Plurima mortis imago: Vergleichende Interpretationen zur Bildersprache Vergils [1 ed.] 3406032990, 9783406032998

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Plurima mortis imago: Vergleichende Interpretationen zur Bildersprache Vergils [1 ed.]
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ZETEMATA MONOGRAPHIEN ZUR KLASSISCHEN ALTERTUMSWISSENSCHAFT

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Hermann Raabe

PLURIMA MORTIS IMAGO Vergleichende Interpretationen zur Bildersprache Vergils

ie VERLAG C.H.BEUn MUnNDAEN

ZETEMATA MONOGRAPHIEN ZUR

KLASSISCHEN

ALTERTUMSWISSENSCHAFT

IN GEMEINSCHAFT KARL BÜCHNER,

HELLFRIED

DAHLMANN,

HERAUSGEGEBEN ERICH BURCK

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VON HERMANN

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C.H.BECK’SCHE

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MÜNCHEN

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ISBN 3 406 03299 0 © c.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) München 1974 Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in der Druckerei Georg Appl, Wemding Printed in Germany

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INHALTSVERZEICHNIS

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Interpretationen

Die Eclogen

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Die Georgica

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Die Aeneis

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EINLEITUNG

„Die von Ernst Robert Curtius geforderte historische Metaphorik der Weltliteratur, die in unserem Kulturkreis vom klassischen Altertum herkommt, ist

auf weite Strecken noch ein Desiderat“.! Unter diesen Auspizien mochte es sich lohnen, auf der Grundlage einer werkimmanenten sowie vergleichenden Interpretation? die zahlreichen, in allen dreien der größeren Gedichte Vergils auftretenden Motive, Bilder und Gedanken, Szenenpartien und Szenen, die der Erscheinung des Todes gelten, zu behandeln. Den bereits vorliegenden Arbeiten — besonders denen von H. Blümner, Die Schilderung des Sterbens in der römischen Dichtung, NJ 43, 1919 und von G. Amberg, Den Tod betreffende Topoi in griechischer und römischer Poesie, Diss. Leipzig 1956° — kam dabei nur die Aufgabe eines die Materialübersicht erleichternden Hilfsmittels zu. In dieser Untersuchung geht es darum, das Todesthema in allen seinen vorhandenen formalen und gehaltlichen Strukturen zu erfassen, zu analysieren und auf seine ästhetischen und weltanschaulichen Wesenszüge sowie auf seine literarischen Zusammenhänge hin zu beleuchten. Zwar erklingt das Todesmotiv im Werke Vergils nicht oft als cantus firmus, sondern bleibt bei aller Eindringlichkeit zumeist Begleitmelodie zu einem übergeordneten Gedanken. Aber es gibt doch kaum einen zweiten, ähnlich gearteten thematischen Leitfaden, der so wie dieser die Möglichkeit einer für die Eclogen, die Georgica und die Aeneis repräsentativen Querschnittbetrachtung bietet. Durch ihn kann die Nuancierungs- und Gestaltungsfähigkeit des Dichters innerhalb eines bestimmten, aus verschiedenen, aber doch kommensurablen Gliedern zusammengesetzten Sinnbereiches umfassend ermessen werden. Die ı V, Pöschl, Bibliographie zur antiken Bildersprache, Heidelberg 1964, Vorwort (VII). 2 Als Vergleichsautoren wurden in der Hauptsache herangezogen: für die Eclogen: Theokrit; für die Georgica: Lucretius Carus; für die Aeneis: Homer; Apollonios Rhodios; Lucan; Valerius Flaccus; Statius; Silius Italicus; Corippus. 3 Einen von der Autorin bearbeiteten Abriß dieser Dissertation vid. Helikon 1, 1961. 4 Zum Liebesmotiv z.B. in der Klage des Corydon, im Damonliede, in den schwermütigen Worten des Gallus (E. 2; 8; 10); wo die Naturtriebe von Mensch und Tier (G. 3; 4) oder Didos Leid (A. 4) geschildert werden. Bisweilen erscheint der Tod als Folge von Seuche und Krankheit (G. 3, 440sqq.; A. 3, 135sqg.); in der ‚iliadischen‘ Aeneis ist er durchweg Blutzoll des Kampfgeschehens. ı

Raabe

2

Einleitung

angestrebte Vollständigkeit konnte nicht in der Darlegung sämtlicher einschlägiger Motive bei Vergil und ihrer in Betracht kommenden Parallelen bei anderen Autoren bestehen, wohl aber in der Ausarbeitung so vieler exemplarischer Motivkategorien, daß die Ortung des wenigen fehlenden Bildgutes nicht schwer fallen dürfte. Gegen eine rein systematische Disposition dieser Motivkategorien, die versuchen, einzelne Stellen aus den Werken Vergils, die vom Tode sprechen, unter einem gemeinsamen Leitgedanken zu interpretieren, dürften sich keine Bedenken regen, wenn dabei alle Motive sinnvoll berücksichtigt werden könnten. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Liebeswelt der Hirten, der kreatürliche Liebesfuror als Element der Naturordnung, Didos Leidenschaft: nur ungebührlich summarisch könnten diese Größen unter einem gemeinsamen Aspekt ‚Liebe‘ als hervortretendem Kontrasubjekt zum Thema ‚Tod‘ vereinigt werden. Ferner wäre es bei ausschließlicher Anwendung dieses Gliederungsgrundsatzes unmöglich, Stellen harmonisch einzuordnen, an denen das Todesmotiv wirklich einmal dominiert.’ Die Abfolge der größeren Gedichte Vergils bezeugt eine seelische und künstlerische Entwicklung des Dichters hinsichtlich der Wahl seines Gegenstandes. Mit jeder Schöpfung erschließt er sich gleichsam eine neue Dimension. Aus der Welt Arkadiens® tritt er ein in den Bereich der nach ewigen Gesetzen geordneten Natur und mit der Aeneis in den Raum der Geschichte. Eine Disposition, die diese Schritte nachvollzieht, macht sich mit der chronologischen Folgerichtigkeit der Werke auch die innere Eigengesetzlichkeit ihres Schöpfers zu eigen, und sie vermag damit auf einfachste Weise die behandelte Motivik in ihrer Entfaltung zu zeigen. Es scheint aufgrund dieser Überlegungen am günstigsten zu sein, das systematische und das chronologische Gliederungsprinzip dergestalt zu kombinieren, daß nur im Rahmen einer jeweilig übergeordneten ‚Dimension‘ Themen- oder Motivkreise erstellt” und neben diesen gleichberechtigt die Todesmotive singulären Charakters gedeutet werden. Was die Definition und Distinktion der Bildquantitäten anbetrifft, so bietet es sich an, bei Bedarf - wenn die Aussage einer Stelle im Vergleich mit anderen wesentlich von ihrer versmäßigen Ausdehnung oder von ihrer Bildplastizität abhängig ist — der Terminologie von Gabriel zu folgen.® Während die Be® ® Cf. ? ®

Z.B. im Gesang des Mopsus in der fünften Ecloge. B. Snells ‚Arkadien‘ ist das Schlüsselwort für die Dimension der Bucolica geworden. H. Oppermann, Wege zu Vergil, Darmstadt 1963, 338sqg. Wenige Ausnahmen rechtfertigen sich selbst. B. Gabriel, Bild und Lehre, Studien zum Lehrgedicht des Lukrez, Diss. Frankfurt ı 970.

Einleitung |

zeichnungen ‚Motiv‘, ‚Bild‘, ‚Szene‘, ‚Partie‘, ‚Abschnitt‘ etc. gewöhnlich Deskription einer kürzeren oder längeren ‚Stelle‘ überhaupt dienen, wobei relativ kleinere Größenordnung oft auch mit der Umschreibung ‚Element‘ kennzeichnet ist, hält sich die schärfere Unterscheidung nach Bildgröße Bildausdruck an die Begriffe:

3

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1. Unmittelbares Bild: Es „liegt vor, wenn in einem Satz oder Satzteil durch die Worte auf anschaulich-plastische Art ein Ausschnitt aus der Erfahrungswelt des Menschen wiedergegeben wird, den sich der Leser unmittelbar vergegenwärtigen kann, da seine Augen ihrer Natur nach in der betreffenden Situation denselben Eindruck ebenso gut selbst hätten gewinnen können“ :? illum exspirantem transfixo pectore flammas turbine corripuit scopuloque infixit acuto (A. 1,448q.). 2. Mittelbares Bild: „Ein Ausschnitt aus der Erfahrungswelt des Menschen [wird] mit Hilfe von Metaphern vergegenwärtigt‘ :!?

est hic, est animus lucis contemptor (A. 9,205). 3. Großbild: „Es ist ein Bildraum, der sich durch Geschlossenheit, gegenständliche Fülle, Selbständigkeit, ‚Statik und Entrücktheit‘ auszeichnet... Es umgreift zumeist drei bis zehn Verse, wohingegen das unmittelbare oder mittelbare Bild schon aus einem halben Vers oder nur einem Wort bestehen kann. Das Großbild gleicht einem Gemälde, auf dem das Motiv klar durchgeführt ist, innerhalb dessen aber dennoch einzelne, dem Gesamtmotiv dienende kleinere Bildelemente zu finden sind, die als Ausschnitt genommen noch einmal Bilder für sich sind‘. 4. Bildkomplex: Ein „Bildraum, in welchem verschiedene Bilder - unmittelbare, mittelbare und Großbilder - zu einer komplexen, größeren gedanklichen Einheit verwoben sind. Anders als bei den Großbildern, die ... immer nur ein zentrales Motiv zum Tragen bringen, werden im Bildkomplex verschiedene

Motive ausgeführt“.!? ® Gabriel, op. cit., p. 10 ibid. p. 53sq. 11 ibid. p. 54. 12 Gabriel, op.cit., p. Weitere Erläuterungen Kapiteleinleitungen; cf.

51sq.

60. zu den Zielen und Methoden dieser Arbeit vid. in einzelnen p. 69sq.; 105; 1425q.; 166sqq.; 168sq.; 196sqq-

INTERPRETATIONEN

DIEECLOGEN

deceptus amore dum queror E. 2,65q.; 37sq.: „Den arkadischen Menschen ist es unverwehrt, zu träumen und zu schwärmen, in Liebessehnsucht zu schwelgen; nichts und niemand macht es ihnen streitig, das Fühlen für das Höchste, Liebe und Liebesleid für das Ernsteste zu nehmen, was es gibt“.! Es ist kein Wunder, wenn in dieser Welt Liebe und Tod rasch in eine heimliche Verbundenheit treten, als sei versagte Erfüllung von Liebessehnsucht Tod und Tod eine andere Art ersehnter Erfüllung. Diese Leidenschaft nach dem Dahinsterben wird in der zweiten, frühesten Ecloge nur verhalten angedeutet. Corydon,? für den schönen Alexis entbrannt, darf von Anfang an keine Erwiderung seiner Gefühle erwarten:

nec quid speraret habebat (2). Aus Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit ist seine Klage geboren :?

haec incondita solus montibus et silvis studio iactabat inani (4sq.), aber sie spricht, weit entfernt von jeder Resignation, zunächst von glühender Leidenschaft. In zwei Versen wird bereits am Anfang des Gedichtes die ganze Weite der Empfindung Corydons mit ihren möglichen Folgen durchmessen: O crudelis Alexi, nihil mea carmina curas? nil nostri miserere? mori me denique cogis? (6sq.). 1 Vid. F. Beckmann, Mensch und Welt in der Dichtung Vergils, Orbis Antiquus I, Münster 1960, 10.

2 Zur Bedeutung des Namens vid. L.A.Mackay, On two Eclogues of Virgil, Phoenix 15, 1961, 156-58.

3 Diese Partie (6-73) als „monologue dramatique“ zu bezeichnen (A. Cartault, Etude sur les Bucoliques de Virgile, Paris 1897, 78) geht an, wenn daneben der für Corydons inneres Erleben, das in der illusionären Vergegenwärtigung des Geliebten besteht, so bedeutsame Werbecharakter der Worte nicht übersehen wird.

6

Die Eclogen

Den Charakter eines unmittelbaren Ausrufes unterstreicht die Parallelität der Kola, besonders aber die einleitende Interjektion (6). Jedoch ist dieser Ausruf weniger laut als von innerer Intensität, von geradezu emphatischer inwendiger Vielschichtigkeit erfüllt. Durch das an sich nicht ungewöhnliche Fehlen der Fragepartikel erhalten diese Kola etwas leidenschaftlich Schwebendes: sie können als emphatische Fragen (nihil mea carmina curas?), als emphatische Aussagen (nihil mea carmina curas!) und als Fragen und Aussagen zugleich empfunden werden, und jedesmal schwingt ein anderer Unterton mit. Nicht zu überhören ist eine drängende Ungeduld in Corydons Worten, hervorgerufen in beiden Versen durch den gleichen Rhythmus, der das Rasche, Flüssige des Ausrufes betont. Die innere Bewegung mit Flüchtigkeit zu verwechseln verbietet schon der spondeische Eingang beider Verse. Doch fehlt es auch sonst nicht an markanten Akzenten. Verleihen bereits die Alliterationen (6:-c; 7:—- m) den einzelnen Worten Nachdruck? so wird die Betonung an zwei Stellen durch Differenz zwischen Wort- und Versakzent noch verstärkt (6: nihil; 7: mori). Die bis ins Feinste gehende metrisch-stilistische Durchfeilung von nur vierzehn Worten zwingt nachgerade, auch deren gedanklichen Gehalt auszuloten. Corydon weiß Lieder zu singen, und sie sind es wert, gehört zu werden. Warum schlägt Alexis ein solches Angebot von Schönheit aus (nihil mea carmina curas?!)? Er ist ohne Mitleid einer fühlenden Seele gegenüber (nil nostri miserere?!). -— Hier läßt sich die erwähnte Sinnverschiebung des Satzes am besten fassen: nimmt man ihn als Frage, so hat Corydon selbst in seiner unabwendbaren Hoffnungslosigkeit noch keine endgültige Gewißheit seiner Lage erlangt, sondern er fordert —- wie unrealistisch auch immer in seiner Einsamkeit — Alexis indirekt auf, sich doch des Liebenden ja zu erbarmen. Nimmt man den Satz aber als feststellenden Ausruf (nil nostri miserere!), dann ist er Manifestierung tiefster Hoffnungslosigkeit, leidenschaftlicher, anklagender Vorwurf und hat den Rest töricht gläubiger Lockung, der in der Frage steckte, verloren. Freilich übersähe die zweite Deutung, wollte sie Ausschließlichkeit beanspruchen,

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4 Die Entscheidung für eine ‚eindeutige‘ Auslegung wäre eine vorschnelle Simplifikation, die - durch nichts als den nicht weiter begründbaren Wunsch nach sich selbst gerechtfertigt — achtlos an dem eigentümlichen und sehr wirkungsvollen oszillierenden Charakter dieser Verse vorüberginge. Cf. G. Jachmann, Die dichterische Technik in Vergils Bukolika, NJA 49/50, 1922, 101: „Vergils Eklogen sind Gebilde zart wie Regenbogen. Sie schillern in vielen Farben und scheinen gar oft zu zerrinnen, wenn wir fest zufassen, um uns ihrer begreifend zu bemächtigen, und mit der Schärfe des Verstandes in sie eindringen.“ ® C£. E. Merone, L’alliterazione nelle Bucholiche di Virgilio, Aevum 35, 1961, 199-219 (202). Für die Aeneis vid. A. Cordier, L’alliteration Latine. Le proced& dans l’Endide de Virgile, Paris 1939.

deceptus amore dum queror

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Stellung der fraglichen Worte zu Beginn eines werbenden Liedes. Um so nachdrücklicher bestätigt sich auch aufgrund dieses Umstandes, daß hier die Haltung hoffenden Werbens mit derjenigen resignierender Todessehnsucht zu einem die unruhige, heterogene Affektivität des Corydon beredt widerspiegelnden Sinngebilde zusammengeht. Musisches Leben in Schönheit (carmina) und menschliche Anteilnahme (misereri) sind die beiden tragenden Seinsweisen der arkadischen Welt. Wird die eine durch Unempfindlichkeit, die andere durch Hartherzigkeit desillusioniert, so vergehen auch die übrigen Werte des arkadischen Lebens, Muße, Glück, Zufriedenheit. Das arkadische Sein verliert seinen Sinn, — der Tod bietet sich als Ausweg an. Mit diesem gedanklichen Einschub versteht man besser die Folge des mori me denique cogis? auf das nil nostri miserere?. Der Übergang zum Todesmotiv trägt also eine tiefere, von der gesamten Lebensauffassung des arkadischen Hirten geprägte Begründung. Das Lächeln über seine Naivität® - sofern es überhaupt statthat — wird dem in der Verlassenheit liebend leidenden Corydon nicht Mitgefühl und Mitleid versagen. Dafür ist der Todesgedanke zu tief und zu echt vom arkadischen Wesen — wie Vergil es entwickelt hat — motiviert, im Gegensatz zu Vergils Vorlage, Theokrit: voup«, nal rrpoy&veiog; Andkybaodat ve ronoelg (3,9). Für diesen Hirten ist die Todesdrohung nur Mittel zum Zweck, eine Waffe der Liebesdiplomatie, dienlich einzig und allein dazu, von der Geliebten erhört zu werden.” Im übrigen lehrt die griechische Wendung, daß auch Corydon wohl an Selbstmord denkt. Vergils - metrisch genaue — Übertragung für sich betrachtet, könnte zur Deutung verleiten, Alexis werde mit seiner abweisenden Haltung den Corydon zwingen, im Liebeskummer dahinzusiechen und so endlich den Tod zu finden. Die ernste Grundstimmung im Todesgedanken des Corydon hebt allerdings die Nuancen, die sich der eindeutigen Auslegung des Motivs widersetzen, nicht auf. Der Gedanke an das Sterben im Augenblick des Ausrufs ist nicht nur Erkenntnis einer unentrinnbaren Notwendigkeit, sondern er hat auch den Werbecharakter der griechischen Vorlage bewahrt. Damit werden zwei verschiedene Sinnrichtungen verfolgt: Die erste ergäbe als Ziel der Todessehnsucht, von Liebesqual befreit zu werden, Gemütsruhe zu erlangen; die zweite schlösse 6 Vid. K. Büchner, P. Vergilius Maro, der Dichter der Römer, RE VII A, 1955-58, S. 1190. - Zur Gedankenverbindung verschmähte Liebe - Tod cf. C.J. Putnam, Virgil’s pastoral art, Princeton N.]J. 1970, 88.

? Sie ist vor allem in der Übersteigerung etwas plump — doch wohl mit verstecktem Humor seitens des Lesers aufzunehmen.

8

Die Eclogen

dazu den Versuch ein, durch den Tod selbst noch Mitleid beim Geliebten zu erregen.® In jedem Falle erscheint der Tod hier als Erlöser, als Freund qualvoll in einsamer Liebe Verschmachtender. Im Gesamtrahmen der zweiten Ecloge' bleibt das Todesmotiv (6sq.) eine einzig an seiner Stelle aufleuchtende Möglichkeit, irdisches Leid zu überwinden. Die endgültige Haltung Corydons wird von dieser Vorstellung jedoch nicht bestimmt. Der Hirt sucht sich aus seinem Konflikt dadurch zu lösen, daß er in den Bereich der Pflicht Zuflucht nimmt. Nach aller Klage und aller vorgetragenen Leidenschaft (cf. 6 sqq.) kann dieses ernüchterte, aus der Gedankenund Gefühlswelt erwachende Sichbeugen vor den täglichen Aufgaben (69 sqq.) keine andauernde Befreiung sein. Corydons Ausweg ist die Entscheidung, vorerst ohne Träume und Sehnsüchte zu leben - und morgen erneut zu singen.? E. 8,58sqq.; 94sqq.: Damon, der erste jener beiden Hirten, deren Gesang selbst die Natur verzauberte (1-5), trägt bei Tagesanbruch das Lied eines

8 Dieses Thema ist überaus realistisch und mit einer moralisierenden Schlußwendung in Theokrits 23. Idyll gestaltet worden. Etwas Derartiges hätte Vergil in seiner bukolischen Welt niemals darstellen können. °C. Fantazzi, Virgilian pastoral and Roman love poetry, AJPh 87, 1966, 178sq., deutet die Leidenschaft Cordyons als etwas in die Hirtenwelt unversehens Hereingekommenes, das schließlich — unassimilierbar — wieder aus ihr weichen muß. F. will mit dieser Interpretation Vergils bukolische Liebespoesie von der pathetisch-passionierten der Elegiker abheben. Nach seiner Auslegung dürfte Corydon kaum wieder singen, werben und klagen. Aber die zu dieser Auffassung führenden Einzeldeutungen sind teilweise nicht haltbar. Nach E. 2,1sq. singt Corydon zuallererst von seiner Leidenschaft inspiriert. F.: „nature is the recipient of the poetry she herself inspires.“ „It soon becomes ‚clear too that Corydon’s love for the woodlands and the life there enjoyed is stronger than his ephemeral desire for Alexis.“ Diese Behauptung bleibt unbelegt, weil sie unbelegbar ist. Richtig empfindet E.W. Leach, Nature and art in Vergil’s second eclogue, AJPh 87, 1966, 440, den schwebenden Schluß mit seinen gedanklichen Möglichkeiten: „A new love may well produce a repetition of the pattern, leading Corydon once more to madness and illusion.“ Das andere in der zweiten Ecloge auftretende Todesmotiv: fistula, Damoetas dono mihi quam dedit olim, et dixit moriens: ‘te nunc habet ista secundum’

(37sq.)

soll die weihevolle Übergabe des Geschenkes und damit dessen Wert betonen. Die in den drei Worten et dixit moriens angedeutete Sterbeszene ergreift in ihrer Schlichtheit (Kürze des Ausdruckes, dazu Iteration dixit Damoetas [39]) als einfachste Form einer starken Versicherung. Hier ist das Sterben als ein friedvolles, verklärtes Abschiednehmen imaginiert.

deceptus amore dum queror

ungenannten Arkadiers!® ben:

vor. Es klingt aus mit einem Abschied vom

9

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vivite silvae: praeceps aerii specula de montis in undas deferar; extremum hoc munus morientis habeto (58-60). Der Ernst dieses Abgesanges ist schon durch seine stilistische Pointierung bemerkenswert und wird im weiteren Zusammenhang vollends unübersehbar. ‚Lebt wohl, ihr Wälder‘ ruft der Scheidende, und das vivite hallt lange nach. Es ist vom vorhergehenden Ausdruck durch eine Pause (buc. Diaerese) getrennt und bildet mit dem nachfolgenden silvae eine strukturelle Einheit, homolog einem emotional getönten, bukolischen Abschieds-Motto mit Leitmotivfunktion. Die affektive Präponderanz dieser Worte findet ihre Fortsetzung im folgenden, wo sie sich ebenfalls am sichtbarsten im Metrisch-Stilistischen ausdrückt. Das spondeische - hier wohl dem Gefühlsbereich der bewegten Klage nahestehende praeceps (59) erhält im Bewegungsablauf des Verses zunehmend emphatischen Charakter. Die leidenschaftliche Steigerung im Ton wird besonders von deferar gefördert, das den durch Hyperbaton (praeceps-deferar) bis zum Äußersten gespannten Satz (dazu Enjambement 59/60) nicht einfach löst, sondern abrupt, gleichsam erschüttert abbricht (60: Diaerese nach dem ersten Dactylus: sinnund satzgliedernd). Mit dem Todessturz von der Warte des Berges in die Tiefe der Flut hinab!! schildert Vergil in knapp zwei Versen eine Selbstmordabsicht mit so erhabener Empfindung, mit solcher Glut verzweifelter Leidenschaft, daß an der Entschlossenheit des Hirten, seine Absicht in die Tat umzusetzen, keinen Augenblick Zweifel aufkommen kann. Viel eher scheint der Entschluß bei seiner Ankündigung eigentlich schon ausgeführt.

10 ‚Arkadier‘ steht an dieser Stelle verallgemeinernd. Nach 33 handelt es sich bei dem Schöpfer des Gesanges um einen Ziegenhirten. Sein Name bleibt ungenannt. Dadurch läßt Vergil den Damon ganz in seiner Sängerrolle aufgehen. Das vorgetragene Lied wird gleichsam zum eigenen Herzenserlebnis, und es ist gar nicht auf den ersten Blick auszumachen, daß Damon nur nachgestaltender Künstler ist. Andererseits bedeutet dieser rezeptorische Effekt träumerische Distanzierung: in der Hirtenwelt bleibt der Tod um der Liebe willen Gegenstand wahr. Cf. Büchner (RE), $S. 1230.

reinen Gesanges, er wird nicht ‚real‘

11 specula de montis bedeutet mehr als summo de monte: es symbolisiert das Hinab in die unbekannte Tiefe des Todes vom Überschaubaren aus. specula ist die Brücke zwischen Leben und Tod, von ihr aus ermißt der Hirt im Augenblick noch einmal alles, was er jetzt unwiderruflich verlassen will. 2

Raabe

10

Die Eclogen

Es müßte nun, soll diese Darstellung einer Todesabsicht den Eindruck des wirklich Unausweichlichen erwecken, im Kontext ein zwingender Begründungszusammenhang gegeben sein, der auf das Todesmotiv hinführt. Die Ursache des Selbstmordgedankens ist im Damonlied enttäuschte Liebe: deceptus amore | dum queror (18sq.),

eine Ursache, die im Komos Theokrits, der Vergil bei der Gestaltung achten Ecloge anregte, kein tragisches Ende nach sich zieht:

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Damit stürzt der Himmel für den Liebenden ein, wird die natürliche Ordnung für ihn aufgehoben. Noch vor der Erkenntnis, was diese Verbindung von Mopsus und Nysa ermöglicht hat, sieht er die Folgen: iungentur iam grybes equis, aevoque sequenti

cum canibus timidi venient ad pocula dammae

(27sq.).

2 Cf. 25-28: Ablegen des Gewandes; malerische Beschreibung der Todeswand. \® Der Tatbestand wird lapidar geschildert und soll konzentriert wirken. Das spondeische Mopso im ersten Versfuß verleiht der Aussage Gewicht; die schroffe Konfrontierung beider Namen auf engstem Raum läßt die schmerzvolle Empörung über die unpassende, unnatürliche Verbindung, wie sie aus den folgenden Versen spricht, bereits ahnen.

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deceptus amore dum queror

41

Nicht in der realen, objektiven Natur wird sich dies Unmögliche zutragen, _ sondern in der Natur, wie sie dem Hirten erscheint. Seine subjektive Sicht von Welt und Natur setzt er absolut. Welt, Natur und Naturordnung werden vom arkadischen Menschen als ein Teil seiner Persönlichkeit erfahren, sie sind Spiegelbild seiner Gefühle, seines Begehrens, seiner Schnsüchte. Im arkadischen Menschenbild Vergils ist ein Wunsch gestaltet, der mehr ist als poetisches Traumland, weil er als ewiger Wunsch an unserem Sein teilhat: daß jeder selbst das Wesen der Welt bestimme; daß sich die Welt nach unserem Schönheitssinne ordne und wir so Frieden und Glück (otium) fänden, nach denen wir unablässig suchen."* Für den Arkadier ist diese Art ‚prästabilierter Harmonie‘ zwischen sich und der Welt Daseinsvoraussetzung. Der Einbruch objektiver Gegebenheit (Mopso Nysa datur) zerstört - wenn er als unschön und widerwärtig, aber auch als unausweichlich, daseinsbegründend und deshalb ‚wahr‘ erkannt werden muß jene ‚prästabilierte Harmonie‘ zwischen Hirt und Welt und trifft mit der Vernichtung des Weltverständnisses auch die Existenzmöglichkeit des Hirten selbst. Die bewußt gewordene, desillusionierende Begegnung mit der Dimension feindlicher, disharmonischer Realität bedeutet für das arkadische Wesen Tod. Wenn sich auf die Vermählung von Mopsus und Nysa hin Greifen mit Pferden paaren werden, so ist dieses Bild des Unnatürlichen Symbol einer dem Arkadischen wesensfremden Disharmonie: Wo das Ungewöhnliche, von der natürlichen Ordnung Abweichende vollkommene Schönheit ausdrückt (E. 8, 1-5), wird es vom arkadischen Empfinden nicht als sinnzerstörend, sondern gerade als sinnerhaltend und sinnerhöhend begriffen. Wir erkennen jetzt die Zwangsläufigkeit der inneren Tragödie des Hirten. Sein bitterer Spott über Mopsus, den dignus vir, und Nysa (cf. 29sq.; 32) kündet von der Verzweiflung über das Eingreifen des unabänderlich Widerwärtigen in sein arkadisches Dasein. Die Erfahrung der ersten Liebe schien eine Bestätigung der alleswirkenden Schönheit, der harmonischen Fügung der Welt zu sein. Diese Erfahrung entlarvt sich nun aus letzter Sicht als malus error (41). Die Macht der Liebe ist nicht höchster Ausdruck einer Welt ungetrübten Glückes, sondern sie ist saevus amor (47), der das arkadische Lebensgefühl und Weltverständnis als von der Wurzel an illusorisch erweist. Diese Erkenntnis wird in den Versen 37-45 durch eine Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart ausgesprochen und bildet den Kern des Damonliedes.'? Es ist die Erkenntnis von der Nichtigkeit aller bisher behaupteten Werte; denn mit dem 14 Of. Beckmann, op. cit., p. 6; 10.

