,4) die Weisung gegeben, sich nicht an diese Mythen zu halten (lμ pqos´womter). Aus diesen allgemein bleibenden Abwertungen kann man nicht schließen, dass damit ekstatische Phnomene getroffen werden sollten, weil diese mit hnlichen Ausdrcken kritisiert werden kçnnen (so aber Pietersen, Polemic, 120, mit Verweis auf Eusebius, Epiphanius und Celsus).
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Es klang bereits ein Aspekt an, der die gegnerische Lehre in den Augen des Verfassers der Pastoralbriefe belastet: Sie fhrt zu Streitigkeiten und Wortgefechten. Mehrere Worte werden in unseren Briefen gebraucht, um diese (unerwnschte) Wirkung der Falschlehre zu kennzeichnen44 : (ej)fgt¶seir (1Tim 1,4; 6,4; Tit 3,9; 2Tim 2,23), kocolaw¸a/kocolawe?m (1Tim 6,4; 2Tim 2,14), l²wai (2Tim 2,23; Tit 3,9). Auch wenn man fgt¶seir im Sinne von „Streitfragen“ versteht, ist doch eindeutig, dass der Verfasser der Pastoralbriefe solchen Diskussionen nichts abgewinnen kann und er in ihnen das Moment der (schdlichen) Auseinandersetzung betont. Dies zeigt zum einen die Parallelisierung mit kocolaw¸a (1Tim 6,4) und die Verbindung mit l²wg (Tit 3,9) und l²weshai (2Tim 2,23 f.). Zum andern werden die Streitfragen durch Adjektiv-Attribute auch unmittelbar negativ qualifiziert: Sie sind tçricht (2Tim 2,23; Tit 3,9: l¾qor), kindisch (2Tim 2,23: !pa¸deutor), unntz und nichtig (Tit 3,9: !myvekμr ja· l²taior). In 1Tim 6,4 werden sie durch die Metaphorik des „Krankens an“ (mos_m) eindeutig abgewertet. Dass an der Lehre der Gegner irgendetwas ernst genommen werden kçnnte, gesteht ihr der Verfasser der Pastoralbriefe nicht zu. 2.4 Einordnung der Gegner in bekannte Negativ-Muster Die Abqualifizierung der Gegner kann auch dadurch geschehen, dass sie in bekannte Negativ-Muster eingeordnet werden. Damit sind geprgte Vorstellungen gemeint, die auf die Gegner angewandt deren Unzuverlssigkeit oder gar Gefhrlichkeit in den Vordergrund stellen sollen. a) In zwei Fllen greift der Verfasser auf das apokalyptische Konzept der endzeitlichen Katastrophen zurck, wenn auch in ent-apokalyptisierter Form (1Tim 4,1 f.; 2Tim 3,1 – 4). Dass sich die Zeit vordem Ende durch den Zerfall der blichen Ordnung auszeichnet, ist ein apokalyptischer Topos, aus dem allein das Moment moralischer Dekadenz herausgegriffen und auf die Gegner angewendet wird. So heißt es in 2Tim 3,1: „Dies erkenne: In den letzten Tagen werden bçse Zeiten kommen“ – gefolgt von der Aufzhlung verschiedenster Laster. Ausgeblendet bleiben (wie auch in den unumstritten echten Paulusbriefen) Bedrohungen der natrlichen Grundlagen des Lebens, das Zusammenbrechen der sozialen Ordnung oder kosmische Katastrophen. Die Pastoralbriefe interessieren sich nur fr das, was sich unter den %mhqypoi als Verfallserscheinung beschreiben lsst, um damit ein Wert44 Karris, Background, 553, erkennt darin einen Topos der Antisophistenpolemik.
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muster fr die Beurteilung der Falschlehrer vorzugeben, an denen sich die Ankndigung des „Paulus“ bewahrheitet (vgl. 3,6: 1j to¼tym eQsim jtk.). Die Zeitangabe in 2Tim 3,1 ist eindeutig als Anspielung auf apokalyptische Tradition zu verstehen: 1m 1sw²tair Bl´qair. Dagegen schillert die Formulierung in 1Tim 4,1. Dort ist die Rede von den vsteqoi jaiqo¸, in denen sich die geschilderten negativen Phnomene abspielen. Nimmt man vsteqor komparativisch, wrde der Briefschreiber auf aus seiner Sicht sptere Zeiten schauen, die in der Gegenwart der Pastoralbriefe erreicht ist. Da aber vsteqor auch superlativisch verstanden werden kann45, liegt hier ebenfalls ein apokalyptischer Horizont nahe, der den Blick auf die Gegner çffnen soll. Whrend in 2Tim 3,1 – 4 die moralische Verkommenheit in den Vordergrund gestellt wird, geht es in 1Tim 4,1 f. vor allem darum, die Gegner als Falschlehrer zu brandmarken: Sie werden verfhrerischen Geistern zugeordnet; ihre Lehren sind Lehren von Dmonen; sie werden als Lgner und als in ihrem Gewissen gebrandmarkt prsentiert. Auch diese letzten beiden Vorwrfe zielen in erster Linie nicht auf moralische Verfehlung. In 4,1 wird die Perspektive vorgegeben: Angekndigt wird der Glaubensabfall, der sich vollzieht, wenn man diesen verfhrerischen Geistern folgt (!post¶somta¸ timer t/r p¸steyr). Entsprechend wird in 4,3 ein Inhalt der bekmpften Lehre angefhrt, um anzuzeigen, worin diese fehlgeht. Ein solcher Bezug auf zurckgewiesene Inhalte ist fr die Pastoralbriefe untypisch46. Jedoch ist angesichts dieser sonstigen Zurckhaltung verstndlich, dass eine Nennung falscher Lehren dort erfolgt, wo der Kontext die Negativ-Wertung besonders untersttzt. Die Zusammenschau beider Stellen im Rahmen einer Korpus-Lektre zeigt, dass das apokalyptische Muster des endzeitlichen Zerfalls zweifach gegen die Falschlehrer gewendet wird: Sie fhren vom rechten Glauben weg und bewahrheiten die Erwartung moralischer Zerrttung. b) Ein Negativ-Muster anderer Art, aber ebenfalls aus der alttestamentlich-jdischen Tradition, wird in 2Tim 3,8 f. gegen die Falschlehrer in Stellung gebracht. Hier wird nicht auf einen in der konkreten Ausfhrung unterschiedlich entfaltbaren Topos zurckgegriffen, sondern ein Vorgang aus der Geschichte Israels als Vergleichsgrçße fr das benannt, was gegenwrtig geschieht. Entscheidend ist dabei: Die Rollen von „gut und bçse“sind eindeutig verteilt. Auf der einen Seite Mose bzw. die Wahrheit, gegen die auf 45 Vgl. Bauer, Aland, Wçrterbuch, s.v. vsteqor 1b. 46 Eine Parallele findet sich nur noch in 2Tim 2,18, wo allerdings keine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet, sondern allein die abgrenzende Zurckweisung (s. dazu oben 2.1 Abschnitt c; zu 1Tim 4,3 f. unten 2.6).
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der anderen Seite die gyptischen Zauberer47 bzw. die Falschlehrer Widerstand leisten. Man kann fragen, warum die Gegner mit den gyptischen Zauberern verglichen werden und kein innerisraelitischer Konflikt um Fhrungsansprche aufgegriffen wird, wie er etwa im Aufstand der Rotte Korachs ja durchaus zur Verfgung stand. Mçglicherweise ist die Antwort auf diese Frage recht banal: Der Verfasser kennt die Geschichte vielleicht gar nicht, obwohl er in 2Tim 2,19 aus Num 16,5 zitiert – aber eben nur punktuell, ohne Bezug auf die ganze Erzhlung vom Aufstand Korachs48. Allerdings bot die Plage-Erzhlung eine Besonderheit, die sie attraktiv machte fr die Gegnerpolemik. Die gyptischen Zauberer kçnnen nmlich eine Weile mit Mose und Aaron mithalten, ehe sie am Stechmcken-Wunder scheitern und schließlich so von den Geschwren befallen sind, dass sie Mose nicht mehr gegenbertreten kçnnen (Ex 8,14; 9,11). Das Muster „anfnglicher Erfolg – schließliches Scheitern“ passte offensichtlich auf die Situation, in die die Pastoralbriefe geschrieben sind. Ihr Verfasser muss zugeben, dass die Gegner Zuspruch finden und Anhnger gewinnen49. Dafr bieten auch die an Jannes und Jambres ansetzenden Ausfhrungen einen entsprechenden Hinweis. Die Gegner, heißt es, wrden nicht weiter voranschreiten (3,9: oq pqojºxousim 1p· pke?om). Ein Voranschreiten muss ihnen also zugestanden werden; es wird nur bestritten, dass es immer so weitergehen werde. Zieht man die gyptischen Zauberer als „Modell“der Gegner heran, wird, so legt es der Verfasser nahe, deutlich, dass der anfngliche Erfolg das Fiasko nicht verhindern kann. In der Situation der Briefe ist der Punkt noch nicht erreicht, an dem die %moia der Falschlehrer offenkundig ist. Erneut bezieht sich das Futur (in der Wendung 5jdgkor 5stai p÷sim) nicht nur auf die Zukunft aus der Sicht des Briefschreibers. Auch die eigentlichen Adressaten der Pastoralbriefe kçnnen sich vom Eintreffen jenes Ereignisses noch nicht berzeugen. Gerade deshalb wird ihnen ja das Beispiel von Jannes und Jambres als „Verstndnishilfe“ vor Augen gestellt: Sie sollen sich vom derzeitigen Erfolg der angegriffenen Lehrer nicht in die Irre fhren lassen50. 47 Dass sie als „Jannes und Jambres“ bezeichnet werden, weist auf die Verwendung einer jdischen Tradition. Vgl. dazu vor allem Pietersma, Lutz, Jannes and Jambres; Pietersma, Apocryphon. 48 Vgl. dazu meine berlegungen in: Belehrung 217 f. 49 S. die bereits genannte Stelle 2Tim 2,17; außerdem auch 2Tim 4,3 f.; 1Tim 5,15; Tit 1,11. 50 Auch der Kontext sttzt die Einschtzung, dass der Verfasser der Pastoralbriefe mit dem Zuspruch, den die Gegner finden, stark zu kmpfen hat. Deren pqojºpteim erscheint nicht nur an unserer Stelle, sondern wird auch zweimal ironisiert: Es ist ein
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Dieser ist kein Zeichen gçttlichen Beistands, sondern nur das Vorspiel ihres Untergangs51. c) Nur im Titusbrief konnte das Negativ-Muster eingesetzt werden, das mit dem angegebenen Bestimmungsort des Schreibens verbunden ist. In Tit 1,12 wird ein hufiger belegtes Schimpfwort ber die Kreter52 zitiert: „Die Kreter sind immer Lgner, bçse Tiere, faule Buche.“ Da dies als Spruch eines Kreters vorgestellt wird („ihr eigener Prophet“), entsteht das LgnerParadox: Wenn Kreter immer lgen, kann der Satz nicht wahr sein, da er von einem Kreter gesprochen ist; diese Folgerung aber setzt umgekehrt voraus, dass Kreter immer lgen, was aber nur stimmen kann, wenn der Satz wahr ist. Mit diesem logischen Problem53 schlgt sich der Verfasser des Briefs nicht herum54, sondern sagt klipp und klar, was er von dem Satz hlt: Er ist wahr55. Er lsst also wenigstens diese eine Ausnahme vom Grundsatz gelten, die Selbsterkenntnis des zitierten Kreters trifft den Kern der Sache. Die Einbindung in den Kontext zeigt eindeutig, dass das anti-kretische Vorurteil fr die Gegnerpolemik genutzt wird. Die Benennung der Aufgabe des Episkopos, die Widersprechenden zu berfhren (1,9) hat bergeleitet Voranschreiten zur Gottlosigkeit (2Tim 2,16, hier dieselbe Wendung wie in 3,9: 1p· pke?om pqojºxousim) bzw. ein Voranschreiten auf dem eingeschlagenen falschen Weg (2Tim 3,13: 1p· t¹ we?qom). 51 Dass das Beispiel der Zauberer Jannes und Jambres gewhlt ist, um die Gegner als Thaumaturgen zu diskreditieren (so Pietersen, Polemic, 131 f.), ist dagegen unwahrscheinlich, da kein Signal in diese Richtung gesetzt wird. Eine solche Zuspitzung konnte sich freilich auch schon deshalb nicht nahelegen, weil die gyptischen Zauberer nur das wirken, was auch Mose und Aaron tun. 52 Das Wort „scheint als eine Art geflgeltes Wort kretischer Herkunft gelufig zu sein“ (Herzer, Gegnerproblematik, 153). Zur Beleglage vgl. Dibelius, Conzelmann, Pastoralbriefe, 102 f.; Neuer Wettstein II, 1017 – 1024 (mit Belegen vor allem fr den Ruf der Kreter als Lgner); einen guten berblick bietet Herzer, Gegnerproblematik 153. 53 Vgl. dazu Zimmer, Lgner-Antinomie. Thiselton, Liars, will das logische Problem grundstzlich auf die Sprache angewendet fr das Aussageziel auswerten. Es gehe um die Art und Weise, in der Gemeindeleiter ihr Amt auszuben haben: Sie sollen durch ein frommes und gerechtes Leben wirken, nicht durch Wortgefechte. Allerdings ist dem Verfasser des Titusbriefes solche Spitzfindigkeit kaum zuzutrauen, zumal er durch den unmittelbaren Kontext andere Signale gesetzt hat (vgl. Oberlinner, Pastoralbriefe III, 39 f.). 54 So auch Merz, Selbstauslegung, 38; Herzer, Gegnerproblematik, 153 f. Dagegen hlt Glaser, Briefroman, 231, das logische Problem zwar nicht fr zentral, will es aber nicht vçllig ausblenden (vgl. ebd., Anm. 282). Dass die Vorrede Lukians zu den „Wahren Geschichten“ heuristischer Hintergrund fr die Lgner-Antinomie im Titusbrief sein kçnnte (vgl. ebd., Anm. 283), ist allerdings zu bezweifeln. 55 Vgl. Herzer, Gegnerproblematik, 154 Anm. 39.
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zur scharfen Zurckweisung dieser Widersprechenden, in die das LgnerParadox eingebettet ist. Auch wenn „Paulus“ kein Interesse an dem logischen Problem hat, kommt ihm die Kennzeichnung der Kreter als „Lgner“ doch entgegen. Worte vom Stamm xeud- werden im 1. Timotheusbrief gebraucht, um die Gegner abzuwerten56. Die Kennzeichnung der hgq¸a als „bçse“ (jaj²) weist ebenfalls einige Verbindungen zur sonstigen Gegnerpolemik auf 57. Das dritte Element („faule Buche“) steht hçchstens mittelbar in Zusammenhang mit der Frontstellung gegen die Falschlehrer58, was der Brauchbarkeit des zitierten Satzes aber keinen Abbruch tut. Der Verfasser der Pastoralbriefe will ja nicht nachweisen, dass die Invektive gegen die Kreter sich in Verhalten oder Lehre der Gegner bewahrheitet. Vielmehr soll ein weithin geteiltes Vorurteil gegen die Kreter auf die Falschlehrer bertragen werden59. d) Werden neben den anti-kretischen auch anti-jdische Vorurteile gegen die Falschlehrer eingesetzt? Im Kontext der Kreter-Polemik gibt es Ansatzpunkte fr ein solches Vorgehen. Dabei drfte der Ansatz aber weniger bei paganen Vorurteilen gegen das Judentum zu suchen sein als in innerchristlichen Entwicklungen. Jedenfalls lsst sich kaum nachweisen, dass im Titusbrief spezifisch ethnische Vorurteile gegen Juden aufgenommen wren. Christine Gerber will zwar eine entsprechende Charakteristik aus einem Vergleich mit den Vorwrfen ableiten, die nach Contra Apionem gegen das Judentum erhoben wurden60. Mit dem Bezug auf Beschneidung, Mythen und Gesetz61 kann das aber kaum gelingen. Mythen sind kein typischer Gegenstand paganer Polemik gegen das Judentum; fr das Gesetz gilt dies jedenfalls nicht einer Weise, die die nur pauschale Behandlung in den Pastoralbriefen erklren kçnnte62. Die Beschneidung konnte heidnischer 56 1Tim 1,10: xe¼stai ; 4,2: xeudºkocoi ; 6,20: xeud¾mulor. Von Gott heißt es, er sei !xeud¶r (Tit 1,2). 57 In 1Tim 6,10 wird die Geldliebe als Wurzel aller bel bezeichnet (p²mta t± jaj²) und dies besonders auf die Gegner bezogen (s. o. 2.2). Nach 2Tim 4,14 hat Alexander, der Schmied, Paulus viel Bçses getan (pokk± jaj²). In Tit 3,3 wird die jaj¸a als Wesensmerkmal des vorchristlichen Lebens benannt. 58 In 1Tim 5,13 ist davon die Rede, dass jngere Witwen !qca¸ in den Husern umherlaufen. Da der Verfasser beklagt, dass sich einige bereits der falschen Seite zugewandt htten (5,15), kann man die genannte mittelbare Beziehung zu den Gegnern erkennen (s.a. oben Anm. 19). 59 Vgl. Stegemann, Vorurteile, 53.56 f. 60 Vgl. Gerber, Antijudaismus, 346 – 355. 61 Vgl. a.a.O., 352. 62 Manche antijdischen Stereotype richten sich auf Bestimmungen des Mose (etwa der Vorwurf der Menschenfeindlichkeit; vgl. die Darstellung der wichtigsten von
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Einschtzung als absonderlich gelten63, Tit 1,10 bleibt in dieser Hinsicht aber sehr zurckhaltend. Wenn die Gegner ber die Beschneidung als jdisch gekennzeichnet werden (oR 1j peqitol/r), so liegt zwar aufgrund des Kontextes eine abwertende Bedeutung nahe. Sie erklrt sich aber in erster Linie aus Vorgaben der paulinischen Tradition und den dort zu findenden Wertungen zur peqitol¶64. Aus der Anfhrung der vikamhqyp¸a in Tit 3,4 ist kein Bezug auf pagane anti-jdische Polemik zu erschließen65. Und dass die Grndung des Kerygmas im gçttlichen Ratschluss „vor ewigen Zeiten“ (Tit 1,2) durch die Ausblendung der jdischen Heils- und Verheißungsgeschichte antijdisch ausgerichtet sei66, lsst sich ebenfalls nicht sagen. Die von Jrgen Roloff zurecht konstatierte „Israelvergessenheit“ der Pastoralbriefe67 legt nahe, dass der Verfasser der Briefe das Problem heilsgeschichtlicher Kontinuitt gar nicht im Blick hat, also auch nicht polemisch gegen das Judentum wendet68. Am deutlichsten wird der Einsatz antijdischer Polemik in Tit 1,14, wenn durch die Qualifizierung der lOhoi als Youdazjo¸ ganz offensichtlich die Negativ-Wertung verstrkt werden soll. Dies geschieht nur an dieser Stelle, andernorts begngt sich der Verfasser mit der Abwertung, die im Begriff lOhor schon enthalten ist69. Wenn nun die Qualifizierung „jdisch“ hinzutritt, dann nicht, um ein Informationsbedrfnis auf Seiten der Adressaten zu befriedigen. Es wird jedenfalls in der Folge nicht entfaltet, was problematisch sei am jdischen Charakter der Mythen. Also soll mit dieser Zuordnung offensichtlich die Negativ-Rezeption gesteuert werden70. Der
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Josephus zurckgewiesenen Vorwrfe bei Gerber, Antijudaismus, 337), aber solche „Einzelkritik“ bietet keinen Hintergrund fr die Bezge auf den mºlor in den Pastoralbriefen. Dass in Tit 3,9 das Gesetz mit Streitigkeiten verbunden wird, kann man als Gegensatz zur Funktion des Gesetzes bei Josephus beschreiben (vgl. ebd., 353); ein antijdisches Vorurteil ist damit nicht verbunden. Tacitus, Historiae 5,5, nennt die Beschneidung als gegenseitiges Erkennungsmal unter deutlich negativem Vorzeichen, da der Kontext von der kritisierten Abgrenzung vom Rest der Menschheit bestimmt ist. Vgl. Oberlinner, Antijudaismus, 290. Vgl. (vorsichtig) Gerber, Antijudaismus, 353 f. Auch die Darstellung Stegemanns, (Vorurteile, 50 – 59) belegt nicht, dass der Titusbrief auf spezifisch antijdische Topoi der heidnischen Umwelt zurckgreift. So Gerber, Antijudaismus, 355 f. Vgl. Roloff, Weg Jesu, 155 f. In diesem Sinn Wolter, Pastoralbriefe, 85 f. Auch die Sicht der Schrift passt sich in diesen Rahmen problemlos ein (vgl. Hfner, Belehrung, 227 – 230). S. dazu oben Anm. 40. Vgl. Oberlinner, Antijudaismus, 298; Gerber, Antijudaismus, 349; Schaefer, Gegnerpolemik, 68 f.
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Grad der Polemik ist in diesem Fall allerdings viel geringer als in dem auf die Kreter gemnzten Zitat. Auch die bereits besprochenen allgemein bleibenden Vorwrfe in Tit 1,10 – 16 sind viel strker profiliert als spezifisch antijdische Stereotype71. 2.5 Negative Beispiele In den Timotheusbriefen werden Gegner auch namentlich genannt. Es werden abschreckende Beispiele vorgestellt, in denen sich der Widerstand gegen die von „Paulus“ vertretene gesunde Lehre in den Briefen personalisiert72. In 1Tim 1,20 erscheinen Hymenaios und Alexander als Exempel derer, die im Glauben Schiffbruch erlitten haben (¨m 1stim zl´maior ja· )k´namdqor). Beide Namen werden im 2Tim aufgegriffen: Hymenaios wird zusammen mit Philetos als Vertreter der Lehre von der bereits geschehenen Auferstehung vorgestellt (2Tim 2,17 f.); Alexander erscheint, mit dem Zusatz „der Schmied“, als persçnlicher Feind des Paulus (4,14 f.). Die harschen Worte, die ihn treffen, fallen besonders auf: der Herr soll ihm nach seinen (bçsen) Werken vergelten. Damit wird zum einen deutlich, dass der Versuch ihn zur Umkehr zu bewegen (1Tim 1,20: Vma paideuh_sim lμ bkasvgle?m) gescheitert ist, was sicher auch fr den zuvor genannten Hymenaios gelten soll73. Zum andern wird eine scharfe Grenze zu jenen gezogen, die Paulus in seinem Prozess verlassen haben. Ihnen soll ihr Versagen nicht angerechnet werden (2Tim 4,16: lμ aqto?r kocishe¸g). Mit dem Bezug auf konkrete Personen74 wird die Gegnerpolemik in die Biographie des Paulus eingetragen75. 71 Fr den Vorwurf der Habgier in 1,11 hlt auch Gerber, Antijudaismus, 352 Anm. 84, fest, dass er „sich kaum auf ein antijdisches Vorurteil“ bezieht. Weiter unten ist auf Folgerungen aus diesem Befund zurckzukommen (s.u. 5.). 72 Dass dem Titusbrief dieses Element abgeht, spricht nicht gegen die Korpus-These. Das Verhltnis zu Timotheus wird in den Pastoralbriefen anders inszeniert als dasjenige zu Titus, das viel distanzierter bleibt (vgl. dazu Hfner, Elemente, 185 – 188). In diesen Rahmen passt, dass auch Namen von Gegnern keine Rolle spielen: Absender und Adressat sind nicht so mit den Lebensumstnden des anderen vertraut, dass „gemeinsame Bekannte“ von Bedeutung sein kçnnten. 73 Er wird ja von Paulus, so die Fiktion, am Ende seines Lebens als Vertreter der Falschlehre zitiert. 74 Zu nennen wren auch noch Phygelos und Hermogenes, die zu jenen Personen gehçren, die Paulus in der Asia verlassen haben (2Tim 1,15). Es bleibt in diesem Fall bei der knappen Notiz, so dass sich keine weiteren Folgerungen ergeben. Die beiden werden als Gegenbild zu Onesiphoros und seinem Haus prsentiert.
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2.6 Argumentative Zurckweisung Nur einmal setzt sich der Verfasser der Pastoralbriefe inhaltlich mit der gegnerischen Lehre auseinander. In 1Tim 4,3 fhrt er zunchst zwei Positionen an: Die Gegner verbieten zu heiraten76 und fordern Enthaltung von (bestimmten) Speisen. Das in Klammer gesetzte Attribut deutet eine Schwierigkeit an. Eigentlich liest sich die Formulierung !p´weshai bqyl²tym wie ein Fastengebot, als ginge es berhaupt um den Verzicht auf Nahrungsaufnahme77. Aus der Gegenargumentation geht aber hervor, dass sich die Forderung auf bestimmte Speisen richten muss. Jedes Geschçpf Gottes, heißt es, sei gut, keines unrein (4,4). Dieser Schluss aus der Gegenargumentation bedeutet nicht, dass man der rhetorischen Strategie des Verfassers aufsitzt. Wenn er (ausnahmsweise) inhaltlich argumentiert, darf man annehmen, dass er nicht vçllig an der strittigen Sache vorbeiredet. Eher ist damit zu rechnen, dass er die gegnerische Position auf eine Weise prsentiert, die ihm die Gegenargumentation erleichtert. Und dies kçnnte ihn gerade dazu gefhrt haben, die Speisegebote nicht zu przisieren, sondern nur pauschal zu nennen. Der paraphrasierende Bezug auf Gen 1,29.3178 kçnnte nmlich eine Schwche aufweisen, wenn die Gegner den Genuss von Fleisch abgelehnt haben. In diesem Fall wre die Argumentation mit Gen 1 insofern schwierig, als dort die Tiere gerade nicht zum Genuss (eQr let²kglxim) freigegeben werden. Diese Schwche wird verdeckt, wenn die Speisegebote nicht im Detail zur Sprache kommen. hnlich verhlt es sich mit der Aussage, jedes Geschçpf sei gut und keines unrein (!pºbkgtom). Im Rahmen alttestamentlicher Schçpfungsvorstellung kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Sicht, das von Gott Geschaffene sei gut, mit Einschrnkungen bei erlaubten Speisen verbinden kann. Dass es unreine Speisen geben kçnnte, bleibt in 1Tim 4,3 f. ganz ausgeblendet. Wohl um diesen Schwachpunkt zu kaschieren, werden auch die gegnerischen Speisegebote so grundstzlich75 Dies ist fr die Pastoralbriefe, die auch als Erzhlung gelesen werden kçnnen, kein nebenschlicher Effekt. Darauf ist zurckzukommen (s.u. 4. Abschnitt a). 76 Dieser Standpunkt wird nachfolgend nicht besprochen. Die Gegenargumentation richtet sich allein auf die Speisegebote. Dies wohl deshalb, weil der Verfasser das Heiratsverbot bereits fr widerlegt hlt, vgl. 1Tim 2,13 – 15; vgl. dazu Hfner, Belehrung, 167 f. 77 Dass der Infinitiv von jykuºmtym abhngt, ist als Zeugma zu bestimmen, da es dem Verfasser nicht darum gehen kann, dass die Gegner verbieten, sich der Speisen zu enthalten (vgl. Roloff, 1Tim, 222; Marshall, Pastoralbriefe, 542). 78 Vgl. zur Begrndung dieses Schriftbezugs Hfner, Belehrung, 162 f.
