Londondichtung als Politik: Texte und Kontexte der 'City Poetry' von der Restauration bis zum Ende der Walpole-Ära 9783110940671, 9783484421288

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Londondichtung als Politik: Texte und Kontexte der 'City Poetry' von der Restauration bis zum Ende der Walpole-Ära
 9783110940671, 9783484421288

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Zur Quellenlage der Londondichtung und zur Methode der Arbeit
2. London in der Restaurationszeit: Die sechziger Jahre
3. London im royalistischen After the Fire-Gedicht
4. London im nonkonformistischen After The Fire-Gedicht
5. London in der Restaurationszeit: Die siebziger Jahre
6. Die Londondichtung der siebziger Jahre
7. London in der Restaurationszeit: Die achtziger Jahre
8. Die großen kontroversen Londongedichte der frühen achtziger Jahre
9. Vom Quo Warranto bis zur Annullierung von Londons Charter
10. Die entrechtete City im torystischen Londongedicht
11. Die entrechtete City im whiggistischen Londongedicht
12. Modifikationen des torystischen und whiggistischen Gedichtstypus im letzten Jahrfünft der Restaurationsepoche
13. Augusta Triumphans: Das Hohelied auf London in den Jahrzehnten nach der Glorreichen Revolution
14. The Devoted Town: Parodistische und satirische Londongedichte aus den Jahrzehnten nach der Glorreichen Revolution
15. Der Abgesang des whiggistischen Londonenkomiums in den späten dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts
16. Das Nebeneinander whiggistischer und torystischer Londonbilder in James Thomsons The Seasons
Exkurs zum Act for the Rebuilding of the City of London (1667)
Bibliographie
Namensregister
Sachregister

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BUCHREIHE DER ANGLIA ZEITSCHRIFT FÜR ENGLISCHE PHILOLOGIE Herausgegeben von Helmut Gneuss, Hans Käsmann, Erwin Wolff und Theodor Wolpers 28. Band

MICHAEL GASSENMEIER

LONDONDICHTUNG ALS POLITIK Texte und Kontexte der City Poetry von der Restauration bis zum Ende der Walpole-Ära

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1989

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Mannheim gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Gassenmeier, Michael Londondichtung als Politik : Texte und Kontexte der City Poetry von der Restauration bis zum Ende der Walpole-Ära / Michael Gassenmeier. Tübingen : Niemeyer, 1989 (Buchreihe der Anglia, Zeitschrift für englische Philologie ; Bd. 28) N E : Anglia / Buchreihe ISBN 3-484 42128-2

ISSN 0340-5435

© Max Niemeyer Verlag Tübingen Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz: Typographische Werkstätte Mang, Ammerbuch 4 Druck: Guide Druck G m b H , Tübingen Bindearbeiten: Heinrich Koch, Tübingen

Vorwort Londondichtung als Politik ist die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die ich im April 1985 bei der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität Mannheim eingereicht habe. Die Arbeit über eine in Vergessenheit geratene literarischpolitische Debatte verdankt Herrn Professor Hermann Fischer (Mannheim) mehr als die in vergleichbaren acknowledgements üblicherweise vermerkte Anregung und Förderung. Sie ist nachgerade das Produkt einer langen, nicht selten kontroversen Debatte, die mir unvergessen bleiben wird, der ich entscheidende Erfahrungen und Einsichten verdanke und für die ich mich herzlich bedanke. An die große Hilfe und Ermutigung, die mir während der Niederschrift der Studie von Herrn Professor Meiler (Heidelberg) zuteil wurde, erinnere ich mich voll Dankbarkeit. Gern denke ich auch an zahlreiche anregende und klärende Gespräche über historische Grundsatz- und Einzelfragen mit Herrn Professor Manfred Schlenke (Mannheim) zurück. Für die Lektüre der fertigen Habilitationsschrift bin ich den Professoren Theo Stemmler (Mannheim) und Gottfried Niedhart (Mannheim) verbunden. Ohne Frau Ilse Marks, die meine handschriftlichen Entwürfe mit engelhafter Sorgfalt und Geduld in schöne und wohlgeordnete Typoskripte umzusetzen bereit und fähig war, wäre ich schon in der Anfangsphase verzweifelt. Für die Hilfe bei der Überarbeitung des Anmerkungsapparats und der Korrektur der Fahnen bedanke ich mich bei den Hilfskräften des Anglistischen Seminars, vor allem bei Ines Böhner, Joachim Haas, Ulrike Müssig, Claudia Simon-Gersch, Stefanie Peper und Andrea Vögeli. Freude mit der Lektüre meiner Arbeit hat mir auch der Swiftscholar und King-Kenner, Herr Professor H.-J. Real (Münster) gemacht, den ich leider erst nach Abschluß der Schrift kennenlernte, dessen kritische Bemerkungen mir aber bei der Druckvorbereitung des Manuskripts eine große Hilfe waren. Besonders herzlich danke ich meinem Schwager, Herrn Dr. Horst Bieber (Hamburg) für viele Gespräche, für die kritische Lektüre des Manuskripts und die Korrektur der Fahnen. Die deutsche Forschungsgemeinschaft hat meine Recherchen durch ein Habilitationsstipendium und die Veröffentlichung der Arbeit durch einen Druckkostenzuschuß ermöglicht. Schließlich gilt mein Dank Herrn Professor Theodor Wolpers und Herrn Professor Erwin Wolff für die Übernahme der Schrift in die „Buchreihe der Anglia". V

IN MEMORIAM R. H. HAFERKORN

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

V

1. Einleitung: Zur Quellenlage der Londondichtung und zur Methode der Arbeit

1

2. London in der Restaurationszeit: Die sechziger Jahre

11

3. London im royalistischen After the ßre-Gedicht

22

3.1. John Drydens Annus Mirabilis 3.2. John Crouchs Londinenses Lacrimae 3.3. John Tabers Seasonable Thoughts in Sad Times 3.4. The Citizens Joy for the Rebuilding of London 3.5. Jeremias Wells' On the Rebuilding of London 4. London im nonkonformistischen After The iw-Gedicht . . . .

22 45 49 51 56 63

4.1. Vox Civitatis 4.2. Londons Lamentations to her Regardless Passengers 4.3. Robert Wilds (?) Upon the Rebuilding the City

65 69 72

5. London in der Restaurationszeit: Die siebziger Jahre

94

6. Die Londondichtung der siebziger Jahre

101

6.1. William Fennes Londinum: or, The Renowned City of London 101 6.2. Troia Redeviva, or, The Glories of London 110 6.3. Kritiker der Entente Cordiale von Krone und Kapitale . . . 122 Z

London in der Restaurationszeit: Die achtziger Jahre

127

8. Die großen kontroversen Londongedichte der frühen achtziger Jahre

145

8.1. Drydens The Medall. A Satyre against Sedition 145 8.2. Settles The Medal Revers'd. A Satire against Persecution . . . 152 8.3. Shadwells The Medal of John Bayes 157 9. Vom Quo Warranto bis zur Annullierung von Londons Charter . 162 10. Die entrechtete City im torystischen Londongedicht

167 VII

11. Die entrechtete City im whiggistischen Londongedicht

. . . .

174

12. Modifikationen des torystischen und whiggistischen Gedichtstypus im letzten Jahrfünft der Restaurationsepoche

181

13. Augusta Triumphans: Das Hohelied auf London in den Jahrzehnten nach der Glorreichen Revolution

189

13.1. Erste Preisgedichte von Shadwell, Taubman und einem anonymen Autor 13.2. John Tutchins Civitas Militaris 13.3. Londonapotheosen von Elkanah Settie 13.4. Joseph Addisons Essay über den Royal Exchange 13.5. Alexander Popes Windsor Forest 13.6. Die Londonapotheose Voltaires

190 195 201 206 213 222

14. The Devoted Town: Parodistische und satirische Londongedichte aus den Jahrzehnten nach der Glorreichen Revolution 226 14.1 Ned Wards Parodien auf die Well Govern'd Christian City . 226 14.2. The Court of Neptune Burlesqu'd. A Satyr upon the City . . 230 14.3. William Kings Short Account of the Magnificent, and Noble 235 City of London: A Journey to London 14.4. Satirische Londondichtung von William King: The Furmetary 244 14.5. Jonathan Swifts A Description of the Morning 251 14.6. Jonathan Swifts A Description of a City Shower 261 14.7. Die Fortschreibung der antiwhiggistischen Londonsatire in Gays Trivia, Popes Dunciad und Johnsons London . . . 279 15. Der Abgesang des whiggistischen Londonenkomiums in den späten dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts 15.1. Hail London 15.2. Richard Glovers London: or The Progress of Commerce 16. Das Nebeneinander whiggistischer und torystischer Londonbilder in James Thomsons The Seasons

289 289 . . 290 296

Exkurs zum Act for the Rebuilding of the City of London (1667) . . . 335 BIBLIOGRAPHIE

339

NAMENSREGISTER

351

SACHREGISTER

354

VIII

1. Einleitung: Zur Quellenlage der Londondichtung und zur Methode der Arbeit Die allgemeine Erkenntnis, daß eine Methode an ihrem Gegenstand entwickelt sein muß, um wirklich fruchtbar zu sein, gilt für das 18. Jahrhundert in besonderer Weise. (Erwin Wolff, „Zur Methodik der literarhistorischen Erschließung des 18. Jahrhunderts")

Den ersten Anstoß zu der Studie gaben Diskussionen über die literarische Spiegelung der britischen Metropole im Rahmen eines Seminars, für welches ich eine Sammlung von Londongedichten und Dokumenten zur Stadtgeschichte aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert zusammengestellt hatte. In den folgenden Jahren erschien eine Reihe von Monographien und Aufsätzen zur City-Dichtung einzelner Autoren, Epochen und Jahrhunderte, von denen in den folgenden Kapiteln die Rede sein wird. Die Zeit schien günstig, das vermehrte Wissen zusammenzufassen und die kontroversen Deutungen von Einzeltexten und epochenspezifischen Ansichten von der Stadt und über die Stadt einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Sie war es nicht. Das methodische Vorgehen und die sich daraus ergebende literarhistorische Extension und historische Dimension der vorliegenden Studie gründen demnach in der Einsicht, daß die umstrittenen und unbeantwortet gebliebenen Fragen zur Londondichtung im Rahmen der bislang bekannten und immer wieder diskutierten Texte und auf der Basis der bisher in Anschlag gebrachten Interpretationsmethoden nicht zu klären sind. Die Schwierigkeiten muß man am exemplarischen Fall verdeutlichen. Wählen wir die bekannten Londongedichte von Jonathan Swift: Der überwiegenden Mehrzahl der Kritiker gelten diese Texte als leichtgewichtige Parodien antiker oder epigonaler Vorlagen, als ironische Kon1

trafakturen lyrischer oder epischer Genrebilder, mit denen der poeta doctus seinem kunstsinnigen Publikum die Freude am Wiedererkennen raffiniert verkleideter Themen und Darstellungskonventionen der großen Dichtung vermittelte. Auch die vereinzelten Kritiker, die dieser Lehrmeinung widersprochen und die Stadt- und gesellschaftskritischen Aspekte der Gedichte betont haben, stellen deren vieldiskutierte Bezüge auf pastorale Gedichte bzw. unheilverkündende Passagen epischer Vorlagen nicht in Frage. Aber sie deuten diese nicht als neoklassizistische Verzierungen, sondern als düstere Kontrapunkte oder suggestive Kontrastfolien im nur scheinbar belanglos parodistischen Spiel. Folglich lesen sie die Gedichte als downright satire, als scharfe Anklagen gegen die Stadt und als raffiniert verschlüsselte Demaskierungen ihres zu Anarchie und Chaos tendierenden Milieus. Die Problematik rivalisierender Deutungen dieser Art läßt sich exemplarisch vorführen, reflektieren und auf jeweils mehr oder minder klar bestimmbare Voreinstellungen und Vorurteile zurückführen. Abschließen hingegen läßt sich diese Kontroverse auf der Basis der hier herangezogenen Texte und Methoden nicht. Die späteren Ausführungen werden das erweisen. Merkwürdigerweise ist bislang kein Kritiker auf den Gedanken gekommen, daß Swifts Londonparodien oder -satiren als Antwort auf ernstgemeinte Preisgedichte über die Stadt konzipiert sein könnten. Dabei liegt dieser Gedanke hier nicht nur nahe, weil uns die Wechselbeziehung von laus urbis und denuntiatio urbis schon aus der antiken Rhetorik und Dichtung vertraut ist. Er erwies sich auch bei anderen Formen der literatur- und kulturkritischen Parodie als fruchtbar: Etwa bei manchen provokativen Gedichten von John Donne, deren programmatischer Zielsetzung die moderne Kritik auch erst Verständis abgewinnen konnte, nachdem sie sich eingehend mit den "soft melting phrases" der petrarkistischen "sonneteers" beschäftigt hatte. Im konkreten Fall übertraf das Ergebnis der Recherchen nach dem panegyrischen Pendant zu Swifts City-Parodien unsere Erwartungen. Zum einen war in Londoner Bibliotheken und Archiven wie der British Museum Library, der Public Record Office und der Guildhall Library mit ihrem einzigartigen card catalogue eine Fülle von Londonelogen aus der Feder zeitgenössischer Dichterkollegen von Swift zu finden. Der eine oder andere von diesen Autoren wie William Congreve ist durchaus den majorpoets zuzurechnen und gehörte darüber hinaus zu Swifts engstem Freundeskreis. Thomas Shadwell ist als Gegenstand von Drydens Satire und als dessen Nachfolger im Amt des poeta laureatus nach der 2

Glorreichen Revolution bekannt. Die Mehrzahl der Preisgedichte auf London aus dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts hingegen stammt aus der Feder von Autoren wie John Tutchin oder Elkanah Settie, auf deren Namen und Werke man heute wohl nur noch in Ausnahmefällen stößt, die aber, wie u.a. Popes Dunciad lehrt, in der literarisch-politischen Szene des damaligen London eine beachtliche Rolle gespielt haben. Mit ihrem sendungsbewußten Pathos, ihren hyperbolischen Laudationsformeln und ihren standardisierten Themen und Motiven illustrieren diese Preisgedichte auf die City den poetischen und ideologischen Kontext von Swifts Londonparodien und -Satiren und erlauben die Beantwortung einer ganzen Reihe offen gebliebener Fragen. Zum anderen förderte die Suche nach Komplementärstücken zu Swifts Texten auch Paralleltexte hervor. D.h., es fanden sich auch bemerkenswerte parodistische und satirische Londongedichte von anderer Hand. Diese stammen teils von anonymen, teils von so berühmt-berüchtigten Verfassern wie Ned Ward, dem Autor des London Spy, und geben sich als gezielte Gegengesänge gegen die Hymnen auf die Stadt zu verstehen, wobei sie manche Gemeinsamkeiten mit Swifts Stadtgedichten aufweisen. Ein Ergebnis der Recherchen, von dem keine Arbeitshypothese ausgehen konnte, war die Wiederentdeckung des zu Unrecht vergessenen früh-neoklassizistischen Satirikers William King, der in seiner parodistischen Londonprosa und in seinen satirischen Londongedichten die vermeintlich „vollkommen neue Schreibweise" der Swiftschen Stadtgedichte um ein gutes Jahrzehnt vorweggenommen und bei deren Konzipierung Pate gestanden hat. Dabei ist die Tatsache, daß die einzigartige Modernität und Originalität, die man Swifts Londonsatiren nachrühmt, nach der Wiederentdeckung von William King relativiert werden müssen, lediglich am Rande von Interesse. Die Bedeutung von William King — der Swifts langjähriger Partner im literarisch-politischen Dialog war, von dem und über den aber seit mehr als 200 Jahren keine nennenswerte Zeile mehr gedruckt worden ist - besteht vor allem darin, daß seine zwischen 1698 und 1710 entstandenen und ausnahmslos anonym publizierten Werke, seine parodistische Journey to London, seine satirischen City-poems und seine zahlreichen, vordergründig allegorisierten, politischen Gedichte und Pamphlete, einen wertvollen Schlüssel für das Verständnis der häufig raffiniert verrätselten Satiren darstellen, die Swift und andere augustan wits, die sich in den späten Jahren von Annas Regentschaft um Harley und Bolingbroke gruppierten, geschrieben haben. 3

Die Beschäftigung mit diesen Texten vermittelte vor allem zwei Einsichten: (1) Die wenigen bekannten und immer wieder diskutierten Texte, wie die von Swift, sind in der noch immer üblichen isolierten Betrachtung schwerlich adäquat zu verstehen. Und, wie das Beispiel von William King lehrt, berechtigt auch die Tatsache, daß sie in den Werkausgaben der Klassiker einen ihr Uberleben garantierenden Platz gefunden haben, nicht dazu, sie für die einzigen untersuchungswürdigen Texte zu halten. Aussagen über sie bleiben fast ebenso spekulativ wie jene über Einzelstücke einer Korrespondenz, von der dem Leser keiner der Briefe, auf die sich der Verfasser bezieht und nur wenige, die er abgesandt hat, bekannt sind. Denn die wenigen bekannten City-Gedichte des frühen 18. Jahrhunderts sind Teil einer heute in Vergessenheit geratenen literarischen Debatte, in deren Verlauf Autoren ganz unterschiedlicher Provenienz und Potenz in zwei Varianten der Londondichtung denkbar konträre und offenkundig aufeinander bezogene Anschauungen von der City entworfen haben. Während in der panegyrischen Variante etwa die prächtige Architektur und die vorbildlichen Lebensverhältnisse in der Stadt und die Leistungen und Integrität ihrer Politiker und Bürger gepriesen werden, zeigen die Londonparodien und -Satiren die Tendenz, hinter die Fassade zu blicken und das grandiose Bild der britischen Metropole als Fiktion zu entlarven. Dabei dominiert in einigen dieser Texte, wie auch in einem der swiftschen, eine Perspektive, die als gezielte Umkehrung der aus der Londonpanegyrik vertrauten erkennbar ist. An die Stelle des enthusiasmierten Betrachters, der ehrfurchtsvoll zu den Zinnen, Türmen, Kuppeln und Zelebritäten der City aufschaut, tritt hier der auf die Gossen, Kanäle und Keller der Stadt fixierte Blick des mit den Niederungen des großstädtischen Lebens befaßten Kommentators. (2) Es zeigte sich, daß sowohl die Panegyriker als auch ihre skeptischen Dichterkollegen ihre jeweiligen Ansichten von der Stadt und über die Stadt mit Maximen, Argumenten und Schlagwörtern aus dem Repertoire der Politik begründen: Die Preisdichter stilisieren die City zum Vorkämpfer gegen Despotismus und feudalistische Ausbeutung, zum Garanten von Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit für alle und zum Wegbereiter einer neuen Geschichtsepoche, die vom inneren und äußeren Frieden gekennzeichnet ist. Die Parodisten und Satiriker hingegen, die die Slogans und Ideologisierungen der Panegyriker zuweilen direkt aufnehmen und an der Alltagswirklichkeit messen, bringen die Konkurrenzkämpfe und Klassenantagonismen im verklärten Urbanen Milieu ans Licht und suggerieren mit ihren Bildern und Metaphern in mehr oder minder ver4

schlüsselter Form die Tendenz der vermeintlich liberalen und progressiven Metropole zur Anarchie, Demoralisierung und zur Korruption im öffentlichen wie im privaten Bereich. Aus diesen ersten Einsichten waren sowohl im Bezug auf den zu untersuchenden Zeitraum als auch im Hinblick auf das methodische Vorgehen entscheidende Konsequenzen zu ziehen: (1) Damit, daß sich die Texte aus dem frühen 18. Jahrhundert als Teil einer literarischen Debatte zu erkennen gaben, war die Aufgabe gestellt, die Entwicklung der beiden Zweige der Londondichtung in zwei Richtungen zu verfolgen: Einmal literarhistorisch zurückblickend, in der Erwartung, an Hand älterer Texte Aufschlüsse über ihre Entstehung und Verbreitung zu erhalten. Zum andern über das frühe 18. Jahrhundert hinausblickend, um die Zeitspanne, über welche die Debatte lebendig bleibt, abzustecken, ihre Modifikationen zu untersuchen und die Autoren zu finden, die in ihrer Dichtung schließlich veränderten oder neuen Darstellungsformen und Betrachtungsweisen der City zum Durchbruch verhelfen. (2) Die Beobachtung, daß die in der Londondichtung des frühen 18. Jahrhunderts entworfenen gegensätzlichen Bilder der City mit den Ideen und Doktrinen der zeitgenössischen politischen Kontrahenten korrespondieren, legte es nahe, nicht nur die werkimmanente, sondern auch die literaturimmanente Betrachtungsweise zu überschreiten. Angesichts der politischen und ideologischen Befrachtung ihrer Themen, Bilder und Metaphern, so war aufgrund der vorläufigen Ergebnisse zu schließen, bietet allein die Betrachtung der Londondichtung in ihrem kulturhistorischen Kontext die Chance, sie in ihrer ursprünglichen Gestalt und Funktion wiederzuerkennen: als dichterischen Ausdruck der großen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Debatten ihrer Entstehungszeit. Die Fragen nach dem Zeitpunkt und den Gründen für die Entstehung einer Dichtungsgattung lassen sich, wie unsere im erwähnten Sinne vorangetriebenen literarischen und historischen Recherchen zeigen, wohl nicht häufig mit gleicher Bestimmtheit beantworten wie im vorliegenden Fall. Was die City zuerst zum Gegenstand einer literarisch-politischen Kontroverse macht, ist die Rolle, die sie während der Bürgerkriege tatsächlich oder doch nach Auffassung der unterlegenen Royalisten gespielt hat. Ein entscheidender Machtfaktor war die City schon in der elisabethanischen Zeit. Die zunehmende Abhängigkeit, in welche die Krone von der wirtschaftlichen Potenz und Finanzkraft der City of London geriet, erlaubte es ihr in der Folgezeit, die konsequente Erweiterung ih5

rer City Charters zu fordern und durchzusetzen. Mit ihrer Bürgerschaft, ihren gewählten Amtsträgern, ihren exekutiven und legislativen Vollmachten, ihrer Finanzhoheit und ihrer Miliz hatte sich London im 17. Jahrhundert zu einer in vieler Hinsicht autonomen und autarken Kaufmannsrepublik inmitten des tendenziell absolutistischen Inselreichs entwickelt. Mit ihrer Entscheidung, im Bürgerkrieg das parlamentarische Lager zu unterstützen, beginnt in der Dichtung die Polemik gegen die Stadt: So firmiert London schon in dem 1643 verfaßten Gedicht The Civil War von Abraham Cowley als "seed bed of rebellion" oder als "Luds seditious Towne". John Denham beschreibt die Metropole zur gleichen Zeit als den Ort, wo "plots" und "mischiefs" ausgeheckt werden und sich jene Massen und Demagogen zusammenrotten, "[who] In Tumults seek their peace, their heaven in hell". Und Alexander Brome bezichtigt London der "Rebellions ... Both to the King above, and him below" und beschwört schon 1648 ein vernichtendes Himmelsgericht über die abtrünnige Stadt, ein "Fire raging fire [that] shall burn thy stately towers down". Dieses Odium des Verräters, Rebellen und Zerstörers geheiligter Ordnungen haftet London in der Dichtung aus der Feder seiner Kritiker bis über das 18. Jahrhundert hinaus an. Es wird zum vielfältig variierten und modifizierten Topos der royalistischen Londondichtung. Diese feiert als Satire, Mahn- oder Spottgedicht nach der Pest- und Feuerkatastrophe der Jahre 1665/66 ihre ersten großen Triumphe und tritt in späteren Jahrzehnten immer dann wieder auf den Plan, wenn sich die Konflikte zwischen Krone und City, die der Epoche weit über die Glorreiche Revolution hinaus ihren Stempel aufgedrückt haben, in der einen oder anderen Weise zuspitzen. Mit dem Aufkommen des Typus des nonkonformistischen After the /w-Gedichts, dessen Autoren die Anklagen gegen die City je nach Lage der Dinge in mehr oder weniger verschlüsselter Form zurückweisen, entsteht die erwähnte zweite Variante der Londondichtung. Diese entwickelt sich bald von der vorsichtigen Apologie zum Enkomium auf die Kapitale fort, in dem dann auch die Kritik an ihren royalistischen Widersachern zunehmend Raum gewinnen kann. Aus der einseitigen Polemik der mit der Krone symphatisierenden Dichter gegen die Stadt entsteht so die kontroverse Londondichtung, deren signifikante Entwicklungsstadien die Studie an Hand einer Reihe heute in Vergessenheit geratener Texte nachzeichnet. Diese Einzeltexte lassen sich sowohl in ihrer literarischen Gestalt als auch in ihrer gedanklichen Konzeption und ideologischen Position in vielen Fällen erst aus der detaillierten 6

Kenntnis der eng verwobenen Geschichte Englands und seiner auf gesellschaftlichen Wandel drängenden bürgerlichen Metropole verstehen. Dadurch wird die City-Dichtung zum einen als integraler Bestandteil der übergreifenden Prozesse des 17. und 18. Jahrhunderts erkennbar, zum anderen als Dichtungsgattung, die im Wechselspiel von Pro und Contra ihren eigenen Katalog von Themen, Motiven und Metaphern kreiert, die zu kennen eine unverzichtbare Voraussetzung für die Deutung einzelner Gedichte darstellt. Es gab, wie sich zeigen wird, kurze Perioden, in denen gemeinsame Interessen von Court und City die gegenseitige Polemik vorübergehend zum Schweigen brachten. Auch solche, in denen die einen oder anderen Autoren eine Zeitlang verstummten, weil sie sich nach einer Niederlage der von ihnen vertretenen Sache der scharfen Zensur des siegreichen Gegners oder dem Druck der öffentlichen Meinung zu beugen hatten. Von solchen Intermezzi abgesehen aber erwies sich die kontroverse Londondichtung von der Mitte des 17. bis zu den späten 30er Jahren des 18. Jahrhunderts als lebenskräftige Tradition. Auf die City, die in der Restaurationszeit erneut zur Hochburg des Widerstands gegen die Stuartmonarchie wurde, projizierten die Panegyriker, die sich zuerst mit ihrer nonkonformistischen, später mit ihrer wohlorganisierten whiggistischen Opposition identifzierten, die in ihr politisches und ökonomisches Kredo gesetzten Hoffnung und säkularisierten Heilserwartungen. Und die Dichter, die sich der Krone und dem nach 1688 scheinbar endgültig in die Defensive geratenen Torysmus verschrieben hatten, entwarfen in ihren Londongedichten ihre mehr oder minder verschlüsselten apokalyptischen Visionen der gefallenen Britannia, die im Gefolge des vom Taumel gepackten Urbanen Pöbels der Anarchie und dem Chaos in die Arme läuft. Die für manchen heutigen Betrachter vielleicht überraschend anmutende Tatsache, daß diese Debatte in der Hauptsache im Medium einer am klassischen Vorbild orientierten Dichtung ausgetragen wurde, erklärt sich aus mehreren Gründen. Als literarischer Stil hatte sich der neo-klassizistische Vers bereits seit Ben Jonson mehr und mehr durchgesetzt. Er war die Antwort der Konservativen auf den lingo der als kunstfeindlich und ungebildet geltenden Puritaner. Nach der Puritanerherrschaft erlangte die Dichtung allgemein wieder große Bedeutung. Amt und Funktion des Hofdichters erfuhren von seiten der Krone eine beispiellose Aufwertung. Und das außergewöhnliche Genie Drydens, der das Amt nahezu während der ganzen Restaurationsepoche bekleidete, tat ein übriges, der Dichtung zu 7

neuem Ansehen und ungekannter Breitenwirkung zu verhelfen. Nicht das sparsam auf Nachrichten beschränkte Regierungsorgan, sondern Drydens Preisgedichte auf König und Monarchie und seine Satiren auf die City und die sich in ihren Mauern verschanzende Opposition trugen die politische Auseinandersetzung in die Öffentlichkeit und galten gleichsam als die offiziellen Verlautbarungen des Hofes, deren Dignität nicht zuletzt durch die poetische Form bewiesen wurde. Und der Poet Laureate fand zahlreiche Nachahmer, die mit ihrem Einsteig in die literarisch-politische Arena ebenfalls zu Ruhm und Einfluß zu kommen versuchten. London und die Führer seiner whiggistischen Opposition begegneten dieser politisch brisanten Herausforderung nicht ohne Erfolg. Im Gegenzug zum Hof traten auch die City und die Whig-Partei als Mäzene für eine Reihe von Dichtern auf, die Beweise ihrer Fähigkeit erbracht hatten, den Attacken aus der Umgebung von Whitehall effektvoll zu begegnen. Und auch das Amt des City Poet, dessen Inhaber mit der Abfassung der Pageants für die Inaugurationsfeierlichkeiten des Londoner Stadtoberhauptes schon seit langem eine wichtige öffentliche Aufgabe oblag, bemühte sich der Magistrat zum Amt des City Laureate aufzuwerten und fortan an Bewerber zu vergeben, von denen man entsprechend kunst- und wirkungsvolle Gegendarstellungen und Enkomien auf die Metropole erwarten durfte. Wenn in den Kapiteln 1 - 1 5 die Entwicklung der beiden erwähnten Zweige der Londondichtung bis zum Ende der Walpole-Ära vor dem Hintergrund der Politik der Metropole verfolgt wird, so geht es dabei nicht um eine Geschichte der Großstadtliteratur am Beispiel Londons, wie sie in Form von Studien bekannter Prosa- oder Verstexte aus verschiedenen Jahrhunderten mehrfach vorgelegt worden ist. Mit der Ausgrabung und Lesung eines in Vergessenheit geratenen Korpus politischpropagandistischer Londongedichte wird hier zum einen der beziehungsreiche Kontext einer vergleichsweise kleinen Zahl bekannt gebliebener und für bedeutend erachteter Texte der Epoche erschlossen, ein Kontext, der uns die City poems eines Dryden, Swift, Gay, Pope oder Thomson neu zu sehen und in manchen Fällen wohl auch zum erstenmal angemessen zu verstehen lehrt. Darüber hinaus stellen die Kapitel 1 - 15 als Ganzes betrachtet den Versuch dar, aus dem Zusammenwirken faktenhistorischer und literaturwissenschaftlicher Untersuchungsansätze den Entwurf einer Strategien- und Toposgeschichte der City poetry einerseits und den einer Mentalitätsgeschichte der britischen Kapitale andererseits zu skizzieren. 8

Das abschließende Kapitel 16 stellt eine detaillierte Analyse eines der anerkannten Meisterwerke der Walpole-Ara dar, dessen - bislang nachgerade übersehene - gegenläufige Bilder der City vor dem Hintergrund der vorausgehenden Kapitel als bemerkenswerte Weiterentwicklung der kontroversen poetischen Vorlagen erkennbar werden. Das große zyklische Gedicht The Seasons, mit dessen Niederschrift, Revisionen und Ergänzungen James Thomson fast zwanzig Jahre beschäftigt war, erweist sich als der exemplarische Fall eines Einzelwerkes, in das die beiden rivalisierenden Traditionen der Londondichtung im Laufe seiner langen Entstehungsgeschichte sukzessiv Eingang finden. Dabei gibt sich das offenkundig unverbundene Nebeneinander gegensätzlicher Stadtbilder in den Seasons als Widerspiegelung von Thomsons Umdenken zu erkennen, das sich in den dreißiger Jahren, im Zuge der fortschreitenden Desintegration des Whiggismus beobachten läßt: als poetische Chiffre für Thomsons allmähliche Entfremdung von der regierenden Whigpartei und für die Verlagerung seiner politischen Loyalitäten zu den dissidierenden Whigs, die mit den Tones eine gemeinsame Opposition bildeten. Daß sich die zentrale These der Studie auch für die Deutung der City poetry späterer Epochen als relevant erweist, habe ich am Beispiel des Londonbuches von Wordsworths Prelude an anderer Stelle (vgl. Anm. 174) dargelegt. Die Residence in London nämlich vermittelt zum einen einen geradezu modellhaften Einblick in die enge Korrespondenz, die auch hier zwischen den rivalisierenden Stadtimpressionen und den sich wandelnden politischen Grundüberzeugungen Wordsworths besteht. Zum andern aber - und das ist nur scheinbar ein Widerspruch - findet sich hier der erste bedeutende und bislang übersehene Beleg für eine neue, weitgehend empirische Stadtdichtung. Wordsworth sieht die City in der apokalyptischen Schlußvision der Residence zwar durch die Brille Edmund Burkes, des Chefideologen der Konterrevolution, der ihn ihre Bedrohlichkeit zu erkennen lehrte und der die dezidiert konservative Optik des freilich noch jungen späteren Wordsworth prägte. In der Fassung des Prelude von 1805 läßt sich jedoch nichtsdestoweniger eine poetische Leistung des Romantikers Wordsworth von ihrer Uberschattung durch das abschließende Schreckbild des Jahrmarktes freilegen, die weder in der Dichtung seiner Vorläufer und Zeitgenossen, noch in der seiner viktorianischen Nachfolger ihresgleichen hat: Eine Stadtdichtung, die im weitgehenden Verzicht auf die poetischen und ideologischen Klischees der Gattung zu einer eindrucksvollen empirischen Betrachtungsweise und vorurteilsfreien Bewertung der City vor9

dringt und die dem Blankvers formal Darstellungsmöglichkeiten abgewinnt, die noch immer als ureigene Schöpfung der City-Dichter des frühen 20. Jahrhunderts reklamiert werden.

