Über die Bildersprache Nizamis

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Über die Bildersprache Nizamis

Table of contents :
Einleitung
1. Die Naturschilderung
2. Der Mensch als Objekt der Betrachtung und Schilderung
3. Der Mensch und die Natur
4. Der Mensch als handelndes und erlebendes Subjekt
5. Die persuasive Wirkung des dichterischen Bildes

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ÜBER DIE B I L D E R S P R A C H E NIZÀMÏS VON

HELLMUT RITTER

1927 WALTER DE GRUYTER & Co. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung - J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner - Veit & Comp.

B E R L I N und L E I P Z I G

D r u c k von J . J . Augustin In G l ü c k s t a d t und H a m b u r g .

E. und T. Wolff zu eigen

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Wende dein Herz wohin du immer willst in der Leidenschaft, Nicht ist die Liebe außer zum ersten Geliebten. Abu Tammäm

Einleitung.

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s gibt über die neupersische Literatur, wenngleich ihre Erforschung noch in den Anfängen steht, bereits eine Reihe vortrefflicher Arbeiten. Ethé hat uns in seinen zahlreichen Schriften die erste brauchbare Übersicht über das Vorhandene geschenkt, E. G. Browne hat uns die persischen Dichter und Schriftsteller mit ihren Werken in der Beleuchtung, die sie durch die politische und kulturgeschichtliche Umwelt erhalten, vorgeführt, und es fehlt auch nicht an mancherlei guten Monographien über einzelne Dichter, von denen ich hier nur Bachers Buch über Nizämi, das vornehmlich der Feststellung der Chronologie der Werke des Dichters und der Erschließung von Daten für seine Biographie aus seinen Werken selbst gewidmet ist, hervorzuheben habe. Tritt man nun aber, durch diese Schriften vorbereitet, an die Lektüre der Dichter heran, so bleibt ein Gefühl der Unbefriedigung bestehen. Auf die Frage, die einen bewegt, worin denn eigentlich die vom Gefühl sofort empfundene spezifische Eigentümlichkeit dieser Dichtung, ihre besondere Eigenart bestehe, erhält man keine Antwort. Man möchte gern die „innere Form" dieser Dichtungsart erfassen, durch die sie sich von andern uns bekannten Arten der Poesie spezifisch unterscheidet. Wohl mag man sagen, daß solche Fragen nur durch eine vergleichende und historische Methode, nicht durch eine isolierende Betrachtung der Beantwortung entgegenzuführen seien, daß erst in der historischen Perspektive sich das rechte Bild vom Wesen einer geschichtlichen Erscheinung gewinnen lassen könne; aber ich darf mich der Meinung Ernst Cassirers anschließen, wenn er im 2. Bande seiner „Philosophie der symbolischen Formen" (Berlin 1925, S. IX—X) ausspricht, daß die genetischen Probleme niemals rein für sich, sondern nur in engster Verknüpfung und in durchgehender Korrelation mit den „Strukturproblemen" ihre Lösung finden könnten. So meine ich nun auch, daß, ehe wir eine Formgeschichte der persischen Literatur schreiben können, wir uns zuvor darüber klar sein müßten, den Werdegang welcher Formen wir denn eigentlich untersuchen wollen. Als ich nun den Dichter Nizämi isoliert einer solchen Betrachtungsweise zu unterwerfen versuchte, war ich mir von vornherein dessen bewußt, daß vieles, was ich bei diesem Dichter antreffen würde,



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Gemeingut aller persischen Dichter sei. Diese Einsicht hinderte mich aber nicht, einmal so zu tun, als ob es nur den einzigen Nizämi gäbe und sonst nichts. Das, was diesem allein zukommt, von dem was er mit andern gemein hat, zu sondern, sollte eine Aufgabe sein, die ich mit Bewußtsein, als später zu erledigen, zurückstellte. Ich begann daher den Versuch, unbekümmert um alle historischen Fragen, mir einmal über die ästhetische Funktion des metaphorischen Ausdrucks der Nizämischen Dichtung klar zu werden und das in Worte zu fassen, was man als genießender Leser dieser an bildlichem Ausdruck überreichen Dichtung als ihre besondere Eigentümlichkeit empfindet. Als ich damit fertig war, wurde ich aber doch wieder in die historischen Fragen hineingedrängt, und zwar durch die Lektüre einiger arabischer rhetorischer Schriften, insonderheit Gurgäms Asrär al-baläga. Es fiel mir auf, daß die dort zitierten Verse der arabischen Dichter der Abbasidenzeit, ganz besonders etwa die des Ibn al-Muctazz (gest. 296/908) und Ibn ar-Rümi (gest. 283/9), im Grunde in Ansätzen schon manche jener Eigentümlichkeiten auf wiesen, die ich als spezifisch persisch zu betrachten geneigt gewesen war. Nun war ich mir freilich schon früher darüber klar gewesen, daß es verkehrt sei, neupersische Literaturgeschichte isoliert, ohne Zusammenhang mit der arabischen treiben zu wollen, aber weder war mir die Abhängigkeit der persischen Poesie von der neueren arabischen so deutlich geworden wie jetzt, noch hatte ich aus jener Einsicht ernsthaft praktische Konsequenzen gezogen. So stellte sich ein neues Feld von Aufgaben dem Blicke dar, das man jedoch nicht bepflügen durfte, ehe man sich eine gründliche Kenntnis eben jener neueren arabischen Dichtung verschafft hätte. So ist denn die historische Betrachtung auf einen vorläufigen Exkurs und einige Anmerkungen beschränkt geblieben, die lediglich die Richtung weisen sollen, in der sich nach meiner Meinung die literargeschichtliche Betrachtung zu bewegen hat, und ich bin im übrigen meinem ursprünglichen Plan, gewisse Eigenheiten der Dichtung Nizâmïs lediglich vom ästhetischen Standpunkt aus zu analysieren, getreu geblieben. Nun erwarte ich freilich hier den Einwand, daß es zwecklos sei, bei orientalischer Poesie über die ästhetische Wirkung zu reflektieren, die sie auf uns ausübt, es komme allein darauf an, wie sie auf die Orientalen selber wirke. Darauf antworte ich, daß ich es mir wohl selber wünsche, einmal die Gesichtspunkte darlegen zu dürfen, nach denen die Orientalen ihre Dichtkunst beurteilen, eine Aufgabe, die sich jedenfalls für die arabische Dichtung mit aller wünschenswerten Exaktheit lösen läßt, daß aber andererseits die Erfahrung lehrt, wie die großen Dich-



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tungen eines Volkes nicht immer in ihrem ganzen Gehalt von der eigenen Zeit und der eigenen Nation erfaßt werden, und daß es dem Fremden und Spätgeborenen zuweilen vergönnt ist, Dinge zu sehen, zu deren Erfassung bei den Zeitgenossen des Dichters keine Bereitschaft vorhanden war oder zu deren begrifflichem Ausdruck bei ihnen noch keine Möglichkeit bestand. Zudem wird man finden, daß meine Betrachtungsweise sich doch nicht in allen Stücken so weit von der etwa eines drurgânî entfernt, daß man sagen könnte, es werde hier durchweg mit einem prinzipiell wesensfremdem Maßstab gemessen. Daß es sich bei der Neuartigkeit des Unternehmens hier nur um einen ersten tastenden Versuch handeln kann, ist selbstverständlich, und ich würde mich freuen, wenn er durch etwas Besseres und Zureichendes ersetzt würde. Allen denen, die mir bei der Fertigstellung dieser Arbeit geholfen haben, insbesondere den Herren Dr. Björkmann, Hüsni Nedjati Bey und Husain Danisch Bey, dem vortrefflichen Kenner der persischen Dichtersprache, sage ich meinen aufrichtigen Dank.

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enn wir versuchen, uns darüber klar zu werden, worin die spezifische Eigentümlichkeit des dichterischen Ausdrucks bei Nizâmï gegenüber etwa der klassischen arabischen Dichtung besteht, worin sie sich von ihr charakteristisch unterscheidet, so fällt uns zunächst als ein rein äußerliches Merkmal sofort dies auf, daß der dichterische Vergleich, der in der arabischen Poesie eine so große Rolle spielt, hier fast ganz zugunsten des unmittelbaren bildlichen Ausdrucks, der Metapher, isttfära, bezw. des metaphorischen Gleichnisses verdrängt erscheint. Wohl gibt es auch hier regelrechte Vergleiche, die mit einer Vergleichspartikel anfangen, und es würde bei einer Betrachtung der Stilfiguren zu zeigen sein, welche besondere, eigentümliche Funktion diese Art des Vergleiches bei Nizâmï hat, aber im ganzen treten sie auffallend zurück. Jene durch ein bedeutsames ka'anna „es ist als ob" eingeleiteten Vergleiche, haben bei dem Perser kein Gegenstück; dafür beherrscht die Metapher die ganze Dichtersprache in einem Maße, wie wir es aus keiner europäischen noch vorderasiatischen Literatur kennen. Wir können deshalb uns von der Betrachtungsweise der arabischen Rhetoriker, die die Metapher als eine Abart des Vergleiches zu behandeln pflegen, gänzlich frei machen und unsere eigenen Wege gehen. Die Frage, woher dieses Überwiegen der Metapher kommt, stellen wir einstweilen zurück. Wir wollen statt dessen versuchen, über die F u n k t i o n 1 ) der Metapher (und der Vergleiche, die wir bei unserer Betrachtungsweise nicht davon zu trennen brauchen) in der Dichtung Nizâmï's, klar zu werden. Wir werden nun aber der Lösung dieser Frage am besten auf indirektem Wege nahe zu kommen versuchen, d. h. indem wir zu beobachten suchen, wie sich die Metapher in den verschiedenen Stoffgebieten, die der dichterischen Gestaltung unterworfen sind, auswirkt, jedoch so, daß diese Stoffgebiete gleichsam nur das Medium darstellen, in dem wir uns das, worauf es uns ankommt, sichtbar machen wollen. Wenn wir dabei auch etwas über die Methode der Stoffbehandlung bei Nizâmï überhaupt lernen sollten, so werden wir das

1 ) Auch die arabischen Rhetoren verbreiten sich über den Zweck (garad) des Vergleiches (s. Dasüql, Häsija *alä sarh al-muhtasar lil-'aUäma Sa'd. ed-dïn at-Taftazänl 'alà matn at-talhls. Kstpl. 1307 2,308). Über ihre Gesichtspunkte soll ein andermal gehandelt werden,



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als ein nicht unerwünschtes Nebenergebnis unserer Untersuchung gern mit in Kauf nehmen. Gehen wir daher gleich in medias res und beginnen mit einer Untersuchung der N a t u r sc h i l d e r u n g Nizämis. 1. Die Naturschilderung.