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umfassend genannt. Jede Spezifizierung htte die Gegenargumentation belasten kçnnen79. Auch dort, wo sich wenigstens ansatzweise sachliche Auseinandersetzung findet, ist die polemische Situation nicht nur durch den literarischen Kontext mit Hnden zu greifen; sie bestimmt auch subtil die Prsentation der gegnerischen Position.
3. Bauformen der Polemik in den Pastoralbriefen Im Folgenden soll der Blick darauf gerichtet werden, wie die polemischen Grundformen zusammengefgt werden zu grçßeren Einheiten, zunchst bezogen auf grçßere Abschnitte (3.1), die der Polemik gewidmet sind, dann auf das Brief- bzw. Korpusganze (3.2). 3.1 Polemische Abschnitte a) 1Tim 1,3 – 10 beginnt mit dem Sprachspiel der Abgrenzung (2teqodidasjake?m) und fhrt am Ende wieder darauf hin, nun mit dem positiven Gegenbegriff, der rcia¸mousa didasjak¸a. Eingebettet wird die Abqualifizierung der Falschlehre (V. 4) und der Falschlehrer (V. 7), wobei auch die Abgrenzung prsent bleibt, und zwar sowohl in Wendungen, die liminale Distanzierung ausdrcken (V. 6: !stow´y), als auch in der Beschreibung dessen, wovon sich die Falschlehrer abgewandt haben (V. 5). Ebenso dient der Lasterkatalog in Vv. 9 f. der Abgrenzung, weil die „gesunde Lehre“ als Gegengrçße dazu eingefhrt wird und den Gegnern jene Laster nicht direkt vorgeworfen werden. In dem Abschnitt, der als Alleinstellungsmerkmal eine argumentative Auseinandersetzung bietet (1Tim 4,1 – 5), werden zuvor krftige polemische Register gezogen. Bemht wird das Negativ-Muster der eschatologischen Zerfallserscheinungen (V. 1), ehe die Falschlehrer abqualifiziert werden (V. 2). Dass diese Leute nicht ernst zu nehmen sind, wird also behauptet, bevor deren Lehren zur Sprache kommen. Der Verfasser verlsst sich nicht auf seine sachliche Argumentation, sondern sorgt dafr, dass die Gegner im rechten, also in schlechtem Licht erscheinen. Nicht ungeschickt nutzt er den Bezug auf Inhalte der zurckgewiesenen Lehre, um diese zu kritisieren, ohne die Falschlehrer zu nennen. Die asketischen Forderungen 79 Zur Frage, warum der Verfasser mit der Schçpfung argumentiert, auch wenn dies offene Flanken bietet, vgl. meine berlegungen in: Belehrung, 172 f.
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werden als sylatijμ culmas¸a aufgegriffen (V. 8) und im Sprachspiel der Abgrenzung der eqs´beia gegenbergestellt. Mit dieser polemischen Form wird in 1Tim 6,3 – 5 begonnen (V. 3), ehe die Abqualifizierung der Falschlehrer dominiert (Vv. 4 f.). Auch hier wird aber (wie bereits in 1Tim 1,3 – 10) die Abgrenzung wachgehalten, da das !posteqe?shai t/r !kghe¸ar eingeflochten wird (V. 5). Eine Besonderheit dieses Abschnitts liegt allerdings darin, dass mit dem Vorwurf der Gewinnsucht das Stichwort gegeben wird, das die Gegnerpolemik auch in der folgenden Parnese prsent hlt (s. V. 10). In der Wendung !pepkam¶hgsam !p¹ t/r p¸steyr kann man wieder das Sprachspiel der Abgrenzung erkennen, mit dem in 6,3 begonnen wurde. b) Am strksten entfaltet scheint die Polemik in Tit 1,10 – 16. Hier finden sich nicht nur die heftigsten Worte, mit denen die Gegner in den Pastoralbriefen angegriffen werden; wir stoßen auch auf einen dichtgedrngten Einsatz fast aller polemischen Formen80. Es beginnt mit einer scharfen Abqualifizierung der Falschlehrer, denen jede Kompetenz abgesprochen und Gewinnsucht vorgeworfen wird. Bereits in diese Prsentation kçnnte mit der Kennzeichnung oR 1j peqitol/r ein Negativ-Muster eingebracht sein, das antijdische Vorurteile wachrufen soll. Noch deutlicher ist dies dann im Bezug auf jdische Mythen zu erkennen (V. 14). Dass mit der Zuwendung zu jenen Mythen nur Gebote von Menschen erreicht werden (V. 14), wertet die gegnerische Lehre weiter ab. Wenn festgehalten wird, dass man sich damit von der Wahrheit abwendet (V. 14), ist das Sprachspiel der Abgrenzung eingebracht. Dieses begegnet außerdem in der Betonung der Notwendigkeit, im Glauben zu gesunden (V. 13), wie auch in der Gegenberstellung von Reinen und Befleckten (V. 15). Ein zweites Negativ-Muster ist mit dem blen Ruf der Kreter eingebracht (V. 12 f.). All das ist aber noch nicht genug: Zum Ende des Abschnitts kehrt der Verfasser zur scharfen Abqualifizierung der Gegner zurck (V. 15 f.). Tit 3,9 – 11 ist demgegenber weniger entwickelt, vereint aber dennoch auf knappen Raum die Abqualifizierung der Falschlehre und der Falschlehrer sowie die nçtige Abgrenzung von ihnen. c) In 2Tim 2,14 wird mit dem Stichwort kocolawe?m ein Indiz fr den Zusammenhang der Gegnerbekmpfung gegeben, obwohl erst in 2,16 die Falschlehre in den Blick kommt, die bis zum Briefschluss prsent bleibt – wenn auch nicht immer als unmittelbarer Gegenstand der Polemik. Dies ist 80 Es fehlen nur die namentlich genannten Negativ-Beispiele und (kaum berraschend) die argumentative Auseinandersetzung – also die Formen, die auch sonst die geringste Rolle im polemischen Reservoir des Verfassers spielen.
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aber der Fall in 2,16 – 21, wo zunchst die Abqualifizierung der Falschlehre und der Falschlehrer begegnet (V. 16), verbunden mit der Nennung von zwei Vertretern (V. 17) und dem Sprachspiel der Abgrenzung (V. 16: peqiýstaso), das den weiteren Abschnitt dann dominiert und auch in die folgende Ermahnung des Timotheus hereinspielt (s. 2,23), in der die Gegnerbekmpfung im Hintergrund zu erkennen ist81. Negativ-Muster und Abqualifizierung der Falschlehrer prgen den Abschnitt 3,1 – 9. Beides ist ineinander verwoben: Zunchst wird das Modell des endzeitlichen Verfalls aktiviert und durch einen Lasterkatalog inhaltlich gefllt (V. 1 – 4), ehe dies auf Phnomene der Gegenwart bezogen und mit dem Wirken der Falschlehrer verbunden wird (V. 5 – 7). Diese sollen analog zu den gyptischen Zauberern aus den Plage-Erzhlungen verstanden werden (V. 8 f.). Der Vergleich wird so durchgefhrt, dass dabei eine dritte polemische Form eingebettet wird: die Abgrenzung von Wahrheit und Falschlehre. Dieses Moment ist bereits durch den Imperativ in V. 5 vorbereitet (!potq´pou). Es bestimmt schließlich die ausdrckliche Behandlung der Falschlehre in 2Tim 4,3 f., wo außerdem anklingt, dass deren Vertreter keine zuverlssigen Lehrer sind, sondern ein falsches Bedrfnis befriedigen (1pisyqe¼sousim didasj²kour jmghºlemoi tμm !jo¶m). Außerdem wird durch die Rede von den „Mythen“ auch deren Lehre abqualifiziert. d) Fazit: Einzelne Texte kçnnen eine bestimmte Form favorisieren: Die Abqualifizierung der Falschlehrer dominiert in 1Tim 6,3 – 5, das Sprachspiel der Abgrenzung in 2Tim 2,16 – 21 und 2Tim 4,3 f. In anderen Fllen zeigt sich eine recht gleichmßige Verteilung verschiedener Formen (1Tim 1,3 – 10; Tit 1,10 – 16; 2Tim 3,1 – 9). Bisweilen ist ein Bogen vom Anfang zum Schluss erkennbar (1Tim 1,3 – 10; Tit 1,10 – 16). Immer aber werden mehrere Formen zugleich eingesetzt. Auch deshalb wirkt der Einsatz von Polemik in den Pastoralbriefen so massiv. Ein zweiter Grund ist in der strukturellen Einbindung in die einzelnen Briefe und das Korpus im Ganzen zu suchen. Darum geht es im nchsten Abschnitt. 3.2 Der Ort der Polemik im Briefkorpus a) Richtet man den Blick auf den strukturellen Ort der Polemik in den einzelnen Briefen, so zeigt sich eine gewisse Parallele zwischen dem 1Tim und Tit, also jenen beiden Briefen des Korpus, die durch dieselbe Gattung 81 S. dazu unten 3.2 Abschnitt b.
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miteinander verbunden sind82. Vergleichbar sind beide Schreiben darin, dass die Gegnerbekmpfung einen Bogen vom Anfang zum Schluss bildet. Zwar besteht ein Unterschied darin, dass der 1. Timotheusbrief sofort nach dem Prskript dieses Thema anschlgt, whrend der Titusbrief zunchst auf das Gemeindeleitungsamt zu sprechen kommt. Dieses Anliegen ist aber so eng mit der antihretischen Polemik verknpft, dass keine wesentliche Differenz entsteht: Presbyter bzw. Episkopos mssen eingesetzt werden, damit den Falschlehrern wirkungsvoll begegnet werden kann83. Am Ende des Briefes wird die Polemik wieder aufgegriffen. Im Titusbrief wird damit das eigentliche Briefkorpus abgeschlossen (3,9 – 11). Fr den 1. Timotheusbrief gilt das in etwas anderer Form. Zum einen fehlt ein eigentlicher Briefschluss84, so dass nach der Aufforderung, sich von den Antithesen der Gnosis abzuwenden (6,20 f.) nur noch der Gnadenwunsch folgt. Zum andern sind hier Gegnerbekmpfung und Gemeindeparnese strker ineinander verschachtelt als im Titusbrief. Denn bereits in 6,3 – 5 wird die Polemik wieder aufgegriffen und anschließend mit den Mahnungen verzahnt85, ehe sie in 6,20 f. den wirkungsvollen Schlusspunkt markiert. Zum Beginn des 1.Timotheusbriefes ist die Besonderheit zu vermerken, dass die Bekmpfung der Falschlehrer mit dem ersten Durchgang noch nicht abgeschlossen ist, sondern in 1,19 f. im Blick auf das Handeln des Paulus aufgenommen wird. Damit bleibt die Brieferçffnung86 von diesem Thema bestimmt, denn auch die Selbstvorstellung des Absenders in 1,12 – 17 ist so ausgerichtet, dass „Paulus“ als Typus des bekehrten Snders erscheint87. Damit ist er Vorbild fr die Abkehr vom falschen Weg: Wer wie Hymenaios und Alexander vom Lstern Abstand nehmen soll (Vma paideuh_sim lμ bkasvgle?m), kann sich am Apostel orientieren, der ebenfalls frher ein Lsterer (1,13: bkasvglºr) war. Eine weitere Eigenheit des 1. Timotheusbriefes besteht darin, dass auch in der Mitte des Briefs die Gegnerpolemik erscheint (4,1 – 5). So ergibt sich ein steter Wechsel mit dem Thema der Gemeindeordnung88. Dieser Brief
82 Vgl. dazu v. a. Wolter, Pastoralbriefe, 156 – 202. 83 Zum Zusammenhang von Tit 1,9 und 1,10 vgl. Oberlinner, Pastoralbriefe III, 33 f.; Thiessen, Ephesus, 292; Schaefer, Gegnerpolemik, 78. 84 Vgl. z. B. Roloff, 1Tim, 370 f. 85 Zur Verbindung von 1Tim 6,10 mit 6,3 – 5 s. o. 2.2 Abschnitt a; 3.1 Abschnitt a. 86 Zur bis 1,20 reichenden Brieferçffnung vgl. Roloff, 1Tim, 48 f. 87 Vgl. Oberlinner, Pastoralbriefe I, 37; Hfner, Elemente, 190. 88 1,3 – 20: Gegnerbekmpfung; 2,1 – 3,16: Gemeindefragen; 4,1 – 5: Gegnerbekmpfung; 4,6 – 6,2: Gemeindefragen; 6,3 – 5: Gegnerbekmpfung; 6,6 – 19:
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besttigt damit den Eindruck, der sich aus Tit 1,9 f. direkt ergibt: Was zur Gemeindeordnung ausgefhrt wird, dient der Zurckweisung der gegnerischen Gruppe89. b) Im 2. Timotheusbrief ist, in Entsprechung zur anderen Gattung, die Polemik strukturell anders eingesetzt. Als testamentarisches Mahnschreiben90 an denselben Adressaten, an den bereits ein anderer Brief verfasst wurde, setzt der letzte Brief des Korpus eigene Akzente auch in der Einbindung des Gegnerthemas. Hier gibt es keinen Bogen vom Beginn zum Schluss, wohl aber tritt dieses Thema ab 2,14 bestimmend in den Vordergrund – bis zum Ausblick auf den bevorstehenden Tod des Absenders (4,6 – 8). Auch in den Schlussmahnungen bleibt es prsent (4,14 f.). Wer die anderen Briefe gelesen hat, erkennt in dem kocolawe?m in 2,14 bereits einen Hinweis auf die Absetzung von den Gegnern (s. 1Tim 5,4; Tit 3,9), die dann in 2,16 – 21 voll entfaltet wird. In den Mahnungen an Timotheus in 2,22 – 26 bleiben die Gegner nicht nur in Anspielungen prsent91; es geht auch unmittelbar um die Widerspenstigen, die zurckgewonnen und aus der Schlinge des Teufels befreit werden sollen (2,25 f.). Insofern durch die Verwendung des Titels „Knecht Gottes“ die Anweisungen fr den Gemeindeleiter zur Zeit der Pastoralbriefe transparent werden, ist die aus dem 1. Timotheusbrief und dem Titusbrief bekannte Verzahnung mit dem Thema der Gemeindeordnung auch in diesem Brief belegt. Dies ist, nach dem explizit polemischen Stck 3,1 – 9, auch fr 3,10 – 17 festzuhalten. Dieser Abschnitt ist geprgt von Weisungen an den Briefadressaten, die Gegnerpolemik erscheint allein in V. 13. Jene Weisungen sind freilich auch hier geçffnet auf die Amtstrger in den Gemeinden92. Nicht anders liegt der Fall in 4,1 – 5, wo die Mahnung zur rechten Verkndigung (4,1 f.5) die polemischen Aussagen (4,3 f.) rahmt.
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Gemeindefragen; 6,20 f.: Gegnerbekmpfung. Dabei kçnnen beide Themen auch ineinander verschachtelt sein; s. neben 6,10 auch 4,6 f. Vgl. z. B. Roloff, 1Tim, 177; Oberlinner, Pastoralbriefe III, 52 f.74 f. Vgl. Wolter, Pastoralbriefe, 202 – 241; Weiser, Freundschaftsbrief. In 2,23 weist die Abgrenzung von fgt¶seir und l²wai auf den Zusammenhang der Gegnerbekmpfung. In 2,24 wird dem „Knecht Gottes“ ausdrcklich das l²weshai untersagt. Dies lsst sich vor allem fr die Aussagen ber die Schrift in 3,14 – 17 zeigen (vgl. Hfner, Belehrung, 224 – 254). Wenn die Schrift zum 1keclºr und zur 1pamºqhysir ntzlich ist (V. 17), besttigt sich die Ausrichtung auf die Gegnerbekmpfung, vgl. ebd., 247 f.
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c) Liest man die drei Briefe in der Reihenfolge 1. Timotheus – Titus – 2. Timotheus93, besttigt sich das Bild, das sich aus den einzelnen Briefen gewinnen ließ: Die antihretische Polemik prgt das Korpus ganz grundlegend, die Zurckdrngung der gegnerischen Gruppe muss ein wesentliches, wenn nicht gar das wesentliche Anliegen der Abfassung dieser Briefe sein. Im Lektreverlauf entsteht dieser Eindruck nicht nur, wenn man beachtet, was Timotheus und Titus fr unterschiedliche Orte (Ephesus und Kreta) mitgeteilt wird. Jeweils wird ein Bogen vom Briefanfang zum Briefschluss gespannt. Dies gilt aber auch fr das Korpus im Ganzen: Von der ausfhrlichen Brieferçffnung in 1Tim 1,3 – 20 bis zur Prsenz der Gegnerpolemik in 2Tim 2,14 – 4,5.14 f. wird eine Klammer um das ganze Briefkorpus gelegt. Dass der Abschluss nicht nur besonders umfangreich, sondern durch die Gestaltung als testamentarische Verfgung des in den Tod gehenden Paulus in seiner Bedeutsamkeit herausgehoben ist, bekrftigt den genannten Eindruck: Die Gegnerpolemik ist nicht nur eine Zutat, sondern wesentlicher Bestandteil der Pastoralbriefe.
4. Zur Funktion der Polemik in den Pastoralbriefen a) Fragt man, welche Wirkungen sich aus dem Einsatz polemischer Mittel in den Pastoralbriefen ergeben, so kann eine erste Antwort an den bekannten Topoi der Antisophistenpolemik ansetzen. Wenn diese wachgerufen werden, dann deshalb, weil der Autor die Adressaten gegen die Falschlehre einnehmen will: „the author wants to cause aversion for his opponents in the minds of his readers and to establish a strong alternative to their view of Pauline tradition“94. Da diese Topoi aber nicht das ganze Feld des Polemischen in den Pastoralbriefen abdecken, ist zu fragen, ob ber dieses emotional ausgerichtete Ziel hinaus auch inhaltlich umschrieben werden kann, in welcher Weise die Polemik der Pastoralbriefe wirken soll. b) Darauf lassen sich im Wesentlichen zwei Antworten geben. Die erste: Die Position der Gegner erscheint als indiskutabel. Der Eindruck, dass sich eine 93 Zur Begrndung vgl. Hfner, Konstrukt, 272 f. Nicht selten vertreten wird auch die Reihenfolge Tit – 1Tim – 2Tim (vgl. Klauck, Briefliteratur, 244; Glaser, Briefroman, 170 – 193; auch Schaefer, Gegnerpolemik, 76 – 79, tendiert in diese Richtung). 94 Karris, Background, 563 f.; vgl. auch Wolter, Pastoralbriefe, 263; Pietersen, Polemic, 135 („status degradation ceremony“); Pratscher, Auseinandersetzung, 10. Allgemein lsst sich festhalten: „Polemik zielt […] auf die Erregung aggressiver Affekte“ (Stenzel, Manichismus, 11).
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nhere Auseinandersetzung nicht lohnt, ergibt sich aus dem absolut negativen Charakter der gegnerischen Lehre, der durch die polemischen Strategien des Verfassers in Szene gesetzt wird. Man muss sich von dieser Lehre scharf abgrenzen. Es ist sinnlos, sich auf eine inhaltliche Auseinandersetzung einzulassen. Deshalb wird das (koco)lawe?m nicht nur negativ qualifiziert (1Tim 6,4; Tit 3,9), sondern auch ausdrcklich verboten (2Tim 2,14). Der Verfasser der Pastoralbriefe bietet selbst das beste Beispiel fr diese Verweigerung, da er – bis auf einen Fall – keine argumentative Widerlegung der zurckgewiesenen Position unternimmt. Die Sache soll als so eindeutig erscheinen, dass man gar nicht mehr sachlich diskutieren muss. Fr dieses Ziel spielt die Autorfiktion eine besondere Rolle. Es gibt, so der Effekt dieser Fiktion, von Paulus her eine klar definierte Grenze. Unabhngig davon, ob man die Pseudepigraphie der Pastoralbriefe fr durchschaubar hlt oder nicht95, ist diese Wirkung angezielt: Wer sich auf Paulus beruft, muss die in den Pastoralbriefen bekmpfte Falschlehre ablehnen. Dass der Apostel selbst als antihretischer Kmpfer prsentiert wird, unterstreicht diese Zuordnung. Man steht in der Nachfolge des Paulus, wenn man gegen die Falschlehrer vorgeht so wie er gegen Hymenaios und Alexander96. c) Die zweite Wirkung, die von der polemischen Strategie der Pastoralbriefe angezielt wird, lautet: Die Position der Gegner erscheint als hoffnungslos. Dieser Effekt ergibt sich vor allem aus der Verwendung der NegativMuster. Deren Sinn besteht zunchst darin, von der Falschlehre abzuschrecken, sie in ein schlechtes Licht zu rcken. Im Fall des gegen Kreter gerichteten Schmhwortes ist dies sogar die einzige Funktion. Anders aber beim Rckgriff auf die Negativ-Muster aus der alttestamentlich-jdischen Tradition: Sie implizieren auch die Aussichtslosigkeit der mit ihrer Hilfe eingeordneten Phnomene. Wenn das Wirken der Gegner nach dem Muster des endzeitlichen Zerfalls beschrieben wird, ist zugleich deren Untergang angekndigt. Wer den apokalyptischen Denkrahmen kennt, weiß, dass mit der Einordnung in die endzeitlichen Katastrophen nicht nur der widergçttliche Charakter, sondern auch das Ende der Falschlehre benannt ist. Der Vergleich mit Jannes und Jambres dient demselben Ziel, hat aber darber hinaus den Vorteil, dass die Gegenwart mit dem offensichtlichen 95 Vgl. zu dieser Diskussion in jngerer Zeit Schmidt, Maskenspiel; Zimmermann, Unecht – und doch wahr?; Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie?; Herzer, Fiktion. 96 Dieses biographische Element fgt sich ein in die Bedeutung der Paulus-Biographie in den Pastoralbriefe; vgl. dazu die berlegungen in: Hfner, Elemente, 183 – 198.
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Erfolg der Falschlehrer97 durch das biblische Muster gedeutet werden kann. Jener Vergleich soll gerade untermauern, dass sie schließlich scheitern werden. Den Adressaten soll also klar werden, dass das Anwachsen des bekmpften Phnomens kein Hinweis auf gçttliche Krfte ist. Es gibt keinen Grund, auf einen guten Ausgang der Falschlehre zu setzen. d) Die Polemik hat aber nicht nur eine negative Funktion im Blick auf die Gegner. Der Verfasser der Pastoralbriefe greift die Falschlehrer nicht aus Lust am Streiten an. Gegnerbekmpfung und Gemeindeordnung hngen, wie gesehen, innerlich zusammen, und so dient die polemische Abwertung der Falschlehrer auch als Negativ-Folie fr die Profilierung der Gemeindeleiter. Die recht allgemein bleibende Tugend-Liste in den Anforderungen an den Episkopos (1Tim 3,2 f.) liest sich nicht nur grundstzlich wie das Gegenstck zu einem Lasterkatalog wie 2Tim 3,1 – 4; in der Forderung, nicht streitschtig und nicht geldliebend zu sein (%lawor, !vik²qcuqor), werden außerdem Haltungen genannt, die fr die Falschlehrer gerade nicht zutreffen98. So dient deren Abqualifizierung auch dazu, die Konturen des idealen Amtstrgers zu schrfen. Grundstzlich ist angesichts der scharfen Abgrenzungspolemik in den Pastoralbriefen auch zu bedenken, dass diese nicht Ausdruck einer umfassenden Abschottungsstrategie ist. Zum gesellschaftlichen Umfeld hin sind die Briefe sehr offen99. Diese Haltung ist theologisch begrndet im universalen Heilswillen Gottes (1Tim 2,4). Die in den Pastoralbriefen so berdeutlich gezogene Grenze zur Falschlehre hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass der Verfasser bei den Gegnern das Programm der ffnung zur Welt hin gefhrdet sah100. Er schließt den grenzmarkierenden Schlagbaum mit großem Getçse, um deutlich zu machen, dass hinter ihm der Weg in eine Sackgasse fhrt und sich in der entgegengesetzten Richtung eine weite Landschaft auftut. 97 S. dazu oben 2.4 Abschnitt b. 98 S. die Ausfhrungen zu (koco)lawe?m/kocolaw¸a und zur Geldgier (s. o. 2.3). 99 Dies zeigt sich nicht nur in Aussagen wie 1Tim 2,1 f.; Tit 3,1 f., sondern vor allem darin, dass die Beachtung der gesellschaftlich sanktionierten Rollenmuster als fçrderlich fr die Verkndigung des Evangeliums gilt. Dies belegen die Anweisungen zum Verhalten der Frauen (Tit 2,3 – 5) und der Sklaven (1Tim 6,1; Tit 2,9 f.). Die anerkannten Rollen sollen bernommen werden, damit die Lehre bzw. das Wort nicht gelstert bzw. geschmckt wird. 100 Wenn die Gegner die Ehe abgelehnt (1Tim 4,3) und alleinstehende Frauen sich ihnen angeschlossen haben (1Tim 5,15; auch 2Tim 3,6 f.), gehen ihre Vorstellungen offensichtlich nicht konform mit den Idealen des antiken oWjor, an denen sich der Verfasser der Pastoralbriefe orientiert (vgl. von Lips, Glaube 160).