15 Cf. B. Otis, Virgil. A study in civilized poetry, Oxford 1963, 106. 2*

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Die Eclogen

wahren Gesicht des amor zeigt sich nicht nur zugleich das wahre Wesen der Geliebten (am Beispiel der Medea gedeutet: 46-50), vielmehr kann sich die schreckliche Realität jetzt, wo sie das arkadische Bewußtsein in einem Werte, der Liebe, tödlich getroffen hat, grundsätzlich in allen Dingen kundtun. Nichts anderes meinen die in einer Klimax geordneten Exempel (52-58). Der Ausruf: omnia vel medium fiat mare (58), assoziationsgerecht aus dem Bilde des von den Delphinen übers Meer getragenen Arion (56) erwachsen, ist die letzte Steigerung dieser generellen Möglichkeit einer gänzlichen Umkehrung aller Ordnungen. Eine derart tief in die Existenz eingreifende enttäuschte Liebe muß konsequent in das Todesmotiv (58sqq.) hinausführen. Das vivite silvae ist mehr als ein Lebewohl an die Umwelt. Es bedeutet den Abschied vom ebenso zerstörten wie unersetzbaren arkadischen Lebens- und Weltverständnis des Hirten. Sein leiblicher Tod ist die notwendige Folge eines vorweggegangenen geistig-existentiellen Todes. Vergil sieht den Tod demnach in der achten Ecloge als Befreiung an, als letzten Ausweg aus heilloser Verstrickung und Gebrochenheit, als Versuch, einer vernichteten Totalität Vollkommenheit und Ruhe wiederzugeben.!® Dem dunklen Damonliede folgt der Gesang des Alphesiboeus (64-109). Wir sehen von seiner Deutung ab, müssen aber zum Verständnis des Damonliedes mit seinem Todesmotiv auf den Kontrast zwischen den beiden Gesängen hinweisen. Als wollte er der Nachtseite des Lebens ihren Absolutheitsanspruch bestreiten, läßt Vergil den Zauber des Mädchens glücklich ausgehen. Neben der enttäuschten, todbringenden Liebe steht die selig erfüllte. Freilich, sie ist nicht leicht gewonnen, sondern mit der Gefährdung des eigenen Lebens erkauft, aber sie bezeugt desto reiner, daß wahre Liebe nicht nur ohnmächtig dem Tode erliegen muß, wenn ihr kein Erfolg beschieden ist. Sie kann auch machtvolle Wirkungen entfalten, die sie zuletzt an das ersehnte Ziel führen (95-99; 102sq.: Anwendung der Gifte des Moeris).!? 16 Of. ibid., p. 116-20. 17 Das Todesmotiv wird leicht angedeutet, indem eine Steigerung der Zaubermittel von bloß symbolisch-rituellen zu giftigen, ‚chemisch‘ wirksamen stattfindet. Die Gefährlichkeit der Mittel - für den Geliebten wie für die Zauberin - wird 95-99 geschildert: bezeichnend ist der Wortgebrauch von venenum (95), das Gift und Liebestrank zugleich meint. Die Wortwiederholungen (95sqq.), die Bedeutung, die dem vidi (99) gegeben wird - vielleicht auch die Alliteration (98: -s)? -—, alles soll uns merken lassen, daß das Hirtenmädchen selbst sein Vorhaben fürchtet. Und diese Furcht er-

innert daran, daß es sich hier nicht um eine professionelle Hexe handelt: vid. J. Perret, Virgile, Les Bucoliques, &d., introd. et comm., Paris 1961, 95. Der allgemeine Tenor des Liedes - grenzenlose Liebe - sowie der glückliche Ausgang lassen es nicht zu, aus 102sq.: his ego Daphnim adgrediar die Absicht des Mädchens herauszulesen, den Geliebten zu töten: so noch H. Holtorf, P. Vergilius Maro, Die Größeren Gedichte,

deceptus amore dum queror

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Damon und Alphesiboeus besingen die Liebe in ihrer Verschwisterung mit Tod und Leben. So umgreifen sie die ganze Wirklichkeit der Liebe.!8 E. 10,31-34: Gegenstand des Gesanges sind die solliciti amores des Gallus (6). Der von ebenso inbrünstiger wie erfolgloser Leidenschaft für seine Lycoris gepeinigte Dichter erscheint im Lande der Hirten, das sich ihm mitleidig öffnet. Bäume und Berge beweinen ihn (13-15); die Menschen erkundigen sich teilnahmsvoll, woher seine Liebe rühre, selbst die Götter versuchen, seiner Leidenschaft mahnend und ratend Einhalt zu gebieten. Apoll weist darauf hin, daß die Geliebte des Bekümmerten längst einem anderen gefolgt sei, er sich also endlich dareingeben solle.!? Pan erinnert an das Maß, das die Welt der Bukolik erfülle, und an Amors Unerbittlichkeit (28). Die unbarmherzige Liebesmacht ist aber ganz unarkadisch. Hier, im Gefilde der Hirten, walten Mitleid und einfühlendes Verstehen. Und Gallus scheint davon zu wissen, denn er läßt einen ganz eigentümlichen Todesgedanken anklingen:

tristis at ille ‘tamen cantabitis, Arcades’ inquit ‘montibus haec vestris, soli cantare periti Arcades. o mihi tum quam molliter ossa quiescant, vestra meos olim si fistula dicat amores!” (31-34) Diese Worte sind voll elegischer Schwermut, ja in ihnen äußert sich ein ganz neues, bisher ungehörtes sentimentales Empfinden. Daß man in glückloser Liebe den Tod ersehnt, ist seit Sappho ein geläufiges Motiv, ebenso, daß es Trost bedeutet, im Liede weiterzuleben, „aber daß ein Mensch sich ausmalt,

Bd. I, Einleitung, Bucolica, Freiburg/München 1959, 222; P. Jahn, Vergils Gedichte, erkl. von Th. Ladewig, C. Schaper und P. Deuticke, Bd. I (Buk. u. Georg.) 91915 (bearb. von P. Jahn), p. 71 z. St. Selbst das bei Jahn zitierte Vorbild Theokrit (2, 160) läßt eine derartige Interpretation nicht zu: aus dem Kontext (159sq.) geht hervor, daß es sich nur um eine Drohung handelt, die im Falle erneuter Kränkung wahr werden soll. In der achten Ecloge jedoch soll Daphnis durch ein letztes, verzweifeltes Mittel umgewandelt werden (richtig: Büchner (RE), $. 1234, 30sqq.). 18 Diese Art Dualismus der Betrachtungsweise findet sich bei Vergil häufiger (cf. p. 18sq. zu E. 5 sowie die Zusammenfassung p. 243sq.). R.S. Conway, The Vergilian age, Cambridge 1928, 99 spricht in dieser Hinsicht nicht zu Unrecht von „Vergil’s antithetic or dualistic habit of mind.“ Diese Haltung allerdings unter die Kategorie einer reflektierten ‚Philosophie‘ zu subsumieren, wie es bei C. geschieht, ist eine das Vorbewußte jeder Persönlichkeitsstruktur zu sehr vernachlässigende begriffliche Distinktion. 19 Dieser Gedanke ist aus 22sq. zu erschließen. 20 Vid. B. Snell, Arkadien, Wege zu Vergil, ed. H. Oppermann, Darmstadt 1963, 353.

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wie er wegen seines Unglücks bemitleidet wird, und daß er das als Genugtuung empfindet, geschieht hier zum erstenmal“.*! Es gibt wohl „keine Stelle aus der griechischen Poesie, wo jemand so mit sentimentaler Wollust auf seinen Tod reflektiert“‘.?? Gallus genießt - wie wir es von den Elegikern kennen - in Selbstbespiegelung seinen Liebeskummer, und der Tod ist das Medium, das ihm diesen Genuß verschafft. Es ist ein durch und durch ‚arkadischer‘ Tod, um den es sich hier handelt. Weil die arkadische Welt eine Sphäre der glückhaften Ruhe ist, Gallus aber in seiner Liebespein niemals in ihr aufgehen kann, wie sehr er auch Heilung in ihr suchen mag und wie sehr ihm Arkadien dabei entgegenkommt, gewährt ihm allein noch der Tod die Möglichkeit, dieser arkadischen Ruhe teilhaftig zu werden: molliter ossa quiescant (33). So ist der Tod in der zehnten Ecloge als seliger Glückszustand für das Empfinden des Liebenden vollkommen in den diesseitigen Bereich der Hirtenwelt gerückt. Totsein bedeutet in der Vorstellung des Gallus im Grunde noch Leben; denn er malt sich aus, wie er im Grabe den Hirtenflöten und Gesängen lauscht und die Klänge ihm die ersehnte, heilende Ruhe geben. Letzten Endes bleibt der Todesgedanke allerdings nur ein schmerzvoll-lustvolles Spiel innerhalb der erfolglosen Bemühung, vor der Leidenschaft in Arkadien Zuflucht zu suchen. Wie Gallus die Wälder zurückläßt: ipsae rursus concedite silvae (63) und einsieht, daß er seine Liebe eben ertragen müsse:

et nos cedamus Amori (69), ist auch der Gedanke an den Tod vorüber.??

Vergänglichkeit als kosmisches Ereignis E. 5,1sqq.: Vorbild für die Gestaltung der Sterbeszene des Daphnis in der fünften Ecloge (Gesang des Mopsus: 20-44) ist im allgemeinen Theokrits

EDITH 22 Ibid., p. 353. °® „Gallus’ death, unlike that of the Theocritean Daphnis, is purely metaphorical“: cf. R. Coleman, Gallus, the Bucolics, and the ending of the fourth Georgic, AJPh 83, 1962, 61.

Vergänglichkeit als kosmisches Ereignis

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Thyrsis gewesen.! Dort verknüpft der Dichter deutlich das Todesmotiv mit dem Liebesmotiv. Daphnis, den die sizilischen Hirten als Sänger und Heros verehren, will sich der Liebesgöttin nicht beugen. Um seinen Widerstand zu brechen, straft sie ihn mit heftiger Liebe zu einem Mädchen. Da er sich seinen eigenen Gefühlen widersetzt, befällt ihn schwere Krankheit. Er stirbt, und die Natur, die Hirten und Götter betrauern ihn. Bei Vergil findet sich kein Hinweis auf diesen Mythos: er sagt nichts von einem Liebestod im Mopsusliede. Persönlichkeit und Todesumstände des Daphnis liegen in einem geheimnisvollen Dunkel.? Die Eingangsverse (20-23) des Mopsusliedes bilden ein Monument herzzerreißender, erhabener Trauer. Daphnis ist durch einen grausamen Tod ausgelöscht worden: exstinctum...crudeli funere Daphnim

(20).

Wir erfahren nicht, warum und durch welche Art von Tod. Die vom spondeischen Rhythmus (nur ein Dactylus im fünften Fuß des 20. Verses) getragene, durch das Hyperbaton (exstinctum — Daphnim) in beklemmende Spannung versetzte Feststellung des zwanzigsten Verses lenkt unwillkürlich von solchen Fragen zunächst ab: das Ereignis selbst soll uns ganz in seinen Bann ziehen. Der Tote wird beweint. Die Todesszene ist vor allem Klageszene,? in der sich visuelle und akustische Ausdrucksmittel zu einem geschlossenen Bilde verdichten. Wir sehen und hören zugleich die weinenden Nymphen. Sie wenden als Randfiguren — Mittrauernde — unsere Aufmerksamkeit der vom Schmerz gebrochenen Mutter zu, die mit jammervoller Gebärde: complexa sui corpus miserabile nati (22)

ihr Leid zu den Göttern und Sternen anklagend hinaufschreit: deos atque astra vocat crudelia (23). Die Bewegung der mütterlichen Rufe malen Dactylen, während der schwere spondeische Rhythmus als Ausdruck der schaurigen Majestät des Todes (cf. 20) noch in den Verseingängen (21/22) beibehalten wird. Im Gegensatz zur ‚hörbaren‘ Klage der Nymphen und der Mutter an der Leiche des Sohnes steht die schwei1 Cf, Büchner (RE), $. 1216, 59sqq. 2 Cf. ibid., S. 1217sqg.; E. Pfeiffer, Vergils Bukolika, Stuttgart 1933, 67sq.; Otis, op. cit., p. 140; F. Klingner, Virgil, Bucolica, Georgica, Aeneis, Zürich-Stuttgart 1967,93. 3 Cf. die Klagen um Tote A. 1,216sq9,; 4,672-85; 9481-97; 11,42-58; 152-81; 841-49; zur Thematik vid. H. Strehlein, Die Totenklage des Vaters um den Sohn. Eine Motivuntersuchung unter Heranziehung der epischen Totenklage, Diss. München 1959.

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gende Trauer der entfernteren Umgebung. Man weidete nicht in diesen Tagen die Herden, ja, es wird ausdrücklich erwähnt, daß die Tiere Weide und Trank verschmähten (Betonung der Aussage durch Häufung von Negationen ohne Bedeutung einer Litotes). Die gesamte Natur offenbart ihren Schmerz über den Tod des Daphnis, Unbelebtes und Lebendiges verbinden sich in gemeinsamer Klage: Daphni, tuum Poenos etiam ingemuisse leones interitum montesque feri silvaeque loquuntur (275q.). Der Dahingeraffte muß etwas Besonderes gewesen sein. Das Besondere, Eigentümliche wird an zwei Vorzügen des Daphnis angedeutet: er besaß eine seltsame Macht über die Tiere: Daphnis et Armenias curru subiungere tigris instituit (295q.),

und er war Kultstifter (30sq.). Diese Beispiele seiner Einmaligkeit sind lediglich Gleichnisse, wie die einsetzende Verödung der Erde nach Daphnis’ Tod beweist: postquam te fata tulerunt, ipsa Pales agros atque ipse reliquit Apollo (34sq.; cf. 36sqq.). Daphnis ist eigentlich Sinn und gestaltende Kraft, Inkarnation des Schönen in der Hirtenwelt gewesen. Sein Dasein bedeutete zugleich Wirkung und Segen. Der gewaltige Schmerz über sein Hinscheiden, den wir aus wenigen Versen etwas deutlicher hervorgehoben haben, soll erhabene Resonanz seiner wirklichen Größe sein. Was aber erfahren wir damit über das Wesen des Todes, wie es sich hier dem Dichter darstellt? te fata tulerunt (34): Die Schicksalsmächte haben Daphnis aus der Hirtenwelt genommen, anscheinend Gewalten, deren zwingendem Eingreifen sich selbst ein mit übernatürlichen Kräften und Fähigkeiten Begabter nicht zu entziehen vermochte (34: tu decus omne tuis). Daphnis zählt wie alles irdische Leben zu den mortalia, und das Los des Sterbenmüssens traf ihn mit der gleichen Furchtbarkeit wie jedes Menschenwesen, das auf Erden sein Glück in einer Wirkungsmöglichleit gefunden hat.* Den Unentbehrlichen vermißt man als Opfer des Todes um so schmerzlicher. Bei Daphnis tritt diese Relation besonders in Erscheinung, weil Daphnis Sinn und Gedeihen in der Welt wirkte, viel stärker, als es allen anderen * Das Menschsein des Daphnis wird schon als Kontrast zu seiner Apotheose innere. poetische Notwendigkeit. Vid. Büchner (RE), S. 1217, 46.

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vergönnt ist. Die Unfruchtbarkeit und Verödung der Erde nach seinem Weggang ist dafür Symbol. Jetzt schlägt alles zum Schlechten aus: grandia saepe quibus mandavimus hordea sulcis - Mühe und Fleiß, die Qualität des der Erde Anvertrauten sind geblieben, aber: — infelix lolium et steriles nascuntur avenae; pro molli viola pro purpureo narcisso carduus et spinis surgit paliurus acutis (37-39)? Dieser kleine Pflanzenkatalog (37-39) steht für die gesamte Natur. Der Tod ist — überhöhend und generalisierend am Tode des Daphnis gezeigt - das Furchtbarste, Unerträglichste und Beklagenswerteste, was es gibt, da er gleichzeitig Leben und Sinn zerstört. Er ist kein Erlöser, sondern grausam und ungerecht. Vom herrlichen Leben verlassen ist der Mensch nur noch ein corpus miserabile (22), bejammernswert in Anbetracht seiner vergangenen Schönheit und Lebensfrische, beklagenswert aber auch als Mahner der Vergänglichkeit aller derer, die ihn schauen und beweinen. Vor dem verronnenen Leben steht der Mensch ohnmächtig und hilflos. Für ihn gibt es kein Zurück. Menschenmöglich dem Tod gegenüber bleibt nur, die Erinnerung an den Verstorbenen zu bewahren. Und für jeden Sterblichen bleibt die Hoffnung, daß es eine Art von Unsterblichkeit durch das Gedenken der Nachfahren geben kann und daß sie ihm um so gewisser sein wird, je hervorragender er gewesen ist. Kein anderes Heilmittel gibt es von Menschenseite aus gegen den Tod. Dieser Gedanke steht hinter den Worten des Mopsusliedes: 5 Onomatopoie verdeutlicht in 36sqq. den Gegensatz zwischen gut und schön schlecht und häßlich in auffälliger Weise. Wie das Gedeihen der Welt von der geheimnisvollen Kraft des Daphnis abhängig ist, so werden in E. 7,53 - 60 Pracht und Leben der Natur in einer ähnlichen Weise als unmittelbare Folge eines subjektiven menschlichen Zustandes gedeutet: Weilt der geliebte Alexis fern in den Bergen, dann trocknen die Flußläufe aus (55sq.); erst durch die Ankunft der geliebten Phyllis hört der Acker auf, in der Glut zu verdorren, werden die Kräuter von der verderblichen Luft, in der sie dürstend absterben, erlöst (cf. 57-60; 57: vitio moriens sitit aeris herba). Die Natur der Hirtenwelt ist vollkommener Ausdruck des inneren, seelischen Zustandes der liebenden Sänger geworden. Es ist wiederum das wunderbare, traumhaft-sehnsuchtsvolle Verwobensein von Seele und objektiver Natur, dem wir in diesen Worten begegnen. Und damit ist auch das Sterben in der Natur veräußerlicht dargestellter Vorgang eines innerseelischen, subjektiven, aus heftiger Sehnsucht geborenen Todeserlebnisses. Wie in der zweiten Ecloge (cf. supr.) gibt es auch hier jene ‚bukolische Gleichsetzung‘ von unerfüllter Liebe mit Dahinsterben und Tod. ° Cf. 20: crudeli funere; 23: deos atque astra vocat crudelia mater. Götter und Sterne sind hier mit den fata identisch, die sie verbildlichen.

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et tumulum facite et tumulo superaddite carmen

(42).

Über die Grenze des Todes trägt Erinnerung hinweg, darum bauet ein Grabmal” und schmückt es mit einem Spruch: Daphnis ego in silvis, hinc usque ad sidera notus, formosi pecoris custos, formosior ipse. (43sq.) Über diesem letzten Trost darf man nicht übersehen, daß der Gesamteindruck des Liedes dennoch düster bleibt. Das Hauptgewicht der Aussage liegt im Gedanken der Unwiederbringlichkeit übermenschlicher Wunderkraft. Vergil erwähnt aber - als solle diese Unwiederbringlichkeit nachdrücklich ins Bewußtsein gehoben werden - die bändigende, sinnverleihende Kraft des Daphnis im Grabspruche nicht mehr: Daphnis bleibt allein als der schöne, weithin bekannte Hirte in Erinnerung.

Es scheint bezeichnend für des Dichters Auffassung vom Tode zu sein, daß er nicht mit der Erwähnung dessen, was gewöhnlich den Menschen zur Bewahrung der Erinnerung an Tote möglich ist (Grabhügel, Spruch), endet, sondern daß durch die Apotheose des Helden - die höchste Form der Erinnerung, die auch der Poet schaffen kann - der Eindruck der Trauer, der das Mopsuslied beherrscht, in einem Gegengesang seine strahlende Ergänzung erfährt. Neben den herzzerreißenden Klagen der Mutter steht das jubelnde: deus, deus ille, Menalca

(64).

Wie ehedem an der Totenklage, so ist jetzt der gesamte Kosmos an der Freude über die Vergottung des Daphnis beteiligt. Die bloße Erinnerung an ihn wird übertroffen durch einen eigens für den Hirten gestifteten Kult. Daphnis wird wie ein Gott herrschen: ? Ist es übertrieben, zu bemerken, daß die dactylische Bewegung in 42 die Aufforderung, tätig zu sein, die einzige menschliche Möglichkeit, dem Tod zu begegnen, auch wahrzunehmen, mit ihrer spezifischen Ausdruckskraft betonen zu wollen scheint? Als sonstige Ehrungen für Tote erscheinen Opferriten: A. 3,62-68; 5,72sqq.-; 6,212sqg. (Misenus) ;236sqq.; (cf. 10,517-20: Plan eines Menschenopfers) ; 11,182-202; 2035Sqq.

Mit den Leichenspielen des fünften Buches erreicht dieser Motivkreis seinen Höhepunkt. Allen Kultschilderungen ist eine von der Materie selbst ausgehende sakrale Würde eigen, und sie sagen eigentlich eher etwas über das Wesen des Numinosen als über das des Todes aus. Zu A. 5,72sqg. (Totenopfer für Anchises) cf. B. Grassmann-Fischer, Die Prodigien in Vergils Aeneis, München, 1966, 78sqq. (Die Schlangenerscheinung am Grab des Anchises). ® CÄ. 58-64: Klage und Freudenbezeugung der Natur halten sich auch versmäßig ungefähr die Waage.

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damnabis tu quoque votis (80),

und seine Erhebung in den Olymp und die Freude darüber haben auch der Erde die sinn- und schönheitswirkenden Kräfte zurückgebracht; mehr noch: Er-

scheinungen des Goldenen Zeitalters treten wieder auf: nec lupus insidias pecori nec retia cervis

ulla dolum meditantur (6osq.). Vergil zeigt in dieser Ecloge den Tod als den furchtbaren Feind des Lebens, vor dem keine Macht, kein Vorzug entrinnt; aber dieser Feind ist wider Erwarten doch nicht das Letzte: sein Triumph wird durch den der Vergottung aufgewogen. Der Lebenskreis enthält beides: Vergänglichkeit und Ewigkeit.?

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E. 1,67-69: In der ersten Ecloge erscheint ein Todesmotiv indirekt, als ein fast unsichtbarer Hintergrund gegenwärtigen Leides und Glückes. Die Klage des Meliboeus über das unbarmherzige Los der Flüchtlinge, die an den Rand des orbis terrarum, in die unwirtlichsten Gegenden verschlagen werden (64-66), setzt sich fort mit den Worten: ® Cf. A. Klotz, Beiträge zum Verständnis von Vergils Hirtengedichten, NJA 45/46, 1920, 151. Der Unterschied zur alexandrinischen Dichtung wird richtig erkannt, nicht jedoch die den Kontrast zwischen Leben und Tod darstellende, schauende und gläubige Sensibilität des Dichters, die etwas anderes ist als der „hoffnungsfrohe, jugendfrische Optimismus eines Römerherzens“ (ibid.). Die alte Frage, welche Persönlichkeit sich hinter der Gestalt des Daphnis verberge, kann übergangen werden, denn ihre Beantwortung oder Nichtbeantwortung im Sinne einer eindeutigen Fixierung würde für die in dieser Ecloge sichtbare allgemeine Todesdeutung — unbeschadet der besonderen Heraushebung der gemeinten Persönlichkeit nichts weiter hergeben. Cf. Cartault, op. cit., p. 178sq.; D.L. Drew, Virgil’s fifth Eclogue: a defence of the Julius Caeser - Daphnis theory, CQ 1922, 57-65; L. Herrmann, Les Masques et les Visages dans les Bucoliques de Virgile, Bruxelles 1930; H. J. Rose, The Eclogues of Vergil, 1942, 117sqq.; P. Grimal, La 5° Eglogue et le culte de Cesar. Melanges d’ archeologie et d’ histoire offerts A Ch. Picard. RA 29-32, Paris Presses Univ. 1949, 2 vol.; ©. Skutsch, Zu Vergils Eklogen, RhM, 99, 1956, 1975q.; Büchner (RE) $. 1218sq.; W. Berg, Daphnis and Prometheus, TAPhA 96, 1965, 11-23. Klingner, op. cit., P. 955qq. Daß nach der vielfältigen Erörterung dieses Problems eine Art Endphase des Urteilens, die lieber einer gewissen Indifferenz verhaftet bleiben möchte, erreicht zu sein scheint, zeigt die Stellungnahme von C. J. Putnam, Virgil’s pastoral art, Princeton N. J. 1970, 189sq.

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en umquam patrios longo post tempore finis, pauperis et tuguri congestum caespite culmen,

post aliguot mea regna videns mirabor aristas? (67-69)

Die Gemütslage des seufzenden Hirten, der sich eben noch allein in vorwurfsvoller Bitterkeit über ein grausames Geschick äußerte, erfährt hier eine herbsentimentale Wendung. Diese entspringt zwei Formelementen: Zunächst der Frageform, die im Gegensatz zur vorausgegangenen, die Zwangslage schildernden Feststellung (64sqq.) aufgrund ihres zweifelnden, zagenden Charakters mehr einer affektisch in Bewegung gesetzten Innerlichkeit Ausdruck verleiht, dann aber dem Kontrast der Vorstellungen einstigen, bescheidenen Glückes und zukünftiger Verlassenheit und Not (64-66 : 67-69). Den Horizont einer Todesreminiszenz berührt die affektische Frage nun vor allem mit ihren Zeitbestimmungen (umquam - longo post tempore). Die Erkenntnis des Meliboeus von der möglichen oder wahrscheinlichen Unwiederbringlichkeit seines Glückes entstammt dem Wissen um die Grenze menschlichen Seins, das unsere Worte und Handlungen so oft unvermerkt beeinflußt. Wahrscheinlich ist sich der Dichter selbst nicht bewußt gewesen, wie sehr seine Formulierung in der Tiefe eine unveränderliche Gegebenheit unserer Existenz andeutet: daß der Tod seine Macht bereits über die Lebenden übt, die in seinem Banne stehen. Exkurs: Besonders die Frageform en umguam vermittelt diesen existenziellen Aspekt. Bisweilen umreißt sie lediglich den Endlichkeitsgedanken: Liv. 9, 10, 5:

arma cuncti spectant et bellum: en umquam futurum, ut congredi armatis cum Samnite liceat?

Hinter der Hauptbedeutung erscheint, vom Autor sicher gänglichkeit als Nebensinn, Erfüllung des Wunsches ist

der Frage - dem starken Wunsch nach Kampf nicht intendiert, doch die Vorstellung der Verimmanent der Wendung en umquam liceat: die als kaum je wahrscheinlich gedacht (cf. Jahn zu

! Mit dem Gedanken an den impius miles (7osq.) erfährt die affektische Gestimmtheit des Sprechers eine erneute Modifikation. Putnam, op. cit., 59sq. z. St. weist besonders auf den Gegensatz zwischen der erlangten (Tityrus) und verlorenen (Meliboeus) libertas hin. Der Sinnbezug Zeit - Tod entgeht ihm, wie er auch in anderen Interpretationen nicht zur Sprache kommt. Cf. H. J. Rose, Some second Thought on Vergil’s Eclogues, Mn Ser. 4, 7, 1954, 65sq.; V. Pöschl, Die Hirtendichtung Vergils, Heidelberg 1964, 59sq. Die innere Einheit von Versrhythmus und Affektbetonung erkennt R. Coleman, Tityrus and Meliboeus, Greece and Rome

13, 1966, 88.