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2. London in der Restaurationszeit: Die sechziger Jahre Wie bereits erwähnt,1 gewinnt London schon im Verlauf des Bürgerkrieges, vor allem aber in der Restaurationszeit als Sujet der englischen Dichtung eine bemerkenswerte Bedeutung. Die große Zahl der Gedichte, ihr häufig beträchtlicher Umfang und die vielfach schon in den Titeln erkennbare Korrespondenz zwischen den Texten lassen erkennen, daß die City in den Jahren nach 1666 zu einem zentralen Thema der englischen Dichtung wird. Dies erklärt sich zum einen aus den Schicksalsschlägen, die die Stadt in den Jahren 1665 und 1666 trafen. Im Jahre 1665 fielen der Pest in London 68.000 Menschen zum Opfer. Im September des folgenden Jahres zerstörte das Große Feuer die City vom Tower bis zum Temple und von der Themse bis nach Smithfield. 13.000 Gebäude und 89 Kirchen brannten innerhalb von 5 Tagen aus. Von den Flammen verschont blieb lediglich ein knappes Fünftel der Stadt. Die katastrophale Lage der Hauptstadt drohte sich zur nationalen Krise auszuweiten. Die Wirtschaft des Landes war durch die Dezimierung der Londoner Bevölkerung und die Zerstörung der Schaltstellen von Finanz, Handel und Gewerbe schwer angeschlagen. Darüber hinaus befand sich England mit Holland im Kriegszustand. Ein folgenschwerer wirtschaftlicher Niedergang und eine empfindliche militärische Niederlage, wie sie die Holländer den Engländern durch ihr Vordringen in die Themse und die Zerstörung eines beträchtlichen Teils ihrer Flotte im Sommer 1667 tatsächlich zufügten, wurden landesweit befürchtet.2 Zahlreiche Dichter versuchten zur Abwehr dieser Gefahren ihren Teil beizusteuern. In ihren Londongedichten priesen sie das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich in den Jahren der Not zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten der Stadt herausgebildet hatte. Zugleich entwarfen sie Zukunftsvisionen des wiedererbauten London, Bilder einer Kapitale, die größer, schöner, reicher und lebenswerter als 1 2

Vgl. oben S. 5f. James Leasor, The Plague and the Fire (New York, 1961), S. 36ff.

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je zuvor, alle anderen Hauptstädte der Welt in den Schatten stellen würde. Und sie appellierten an die Solidarität, Einsatz- und Kooperatonsbereitschaft aller Londoner, ihre Kräfte der Verwirklichung dieses Zieles zu widmen. Dabei gründete der Appell an die Solidarität der Londoner, der zu einem Topos der City-Dichtung der späten sechziger und der siebziger Jahre wird, nicht allein in der akuten, durch Pest und Feuer entstandenen Notlage der Stadt. Eine genauere Betrachtung der Texte wird zeigen, daß die Londondichter damit zugleich auf politische Spannungen und Konflikte antworteten, die in der Bürgerkriegszeit virulent waren und von denen manche in den frühen Jahren der Restaurationsepoche erneut spürbar wurden. Die Restauration des Stuart-Königtums im Jahre 1660 war in der Hauptsache das Werk des gemäßigten Puritanismus, 3 d.h. der presbyterianischen Parlamentarier, die bereits 1645, nach dem Ende des ersten Bürgerkriegs, den Ausgleich mit dem König gesucht hatten, den radikaleren Independenten unter Cromwells Führung aber seinerzeit unterlegen waren. Nach dem Tod Oliver Cromwells im Jahre 1658 herrschten in London bald Chaos und Anarchie. Dem Lordprotektor, der mit dem Anspruch angetreten war, als Schwert Gottes in England Recht und Ordnung zu schaffen, war es nicht gelungen, einen sein persönliches Regime überdauernden gesellschaftlichen Konsens zu schaffen. Erst als General Monck, der Gouverneur von Schottland, im Februar 1660 mit seinen Truppen in London einmarschierte, wurde ein Ausweg aus dem politischen Chaos sichtbar, das durch die anhaltenden Machtkämpfe

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Die Darstellung der Restaurationsepoche basiert unter anderem auf folgenden Werken und Quellen: Daniel Neal, The History of the Puritans; or, Protestant Nonconformists; from the Reformation in 1517, to the Revolution in 1688; a new Edition in three Volumes (London, 1837); Henry Hallam, The Constitutional History of England from the Accession of Henry VII to the Death of George II, 3 vols. (London 1854); Armand Carrel, The History of the Counter-Revolution in England, For the Reestablishment of Popery, under Charles II and James II (London, 1857); David Hume, The History of England from the Invasion ofJulius Caesar to the Revolution in 1688, 3 vols. (London, 1871); Richard Lodge, The History of England from the Restoration to the Death of William III (1660-1702) (London, 1910); Sir George Clark, The Later Stuarts 1660-1714 (Oxford, 21955); George Maucaulay Trevelyan, England under the Stuarts (London, o.J.); Christopher Hill, The Century of Revolution, 1603-1714 (London, 1961); J.P. Kenyon, The Stuart Constitution 1603-1688, Documents and Commentary (California U.P., 1966) ; Kurt Kluxen, Geschichte Englands, Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Stuttgart, 1968); Jochen Schmidt-Liebich, Daten der englischen Geschichte (München, 1977); Andrew Browning (ed.), English Historical Documents 1660-1714 (London, o.J.); Antonia Fraser, King Charles II (London, 1979). 12

untereinander zerstrittener und gegeneinander putschender Militärs entstanden war. Während General Monck durch eine Reihe von Maßnahmen - wie die Wiedereinberufung des Langen Parlaments, die Reorganisation des Militärs, die Ankündigung einer presbyterianischen Kirchenverfassung und die Rückgabe sämtlicher Privilegien an die City4 - politische Verhältnisse schuf, die für die Restauration der Stuart-Monarchie eine breite Zustimmung sicherten, war es ihm in Geheimverhandlungen zugleich gelungen, Karl II. in seinem holländischen Exil in Breda zur Abgabe einer Deklaration zu bewegen, in welcher dieser eine Generalamnestie für seine und seines Vaters einstige Gegner verkündete, eine liberale Regelung der Religionsfrage in Aussicht stellte und die veränderten Besitzverhältnisse, soweit es sich nicht um Krön- und Kirchenbesitz handelte, anerkannte.5 Nachdem das neugewählte Konventionsparlament, in dem Presbyterianer und Royalisten nahezu gleich stark vertreten waren, die Deklaration von Breda gebilligt und der Rückkehr Karls II. zugestimmt hatten, schien nach Jahren der Militärdiktatur und Anarchie ein govemment by law erreichbar, eine in hohem Maße konstitutionelle Monarchie, die die radikalen Kräfte auf beiden Seiten auszuschalten versprach. Tatsächlich konnten die Presbyterianer, zuweilen mit den Stimmen der Independenten, einen beträchtlichen Teil ihrer politischen Vorstellungen durchsetzen und von den drei in der Deklaration von Breda gegebenen Zusicherungen zumindest zwei durch Gesetze festschreiben: So verlieh das Konventionsparlament der von Karl verkündeten Generalamnestie Gesetzeskraft, von der lediglich die für die Hinrichtung Karls I. unmittelbar Verantwortlichen ausgenommen wurden. Ebenso legalisierte es die zugunsten der puritanischen Gentry und finanzstarker bürgerlicher Kreise veränderten Besitzverhältnisse. Nur die Kronund Kirchengüter wurden zurückgegeben. In gewisser Hinsicht gelang dem Parlament sogar die Fortsetzung des Reformwerks der frühen vierziger Jahre, wenn es die letzten Feudallasten abschaffte, dem König das Halten eines stehenden Heeres untersagte6 und die Gerichtshöfe und 4

5 6

Vgl. The Diary of Samuel Pepys, ed. Henry B. Wheatley with Lord Braybrooke's notes, 10 vols. (London, 1893), I, S. 54; vgl. Schmidt-Liebich, S. 99 und Walter de Gray Birch, The Historical Charters and Constitutional Documents of the City of London, with an Introduction and Notes (London, 1884), S. XXXVIII und S. 221 ff., in der Folge zitiert als Birch. Browning, S. 57. Vgl. Hallam, II, S. 310ff.

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Regierungsinstrumente der königlichen Prärogative, wie Privy Council, Star Chamber und High Commission Court, für ungesetzlich erklärte. Eine Erweiterung seiner Kompetenzen erfuhr das Parlament auch durch die Festlegung der königlichen Einnahmen und Ausgaben und die Durchsetzung eines Statuts, das jegliche zusätzliche Abgabenerhebungen von Seiten des Königs für illegal erklärte. Ein ungelöstes Problem blieb hingegen die künftige Kirchenverfassung. Deren Regelung mußten die Presbyterianer einer Konferenz zwischen den anglikanischen Bischöfen und ihrem Klerus, bzw. dem nächsten, regulär zu wählenden Parlament überlassen. 7 Das Ergebnis der Wahlen, die, wie es bei Kluxen und Schmidt-Liebich vereinfachend heißt, einen „gewaltigen Ruck nach rechts" erbrachten, 8 war das sogeannte Kavaliersparlament, ein Unterhaus, in dem die Cavaliers, die Anhänger der einstigen Church and King Party, die in den Bürgerkriegen auf Seiten Karls I. gestanden hatten, eine überwältigende Mehrheit besaßen. 9 Während der König dem Parlament in seiner Eröffnungsrede noch einmal eine an der Deklaration von Breda orientierte Politik zusicherte, ließ bereits der erste Auftritt seines Lordkanzlers Clarendon erkennen, daß das neugewählte Parlament einen einschneidenden politischen Richtungswechsel vorzunehmen gedachte. Auf ein Jahr der Kooperation zwischen Presbyterianern und Royalisten folgten Jahre unerbitterlicher Konfrontation. Zwischen 1661 und 1665 entwarf und verabschiedete die royalistisch-hochkirchliche Mehrheitsfraktion ein als Clarendon Code bekanntes Gesetzespaket, das die von Seiten der Presbyterianer in die Restauration gesetzten Hoffnungen sowohl in politischer wie in kirchenpolitischer Hinsicht weitgehend zunichte

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8 9

Vgl. Hallam, II, S. 318f. und Leopold von Ranke, Englische Geschichte, 7 Bd. (Leipzig, 1859-1870) IV, S. 341 ff. Kluxen, Geschichte, S. 347 und Schmidt-Liebich, S. 100. Hallam, II, S. 322: "The presbyterian faction seemed to lie prostrate at the feet of those over whom they had so long triumphed, without any force of arms or civil convulsion, as if the king had been brought in against their will. N o r did the cavaliers fail to treat them as enemies to monarchy, though it was notorious that the restoration was chiefly owing to their endeavours." Ein Grund für das schlechte Abschneiden der gemäßigten Puritaner war neben dem allgemein proroyalistischen Trend der Zeit der Aufstand der Fifth Monarchy Men. Diese militanten Sektierer, die schon Cromwell zu schaffen gemacht hatten, hielten die Londoner wenige Wochen vor der Wahl tagelang in Atem und gaben den Royalisten und Anglikanern Gelegenheit, auch die Politik der gemäßigten Nonkonformisten zu diskreditieren; vgl. dazu Sir Walter Besant, London in the Time of the Stuarts (London, 1903), S. 76ff.

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machte. Mit dem Clarendon Code nämlich wurde eine Restaurationsordnung konsolidiert, die vom ursprünglichen Konzept ihrer Wegbereiter und den Absichtserklärungen des Königs radikal abwich. Die konsequente Ausweitung der königlichen Prärogative sowie die kompromißlose Durchsetzung rigoroser Uniformität sowohl im religiösen Bereich wie im gesamten öffentlichen Leben waren nicht dazu angetan, die Nation zu einigen und die alten religiösen und politischen Gegensätze und Rivalitäten zu überwinden. Das Restauration Settlement machte aus Kirche und Staat vielmehr erneut eine Art exklusiver und privilegierter Institutionen, in denen tätig zu werden und denen sich zugehörig zu fühlen dem nonkonformistischen Klerus und der Gesamtheit der nonkonformistischen Laien verwehrt wurde. Die schon vor der Savoy Konferenz wiedererstarkte Bischofskirche und die Krone hatten mit Hilfe des Kavaliersparlaments den Kampf um die Macht für sich entschieden. Dem ins Abseits gestoßenen Nonkonformismus fehlten viele Jahre lang die Mittel, gegen die Politik des neuen Establishments zu opponieren. Unter den gegebenen Verhältnissen, die weder auf religiöser noch auf politischer Ebene den Aufbau übergreifender Zusammenschlüsse und Organisationsformen zuließen, blieb dem Nonkonformismus in der Regel lediglich die Waffe der Obstruktion. Eine Ausnahme bildete allein die City of London, die wegen ihrer Parteinahme für die Sache der Parlamentarier schon in den Bürgerkriegsjahren als "sink of the ill humours of this kingdom"10 denunziert worden war. In der City, in der den Nonkonformisten gewisse Bestätigungs- und Einflußmöglichkeiten erhalten blieben, formierte sich auch in der Restaurationszeit langsam wieder eine Opposition gegen die Krone und die Church and King Party. Die Verschiedenheit der Verhält-

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Clarendon, der Lordkanzler Karls II. nennt London "the sink of the ill-humours of thils kingdom" in seiner History of the Rebellion and Civil Wars in England, ed. W.D. Macray (Oxford, 1888), III, S. 57. Andere Zeitgenossen urteilen ähnlich. In einem anonymen Letter from Mercurius Civius to Mercurius Rusticus: Or London's Confession, but not Repentance aus dem Jahre 1643 heißt es beispielsweise: "if posterity shall ask ... who would have pulled the crown from the King's head, taken the government off the hinges, dissolved Monarchy, enslaved the laws, and ruined the country; say, 'twas the proud, unthankful, schismatical, rebellious, bloody City of London". Vgl. auch R.R. Sharpe, London and the Kingdom, 3 vols. (London, 1894-5), II, S. 147f. Als "seed bed of the rebellion" denunziert auch schon Abraham Cowley die Hauptstadt in seinem Gedicht The Civil War, wenn er beispielsweise von "Luds seditious Towne" (II, 538) spricht und diese mit der Hölle assoziiert; vgl. A. Cowley, The Civil War, ed. A Pritchard (Toronto, 1973), vor allem I, 485ff.; I, 574ff.; II, 193ff.; II, 538ff.; III, Iff.; III, 47ff.

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nisse in London und im übrigen Königreich erklärt sich aus der weitgehenden politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Unabhängigkeit, die die City im Laufe von Jahrhunderten erworben hatte und die in den sogenannten City Charters garantiert war. Da der Stadt ihre früheren Privilegien bereits 1660 vom Langen Parlament zurückerstattet worden waren und auch Karl II., um sich die finanzielle Unterstützung Londons zu sichern, sämtliche Charters feierlich konfirmiert hatte,11 blieb die Sonderstellung der Hauptstadt auch in der Restaurationszeit erhalten: "With its own trainbands and treasury, an elective Lord Mayor and sheriffs, and representative institutions with a fairly wide franchise", so führt J.R. Jones aus, "London was virtually a republic, an Amsterdam on the Thames [which] embodied principles of government diametrically opposed to those represented by the King, the Court, and ministers with absolutist leanings."12 Diese City, die ihre Wirtschafts- und Finanzkraft in beträchtlichem Maße ihren nonkonformistischen Handels- und Kapitalkreisen verdankte, mußte durch die Politik des Kavaliersparlaments ihre zentralen Interessen berührt sehen. In der Tat opponierte die Stadt seit der Auflösung des Konventionsparlaments gegen die drohende Monopolisierung des politischen Einflußes zugunsten der Anhänger der Church and King Party. Bereits bei den ersten Parlamentswahlen der Restaurationszeit, als sich Karl II. in ganz England größter Popularität erfreute und squire and parson ihren Einfluß fast überall für die Kavaliere geltend machen konnten, gewannen in London die Nonkonformisten sämtliche Abgeordnetensitze, über die die Stadt im Unterhaus verfügte.13 Auch nach der Verabschiedung des Clarendon Code verfuhr die Hauptstadt mit diesen Gesetzen entschieden liberal. Ungeachtet der Ermahnungen von Seiten des Parlaments und des Hofes wählten die Londoner Kammern auch in den sechziger Jahren nicht selten erklärte Nonkonformisten in wichtige Positionen der lokalen Behörden und Körperschaften einschließlich der Sheriffsämter.14 Den von London ins Kavaliersparlament entsandten nonkonformistischen Abgeordneten gelang es in den Jahren 1665/66 auch erstmals, eine zwar kleine, aber nicht unwirksame Gruppe von Parlamentariern um sich zu sammeln,

11 12 13 14

Birch, S. 221ff. J.R. Jones, The First Whigs (London, 1961), S. 198. Ranke, IV, S. 335. Jennifer Levin, The Charter Controversy in the City of London, 1660-1688, and. its Consequences (London, 1969), S. 17.

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die ihre Aufgabe nicht in der bedingungslosen Akklamation, sondern in der Kontrolle der Regierung sahen.15 Der schleppende und zumeist glücklose Verlauf des englisch-holländischen Krieges und die Forderungen der Krone nach Bereitstellung immer höherer Geldsummen veranlaßte diese Abgeordneten dazu, einen Antrag einzubringen, demzufolge neuerliche Forderungen nur unter der Bedingung bewilligt werden sollten, daß die Überprüfung der früher bewilligten Kriegsgelder von einer unabhängigen Untersuchungskommission gebilligt würde. Der Befund dieser nach erregten Debatten schließlich zugestandenen Kommission brachte skandalöse Veruntreuungen der für die Kriegsführung gegen Holland bereitgestellten Gelder ans Licht.16 Schließlich legte er sogar, wie Samuel Pepys, der königstreue Chef des Flottenamtes, in seinem Tagebuch erschreckt eingesteht, die Schlußfolgerung nahe, daß 400.000 in die "privy purse" Karls II. gewandert waren.17 Die Folge war ein nachhaltiger Verlust des Vertrauens in die Integrität von König, Hof und Regierung: A c o u r t like t h a t o f C h a r l e s ... a n d an a d m i n i s t r a t i o n s o ill c o n d u c t e d c o u l d n o t e s c a p e t h e r e m a r k s o f a w e l l - c o n d u c t e d and intelligent c i t y ... A n e c d o t e s o f c o u r t e x c e s s e s , w h i c h r e q u i r e d n o t t h e aid o f e x a g g e r a t i o n , w e r e in daily c i r c u l a t i o n t h r o u g h t h e c o f f e e h o u s e s . 1 8

Es erstaunt daher wenig, wenn Teile der Bevölkerung das Establishment in zunehmendem Maße in jenem Licht zu sehen begannen, in dem es einige untergetauchte republikanische und nonkonformistische Autoren seit geraumer Zeit darzustellen versucht hatten. In London nämlich war auch nach dem Inkrafttreten des Licensing Act ein kleiner Sympathisantenkreis von Druckern erhalten geblieben, der sich ungeachtet der scharfen Strafandrohnungen zur Publikation von Pamphleten und Broadsides gegen König, Regierung und Klerus bereitfand. Dabei interessieren im Rahmen unserer Betrachtung vor allem eine Reihe von Texten, deren Titel wie Mirabilis Annus oder Mirabilis Annus SecundusK an das bekannte, im Jahre 1666 entstandene Annus Mirabilis-Gedicht von 15

16 17 18

"

J . R . Kellet, The Causes and Progress of the Financial Decline of the Corporation of London, 1660-1694 (Ph.D. thesis London, 1952), S. 69. Hallam, II, S. 358. Pepys, VI, S. 97f. Hallam, II, S. 352. Zu den vollen Titeln der Pamphlete vgl. Commentary zu Dryden% Annus Mirabilis in The Works of John Dryden, vol. I: Poems 1649-1680, ed. Edward Niles Hooker and H.T. Swedenberg, Jr. (Berkeley, 1961), S. 258 (im folgenden zitiert als Works of Dryden); vgl. auch Hookers Aufsatz über Drydens Gedicht "The Purpose of Dryden's Annus Mirabilis" in: Huntington Library Quarterly 10 (1946/47), S. 53.

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John Dryden erinnern, welches am Beginn unserer Analysen der Londondichtung der Restaurationszeit stehen wird. Diese aus der Feder republikanischer und nonkonformistischer Autoren stammenden Texte, von denen aus den Jahren 1661 bis 1663 drei erhalten sind,20 stellen Variationen zu einem einzigen Thema dar. Berichtet wird darin von prophetischen Gesichten und wundersamen Ereignissen, von seltsamen Unfällen, die anglikanischen Geistlichen beim Verlesen ihrer erzloyalistischen Predigten widerfahren oder von monströsen Mißgeburten, von Stürmen und Überschwemmungen, die an Geburts- oder Krönungstagen des Stuart-Monarchen zu verzeichnen waren. Das all diesen Ereignissen Gemeinsame besteht nach Ansicht der anonymen Pamphletisten darin, daß sie allesamt Fingerzeige Gottes sind. Sie werden gedeutet als Zeichen von Gottes Zorn gegen König, Hof und Klerus und als Vorankündigungen von Gottes Strafgericht, welches England treffen wird, wenn es sich den Usurpatoren von Staat und Kirche nicht entgegenstellt. Über die propagandistische Wirkung dieser Mirabilis vlranHs-Pamphlete war man in royalistischen Kreisen schon vor der Heimsuchung Londons durch die Pest und dem Herannahen des symbolträchtigen Jahres 1666, das die Gemüter der Zeitgenossen seit geraumer Zeit beschäftigte, sichtlich beunruhigt. Das zeigt sich darin, daß seit 1663 bekannte, dem Establishment nahestehende Autoren und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gegen diese Prohpezeiungen zu Felde zogen. So machte sich beispielsweise eine wissenschaftliche Kapazität wie John Spencer, der bekannte am Corpus Christi College lehrende Begründer der komparatistischen Religionswissenschaft, schon 1663 in seinem

Discourse concerning Prodigies die Mühe, die Mirabilis Anwws-Pamphlete und ähnliche anonyme Schmähschriften21 als Machwerke des Aberglaubens bzw. als vulgäre Pseudoexegesen zu entlarven. Dabei nannte er ihre Widerlegung vom Standpunkt der Wissenschaft eine notwendige aber keineswegs ausreichende Antwort. Alarmierend nämlich erschie20

21

Bischof Parkers Ausführungen lassen, wie Hooker (S. 53) ausführt, vermuten, daß es eine größere Zahl von Texten mit gleich- oder ähnlich lautenden Titeln gab. Zu weiteren Pamphleten, Prophezeiungen und "horrific visions of London's doom" aus den späten fünfziger und den frühen sechziger Jahren vgl. auch Walter George Bell, The Great Fire of London in 1666 (London, 1923), S. 17ff. et passim. Dabei bezieht sich Spencer insbesondere auf jene anonymen sektiererischen Exegeten, die das dunkle 13. Kapitel der Offenbarung mit seiner verschlüsselten Zahl 666 propagandistisch auschlachteten, indem sie den visionären Bericht des Johannes über das "blasphemy" genannte "beast" und seine falschen Priester, die alle Rechtgläubigen durch striktes Berufsverbot zugrunderichteten, als Bibelkom-

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nen Spencer diese Prophezeiungen weniger ihrer Verstöße gegen die "honour of religion and science" als ihrer aufrührerischen Tendenz wegen: " T h e r e f o r e P r o p h e c i e s , O m e n s , S t o r i e s o f P r o d i g i e s shall b e r e a d i l y a t t e n d e d t o a n d c o n t e n d e d for, f o r t h e s e t h i n g s ... e n c o u r a g e in l o s e r s t h e h o p e o f a b e t t e r g a m e b y s o m e n e w shuffling a n d c u t t i n g , a n d in all p e r s o n s n o t p l e a s e d w i t h w h a t p l e a s e t h G o d , o f a g r e a t c h a n g e o f affairs in State."22

In ähnlicher Weise setzten sich auch bekannte Geistliche wie Dr. Isaac Barrow und John Tillotson mit diesen Schriften auseinander. Angesichts der zunehmenden Kritik an König, Hof und Kirche meldete sich John Spencer im Jahre 1665 ein zweitesmal in gleicher Sache in seinem Discourse concerning Vulgar Prophecies zu Wort. Wenig später widmete Thomas Sprat, der Sprecher der "Royal Society", in seinem Buch über die Geschichte der gelehrten Gesellschaft den "Prodigies and conceits of Providences" ein eigenes Kapitel. Darin machte er die aufrührerischen Elaborate maßgeblich für die "wild distractions into which the nation has been plunged" verantwortlich, insbesondere für "this gloomy and ill-boding humor [which] has prevailed this last year in the city."23 Je näher das Jahr 1666 rückte, auf das sich die Pamphlete bezogen, desto vernehmlicher wurde der Protest. Die Kriegsgeldaffäre gab nicht nur, wie erwähnt, der Kritik an der Verschwendungssucht und dem Lebensstil des Hofes neue Nahrung. Die Enthüllungen bestärkten zugleich den Unmut gewisser Kreise über die Mißachtung des nationalen Prestiges und der Wirtschaftsinteressen des Landes, wofür der Verkauf von Dünkirchen an Ludwig XIV., die unverhältnismäßig hohe Besteuerung und die Kriegsführung gegen Holland angeführt wurden.24

22 23 24

mentar über den gottlosen Stuart-Despoten, seine zynische Priesterschaft und die von ihnen unterdrückten Anhänger der reinen Lehre zu lesen lehrten. Vgl. dazu A.S. Peake, A Commentary on the Bible (London, 1919), S. 926ff. Wie verbreitet diese Betrachtungsweise war, belegen Berichte über den Auszug der Quäker aus London. Als diese die Stadt nach Inkrafttreten der Uniformitätsakte in einem großen Demonstrationszug verließen, schmähten sie den König offen als "beast", d.h. als das Analogon des im 13. Kapitel der Offenbarung erwähnten Antichristen und Christenverfolgers. Vgl. dazu Besant, London in the Time of the Stuarts, S. 82. Zit. bei Hooker, S. 57f. Zit. in: Works of Dryden, I, S. 259. Hallam, II, S. 351; vgl. auch Pepys, V, S. 233. 19

Nach dem Ausbruch der Pest wanderten die anglikanischen Geistlichen im Gefolge des Hofes in großer Zahl aus der verseuchten Stadt aus, nicht ohne zuvor den Five Mile Act durchgesetzt zu haben, der nonkonformistischen Pfarrern und Lehrern nun auch das Wohnen innerhalb einer Fünf-Meilen-Zone um London und jede andere Stadt verwehrte. Damit verwirkten sie in den Augen vieler Londoner endgültig ihre Glaubwürdigkeit, da sie damit nicht nur die ihnen anvertrauten Seelen ihrem Schicksal überließen, sondern auch die presbyterianischen Pfarrer aus der City verbannten, die sich durch ihren Einsatz für die verängstigten und leidenden Bürger erneut großes Ansehen erworben hatten.25 Schon in der Pest glaubten viele Zeitgenossen das zu erkennen, was die Mirabilis Annus-VampWiete prophezeit hatten: "God's punishment administered to a people who had turned from Him toward pleasure and evil kings and an oppressive episcopacy."26 Auch in royalistischen Kreisen breitete sich Furcht aus. In seinem Tagebuch berichtet Samuel Pepys von einem Gespräch mit dem Earl of Sandwich, einem engen Vertrauten des Königs und des Duke of York, über dessen Befürchtungen bezüglich des legendären Jahres 1666 folgendes bemerkt wird: "He dreads the issue of this year, and fears there will be some very great revolutions before his coming back again."27 Als im September 1666 fast die gesamte Stadt von dem Großen Feuer verwüstet wurde, war die befürchtete Katastrophe da, die King and Church zu Fall bringen könnte. Bekundungen der Angst vor den möglichen Folgen der allgemeinen Konfusion stehen bemerkenswert zynische Kommentare gegenüber, von denen wir unter anderem aus Clarendons Autobiographie Kenntnis haben. Führende Royalisten betrachteten die Zerstörung der Hauptstadt weniger als ein für König und Kirche bedrohliches Ereignis, denn als gottgewollte Niederwerfung ihres gefährlichsten Widersachers. Und sie sahen, wie Clarendon berichtet, ihre Aufgabe darin, auch den König davon zu überzeugen, "that [the Great Fire] was the greatest blessing that God had ever conferred on him, his restoration only expected; for the walls and gates being now burned and thrown down of that rebellious city, which was always an enemy to the crown, his Majesty would never suffer them to repair and

25 26 27

Hooker, S. 62 und Neal, III, S. 143ff. Hooker, S. 59f. Pepys, V, S. 233.