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5. Folgerungen fr die geschichtliche Verortung der Pastoralbriefe Die zuletzt vorgetragenen berlegungen haben die Funktion der Polemik hinsichtlich der geschichtlichen Situation der Pastoralbriefe bedacht. Nun soll die Fragerichtung umgekehrt werden: Welche Rckschlsse sind aus der polemischen Strategie der Pastoralbriefe fr deren geschichtliche Situation zu ziehen? (1) Der massive Einsatz polemischer Mittel sttzt das Urteil, dass die Pastoralbriefe in einem konkreten Konflikt stehen und kein „Handbuch zur Irrlehrerbekmpfung“101 sein wollen. Die Gegner sind real und kein Platzhalter fr alle mçglichen antihretischen Kmpfe oder nur NegativFolie fr die eigene Position. Wer derart stark auf Polemik setzt, hat ein Gegenber, auf das sie sich richtet. (2) Die abschreckende Wirkung, auf die der Verfasser mit seiner Polemik setzt, will wohl nicht nur davon abhalten, sich der falschen Seite zuzuwenden; es geht ihm auch darum, Anhnger der gegnerischen Lehre zurckzugewinnen. Das Sprachspiel der Abgrenzung dient nicht der Beschreibung von nicht mehr berschreitbaren Gruppengrenzen, sondern der Markierung von „gesunder“ und falscher Lehre, von Wahrheit und „Mythen“. Und so hlt gerade der letzte Brief des Apostels fest: Das Handeln des Amtstrgers (doOkor juq¸ou) muss geleitet sein von dem Ziel, die Anhnger der Falschlehre zur Umkehr zu bewegen (2Tim 2,25). (3) Aus den negativen Stereotypen ber Kreter und Juden in Tit 1,10 – 16 ergeben sich ebenfalls Hinweise auf den geschichtlichen Ort der Pastoralbriefe, wenn auch in unterschiedlicher Hinsicht. Damit die Aktivierung des antikretischen Vorurteils im gewnschten Sinn funktionieren kann, ist die Adressatengruppe außerhalb Kretas vorauszusetzen. Es ist kaum vorstellbar, dass ein an die Gemeinden Kretas gerichteter Brief antikretische Polemik aufgreifen sollte, um die Falschlehrer zu diskreditieren. In diesem Fall msste der Autor frchten, dass sein Schuss nach hinten losgeht und gerade eine „Solidarisierung“ mit den Bekmpften stattfnde. Ein derart herbes Vorurteil kann nur dann erfolgreich eingesetzt werden, wenn es von der Zielgruppe vorbehaltlos geteilt wird. Dass christliche Gemeinden Kretas aus ihrer kretischen Identitt einfach aussteigen wrden und nur die brigen Kreter angesprochen shen, kann der Verfasser des Briefs nicht vorausset101 So aber z. B. Dibelius, Conzelmann, Pastoralbriefe, 54; Trummer, Paulustradition, 161 – 172; Schenk, Briefe, 3428. Einen berblick ber die Gegner-Diskussion bietet Pietersen, Polemic, 4 – 26.
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zen102. Deshalb wirft die Gegnerpolemik an diesem Punkt auch Licht auf die geschichtliche Verortung des Titusbriefs. Wenn sich auch nicht erschließen lsst, an welchem Ort sich die Adressaten befinden, so doch, wo sie sich recht sicher nicht aufhalten. Der fiktive Charakter des Titusbriefs wird durch die konkrete Form der Gegnerpolemik unterstrichen. Anders im Fall der antijdischen Polemik. Sie hat sich als wesentlich weniger ausgeprgt zu erkennen gegeben103. Dass der Verfasser der Pastoralbriefe ohne Anhalt in der Charakteristik seiner Gegner solche jdischen Elemente in die entsprechenden Passagen eingebracht htte, ist schon deshalb unwahrscheinlich: Der polemische Gewinn ist eher gering. Gegen eine solche Folgerung spricht aber auch, dass die Gegner nicht einfach beliebig dargestellt werden konnten, weil fr die tatschlichen Adressaten erkennbar bleiben musste, wen „Paulus“ verurteilte. Ein entscheidender Unterschied zum Kreter-Zitat besteht auch darin, dass antijdische Vorurteile keine lokalen Begrenzungen aufweisen. Außerhalb Kretas kann man auf Zustimmung zur Schmhung der Kreter hoffen, um so die Gegner zu diskreditieren – auch wenn diese mit Kreta nichts zu tun haben. Es wird durch den fiktiven Bestimmungsort des Briefes ein solcher Zusammenhang suggeriert, von dem aus dann die Falschlehre am tatschlichen Bestimmungsort eingeordnet werden soll: Wenn die Adressaten erkennen, dass diese um sich greifende Lehre auch von den bel beleumundeten Kretern propagiert wird, werden sie, so die Strategie des Autors, eher bereit sein, sich von ihr abzuwenden. Dagegen funktionieren antijdische Stereotype nur, wenn jdische Merkmale an der bekmpften Gruppe auszumachen sind. Derartige Vorurteile lassen sich nicht mit einem bestimmten Ort verbinden, der den Adressaten fern ist. Und wenn diese in den Weisungen des „Paulus“ die Falschlehre nicht mehr erkennen kçnnen, liefe die Polemik Gefahr ins Leere zu laufen. Jdisch geprgte Traditionen mssen also in der bekmpften Lehre eine Rolle spielen104.
102 Dies scheint mir zu wenig bedacht in den gewiss vorsichtigen berlegungen von Gerber, Antijudaismus, 361, die nicht ausschließt, dass es dem Brief „um aktuelle Verhltnisse auf der Insel ging“. Deutlicher vertreten diese Lokalisierung z. B. Marshall, Pastoralbriefe, 85; Pietersen, Polemic, 112.141. 103 S.o. 2.4 Abschnitt d. 104 Zu Tit 1 als Hinweis auf den jdischen Hintergrund der gegnerischen Lehre vgl. auch Schlarb, Lehre, 83 – 86. Etwas unklar ist in dieser Hinsicht die Position von Schaefer, Gegnerpolemik. Einerseits bleibe „eine Identifizierung der Irrlehrer mit spezifisch jdischen Positionen zweifelhaft“ (ebd., 75), andererseits aber kçnne „man sie in einen jdischen Hintergrund einordnen“ (ebd., 70).
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(4) Ein signifikantes Profil der Polemik in den einzelnen Briefen hat sich nicht ergeben. Der Stil der Polemik ist in allen drei Briefen gleich: es dominiert eine Mischung aus dem Sprachspiel der Abgrenzung, der Abqualifizierung der Falschlehrer und der Falschlehre. Dabei kçnnen dieselben Begriffe in allen drei Briefen erscheinen (z. B. rcia¸mousa didasjak¸a, !k¶heia, paqait´olai, lOhoi) oder auch nur in zweien (z. B. !stow´y, kocolawe?m/kocolaw¸a). Der Titusbrief weist zugegebenermaßen gewisse Eigenheiten auf: Er nennt keine Namen von Gegnern, greift kein Negativ-Muster aus der alttestamentlich-jdischen Tradition auf und setzt stattdessen ein gngiges Vorurteil gegen Kreter ein. Dies lsst sich aber auch im Rahmen eines fiktiven Brief-Korpus erklren, in dem die Adressierung eines einzelnen Briefes an einen anderen Mitarbeiter sowie nach Kreta auch bei der Briefgestaltung bercksichtigt ist. Den obigen berlegungen zufolge kann die Polemik gegen die Kreter zudem nur außerhalb Kretas funktionieren – und dies passt gut zur Einbettung in ein Brief-Korpus, dessen Situationsangaben fingiert sind: Die tatschlichen Adressaten sollen in der Ablehnung der Falschlehre bestrkt werden, indem ihnen deren Verbreitung, noch dazu an einem „belasteten“ Ort, vor Augen gestellt wird. Auch die Differenzen in der strukturellen Einbindung zwischen 1. Timotheus/Titus einerseits und 2. Timotheus andererseits sind ohne Schwierigkeit mit der Korpus-These vereinbar (s. o. 3.2). Die nhere Untersuchung der Polemik kann also die Zusammengehçrigkeit der drei Briefe sttzen.
6. Ausblick Die in den Pastoralbriefen erkannten sechs polemischen Grundformen lassen sich den Mitteln der Polemik zuordnen, die der Germanist Jrgen Stenzel im Rahmen theoretischer berlegungen zur Polemik systematisiert hat105. Grundlegend lsst sich die polemische Situation durch ein Dreieck erfassen, in dem das polemische Subjekt (der Polemiker) und das polemische Objekt (der Angegriffene) und die polemische Instanz (der Adressat) miteinander verbunden sind106. Außerdem sind diese drei „Akteure“ jeweils mit 105 Vgl. Stenzel, Manichismus. Er bietet keine abschließende Definition des Begriffs Polemik, wohl aber Elemente: Polemik ist aggressive Rede, in der „unsachlicher Stil dominiert“ (ebd., 4), die aber gleichwohl argumentiert. 106 Zur konstitutiven Bedeutung des Adressaten vgl. auch Stauffer, Art. Polemik, 1404: Polemik will „argumentativ eine Entscheidung herbeifhren […]. Sie richtet sich daher primr nicht an den Bekmpften und dessen Ansicht, sondern an den Leser,
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dem polemischen Thema verbunden, das sich in der Mitte des Dreiecks ansiedeln lsst107. Die argumentativen Mittel, die das polemische Subjekt einsetzen kann, fasst Stenzel in drei Kategorien zusammen: positive Selbstdarstellung, Akzentuierung und Unterstellung. Die Selbstprsentation als vir bonus wird in den Pastoralbriefen schon dadurch verwirklicht, dass die unumstrittene Autoritt Paulus als polemisches Subjekt vorgestellt wird. Auch das in den Briefen zu greifende Autorittsgeflle „Apostel – Apostelschler – Gemeindeverantwortliche“ trgt zu dieser Charakterisierung bei: Der Absender erscheint fraglos in der Position, polemische Wertungen einbringen zu kçnnen. Auf der sachlichen Ebene kann das Sprachspiel der Abgrenzung (s. 2.1) ebenfalls diesem polemischen Mittel zugeordnet werden. Die scharf benannte Grenze zwischen „wahr“und falsch“ qualifiziert auch die Anhnger der jeweiligen Seite in positiver bzw. negativer Hinsicht108. Damit kommt ein weiterer Aspekt in den Blick: Mit der positiven Selbstdarstellung hngt die Stigmatisierung des polemischen Objekts zusammen. Dazu „muß der Polemiker seinem Opfer pejorative Prdikationen anhngen“109. In den Pastoralbriefen wird dieses Mittel reichlich angewendet, wie die Ausfhrungen zur Abqualifizierung der Falschlehrer und der Falschlehre gezeigt haben (s. 2.2; 2.3). Dass negative Beispiele namentlich angefhrt werden (s. 2.5), kann ebenfalls hier theoretisch verortet werden. Die Akzentuierung hebt „solche Eigenschaften oder Handlungen des polemischen Objekts hervor, deren Tatschlichkeit unbestritten ist“110. Sie mssen deshalb nicht zutreffen, sondern kçnnen auch mit (weithin geteilten) Vorurteilen besetzt sein. Entscheidend fr die Abgrenzung von der Unterstellung ist: der Tatsachengehalt ist nicht fraglich. In den Pastoralbriefen kçnnte man auf die Prsentation der gegnerischen Position in 1Tim 4,3 verweisen, die so umschrieben wird, dass sie durch die anschließende schçpfungstheologische Argumentation zurckgewiesen werden kann (s. 2.6). Die Zugehçrigkeit der Falschlehrer zur Beschneidung und die Qualifizierung der Mythen als „jdisch“ (s. 2.4 Abschnitt d) kann ebenfalls als Akzentuierung verstanden werden: Es wird nichts Falsches behauptet, der
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der mit allen zur Verfgung stehenden Mitteln letztinstanzlich auf die Seite des Polemisierenden gezogen werden soll“. Vgl. das Schaubild in Stenzel, Manichismus, 6. Dass Stenzel subtilere Weisen der Selbstprsentation als vir bonus im Blick hat (vgl. Manichismus, 7), tut der Vergleichbarkeit keinen Abbruch. Stenzel, Manichismus, 7. Stenzel, Manichismus, 8.
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Sachverhalt aber so ins Spiel gebracht, dass er bei der polemischen Instanz negativ wirkt. Die Unterstellung arbeitet mit zumindest fraglichem Tatsachengehalt, so dass das Argument mçglicherweise „unbewiesen bis unbeweisbar oder gar nachweislich falsch ist, sobald man nachsieht“111. Dieser Kategorie kann man in den Pastoralbriefen die Verwendung der Negativ-Muster zuordnen (s. 2.4, abzglich antijdischer Vorurteile, die als Akzentuierung zu verstehen sind). Dass die Falschlehrer als „endzeitliche Katastrophe“ vorgestellt werden und mit den gyptischen Zauberern der Plage-Erzhlungen zu vergleichen sind, ist ein ganz unbeweisbarer Gedanke. Und wenn das antikretische Vorurteil bedient wird, dann nicht deshalb, weil die Falschlehrer Kreter sind, sondern weil sie mit diesem Stereotyp belastet werden kçnnen. Whrend sich also Grundzge einer allgemeinen Theorie der Polemik mit den Daten aus den Pastoralbriefen gut verbinden lassen, zeigen sich bei der Beschreibung der historischen Einzelfalluntersuchung112 die Grenzen, die uns im Fall neutestamentlicher Schriften die Quellenlage setzt: Mit der Entstehung der polemischen Situation sowie mit Verlauf und Folgen der Polemik kçnnen wir uns nur auf der Grundlage der polemischen Schrift selbst befassen – und dies bestenfalls mit traditionsgeschichtlichen berlegungen verbinden, um einen Konflikt verstndlich zu machen. Wir kennen nur eine Seite. Dies macht es umso dringlicher, polemische Strategien zu durchschauen. Fr die Pastoralbriefe ergab sich dazu: Dass sie von solchen Strategien in vielfltiger Weise und strukturell berlegt bestimmt sind, weist auf die Absicht, die Adressaten von den Gegnern emotional zu distanzieren und deren Position als indiskutabel und hoffnungslos erscheinen zu lassen. Wenn die Falschlehrer als Negativ-Folie fr die Amtstrger eingesetzt werden, zeigt sich eine positive Funktion der Polemik. Sie besttigt sich, wenn man erkennt, dass sie ihre Aufgabe im Rahmen des Heilsuniversalismus der Pastoralbriefe erfllt. Aus dem hohen Maß an Polemik lassen sich schließlich Folgerungen ziehen fr die geschichtliche Situation, in der die Pastoralbriefe entstanden sind – nicht nur fr die Art des Konflikts, in dessen Zusammenhang sie verfasst wurden, sondern auch fr einige Details dieser Debatte. Die Markierung und Analyse der Polemik erlaubt einen (allerdings begrenzten) Blick hinter die Kulissen, die der Polemiker zur Inszenierung des Kampfes nach vorne geschoben hat. 111 Stenzel, Manichismus, 8. 112 Stenzel, Manichismus, 9 f.
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Die Polemik um die Christologie im Ersten Johannesbrief und ihr Verhltnis zu den polemischen Zgen des Johannesevangeliums Enno Edzard Popkes Thematische Hinfhrung Der Leser der johanneischen Briefe sieht sich mit einem eigentmlichen Phnomen konfrontiert. Wie kaum ein anderer Autor der neutestamentlichen Schriften bemht sich der Autor des ersten Johannesbriefs darum, das Wesen der Liebe Gottes und die Bedeutung des Liebesgebots zu reflektieren1. Entsprechend versucht er seinen Adressaten zu erlutern, in welcher Weise die gegenseitige Liebe der Glaubenden die angemessene Reaktion auf die Liebe Gottes ist, die er in der Sendung bzw. Dahingabe seines Sohnes offenbart hat (so bereits 1Joh 2,7 – 11 und v. a. 1Joh 4,19 – 21)2. Im Zeichen dieser Liebe sollen die Mitglieder der johanneischen Gemeinden sogar dazu bereit sein, sich bis zur Selbstaufopferung fr Mitchristen einzusetzen (1Joh 3,16). Gleichwohl weisen die johanneischen Briefe eine Polemik gegenber Kontrahenten innerhalb der eigenen Gemeinde auf 3, deren Schrfe im Spektrum neutestamentlicher Schriften nahezu keine Analogie besitzt4. 1 2
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Vgl. diesbezglich insbesondere das johanneische ,Hohelied der Liebe Gottes‘ 1Joh 4,7 – 5,4. Zum Motiv der Liebe Gottes in den johanneischen Schriften bzw. zum johanneischen Liebesgebot vgl. u. a. Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes in den johanneischen Schriften; Augenstein, Das Liebesgebot im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen; Segovia, Love Relationships in the Johannine Tradition; Vadakethala, Love to the Brethern in John; Sçding, „Gott ist Liebe“: 1Joh 4,8.16 als Spitzensatz Biblischer Theologie. Die themenspezifisch relevanten Zge der johanneischen Briefe sprechen alle dafr, dass es sich um einen innergemeindlichen und nicht um einen von außen an die Gemeinde herangetragenen Konflikt handelt. Zudem dokumentieren die entsprechenden Texte deutlich, dass die johanneischen Briefe auf konkrete historische Konflikte anspielen und es sich bei dieser Gegnerpolemik nicht um eine ahistorische Stilisierung vermeintlicher Gegnerfiguren handelt (gegen Schmid, Gegner im 1. Johannesbrief ?, 289f.: „Es gibt die Gegner in 1Joh, aber nicht außerhalb. Es gibt sie
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Die von dem (bzw. den) Briefautoren angegriffenen Kontrahenten werden schlicht als ,Antichristen‘ bzw. ,Teufelskinder‘ diffamiert (1Joh 2,18ff.; 3,7 – 10; 2Joh 7). Selbst eine Frbitte fr Gemeindegeschwister, die eine (nicht nher spezifizierte) ,Todsnde‘ begangen haben, wird abgelehnt5. Wer nicht eine angemessene Lehrmeinung vertrete, dem drfe keine Gastfreundschaft gewhrt werden, ja er drfe nicht einmal gegrßt werden (2Joh 10f.). Die skizzierte Dialektik wurde zuweilen als ein Indiz dafr gewertet, dass die johanneische Theologie eine „partikularistische Konventikelethik“6 propagiere, in der das jesuanische Liebesgebot strikt auf eine kleine Schar (vermeintlich) Rechtglubiger beschrnkt wird7. Eine solche Einschtzung wird der Grundausrichtung johanneischer Theologie jedoch nicht gerecht. Die Schrfe der angesprochenen Polemik kann nur angemessen verstanden werden, wenn herausgearbeitet wird, inwieweit es sich bei den Ausfhrungen v. a. des ersten Johannesbriefes nicht nur um situationslose Reflexionen ber das Wesen der gçttlichen und innergemeindlichen Liebe handelt, sondern inwiefern diese Ausfhrungen durch konkrete innergemeindliche Konflikte provoziert wurden, die offensichtlich zum Zerbrechen der johanneische(n)
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nmlich nur durch den Text als dessen Konstruktion und Selbstreferenz, d. h. die Gegner dienen in erster Linie der Selbstdarstellung der Gemeinde. […] Die Gemeinde braucht nicht 1Joh zum Schutz vor den Gegnern, sondern sie braucht die Gegner, um auf eine bestimmte Weise wirkungsvoll von sich selbst sprechen zu kçnnen.“ [Hervorhebungen von Schmid]). Vergleichsgrçßen lassen sich am ehesten noch in den Kontroversen des Paulus mit jdischen bzw. judenchristlichen Kontrahenten (vgl. u. a. Gal 2,14 – 16; Rçm 11,28a; Phil 3,8 etc.) bzw. in den Sendschreiben der Johannesapokalypse beobachten (vgl. besonders Apk 2,6: !kk± toOto 5weir, fti lise?r t± 5qca t_m Mijokazt_m $ j!c½ lis_.). Strittig bleibt, was mit einer solchen "laqt¸a pq¹r h²matom konkret gemeint ist (whrend z. B. Klauck, Der erste Johannesbrief, 330, einen Bezug zur ,Snde gegen den heiligen Geist‘ [Mk 3,28f.; Lk 12,10; Mt 12,31f.] vermutet, sieht Metzner, Das Verstndnis von Snde im Johannesevangelium, 296f., einen Bezug zum Motiv der ,zweiten Buße‘). Diese Interpretationsfreirume kçnnen jedoch auf der Grundlage der johanneischen Schriften nicht weiter eingegrenzt werden So Schrage, Ethik des Neuen Testamentes, 300. Entsprechend resmiert Ksemann, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, 136: „Der irdische Jesus, der zu den Sndern und Zçllnern ging und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzhlte, ist ebenso ferngerckt wie die paulinische Verkndigung von der Rechtfertigung der Gottlosen.“ Zur entsprechenden Deutung der johanneischen Theologie vgl. Rese, Das Gebot der Bruderliebe in den Johannesbriefen, 57f.; Houlden, Ethics and the New Testament, 36; Sanders, Ethics in the New Testament, 100; Segovia, The Love and Hatred of Jesus and the Johannine Sectarianism, 272.
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Gemeinde(n) gefhrt haben8. Angesichts dessen soll in der vorliegenden Studie dargestellt werden, in welcher Weise die johanneischen Briefe die sukzessive Steigerung der durch die innergemeindlichen Spannungen provozierten Polemik erkennen lassen und inwiefern die johanneische Christologie auch und gerade vor diesem Hintergrund eine intensive Reflexion und Ausdifferenzierung erfuhr. Aus diesem Grund sollen im Folgenden zunchst die beiden kleineren johanneischen Briefe betrachtet werden (1.), um anschließend die themenspezifisch relevanten Zge des ersten Johannesbriefs darstellen zu kçnnen (2.). Vor diesem Hintergrund soll schließlich untersucht werden, in welchem Verhltnis die Polemik um die Christologie im ersten Johannesbrief zu den entsprechenden Facetten des Johannesevangeliums steht (3.).
1. Polemische Zge des zweiten und dritten Johannesbriefs Die beiden kleinen Johannesbriefe, die im Gegensatz zum ersten Johannesbrief explizit von einem namentlich nicht nher identifizierten Alten bzw. ltesten verfasst wurden, dokumentieren in unterschiedlicher Weise die innergemeindlichen Spannungen, die als Ursache der in diesen Zeugnissen vorliegenden Polemik zu verstehen sind. Im dritten Johannesbrief sind lediglich die Anstze eines innergemeindlichen Konflikts erkennbar. Die superscriptio und adscriptio bzw. der Epilog und das Postskript lassen erkennen, dass der Adressat Gajus dem Verfasser freundschaftlich verbunden ist9. Dieser positiven Stimmung entspricht es, dass im Briefkorpus zunchst von einer regen Missionsttigkeit gesprochen wird, in deren Rahmen Wandermissionare in den verschiedenen Gemeinden gastfreundschaftliche Aufnahme erfahren haben (vgl. v. a. 3Joh 7). Dieses Verhalten wird explizit als eine den Gemeinden obliegende Aufgabe gekennzeichnet (3Joh 8)10. Im Kontrast hierzu rgt der Verfasser des Briefs jedoch eine namentlich identifizierte Person, die solche wandermissionarische Aktivitten nicht unter8 Vgl. die Formulierung 1Joh 2,19 a [1n Bl_m 1n/kham !kkû oqj Gsam 1n Bl_m·eQ c±q 1n Bl_m Gsam, lelem¶jeisam #m lehû Bl_m], die ein sich bereits vollziehendes Gemeindeschisma zu umschreiben scheint. 9 Zu den epistolographischen Kategorisierungen des zweiten und dritten Johannesbriefs vgl. Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, 259. 10 Neben 3Joh 3.5 – 8.12 scheinen auch Textpassagen wie 1Joh 4,1b; 2Joh 7a indirekte Aussagen ber die missionarischen Aktivitten der johanneischen Gemeinde zu implizieren (vgl. hierzu Rodrguez Ruiz, Der Missionsgedanke des Johannesevangeliums, 73 – 162).