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E. 1,67). In einer unscheinbaren Phrase zeigt sich hier das vom Tode bestimmte zeitlich-endliche Bewußtsein und Vorbewußtsein des Menschen. Das Bedauern fehlender Möglichkeiten resultiert eigentlich aus einem Bedauern über die Vergänglichkeit allgemein. Erst von diesem Zusammenhang her kann die Intensität des Wunsches, der die Frage durchpulst, ganz ermessen werden. C£. Sil. 16,91-93: en umquam lucebit in orbe ille dies, quo te armorum, Karthago, meorum aspiciam sonitus admotaque bella trementem?

Das Zitat stammt aus einem Stoßgebet Scipios vor der Schlacht. Der heiße Wunsch, Karthago zu besiegen, rührt hier aus der Einsicht eines Kriegers in das von allen Seiten unmittelbar bedrohte Leben. Der Schlachtentod läßt eine Erfüllung des Begehrens zumindest zweifelhaft erscheinen. Verg. E. 8,75q.: en erit umquam ille dies, mihi cum liceat tua dicere facta?

Der Dichter besingen zu Vermutung, Bisweilen

zweifelt an seinen Fähigkeiten, je die Taten des Asinius Pollio können. In der apologetischen Floskel liegt damit zugleich die das Leben selbst würde ihm diese Dichtertat nicht gönnen. wird der Todesgedanke deutlich reflektiert: .

Ov. Trist. 1, 3, 31sqgq.:

“numina vicinis habitantia sedibus’ inguam *“iamque oculis numquam templa videnda meis, dique relinguendi, quos urbs habet alta Ouirini, este salutati tempus in omne mihi! Wie in der ersten Ecloge Vergils handelt es sich hier um eine Abschiedssituation. Das tempus in omne geht vom Todesbewußtsein des Dichters aus. Es ist im Falle Ovids deutlich reflektiert, wie die nachfolgenden Verse zeigen: ODET 715121, 320750. dum licet, amplector: numquam fortasse licebit

C£.89:

amplius. in lucro est quae datur hora mihi. egredior, sive illud erat sine funere ferri.

Das Abschiednehmen erscheint als eine Vorwegnahme des Todes, als eine Art Sterben (cf. die Trauerszene im Hause: 77sq. und die Reaktion der Frau: oısqq.). Der Tod ist hier nicht ein bloß zukünftiges Ereignis, von dem her ein Wiedersehen fragwürdig wird, sondern aktualisierte, antizipierte Realität. Somit

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finden wir bei Ovid die bewußteste Steigerung und Ausgestaltung des Gedankenkomplexes: Abschied - Zeit - Tod. E. 3,925qq.: Im Wettgesang der beiden Hirten Menalcas und Damoetas erscheint eine Motivgruppe rein bukolischen Inhalts, in der das Todesmotiv in Form von Gefahren, vor denen man sich hüten müsse, nur eben angedeutet wird. So ist die Schlange Ausdruck böser Todesmacht: qui legitis flores et humi nascentia fraga frigidus, o pueri, fugite hinc, latet anguis in herba (92sq.). Das Widerwärtige dieser tödlichen Gefahr in Gestalt eines Tieres liegt darin, daß sie sich in der friedlichen, blühenden Hirtenlandschaft: et nunc omnis ager, nunc omnis parturit arbos,

nunc frondent silvae, nunc formosissimus annus

(56sq.)

heimtückisch behauptet, dort, wo sich die Hirten zum musischen Wettstreit, der ihren äußerlichen Zwist harmonisch austrägt?, niedergelassen haben (cf. 55:

in molli consedimus herba; 93: latet anguis in herba). -— Todesgefahr lauert auch am Steilufer auf die Schafe, und das Wasser kann den Ziegen gefährlich werden (94-97). Die verderblichen Mächte bedrohen Mensch und Tier in gleicher Weise: formal unterstreicht der Dichter diese Schicksalsgemeinschaft, diese bukolische Ineinssetzung von Mensch und Kreatur durch die parallele Anrede: o pueri (93) — oves (94). Die Geltung der hier durchschimmernden Todesmotivik läßt sich aus ihrer Funktion und speziellen Gestaltung genau festlegen. Es ist wesentlich, daß die Todesgewalt an dieser Stelle lediglich als mögliche Drohung erscheint, die durch die Warnungen der Sänger (93: fugite; 94: parcite procedere; 96: reice capellas) gleichsam schon gebannt ist. Die Realität der Bedrohung durch Tod und Verderben ist meidbar. Derart entkräftet vereinigt sich der Aspekt des Todes mit der vorsorglichen Mahnung vor den Unbilden der Mittagsglut für die Herdentiere (98sq.) wie mit dem Hinweis auf die sicherlich verhexten Lämmer (102sq.) zu einem Kranz düsterer Bildelemente,? die alle variierend und bereichernd auf das Motiv der unerfüllten, ‚bitteren‘ Liebe (cf. das Bild von den mageren Stieren: 100sq. und die Schlußsentenz: 110) als ihrem Ziel-

2 Vid. Klingner, op. cit., p. 58sq. ® Dazu kommen noch: 90sq.; 8osq.; 78sq.; 748q.. 4 Vid. 64sgg.

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punkt hinführen. Und das Motiv der versagten Liebe steht wiederum in ausgewogenem Kontrast zum dulcis amor.* Liebe und Tod sind in diesem Hirtengesang nur indirekt, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen, negativen Lebenshälfte verbunden. E. 4,245q.:

occidet et serpens et fallax herba veneni occidet;

Wie wenig in den Eclogen Todesmotive selbständiger Bestandteil der bukolischen Sphäre sind, sondern ihre spezifische Nuance erst in der Integration mit dem umgreifenden Sinnzusammenhang erhalten, lehrt der Vergleich von E. 3,92-97 mit E. 4,24sq. Bei stellenweiser Motivgleichheit - Hinweis auf die giftige Schlange — ist eine Abstufung im Bedeutungscharakter zwischen den beiden Schlangenmotiven ersichtlich. Die im Banne des Wettgesanges nahezu entkräftete Vorstellung verderblichen Todes (E. 3,93) erscheint in E. 4,24 noch um einen weiteren, letzten Schritt aufgehellt und entmachtet. Die Sehnsucht nach dem Goldenen Zeitalter hat dem Dichter prophetische Worte von besonderer Höhe und Würde eingegeben, und in seiner Erhebung (paulo maiora canamus: 1), in der Schau des künftigen Paradieses vermögen Bilder, die an das Wirken der Todesmacht erinnern (22: nec magnos metuent armenta leones; 24sq.), nur mehr einen Lobpreis darzustellen. Das zwiefache occidet (24/25) — einmal betont vorangesetzt, darauf im Enjambement bedeutsam wiederholt — ist ein prophetischer Sieg über die bösen Mächte, die durch den ihnen selbst wesensmäßig zugehörigen Akt des Todbringens (occidet) zur endgültigen Selbstvernichtung geführt werden. In dieser Wendung — daß die todbringende Schlange und das tödliche Gewächs erleiden werden, was sie selbst naturbestimmt verursachen — wird das Wesen der Gerechtigkeit symbolisch apostrophiert, und zwar das Wesen der Gerechtigkeit, wie es unverfälscht mit dem Goldenen Zeitalter heraufziehen wird. Nicht zuletzt ist darauf zu achten, daß das Frohlockende dieser negierten Todesmotive Licht und Leichtigkeit empfängt von den idyllischen Bildern der Umgebung. Die sehr verhaltenen Todesbilder stellen nur eine von lauter Lieblichkeit umrahmte, gleichsam tiefer getönte Motivepisode dar: dem Löwenmotiv geht die Beschreibung der munuscula (18-21) voran; es wird vom Schlangenmotiv durch die Darstellung der von Blumen sprießenden Wiese getrennt.°

5 Was die Stellung von 23 anbetrifft, so folge ich der Argumentation von Klingner, op. cit., p. 795g. und seiner Vorgänger.

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Die Eclogen

Das Bild der absterbenden giftigen Kräuter wiederum wird positiv in die überhöhende Kadenz hinübergeleitet: Assyrium vulgo nascetur amomum

(25):

aus dem Tode des Todbringenden entsteht allerorten lebensvolle Köstlichkeit. E. 6,7: tristia condere bella; 3ısqq.: Sinn und Gehalt der sechsten Ecloge sind so umrissen:® Die bukolische Traumwelt wird zum Medium dichterischer Verkündigung von der wunderbaren, alles verwandelnden Macht des Gesanges, einer verzaubernden Kunst, die vom Höchsten und Geheimnisvollsten spricht, von ursprünglich heiler Weltwerdung und deren Ausgang in Menschenleid und Menschenschuld.? In der Reihung mythologischer Themen wird erneut deutlich - ohne daß der Dichter ausdrücklich Worte für Sterben und Tod? dem Silen in den Mund legt -, wie tragisches Schicksal immer irgendwie vor dem Hintergrund des Todes waltet oder gar in Gestalt des Todes selbst erscheint. Bevor wir jedoch einzelne Motive auf ihren unterschiedlichen Assoziationsbereich hinsichtlich des Todesthemas untersuchen, sei eine Stelle betrachtet, die schlagartig einen bedeutsamen Zug vergilischer Auffassung von Leid und Sterben erhellt. Die Apologetik des Proömiums (E. 6,1sqq.) enthält eine parenthetische Huldigung an Varus, die gleichzeitig mit dem Befehl des Gottes Apoll den Entschluß des Dichters motiviert, die ländliche Muse auch weiterhin zu besingen (6-8). In der Huldigung heißt es nun bezeichnenderweise: ... et tristia condere bella (7) ... Das tristia steht im Kontrast zu den /audes (6) des Varus, mit denen es doch logisch gesehen identisch ist, denn die Kriege des Varus machen eben seinen Ruhm aus. So wie sich die Worte hier fügen, müßte es sich also um einen ‚traurigen Ruhm‘ handeln. Damit läge in 6sq. mehr als nur eine Absage an das Epos. Es läge in ihnen zugleich eine Art Herabsetzung des zu Preisenden. Daß die Worte aber wirklich in diesem pejorativen Sinne

gemeint sein sollten, erscheint andererseits ganz ausgeschlossen. Schließlich stellt schon die bloße Tatsache, daß Varus angeredet wird, eine Ehrung dar, auf die es der Dichter vornehmlich abgesehen haben muß; er hätte sonst Varus als Adressaten sicher gar nicht ins Auge gefaßt. Die Schlußwendung des Proömiums (11sq.) läßt schließlich keinen Zweifel daran, wie wenig detrektatorisch ° Vid. Klingner, op. cit., p. 110sq.; Büchner (RE), $. 1223sq. ? Vid. E. 6,31sqg. ® Der indirekte Hinweis auf Todesszenen und Todeserfahrung in den mythischen Exempeln wird nur in Vers 77 von einem bildlich direkten abgelöst.

Verschiedene Todesbilder

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die fragliche Stelle (6sq.) gefärbt sein soll. Wie erklärt sich demnach die Spannung zwischen den laudes und den tristia bella? Zur Rechtfertigung seiner ablehnenden Haltung hätte nach dem Eingangsmotiv (Mahnung des Cynthius) ein Hinweis auf die zahlreichen übrigen Leistungen, wie ihn 6 enthält, vollauf genügt. Wäre das Epitheton tristia durch ein anderes, positiveres ersetzt, käme es gar nicht erst zu der zwar etwas konstruierten, aber dennoch nicht gänzlich unauffälligen Gleichung ‚trauriger Ruhm‘. Vergil hat sich mit der eben gezeigten Möglichkeit einer Motivierung nicht begnügt. Er bezieht die Materie (bella) in seine Begründung ein: sie läge ihm wesensmäßig nicht. Kriege scheinen demnach für Vergil nicht allein Bewährungsprobe für Männer zu sein, Quelle erhabenen Ruhmes, der die Beteiligten und zumal den Feldherrn weit über die anderen Zeitgenossen hinaushebt, sondern sie scheinen vor allem Jammer, Leid, Verderben und Tod zu bedeuten. Diese

grausige Seite des Krieges zwingt der mitfühlenden Seele des Dichters das Beiwort tristia ab. Es ist aus Schmerz über den Tod in dieser Welt gesprochen und aus dem erschütternden Wissen um Menschenleid und Schuld, wie es auch der folgende Gesang des Silen bezeugt.? Der gleichen schmerzlichen Haltung des ‚arkadischen‘ Vergil gegenüber Krieg und Chaos begegnen wir in der ersten Ecloge im Unglück des Meliboeus und in der neunten Ecloge in den Worten des Moeris (2sqq.). Sie entspringt wohl nicht zuletzt persönlichen Erlebnissen

des Dichters, soweit wir vermuten können (cf. die Viten mitsamt der mit ihrer Deutung verbundenen Problematik), oder den allgemeinen Erfahrungen seiner Generation nach den unmittelbar vorhergehenden Bürgerkriegsjahren; zumindest jedoch könnte man sich so festlegen, daß jene Motivation — gleich welcher Art -, die in Vergil den Glauben an den göttlichen Friedensbringer Octavian reifen ließ (cf. E. 1,6; 4osqq.), ihm auch die Wendung tristia bella abnötigte. Friedenssehnsucht mag die Umschreibung jener nicht näher eruierbaren Motivation sein, die Allmächtigkeit dieser Regung wird auf jeden Fall gerade dadurch deutlich, daß der Dichter seinen Abscheu vor dem Kriegsgeschehen auch da nicht verschweigen kann, wo er Gefahr läuft, den hochgeschätzten Adressaten Varus hinsichtlich seines Ruhmes herabzusetzen. Im leisen Widerspruch verrät sich das affektische Gewicht des Epithetons, mehr noch: in ihm wird ein ganzer Komplex des vergilischen Bewußtseins freigelegt. In den vom Silen vorgetragenen Mythen (31sqq.) klingt bisweilen der Todesgedanke bald mehr, bald weniger an, jedoch nie so verhalten, daß er nicht das 9 Diese Auslegung von 6sq. stützt die Auffassung, daß im Proömium der sechsten Ecloge sowie in der folgenden Erzählung nicht nur - abgelöst vom folgenden Gesang scherzhaft gespielt wird. Vid. Klingner, op. cit., p. 111 gegen Büchner (RE), S. 1219sq. 3

Raabe

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Die Eclogen

eigentümlich zwiespältige Wesen des Gedichtes entscheidend beeinflußte (cf. supr.):

Die Andeutung!® der Sage von Deucalion und Pyrrha (41a) beschwört das Bild von der Großen Flut herauf. Der Sänger führt uns mit diesem Mythos in die Abgründe eines großen Sterbens, in jenen Bereich chaotischen, allumfassenden Unterganges, den Vergil im dritten Buch der Georgica ausführlich gestaltet hat (cf. 39sqq.). Die Erinnerung an Prometheus’ Tat und Strafe (42) gemahnt an die schicksalhafte Möglichkeit unendlicher Qual, eine mythisch-symbolische Fiktion, in der die Todesmacht als versagte Erlösung erscheint. Den Knaben Hylas (43sq.) hatten der Überlieferung nach Quellnymphen in ihr Element gezogen. In dem echoartigen Ruf ‚Hyla, Hyla‘ (44) ist - zusätzlich durch den Hiat pointiert - die Sorge und Verzweiflung der Seeleute, indirekt der Schmerz des Hercules um den Geliebten sinnfällig geworden. Sehr bildhaft ist die Erzählung von Scylla: quid loquar aut Scyllam Nisi, quam fama secuta est candida succinctam latrantibus inguina monstris Dulichias vexasse rates et gurgite in alto, a, timidos nautas canibus lacerasse marinis (74-77). Scylla ist zur Strafe für ihren Frevel in einer Metamorphose häßlich entstellt worden (75). Das Unheil, das sie den Schiffern bringt, wird nicht nur neutral und abstrakt geschildert (76), sondern in einer Sterbeszene auf engstem Raum (77) plastisch vergegenwärtigt. Die Emphase a (77) ist Ausdruck dichterischen Mitleidens über das Geschehen, dazu auch lautmalender Hinweis auf die Todesschreie der angstvollen (timidos) Seeleute, die hilflos der Zerfleischung durch die Monstren im Strudel preisgegeben sind. Inmitten der verhüllt dargestellten Leiden (cf. 31sqq.) wird dieses Sterben besonders nahe empfunden. Das liegt nicht zuletzt am Beiwort timidos, mit dem uns die Schiffer als fühlende, Gefahr und Tod klar voraussehende und deshalb panisch fürchtende Menschen

nahegebracht werden. Für den Augenblick des Bildablaufes sieht sich der Leser in die Lage der zu Tode gequälten Menschen versetzt: der Dichter läßt ihn so mitleidend mitleiden. Als sei nun der Blick für die folgende, tragisches Geschehen beinhaltende Szene (Mythos von Tereus und Philomela) geschärft, wird die Schilderung (78-81) wieder zurückhaltender, wie sie es in den ersten Beispielen (cf. supr.) war. “ Zur Technik Hermes

der Mythenschilderung

1923, 288-305.

cf. G. Jachmann,

Vergils sechste Ecloge,

Verschiedene Todesbilder

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Die in den Mythen der sechsten Ecloge durchscheinende Todesthematik bildet den Prüfstein für die Macht des Gesanges, die am leidvollen Gegenstand ihre höchste Bewährung erfährt. E. 9,17-22:

heu, cadit in quemquam tantum scelus? heu, tua nobis paene simul tecum solacia rapta, Menalca? quis caneret Nymphas? quis humum florentibus herbis spargeret aut viridi fontis induceret umbra? vel quae sublegi tacitus tibi carmina nuper, cum te ad delicias ferres Amaryllida nostras?

Wie in der ersten Ecloge begegnet die Todesvorstellung in der neunten nicht als Teil erotischer Motivik, sondern als Lebensmacht, die vom politischen Bereich aus drohend in den seligen Glückszustand der von den Musen beherrschten Hirtenwelt eingreift. Der Hinweis auf die tödliche Gefahr, in der Menalcas und Moeris schwebten (16), sowie die resignierende Feststellung, daß die Kunst inmitten des tobenden Mars nichts Reales vermag, erklären die tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit des Moeris, dienen aber auch als Kontrapost des Bekenntnisses zur Dichtung und damit zu Harmonie und Schönheit.!! Wo Unglück und Todesgefahr lauern, ist allein noch der Gesang ein Refugium des Glückes.!? Im vierten Buch der Georgica hat Vergil den dämonisch-wunderbaren Charakter der Kunst als Untergang und Tod überwindend gepriesen (OrpheusMythos; cf. p. 6osqgq.). In der neunten Ecloge geht er nichtso weit. Die verzagten Vorstellungen und Fragen des Lycidas (17sqgq.) zeigen, daß der Tod für ihn eine Größe bedeutet, deren Wirksamkeit alles menschliche Singen und Trösten für immer zunichte macht. Hoffnung und Trost werden nur im Dasein möglich. Daß diese Feststellung nicht banal ist, mögen einige Erwägungen zu 17sqq. zeigen. Was die Antwort des Lycidas (17sqq.) betrifft, so wäre auch ein Gedankengang von der Art denkbar: ‚Ach! So eine Unglückstat ist einem Menschen möglich? Ach, beinahe wärest du uns entrissen worden, Menalcas! Nie hätte deine Stimme mehr die Nymphen besungen. Nie mehr hättest du die Erde mit blühendem Wuchs überstreut und mit grünem Schattenlaub die Quellen eingehüllt! Aber dennoch wärest du durch deine Lieder in unserer Erinnerung unsterblich geblieben, so auch durch jenen Gesang, den ich dir neulich heimlich ablauschte, als du zur Amaryllis gingst...‘ Eine solche Wendung hätte der 11 Dieses Bekenntnis macht nach Klingner das Kernstück des Gedichtes aus. Vid. ibid., op.cit., p. 158. | 12 Auch der verzagte Moeris erlebt die Beglückung durch das Lied im Augenblick des Vergewisserns (375qq.). 3



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heißen Liebe des Lycidas zur Kunst, in der die Schatten der brutalen, vom Kriege beherrschten Wirklichkeit selig vergessen werden,!® nicht widersprochen. Hinsichtlich der Todesdeutung hätte sie jedoch die Kunst als todüberwindend erscheinen lassen. Menalcas hätte im Werk fortgelebt, die Macht der heilen, harmonischen Welt hätte so über die Macht sinnzerstörenden Todes gesiegt. Vergil bezieht in der Antwort des Lycidas die entgegengesetzte Position: Der Zauber der Kunst versagt vor dem Tode. Damit gewinnen wir aus den Worten des Lycidas Einblick in ein ursprüngliches, ‚bukolisches‘ Kunstverständnis. Für den Hirten ist die Macht der Kunst von der Persönlichkeit, die sie hervorbringt (Menalcas), nicht zu trennen.!* Und dieses naive Kunstverständnis, das sich nur auf die Einmaligkeit des Interpreten bezieht, ist wiederum vollendeter Ausdruck des bukolischen Menschentums mit seiner erträumten Gemeinsamkeit von Leben, Fühlen und Gestalten. Den ‚abstrakten‘, mittelbaren Trost des Bewußtseins von einer mündlich oder schriftlich tradierten, ‚ewigen‘ Kunst kann es für die Sinnenhaftigkeit des Arkadiers nicht geben.!®

DIEGEORGICA

inclementia mortis - mors pulchra Nicht die ‚ideale Landschaft einer raum- und zeitlosen Hirtenwelt‘“! - Ländlichkeit — gestaltet die Atmosphäre der Georgica, sondern das ‚Land‘, die konkrete italische Erde. Aber das poetische Bild des Singulären meint Allgemeingültiges: es ist die Natur, deren Wesen als umfassender Lebensbezirk, in dem bestimmte Regeln gelten,? sichtbar werden soll. Von ewigen Gesetzen spricht gleich das erste der vier Gedichte:

continuo has leges aeternaque foedera certis imposuit natura locis, quo tempore primum 13 Cf. den Gang des Geschehens in der neunten Ecloge: Lycidas ist es, der gerade inmitten einer Situation, die der Kunst abhold ist, nach Gesang in töricht-hoffnungs-

voller Weise drängt. Vid. Klingner, op.cit., p. 154sq. 4 Ansätze zu einer solchen thematischen Wendung wären nach der Anlage des ganzen Stückes, in dem Lieder eines anderen Sängers (Menalcas) rekapituliert werden, durchaus vorhanden. 15 Cf. E. 5,42-44: Auch im Gedenken an Daphnis lassen sich nicht irgendwie seine Fertigkeiten erhalten: vid. p. 17sq. ! Vid. H. Oppermann, Vergil, Wege zu Vergil, Darmstadt 1963, 121. 2 Vid. ibid. p. 119.

inclementia mortis-mors pulchra

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Deucalion vacuum lapides iactavit in orbem, unde homines nati, durum genus (G. 1,60-63). Gleiche eherne Gesetzeskraft wird in den Georgica den Aussagen über die Lebensmächte Liebe und Tod zugesprochen werden müssen. Diesen beiden Lebensmächten ist besonders das dritte Buch gewidmet. Den Schauer der Nachtseite des Daseins spürt man bereits in der ersten Hinwendung auf das Gesetz des Lebens und des Sterbens. G. 3,66-68: Vergil hat im Tone des Lehrgedichtes an die rechte Paarungszeit für Stiere erinnert (3,60-65), und ganz unmittelbar weitet sich der Gedanke an die Zeit zu einer sentenziösen Reflexion aus. Sie ist um so bemerkenswerter, als der Dichter gleich darauf (69sqq.) im Stile sachlicher Belehrung und Ermahnung fortfährt: optima quaeque dies miseris mortalibus aevi prima fugit: subeunt morbi tristisque senectus et labor et durae rapit inclementia mortis (66-68).

Das Verständnis dieser Sentenz erschließt sich aus dem Vorhergehenden. In den Versen 51-59 wird am Beispiel der Kuh das Wunder strotzender, gesunder Lebenskraft gerühmt. Aber gerade der Eindruck anscheinend unzerstörbarer Vitalität beschwört den Gegeneindruck herauf: den Verfall, der sich insgeheim im Gesunden verbirgt. Die Gedankenbrücke zwischen Vitalität und Verfall und gleichzeitig der Verwandlung wirkende Dämon ist die Zeit (6osqq.). So sind die Bestandteile unserer Sentenz (66-68) — Zeit und Tod - vorher bereits eingeführt und werden nur noch einmal in einer Aussage eindringlich verdichtet. Mensch und Tier bilden eine Schicksalsgemeinschaft, die mortales (66). Sie stehen beide der verrinnenden Zeit ohnmächtig gegenüber. Vergil zeichnet diese Ohnmacht mit den Mitteln der Sprache nach. Der in Vers 66 angeschlagene Gedanke (optima quaeque dies steht betont am Versbeginn) drängt energisch (Enjambement) zum gleichfalls am Versanfang betonten prima fugit hinüber, und beide Eingangspartien umklammern hart die Mitte des Verses 66. Sie sprechen von einem schicksalhaften Geschehen, vielleicht dem bittersten überhaupt. Mit Recht müssen die so Betroffenen miseri mortales genannt werden. Elend und jämmerlich ist ihr Los hinsichtlich seines Ausganges. In diesem Sinne fügen sich die Verse (67sq.) an die Klage über die rasch verfliegenden guten Tage an. Die Trithemimeres nach fugit (67) ist eine starke, mit Gefühlsintensität erfüllte Sinnpause. Es ist schwerlich zu viel behauptet, wenn man sagt, daß der Leser unwillkürlich innehält, und daß vor seinen Augen seine eigenen, unwiederbringlich schönen Tage noch einmal vorüber-

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Die Georgica

ziehen. Was der Jugend folgt, sind Krankheit, beschwerliches Alter, Tod: das subeunt, als Kontrast neben fugit gesetzt, leitet diesen zum Vorhergehenden chiastisch gebauten Gedanken ein. Der Gegensatz zwischen Jugend und Alter, zwischen Leben und Tod wird also auch formal hervorgehoben. Auffällig ist ferner die markante Endstellung der Worte aevi (zu optima... dies gehörig) - senectus - mortis, die gleichsam wie Wegweiser die Stationen des Lebensweges angeben. Dieses Todesmotiv atmet düsteren Pessimismus. Es ist konventionell und besitzt eine alte, weit zurückführende Tradition,? aber es ist für Vergil mehr als eine Schablone. Die Art, mit der er es assoziiert und gestaltet, spricht von seiner inneren Bewegung, von seinem Wissen darum, daß er ein Stück ewiger Wahrheit geformt hat. Im Kosmos, von dem die Georgica letztlich handeln, ist der Tod Gesetz, dem alles gnadenlos (durae. ...inclementia mortis) unterliegt und dessen Zwang ein Grundgefühl der Trauer in den Sterblichen wachruft. An dieser Stelle ist deutlich zu merken, wie der Dichter Vergil den Tod von seiner sinnfälligen Erscheinung her als die Weltordnung und das Leben bestimmendes Ereignis wertet, nicht von einem metaphysischen Glauben aus, der Trost verhieße. Die ewige Naturordnung ist vielmehr selber transzendent. Der Tod ist in diese Unwandelbarkeit hineingenommen und damit die Hoffnungslosigkeit, ihm zu entgehen. Soweit aber die Naturordnung als sinnerfüllt erscheint, kann der Tod nicht schlechthin sinnlos sein. Wir haben unter den Todesmotiven der Georgica zunächst diese Sentenz betrachtet, weil sie die ‚gewöhnliche‘ Auffassung des Dichters von der Todesmacht in diesem Werke wiederzugeben scheint. Im folgenden werden wir sehen, daß Vergil seine Erkenntnis, der Tod sei als Teil der dauerhaften Naturgesetzlichkeit sinnvoll, lasse aber dem Menschen keinen Grund zur Hoffnung, nach zwei Seiten hin ausdehnt: daß er um die absolute Sinnlosigkeit des Todes ebenso weiß wie um das Geheimnis seiner Überwindung. Zuvor sei aber noch ein Blick auf jene Stellen geworfen, an denen Vergil in einer ähnlichen sentenzenhaften Weise irgendwie vom Tode redet.* Es ist auffällig und für die spontane, dogmatisch völlig ungebundene und unsystematische

® Vid. W. Richter, Vergil. Georgica, München 1957, 272. * Obwohl die folgenden Beispiele der epischen Dichtung angehören, bietet sich aufgrund ihrer formalen und z. T. gehaltlichen Entsprechungen mit G. 3,66-68 eine zusammenhängende Behandlung an diesem Orte an, denn die gleichsam kategoriebildende Prägnanz dieser Georgicasentenz wird von keinem derartigen Aeneisvers übertroffen (cf. sqgq.). Neben den hier erwähnten Aussagen cf. p. 2075q. (mors pulchra); p. 143sqq. (umbrae — Manes; sonstige Unterweltvorstellungen); zu A. 5,710 (superanda omnis

fortuna ferendo est) cf. p. 116sq.; zur Personifikation der Todesmacht cf. p. 143sq.