Betrachten wir den bekannten Goetheschen Vers: „Schon stand im Nebelkleid die Eiche, ein aufgetürmter Riese da, wo Finsternis aus dem Gesträuche mit hundert schwarzen Augen sah", so läßt sich über diesen Vers u. a. sagen, daß hier sinnlich wahrgenommene Gegenstände der Natur eine eigentümliche Belebung erfahren, daß sie gleichsam „mythisch apperzipiert" werden, doch, da es sich um eine Dichtung handelt, so, daß diese mythische Belebung zugleich als S c h e i n gewußt wird. Über dies Verhältnis der Dichtung zum Mythos hat sich E. Cassirer in seinem Vortrag „Sprache und Mythos" (S. 79—80) ausgesprochen. In der Dichtung vollzieht sich nach ihm gleichsam eine Palingenese des „mythischen Denkens", doch so, daß in ihr zugleich eine Befreiung von der zwanghaften Gebundenheit in das mythische Bewußtsein sich vollzieht, und eben jene Welt des Scheins als eine für sich berechtigte, eigene anerkannt wird. Vielleicht kann man aber sagen, daß in der Dichtung nicht nur eine solche Befreiung von einer früheren Stufe des Bewußtseins vollzogen wird, sondern daß in der Bejahung des Mythos in der neuen, ästhetischen Sphäre, zugleich eine S e h n s u c h t nach jenem frühem Zustand der Unmittelbarkeit, des ungeschiedenen Einsseins mit der Natur noch als lebendig gefühlt zum Ausdruck komme. Es ist hier an eine tiefsinnige Bemerkung des arabischen Rhetorikers Gurgänü1) (gest. 471/1079) zu erinnern. Auf die Frage, 1 ) Sein Buch Asrär al-baläga, hrsg. von dem Begründer der Zeitschrift Al-Manär, M. Resîd Ridä, Kairo 1320, ist eins der geistreichsten und stilistisch glänzendsten Bücher, die je in arabischer Sprache geschrieben worden sind. Es ist zugleich mit seinem Schwesterbuch, den Dalä'il al-i 'gaz, für die Entwicklung der Rhetorik im Morgenlahde von grundlegender Bedeutung gewesen. Das kanonische Lehrbuch der Rhetorik im Orient ist bekanntlich der Miftäh al-'ulüm des Sakkâkï (gest. 626/1229), bezw. dessen Bearbeitung, Talhïs, durch Qazwïnï, (gest. 739/1338), die mit ihren zahlreichen Kommentaren und Superkommentaren bis zum heutigen Tage den Schulbetrieb in den Madrasen vollkommen beherrscht. Sakkâkï hat auch die persische Rhetorik beeinflußt, Hafis hat ihn nach der Überlieferung gelesen, und der in den Gibb Memorial Series als



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warum denn die Verdeutlichung eines abstrakten Gedankens durch ein sinnliches Bild als schön empfunden werde, antwortet er mit dem Halbvers des Dichters: ma 1-hubbu illä lil-habibi l-'auwali.1) Nicht ist die Liebe, außer zum ersten Geliebten (alle Liebe gilt doch nur dem ersten Geliebten). Die erste Form der Erkenntnis, an der wir unsere Lust0 hatten, war die sinnliche Erkenntnis; die durch den Gedanken, die abstrakte, kam nachher. Und darum sehnen wir uns nach jener ersten Erkenntnisart, als nach dem „ersten Geliebten" zurück. (Asrär al-baläga S. 96). Doch wir können auch hier „die Leiter noch eine Stufe tiefer ansetzen" (Cassirer, Phil, der symb. Formen II S. XI). Der „erste Gegenstand der Liebe" ist noch ein anderer; nicht die s i n n l i c h e Erkenntnis, sondern die mythische Form, die Welt zu erfassen, steht am Anfang der geistigen Entwicklung der Menschheit. Kehren wir nunmehr zu unserem Goethevers zurück. Die mythische Belebung von Baum und Gesträuch entzündet sich offenbar nicht an einer r e i n e n B e t r a c h t u n g der Erscheinungsform, sondern hat zur Vorbedingung sozusagen ein „dynamisches" Naturgefühl, eine A f f i z i e r u n g des G e m ü t e s , in diesem Falle durch den unheimlichen, leises Grauen erregenden Anblick der in der Dunkelheit halb verschwommenen Gegenstände. Stellen wir diesem Goetheschen Vers eine Naturschilderung Nizämis gegenüber, so ergibt sich sogleich ein gewaltiger Unterschied. Es scheint, als ob es bei ihm eines solchen „dynamischen" Naturgefühls zur Belebung der geschauten Naturgegenstände nicht bedürfe. Es ist vielmehr offenbar der Eindruck der F o r m allein, der genügt, um die Belebung hervorzurufen; und wenn wir auch bei ihm von einem zu Grunde liegenden Naturgefühl sprechen wollten, so müßten Band 10 erschienene Mu'gam fi ma'äslr as'är al-'agam des Sems-i Qais ist von ihm abhängig. Sakkäkls Rhetorik ist aber im wesentlichen eine scholastische Bearbeitung der beiden Bücher des (Surgânï, die die Originale vollkommen verdrängt hat. Daß dies letztere möglich war, liegt daran, daß ôurgânï seine Ergebnisse erst allmählich vor den Augen des Lesers gleichsam entstehen läßt, während die Schule fertig ausgemünzte Ergebnisse und autoratativ lehrbare Schulbegriffe brauchte, und die eben hat Sakkâkï geliefert. Die Verse, zu denen dieser Halbvers gehört, stammen von Abu Tammäm, vgl. Óáhiz, Al-bajân wat-tabjïn Kairo 1313, 2, 140. Auf den oben zitierten Vers folgt als zweiter: kam manzilin fil-'ardi ja'lafuhu 1-fatà walianïnuhû 'abadan li 'auwali manzili An wie vielen Wohnstätten auf der Erde der edle Mann auch heimisch wird, Sein Sehnen gilt doch immer der ersten Wohnstatt.



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wir dies Naturgefühl als ein rein optisches, aufs Dekorative gerichtetes, charakterisieren. Die Natur wird, wie es scheint, nicht so sehr als eine das Gemüt affizierende Macht, vielmehr als eine dekorative Erscheinung aufgefaßt. Eine unbändige S c h a u - und A u g e n l u s t scheint es zu sein, die zur Belebung der Natur antreibt. Lesen wir eine Garten- oder Frühlingsschilderung bei Nizâmï, so kommt es uns vor, als ob da ein Sonntagskind, das mit andern Augen begabt ist als ein gewöhnlicher Mensch, durch ein Schlüsselloch in den bunten Festsaal der Natur hineinschaute. Und wie es schaut und schaut, beginnen sich die Dinge da drinnen geheimnisvoll zu regen : die Blumen und Sträucher beginnen zu leben, zu handeln und zu leiden wie Menschen, die ruhige Stille wandelt sich um in bunte lebendige leidenschaftliche Bewegung. Nicht als ob die Dinge ihre Gestalt veränderten ; keine Feen treten aus Blumenkelchen hervor, keine Kobolde treiben ihr neckisches Spiel, die belebende Verwandlung ist vielmehr gerade an die Beibehaltung der Form gebunden, gleichsam eine Funktion der Gestalt, und dient im Grunde zu nichts anderem, als das Auge gerade mit Intensität auf die Gestalt, den sinnlichen Eindruck hinzulenken, der durch solche Verwandlung aufs unerhörteste gesteigert erscheint, gleich als ob sich das Auge an der Form nicht satt trinken könnte, als ob es die Formen selbst als solche gesteigert apperzipierte. Auch ist die Welt, die so entsteht, freilich keine „mythische" in dem Sinn, daß nun dämonische Wesen auftreten, sondern es ist die Welt der Natur und die des menschlichen Daseins und Handelns in all seiner bunten Fülle und mit all dem glitzernden Reichtum, wie er sich etwa im Leben eines morgenländischen Fürstenhofes entfalten kann. Bei der Betrachtung der Verse, die eine solche Naturschilderung enthalten, werden wir nun ferner die Beobachtung machen, daß fast in jedem Vers ein r ä u m l i c h e r , zeitlicher oder p h y s i o l o gischer Z u s a m m e n h a n g in einen neuen p h a n t a s t i s c h e n u m g e d e u t e t wird. Der neue Zusammenhang ist meist — doch nicht immer — ein der Sphäre der menschlichen Handlungen und Beziehungen entnommener. Das „Nebeneinander" zweier Blumen (juxta id) auf der Wiese wandelt sich in ein „Wegeneinander" (propter id), die Situation des phantastisch belebten Dinges, in seiner Umgebung wird durch seelische Motive erklärt, die „äußerlichen" Eigenschaften und Wirkungen eines Gegenstandes erhalten eine „innere" Begründung. Es ist im Grunde eben jene Art, die Dinge zu verknüpfen, die Zusammenhänge aufzufassen, die Cassirer als eine Eigenart des mythischen Denkens charakterisiert hat, das aber nun eben in der dichterischen Sphäre sich mit einer ganz neuen Freiheit und



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Souveränität bewegen kann; und eben auf der Möglichkeit, im Gedicht sich gleichsam gefahrlos, spielerisch, in die verlockende Sphäre des „früheren Geliebten" zurückbegeben zu dürfen, beruht — so will mir scheinen — zum großen Teil der eigentümliche Zauber „die e r l a u b t e Magie'" (sihr-i haläl) — um einen orientalischen Ausdruck zu brauchen — aller Dichtkunst. Die neue V e r k n ü p f u n g , in die die Dinge versetzt werden, e r s c h e i n t nun weiterhin in der R e g e l als die s t ä r k e r e , f e s t e r e , notwendigere, sie ist „einleuchtender" als die natürliche, und wir werden am Schluß dieser Abhandlung sehen, daß sich eben damit eine besondere, bedeutsame Funktion der dichterischen Metapher begründet. Betrachtet man diese Verhältnisse vom rein ästhetischen Standpunkt aus, so läßt sich sagen, daß durch diese Belebung der Dinge und Umdeutung ihrer Zusammenhänge ein Doppeltes erreicht wird: Einmal wird — man denkt an eine bekannte Forderung Lessings — das stille Nebeneinander in den Erscheinungen in dramatisch bewegtes Leben umgesetzt, und zum andern wird erreicht, daß ein rein s t o f f lich bedingtes zufälliges N e b e n e i n a n d e r in der künstlerischen F o r m u n g als ein notwendiger Zusammenhang sich darstellt. Aber es ist an der Zeit, das Gesagte an der Hand von Beispielen deutlich zu machen. Auf einem Teich blüht an einem Frühlingsmorgen eine Wasserlilie, bis auf die Blüten ruht die Pflanze im Wasser. HP 1 ) 854 o í 4*1¿

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Das Auge der Wasserlilie hat aus der Folterhaft des Schlafes sich gerettet in die schützende Wasserburg. Die Blume wird anthropomorphisiert, mit menschlichen Affekten ausgestattet, und ihre Situation im Wasser dementsprechend motiviert. Auf der Wiese steht eine Lilie mit goldenem Staubkolben neben einer Narzisse mit kronenartigem Blütenkelch.

Die Lilie hat zu einer Krone für die trunkene Narzisse (trunken ist die Narzisse, weil ihr Blütenkelch andererseits dem glänzenden Auge des Trunkenen gleicht) einen Barren Goldes auf die Fläche der Hand gelegt. r J Ich zitiere den Steindruck Bombay 1265 H. ohne ihm in den Lesarten immer zu folgen. XÔ = Xosrau u Schîrln HP = Heft Peiker LM = Leilï u Megnün SN = Sikendernämeh.

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Wird in diesem Verse ein räumliches Nebeneinander in phantastischer Weise motiviert, so ist dasselbe in dem folgenden Verse bei einem zeitlichen Hintereinander der Fall. 1 ) Wenn die Rose zu blühen beginnt, ist die Zeit der roten AdonisAnemone vorbei, sie muß „sterben". PH

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Der Schreiber der Gesetzesoffenbarung, die Böse, hat mit Lebenswasser für die Anemonen das Bluturteil geschrieben. Die Malve muß dem Jasmin weichen, doch darf sie noch eine Zeitlang mit ihm zusammen blühen: H P 85®

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Es gab die Malve, und zwar noch zur Mitregentschaft, Jasmin das Thronfolgerdiplom.

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Das Blatt der Muskatrose ist beim Juwelen- (d. s. die Blüten) anordnen, der Stengel der Hyazinthe beim Augenschminke-reiben. (Die beiden inhaltlich selbständigen Vershälften sind hier durch die Isokolon, muwäzana, verbunden.) Besonders lehrreich ist die Verknüpfung 2 ) von mehr als zwei Elementen in folgendem schönen Vers: Ein Weinstock trägt dunkle und helle Trauben, ein Blatt ragt schräg über die Trauben hinaus.