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sttzt und andere nicht eigens benannte Personen zu einem entsprechenden Verhalten motiviert (3Joh 9f.). Dieses Verhalten wird von dem Presbyter scharf verurteilt und als Indiz gewertet, dass die kritisierte Person kein angemessenes Verhalten gegenber Gott an den Tag legt. Dabei wird eine Begrndung fr die Ursachen dieses Fehlverhaltens angefhrt, die im Zusammenhang des ersten Johannesbriefs in einer noch weit schrferen Form formuliert wird und die Zge eines deterministischen Weltbildes impliziert (vgl. v. a. 3Joh 11b mit 1Joh 3,7 – 10). Als Ursache fr diese innergemeindlichen Spannungen wird vom Briefautor lediglich die persçnliche Eitelkeit des kritisierten Diotrephes angefhrt, dem er vorwirft, eine exponierte Stellung innerhalb der gemeindlichen Hierarchien einnehmen zu wollen (vgl. 3Joh 9b). Aus diesem Grunde wrde er sich weigern, einen von verschiedenen Gemeinden bzw. Autoritten respektierten Missionar bzw. Boten namens Demetrius aufzunehmen (V. 12). Eine przisere theologische Bestimmung der Ursachen dieses Konfliktes wird im Gesamtzusammenhang des dritten Johannesbriefs jedoch nicht formuliert. Im Gegensatz hierzu werden die innergemeindlichen Konfliktpotenziale im zweiten Johannesbrief wesentlich prziser zur Geltung gebracht. Dies kann nicht zuletzt darin begrndet sein, das der dritte Johannesbrief an eine Einzelperson adressiert ist, whrend sich der Presbyter mit dem zweiten Brief an eine bzw. mehrere Gemeinden wendet11. Die entscheidenden Konfliktpotenziale sind dabei ethischer und christologischer Natur. Der Presbyter lobt seine Adressaten zunchst dafr, dass sie die Wahrheit bewahren und das zentrale Gebot der gegenseitigen Liebe praktizieren (2Joh 2 – 6)12. Er warnt die Gemeinde vor Irrlehrern, die die Fleischwerdung Jesu Christi leugnen (V. 7). Mit diesen beiden Motiven benennt der Presbyter die beiden Konfliktpotenziale, die auch die zentralen Diskussionsgegenstnde des ersten Johannesbriefs bilden und dort – im Gegensatz zu den beiden kleinen Johannesbriefen – einer eingehenden Reflexion unterzogen werden. Bevor diese Reflexionen im folgenden Arbeitsschritt betrachtet werden sollen, gilt es sich einen Sachverhalt zu vergegenwrtigen, der fr die Interpretation der polemischen Zge der Johannesbriefe von entscheidender Bedeutung ist. 2Joh 7 spricht nmlich deutlich dafr, dass es sich bei den 11 Zur Interpretation der adscriptio 2Joh 1a 1jkejt0 juq¸ô ja· to?r t´jmoir aqt/r vgl. Klauck, Der zweite und dritte Johannesbrief, 33f. 12 Zum Verhltnis der in 2Joh 4 – 6 vorliegenden Rede vom ,neuen Gebot‘ zu zur johanneischen Reformulierung des Nchstenliebegebots in Joh 13,34f. vgl. Popkes, Theologie der Liebe Gottes, 130f. Vgl. auch die Beitrge Weder, Das neue Gebot; Wischmeyer, Das alte und das neue Gebot.
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kritisierten Irrlehrern um ehemalige Gemeindeglieder handelt, die von dem Presbyter nun schlicht als Verfhrer (pk²moi) bzw. ,Antichristen‘ (!mt¸wqistoi) diffamiert werden13. Dieses Motiv wird in den polemischen Zgen ebenfalls erkennbar, die im Folgenden in die Diskussion einbezogen werden sollen.
2. Die Polemik um die Christologie im Ersten Johannesbrief Ebenso wie im zweiten und dritten Johannesbrief begegnen auch in unterschiedlichen Argumentationszusammenhngen des ersten Johannesbriefs ußerst polemische Aussagen. In diesem Dokument ist hingegen noch deutlicher als bei den beiden kleinen Briefen zu erkennen, wie sehr diese Polemik durch die konkreten Kontroversen verursacht ist, an denen die johanneischen Gemeinden zu zerbrechen drohen. Offensichtlich ist der Autor des ersten Johannesbriefs seinen Adressaten derart gut bekannt, dass er es nicht nçtig hat, sich selbst, geschweige denn sein Anliegen, vorzustellen. Zu diesem Phnomen passt es, dass der Autor seine Adressaten mittels einer familienmetaphorisch geprgten Sprache als ,Geliebte‘ bzw. ,Kinder‘ anspricht (vgl. 1Joh 2,1.12.18 etc.). Der erste Johannesbrief entbehrt wesentlicher Elemente klassischer antiker Epistolographie und setzt stattdessen ebenso abrupt wie vehement mit einer Argumentation ein, die sich den konkreten Konfliktpunkten der innergemeindlichen Kontroversen widmet14. Die in Anstzen einem Proçmium hnelnde Texteinheit 1Joh 1,1 – 5 darf dabei keineswegs als eine situationslose Abhandlung ber das Wesen der gçttlichen Offenbarung geschweige denn als eine ontologisierende These ber das Licht-Wesen Gottes verstanden werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine erste Vorbereitung der Auseinandersetzung mit den innergemeindlichen Gegnern, die explizit in 1Joh 13 Entsprechend konstatiert Lietaert Peerbolte, The Antecedents of Antichrist, 96ff. bzw. 113: „The author[s] of 1 and 2 John use[s] it to describe and legitimize the situation of the Johannine community. By interpreting the conflict that split the community as the coming of the Antichrist, the author[s] represent this conflict as being planned by God and as proof of the nearness of the end.“ 14 Ausfhrlich hierzu vgl. Schwankl, Licht und Finsternis, 288ff., bzw. Strecker, Die Johannesbriefe, 74f. Gerade die thematische und stilistische Nhe zu den beiden kleinen Johannesbriefen und der vergleichbare Sitz im Leben dokumentieren, dass der erste Johannesbrief in der Tat als Brief verstanden werden kann (so treffend Klauck, Die Johannesbriefe, 152ff.).
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2,7 – 11 gefhrt wird15. Die Entwicklung der Argumentation kann folgendermaßen nachgezeichnet werden. Im direkten Anschluss an die einleitenden Worte 1 Joh 1,1 – 4 formuliert der Verfasser des ersten Johannesbriefs die These, dass Gott Licht ist und keine Finsternis in sich trgt (1Joh 1,5b b he¹r v_r 1stim ja· sjot¸a 1m aqt` oqj 5stim oqdel¸a). Er betont, dass die Glaubenden dieses Wissen von Jesus anvertraut bekommen haben und nun ihrerseits weiter tradieren (V. 5a). Diese Leitthese, die „dem ganzen Abschnitt […] als wesentlichster Grundgedanke“16 vorangestellt ist, wird im Folgenden zunchst auf ihre Relevanz fr eine angemessene Gemeinschaft der Glaubenden mit Gott (1Joh 1,6a […] joimym¸am 5wolem letû aqtoO) bzw. der Glaubenden untereinander (vgl. V. 7ba […]joimym¸am 5wolem letû !kk¶kym)17 und in bezug auf das Verstndnis der ,Snde‘ bzw. ,Sndenerkenntnis‘ angewendet (1Joh 1,8 – 2,2 bzw. 2,3 – 6). Die Argumentation mndet schließlich in eine Kontrastierung der Motive des ,Licht‘- und ,Finsternis-Wandels‘, durch welche ein angemessenes und unangemessenes Verhalten gegenber Gott und den Gemeindemitgliedern umschrieben werden soll (1Joh 2,7f.). Lediglich ein ,Wandel im Licht‘ gewhrleiste eine Partizipation an der Gottesgemeinschaft und an der shnenden Kraft des Blutes Christi (V. 7). Dieses Motiv wird im Folgenden auf das Gebot der Geschwisterliebe bezogen, welches als ethische Konkretion jenes ,Lichtwandels‘ beschrieben wird, whrend der Hass gegen die Geschwister als Pendant zu einem ,Finsterniswandel‘ verstanden wird18. Fr die vorliegende Fragestellung ist dabei von besonderer Relevanz, dass in diesem Zusammenhang zum ersten Mal innerhalb des ersten Johannesbriefs die Selbsteinschtzung der Kontrahenten paraphrasiert wird, deren Agitationen die vehemente Polemik des Schreibens provoziert hat (vgl. die paraphrasierende Wiedergabe der gegnerischen Selbsteinschtzung 1Joh 2,9a j k´cym 1m t` vyt· eWmai und die unmittelbar folgende Bestandsaufnahme des Briefverfassers in 1Joh 2,9b ja· t¹m !dekv¹m aqtoO lis_m 1m t0 sjot¸ô 1st·m 6yr %qti. Dieser Aspekt entspricht einer Quintessenz des johanneischen Hoheliedes der Liebe Gottes (1Joh 4,7 – 5,4), in welchem die ethischen Argumentationen von 1Joh 2,7 – 11 aufgenommen werden, in die neben dem paulinischen Hohelied der Liebe Gottes (1Kor 13) die ausfhrlichsten neutes15 So Schnelle, Antidoketische Christologie im Johannesevangelium, 66. 16 Treffend Uebele, „Viele Verfhrer sind in die Welt ausgegangen“, 137. 17 Zu diesem fr die johanneische Ekklesiologie grundlegenden Motiv vgl. Rusam, Die Gemeinschaft der Kinder Gottes, 181f. 18 Zum Verhltnis der metaphorischen und ethischen Aussageebenen vgl. Bogart, Orthodox an Heretical Perfectionism in the Johannine Community as Evident in the First Epistle of John, 124; hnlich Segovia, Love Relationships, 75ff.
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tamentlichen Reflexionen ber das Wesen und die Bedeutung der Liebe Gottes und der gegenseitigen Liebe der Glaubenden mnden19. Auch in diesem Zusammenhang wird zunchst der Selbstanspruch der kritisierten Personen paraphrasiert (1Joh 4,20aa 1²m tir eUp, fti !cap_ t¹m he¹m), um anschließend das ethische Verhalten als Kriterium fr die Berechtigung bzw. Nichtberechtigung des Selbstanspruchs zu erklren (1Joh 4,20ab ja· t¹m !dekv¹m aqtoO lis0, xe¼stgr 1st¸m). Ebenso wie in 1Joh 4,20 steht auch bereits in 1Joh 2,9 – 11 die parnetische Ermahnung der Adressaten im Vordergrund. 1Joh 2,9a zufolge kann niemand fr sich in Anspruch nehmen, im Licht zu sein, wenn er sich nicht solidarisch gegenber seinen Glaubensgeschwistern verhlt20. Er ist noch immer der Finsternis verhaftet (V. 9b). Im Licht verweilt nur, wer seine Glaubensgeschwister liebt (V. 10a) und so keinen Anstoß erregt (V. 10b). Das ethische Anliegen der gesamten Argumentation wird in V. 11 nochmals rekapituliert, indem nun nicht die unangemessene Selbsteinschtzung der Gegner angesprochen wird, sondern deren Verhalten: Wer seine Glaubensgeschwister hasst, bleibt in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht (V. 11). Auf diese Weise erreicht der Verfasser des ersten Johannesbriefs das Ziel seiner Argumentation, dass er durch die bereits in 1Joh 1,5b formulierte These vorbereitet hat, der zufolge Gott Licht ist. Fr ein angemessenes Verstndnis der polemischen Zge der skizzierten Argumentationen ist dabei zu beachten, dass die Verwendung der lichtmetaphorischen Motive offensichtlich durch einen entsprechenden Sprachgebrauch der Konkurrenten provoziert wurde. Hierfr spricht einerseits, dass ein entsprechender Selbstanspruch stets den kritisierten Personen zugewiesen wird (vgl. v. a. 1Joh 2,9a). Andererseits fllt auf, dass mit den ethischen Ermahnungen in 1Joh 2,7 – 11 die Verwendung lichtmetaphorischer Aussagen endet. Stattdessen tritt nun die Ermahnung zur ge-
19 Zum Anliegen und Struktur des aus sechs Argumentationsschritten bestehenden Textabschnitts 1Joh 4,7 – 54 vgl. Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes, 93ff. 20 Die dabei verwendete Rede vom ,Bruderhass‘ kann in Anlehnung an traditionsgeschichtliche Vorgaben wie Dtn 21,15 – 17; Prov 13,23 etc. als Paraphrase von ,nicht lieben‘verstanden werden kann. Vgl. Fabry, „Liebe“ in den Handschriften von Qumran, 61: „Der Haß artikulierte sich einzig in der konsequenten Ab- und Ausgrenzung der immer schon und noch immer Außenstehenden.“ hnlich Michel, Art. lis´y, 694.
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genseitigen Liebe der Glaubenden endgltig in das Zentrum der Argumentationen21. Die skizzierten ethischen Forderungen bilden jedoch keineswegs das einzige Konfliktpotenzial, welches der Verfasser des ersten Johannesbriefes anspricht. Er fordert ebenso, dass das angemessene christologische Bekenntnis eine conditio sine qua non einer Zugehçrigkeit zu den johanneischen Gemeinden bildet. Integrale Bestandteile desselben sind das Bekenntnis der Gottessohnschaft Jesu (1 Joh 4,15), der Messianitt Jesu (1Joh 2,22; 5,1) und der Inkarnation (1Joh 4,2; vgl. 2Joh 7). Wer diesem status confessionis nicht zustimmen kçnne, msse als „Antichrist“ verstanden werden (vgl. 1Joh 2,22; 4,3; 2 Joh 7). Verschiedentlich wurde versucht, anhand der skizzierten Motive das religionsgeschichtliche Profil der kritisierten Gegner zu eruieren. Auf der Grundlage der berlieferten Texte der johanneischen Schule kçnnen jedoch nur schemenhafte Charakteristika derselben herausgearbeitet werden22. So wurde z. B. versucht, die in 1Joh 2,7 – 11 vorliegenden lichtmetaphorischen Aussagen von entsprechenden Motiven herzuleiten, die in qumranischen Zeugnissen begegnen23. Diese Affinitten sind nicht zuletzt deshalb von besonderer Relevanz, weil auch die Lichtmetaphorik des Johannesevangeliums eine Reihe von Berhrungen mit qumranischen Vorstellungen aufweist24. Gleichwohl sind diese motivlichen Berhrungen nicht hinreichend, um ein traditionsgeschichtliches Verhltnis geschweige denn einen unmittelbaren Kontakt zwischen essenisch-qumranischen und johanneischen Kreisen postulieren zu kçnnen25.
21 Entsprechend resmiert Schwankl, Licht, 309: „Daß […] weit hufiger von der Liebe als von Licht die Rede ist, drfte symptomatisch sein. v_r wird im Verlauf des Briefes von !c²pg gleichsam berholt und abgelçst.“ 22 Zu methodischen Problemen und entsprechenden Rekonstruktionsversuchen vgl. u. a. Strecker, Johannesbriefe, 75ff.; Bauckham, The Qumran Community and the Gospel of John; ders., Qumran and the Fourth Gospel: Is there a Connection?. 23 So z. B. in Bezug auf das Motiv des ,Umhergehens in der Finsternis‘ in 1Joh 2,11ba (1m t0 sjot¸ô peqipate? ) bzw. in 1QS 3,21; 4,11. 24 Exemplarisch sei verwiesen auf die Rede von den ,Kindern des Lichts‘ (vgl. uRo· vyt¹r [Joh 12,36] mit 794 =DD [1QS 1,9; 2,16; 3,13.24f.; 1QM 1,1.3.9.11.13; 4QMidrEschata III,8f. = 4Q174 1 – 2 I,8f. etc.]). 25 Gegen u. a. Maier, Schubert, Die Qumran-Essener, 133, denen zufolge „die hnlichkeiten dermaßen auffallend (sind), daß ein enger Zusammenhang nicht geleugnet werden kann.“ Tendenziell hnlich Charlesworth, A Critical Comparison of the Dualism in 1QS 3:13 – 4:26 and the „Dualism“ Contained in the Gospel of John, 101f.
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Neben essenisch-qumranischen Vergleichsgrçßen wurde verschiedentlich versucht, die skizzierten Konfliktpotenziale als Indizien dafr zu werten, dass der Verfasser des ersten Johannesbriefes eine Auseinandersetzung mit frhgnostisch-gnostischen Traditionsbildungen fhrt26. In der Tat kann konstatiert werden, dass lichtmetaphorische Spekulationen und doketische Vorstellungen in gnostischen Originalzeugnissen in einem facettenreichen Spektrum belegt sind. Exemplarisch sei verwiesen auf das Apokryphon des Johannes (NHC II,1 31,1ff.23f.); Evangelium Veritatis (NHC I/3 43,9 – 24); Thomasevangelium (NHC II,2 10.11.16.24.33.50.61.77.83); Philipperevangelium (NHC II,3 69,8 – 14). Gleichwohl muss festgehalten werden, dass die Entstehung gnostischer Traditionsbildungen deutlich spter anzusetzen ist als die Abfassungszeit der johanneischen Schriften27. Wesentlich naheliegender ist es hingegen, wenn man das Verhltnis der skizzierten polemischen Argumentationen im ersten Johannesbrief mit den themenspezifisch relevanten Zgen des Johannesevangeliums vergleicht, insofern „die im ersten Brief bearbeitete Krise im johanneischen Kreis […] auch in einigen Passagen des Evangeliums seine Spuren hinterlassen zu haben scheint.“28
26 So versteht z. B. Schnackenburg, Die Johannesbriefe, 116, den in 1Joh 2,11 erhobenen Vorwurf ja· oqj oWdem poO rp²cei als einen „Faustschlag ins Angesicht der Gnostiker“, die ja eigentlich den Selbstanspruch vertreten, darum zu wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen (vgl. Clemens von Alexandrien, excerpta ex Theodoto 78,2). Vgl. ferner Uebele, Verfhrer, 144; Schwankl, Licht, 287; Beutler, Die Johannesbriefe, 24f. 27 Zur Verhltnisbestimmungen johanneischer und gnostischer Traditionsbildungen vgl. u. a. Wucherpfenning, Heracleon Philologus, 2ff.; Rudolph, Zum Streit um Johannes gnosticus, 415ff.; Scholtissek, Johannes auslegen, 36f. Zu den religionshistorischen Problemen des die Forschungsdiskurse whrend langer Zeit dominierenden Postulats eines vorjohanneischen, gnostischen Erlçsungsmythos vgl. Schnackenburg, Das Johannesevangelium; Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd. I: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus, 129 – 140. 28 So Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd. III: Die eschatologische Verkndigung in den johanneischen Texten, 58, der hierin ein deutliches Argument fr die Einschtzung erkennt, dass die Abfassung des Johannesevangeliums nach der Abfassung der johanneischen Briefe stattgefunden hat.
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3. Das Verhltnis der polemischen Zge der Johannesbriefe und des Johannesevangeliums Nahezu alle theologischen Themenfelder, die in den johanneischen Briefen als Konfliktpotenziale innerhalb der johanneischen Gemeinde benannt werden, werden auch im Johannesevangelium thematisiert. So kçnnen z. B. die inkarnationstheologischen bzw. antidoketischen Zge der Lebensbrotrede (Joh 6,51ff.) und die Erzhlung von dem Schisma unter den Jngern (Joh 6,60ff.) als eine fortgeschrittene Reflexion der antidoketischen Streitigkeiten bzw. des Gemeindeschismas verstanden werden, welche in der johanneischen Briefkorrespondenz dokumentiert sind29. Entsprechend scheinen auch die in den johanneischen Briefen thematisierten Streitigkeiten um das Liebesgebot die Gestaltung der in Joh 13,34f. vorliegenden Modifikation des Liebesgebots beeinflusst zu haben30. Umso bemerkenswerter ist es, dass im Johannesevangelium nicht nur thematische Konfliktpotenziale der johanneischen Briefe ihre Analogien besitzen, sondern auch die polemischen Zge, die die Argumentationen des Presbyters prgen, insbesondere in der stark stilisierenden Darstellung der jdischen Gesprchspartner Jesu. Dieser Sachverhalt soll im Folgenden an einer Sequenz erlutert werden, die nicht nur im Kontext der johanneischen Schriften, sondern auch im Gesamtzusammenhang des neutestamentlichen Kanons eine der schrfsten polemischen Argumentationen aufweist, nmlich an der in Joh 8,31 – 47 vorliegenden Kontrastierung der Motive einer Gottes- und Teufelskindschaft. Aus diesem Grund soll im Folgenden zunchst die narrative Einbettung dieser speziellen Kontroverse innerhalb der Streitgesprche zwischen dem johanneischen Jesus und ,den Juden‘ zur Geltung gebracht werden (3.1). Daraufhin soll dargestellt werden, inwieweit die in den johanneischen Briefen dokumentierten Streitigkeiten einen Hintergrund der in Joh 8,31 – 47 vorliegenden Polemik bilden kann (3.2). 3.1 Zur narrativen Einbettung von Joh 8,31 – 47 Die in Joh 8,31 – 47 inszenierte Kontroverse um die Abrahams- bzw. Gotteskindschaft der Kontrahenten Jesu verkçrpert einen Hçhepunkt innerhalb der Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Juden im Johannes29 Zu diesen Entwrfen vgl. Schnelle, Christologie, 249ff. 30 Ausfhrlich hierzu vgl. Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes, 257ff.
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evangelium31. Diese Konfrontation wurde durch den bisherigen Erzhlverlauf vorbereitet, der die Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Juden sukzessive steigert. Eine erste Reminiszenz der jdischen Ablehnung Jesu findet sich bereits im Johannesprolog (Joh 1,11)32. Expressis verbis wird von den Youda?oi jedoch erst im Corpus des Evangeliums gesprochen. In den ersten vier Kapiteln begegnen nur neun neutrale bzw. positive Aussagen ber ,die Juden‘. Sie treten jedoch in den folgenden Kapiteln in den Vordergrund und ihre Darstellung nimmt zunehmend polemische Zge an. Eine thematische Schlsselfunktion kommt Joh 5,16.18 zu, insofern bereits in diesem relativ frhen Kontext den Youda?oi die Absicht unterstellt wird, Jesus verfolgen bzw. hinrichten zu wollen. Dieses Motiv begleitet die weitere Struktur der Erzhlung und kulminiert in dem endgltigen Todesbeschluss (Joh 11,45 – 53)33. Nach diesem Hçhepunkt der Konfrontation treten, die Juden‘ in Joh 12 und den Abschiedsreden zunchst in den Hintergrund34. Erst in der Passions- bzw. Auferstehungserzhlung Joh 18 – 20 steht die Kontrastierung von Jesus und den Juden wieder im Vordergrund, insofern nun die beschlossene Hinrichtung ausgefhrt wird. Whrend somit der Hçhepunkt der Feindseligkeiten, die Jesus entgegengebracht werden35, erst in der Passionserzhlung beschrieben wird, bietet die Sequenz Joh 8,31 – 47 die polemischsten Aussagen Jesu gegenber seinen Kontrahenten. Die in Joh 8,37 – 47 entfaltete Antithese von Abrahams-, Gottes-, und Teufelskindschaft wird bereits wesentlich frher erzhlerisch und thematisch vorbereitet: Whrend die Kontroversen, die sich am Speisungswunder entzndeten, noch in Galila verortet sind, ist der gesamte Komplex Joh 7 – 10 in Jerusalem lokalisiert und durch das Sukkot- bzw. Chanukkafest 31 Vgl. u. a. Grsser, Die Juden als Teufelssçhne in Johannes 8,37 – 47, 157; Lona, Abraham in Johannes 8, 410ff. 32 Zu Joh 1,11 eQr t± Udia Gkhem, ja· oR Udioi aqt¹m oq paq´kabom vgl. Wengst, Johannesevangelium I, 57f. 33 Eindrcklich hierfr sind z. B. die gescheiterten Verhaftungsbestrebungen bzw. der Steinigungsversuch (Joh 7,44ff.; 10,39 bzw. Joh 8,59 etc.; vgl. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes, 105; Wengst, Johannesevangelium I, 190 bzw. 194). 34 Whrend die Youda?oi in Joh 12 bzw. 13 nur zwei- bzw. einmal erwhnt sind (Joh 12,9.11; 13,33), wird eine Konfrontation mit ihnen in Joh 14 – 17 lediglich indirekt in der Ankndigung des !posumac¾cour poi¶sousim rl÷r (Joh 16,2a) thematisiert. 35 Fr die Beurteilung der johanneischen Darstellung der Youda?oi ist von besonderer Bedeutung, dass gerade in der Passionsgeschichte zwischen ,den Juden‘ und speziellen fhrenden bzw. pharisischen Reprsentanten unterschieden wird (vgl. Schnelle, Johannes, 165).
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chronologisch gerahmt (vgl. Joh 7,10; 10,22.40)36. Die Dramaturgie ist somit konsequent auf Jerusalem als den Ort der entscheidenden Geschehnisse ausgerichtet. Ab Joh 7,14 spielen sich die Diskussionen im Tempel ab. Insofern erst in Joh 8,59 explizit erklrt wird, dass Jesus den Tempel verlsst, kann der textexterne Leser auch die drei Diskussionsgnge des achten Kapitels im geistigen Zentrum jdischen Glaubens verorten37. Auch dramaturgisch und thematisch verkçrpern diese Kapitel eine Kompositionseinheit38. In diesem Kontext werden nicht nur die thematischen Konfliktpotenziale, sondern v. a. die jeweiligen Konfliktparteien facettenreicher dargestellt. Allein im siebten Kapitel begegnen neun unterschiedliche Bezeichnungen der Gesprchspartner, Kontrahenten bzw. Sympathisanten Jesu39. Eine vergleichbare Komplexitt weist auch die Gestaltung des achten Kapitels auf, welches drei Streitsituationen stilisiert, die thematisch konsequent auf die Diskussion um die Abrahams- bzw. Gotteskindschaft der Gegner Jesu hinfhren40. Mit Joh 8,30ff. tritt die Auseinandersetzung in eine 36 Zur Erzhlstruktur von Joh 7 – 10 vgl. Schenke, Das Johannesevangelium, 144 – 146; Wengst, Johannesevangelium I, 265. 37 Vgl. Wengst, Johannesevangelium I, 265. Auch Joh 7,28 rekapituliert nochmals die Prsenz im Tempelbereich. Selbst die textgeschichtlich eindeutig sekundre Sequenz Joh 7,53 – 8,11 verortet die Kontroverse ber die Ehebrecherin im Tempel (Joh 8,2a), nachdem Joh 7,53 zunchst einen Abschluss der vorgehenden Szenerie stilisiert und Jesus am lberg bernachten ließ (Joh 8,1). In der ursprnglichen Textgestalt schließt jedoch die Selbstprdikation Jesu als ,Licht der Welt‘ (Joh 8,12) unmittelbar an Joh 7,52 an und setzt jene Szenerie fort. 38 Zur erzhlerischen und thematischen Vernetzung von Joh 7 und Joh 8 vgl. u. a. Schnelle, Johannes, 141; Schenke, Szene, 172ff. 39 Genannt werden die ,Juden‘ (Joh 7,2.11.13.15.35), die Brder Jesu (Joh 7,3.5.10), der ewkor (Joh 7,12.20.31.40f.43.49), die ,Jerusalemer‘ (Joh 7,25), die %qwomter (Joh 7,26.48), die Phariser (Joh 7,32.47f.), die Oberpriester und Phariser (Joh 7,32.45), die Diener der Oberpriester und Phariser (Joh 7,32.45f.), Nikodemus (Joh 7,50). Zum Verhltnis dieser Gruppierungen vgl. Schenke, Johannes, 144ff. Nachdem die Phariser zuvor marginal angesprochen wurden (Joh 1,24; 3,1; 4,1), treten sie nun deutlich in den Vordergrund (u. a. Joh 7,32.45.47.48; 8,3; 9,13.15f.40; 11,46f.57; 12,19.42; vgl. Schnelle, Johannes, 146). 40 Vgl. Grsser, Teufelssçhne, 157. Auf die Selbstprdikation Jesu als Licht der Welt (Joh 8,12) folgt eine Kontroverse ber die Legitimation seines Anspruch, in der das Verhltnis der Worte Jesu und der Worte Gottes thematisiert wird (Joh 8,12 – 20). Dies fhrt konsequent zur Erçrterung der ontologischen Grundverfassung Jesu (Joh 8,21 – 30) bzw. seiner Kontrahenten (Joh 8,37ff.). In diesem Kontext prfiguriert bereits die Antithese Joh 8,23 (rle?r 1j to¼tou toO jºslou 1st´, 1c½ oqj eQl· 1j toO jºslou to¼tou) die in Joh 8,37 – 59 vorliegende Geburts- bzw. Zeugungsmetaphorik (vgl. Lona, Abraham, 397ff.).