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build them up again, to be a bit in his mouth and a bridle upon his neck; but would keep all open, that his troops might enter upon them whenever he thought it necessary for his service; there being no other way to govern that rude multitude but by force."28

28

Edward Earl of Clarendon, The Life of Edward Earl of Clarendon in which is included, A Continuation of His History of the Grand Rebellion written By Himself (Oxford, 1857), 2 vols, II, S. 295f.

21

3. London im royalistischen After the iw-Gedicht 3.1. John Drydens Annus Mirabilis Am 10. November, genau zwei Monate nach dem Großen Feuer, vollendete John Dryden sein umfangreiches, mehr als 1200 Verse umfassendes Historical Poem über den Naval War with Holland und das Fire of London. Als die Annus Mirabilis: The Year of Wonders, 1666 betitelte Neuerscheinung29 im Januar 1667 auf den improvisierten Regalen der Buchhändler in der ausgebrannten City auslag, wird sie den informierten Zeitgenossen wohl auf Anhieb an die vieldiskutierten Mirabilis AnnusProphezeihungen der vergangenen Jahre erinnert haben. Für den literarisch Interessierten war freilich zugleich offenkundig, daß es sich bei dem Gedicht nicht um eine neue poetische Variante der gegen König und Kirche gerichteten Pamphlete handeln konnte. John Dryden, dessen Name auf dem Titelblatt der Erstausgabe zu lesen stand, war zu jener Zeit zwar noch nicht der Hofdichter Karls II. Das Amt des poet laureate, mit dessen Übernahme er formell in den Dienst des Königs trat, wurde ihm erst ein gutes Jahr nach dem Erscheinen von Annus Mirabilis angetragen. Seine uneingeschränkten Sympathien für das wiedererrichtete Königtum, den Stuart-Monarchen und die Person und Politik seines Lordkanzlers Clarendon aber waren längst hinreichend bekannt.30 Mit Astrea Redux (1660), einem Gedicht über die "Happy Restoration and Return of His Sacred Majesty", dem zur Krönung erschie29 30

Works of Dryden, I, S. 48-105. Weithin bekannt waren Drydens uneingeschränkte Sympathien für die restaurierte Monarchie und Bischofskirche nicht zuletzt deshalb, weil ihre poetische Veröffentlichung dem Dichter von Seiten der Nonkonformisten den Vorwurf eingebracht hatte, ein tumcoat zu sein. Bekanntlich hatte Dryden noch im Frühjahr 1659 sein Preisgedicht auf den verstorbenen Diktator Oliver Cromwell publiziert, was ihn nicht daran hinderte, sich binnen eines Monats nach Karls Rückkehr mit der Veröffentlichung von Astraea Redux der großen Schar der Restaurationspanegyriker anzuschließen. Die Tatsache freilich, daß die Mehrheit seiner Dichterkollegen es Dryden in dieser Hinsicht gleichtun konnten, ohne sich ähnlichen Anfeindungen auszusetzen, legt den Schluß nahe, daß Dryden die scharfe Kritik weniger

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nenen Panegyrikon To His Sacred Majesty (1661) und dem Preisgedicht auf Clarendon To My Lord Chancelor (1662) hatte er bereits in den ersten Jahren der Restaurationsepoche klar Position bezogen und beachtliche Anerkennung gefunden. Das Besondere dieser frühen Gedichte Drydens besteht weniger darin, daß er in ihnen die Wiedereinführung der Monarchie als Beginn einer neuen Ära des Friedens und der Gerechtigkeit feiert, noch darin, daß er der Restauration gleichsam metaphysische Bedeutung zumißt, wenn er den König mit David und Christus identifiziert und die Monarchie als die allein mit der kosmischen Ordnung in Einklang stehende Staatsform preist. In ähnlicher Weise haben sich auch andere Dichter der Zeit mythologischer und biblischer Bilder und Vergleiche bedient, um ihre Begeisterung für die neue Epoche zum Ausdruck zu bringen.31 Schon Drydens Dichtungen aus der frühen Restaurationszeit war hingegen ein von seinen Dichterkollegen kaum je erreichtes propagandistisches Raffinement eigen, aufgrund dessen sie nicht nur Gleichgesinnte, sondern auch Andersdenkende zu beeindrucken vermochten. Während die Mehrzahl der royalistischen Dichter ihre Enkomien auf das neue Establishment nur um den Preis der Verschweigung kontroverser Meinungen und Einstellungen zustande brachten, zeigen schon Drydens frühe Gedichte eine propagandistische Meisterschaft, die gerade in der geistreichen Kritik, Korrektur oder auch Diskriminierung rivalisierender Ansichten und Standpunkte zutage tritt. Dadurch gelingt es Dryden immer wieder, auch Widerstand provozierende Aspekte der offiziellen Politik als unverzichtbare Bestandteile der in ihrer Gesamtheit weitgehend unumstrittenen Restaurationsordnung plausibel zu machen.32

31 32

seiner durchaus nicht ungewöhnlichen politischen Kehrtwendung als seines außergewöhnlichen Erfolgs wegen auf sich zog, den er in royalistischen Kreisen mit seinen Werken verzeichnen konnte; vgl. dazu auch Eberhard Späth, Dryden als Poeta Laureatus, Literatur im Dienste der Monarchie (Nürnberg, 1969), S. 17ff. Zur besonderen Bedeutung, die die Krone dem Amt des Poett Laureatt and Historiograpber Royal in der Restaurationszeit beimaß, vgl. Späth, S. 14f.: „... das Amt des Poeta Laureatus [wurde] als Analogon zur Institution der Monarchie angesehen." Abgesehen davon, daß der Hof die Existenz des Amtes aus politischen Gründen für wichtig gehalten hat, konnten damit „gleichzeitig die Verdienste der Monarchie um die Literatur hervorgehoben und der bekannten Kunstfeindlichkeit der Puritaner gegenübergestellt werden." Vgl. Works of Dryden, I, S. 214ff. In To His Sacred Majesty (1661) bezieht Dryden zu dem zur damaligen Zeit vielleicht umstrittensten Problem, nämlich zur Restauration der Bischofskirche Stel-

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Bei der Abfassung von Annus Mirabilis entwickelte John Dryden diese poetische Verfahrensweise mit ihrer charakteristischen Verbindung apologetischer und panegyrischer Elemente entschieden weiter. Nachdem London von Pest und Feuer heimgesucht worden war und auch der englisch-holländische Krieg sich noch immer hinzog, schienen sich die Prophezeihungen der Mirabilis ylranws-Pamphlete für das Jahr 1666 auf grausame Weise bewahrheitet zu haben. Mit der Wahl des Titels Annus Mirabilis für sein Gedicht über den Krieg und das Feuer von London signalisiert Dryden seine Entschlossenheit, gegen die von nonkonformistischer Seite propagierte Sicht der katastrophalen Ereignisse anzukämpfen, eine Sicht, die im ausgebrannten London an Boden zu gewinnen und eine bedrohliche antiroyalistische und antiklerikale Stimmung unter der Londoner Bevölkerung hervorzurufen drohte. Dabei geht Dryden seine Aufgabe mit äußerster Behutsamkeit an. Er stellt dem Gedicht eine Widmung an die "Metropolis of Great Britain, The Most Renowned and Late Flourishing City of London" voran, die er als eine in der Geschichte der Dichtung beispiellose Huldigung verstanden wissen möchte.33 Darin preist er das ausgebrannte und bevölkerungsmäßig dezimierte London als die moralisch unvergleichliche Stadt, als die "City, which has set a pattern to all others of true Loyalty, invincible Courage and unshaken Constancy" (48, Iff.). Auf diese captatio benevolentue, welche den Autor in der später nie wieder angenommenen Rolle des Werbers um die Gunst der City zeigt, folgt eine Passage, in der für die über London hereingebrochenen Katastrophen zwei divergierende Interpretationsansätze anklingen: 6

O t h e r cities h a v e b e e n p r a i s ' d f o r t h e s a m e V i r t u e s , b u t I a m m u c h d e c e i v e d if a n y h a v e s o d e a r l y p u r c h a s ' d t h e i r r e p u t a t i o n ; t h e i r f a m e has b e e n w o n t h e m b y cheaper trials t h a n an expensive, t h o u g h necessary, War, a c o n s u m i n g Pestilence, and a m o r e c o n s u m i n g Fire.

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lung, das v o n seinen Dichterkollegen ausgeklammert w i r d . Die als Werk Karls dargestellte Erneuerung der "episcopal church" war, so läßt sich D r y d e n s A r g u m e n tation vereinfachend wiedergeben, nötig, um die "Church f r o m ruine" (47f.) zu bewahren und die "jealous Sects" (81), die mit ihrem "seditious brand" (79) und "zeal" (80) das Land schon einmal in C h a o s und Anarchie gestürzt haben, v o n dem Versuch abzuhalten, ihren aufrührerischen "cause" (81) erneut zu verfolgen. Deutlich w i r d die Verbindung panegyrischer und apologetischer Elemente auch in To My Lord Chancellor (1662), das die Herausgeber der amerikanischen D r y d e n Ausgabe zurecht als "skillful defense of the greatest minister in a time of trial" (Works of Dryden, I, S. 242) charakterisieren. "Works of Dryden, I, S. 48 Zeilen I f f . In der Folge erscheinen bei Zitaten aus der W i d m u n g Seiten- und Zeilenzahlen in K l a m m e r n am Zitatende; bei Zitaten aus dem Gedicht selbst setzen w i r die Verszeilen in K l a m m e r n ans Zitatende.

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io

is 23 25

To submit your selves with that humility to the Judgments of Heaven, and at the same time to raise your selves with that vigour above all humane Enemies; to be combated at once from above and from below, to be struck down and to triumph; I know not whether such trials have been ever parallel'd in any Nation, the resolution and successes of them never can be. ...your afflictions are not more the effects of God's displeasure, (frequent examples of them having been in the Reign of the most excellent Princes) then occasions for the manifesting of your Christian and Civil virtues. (48, 6 ff. und 23 ff.)

In den Zeilen 8,14 und 23 verwendet bzw. paraphrasiert Dryden den Begriff "trials": Krieg, Pest und Feuer werden hier als von Gott auferlegte Prüfungen interpretiert, als "ocassions for the manifesting of your Christian and Civil virtues". In Zeile 10 hingegen ist von der demütigen Unterwerfung Londons unter die "Judgments of Heaven", unter Strafgerichte des Himmels die Rede. Damit nimmt Dryden den theologischen Schlüsselbegriff auf, den die Mirabilis-Annus-Vamph[et\stzn als Synonym für "punishment for grievous sins" verwendeten und mit welchem sie die Schuld an dem prophezeiten Unheil mehr oder minder explizit dem "evil king" und der "oppressive episcopacy" anzulasten pflegen.34 Die Tatsache, daß Dryden den "judgment"-Begriff aufnimmt, bedeutet freilich nicht, daß er der Auffassung der Mirabilis AnnusPamphlete beipflichtet. Der Zurückweisung derartiger Anschuldigungen widmet er lediglich ein in Paranthese gesetztes Argument: "(frequent examples of them having been in the Reign of the most excellent Princes)", (48,24 f.). Vielmehr scheint er, wenn er von der demütigen Unterwerfung Londons unter die Strafgerichte des Himmels spricht, der Stadt selbst ein Schuldbewußtsein suggerieren zu wollen. Aber Dryden verfolgt auch diese, wohl nicht ohne Kalkül implizierte Umkehrbarkeit der von nonkonformistischer Seite propagierten Schuldzuweisung nicht weiter. Im Kontext der in den vorausgehenden und folgenden Sätzen vorgetragenen Deutung der Heimsuchungen als "trials"wird die mit dem "judgment"-Begriff anklingende Kontroverse überlagert. Angesichts der triumphalen Bewährung von Londons "Piety and Vertue" (49, 6) scheint Dryden für die Beendigung der unseligen Schulddebatte zu plädieren.35 So ist in der Widmung auch mit keinem Wort von dem Anta34 35

Hooker, S. 50f. Damit erweckt Dryden den Eindruck, als distanziere er sich von der offiziellen royaüstischen Betrachtungsweise; vgl. dazu auch Anm. 45.

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gonismus zwischen der Krone und der "rebellious city" die Rede. Dryden stellt hier, ganz im Gegensatz zu royalistisch gesinnten Politikern, nicht nur die wünschenswerte (48, 15 f.), sondern auch die tatsächlich bestehende (48,17 f.) Beziehung zwischen der Hauptstadt und dem König als die zwischen "matchless lovers" dar: is

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N e v e r had Prince or People more mutual reason to love each other, if suffering for each other can indear affection. You have c o m e together a pair of matchless Lovers, through many difficulties; H e , through a long Exile, various traverses of Fortune, and the interposition of many Rivals, w h o violenty ravish'd and w i t h - h e l d You f r o m H i m : A n d certainly y o u have had your share in sufferings.(48,15 ff.)

Dabei wird, wenn die Revolutions- und Commonwealthzeit zur Sprache kommt, nicht verheimlicht, daß das Verhältnis erhebliche Zeit gestört war. Die einzigartige Beziehung ist, wie betont wird, erst aufgrund tiefgreifender Leiderfahrungen auf beiden Seiten und nach Uberwindung vielfältiger Schwierigkeiten und Hindernisse zustandegekommen. Aber die Tatsache, daß die Braut London dem für sie bestimmten Prinzen lange Zeit entfremdet war und sich erst spät zu ihm bekannte, wird nicht der City angelastet. Londons einstige Unterwerfung unter die Feinde des Königs wird als ebenso unfreiwillig dargestellt wie Karls Leben im Exil. Dryden spricht die Stadt unzweideutig vom Vorwurf der schuldhaften Verfehlung und Treulosigkeit gegenüber der Krone frei, wenn er ihre Position in den vierziger und fünfziger Jahren damit erklärt, daß sie zu jener Zeit in der Gewalt von Karls übermächtigen Rivalen war, "who violently ravish'd and with-held You from Him" (48, 20). Im letzten Abschnitt der Widmung geht Dryden noch einen beträchtlichen Schritt weiter. Wenn er die Stadt als "a Phoenix in her ashes" (49,4) und "a great Emblem of the suffering Deity" (49,5) preist, münden Apologie und Enkomium gleichsam in eine Apotheose der City. Entgegen den Mirabilis Annus-Va.mp\Ae.x.en, die die prophezeiten Heimsuchungen als Aufruf zur Revolte gegen König und Kirche verstanden wissen wollten, deutet Dryden Pest und Feuer als Teile eines göttlichen Heilsplans, durch den der Stadt die ebenso leidvolle wie ruhmvolle Rolle des Versöhners zufällt. Die City, die den ihr auferlegten Leidensweg wie die "suffering Deity" gehorsam zu Ende gegangen isfund die in ihrer größten Not ihre "true Loyality" und ihre "Piety", d.h. ihre unbedingte Treue gegenüber ihrem König und ihrem Gott unter Beweis gestellt hat, diese City hat durch ihre "sufferings" (49,12) dem gesamten 26

Volk sowohl zu seinem König (48,15f.) als auch zu seinem Gott (49,9) einen neuen Zugang eröffnet. Nach der Lektüre der Widmung erwartet der Leser genau das, was manche ältere und jüngere Kritiker in HryAtns Annus Mirabilis auch gesehen haben: „ein Loblied auf die Stadt London" und „auf einen England wohlgesinnten Gott". 3 6 Tatsächlich aber läßt Dryden in dem Gedicht selbst Darstellungsabsichten erkennen, die von denen, die die Widmung erwarten läßt, deutlich abweichen. Eine erste Akzentverschiebung wird bereits darin erkennbar, daß die "consuming Pestilence" (48,9), die eine der drei in der Widmung hervorgehobenen "trials", in dem Gedicht, von zwei beiläufigen Erwähnungen (1066; 1163) abgesehen, gänzlich ausgespart wird. Die Gründe, die Dryden dazu bewogen haben, dieses Thema fallenzulassen, lassen sich, wie Hooker das tut, erklären: "It was an unmitigated disaster and ... he could not have welded it to his plan without ridiculously distorting the truth, for the King and his officials had been unheroic and many divines of the church had shamefully deserted their posts." 3 7 Einsehbar sind die Gründe für die Aussparung der Pest freilich nur, wenn man Drydens Absichtserklärung in der Widmung, nämlich Londons "Piety and Vertue" (49,6) preisen zu wollen, deutlich von dem unterscheidet, was Hooker "his plan" für das Gedicht nennt. Denn für ein Loblied auf die Stadt und ihre Bewohner wäre es ein durchaus geeignetes Thema gewesen, jene schlimme Zeit zu beschreiben, in der sich sowohl unzählige Londoner Laien als auch die nach London zurückgekehrten nonkonformistischen Geistlichen durch ihren unermüdlichen und unerschrockenen Einsatz für die Kranken und Sterbenden großes Ansehen erworben haben. In einem Gedicht hingegen, das, wie wir es vorläufig hypothetisch fassen wollen, primär als Preisgedicht auf das neue Establishment der Restaurationszeit, auf König und Kirche konzipiert war, ließ sich ein Bericht über die Pestzeit schlechthin nicht unterbringen. Denn jedermann wußte: Der H o f und die Mehrzahl der anglikanischen Geistlichen hatten die Stadt nicht nur verlassen, ehe sich die Seuche zur Massenkatastrophe entwickelte, sie hatten kurz zuvor auch

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Eckart Stein, Annus Mirabilis in: Kindlers Literaturlexikon 12 Bände (Zürich 1970), II, S. 1060. Ähnlich nennt M. van Dören das Gedicht zusammenfassend " D r y den's most ambitious official compliment to the city" in: The Poetry of John Dryden (Cambridge, 1931), S. 218. Hooker, S. 63.

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noch das Five Mile Act durchgesetzt, das nonkonformistischen Lehrern und Pfarrern die Rückkehr nach London verwehren sollte. 38 An anderer Stelle, in dem "Loyal London Describ'd" (600) überschriebenen Gedichtsabschnitt, drängt sich dem informierten Leser der Verdacht auf, Dryden wolle weniger die in der Widmung hervorgehobene Verbundenheit zwischen der City und dem König sinnfällig machen, als sie auf subtile Weise ironisch unterlaufen. Dryden stellt hier das auf den Namen Loyal London getaufte Schlachtschiff vor, das die City dem König auf dem Höhepunkt des englisch-holländischen Seekrieges übergeben hat. Er charakterisiert es mit den nämlichen Metaphern ("Phoenix" 602; "rieh Bride" 603), die er im Vorwort für die Stadt London gebrauchte, bewundert seine Konstruktion und vor allem seine mächtigen Geschütze, und rühmt das Schiff insgesamt als: This martial Present, piously design'd, The Loyal City give their best-lov'd King: And with a bounty ample as the wind, Built, fitted and maintain'd to aid him bring. (613ff.)

Der Verdacht, daß wir es hier weniger mit einer seriösen laudatio auf Londons Loyalität als mit einer hintergründigen Kritik an der mangelnden Gefolgschaftstreue der Stadt zu tun haben, gründet darauf, daß die Loyal London von ihrer Jungfernfahrt im Juni 1666 bis zu ihrem frühen Ende im Jahre 1667 ausschließlich negative Schlagzeilen machte, die wohl nur wenigen Zeitgenossen unbekannt geblieben sind. Sämtliche ihrer "Guns of mighty strength" (609) nämlich sprengten schon beim ersten Auslaufen des Schiffes nicht etwa ihre gegnerischen Ziele, sondern sich selbst in die Luft, was Samuel Pepys in seinem Tagebuch zu der sorgenvollen Eintragung veranlaßte: "[that this] strange mishap ... will give more occasion to people's discourse of the King's business being done ill." 39 Wenn Dryden so das zum höheren Ruhme Londons durchaus taugliche Pestthema ausspart und die Gefolgschaftstreue der Stadt im englisch-holländischen Krieg in höchst ambivalenten Wendungen preist, zeigt er sich im ersten Teil des Gedichts sichtlich wenig bemüht, den "fame" (48,8) sinnfällig zu machen, den die City, wie es in der Widmung heißt, in der Zeit der drei "trials" erworben hat. Als Apologet des 38 39

Vgl. Neal, III, S. 143ff. Pepys, V, S. 344; vgl. Works of Dryden, I, S. 299: "[The 'Loyal London'] seemed ill fated from the start [and] had a short life, being burned by the Dutch in the Thames next year".

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Königs hingegen zeigt sich Dryden entschieden engagierter und erstaunlich erfindungsreich. Hier findet er überzeugende Antworten auf die in den Annus Mirabilis-Pamphleten vorgebrachten Vorwürfe des verschwenderischen, ausschweifenden und allgemein gottungefälligen Lebens- und Regierungsstils des Monarchen, die durch die erwähnte Kriegsgeldaffäre neue Nahrung erhalten und eine nicht unerhebliche Mißstimmung unter Londons Bevölkerung hervorgerufen hatten. Den Vorwurf der Veruntreuung und Verschwendung öffentlicher Gelder entkräftet Diyden mit seinem Bericht über die Reparatur der englischen Flotte, den er unter der Überschrift "His Majesty Repairs the Fleet" (564-600) zwischen die Beschreibung der ersten und der zweiten Seeschlacht einfügt. Das Bild Karls II., das dem von seinen Kritikern verbreiteten hier entgegengestellt wird, ist das eines ökonomisch und strategisch gleichermaßen klug und vorausschauend verfahrenden Monarchen. Die rasche Wiederinstandsetzung der Flotte nach dem ersten Waffengang, die England im weiteren Kriegsverlauf entscheidende Vorteile sichern sollte, wurde, wie Drydens Darstellung suggeriert, erst dadurch möglich, daß Karl einen großen Teil der bewilligten Gelder, des "double charge his Subjects love supplies" (181), frühzeitig in die Errichtung und Ausstattung umfangreicher Material- und Ersatzteillager investiert hatte (565ff.). Dem Vorwurf des gottungefälligen Lebens- und Regierungsstils stellt Dryden das Kriegsglück der englischen Flotte entgegen: Victorious York did, first, with fam'd success, To his known valour make the Dutch give place: Thus Heav'n our Monarch's fortune did confess, Beginning conquest from his Royal Race... The Dutch confess'd Heav'n present, and retir'd, And all was Britain the wide Ocean saw. (73ff. und 87f.)

Die von der Marine erfochtenen Siege gelten nicht nur als für Engländer und Holländer gleichermaßen untrügliche Zeichen von Gottes Wohlwollen gegenüber dem Stuart König und seinem Bruder, dem Duke of York, der an Bord der Royal Charles die Befehlsgewalt ausübt. Sie lassen darüber hinaus erkennen, daß sich Karl mit der Verfolgung seiner Politik in vollkommener Übereinstimmung mit Gott und dem Himmel befindet: So looks our Monarch on this early fight, Th'essay, and rudiments of great success, Which all-maturing time must bring to light, While he, like Heav'n, does each days labour bless.

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Heav'n ended not the first or second day, Yet each was perfect to the work design'd: G o d and Kings work, when they their work survey, And passive aptness in all subjects find. (557ff.)

Dabei beschließt Dryden die Schlachtbeschreibung hier nicht, ohne sich, zumindest implizit, noch einmal mit den Widersachern des Königs auseinanderzusetzen. Wenn er betont, daß auch der am offensichtlichsten von Gott favorisierte und strategisch überlegene König seine Ziele nur erreicht, wenn er auf die "passive aptness in all subjects" (563), auf die unbedingte Gefolgschaft und Unterordnung seiner Untertanen zählen kann, so weist er die Verantwortung für ein mögliches Scheitern seiner Politik jenen Widersachern zu, die die Bevölkerung zu Unzufriedenheit und Ungehorsam aufwiegeln. Auch im zweiten Teil des Gedichts, der Beschreibung des Großen Feuers, gibt Dryden eine Darstellung der Ereignisse, die beträchtlich von jener abweicht, die die Widmung erwarten läßt. Zur Anschauung kommt hier nicht die Londoner Bevölkerung, die ihre "Christian and Civil virtues" unter Beweis stellt, sondern eine in größte Konfusion versetzte Menschenmenge, in deren Mitte selbst die Tapferen (987), die Hilfsbereiten und die Guten (971) ratlos umherirren, ehe der König auf den Plan tritt und sie zu einer Rettungsmannschaft, einer "Army worthy such a King" (972) formiert. Aber auch nach dem entschlossenen Auftreten des Königs verharren viele in ratloser Passivität. Wie gelähmt erwarten sie in ihren Häusern das Herannahen des Feuers (1017f.) oder sie fliehen, obdachlos geworden, in die umliegenden Felder, wo sie sich "like hearded beasts" (1039) niederlegen und sich ihrer Verzweiflung über ihr Unglück überlassen. Noch deutlicher konterkariert Dryden die in der Widmung hervorgehobene vorbildliche Haltung der Londoner in jenen Strophen, in denen er das Verhalten der Armen (997) anprangert, die angesichts des allgemeinen Chaos plötzlich hochmütig werden (997) und die er in Anlehnung an Vergils "ignobile vulgus" als "ignoble crowd" (999) apostrophiert.40 The rich grow suppliant, and the p o o r grow proud: Those offer mighty gain, and these ask more. So void of pity is th'ignoble crowd, W h e n others ruine may increase their store.

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Vgl. Works of Dryden, I, S. 314.

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As those who live by shores with joy behold Some wealthy vessel split or stranded nigh; And, from the Rocks, leap down for shipwrack'd Gold, And seek the Tempest which the others flie: So these but wait the Owners last despair, And what's permitted to the flames invade: Ev'n from their jaws they hungry morsels tear, And, on their backs, the spoils of Vulcan lade. (997ff.)

Die Erbarmungslosigkeit ("void of pity", 999) und die Raffgier (1005ff.), die, wie die Darstellung glauben machen will, als die wahren Charakterzüge der "ignoble crowd" zum Vorschein kommen, sobald sich diese der Kontrolle enthoben meint, diese Charakterzüge sind unschwer als die genauen Umkehrungen jener "Christian and Civil virtues" zu erkennen, die Dryden den Londonern in der Widmung pauschal attestiert hatte. Erneut aufgerollt wird auch - wiederum entgegen den Absichtserklärungen der Widmung - die kontroverse Schuldfragendebatte über die Feuerkatastrophe. Anders als in dem später entstandenen Gedicht Britannia Rediviva41 legt sich Dryden hier nicht auf eine explizite Schuldzuweisung fest. Eine Reihe von Strophen aber legen es mit ihren suggestiven Anspielungen oder Bildverknüpfungen nahe, das Feuer als Strafgericht über die "rebellious city which was always an enemy to the crown" und ihre "rude multitude"42 zu sehen. Das gilt für die Strophen 213-215 (849ff.), in denen in die Beschreibung des rasch um sich greifenden Feuers Bilder des anfangs unbedeutend erscheinenden, aber bald übermächtig werdenden Führers der Rebellion gegen Karl I. eingeblendet werden. Das gilt für die Strophe 276 (llOlff.), in welcher die Zerstörung von St. Paul's mit der Entweihung der Kathedrale durch Cromwells Truppen begründet wird, die das Gotteshaus zu einem "Horse quarter for Soldiers" degradierten.43 Das gilt schließlich für die von Dr. Johnson und anderen Kritikern besonders gerühmte Strophe 223 (889ff.), in welcher die Geister der 1662 hingerichteten Rebellen und Königsmörder über der brennenden Stadt einen gespenstischen Feuertanz vollführen.44

41 42 43 44

Vgl. Britannia Rediviva (1688) in Works of Dryden, II, V. 152ff. Clarendon, Life, II, S. 355. Bell, S. 131 f. Vgl. Works of Dryden, I, S. 311: "This stanza, together with 215, intimates Dryden's belief that the fire served as a penalty for treason and rebellion".