Der Stock der Trauben hat (im Stolze) schief die Mütze aufgesetzt, sieht unter seiner Herrschaft ,, Weiße und Schwarze" (Merismus f ü r : alle Völker). 1 ) Ähnliches schon bei Ibn el-Mu'tazz, vgl. den Vers Asrär 238 unten, wo die Rose schadenfroh über die Narzisse lacht, weil deren Herrschaft abgelaufen ist oder Dïwân (Beirut) S. 289 was-subhu qad kasafa c an 'anjäbih ka'annahu jadhaku min dahäbih Der Morgen zeigt seine Zähne, als ob er lache über ihr (der Nacht) Davoneilen. 2 ) Gerade diese unlösliche Verknüpfung der einzelnen Teile der Bilder ist nach Gurgäm (Asrär S. 75ff.) die Bedingung für die Schönheit eines temtil Er macht das u. a., freilich unter etwas andern Gesichtspunkten, klar an dem berühmten Bilde des Korans, das die ihre Thora nicht verstehenden Juden mit einem „Esel, der Bücher trägt", vergleicht. (Sure 62,5.) (Das ausdrucksvolle Bild läßt sich auch auf andere Leute als die Juden in Medina anwenden.)



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Der Weinstock mit den T r a u b e n u n d der R a n k e sind a n sich gewiß ein hübscher Anblick. Aber d a n n b r a u c h t das B l a t t nicht unbedingt schräg zu sitzen, auch müssen nicht gerade dunkle u n d helle T r a u b e n zusammenhängen. I n der neuen Sphäre, in die diese Dinge durch die Metapher versetzt werden, sind alle Teile so organisch u n d unauflöslich miteinander v e r k n ü p f t , daß — u m einen Ausdruck Wölfflins zu gebrauchen — m a n kein Glied herausschneiden könnte, „ohne d a ß B l u t fließt", ohne d a ß das Bild zerstört würde. Diese Umwandlung eines anschaulichen Nebeneinanders in lebendige Beziehungen phantastischer A r t läßt sich besonders deutlich a n der dichterischen Behandlung eines Vorwurfs verfolgen, der Nizämi in der X a m s e dreimal zur Bearbeitung gereizt h a t , das K o h l e n f e u e r beim Zechgelage im Winter. I c h gebe aus den betreffenden Stellen in X S u n d H P einige Verse: X S 32 2 ff. JtS 1 j

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Wohlbekömmlicher Wein und fröhliche Zecherei, goldenes Kohlenbechen voll Feuer. Cjj-icArmenische Zechgelärm.

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Kohle auf heißem Feuer, schwarze, uñe Neger beim

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y? t Da doch der Moschus des Moschusbeutels zur Zeit des Gräsersprießens, nachdem er zuvor rot war, schwarze Farbe annimmt, jL·»-J

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Warum wird jene (die Kohle) dem Aloeholze gleiche Moschusweide rotwangig, nachdem sie zuvor schwarz war? (Rhetorische Figur des ta'aggub, der „Verwunderung", Aporie, s. S. 33) c—Ai ^AL·- (jY'u ^

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Was macht sie (die Kohle) in doppelfarbiger Gesinnung das Schwarze rot, da es höher als Schwarz doch keine Farbe gibt? J ïJ

L» oi^ (Jy> j l & ji J3Z J í " ß*-» I " I Sie hat wohl von dem Zeitenlauf gelernt den Zauber, der aus unserm Schwarzhaar die Farbe fortnimmt. (Phantastische Lösung der Aporie.) «ÜYj (J* OlÄAi JÌ In dem Garten der Flamme hat der Landwirt jenes Feldes (solche Ausdrücke wie jenes Feld, jenes Darf, jener Garten etc.

11 h a b e n in solchem Z u s a m m e n h a n g nur die B e d e u t u n g eines Hinweises d a r a u f , d a ß es sich u m eine, eben diese, m e t a p h o r i s c h e S p h ä r e h a n d e l t , in der das Geschehene v o r sich g e h t ) das (dunkle) Veilchen

Schwarz Gebirges,

Ein

abgemäht

und

(rote) Tulpen

gesät.

hat sie (die K o h l e ) sich angezogen mit dem

Adler,

eignen

Blut gefärbt

der sich die eigne Feder

Fuß

und

wie die Raben

des

Schnabel.1)

zum Pfeil gemacht (d. h. sich

selbst v e r w u n d e t h a t , so daß es n o c h v o n B l u t g e r ö t e t ist),

eine

schwarze

(ein

Schlange,

die

den

( a s c h f a r b e n e n ) Schlangenstein

s a g e n h a f t e r Stein, der im Gehirn der Schlange sitzen und ein ber ü h m t e s A n t i d o t o n sein soll 2 ) vor sich hin geworfen

hat.

') Es gibt eine im Gebirge lebende Rabenart mit rotem Sohnabel und roten Beinen, die Araber nennen einen solchen Raben a'sam. Vergi, (Surgânï 1. c. 176, Vers aus der Trauerqasïde des Abu Nuwäs auf seinen Lehrer Halaf al-'ahmar, die dieser sich bereits bei Lebzeiten von ihm dichten ließ. 2 ) Zur Zeit liegt eine Handschrift vor mir, die man mir aus Bagdad geschickt hat. Ihr erster Teil enthält das Steinbuch des Muhammed b. Mansür (vergi. Hammer, Fundgrube des Orients 6 (1818) S. 126—142). Der Verfasser, der ein Fachmann zu sein scheint, kennt nicht nur genau die Fundorte der Edelsteine, die mit Länge- und Breitengrad angegeben werden, die Methode ihrer Gewinnung, ihre Pflege und Behandlung, ihre zahllosen Unterarten, ihre Qualitätsunterschiede, ihre Preise, sondern unterscheidet auch genau das, was er aus eigener Praxis kennt, von dem, was in den Büchern steht. Über den Schlangenstein sagt er folgendes: (9. bäb, 5. fasi, S. 51 der Handschrift): ,,Ιη den Büchern der Alten steht geschrieben, der Schlangenstein sei ein aschfarbener Stein, so wie der päzahr (ein Stein, der aus der Augenfeuchtigkeit der Bergkuh (gewezn) entstehen soll) den man aus dem Ko-pf großer Schlangen herausholt. So lange er von der Haut (des Tieres) umschlossen ist, ist er weich, wenn er herausgeholt wird, wird er unter dem Einfluß der Luftkälte zum Stein. Er hat die Form eines Hühnereies. Manchmal sind Linien darauf gezogen. Wenn man ihn auf schwarzem Taffet (paläs) reibt, wird dieser weiß. Bindet man ihn auf eine Schlangenbißstelle, so fließt Eiter (zerdab) heraus, und der Stein bleibt auf der Wunde kleben bis alles Gift herausgekommen ist, dann fällt er ab. Wer ihn bei sich trägt, dem schadet das Gift nicht so sehr, und er ist auch bei anderen Giften wirksam, reibt man mit ihm die Schlangenbißwunde, so zieht er das Gift heraus. Der deutlich beglaubigte Schlangenstein ist sehr selten und wertvoll, aber zu dieser Zeit ist er nie gesehen worden. Man schneidet aus Marienstein (wohl Marienglas Î), das ein wertloser Stein ist, etwas Ahnliches zurecht. Der Marienstein hat auch die Eigenschaft, schwarzen Taffet weiß zu färben, das kommt von der Weichheit dea Steines und der Rauhheit des Τ äff et". E r erzählt dann, daß Muhammed Zakarijjä (d. i. der berühmte Arzt Räzi) einmal erlebt habe, wie ein Mann vor seinen Augen eine Schlange in Gegenwart



1-2



(Schwarze) Gagantkohle in ein Korundgeschmeid Franke, der einem Neger das Haupt abschlug.

gefügt;

ein

Ein (die Inder gelten als schwarz) Magier aus Hindustan, wie, Zarathustra mit Zendgemurmel beginnend. ( Gemeint ist das Knistern des Feuers.) Die andere Stelle 1 ) schildert ein Gelage Behräm Görs im Winter. (Ich nehme ein paar Verse aus der Winterschilderung dazu.) H P 34ieff

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Es war ein Tag für das Haus, nicht die Jahreszeit, für den Garten, denn es war der erste Tag vom Winter. eij

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Kerzen und Leuchter der Gärten erloschen, Gerät und Hütte des Gärtners fortgetragen.

Den Ruf gestohlen hat den Nachtigallen die Krähe (statt des Gesangs der Nachtigall hört man jetzt das Schreien der Krähe) den gestohlenen Ruf hat sie in den Garten gebracht. Die Krähe ist keiner anderen als indischer Herkunft (sie ist schwarz), Dieberei ist bei Indern nicht verwunderlich (sie gelten als spitzbübisch).

Der Maler Nachtwind hat auf das Wasser Kettenringe

gemalt.

Die Vegetation hat den Kopf in die Erde zurückgezogen, vegetabile Kraft hat sich zur Meditation hingesetzt.

die

des Sultans getötet, aus ihrem Kopf einen Schlangenstein herausgeholt, und ihn dem Sultan verkauft habe. Später habe ihm der Mann in der Trunkenheit gestanden, daß er den Kopf einer lebenden Sehlange gespalten, einen Marienstein hineingetan, die Wunde zugenäht und gewartet habe, bis sie verheilt war, um dann den Sultan damit anzuführen. *) Auf die dritte Feuerschilderung, SN 78 gehe ich nicht ein. Eine arabische Feuerschilderung in regulären Vergleichen (nicht reinen Metaphern) siehe (jrurgäni Asrär 166, einige Verse aus einer Winter- und Feuerschilderung des Tanühi ib. S. 186.



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(Schilderung des Feuers:) >

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Das Feuer entzündet aus Sandel- und Aloeholz, ringsherum wie Inder in der Prosternation. ^Iw) ¿ I j j I a ¿uJl iJ,

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Ein Türke aus kleinasiatischem sein Beiname. S L

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Geschlecht, Augentrost der Inder J Ï J ¿y&A J i ^ j iSVçtiyj

Moschusjarbene Steinkohlen um das Feuer herum, wie ein Spiegel in Stein. oLaUi» J J J j ) Oj5l) Jene gagantfarben, in der Dunkelheit.