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entscheidende Phase, insofern nun die „Herkunft der Gesprchspartner sowie das Verstndnis von Wahrheit und Freiheit zur Debatte“41 stehen. Doch trotz dieser stringenten thematischen Linienfhrung wird durch Joh 8,30f. eine erzhlerische Zsur geschaffen, welche die folgende Kontroverse von den vorhergehenden Diskursen unterscheidet. Dieser Sachverhalt kann an der Korrelation von Joh 8,30 bzw. Joh 8,31a erlutert werden. Der die Sequenz Joh 8,21 – 30 abschließende Erzhlerkommentar V. 30 konstatiert, dass einzelne Zuhçrer begannen, an Jesus zu glauben (Joh 8,30 taOta aqtoO kakoOmtor pokko· 1p¸steusam eQr aqtºm). Diese Gruppierung wird in den folgenden Erçrterungen fokussiert, insofern Jesus nun direkt zu jenen Sympathisanten spricht (V 31a 5kecem owm b YgsoOr pq¹r to»r pepisteujºtar aqt` Youda¸our). Dieser Sachverhalt ist auch fr das Verstndnis der polemischen Zge von Joh 8,37 – 47 entscheidend. Unabhngig davon, ob man die Partizipialkonstruktion to»r pepisteujºtar aqt` Youda¸our im Sinne eines Plusquamperfekts („die geglaubt haben und nun nicht mehr an ihn glauben“) oder im Sinne eines resultativen Perfekts („die zum Glauben gekommen sind auch jetzt noch glauben“) versteht42, gibt die Argumentationsentwicklung zu erkennen, dass diese Sympathisanten sich wieder von Jesus abwenden. Jesus redet somit in dieser Sequenz zu designierten Apostaten, die fr die textexternen Leser bereits als solche erkennbar sind: „Im Gegensatz zu den meisten Juden sind die Angeredeten vielmehr Jesusanhnger geworden, und wenn sie bei Jesu Wort geblieben wren, gehçrten sie jetzt zu den Lesern. Aber der Fortgang der Darstellung zeigt an, daß sie unter Berufung auf ihre jdische Identitt davon wieder abgefallen sind“43. Ausgerechnet diese Kontroverse kulminiert schließlich in dem ersten Versuch, Jesus zu tçten (Joh 8,59). Die bereits in Joh 8,31 – 36 exponierte Antithetik von Sklaverei und Freiheit verkçrpert eine „semantische Achse“44 der weiteren Diskussion, insofern der Vorwurf der Teufelskindschaft ja gerade in die These mndet, dass die Gegner Jesu den Willen ihres Vaters ausfhren mssen und nicht einmal die Fhigkeit besitzen, die Botschaft Jesu verstehen zu kçnnen (Joh 41 Treffend Schnelle, Johannes, 157. 42 Zum Diskussionsspektrum vgl. Thyen, Art. Johannesbriefe, 186 – 200, 191; Wengst, Johannesevangelium I, 326. 43 Vgl. Schenke, Johannes, 174f., demzufolge diese Fokussierung fr den Gesamtzusammenhang Joh 8,21 – 59 gilt. Diese Sympathisanten werden somit besonders hervorgehoben und „wechseln im Verlauf der Rede […] vollkommen die Farbe. Gerade sie unternehmen am Ende den ersten Steinigungsversuch gegen Jesus (Joh 8,59)“ (op. cit., 153). 44 So Lona, Abraham, 429.
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8,43b.47b). Des weiteren fllt auf, dass das Thema der Abrahams- bzw. Gotteskindschaft nicht von Jesus, sondern von seinen Gesprchspartnern aufgeworfen wird. Sie reagieren damit auf die Mahnung, dass ,nur‘derjenige wahrhaftig ein Jnger Jesu ist, der in seinem Wort bleibt und die befreiende Wahrheit erkennt (V. 31.b.32)45. Die Angesprochenen nehmen hingegen fr sich Anspruch, niemals unfrei gewesen zu sein und insistieren diesbezglich drei Mal auf ihre Abrahams- bzw. Gotteskindschaft (V. 33a.39a.41b). Der folgende Argumentationsduktus erklrt jedoch das jeweilige Verhalten zum Kriterium der ontologischen Grundverfassung. Wenn die Kontrahenten ihrer Abrahamskindschaft gerecht werden wrden, wrden sie nicht versuchen, Jesus zu tçten (V. 37b). Ihre Absichten bzw. ihr Verhalten erweisen sie vielmehr als Kinder des Teufels, welche den Willen ihres Vaters ausfhren mssten (V. 44). Dieses Motiv verkçrpert ein Korrelat zu der bereits in Joh 8,31 – 36 angesprochenen Antithetik von Freiheit und Knechtschaft: Wer sndigt, sei ein Knecht der Snde (V. 34b). Nur der Gottessohn kçnne aus der Knechtschaft der Snde befreien (V. 36)46. Nur wer im Wort Jesu bleibe, kçnne die freimachende Wahrheit erkennen (V. 32). Und diese Wahrheit ist – wie nur die Jesus treu gebliebenen Jnger bzw. die textexternen Leser in
45 Die in V. 33b stilisierte Rckfrage der Gesprchspartner Jesu betont eigens, dass diese Freiheit jenen Sympathisanten noch nicht zugestanden wird (p¾pote·p_r s» k´ceir fti 1ke¼heqoi cem¶seshe). Dass ausgerechnet diese Gruppierung sich jedoch auf ihre Abrahamskindschaft berufen soll, versteht U. Schnelle, Johannes, 157, als literarische Aufarbeitung eines konkreten Konfliktpunkts: „Zwischen der joh. Schule und dem Judentum war offenbar umstritten, wer sich zu Recht auf Abraham berufen darf.“ Dozemann, Sperma Abraam in John 8 and related literature – cosmology and judgement, 357f., vermutet Konflikte der johanneischen Gemeinde mit gebotsobservanten Judenchristen, mit denen sie im Zuge ihrer missionarischen Aktivitten in Konflikt geraten sei. Diese Kontroverse sei somit hnlich einzuordnen wie z. B. Gal 3,6 – 29; Rçm 4,13 – 15 etc.; Iustin, dialogus cum Tryphonae 44,1; 47,1ff.; 140,2. Es wre jedoch eine unangemessene Engfhrung, von Joh 8,37ff. her die Darstellung der Juden primr als eine Auseinandersetzung mit nicht-johanneischen Christen zu verstehen. 46 Zum Motiv der Knechtschaft unter der Snde vgl. Hasitschka, Befreiung von Snde nach dem Johannesevangelium, 225ff., der diesbezglich eine Affinitt zur paulinischen Theologie vermutet (vgl. Gal 4,7; Rçm 6,16f.20). Innerhalb der weiteren Erzhldramaturgie des Johannesevangeliums wird den textinternen Jngern die in Joh 8,32 formulierte Verheißung in Joh 15,14f. konkret zugesprochen (zur Korrespondenz dieser Sequenzen vgl. u. a. Augenstein, Liebesgebot, 77; Schnackenburg, Das Johannesevangelium, 126; Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd. III: Die eschatologische Verkndigung in den johanneischen Texten, 413 bzw. 426.
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einem spteren Erzhlkontext noch erfahren werden – letztlich Jesus selbst (Joh 14,6). Bereits die skizzierte narrative Einbettung von Joh 8,31ff. zeigt, dass der Vorwurf der Teufelskindschaft in Joh 8,44 einen Sonderfall innerhalb der Darstellung der Youda?oi im Johannesevangelium verkçrpert. Es handelt sich nicht um eine situationsunabhngige Erçrterung der heilsgeschichtlichen Stellung Israels, sondern um eine Reflexion der Trennungsprozesse zwischen Sympathisanten Jesu47. Dieser Sachverhalt tritt noch eindrcklicher zutage, wenn man die Irrlehrerpolemik des ersten Johannesbriefs in die Diskussion einbezieht. Die Kategorien, mit denen die Gegner Jesu in Joh 8,31ff. beurteilt werden, besitzen nmlich eine geradezu frappierende Affinitt zu jenen Kategorien, mit denen partiell die Gegner im ersten Johannesbrief beurteilt werden48. Beide Sequenzen stimmen darin berein, dass die ontologische Grundverfassung der Teufels- bzw. Gotteskinder ihr jeweiliges Verhalten determiniert. In beiden Kontexten ist dieses dualistische Motiv explizit mit der Liebessemantik verschrnkt: Whrend 1Joh 3,11 zufolge die Gotteskinder an ihrer gegenseitigen Liebe erkannt werden kçnnen, erklrt Joh 8,42a die Liebe Jesu zum Kriterium der Gotteskindschaft (Joh 8,42a)49. Ebenso lsst sich eine Korrespondenz des Sndenbegriffs erkennen: 1Joh 3,5a zufolge sei Jesus erschienen, um die Macht der Snde zu berwinden. Da in ihm keine Snde sei (1Joh 3,5b), werde jeder, der in ihm bleibt, nicht sndigen (1Joh 3,6a). Wer hingegen sndigt, habe Jesus weder gesehen noch erkannt (1Joh 3,6b). Joh 8,32 zufolge wird nur derjenige, der im Wort Jesu bleibt, die befreiende Wahrheit erkennen. Wer hingegen sndigt, sei nach wie vor ein Knecht der Snde. Das Verhalten der Gottes- und Teufelskinder sei durch ihre ontologische Grundverfassung bestimmt (1Joh 3,8f.; Joh 8,44.47).50 47 Vgl. u. a. Schenke, Johannes, 174f.; Rissi, „Die Juden“ im Johannesevangelium, 2118ff. 48 Zum Vergleich dieser polemischen Zge vgl. u. a. Hengel, Die johanneische Frage, 148f.; Lona, Abraham, 280f.; Piper, Satan, Demons and the Absence of Exorcisms in the Fourth Gospel, 264f.; Pagels, The Social History of Satan, 26 bzw. 47. 49 Whrend das Motiv der Liebe zu Jesus zunchst nur beilufig genannt ist und in extenso erst in den Abschiedsreden herausgearbeitet wird (Joh 14,15.21.23f.; 16,27), dient die Kontrastierung der Gottes- und Teufelskindschaft der Begrndung der Ablehnung Jesu. 50 Speziell zum jeweiligen Sndenverstndnis vgl. Metzner, Snde, 287ff. bzw. 291ff.; Hasitschka, Snde, 196ff.; zu den geburtsmetaphorischen und deterministischen Zgen vgl. Rusam, Gemeinschaft, 135 bzw. 137 – 147; Schenke, Determination
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Trotz dieser thematischen Korrespondenz besteht der wesentliche Unterschied zwischen diesen Sequenzen darin, dass die Antithetik von Gottesund Teufelskindschaft in 1Joh 3,7 – 10 der Reflexion des Gemeindeschismas dient51, in Joh 8,42 – 47 hingegen der Kontroverse zwischen Jesus und den ihn glaubenden Juden. Von Youda?oi ist jedoch in der gesamten johanneischen Briefkorrespondenz keine Rede. Dieser Sachverhalt fhrt zu der Frage, welche Hintergrnde bzw. Anlsse die johanneische Darstellung der Juden im Generellen, und die polemischen Zge der Kontroverse in Joh 8,37 – 47 im Speziellen besitzen. 3.2 Zum Verhltnis von Joh 8,37 – 47 und den polemischen Zgen der johanneischen Briefe Um die polemische Darstellung der Juden im vierten Evangelium angemessen verstehen zu kçnnen, muss deren Verhltnis zu drei Themenkreisen herausgearbeitet werden, die fr die Geschichte und Identittsbildung der johanneischen Gemeinde von zentraler Bedeutung waren, nmlich die Trennung der johanneischen Christen von der synagogalen Gemeinschaft, das Schisma der Gemeinde und das Verhltnis der Gemeinde zum jºslor. Ein wesentlicher Anlass jener Polemik ist zweifelsfrei der Ausschluss der johanneischen Gemeinde von der synagogalen Gemeinschaft (Joh 9,22; 12,42, 16,2). Strittig ist jedoch, ob dieser Trennungsprozess die Gegenwart der johanneischen Gemeinde zur Abfassung des Johannesevangeliums verkçrpert, so dass es als Zeugnis einer primr „jdisch-judenchristlichen Kontroverse“52 zu interpretieren ist, oder ob der !posum²cycor ein bereits vergangenes Stadium der johanneischen Gemeindegeschichte verkçrpert53 ? und Ethik im ersten Johannesbrief; Brown, The Gospel According to John, 357; Strecker, Johannesbriefe, 175 etc. 51 Vgl. Schenke, Johannes, 174f.; Klauck, Johannesbrief, 329; Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd. III: Die eschatologische Verkndigung in den johanneischen Texten, 75f. Es wre jedoch unangemessen, aufgrund dieser Differenzen die interpretatorische Relevanz dieser Sequenzen freinander per se in Frage zu stellen (so Lona, Abraham, 280f.). 52 So z. B. Wengst, Johannes I, 21, der die in Joh 9,22; 12,42; 16,2 beschriebenen Trennungsprozesse aus dem Synagogenverband nicht fr „ein fr die Gemeinde lngst vergangenes Problem“, sondern fr die „bedrngende Erfahrung ihrer Gegenwart“ hlt (op. cit., 23). Auch die Polemik gegen die jdischen Diskussionspartner Jesu (v. a. Joh 8,44 etc.) erklre sich aufgrund dieser Situation. Wengst, Bedrngte Gemeinde und verherrlichter Christus, 183f., versucht diese Ereignisse
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Zunchst ist zu konstatieren, dass der Autordes vierten Evangeliums eine außerordentlich przise Kenntnis jdischer Bruche und Geographie besitzt, die auf eine jdische Sozialisation und Bildung zurckschließen lassen54. Gleichwohl bietet sein Werk eine „in der urchristlichen Erzhlliteratur wohl einzigartige Kombination von przisem historischen Detail und schçpferischer Gestaltung des Stoffes.“55 Dies zeigt sich besonders in seiner Darstellung des zeitgençssischen Judentums, die wesentlich deutlicher als in der synoptischen Tradition eine dramaturgische Funktion erfllt56. Dabei ist
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im Herrschaftsbereich von Agrippa II zu verorten (speziell Batana bzw. Gaulanitis; in Entsprechung zur Argumentation von Wengst pldiert Reim, Zur Lokalisierung der johanneischen Gemeinde, 72ff. bzw. 85f., fr das Umfeld von Betsaida bzw. Kapernaum). Tendenziell hnlich attestiert Martyn, Glimpses in the History of the Johannine Christianity, 120f.: „ […] the history of the Johannine community from its origin through the period of its life in which the Fourth Gospel was composed forms to no small extent a chapter in the history of Jewish Christianity“. Zu kritischen Auseinandersetzungen mit dem Ansatz von Wengst vgl. Hengel, Frage, 288ff., der auf dem Fundament altkirchlicher Traditionen Ephesus als Ort der Abfassung der johanneischen Schriften vermutet (entsprechend Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 484 etc.). Zu mçglichen sozialgeschichtlichen jdischen-christlichen Konfliktpotenzialen in Kleinasien vgl. Frey, Das Bild ,der Juden‘ im Johannesevangelium und die Geschichte der johanneischen Gemeinde, 45ff. Den Versuch einer Zusammenschau unterschiedlicher Entwicklungsstadien unternimmt R. Schnackenburg, Johannesevangelium I, 134: „Die joh. Tradition, deren Wurzeln in Palstina liegen, ist auch durch das Medium syrischen Einflusses gegangen, ehe sie in Kleinasien (Ephesus) Fuß faßte, fixiert und redigiert wurde.“ Gleichwohl bleibt eine solche ,Wanderhypothese‘ spekulativ. Zur Skizze kontrrer Einschtzungen vgl. Schrçder, Das eschatologische Israel im Johannesevangelium. Ein zentraler Sachverhalt ist jedoch, dass die zuweilen als ein Hintergrund der johanneischen Kontroversen vermutete Neufassung der Birkat haMinim aus chronologischen und inhaltlichen Grnden von geringer Bedeutung ist (zur Problematik vgl. Frey, Bild, 43ff.). Zu topographischen Details vgl. Hengel, Das Johannesevangelium als Quelle fr die Geschichte des antiken Judentums; zum kulturellen Niveau ders., Frage, 276ff. bzw. 306ff. Angesichts dessen vermutet Hengel, Frage, 276, eine „Herkunft … aus der Jerusalemer Priester-Aristokratie“. Treffend Hengel, Quelle, 334. Besonders eindrcklich zeigt sich dieser Sachverhalt darin, dass der vierte Evangelist mit keinem Wort die Saduzzer erwhnt, obwohl er gewusst haben drfte, dass auch diese Gruppierung, die nach der Tempelzerstçrung und erst Recht zur Zeit der Abfassung des Johannesevangeliums bereits ihre Dominanz verloren hatte, fr die Verhaftung und den Prozess Jesu von besonderer Relevanz gewesen war (so Schnelle, Johannes, 146). Schnelle, Johannes, 165, versteht die „Verwendung von Youda?or/Youda?oi im Johannesevangelium als dramaturgisches Element“ (hnlich Frey, Juden, 38; Culpepper, Anatomy of the Fourth Gospel, 125ff.).
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evident, dass die Themen, an denen sich die Konflikte zwischen dem ,johanneischen Jesus‘ und seinen jdischen Gesprchspartnern entznden, bereits ausgesprochen elaborierte christologische Konzeptionen reflektieren57. Des weiteren fllt auf, dass die unterschiedlichen Auseinandersetzungen nicht auf ein einzelnes Thema reduziert werden kçnnen, sondern unterschiedliche Konfliktebenen reflektieren58. Gewichtige Indizien sprechen jedoch dafr, dass die „Auseinandersetzung mit den Juden […] lngst nicht mehr das Hauptthema des Werkes“ ist59. Der Autor des Johannesevangeliums bietet seinen Adressaten zuweilen thematische Erluterungen, die ein jdisch sozialisierter bzw. gebildeter Leserkreis nicht nçtig htte (Joh 1,41; 2,6; 4,25; 11,55; 18,20.28b; 19,40). Sequenzen wie Joh 7,35; 10,16; 11,52; 12,20ff. sprechen fr eine primr
57 Vgl. v. a. die Aussagen ber die Wesens- bzw. Handlungseinheit zwischen Gott und dem Gottessohn Joh 5,17f.; 6,40ff.; 10,30 etc. Auch diese fortgeschrittenen Reflexionsebenen sprechen gegen eine Frhdatierung der im Johannesevangelium stilisierten christologischen Kontroversen (gegen u. a. Barth, Die Juden im Johannes-Evangelium, 39ff.). 58 Angesichtes dieser Komplexitt erweist sich z. B. folgende Einschtzung von Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 380, als zu undifferenziert und theologisch unangemessen: „Am Beispiel der jdischen Religion macht Johannes klar, wie der menschliche Sicherungswille das Wissen um Gott verdreht, wie er aus Gottes Forderung und Verheißung einen Besitz macht und sich so gegen Gott verschließt.“ Whrend z. B. die Frage der Messianitt Jesu in Joh 7,41 einen „zentrale(n) Streitpunkt in der Auseinandersetzung zwischen der joh. Schule und den Juden“ zu verkçrpern scheint (so Schnelle, Johannes, 149), kçnnte der Vorwurf der dmonischen Besessenheit Jesu auf einen bekannten, im Raume stehenden Vorwurf anspielen, der sich gerade nicht wie etwa in der synoptischen Tradition an Exorzismen Jesu entzndet, sondern an seinem Sendungsanspruch und seinen kritischen Aussagen ber seine Gegner (vgl. Piper, Exorcisms, 264f.; Wengst, Johannesevangelium I, 341). Gerade die Verwendung von did²sjeim bzw. didaw¶ in Joh 7,14 – 35 evoziert Assoziationen an Lehrstreitigkeiten (vgl. Pancaro, The Law in the Fourth Gospel, 169 – 174; tendenziell hnlich zu Joh 5,31 – 47 vgl. Beutler, Martyria, 234f.; Schnelle, Johannes, 111; zu vergleichbaren literarischen Stilisierungen von Streitgesprchen vgl. Jes 3,13f.; 43,8 – 12; 46,6 – 11; Jer 2; Hos 4,1ff.; Mi 6,1 – 5; Epictetus, Dissertationes I, 29,44 – 49; III 24,110 – 114; 26,28 etc.). Des weiteren fllt auf, dass der Konflikt um die Abrahamskindschaft in Joh 8,37ff. ausgerechnet von Sympathisanten Jesu aufgeworfen wird. Zu weit wrde es jedoch gehen, angesichts dieser Komplexitt literarkritisch unterschiedliche Stadien dieser Konflikte differenzieren zu wollen (vgl. u. a. Wahlde, The Johannine ,Jews‘: A Critical Survey, 41 bzw. 51; Charlesworth, The Gospel of John, 479 – 513, 247ff.). 59 So Hengel, Frage, 300; hnlich Frey, Eschatologie II, 259; Schnelle, Einleitung, 509ff. etc.
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heidenchristlich ausgerichtete Missionsarbeit der johanneischen Gemeinde60. Ferner spielen spezifisch judenchristliche Themen in den johanneischen Schriften keine besondere Rolle. Obwohl z. B. „ […] dem Gesetz bzw. der Schrift eine solch zentrale Rolle als Zeugnis fr Jesus zukommt, bleibt doch die aus der Paulus- und Synoptikerexegese gelufige Frage nach der Gltigkeit des Gesetzes und der Gebote […] unbercksichtigt“61. Bereits diese Aspekte sprechen dafr, dass der Autor des Johannesevangeliums einen primr heidenchristlichen Adressatenkreis vor Augen hatte, dem er die jdischen Wurzeln bzw. Konfliktpotenziale seiner Botschaft berhaupt erst erlutern muss. Des weiteren fllt auf, dass die Auseinandersetzung mit ,den Juden‘ gerade in jenen Textsequenzen in den Hintergrund tritt, in denen die nachçsterliche Situation der johanneischen Christen besonders eindrcklich thematisiert wird – nmlich in den johanneischen Abschiedsreden. In Joh 13,1 – 17,26 steht vielmehr die Situation der nachçsterlichen Gemeinde in der ihr hasserfllt gegenber stehenden Welt im Vordergrund (Joh 14,1.27; 15,18 – 25; 16,33; 17,14 etc.). Gerade die Abschiedsreden veranschaulichen die Korrespondenz der Begriffe Youda?oi und jºslor : „Die Funktion der Youda?oi auf der textinternen Ebene der vita Jesu bernimmt nun der Kosmos fr die textexterne Hçrer- und Lesergemeinde. Was Jesus in positiver und negativer Weise von ,den Juden‘ widerfuhr, erfhrt in der Gegenwart wiederum in positiver und negativer Weise die Gemeinde von ,der Welt‘“62. Der in Joh 16,2 angesprochene !posum²cycor kann als ein Teilaspekt jener negativen Welterfahrung der johanneischen Christen verstanden werden. 60 Vgl. Frey, Heiden, 231ff. 61 Treffend Augenstein, Jesus und das Gesetz im Johannesevangelium, 170 bzw. 172. Entsprechend Schnelle, Christologie, 43: „Das fr Paulus so wichtige Problem ,Gesetz – Gnade‘ ist fr den Evangelisten lngst gelçst … „. Zum Vergleich mit judenchristlichen Zgen der Logienquelle vgl. Tuckett, The Fourth Gospel and Q, 281ff. bzw. 289. Ferner zum Verhltnis von mºlor und cqav¶ in der johanneischen Theologie vgl. Obermann, Die christologische Erfllung der Schrift im Johannesevangelium, 37 – 63. 62 So Schnelle, Johannes, 165f. Diese Korrelation zeigt sich partiell bereits in der johanneischen Erzhlung des çffentlichen Lebens Jesu, insofern z. B. in Joh 7,7 „unvermittelt […] der jºslor an die Stelle der Juden“ tritt (vgl. op. cit., 142). Gleichwohl sind die Begriffe nicht vçllig deckungsgleich. Brown, The Community of the Beloved Disciple, 63 – 66, versteht jºslor als Kollektivbegriff, unter den die Youda?oi zu subsummieren sind (tendenziell hnlich Martyn, Glimpses, 120f.; Grsser, Polemik; 150f.).