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Art, in der der Dichter dem Wesen der Todesmacht gegenübersteht, sehr bezeichnend, daß sich in diesen Aussprüchen die Skala der möglichen Auffassungen und Deutungen des Todesgeheimnisses fast erschöpft. Diese bisweilen recht bildhaft zur Sprache gebrachten Aspekte lassen in der Hauptsache zwei verschiedene Aussagetendenzen erkennen: Wesen und Wirken des Todes werden unter positiv oder negativ wertender Gefühlsbeteiligung nach ihrer offensichtlichen oder mutmaßlichen Faktizität dargestellt, sie erfahren eine emotionell engagierte, emphatische Zustimmung oder — weit häufiger — eine bekümmert anklagende Ablehnung. Erfahrung, Hoffnung und Trauer sind demnach die Weisen der Begegnung mit dem Todesphänomen. Allerdings verbinden sich mit den beiden konträren Gefühlsmomenten zum Teil unterschiedliche Erfahrungsansichten. 1. Der Tod ist das Letzte. Es gibt keine Verbindung zwischen Lebenden und Toten, so wenig wie zwischen dem Empfindenden und dem Empfindungslosen: sive extrema? pati nec iam exaudire vocatos

(A. 1,219).

Diese an sich sachliche Feststellung, mit der sich die Aeneaden eine der Möglichkeiten des Verbleibens ihrer vermißten Gefährten vergegenwärtigen, erfährt durch den Kontext indirekt die Bewertung eines beklagenswerten Unglückes (spemque metumque inter dubii: 218; Aeneas... | ...casum gemit et crudelia secum|fata: 220sqq.). Daß im Tode, der mit dem Verlust der Sinneswahrnehmung angedeutet wird, wohl auch die Wahrnehmungsfähigkeit für Leiden und Schmerzen schwinden müßte, die Toten also in einer Hinsicht glücklich zu preisen wären, kommt den Troianern hier nicht in den Sinn. Der Verlust der Gefährten wird als unreflektiertes, einseitig egozentrisches Schmerzerlebnis von seiten der Lebenden aus geschildert und beleuchtet deshalb in seiner Menschlichkeit mehr den diesseitigen Daseinszustand als das Schicksal der Toten.® 5 Erschütternd lapidar beschreibt Homer die Endgültigkeit, die dem Tode als einem extremum zukommt:

Avdpds SE buy nadıv EAdeiv oüre Aclorn 009’ EXern, Erel &p nev Aueliberar Eprog ddövrov. (II. 9,4085q.). 6 Der Gedanke, daß die Trennung zwischen Nichtsein und Leben besonders an der Sinnesempfindung begriffen werden könne, wird bisweilen umgebogen oder in Frage gestellt. Voraussetzung ist er z. B. noch im Versprechen dauernder, erst im Tod endender Liebe, das Iason der Medea gibt:

000 Aue Stanpıvkeı PLAöTNTOG &N0, napog Havardv ye neuopuevov Aupınadrdbaı. (Apoll. Rh. 3,1129sq.).

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Die Georgica

2. Die Erfahrung von der Empfindungslosigkeit im Tode’ läßt sich wohl mit der Vorstellung eines Auseinanderfallens von Leib und Geist zusammenbringen,? wobei gelegentlich der Tod als die gewaltsam trennende Macht erscheint: et, cum frigida mors anima seduxerit artus (A. 4,385).

Die Kälte des Leichnams als sinnfälliges Ergebnis eines Lebensvorganges — des Absterbens - wird dabei zum Attribut des als wirkende Personalität abgebildeten Todes.? Das von der rachsüchtigen Dido (cf. A. 4,384sqq.) dergestalt imaginierte Auch für Pompeius ist das Fehlen jeglicher Sinneswahrnehmung das entscheidende Kriterium für die Existenz des Todes: aut nihil est sensus animis a morte relictum

aut mors ipsa nihil (Luc. 3,39sq.). Daneben wird jedoch die Möglichkeit einer Geistesregung im Schattenreich (d.h. im Tode) offengelassen: siquid sensus post fata relictumst (Luc. 8,749) oder gar als qualvolle Strafe gewünscht. Hierbei ist dann genau jene Einsicht an der Gestaltung des Gedankens beteiligt, die bei Verg. A. 1,219 (vid. supr.) nicht hervortritt: daß ein empfindungsloser Tod kein Übel sei: di tibi non mortem, quae cunctis poena paratur, sed sensum post fata tuae dent, Crastine, morti,

cuius torta manu commisit lancea bellum (Luc. 7,470-72). Strafe meint auch die Verwünschung des Kreon in seiner Totenklage um Menoecus:

... longos utinam addere sensus corporibus...|... fas (Stat. 12,95sqq.). ? Dem Leben gleich hinsichtlich der Empfindungsfähigkeit kann auch der Zustand der Unsterblichkeit sein. Im Falle der Iuturna erscheint er als eine Qual, die nur der Tod zu heilen vermöchte: quo vitam dedit aeternam? cur mortis adempta est condicio? possem tantos finire dolores nunc certe, et misero fratri comes ire per umbras!

(A. 12,879-81).

® Cf. p. 160sqq. (Tod und Jenseits): Seelenvorstellungen. ® Die Gleichsetzung der Kälte mit Lebensfeindlichkeit, Verfall und fühlloser Härte macht Valerius zum Charakterwesen des Todes: en frigidus orbes purpureos iam somnus obit, iam candor et anni

deficiunt vitaque fugit decus omne soluta. desere nunc nemus et nympharum durus amores!

(3,178-81).

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Ende des Aeneas trägt offenbar die Züge einer peinigenden Strafe, und damit wird deutlich, wie sehr der Dichter schon den gewöhnlichen Vorgang des Sterbens (wie er sich in Vers 385 zeigt) als etwas unversöhnlich Feindliches betrachtet. 3. Die Gewalt des Todes wird so dargestellt, als sei sie gleichsam im Besitz der Abgeschiedenen und zeige ihr Verfügungsrecht durch das an, was von ihnen blieb:

tum breviter Barcen nutricem adfata Sychaei (sc. Dido) namque suam patria antiqua cinis ater habebat (A. 4,6328q.). Diese Prägnanz des Ausdruckes in einer plastischen circumscriptio ist eine der seltenen Formulierungen, in denen das Totsein ohne vernehmliche Klage oder auch rühmende Wertung ganz neutral als bloßer Zustand erscheint. Es mag etwas von der strengen, aber friedevollen Würde mancher Grabmonumente in dem Bilde liegen, diese Stimmungsnuance ist jedoch weder aus dem Motiv noch aus dem Zusammenhang heraus eigentlich beweisbar. 4. Unterschiedliche Auffassungen bestehen in den sentenzenhaften Motiven sowohl bei Vergil wie auch bei anderen Autoren darüber, ob der Tod eine autonome Macht sei oder im Dienste einer Gottheit stehe. Als eigenmächtige Gewalt erscheint er überall dort, wo ausschließlich von ihm wie in den eben besprochenen Georgicaversen als wirkender Person oder Kraft die Rede ist.!? Es findet sich aber auch die andere Vorstellung, so wenn Allecto als Urheberin des Krieges genannt wird (bella manu letumque gero: A. 7,455)" oder Iuppiter als Herr über Leben und Tod mit der Waage die Entscheidung fällt:

luppiter ipse duas aequato examine lances sustinet et fata imponit diversa duorum, quem damnet labor et quo vergat pondere letum (A. 12,725-27). Eine absolute Herrschaft des höchsten Gottes liegt in diesem Bilde freilich nicht, sofern sich Iuppiter der fata als vorgegebener, gleichsam objektiver Gewichte bedient. Die Gottheit besitzt lediglich die Entscheidungsfreiheit über den Augenblick des Wägens.!? Die bisher betrachteten Bilder und sentenzen10 G. 3,66-68; A. 4,385; 633; 6,429 (atra dies); cf. A. 1, 294-96 (Furor; cf. p. 143 zur Allegorie); 6,277 (Letum) ;279 (mortiferum Bellum). (Er 2VERTeh 12 Deutlicher spricht Apollonios Rhodios einmal von der summa potestas des Zeus gegenüber Leben und Tod:

Zebs abrdg ta Enaor’ Emidtprerar oOdE Lv Kvöpes Andouev Zursdov, ol ve Heovötes nde Ölnaıoı.

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Die Georgica

or

haften Motive waren im Grunde alle eine schweigende Klage über die Bitterkeit des Todes. Dieser Tenor eines düsteren Pessimismus, der schon offen aus G. 3,66-68 sprach, verdichtet sich in manchen Wendungen zur verzweifelten Erkenntnis menschlicher Ohnmacht.'? Bereits die mit den Todesgedanken

mitunter verknüpfte Lichtsymbolik macht das deutlich. Leben ist Licht, Tod Nacht: quos dulcis vitae exsortis et ab ubere raptos abstulit atra dies et funere mersit acerbo (A. 6,428sq.).

Das geläufige, einen Unglückstag umschreibende dies ater erhält hier (atra dies) als Kontrast zur dulcis vita eine zusätzliche Bedeutung als Vorbote der nachfolgenden, ewigen Todesnacht. Selbst wenn diese Nacht ihre Schrecken verliert oder sogar heftig ersehnt wird, klingt doch an, wie sehr eine solche Haltung vom gewöhnlichen Lebenswillen, der das Licht dankbar begrüßt, abweicht:"* &g uEv y&p natep’ duov Drreßelpuro P6voro unrpuiig, Hal voopıv dmeip£orov möpev ÖAßov(2,1179-82).

Die entgegengesetzte Auffassung wiederum erscheint am entschiedensten bei Homer: AAN N roL Havarov uev Önoliov ondEt Heot rrep xl PlIw Avdpl Suvavraı KANAKEUEV, ÖTTöTE XEv $N notp” 5AoN XadEeAncı ravndeyeog Davaroro. (Od. 3,236-38).

13 Dazu gehört auch die Einsicht, daß die natürlichen wie auch die übernatürlichen Mittel und Kräfte vor dem Zugriff des Todes versagen. Cf. zum Tod des Daphnis (E. 5) p. 16sq.; c£.: sed non augurio potuit depellere pestem (A. 9,328); modo quem Fortuna fovendo congestis opibus donisque refersit opimis, nudum Tartarea portabit navita cymba (Sil. 5,265-67). 14 Von der Furchtbarkeit der Todesmacht ist auch Statius überzeugt, wenn er die Blindheit des Oedipus als Vorwegnahme des Todeszustandes deutet: impia iam merita scrutatus lumina dextra merserat aeterna damnatum nocte pudorem Oedipodes longaque animam sub morte tenebat (1,46-48). Die meiner Kenntnis nach einzige Stelle im antiken Epos, wo das Dasein im Tode umgekehrt mit dem Lichte in Verbindung gebracht wird, findet sich bei Apollonios Rhodios. Der blinde Phineus äußert den Wunsch:

&vrl dE Tod Iavaröv por &pap eds Eyyoarlkaı, xal re davoy r&onor ner&ocona KyAatinoıwv. (2,4465q.).

inclementia mortis-mors pulchra

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invisam quaerens quam primum abrumpere lucem

animus lucis contemptor

(Dido: A. 4,631); (Euryalus: A. 9,205).

5. Am unverhülltesten bricht das Leid des menschlichen Daseins in der Aussage hervor, daß der Todestag vom Schicksal unvermeidbar festgelegt und damit eigentlich - auch wenn dieser Gedanke meist nicht direkt ausgesprochen wird der Tag des größten Unheiles sei.!? Was G. 3,66-68 wie eine dauernd gültige, notwendige temporäre Folge erschien, wird A. 6,428sq.; (Zitat vid. supr.) als punktuelles, vergangenes Ereignis dargestellt, ohne daß jedoch die Verzweiflung über das Todesereignis dadurch weniger zum Vorschein käme. Mit dem Tode ist für eine Haltung dieser Art alles aus, und gerade das wird an ihm als das eigentlich Entsetzliche betrachtet. Die Vorstellung eines Schattendaseins (A. 6,428sq. handelt vom Unterweltdasein der frühverstorbenen Kinder) ist so gesehen nur die Verbildlichung dieser Hoffnungslosigkeit. Noch deutlicher als bei Vergil, der neben 15 Vid. A. 10,467sq. (cf. infr.); Il. 12,326sq.:

vöv S’Eunng yap nfpes Epeoräcıv Yavdroıo uuplaı, &s oüx Eorı puyelv Bporov oBd drrardEat, Il. 15,1408q.: ApyaAeov de navrav dvdpwnwv Huodxı yevenv TE TöxXov Te. Apoll. Rh. 1,10355q.: holpav dveninoev. nv Yap Heuıg odnor’ ArUEaL Yymroloıv- naven dt nepl ueya nentarar Epxoc.

Sil. 3,1345q.: et pace et bello cunctis stat terminus aevi, extremumque diem primus tulit; Sil. 13,7748q.: tu magna gerendi praecipita tempus; mors atra impendet agenti.

Sil. 15,635qgq.: currit mortalibus aevum nec nasci bis posse datur; fugit hora, rapitque Tartareus torrens ac secum ferre sub umbras, si qua animo placuere, negat.

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Die Georgica

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den angegebenen Stellen bisweilen auch floskelhaft das Los der Menschen im Hinblick auf dieses Todesschicksal kümmerlich nennt,'® tritt diese Ansicht bei anderen Autoren hervor: Od. 11,488-91:

um $h por Iavaröv ye napadda, paldın’ "Oduooen. BovwAolumv #’ Errkpoupog Ev Imreveuev 2m, avdpl rap’irinpo, & un Blorog moAdg ein, N mäoLV verVeoor AATapÜLUEVOLOLV KVdoaeıV. Il. 9,4018q.:

08 Yap &uol buyiig Avrafıov 008 "boa paclv ”"IAtov ExrtYodea Sil. 7,575q.: spes heu fallaces oblitaque corda caducum mortali quodcumque datur!

Sil. 13,883-8 5:1 pro! quanto levius mortalibus aegra subire servitia atque hiemes aestusque fugamque fretumque atque famem, quam posse mori! 6. Wenn sich auch überall in der epischen Dichtung vornehmlich die schwermütige Einsicht von der inclementia mortis in den sentenzenhaften Todesmotiven zeigt, so finden sich dort gelegentlich Gedanken der Zuversicht oder Vorstellungen, wie man sich vor der Macht des Todes behaupten könne. 18 G.

1,123

(mortalia

corda); 237;

A. 2,268;

10,274;

12,850 (mortalibus

G. 3,66 (miseris mortalibus); cf. Stat. 1,500sq. (aegris...animantibus); prägnant I]. 17,446sq.:

aegris);

sentenzhaft

oD Ev yap Ti mob Eotiv Öikupwrepov dvöpög navrov, 600x TE yaiav Em mveleı te nal Eoret. ’

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17 C£. die Klagen bei Coripp. 1,392sq.: o, gaudia fratrum quanta rapit subito veniens mors saeva piorum! 399:

heu, superas mors dura pios!

Daß der Mensch vielleicht glücklicher ende, wenn er die letzte Notwendigkeit weniger klaren Bewußtseins erleide, ist eine Konsequenz, die bisweilen aus dieser pessimistischen Todesauffassung gezogen wird: cf. Stat. 10, 315-17: (Hebrus wird im Schlaf getötet, sein Ende ist heiter und schmerzlos); Sil. 11,270sqq.: (einige Capuaner beschließen, im Rausche sich den Tod zu geben).

inclementia mortis-mors pulchra

97

Eine Art Mitte zwischen dem drückenden Bewußtsein gänzlichen Verfalls im Tode und der Hoffnung auf Unsterblichkeit, Ruhm oder dauernde Ruhe nimmt ein homerisches Bild ein, das in der Beschreibung ewigen Werdens und Vergehens um den Trost weisen Gleichmutes weiß: Il. 6,146-49 :"8

olm rep PLAAWy yeven, roln SE nal dvöpiv. PÜMK Ta Ev T’&venog yanddıs Xeeı, Kr SE ’5AN rreFdöwo« pbeı, Eupog d’Eriyiyveraı pr &G Avdp@v yeven Y) HEV pbeı N) Ö’ArroAnyeı. Mitunter wird gerade das unerbittliche Todesschicksal Sorge um unvergänglichen Nachruhm ausgegeben:

als Ansporn für die

stat sua cuique dies, breve et inreparabile tempus omnibus est vitae; sed famam extendere factis, hoc virtutis opus (A. 10,467-69; cf. supr.). Hierbei ist im Epos zumeist an die Bewährung im Kampf gedacht. Das Heroentum stellt so gesehen den Versuch dar, dem allgemeinen, finsteren Todeslos den Wert des Einmaligen, Erinnerungswürdigen durch das Beispiel des Sterbens selbst abzutrotzen.!? Auch äußere Zeichen, wie Grabmonumente, Gedächtnisstätten oder auch Gesänge und Dichtungen gelten als todüberdauernde Zeichen der Ehre und und Kraft des Menschen :?° Tu quoque litoribus nostris, Aeneia nutrix, aeternam moriens famam, Caieta, dedisti;

et nunc servat honos sedem tuus, ossaque nomen Hesperia in magna, si qua est ea gloria, signat (A. 7,1-4).

7. Während das Heroentum den Tod innerlich zu überwinden sucht, indem es sich nicht mit seiner Eigentlichkeit abfinden will, gibt es schließlich auch die 18 Cf, Il. 21,463-66. 19 Cf. mors pulchra p.207sq. Sogar das Leben selbst kann für dieses Bewußtsein ohne den Mut zum Sterben dem Tode gleichbedeutend sein. Hannibal ruft aus:

letique metu decora alta relinguam? quantum etenim distant a morte silentia vitae? (Sil. 3,1448q.); cf. Il. 12,322-28; Sil. 3,134-37; Coripp. 4,114-19. 20 Vid. die Ehrung des Palinurus (A. 6,373sqgq.) ; cf. zu E. 5,42-44.p. 175q.; cf.11. 7,87-91; 16,456 = 673; dazu die dichterischen Nachrufe im Epos (z.B. auf Nisus und Euryalus A. 9,446-49), die diesen Gedanken unmittelbar verwirklichen.

38

Die Georgica

Möglichkeit williger Schickung in das Unvermeidliche, und das sogar in der Hoffnung, mit dem Tode werde ein seliger Zustand erreicht. Für den alten König Latinus ist der Tod - mögen auch dessen Umstände den geläufigen Vorstellungen vom glücklichen Ende nicht entsprechen — ein Hort des Friedens und der Ruhe, dem er sehnsüchtig-gelassen entgegenblickt: nam mibhi parta quies, omnisque in limine portus funere felici spolior (A. 7,598sq.).

Der um den Verlust seines Sohnes Pallas klagende Euander weiß seine längst dahingeschiedene Gemahlin glücklich und ohne Qual: tuque, o sanctissima coniunx,

felix morte tua neque in hunc servata dolorem! A. 11,158sq.).

Dido begehrt den Tod freiwillig, weil er ihren Leiden ein Ende verheifßt: ferroque averte dolorem (A. 4,547). 21 Der Gedanke des nam mihi parta quies erscheint ähnlich A. 12,646 (usque adeone mori miserum est? cf. p. 121sq.). Mit der gleichen Gelassenheit wie Latinus, aber im Gegensatz zu ihm auch in der sicheren Überzeugung eines würdigen Begräbnisses, bei dem sich die Achtung der Mitmenschen vor ihr beweisen werde, erwartet die greise Polyxo das Ende:

ei xal ne Ta vOv Erı reppixacıv Krpss, Enepxyduevöv ou dlouaı eig Eros Mon yalav Eptoosodaı, Kreptwv Krb Lolpav &Aolcav adrwc, 7) Heuıg Eotl,

(Apoll. Rh. 1,689-92).

Cf. Sil. 5,578sgq. (Tod eines alten Kriegsmannes): extracta foedavit cuspide sanguis canitiem et longos finivit morte labores. Sil. 11,383sq. (Tod des Decius):

atque eadem vitae custos mox deinde quieto accepit tellus ossa inviolata sepulchro. Cf. Luc. 5,228-30: heu demens, nullum belli sentire fragorem, tot mundi caruisse malis, praestare deorum excepta quis Morte potest? Luc. 8,631sq.: mutantur prospera vita,

non fit morte miser.

Darstellungen vom Tiersterben

39

Darstellungen vom Tiersterben Abgesehen von den Kämpfen in der zweiten Acneishälfte ist die längste, eine innere Einheit bildende Todesschilderung bei Vergil die Darstellung der Viehseuche in Noricum (G. 3,478sqq.), die sich bewußt an die Pestszene des Lukrez (6,1138sqq.) anlehnt. Aufgrund der bereits vorliegenden, umfassenden Interpretationen und Vergleiche zu dieser Partie! kann es sich an diesem Orte nur um ein mehr auf die eigentliche Todesmotivik beschränktes und teilweise ergänzendes Referat der bisherigen Arbeiten? handeln. Es ist allerdings gerade wegen der einmaligen Bedeutung dieser Todesdarstellung im Werke Vergils und aus Gründen der Vollständigkeit unumgänglich. Die Ratschläge zur Gesundhaltung der Herden (G. 3,440sqq.) beschließt der Dichter mit der nachdrücklichen Mahnung, der Seuchengefahr von Anfang an entschieden zu begegnen: sonst drohe der gesamten Herde der Untergang. Dabei wird auf Noricum verwiesen, wo die Hirten ihre Reiche verlassen hätten und die Bergwälder weit und breit leerstünden (474-77). In scheinbar berichtendem Ton wird erwähnt, daß hier in Noricum im heißen, dürren Frühherbst eine verseuchte Luft den Peststoff verbreitet und nichts, weder Wasser noch Weide noch die Tiere selbst, verschont habe. Es liegt jedoch eine vernehmbare Klage in diesen Worten. Mit sorgsamen Mitteln der Schilderungskunst wird das Leidvolle und Merkwürdige des Ereignisses angedeutet. Schwer und verhalten beginnt der Ov. Met. 10,377: nec modus aut requies, nisi mors, reperitur amoris.

Cf. hierzu p. 13sq. Der an allen diesen Stellen anklingende Gedanke einer Versöhnung mit dem Tode kann sogar mit der an sich bitteren Einsicht in seine bedrohliche Allgegenwart harmonieren: sed scilicet ultima semper exspectanda dies homini est, dicique beatus ante obitum nemo supremaque funera debet (Ov. Met. 3,135-37).

Bei Vergil findet sich diese popularphilosophische Vorstellung (zu ihrer Geschichte vid. F. Bömer, P. Ovidius Naso. Metamorphosen. Kommentar Buch I-III, Heidelberg 1969, z. St.) allerdings nicht. 1 H. Klepl, Lukrez und Vergil in ihren Lehrgedichten, Diss. Leipzig 1940, repr. 1967; K. Büchner, Humanitas Romana, Studien über Wesen und Werke der Römer, Heidelberg 1957; dazu RE, S. 1300sqq.; J. Grimm, Die literarische Darstellung der Pest in der Antike und in der Romania, München 1965; Otis, op.cit., p. 179-81; Klingner, op.cit., p. 295-97; L.-P. Wilkinson, The Georgics of Virgil, Cambridge 1969, 99sq.; 1245g.; 206-208.

2 Vor allem des Szenenvergleiches bei Klepl, op.cit., p. 52-77.

40

Die Georgica

Zu

Vers 478:? hic gquondam morbo caeli - Vergil nimmt durch kleine Änderungen der lukrezischen Vorlage (1138: haec ratio guondam morborum) den Rhythmus in die Aussage mit hinein. Die Ursache des Übels - tempestas - wird durch Endstellung im Satz und Enjambement hervorgehoben (478/79; Betonung des Versanfangs mithilfe der Trithemimeres, der einzigen Zäsur in Vers 479). Der Vers 480 deutet mit Nachdruck auf den Umfang der Katastrophe: et genus omne neci ... dedit.* Die Aussparung im Zitat weist darauf hin, daß es dem Dichter auf das pecudum (ibid.) erst in zweiter Linie ankommt. Das omne ferarum (480; anaphorisch) beweist, wie alle Tiere ausnahmslos als dem Verderben ausgeliefert erscheinen sollen. Bereits bei einem ansatzweisen Eindringen in die sprachlichen Schichten der Darstellung? bemerken wir, daß Vergil selbst in der einleitenden Partie der Seuchenszene, die inhaltlich einen mehr informativen Charakter trägt, einem ausgesprochenen Berichtston ausweicht. Nüchtern und sachlich leitet Lukrez seine Erzählung von der Pest zu Athen ein:® die Seuche sei durch die Luft aus Ägypten gekommen und habe endlich Pandions gesamte Bevölkerung befallen. Was Lukrez interessiert, ist der Krankheitsverlauf in allen seinen Phasen. Ihm ist mit erschütternd naturalistischen Bildern der erste Teil der Darstellung gewidmet (1145-1214). Lukrez kommt es es vor allem auf den Eindruck des Entsetzlichen an. Der Leser wird geradezu auf die Folter grauenhafter visueller Eindrücke gespannt, die ihn verfolgen, ja, ihn bis zur somatischen Reaktion auf das Gräßliche treiben. Der Dichter steht wie unter einem Trauma, im Furchtbaren und zugleich Widerlichen schwelgen zu sollen: sudabant etiam fauces intrinsecus atrae sanguine et ulceribus vocis via saepta coibat atque animi interpres manabat lingua cruore

(1147-49).

So reiht sich Einzeleindruck an Einzeleindruck. Das Organisch-Medizinische mit seiner Schrecklichkeit läßt die seelischen Begleiterscheinungen der Krank® 1.-4. Versfuß spondeisch; cf. E. 5,20: auch dort malen die Spondeen Trauer und Klage. * Zur Formulierung vid. p. 162. ° Cf. den kurzen, anschaulichen Überblick über die poetischen Darstellungsmittel Vergils bei Wilkinson, op.cit., p. 183-222. 6 1138-44; der Unterschied, daß Lukrez die Seuche vornehmlich am Menschen schildert, Vergil sie zur Tierpest umdeutet, besagt wenig: beiden geht es letztlich um den Tod als Lebensmacht überhaupt.

Darstellungen vom Tiersterben

41

heit - Qual und Angst - verblassen. Die Leiden des Körpers werden allenthalben von der gänzlichen Auflösung aus angedeutet. Die Summe der Einzelbilder des Krankheitsverlaufes — geschildert in 69 Versen - ergibt den Eindruck eines großen Unterganges. Jedoch bilden die einzelnen Eindrücke keine dramatische Linie; sie wirken statisch, und jedes Bild ist für sich ein Zentrum des Grauens. Die so entstehende Schockwirkung bringt es mit sich, daß der Mensch in seiner gepeinigten Leiblichkeit nur noch als entseelte Materie erscheint. Die Nähe und die Wucht des Gräßlichen lassen jede Herzensregung des Mitleides oder der Anteilnahme erstarren: eher noch provozieren sie ein Gefühl zynischer Ohnmacht. Vergil legt auf den Krankheitsverlauf mit seinen medizinischen Details kaum Wert.” Eine Schockwirkung im lukrezischen Sinne soll gerade vermieden werden. Die Pest tritt nicht an einem beliebigen Orte auf,® sondern im Bereich der Tierwelt, die dem Leser im dritten Buch bereits nahegebracht worden ist. Seine mitfühlende Anteilnahme am Geschehen ist von vornherein vorhanden, und Vergil appelliert an das Mitgefühl mit einem seiner bevorzugten Ausdrücke: miseranda coorta est tempestas (478sq.) ... sed ubi ignea... . sitis miseros adduxerat artus... (482sq.).?