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Der Zend Zarathustra darin melodisch tönend (s.o.), die Magier Nachtfalter setzen ihre Kutten aufs Spiel darin (sie können sich die Flügel versengen). flijtfl

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Nunkannmansichm.E.demEindrucknichtentziehen, daß am E n d e der E n t w i c k l u n g hier eine h ö c h s t r a f f i n i e r t e W o r t k u n s t ') Wenn man unvokalisierte und unkorrekte orientalische Dichterdrucke lesen muß, so wird einem klar, daß für die arabische Dichtersprache wohl keine Schriftart so ungeeignet ist wie die arabische. Wieviel sicherer bestimmt diese Schrift schon die Wortformen der persischen oder türkischen Poesie!

w i e d e r in e t w a s g a n z U r s p r ü n g l i c h e s ü b e r g e h t . Die Metaphern in der Wiesenschilderung sind nicht mehr bloße abgekürzte raffinierte Vergleiche, ja sie sind eigentlich gar keine Vergleiche mehr, der Gedanke, daß hier zwei Dinge nebeneinandergehalten und verglichen sind, von denen das eine dann weggelassen ist, kommt gar nicht mehr auf.1) Die Natur wird hier vielmehr offenbar ganz ursprünglich mythisch-dichterisch apperzipiert. Wohl ist Nizäml nicht ohne die vorhergehende Entwicklung des Vergleichs in der arabischen Dichtung zu denken, aber dennoch bleibt er das Sonntagskind, das die Natur mit Dichteraugen sieht.2) Auch Goethes Dichtung ist ohne die Entwicklung der abendländischen Formen der Dichtkunst vom Altertum bis zu seiner Zeit nicht denkbar, doch wer wollte darin einen Beweis für die mangelnde Ursprünglichkeit seines Dichtens sehen ! Nun sahen wir bereits, daß das Naturgefühl, das in dieser Art, die Natur zu betrachten, sich manifestiert, ein im wesentlichen auf das O p t i s c h - d e k o r a t i v e gerichtetes ist. DerDichter ist sichtlich auf die Erscheinung wesentlich optisch genießend eingestellt. Auch wenn die Bilder ins Menschlich-Seelische hinüberzuführen scheinen, sind sie im Grunde doch wesentlich optisch dekorativ gemeint. Sie umweben ein alltägliches Geschehen mit buntem dichterischem Glanz. Nicht anders sind denn auch jene berühmten Sonnenauf- und Untergänge zü verstehen, von denen die Tage der Helden unserer Dichtung eingerahmt werden.3) Diese kosmischen Vorgänge bieten in ihrer Fülle von sinnlichen Erscheinungen, Übergängen und Gegensätzen von hell und dunkel, dem Wettstreit der großen und der kleinen Himmelslichter, den Farbenerscheinungen der Atmosphäre, ein reiches Material von mannigfach verknüpfbaren Elementen dar ; und der große Umdeuter und Neuverknüpfer Nizäml hatte hier eine Fülle von Möglichkeiten, seine Kunst zu zeigen. 1

) ôurgânï zeigt an dem S. 46 Anm. zitierten Verse, daß die Wirkung sofort verloren geht, sobald man versucht, den Vergleiohsakt hervortreten zu lassen. S. 248. 2 ) Eine hübsche Anekdote über die dichterische Apperzeption der Gestalt der Wespe durch einen Knaben erzählt Gurgäni S. 155: "Abderrahmän b. Hassan kommt als Knabe zu seinem Vater gelaufen und sagt: es hat mich ein Fliegetier gestochen (lasa*ani tä'ir). Hassan sagt: Beschreibe es, mein Junge! Darauf der Knabe: Es war, wie wenn es sich in zwei gestreifte Gewänder eingewickelt hätte (ka'annahü multaffun fl burdai hibarah), worauf der Vater sagt: Mein Junge dichtet, beim Herrn der Ka'ba! In der Tat könnte der Vergleich in einem komplizierten arabischen Gedicht stehen. 3 ) Firdüsi hat ähnliches in sehr viel bescheidenerem Ausmaßen. Siehe darüber Paul Horns Arbeit in den Orientalischen Studien: „Die Sonnenaufgänge im Schahname".



23



A u s d e m überreichen Material greife ich einige beliebige Beispiele heraus : X S 15 5 ¿ z j j

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Morgen. Als die Sonne aus azurner Festung die Zelte schlug auf einer gelben Mauer (des Frühlichts).

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A b e n d . Als der Schöpf der Nacht gekämmt und die Lampe des Tages zum Schmetterling (der in der Lampe stirbt) gemacht ward. X S 16 10

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Es kam heraus dem Vorhang Wohlgeruchbereitung, ivürfeln (Planeten) anstelle des Ballspiels (Sonne).

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Zur Nachtzeit als dieser uralte Phönix (— die Welt) den Batich sich füllte mit diesem einzigen Korund (Sonne). Xè

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M o r g e n . Zur Zeit der Morgenhelle, als die Helle zu atmen begann, die Schwärze hören ließ den Laut der Hoffnungslosigkeit. J¿T ¿L a*T j

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Tausend Narzissen (-äugen d. i. Sterne) an dem weltkreisenden Himmelsrad hinabsanken, daß heraufstieg eine gelbe Rose.1) H P 92 4 v. u.

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A b e n d . Die Welt ward den Menschen wie eine Flasche da die Flasche der Sonne auf dem Stein zerschlug.2)

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Arabische Beispiele für den Vergleich der Sterne mit Blumen s. Asrär 168ff. ) Beachte das schöne Wortspiel (tegnïs-i támm) mit sise. Es bildet das verknüpfende Glied zwischen dem Bild des ersten Halbverses und dem des 2



24



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Als am Morgen das Antlitz

die Lampe

erstrahlen

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des Himmels

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der Schönheit

der

Welt

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zweiten. Es ist als ob das Wort bei der Übernahme in das Bild des zweiten Halbverses gleichsam harmonisch umgedeutet würde. Eine derartige, höchst wirkungsvolle Verknüpfung der beiden, zwei verschiedene Vorstellungskomplexe enthaltenden Halbverse durch geistreiche Verwendung rhetorischer Stilfiguren findet sich bei Nizâmï ungemein häufig. 1 ) Ich stelle zur Bekräftigung des oben S.4 Gesagten diesen Schilderungen einige arabische gegenüber: I b n al -Mu'tazz (Asrär al-baläga 142 Diwan Beirut 252): K a ' a n n ä wadau'u s-subhi jasta'gilu d-dugà — nutïru guräban dà qawädima güni Als ob wir, als das Licht des Morgens die Dunkelheit der Nacht zur Eile antrieb, einen Raben mit weißen Flügelspitzen aufflattern ließen. Nizâmï hätte das Motiv wohl auch verwenden können, aber er h ä t t e die Beziehung auf die Person des Redenden aufgegeben. Abü Tälib ar-Räqqi (ib. S. 138): Waka'anna agräma n-nugümi lawämi'an — durarun nutirna *alà bisätin (Jatïma 1, 214: zugägin) azraqi Als ob die Körper der Sterne mit ihrem Glänzen Perlen wären, die auf einem blauen Teppich (var. auf blauem Olas) ausgestreut wurden. Nizämi würde etwa sagen: Als auf den blauen Teppich der Nacht glänzende Perlen ausgestreut wurden, er h ä t t e das musabbah nur mit der izäfet-i tasbïhïje „der N a c h t " angedeutet oder überhaupt ganz weggelassen (ib. S. 136, I b n Manzür, Nitär al-azhär fi 1-lail wan-nahär, (Sawä'ib 1298 S. 68): Gada was-subhu t a h t a 1-laili bädin — katirfin ashabin mulqi 1-giläli .. . der Morgen schien unter der Nacht hervor wie ein edler Schimmel, der die Schabracke abwirft. Nizämi h ä t t e vielleicht gesagt: Als der Schimmel des Morgens die Schabracke abwarf. (Aus dem zuletzt zitierten Buch, einer Zusammenstellung von arabischen Dichterstellen über die Himmelserscheinungen, ließen sich die Belege häufen.) Die Vergleiche Nizämis sind also in der neueren arabischen Dichtung schon vorbereitet, aber erst durch die Form der Metapher kommt jene eigentümliche Objektivität zustande, in der die Natur nicht nur als vergleichbar mit lebenden Wesen, sondern selbst als belebt erscheint. I n dieser Richtung weiter fortgeschritten ist schon der Vers des Tanühl (Asrär 166): 'Uqhuwänun mu'äniqun lisaqïqin — katugürin ta'addu warda 1-hudüdi Kamille umarmend Anemone, wie Zähne, die in rote Wangen beißen. Hier braucht man nur wenig zu ändern, u m einen Vers im Stile Nizämis vor sich zu haben, (Über Vergleiche für kosmische Erscheinungen s. a. I b n Manzür, Nitär al-'azhär fil-lail wan-nahär, Kstpl. 1298.) Sowohl die Belebung als die umdeutende Verknüpfung ist vorhanden, und schon der dem Vergleich unterworfene Vorwurf im ersten Halbvers ist in die Form der belebenden Metapher gekleidet.

Der Wechsel von Licht und Finsternis, der Auf- und Untergang der großen Himmelskörper bietet so, wie wir sahen, ein dankbares Feld für Nizämis bunte Deutekunst. Ein spröderes Material scheint der gestirnte Nachthimmel zu bilden. Doch mit seinen Sternbildern und Planeten und deren mannigfaltiger Belebung durch die Astrologie unterwirft auch -er sich leicht der dichterischen Verwandlungskunst, ja wir können in dieser Umwandlung gewissermaßen eine ästhetische Überwindung der astrologischen Welt sehen. Was aber soll man sagen, wenn es Nizämi gelingt, in der großen Beschreibung des nächtlichen Sternenhimmels in Laill und Megnün (S. 55—57) — sogar die Mondstationen in seinen Zauberbann zu zwingen, so daß sie paarweise verknüpft, den bunten Reigen mittanzen müssen? Ich will mich und andere nicht mit der Vorführung dieser Verse ermüden. Auch bessere Kenner der persischen Poesie auf der einen und der Astronomie und der Astrologie auf der andern Seite möchten einige Zeit aufwenden müssen, um diese Bilderschrift zu enträtseln; genug, daß wir staunend bewundern, mit welcher Kunst die öde Bahn des Mondes am astronomischen Himmel in einen bunten Bilderteppich verwandelt wird. Aber gerade an solchen Beispielen kann uns das Verständnis für jene schöne Funktion der Nizämischen Bildersprache aufgehen: d i e Ü b e r f ü h r u n g des G l e i c h f ö r m i g e n in die M a n n i g f a l t i g k e i t , bezw. des F a r b l o s e n , s a c h l i c h t r o c k e n e n in b u n t e s F a r b e n · s p i e l . Alle Jahre kommt der Frühling wieder, alle Jahre blühen die Rosen, alle Jahre singen die Nachtigallen. Es ist schön, aber es ist im Grunde immer dasselbe. Alle Tage geht die Sonne auf und alle Tage geht die Sonne unter. Es ist immer wieder der Bewunderung wert, aber was alle Tage geschieht, wird schließlich zum Alltäglichen. In der Romanzendichtung Nizämis, dieser Poesie der Poesien, ist der Alltag überwunden, die graue Leinwand des einförmigen Geschehens, der trockenen Aufzählung und Erzählung verwandelt sich unter den Händen des Dichters in golddurchwirkten Brokat. Doch wirkt das bunte Spiel picht gar zu verwirrend? Gleichen diese Metaphern nicht den zufälligen, regellosen Bildern eines Kaleidoskops ? Wird nicht Schmuck und Zierat in üppiger Fülle wahllos ausgestreut, ohne eine Regel, ein ordnendes, verpflichtendes Prinzip? Manchmal scheint es so, doch nicht immer herrscht der blinde Zufall, der regellose Einfall. Es gibt ein solches Prinzip, das der Willkür Schranken setzt. Es ist das, was ich das P r i n z i p d e r h a r m o n i s c h e n oder b e z i e h u n g s r e i c h e n B i l d w a h l nennen möchte. Chosrau und Schirin reiten amMorgen auf zweiPferden aus,das eine Pferd, ein Rappe heißt, Schebdöz „Nachtschwarz", das andere Gulgün „Rosenfarb". Vorher geht die Sonne auf. Aber es ist, als ob



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sie wüßte, daß unter ihrem Morgenstrahl die beiden auf diesen Pferden ausreiten wollen, und darum paßt sie sich ihnen an: XS 44*8 Juj J

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Als dem ,,Nachtschwarz" Nacht der „Rosenfarb" Sonne die Schabracke (d. i. das Morgenlicht) aufwarf ,1) wie Rosenblätter auf eine Weide (die Weide gilt als dunkler Baum). In dem Bild der beiden menschlichen Reiter spiegelt sich nun andrerseits wieder etwas von dem kosmischen Vorgang wieder: JLJLJJ J OJ&SÍLJ

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Mond (Schîrïn) und Sonne (Chosrau) ihr Herz aufs Waidwerk richteten, auf „Nachtschwarz" und ,,Rosenfarb" setzten sie sich. Gewiß, es sind nur Wortspiele. Aber in dieser Neuverknüpfung der an sich nur durch die Zeit, den Stoff, den Gang der Handlung verbundenen beiden Vorgänge durch die formalen Mittel der Kunst manifestiert sich echte künstlerische Gestaltungskraft. Ein anderes Beispiel: Schîrïn kommt am Morgen aus dem Schlafgemach, wie ein „chinesisches Bild aus einem Schmuckkästchen". Hier geht die Sonne so auf: XÖ 2 4 «

Als anschlug am, Morgen der Schatzmeister Chinas an dem Juwelenkästchen (dem Himmel) das goldene Schloß (die Sonne) — da kam — im Gegensatz dazu — Schîrïn aus dem Kästchen heraus : ¿¿ς

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Kam heraus aus dem Kästchen jenes chinesische Bild. 1 ) Vgl. hierzu den schon oben (S. 24) angeführten Vers Óurgání, Asrär, S. 136): Gada was-subhu tahta 1-laili bädin — ka^irfin ashabin mulqi 1-giläli . . . der Morgen schien unter der Nacht hervor, wie ein edler Schimmel, der die Schabracke abwirft und S. 163: Wahattà hasibtu 1-laila was· subha id bada — hisänaini muhtälaini gaunan wa'asqarä Daß ich glaubte, die Nacht und der Morgen, da er erschien, seien zwei stolzschreitende Hengste, ein schwarzer und, ein roter. Man könnte fast meinen, Nizämi hätte diese beiden Bilder kontaminiert, aber die Motive sind bei ihm doch anders gewendet. Immerhin ergibt sich, daß auch die persischen metaphorischen Sonnenaufgänge schon in den Vergleichen der arabischen Dichtung ihr Vorbild haben.