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Der skizzierte Befund der johanneischen Abschiedsreden entspricht der johanneischen Briefkorrespondenz, in der Auseinandersetzungen mit dem zeitgençssischen Judentum nicht explizit erwhnt werden63. Stattdessen wird auch hier primr das Verhltnis der Gemeinde zur Welt und v. a. zu den Schismatikern reflektiert. Der Begriff jºslor ist im ersten Johannesbrief ebenso ambivalent wie im Johannesevangelium64. Einerseits wird vor einer Liebe zur Welt gewarnt (v. a. 1Joh 2,15 – 17), andererseits wird die universale Weite des Heilsgeschehens betont (1Joh 2,1f.; 4,14). Auch wenn missionarische Aktivitten der johanneischen Gemeinde angedeutet werden (3Joh 3.5 – 8.12)65, stehen die innergemeindlichen Spannungen im Vordergrund (1Joh 2,7 – 11.18ff; 3,11 – 18; 4,1ff.20f. etc.). Diese Konzentration auf die innergemeindlichen Kontroversen wurde verschiedentlich als Indiz gewertet, dass die Briefe eine zeitlich nach dem Johannesevangelium zu verortende Gemeindesituation widerspiegeln. Die Auseinandersetzung mit der schmerzvollen Erfahrung des Synagogenausschlusses sei in den Hintergrund getreten und die idealisierte Einheit der Jnger zerbrochen (Joh 17,20 – 26). Insofern die Gemeinde primr um ihr berleben kmpfen msse, htte sie zunehmend eine Sektenmentalitt entwickelt (1Joh 2,15 – 17; 3,7 – 10; 2Joh 10f.)66. Eine solche Einschtzung bersieht jedoch einen entscheidenden Sachverhalt: Obwohl das Johannesevangelium eine komplexere Darstellung von Konfliktparteien als die Briefkorrespondenz bietet, sind die Kon63 Lediglich indirekt lassen sich Konfliktpotenziale mit judenchristlichen Gegnern erahnen (so u. a. Thyen, Art. Johannesbriefe, 192 – 195; ausfhrlich hierzu vgl. Klauck, Johannesbriefe, 141 – 151, besonders 143f.). 64 Zu entsprechenden Kategorisierungen des Kosmosbegriffs vgl. Brown, John I, 508 – 510; Schnelle, Johannes, 76f. Positive Konnotationen beinhalten Joh 1,29; 3,16f.; 4,42; Joh 6,14.51.63; 9,5; 10,36; 11,27; 12,47; 14,31; 17,15.18.21.23; 18,37; 1 Joh 2,2; 3,17; 4,9.14, negative hingegen Joh 1,10; 7,7; 8,23; 9,39; 12,25.31; 14,17.22.27.30; 15,18.19; 16,8.11.20.33; 17,6.11.13f.16; 18,36; 1Joh 2,15 – 17; 3,1.13; 5,19. Strittig bzw. wertneutral sind die Konnotationen von jºslor in Joh 1,10; 9,5a; 14,19; 16,28; 17,5; 1Joh 4,1.3 – 5.17; 5,4f.; 2Joh 7. Zu ungenau ist die Einschtzung von Cassem, A Grammatical and Contextual Inventory of the Use of jºslor in the Johannine Corpus with Some Implications for a Johannine Cosmic Theology, 81ff. bzw. 90f., derzufolge im ersten Teil des Johannesevangeliums eine berwiegend positive Frbung des Begriffs zu erkennen ist, whrend insbesondere in den Abschiedsreden die negativen Konnotationen zunehmen. 65 Vgl. Ruiz, Missionsgedanke, 73 – 162. 66 So z. B. Segovia, Love relationships, 77 – 79 bzw. 212; Bogart, Perfectism, 123 – 141, bzw. Becker, Das Evangelium nach Johannes, 176, in Bezug auf die von ihm postulierte zweite und vierte Entwicklungsphase der johanneischen Gemeindegeschichte.
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fliktpotenziale durchaus vergleichbar. Dem Epilog Joh 20,30f. zufolge wurde das Johannesevangelium verfasst, um seine Leser zum Glauben und zur Erkenntnis der Messianitt und Gottessohnschaft Jesu zu fhren. Diese hermeneutische Leseanweisung thematisiert bereits zwei christologische Konfliktpotenziale des ersten Johannesbriefs (vgl. 1Joh 4,15; 1Joh 5,1; via negationis 1Joh 2,22). Ein dritter christologischer Konfliktpunkt – das Bekenntnis zur Inkarnation Jesu (z. B. 1Joh 4,2; via negationis 2Joh 7) – wird u. a. im Schisma der Jnger Jesu reflektiert, welches sich an der eucharistischen bzw. inkarnationstheologischen Interpretation der Lebensbrotrede entzndet (Joh 6,60 – 71)67. Entsprechend lsst auch die Gestaltung des Liebesgebots Joh 13,34f. eine Reflexion der ethischen Streitigkeiten erkennen68. Es zeigt sich somit, dass die in der johanneischen Briefkorrespondenz markant zutage tretende Verarbeitung des Gemeindeschismas sich auch im vierten Evangelium beobachten lsst. Angesichts dessen ist plausibel, dass auch die polemische Darstellung der Juden im vierten Evangelium im Generellen und die Antithetik von Gottes- und Teufelskindschaft in Joh 8,37 – 47 im Speziellen durch diese Prozesse mitbeeinflusst wurde. Auch wenn es eine unzulssige Engfhrung wre, die Darstellung der Youda?oi im Johannesevangelium per se von der in Joh 8,31ff. stilisierten Kontroverse her zu beurteilen69, nimmt diese Sequenz in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein: Es handelt sich nicht um eine generelle, situationsunabhngige Reflexion ber jdische Glaubenstraditionen bzw. die heilsgeschichtliche Stellung Israels, sondern um Aussagen ber eine spezielle Gruppierung. Diese ,Juden, die an Jesus geglaubt haben‘ (Joh 8,31) reprsentieren Sympathisanten der johanneischen Gemeinde, die an der hohen Christologie Anstoß nahmen und sich unter Berufung auf ihre jdischen Wurzeln wieder von der johanneischen Gemeinde distanzierten70. Insofern die dabei verwendeten Reflexionskategorien eine zuweilen frappierende hnlichkeit zur Irrlehrerpolemik der johanneischen Briefe besitzen, muss 67 Vgl. Schnelle, Christologie, 249ff.; Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd. III: Die eschatologische Verkndigung in den johanneischen Texten, 396f.; Popp, Grammatik des Geistes, 413. 68 S.o. Anm. 27. 69 So tendenziell Rissi, Juden, 2118ff. 70 Treffend resmiert Schenke, Johannes, 174f., hinsichtlich der literarischen Funktion dieser Inszenierung: „Die ersten Leser drften die subtile Darstellung unmittelbar durchschaut haben und in ihr (hnlich wie in Joh 5,41ff.; 6,41ff.; 6,61ff.) auf Anhieb ihre eigene Geschichte wiedererkannt haben. Sie haben die Glaubenden von Joh 8,30f. mit den Schismatikern in den eigenen Reihen identifiziert, die das hohe Bekenntnis zu Jesus verlassen haben und zu den Gegnern bergelaufen sind.“
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und kann die Schrfe von Joh 8,42 – 47 somit nicht nur im Zusammenhang der johanneischen Darstellung der Juden, sondern auch im Zusammenhang der Irrlehrerpolemik kritisch beurteilt werden.
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Polemik im Jakobusbrief. Formen, Gegenstnde und Fronten Oda Wischmeyer 1. Einfhrung Polemik ist ein Phnomen der sprachlichen Kommunikation1. Als solches ist Polemik fester Bestandteil politischer, gesellschaftlicher, literarischer, religiçser2 und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Polemik ist gegenstandsbezogen, d. h. Teil einer argumentierenden Auseinandersetzung ber ein Thema, das kontrovers diskutiert wird. Die polemische Auseinandersetzung wird aber nicht streng sachlich in apologetischer oder irenischer Absicht, sondern eben polemisch, also in einem gewissen aggressiven Duktus gefhrt. Sie hat eine çffentliche Dimension und findet mndlich oder schriftlich vor einem Auditorium oder einer literarisch konstituierten Leserschaft statt3. Als kommunikatives Phnomen hat die Polemik bestimmte argumentative, stilistische und semantische Eigenarten und Strategien entwickelt, von denen besonders die argumentative ad personam-Rede4, die Stilzge der bertreibung, der Ironie und des Sarkasmus wichtig sind. Außerdem stellt die griechisch-rçmische Antike ein reiches polemisches Vokabular zur Verfgung, das in polemischer Argumentation, in der lite-
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Vgl. Stenzel, Rhetorischer Manichismus, 3 – 11; Speyer, Art. Polemik, 3 – 5; Stauffer, Art. Polemik, 1403 – 1415; Braungart, Art. Polemik, 1439 – 1441; Dieckmann Streiten ber das Streiten; Scornaienchi, Art. Polemik, 439 f. Vgl. dazu: Religious Polemics in Context. Papers presented to the Second International Conference of the Leiden Institute for the Study of Religions (LISOR) held at Leiden, 27 – 28 April 2000. Vgl. Stenzel, Rhetorischer Manichismus, 6. Tritt bei der ad personam-Rede zugunsten der Verunglimpfung der Person in den Hintergrund, sprechen wir von Invektive, vgl. den Beitrag von S. Koster in diesem Band.
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rarischen Invektive oder in Schriften, die der Verleumdung dienten,5 eingesetzt werden konnte. Polemik kann eine große argumentative literarische Form bestimmen, die „Streitschrift“, berwiegend begegnet sie aber als kleine Form oder als Stilzug im Rahmen unterschiedlicher Formen und Gattungen, die argumentativen Charakter haben. Besonders interessant ist hier die Diatribe. Im Rahmen der schulischen Belehrung hat sich in der Diatribe6 die Form kleiner Texteinheiten herausgebildet, in denen bestimmte Themen anhand bestimmter zugespitzter Vorwrfe in polemischem Stil und pdagogischer Absicht behandelt werden konnten.7 Hier werden gern Typen dargestellt, karikaturhaft berzeichnet, aggressiv angesprochen und zugleich als exempla im literarischen Streit und in der Bekmpfung realer oder fiktiver Gegner eingesetzt. Derartige polemische Texte gehçren ebenso in den Zusammenhang der griechisch-rçmischen philosophischen Propdeutik und Pdagogik wie der pdagogischen frhjdischen Weisheit und ihres Schulbetriebes, die ihrerseits Zge der aggressiven prophetischen Scheltrede aufgenommen hat.8 Solche Texte bieten sich wegen ihrer vereinfachten Struktur, ihres hohen berzeugungspotentials und ihrer allgemeinen Bekanntheit auch fr polemische Diskussionen außerhalb der Schulen an.9 Im Jakobusbrief ist die Polemik Teil der parnetischen Belehrung der Leserschaft und hat die pragmatische Funktion der Klrung bestimmter ethischer Themen, fr die der Verfasser die Aufmerksamkeit der Adressaten gewinnen will, um ihnen seine Lçsung nachhaltig plausibel zu machen. Der Brief ist ein sich im Gesamtton autoritativ gebendes, sehr allgemein formulierendes Rundschreiben10 in der Gestalt einer durchgehenden parne5 Dazu Johnson, The New Testament’s Anti-Jewish Slander and the Conventions of Ancient Polemic; Wischmeyer, Criticism of Judaism in Greek and Roman Sources (Lit.). 6 Vgl. Uthemann, Gçrgemanns, Art. Diatribe. 7 Vgl. Rçm 2,1 – 6.17 – 24. Vgl. dazu den Beitrag von F.W. Horn in diesem Band. 8 Vgl. dazu den Beitrag von H.-Ch. Schmitt in diesem Band. 9 Das zeigen beispielsweise die Texte aus dem Rçmerbrief. Paulus setzt diatribische Texteinheiten fr seine juridische Argumentation ein. Vgl. dazu Wischmeyer, Rçmer 2,1 – 24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit. 10 Zur Frage von Verfasser, Adressaten und Entstehungszeit vgl. einfhrend Johnson, The Letter of James, 89 – 123; Popkes, Der Brief des Jakobus, 59 – 69; zur Verfasserfrage im Zusammenhang der Pseudepigraphieforschung jetzt den sehr grndlichen Beitrag von Konradt, „Jakobus, der Gerechte“, 575 – 597 (Lit.). Zur Forschung: Baasland, Literarische Form, Thematik und geschichtliche Einordnung des Jakobusbriefes; Hahn, Mller, Der Jakobusbrief. Zu meiner Position vgl. Wischmeyer, Reconstructing the Social and Religious Milieu of James.
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tisch gefrbten literarischen Ansprache des „Jakobus, des Knechtes Gottes und des Herrn Jesu Christi“ – auf dieser Selbstvorstellung beziehungsweise Absenderangabe beruht die Autoritt des Schreibens, die nur in einem christlichen11 Zusammenhang wahrgenommen werden kann – an „die zwçlf Stmme in der Zerstreuung“, die sich in 1jjkgs¸ai (5,14) organisieren und deren Mitglieder der Verfasser stets als „Brder“ oder „geliebte Brder“ anspricht.12 Auch diese Adresse muss als Teil des literarisch durchzusetzenden Autorittsanspruchs des Verfassers gelesen werden, denn es handelt sich um eine – aus seiner Sicht – universale Adresse, die eine universale Leserschaft konstituiert.13 Im Jakobusbrief findet sich nirgends offene Gegnerpolemik, wie wir sie vor allem aus den Paulusbriefen kennen und dann als „Irrlehrer“-Polemik in den Pastoralbriefen, in den Johannesbriefen, im Zweiten Petrusbrief, im Judasbrief und in den Sendschreiben der Johannesoffenbarung finden14. Der Verfasser erweckt nicht den Anschein, als argumentiere er gegen eine oder gegen mehrere bestimmte Gruppierungen innerhalb oder außerhalb der Vereinigung der „Brder“. Von daher ergibt sich auch im Jakobusbrief – wie in anderen Schriften des Neuen Testaments15 – das Problem, dass von den Konstituenten der polemischen Kommunikation, nmlich dem polemischen Subjekt oder Autor, dem polemischen Objekt oder Gegner sowie dem polemischen Leseforum oder den Adressaten, nur die Sichtweise des polemischen Subjekts deutlich in Erscheinung tritt, unabhngig von der 11 „Christlich“meint hier und im Folgenden: Gruppierungen (1jjkgs¸ai), die Jesus als Wqistºr und j¼qior bekennen. 12 Vgl. dazu Wischmeyer, Beobachtungen zu Kommunikation, Gliederung und Gattung des Jakobusbriefes. 13 Damit berbieten die Verfasser des Jakobusbriefes und des 1. Petrusbriefes vor allem die paulinischen Adressen, die immer auf einzelne Gemeinden beschrnkt bleiben. 2. Petrusbrief und Judasbrief formulieren die Adressatenschaft noch allgemeiner. 14 In der Offenbarung des Johannes finden sich Namenszuschreibungen als Mittel der Polemik gegen religiçse Gruppierungen: Nikolaiten, Balaam und Isebel. Die alttestamentlichen Namen sind deutlich negativ konnotiert. Vgl. auch die – unter Umstnden fiktiven – Namen in den Pastoralbriefen (1 und 2Tim). 15 Fr die erzhlenden Schriften des Neuen Testaments ist die Aufgabe, die polemischen Koordinaten zu bestimmen, noch schwieriger, da es hier um ,Polemik durch Erzhlung’ geht. Vgl. dazu z. B. den Beitrag von Roskam, The Gospel of Mark as Polemic. Vgl. auch das Problem der apokalyptischen Polemik: de Jonge, The Function of Religious Polemics: The Case of the Revelation of John Versus the Imperial Cult; Becker, Jews and Christians in Conflict?. Vgl. auch die Beitrge von E.-M. Becker, U. Mittmann-Richert, B. Repschinski, L. Scornaienchi, D. Sim und Th. Witulski in diesem Band.
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Frage, ob es sich dabei um eine orthonymen oder pseudonymen Verfasser handelt. Das polemische Objekt, d. h. mçgliche Gegner oder gegnerische Gruppierungen, kann grundstzlich nur sicher erschlossen werden, wenn andere Texte zur Identifizierung herangezogen werden kçnnen.16 Auch das Lesepublikum, das das Forum der polemischen Auseinandersetzung bildet, muss angesichts der allgemeinen Adresse rekonstruiert werden.17 Diese Situation erklrt die grundstzlichen Divergenzen in der Beurteilung aller sogenannten ,Einleitungsfragen‘ zum Jakobusbrief, d. h. den Fragen nach dem Verfasser, der Entstehungszeit und den Adressaten des Schreibens. Von der jeweiligen Antwort hngt aber zugleich ganz wesentlich die Einschtzung der Polemik im Jakobusbrief ab. Daher wird es umso wichtiger sein, nach dem polemischen Gegenstand zu suchen, da dieser der ,Motor’ der Auseinandersetzung ist. Aber auch ein polemischer Gegenstand, ein umstrittenes Sachthema, ist weniger leicht auszumachen als in den Paulusbriefen, auch wenn immer wieder der Text Jak 2,14 – 26 und das Verhltnis zwischen „Glauben“ und „Werken“ genannt wird. Denn es geht dem Verfasser des Jakobusbriefes in seinem ganzen Schreiben offensichtlich primr nicht um „richtige“ und „falsche“ Lehre, mçglichst noch gepaart mit Angriffen auf die Person der Falschlehrer, sondern um den Gegensatz der ethischen Kategorien von „gut“und „bçse“.18 Wenn trotzdem 2,14 – 26 als Muster antipaulinischer theologischer Polemik verstanden worden ist und der ganze Jakobusbrief als antipaulinisches Schreiben gedeutet werden konnte,19 stehen hinter derartigen Interpretationen zwei klassische exegetisch-theologische Positionen: (1) Zuerst muss Luthers Ablehnung des Jakobusbriefes als Vertreter einer antipaulinischen und christologisch defizienten Theologie genannt werden. (2) Die zweite Position historisiert Luthers theologische Wahrnehmung einer grundlegenden Differenz zwischen „Paulus“ und „Jakobus“20 und ordnet diese in unterschiedlichen literaturgeschichtlichen Modellen in die „Geschichte des Urchristentums“ ein, die seit Ferdinand Christian Baur als eine Geschichte von Gegenstzen und Ausgleich verstanden wird. Wieweit diese Voraus16 Vgl. methodisch Berger, Die impliziten Gegner; Theißen, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth. Vgl. in diesem Band die Beitrge von F.W. Horn, M. Vogel, D. Snger, I. Elmer und E.-M. Becker. 17 Vgl. Anm. 13. 18 Vgl. dazu Wischmeyer, Gut und Bçse. 19 So prominent Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik. 20 Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob der Herrenbruder als Verfasser angenommen wird oder ob man von einer pseudepigraphen Verfasserschaft ausgeht. Beide Varianten lassen sich mit historischen Argumenten verteidigen.
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setzungen haltbar sind und wieweit 2,14 – 26 dafr herangezogen werden kann, muss besonders im Zusammenhang mit Positionen der angelschsischen Exegese diskutiert werden, die nicht nur weitgehend die Interpretation Luthers ablehnt, sondern auch die historische Figur gegenstzlicher Positionen als des Motors der Entwicklung des entstehenden Christentums nicht einfach gelten lsst.21 Da gegenwrtig weder in der Frage nach der historischen Zuordnung des Verfassers des Jakobusbriefes und der Positionierung des Schreibens in der Geschichte des entstehenden Christentums noch in der Frage, ob und in welcher Weise der Brief polemische Passagen oder sogar eine polemische Front enthalte, ein exegetischer Konsens besteht, legt sich eine neue sorgfltige Suche nach polemischen Textsignalen nahe, die zunchst ohne eine historische Hypothese zu Verfasser, Abfassungszeit und historischer Situierung unternommen wird.
2. Polemische Fronten Wogegen richtet sich die Polemik? Lassen sich polemische Fronten erkennen? Hier kçnnen die konditional eingeleiteten Fallbeispiele des Briefes als Leitfaden dienen22. Sie werden mit der hufig verwendeten einleitenden Phrase „Wenn jemand dies oder das tut“ (1,5.23; 2,2 ff.10 f.15 f.3,2; 4,4; 5,19) oder der Formel „Wenn jemand meint“ (1,26) oder „Wenn jemand sagt“ (1,13 ex negativo; 2,14.16.18; 4,13 „die, die sagen“; 4,15 mit Gegensatz) eingeleitet. Der Verfasser verwendet aber neben der unbestimmten 3. Person Singular auch die inkludierende 2. Person Plural. „Wenn ihr dies oder das tut“ (z. B. 2,8 u. ç.). Hier wechselt der Verfasser in die pastorale Sprache ber, die sein Leitfaden ist, und spricht die Lesergemeinde an. Gerade 2,8 und 9 belegen diesen Redegestus. Es geht hier im umfassenden ethischen Sinn um jak_r poie?m versus "laqt¸am 1qc²feshai, nicht um bestimmte klar definierte Lehrstreitigkeiten. Wie eng aber Beides, die polemische Markierung „falscher Lehre“ und die ethische Ablehnung einer falschen ethischen Lebensfhrung, zusammenhngen, zeigt 2,10. In 2,12 21 Vgl. nur Bauckham, James, und Mitchell, The Letter of James as a Document of Paulinism?, die beide sehr unterschiedliche historische Interpretationsmodelle fr den Jakobusbrief vertreten, aber doch von der Vorstellung einer irgendwie gearteten Einheit frhchristlicher Positionen ausgehen. Auch Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, findet unbeschadet seiner polemischen Interpretation eine irenische Stimmung im Jakobusbrief: Hengel, Paulus und Jakobus, 548. 22 Vgl. dazu Mitchell, The Letter of James, 90. Mitchell weist auf die Parallelen zum 1. Korintherbrief hin.
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wendet der Verfasser dann den Gedanken ins Positive: „Redet so und handelt so wie Menschen, die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen“. Diese Beobachtungen zeigen bereits, dass die polemischen Sprach- und Stilzge in die allgemeine Parnese, nicht in Lehrstreitigkeiten eingebettet sind. In diesem Rahmen muss untersucht werden, welche Textpassagen, Stze oder Wortverbindungen als „Polemik“ oder „polemisch“ beschrieben werden kçnnen, d. h. in einem aggressiven Ton der Klrung eines Sachverhaltes dienen, der aus der Sicht des Verfassers bei den Adressaten unklar ist oder von anderen Lehrern anders beurteilt wird.
3. Polemische Textpassagen, Stze und Wortverbindungen Im Jakobusbrief fallen aggressive Anreden auf, die Teil seiner ad hominemArgumentation sind und mindestens als Hinweis auf eine polemisch gefrbte Wahrnehmung von Verhaltensformen in den Gemeinden gelesen werden kçnnen. Sechs solcher Anreden in der 2. Person Singular oder Plural finden sich im Jakobusbrief: (1) 2,6 rle?r d³ Atil²sate t¹m ptywºm. Die betonte Anrede mit „ihr aber“ ist der Anrede „meine geliebten Brder“ in 2,5 untergeordnet und bezieht sich daher nicht auf eine bestimmte Gruppe potentieller „Aufsteiger“, sondern auf ein Verhalten, das der Verfasser in unterschiedlichen Zusammenhngen beobachtet. Das d´ markiert den Gegensatz zum Handeln Gottes, der die Armen, die reich im Glauben sind, erwhlt hat (V.5). (2) 2,20 § %mhqype jem´. Diese Anrede zeichnet sich durch eine gewisse Trennschrfe aus, da sie in der 2. Person Singular formuliert ist und als Teil eines Disputes fungiert, der von 2,18 – 2,23 reicht und Teil des grçßeren Textabschnittes 2,14 – 26 ist. Hier kçnnte so etwas wie Schulsprache vorliegen. (3) 4,4 fllt das scharfe Wort loiwak¸der im Zusammenhang einer admonitio ber die pºkeloi unter den Brdern (4,1 – 13). Hier befinden wir uns im Zentrum des Polemikdiskurses im Jakobusbrief, wie die Semantik zeigt. Der Verfasser wendet sich polemisch gegen die Streitigkeiten, pºkeloi, der Adressaten. (4) Parallel dazu begegnet in 4,8 der Doppelangriff "laqtyko¸ und d¸xuwoi. Das heißt: Der Text 4,1 – 12 ist von scharfen allgemeinen Vorwrfen gegen die Brder insgesamt gekennzeichnet. (5) Das umschreibende Subjekt oR k´comter (4,13) schließt an den polemischen Text von 4,1 – 12 an, nennt aber eine Gruppe. (6) Dasselbe gilt fr das Subjekt oR pko¼sioi (5,1). Insgesamt prsentieren sich 4,1 – 5,6 als scharfer allgemeiner Angriff auf die „Brder“ und auf einzelne Gruppen mit einem besonderen ethischen oder sozialen Profil, nicht aber mit einer irgendwie gearteten „Lehre“.