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Dadurch, daß Dryden in diesem vom Großen Feuer handelnden zweiten Teil seines Gedichts sowohl die „Sünden" der City aus der Bürgerkriegszeit in Erinnerung bringt als auch das Verhalten der Londoner während der Katastrophe als ein in vieler Hinsicht beschämendes oder doch jedenfalls wenig ruhmreiches darstellt, korrigiert er seine anfänglich überschwengliche Lobpreisung der City auf unüberhörbare Weise. Damit büßt die Metropole, die in der Widmung als Adressat und hauptsächlicher Gegenstand des "historical poem" vorgestellt worden war, im Gedicht selbst nicht nur die ihr zugeschriebene Funktion als moralisches Vorbild, sondern auch ihre Bedeutung als das zentrale Sujet von Annus Mirabilis ein. Im gleichen Maße nämlich, in dem Dryden die Hauptstadt in zunehmend kritischem Licht erscheinen und als Gegenstand des dichterischen Preises in den Hintergrund treten läßt, rückt er den zum vollkommenen Monarchen stilisierten Karl II. in den Mittelpunkt des Gedichts, das sich damit immer weiter vom encomium urbis, vom Städtelob, entfernt und zum encomium regis, zum Herrscherlob, umgestaltet wird. Während Dryden im ersten, vom englisch-holländischen Krieg handelnden Gedichtsteil hauptsächlich die staatsmännischen und strategischen Fähigkeiten Karls hervorhebt, betont er in seiner Beschreibung des "Fire of London" (832—1148) vor allem die moralischen Qualitäten und die tiefe Religiosität des Königs. Sachverstand, Organisationsfähigkeit und Entscheidungsstärke werden ihm auch hier in einem Maße bescheinigt, das ihn als begnadeten Krisenmanager ausweist (965ff.). Was die Londoner aber mehr noch als sein mutiger und einfallsreicher (973ff.) Kampf gegen das Feuer vor Verzweiflung und Resignation bewahrt, sind das grenzenlose Mitgefühl und die tätige Hilfsbereitschaft des Königs für die Opfer der Katastrophe, "the pity of a king" (960) und "their Sovereign's care" (1037), die Dryden vielsagend mit der Erbarmungslosigkeit einer niederträchtigen Minderheit ("so void of pity is th'ignoble crowd", 999) und der "idle care" (965) einer von der Katastrophe paralysierten Mehrheit (966, 1025ff.) kontrastiert: N o thought can ease them but their Sovereign's care, Whose praise th'afflicted as their comfort sing: Ev'n those whom want might drive to just despair, Think life a blessing under such a King. (1037ff.)

Die schließliche Rettung vor dem unausweichlich erscheinenden totalen Ruin aber verdankt die City der tiefen Frömmigkeit des Königs, der mit seiner Fürbitte für die brennende Stadt selbst die zum Mittler zwi32

sehen Gott und dem Menschen berufenen Heiligen an Ausdauer und Inständigkeit übertrifft: Mean time he sadly suffers in their grief, Out-weeps an Hermite, and out-prays a Saint: All the long night he studies their relief, H o w they may be suppli'd, and he may want. (1041ff.)

Das folgende, in direkter Rede gehaltene Gebet des Königs, das einen eigenen, "King's Prayer" (1045-1080) überschriebenen, Gedichtsteil darstellt, weist drei verschiedene Bedeutungsaspekte auf: Es markiert den Wendepunkt des äußeren Katastrophenverlaufs, den Angelpunkt der apokalyptischen Geschichtsdeutung und den Höhepunkt des Herrscherpreises in Annus Mirabilis: 1045 O God, said he, thou Patron of my days, Guide of my youth in exile and distress! W h o me unfriended, brought'st by wondrous ways The Kingdom of my Fathers to posses: Be thou my Judge, with what unwearied care 1050 I since have labour'd for my People's good; To bind the bruises of a Civil War, And stop the issues of their wasting bloud.

loss

Thou, who hast taught me to forgive the ill, And recompense, as friends, the good misled; If mercy be a Precept of thy will, Return that mercy on thy Servant's head.

Or, if my heedless Youth has stept astray, Too soon forgetful of thy gracious hand: O n me alone thy just displeasure lay, 1060 But take thy judgment from this mourning Land. We all have sinn'd, and thou hast laid us low, As humble Earth from whence at first we came: Like flying shades before the clowds we show, And shrink like Parchment in consuming flame. 1065 O let it be enough what thou hast done, When spotted deaths ran arm'd through every street, With poison'd darts, which not the good could shun, The speedy could out-fly, or valiant meet.

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The living few, and frequent funerals then, 1070 Proclam'd thy wrath on this forsaken place: And now those few w h o are return'd agen T h y searching judgments to their dwellings trace. O pass not, Lord, an absolute decree, O r bind thy sentence unconditional: 1075 B u t in thy sentence our remorce foresee, A n d , in that foresight, this thy d o o m recall. T h y threatnings, L o r d , as thine, thou maist revoke: But, if immutable and fix'd they stand, Continue still thy self to give the stroke, 1080 A n d let not foreign foes oppress thy Land. (1045ff.)

Als Schlüssel für die Deutung der über London hereingebrochenen Heimsuchungen stellt das Gebet des Königs die endgültige Widerlegung jener in der Widmung vorgetragenen Auffassung dar, wonach Krieg, Pest und Feuer nicht als "Judgments of Heaven" und Zeichen von "God's displeasure", sondern als "trials" und "occasions for the manifesting of [London's] Christian and Civil virtues" zu verstehen sind. In Frage gestellt wird diese Sicht der Ereignisse, wie wir oben dargelegt haben, bereits in einer Reihe anspielungsreicher Strophen des zweiten Gedichtsteils. Erst im Gebet des Königs aber wird sie gleichsam von authentischer Seite revidiert: Während die in der Widmung bekräftigten Begriffe "trials" und "occasions for the manifesting of your Christian and Civil virtues" aus dem Wortschatz des Königs gestrichen werden, avancieren die in der Widmung verworfenen Komplementärbegriffe "Judgments of Heaven" und "God's displeasure" zu Schlüsselwörtern des Gebets, die als wörtliche Zitate (1060,1072,1059) bzw. als synonyme Wendungen (1073, 1074, 1076, 1070) insgesamt siebenmal wiederkehren.45 Damit enthüllt das Gebet - das als Karls Zwiesprache mit seinem "Patron" (1045) und "Judge" (1049) über jeden Verdacht, ein falsches Zeugnis zu sein, erhaben ist - die wahren Absichten und Beweggründe 45

Dabei ist es besonders aufschlußreich, daß sich die gleichen Begriffe in Karls Proclamation vom 13. September 1666 finden, die Dry den mit Sicherheit bekannt war. Dort heißt es: "it hath pleased God to lay his heavy judgment upon us all in this time as an evidence of his displeasure for our sins", zit. in Birch, S. 224; vgl. auch S. 230. Dryden bezieht hier also - nachdem er in der Widmung den entgegengesetzten Eindruck erweckt hatte - gleichsam die regierungsamtliche Position, was unten S. 44f. und in Anm. 59 ausgeführt wird.

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Gottes: Sowohl die Pest (1065ff.) als auch das Große Feuer (1071ff.) sind "judgments" (1060; 1072), Strafgerichte, die Gott aufgrund seines "just displeasure" (1059) und seines "wrath on this forsaken place" (1070) verhängt hat, um die Stadt einem "absolut decree" (1073) bzw. einem "sentence unconditional" (1074) zu unterwerfen und sie dem Untergang, dem "doom" (1076), preiszugeben. Die auf das Gebet des Königs folgenden Strophen zeigen freilich, daß Gott das über die Stadt ausgesprochene Todesurteil schließlich abmildert: At length th 'Almighty cast a pitying eye, And mercy softly touch'd his melting breast: H e saw the Town's one half in rubbish lie, And eager flames give on to storm the rest. An hollow chrystal Pyramid he takes, In firmamental waters dipt above; Of it a brode Extinguisher he makes, And hoods the flames that to their quarry strove. (1117ff.)

Gottes Mitgefühl (1117) und Gnade (1118) gewinnen schließlich über seinen "wrath on this forsaken place" (1070) die Oberhand und bewegen ihn dazu, die gegen den noch unzerstörtenTeil der City anstürmenden Flammen zu ersticken. Aber während Dryden in der Widmung den Eindruck erweckte, als habe sich die Stadt durch das triumphale Zeugnis ihrer "Piety and Vertue" ewigen Ruhm erworben (48,7; 49,6f.), so stellt er in den auf das Gebet folgenden Strophen unzweideutig heraus, daß London nur durch eine gänzlich unerwartete Sinnesänderung Gottes vor dem totalen Ruin bewahrt wurde, durch einen "more than natural change" (1129), den niemand anderer als der König zu erwirken vermochte. Während selbst die himmlischen Engel (1114)46 ihren "angry God" (1115) nicht anzublicken wagten, als er das Feuer in London wüten ließ, fand Karl mit seiner Fürbitte für den "forsaken place" (1070) bei dem "Patron of [his] days" (1045) Gehör: "Th'Eternal heard, and from the Heav'nly Quire..." (1081). Dabei erklärt sich Gottes Revokation (1077) seines Verdammungsurteils gegen die Stadt allein aus der Person des 46

Die "In th'Empyrean Heaven" (1113) wohnenden " T h r o n e s " (1114) und " D o m i nions" (1114) sind eine Anspielung auf The Epistle of Paul the Apostle to the Colossians, 1,16, wo es heißt: "For by him were all things created, that are in heaven, and that are in earth, visible and invisible, whether they be thrones, or dominions, or principalities, or powers".

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Fürbitters, dem im Gebet gleichsam die Aura einer an Christus erinnernden Erlöserfigur zuwächst. Der König nämlich hat, wie wir aus seinen Gebetsworten erfahren, seine Liebe für die Stadt und ihre Bewohner nicht erst beim Ausbruch des Feuers unter Beweis gestellt. Er hat seinen einstigen Feinden, die sein Land in blutige Bürgerkriege gestürzt (1049ff.) und ihm selbst ein Leben "in exil and distress" (1046) aufgezwungen hatten, vielmehr schon zu Beginn seiner Regentschaft vergeben (1053; 1055), ihnen die Hand zur Freundschaft gereicht (1054) und sie - ähnlich wie Christus seine Verfolger - als the "good misled" (1054) betrachtet, als Sünder, die nicht wußten, was sie tun. Das schließliche Erbarmen des "angry God" (1115) mit der Hauptstadt aber erwirkt der betende Karl vor allem durch seine bis zur Selbstaufopferung reichende Identifikation mit London und seinen Bewohnern. Diese tiefe Verbundenheit läßt ihn selbst auf dem Höhepunkt der Katastrophe nicht nur darauf verzichten, selbstgerecht zwischen sich und den schuldig gewordenen Bewohnern des "forsaken place" (1070) zu unterscheiden. Sie veranlaßt ihn sogar zu der Bitte, Gott möge das "mourning land" (1060) vor der ungemilderten Vollstreckung seiner "judgments" (1060) bewahren und seinen gerechten Zorn allein auf ihn richten: Or, if my heedless Youth has stept astray, Too soon forgetful of thy gracious hand: O n me alone thy just displeasure lay, But take thy judgments form this mourning Land. (1057ff.)

Mit dieser an Christi Selbstaufopferung erinnernden Bereitschaft, die Schuld seiner Untertanen durch sein stellvertretendes Sühneleid zu tilgen, vermag Karl den Allmächtigen gnädig zu stimmen:"At length thAlmighty cast a pitying eye, And mercy softly touch'd his melting breast" (1117f.). Damit bewahrt er die City vor dem ihr zugedachten totalen Ruin (1073f.) und erschließt ihren Bewohnern zugleich einen neuen Zugang zu Gott: An die Stelle des auf das Gesetz von Vergehen und Strafe gegründeten Verhältnisses zwischen den einstigen Rebellen und dem "angry God" (1115) tritt eine neue, Versöhnung verheißende Beziehung zwischen den reuigen Sündern (1075) und dem gnädigen Gott (1118). Während die City und ihre Bewohner in zunehmend kritischem Licht erscheinen oder, theologisch gesprochen, immer klarer als die Sünder erkennbar werden, die für Gottes "just displeasure" (1059), seinen "wrath on this forsaken place" (1070) und die über die Stadt verhängten "judgments" (1072) verantwortlich sind, wird der König so immer deutlicher zum wahren Verkörperer jener enkomiastischen Attri36

bute stilisiert, mit denen London in der Widmung des Gedichts als die moralisch unvergleichliche Stadt gepriesen wurde. Nicht von der mehrfach gerichteten Stadt, so suggeriert Drydens Darstellung, sondern allein von dem vielfältig leidgeprüften (48,18f.) König läßt sich zu Recht sagen, er sei ein leuchtendes Vorbild "of true Loyality, invincible Courage and unshaken Constancy" (48,4f.), er habe einen triumphalen Beweis seiner "Piety and Vertue'' (49,6) geliefert und sich durch sein bis zur Selbstaufopferung reichendes Eintreten für seine Untertanen würdig erwiesen, "a great Emblem of the suffering Deity" (49,5) genannt zu werden. Im letzten Gedichtsabschnitt (1149-1216), der übergangslos in die abschließende Zukunftsvision der wiedererbauten Metropole einmündet, stellt Dryden klar, daß die in Annus Mirabäis sinnfällig gemachte Sicht des Geschehens nicht allein seine eigene, sondern uneingeschränkt auch die der Londoner ist: This Royal bounty brought its own reward, And, in their minds, so deep did print the sense: That if their ruines sadly they regard, 'Tis but with fear the sight might drive him thence. (1145ff.)

Dryden führt das im Gebet des Königs angesprochene Thema von der Buße der Londoner nicht explizit aus. Aber er läßt keinen Zweifel daran, daß die von "their Sovereign's care" (1037) und der "Royal bounty" (1145) tief beeindruckten Stadtbewohner die von Karl in seinem Gebet antizipierte Reue (1075) tatsächlich zeigen. Nicht minder bestimmt als durch ein ausdrückliches Reuebekenntnis der Londoner kommen ihr Schuldempfinden und ihr Wissen, daß ihre Errettung durch keinerlei eigene Leistung, sondern allein durch Karls Fürbitte erwirkt wurde, in ihrer Angst zum Ausdruck, sie könnten den König verlieren, der sich in so überzeugender Weise als "Father of the people" (1141) und als der wahrhaftige Stellvertreter Gottes ("God's Annointed God's own place suppli'd", 1143) erwiesen hat und dem sie ihre Erlösung von der "fear" (1138) und die Erfüllung ihrer Herzen mit neuer "gladness" (1137) allein verdanken. Auch der Uberschrift des letzten Gedichtsabschnitts "Cities Request to the King not to leave them" (1148) folgt nicht, wie man erwarten würde, eine in direkter oder auch indirekter Rede gehaltene explizite Adresse der Stadtbewohner an den König. Dabei darf man vermuten, daß Dryden aus wohlerwogenen Gründen davon Abstand nahm, den Londonern eine nach bedingungsloser Unterwerfung klingende „Verweile-doch"-Petition in den Munde zu legen. Damit hätte er wohl auch 37

bei den ausgebrannten Bewohnern der seit jeher auf die Erhaltung und Erweiterung ihrer Autonomie bedachten Hauptstadt wenig Anklang gefunden. Aber auch im Kontext der gewählten auktorialen Darstellungsform erfüllt die Überschrift des letzten Gedichtteils "Cities Request to the King not to leave them" eine wichtige Funktion. Sie dient gleichsam als Kennzeichnung der politischen Neuorientierung der zerstörten Stadt, die Dryden mit Annus Mirabilis zu befördern gedachte, als Formel für die, wie das Gedicht suggeriert, zwischen London und dem König neu entstandene Beziehung, die den in Ciarendons Autobiographie umrissenen Antagonismus zwischen der "rebellious city" und der "crown" aus den Tagen vor der Katastrophe ein für allemal beendet. So ist auch das neue London, das Dryden in der abschließenden Zukunftsvision seines Gedichts aus der "Chymick flame" (1169) emporwachsen sieht, eine "City of more precious mold" (1170), eine aus kostbarem Stoff erbaute und von allen Schlacken befreite Metropole, deren Straßen mit Silber gepflastert und deren Kuppeln mit Gold gedeckt sind: Me-thinks already, from this Chymick flame, I see a City of more precious mold: Rich as the Town which gives the Indies name, With Silver pav'd, and all divine with Gold. (1169ff.)

Diese mit alchemistischen Metaphern sinnfällig gemachte Metamorphose der City vom unedlen zum kostbaren Gebilde wird in den folgenden Strophen mit Hilfe einer aus dem sozialen Bereich genommenen Metapher variiert: Before, she like some Shepherdess did show, Who sate to bathe her by a River's side: Not answering to her fame, but rude and low, Nor taught the beauteous Arts of Modern pride. Now, like a Maiden Queen, she will behold, From her high Turrets, hourly Sutors come: The East with Incense, and the West with Gold, Will stand, like Suppliants, to receive her doom. (1181ff.)

Die am Themseufer als nackt badende Schäferin vorgestellte einstige Stadt, die durch ihre Erscheinung und ihr Betragen weder ihre Zugehörigkeit zu den unteren Schichten der Gesellschaft noch ihre Wirkung auf die niederen Instinke des Menschen verleugnen konnte, diese als 38

"rude and low" (1183) charakterisierte Schäferin verwandelt sich in eine jungfräuliche, ganz dem petrarkistischen Unnahbarkeitsideal verpflichtete Königin (1185), die von den hohen Zinnen ihres Schlosses herab keinem der stündlich aus allen Himmelsrichtungen eintreffenden Werber auch nur die leisesten Hoffnungen macht. So erklärt sich Londons change into something rich and strange daraus, daß die zukünftige Kapitale - wie es die alchemistischen und ständischen Metaphern bereits nahelegen - nicht länger das rohe Produkt unreiner Stoffe oder der in Erscheinungsbild und Lebensstil von den unteren Gesellschaftsschichten geprägte Lebensraum sein wird, sondern eine alles menschliche Mittelmaß übersteigende (1177) und sich zu gleichsam göttlicher Gestalt erhebende (1178) "Royal City" (1159), die mit ihrer Größe (1177), ihrer Schönheit (1203) und ihrer Pracht (1199) die strahlenden und geschäftigen Metropolen am Tajo, am Rhein und an der Seine in den Schatten stellen (1193ff.) und sich mit ihren bis ans Ende aller Zeiten gültigen "Charters" (1175) für die Kaufleute der ganzen Welt zum "fam'd Emporium" (1205) und zur ständigen Wahlheimat entwickeln wird. More great then humane, now, and more August, New deifi'd she from her fires does rise: Her widening streets on new foundations trust, And, opening, into larger parts she flies...

The wealthy Tagus, and the wealthier Rhine,

The glory of their Towns no more shall boast: And Sein , that would with Belgian Rivers joyn, Shall find her lustre stain'd, and Traffick lost. The vent'rous Merchant, who design'd more far, And touches on our hospitable shore: Charm'd with the splendour of this Northern Star, Shall here unlade him, and depart no more. (1177ff. u. 1193ff.)

Die Bewohner dieses zukünftigen London werden, wie Dryden seine Leser glauben machen möchte, ihren Stolz über die einzigartige Bedeutung und Macht ihrer Stadt nicht mehr aus ihrer politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit von der Krone beziehen, aus ihren "principles of government diametrically opposed to those represented by the King, the Court, and ministers with absolutist leanings."47

47

J.R. Jones, S. 198.

39

But so may he [the King] live long, that Town to sway, Which by his Auspice they will nobler make, As he will hatch their ashes by his stay, And not their humble ruines now forsake. (1149ff.)

Sie werden im Gegenteil die Herrschaft über die Stadt (1149) und die Leitung für ihren Wiederaufbau (1150) in die Hände des Königs legen, der durch sein Verbleiben erkennen ließ, daß er das neue London, nicht minder als Gott die von ihm erschaffene Welt, als sein ureigenstes Werk zu betrachten und zu befördern gedenkt. Die unter solchen Bedingungen neu entstehende Stadt wird sich nicht mehr, wie es in Ciarendons Autobiographie von der "rebellious city" aus den Tagen vor dem Großen Feuer heißt, gegen den König stellen und "a bit in his mouth and a bridle upon his neck" sein wollen. Die Londoner werden vielmehr alle ihnen verfügbaren Kräfte und Mittel, "their loyalty" (1153), "their courage" (1154) und "their wealth" (1154) in den Dienst des Königs stellen, dessen Politik für die Hauptstadt und das Reich gleichermaßen Ruhm und Wohlstand garantiert: They have not lost their Loyalty by fire; Nor is their courage or their wealth so low, That from his Wars they poorly would retire, Or beg the pity of a vanquish'd foe... And, while this fam'd Emporium we prepare, The British Ocean shall such triumphs boast, That those who now disdain our Trade to share, Shall rob like Pyrats on our wealthy Coast. Already we have conquer'd half the War, And the less dang'rous part is left behind: Our trouble now is but to make them dare, And not so great to vanquish as to find. Thus to the Eastern wealth through storms we go; But now, the Cape once doubled, fear no more: A constant Trade-wind will securely blow, And gently lay us on the Spicy shore. (1153ff. u. 1205ff.)

In der bereits herangezogenen Autobiographie des 1667 gestürzten Lordkanzlers Clarendon besitzen wir ein zeitgenössisches Dokument, das trotz seiner unleugbar apologetischen Tendenz einen außergewöhnlich aufschlußreichen Einblick vermittelt in den Stand der Beziehungen zwischen der Krone und der City gegen Ende des "dismal year 1666", 40

in dessen Verlauf, wie auch Clarendon bemerkt, "many prodigees were expected, and so many fell out." 48 Auch Clarendon hebt hervor, daß der Einsatz des Königs während der Feuersbrunst außergewöhnlich war und von den Londonern mit großer Bewunderung und mit "good wishes and prayers for him" aufgenommen wurde. Wer immer den König, so fährt Clarendon fort, in jenen Tagen "with great piety and devotion [of] God's displeasure" hatte sprechen hören, zeigte sich davon überzeugt, "that the deep sense of it did raise many good thoughts and purposes in his royal breast." Und man war zuversichtlich, daß die Ereignisse auch am Hof ihren Eindruck nicht verfehlen, sondern eine "reformation in the licence of the court" bewirken würden. Aber die Hoffnung trog. Die Kavaliere am Hof Karls II. reagierten auf die Katastrophe nicht mit Betroffenheit. Sie kommentierten die Zerstörung der "rebellious city" vielmehr mit Zynismus und unverhohlener Schadenfreude als "the greatest blessing that God had ever conferred on him [the King], his restoration only excepted" und unternahmen, wie es bei Clarendon heißt, alle Anstrengungen, den König seine "melancholy" und seine "good thoughts and purposes" vergessen zu machen.49 Die höfische Rezeption der Londoner Katastrophe vermag kaum zu überraschen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Beschwörung eines "raging fire" als vernichtendes Strafgericht über die abtrünnige City bereits zum Motivkatalog der Polit-Lyrik der Cavaliers aus der Bürgerkriegszeit gehört50 und daß sich mit der Restauration ein als „konservativer Mythos" bezeichnetes Politik- und Staatsverständnis breitmachte,

48

49 50

Clarendon, Life, II, S. 2 8 0 ; zur Problematik von Ciarendons historiographischer Methode vgl. C . H . Firth, "Clarendon's History", in: English Historical Review 19 (1904), S. 26ff., S. 246ff., S. 464ff.; vgl. auch H . R. Trevor-Roper, "Clarendon on the Practice of History", in: Milton and Clarendon: Papers on the 17th Century English Historiography (London, 1965). Clarendon, Life, II, S. 295f. Das folgende Zitat stellt die dritte Strophe einer The Lamentation betitelten Ballade aus den Rump Songs der Cavaliers dar, die mit der Zeile "Mourn, London, mourn" beginnt: "Fire raging fire / Shall burn thy stately towers down, Yet not expire, / Tygres and Wolves, or men more savage grown, / Thy Childrens brains, and thine shall dash, / And in your blood their guilty tallons wash, / Thy Daughters must / Allay their lust / Mischiefs will be on mischief thrust, / Till thy Cap tumble as thou mad'st the C r o w n . " , in: Rump: or an Exact Collection Of the Choycest Poems and Songs Relating to the Late Times. By the most Eminent Wits, from Anno 1639 to Anno 1661, 2 parts (London, 1662; reprint 1874), Part II, S. 2 7 2 ; vgl. auch Part I, S. 27. Der Autor des 1648 verfaßten Textes ist Alexander Brome; vgl. dazu H.F. Brooks, " R u m p Songs", in: Oxford Bibliographical Society Proceedings & Papers, 5 (1936), S. 301.

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das mit dem Hinweis auf die Ereignisse der vierziger Jahre die Inkriminierung jeglicher oppositioneller Regungen in der City und anderswo erlaubte.51 Die Kritiker des Establishments andererseits sahen, wie Clarendon berichtet, daß sich mit der Veröffentlichung und propagandistischen Ausbeutung der stadtfeindlichen Reaktion des Hofes Politik machen und das jüngst erworbene Ansehen des Königs erneut unterminieren ließ.52 Als das Unterhaus dem nach Pest und Feuer um wichtige Einnahmequellen beraubten König im Oktober 1666 - ungeachtet seiner im September gegebenen Zusage "to give supply to the king proportionable to his wants" - die Bewilligung der geforderten Gelder versagte, traten, wie es bei Clarendon heißt, "the great decay of the King's reputation with the people" und "the true state of the crown" offen zutage. 53 "All motions for present supply", so schließt der Bericht des Lordkanzlers über die Unterhaussitzungen im Oktober 1666, "were to be laid aside." 54 Erst im Februar des folgenden Jahres, nachdem der König sowohl der erneuten Forderung nach Einrichtung einer "commission for inspecting the public accounts" als auch der nach Berufung eines "committee for inquiring into the causes of the fire" stattgegeben hatte, bewilligte das Unterhaus neue Gelder, die allerdings weder hinsichtlich

51

52

53 54

Vgl. Bemhard N . Schilling, Dryden and the Conservative Myth, A Reading of Absalom and Achitophel ( N e w Haven and London, 1961), S. 68ff. Clarendon, Life, II, S. 296: "This kind of discourse [about the destruction of the city being the greatest blessing] was repeated in all companies, infinitely to the king's disservice and corrupted the affections of the citizens and provoked the critics who used and assumed the same liberty to publish the profaneness and atheism of the court. And as nothing was done there in private, so it was made more public in pasquils and libels, which were as bold with reflections of the broadest nature upon the king himself, and upon those in whose company he was most delighted, as upon the meanest person." Clarendon, Life, II, S. 300 und 317. Clarendon, Life, II, S. 317f.: "Though they [the C o m m o n s ] made the same professions of affection and duty to the king they had ever done, they did not conceal the very ill opinion they had of the court and the continual riotings there: and the very ill discourses of some (who were much countenanced) upon the miserable event of the fire made them even believe; that the former jealousies of the city ... were not without foundation, nor without just apprehension of a conspiracy ... When any mention was made of the declaration they had so lately passed, for giving the king supply ... it was answered with passion, that the king's wants must be made first to appear before any supply must be discoursed o f . . . and that they cannot but conclude, that if his majesty hath been honestly dealt with, there must remain still a very great proportion of money to carry on the war etc. ..."

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ihrer Höhe noch ihres vorgeschriebenen Verwendungszwecks den Erwartungen der Krone entsprachen.55 Die Kenntnis der "true State of the crown" gegen Ende des Jahres 1666 erklärt sowohl die allgemeine Zielrichtung von Drydens Annus Mirabilis als auch die bislang unbeachtet und unerklärt gebliebenen Widersprüche zwischen dem Tenor der Widmung und dem des Gedichts selbst. Mit Annus Mirabilis wendet sich Dryden in erster Linie gegen die politischen und religiösen Gegner des neuen Establishments. Diese konnten zwar noch nicht als etablierte Opposition mit einer schlagkräftigen Presse, sondern lediglich als eine im Untergrund agierende Gruppe von Dissidenten mit informellen Beziehungen zu den malcontents im Kavaliersparlament auftreten. Aber es gelang ihnen nichtsdestoweniger, die politische Auseinandersetzung in die Londoner Öffentlichkeit hineinzutragen und Stimmungen zu erzeugen, die von den Vertretern der Churth and King Party als gefährlich betrachtet wurden.56 Die Tatsache, daß Dryden auf die Mirabilis-Annus-PzmpYilett in Versform antwortet, daß er den Konflikt zwischen der Krone und der City zum Gegenstand eines in vierzeiligen Stanzen geschriebenen Gedichts57 macht, wirft ein interessantes Schlaglicht auf die Entwicklungstendenzen der Restaurationsdichtung. Während die jüngeren Cavaliers in ihren poetischen Kunstgebilden das Erbe der Antike und die formalen Möglichkeiten der Renaissance als Material für ihre höfischen Spiele und Posen verbrauchten und auf die Bezüge zur Wirklichkeit aufgrund ihrer unsicheren Weltbeurteilung immer weitergehend verzichteten,58 entsteht aus der Feder bürgerlicher Autoren wie John Dryden - die freilich im Dienst der einen oder anderen Klasse stehen können - eine neue Form der publicpoetry. In verschiedenen Gattungen, wie der Satire, dem Lehrgedicht oder dem politischen Gelegenheitsgedicht, erschließen sich diese Autoren neue aktuelle und gesellschaftlich relevante Themenbereiche und demonstrieren damit zugleich ein unerhörtes Vertrauen sowohl in ihre Fähigkeit zur Darlegung und Beurteilung der aufgegriffenen Probleme als auch in die Wirkung ihres Mediums zur Schaffung einer die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen lenkenden öffentlichen Meinung. Deutlicher noch als in Drydens eingangs erwähnten frühen Preisge55 56 57

58

Clarendon, Life, II, S. 318f. Clarendon, Life, II, S. 298 und 300ff. Zu Drydens Meisterschaft im Umgang mit der Gondibert-Strophe vgl. Works of Dryden, I, S. 267ff. Vgl. Englische Barockgedichte, ausgewählt, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Hermann Fischer (Stuttgart, 1971), Einleitung, S. 15.