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Nicht immer ist die Beziehung so sinnlich äußerlich. Die Harmonie kann ζ. B. eine astrologische sein. Wie ich anderwärts (Islam 15, 112) ausgeführt habe, ist der Sinn des Märchens von den sieben Schlössern Behräm Görs mit den sieben Königstöchtern der sieben Klimata der, daß der König dem bösen Auge durch astrologische Lebensführung zu entgehen hofft, und zwar nicht, wie gewöhnlich, durch Harmonisierung seines Lebens mit seinem Geburtsplaneten (genethlialogisches Prinzip) sondern durch Anpassung an den jeweiligen Tagesplaneten (Prinzip der electiones). An jedem Wochentage muß alles, insbesondere die Wahl der Frau und die Farbe der Kleidung dem herrschenden Planeten angepaßt sein. Wir können nun von Nizämi billigerweise verlangen, daß er auch seine Sonnenaufgänge, wenn er solche bringt, dem Tagesherrscher anpaßt. LTnd wir werden nicht enttäuscht. Ich gebe die betreffenden Verse : S a t u r n s t a g (schwarz) H P 3710 A I • ^ l i c (J-U ji i j Jij Am Samstag vom Kloster ein Diakon das Zelt aufschlug (schwarzen) Ahbasidengeivande. S o n n t a g (goldgelb) ib. 47 18 Ο

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áis der Kragen des Bergs und der Saum des Feldes aus der (Gold-) Wage des Margens voll Goldes geschüttet ward. M i t t w o c h (blau) ibd. 6312 il y " ö ß b O—S' i î j x l à jl ¿¡Γ Jj jl>Am Mittwoch, als durch die Blume der Sonne (Heliotrop hier = Sonne gesetzt) türkisfarben ward die Schwärze des Himmels. D o n n e r s t a g (sandelbolzfarben) ibd. 7122 (^Li ¿Jl¿\j ijc. (^LtS'4.9I) ρ Oj> ι Als der Morgenhauch den Moschusbeutel öffnete, die sandelholzreibende Erde (sie wird beim Sonnenaufgang gelbbraun) das (schwarze) Aloeholz (Nacht) verbrannte. F r e i t a g (weiß) ibd. 78 u. JujL» I_jlli 1 jl 3 β IJ Jul ^jjJ** ¿ f jjj Am Freitag, als dieser gewölbte (dunkle) Weidenbaum (?) (d.i. die Welt), das Haus durch die Sonne weiß machte. Die Beziehung kann auch eine mythologische sein:



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Der in der Wüste verirrte Mähän wirft sich nach all den gespenstischen Abenteuern, die er erlebt hat, verzweifelt zuBoden und betet zu Gott um Hilfe. Als er die Augen aufhebt, steht der Helfer der verirrten Wanderer, Chidr, vor ihm. Mähän ist wie ein Verdursteter, der plötzlich Wasser vor sich sieht. H P 7115 v. u.

(JIIFJUJ JA Als Mähän den Gruß des Chidr hörte, durstend war er, das Lebensivasser sah er. Einfaches Wasser hätte wohl genügt. Aber da es Chidr ist, der vor ihm steht, ist es schön, daß vom Lebenswasser gesprochen wird. 1 ) Die Beziehung kann endlich eine rein seelisch stimmungsmäßige sein. Wir werden später sehen, daß nicht nur einzelne Verse, sondern ganze Naturschilderungen großen Stils dem seelischen bezw. Stimmungsgehalt der folgenden Szene angepaßt werden, doch sei es uns hier genug, auf das Prinzip als solches hingewiesen zu haben. 2 ) Damit verlassen wir vorläufig das Reich der Natur, um später noch einmal zu ihm zurückzukehren. Wir wenden uns jetzt dem würdigsten Gegenstand dichterischer Schilderung zu, dem Menschen. 2. Der Mensch als Objekt der Betrachtung und Schilderung. Dekorative

Schönheitsschilderung.

enn ein Dichter die rote Wange eines schönen Menschen mit einer Rose, seine roten Lippen mit einem Rubin vergleicht, so bedeutet das, daß der Eindruck, den diese beiden Gegenstände seiner Schilderung auf ihn machen, so stark ist, daß er sie so gesteigert apperzipiert, daß er ein objektives Korrelat dafür nur in solchen Dingen zu finden glaubt oder vorgibt, bei denen die gerühmte Eigenschaft im stärkeren Maße vorhanden ist als beim Original selbst. Nun werden aber gewisse VerIn solchen Fällen wird die harmonische Bildwahl öfters von Südi im H äfiskommentar hervorgehoben mit dem Ausdruck: hübwäqi' olmusdur. Man gebraucht dafür auch den Ausdruck tanäsub. 2 ) Das gleiche Prinzip der „harmonischen Bildwahl" wird bekanntlich auch in Prosa angewandt. Die oft in Kunstprosa geschriebenen Prooemien von Büchern und Staatsschreiben sind meist so gehalten, daß die Bilder, mit denen Gott (in der hamdala) gepriesen wird, eben der Sphäre des zu behandelnden Gegenstandes entnommen werden. (Ein besonders schönes Beispiel ist die Vorrede zu dem oben erwähnten persischen Steinbuche.) Vergi, zìi diesem Prinzip Al-matal as-sä'ir, Kairo 1312 S. 29, 259, 263.



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gleiche, die sich auf den vornehmsten Gegenstand der Bewunderung, den schönen Menschen beziehen, leicht abgebraucht. Gurgäm warnt ausdrücklich vor dem Vergleich der Wange mit einer Rose als einem „vulgären" Vergleich (tesbih 'ämm, mubtadal) der seine Kraft so eingebüßt habe, daß er nicht mehr zu brauchen sei. Nun haben wir bereits gesehen, daß der Vergleich in der persischen Kunstpoesie fast ganz der Metapher gewichen ist, und die Folge des häufigen Gebrauchs gewisser Metaphern ist dort gewesen, daß gewisse dichterischen Bilder zu bloßen sprachlichen Metaphern herabgesunken sind : Rose, Rubin Narzisse sind nichts mehr als Vokabeln der Dichtersprache für Wange, Lippe, Auge. Wie es im Javanischen eine Höflichkeitssprache gibt, der Art, daß alle Dinge, die von einem höher stehenden Menschen ausgesagt werden, anders benannt werden als gewöhnlich, so gibt es im Persischen gleichsam eine, aus früher einmal lebendig gewesenen Vergleichen erstarrte Schönheitssprache, in der die Teile des menschlichen Körpers anders, dekorativer bezeichnet werden als im Alltag. Diese Schönheitssprache wirkt steigernd fast nur noch durch die bloße Tatsache, daß sie nur auf schöne Menschen angewandt wird, in ihrer Anwendung als solcher begründet sich aber noch keine dichterische Leistung, sondern diese kommt erst durch die Art der Anwendung dieser Metaphern, ihre Verknüpfung, Gegenüberstellung usw. zustande. Übersetzt man in der Nachdichtung diese Metaphern wörtlich in eine andere Sprache, so üben sie eine viel zu starke Wirkung aus, die alles ins unerträglich Süßliche verzerrt, Die Vorstellungskreise, denen jene Metaphern der persischen Dichtersprache entnommen sind, sind in der Hauptsache die der Natur, soweit deren Gegenstände stark auf das Auge, den Geschmack und den Geruchssinn wirken, als da sind Blumen, Sträucher, Früchte, Süßigkeiten, Juwelen, Wohlgerüche, Himmelskörper. Daneben steht das Arsenal der Waffen — die Locke wird zum Lasso, mit dem der Liebhaber gefangen und gefesselt wird, entsprechend die Braue zum Bogen, die Wimper zum Pfeil usw. Dazu kommt endlich das Gebiet der bildenden Künste, die Bildhauerkunst (but), die Malerei und die Kalligraphie. Gehen wir nun dem Gebrauch dieser Schönheitssprache bei Nizäm! nach, so ergibt sich in gewisser Hinsicht zunächst dasselbe, was wir im Prinzip schon bei der Naturschilderung vorgefunden haben. Es handelt sich zunächst um eine umdeutende Überführung der sinnlichen Erscheinung in eine stärker und dekorativer wirkende Sphäre. Nur ist diese Sphäre nicht sowohl die menschliche, als vielmehr die der Natur und der Kunst. Die hybriden Gebilde, die so zustande kommen, wirken 3

Ritter, Nizärais Bildersprache.



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auf den, der sich in dieser Dichtung noch nicht eingelebt hat, zunächst sehr fremdartig, bald aber mag man sie nicht mehr missen.1) Gehen wir zu Beispielen über: Als Schäpür der Schïrïn die Schönheit des jungen Chosrau schildern und besonders hervorheben will, daß er noch bartlos sei, sagt er: XS 23 lff ·

Noch ist ihm um die Rose (Wange) nicht gewachsen der Buchsbaum, von seiner freien Zypresse (schlanker Wuchs) ist dieZypresse frei. (d. h. sie kann sich nicht damit messen). Der zweite Halbvers (unsicher überliefert) ist durch die gemeinsame Vorstellungseinheit des Gartens mit dem ersten Halbvers verbunden (murä'ät an-nazlr). ji

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Noch ist ihm der Ring des Kinns im Schleier, noch ist ihm das Blatt der Wasserlilie im Wasser. 4-»-

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daß solchen Drachen noch kein jß' ^

Krummrückig, Gott steh uns bei, buckelig, wie ein Bogen, den man mit Borke überzieht, J^·-}

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Ein Bogenrücken und ein Krebsgesicht, ihr Gestank tausend Parasangen weit, jU." Oy?

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Eine Nase wie der Ofen der Ziegelbrenner, ein Mund wie der Trog der Färber,



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Gespalten eine Lippe wie das Maul des Krokodils, an die Brust gedrückt hatte er den Drachen dicht. Die folgende Szene, wie das Ungeheuer den armen schönen Jüngling mit Küssen bedeckt, bleibe dem Leser erspart.