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Gewinnen diese literarisch angesprochenen Gruppierungen nun im Text ein eigenes Profil, so dass die aggressiven Anreden als polemisches Instrument, das gegnerische Gruppen gleichsam profiliert, wirken? Auch wenn wir in diesem prziseren Sinn noch einmal nach „Gegnerprofilen“ fragen, erhalten wir wieder nur sehr allgemeine Antworten. Es sind „die Reichen“ (5,1), die Großkaufleute (4,13), die Streitschtigen (4,1) und die Statusschtigen bzw. sozial Devoten(2,1), gegen die sich die heftige Polemik des Verfassers richtet. Ihre Stoßrichtung betrifft falsches ethisches Handeln. Es handelt sich also nicht um bestimmte Gruppierungen in den Gemeinden, sondern die genannten Gruppen dienen zur Warnung vor bestimmten unethischen Haltungen und stehen gleichzeitig fr ethische Haltungen, die der Verfasser propagieren will: Armut oder wenigstens Gengsamkeit, Sorglosigkeit oder Fgen in Gottes Hand, Friede und Gewaltverzicht, Niedrigkeit und Demut. Wir befinden uns im Zusammenhang frhjdischer weisheitlicher Ethik mit ihren Stereotypen von „den Reichen“ und „den Mchtigen“, die den ethischen Diskurs strukturieren und bersichtlich machen sollen. Es liegt weder ein gegnerisches theologisches Profil wie in den Paulusbriefen noch eine konkrete Gemeindeschelte wie in den Briefen der Johannesoffenbarung vor. Wohl beobachtet der Verfasser, dass Wohlhabende, Statusbeflissene und Streitschtige in die Gemeinden drngen, aber er nimmt sie nicht als eigene Gruppierungen mit eigenen „Programmen“ wahr und bezieht sich dabei auf bestimmte Gemeinden, sondern spricht die genannten Gruppen als Teil der 1jjkgs¸ai an. Alle Brder stehen in der Gefahr, ethisch falschen Verhaltensformen und Handlungen nachzugeben. Diese Beobachtungen gelten nun auch fr 2,14 – 26, jenen Text, an dem sich die Polemikfrage im Jakobusbrief immer wieder entzndet. Der Verfasser gibt der attackierten Person oder Gruppierung kein eigenes Profil. Einmal ist es „jemand, der sagen kçnnte“ (2,14.18), einmal stammt dieser „Jemand“ 1n rl_m (V. 16), in V. 13 spricht der Verfasser im Diatribenstil des philosophischen Meisters einen fingierten „leeren Menschen“ an, der offensichtlich lediglich als fiktiver Trger eines falschen Arguments fungiert. Was gnzlich fehlt, sind konkrete Namen23 oder Hinweise auf Personen, Gruppierungen oder alttestamentliche Zuschreibungen wie in den Briefen 23 Anders der 2. Petrusbrief, der Paulus nennt (3,14 – 16). Die Strategie des sog. Frhkatholizismus, der die Paulusbriefe erwhnt, Paulus als Weisheitslehrer domestiziert und ihn mit milden Korrekturen in eine frhe antihretische Front unter der Autoritt des Petrus einbinden will, wird im 2. Petrusbrief, nicht aber im Jakobusbrief historisch greifbar.
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der Johannesoffenbarung24. In diesem Zusammenhang muss brigens auch darauf hingewiesen werden, dass im Jakobusbrief an keiner Stelle Juden genannt werden oder auf Israel verwiesen wird, obgleich mit großer Selbstverstndlichkeit Rahab, Hiob und Elia als exempla erwhnt werden. Jede polemische Frontstellung gegen jdische Positionen fehlt ebenso wie jeder offene thematische Verweis auf das Judentum.
4. Polemische Stilzge und semantisches Inventar Polemische Stilzge betreffen den Bereich von Ironie und Sarkasmus sowie bertreibungen, also gleichsam die Vergrçßerung, Vergrçberung und aggressive Formulierung eines Arguments. So ist gerade das Beispiel in 2,15 f, das seine Funktion im Zusammenhang der Polemik gegen ein einseitiges Glaubensverstndnis hat, vergrçbernder Natur und streift geradezu ans Absurde. Diese Wirkung ist beabsichtigt, um die falsche ethische Position zu diskreditieren. hnliches gilt fr 2,18. Beide Positionen sind so primitiv, dass ihre bloße Gegenberstellung das ganze Thema ad absurdum fhrt. Die strkste bertreibung aber herrscht in 4,1 – 4 und 5,1 – 6. Sowohl die Streitschtigen als auch die Reichen werden als Typen stilisiert, dabei vçllig berzeichnet und schon in ihrer Modellierung ethisch vollstndig diskreditiert. In 4,2 begegnet der Vorwurf vome¼ete, der zu den Stereotypen der Lasterkataloge im Anschluss an den Dekalog gehçrt25. In 5,6 wird der Vorwurf gesteigert: 1vome¼sate t¹m d¸jaiom26. Die Maßlosigkeit dieser Vorwrfe hat keine ersichtliche Grundlage in der Realitt der Gemeinden. Es handelt sich um Vorwrfe, wie sie in den Lasterkatalogen begegnen und Teil diatribischer karikierender Typenbildung sind, die hier mit alttestamentlich-apokalyptischer Schrfe auf die Spitze getrieben werden. Unbeabsichtigte Ironie e contrario scheint einmal auf, als der Verfasser gerade die Hure Rahab als Beispiel eines Glaubens nennt, der in Werken ttig wird (2,25)27. Ein interessantes Beispiel fr durchaus geistreichen Sarkasmus lesen wir in 2,19: s» piste¼eir fti eXr 1stim b heºr, jak_r poie?r·ja· t± dailºmia piste¼24 Off 2,6.15: Nikolaiten, 2,14: Bileam, 2,20: Isebel. Vgl. die Tabelle bei Becker, Jews and Christians in Conflict (s. o. Anm. 15), 119. 25 Vgl. nur Rçm 1,29. 26 Vgl. SapSal 2,10.12.19, andererseits die Passionserzhlung. 27 Vgl. Hebr 11,31; 1Klem 12,1, dort wird sie fr den Glauben in Anspruch genommen.
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ousim ja· vq¸ssousim. Der unausgesprochene Nachsatz heißt: „Aber es hilft
ihnen nicht“. Hier wird eine Klrung im Streit um das Verhltnis von Glaube und Werken erreicht: Bloßes Fr-Wahr-Halten oder Aussprechen des Richtigen ohne die entsprechende Lebensfhrung bleibt wertlos. Die schon angesprochene ad hominem-Argumentation gehçrt in den Bereich der Polemik, die zur Invektive28 neigt. Es geht weniger um sachliche Auseinandersetzung als vielmehr um ethische Wertungen. Die schon erwhnte jeweils unvermittelt einsetzende Anrede aller Adressaten mit „du“ (2,11; 4,11 f ), „du leerer Mensch“ (2,20), „ihr“ (4,13), „ihr Ehebrecher“ (4,4), „ihr Wankelmtigen“ (4,8), „ihr Snder“ (4,8), „ihr Reichen“ (5,1) ist berwiegend aggressiv-destruktiv, da ihre Semantik ethisch negativ konnotiert ist. Der Jakobusbrief arbeitet mit einem semantischen Feld, aus dem sich ein polemisch-aggressives Inventar zusammenstellen lsst. Dies Inventar wird in unterschiedlicher Weise fr den polemischen Zweck eingesetzt. Beginnen wir mit den Metaphern, die in polemischer Funktion begegnen. „Die Zunge“ wird pOq genannt und als jºslor t/r !dij¸ar apostrophiert (3,6). Sie beschmutzt (spikoOm) den Kçrper und steht mit dem Hçllenfeuer im Zusammenhang (3,6). Bewertet wird sie als !jat²statom jajºm und enthlt „todbringendes Gift“. Die Aussagen sind um die beiden tragenden Metaphern „Feuer“ und „Gift“ komponiert. Feuer und Gift werden aber nicht polemisch auf falsche Lehren oder auf Gegner bezogen, sondern auf „die Zunge“, die metonymisch fr die Rede und die Lehre steht. Hinzu kommt die traditionelle Metapher „Rauch“ (!tl¸r) in 4,14. So bezeichnet der Verfasser die Kaufleute, die langfristige Plne ohne Gott machen. Neben die Metaphern treten die direkten oder indirekten Vorwrfe und Angriffe. Zum Inventar der direkten Angriffe gehçrt der Vorwurf: Atil²sate t¹m ptowºm, weiter der Vorwurf falschen Ruhmes: jauw÷she sowie die Kette von Vorwrfen in 5,5 f, die nicht nur den schon erwhnten Vorwurf des Mordes umfasst, sondern auch die Anklagen, die der unmoralischen Lebensfhrung gelten: „Ihr habt den Lohn vorenthalten, ihr habt geschwelgt und geschlemmt“. Diese zunchst nur moralischen Anschuldigungen erhalten in 5,5b eine plçtzliche tçdliche Wende, die auf den Mordvorwurf vorbereitet, wenn die opulente Ernhrung (tq´veim) mit der Metapher vom Schlachttag aus Jer 12,3 verbunden wird, so dass der Eindruck des furcht28 V. 5 nimmt die Drohung von V. 3 auf. Dort wird den Reichen prophezeit: „Der Rost wird euer Fleisch fressen wie Feuer“. Beides verhlt sich nach dem Muster der talio zueinander.
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baren Vorwurfs der Anthropophagie29 anklingt. Zu dieser Kette schwerster sozialer Anklagen und Drohungen kommen die schon genannten am Dekalog orientierten allgemeinen Anklagen aus Kapitel 4: 1pihule?te, vome¼ete ja· fgkoOte sowie l²weshe ja· pokele?te30. Das semantische polemische Profil ist deutlich: schwere soziale und ethische Vorwrfe, die vor allem aus den weisheitlichen und prophetischen Schriften bekannt sind, untersttzen ex negativo die Parnese. Hier ist keine Gegnerpolemik zu erkennen, der Verfasser schrft auch nicht sein eigenes Profil oder sucht nach einer Identitt in Absetzung gegenber anderen Gruppen, sondern er klagt ethische und soziale Grundbel an, um dadurch die jaimμ !mastqov¶ seines Auditoriums zu befçrdern. Einen eigenen Akzent setzt der Jakobusbrief mit der scharfen Sachpolemik gegen Streit. Welche Lehren hier gemeint sind und um welche Lehrer (3,1) es gehen kçnnte, lsst der Verfasser offen. Diese Unklarheit dient seiner eigenen Position und Argumentation. Er ist der – einzige – did²sjakor seiner „Brder“, der die richtige !mastqov¶ als Inhalt von sov¸a und 1pist¶lg (3,13) lehrt und mit seiner Parnese das Ideal des t´keior !m¶q, der kºcor und s_la regiert, befçrdert (3,2).
5. Theologische Themen der Polemik Das bisher gezeichnete Bild lsst sich fr den ganzen Brief plausibel machen – mit einer wichtigen Ausnahme: der Belehrung ber das Verhltnis von p¸stir und 5qca in 2,24 – 26. Die bisher zu diesem Text gemachten Beobachtungen reichen denn auch noch nicht aus, um die Vermutung, es liege im Jakobusbrief keine wirkliche Gegnerpolemik vor, hinreichend zu sttzen. Die Mehrheit der Exegeten sieht in 2,14 – 26 eine polemische Front, einen umstrittenen theologischen Gegenstand und eine polemische Strategie. Aber wer ist der Gegner, um welchen Gegenstand handelt es sich, und wie verlaufen die Fronten? Diese Fragen werden seit Luthers scharfer Gegenberstellung von Paulusbriefen und Jakobusbrief 31 in immer neuen Vari29 Zum Vorwurf der Anthropophagie vgl. zuletzt van der Horst, De Mythe van het joodse Kannibalisme, http://www.trouw.nl/redactie/pdf/afscheidscoll.pdf (27/3/ 2008). Ausfhrlich: Bickerman, Ritualmord und Eselskult. 30 Es handelt sich um stereotype Vorwrfe, die an der zweiten Dekalogreihe und an den Lasterkatalogen orientiert sind und sich entsprechend in Rçm 1 – 3 und Rçm 7 finden (dort ebenfalls die Eigenstellung der 1pihul¸a). Vgl. auch 3,14 f/kor und 1qihe¸a als Laster. 31 WA.DB 7,384 und WA.TR 3,253, Nr. 3292a.
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anten verhandelt. Ich greife aus der immensen Literatur vier besonders profilierte Beitrge heraus. Martin Hengel hat in seinem ebenso khnen wie brillanten Aufsatz von 198732 einen einheitlichen Interpretationsversuch des Jakobusbriefes unternommen, der diesen Brief in allen Einzelheiten von der Polemik des Herrenbruders gegen den Heidenapostel nach dessen Gefangennahme bestimmt sein lsst. Fr Hengel ist der Brief eine große Abrechnung mit Paulus. Jakobus wende sich nicht nur gegen das paulinische Glaubensverstndnis, sondern auch gegen die Missionskonzeption des Paulus, die eine zu starke Nhe zu einflussreichen Gemeindegliedern zeige: daher die scharfe Polemik gegen die Reichen. Hengel diagnostiziert im gesamten Jakobusbrief „zahlreiche Polemiken“33. Er markiert die „kompromißlose Schroffheit“, die „Einseitigkeit und Hrte des Schreibens“34. Er bezeichnet den Brief – mit gebotener Vorsicht – als „ein Meisterstck frhchristlicher Polemik“35 und ordnet diese Polemik in die Geschichte des Urchristentums ein: „Der Polemik des Paulus in Gal gegen die Judaisten und in 2Kor gegen die aus Palstina stammenden Sendboten der Petrusmission [?] tritt innerhalb des neutestamentlichen Kanons ein ußerlich verdecktes Beispiel antipaulinischer Polemik gegenber“36. Hengel sieht im Jakobusbrief „antipaulinische Polemik […] in indirekter Form und ohne den Namen des Gegners zu nennen. Kritisiert werden sowohl die persçnliche Verhaltensweise wie auch theologische Anschauungen des Paulus, und zwar – das ist das besondere des Briefes – in einer,parnetisch’, allgemeingltig erscheinenden Weise, die den Brief auch fr die Gemeinden noch lesbar, verstndlich und – in gewissen Grenzen – ,erbaulich’ macht, die von der Auseinandersetzung mit Paulus nicht betroffen […] waren“37. Auch wenn ich Hengel weder bei seiner Autorenzuschreibung noch bei der Aufdeckung der Doppelstrategie von allgemeiner weisheitlicher Mahnrede und gleichzeitiger sehr spezieller gezielter antipaulinischer Polemik folgen mçchte38, macht sein Beitrag doch in besonders nachhaltiger Weise auf vier Gesichtspunkte aufmerksam: (1) Der Brief enthlt ein hohes polemisches Potential und eine deutliche polemische Strategie, die nicht nur in 2,24 – 26 zum Ausdruck kommt. 32 33 34 35 36 37 38
Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik. Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, 515. Ebd. Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, 525. Ebd. Ebd. Zum „Doppelcharakter“ des Briefes vgl. Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, 548.
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(2) Auf der anderen Seite verzichtet der Autor vollstndig darauf, Gegner zu benennen. (3) Der Brief ist unabhngig von seinem polemischen Potential in einem weisheitlich-parnetischen Stil verfasst. (4) Der Brief muss in einer plausiblen Weise in der Geschichte des Urchristentums verortet werden39.
Friedrich Avemarie ist 2001 in einer profunden Studie der alten Frage nachgegangen, wie „die Werke des Gesetzes“ im Jakobusbrief zu verstehen seien40. Er skizziert drei mçgliche Antworten: (1) Jak 2,14 – 26 ist antipaulinisch und richtet sich bewusst und absichtlich gegen die paulinische Rechtfertigungslehre. (2) Jak 2,14 – 26 argumentiert gegen einen „Pseudo-Paulinismus“ oder hat selbst Paulus missverstanden41. (3) Der Jakobusbrief kennt die Paulusbriefe gar nicht, argumentiert jedenfalls nicht gegen sie42.
Avemarie selbst argumentiert zugunsten von (1) und nimmt damit zugleich gegen die Paulusdeutung der new perspective Stellung – ein weiterer Aspekt, den ich hier aber nicht einbeziehe. Die von Avemarie klar benannten Positionen, die jeweils ,klassische’ Vertreter gefunden haben43, verhalten sich unterschiedlich zu dem Phnomen der Polemik in 2,14 – 26. Die antipaulinische Interpretation, zu der Avemarie selbst beitrgt, versteht die Passage polemisch im Sinne der Gegnerschaft: „Der Vergleich zwischen dem jakobeischen, dem von Jakobus kritisierten und dem paulinischen fçrdert nicht nur heftige Polemik zutage, sondern lsst dahinter eine durchaus scharfsichtige, grndliche Auseinandersetzung mit der paulinischen Soteriologie erkennen“44. Dabei geht Avemarie von der „Annahme einer relativ spten, pseudepigraphischen Schrift“45 aus. In diesem Modell gilt die Po39 Meiner Meinung nach ist die Verfasserschaft des Herrenbruders und damit eine Datierung zu Lebzeiten von Jakobus und Paulus auszuschließen. Damit muss der Brief der Zeit nach 70 n. Chr. zugeordnet werden. Vgl. dazu die ausfhrlichen berlegungen bei M. Konradt, „Jakobus, der Gerechte“. 40 Avemarie, Die Werke des Gesetzes im Spiegel des Jakobusbriefs (reiche Literaturangaben). Avemarie selbst vertritt die These vom Gegensatz zwischen ‘Werken des Gesetzes’ und paulinischer ‘Rechtfertigung aus Glauben’. 41 Vgl. die Lit. bei Avemarie, Die Werke des Gesetzes, 283, Anm. 5. 42 Vgl. die Lit. bei Avemarie, Die Werke des Gesetzes, 283 f., Anm. 6. 43 Vgl. die bei Avemarie, Die Werke des Gesetzes, 284 Anm. 7 genannten Exegeten: Dibelius, Der Brief des Jakobus, 168, und Lindemann, Paulus im ltesten Christentum. 44 Avemarie, Die Werke des Gesetzes, 299. 45 Avemarie, Die Werke des Gesetzes, 305, Anm. 89. Avemarie formuliert dies Urteil durchaus vorsichtig.
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lemik in 2,14 – 26 den Wirkungen der paulinischen Soteriologie, die der Verfasser des Jakobusbriefes fr falsch und schdlich hlt. Auch Avemarie hat mehrere Ergebnisse gewonnen, die ich festhalte: (1) Der Text 2,14 – 26 enthlt polemisches und theologisches Potential. (2) Dieser Text bezieht sich auf die entsprechenden Texte bei Paulus, vor allem auf Rçm 3,28 und 4,1 – 346. Avemarie macht sehr wahrscheinlich, dass der Verfasser den Galater- und den Rçmerbrief gekannt hat47. Ich mçchte hier allerdings noch offenlassen, ob die polemische Strategie des Verfassers sich wirklich gegen Paulus richtet.
Margaret M. Mitchell hat in einem hoch engagierten Aufsatz 2007 einen neuen Ansatz zur Verhltnisbestimmung von Paulus und „Jakobus“ erçffnet48. Sie unterscheidet zunchst sieben Positionen und fgt schließlich eine eigene achte hinzu:49 (1) Jakobus und Paulus sind unabhngig voneinander. (2) Paulus und Jakobus sind beide unabhngig voneinander Vertreter des hellenistischen Judentums50. (3) Der Jakobusbrief ist lter als die Paulusbriefe, Paulus schreibt im Galaterund im Rçmerbrief gegen Jakobus51. (4) Jakobus kannte die Paulusbriefe nicht, hatte aber Zutreffendes ber sie gehçrt. (5) Jakobus kannte die Paulusbriefe nicht und hatte Unzutreffendes ber Paulus gehçrt52. (6) Jakobus schreibt bewusst gegen Galater- und Rçmerbrief 53. (7) Jakobus schreibt bewusst gegen die Paulusbriefe, ohne sie richtig zu verstehen54.
Mitchell selbst geht davon aus, dass der Verfasser des Jakobusbriefes die Paulusbriefe kannte, daher kommen fr sie selbst nur die Positionen (6) und 46 Avemarie, Die Werke des Gesetzes, 293. 47 Beim Galaterbrief ist Avemarie vorsichtiger, vgl. die Auseinandersetzung mit Konradt, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief , bei Avemarie, Die Werke des Gesetzes, 290 – 293. 48 Mitchell, The Letter of James. 49 Mitchell, The Letter of James, 77 f. 50 Dies ist die Position von Bauckham, James, 127 – 131. Vgl. Johnson, The Letter of James; ders., Brother of Jesus Friend of God, 31. Mitchell weist darauf hin, dass diese Position historisch schwierig wird, wenn gleichzeitig Jakobus der Herrenbruder als Verfasser des Jakobusbriefes angenommen wird: „If the letter of James was written by the historical brother of the Lord, he and Paul did meet face to face“ (Mitchell, The Letter of James, 77, Anm. 8). 51 Position von J.B. Mayor, The Epistle of St. James, London 19133, XCII. 52 Belege bei Mitchell, The Letter of James, 77, Anm. 11. 53 Am deutlichsten bei Hengel, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik. 54 Hauptvertreter Dibelius, Der Brief des Jakobus.
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(7) in Frage. Nach Mitchell kannte der Verfasser des Jakobusbriefes aber auch den 1. Korintherbrief und bezog sich auf eine frhe Paulusbriefsammlung. Auf dieser Basis formuliert sie ihre eigene These: (8) „The author of the Letter of James knows some collection of Paul’s letters, and writes from within Paulinism (rather than in opposition to Paul), creating a compromise document which has as one of its purposes reconciling ‘Paul with Paul’ and ‘Paul with the pillars’“55.
Fr Mitchells These sind die Nachweise, der Verfasser des Jakobusbriefes habe den 1. Korintherbrief gekannt und eine Paulusbriefsammlung benutzt, sehr wichtig. Diesen beiden „propositions“56 kann ich hier wieder nur so weit nachgehen, wie es fr die Frage nach der Polemik im Jakobusbrief wichtig ist. Mitchell erçrtert die alte Frage nach der Einordnung des Jakobusbriefes in die urchristliche Theologiegeschichte nicht nur auf der Grundlage verschiedener theologischer Anstze, d. h. im Fadenkreuz ,jesuanischer’, ,paulinischer’ und ,frhkatholischer’ Konzepte, sondern vor dem Hintergrund der Entstehung der urchristlichen Literatur. Das macht ihre erste proposition deutlich: „The Epistle of James breathes the same air as Pauline Christianity, and this ,air’ constitutes a Pauline literary culture“57. Daraus folgt fr Mitchell: „This especially shows indebtedness to Paul, the first Christian letter writer who has set the movement on a literary path“58. Mitchell verbindet diese literaturgeschichtliche Zuordnung mit einer historischen bzw. theologiegeschichtlichen berlegung, wenn sie die „literary traditions of Gentile Christianity“ als „Paulinism“ definiert59. Dadurch rckt der Jakobusbrief literarisch und theologisch in den Zusammenhang des „Paulinismus“ der deutero- und tritopaulinischen Briefe, aber auch der Apostolischen Vter: 1.Klemens, Ignatiusbriefe, Polykarp von Smyrna, nicht zu vergessen den Verfasser der Apostelgeschichte.60 Wenn man diesem Ansatz Mitchells zustimmt, die Katholischen Briefe im Zusammenhang 55 Mitchell, The Letter of James, 79. 56 Mitchell, The Letter of James, 82. 57 Mitchell, The Letter of James, 83. Wichtig ist Mitchells kritische Auseinandersetzung mit der These der Jerusalemer Diasporabrief, vgl. dies., The Letter of James, 84, Anm. 33. 58 Ebd. Vgl. dazu auch Wischmeyer, O., Paulus als Autor, in: dies., Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufstze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frhjudentums und des Neuen Testaments, hg. von E.-M. Becker (WUNT 173), Tbingen 2004, 289 – 307. 59 Ebd. 60 Mitchell, The Letter of James, 95.
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einer durch Paulus geprgten literarischen Tradition zu lesen,61 bleibt die Frage, wie die Polemik in 2,14 – 26 zu bewerten sei. Mitchell stellt die khne Hypothese auf, der Verfasser des Jakobusbriefes greife auf die Spannungen zwischen Galaterbrief und 1. Korintherbrief zurck und pldiere fr eine Versçhnung dieser Spannungen eben im Sinn der „rhetoric of reconciliation“, die Mitchell schon im 1. Korintherbrief selbst findet62. Damit vertritt Mitchell (1) die literarische Bindung des Jakobusbriefes an die Paulus-Tradition (2) die konkrete Rckbeziehung von Jak 2,14 – 26 auf den Galaterbrief 63 und den Ersten Korintherbrief (3) die Rckbertragbarkeit der harmonisierenden Kirchenvterexegese zum Verhltnis zwischen Galater- und Jakobusbrief 64 auf den Jakobusbrief selbst.
Sie kommt zu dem Schlussurteil, der Jakobusbrief prsentiere „a theological formation that reconciles Paul with Paul and, implicitly, Paul with the ,pillars’“65. Fr die ,Versçhnung’ greife der Jakobusbrief auf den Ersten Korintherbrief zurck, die Versçhnung mit den ,Sulen’ erfolge durch die – pseudonyme – Verfasserangabe. Whrend die Argumente (1) und (2) gut begrndet sind und vor allem (1) eine entscheidende Weichenstellung in der Exegese des Jakobusbriefes bedeutet, stellt sich zu (3) die Frage, was sich dieser Argumentation fr die Polemik im Jakobusbrief entnehmen lsst. Hier bleiben die Ergebnisse zunchst eher vage. Zwar bezieht sich nach Mitchell 2,14 – 26 auf den Galaterbrief, aber Mitchell thematisiert nicht die antipaulinische Polemik in Jak 2, sondern die Versçhnung der paulinischen Position zur p¸stir mit seinen ethischen Positionen, wie es spter Pelagius tun sollte, wenn er Rçm 3,28; Gal 2,16 und 1Kor 13,2 ,versçhnt’ und fr diese ,Versçhnung’ eben auf Jak 2,26 hinweist66. Bei dieser Interpretation wird der polemische Text in Jak
61 Mitchell, The Letter of James, 87 mit Anm. 46: Verweis auf Gamble, Books and readers in the Early Church, 198; vgl. auch Gamble, The Pauline Corpus and the Early Christian Book, 265 – 280. 62 Siehe Mitchell, The Letter of James, 98. Dazu Mitchell, Paul and the Rhetoric of Reconcitiation. 63 Siehe die evidente Zusammenstellung der Argumente bei Mitchell, The Letter of James, 89. 64 Vgl. die Beispiele von Johannes Chrysostomos und Pelagius bei Mitchell, The Letter of James, 93 – 95. 65 Mitchell, The Letter of James, 98. 66 Nachweis bei Mitchell, The Letter of James, 94 f. mit Anm. 76.