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dichten wird dieses Vertrauen in seine Fähigkeit, auf die anstehenden politischen Konflikte einwirken und sie entschärfen zu können, in Annus Mirabäis. Aus dieser übergeordneten politischen Wirkungsabsicht des Gedichts erklärt es sich auch, daß das darin sich manifestierende Interesse an der City nur scheinbar Ausdruck der Bewunderung für die "courage, loyalty and magnanimity of the City" (50,23f.) ist, deren Dryden seine Londoner Leser sowohl im Vorwort wie im „An account of the ensuing Poem" wiederholt versichert. Drydens Interesse an der City ist in Wahrheit Ausdruck der in royalistischen Kreisen verbreiteten Beunruhigung über die politische Rolle der Stadt als Brutstätte gesellschaftlicher Unruhen und Konflikte, einer Beunruhigung, die sich Dryden bei der Abfassung seines Gedichts offenbar aus Uberzeugung zu eigen macht. Denn auch für Dryden ist London, wie wir gesehen haben, negativ besetzt. Auch er assoziiert, wie unter anderem der Gedichtstitel, das Gebet des Königs oder die Anspielungen auf die Bürgerkriegszeit verdeutlichen, sowohl die City der vierziger wie die der sechziger Jahre mit Unruhe, Rebellion und Strafgericht. Und auch er sieht, den Zynikern im H o f darin durchaus vergleichbar, nach der Feuerkatastrophe die Chance und die Notwendigkeit, die einschneidende Zäsur in der Entwicklung Londons für die Durchsetzung einer grundlegenden Wende in der Beziehung zwischen der City und der Krone zu nutzen. Aber während die aggressiven Kommentare aus Westminster und die anklägerischen Gedichte anderer noch zur Sprache kommender Royalisten die in den Tagen der N o t erneuerte Verbundenheit der Londoner mit dem König wieder untergruben und neues Mißtrauen und neue Verdächtigungen aufkeimen ließen, beweist Dryden seine Originalität und seine psychologische Meisterschaft dadurch, daß er mit Annus Mirabilis ein Gedicht zu schreiben versteht, mit welchem er die Interessen des Königs verficht, ohne sich die Sympathien der Londoner zu verscherzen. So verweist Dryden die eingangs gerühmte moralische Vorbildlichkeit Londons zwar auf subtile Weise ins Reich der Legende, wenn er dem im Vorwort in Aussicht gestellten encomium urbis im Gedicht selbst ein mit zahlreichen stadtkritischen Anspielungen und Bildverknüpfungen durchwobenes encomium regis folgen läßt. Und er diskreditiert damit zugleich die durch den Gedichtstitel in Erinnerung gebrachte Mirabilis-Annus-Polemik gegen den "evil and despotic king" als gegenstandslose Propaganda. Aber er geht mit der Hauptstadt nicht wie ein Vertreter der Anklage ins Gericht. Sein Tenor ist vielmehr der eines sympathetischen Fürsprechers, der den Eindruck erweckt, daß er

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den unglücklichen Londonern allzugern durch die Hervorhebung ihrer Qualitäten und Leistungen Trost spenden und Hoffnung geben würde, der aber nach eingehender Abwägung zu der Uberzeugung kommt, eine Zukunftschance f ü r die heimgesuchte Stadt nur im Vertrauen auf ihre Einsichts- und Umkehrbereitschaft sehen zu können. Aus diesem Grund, so gibt seine von der panegyrischen Vorrede abweichende Darstellung zu verstehen, entschließt er sich dazu, den Londonern ihre Fehler und Fehleinschätzungen aus der jüngeren und jüngsten Vergangenheit in schonungsvoller Form bewußt zu machen und die Uberwindung der fatalen Oppositionshaltung der City in der abschließenden Zukunftsvision eines neuen, seinem könglichen Erretter und Förderer ergebenden "Royal London" poetisch zu antizipieren. 59

3.2. J o h n C r o u c h s Londinenses

Lacrimae

Möglicherweise schon einige Wochen vor Annus Mirabiüs erschien in der zerstörten Hauptstadt ein Gedicht mit dem Titel Londinenses Lacrimae,^ dessen Verfasser John Crouch, ähnlich wie Dryden, bereits im Jahre 1660 in einem Preisgedicht auf den König und seine beiden Brü-

59

60

Wieweit sich Dryden in Annus Mirabilis damit zuletzt der regierungsamtlichen Sicht der Ereignisse nähert, zeigen die schon erwähnte Proclamation issued by King Charles II, To prohibit the Rebuilding of Houses after the Great Fire of London, without conforming to the General Regulations therein premised worn 13. September 1666 und die Official Narrative of the Great Fire, die am 8. September 1666 in der London Gazette, dem offiziellen Organ von Karls Regierung, erschien. Nimmt man die beiden offiziellen Verlautbarungen zusammen, so findet man die in Drydens Gedicht mit poetischer und psychologischer Meisterschaft plausibel gemachten Anschauungsweisen in den Grundzügen vorformuliert: Die apokalyptische Deutung des großen Feuers und die Verurteilung der sündigen City (Gaz., 332, Proel., 224), die Stilisierung des Königs zum allseits bewunderten Erretter der Stadt (Gaz., 332f.) und zum keine persönlichen Anstrengungen und Opfer scheuenden spiritus rector ihres Wiederaufbaus (Proel., 230), die Überwindung der Konflikte zwischen der City und der Krone durch die Katastrophe (Gaz., 333f.) und schließlich die an die Adresse der Londoner gerichtete Erwartung des Königs "[that] our seasonable animadversion shall... meet with that prudent submission we expect" (Proel., 225). Die in Klammern hinter Proel, aufgeführten Seitenzahlen verweisen auf Birch, die hinter Gaz. aufgeführten auf Bell, wo die Texte ungekürzt abgedruckt sind. Londinenses Lacrima. Londons Second Tears mingled with her Ashes. A Poem by John Crouch (London, Printed for T. Palmer at the Crown in Westminster-Hall. 1666), BL. 45

der61 seine Begeisterung über die Wiedereinführung der Monarchie zum Ausdruck gebracht hatte.62 Zwischen die deskripitiven Passagen des 234 Zeilen umfassenden, in "heroic couplets" geschriebenen Gedichts, in denen das Zerstörungswerk der Flammen und die hoffnungslosen Versuche der Londoner, das Feuer unter Kontrolle zu bringen, beschrieben werden, hat der Autor drei aufeinander bezogene diskursive Abschnitte eingefügt, in welchen die Fragen nach den Ursachen des "dreadful Fire" (49) aufgeworfen werden: This dreadful Fire first seiz'd a narrow Lane, As if the Dutch or French had laid a Train. But grant they or that Boutifeu their Roy, Form'd this Cheval for Britain's envy'd Troy; These might the stroke, did not the wound dispense, Were but the Vulcans of Jove's Providence. Sin was the Common Cause, no faction freed; Here all dissenting Parties were agreed. And let the Author of our welfare, be The welcome Author of our Miserie! Rather than Enemies, who but fulfill Heavens just decrees, more by Instinct then Skill! (49-60)

Im ersten Abschnitt weist der Verfasser die Gerüchte von einem "Dutch plot" bzw. von einer Katholikenverschwörung zurück, die in der brennenden Stadt leidenschaftlich diskutiert und von schlimmen Ausschreitungen gegen wahllos Verdächtigte begleitet worden waren63 und von denen vor allem das letztere am Hof erhebliche Beunruhigung auslöste, da man dort wohl verstand, daß der "outcry against the catholics" einer Verdächtigung des Duke of York "as being a Papist" und Karls "as being at heart a Papist" gleichkam.64 Daß für die Katastrophe nicht der eine oder andere äußere Feind, sondern die Verfehlungen der Bewohner selbst verantwortlich zu machen seien, ist die erste, noch recht vage gehaltene Entgegnung des Autors auf die Verschwörungsgerüchte, die, wie er in Zeile 56 andeutet, auch von den "dissenting Parties" (56), die sich gegenseitig die Schuld an dem Desaster zuschreiben, kaum ernstgenommen werden. Dabei 61

62 63 64

A Mixt Poem ... upon the Happy Return of... Charts (sic) the Second, and his Illustrious Brothers, The Duke of York and Glocester (London, 1660) BL. Vgl. Hyder E. Rollins, Cavalier and Puritan (New York, 1923), S. 58. Vgl. Bell, S. 196f., 199n, 320, 323. Bell, S. 196, 198, 205f.

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klingt allerdings bereits hier eine unüberhörbare Schuldzuweisung an. Die Sünde, welche die "sharp vengeance" (13) des Himmels (11) veranlaßt hat, ist - so wird mit der Koppelung der Begriffe "sin" (55) und "faction" (55) suggeriert - von niemand anderem als den politischen Parteien begangen worden, die auch den gesellschaftlichen Konsens untergraben. Im zweiten Abschnitt, in welchem das sich rasch ausweitende Feuer mit dem "spark of Treason" (85) verglichen wird, der unversehens ein ganzes Volk in Aufruhr versetzt, konkretisiert John Crouch die oben gemachten Andeutungen: Now the proud flame had took the open field And after hearts were vanquish'd, all things yeild! Rores thorough Cannon-street and Lombardie Triumphing o're the Cities Liberty.... Just so that spark of Treason, (first supprest In the dark angles of some private brest) Breaks through the Mouth and Nostrills into Squibs, And having fir'd the Author's reins and ribs, Kindles from man to man by subtile Art, Till Rebells are become the major part: (79-82; 85-90) 6 5

Dabei gibt John Crouch das Feuer nicht nur, wie Dryden es tat, als Strafgericht für die puritanische Revolution zu verstehen, sondern zugleich als Vergeltung für das in London auch nach der Restauration des "Sacred Monarch" (122) erneut aufkeimende Rebellentum: Thus late Fanaticks in their Zeal of pride March from close Wood-street into broad Cheap-side. (91 f.)

Mit der Erwähnung der "late Fanaticks" (91) nämlich spielt er auf den Londoner Aufstand der "Fifth Monarchy Men" an, die im Januar 1661, in der Absicht, den König und seine Kavaliere und Bischöfe in Ketten zu legen, schwerbewaffnet und "King Jesus" skandierend, aus der Nachbarschaft von Wood-Street über Cheapside nach St. Paul's Churchyard vormarschiert waren.66 65

66

Zur Syntax der Verse 79ff.: "the proud flame" (79) ist - ungeachtet des Ausrufezeichens am Ende der Zeile 80 - auch Subjekt von " R o r e s " (81). Zum leichteren Verständnis des Vergleichs 85ff.: "Cannon-street" (81) und "Lombardie" (81) [i.e. die Londoner Bankenstraße Lombard-Street] sind zwei große Straßen im Zentrum der City, südlich von Cornhill. Mit "the Cities Liberty" (82) sind hingegen die außerhalb der Stadtmauern liegenden Wohnbezirke der " L o n d o n p o o r " bezeichnet, in welche, wie Trevelyan betont, das Feuer allerdings nicht wesentlich eindrang; vgl. G . M . Trevelyan, English Social History (London, 1944), S. 289. Vgl. Besant, London in the Time of the Stuarts, S. 78 und Pepys, I, S. 319.

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Im weiteren Verlauf seines Rundgangs durch die zerstörte Stadt lenkt der Autor seinen Blick zuerst auf die ausgebrannte Guildhall, "the Royal Cities Court" (196), von der die "proud flame ... triumphing o're the Cities Liberty" (79f.) nur die Außenmauern, "our Bodie Politicks sad Skeleton" (202) stehen ließ und anschließend auf den vom Feuer verschont gebliebenen königlichen "Tower" (197),67 in welchem die Stadtväter Londons Zuflucht suchen mußten. An diesen kontrastreichen Anblick knüpft der Autor Überlegungen über den Gegensatz zwischen der unerschütterlichen "safety [that] is in Regal Power" (198) und der Vergänglichkeit und Verletzbarkeit dessen an, was die Londoner in ihrem "peculiar, and unrivall'd pride" (5) als unzerstörbare Bastion ihrer Bürgerrechte zu rühmen pflegten, als "that grand resort/For Civil Rights" (195f.)68 Im Schlußteil des Gedichts wird von einem "brave Seaman" (213) berichtet, der durch seinen unerschrockenen Einsatz ein erneutes Ausbrechen des Feuers verhinderte und bei den Bewohnern den Eindruck erweckte, daß London zu retten gewesen wäre, wenn einige tausend Londoner es dem tapferen Seemann gleichgetan hätten. Had some few Thousands been as bold as hee, And London, in her fiery Tryal free; Then (with submission to the highest will) London now buried had been living still. Thus Chant the people, who are seldom wise Till things be past, before-hand have no Eyes. (219-224)

Aber der Autor pflichtet dieser Auffassung der Londoner, über deren Einsicht und Urteilsvermögen er wenig Rühmliches zu sagen weiß, nicht bei. Vielmehr sieht er sich angesichts dieses ihn leichtfertig dünkenden Glaubens an die Vermeidbarkeit des Desasters dazu veranlaßt, seine Deutung des Feuers als "Good Heavens ... sharp vengenance" (llf.) noch einmal zu unterstreichen und den schwerbelehrbaren (228ff.) und zu Rückfällen neigenden Londonern (91 f.) unmißverständlich zu verstehen zu geben, daß die für ihre Abtrünnigkeit und ihren Königsmord bestrafte City allein durch den Odem ihres gütigen Herrschers zu neuem Leben erweckt werden kann. 67

68

Zum Tower als „altem Wahrzeichen königlicher Macht ... und augenfälliger steinerner Beschränkung großstädtischen Freiheitswillens" vgl. Ernst Schulin, Handelsstaat England (Wiesbaden, 1969), S. 8. " N o w was the dismal Conflagration stopp'd / Having some branches of the Suburbs lopp'd. / Though most within the verge; As if th'ad show'd / Their mutual freedome was to be destroy'd." (203ff.).

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Had Tyber swell'd his monstrous Waves, and come Over the seven Hills of our flaming Rome, 'T had been in vain: no less than Noah's flood Can quench flames kindled by a Martyr's blood. Now Loyal London has full Ransome paid For that Defection the Disloyal made: Whose Ashes hatch'd by a kind Monarch's breath, Shall rise a fairer Phoenix after Death. (227ff.)

3.3. J o h n Tabers Seasonable

Thoughts

in Sad

Times

Ähnlich wie John Crouch argumentiert auch John Taber69 in seinem über tausend Verse langen Gedicht Seasonable Thoughts in Sad Times,70 das Ende 1667 in London erschienen ist. John Taber teilt die Auffassung von Dryden und Crouch, wonach die Rebellen gegen die Krone und die Kirche (365ff.) zuerst in den vierziger Jahren Gottes Zorn gegen die Stadt erregten. Einen weiteren "cause of our calamities" (5) aber sieht der Verfasser darin, daß die City auch nach der "late miraculous return of Kings and Bishops" (386) nicht zur Aufgabe ihrer Opposition zu bewegen war. Da der als erste Strafe verhängte Krieg (lf.) keine Wirkung tut, läßt Gott in London die Pest ausbrechen: And as the City London still hath been The Spring and Fountain of the Nations sin, Another wrathful vial God doth spill On them ... (5ff.)

Als Gott auch nach diesem zweiten Strafgericht die alten Verhältnisse schnell wiederhergestellt findet ("the folk no jot amended by it", 42f.) verhängt er das Feuer über die Stadt: 69

70

Zum Autor vgl. R.A. Aubin ed., London in Flames, London in Glory, Poems on the Fire and Rebuilding of London (New Brunswick, 1943), S. 60. Der volle Titel des auszugsweise bei Aubin, S. 60, abgedruckten Gedichts lautet: Seasonable Thoughts in Sad Times, Being some REFLECTIONS on the WARRE, the PESTILENCE, and the Burning of LONDON. Considered in the Calamity, Cause, Cure, by Joh. Tabor, M.A. Nonplacentia, sedutilia. Amos 4.10 Ihave sent amongyou the Pestilence after the manner of Egypt, your young men have I slain with the Sword,&c. I have overthrown some of you as God overthrew Sodom and Gomorrah. And ye were as a fire-brand pluckt out of the burning, yet have ye not returned to me saith the Lord, &c. And Psal. 141.5. Let the righteous smite me, it shall be a kindness, and let him reprove me, it shall be an excellent Oyl which shall not break my head, for yet my prayer also shall be in their calamity. London, Printed for AnneSeil, 1667.

49

So when the Plague of Sin could not be purg'd From out that sinful City, sharply scourg'd By that of Sickness, God himself in ire Burnt down their Houses with consuming fire (49ff.) Nach langatmigen Schilderungen der Ausbreitung der Flammen (53ff.), der Leiden und Schmerzen der obdachlosen B e w o h n e r (186ff.) und des unermüdlichen Einsatzes des Königs (115ff.) enden die "Reflections on the Burning of London" 7 1 mit einem eindringlichen A p p e l l an die Bew o h n e r der C i t y : In King, and Bishops, to good works inclin'd We Ethelbert, and Erkenwald to find, And generous Mauritfijus too do trust... Nor do I doubt, did we but lay to heart The causes of our woes, by which we smart: O r would this stubborn Nation but endure The means of their Recovery, and Cure: Th 'Almighty would in mercy soon restore The City to its beauty, or to more: It should not long as now in ruines lie; Nor noise of War our Borders terrifie: The killing Plague should in all places cease, Our Land enjoy Prosperity, and Peace. Let us consider then of all our woe The Cause, the Cure we shall the better know. (394ff.) W e n n der Anglikaner J o h n Taber D . D . hier der H o f f n u n g A u s d r u c k verleiht, im König "Ethelbert" (395) und in den anglikanischen Bischöfen "Erkenwald" (395) u n d "Mauritius" (396) wiederzufinden, 7 2 so w i r d damit die Erwartung unterstrichen, daß sich der König und die Bischöfe n u n endlich mit aller Entschiedenheit gegen die "sinful C i t y " (50) durchzusetzen vermögen, die schon einmal das ganze Land in eine "stubborn Nation" (400) verwandelt und Zeiten heraufbeschworen 71 72

Untertitel des Gedichts; vgl. Anm. 70. "Erkenwald" (395) war im späten 7. Jahrhundert Bischof von London, mit "Mauritius" (396) ist Maurice, der Hofprediger und Kanzler von Wilhelm dem Eroberer gemeint, der 1086-1107 ebenfalls Bischof von London war und während dessen Amtszeit mit dem Bau der St. Paul's Cathedral begonnen wurde. "Ethelbert" (395) war von 560-616 König von Kent. Bedeutung erlangte er vor allem als Förderer der Christianisierung und als Urheber der ersten Anglo-Saxon-Constitution, eines Gesetzeswerkes, das der christlichen Kirche einen klar definierten Rechtsstatus verlieh und im säkularen Bereich eine hierarchische Gesellschaftsordnung festschrieb, an deren Spitze der mit weitreichenden Prärogativen ausgestattete König, der sogenannte "overlord" stand; vgl. Encyclopaedia Britannica (1978), 3, S. 199 und Hallam, I, S. 272f.

50

hat, in denen "Sacriledge, Rebellion no crimes, But vertues were accounted" (365f.).

3.4. The Citizens Joy for the Rebuilding of London Bereits 1667 erschienen einige Londongedichte, in denen das Hauptgewicht nicht mehr auf der Schilderung der Feuerkatastrophe liegt. In den Mittelpunkt rückt hier vielmehr die Diskussion über die praktischen Modalitäten des Wiederaufbaus und über die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zielvorstellungen und Erwartungen, die mit dem zukünftigen London verbunden werden. Da die Autoren in ihren Ausführungen dabei in der Regel auf das Act for the Rebuilding of the City of London Bezug nehmen, das im Februar 1667 von beiden Häusern des Parlaments verabschiedet wurde, ist eine gewisse Kenntnis des Gesetzes, dessen wichtigste Paragraphen in einem Exkurs (S. 335ff.) skizziert werden, für das Verständis dieser Texte vonnöten. Die textimmanenten Angaben zur Jahreszeit ("Our Winter's now e'en gone ... The Spring comes on", 43ff.), die wohl nicht nur symbolisch, sondern auch als Hinweis auf das genauere Erscheinungsdatum des 1667 in London gedruckten Gedichtes The Citizens Joy for the Rebuilding of London71" zu verstehen sind, sprechen dafür,74 daß dieses der früheste poetische Text ist, dessen thematisches und formales Zentrum das Rebuilding Act darstellt.75 T h e City-building Bill, is n o w an act, Blest be our Soveraigne for the gracious fact. N a y m o r e - n o w d o I want an Epithite, A s bright as the Conveyor of our light. A n Act; O blessed Act! yet that's t o o weak. A n d not so splendid as m y heart would speak. A n Act of Acts, which plainly d o t h impart Conformity of Building, and o f Heart. (31 ff.)

73

74

75

The Citizens Joy For the Rebuilding of London (London, printed by P. Lilli for Richard Head; at the Heart in Bible in Little-Brittain, 1667), BL; vgl. Aubin, S. 119. Auch Z. 31, in der es heißt, "The City-building bill, is now an act" stimmt mit den erwähnten Zeitangaben (43ff.) überein, denn hier wird betont, daß das Gesetz eben die parlamentarischen Hürden genommen hat. Die Passage über das Gesetz reicht von Zeile 31—42, womit sie innerhalb des 72 Zeilen langen Gedichts formal exakt den Mittelpunkt bildet, dem 30 Zeilen vorausgehen und ebensoviele folgen.

51

Wenn das Gesetz hier als unüberbietbare (35,37) Leistung gerühmt und dem König das ausschließliche Verdienst für dessen Zustandekommen zugeschrieben wird (32), so vermittelt der anonyme Autor damit kaum einen verläßlichen Eindruck von der in Wahrheit schwierigen Entstehungsgeschichte und der kontroversen Aufnahme des Gesetzes in der City, die wir im Exkurs skizziert haben. Was erkennbar wird, ist vielmehr das Bemühen des Verfassers, mit seinem Gedicht das Ansehen des Königs und die Loyalität der Stadt gegenüber dem König zu befördern. Dabei werden bereits in der Wendung "Conformity of Building and of Heart" (38) die Erwartungen sichtbar, die der Verfasser mit seiner Vision des zukünftigen London verbindet. Die in dem Gesetzesparagraphen über die drei zugelassenen Haustypen verwendeten Begriffe "regulation, uniformity and gracefulness", die die Zielvorstellungen der Verordnungen bezeichnen, werden hier durch den sowohl im religiösen wie im politischen Bereich konnotationsreichen Begriff "conformity" (38) ersetzt, der, neben der vom Gesetzestext vorgegebenen Beziehung zu "Building" (38), zugleich mit "Heart" (38), d.h. mit den Empfindungen und Gefühlen der Londoner in Verbindung gebracht wird. Damit werden dem "City-building Bill" (31) Bedeutungs- und Wirkungsaspekte assoziiert, die weit über die funktionellen und ästhetischen Zielsetzungen hinausgehen, die im Gesetzestext mit der Wendung "for better regulation, uniformity and gracefulness" angesprochen sind. Sinnfällig wird damit zugleich die Verwendung religiöser Epitheta ("blessed Act", 35) und Formeln ("Act of Aas", 37). Das als ureigenste Schöpfung des Königs (32) betrachtete "Act of Acts" überragt ein gewöhnliches Gesetz nicht minder als das Book of Books jedes gewöhnliche Buch. The Spring comes on with more than usual speed, To see the sowing of immortal seed; Houses I mean, which shall supply the place Of such, which did before the place disgrace. ... The streets shall be dilated, and our wealth; More room to breath; better injoy our health. All things shall be converted into new, Antiquity shall bid the World adieu. (51-54 und 57-60)

Mit dem "Act of Acts" hat der König, göttlichem Befehl folgend (17ff.), zum einen die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die zerstörte City als ungleich schönere, weiträumigere und dem Wohlstand und der Gesundheit ihrer Bewohner förderlichere Stadt neu entsteht. Zugleich 52

aber hat er damit bei den für ihren "Pride" (4), 76 d.h. für ihren Ungehorsam gegen Gott und ihren König bestraften Londonern einer neuen Einstellung und einem neuen Selbstverständnis zum Durchbruch verholfen. Its [the Act's] influence hath quite dispell'd those clowds, Of Jealousies and Fears which throng'd in crowds, And did o'spred our Gloomy Hemisphere, Are dissipated, and no where appear ... (39ff.) Now shall each place prid[e] in her structures, and Those structures ne're contend for th'upperhand. (55f.) Nothing shall now obstruct the Cities weale; We must have fewer Churches, but more Zeal. (61 f.) All things will so concur, in all agree, No discords now, but all sweet harmony, N o discontent, but all replete with Joy; London's rebuilding now, Vive le Roy. (69ff.)

Anstelle des "Pride" (4) und der eifersüchtigen Verdächtigungen und Befürchtungen ("Jealousies and Fears", 40), die in der Vergangenheit im religiösen und politischen Bereich zu Zwietracht (70f.) und Rivalität (59ff.) geführt und die Atmosphäre in der Stadt wie schwere Gewitterwolken verdüstert hatten (40), herrschen in der mit dem Wiederaufbau beginnenden Stadt überall "sweet harmony" (70) und "Joy" (71), nachdem die Londoner zu einer auf Dankbarkeit (28) und Verehrung (24) gegründeten Beziehung zu Gott und seinem "Vice-roy" (18) zurückgefunden haben: The Basis now is laid; and God commands, That English men should lend their helping hands. His Vice-roy, our dread Sov'raigne first obey'd, And the first Stone of this great structure lay'd. 'Tis He that will this City now restore,

76

Durch den Anklang von "She[the City] now confesseth (thereby warning all) / That Pride doth ever go before a fall" (3f.) an Proverbs 16, 18 ("Pride goeth before destruction, and an haughty spirit before a fall") erfährt der^mife-Begriff gleich zu Anfang eine bemerkenswerte politische Nuancierung. Im Kontext der ProverbsStelle nämlich - in welchem ein Bild des idealen Königs gezeichnet wird, dessen Thron als "established by righteousness" (Prov., 16,12) und dessen Urteil und Befehl als "divine Sentence" Prov., 16, 10) gelten - sind die verwandten Begriffe "pride" and "haughty spirit" gleichbedeutend mit dem Ungehorsam gegen den König.

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To greater glory than it had before. For which brave deeds perpetually lets sing.

Glory to God and Honour to our King. Neither pure gold, nor incense let us bring, Yet far as rich and sweet an offering. And such as both those pretious things express, Which is our hearts full fraught with thankfulness. By which is fully paid the All we owe, To God above or Mortal Men below. (17ff.)

Die Position, die hier gegenüber der Metropole bezogen wird, ist noch um einiges radikaler als die in den vorher analysierten Gedichten royalistisch gesinnter Autoren. Der sich durch seine unbedingte Forderung nach politischer und religiöser Konformität als dogmatischer Anglican Royalist zu erkennen gebende Verfasser von The Citizens Joy gesteht dem alten London keinerlei Verdienst und keinerlei Anspruch darauf zu, zu überleben und neu zu erstehen. Was er in Londons Vergangenheit erkennt, sind ausnahmslos Indizien für seine Schuld und seine Strafwürdigkeit. London lies Grovelling on the Earth, yet beggs Her God again to raise her on her leggs. She now confesseth (thereby warning all)

That Pride doth ever go before a fall. Stript now of all her Ornaments she lies In dust and ashes low; and ever cries, Help, help, great King of Kings, O don't deny; Pour in my wounds the Balsom, else I dye. (Iff.)

Seine bemerkenswerte Suggestionskraft gewinnt das knappe Gedicht dadurch, daß die auf konkrete Ereignisse und Entwicklungen in der realen Stadt bezugnehmenden Passagen mit visionären Metaphern und Formeln biblischer Städtebilder illuminiert und dadurch um gewichtige Bedeutungsaspekte bereichert werden. So stehen neben den Begriffen und Wendungen, mit denen auf die politische und religiöse Oppositionsrolle der rebellischen Stadt vor der Feuersbrunst abgehoben wird, 77 Formulierungen, die an die Sprüche Salomos und an Hesekiels Sünden- und Strafenregister des alten Jerusalems anklingen,78 womit die 77

Vgl. "Jealousies and Fears which throng'd in crowds" (40); "our Gloomy Hemisphere" (41); "contend for t h ' u p p e r h a n d " (56); "obstruct" (61); "the Churches basely we forsook" (66); "discords" (70) oder "discontent" (71).