H y p e r b o l i s c h e S t e i g e r u n g durch S c h i l d e r u n g der Wirkung. ill man zum Ausdruck bringen nicht nur, daß ein Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft besitzt, sondern daß sie ihm im denkbarhöchsten Maße eigen ist, so kann man das tun in der Form der Übertreibung d. h. man kann dem Gegenstand die betreffende Eigenschaft in einem Ausmaße zuschreiben, das sich sofort als in der Realität undenkbar durchschauen läßt. Man kann z.B. einen starken Menschen als elefantenleibig, einen kleinen Mund als unsichtbar, ja überhaupt nicht vorhanden, eine dünne Taille als ein Haar bezeichnen, so daß es etwa sinnlos wird, einem solchen Menschen einen Gürtel schenken zu wollen und dergleichen mehr. Ich möchte aber hier vor allem auf diejenige Art der Hyperbel eingehen, bei der die Wirkung der betreffenden Eigenschaft des Menschen auf die Welt geschildert wird. Chosraus besondere Begabung zum Zechen wird folgendermaßen geschildert. X S 237

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Wenn er an den Becher Keichosraus die Hand legt, mit dem Duft eines Schluckes macht er das Meer trunken. Von Chosraus Majestät heißt es: Der Welt wird vor seinem Reittier der Weg enge, die Fahne über den sieben Himmeln flattert ihm. Die Wirkung der Schönheit Schïrïns auf die Menschheit ist groß : X S 1718 ¿•ß>J~

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I Mit dem Auge der Gazellen jener Quell (tegnis-i zä'id) der Süßigkeit bringt den Löwentötem Hasenschlaf.



37



(Die Versteile sind hier wieder zusammengehalten durch die gemeinsame Sphäre der jagdbaren Tiere: murä'ät an-nazlr.) AlsSchîrîn sich der Quelle nähert, um in ihr zu baden, treten selbst dem Himmel in der Ferne Tränen in die Augen: X S 25 u. j l duol çJSif

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Als zur Quelle (tegnls-i tämm) sich begab jener Quell des Lichts, kam dem Himmel das 'Wasser ins Auge in der Ferne (denn er wurde geblendet von ihrem Glanz, obwohl er so von weitem zusah). Auch hier ist die gleiche Doppelsphäre, Wasser, Quelle, Licht, Auge durch den ganzen Vers festgehalten. Wenn Schïrïn ihre schönen Hände regt, unterzeichnet sie gleichsam fortwährend Todesurteile für ihre unglücklichen Liebhaber. X S 174 v. u. Um den Befehl zu unterzeichnen, der die Menschen töten wird, hat sie an den Händen zehn Schreibrohre, das heißt zehn Finger. (In diesem Vers sind die formal ästhetischen Schranken des Ausdrucks zugunsten der möglichst starken Intensivierung gänzlich ignoriert.) XS 1714 Durch ihren „Mond" hundert Linnengewänder voll Risse findest du (nach orientalischem Glauben zerstört der Mondschein die Linnenge webe), wie beim Mond Risse im Antlitz findest du bei ihr nicht (tegnis-i tämm). Nackte Mädchen baden in einem Teich, die ganze sublunare Welt vom „Mond bis zum Fisch" (d. h. dem mythischen Fisch, auf dem der Stier steht, der die Erde trägt) gerät darüber in Aufregung. H P 81» Mond (Mädchen) und Fisch sitzend beide im Wasser, Mond bis Fisch (sehr wirksames tegnïs) alles in Aufruhr geraten. Die Helden zeigen sich dem Betrachter, bei allem was sie sind und tun, immer in solchen Maßen. Wenn uns diese Hyperbeln manchmal zu grotesk vorkommen wollen, so müssen wir bedenken, daß wir hier in einer gesteigerten Welt leben. Nach Ghazalis Schönheitstheorie (s. meine Übersetzung des Elixir der Glückseligkeit S. 158) gibt es für jedes Ding ein ihm eigentümliches, seiner Eigenart gemäßes Vollkommenheitsideal, und an der mehr oder weniger großen Annäherung



38

-

a n dieses Ideal 1 ) läßt sich der Grad der Schönheit, der einem Gegens t a n d zuzusprechen ist, messen.

I n dieser idealen Vollkommenheit

will uns der Dichter seine Helden und ihre W e l t zeigen. 2 )

Aber diese

Steigerung zur Vollkommenheit kennt nun, wie es scheint, weder Maß noch Ziel. Losung.

I n t e n s i t ä t des Eindruckes um jeden Preis ist die

Der zügellose L a u f der steigernden Phantasie k o m m t erst

dann zum Halten, wenn sie mit ihrem Gegenstand alles Vergleichbare weit hinter sich gelassen h a t . Diese B e t r a c h t u n g führt uns nun zu einer eigenartigen F o r m der hyperbolischen Steigerung, die in der persischen Dichtkunst häufig begegnet, und die darin besteht, daß, — m a n verzeihe den kaufmännischen Ausdruck, — die Konkurrenz sich selbst als geschlagen zu erkennen gibt, die eigne Unterlegenheit in irgend einer

Form

eingesteht. I c h begnüge mich damit, das Prinzip an einigen Beispielen deutlich zu m a c h e n :

Schïrïns Nacken ist so schön, daß selbst die

Gazelle sich als überwunden erklären muß. X S 1718

Gebeugt hat den Nacken

die Gazelle vor ihrem

Nacken

(tegnïs),

1 ) Über das Verhältnis dieses Begriffs des „Ideals" zur platonischen Idee vgl. E. Panofsky, Idea (Studien der Bibl. Warburg 1924). 2) Die Steigerung bleibt aber eine metaphorische und wird nicht als reale gedacht, auch ist sie nur vorhanden, insofern die Helden Objekte der anschauenden Betrachtung, nicht insofern sie handelnde Subjekte sind. Sie werden nicht zu mythischen Heroen mit übernatürlichen Fähigkeiten, sie bleiben Menschen. Der Rustem des Königsbuches ist noch wirklich „elefantenleibig", ein Kraftmensch, der Bäume ausreißen kann. Im Antarroman erkennen die Beduinen die Stelle, wo Antar sich aufgehalten hat daran, daß sein Urinstrahl die Felsen durchlöchert. Nizämi kennt solche Gestalten nicht mehr. (Die Menschheit hat ein merkwürdiges Verhältnis zum Ideal der männlichen Körperkraft. Überall finden wir in den heroischen Epen der Völker jene Kraftmenschen, die aber, wenn sie rein als solche auftreten, dem Gefühl bald unerträglich zu werden scheinen. Siegfried und Achill sind durch die magische Ursache ihrer Unbesiegbarkeit in die menschliche Sphäre herabgezogen. Herakles ergreift uns mehr durch seine Leiden als durch seine Taten. Rustem ist uns lieber als treuer Helfer, als trauernder Vater denn als elefantenleibiger Riese. Und doch bleibt das Ideal der ungeheuren männlichen Körperkraft immer weiter wirksam. Die persischen Volksbücher zeigen furchtbare Holzschnitte, wo ein Mensch den andern mit einem Schwertstreich bis auf den Sattelknopf spaltet. Noch ein Rabelais muß — und das ist wieder die Reaktion dagegen ·— die Karikatur dieser Gewaltigen zeichnen. Als gezähmte Riesen leben sie in den „starken Hänsen" der Märchen weiter und der moderne Kultus der Meisterboxer beweist, daß sie auch heute noch nicht ausgestorben sind,)

-

39



mit dem Wasser des Auges hat sie gewaschen den Saum ihres Gewandes (als ihre Dienerin). X S ib. 1717 »Ii JJ

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Ihre Wange dem Kalender (dem Gang) der Gestirne hat verlegt den Weg, (so daß sie an ihrem Lauf irre wurden) geschütteltet die Hand über Sonne und über Mond (Gebärde, die bedeutet, daß sie keinen Wert haben, nicht in Betracht kommen). 1 7

19

ß Wenn sie zum Schusse mit ihrem Auge zielt, mit jedem Auge hundert Gazellen und mehr erjagt sie (die Konkurrenz des Gazellenauges wird also vollkommen vernichtet). 1719

1 7

Ü \ ¿ j j Ol¿-J fjl

O^Jjl·· ¿Sj I I I Aus Neid über ihre trunkene Narzisse (Auge) jammern auf dem Markte von Iram (über diese Wunderstadt s. Enzykl. des Islam s. v.) die Blumenhändler.

22

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Der Mond ob ihrer Schönheit ein schwarzes Mal sich nennt, die Nacht in ihrem schwarzen Mal das Losbuch (ihres Schicksals liest. (Beachte das schöne Wortspiel mit häl (harmonische Umdeutung) und die Antithese.)

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jCs- s Jut iUj ji ¿5Ì, ù U Die Tugend ist in Verwirrung über ihre reine Seele, es schreibt „Sein Sklave" der Ambra (der sich als besiegt durch den Duft und die Schwärze ihrer Haare bekennen muß) auf den Boden zu ihren Füßen. Von der Freigebigkeit Chosraus rühmt Schäpür: X S 234 Λ«

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In der Nacht, wo er dem Schätzeschenken sein Recht gibt, raubt die Mütze dem Hochmut Karuns (d. i. der alttestamentliche Korah, der als Typus des durch seinen Reichtum verblendeten Menschen in der Poesie weiter lebt) der Wind.



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Wenn die Meisterschaft des Steinmetzen Ferhäd gerühmt wird, heißt es: XS 63» f y AiS" 1 J blaMit dem Meißel harten Stein macht er zu Wachs, allzeit die Hand ihm küssen alle (kunstreichen) Chiechen. (Der Schüler küßt seinem Meister die Hand.) Alle die bisher behandelten Methoden der Steigerung können nun natürlich auch auf andere Gegenstände als den Menschen angewandt werden Von der Schnelligkeit des Wunderpferdes Schabdëz sagt der Dichter : XS I87 ili jjujj

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Im Stalle angebunden hat sie einen Renner, hei dessen Schritt auch nicht der Wind die Staubwolke sieht. ö^jL· o b

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Er überholt den Gedanken der Philosophen, wie ein Wasservogel bangt ihm nicht vor dem Wasser der Sündflut. Über die Quelle, in der Schïrïn sich badet: X S 253 v. u. Jlifjuj, J f 1 " ι Aus Scham vor dem Wasser jenes leuchtenden Quells hat sich in Dunkelheit verkrocheil das Wasser des Lebens, (husn-i ta'lil.) Mit einer ähnlichen phantastischen Ätiologie1) wird die Unbesiegbarkeit Chosraus dargetan: XS 23» jj

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Der Himmel mit ihm auf dem Kampf platz ist stumpfen Schwertes, im Wenden flink, bald oben und bald unten, (husn i ta'lïl) Über diesen Begriff siehe Asrär 240 ff. Die in der persischen Lyrik sehr häufige Figur ist bei den neueren arabischen Dichtern schon sehr weit ausgebildet.

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Der Geruch des (pharmakologisch „heißen") Dreißiggrüns durch seine Hitze dem (gleichfalls „heißen") Skorpion des Himmels schmolz den Stachel. Mit diesen Beispielen möchte der Typus genügend charakterisiert sein. Es wäre nun noch auf eine bestimmte, bei Nizänn seltene, bei Häfiz häufige Form der hyperbolischen Steigerung hinzuweisen, die darin besteht, daß die Vergleichsgegenstände mit ihrer Schönheit nicht nur als besiegt hingestellt werden, sondern daß so getan wird, als ob sie diese Schönheit von den schönen Menschen gleichsam erst als Lehen erhalten hätten oder nur ein Abglanz, eine Manifestation der menschlichen Schönheit seien. In einem sogleich in anderem Zusammenhang anzuführenden Halbvers scheint Leili erst der Rose ihren Glanz zu verleihen, der Hinweis auf diesen Vers mag zur Veranschaulichung des Gesagten genügen.1) Die Figur ist ja aus der Lyrik zur Genüge bekannt 3. Der Mensch und die Natur.