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2 zum irenischen Text67 – ganz im Gegensatz zu der Einschtzung bei Hengel und Avemarie, die beide von unterschiedlichen Voraussetzungen her Jak 2 als polemischen Text lesen. Hat Margaret Mitchell hier etwas bersehen, oder hat sie – im Gegenteil – die Exegese auf eine neue Mçglichkeit, Jak 2 zu interpretieren, hingewiesen? Zur Klrung dieser Frage kçnnen berlegungen von Richard Bauckham weiterfhren. Bauckham ußert sich in seinem Jakobuskommentar sehr detailliert zum literarischen Stil des Briefes68. Er ordnet 2,14 – 26 (genauer: 2,18 – 23) dem Diatribenstil zu, den ich eingangs schon angesprochen habe. Er weist mit Stowers und Malherbe69 darauf hin, dass „the ancient diatribe was not a literary genre […] but a style or ,mode’ of exhortation […] which characteristically employs a number of literary forms […] There is much direct address to the audience […] Particularly characteristic is simulated dialogue with imagenary interlocutors, whose objections are anticipated or quoted, and to whom the writer directs apostrophes or responses in the second person singular“70. Fr den Jakobusbrief gilt: „In James diatribal style appears most clearly in the dialogue with an imaginary interlocutor in 2:18 – 23“71. Diese richtige Beobachtung wirft nun Licht auf die Art der Polemik in Jak 2. Bauckham findet nmlich in Jak 2 nicht Polemik, sondern Diatribe: „It is important to note that in the diatribal style the sharp tone is not polemical and the interlocutor is not treated as an opponent“72. Schließt man sich diesem Urteil an, wird die These von Margaret Mitchell plausibel, und die Frage nach der polemischen Front bzw. dem ,Gegner’ in Jak 2 wre gegenstandslos geworden. Damit wrde zugleich die „lutherisch“ gefrbte polemische Textinterpretation hinfllig. Ich mçchte Bauckhams Hinweis auf die Diatribe ernstnehmen, allerdings ohne den Gegensatz zwischen Diatribe und Polemik so stark zuzuspitzen wie Bauckham. Richtig ist, dass 67 Vgl. Auch die – ganz anders begrndete – irenische Interpretation Bauckhams, James, und die Rezension von Goodacre, Review of Richard Bauckham, James (vgl. Mitchell, The Letter of James, 83, Anm. 31). 68 Bauckham, James, 57 – 60. – Ich stimme nicht mit Bauckhams historischer Situierung des Jakobusbriefes berein: (1) Der Jakobusbrief ist ein Rundschreiben des Herrenbruders an die Diasporajuden, die Jesus als Messias verehrten (so Bauckham, James, 16). (2) Paulus und Jakobus sind beide von der frhjdischen Weisheit geprgt, und ihre Differenzen sind nicht derart grundlegend, wie die lutherisch geprgte Exegese (vgl. Hengel und Avemarie) annimmt. 69 Malherbe, Moral exhortation. Vgl. auch Stowers, The Diatribe and Paul’s Letter to the Romans; ders., The Diatribe. 70 Bauckham, James, 57 f. 71 Bauckham, James, 58. 72 Ebd. mit Berufung auf Stowers.
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die Diatribe nicht so konsequent themenbezogen argumentiert, wie es im Zusammenhang sachlicher Polemik angebracht ist. Aber zur Diatribe gehçren auch polemische Stilzge, so dass der Gegensatz, den Bauckham konstruiert, berzogen ist und letztlich die irenische Interpretation Margaret Mitchells nicht sttzen kann. Die polemischen Zge im Jakobusbrief lassen sich nicht mit dem Hinweis auf die Diatribe in irenische Strategien verwandeln.
6. Ergebnisse Wenn wir den Jakobusbrief von der literarischen ,mode’ der Diatribe her erschließen, wie es in besonders berzeugender Form Richard Bauckham vorschlgt, den Brief gleichzeitig aber – sehr anders als Bauckham – mit Margaret Mitchell in den literarischen Zusammenhang einer frhen Paulusbriefsammlung und damit eines literarischen ,Paulinismus’ stellen, erschließt sich die Funktion der Polemik, deren Merkmale Hengel und Avemarie wiederum in ganz unterschiedlichen historischen und sachlichen Interpretationsvorschlgen plausibel gemacht haben und die ich in diesem Beitrag noch einmal diskutiert habe, in einer neuen Weise. Zunchst lassen sich einige allgemeine Ergebnisse festhalten: (1) Der Brief lsst sich nicht einfach als irenisch beschreiben (gegen Mitchell), auch wenn der Verfasser selbst letztlich eine solche Absicht im Sinne einer allgemeinen Parnese, die fr alle Brder gelten konnte, verfolgte (so auch Hengel mit seiner These der Doppelstrategie, die eine irenische Oberflche einschließt). Aber die polemischen Stilzge lassen sich nicht bersehen (Hengel und Avemarie). (2) Kapitel 2 wendet sich deutlich gegen theologische Positionen, die von Paulus vertreten wurden und die wir nur von Paulus her kennen (Avemarie), die aber in einseitiger und vergrçbernder, ja karikierender Form wiedergegeben werden. Der Bezug auf den Galaterbrief (Mitchell) und den Rçmerbrief (Avemarie) ist vielfach demonstriert worden und sollte als solcher nicht bestritten werden. (3) Die Differenzierung in ,verstandene Paulusposition’ und ,missverstandene Paulusposition’ ist angesichts der Vergrçberung in Jak 2 nicht durchzufhren. Außerdem muss gefragt werden: Welcher frhchristliche Schriftsteller hat Paulus „verstanden“, und was heißt das berhaupt? Die Dokumente des „Paulinismus“ interpretieren Paulus, sie exegesieren ihn nicht. (4) Die Art der Bezugnahme auf paulinische Positionen ist nicht personalpolemisch im Sinne der Gegnerschaft zu Paulus (gegen Hengel) zu verstehen Sie ist zweitens auch nicht sachlich-polemisch gegen das Fundament
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paulinischer Theologie gerichtet (gegen Avemarie).73 Ihr Gegenstand ist also nicht die paulinische Rechtfertigungslehre. Sie lsst sich aber drittens auch nicht intentional als irenisch im Sinne einer Vermittlung zwischen verschiedenen paulinischen Positionen einerseits und paulinischen und jakobischen Positionen andererseits interpretieren (gegen Mitchell).74 (5) Vielmehr wird im Ton der Diatribe (Bauckham) der ethische Grundsatz des Verfassers: „Glaube ohne Werke ist tot“ durchgespielt. Der Satz gehçrt in der Tat in die Paulusrezeption (Mitchell), und zwar im Sinne einer sachlichen Korrektur einer Paulusdeutung, die ethisch defizient ist oder als ethisch defizient wahrgenommen wird. Wir kennen aber aus den deuteround tritopaulinischen Schriften keine derartige Paulusinterpretation bzw. -reduktion (hçchstens der 1. Korintherbrief kçnnte Hinweise auf Gemeindegruppierungen geben, die ein ethisches Defizit haben, das aber gerade von Paulus selbst angegriffen wird und daher nicht als „paulinisch“ verstanden werden kann). Die deutero- und tritopaulinischen Briefe arbeiten im Gegenteil die Ethik stark aus. Das spricht dafr, dass der Verfasser des Jakobusbriefes seine berzeugung, Glaube sei ohne Werke tot, in ein denkbar einfaches theologisches Szenario gebracht hat, dessen Koordinaten von Paulus stammen. Das Niveau des Satzes entbehrt jeder reflektierten Vertiefung und jeder intendierten Bezugnahme auf paulinische Positionen. Es gehçrt in die ,christliche Schule’ – wie auch immer wir sie fr diese Zeit rekonstruieren wollen. Die Polemik im Zusammenhang mit diesem Satz dient der ethischen Klrung.
Das so gewonnene Bild lsst sich nun noch in mehrfacher Hinsicht konturieren und modifizieren. Denn mag mit Mitchell der Jakobusbrief in seiner literarischen Form dem vielgestaltigen Phnomen des Paulinismus zuzurechnen sein, so haben wir es eben doch mit einer Schrift zu tun, die die Autoritt des Jakobus fr sich in Anspruch nimmt. Damit wird zugleich eine historische Distanz zu Paulus geschaffen. Das Pseudonym gibt, wie eingangs bereits festgestellt, den Ausfhrungen eine besondere Autoritt und verschafft gerade der Polemik in Kapitel 2 eine sachlich-polemische Note, auch wenn die Stilanalyse Bauckhams bercksichtigt wird. Nun tritt Jakobus nicht als Herrenbruder oder als „Sule“ auf, sondern ausschließlich als Lehrer. Das macht Mitchells These, der Brief diene der Versçhnung des Paulus mit den pillars, unwahrscheinlicher. Der Gestus des Lehrers verbindet den Verfasser des Jakobusbriefes dagegen mit Jesus Sirach, aber anders als der frhjdische Weisheitslehrer belehrt er nicht die Jugend Jerusalems75, son73 Wenn man die Stze des Jakobusbriefes sachlich-theologisch weiterdenkt, kann man in der Tat hier einen Angriff auf Paulus verstehen, wie Luther es tat. Die historischkontextuelle Exegese kommt zu einem anderen Ergebnis. 74 Auch hier gilt aber, dass faktisch die Position des Jakobusbriefes von den Kirchenschriftstellern als Vermittlungsposition interpretiert wurde. 75 Vgl. dazu Wischmeyer, Die Kultur des Buches Jesus Sirach, 174 – 200.
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dern „die Brder“der „zwçlf Stmme in der Diaspora“. Sein Schreiben ist im Unterschied zu Jesus Sirach keine Schullektre, wie Bauckhams Stilanalyse insinuieren kçnnte, sondern eben im literarischen Gestus des Paulus verfasst, wie Mitchell nachgewiesen hat. Der Verfasser unterrichtet weder Jugendliche noch Neophyten, sondern entwirft eine Gesamt-Ethik fr die „Brder“. Der Jakobusbrief geht dabei durchaus ber die Paulusbriefe hinaus. Er hat einen çkumenischen Radius und schafft sich – wie die katholischen Briefe und der Hebrerbrief – eine allgemeine Leser- bzw. Hçrerschaft, nicht einen classroom. Nun ist, wie schon mehrfach angesprochen, nicht die Entwicklung einer eigenen Theologie – etwa in argumentativer polemischer und apologetischer Auseinandersetzung mit Paulus – das Thema des Schreibens. Im Gegenteil: Thema des Lehrschreibens des Jakobus ist die Ethik, die sich auf zwei klassische Bereiche konzentriert, auf die Ethik des Wortes oder der Rede und auf die Ethik der Tat oder der Werke76. Die Adressaten sollen „Tter des Wortes, nicht Hçrer allein“ sein, wie der Verfasser programmatisch formuliert. Die Polemik des Briefes, die zum Teil sehr scharf ist, gilt dementsprechend der richtigen Modellierung der Ethik, nicht der theologischen Auseinandersetzung mit gegnerischen Fronten. Fronten sind vorhanden, aber die Front ist das Bçse oder der Satan, nicht Paulus. Auch 2,14 – 26 steht im Zusammenhang der Modellierung der Ethik, die der Verfasser lehrt. Zu dieser Ethik gehçrt als zentrales Thema die Sprachethik oder die Ethik des sorgfltigen Sprechens (3,2)77. Der Verfasser hat nur zwei explizite Fronten: gegen die vielen Lehrer und gegen die Reichen. Er warnt vor den did²sjakoi, vor dem falschen Sprechen und vor der Zunge (Kap. 3). Jede Art von Streit erscheint ihm sndig (3,13 – 4,6). Die schrfste Polemik richtet sich gegen die Zunge. William Baker und Richard Bauckham haben beide mit Recht die Sprachethik ins Zentrum ihrer Interpretation des Jakobusbriefes gerckt78. Der Jakobusbrief ist in der Tat, wie Margaret Mitchell zeigen mçchte, von seinem literarischen und theologischen Ansatz her das Dokument eines versçhnlichen Post-Paulinismus. Damit ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn gleichzeitig stellt der Jakobusbrief in seiner literarischen Strategie das Dokument eines tiefen Misstrauens, ja einer generellen und unversçhnlichen Ablehnung von Lehrern, Schulen und theologischen Positionierungen dar, die der Verfasser alle fr ethisch ge76 Vgl. auch Bauckham, James, 60, zum Problem von „moral inconsistency“, wie Stowers es nennt. 77 Vgl. zur Rede besonders Baker, Speech-Ethics in the Epistle of James. 78 Bauckham, James, 203 – 205; Baker, Speech-Ethics in the Epistle of James, 99.
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fhrlich hlt79. So ist paradoxer Weise seine schrfste Polemik gerade dem Thema der Vermeidung von Streit gewidmet. Seine irenische und antitheologische Grundhaltung manifestiert sich in der literarischen Strategie schrfster Polemik, die ihn erstaunlich nahe an Paulus heranfhrt. Aber der Gegenstand dieser Polemik ist bei Paulus theologischer Art: die Gefahr falscher Theologie, im Jakobusbrief dagegen ethisch modelliert: die Gefahr der Zunge und des Reichtums. Ist Paulus in Bezug auf die Entwicklung von Theologie zugleich progressiv, dynamisch und polemisch um die Herausarbeitung des richtigen Argumentes in der Auseinandersetzung mit Konkurrenten, um die Konturierung der eigenen Identitt und um die Entwicklung der richtigen Theologie in den Gemeinden bemht, so pldiert der Verfasser des Jakobusbriefes fr einen theologischen und sozialen Stillstand – der faktisch ein Rckschritt gewesen wre – in den Gemeinden zugunsten einer der dialektischen Entwicklung enthobenen Weisheit, die sich in individuell und sozial verantwortlichem Handeln und Verhalten manifestiert. Diese Intention fgt sich dann wieder in die Tendenzen des sog. Frhkatholizismus ein, die Margaret Mitchell skizziert. Die hier vorgeschlagene Analyse der Polemik im Jakobusbrief gewinnt an Plausibilitt, wenn ein letzter Aspekt der Polemik angesprochen wird, der in der Exegese des Jakobusbriefes bisher, soweit ich sehe, keine Rolle gespielt hat: die Angst als Indikator. Die ethische Unterweisung des Verfassers des Jakobusbriefes wird von der Angst vor Wohlstand und Reichtum einerseits und vor divergierenden Lehrern und Lehren bzw. Theologien andererseits bestimmt, d. h. von der Angst vor Entwicklungsschben in den entstehenden christlichen Gemeinden. Diese Angst manifestiert sich in den ,schwarzen‘ Zgen der Polemik im Jakobusbrief, die nicht bersehen werden drfen: den wilden Vorwrfen gegen die „Zunge“ und dem bis an die Grenzen der Anthropophagie zugespitzten Mordvorwurf gegen die „Reichen“. Mag es sich dabei stilistisch geschehen um literarische Elemente der Diatribe handeln, so wird die Polemik im Jakobusbrief doch von einer Angst getrieben, die ernst zu nehmen ist, da sie religiçse Zge hat: Teufel, Dmonen, die letzten Tage und das Hçllenfeuer bilden das Szenario, das am Horizont der Parnese lauert. Es geht bei der Polemik im Jakobusbrief nicht nur um Schulbungen im Zusammenhang der Diatribe, sondern um eine im Ton mehrfach verzweifelte Warnung der Gemeinden vor Vernderungen im Sozialaufbau und in der Intellektualitt im Fadenkreuz der Unterscheidung von Gut und Bçse. 79 Vgl. die hnliche Position der Donatisten in der Auseinandersetzung mit Augustinus (dazu der Beitrag von L. Scornaienchi in diesem Band).
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Jesus als Polemiker oder: Wie polemisch darf Jesus sein? Historische und normative Aspekte Lorenzo Scornaienchi 1. Ein Einstieg: Jesus „dialecticus“ Si illos dixeris fuisse dialecticos, quia dolose, quia calumniose, quia malitiose interrogando in verbo capere cupiebant (tales enim etiam nos vultis videri); cur eis tamen Dominus respondit? Cur eos usque ad veritatis confessionem reddita ratione perduxit? Cur eis dixit, Quid me tentatis, hypocritae (Mt 22,15 – 21)? et non addidit, Dialectici? Cur sibi nummum demonstrari flagitavit, ut sententiam suam veracem exprimeret etiam de ore fallacium, ac non potius ait, Abscedite; neque enim loquendum est vobiscum, qui captiosas interrogationes proponitis, qui dialectice mecum agere vultis? Nihil tale dixit, nec adversus captiosos interrogatores, et verborum nostrorum callidos captatores exemplum tale nobis proposuit: sed ut eos potius etiam veritatis inimicos vigilanti interrogatione et invicta ratione testimonium veritati perhibere cogamus. Hoc nobis faciant vestri, si nos malitiosi et dialectici sumus. An se timere indicant, ne hoc eis nos potius faciamus? […] Si autem Christum dixeris dialecticum, laudabis dialecticam, quam mihi pro crimine obieceras. 1 „Wenn du sie (nmlich die Gegner Jesu) Dialektiker nennst, weil sie trgerisch, arglistig und bçsartig durch das Fragen Jesus im Wort fangen wollten, (du willst beweisen, dass wir auch so sind) warum antwortet ihnen dann der Herr? Warum sagte er ihnen: Weshalb versucht ihr mich, Heuchler (und fgt nicht „Dialektiker“ hinzu)? Warum forderte er, sie sollten ihm eine Mnze zeigen, um seine wahre Aussage sogar durch den Mund der Falschen auszusprechen, und sagte nicht eher: „Geht weg, denn es gibt nichts mit euch zu sprechen, weil ihr eine betrgerische Frage gestellt habt, weil ihr mit mir dialektisch umgehen wollt?“ Nichts derartiges hat er gesagt, noch hat er uns ein solches exemplum gegen verfngliche Frager und gescheite Haschende unserer Worte gegeben. Im Gegenteil will er, dass wir die Feinde der Wahrheit durch vorsichtige Befragung und unbesiegbare Argumentation zur Bezeugung der Wahrheit zwingen. Eure Anhnger sollen dies mit uns tun, wenn wir bçsartige Dialektiker sind. Aber zeigen sie vielleicht Furcht, dass wir mit ihnen dies besser machen? Wenn du Christus Dialektiker nennst, lobst du die Dialektik, die du mir als Verbrechen vorwirfst“.
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Augustinus, Contra Cresconium 1,17,22.
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Dieser Passus aus dem antidonatistischen Traktat des Augustinus ,Contra Cresconium‘ handelt von der grundstzlichen Frage, ob Streiten fr einen Christen angemessen sei. Die Diskussion dieser Frage umfasst das ganze erste Buch vor der Erçrterung der Taufe, des eigentlichen Themas der Debatte mit den Donatisten. Der Grammatiker Cresconius2 stellt die Anwendung der artes liberales 3 und insbesondere der Dialektik, die ein Erbe der paganen Welt und als solche den Christen fremd sei, fr die Erçrterung des Themas in Frage. Vor allem wird die Dialektik, die Augustin peritia disputandi 4 nennt, von den donatistischen Bischçfen als verdchtig betrachtet, da sie nicht der Wahrheit diene, sondern nur Streit und Feindschaft stifte. Die Donatisten wollen deshalb nicht in theologische Debatten verwickelt werden und Theologen, die dialektisch argumentieren, sogar meiden. Dialektik wird hier von Cresconius negativ verstanden und trifft sich etwa mit der heutigen Auffassung von Polemik, denn ein Dialektiker ist jemand, der „trgerisch, arglistig und bçsartig“ argumentiert.5 Augustin betont, im Gegensatz dazu, die wichtige Funktion der Dialektik, um die Wahrheit zu erlangen, und rechtfertigt vor allem ihre Anwendung im theologischen Diskurs, indem er Beispiele aus dem Neuen Testament anfhrt. Paulus war ein dialecticus und ein disputator. 6 Er debattierte gegen Stoiker und Epikureer. Apollos wird in 2 3
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Vgl. Kriegsbaum, Art. Cresconius, 494. Die Diskussion ber die Anwendung der Grammatik und der Rhetorik und die Frage nach der Beziehung der christlichen Theologie zu der antiken Bildung wird von Weissengruber, Augustins Wertung von Grammatik und Rhetorik im Traktat Contra Cresconium, 104 – 124, gefhrt. Augustin betrachtet nach Weissengruber diese Disziplinen als einen Schatz, der mit dem Schatz verglichen werden kann, den die Juden aus gypten mitgenommen haben. Weissengruber behandelt ausschließlich diesen kulturellen Aspekt, die Konfrontation der christlichen Welt mit der heidnischen Erbschaft. Die Rhetorik und die Dialektik stellen aber noch die weitere ethische Frage nach der Fiktion, dem Betrug und der Aggression durch die Sprache. Dieser Aspekt ist fr diesen Aufsatz sehr wichtig. Contra Cresconium 1,13,13. Contra Cresconium 1,13,16 „ideo me doctores vestri velut hominem dialecticum merito fugiendum potius et cavendum quam refellendum revicendumque censuerint“. Die Bezeichnung „homo dialecticus“ hatte vermutlich im damaligen Gebrauch eine pejorative Bedeutung etwa wie heute Polemiker. Vgl. A.C. De Veer, Notes complmentaires zu Contra Cresconium 1,3, 745: „Il est vident, en effect, que si Cresconius reprochait Augustin d’Þtre un ,homo dialecticus‘, il donnait ce mot un sens pjoratif universellement accept dans l’Antiquit et qui ne visait pas l’usage de la dialectique honnÞte, mais son abus.“ Contra Cresconium 1,14,17, Augustin unterscheidet zwischen disputator (anscheinend nicht negativ konnotiert) und dialecticus. Die Termini sind Synonyme, und Augustin betont mit ironischer Unterstellung: „puto iam quod apostolum
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der Apostelgeschichte als Redner (dictor) prsentiert. Und vor allem war Jesus ein Dialektiker, weil er Debatten mit den Juden fhrte und ihre Fragen beantwortete. Nach Augustinus ist die Dialektik sogar Gott nicht fremd, weil er die Menschen zum Disputieren ruft, wie man feststellen kann, wenn man den griechischen Text von Jes 1,18 liest.7 Der Augustinus-Text gibt uns nicht nur einen Einblick in die christlichen Diskussionen der Sptantike. Es vermittelt darber hinaus methodische Einsichten, die fr die Frage nach dem polemischen Profil Jesu wichtig sind: (1) Erstens zeigt sich, dass in der christlichen Kirche schon sehr frh die Frage nach angemessenem Sprechen eine Rolle gespielt hat und dass in diesem Zusammenhang immer wieder die Kontinuitt zwischen dem Beispiel Jesu und dem Verhalten der Christen thematisiert wurde. Die Frage, wie Jesus sich konkret verhalten habe, war fr die Christen selbst maßgebend, aber auch fr die Außenstehenden, die in Jesus den Grnder und Reprsentanten der ganzen christlichen Bewegung sahen, ihn zunchst aber als Gekreuzigten und damit als politischen Rebell oder als Verbrecher wahrnahmen, d. h. als eine Person, die kein Interesse erwecken konnte oder sogar verachtet wurde. Die Frage, ob Jesus ein Polemiker war, hat zugleich noch weitere Konsequenzen. Sie zwingt zu der Klrung, gegen wen er polemisch argumentierte und in welchem Zusammenhang diese Polemik stand. (2) Zweitens wirft Augustinus eine wichtige normative Frage auf. Polemik (wie fr Cresconius die „Dialektik“) ist ein tendenziell eher negativ besetzter Begriff, der oft als Synonym fr aggressives und unsachliches Sprechen betrachtet wird. Es ist auch in der Gegenwart nicht leicht, Jesus als Polemiker zu definieren, ohne in Konflikt mit christlichen Jesusbildern zu geraten, weil der Begriff „Polemiker“ weitgehend negativ besetzt ist. Augustin verteidigte seine Bildung und seine Strategie, theologisch zu argumentieren und gegen die falschen theologischen Lehren zu kmpfen, indem er eine konstruktive Form der Dialektik annahm, die zur Wahrheit fhrt. Theologische Auseinandersetzungen gab es, so will Augustin sagen, von Anfang an, weil sich in diesen Auseinandersetzungen die Wahrheit behauptet. Die Alternative wre eine skeptische Vermeidung jeder Ausein-
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disputatorem non neges, etiamsi dialecticum neges. Inprobare ergo in vocabulo Graeco, quod adprobare cogeris in Latino, quid est aliud quam indoctis praetentare fallaciam, doctis facere iniuriam?“ Contra Cresconium 1,14,18. Augustin zitiert den lateinischen Text „venite, disputemus, dicit dominus“ verweist aber auf den griechischen Text, bei dem das Verb diak´colai benutzt wird: ja· deOte ja· diekecwh_lem k´cei j¼qior.
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andersetzung, die zu bloßem Relativismus fhren wrde. Behauptet man mit Augustin eine konstruktive Spielart der Polemik, dann stellt sich gleichzeitig die normative Frage nach den Grenzen zwischen einer konstruktiven und einer destruktiven Debatte. In dieser Frage ist die Position Augustins gegenber den Donatisten, die jede Form von Auseinandersetzung scheuten, relativ einfach. Jesus ist das Modell dieser dialektischen Debatte, weil er keine falschen Argumente benutzt und keine sophistische Haltung hat, wie sie im Gegenteil bei seinen Gegnern zu erkennen ist. (3) Drittens benutzt Augustin die Streitgesprche als Beispiel, um Jesus als Dialektiker zu definieren, der sich mit seinen Gegnern in einen Dialog einlsst. Die Evangelien entwerfen aber ein differenzierteres Bild des streitenden Jesus, der einerseits seine Gesprchspartner mit den Mitteln der Invektive anspricht und andererseits ein nicht-aggressives Sprechen vorschreibt. Eine kritisch-exegetische Untersuchung der Evangelientexte wird hier sehr viel vorsichtiger argumentieren mssen als Augustinus.
2. Definition der Polemik und die Frage ihrer Normierung Bereits Augustins Unterscheidung von „Sophisten“, die er mit Pharisern und Schriftgelehrten gleichsetzt, und „Dialektikern“ wie Jesus und Paulus beruht auf einer normativen Ordnung des polemischen Verfahrens. Die Auseinandersetzung mit Cresconius zeigt nmlich zwei verschiedene Auffassungen von „Dialektik“, die aus einer metatheoretischen Diskussion hervorgehen: eine aggress