Traurigkeit über die Vergiftung des Natürlich-Reinen schwingt in der negativen Wendung corrupitque lacus, infecit pabula tabo (481) mit. So erscheint es nicht verwunderlich, wenn der Krankheitsverlauf bei Vergil in vier Verse zusammengezogen und der Einleitung zugeordnet wird (482-85). Vielfältig sind die Straßen zum Tode, aber ein seltsames Symptom sticht hervor: wo rasender Durst eben noch die Glieder schmerzhaft straffte, lösen sich allmählich selbst die festen Bestandteile des Körpers in Flüssigkeit auf.!? Das Ekelerregende wird nicht verschwiegen, aber es erscheint, von krassem Realismus weit entfernt, doch so, daß wir es mit schmerzlichem Bedauern aufnehmen. Der eigenartige Kontrast zwischen der ignea sitis und dem abundans fluidus liquor, zwischen der widerwärtigen, unerklärlichen Erscheinung des ? Lukrez häuft die Symptome: cf. 1145sqg.; 1182sqg. Zur veterinärmedizinischen Diagnose der Seuche bei Vergil vid. Richter, op.cit., p. 318-20. Die Festlegung auf eine bestimmte Seuchenerscheinung lehnt dagegen Wilkinson, op.cit., p. 206sqgq. mit guten Gründen ab. 8 Bei Lukrez hat die von der Pest befallene Stadt Athen keine Beziehung zum Vorhergehenden. Sie wird genannt, weil der Dichter sein Exempel nun einmal Thukydides (2,495qq.) entlehnt. 9 Lukrez erzählt objektiv: pestilitasque aut in aquas cadit.aut fruges persidit in ipsas (1125SqQ.). 10 482-85; minutatim (485) ist Lucr. 6,1191 entlehnt. 4

Raabe

42

Die Georgica

liquor und den festen ossa, die er aufsaugt, erweckt obendrein Entsetzen über eine unfaßliche, lebensfeindliche Kraft. Von der Sinnfälligkeit der Vorgänge werden wir so auf deren Bedeutung hingelenkt. Allerdings ist die Sinnfrage in der Einleitung (478-85) noch weithin überdeckt von dem beherrschenden Eindruck, durch den sie erst angeregt wird: daß der Tod in fremder, unheimlicher Gestalt gekommen ist. Je mehr aber im weiteren die Ungewöhnlichkeit des Sterbens offenbar wird, desto drängender wird auch die Frage nach dem Sinn. Zunächst jedoch betrachten wir die Wirkungen der Krankheit, wobei Vergils Darstellung (486sqq.) mit der zweiten Hälfte der lukrezischen zu vergleichen ‚ ist (1215sqgq.)."! In den Mittelpunkt seiner Gestaltung rückt Lukrez in diesem Teil das Sterben. Es geht ihm hauptsächlich um das catervatim morbo ... dabantur (1144). Jedes Motiv ist daraufhin aufgebaut, der Kerngedanke wird refrainartig repetiert: multaque humi cum inhumata iacerent corpora supra corporibus (1215sq.) cum primis fida canum vis strata viis animam ponebat in omnibus aegre; extorquebat enim vitam vis morbida membris. (1222sqq.) quippe etenim nullo cessabant tempore apisci ex aliis alios avidi contagia morbi, (1235sq.) exanimis pueris super exanimata parentum

corpora nonnumquam posses retroque videre

matribus et patribus natos super edere vitam (1256sqq.) quo magis aestu

confertos ita acervatim mors accumulabat.

(1262sq.)

multaque per populi passim loca prompta viasque languida semanimo cum corpore membra videres horrida paedore et pannis cooperta perire (1267sqggq.)

omnia denique sancta deum delubra replerat corporibus mors exanimis onerataque passim

cuncta cadaveribus caelestum templa manebant,

(1272sqg.).

Kein Lebewesen bleibt von der Vernichtung verschont. An das Universale der Pest gemahnt gleich das erste Motiv, ein Tiermotiv (1215-24): Leiche liegt auf Auf die Anordnung der Verse dieser Partie kann hier nicht eingegangen werden.

Darstellungen vom Tiersterben

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Leiche gehäuft, aber die Aasvögel weichen und fallen - wie die Bestien in den Wäldern - selbst dem Tode anheim. Hervorstechend ist das Endmotiv dieser lose gefügten Bildreihe: das mit emotionaler Wärme ersonnene fida canum vis (1222) steht bewußt in widerspruchsvollem Kontrast zum cum primis (ibid.): die Hunde verenden ungeachtet ihrer Treue am ehesten auf den Straßen. Nachdrücklich ausgeweitet auf Leben und Tod wird die Paradoxie von Nutzen und Schädlichkeit (1227-29). Heilmittel gibt es nicht, was dem einen hilft, tötet den anderen. Der ganze Gedanke reiht sich ohne unmittelbaren Zusammenhang an die vorausgegangenen Bilder an. Ebenso unvermittelt setzt die Behandlung von drei Themen: ‚Mutlosigkeit‘ — ‚Ansteckung‘ - ‚Tod der Guten und Schlechten‘ im Hinblick auf das Hauptthema ‚Sterben‘ ein (12395qq.: illud in his rebus ...). Sie ist deshalb beachtenswert, weil sie inmitten des Grauens, der Entstellung alles Menschlichen, einen verhaltenen Hinweis auf die Unzerstörbarkeit wahren, sittlichen Menschentums gibt. Die Besten sind es, die sich um ihre Mitmenschen sorgen: qui fuerant autem praesto, contagibus ibant atque labore, pudor quem tum cogebat obire blandaque lassorum vox mixta voce querelae. optimus hoc leti genus ergo quisque subibat (1243-46). Die Pest rafft einen nach dem anderen dahin, aber sie scheidet die Geister. Die

Masse klammert sich aus Todesfurcht gierig an das Leben, selbst wenn keinen Genuß mehr verheifßt:

es

tamen in nervos huic morbus et artus ibat et in partis genitalis corporis ipsas. et graviter partim metuentes limina leti vivebant ferro privati parte virili, et manibus sine nonnulli pedibusque manebant in vita tamen, et perdebant lumina partim: usque adeo mortis metus his incesserat acer (1206-12).

Jedes Mittel erscheint den Kranken recht, sofern es nur das Leben verlängert. Die Angst - Lukrez sagt (1158) mit Absicht tautologisch anxius angor — erweist sich in der Stunde der Gefahr wie in vielen Erscheinungen des normalen Lebens, in dem Verlangen nach Ehre und Ansehen, dem Hunger nach Reichtum, dem rastlosen Streben nach Genuß, als der eigentliche Kern des Menschen.!? Daher

wird die Angst als Charakteristikum der menschlichen Natur in der Pestdar12 Cf. Grimm, op.cit., P. 51. vi

44

Die Georgica

stellung nicht vergessen.!? Sie bestimmt die sittliche Verfassung der meisten Menschen, und zwar negativ. Wahre Sittlichkeit indessen bewährt sich gerade im Unheil, und sie bleibt ihrem Wesen treu, mag ihr auch der Tod gewiß sein; denn sie gründet sich auf die Erkenntnis von der Nichtigkeit des Todes (Lukrez’ großes Anliegen ist es, die Sinnlosigkeit von Todesfurcht und Götterfurcht nachzuweisen). Bewahrung von Sittlichkeit meint im höchsten Grade ein inneres Widerstehen gegenüber der auflösenden Macht des Todes. Wir werden diese Feststellung für ein abschließendes Urteil über die lukrezische Pestschilderung bereithalten müssen. Es fällt ferner auf, daß die Gedanken ‘über gutes und schlechtes Verhalten in der Katastrophe auf den Ton der Klage abgestimmt sind, im Gegensatz zum ersten Teil (1138-1214) und zu den nachfolgenden Motiven (1262sqq.; cf. infr.). Gefühlsbetont sind die mitleiderregenden Bitten der Sterbenden ausgeführt: blandaque lassorum vox mixta voce querelae (1245). Die moralisch eifernde Regung des Dichters - sie rechtfertigt sich für ihn aus der Erkenntnis Epikurs, daß der Tod nichts sei - erkennt man besonders in der Wendung: poenibat (1240): die Feiglinge, die sich der Pflege der Kranken entziehen, fallen dem Verderben wie einer gerechten Strafe anheim. Genugtuung über das Schicksal, das ihnen zuteilt, was andere durch ihr Verhalten vielleicht erlitten, liegt in den Versen 1238-42. Aber die Stimmung schlägt wieder in Trauer um. Ein Hauch von eigenem, innerem Schmerz des Dichters wird — nach der Klage über den unverdienten Tod der Besten — auch im Bild der sterbenden Familien fühlbar (1256sqq.). Es ist ein Schmerz darüber, daß das engste Band zwischen Menschen, die pietas, nichts gegen die Todesnot vermag. Viel eher scheint es die Seuche gerade darauf angelegt zu haben, die normale, geheiligte Ordnung umzukehren. Es muß jedoch betont werden: der in den erwähnten Einzelzügen auftretende Stimmungscharakter des Mitleides ist nur momentan. Beherrschend ist die plastische Vorstellung des Todes, der wahllos Tiere und Menschen getroffen hat, der weder Verdienst noch Stand noch Familienbande, Alter oder Geschlecht, noch Ort oder Zeit kennt (1252sqq.). Wiederum ist in dieser Motivkette die Schilderung des Fürchterlichen kaum zu ertragen. Dazu kommt die Nivellierung von Heiligem und Profanem aus Not: das Sterben macht vor den mit Flüchtlingen überfüllten Tempeln nicht halt. Die unsäglich drangvolle Realität verschlingt den Glauben an Höheres. Die Götter und ihr Kult werden nicht etwa gestürzt oder verdammt; sie werden unter dem Jammer "3 Bei Thukydides findet sich dieses Motiv nicht: cf, Grimm, op. cit., p. 51.

Darstellungen vom Tiersterben

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der Wirklichkeit einfach vergessen. Wenn sich Spuren kultischer Ehrfurcht und pietas noch erhalten haben, so spotten sie ihrem Sinne Hohn. Der Kampf auf Leben und Tod um die Scheiterhaufen (1282-85) liefert dafür das letzte, paradoxe Zeugnis (cf. 1272-85). Festzuhalten ist: .die kompositorische Technik des Lukrez besteht darin, das allgegenwärtige Ereignis des Todes in statischen, deutlich voneinander abgesetzten Motiven heraufzubeschwören. Eine innere Verbindung zwischen den Bildern entsteht - unabhängig von ihrer umstrittenen Anordnung - durch ihre zielgerichtete Intensität: die variatio des Einzelnen meint im Grunde immer das gleiche Furchtbare des Todes. Bei der Überlegung, was Lukrez mit seiner Pestszene sagen wollte, können uns drei Leitbegriffe dienlich sein: Tod — Angst — wahre Sittlichkeit. Eine Rangfolge innerhalb dieser Stichworte hat sich bereits herausgeschält: der Tod ist das beherrschende Motiv. Eine grammatische Beobachtung festigt dieses Urteil. Lukrez liebt es, abstrakte Begriffe als handelndes Subjekt einzuführen, gerade dort, wo die aktive Verbform wirklich empfunden wird.!* So haben Krankheit und Tod oft schon rein grammatisch die Gestalt zerstörender Mächte.!? Diese erschöpfen sich nicht in ihrer natürlichen, unpersönlichen Wirkung; sie agieren mit „eigentümlicher Absichtlichkeit, mit persönlich empfundener Lebensfeindschaft und Zerstörungsfreude‘.!® Die einzelnen paradoxen Bilder des Sterbens lassen das Gefühl aufkommen, als sei die empfindungslos wirkende Naturkraft des Todes von einem „grausamen

Mutwillen‘“?

angetrieben. Der

Mensch ist angesichts dieser Naturkraft nur willen- und hilflose Kreatur, die vom Unglück betroffen wird. Die Pestszene am Ende des lukrezischen Werkes zieht ein Fazit: sie ist im Sinne des Dichters mehr als ein einmaliges Ereignis, sie ist das Symbol menschlicher Ohnmacht überhaupt. In der Einmaligkeit des Vorfalles spiegelt sich das ganze Wesen des Menschen. Es ist beständig von den zerstörenden, feindlichen Kräften der Natur umgeben und bedroht. Alles umfängt zu jeder Zeit der Tod. Seine Allmacht entreißt den Sterblichen ihr geistigseelisches Sein. Sie macht sie zu passivem Stoff, der irgendwann und irgendwie zerfällt, und diese Notwendigkeit schließt den Gedanken des Tragischen aus. Der Mensch ist zu sehr bloß materielles Objekt der Todesgewalten, um vor 14 Vid. Klepl, op. cit., p. 84. 15 extorquebat enim vitam vis morbida membris (1224); (non) cessabant apisci]... alios avidi contagia morbi (1235sq.); id. ..cumulabat funere funus (1237); nec poterat quisquam reperiri, quem neque morbus/nec mors accumulabat (12508q.); delubra replerat/mors (12728q.). 16 K]epl, op. cit., p. 83. 17? Ibid., p. 83.

46

Die Georgica

ihnen als tragischer Gegenspieler auftreten zu können. „Der Widersinn in den Ereignissen - daß Eltern über den Kindern sterben, daß die Heiligtümer voller Leichen sind - kommt den Betroffenen nicht zum Bewußtsein. Was geschieht,

ist entsetzlich, aber problemlos.

Die unheimliche

Gewalt

der lukrezischen

Pestdarstellung beruht gerade auf diesem: so ist es“.!® In dieser Deutung des Todes liegt etwas Empirisch-Objektives, das die Frage nach dem Sinn bewußt außeracht läßt. Aber gerade hier liegt der Ansatzpunkt, die beiden Motive ‚Angst — wahre Sittlichkeit‘, die im Totentanz fast ersticken, zu deuten. Die Einsicht nämlich, daß der Tod doch nicht diabolische Gewalt, sondern nur zufälliges Spiel der Atome ist — wie alle Erscheinungen, gleich ob freundlich oder entsetzlich (cf. Schilderung der Entstehung der Seuchen 6,1090sqq.) — sie

allein hilft dem Weisen, furchtlos selbst dem Äußersten gegenüber seine sittliche Haltung zu wahren, wie sie seine sittliche Haltung, in der allein das Dasein sich erfüllt, erst begründet. Dieses Ethos, das Lukrez der absoluten Hinfälligkeit alles Geschaffenen entgegenhält, ist freilich kein reiner Sieg des Geistes. Die Faktizität des Grausigen läßt auch im Weisen Spuren mitleidsvoller Schwermut zurück. Wieweit der Dichter mit diesem jeglichem Optimismus fernen Heroismus die Todesfurcht wirklich überwunden hat, bleibt fraglich. Er wollte jedenfalls ihre Überwindung und will so verstanden werden. Nach der kurzen Andeutung des Krankheitsverlaufes (482-85) setzt bei Vergil die Beschreibung der Wirkungen der Seuche mit einem auffälligen Fanal ein: saepe in honore deum medio stans hostia ad aram, lanea dum nivea circumdatur infula vitta, inter cunctantis cecidit moribunda ministros. aut si quam ferro mactaverat ante sacerdos, inde neque impositis ardent altaria fibris, nec responsa potest consultus reddere vates, ac vix suppositi tinguntur sanguine cultri summaque ieiuna sanie infuscatur harena

(486-93).

Wir werden in eine Situation geführt, die für den Krankheitsverlauf selbst unwichtig ist. Sie erhält vielmehr ihre Bedeutung durch eine vertiefende, geistige Beziehung der Handlung. in honore deum meint nicht allein die äußerliche Opferhandlung, sondern mehr noch ihre Erhabenheit und kultische Weihe. Die Sphäre des Heiligen, Reinen wird im folgenden Vers (487) verstärkt zur Geltung gebracht. Die Wortfolge weist harmonische Symmetrie auf (Verschränkung ab/AB). Sämtliche genannten Gegenstände sind sakraler Art. Die weiße Farbe 18 Ibid., p. 69.

Darstellungen vom Tiersterben

47

(nivea) symbolisiert Reinheit. Gerade wollen die arglosen Opferdiener mit dem Ritus beginnen: da stürzt inmitten der feierlichen Erwartung das Opfertier ohne Todesstoß am Altare hin. - Mit dem.cecidit (488) schiebt sich unvermittelt das Unheimliche in den Kreis der Solennität. Der Ausdruck wird umrahmt von

den beiden mehrdeutigen Worten cunctantis und moribunda. cunctantis: die Priester haben kaum erst das Opferwerk begonnen und zögern nun verwirrt, was zu tun sei. moribunda: das Tier soll nach dem Ritual des Todes sein, aber nun ist sein unvorhergesehenes Ende zum bösen Omen geworden. In einem dramatischen Vorgang — der Gegensatz zwischen dem Zaudern und dem plötzlichen Zusammenbrechen des Tieres wird rhythmisch nachgestaltet (spondeischer Verseingang; Dactylen malen die unerwartet einsetzende Bewegung innerhalb der Szene) - wird eine Grundstimmung spürbar, die von unheimlicher Überraschung,

ja heillosem

Entsetzen

geprägt

ist. Wir

bereits in der Schilderung des Krankheitsverlaufes

fanden

diese Stimmung

vorbereitet

(cf. supr. zu

482-85). Hier wird sie zielbewußt verstärkt, namentlich in den folgenden Versen, wo sich der Kontrast zwischen dem vertrauten und dem abartigen Opferritus weiter zuspitzt. Die Eingeweide werden von den Flammen nicht angenommen, wenn man versucht, nach der Schlachtung das Opfer fortzuführen (490). Die

reinigende Kraft des Feuers versagt, wie auch alle Zeichen versagen: der Priester des göttlichen Willens sieht sich zum Schweigen gezwungen (491). Der Zusammenhang des Menschen mit einer höheren göttlichen Welt wird fraglich. Eine weitere unheimliche Erfahrung besteht darin, daß bei der Handhabung des Opfermessers das erwartete Resultat ausbleibt (492). Bisher sind alle Vorgänge am Maßstab des regulären Opferherganges dargestellt worden (qua Negation: neque 490; nec 491; vix 492). Von jetzt an (493) erscheint das Irreguläre positiv ausgedrückt. ieiuna sanie (Eiter, verdorbenes Blut) steht für sanguine, das entstellende infuscatur für ein neutrales tinguntur. Die Verse 492sq. entsprechen einander bis in die Anordnung der Satzglieder (nur Verbum und Ablativ sind ausgetauscht). Der Kontrast wird also durch Satzparallelität betont: die gewöhnlichen Erscheinungen beim Opfer zeigen sich in fremder Gestalt. Unverkennbar ist an der ganzen Stelle der Anstieg von der positiven Darstellung des Opfers (486-88) über die negative (489-92) bis zum ausdrücklichen Zusammentreffen der Gegensätze im letzten Vers (493). Die dramatische Geschlossenheit sichern außerdem die Endworte jedes Verses; sie gehören alle der sakralen Sphäre an (aram-vitta-ministros-sacerdos-fibrisvates-cultri)."® Das Versagen des Opfers soll dadurch nur um so erschreckender als Vermittler

1% Cf. mit dieser Leitwortkette die durch in der Sentenz G. 3,66-68; vid. p. 30.

Endstellung

hervorgehobenen

Begriffe

48

Die Georgica

und unerklärlicher erscheinen. Ferner ist zu bemerken, daß auf der Sinnfälligkeit des Abstoßenden kein übergroßer Nachdruck liegt. Entsprechende Vorstellungen ordnen sich der eigentlichen Aussage unter (cf. 493). Die vom Göttlichen durchwaltete Naturordnung bringt bisher unbekanntes Unheil. Sie verweigert Erkenntnis oder Bestätigung der göttlichen Gesetze. Die höhere Einheit von Welt und Göttlichem ist damit bedroht: sie beginnt, sich in das unverstehbar Böse zu verkehren. Hierin liegt die Furchtbarkeit der Seuche. Sterben und Tod werden erst in der Beziehung auf die hostia bedeutsam. Die Verkehrung der natürlichen Verhältnisse zeigt sich noch eindringlicher in den folgenden Bildern, wo das formale Paradoxon restlos im inhaltlichen aufgeht. Die Verse 494-97 gehören zusammen:

binc laetis vituli vulgo moriuntur in herbis et dulcis animas plena ad praesepia reddunt; binc canibus blandis rabies venit, et quatit aegros tussis anhela sues ac faucibus angit obesis. Die Gräser sind gewöhnliche Nahrung und Wonne der Kälber; jetzt verenden die Jungtiere in ihnen.?° Die Krippe ist der Ausdruck von Lebenserhaltung, Sattwerden, von Fürsorge und Pflege. Und gerade hier sterben die Tiere. Die Hunde, besonders anhängliche Kreaturen,?! werden zu tollen Bestien (496). Bei den Schweinen tritt eine unnatürlich geschwollene Kehle auf. Das Gegenbild wird nicht gezeigt, aber die Phantasie mag es unwillkürlich im feisten Nacken des gesunden Tieres finden.?” Dazu leiden sie noch an einem Husten, der ihnen Erstickungsqualen bereitet (497). Der naturgemäße Ablauf des Lebens ist durch die Krankheit also auch unter den in der Obhut des Landmannes stehenden Tieren gestört.

Mit Vers 498 berührt die Schilderung in wohlbedachtem Crescendo bereits bekannte, große Motive. Es sind die beiden dem Leser vertrauten Wesen des dritten Buches, Pferd und Stier, die wiederum als Einzelgestalten die Szene beherrschen (equus: 498-514; bos: 515-30). Aber die beiden großen Themen 20 In Vers 480 hatte Vergil darauf hingewiesen, daß selbst die Weide vom Peststoff vergiftet wurde. Der Widerspruch dieser Stelle mit den herbae laetae (494) läßt sich mit der Annahme lösen, daß Kälbersterben und Vergiftung der Weide sukzessive Stadien der Seuche darstellen. Noch besser scheint es zu sein, über diesen Widerspruch überhaupt hinwegzuschen, da laetis herbis als Kontrast lediglich ganz situationsbezogen gemeint ist. ®1 Cf. Lucr. 6,1222: fida canum vis. Wörtliche Entlehnungen aus L. gab es bei V. bisher noch 495: animas reddunt; cf. Lucr. 6,1198: reddebant.. .vitam. °° C£. die Antithesen im Vorhergehenden, die zu solchen Ergänzungen anregen.

Darstellungen vom Tiersterben

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der ersten Buchhälfte werden nunmehr von der dunklen Seite des Lebens aus betrachtet.

labitur infelix studiorum atque immemor herbae victor equus

(498sq.).

Die Satzbewegung läuft vom Verbum labitur über das Versende in den Zentralbegriff victor equus hinüber; der Sinnblock ist sofort durch den Kontrast wankend-siegreich eingerahmt. Mit der Apposition victor hebt sich die edle, an menschliche virtus gemahnende Natur des Rosses über die der geringeren Haustiere hinaus. In derselben Richtung wirkt die Erwähnung der studia. Was nützen aber Fähigkeiten ohne die Kraft, sich in ihnen zu üben? Das herrlichste Geschöpf muß jetzt am qualvollsten leiden. Die Paradoxie dieser Erfahrung erhellen zahlreiche Krankheitssymptome, diesmal auf ein Lebewesen vereinigt, während bisher die Krankheitsmerkmale sparsam auf die einzelnen Tiere verteilt waren (494-97 gegenüber 498-502: erste Phase der Krankheit; sossqg.: Endphase).”? Die Mitteilung medizinischer Details - ein feiner Zug vergilischer Kunst - entspricht an diesem Orte dem Charakter des Lehrbuches ebenso wie sie dazu geeignet ist, den weit über das Lehrhafte hinausgreifenden Hintergrund sichtbar zu machen. Das Roß weigert sich zu trinken®* und scharrt unruhig mit dem Huf am Boden; seine Ohren hängen herab (499sq.). Das Fell ist von eigenartigem Schweiß bedeckt und fühlt sich im Gegensatz zu seiner natürlichen Geschmeidigkeit hart und spröde an (soisq.). Späterhin steigert sich der kühne ardor des Pferdes zu einem seltsamen furor: fiebrig glänzen die Augen, schwer und seufzend geht der Atem (505-7). Die Symptome des Blutflusses und der im geschwollenen Schlund pressenden Zunge begegneten uns bereits bei Lukrez.?® Am Ende steigert sich das Leiden bis zum Gespenstischen: der Wein, eigentlich zur Erfrischung gedacht, bringt das Tier zur Raserei. Seine angeborenen Vorzüge, Angriffsmut und Ausdauer, kehrt es - bereits vom Pesttode gezeichnet — gegen sich selbst (512-14). 23 Die Symptome sind nach Lukrez gebildet. Cf. G. 3,500 mit Lucr. 6,1187; 3,502 6,1194; 3,503—-6,1182.

24 Auch diese Einzelheit (cf. p. 48) steht streng genommen im Widerspruch zur Generalbeschreibung der Seuche: ignea sitis (482sq.) leitet die Krankheit ein. Im Erststadium verschmäht aber gerade das Roß den Trank (cf. 499/503). Das Problem läßt sich nicht dadurch lösen, daß man mit Jahn, op. cit., Bd. I, p. 211 Anm. zu 482 ignea sitis als ‚Fieberglut‘ deutet, denn sitis ist eindeutig als Durstverlangen nach liquor zu verstehen, als Antithese zum fluidus liquor (484) der zweiten Krankheitsphase. 25 Cf. G. 3,505 mit Lucr. 6,1146; 1186; G. 3,507 — Lucr. 6,1160; 1147; G. 3,511 Lucr. 6,1229.

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Die Georgica

Bei Lukrez geraten die Menschen durch die Schrecken der Seuche an den Rand des Wahnsinns. Sie werden charakterlos und gemein. Bei Vergil dagegen bleibt dem Tier, auch wenn es im Wahnsinn verendet, doch ein Schein innerer Würde. In seinem Sterben liegt eine Tragik, die Lukrez nicht kennt. Der Leser wird in den Bannkreis des Tierschicksals gezogen, sein und des Dichters mitleidsvoll erregtes Gefühl schafft sich gleichsam Befreiung in dem Stoßgebet:

di meliora piis erroremque hostibus illum! (513). Der Tod der Pflugstiere muß als ergänzendes und erweiterndes Pendant zum Sterben des Pferdes gesehen werden. Dort fällt ein edles Wesen der Vernichtung anheim, hier scheinen im Tode Billigkeit und Gerechtigkeit aufgehoben. Nirgendwo stehen so mitleidheischende Ausdrücke, wird der Ton der Klage so laut wie hier.?” Beim Roß war der Verlauf des Leidens näher beschrieben, hier stellt uns der Dichter den Tod selbst eindringlich vor Augen (5315-17; 522-24). Das Ende tritt mitten in der mühseligen, aber treu und geduldig ertragenen Arbeit

(sıs: sub vomere; 519: opere in medio) ein, durch kein Verschulden gerechtfertigt. In stummer Verzweiflung spannt der Bauer das zweite Zugtier aus:

maerentem abiungens fraterna morte iuvencum

(518).

Diese ergreifende Szene deutet zweierlei an: Mensch und Tier stehen in einer Lebensgemeinschaft, in der einer auf den anderen angewiesen ist. Der gemeinsame Lebenskreis schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das die unvernünftige Kreatur der vernünftigen beinahe gleichstellt.°® Die Anteilnahme des einen Zugtieres am Tode des ‚Bruders‘ schließt den Ring der Verbundenheit mit einer geradezu menschlichen Gefühlswärme, von der sich die Gnadenlosigkeit des gegenwärtigen Schicksals nur um so dunkler abhebt. Denn das ist das andere: durch den Tod des Pflugstieres wird ja keine beliebige Arbeit liegengelassen; sondern es ist die agricultura, die reinste Form des labor, die durch den Seuchentod in Frage gestellt wird. Das bedrückende Bild des verlassenen Pfluges (519) ist das Zeichen des Unsegens, der über das Land kam. Wer ist schuld an diesem Tode? Die Tiere selbst können es nicht sein. Sie leben natürlich und °° Zur Geschichte dieses Gedankens vid. Richter, op. cit., p. 322sq. °" Die Partie wird eingeleitet mit einem emphatischen ecce (515). Die Klage zeigt sich weiterhin im tristis arator (517); im maerentem. . .iuvencum (518). In der klagenden rhetorischen Frage (525) und in der abwägenden Gegenüberstellung (526sqq.) kommt der Schmerz des Dichters über die Wirkungen der Krankheit besonders deutlich zum Ausdruck. °® Cf. W. Liebeschuetz, Beast and man in the third book of Virgil’s Georgics, Greece and Rome 12, 1965, 64-77.