Nizämi

liebt es, seine Helden, wenn sie Freud und Leid erleben sollen, in eine Landschaft hineinzustellen. Sei es, daß sie das Glück der Liebe genießen dürfen, sei es, daß sie sich zum fröhlichen Gelage niedersetzen, sei es, daß sie all den Jammer des Lebens durchkosten müssen, immer, oder doch fast immer, geht solchen Szenen eine Natur Schilderung voraus. Wie eine solche Naturschilderung aussieht, haben wir oben gesehen. Die Landschaft ist gleichsam lebendig, die Gegenstände der Natur reden miteinander, verkehren miteinander wie Menschen, in buntem bewegtem Spiel. Doch, wie die Statisten verstummen, wenn der Held die Bühne betritt, so verstummt auch das lebendige Spiel der Natur, sobald der Mensch den Schauplatz beschreitet. Aber man fühlt, sie könnten reden, wenn sie dürften, sie könnten ihre Gedanken über die Helden sich einander zuflüstern, ihre ') óurganí zeigt (Asrär S. 181), wie diese Art der Steigerung mit dem sogenannten umgekehrten Vergleich (tesbïh ma'küs) zusammenhängt. Vergleiche auch al-matal as-sä'ir S.161 und den dort angeführten Vers des Buhturi: Fi tal'ati 1-badri sai'un min mahäsinihä — walil-qadïbi nasìbun min tatannïhâ: In dem, Gesicht des Mondes ist etwas von ihrer Schönheit Und die Gerte hat einen Anteil von ihrer wiegenden Bewegung.



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Schönheit mit der der Menschen neidisch vergleichen. Die Szenerie, in die der Mensch hineingestellt wird, bleibt gleichsam potentiell lebendig; und wenn man solche Schilderungen oft gelesen hat, so meint man fast, auch bei der Betrachtung der ebensolche Szenen darstellende Miniatur müßte man sich diese potentielle Lebendigkeit der landschaftlichen Staffage immer gegenwärtig halten, wenn man den Maler recht begreifen will. Tatsächlich reden nun die Statisten doch manchmal. Chosrau und Schïrïn reiten zusammen durch den Frühlingswald. Da flüstern sich ein paar Ameisen1) zu, das sei Salomo und die Königin von Saba. XS 384 Es erzählten sich ein paar Ameisen sein, jenes Salomo.

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Bei einem Zechgelage wünschen die Flaschen selbst dem jungen König eine lange Fortsetzung des schönen Lebensgenusses. XS 41e v . u . jl) Jos- ¿ri ili c i j ί ώ

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Die Flaschen voll Rubin, aus der Hand des Schenken, sprachen sie: Möge dies Leben dauern!

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Die vollendete Bildhaftigkeit der Nizämlschen Dichtung bringt es mit sich, daß man manchmal geradezu zu sehen glaubt, wie der Mensch in die Bühne der Natur hineintritt, zunächst noch stumm, ein reines Objekt der Bewunderung des Zuschauers sowohl wie der Statisten der Bühne, bis er auf einmal zu handeln beginnt, und sich das Interesse an ihm als schönes Objekt der Betrachtung in das teilnehmende Miterleben seines subjektiven Handelns und Empfindens wandelt. Dieser Übergang wird einmal, in einer Stelle in Leill und Medjnün, durch eine geschickte Anwendung der Figur der Metanoia j) bewirkt. Ich setze die Stelle etwas gekürzt her: LM 31lüff· Leili tritt im Frühling aus dem düstern Haus in den Garten. Man meint, sie wolle bloß den Frühling genießen und ihre Schönheit an dem 1 ) Über die Beziehungen der Ameisen zu Salomo vgl. Koran 27, 18 und Demïrï, Hajät al-hajawän s . v . naml, Tha'labï. Qisas al-anbijä', (Kairo 1312) S. 175.



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Blütenmeer des Gartens messen, aber in Wahrheit ist ihr ganz anders ums Herz: J^. oij 0 ( j j ^

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Die Böse, wie die Wange Leilis (umgekehrter Vergleich) aus der Sänfte (Blütenkelch) hervorstreckte den Kopf herrscherlich, CÀJ Jl> j j j J

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In einer Rosenszeit, so glückverheißend, ging Leill aus der Haft heraus, ¡J.S £J^M Aj L* J i

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Um das Grün des Gartens zu sehen, im Schatten der roten Rose sich zu, setzen, fis- Jloì 4JV l

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Mit der frischen Narzisse den Becher zu fassen, mit der Most zu trinken, u l Ij

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Von ihrer Locke (die Locke wird oft mit Veilchen verglichen) dem Veilchen Kräuslung zu geben, und von ihrem Antlitz der erblühten Rose Glanz (s. o. S. 343). lXAIy>-

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Von dem Moschusnabel der Knospe Zoll (als einem überwundenen Gegner), von dem Reiche der Wiesenflur Tribut zu fordern, (jj'^ó^L·'

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Zu lehren der Zypresse das Reiten (die gerade Haltung)', abzuwaschen vom Jasmin die weiße Schicht, (die Farbe des Jasmin verblaßt — wenn man bei der weißen Farbe diesen Ausdruck brauchen darf — vor dem glänzenden Antlitz Lailas. CJJjms J

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Auf dem Grün mit ihrem Schatten Kunstblumen Gestalt von Zypresse und Rose zu verlachen, ¿J < ei ¿r*-' Ct)

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Den Zweig erfaßt tödliche Blatterkrankheit, Gold sucht er (die Blätter werden gelb) doch Erde findet er (der Baum möchte gern goldne Blätter haben, aber es wird nichts daraus, die Blätter lallen zur Erde).

Die Narzisse auf die eilende Kamelin ihr Bündel 'packt, der Buchsbaum fällt herab vom Thron. Das Silber des Jasmin verliert den Wert (seine Farbe vergeht), die Rose nimmt des Grames Buch zur Hand.

Wenn der Wind widrig weht aus der Ferne, dann ist das Fallen 4

Ritter, Nizämls Bildersprache.



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der Blätter entschuldigt. Denn die dem Ertrinken entrinnen ivollen, werfen in Sorge ob des Windes die Fracht über Bord.1) s.

c i ö O-O J i e i l j L . ¿C" Jasmin ist Schenke, Narzisse hat Wein in der Hand (Anspielung auf den becherartigen Blütenkelch), Veilchen ist im Rausch und die rote Rose trunken (Beibehaltung der gleichen Anschauungssphäre, murä'ät an-nazir). ι Die hohen Zypressen auf den Wiesen in Reih undGlied aufgestellt, vor Liebe zur Tulpe das Hemd zerrissen (vergi, die Form der Nadel der Zypresse). l ^ i - ' j ùjju « i j j í Jl> j l^iL-i I iJliDer Nabel der Erde wird trächtig, aus dem Nabel bringt sie hervor Gewächse. JLÍ J J f f ^

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Von jedem Zweige ist erblüht ein neuer Frühling, genommen hat jede Rose auf die Hand Streuperlen (oder Konfekt) (Blütenstaub). ^Ijl" eil 3 I^U-ilc

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Der Sang der Nachtigall und der Ruf des Haselhuhns die Geduld der Verliebten plünderte. (J

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Solche Jahreszeit mit solcher Liebesszärtlichkeit — ein Fehler wärs, ein Fehler, sie ohne Liebesspiel! (zu diesem Ausruf s. o. S. 13.) Nun treten die verliebten Menschen, Chosrau und Schïrïn in diesen Garten der Natur hinein. Ihre Liebe ist erweckt durch die liebende Natur, die sie umgibt, und ihr inneres Erleben hat sich schon vor ihrem Auftreten in der Natur gespiegelt. In einer Mondnacht hofft Chosrau das Ziel seiner Wünsche endlich zu erreichen. Das Vorspiel der Natur zu seinem Liebeswerben lautet : 4*



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^^Ϋ" JJJ jl j^JJ ^ aôSj^ I Eine leuchtende Nacht, heller als der Tag; den Vorsitz führte der nachterleuchtende Mondschein. Ji\JüllL

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Nichts schwarzes (nämlich etwa ein schwarzer Haremswächter) gab es in jener nachtfarbenen Frauensänfte außer der Tugend, Vorhangswächter zu sein. ota»i

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Der Ostwind· hatte dem Rosengarten die Schlafdecke geraubt, die Sterne wiesen dem Morgen die Zähne (die Nacht wehrt sich gegen die drohende Dämmerung). J ^

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Eine Nacht war es, für wünschendes Verlangen:' die Wunscherfüllung ward diese Nacht von der Mutter geboren, hättest du gesagt. j \ j ó^u» Oij-»"

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Nichts war gebliehen in dem aschgeschwärzten Krug von dem Feuerungsraum der Welt als Rauch. aJkJ^ j^.

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Beschnitten die Schwinge der beiden fliegenden Adler (d. i. Adler und Wega, „der fallende Geier"), wie der fallende (Wega) war der fliegende (Adler) kopfüber stürzend.



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Die Lampe der Witwe war ohne Licht, erstorben, den Hahn der Alten hatte der Schlaf übermannt. 4ÜI Ich hörte, wenn nachts ein Dew den Weg überfällt, so ruft der Hahn, des Hauses „Auf Allah!" (die Hähne stoßen manchmal plötzlich in der Nacht ein kurzes hastiges Gegacker aus — die Hähne sind· geistersichtig — und der Schrei wird dann so gedeutet wie hier). jSs

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Was für eine Nacht war das, wo hei tausend Dewen wie Pech (so schwarz) kein Hahn das Lob Gottes ertönen läßt! I n dieser Schilderung 1 ) erkennen wir jene uns schon geläufige eigentümliche metaphorische Technik wieder, gegebene Zusammenhänge gänzlich neu und phantastisch zu deuten und diese dann so zu erzählen, als ob sie Wirklichkeit, nicht Bild wären. Wie nun durch harmonische Wahl diese Deutungen hier der spielerischen Willkür entzogen und der Stimmungsschilderung dienstbar gemacht werden, ist in seiner Art meisterhaft. Nizäml hätte wohl alle erwähnten Elemente auch in genau entgegengesetztem Sinne verknüpfen können. So werden die beiden Adler und das Sternbild der „Töchter der Bahre" in der großen Schilderung des Sternenhimmels in Lail! und Medjnün, bei der die Stimmung des betrachtenden Medjnün die der Bewunderung und Andacht ist, so gedeutet: LM 57 1

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Die beiden fliegenden Geier die Schwingen geöffnet, der fliegende (Adler) fortgeflogen, der fallende (Wega) stehend.

Der Koranrezitierer (ich weiß nicht welcher Stern gemeint ist) bei der Bahre reitend (der große Bär) wie könnte fern sein von der Totenbahre der Koranrezitierer ? Der Vers (oben), in dem von den tausend Dewen der Nacht die Rede ist, erinnert flüchtig an Goethes ,,Die Nacht schuf tausend Ungeheuer". Tatsächlich ist das wohl die einzige Stelle, die man aus der 1 ) Die Klage über die lange Nacht ist im übrigen ein Topos schon der arabischen Poesie, vergi. Nitär al-azhär 13 ff.



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Goetheschen Naturschilderung ohne weiteres ins Persische übersetzen könnte, etwa unter Umänderung des „Schaffens", das Gott allein zukommt, in ein „Gebären": ι

Es ist lehrreich, auch einmal einige andere Verse desselben deutschen Dichters der Naturschilderung des Persers gegenüberzustellen, um sich des prinzipiellen Unterschiedes zwischen beiden Dichtungsweisen bewußt zu werden. „Der Mond von einem Wolkenhügel sah kläglich aus dem, Duft hervor, Die Winde schwangen leise Flügel, umsausten schauerlich mein Ohr.