78

Vgl. z.B. "Pride doth ever go before a fall" (4); vgl. Anm. 76 und "A

God-consuming

punisht Her with Fire ... [and] purged Her from her dross" (13f.). Vergleiche dazu Ezekiel 22,19-21, wo es heißt: "Therefore thus saith the Lord God; Because ye are

54

Zerstörung Londons in den Kontext einer umfassenden apokalyptischen Geschichtsinterpretation gestellt wird. Ähnlich wie der Verfasser die Schuld und Strafwürdigkeit des alten London mit Anspielungen auf das Sünden- und Strafenregister des alten Jerusalem unterstreicht, so blendet er auch in die Vision des zukünftigen London, das sich bedingungslos dem Stuartmonarchen unterwirft, Bilder und Metaphern ein, die Johannes in der Offenbarung für die Beschreibung des himmlischen Jerusalem verwendet. Die in vollendetem Ebenmaß unter einem "new heaven" (l) 79 und auf einer "new earth" (1) erbaute "holy city" (2), der von keinerlei Abtrünnigkeit gestörte Konsens ihrer Bewohner (8), die Befreiung von Tod und Leid (4), der Schutz der Engel (9,12) und der durch die Verehrung der Nachbarnationen garantierte Frieden (24,26), - dieser mit der Wiederkehr des Gottessohnes erwarteten und im Bild des himmlischen Jerusalem sichtbar werdenden Erneuerung aller Dinge (5) hat der Autor von The Citizens Joy manche Gedankenfigur und Formulierung für seine Vision des zukünftigen loyalen London abgewonnen. Das wird deutlich, wenn er das neue London, zu welchem der aus dem Exil wiedergekehrte Stellvertreter Gottes mit seinem kongenialen Rebuilding Act gleichsam den Plan entworfen hat, als umfassende Erneuerung ("All things shall be converted into new", 59) beschreibt, als eine aus "immortal seed" (52) hervorgehende und durch das Ebenmaß ihrer Gebäude und den Konsens ihrer Bewohner ("Conformity of Building and of Heart," 38) ausgezeichnete Kapitale, die keinerlei innere (56, 61, 70f.) oder äußere (47f.) Gefährdung ihrer "sweet harmony" (70) zu befürchten hat, sondern sich "Guarded by Angels" (48) vor neuerlichen Katastrophen und Heimsuchungen beschützt und von der ganzen übrigen Welt verehrt und bewundert weiß (47).

79

all become dross... I will gather you, and blow upon y o u in the fire of m y wrath ...". Die Anspielung auf diese £ze£ie/-Passage mutet verwegen an angesichts der Tatsache, daß die "general corruption" des alten Jerusalem hier in der Hauptsache der Abtrünnigkeit ihrer Geistlichen (26) und der verbrecherischen Habgier ihrer Könige (27) und erst an letzter Stelle den "people of Jerusalem" (29) angelastet w i r d . D a m i t könnte die Allusion leicht an die in den nonkonformistischen Mirabilis /IrtKws-Pamphleten vorgetragene Deutung des Feuers als Strafgericht über den "evil king" und seine "oppressive episcopacy" erinnern, was den Intentionen des A u t o r s hier freilich zuwiderlaufen müßte. Vgl. Revelation 21, 1. Im folgenden Abschnitt wird auf die Verse aus diesem Buch in den K l a m m e r n verwiesen, die am Zitat- bzw. Paraphrasenende stehen.

55

3.5. Jeremias Wells' On the Rebuilding

of

London

Der Lobpreis des Rebuilding Act steht auch im Mittelpunkt von Jeremias Wells' umfangreichem Gedicht On the Rebuilding of London, das in den Poems upon Several Occasions des Autors enthalten ist, die 1667 in London erschienen sind.80 Mit der Wiederholung der vertrauten Vorwürfe und Anklagen gegen das alte London, mit seinem Herrscherpreis und mit seiner Utopie einer neuen, schöneren und anpassungsbereiteren Metropole scheint das Gedicht auf den ersten Blick kaum mehr zu sein als ein weiterer Beleg für die Verbreitung des in den vorausgegangenen Analysen herausgearbeiteten royalistischen After the /w-Gedichts. Die Verwendung der Gondibert-Strophe und eine Reihe inhaltlicher und stilistischer Entsprechungen81 machen es darüber hinaus wahrscheinlich, daß der gebürtige Londoner Jeremias Wells82 bei der Abfassung seines On the Rebuilding of London bei Drydens Annus Mirabilis Anleihen gemacht hat. Bei genauerem Hinsehen aber wird deutlich, daß Wells' Variation des Gedichtstypus zumindest passagenweise in eine neue Richtung weist und eine veränderte, auf die Londondichtung der siebziger Jahre vorausweisende Einstellung zu seinem Sujet signalisiert. Durchaus konventionell mutet der Einstieg des Gedichtes an: What a Devouring Fire but t'other day Th[r]ough thy Inhabitants scorch'd bowels ran! A fiercer now did on thy Buildings prey, To end that Ruine which the First Began... Thus Heav'n, like an incens'd Besieger, staid, But when no Summons brought th'besieged down, Both were together in like ruines laid, He kill'd th'Inhabitants, then burnt the Town. (Iff. und 13ff.)

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81

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Jeremias Wells, Poems upon Divers Occasions. With a Character of a LONDON SCRIVENER. Facilis cuivis rigidi censura cachinni. Juv. (London, Printed f o r J o h n Crosley Bookseller in O x f o r d 1667) Im Katalog der BL ist auch eine in L o n d o n gedruckte und erschienene separate Ausgabe des Gedichts aus dem Jahre 1667 aufgef ü h r t , die jedoch nicht auffindbar war. In der erwähnten Ausgabe der Poems findet sich das Gedicht auf den Seiten 1 1 2 - 1 2 8 . Vgl. beispielsweise die Strophen 52, 59, 60 von Wells' Gedicht mit den Strophen 298, 3 0 0 und 301 v o n Annus Mirabilis. Z u m A u t o r vgl. A n t h o n y Wood, Athenae Oxonienses (1721), II., S. 6 3 7 und Aubin, S. 122.

56

Das am Beginn stehende Bild der vom Himmel belagerten Stadt, die durch keine Ermahnung oder Warnung zur Aufgabe ihres Widerstandes zu bewegen war und deshalb von der Pest und dem Feuer heimgesucht wurde, legt unzweideutig die in anderen royalistischen Texten immer wieder hervorgehobene Strafwürdigkeit Londons nahe. Die Frage allerdings, was den Himmel aufgebracht und zum "incens'd Besieger" (13) der City gemacht hat, bleibt ohne konkrete Beantwortung. Auch die Schlußstrophen des Gedichts liefern die eingangs offen bleibende Begründung für die Katastrophe nicht: Thus London's Ruines are immortall made: And that Her self eternally may stand By Fasts and Prayers is her Basis laid Much surer on our Knees, then by our Hand. Hence by unerring Augury we know The future Glory of our Town restor'd: Safe is that Building whose Foundation's Low, And Heavens Obliged while he is Implor'd. (257ff.)

Mit der Versicherung, daß das neue London im Geiste demütiger Unterwürfigkeit erbaut wird, werden lediglich die vagen religiösen und politischen Konnotationen des eingangs gegen die Stadt erhobenen Vorwurfs, "no Summons brought th'besieged down" (14) noch einmal unterstrichen. Im Mittelteil des Gedichtes allerdings, wo mit dem Rebuilding Act das zentrale Thema des Gedichtes zur Sprache kommt, verwendet der Verfasser Formulierungen, mit denen er den in anderen royalistischen Londongedichten vorgetragenen Begründungen für das Desaster erkennbar näherkommt. Das Gesetz, welches hier, ähnlich wie in The Citizens Joy, ausschließlich als Leistung des Stuartmonarchen betrachtet wird,83 bildet nicht al83

"But thy great King these Ruines does resent, / Contrives Thee Greater, and by doing that, / (So like are Kings to him they represent) / His mighty Word Commanding does Create. / The fair Idea's in th'Almighty mind / So pleas'd him when the World was to be made, / A n d after that great Model was design'd, / The work was Perfected by being Said. / A h mighty Monarch, what vast summs we owe, / First to thy Piety, next to they Care! / Thy Weeping only Stopt the raging Foe, / And now thy only Speaking does Repair ... / N o r didst thou only Pity, but Retreive; / (A Kings Compassion does a Cure afford) / So the World's Saviour did for Laz'arus grieve, / A n d Wept the loss of what he soon Restor'd." (37ff. und 53ff.). Hinsichtlich seiner Motive beweist der König als „Schöpfer" des Rebuilding Act eine der Liebe Christi kaum nachstehende "Compassion" (54) f ü r die verwüstete Stadt. Und die Vollkommenheit des Gesetzes erklärt sich daraus, daß der König sich dabei am "great Model" (43) des Weltschöpfers orientiert hat.

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lein die Voraussetzungen für das Entstehen einer Kapitale, die ungleich schöner und prächtiger sein wird als das alte London: Those larger streets, through which Processions pass, Now more enlarg'd, it will be hard to say Whether those Triumphs add a greater grace Unto the Streets, or to the Triumphs They. Such Princes as were never here before, And to our King on Embassies resort, Shall eagerly alight at ev'ry door, Thinking each House no meaner then a Court. Balconies jutting from the stately front Shall stand alike both to be Seen and See; And if at an' time there a Triumph want, They shall each Others statelier Prospect be. Continu'd Penthouses 'gainst Rain and Sun Shall be a pleasing Shelter and a Shade; To these delightful Sanctu'ries we run, When Heat annoys us, or when Storms invade. More sumptuous Buildings in Retirement plac'd Are th'Emblem of the wary Citie's trade; Their Streets and Shops much better lin'd then fac'd, Costly without, but richlier inlaid... Ladies, that hither come, and dart out rayes Which steal the Eyes of following Crouds away, Shall now Forget Themselves, and wondring Gaze At what's almost as beautiful as They. (97ff. und 153ff.) Mit ihren Straßen, Plätzen und Gebäuden von klar unterschiedener Größenordnung und Ausschmückung 84 und ihren neuen Kirchen (173ff.), die zahlenmäßig an die der alten City nicht heranreichen, ihrem geistlichen Auftrag aber ungleich besser gerecht werden, 85 symbolisiert bereits das äußere Stadtbild des neuen London die uneinge84

85

Vgl. "Those larger streets ..." (97ff.); "more sumptuous Buildings ..." (113ff.); "lesser Streets ..." (117ff.); "lesser Alley ..." (125ff.). "These [the churches] by the flames are to just Number brought / But were, alas, worse ruined before; / So like the Forms of Worship in them taught: / 'Twas hard to say which of the Two were More. / Now both by their Abridgement Larger made, / They being Fewer more Divine appear; / Our pious Monarch not their Number weigh'd, / But, like the Deity, look'd how Good they were". (177ff.).

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schränkte Bejahung jener politischen und religiösen Konformität ("Such Uniformity does our King command", 139) und Unterordnung ("Subjection we e'en in our Buildings find", 119), deren Fehlen dem alten rebellischen London zum Verhängnis geworden ist. But if in lesser Streets we bend our mind D o w n to the prospect of some meaner things; Subjection we ev'n in our Buildings find, All are not made for Courts, no more then Kings... The Buildings thus shall uniformly stand, Each diff'rent magn'tude in a divers Sphere: Such Uniform'ty does our King command, And Sectaries Themselves shall Love it Here. So shall the City thank her cruel fate, And bless those flames that did their help afford: Counting even Desolation no dear rate, Glad to be Ruin'd So to be Restord. (117ff. und 137ff.)

Während so am Beginn des Gedichts und in den erwähnten Strophen aus seinem Mittelteil und Schluß der mit den vorher besprochenen royalistischen Londongedichten in Einklang stehende Eindruck von der politischen und religiösen Strafwürdigkeit des alten und der demütigen Neuorientierung des neuen London erweckt wird, rücken die auf das Belagerungsbild folgenden Strophen die City in ein deutlich anderes Licht. Mean while shall Pilgrims from around repair With devout sadness to bewaile thy Urn; So Martyr's Tombs with Zeal frequented are, And therefore Holy, 'cause they once did Burn. ... We view thy Ruines with a Sad Delight, Made N o w far more illustrious then Before; For then thy Lustre had attain'd that height, 'Twas onely Ruine that could make it More. (25ff. und 33ff.)

Hier nämlich wird der in Schutt und Asche liegenden Stadt gleichsam die Dignität eines Wallfahrtsortes und die Aura eines Martyriums angedichtet, und auch ihre Zerstörung wird unvermittelt uminterpretiert. Das Feuer erscheint nicht länger als Strafgericht des erzürnten Himmels, sondern vielmehr als die unerläßliche Voraussetzung für die Verwirklichung des städtebaulichen Fortschritts ("'Twas onely Ruine that could make it More", 36) als Voraussetzung für die Entstehung einer 59

"far more illustrious" (34) City, welche die - hier durchaus unkritisch gesehene - Pracht des alten London (35) bei weitem übertreffen wird. Ähnliches gilt auch für die vom Rebuilding Act handelnden Strophen, die der Beschreibung der zukünftigen city of subjection and uniformity (vgl. 119 u. 139) vorausgehen. Die Rede ist hier von der im Rebuilding Act bestimmten Gleichstellung stadtfremder und nicht inkorporierter Handwerker mit den freemen of the City, die als Abschaffung der bisherigen, an Sklaverei erinnernden Arbeitsbedingungen begrüßt wird. But here so bountiful a L o r d they find, That such a surplusage is added more, As after payment equal to their mind Exceeds the wages they receiv'd before. That for which others under hatches serve, 8 6 N o r count it dear at seven years slavery, These have it first Conferr'd, and then Deserve, And during all their 'Prentiship are Free. (65ff.)

Dabei schreibt der Autor - ganz im Einklang mit der zuvor für den König reklamierten Urheberschaft für das gesamte Gesetzeswerk - zunächst auch das Verdienst für die Zurückdrängung der den Arbeitsmarkt bislang monopolisierenden Gilden dem "bountiful Lord" (65) zu. In den folgenden Strophen hingegen wird die nämliche Entscheidung als Beweis sowohl für die Unbestechlichkeit der City als auch für den auf das Wohl der Allgemeinheit bedachten Gebrauch, den sie von ihrer politischen Unabhängigkeit macht, ins Feld geführt.87 This noble City, though in Ashes laid, Shews she can be beholden yet to none: 8 8 86

87

88

Die Formulierung "under hatches serve" (69) wird in Johnson's Dictionary als "[Serving] in a state of ignominy, poverty and depression" definiert. Ursprünglich handelte es sich hier wohl um einen nautischen Ausdruck, der den „Dienst unter Deck" bezeichnete; vgl. OED. Die erste Argumentation entbehrt auch historisch der Plausibilität. Da die Vergabe von charters an die Gilden und Zünfte ein außerordentlich einträgliches Vorrecht der Krone war, konnte Karl an der Entmachtung der Gilden und Zünfte in keiner Weise interessiert sein. Die Interessenlage der City hingegen, die, wie W.F. Kahl hervorhebt, im 17. Jahrhundert heftig gegen die "grant of royal charters to the companies" protestierte, war sowohl im allgemeinen wie im besonderen in den Jahren nach dem Feuer aus politischen und gewerbepolitischen Gründen eine deutlich andere; vgl. W.F. Kahl, The Development of London Livery Companies (Harvard, I960), S. 20. "to beholden to" (vgl. 74) wird in Johnson's Dictionary als "held in obligation", im OED als "in duty bound (to do sth.)" definiert.

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She lately free of all the Rest was made, Now makes all Others Freemen of her Own. So did Rome's Glory with her Freedom goe Beyond the Confines of the City gate: So shall thy Freedom scatter'd to and fro, Become as Universal as 'tis Great. (73ff.)

Dadurch, so argumentiert der Verfasser, daß sich die Stadt auch in ihrer gegenwärtig prekären Lage nicht zum Interessenvertreter einzelner Gruppen und Verbände machen läßt (74), sondern sich für die Gleichstellung und Chancengleichheit aller in ihren Mauern tätigen Menschen einsetzt, erweist sie sich als liberal und sozial, als "noble City" (73). London wird als Stadt gerühmt, die - ähnlich wie das alte Rom, das seine Bürgerrechte den Bewohnern seines gesamten Imperiums zuerkannte89 - ihre Autonomie90 zur Durchsetzung einer Politik der universal Freedom (vgl. 77) nutzt, zur Verwirklichung der sozialen und politischen Gleichheit91 der in und außerhalb ihrer Grenzen lebenden Menschen. Damit erfahren hier die bürgerlich-republikanischen Tendenzen der Londoner Politik eine Würdigung, die noch von John Crouch in seinem anklägerischen Nachruf auf die zerstörte Guildhall als Ausdruck von Londons "peculiar and unrivall'd pride" qualifiziert worden sind. Im Zuge der vorangehenden Untersuchungen wurden drei Deutungs- und Darstellungsmuster erkennbar, die als gleichsam topische Elemente das royalistische After the /ire-Gedicht konstituieren. In Ort the Rebuilding of London sind diese ausnahmslos vertreten: Der Autor übernimmt die apokalyptische Deutung des Feuers und die damit Hand in Hand gehende Verurteilung der alten City, die Stilisierung des Stuartkönigs zum Retter und zur politisch und religiös gleichermaßen unverzichtbaren Integrationsfigur, und schließlich die als Appell zur politischen und religiösen Unterordnung zu verstehende Utopie der 89 90

91

Z u r "extension of R o m a n citizenship" vgl. Enc. Brit., 15, S. 1117ff. Mit der Formulierung "She [the C i t y ] lately free of all the Rest was made" (75) spielt der Verfasser auf die Confirmation of the City charter by Charles II v o m 24. Juni 1663 an, in welcher der Stadt von Karl II. alle "authorities, privileges, liberties, franchises, freedomes, immunities, liberties, customs, and hereditaments whatsoever", die ihr von Karl I. zugesichert w o r d e n waren, erneut garantiert w u r d e n ; vgl. Birch, S. 222. Vgl. Kahl, S. 2 0 : "The freedom [ f o r m e r l y granted o n l y to members of the C o m p a nies] was the principal means of obtaining the franchise and entering public o f fice".

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gegenüber der Krone loyalen und mit der Bischofskirche konformen neuen Metropole. Daß er mit seinem solchermaßen angelegten Gedicht ähnliche Ziele verfolgt wie seine erwähnten royalistisch gesinnten Dichterkollegen, steht außer Frage. Andererseits aber entsteht der Eindruck, daß Jeremias Wells die dem gewählten Gedichtstypus eigene Darstellungsabsicht passagenweise aus den Augen verliert. Wenn der Verfasser dem von der Strafwürdigkeit der City kündenden Belagerungsbild (13ff.) am Beginn des Gedichts eine Passage folgen läßt, in welcher der zerstörten Stadt die Dignität eines Wallfahrtsortes und die Aura eines Martyriums (25ff.) zugeschrieben wird, oder wenn er eine zum Preis seines königlichen Urhebers ersonnene Kommentierung des "Rebuilding Act" (65ff.) mit einer Würdigung der City als Vorkämpferin der Bürgerrechtsbewegung (73ff.) beschließt, so kommen damit so kontroverse Ansichten wie die royalistische Forderung nach einer "City of Subjection and Uniformity" und der bürgerliche Stolz auf eine "City of universal Freedom" unverbunden nebeneinander zu stehen, ohne daß damit, wie in Annus Mirabilis etwa, eine kunstvolle Argumentationsstrategie erkennbar würde. Der gebürtige Londoner Jeremias Wells zeigt sich hier offenbar weniger von wohlkalkulierten Überlegungen geleitet, also vielmehr von jenem "newly-born pride in London" affiziert, den Walter G. Bell, der Historiker des Großen Feuers von London, in den Jahren des Wiederaufbaus der Stadt in den Lebensdokumenten und literarischen Äußerungen zahlreicher Zeitgenossen entdeckt und als entscheidendes Novum hervorgehoben hat.92 Damit weist On the Rebuilding of London -so sehr es auch insgesamt gesehen den Darstellungskonventionen und -absichten des royalistischen After the fire-Gedichts verpflichtet ist - zumindest ansatzweise über die dort entwickelte Perspektive hinaus, die nur die erzkonformistische City der Zukunft in positivem Licht zu sehen erlaubt. Und es weist damit zugleich auf die Entwicklungstendenzen der siebziger Jahre voraus, in denen sich auch die der Krone nahestehenden Londondichter nicht länger veranlaßt sehen, in ihren Gedichten die historische, gegenwärtige und zukünftige Rolle der Hauptstadt mit den Forderungen der Krone und der Bischofskirche in vollkommene Deckung zu bringen. 92

Bell, S. 292ff.: "The Fire was destined to exert a vast influence over the future welfare of London by the new spirit of citizenship it fostered, indeed may be said to have created ... Pride in London had a new birth ... the citizen began to think of London no longer in terms of his parish, but his vision included its ancient liberties and foresaw a new and magnificent captial of the Kingdom ... Those seers who looked into the future and could find only decay were happily confounded".

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4. London im nonkonformistischen After The Zw-Gedicht Gegen Ende seines zuletzt besprochenen Gedichts sagt der vom "newly-born pride in London" nicht unberührte Autor Jeremias Wells die Errichtung mächtiger Säulen voraus, die - ähnlich den vom Sieg über Feind und Schicksal kündenden Trophäen der Kriegshelden - inmitten der neuen Stadt an die Existenz des alten London und an die Feuerkatastrophe erinnern sollen: But 'cause bold Time, subjecting all to Fate, Does Things & their Remembrance too deface; Our's, like the World's Fire, shall out-live Time's date, In lofty Pillars of eternall Brasse. Pillars, like those which aged Seth did set To tell the World there was an Old Before: And Brasse, like that where different Metals met In Corinth's Ashes made a new-found Ore. Such Trophees Victors reare, lest rusty Age Do, with their Steel, eat out their Conquest's date: Thus Double Wars victoriously they wage, First vanquishing their Foe, and then their Fate. (245ff.)

Von einer solchen Gedenksäule - die mit dem Bau des von Christopher Wren entworfenen Fire Monument bekanntlich tatsächlich errichtet wurde und den Ostteil der City bis heute überragt - ist bereits in dem grandiosen ersten Wiederaufbauplan die Rede, den Christopher Wren, der Deputy Surveyor of His Majestys Works, dem König am 10. September 1666 vorlegte. Gedacht war an eine monumentale Siegessäule, die von einer gewaltigen Statue Karls II. gekrönt und deren mächtiger Sokkel mit Reliefs und Inschriften geschmückt sein sollte, die den Stuartmonarchen als den Erretter des alten und den Gründer des neuen London verewigen.93 Zur Ausführung jedoch kam, als 1670 schließlich mit 93

Vgl. Bell, S. 230ff. und Walter Thornbury et al., Old and New London, Its History, Its People, and Its Places, 6 vols. (London, 1889), I, S. 565ff; zur Abbild, von

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dem Bau des Denkmals begonnen wurde, ein in mehrfacher Hinsicht veränderter Entwurf, dessen befremdlich torsoartig anmutende Gesamtgestalt und dessen widerspruchsvolle Sockelinschriften in eindrucksvoller Weise die divergierenden Interessen der Krone und der City bezüglich der Deutung der Feuerkatastrophe widerspiegeln. Zwar wurde, dem ursprünglichen Plan entsprechend, die Riesensäule von über 200 Fuß Höhe und über 15 Fuß Durchmesser gebaut, die Wren den von Caesarenstatuen gekrönten römischen Siegessäulen nachempfunden hatte. Auf deren Kapitell aber kam nicht die dem Entwurf angemessene und ursprünglich zugedachte Statue des Stuartmonarchen, sondern eine kolossale Messingurne zu stehen, die freilich weniger dazu angetan war, den Betrachter mit Ehrfurcht für den königlichen Retter aus der Not als mit "devout sadness" über die Zerstörung der "illustrious City" zu erfüllen.94 Auch das am Sockel des Fire Monument angebrachte Basrelief wird nicht von Karl II. und seinem Bruder James beherrscht. In seinem Mittelpunkt stehen vielmehr Londonia, die leidgeprüfte Personifikation der City, und eine Reihe von mythologischen Figuren, welche die beim Wiederaufbau tätigen Kräfte symboli95

sieren. Der an der Südseite des Sockels angebrachten Inschrift schließlich, welche Karl II. als den keine Mühen und Opfer scheuenden spiritus rector des Wiederaufbaus rühmt, widerspricht unverhohlen der auf der Westseite des gleichen Sockels eingravierte Text, der die mutmaßliche Verschwörung der "Popish faction" gegen die "Protestant city" und die von ihr erkämpften "English liberties" als gesicherte Erkenntnis ausgibt,96 womit eine Deutung der Feuerkatastrophe vermittelt wird, deren anklägerische Implikationen gegen den als heimlichen Papisten ein-

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"Wren's original design f o r the summit of the monument", vgl. Thornbury, I, S. 570; zu den "difficulties W r e n met with in carrying out his design" vgl. die von W r e n s Sohn verfaßte Biographie des großen englischen Baumeisters, S. W r e n , ed., Parentalia or Memories of the Family of the Wrens (London, 1750), S. 312ff. Vgl. On the Rebuilding of London, 25ff., zitiert oben S. 59. Zur Illustration des realisierten "summit of the 'Fire Monument'" vgl. Thornbury, I, S. 570. Thornbury, I, S. 566. Z u r Inschrift auf der Südseite vgl. Thornbury, I, S. 566, die Inschrift auf der Westseite lautet: "This pillar was set up in perpetual remembrance of the most dreadful burning of this Protestant city, begun and carried on b y the treachery and malice of the Popish faction, in the beginning of September, in the year of o u r Lord M D C L X V I . , in order to the effecting their horrid plot f o r the extirpating the P r o testant religion and English liberties, and to introduce Popery and slavery." (Thornbury, I, S. 566).

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geschätzten König und seinen als praktizierenden Katholiken bekannten Bruder James auch den nur vage informierten Zeitgenossen kaum verborgen bleiben konnten.97 Diese in den Sockel des Fire Monument eingravierte Kontroverse stellt gleichsam einen Abriß der in der Londondichtung der Restaurationszeit ausgetragenen Auseinandersetzung über das Große Feuer und die Rolle des alten und des neuen London dar. Neben dem in den vorangegangenen Abschnitten untersuchten royalistischen Typus des After the fire-Gedichts nämlich, welcher tendenziell der auf der Südseite des Denkmalsockels eingravierten Inschrift und "Wrens original design for the summit of the monument" entspricht, findet sich eine Reihe nonkonformistischer Londongedichte, die gleichsam den Tenor und das Kredo des auf der Westseite des Sockels eingravierten Textes variieren. 4.1. Vox Civitatis Der früheste dieser Texte ist das noch im Jahre des Großen Feuers anonym erschienene Gedicht Vox Civitatis, dessen Sprecher, wie bereits der Untertitel Londons Call to her natural and adopted children9S erkennen läßt, eine als Mutterfigur dargestellte Personifikation der City ist, wie sie ähnlich auf dem Basrelief des Fire Monument und in zahlreichen zeitgenössischen Prosatexten zu finden ist." In den Eingangsszenen des 86 Zeilen umfassenden Gedichts beklagt der Autor das Verstummen seiner Dichterkollegen, von denen sich nach "Londons Conflagration" (6) offenbar keiner der Aufgabe gewachsen fühlt, das Thema von "Londons Burning" (2) und "Her Rebuilding up again" (8) aufzugreifen. So stellt sich auch der Verfasser von Vox Civita97

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Besant, London in the Time of the Stuarts, S. 250: "In any case Hubert [the alleged incendiary of the Great Fire] was hanged; and as he died a Catholic, it was of course abundantly clear that the whole thing was a Catholic conspiracy, a fact which was accordingly inscribed on the new monument when it was erected ... The inscription was removed on the accession of James the Second, but put up again on the arrival of William the Third. It remained on the monument till the year 1830, when it was taken down by order of the Common Council". Der volle Titel des Gedichts lautet: VOX CIVITATIS: or, Londons Call to Her Natural And Adopted Children; Exciting them to Her speedy Reedification (London, Printed by B.W. in Little S. Bartholomews Court in West-Smithfield. 1666), BL. Vgl. z.B. Samuel Rolle, Londons Resurrection (London, 1668), S. 25: "Where can you find a better friend ... than is your dear mother the City of London, who now sits as a widow, who now cries out to them that go by, pity me, pity me all ye that pass by, is there any sorrow like to mine?"

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tis nicht als Dichter, sondern lediglich als "mean Interpreter" (26) eines visions- oder traumartigen Erlebnisses dar. Aus den Trümmern der Stadt sieht er eine Frauengestalt auftauchen, die er an ihren "reverend locks" (23) als Londonia, "the aged Head of London Town" (20) erkennt. Und das, was der Verfasser in den folgenden Versen (27-86) in direkter Rede wiedergibt, sind die Worte, die Londonia mit versengter Zunge (21) an ihre "much suff'ring Sons" (22) richtet. What needs all this astonishment, my Sons, As if ye were transform'd to liveless stones? Viewing with stupid horror my decay, As though all hopes of Rise were ta'en away. What frights ye thus? does this such terror strike, As though ye nere had seen, nor heard the like? Have not as great Towns heretofore, or greater, Suffer'd sometimes by Fire, sometimes by Water? Are not all Bodies subject to like Fate? Do not your own of Fire participate In Burning Fevers (pray?) and what are then Dropsies, but Inundations in Men? All things their seasons have, and Revolution; And shall have till the last great Dissolution. In all things there's a Spring, wherein its youth Sprouts, and seems to presage its future growth: A Summer that succeeds; when strength arrives To its perfection, and a fulness gives: A scorching Autumn follows; when the pride Of former strength and beauty seems to hide It wholly from our sight: and it may ly Unseen all Winter, sleeping, yet not dy. (27ff.) In dezidiertem Gegensatz zu der von royalistischer Seite vorgetragenen Deutung des Feuers als Strafgericht des Himmels stellt Londonia, ihren "present Fall" (52) als ein mit den Naturgesetzen durchaus in Einklang stehendes Geschehen dar. Nicht minder entschieden widerspricht sie der Verurteilung Londons als abtrünnige und rebellische Stadt: What is the cause [of my present Fall]? Ye cann't your Mother blame, Who ne'er was to her Children a Stepdame; Oh no, 'tis to the Universe well known, What Glories I have to my Offsprings won. Here's then the case; I still preserve my state. (55ff.) Anstelle der Selbstanklagen und Reuebekundungen, die royalistisch gesinnte Autoren der City bzw. ihren Bewohnern in den Mund legen, 66

spricht aus den Worten Londonias das stolze Bewußtsein ihres auch in der gegenwärtigen Lage unverlierbaren Ranges (59) und das Wissen um ihre weltweit anerkannten Verdienste (57), die sie sich als treusorgende Mutter einer ebenso zahlreichen wie bedeutenden Nachkommenschaft erworben hat. Dabei läßt sie nicht unerwähnt, daß aus ihrem Schoß seit Generationen auch "Cesars and Princes" (64) hervorgegangen sind. Als ihre wahren Söhne aber betrachtet sie nicht die namenlos bleibenden Könige, sondern jene namentlich aufgeführten bürgerlichen Familien (67ff.), die ihren Ruhm begründet (58) und die sich aufgrund ihrer "acts of virtue" (70) und ihrer "all-praised Deeds" (73) ein unsterbliches Ansehen erworben haben (7lf.).100 Where are my Philpots, Walworths, Greshams, Lambs, Suttons and Ramseys, with the rest, whose N a m e s

Claim'd a bright Rubrick in my Calendar; Glorious for Acts of Virtue near and far? 'Tis sure, they could not die; their Names still live, And their immortal Memories survive The Ruines of their own all-praised Deeds. (67ff.)