Darstellungen vom Tiersterben

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haben keinen Teil an den verderblichen Erscheinungen der Zivilisation (526-30: zugleich ein Nachklang der rühmenden Worte über das Landleben, cf. G. 2,461sqq.). Die Tiere sind gut, wie die natürliche Ordnung gut ist. Warum erwuchs dann gerade dem Guten, Reinen solches Unheil? Des Pferdes wie des Stierpaares Tod erhebt diese eine, letzte Frage; sie bildet den gemeinsamen Nenner des sonst streng individuell dargestellten Sterbens dieser Tiere. Bevor wir auf die vergilische Antwort auf diese Frage eingehen, sei das Individuelle der Sterbeszenen von Roß und Stier noch näher betrachtet. Vergil besitzt die Fähigkeit, die Lebewesen in ihrer Eigenart zu erfassen. Er bildet nicht nur ihr Äußeres ab. Das Pferd ist in all seinem Tun bestimmt durch seinen feurigen Charakter, durch seinen leidenschaftlichen impetus. Der Stier dagegen erscheint gleichmütig und geduldig. Die Wesenszüge der Tiere werden nie in abstracto genannt, sondern stets unmittelbar im lebendigen Bild ausgedrückt. Der kluge, temperamentvolle Charakter des Rosses erweist sich in den studia (cf. 498), der duldsame der Pflugstiere im Ertragen des labor. Im Pesttode zeigen sich die Temperamente der Tiere im Extrem: sie sterben sozusagen ihrem Wesen gemäß.?? Das Roß endet in rasender Selbstzerfleischung (514), während die beiden zauri ihrem Schicksal, das sie nacheinander erleiden, zwar qualvoll, aber ohne innere Auflehnung erliegen. Der eine von ihnen verendet mitten in der schweren, geduldig ertragenen Arbeit, der andere, vom Landmann ausgeschirrte, sinkt, ohne noch an Weide und Wasser Gefallen finden zu können, schwer und matt dahin, nachdem seine ohnehin langsamen Bewegungen ganz zum Stillstand gekommen sind: at ima

solvuntur latera, atque oculos stupor urget inertis ad terramque fluit devexo pondere cervix (522-24).

Nicht zuletzt zeigt der formale Umriß der Todesszenen den Charakterunterschied. In konzentriertem, sachlichem Ablauf werden beim Roß Krankheit und Tod geschildert. Die Darstellung entspricht der herben, feurigen und doch disziplinierten Wesensart des Tieres. Der Tod der Stiere dagegen verläuft in ausgedehnten, empfindungsvollen Bildern von rückläufiger Bewegung: vom Ereignis des Sterbens werden wir in das frühere Leben zurückgeführt. So ergibt sich das schwermütige Gesamtbild eines mühseligen, in seiner Treue ungelohnten kreatürlichen Daseins (515-30). Mit s31sqg. rückt das Universale in den Mittelpunkt. Die Welt ist durch die Pest bis ins Innerste verwirrt. Zunächst zeigt sich die Verkehrung in zwei Situa29 Diese Art des Ausdruckes findet sich späterhin in mannigfach abgestufter Form bei den Todesbildern und Sterbeszenen der Kampfschilderungen der Aeneis: cf. p.228sqgg.

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Die Georgica

tionen, die nunmehr aus der Sicht des Menschen heraus beleuchtet werden. Es gibt keine Kühe, die man der Iuno opfern könnte, und keine Zugstiere für die heilige Prozession (531-33).?° Die Landleute, bereit, den Gottesdienst dennoch zu erfüllen, müssen sich kümmerlich behelfen (533). Die Götter versagen sich anscheinend selbst das Opfer. Aber auch bei der Arbeit fehlen den Bauern die Tiere. Durch das Unheil des Todes sind die Bewohner Noricums auf eine primitive Daseinsstufe zurückgeworfen. Sinnfällig deutet Vergil durch die Beschreibung der sich plagenden Menschen noch einmal auf den Segen hin, den die Tiere bedeuteten (534-36). Bei Lukrez verbreitet sich die Darstellung der Pest aus einem Steigerungsbedürfnis. Es gibt bei ihm keinen bildhaften Einfall, der nicht dazu dient, den Bereich des Verderbens auszudehnen. Vergil wendet das gleiche Mittel der Verbreiterung viel feiner an: Mit umfassender Systematik wird ein Lebensbereich nach dem anderen der Zerstörung preisgegeben. Völlig neu, verglichen mit Lukrez, sind in seinem Todesgemälde alle Wassertiere, ferner die Schlangen.*! Die ferae verhalten sich plötzlich widernatürlich (537-40). Lukrez sagt: languebant pleraque morbo et moriebantur (1221/2). Vergil geht ins Detail: der Wolf läßt Herden und Hürden unbehelligt (537sq.); die ängstlichen Rehe und flüchtigen Hirsche irren mit den Hunden gemeinsam umher (539sq.): was den Menschen der Traum vom Goldenen Zeitalter als glückliche Wunschvorstellung eingab, ist hier sinnlose Wirklichkeit geworden.?? Den weiteren in das Sterben hineingezogenen Bezirken gehen durch die Seuche bestimmte, dauerhafte Eigenschaften verloren. Gewöhnlich nährt das Meer zahllose Lebewesen. Jetzt birgt es den Tod in seiner Tiefe und ist seinen Bewohnern so verderblich wie dem Schiffer, der einem anderen Element angehört (542: ceu naufraga corpora). Es gibt keine Geborgenheit auf der Erde mehr (544: frustra defensa latebris vipera), und die Luft, lebenspendend sonst, läßt die Vögel tot herabfallen.®® Für all das hat die Viehseuche nur einen Vorstellungsanhalt geboten. Das Sterben ist zu einem allumfassenden, kosmischen Sterben geworden.®* Von Vers 548 an verschärft sich der Kontrast zusehends. Im Sinne des Gegen» Zu den boves und uri vid. Richter, op. cit., p. 324. #1 Die Gliederung dieses Teiles (537-47) dehnt die lukrezischen Elemente der Schilderung: 537-39 handelt vom Wild, 540. von den Hunden (wie bei Lukrez, cf. 1219-23). Die Vögel kommen erst 546sq. an die Reihe. Dazwischen ist die Rede von Fischen, Robben und Schlangen. Die Aufzählung folgt einer bestimmten Anordnung der kosmischen Elemente: Landtiere (537-40); Wassertiere (541-43); Amphibien - als Bindeglied — (5445q.) ;Luftbewohner (546sq.). NE IE Sadeieh » Die Luft ist gerade der eigentliche Krankheitsherd: vid. 478. »* Cf. die Ausführungen zur fünften Ecloge, p. 14sqgq.

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satzes fügt sich das Motiv der wirkungslosen Mittel zwanglos ein. Wechsel des Futterplatzes nützt nichts mehr (548). Die menschlichen artes (549) schaden, obwohl sie im Gegensatz zur Auffassung des Lukrez von der Ohnmacht menschlicher Fertigkeiten gegenüber den Naturgesetzen hier als ein segenspendender Teil der Natur von göttlichen Lehrmeistern eingesetzt sind (Chiron, Melampus: 5495q.).” Die Sphäre des Göttlichen wird wieder (550) berührt.3® Die Sicht hat sich vollends ins Universale geweitet: in der Gestalt der Tisiphone (552) sind alle zerstörenden Mächte und Dämonen des Todes verkörpert. Wieder greift Vergil auf Lukrezisches zurück. Seine Tisiphone ähnelt der bei Lukrez als Schreckdämon vorgestellten religio: quae caput a caeli regionibus ostendebat (Lucr. 1,64).

Bei Vergil heißt es: avidum surgens caput altius effert (553).

Jetzt wird auch das catervatim mori mit lukrezischen Wendungen ausgesprochen.” Die von den Klagelauten der gequälten Tiere widerhallenden Hänge sollen zuvor freilich Mitgefühl wecken.?® Wesentlich ist die Anordnung der Verse 554-537. Auf das eindringliche Todesmotiv (grauenvoll direkt ist das Bild 556sq., in dem es von Tisiphone heißt: iamque catervatim dat stragem atque aggerat ipsis

in stabulis turpi dilapsa cadavera tabo,

hier erreicht Vergil zum ersten- und letztenmal lukrezische Dimensionen Sinnfälligkeit) folgt unmittelbar der Umschlag der Handlung:

der

donec humo tegere ac foveis abscondere discunt (558).

Die Seuche hört plötzlich auf, als man die Kadaver vergräbt und so die Krankheit des Himmels verbirgt. Vers 558 deutet das Ende des schrecklichen Sterbens an. Die infinitivische Konstruktion samt der gelöst wirkenden symmetrischen Aufgliederung gibt ihm den Charakter eines Haltepunktes. Die abschließende Geste mit donec behält ihre Gültigkeit, aber sie wird doch noch einmal vom Su Cr Richter, op..cits P. 327. 36 Of. 486-93. 37 Catervatim (556) — cf. Lucr. 6,1144; 1263; aggregat (556) - 6,1237 (cumulabat); 1263 (accumulabat). 38 ssysq.: hier werden akustische Sinnesdaten zur Schilderung des Sterbens herangezogen. Sie sind nicht eben häufig anzutreffen, auch nicht in-den Kampfszenen der Aeneis. Vergil bevorzugt eindeutig visuelle Sinnesdaten: cf. H. Gauger, Optische und akustische Sinnesdaten in den Dichtungen des Vergil und Horaz, Stuttgart 1932.

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Schrecklichen in den Hintergrund gedrängt: alles, was seiner Natur nach sonst überlebt, wird von der Seuche mitvernichtet. Die Häute, sogar die Wolle der Tiere sind von den Krankheitskeimen unrettbar verseucht; bei ihrer Verwertung droht sogar dem Menschen ein qualvolles Ende. Neben der Andeutung der Rettung (558) bleibt das Unheimliche bis zuletzt vorherrschend. Vergleichen wir abschließend die Aussagen, die hinter den beiden Pestdarstellungen sichtbar werden: Vergil wie Lukrez geben der Seuche universale Bedeutung; Lukrez unwillkürlich, als Beispiel für die grundsätzliche Stellung des Menschen zur Natur. Was in der Natur geschieht, spielt sich ab nach wertfreier Gesetzmäßigkeit, aber aus der Sicht des Menschen heraus nimmt es die Züge unbedingter Feindseligkeit an. Vergils Pestdarstellung ist in einem besonderen Sinne universal. In seinem vom Göttlichen durchwalteten Kosmos besitzt selbst das Geringste seinen unaustauschbaren Platz im Ganzen. Die für den Menschen normativen Werte stammen ersichtlich aus der göttlichen Welt, die über die Bewahrung dieser Werte wacht. In die göttlich-menschliche Gemeinsamkeit der Werte ist auch die Kreatur als unentbehrliches Glied einbezogen - als hostia zur Vermittlung des göttlichen Willens, als bos und eguus zur Erfüllung des ewigen Auftrages, des labor. Organische Gesetzmäßigkeit in der Natur (Leben und Sterben) und ethisches Bewußtsein des Menschen hängen zusammen: sie gehen auf in derselben göttlichen, universalen Naturordnung, die als sinnvoll und sittlich gut betrachtet werden muß. Widernatürliches -— wie das Massensterben - ist zugleich Widermenschliches und Widergöttliches: Das Wüten der Seuche ist bei Vergil Weltzustand des Ungesetzmäßigen und Widersinnigen.”° Für Lukrez ist der Pesttod - und damit der Tod überhaupt — weder sinnvoll noch sinnlos: er ist eben, und er ist erklärbar nach den Gesetzen des Atomzerfalles. Vergil versteht gewöhnlich Leben und Tod als sich einander die Waage haltende Mächte, deren Sinn in der Vergegenwärtigung ihres Wechselbezuges aufgeht.?! Aber daneben gibt es doch die Möglichkeit einer überhandnehmenden dämonischen Kraft der Zerstörung. Dem Verstande ist sie unerklärlich, um so mehr aber erschüttert sie das Menschenherz. Im Gegensatz zu Lukrez stellt Vergil die Frage nach dem Sinn des Massensterbens: sie durchzieht indirekt

ansvid.uKlepnlop. cinspara: 40 Auch G. 3,66-68 ist in diesem Sinne zu verstehen: Alter und Tod sind schreckliche Gegebenheiten, aber es gibt neben ihnen doch auch die optima dies. Ferner drückt sich die Auffassung vom Gleichgewicht zwischen Tod und Leben in den kontrastierend gegenübergestellten Liedern der fünften und achten Ecloge aus. C£. p. 125q.; 18sq.

u

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die erste Hälfte der Darstellung,*! bis sie im unmittelbaren Schmerz über das Geschehen verstummt. Gleichwohl muß die Antwort für den Dichter lauten: das Massensterben ist sinnlos; andernfalls müßte er an den ewigen Gesetzen der Naturordnung, die er in ihrer sinnvollen Harmonie in den Georgica gerade deutlich machen will, irre werden.“ Bei Lukrez vermag der Mensch (der Weise) eine autonome Sittlichkeit dem Tode gegenüber zu behaupten. Sie zeigt sich in einem hoffnungslosen, wissenden Trotz, welcher der Todesfurcht die Stirn bietet. Bei Vergil verbreitet Tisiphone Todesfurcht, unüberwindliche Todesfurcht, denn sittliche Widerstandskräfte sind hier nicht autonom, sondern den Sterblichen von den Göttern verliehen. Sittlichkeit ist das im Menschen wirkende Göttliche und kann allein unter dem Beistand der Götter bewahrt werden. Die höheren Mächte aber versagen ihre Hilfe in der Not des Sterbens. Sie selbst scheinen die Möglichkeit zu vereiteln, ihnen in rechter Weise - im Opfer, im Kult - fragend und bittend zu nahen. Der Mensch sieht sich als sittliches Wesen alleingelassen und muß an den ewigen Ordnungen verzweifeln.” Seine Angst entspringt realer Bedrängnis durch die Seuche und metaphysischer Verlassenheit. Was kann diese Angst heilen? Merkwürdigerweise die Angst selbst. Der Mensch verzichtet aus Todesfurcht auf den Nutzen (558) und findet auf diese Weise den Weg der Rettung. Letzten Endes restituiert sich die göttliche Naturordnung damit selbst in dem Augenblick, wo ihr Zusammenbruch fast zur Gewißheit geworden scheint. Aber die Schlußverse des dritten Buches (559-66) sprechen nach der Peripetie (558) noch einmal vom Tod: wir sollen das Hoffnungsvolle

ahnen, nicht schauen.

Exkurs: Die wenigen Darstellungen vom Tiersterben neben dem Szenenkomplex der Norischen Viehpest lassen sich in die beiden Bildgruppen ‚Jagdmotive‘ und ‚Opfermotive‘ aufgliedern. Für die Jagdmotive ist teilweise der Ausdruck unbeschwerter Jagdfreude, die im Töten des Wildes zugleich der Sorge um Nahrung genügt, kennzeichnend:

tum gruibus pedicas et retia ponere cervis auritosque sequi lepores, tum figere dammas 4 Besonders deutlich klingt die Frage in den Versen 525sq. an; cf. Büchner (RE), 9..1301,23 25.

42 Das Massensterben erscheint dem Dichter als unheimliche Abweichung von der normalen, sinnvollen Naturordnung. 43 Symbolhaft dafür ist das Bild des tristis arator (517sqq.).

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Die Georgica stuppea torquentem Balearis verbera fundae, cum nix alta iacet, glaciem cum flumina trudunt (G. 1,307-10);

cf. G. 1,139-42; A. 1,184-94 (Aeneas erlegt sieben mächtige Hirsche). Die Geschicklichkeit beim Treffen und Erlegen von Tieren heben besonders zwei Motive hervor: Eurytion trifft im Wettkampf mit dem Bogen eine Taube in der Luft (A. 5,513-18), Camilla handhabt bereits im zartesten Alter mit erstaunlicher Fertigkeit die Schleuder (A. 11,578-80). Bisweilen deutet aber die gerade für alles Leiden so sensible Natur des Dichters auch hier die Qual der sterbenden Kreatur an: uritur infelix Dido totaque vagatur urbe furens, qualis coniecta cerva sagitta, quam procul incautam nemora inter Cresia fixit

pastor agens telis liquitque volatile ferrum nescius: illa fuga silvas saltusque peragrat Dictaeos; haeret lateri letalis harundo (A. 4,68-73).

Eine für den gesamten Handlungsverlauf der zweiten Aeneishälfte (Krieg zwischen Italikern und Troianern) zwingende Motivationskraft soll von der Beschreibung des mit fast menschlicher Empfindungsfähigkeit leidenden und das ganze Haus mit seinem Schmerzenslaut erfüllenden zahmen Hirsches ausgehen, der von Ascanius auf der Jagd getroffen wird: actaque multo perque uterum sonitu perque ilia venit barundo. saucius at quadripes nota intra tecta refugit

successitque gemens stabulis, questugque cruentus atque imploranti similis tectum omne replebat (A. 7,498-502). Den Aspekt des Leidens wie den der derben Jagdlust bringt das folgende Großbild, das die scythische Barbarei (cf. G. 3,349sqq.) auf seine Weise spiegelt: interea toto non setius aere ningit: intereunt pecudes, stant circumfusa pruinis

corpora magna boum, confertoque agmine cervi torpent mole nova et summis vix cornibus exstant. hos non immissis canibus, non cassibus ullis puniceaeve agitant pavidos formidine pennae, sed frustra oppositum trudentis pectore montem

Naturhafte und mythische Ewigkeitssymbole

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comminus obtruncant ferro graviterque rudentis caedunt et magno laeti clamore reportant (G. 3,367-75).

In den Opfermotiven wird das Töten und Niederfallen der hostia sachlich und verhalten-würdevoll erzählt, d. h. der Idee des Gehaltes kongruent, mitunter aber auch dramatisch ausgestaltet: cf. A. 2,201sq.; 223sq.: qualis mugitus, fugit cum saucius aram | taurus et incertam excussit cervice securim; zu G. 3,485sqq. vid. p. 46sq.; A. 6,2425qq.; 11,1975qg.

Naturhafte und mythische Ewigkeitssymbole Neben dem Gedanken des allgewaltigen, dämonisch-sinnlosen Todes findet sich in den Georgica auch die Vorstellung seiner Überwindung, und zwar dort, wo der Tod zusammen mit der Lebensmacht Liebe oder als zeichenhafter, mythischer Opfertod erscheint. G. 3,219-83: Die Macht der Naturkraft Liebe zeigt sich schon im Kampf der Stiere im Silagebirge (219-41). Die Episode mündet in ein elementares, für die Wucht der Liebesleidenschaft gleichnishaftes Bild: der besiegte Rivale stürzt sich erneut in den Zweikampf: fluctus uti medio coepit cum albescere ponto, longius ex altoque sinum trabit, utque volutus ad terras immane sonat per saxa neque ipso

monte minor procumbit, at ima exaestuat unda verticibus nigramque alte subiectat harenam (237-41).

Gleich darauf (242sgq.) wird mit fast hymnischer Sprachgewalt an die unbeschränkte Herrschaft der Liebe erinnert. Sie dehnt sich über alle Lebewesen aus! und macht vor dem Menschen nicht halt. Bewußt fügt Vergil das Beispiel von Hero und Leander (die Namen werden nicht genannt, weil es auf Individualisierung hier gerade nicht ankommt) zwischen die Tierbeispiele ein (258-63): die Anapher von quid (258; 264sq.) unterstützt sprachlich die angestrebte Nivellierung. 4 Wenn Silius einmal das massenweise Hinsterben im Gemetzel der Feldschlacht mit einer frischen Jagd vergleicht (15,766-77), so liegt darin etwas von jener grausigen, den Menschen entseelenden und verdinglichenden Technik der Kampfschilderung, wie sie bei Lucan entwickelt wird (vid. W. Metger, Kampf und Tod in Lucans Pharsalia, Diss. Kiel 1957 zu Luc. 3,509sqq.). 1 Die Bienen bilden eine Ausnahme: cf. G. 4,197-202 ;cf. Klingner, op. cit., p. 287sqq.; Wilkinson, op. cit., p. 131. 5

Raabe

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Die Georgica

Der Liebestrieb ist aber nicht allein universal. Vielmehr ist es Vergils Anliegen, diesen Trieb in der gedanklichen Fortentwicklung des Bildes (237-4) als furor, unter dem die Kreatur selbst leidet, zu veranschaulichen. Höchster Ausdruck dieser Besessenheit ist die Legende von der Windempfängnis der brünstigen Stuten (271sgq.): Venus hatte sich an Glaucus dafür gerächt, daß er seine Rennstuten unbegattet ließ. Die Tiere hatten ihren Herrn in wilder Brunst zerrissen und zerfleischt. Seitdem ist die Windempfängnis Ausdruck ihres Liebesfurors (267sq.). Für uns ist hier die Aussage wichtig, daß das Übermaß an Brunst fähig war, den Tod herbeizuführen. Dieser Gedanke erscheint nicht nur einmal. Auch den Bären erwächst — wie den Löwen, Ebern, Tigern (cf. 2455qq.) - in ihrer Liebesraserei die Mordlust: nec funera volgo tam multa informes ursi stragemque dedere per silvas (246-48). Die Liebesmacht ist also auf der einen Seite ein durus amor (259), das heißt, eine zerstörende Kraft. Nicht nur das äußerste Übel, der Tod, kommt mit dieser Leidenschaft über die sterblichen Wesen, sondern auch Blindheit gegenüber anderen Lebenswerten (Muttersorge: catulorum oblita leaena: 245; Pietas: nec miseri possunt revocare parentes | nec moritura super crudeli funere virgo: 2625q.); dazu Bösartigkeit (saevus aper, ... pessima tigris: 248sq.: die Bösartig-

keit zielt gedanklich zugleich auf den Tod), Schaden, Haß und Verbrechen (hippomanes, quod ... malae legere novercae | miscueruntque herbas et non innoxia verba: 282sq.). Andererseits ist es gerade der Liebestrieb, dessen besinnungsloses Streben über Tod und Todesgefahr hinausgeht - nur auf die eigene Erfüllung bedacht und der so zum Zeichen ewigen Lebenswillens und dauernder Lebenshoffnung wird: Weder Zügel noch Schläge hemmen die brünstigen Pferde, noch achten sie im furor der Liebe der Klippen und reißenden Gewässer, die ihr Leben bedrohen (252-354). Unbekümmert ob der tosenden Winde, der rauschenden Wogen und des Gewitters durchschwimmt der Jüngling den Sund, um das Ziel seiner Sehnsucht zu erreichen. Aber die aufgerührten Elemente bringen ihm für sein Wagnis den Tod,? über dessen Drohung sich seine Leidenschaft hinweggesetzt hatte (258-63). Die Beispiele lehren, daß die Ekstase der Liebe den Schrecken tilgt, den das Sterbenmüssen sonst erzeugt: indem sie im Augenblick ihrer Wirksamkeit die Möglichkeit des Todes nicht achtet, suggeriert sie für das subjektive Empfinden 2 Cf. Richter, op. cit., p. 293 zu 263.

Naturhafte und mythische Ewigkeitssymbole

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dessen faktische Nichtexistenz, ohne ihn freilich wirklich zu entmachten. Diese Art von Todesüberwindung hat mit der Todesmacht selbst das Sinnverkehrende und Verderbliche gemeinsam. Sie gewinnt nichts für das Glück des Lebens. Ein tröstliches und beseligendes Bollwerk gegen den Tod kann erst errichtet werden, wenn die Liebe als.reiner Glückszustand — nicht als durus amor — gedeutet wird oder andere positive Werte an ihre Stelle treten. Wir begegnen diesen Gedanken im vierten Buch der Georgica.

G. 4,197-227: Die Bienen sind aller animalischen Leidenschaft enthoben: illum adeo placuisse apibus mirabere morem, quod neque concubitu indulgent nec corpora segnes in Venerem solvunt aut fetus nixibus edunt (197-99).

Den Mittelpunkt ihres Daseins macht selbstloses Schaffen für die Gemeinschaft aus. Es ist ein edler Trieb, weil er lichter Ausdruck des Wesens ist, die göttliche Ordnung des Kosmos, die der Bienenstaat so vollkommen spiegelt, zu erhalten. In der Bewahrung ewiger Ordnung wird nun auch der Tod sinnvoll: saepe etiam duris errando in cotibus alas attrivere ultroque animam sub fasce dedere (203sq.).

Von Trauer über ein unabwendbares Todeslos ist in diesen Versen nichts zu spüren. Eine fast heiter zu nennende, opferfreudige Stimmung durchzieht die Aussage. Die Bienen opfern ihr Leben sub fasce wie ein römischer Soldat: Liebe zur Schönheit (amor florum: 205) und Ruhm, Honig zu schaffen, treiben sie dazu an. amor florum und gloria mellis sind aber nichts anderes als Repräsentanten des ordo. Auf dieses Letzte, Höchste, das für den Dichter ewig, sinnvoll, schön und erstrebenswert ist, zielt auch die Verehrung des Königs (210-12). Er ist das Symbol des Beständigen. Mit seiner Versehrtheit fällt der Staat, brechen die zentrifugalen Kräfte das Lebens hervor (212-14). Seine Herrschaft ist nicht Despotie, sondern bewunderte und willig anerkannte Macht (observant: 212; admirantur: 215). Um ihn als Zentrum scharen sich die Untertanen: circumstant fremitu denso stipantque frequentes (216), und sie scheuen sich nicht, für ihn ihr Leben hinzugeben: et saepe attollunt umeris et corpora bello obiectant pulchramque petunt per vulnera mortem 3 Zur pulchra mors cf. p. 207sq.; cf. Wilkinson, op. cit., p. 178sq.

(2175q.).?

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Die Georgica

Die klangliche Intensität ist in diesen Versen zum Preise des Todes aufs höchste gesteigert. Das pulchramque betunt per vulnera mortem

trennt eine Welt von

der finsteren Wut der Tisiphone (cf. G. 3,552). Die Wirklichkeit einer überindividuellen Ordnung (Bienenstaat) und das leidenschaftliche Bemühen um ihre Erhaltung sind nach Ansicht des Dichters Werte, die den Tod als Opfertod zum Diener und Bewahrer des ordo erheben. Da ist jegliche Todesfurcht fern. Im Dienste des Höchsten, Schönen erscheint selbst das Schrecklichste schön. Am Beispiel der Bienen wird angedeutet, wie Schaffenstrieb und Aufopferungswillen als den Einzelnen beseelende Kräfte den Lebenssinn im überpersönlichen Ganzen begreifen. Die überindividuelle Unsterblichkeit der Art wird vom Einzelwesen als eigene Unsterblichkeit aufgefaßt. So erscheint bei den Bienen der persönliche Tod durch die Ewigkeit des Stammes aufgehoben: ergo ipsas quamvis angusti terminus aevi excipiat (neque enim plus septima ducitur aestas), at genus immortale manet, multosque per annos stat fortuna domus et avi numerantur avorum (206-209).

Und doch bedeuten persönlicher Tod oder Aufopferung für das Ganze zuletzt nicht einmal den ewigen Verlust des Selbst, denn Leben kehrt zum Leben zurück: deum namque ire per omnis terrasque tractusque maris caelumque profundum; hinc pecudes, armenta, viros, genus omne ferarum, quemque sibi tenuis nascentem arcessere vitas: scilicet huc reddi deinde ac resoluta referri omnia, nec morti esse locum, sed viva volare sideris in numerum atque alto succedere caelo (221-27). Hier ist der Tod wirklich überwunden.? Die Bienen mit ihrem Staat sind zum

Symbol der Ewigkeit geworden.

G. 4,453-527: Das Ringen zwischen Liebe und Tod um den entscheidenden Sieg gestaltet Vergil im Orpheusmythos. Die Liebe des Sängers ist reinste, unstillbare Sehnsucht, diesich selbst um ihre Erfüllung bringt: * Die generelle Bedeutung des nec morti esse locum (226) betont E. A. Hahn, Nec morti esse locum, AJPh 81, 1960, 73sqq. Zu den stoischen Vorstellungen dieser Partie cf. E. Benz, Das Todesproblem in der stoischen Philosophie, Tüb. Beiträge 1929; Die stoische Lehre vom Tod, Stuttgart 1929; E. Hoffmann, Leben und Tod in der stoischen Philosophie, Heidelberg 1946.

Naturhafte und mythische Ewigkeitssymbole

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restitit Eurydicenque suam iam luce sub ipsa immemor heu! victusque animi respexit. (4908q.),

aber sie ist auch frei vom grausamen, tötenden Wesen des Triebes, wie es im dritten Buch beschrieben wurde. Das Einmalige der Orpheusliebe findet seinen Ausdruck in der ununterbrochenen Klage des Sängers um die geraubte Gattin (464-66). Seine Trauer wird ähnlich wie in der fünften Ecloge von der belebten und unbelebten Natur unterstützt (460-63). Der Mythos deutet die Kraft reiner Leidenschaft auf seine Weise: unverzagt betritt Orpheus den taenarischen Schlund; er durchschreitet die erhabene Pforte des Dis, und sein von Trauer und Liebe eingegebener Gesang erweicht den Hades und dessen Herrscher (467sqq.). Aber der Sieg über den Tod ist nur vorläufig. Wie in der Norischen Viehseuche aus dem Dämon des Metus (3,552) unvermittelt der Fingerzeig zur Rettung entsprang, so steigen hier umgekehrt aus der edelsten Leidenschaft plötzlich die Gewalten der Sinnlosigkeit, Wahn und Verblendung, empor (488: dementia). Orpheus bricht das Gesetz des Hades und verliert Eurydice endgültig: zum zweitenmal gelingt kein Vordringen in das Totenreich (zo2sq.). Doch was vermag das Gesetz des Hades wider diese Liebe? Erneut hebt die herzzerreißende Klage an (507sqq.), jetzt ewig vergeblich, die Klage einer Liebe, deren Beharrlichkeit zuletzt sogar dem gewöhnlichen, animalischen Liebesverlangen verhaßt wird. Nichts könnte das Lautere der Orpheusliebe mehr erhellen als der Hinweis auf die Ermordung des Sängers durch die abgewiesenen und zu rasenden Bacchantinnen gewordenen Frauen (s2osqq.). Liebesfuror und Gier, zu töten, scheinen hier wieder eins zu sein wie bei den wilden Tieren (cf. 3,246sq.). Deutlich scheidet sich so an dieser Stelle die animalisch-zerstörerische von der reinen, wenn auch tragisch verblendeten Liebe. In den Schlußversen (523-27) werden reale Macht des Todes und geistige Macht der Liebe in einem unaussöhnbaren Gegensatz getrennt.’ Das vom Nacken gerissene, im Wirbelstrom treibende Haupt des Orpheus ruft noch mit erkaltender Zunge den Namen der Gemahlin; der Schrei hallt von den Ufern wider (523sqq.). Das harte, unerbittliche Gesetz des Hades hat sich auch an Orpheus erfüllt. Sein Tod bezeugt die vollkommene Niederlage des Menschen vor dem Zugriff des Todes, dessen eingreifende Wirklichkeit Leib und Lebenskraft, vor allem aber die Kraft, Liebe zu verkünden, restlos bezwungen hat. Und doch sollen wir uns nicht gänzlich dem Eindruck des Düsteren, Hoffnungslosen überlassen. Die Schilderung des schwindenden Lebens folgt gleich nach dem Schrei: Eurydice!: 5 Die Art der Darstellung ist typisch vergilisch: der Dichter sagt direkt nichts über diesen Kontrast, sondern stellt ihn dar, läßt den Leser ihn von den Fakten ablesen.

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Die Georgica

a miseram Eurydicen! anima fugiente vocabat (526).

Dieser auf engstem Raum konzentrierte Zusammenprall von Lebens- und Liebesäußerung und Todeswirkung schafft das Empfinden eines ungeheueren Ringens. Mag auch die Stimme schließlich vom Tode vernichtet sein, es bleibt der Eindruck, daß die Liebe des Orpheus zwar vom Tode überwältigt, zum Schweigen gebracht wurde, in ihrem Wesen aber ungebrochen blieb. Das reale Sein der Orpheusliebe und deren Willenskraft, das Wesen zu behaupten, erscheinen hier wie zwei verschiedene Dinge. Der Tod zerstörte das Leben des Sängers und das Sein der Liebe; an ihrer Willenskraft, das Wesen zu behaupten, versagte sein auflösendes Werk. Anders als in diesem Paradoxon läßt sich der Eindruck der Schlußverse nicht beschreiben. Ihr Sinn jedoch ist klar: Die als reinster Glückszustand empfundene Liebe — denn wie erklärte sich sonst ihre Sehnsucht über den Tod der Geliebten hinaus? — bewahrt selbst vor der absoluten Gewalt des Todes etwas Unangreifbares. Sie ist unsterbliche Geistesmacht. Noch einmal erscheint also nach dem Jubel über die Ewigkeit allen Lebens (4,219sqq.) in den Georgica der Tod mit seiner Macht und Ohnmacht und erinnert an die in der Pestschilderung so nachdrücklich beschworene Nachtseite des Daseins. Doch seinen Schatten überstrahlt zuletzt das Wunder der Bugonie:

hic vero subitum ac dictu mirabile monstrum aspiciunt. liquefacta boum per viscera toto stridere apes utero et ruptis effervere costis,

immensasque trahi nubes, iamque arbore summa confluere et lentis uvam demittere ramis (4,554-58).

Es ist für Vergil die sichtbare, biologische Bestätigung seines Unsterblichkeitsglaubens.® ® Im Orpheusmythos stecken viele ungelöste Fragen: cf. Klingner, op. cit., p. 326sqq.; Büchner (RE), S. 1312sqq.; Richter, op. cit., p. 375sqq.; 391sqq.; T. J. Haarhoff, Vergil and Cornelius Gallus, CPh 55, 1960, 101-108; Ch. Segal, Orpheus and the fourth Georgic. Vergil on nature and civilization, AJPh 87, 1966, 307-25. Wilkinson, op. cit., p- 108sqqg.

Wir haben hier nur versucht, kurz zu zeigen, wie sich zusammen mit den Vorklängen im dritten Buch die Aussagen der Todesmotive des vierten Buches zu einem Gegenbild des dämonischen Seuchentodes vereinigen. Der Orpheusmythos scheint in diesem Gegenbild eine rückerinnernde, kontrastierende, gleichzeitig aber auch eine vorwärtsweisende Funktion einzunehmen: er enthält den Aspekt des allgewaltigen wie des überwundenen Todes. Bei seiner Deutung gingen wir von der stillschweigenden Annahme aus, daß Vergil diesen Mythos — wie den Aristaeusmythos — mit seiner ethischen Thematik von Anfang an konzipiert hat und daß die Bugonie ihrerseits von vornherein als Gegensatz zum Ende des dritten Buches gedacht war.

Proömium

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DIE AENEIS

Das Proömium

A. 1,1-33: Ohne daß ein bildlich oder real sinnfälliges Todesmotiv oder auch nur ein den Bereich des Todes deutlich berührender .Ausdruck aufträte, ist der Eingang der Aeneis doch hintergründig auch auf Todesvorstellungen bezogen. Diese Anklänge sind hinsichtlich ihrer spezifischen Funktion und Aussagekraft zu untersuchen, wobei das Augenmerk sich um der Deutlichkeit willen ebenso auf die außervergilische Epik richten muß. Noch am auffälligsten wird ganz am Anfang der Gedanke an den Streit der Waffen und damit immanent an den Tod selbst durch das einsetzende arma geweckt, ferner im Halbvers multa ... bello passus (5). Der Unterschied im Tenor ist dieser: Im ‚abstrakten‘, allgemeinen arma wird gerade mittels dieser summarischen Distanz die heroische Ebene des genus grande sogleich erreicht. Von ihr aus gesehen sind Krieg und Sterben großartige, des Gesanges besonders würdige Sujets. In Vers 5 dagegen wird die leidvolle Seite der Kämpfe hervorgehoben!, nachdem das Stichwort ‚Troiae‘ (1) bereits diesem Aspekt einen Weg gebahnt hat. j Die Andeutung des Leidvollen geht jedoch nicht fort,? sie wendet sich gleich teleologisch erhellt ins Eschatologisch-Positive: dum conderet urbem ... (cf. 5-7). Der sich anschließende Hinweis auf Mühen und Schicksalsnöte (8-11) unter dem Schatten des Todes — wie sie besonders die Bücher 9-12 mit ihren zahlreichen Kriegs- und Sterbeszenen ausmalen werden — vermag von jener Wendung zum glücklichen Ende grundsätzlich nichts mehr fortzunehmen. So tritt schon hier das Hoffende, den Römern Größe Kündende und Glaubende des vergilischen Epos hervor. Die einen Zentralpunkt römischen Geschichtsbewußtseins tangierende Erwähnung Karthagos (12sqq.) bringt einen dem ersten Abschnitt (1-11) ähnlichen, indirekten Aspekt eines Todesgeschehens. Aber während - dem Gegensatzpaar Rom-Karthago gemäß —- am Ende der Mühen des Flüchtlings Aeneas 1 Der Gegensatz liegt in ‚großartig‘ und ‚leidvoll‘ beschlossen: Der Streit verherrlicht den Mann, aber er fordert bittere Opfer: arma virumque cano (1) - multa.. .passus (5). Preiswürdig ist für den Dichter beides zugleich. 2 Ähnlich distanziert, aber prononcierter A. 1,232sq.: Troes ... quibus tot funera passis/...clauditur orbis.

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Die Aeneis

die Verheißung von Macht und Herrschaft steht, endet das Schicksal von Roms Rivalin im Untergang. Auf die Herrlichkeit und Berühmtheit (12-18) dieser von Iuno geliebten und begünstigten Stadt wird deren von der Fügung bestimmte Katastrophe folgen:? progeniem sed enim Troiano a sanguine duci audierat Tyrias olim quae verteret arces; hinc populum late regem belloque superbum venturum excidio Libyae; sic volvere Parcas (19-22).

In diesem knappen Verweis auf die Zerstörung der Feste und der umliegenden Landschaft liegt implizite ein ebenso grauenhaftes Geschehen beschlossen, wie es am Beispiel Troias im zweiten Buch ausgeführt werden wird. Daß es nicht zu viel ist, aufgrund weniger Worte derart ausmalend zu assoziieren, zeigt die detaillierte Ekphrasis der Stadt (12sqq.), zu der die Prophezeiung des Unterganges stark kontrastieren soll. Denn aus dieser Spannung im Gegensätzlichen wird vorrangig? sogleich ein wesentlicher Zug der Gesamthandlung motiviert: der Zorn Iunos. Furcht über die Vernichtung der geliebten Stätte - id metuens (23) - treibt die Göttin zum haßerfüllten Handeln gegen die Aeneaden an. Vom Komplex ‚Karthago‘ lenkt die Erzählung zurück zu den Bedrängnissen und Gefahren des profugus, womit sich der Ring dieser Einleitung schließt

(29-33). Die ausschließlich vom Blickwinkel sehr verhalten anklingender Todesmotive vorgenommene Interpretation der Einleitung der Aeneis bedarf zur rechten perspektivischen Einordnung und zur Beschreibung der Funktion dieser Motive eines Vergleiches mit sonstigen Todesgedanken und Todesbildern in den Proömien des Epos. In der Ilias begreift Homer das vom Zorn des Achill ausgehende Geschehen sogleich sehr prägnant, unverhüllt und ganz ohne distanzierende, heroisierende Tendenzen knapper oder euphemistischer Ausdrucksweise als schicksalsbedingt,® unsäglich schrecklich und leidvoll.* Bei ihm findet das preiswürdig Erhabene des Krieges keine Erwähnung: es leitet sich im Verlaufe der Handlung aus der Darstellung der das Geschehen tragenden Helden gleichsam von selbst ab. Das gilt es zu beachten, um das anfänglich ganz negativ gezeichnete Wesen des Krieges nicht zu verabsolutieren. Bezeichnenderweise wird hier in der ® Cf. J. P. Brisson, Carthage et le fatum. Reflexion sur un theme de 1’ Eneide. Hommages ä M. Renard 1, Paris 1969, 162-73. * Die übrigen Gründe vid. 23-28. 5 Auög Ö’Ererelero BovAN, (5). re Are ine, (2).

Proömium

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Einleitung gerade nicht das Kampfgeschehen selbst negativ gesehen, sondern erst seine Folgen:

roMag S’ipdtuoug buyds "Aidı rrpotabev NPOWV, MOTOUG ÖE EAmpıa TeÜxXE XUveoaıv olwvoiot re räcı, (3-5). Diese beiden unmittelbaren Bilder? - sozusagen ein Modell für alle späteren eindrucksvollen, realistisch-direkten Todesbilder im Epos - rücken ins sinnenhaft Gegenwärtige, was sich an Grauen des Krieges bei Vergil nur assoziativ erahnen läßt. Die Ilias beginnt mit einem wirklich ausgeführten, ihr gesamtes Geschehen scharf charakterisierenden und wertenden Todesmotiv von beherrschender Funktion. Die Eingangsverse der Odyssee (1-10), das Vorbild für den Beginn der Aecneis, entbehren der Aussicht auf eine alle Mühen des Helden belohnende Zukunft. Indem sie sich rein auf den Bereich abenteuerlicher Irrfahrt beschränken, gewinnt auch das in ihnen auftretende Todesmotiv (Hinweis auf den Verlust der frevelnden Freunde: 6-9) keine zusätzliche Bedeutungsdimension über den Rahmen des vorankündigenden Episodenhaften hinaus. Gleich episodenhaft, aber doch als aktionsauslösendes Motiv® in seiner Bedeutung erhöht, ist in den Argonautica des Apollonios Rhodios die Ankündigung, Pelias drohe dereinst der Tod durch den Plan eines Mannes, der nur an einem Fuße beschuht im Volke erscheinen werde (5-7). Im Proömium der Argonautica des Valerius Flaccus tritt kein irgendwie relevantes Todesmotiv auf. Der Hinweis auf die Kriegstaten von Domitian und Titus (13sq.) ist rein panegyrischen Charakters und so knapp und bloß auf die ‚technische‘ Seite des Kampfes bezogen - spargentemque faces et in omni turre furentem (14) -, daß der Gedanke an ein Todesgeschehen hier kaum aufkommt. Lucan entwickelt innerhalb des Proömiums? der Pharsalia in den Versen 1-32 (sqq.) mit der nachdrücklichen Hindeutung auf den Frevel des Bürgerkrieges (1sqq.) eine entsprechende Todesthematik, wie sie in solcher Konsequenz in Stimmung und Ausdruck im epischen Proömium bisher noch nicht aufgetreten war. Dem römischen Sendungsbewußtsein gemäß - als dessen Künder uns bereits Vergil begegnet ist - sieht Lucan das Verdammungswürdige des Mordens im Kriege allerdings nur in der Gegnerschaft von Bürgern, ausdrücklich nicht im Kampfe mit fremden Völkern (cf. 8-23). Grauenhaft und verwerflich wird ? Die Definition des Begriffes unmittelbares Bild vid. p. 3. 8 Vid. Apoll. Rhod. 1,15sq. ® Es umfaßt (im weiteren Sinne) die Verse 1-182 des ersten Buches. Vid. W. Rutz, Studien zur Kompositionskunst und zur epischen Technik Lucans, Diss. Kiel 1950, p. 4.

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Die Aeneis

Fa

das Kriegsgeschehen für ihn also erst von den Kategorien des Ruhmes - bella geri placuit nullos habitura triumphos? (12) - oder der Ruhmlosigkeit her. In den Bildräumen, die das Wüten des Todes im Krieg wiedergeben, ist Lucan — verglichen mit seinen späteren Kampfszenen!® - am Anfang noch maßvoll. Am meisten stechen folgende Wendungen hervor:!! (1) ... populumque potentem in sua victrici conversum viscera dextra (2sq.).

Das sich im Bürgerkriege zerfleischende Volk erscheint metaphorisch als Selbstmörder, indem ein Ausdruck für die suizide Gebärde gewählt ist, der pathetischkonkret, aber nicht manieriert den morbiden Bewußtseinszustand des Täters

beleuchtet. (2)

... infestisque obvia signis signa, pares aquilas et pila minantia pilis (6sq.).

Die Hartnäckigkeit des beiderseitigen Hasses drückt sich nicht in Hinweisen oder Bildräumen unmittelbaren, blutigen Kampfgeschehens aus, sondern durch die Imagination gegeneinanderstehender Heere vor der Schlacht.!? Das bedeutet Distanzierung vom eigentlichen Grauen des Streites zugunsten größerer dignitas der Darstellung. (3) beu, quantum terrae potuit pelagique parari hoc quem civiles hauserunt sanguine dextrae (13sq.).

Die prägnante, generelle Andeutung des ruchlosen Blutvergießens!? im Bürgerkriege verbindet sich eigenartig mit einem imperialistischen Gedanken. Von einer grundsätzlichen Verurteilung jeglichen lebenvernichtenden Krieges ist diese Auffassung noch weit entfernt. Der vergilische Gedanke eines alle Opfer rechtfertigenden Zieles ist hier - wenn auch viel weniger motivisch sublim und materieller begriffen — als Ideal noch durchaus gegenwärtig." Lediglich seine Pervertierung wird beklagt. 10 Luc. 3,5095qq.; 7,46059q4.; cf. P. 1125q.; 175Sq. ı Wir bringen nur eine Typisches repräsentierende Auswahl. Die Motive (38-44) tragen mehr inhaltsinformativen als Bild- und Ausdruckscharakter. Wären sie die einzigen Todesmotive im Proömium, müßten sie genauer betrachtet werden. In unserem Falle ist ihre Wirkung jedoch unter diejenige der intensivsten Motive zu subsumieren. !® Formal äußert sich dieser Gedanke durch das in der traductio Konträre: signis] signa... pila... pilis. " Zu 14: Diese Wendung nur ähnlich bei Ov. Met. 7,333; Stat. Theb. 9,675; dort für sanguis ‚cruor‘. Mit sanguis außerepisch: Cic. Sest. 54. "* Ausdrückliche Rechtfertigung erfahren die Bluttaten des Bürgerkrieges in Er-

Proömium

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(4) at nunc semirutis pendent quod moenia tectis urbibus Italiae lapsisque ingentia muris saxa iacent nulloque domus custode tenentur rarus et antiquis habitator in urbibus errat, horrida quod dumis multosque inarata per annos Hesberia est desuntque manus poscentibus arvis, (24-29). Die Beschreibung des verödeten Landes beschließt die Reihe der ausgeführten Todesmotive. Aus jedem der unmittelbaren Bilder spricht Klage über den Wahnsinn der bella civilia. Aber diese Klage entzündet sich noch nicht an Darstellungen vom Tode, die das Empfinden schockieren.!® Eher liegt eine Art Melancholie in dieser Ekphrasis.!® Insgesamt stellen wir fest, daß die Todesmotivik im Proömium der Pharsalia einen zentralen Aussagewert besitzen soll- Abscheulichkeit des Brudermordes! — und in Bildräumen von starker, beabsichtigt gedrängter Intensität erscheint. Auch Statius besingt einen ‚pervertierten‘ Kampf: fraternas acies (1). Jedoch kommt er überraschenderweise nicht zu einer einzelne, direkte Todesmotive systematisch auswertenden, reflektierten Klage oder auch nur Stellungnahme hinsichtlich des Monströsen seines Gegenstandes. Seine Vorausschau auf den Inhalt des Werkes bleibt sachlich, berichtend, ohne Tiefendimension motivierender oder sinngebender Art. Soweit die Erscheinung des Todes in der Aufreihung einzelner Episoden — als möglichen Anknüpfungspunkten der Erzählung — überhaupt begegnet, bleibt sie beziehungsloses, stoffimmanentes Faktum (2; 7sq.; 12sqq.). Silius Italicus (Pun. 1,1sqq.) sieht den Kampf nur in Verbindung mit dem Ruhm des Siegers und seiner Fremdherrschaft über die Unterlegenen (1-3). An das mit den Kämpfen gegebene Leid des Sterbens erinnert lediglich ganz fern die summarische Rekapitulation historischer Ereignisse (12-16). Am deutlichsten erscheint noch die Mahnung an die Todesgefahr, in der auch der Sieger zeitweilig schwebte (12-14). Aus dem nüchternen, gleichsam in Verse umgegossenen Geschichtsbericht spricht also an keiner Stelle ein persönliches Mitgefühl des Autors für die unter der Kriegswut zugrundegehenden Menschen. Der ganze wartung eines Friedenskaisers Nero in den Versen 33sqg., in direkter Reminiszenz an Vergils Augustushoffnung (cf. Luc. 1,45sqq. mit Verg. G. 1,24sqq). Auch hier liegt - parallel zur imperialistischen Idee (13sq.) - eine Verflachung gegenüber Verg. durch die etwas zu starke Panegyrik vor - bes. 37sq.: scelera ipsa nefasque] hac mercede placent. 15 Cf. M. Fuhrmann, Die Funktion grausiger und ekelhafter Motive in der lateinischen Dichtung, in: Die nicht mehr schönen Künste, ed. H. R. Jauß, München 1968, 54-57. 16 Of, Verg. G. 3,474-77-

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Bericht erstarrt in pathetischer, monumentaler Distanz. Diese Feststellung ergibt sich vornehmlich aus einem formalen Vergleich der Todesmotive in den Proömien des Vergil und Lucan mit Silius. Während Vergil in seiner sehr dezenten Todesmotivik durch Einführen lebendiger Gestalten - Aeneas als profugus, Iuno als stark anthropomorph gezeichnete Göttin — eine vertiefte, gefühlausstrahlende Wirkung eben durch die Möglichkeit eines Bezuges auf plastische Individuen entfaltet, bei Lucan hingegen die konsequent emphatische Deutlichkeit ein ähnliches emotionales Resultat hervorbringt, findet sich bei Silius von beiden Kompositionsprinzipien nichts: weder individuelle Plastizität noch Emphase.!” Nach dieser Musterung der vergleichbaren bedeutenden Epenproömien werfen wir noch einen Blick auf ein weniger bekanntes Werk, die Iohannis des Corippus. Gerade vor dem Hintergrunde dieses späten, epigonenhaften Epos lassen sich viele Nuancen der großen epischen Dichtung deutlicher herausarbeiten. Wir werden es deshalb für Vergleiche noch häufiger heranziehen. Was das Proömium der Iohannis betrifft, so fehlen ganz und gar nicht Hinweise auf das bittere, todbringende Kriegsgeschehen: signa duces gentesque feras Martisque ruinas insidias stragesque virum durosque labores et Libycas clades ac fractos viribus hostes indictamque famem populis laticesque negatos, utraque letifero turbantes castra tumultu, turbatos stratosque cano populosque subactos, (1-6).

Aber die schematische, kraftlose Reihung der Worte beeinträchtigt ihre poetische Brisanz, neutralisiert sie sozusagen. Es wird vom Sterben im Kampfe gesprochen, doch der Dichter empfindet dabei nichts Schreckliches.!® Wie Silius verschweigt er die Schattenseiten des Krieges zugunsten von Feldherrnruhm, Sieg, restituierter Ordnung (7sqgq.). Das Fazit aus der Betrachtung von neun verschiedenen Eposeinleitungen ist — hinsichtlich der dort auftretenden Todesmotive und mit dem speziellen Bezug auf den Beginn der Aeneis - folgendes: Nach Prägnanz und Bedeutungstiefe der Motive sondern sich die Proömien in vier Kategorien, deren Kriterien in der Reihenfolge wachsender Aussageintensität so angegeben werden können: 17 Cf. Luc. 1,8; 12; 13 (heu); 15sqq.; 33-66. 18 Hom. gelang der tiefe Ausdruck des Schrecklichen in zwei kurzen Bildräumen: Il. 1,3sqq., vid. p. 65.

Proömium

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I Es tritt kein nennenswertes - weder nach Bildhaftigkeit noch nach Bedeutung - prägnantes Todesmotiv auf (Val. Fl.). II Die vorhandenen Paraphrasen des Begriffes ‚Tod‘ sind: a) wenig prägnant, episodenhaft, ohne tiefere Bedeutung (Hom. Odyss.; Apoll. Rh.; Stat.). b) wenig prägnant, bei einseitig heroisierender Auffassung von Krieg und Tod (Sil. It.; Cor.). III Äußerlich wenig prägnante Erscheinung von Todesmotiven, jedoch reiche Bedeutungstiefe und bewußter Sinnbezug (Verg.). IV Prägnante, bildhafte Todesmotive mit entsprechender Bedeutungstiefe (Hom. Il.; Luc.). Die Kategorien I und IV stellen die beiden Extreme dar, soweit es sich um äußere Bildhaftigkeit der Todesmotive handelt. Extreme im Sinne äußerer Bildhaftigkeit verbunden mit entsprechender Bedeutungstiefe drücken die Kategorien II und IV aus. Insgesamt gesehen finden sich in den besprochenen Proömien in acht von neun Fällen Todesmotive, -gedanken, -andeutungen, jedoch überwiegend mit untergeordneter Aussagekraft, Bildlichkeit und Funktion (in fünf von neun Fällen: Kat. II).!? Ausgesprochene Prägnanz besitzt die Todesthematik selten (in zwei Fällen). Die vergilische Todesthematik stellt sich hierbei als ein durchaus singuläres Phänomen dar (III). In ihr vereinigen sich weitgehende Distanz und Schwäche der Bildplastizität mit einem Höchstmaß an Ausdrucksintensität und Sinnbezogenheit. Was die eigentliche Gedankenführung der Todesthematik angeht, so findet sich nirgends sonst in einem Proömium des Epos jene ausgewogene, ambivalente Haltung zum Seinsbereich ‚Krieg und Tod‘, die sowohl den heroischen -— man muß schon sagen: kriegsverherrlichenden — Aspekt kennt wie auch den des Leidens und Leides. In der Ausgestaltung dieser diametral entgegengesetzten Todesaspekte ist Vergil im Rahmen der Eposeinleitung originell. Eine wesentliche Aufgabe unserer Darlegungen ist es, die im Werke Vergils erscheinenden Todesmotive, ihrer formalen und gehaltlichen Struktur entsprechend, nach Möglichkeit in ein Bezugssystem typischer Erscheinungsformen zu bringen, anhand dessen sich leichter und übersichtlicher Aufschlüsse über Häufigkeit, formale Mannigfaltigkeit und Aussagekraft dieser Motive ergeben könnten. Aus der vergleichenden Interpretation von A. 1,1-33 läßt sich eine 19 Aus der Verteilung der einzelnen Autoren auf die vier Kategorien ergibt sich, daß bei den späteren Epikern das Todesmotiv in den Proömien eher farblos und nebensächlich

erscheint.

Das ist insofern überraschend,

als die Farben

in der Aus-

malung von Verwundungen und Sterbeszenen sonst immer greller werden. Cf. p. 199sqq.