Einen Augenblick lang fürchtete Londonia wohl, auch in diesen Familien Zeichen der Degeneration (60) und der Undankbarkeit gewärtigen zu müssen: Here's then the case; I still preserve my state: But ah! I fear my Sons degenerate! If so, my tears should from my eyes be skrew'd, Less for my Fall, than their Ingratitude. (59ff.)

Aber als sie sieht, daß der Magistrat der Stadt bereits zur Beratung zusammengetreten ist (81) und "some of our Heroes" (81) die anliegenden Aufgaben mit der gleichen Verve wie einst ihre Vorfahren in Angriff nehmen, sieht sie sich im Vertrauen auf ihre "Glorious Sons" (76) bestätigt: Rouse up, my Sons, methinks my Prayer's heard And you already to my help prepar'd; Warm'd by the self same genuine heat and force, 100

Diese im folgenden Textabschnitt genannten Londoner Familien werden auch von John Stow in seinem A Survay of London... written in the Year 1598, Henry Morley ed. (London, 1912), S. 129ff. in einem " H o n o u r of Citizens, and Worthiness of Men in the Same" überschriebenen Kaptiel erwähnt. Die Tatsache, daß die in Vox Civitatis vorliegende Reihenfolge der in Stows Survay entspricht, legt die Vermutung nahe, daß der anonyme Verfasser Stows Buch als Vorlage benutzt hat; vgl. vor allem S. 132ff.

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Which once did actuate your Ancestors Some of our Heroes are already met, And to this end in Consultation set:101 Lay to your helping hands; so may you see Yourselves once more to Fame advanc'd with Me: So may we mutually rejoice each other, I in my Glorious Sons, you in your Mother. (77ff.) Vox Civitatis gehört mit John Crouchs Londinenses Lacrimae wohl zu den ersten Belegen der London-Kontroverse, die von royalistisch und nonkonformistisch gesinnten Autoren im After the iíre-Gedicht ausgetragen wird. Dabei wirkt Vox Civitatis mit ihrer pragmatischen Deutung des Feuers, ihrer Hervorhebung der historischen Verdienste Londons und ihrer allein auf die moralische Integrität und Tatkraft von Londons bürgerlichen Familien gegründete Zukunftsperspektive in der Tat wie eine zwar unpolemische, aber wohlkalkulierte Widerlegung der apokalyptischen Deutung des Feuers, der Verurteilung Londons und der Stilisierung des Königs zum alleinigen Garanten von Londons Zukunft, wie sie unter anderem in John Crouchs Gedicht zum Vortrag kommen. Da sich die exakten Erscheinungsdaten der beiden Texte nicht mehr ermitteln lassen, muß die Annahme, Vox Civitatis sei eine direkte Erwiderung auf Londinenses Lacrimae hypothetisch bleiben. Denkbar ist auch, daß sich Vox Civitatis auf einen ähnlich strukturierten Text eines royalistischen Autors bezieht, der nicht erhalten ist. Erklärbar bleiben die Anlage und die Argumentationsweise von Vox Civitatis freilich auch unter der Annahme, daß das Gedicht vor dem einen oder anderen royalistischen Komplementärtext entstanden ist. Denn wie wir bei der Besprechung von Annus Mirabilis dargelegt haben, sind die Schüsselbegriffe und die argumentativen Grundzüge der royalistischen Variante des After the Fire-Gedichts sowohl in der Proklamation Karls II. vom 13. September 1666 als auch im Leitartikel über das Große Feuer, der am 8. September im offiziellen Regierungsorgan erschienen ist, weitgehend vorgegeben (vgl. Anm. 59). Als Bezugspunkt des anonymen Ge-

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Die Zeilen sind ein Hinweis darauf, daß der "Court of Aldermen" bereits am 6. September 1666 wieder zusammentrat, "when", wie es bei Bell (S. 211f.) heißt, "London was not yet cold". Vgl. auch Bell, S. 212: "The Common Council met on the following Monday, the 10th September, at Gresham House, which for many months thereafter served all the uses of a Guildhall ... A strong committee of Aldermen and Commoners was appointed, which met next day ... to consider the best means of raising the City out of its ruins."

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dichts Vox Civitatis läßt sich also durchaus auch die Vox Regis verstehen, d.h. die vom König selbst gezeichnete Proklamation vom 13. September oder die regierungsamtliche Kommentierung des Great Fire in der London Gazette, die beide einem breiten Publikum zur Kenntnis gebracht wurden.

4.2. Londons Lamentations to her Regardless Passengers Auch die Sprecherin des folgenden Gedichts, das 1667 und in den folgenden Jahren unter dem Titel Londons Lamentations to her Regardless Passengers102 sowohl als eigenständiges broadside wie auch als Pro- bzw. Epilog verschiedener Descriptions of the Fire in Umlauf gebracht wurde, erinnert an die "figure of a woman representing London" auf dem Sokkelrelief des Fire Monument: W h y do you slight me thus, and pass me by, Spurn m y neglected, dusty Misery? You that have laid me in the fatal U r n O f SIN, and seen me there to ashes burn: You that with crimson Crimes, like Cables great, Pull'd Vengeance on me, and m y happy state Have made thus wretched, can you pass me by, A n d yet not at m y Ruines wet y o u r eye? (Iff.)

Die hier klagende City teilt zwar nicht Londonias stolzes Bewußtsein ihrer unverlierbaren Würde und Integrität, noch versteht sie, wie diese, ihre Zerstörung lediglich als Tiefpunkt eines zyklischen Auf und Ab alles Kreatürlichen, den sie, gestützt auf die Tatkraft ihrer bürgerlichen "Heroes", überwinden wird. Aber sie bleibt andererseits doch - obwohl sie ihre Sünde (4) bekennt und den Verlust ihres "happy state" (6) als Rache des erzürnten Gottes103 betrachtet — weit entfernt von dem ungeteilten Schuldbewußtsein, das der zerstörten City im royalistischen After the fire-Gedicht zugeschrieben wird. Stärker als ihre mehr implizite Selbstanklage betont die Stadt ihre Anklage gegen die "regard102

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(London, 1667), BL, vgl. auch Aubin, S. 20n und S. 330, wo eine Variante des Gedichts als Epilog zu Samuel Wiseman's London's Fatal Fire (1667) abgedruckt ist. Daß mit "Vengeance" (6) die Rache Gottes gemeint ist, erhellt aus den später noch zur Sprache kommenden Anklängen des Gedichts an die beiden ersten prophetischen Bücher des Alten Testaments, in denen "vengeance" durchgehend als Synonym für Gottes Strafgericht gebraucht wird; vgl. Isaiah, 34,8; 35,4; 47,3; 59,17; 61,2; 63,4; und Jeremiah 11,20; 20,12; 46,10; 50,15; 50,28.

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less Passengers", an die sie sich in den ersten acht Zeilen ihrer Lamentations richtet. Dabei charakterisiert sie diese "regardless Passengers" nicht nur als Zyniker, die ihre Not und ihren Schmerz mit Füßen treten (2). Sie gibt sie zugleich als die eigentlichen Verursacher ihrer "neglected, dusty Misery" (2) zu erkennen, als Übeltäter, die sie in die Unheilssphäre der Sünde hinabgezogen (3f.) und die mit ihren greulichen Verbrechen die Rache Gottes über sie gebracht haben. (5f.) Der zweite Teil des kurzen Gedichts bringt mit dem Wechsel des Adressaten zugleich einen Wechsel des Tons: If still thus unlamented be my Case, The Wind it self shall hurl my Dust i' th' Face Of him that doth not with a dropping eye Sprinkle my Ashes when he passeth by. Then let some deep-fought Sigh pump up a tear, And help from dust my down-cast Head to rear: All my Demolishments, and ruin'd Glory, M y batter'd Immurations fain before you. My prostrate Structures on their faces lye, Yet every heedless Passenger walks by Regardless of my Moans, although I meet In humble manner now their scornful feet. (9ff.)

Die wehmütige Klage der geschlagenen Stadt mündet in die zaghafte, an Gott gerichtete Bitte um Wiederaufrichtung (14), und ihre Anklagen gipfeln in der Verwünschung ihrer Widersacher, die das von ihnen verursachte Elend noch immer ohne Mitleid und Reue betrachten (10ff.). Während der anklagende Grundtenor des Gedichts unüberhörbar ist, läßt sich die Zielrichtung der Anklage auf Anhieb kaum eindeutig bestimmen. Das wird erst möglich, wenn man sieht, daß Londons Lamentations gleichsam als Paraphrase der alttestamentarischen Lamentations of Jeremiah angelegt sind, auf die sich schon die Verfasser der Mirabilis Annus-Pamphlete mit ihrer Polemik gegen die "evil kings" und die "oppressive episcopacy" bevorzugt bezogen haben. Erst vor diesem biblischen Hintergrund gewinnen die Aussagen und die Rollenträger des Londongedichts unzweideutige Konturen. In den Lamentations of Jeremiah nämlich folgt auf den Bericht des Propheten über das Elend der jüngst noch blühenden Stadt (1,1-11) das von dem zerstörten Jerusalem selbst vorgetragene104 Klagelied (1,12ff.), welches unschwer als Vorlage der Londonklage zu erkennen ist. Ähnlich wie die "figure of a woman 104

Vgl. Peak, S. 496: "The Singer's account of Zion's sorrows (1-11) [is followed by] a soliloquy thereon by the city herself" (12ff.).

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representing London" nämlich appelliert das zerstörte Jerusalem hier an "all ye that pass by" (I, 12), führt bittere Beschwerden über deren Teilnahmslosigkeit (I, 12) und Schadenfreude (I, 21), bekennt ihre Sünde, die im Bild ihrer Kapitulation vor dem "adversary [who] hath spread out his hand upon all her pleasant things" (1,10) veranschaulicht wird, und wendet sich schließlich mit der Bitte an Gott, sie wiederaufzurichten (I, 21) und ihre Feinde zu zerschmettern (I, 22).105 Auch die auf die Klage Jerusalems folgenden Reflexionen des Propheten über die Gründe des Unheils sind für das Verständnis der auf den ersten Blick vage anmutenden Anklagen und Schuldzuweisungen des Londongedichts von Belang. Hier nämlich wird die Hauptschuld für die Erregung von Gottes "fierce anger" (IV, 11) und das "fire in Zion [which] hath devoured the foundations thereof" (IV, 11) den "sins of her prophets" (IV, 13) und den "iniquities of her priests" (IV, 13) angelastet, die das Blut der gerechten Bewohner Jerusalems vergossen (IV, 13), die Weisungen der Stadtältesten und der treuen Diener des Herrn mißachtet (IV, 16) und mit dem äußeren Feind der Stadt kollaboriert haben (IV, 21 ff.). Während diese Überlegungen des Jeremiah die Vertreter der etablierten Kirche als die Hauptschuldigen für Londons Ruin zu sehen lehren, wird die Krone für das Unheil der City durch eine weitere Allusion mitverantwortlich gemacht: You that have laid me in the fatal U r n O f S I N and seen me there to ashes burn: You that with crimson Crimes, like Cables great, Pull'd Vengeance on me ... (3ff.)

Dieser gegen ein auf den ersten Blick nicht näher bestimmtes "You" (3;5) erhobene Vorwurf, die Stadt zur Hure gemacht (3f.) und mit "crimson Crimes" (5) Gottes "Vengeance" (6) über sie gebracht zu haben, spielt auf einen anderen alttestamentarischen Text an, der in den Mirabilis Annus-T>a.m\>\i\etzn ebenfalls mehrfach herangezogen wird. Es handelt sich dabei um das 1. Kapitel des Jesaiah, in welchem der Prophet eine Feuersbrunst (1,7 und 25) vorhersagt, durch die Gott das zur "harlot" (I. 21) gewordene und in Sünden verstrickte Jerusalem ("your sins [are] as scarlet... red like crimson", 1,18) in Schutt und Asche legen wird, um es hernach mit seinen "judges as at the first" und seinen "counsellours as at the beginning" erneut als "city of righteousness" (I, 26) erstehen zu lassen. Dabei wird für den verhängnisvollen Wandel Jerusalems von einer "faithful city" (I, 21) zur "harlot" (I, 21) eine un105

Vgl. auch Lamentations ofJeremiah, III, 60 und Peak, S. 497.

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zweideutige Erklärung geboten. Diejenigen, die die Stadt zur Hure gemacht und mit scharlachroter Sünde befleckt haben, sind ihre "princes" (I, 23), die als abtrünnige, habgierige und mitleidslose "companions of thieves" (I, 23) bezeichnet werden. Und diese abtrünnigen Fürsten, die Gott als seine "adversaries" und "enemies" (I, 24) betrachtet, sind es auch, denen Gottes Rache vor allem galt: Thy princes are rebellious, and companions of thiefs; every one loveth gifts, and followeth after rewards: they judge not the fatherless, neither does the cause of the widow come unto them. Therefore saith the Lord ... I will ease me of mine adversaries, and avenge me of mine enemies. (Isaiah, I, 23f.)

Mit diesen verschlüsselten Anklagen macht der Autor von Londons Lamentations keine grundsätzlich neuen Aussagen. Seine Kritik an den weltlichen und geistlichen Herrschaftsträgern der Restaurationszeit und seine Deutung der Londoner Feuerkatastrophe entsprechen weitgehend dem Tenor der nonkonformistischen Mirabilis Annus-Vamphlete, die das Unheil prophezeit und schon vorab als "God's punishment administered to a people who had turned from Him toward pleasure and evil kings and an oppressive episcopacy" deklariert hatten. Andererseits aber findet der Verfasser mit seiner Allusionstechnik einen poetischen Code, der es dem Nonkonformisten auch unter der verschärften Zensur erlaubt, sich mit den royalistischen After the Fire-Gedichten auseinanderzusetzen und seinen Einspruch gegen die Inkriminierung Londons und die Glorifizierung der Krone und der Vertreter der etablierten Kirche vorzubringen, die für ihn die wahren Feinde der City und ihrer politischen und religiösen Freiheiten und Errungenschaften sind. 4.3. Robert Wilds (?) Upon the Rebuilding the City Entschieden unverhüllter wird die nonkonformistische Sicht der Feuerkatastrophe und der Rolle der City in dem 186 couplet^Verse umfassenden broadside mit dem Titel Upon the Rebuilding the City zum Ausdruck gebracht. Dabei verzichtet auch der Verfasser dieses 1669 erstmals anonym erschienenen Textes auf eine explizite Auseinandersetzung mit dem royalistischen After the Fire-Gedicht. Auch er vertraut, wie es scheint, darauf, daß sein Gedicht im Jahre 1669 auf Anhieb als Gegenentwurf zu den Londongedichten seiner royalistisch gesinnten Dichterkollegen verständlich ist, als entschiedenes Dementi der zu To72

poi erhobenen Deutung des Feuers als "judgement", der Verurteilung der Stadt als "rebellious City" und der Apotheose des zum Retter und Neugründer stilisierten Stuartmonarchen. So beginnt - nach einer knappen Exposition, in welcher am Beispiel des Prometheusmythos (Iff.) und des Genesisberichts über den Turmbau zu Babel (5ff.) der unvermeidliche Fall der Hoffärtigen illustriert wird - das Gedicht mit einer beispiellosen Tirade gegen Rom, den Papst und seine brandstiftenden Priester: Nor shalt thou better speed (proud Rome) not thou, Though thou hast carried Empire on thy brow, And with thy Cannons made all Monarchs quake As thunder doth the trembling Mountains shake: No, though thy head, thy lofty head thou raise To try thy horned strength with Cynthia's. No, though thy Father be the Prince of thAir And with thee doth his vast Dominion share ... And though thy zeal (Ah, cursed zeal!) aspire To raise thy Pope, great Pyramids of fire, From burned Cities; yet thy self (proud Dame) Who burnt with Sodoms lust, shalt with her flame. Where are thy Fauxes in their dark disguise, Incendiary Priests, and subtile spies, Who when our Londons fiery tryal came, Like Salamanders feasted in the flame, And curst the hands that first should lay a Brick Tow'rds the rebuilding that grand Heretick; (19ff. und 30ff.) 106

Hier wird - ähnlich wie in der Inschrift auf der Westseite des Fire Monument — die mutmaßliche Papistenverschwörung gegen London als gesicherte Erkenntnis ausgegeben. In dem als Domäne des Antichrist (25f.) und als Symbol der Verworfenheit (33f.) betrachteten päpstlichen Rom sieht der Autor jenen zelotischen Fanatismus ("thy zeal, Ah, cursed zeal!", 31) am Werk, den die Anglikaner und Kavaliere den Puritanern anzulasten pflegten. Das "proud Rome" (19) ist das Zentrum der weltweiten Verschwörung, von wo aus der Papst (32) seine "incendiary Priests and subtle spies" (36) aussandte, um die englische Metropole dem Erdboden gleichzumachen und hernach ihren Wiederaufbau zu vereiteln (39f.). Die Feuerkatastrophe wird hier folglich weder in der ei106

Der volle Titel des bei Aubin, S. 153ff. abgedruckten Gedichtes lautet: Upon the Rebuilding The City, The Right Honourable, The Lord Mayor, And the Noble Company of Batchelors Dining with Him, May 5th. 1669; 1670 in: Iter Boreale; vgl. dazu Anm. 126 und 131.

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nen noch in der anderen Weise als Strafgericht Gottes betrachtet. Sie gilt dem Verfasser vielmehr als das verbrecherische Werk der Papisten, die sich mit der Zerstörung des als "that grand Heretick" (40) verteufelten London des Rivalen zu entledigen suchen, der ihrem sodomitischen und satanischen Rom seit geraumer Zeit die geistliche und weltliche Führungsrolle in der Welt streitig macht. Dabei wird der englische König hier zu Beginn des Gedichts weder der Unterstützung noch auch nur der stillschweigenden Duldung dieser Verschwörung gegen die verketzerte Hauptstadt bezichtigt, sondern kaum minder als die City selbst als Angriffsziel der Verschwörer betrachtet (41 ff.). Doch dem Sprecher des Gedichts ist es trotz Roms Zerstörungswut weder um die Zukunft der Hauptstadt noch um die der Krone bange: We have our Newgate and old Tyburn too, Ready to serve their Turns who turn to you. (65f.)

London, so wird versichert, wird sich künftig gegen die Brandstifter und deren Sympathisanten und Nachahmer zu wehren wissen. Bleiben und Bestand haben werden nicht Rom und der Papst, sondern London und die englische Krone: Now let them [the incendiary priests and subtile spies] stare and startle at the sight. And bark as Curs do at the Moons fair light: Let them not boast their Charles la grand, la Boon Great Britain can outshine them both in One, A Prince of far more gracious intents Than all thy Urbans, Clements, Innocents, Upon whose head shall stand a Triple Crown, When thy grand Tyrants shall be tumbled down. Still on our Thames shall noble Barges ride, When Tyber to a Ditch shall shrink her p[ri]d[e] ... Our Citizens shall feast in their Guild-Hall, And eat Geese-Patrons of thy Capital. Justice and Mercy now shall guard her store, And her Mock-Giants she shall need no more, Th'Exchange that Royal Infant, shortly will Her own and foreign Language speak with skill; (45-54; 57-62)

Englands König wird noch immer seine "Triple Crown" tragen, wenn die päpstlichen Tyrannen längst gestürzt sein werden (52). Und wenn der stolze Tiber (54) zur Kloake verkommen sein wird, werden auf der Themse noch immer prächtige Schiffe fahren (53), in der Guildhall der 74

City festliche Gelage stattfinden (57) und in der Londoner Börse (61) die Sprachen aus aller Herren Länder zu hören sein. Dabei zeigt es sich bei genauerer Betrachtung des gesamten Gedichtstextes, daß bereits in diese, noch ziemlich am Anfang stehende Passage eine Reihe von Bildern, Metaphern und Begriffen eingewoben sind, 107 die auf den im Mittelpunkt stehenden Lord Mayor der City vorausweisen, dem die zerstörte Metropole die raschen Fortschritte beim Wiederaufbau, die zuversichtliche Beurteilung ihrer Lage und ihr wiedergefundenes Selbstvertrauen in der Hauptsache verdankt. Nach einem kurzen Zwischenabschnitt nämlich, in welchem der Papistenverschwörung in launigem Ton eine dem Wiederaufbau Londons dienliche "conspiracy" (68) der Elemente gegenübergestellt wird, kommt der Autor auf die zentrale Gestalt seines Gedichts zu sprechen:

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Kind heaven and all the Elements conspire (And such conspiracy's we may desire) To make our City fairer, stronger, higher, The Sun gets up each morn at peep of day To oversee the Work, and late doth stay Before he lets the Labourers retreat, As if he undertook the work by th'Great... Nor doth the Sun alone the W o r k o're see, But there is One as vigilant as he, A Pious, Loyal, Wise, Just M[a]y'r, a Lord W h o like Zerubbabel with awful sword Defends the trowel, whose sweet voice hath powers (As Orpheus had to raise his Theban Towers)

Die Zeilen "Now let them [the incendiary priests and subtile spies] stare and startle at the sight, / And bark as Curs do at the Moons fair light" (45f.) weisen auf die Verse 118ff. voraus, wo die Beziehung zwischen dem Lord Mayor und seinem Gefolge mit Hilfe der an späterer Stelle noch zu erläuternden Mond-Sterne-Metaphorik veranschaulicht wird: "Nor doth he [the Lord Mayor] stand ... alone ... / But as the Moon, when she her progress goes, / The Court of Stars as her Attendants shows" (118ff.). An die Lord Mayor's Show erinnert der Vers "Still on our Thames shall noble Barges ride" (53): "The mayor and his retinue were accustomed to go on horseback until 1422, when an order was made for a river pageant, and the companies went in their barges."; W. Kent, ed., Encyclopaedia of London (London 1937), S. 211. Zur prächtigen Ausstattung der "Mayor's barge" and der "fifty barges, filled with the various Companies" vgl. auch Thornbury, I, S. 317f. Der Vers "Our Citizens shall feast in their Guild-hall" (57) verweist auf die gesellschaftlichen Aktivitäten des Lord Mayor. Ähnlich weist auch der Vers 59 "Justice and Mercy now shall guard her store" auf das Portrait des Stadtoberhauptes voraus, vor allem 98ff. und 115ff. und 86, die unten zitiert werden.

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To make the teeming bowels of the earth Shoot up new buildings by an easie birth. He guards the Sabbaths with an holy care, And blesseth all the week by that days pray'r; His Magistracy lies not in his Train, 95 His stately Steed, his Scarlet, or his Chain; He, and his sword in Velvet fast asleep, But watchful, God's peace and the Kings to keep; W i t h a strict hand the Ballance he doth hold, Trying the Cause how weighty, not the Gold: 100 As he with virtue meets, or with offence, So do his looks, or smiles, or frowns dispence; His smoother Chin, carrying as grave a grace, As the Diocesans well bearded face. (67ff. und 84ff.)

Der an späterer Stelle namentlich genannte Lord Mayor Sir William Turner108 wird als ein Stadtoberhaupt vorgestellt, das die mit dem Wiederaufbau beschäftigten Londoner zu außergewöhnlicher Leistung anspornt (88ff.), das sein eigenes Leben und das seiner Londoner Bürger nach Gottes Geboten (92f.) und der Loyalitätspflicht gegenüber dem König ausrichtet (97.f), und das sich als ebenso unbestechlicher wie (98ff.) offener (lOOf.) Richter und Schlichter ein von den äußeren Insignien seiner Macht unabhängiges Ansehen (94ff.) erworben hat. Dabei wird das Bild des "Beloved Turner" (122) bereits hier durch biblische (87f.) und mythologische (89) Allusionen bereichert, die in der Folge mit der erkennbaren Absicht, das panegyrische Portrait zur Apotheose zu erheben, vermehrt und weiter ausgemalt werden. Durch den Vergleich des Lord Mayor mit dem biblischen "Zerubbabel" (87), wird zum einen die besondere Leistung Turners aus jener des governor und Wiedererbauers des zerstörten Jerusalems erklärt, von dem das alttestamentarische Esrabuch folgendes berichtet: Nachdem Serubbabel eine Gruppe von vertriebenen Juden in das zerstörte Jersualem zurückgeführt hat, um den Wiederaufbau der Stadt in Angriff zu nehmen, stößt er zunächst auf Widerstand. Seine Widersacher nämlich versu108

Vgl. J. G. Nicols et al., The Topographer and, Genealogist (London, 1846-58), I, S. 506: "Sir William Turner, Knt. who went up to London when young, and became an eminent woollen-draper in St. Paul's Churchyard, an Alderman of the city of London, and free of the Merchant-Taylors' Company. He was knighted 19 July 1662; was Sheriff, and in 1669 Lord Mayor of the City of London; and was chosen President of Bridewell Hospital that same year. Having amassed a large fortune, he founded, in 1676, the noble hospital at Kirkleatham, in Cleveland, N.R. of Yorkshire ... At his death, moreover, he bequeathed 5,000 for founding a free school at Kirkleatham ... He was a man of great wisdom, prudence, and integrity."

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chen, sein Vorhaben dadurch zu vereiteln, daß sie dem König zu verstehen geben, Serubbabel beabsichtige eben jene "rebellious and ... bad city" {Ezra, IV, 12)109 wiederzuerrichten, die Jerusalem vermeintlich von Alters her gewesen sei: "... it is found that this city of old time hath made insurrection against kings and that rebellion and sedition have been made therein" {Ezra, IV, 19). Die Ubereinstimmung der gegen Jerusalem und London vorgebrachten Anschuldigungen und Verdächtigungen ist so augenfällig, daß der mit dem Ezrabuch vertraute Leser die Implikationen des Turner-Serubbabel-Vergleichs auch ohne die an späterer Stelle explizierte Gleichsetzung des neuen London mit dem neuen Jerusalem (173) no verstehen würde. Bereits hier nämlich sehen wir die im royalistischen After the fire-Gedicht propagierte Auffassung vom König als dem Begründer und Förderer des neuen London unzweideutig korrigiert. Als Motor des Wiederaufbaus, so suggeriert der Turner-Serubbabel-Vergleich, verdient allein der Lord Mayor der City gerühmt zu werden, der kraft seines Charisma die Bewohner der Stadt nicht nur zu einem ans Wunderbare grenzenden Wiederaufbautempo anzuspornen vermochte (88ff.), sondern der "with awful sword defending] the trowel" (87f.) die Bautätigkeit auch gegen den Widerstand jener Kreise durchzusetzen verstand, die den König davon zu überzeugen suchten, daß die "rebellious city, which was always an enemy to the crown" (vgl. Anm. 28) in ihrer vermeintlich gefährlichen Unabhängigkeit nicht wiedererstehen dürfe. Zum andern wird das Porträt des Lord Mayor durch den Turner-Serubbabel-Vergleich mit messianischen Zügen angereichert, wie sie die Propheten Haggai und Sacharja mit Serubbabel assoziieren, den sie als zukünftigen Regenten des vom Joch korrupter Könige befreiten Jerusalem betrachten, womit Sir William Turner andeutungsweise bereits hier als der von Gott erwählte Befreier und Gegenspieler usurpatorischer Könige Gestalt annimmt.111 109

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"be it known unto the king, that the Jews which came up from thee to us are come unto Jerusalem, building the rebellious and the bad city, and have set up the walls thereof and joined the foundations" (Ezra, IV, 12). "Oh, if our Churches Overseers would yield / And let poor labourers come forth and build / ... Our New Jerusalem would soon behold / Sion in glory, though it wanted Gold" (167ff.) Vgl. Haggai, 2, 20ff.: "Speak to Zerubbabel, governor of Judah, saying ... I will overthrow the throne of kingdoms, and I will destroy the strength of the kingdoms of the heathen ... In that day, saith the Lord of hosts, I will take thee, O Zerubbabel, my servant... for I have chosen thee ..."; vgl. auch Zechariah, 4,6ff. und 8,3ff.

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Wenn der Verfasser - nach einer knappen satirischen Digression über den perfiden Deflorationskult, dem in Rom alle Glieder der Kurie huldigen (104ff.)112 - das Portrait des "Beloved Turner" weiter ausmalt, so versinnbildlicht er die Beziehung zwischen dem Mayor und der City mit einer Metapher, die katholischer Verantwortungslosigkeit und Promiskuität Keuschheit und fürsorgliche Treue im protestantischen London gegenüberstellt und darüber hinaus sowohl die messianischen als auch die königskritischen Konnotationen des Serubbabel-Vergleichs unterstreicht: But London which the Nuptial Band allows, And hates to lock her Virgins up in Vows, Can glory in her Batchelor Lord May'r, Chast as the Dove, though of the Ravens Hair: The Widow City is his Spouse - and He Cares for her Children and great Family; (112ff.)

Zum einen nämlich erinnert die hier gepriesene Beziehung zwischen dem "Batchelor Lord May'r" (114) und der "Widow City" (116) an die zwischen Christus und dem neuen Jerusalem, die in der Offenbarung mit Hilfe der nämlichen Ehe- bzw. Brautmetaphorik charakterisiert wird.113 Zum andern liest sich die Passage wie eine ironische Inversion der entsprechenden Ausführungen in der Vorrede von Annus Mirabilis, wo Dryden das Verhältnis zwischen der ausgebrannten Stadt und dem Stuartkönig als das von "matchless lovers" beschreibt. In den unmittelbar anschließenden Versen werden die "Batchelors" (123) vorgestellt, die bereits im Untertitel des Gedichts erwähnt sind (vgl. Anm. 106): 112

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"Boast on (old Beldame Rome) and brag - Thou hast / Thousands of Sons and Daughters pure and chast, / Yet thou shalt find for all their single Lives, / But little Virgin Honey in their Hives: / Those thievish Drones thy Fryars without wings, / Creep to thy Nuns, and leave behind their stings. / Thou hast thy Joan's as well as Popes - Fame says, / T h y Innocents have their Olympia's". (104ff.) Mit "thyJoan's" (110) ist der "legendary female pontiff" angesprochen, " w h o supposedly reigned under the title of John VIII, for slightly more than 25 months, from 855 to 858 ... During the 16th and 17th centuries, the story was used for Protestand polemics"; vgl. Enc. Brit., V. 565. Der Vers " T h y Innocents have their Olympic's" (111) ist eine Anspielung auf Innocenz X . (1644-55), dessen „Verhältnis zu seiner Schwägerin Donna Olimpia Maildachina ... vielfach als unsittlich dargestellt und besonders von den Calvinisten in Predigten, Schriften und selbst auf Medaillen zum Nachtheile des Papsttums ausgebeutet [wurde]"; H.J. Wetzer, ed., Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie (Freiburg, 1847-56), 12 Bde., V, S. 643. Vgl. Revelation, 19,7; 21,2; 21,9.

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MO

N o r doth he stand (although he lyes) alone ( H e were a Phenix if he were but One) But as the Moon, w h e n she her progress goes, The Court of Stars as her Attendants shows: So w h e n Beloved Turner please to call, Great troops of Batchelors adorn his Hall; N o n e male content, and yet male Virgins all O n May's fifth day (Oh, 'twas a wondrous sight!) Three hundred Yvrgins, Virgins day and night; Virgins in Breeches, Virgins all as true, A s she for w h o m Saint George the Dragon slew... N o n e from an Ordeal Tryal need to fly That Purgatory fire, of Chastity; N o n e free of Creswel Colledge, not a Man N e e d fear to meet a Nurse or some Trappan; N o n e of them all, (for ought the Poet knows) Wears (though another Hair) anothers N o s e . M y Lord himself, and all his Guests, I think In the same Cup, might without danger drink; Yet none (if called lawfully) but can Beget a Son, may prove an Alderman. (118ff.)

Im Verlauf der Geschichte Londons hat der Begriff batchelor zwei spezielle, außerhalb der City nicht geläufige Bedeutungen angenommen. Während ursprünglich alle junior members der Londoner Gilden als batchelors bezeichnet wurden, fand der Begriff seit der elisabethanischen Zeit auch für die Mitglieder der sogenannten Courts of Assistantsm Verwendung. Jede der zwölf großen Gilden der City besaß einen solchen Court ofAssistants, in den in der Regel 26 ihrer freemen auf Lebenszeit gewählt wurden, die das mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete Selbstverwaltungsorgan, "the government of the livery companies"115 bildeten. Die Bedeutung der hier dargestellten Beziehung zwischen den "Batche114

115

Vgl. George Unwin, The Gilds and Companies of London, with a new Introduction by W.F. Kahl (London, 1963), S. 228: "Membership of it was thus a stage through which all had to pass ... those who were destined for promotion to high office. It is the former who appear in the company's records as holding office ... or as contributing under the name of the Bachelor's company a very large proportion of the expense incurred by the company on great occasions. It is this class - the cadets of the ruling families of the company or the wealthy members who desired admittance to the oligarchy — who appear as Bachelors in 'foins and budge' on the exceptional occasions when a member of the company had been chosen Lord Mayor."; vgl. auch S. 217ff. und 224ff. Vgl. Kahl, S. 20ff.

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lors" (123) und ihrem "Lord," (141), dem "Beloved Turner" (122), wird in vollem Umfang erst vor dem Hintergrund der zwischen der Krone und der City ausgetragenen Kontroverse über die macht- und finanzpolitisch bedeutsame Frage erkennbar, wer als der oberste Dienstherr der Gilden zu gelten und über die Gestaltung und Verleihung ihrer Freibriefe, der sogenannten charters, zu entscheiden habe. Während nämlich die City seit dem Anfang des 17 Jahrhunderts mit Erfolg gegen die Vergabe von "royal Charters to the Companies" protestiert hatte und der Lord Mayor bis zum Ende der Cromwellzeit de facto der unumstrittene "Master of all the Livery Companies"116 gewesen war, versuchte Karl II. die diesbezügliche Prärogative der Krone erneut für sich geltend zu machen und damit seinen Einfluß in der City zu erweitern. Der Verfasser von Upon the Rebuilding the City weist diesen neuerlich reklamierten Machtanspruch Karls II. über die Gilden dadurch auf raffinierte Weise zurück, daß er den Nexus zwischen dem Lord Mayor und den Repräsentanten der Gilden mit eben jener bekannten kosmischen Metapher versinnbildlicht, mit welcher elisabethanische Dichter die unverbrüchliche Beziehung zwischen dem "mortal moon Elisabeth" und den "luminaries of her Court" 117 zum Ausdruck zu bringen pflegten:

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Kahl, S. 20ff.: "The City always protested against the grant of royal charters to the Companies. When incorporation became customary in the reign of Henry VI, the City was among the foremost in obtaining an Act of Parliament by which the Mayor could maintain the authority of the City ... The power of the City over the Companies increased further at the beginning of the seventeenth century when the Lord Mayor claimed to be Master of all the Livery Companies. From the reign of James I (1603-25) the Companies had to obtain license from the City before suing for incorporation or petitioning for a new charter ... While the City insisted upon supremacy over the Livery Companies, they were the cornerstone of the government of London. The freedom of the Companies ... was the principal means of obtaining the franchise and entering public office ... The choice of aldermanic candidates, therefore, was open to control by the freemen of one or more of the Companies. The freedom, however, was the qualification not only for the charters but also for the office holders. The Aldermen and members of the Court of Common Council were Liverymen of the Companies." Solange die "royal grants of charters" hingegen unumstritten waren, stellten die "guilds", wie Kahl (S. 15) ausführt, "independent, rival departments of royal government within the City" dar. E.M.W. Tillyard, The Elisabethan World Picture (London, 1963), S. 128; vgl. auch S. 110 "In the previous reign [i.e. in the reign of Elizabeth], the moon ... was set to duplicate the queen in the heavens, and the moon in the galaxy stood for the queen, Diana or Cynthias, among the luminaries of her Court"; vgl. auch S. 52f. und 12 7f.

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N o r doth he [the Mayor] stand ... alone ... But as the Moon when she her progress goes, The Court of Stars as her Attendants shows: So when Beloved Turner please to call, Great troops of Batcbelors adorn his Hall; (119ff.)

Die mit der unkonventionellen Verwendung der Metapher konnotierte Vorstellung, daß für den Zeitgenossen eine Entsprechung kosmischer Ordnung und Harmonie weniger im Umkreis des Hofes als in den Mauern der ausgebrannten City zu erkennen ist, wird in der folgenden Passage deutlicher umrissen: These Sons of Peace, and Sons of Mars, if Charls Please to take notice of his Neighbours snarls C a m e not to shew their Valour in his Hall, To combate Custard, batter Pasty Wall: To try the Issue of an equal Bet, 150 Whether their Teeth, or Knives were sharper set, To take the Red-coat Lobsters by the back And with bold hands, their clattering Armour crack But their chief errand was, to pray he would C o m m a n d their persons, and accept their Gold. 155 And if their Votes and mine were current, H e Should thier Perpetual Dictator be. (145ff.)

Von dem festlichen Essen, zu dem der Lord Mayor die "Noble Company of Batchelors" in die wiedererbaute Guildhall118 geladen hat, erfährt der Leser hier kaum mehr als im Untertitel des Gedichts (vgl. Anm. 106). Das Ereignis nimmt der Verfasser lediglich zum Anlaß, ein Gegenbild jener stupiden Völlereien und Prassereien am Hofe zu entwerfen, durch deren Duldung der König bei seinen Londoner Nachbarn Verärgerung auslöst, die er nicht länger ignorieren sollte: "if Charls / Please to take notice of his Neighbours snarls" (145f.). Zugleich wird hier ein weiteres Mal die unbedingte Loyalität der Gilden gegenüber dem Stadtoberhaupt unterstrichen, wenn die "Batchelor" den Lord Mayor einstimmig zu ihrem "Perpetual Dictator" (156) erküren und ihn ihrer uneingeschränkten politischen und finanziellen Unterstützung (154) bei der Bewältigung des gigantischen Aufbau118

Daß in den Versen 145ff. von einem Empfang in der "Hall" des Lord Mayor und nicht etwa in der des Königs die Rede ist, geht eindeutig aus der Korrespondenz der Zeile " [These Sons of Peace...] Came not to show their Valour in this Hall" (147) mit den Versen "... when Beloved Turner please to call / Great troops of Batchelors adorn his Hall" (122ff.) hervor. 81

werks versichern. Dabei gibt der Verfasser mit dem Konditional der Zeilen, "And if their Votes and mine were current, He / Should their Perpetual Dictator be" (155f.) zu verstehen, daß das einstimmige Votum der Gildenvertreter zugunsten des Lord Mayor vom König nicht als legitime politische Willensentscheidung anerkannt wird. Aber er impliziert zugleich, wenn er die "Batcbelors" als "Sons of Peace, and Sons of Mars" (145), als ebenso friedfertige wie kampfbereite Männer bezeichnet, daß die Londoner ihre politischen Vorstellungen notfalls auch gegen den Widerstand der Krone durchzusetzen beabsichtigen: But if the scarlet Sphere119 must turn about (Though turning round makes giddy heads I doubt) Yet his Exemplar Government shall stand, And teach Successors how they should command. (157ff.)

Uber den Ausgang einer möglichen Kraftprobe zwischen Krone und City zeigt sich der Verfasser wenig besorgt. Im Gegensatz zu den Salonkriegern am königlichen Hof, die mit ihren albernen Speiseschlachten 119

Die Deutung der "scarlet Sphere" (157) wirft in der Tat Probleme auf und bleibt eingestandenermaßen spekulativ. Denkbar ist einmal, daß sie für den Kriegsgott Mars steht. Die Wendung, "But if the scarlet Sphere must turn about" (157) hieße dann etwa: 'Aber wenn der Krieg zurückkehren bzw. sich als unvermeidlich erweisen sollte'. Daß die City auch einer solchen Entwicklung gewachsen wäre, hat der Verfasser mit seiner Charakterisierung der "Batchelors" als "Sons of Peace, and Sons of Mars" (145) bereits in den vorangehenden Versen klargestellt. Denkbar ist aber auch die Identifikation der "scarlet Sphere" mit der als "scarlet woman" bezeichneten Hure Babylon, die für das verworfene Rom steht (Revelation 17, 3ff.). Diese Deutung scheint sich aus mehreren Gründen anzubieten: Sie steht im Einklang mit der am Beginn des Gedichts vorgebrachten Anklage gegen das als "old Beldame Rome" (104) bezeichnete papistische Rom, dessen "Incendiary Priests" (36) die Feuerkatastrophe über London gebracht haben. Sie steht darüber hinaus im Einklang mit den Implikationen des vorausgehenden Turner-Serubbabel-Vergleichs und den an späterer Stelle kommentierten Versen über die "Black and White Fryars" (183), die gleichermaßen den in der nonkonformistischen Literatur der Zeit immer wiederkehrenden Verdacht nahelegen, der König sympathisiere und kollaboriere mit den Papisten, die aus ihrem Haß gegen das protestantische London keinen Hehl machen. Schließlich korrespondiert die Metapher "scarlet Sphere" mit der kosmologischen Metapher des "Moon - Mayor" und des ihn umkreisenden "Court of Stars" (120f.), mit welcher das "Exemplar Government" (159) der City versinnbildlicht wird. Das als "scarlet Sphere" firmierende "proud Rome" (19), von dem es zu Beginn des Gedichts heißt, "thy lofty head thou raise / To try thy horned strength with Cynthia's" (23f.) und "Now ... bark as Curs do at the Moons fair light" (46) läßt sich somit als die "Popish faction" verstehen, die - nachdem sie sich am Hof zu etablieren verstand - ihre "subtile spies" (37) in die Umlaufbahn um den "Moon Mayor" einzuschleusen sucht, um den Wiederaufbau der Stadt plangemäß zu vereiteln: "cursfing] the hands that first should lay a Brick /Tow'rds the rebuilding that grand Heretick" (39); vgl. auch unten S. 157 u. 158.

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und Kraftmeiereien ebensoviel Vergeudung wie Geistlosigkeit erkennen lassen (147), verkörpern der für seine "Widow City" (116) sorgende Mayor und die ihn mit allen Kräften unterstützenden "Sons of Peace, and Sons of Mars" (145) in jeder Hinsicht überlegene politische und moralische Prinzipien. Damit, so wird versichert, wird die City den Anfeindungen trotzen, ihre Feinde überdauern und zukünftigen Herrschern die Nachahmung ihres "Exemplar Government" (159) abverlangen. Während sich die Bedeutung des batchelor-Begriffs aus der Londoner Verfassungs- und Institutionsgeschichte erhellen läßt, findet sich für die Charakterisierung dieser Personengruppe als "male Virgins" (124; vgl. die oben zit. Verse 118ff.) dort keine Entsprechung. Hier haben wir es vielmehr mit einer weiteren biblischen Anspielung zu tun, die dazu dient, die besonderen moralischen Qualitäten der "Batchelors" hervorzuheben. Im Einklang damit, daß der Verfasser vom neuen London als "Our New Jerusalem" (173) spricht und die Beziehung zwischen dem Mayor und der City mit der zwischen Christus und seinem Weibe Jerusalem gleichsetzt, verwendet er hier für die Charakterisierung der "Noble Company of Batchelors", der treuen Gefolgschaft des Lord Mayor, die Attribute der "company of the Lamb", der treuen Anhänger Christi, die in das Neue Jerusalem einziehen und die in der Offenbarung des Johannes als die männlichen "virgins" beschrieben werden: These are they which were not defiled with women; for they are virgins. These are they which follow the Lamb whithersoever he goeth. These were redeemed from among men ... Here is the patience of the saints: her tare they that keep the commandments of G o d , and the faith of Jesus (Revelation, 14, 4 und 14, 12)

Mit dieser Anspielung auf die männlichen "virgins" der Offenbarung, die in Jerusalem an der Seite Christi einem Leben in vollkommener Harmonie entgegengehen, unterstreicht der Autor noch einmal die vielfach konnotierten messianischen Züge des Lord Mayor, die moralische Vorbildlichkeit seiner "Batchelors" und die in die bürgerliche Metropole gesetzten Heilserwartungen. Mit den folgenden Versen, in denen die von gegenseitiger Liebe bestimmte Beziehung zwischen London und der Krone zu Elisabeths Zeiten in Erinnerung gebracht und als eine ebenso glückhafte wie seltene Konstellation gekennzeichnet wird, eröffnet der Autor den letzten Teil seiner Erörterung über die zukünftigen Beziehungen zwischen der City und dem Court: 83

A Virgin Queen, and Batcbelor Lord Mayor, To England are as prosperous as rare,

She made the City love the Court, and He The Court the City by his Loyalty. He a wise Imitator of his King, Finds Moderation is a healing thing. (161ff.)

Die Voraussetzungen für enge und vertrauensvolle Beziehungen, so wird argumentiert, sind von Seiten der City, an deren Spitze ein charismatisches Stadtoberhaupt steht, in jeder Hinsicht gegeben. Verwirklichen aber läßt sich das wünschenswerte Verhältnis nur, wenn auch an der Spitze des Hofes ein Regent steht, dessen Lebens- und Regierungsstil, wie im Falle der "Virgin Queen" (161), mit dem des "Batchelor Lord Mayor" (161) und seiner "male Virgins" (124) harmoniert. Wenn der gegenwärtige "Batchelor Lord Mayor" nach dieser historischen Reminiszenz ob seines Vertrauens in die konfliktlösende Kraft der "Moderation" (166) als "wise Imitator of his King" (165) bezeichnet wird, so ist man geneigt, das an den König gerichtete Kompliment als ironisches zu verstehen. Denn das in Upon the Rebuilding the City vermittelte Bild von Karl II. ist nicht entfernt das eines Monarchen, der sich den Wertvorstellungen seiner großen Vorgängerin oder im besonderen der "Moderation" (166) verpflichtet fühlt. Der kurze Einblick in die Verhältnisse an seinem Hof erweckt, wie wir sahen, vielmehr den bei seinen Londoner Nachbarn Verärgerung und Empörung erregenden Eindruck skrupelloser Verschwendung und Verantwortungslosigkeit, einen Eindruck, den manche königskritischen Implikationen der biblischen Anspielungen unterstreichen und den auch das andere, vergleichbar ambivalente Kompliment, das Karl "far more gracious intents" (49) als den Despoten auf dem heiligen Stuhl bescheinigt, kaum korrigiert (vgl. oben S. 74). Für eine ironische Deutung scheinen auch die abschließenden Verse des Gedichts zu sprechen: Oh, if our Churches Overseers would yield

And let poor Labourers come forth and build,

Such as untempered Mortar dare not use, 170 Nor for Foundations, straw and stubble chuse; Though every stone across they do not lay, But some work one, and some another way, O u r New Jerusalem should soon behold Sion in glory, though it wanted Gold. 175 Hard upon Hard, no lasting work will make, N o r can one Flint another kindly break:

But Moderation is a Cement sure,

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'Tis that which makes the universe endure That makes our Climate prove a temperate Zone Betwixt the Torrid, and the Frigid One. (167ff.)

Denn das hier zum Vortrag kommende Plädoyer für eine Politik der "Moderation" (177), so könnte man argumentieren, wäre wohl gegenstandslos, wenn sich der König tatsächlich, wie es oben heißt, von der Maxime der "Moderation" (166) hätte leiten lassen. Was nämlich hier am Ende des Gedichts in einer aus royalistischen Texten bereits bekannten Metaphorik beklagt wird, ist die rigorose Uniformitätspolitik der etablierten Kirche, deren "Overseers" (167) all jenen "poor Labourers" (168) die Mitwirkung am Wiederaufbau Londons verbieten, deren Vorstellungen und Praktiken (171f.) sich nicht in allen Einzelheiten mit den zum Dogma erhobenen Artikeln ihrer Lehre decken. Daß andererseits gewichtige Gründe gegen eine ironische Lesart des an den König gerichteten Kompliments sprechen, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die rigide Uniformitätspolitik der sechziger Jahre weder nach Meinung neuerer Historiker noch in den Augen gemäßigter zeitgenössischer Nonkonformisten das Werk Karls II., des nominellen Oberhaupts der anglikanischen Bischofskirche war oder auch nur seinen Intentionen entsprach.120 Die gemäßigten Nonkonformisten haben, ungeachtet ihrer Kritik am ausschweifenden Lebensstil am Hof des Monarchen, Kärls Declaration of Indulgence immer als Versuch der Einlösung seines Toleranzversprechens von Breda und als Beweis für "His Majesty's Moderation"m anerkannt und insofern sehr deutlich zwischen den kirchenpolitischen Absichten der Krone und der Anglikaner und Kavaliere unterschieden. Insoweit entbehrt auch die zur Rede stehende Berufung auf Karl II. als einen Anwalt und Fürsprecher der "Moderation" (166) nicht einer gewissen historischen und politischen Plausibilität: Sie erscheint vielmehr als raffinierter Schachzug, mit welchem der Verfasser hier am 120 121

Vgl. Kluxen, Geschichte, S. 348ff. und Neal, III, S. 56ff. Vgl. Neal, III, S. 63: "The Presbyterians about London were so far pleased [with the King's Declaration of Indulgence], that they drew up the following address of thanks, in the name of the city-ministers, and presented it to the king: 'Most dread Sovereign! We your majesty's most dutiful and loyal subjects, ministers of the gospel in the city of London, having perused your majesty's late declaration ... cannot but judge ourselves highly obliged ... We crave leave to profess, that though all things in this frame of government be not exactly suited to our judgements, yet Your Majesty's Moderation has so great an influence on us, that we shall to the utmost endeavour ... the promoting the peace and union of the church.'"

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Ende seines mit Kritik an den Einstellungen und Ansichten des kirchlichen und höfischen Establishment nicht sparenden Gedichts eine gewisse Bereitschaft zum Einlenken und zur pragmatischen Zusammenarbeit mit dem König signalisiert, den direkt anzugreifen er mit Bedacht konsequent vermieden hat. Dabei macht der für die Rehabilitierung seiner Londoner Gesinnungsgenossen werbende nonkonformistische Verfasser keinen Hehl daraus, daß sein vorsichtiger Appell an die nach dem Sturz Ciarendons (1667) neuerlich zur Debatte stehende 122 Toleranzidee des Stuartkönigs nicht vagem Wunschdenken über Karls Sympathien mit den Nonkonformisten entspringt: Black and White Fryars did together stand, And may again, if Wisdom might command, If not, He say no more, but this will swear, Bedlam and Bisbopsgate neer Neighbours are. (183ff.)

Wenn der Verfasser in diesen abschließenden vier Zeilen seines Gedichts daran erinnert, daß die in ihrer Doktrin und Lebenspraxis divergierenden "Black and White Fryars" (183) in London einst in enger Nachbarschaft lebten 123 und erklärt, daß er diese Form des verträglichen Miteinander auch im zukünftigen London für denkbar hält (184), so will er damit wohl auch seine Forderung nach einer Aussöhnung von Anglikanern und Nonkonformisten noch einmal umschreiben, von der in der vorangehenden Passage die Rede war. Aber mit der unpolemischen Erwähnung der trotz ihrer unterschiedlichen Auffassungen verträglichen Diener der katholischen Religion, die nach dem antipapistischen Grundtenor des Gedichts einigermaßen überrascht, scheint der Verfasser noch andere Absichten zu verbinden: Er gibt damit wohl zu verstehen, daß er hinter Karls Engagement für religiöse Toleranz auch sein 122

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Vgl. Neal, III, S. 154: "Upon the fall of the Earl of Clarendon the discourse of a toleration began to revive: the king in his speech to his parliament... has this passage: 'One thing more I hold myself obliged to recommend to you at this present, that is, that you would seriously think of some course to beget a better union and composure in the minds of my Protestant subjects in matters of religion, whereby they may be induced not only to submit quietly to the government, but also cheerfully give their assistance to the support of it'. Sundry pamphlets were published on this head; and the Duke of Buckingham being now prime-minister, the Nonconformists were connived at, and people went openly and boldly to their meetings. But the house of commons... petitioned to the king to issue out his proclamation ... against unlawful assemblies of Papists and Nonconformists". Zur Lage der Kloster der Blackfriars (i.e. Dominikaner) und Whitefriars (i.e. Karmeliten) in London vgl. Kent, S. 47ff. und S. 733ff.

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Bestreben erkennt, der Rechtlosigkeit der englischen Katholiken ein E n d e zu machen, wofür er ihm mit der zweiten Bedeutungsnuance der Verse gleichsam die Unterstützung der L o n d o n e r Nonkonformisten gegen den gemeinsamen Gegner, die anglikanische Mehrheitsfraktion im Parlament, signalisiert. 124 Oh, if our Churches Overseers would yield And let poor Labourers come forth and build ... Hard upon Hard, no lasting work will make, Nor can one Flint another kindly break: But Moderation is a Cement sure, 'Tis that which makes the universe endure That makes our Climate prove a temperate Zone Betwixt the Torrid and the Frigid One (167ff.) 124

Daß der nonkonformistische Verfasser hier seine Bereitschaft zur Unterstützung einer für protestantische Dissenters und Katholiken gleichermaßen gültigen Toleranzakte erkennen läßt, läßt sich eingestandenermaßen nicht zwingend beweisen. Angesichts der Bemühungen Karls, nach dem Sturz des erzanglikanischen Clarendon mit Hilfe des neuberufenen Cabal-Ministeriums die Lösung der Katholikenund Dissenterfrage in Angriff zu nehmen, spricht jedoch wenig für eine Lesart, die die Erwähnung der "Black and White Fryars" lediglich als lehrreiches Exempel für die zerstrittenen Anglikaner und Dissenters versteht. Unter den fünf Politikern des Cabal-Ministeriums war bezeichnenderweise kein Anglikaner. Clifford und Arlington waren Katholiken (weshalb sie 1673 mit Inkrafttreten der Testakte ihre Ämter verloren), Buckingham galt, soweit man ihm nicht jede Religiosität absprach, als Independent, Ashley-Cooper, der spätere Lord Shaftesbury, war ein toleranter Skeptiker mit gewissen Sympathien für den Nonkonformismus und Lauderdale war Presbyterianer; vgl. S. Low and ES. Pulling, eds., Dictionary of English History (London, 1928), S. 200. Daß es Karl mit seiner neuerlichen Toleranzinitiative nicht allein, wie er in seiner bereits erwähnten Parlamentsrede glauben machen wollte, um "a better union and composure in the minds of my Protestant subjects in matters of religion" (vgl. Anm. 122) ging, läßt sich somit bereits aus der Zusammensetzung des neuen Kabinetts entnehmen. Als sich in den Jahren 1668 und 1669 die Gerüchte über seine Korrespondenz mit dem Jesuitengeneral in Rom, seine Gespräche mit einem aus Brüssel angereisten päpstlichen Internuntius und seine mit Clifford und Arlington diskutierten Pläne, sich mit Rom auszusöhnen und England zum alten Glauben zurückzuführen, verdichteten, waren Karls Absichten für informierte Zeitgenossen ein offenes Geheimnis, zumal seine katholische Königin und seine katholische Schwester Henriette den strengen Gesetzen zum Trotz öffentlich als Katholiken auftraten und sein Bruder und Thronfolger kaum den Versuch machte, seine Konversion zu verheimlichen; vgl. J.E. Acton and A.W. Ward, eds., Cambridge Modem History, 13 vols. (London, 1902-12), V, S. 202f. Wie wenig sich die Dissenters über Karls Absichten im unklaren waren, geht auch daraus hervor, daß die neuerliche Toleranz-Initiative Karls in ihren Reihen Meinungsverschiedenheiten auslöste: "Some disagreement arose between the presbyterians and independents as to the toleration of popery, or rather, as to the acitve concurrence of the protestant dissenters in accepting such a toleration as should include popery"; Hallam, II, S. 345. Die Position, die der Verfasser unserer Auffassung nach hier vertritt, läßt sich also historisch durchaus belegen.

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Durch die Einarbeitung eines Echos aus Denhams londonfeindlichem Gedicht Cooper's Hül verleiht der anspielungsfreudige Autor diesen Versen darüber hinaus ein zusätzliches poetisches Kolorit: Is there no temperate Region can be known, Betwixt their Frigid, and ourTorrid Zone? 125

John Denham, der Karl I. seinen Freund und Gönner nannte, beginnt sein Gedicht mit einer scharfen Anklage gegen die City, deren Hektik und deren religiösen und politischen Fanatismus er für die Rebellion gegen den Monarchen verantwortlich macht (vgl. unten S. 214). Indem unser Autor die in Denhams Frage unterstellte Radikalität und Destruktivität der City mit dem Hinweis auf ihr wohltemperiertes politisches Klima und ihr Bekenntnis zur "Moderation" widerlegt, signalisiert er dem König noch einmal ihre Kooperationsbereitschaft und gibt ihm zu verstehen, daß die längst mögliche und von beiden Seiten für wünschenswert erachtete Einigung von Court und City allein von den dogmatischen Anglikanern, den "Churches Overseers", verhindert wird. Mit Upon the Rebuilding the City, das 1669 erstmals anonym als broadside erschien, hat das royalistische After the Fire-Gedicht wohl sein interessantestes nonkonformistisches Gegenstück gefunden. Hier nämlich werden die von anglikanischen Royalisten vorgetragenen Auffassungen von der Metropole als der sündigen und rebellischen Stadt, dem Feuer als göttlichem Strafgericht und dem Stuartkönig als dem gottgesandten Retter gleichsam Punkt für Punkt widerlegt, wenn London als Domäne vorbildlicher Integrität dargestellt, das Feuer als Werk der Papisten erklärt und der Lord Mayor zum messianischen Erneuerer der ausgebrannten, aber ungebrochenen City und ihres "Exemplar Government" (159) stilisiert werden. Neben diesem allgemeinen Bezug auf das royalistische After the FireGedicht gibt sich Upon the Rebuilding the City in mancher Hinsicht als gezielte poetische Refutation von Annus Mirabilis zu erkennen. So findet Drydens kalkulierter Wechsel seiner Einstellung zur City - der im anfänglichen encomium der Stadt, den in der Folge gegen sie vorgebrachten Anklagen und dem abschließenden Preis ihrer antizipierten Unterwürfigkeit unter die Krone zum Ausdruck kommt - hier seine umgekehrte Entsprechung, wenn der eingangs positiv gezeichnete König im Verlauf des Gedichts in ein deutlich kritischeres Licht gerückt 125

John Denham, Expans'd Hieroglyphicks, A Critical Edition of Sir John Denham's Coopers Hill, ed. B. OHehir, (Berkeley and Los Angeles, 1969), S. 147, Draft IV, 140f.

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wird, ehe ihm in der Schlußpassage - ungeachtet der bestehenden Interessengegensätze - eine Kooperation mit der City angeboten wird, mit einer City freilich, die die Richtlinien ihrer Politik von niemand anderem als ihrem Lord Mayor bestimmen läßt. Ähnlich raffiniert verfährt der nonkonformistische Verfasser auch im Detail. Seine auf biblische Anspielungen gegründete Apotheose des Lord Mayor und des Londoner Patriziats sind, ebenso wie die Verwendung der Ehe- und derp