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Die Aeneis

erste — formale - Kategorie von Todesmotiven entwickeln, die diese typischen Züge trägt :?" 1. Der Tod erscheint weder ausdrücklich als Bildraum noch in direkter Nennung (mors; letum etc.) noch vertreten durch Sterbeszenen (Darstellung von Verwundungen; Agonie). 2. Der Komplex ‚Tod‘ macht keinen Handlungsstrang und keine Zustandsschilderung in der Weise aus, daß er Haupt- oder Leitgedanke wäre. 3. Eine gewisse Wortwahl oder Art gedanklicher Anspielung weist jedoch deutlich auf das Phänomen Tod hin, so daß sie 4. — obschon Nebenelement einer Handlung oder Zustandsschilderung — diesen doch ein klares Kolorit verleiht und damit unter Umständen 5. einen geistig-poetischen Hintergrund aufschließt, der über den eigentlichen Funktionsbereich hinaus weiter ausstrahlt und 6. eventuell Schlüsse auf die für den Autor spezifische Stellung zur Erscheinung des Todes zuläßt. Wir nennen diese erste formale Kategorie von Motiven indirekte Todesmotive. Die genannten sechs Bedingungen, welche diese Kategorie in der Hauptsache?! ausmachen, würden sich in A. 1,1-33 so verifizieren: Bedingungen 1-2: Diese werden offensichtlich erfüllt. Bedingung 3: ist vornehmlich erfüllt durch die Wendung: arma (1) ; multa quoque et bello passus (5); tot volvere casus (9); tot adire labores (10); asperrima belli (14); olim quae verteret arces (20); belloque superbum | venturum excidio Libyae (zısq.); id metuens veterisgque memor Saturnia belli (23), welche deutlich die Sphäre ‚Krieg und Tod‘ ansprechen. Bedingung 4: Die Wendungen aus Bedingung 3 sind lediglich Nebenelement der Handlung, Seitenaspekte. Die dominierenden Themen des Handlungsablaufes stellen sich ja so dar: A. 1,1-7: Hinweis auf den gesamten”? Inhalt des Epos, von dem die Kämpfe nur ein - wenn auch sehr wesentlicher — Teilbereich sind. A. 1,8-11: Musenanruf. A. 1,12-34: Veranlassung des Zornes der Göttin gegen die Troer. Das eigentümliche Kolorit sowie den nach Bedingung 5 über den engeren Funktionsbereich hinausstrahlenden geistig-poetischen Hintergrund haben wir in der kurzen Interpretation des Abschnittes bereits dargestellt, ebenso die nach Bedingung 6 durchaus originelle ‚ambivalente‘ Haltung Vergils zu Kampf und Tod im Pröomium.® ® Die der hier erscheinenden Todesthematik entsprechende erste gehaltliche Motivkategorie soll heißen: Krieg und Tod (allgemein). 21 Sie können bei der Vielfalt poetischer Erscheinungen natürlich kein überstarres Schema sein. Bei der Zuordnung wird es immer auf den Grad der Ähnlichkeit ankommen. 22 Cf. Oppermann, op. cit., P. 144. 2 Vid. supr. p. 61sqq.; 69.

Gefahren des Meeres

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Gefahren des Meeres!

A. 1,39-45: Iuno, im alten Haß gegen die Teucrer (36) und in der Furcht vor mangelnder Ehrerbietung und kultischer Verehrung (48sq.) denkt daran, wie Pallas den Aiax strafen durfte. Die erste Todesvorstellung (395q.) — Verbrennung der Flotte, Ertränken der Mannschaft - ist noch wenig bildhaft, wenngleich in rhetorischer Frageform affektgeladen. Mit der Einengung der Schilderung auf die Person des Aiax (41-45) wächst die Intensität der unmittelbaren Bilder, die sich so abgrenzen lassen: (1) Pallas schleudert Iuppiters Blitz als todbringende Waffe aus der Wolke (42). (2) Sie zerstreut die Flotte (43a), (3) rührt mit den Winden das Meer auf (43b), (4) trifft Aiax mit dem Blitz (dargestellt an der Wirkung des Blitzes) (44), (5) erfaßt ihn im Wirbel (45a) und (6) spießt ihn auf eine spitze Klippe (45b). Hiervon sind spezielle Todesbilder: (1) in Verbindung mit (4)-(6). Das 3. Bild hat motivierende Funktion: die Gewalt der Elemente macht die - sonst gesucht wirkende — Gewaltsamkeit der Todesart des Aiax erst verständlich. Das 2. Bild enthält eine vorgezogene, aus dem 3. Bilde resultierende Wirkung. Es redet von Zerstörungswut, nicht vom Sterben. Vergleichende Interpretation der unmittelbaren Bilder (1) sowie (4)-(6) Bild (1): Iuppiters Blitz als Todeswaffe:? A bei Vergil:

A. 6,580-94: Im Tartarus leiden neben anderen Frevlern auch solche, deren sträflichem Tun auf Erden der Blitz des höchsten Gottes ein Ende setzte: die 1 Diesen Titel soll die zweite — gehaltliche — Kategorie von Todesmotiven führen. Cf. Hom. Il. 15,624-28 (gleichsam als Motto dieses Themenkomplexes) und Od. 1,161-62575,130-32; 12,407-14. 2 Nicht als Waffe, sondern als Naturerscheinung tritt der Blitz auf: A. 9,671 (Gleichnis). Hier spaltet Iuppiter mit ihm die Wolken, was eine Variante des Zusatzes A. 1,42: iaculata e nubibus darstellt. Als Naturerscheinung wie als Waffe (telo: 332) — ohne jedoch ein lebendes Wesen zu töten — begegnet er G. 1,328-34; cf. ibid. 3,260sq. die bloße Andeutung eines Gewitters.

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Titanen und Salmoneus.? Die Schilderung ihres Unterganges trägt teils unterschiedliche, teils gemeinsame Züge. Ein einziger Vers (581) kündet vom Tod der Titanen. Die Tatsache des Blitzschlages (fulmine deiecti) wird sachlich und knapp mitgeteilt, ohne direkte Nennung Iuppiters. Aber gerade diese räumliche und ausdrucksmäßige Beschränkung muß als auffällige Kennzeichnung der souveränen Gewalt des Göttervaters gewertet werden, was nicht zuletzt auch aus der Andeutung der Qualen der Getroffenen (fundo volvuntur in imo) hervorgeht. Die Art der Darstellung modelliert auf diese Weise über eine bloße Handlungsinformation hinaus zugleich eine tiefere poetische Dimension, indem sie Charaktereigenschaften und Seelenzustände ahnen läßt. Ausführlicher wird das Ende des Salmoneus erzählt (592-94).* In der scharfen Wendung at pater (592) spiegelt sich endliche Ungeduld des höchsten Gottes über das nichtige Treiben des Nachäffers und aufwallender Zorn, der ein rasches Ende des Pietätlosen will.’ Nun ist der Wurf des Blitzes todbringende Macht, nicht deren Vortäuschung. Dieser gedankliche Gegensatz zwischen echt und unecht (...telum | contorsit, non ille faces nec fumea taedis | lumina,...: 592sqq.) bildet das eigentümliche Kolorit des Blitzmotives und antwortet unmittelbar auf die Konträrwendung: demens, qui nimbos et non imitabile fulmen | aere et cornipedum pulsu simularet equorum (syosq.). Während dort die Nennung der wahren, gewaltigen Waffe den Akteur vorwurfsvoll als törichten, vermessenen Scharlatan entlarvte, festigt hier die Erwähnung des — gemessen an den göttlichen Mitteln — erbärmlichen Imitationsgerätes den Eindruck von Erhabenheit und Würde des strafenden Gottes. Der so erscheinende Kontrast zwischen beiden Personen vermag das abschließend angedeutete Todesschicksal (592-94) des Salmoneus als Akt der Gerechtigkeit auszugeben. Wie in der Titanenszene (58osq.) vereinigen sich auch hier die Aspekte von Macht und Unterliegen, vom Zorn der Gerechtigkeit und von der Qual der Verdammnis zum größeren Ausdruck seelischen Geschehens. A. 7,770-73: Hier schmettert der höchste Gott selbst den wiedererstandenen Hippolytus zur Unterwelt hinab. Der Vorgang wird kürzer als in A. 1,43 (cf. supr.) umrissen — fulmine ... detrusit (7,773) — aber doch so, daß durch die ® Salmoneus muß seine anmaßende Rolle zu eigenem, ewigem Hohn in der Unterwelt weiterspielen (585sq.); cf. Val. Fl. 1,660-65. * Gleichwohl fehlt auch hier nicht das Merkmal der Knappheit mit dem gleichen Ausdruckswert wie in 581. Es resultiert aus dem Versverhältnis 7:3 von Vorbericht (Vergehen des Salmoneus) und eigentlicher Todesszene. ° Die Worte densa inter nubila sind nicht lediglich Ortsangabe, sondern drücken ihrerseits den Affekt beleidigter Majestät aus. Zumal das Epitheton erinnert an unser ‚Wolken des Zornes.‘

Gefahren des Meeres

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Nennung des Opfers (773) Iuppiters Tat von vornherein als auf eine Person zielgerichtete Aktion dasteht, während in A. 1,42sqq. zunächst der Wurf des Blitzes als selbständige Handlung erscheint, darauf - nach den Zwischenbildern (2) und (3) — erst an der Beschreibung seiner Wirkung die Tatsache des auf Aiax gezielten Wurfes deutlich wird. Jedoch dienen die beiden verschiedenen Kompositionsprinzipien - hier Straffung des Motivs, dort Zerdehnung — demselben Ziele der erhöhten inneren Dramatik. A. 9,4955q.: Die trauernde Mutter des Euryalus wünscht sich von Iuppiters Waffen den Tod. In der Formulierung: boc detrude caput sub Tartara telo ist durch Setzung von Synonymen für Stygias ... ad undas und fulmine (7,773) sowie durch die Beibehaltung des Verbums detrudere das Grundschema des Bildes 7,773 gewahrt.® B in anderen Epen: Sil. 14,4795q.: qualis Oiliades, fulmen iaculante Minerva, surgentis domuit fluctus ardentibus ulnis. Die Vergilstelle 1,42sqq. (Tod des Aiax) ist in ein Gleichnis gezogen. Mit Aiax wird Ornytus verglichen, der in der Seeschlacht auf einer rauchenden Ruderbank schwimmend seinen Tod hinauszögert (Sil. 14,477sq.). Bei Silius wird aus dem vergilischen Aiax, der als gleichsam hilfloses Objekt der göttlichen Wut ausgeliefert ist, eine aktiv-tapfer um das Leben ringende Individualität. Das eigentümliche Bild von der Wirkung des Blitzes (A. 1,44) kehrt ähnlich, doch viel konkreter wieder bei Stat. Theb. 11,2sq. (Hinweis auf den Tod des Capaneus): exspiravitque receptum | fulmen.

Erheblich über den vergilischen Rahmen hinaus erweitert und ausgemalt ist die Zerstörungskraft des Iovis fulmen in der Sterbeszene des Capaneus selbst (Stat. 10,9275qq.) wie auch in der des Phaeton bei Ov. Met. 2,304sqq. (Wirkung des Blitzes: 311-28). Während Statius nur die Feuereigenschaften des Blitzes für seine Darstellung (10,927sqq.) ausnutzt —- in chronologisch loser Bildreihe läßt er, was an Capaneus sterblich ist, von den Flammen verzehrt werden: Helmbusch, Schild, alle Glieder des Leibes, die Rüstung — läßt Ovid besonders die Wucht des Schlages auf Gespann und Lenker wirken, das Feuer aber nur auf den Lenker, dessen Haare es verbrennt. Gegenüber Statius und Ovid wird für A. 1,44 deutlich, wie sorgfältig Vergil 6 Cf. den verwandten Todeswunsch Didos A. 4,245qq. 6

Raabe

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bei der Wahl der Blitzwirkung vorgeht: das tödliche Feuer? wirkt nicht äußerlich, an Gliedern, Waffen, am Gewand, sondern es vernichtet Aiax sofort im Innersten seines Wesens. Rasche, absolute Auslöschung einer Existenz durch göttliche Macht: eben diesen Eindruck bezwecken die Bilder (4)-(6), A. 1,44sq. Das gesamte Großbild (1,39-45) dient mit seiner spezifischen Todesmotivik rein dem Ausdruck göttlichen Grimmes. In die Kategorie ‚Tod auf dem Meere‘ gehören noch folgende Szenen, Großbilder oder unmittelbare Bilder aus der Aeneis: A. 1,695q.: incute vim ventis summersasque obrue puppis aut age diversos et disice corbora ponto

(Iuno in ihrer Rede an Aeolus). Unmittelbare Bilder und Tenor (Haß der Göttin) dieses Großbildes sind dem Großbild A. 1,39-45 sehr nahe verwandt: da eben Iunos Worte an den Windgott die Fortsetzung und Realisierung ihrer Gedanken aus A. 1,35sqq. darstellen. GE:

incute vim ventis (69a) - evertitque aequora ventis (43b) summersasque obrue pupbis (69b) - disiecitque rates (43).®

Die Vorstellung von der Zerschlagung der Flotte (43) wechselt zu jener ihrer Versenkung (69b). Dafür ist das disiecit (43a) auf die Leichen der Seeleute übertragen: aut age diversos et disice corpora ponto (70). Die Abfolge der unmittelbaren Bilder bleibt nahe der Vorlage (42sqq.): abgesehen von der Inversion Wind-Flotte (verständlich durch die Anrede an den Windgott) folgt das Bild von den vernichteten Menschenleben jeweils steigernd an letzter Stelle

(4459.: 70). A. 1,81-123: Aeneas im Seesturm

a) Todesmotivik: Todesgefahr, drohendes Verderben, aber kaum wirkliches Sterben spielen hier eine Rolle.!® Die bedrohliche Gegenwart des Todes auf dem Meere

spricht

aus

91:

praesentemque

viris intentant

omnia

mortem.": Der

” Die Wucht des Blitzschlages nutzt Vergil für seine Schilderung im Bilde (45a): turbine corripuit.

® Cf. Sil. 4,246, wo die gleiche Vorstellung ebenso kurz in einem Gleichnis wiederkehrt: lacerata classe. ® Sil. 4,2455q.: navita vasto| iactatur sparsus...profundo. 10 Ähnlich wie in der Sturmschilderung A. 3,192-209. ".C£. die Andeutung drohenden Unheils für Seefahrer bei regenschwerem Sturm

G. 1,454599.:

7

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naheliegende Gedanke, einige Gefährten des Aeneas, besonders der magister (115sqq.)"” könnten den Fluten zum Opfer gefallen sein, wird gleich abgeschwächt in der Erwähnung der Schwimmer (118) sowie später im Hinweis auf die Rettung aller Aeneaden (1,390sqq.: Verheißung durch Venus) ausdrücklich abgewiesen. Aber zunächst wird wenigstens die Möglichkeit des Unterganges einiger Gefährten offengelassen. Somit treffen wir in diesem Abschnitt eine typische indirekte Todesmotivik an, allerdings durchsetzt mit direkten Motiven.'* Sie dient äußerlich dem Zweck der Dramatisierung, tiefer gesehen als Situationshintergrund für das erste Auftreten des Aeneas. Im Angesicht des drohenden Todes entsetzt sich der Held vor den rasenden Elementen, die vom Götterzorn künden, nicht aber vor dem Sterbenmüssen.!® b) Vergleich des Bildkomplexes mit Ov. Met. 11,474-572.:"° Dieser innerhalb der von uns herangezogenen Dichter umfangreichste Bildkomplex ‚Tod auf dem Meere‘ berührt sich mit Vergils Sturmszene sehr eng. In der Ausgestaltung der Schilderung des Unwetters (bes. 495-524) hat Ovid in teilweise recht freier Form fast alle wichtigen Details der vergilischen Sturmschilderung gleichsam als Stützpfeiler oder Markierungssteine in seine weit ausgedehnte Ekphrasis (Met. 11,495-524: A. 1,84-91) hineingebaut.!” Allerdings motiviert die vergilische sin maculae incipient rutilo immiscerier igni, omnia tum pariter vento nimbisque videbis fervere. non illa quisguam me nocte per altum ire neque ab terra moveat convellere funem. Das stets vom Tode bedrohte Los der Schiffer klingt bei Vergil ferner an: G. 3,313:... miseris...nautis; G. 2,503: sollicitant alii remis freta caeca (Lob des Landlebens) sowie als unausgesprochenes negatives Gegenbild in den Motiven G. 1,3035q.; 436sq., wo die Freude über unversehrt überstandene Meerfahrt zum Ausdruck kommt. 12 Das Motiv des vom Deck gestürzten Steuermanns kehrt wieder A. 5,858sqgq. (Palinurus), vid. p. 77sgq- Sil. 6,680-83 wird der Feldherr Xanthippus gewaltsam aus dem Schiff gestoßen und im Meere ertränkt. 18 A. 1,113sqq.; cf. 55sq. 14 A, 1,94-101, vid. p. 79. Corippus imitiert die verg. Sturmszene ohne direkte Todesmotive (1,271-309, Beginn nach einer Textlücke). Cf. Val. Fl. 1,608-56. 35 Yid. A. Wlosok, Die Göttin Venus in Vergils Aeneis, Heidelberg 1967, 13sq. Wirkliche Todesfurcht empfinden die Argonauten in einer ähnlichen Lage: Apoll. Rh. 2, 169-76; 3573-78; Val. Fl. 1,621-38. 16 Bekannter und deshalb keiner weiteren Erläuterung bedürftig ist der Zusammenhang von A. 1,81-123 mit Hom. Od. 5,291sqq. 17 A. 1,84sqq.: Ovy. Met. 11,480sq.: cum mare. ..tumidis albescere incubuere mari totumque a coepit/fluctibus et praeceps sedibus imis/una Eurusque 6

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Sturmschilderung doch stärker die Haltung des Aeneas als die in der Ausmalung eher einem Selbstzweck dienende ovidische das Verhalten der Besatzung und den Tod des Ceyx. Dieser Differenz in der Funktion entspricht eine weitere in der Gestalt der Todesmotive. Beide Dichter deuten in ihren Sturmszenen entsetzliche Todesgefahr an und sprechen sie einmal auch fast sentenzhaft aus: A. 1,91:

praesentemque viris intentant omnia mortem.

Met. 11,537sq.:

totidemque videntur, quot veniant fluctus, ruere atque inrumpere mortes.

Aber während Vergil -— soweit es das Sterben auf dem Meere anbetrifft — nur eine indirekte Todesmotivik zuläßt,!® erwähnt Ovid zunächst kurz berichtend den Untergang vieler Männer: Notusque ruuunt creberque procellis/ Africus. de, Ste

insequitur clamorque virum stridorque rudentum. A. 1,88sq.: eripiunt subito nubes caelumque diemque]|

spirare valentius Eurus. " Met. 11,495:

quippe sonant clamore viri, stridore rudentes Met. 11,521: caecaque nox premitur

Teucrorum ex oculis;

ponto nox incubat atra. A. 1,90: intonuere poli et crebris micat ignibus aether

Met. 11,496b: tonitribus aether 520: caret ignibus aether 522$5q.:...praebentque micantia lumen] fulmina: fulmineis ardescunt ignibus ignes

Weitere Ähnlichkeiten: Ä. 1,103: ...fluctusque ad sidera tollit Ar 1,105: .. .insequitur cumulo

Met. 11,4978q.: fluctibus erigitur caelumque aequare videtur|pontus. Met. 11,503:

praeruptus aquae mons A. 1,106sq.:

...„veluti de vertice montis Met. 11,4978q.: vid. supr.

hi summo in fluctu pendent; his unda dehiscens/terram inter fluctus aperit, furit

499: et modo, cum fulvas ex imo vertit harenas

aestus harenis.

18. C£supr.

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mergit in ima ratem; cum qua pars magna virorum, gurgite pressa gravi neque in aera reddita, fato functa suo est; (557-59),

nicht ohne dabei verhalten die Wucht, dazu die Qual dieses Todes anzudeuten (558: gurgite pressa'gravi). Darauf (560-72) folgt der Todeskampf des Ceyx, komponiert in der klaren Konfrontation zweier Willensmächte, die in unmittelbaren Bildern erscheinen: der des Ceyx, der sich zumal im Bewußtsein seiner Liebe zu Alcyone nicht dem Element beugen will,!® und der des Elementes, das jenes Bewußtsein zu vernichten strebt und endlich siegt.2 Im Anschluß an das Motiv A. 1,115sq.: excutitur pronusque magister |volvitur in caput”" - ist auch das Ende des Palinurus (5,833sqq.; 6,347sqq.) unter die Motivkategorie ‚Tod auf dem Meere‘ zu rechnen.?? Wie schon in A. 1,81-123 bedient sich Vergil einer verschleiernden Darstellung. Eine eigentliche Todesszene fehlt. Wir erfahren nur von Palinurus’ Sturz in die Wogen und von seinen vergeblichen Hilferufen (5,859sq.). In der Bildfolge besteht ein deutlicher Kontrast zwischen der Behutsamkeit des Einschläferns (854-357) und der brutalen Gewalt 19 Dieses Ringen zwischen Psyche und Physis findet sich ähnlich dramatisch Verg. G. 4,523sqq., vid. p. 61sq. Met. 11,562.:

Verg. G. 4,523sqq.:

sed plurima nantis in ore est] Alcyone coniunx.

tum quoque marmorea caput a cervice revulsum] gurgite cum medio portans

Met. 11,566.: dum natat, absentem...| nominat Alcyonem ipsisque inmurmurat undis.

Oeagrius Hebrus/volveret, Eurydicen vox ipsa et frigida lingua] a miseram Eurydicen! anima fugiente vocabat

20 Met. 11,566: ... quotiens sinit hiscere fluctus/ 568sq.: ecce super medios fluctus niger arcus aquarum frangitur et rupta mersum caput obruit unda.

Als Liebender findet — wie Ceyx — der Königssohn Leander den Tod in den Wogen (Verg. G. 3,258-63). Dort liegt indes das Hauptgewicht der Aussage darin, daß die Liebesleidenschaft Ursache des Unterganges wird. Cf. p. 57sq. 22. CH, p. 7450. 22 Ferner fallen unter diese Rubrik: A. 3,604sq.: pro quo, si sceleris tanta est iniuria nostri, spargite me in fluctus vastoque immergite ponto

(Jammervolle Bitte des Achaemeniden gegenüber den Aeneaden); A. 4,382-87 (Dido wünscht Aeneas den Tod des Strandens); A. 6,171-74 (Triton ertränkt den mit ihm wetteifernden Misenus): inter saxa virum spumosa immerserat unda (174).

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des unvermuteten Überfalls.? Auf die Vermutung, Palinurus sei ertrunken, führen die Ausgangsverse der Szene, in denen Aeneas -— multa gemens casuque animum concussus amici (869) — den Freund betrauert (870sq.), deren Todesstimmung aber vorbereitet ist durch das vorangegangene unmittelbare Bild: scopulos ... | difficilis quondam multorumque ossibus albos (8645q.). Dieses Nebenmotiv ist also durch seinen Stellenwert über die Funktion einer Ekphrasis hinaus eng in den Kontrast verwoben. Die wirkliche Todesursache für den Steuermann erfahren wir in einer Rückschau (A. 6,347sqq.). Nicht dem Meere ist Palinurus zum Opfer gefallen - nec me deus aequore mersit (348) - sondern Strandräubern: iam tuta tenebam, ni gens crudelis madida cum veste gravatum prensantemque uncis manibus capita aspera montis

ferro invasisset praedamque ignara putasset (6,358-61).

Die Ermordung selbst wird sehr nüchtern-erzählend gebracht, aber die ein wenig breitere Ausmalung des Augenblicks, in dem der geschwächte, wehrlose Palinurus sich gerade dem Tode entronnen glaubt, weckt doch Gefühle des Mitleides und des Abscheus. Das Poetische dieser kleinen Todesszene liegt somit in ihrer emotionellen Ausstrahlungskraft. Als bloße Todesszene jedoch erhält sie aufgrund rückwärtiger Erhellung eines Tatbestandes im weiteren Zusammenhang der Handlung eine besondere, verknüpfend-übergreifende Funktion.?? 23 Der gleiche Kontrast erscheint in einer ähnlichen Situation Ov. Met. 1,713-19, wo Merkur den eingeschläferten Argus erschlägt, noch etwas stärker durch den Übergang: nec mora (717), während Verg. nur mit et (858) weiterführt. Auch mündet die Szene hier in eine wirkliche Mordtat aus (717sqgq.): nec mora, falcato nutantem vulnerat ense qua collo est confine caput saxoque cruentum deicit (A. 5,859: proiecit in undas). ?4 Die Beobachtung, daß diese nachträgliche Erhellung der Todesumstände des Palinurus von Kontradiktionen im Detail nicht unberührt bleibt, hat J. Hubeaux, Palinure, LEC 1934, 1745qq. zum Anlaß von Überlegungen über die Vorbilder der beiden Palinurus-Szenen gemacht. Cf. Büchner (RE) $. 1386,30sq. Zur Funktion der ersten Szene (Schluß des fünften Aeneisbuches) vid. ibid., S. 1380,1sqq.; 33sq.; cf. T. Smerdel, La scena tragica di Palinuro, Z Ant 15, 1965/66, 359-64.

corpora volves Thybri pater

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corpora volves Thybri pater Im Toben des Sturmes preist Aeneas die unter den Mauern Troias Gefallenen glücklich und wünscht sich, selbst im Gefilde der Heimat gefallen zu sein, dort, wo Hektor erlag und der gewaltige Sarpedon (A. 1,96-100a). Die Reminiszenz an die beiden erschlagenen großen Helden läuft in das folgende unmittelbare Bild aus:! ubi tot Simois correpta sub undis scuta virum galeasque et fortia corpora volvit (1006 sq. = A. 8,539). Es ist nach dem plastisch-knappen Hinweis auf den Tod des Aiax? das zweite Todesbild in der Aeneis, welches die grausige Realität des Sterbens — hier im Kampfe - in direkter Bildhaftigkeit beleuchtet. Sinn dieser Prägnanz dürfte es sein, Aeneas bei seinem ersten Auftreten, indem er sich nachträglich den eigenen Tod vor Troia ersehnt, nicht in Todesangst erscheinen zu lassen.? Es gibt wenige bildlich fest umrissene Todesmotive, die, wenn auch variiert, so stereotyp im Epos wiederkehren und damit zum festen Repertoire epischer Topik gehören, wie das Motiv: ‚Erschlagene im Strom‘. Ausgangspunkt und

dauerndes Vorbild für sämtliche Varianten bildet die MAXH

IIAPANOTA-

MIOZ Il. 21, vornehmlich mit den Bildern:

ol SANT Eyveov Evda nal Evda Eircoduevor rrepl Olvas. (105q.) Epudalvero Saluorı Bdwp. (21b) TANdEL y&p IN yoL verbwv Epareıva HEedpe, oddE ri ren dbvanıaı rpox&eıv H6ov eis Ka. ÖLav oreıvöuevog vexbeoot, (2218-20)

d S’entoovro olduarı Ibmv, Tckvra Ö’öpıve bEedpa XunWuevog, BGE ÖE vErpoVg TTOAAOUG, ol pa nat’ abrov Krıg Eoav, os arav ’Ayxıddeuc.

(234-36) 1 Cf. p. 74sq. Als Rückerinnerung 'Todesmotive in der ganzen Szene. 2 A. 1,448q.: cf. p. 71. 2ef3pr75»

sind die Bilder 94-101

die einzigen direkten

80

Die Aeneis

TOAAK ÖL Tebyen nord dainrauevov allınav TASOV xal verxvec. (3015q.) ’H, xal Enöpr’ ’Ayırnni nunapevog Üböce Hımv, Hopubpwv dpp@ re xal aluarı al verbeoot. (3245q.) Bei Vergil tritt dieses Motiv — quantitativ betrachtet - nur als unmittelbares Bild auf.* Die Varianten sind geringfügig: (1) Als Fluß erscheinen die beiden troianischen Gewässer: A.

1,100

(Simois)

5,808 (Xanthus) 11,257 (Simois) oder der Tiber, womit gewissermaßen eine geographische translatio des Motivs stattfindet: 6,87; 8,540; 11,393.; 12,35. (2) Im Wasser treiben Leichen (und Waffen): 1,1008q.; 8,539 = 4,101; 11,257 oder (3) Das Wasser ist vom Blute gefärbt: 6,87; 11,393sq.; 12,35sq. Es fällt auf, daß die Varianten (2) und (3) bei Vergil nie in einem Bilde zugleich vorkommen. (4) Die Elemente aus (2) und (3) erscheinen ‚neutral‘ und in Kombination mit einer neuen Wendung nur in einem Falle: 5,806-808.® (5) Dem Motivtypus ‚Erschlagene im Strom‘ ähnlich, aber nicht direkt verwandt, sind: * Außer 1,100sq. (Vorbild: Il. 12,22sq.; cf. 21,218; 234sq.; 325. Hierzu und zu den folg. Stellen vid. G. N. Knauer, Die Aeneis und Homer, Göttingen 1964, 371sqq.: A. 5,806-808:

gemerentque repleti | amnes nec reperire

viam atque evolvere posset | in mare se Xanthus, (cf. Il. 21,218-20; 301sq.). A. 6,87: et Thybrim multo spumantem sanguine cerno (cf. 11..21,24185,7,329). A. 8,538-40: quam multa sub undas | scuta virum galeasque et fortia corpora volves | Thybri pater! (cf. A. 1,1008q.). 1452573 quos Simois premat ille viros (