Es zeigt sich,daß bei Goethe die Wirkung der Natur auf denMenschen sich gleichsam unmittelbar auf den Hörer überträgt. Der Dichter versetzt uns aufs Lebhafteste in dieselbe Situation, in der er sich befunden hat, und nun wirken dieselben Naturerscheinungen auf uns so unmittelbar, wie sie auf ihn gewirkt haben, seine Metaphern suggerieren uns gleichsam nur die besondere Art, wie die Natur auf ihn gewirkt hat und auf uns wirken soll. Wenn der Perser die Nacht in ihre einzelnen sinnlichen Erscheinungen zerlegt, so kommt es ihm nicht so sehr darauf an, eine bestimmte unmittelbare Gemütswirkung dieser Erscheinungen dem Leser als nachempfindenden Subjekt direkt zu suggerieren, dadurch daß er uns in eine bestimmte Situation hineinzuversetzen sucht; er erreicht sein Ziel vielmehr auf einem Umwege, die sinnlichen Erscheinungen werden gerade durch die Umdeutung ihrer unmittelbaren Wirksamkeit beraubt. Erst in der metaphorischen Umgestaltung erhalten sie diese Wirksamkeit wieder. Damit bekommt er die Freiheit, Erscheinungen auch erst neu zu erfinden, die gar kein Korrelat in der Wirklichkeit habe (die Lampe der alten Frau, der Trommelschläger usw.) Ein zweiter grundlegender Unterschied ist der, daß der deutsche Dichter schlechterdings nicht das Bedürfnis fühlt, das Nebeneinander der Erscheinungen durch eine phantastische Verknüpfung zu motivieren, ihre Nennung im Gedicht gleichsam dadurch erst zu legitimieren. Der Mond schaut kläglich von einem Wokenhügel herab, aber der Wolkenhügel hat mit der Kläglichkeit nichts zu tun. Warum gerade von einem Wolkenhügel? würde der Perser fragen. Die antropomorphe Belebung des Mondes hätte zugleich auch diese bestimmte örtliche Situation motivieren müssen. Zu demselben Ergebnis gelangen wir, wenn wir eine beliebige Gartenschilderung Nizämis etwa mit dem ersten Verse des Liedes der Mignon vergleichen:



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„... wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub dieGoldorangen glühn, ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte still und hoch der Lorbeer steht". Dies wäre dem Perser nichts als eine gereihte Materialsammlung zu einem Gedicht. Goethe begnügt sich, oberflächlich betrachtet, in diesem Gedicht mit der bloßen Abschilderung sinnlicher Naturgegebenheiten. Es fehlt — im Gegensatz zu dem Perser — bei ihm jedes Ausdrücken und Verknüpfen der Gegenstände in einer mythisch belebten Welt von der Natur suggerierter Wesenheiten. Wenn er dennoch einen stimmungsmäßigen Eindruck erreicht, so geschieht es dadurch, daß die angeschauten Naturgegenstände für das Subjekt der Dichtung eine nicht direkt ausgesprochene, aber deutlich vorhandene gefühlsmäßigrepräsentative Bedeutung besitzen, die zu voller Wirkung dadurch gelangt, daß der Dichter in der Anschauung dieser Naturgegenstände sinnend verweilt und auch den Hörer suggestiv zu derselben Haltung veranlaßt. Der Perser erreicht seine Stimmungswirkung durch die belebende Umdeutung der Naturgegenstände in einem der gewünschten Stimmung gemäßen Sinne.1) Noch klarer wird der Unterschied vielleicht, wenn wir den bekannten Goethevers : Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe des späten Monds in feuchter Glut heran. zum Vergleich heranziehen. An Stelle einer Nebeneinanderstellung g e f ü h l s s c h w e r e r Verg l e i c h e , die in ihrer Gesamtheit den gewünschten stimmungsmäßigen Eindruck erwecken, wie sie in den vielen Versen der Nizämischen Nachtschilderung an uns vorüberziehen, steht hier die Nebeneinanderstellung gefühlsschwerer W o r t e (traurig — unvollkommen — spät — feuchte Glut), von denen ein Nizäm! jedes einzelne erst durch ein ausgeführtes Bild, durch Hineinstellen in einen in sich klar überschaubaren logischen Zusammenhang rechtfertigen müßte. Bei dem deutschen Dichter ist gleichsam der den Gefühlscharakter bestimmende Gedankenzusammenhang in einen lockeren Assoziationszusammenhang verwandelt und dieser bis auf das Wort, mit dem er angeschlagen wird, unausgesprochen, ins Unbewußte versunken, wie ein Eisberg im Meere, von dem nur ein winziger Teil sichtbar über 1 ) Was Nizâmï vielleicht an dem Goetheschen Gedicht loben würde, ist die harmonische Geschlossenheit des Anschauungskreises in jeder der drei Strophen und die beziehungsreiche Wahl der Anrede (Geliebter, Beschützer, Vater) am Schlüsse jeder einzelnen derselben.



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dem Wasserspiegel hinausragt, oder wie der an Obertönen reiche Ton eines Musikinstrumentes, von dem bewußt nur der Grundton apperzipiert wird, bei dem aber das Mitschwingen geheimer Obertöne grade den Klang- und damit Gefühlscharakter des Tons ausmacht. Etwas derartiges ist der persischen Dichtung fremd. Sie kennt daher auch keine gefühlsschweren, dichterischen Worte, und auch keine entsprechende dichterische Wortwahl. Als „dichterische Worte" kann man im Persischen nur jenen oben kurz charakterisierten Stamm dekorativer Wortmetaphern (Rose = Raupe etc.) bezeichnen. An Stelle der dichterischen gefühlsbestimmten Wortwahl des deutschen Dichters tritt die entsprechende Wahl ausgeführter Bilder. Der f o r m a l e n Wortwahl des deutschen Dichters, etwa nach Gesichtspunkten des Klangs, steht im Persischen gegenüber die Wortwahl nach rhetorischen Gesichtspunkten, etwa nach der Möglichkeit verschiedene Assoziationsreihen verknüpfender Paronomasie, in denen das Wort, wie oben angedeutet, gleichsam enharmonisch verwechselt werden kann, der Möglichkeit der Antithese usw. Wie wir gesehen haben, ist nun jene phantastische Apperzeption der Natur durchaus nichts Neues oder schlechthin Ursprüngliches. Man kann den Weg, der zu diesen Naturschilderungen hinführt, genau verfolgen. Es wird in der Abbasidenzeit, etwa bei Dichtern wie Ibn al-Mu'tazz, geradezu zur Manier, für angeschaute Naturgegenstände phantastische Vergleiche zu finden. Die Natur wird, sozusagen überhaupt nur noch in Vergleichen beschrieben. Werden dann die Vergleiche zu reinen Metaphern, bei denen der verglichene Gegenstand ganz weggelassen wird,1) so verwandelt sich die Natur in ein Neben1 ) Wir sahen schon oben, daß diese Erscheinung auch bei den arabischen Dichtern vorkommt und wie treffend sie von óurgání charakterisiert wurde. Das entscheidend Neue ist nun, daß sie bei Nizämi zum Prinzip erhoben ist, daß sich die häufige Verwendung von metaphorischen Bildern bei ihm zur Bildersprache gesteigert hat. Ein Beispiel, das der persischen Art der belebenden Verknüpfung von Naturgegenständen schon sehr nahe kommt, ist Folgendes: Ibn al Mu'tazz (Asrär 70, Otto Loth, Über Leben und Werke des Abdallah ibn al Mu'tazz, S. 73). Qadi nqadat daulatu s-sijämi waqad — bassara suqmu 1-hiläli bi l-'Idi Jatlu t-turaijà kafägirin sarihin — jaftahu fähü li'akli 'unqüdi Abgelaufen ist die Herrschaft des Fastens, und es kündigt die kranke Magerkeit der Mondsichel das Fest an. Sie geht hinter den Plejaden her wie einer mit aufgesperrtem Maule, ein Gieriger, der den Mund öffnet, um Weintrauben (die Plejaden) zu essen. Hier finden wir alle drei Elemente, die wir für die Nizämlsche Naturschilderung als charakteristisch bezeichnet haben, beisammen: die anthropoide Belebung, die Umsetzung des räumlichen Nebeneinander in eine kausale Be-



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e i n a n d e r v o n p h a n t a s t i s c h e n E r s c h e i n u n g e n , der D i c h t e r s i e h t in alle D i n g e e t w a s g a n z a n d e r e s h i n e i n , u n d so k o m m t jene s e l t s a m e B e l e b u n g der N a t u r z u s t a n d e , die m a n n u n w i e d e r u m als eine i n die S p h ä r e des Ä s t h e t i s c h e n g e h o b e n e m y t h i s c h e A p p e r z e p t i o n b e z e i c h n e n kann. D o c h k e h r e n wir z u u n s e r n V e r s e n zurück.

N a c h jener die b a n g e

N a c h t s c h i l d e r n d e n E i n l e i t u n g w e n d e t sich n u n d a s

Subjekt

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H a n d l u n g , S c h ï r ï n selber, ihr u n m i t t e l b a r zu. XÖ 843 a Ju'U ο β

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wie das Herz

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in jener Nacht

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löste sie und sprach:

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dies oder ewige

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ί/iîi noch schöneres Gleichnis erzählte „Engelzier": „Wir hatten nur ein Auge offen in aller Welt, da hat ein anderes Auge sich uns bekannt gemacht. Zwei Augen besser sehen als eines das Licht." ¿L» - v l i f ' o l j j otfü Sji J ¿^o

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„Humeila" sprach: „Ein Wasser flöß hell inmitten des grünen Rosengartens. Ein edler Jüngling kam herbei, dürstend, vom Wege, mit jenem Quell er den Mund sich feuchtete unversehens." \

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„Jasminblatt", die jasminbrüstige sprach: „Eines Tages schied von der Muschel eine nachterleuchtende Perle. Der Himmel in das Geschmeide eines Königs fügte sie, mit einem Korund fortan ließ sie vereinigt sein."

„Feentochter", die feenivangige sprach:

„Es vergnügte sich auf

der Jagd ein Mond. Hervor kam aus dem Himmel eine Sonne, zog jenen Mond in ihre Sphäre." ¡jy sLlC'^ jj^

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„Chotenchatun" also sprach, verständig redend : „Allein war ein linnenbekleideter Buchsbaum. Ihm gesellte sich unversehens die freie Zypresse, denn schön ist an einem Platze Buchsbaum und Zypresse." 5*

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64

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^ OJLIL ¿ΙΛ^ J Die Zunge löste „Juwelenreich", die herzfesselnde: „Venus auch allein war eine zeitlang. Des Himmels Gunst öffnete dem Glück die Hand, Konjunktion von Jupiter mit Venus knüpfte er." Nach diesen Parabeln der Mädchen nehmen dann hintereinander Schäpür, der Freund und Liebesbote der beiden, Schïrîn und Chosrau das Wort, um gleichfalls das, was sie erlebt haben, in Bildern auszudrücken. Bei diesen Parabeln wird lediglich ein innerer Vorgang bildlich beschrieben; rein Seelisches wird in sinnlicher Form ausgedrückt. Diese Bilder bilden also gleichsam das Gegenstück zu jenen Metaphern, in denen rein Sinnliches dekorativ in ein anderes Sinnliches umgedeutet wird. Nun aber stehen eine Reihe von Formen in der Mitte zwischen beiden Extremen, und sie sind die interessantesten. Das Material des Bildes wird der konkreten äußeren Situation entnommen, die äußere Situation wird metaphorisch umgedeutet und wird dann zu einem Symbol, das den seelischen Gehalt derselben äußeren Situation nun erst recht ausschöpft. Das äußere Geschehen verhält sich dann in dieser Umdeutung zu dem inneren Geschehen nicht mehr wie die Wirkung zur Ursache, oder die Ursache zur Wirkung, oder wie man immer das äußerlich sichtbare Tun zu dem ihn begleitenden oder ihn hervorrufenden seelischen Vorgang aufzufassen hat, sondern wie das Symbol zu dem Inhalt, den es versinnbildlicht. Das Bild scheint dann manchmal, insofern es eine äußere Situation umdeutet, rein dekorativ zu sein, bedeutet aber in Wirklichkeit mehr. Chosrau reitet vor Schïrïns Schloß und bittet um Einlaß. Schïrïn zeigt sich auf dem Dache des Schlosses, läßt Chosrau aber nicht ein. Das Bild der schönen Schïrïn auf dem Schlosse wird nun metaphorisch gesteigert: eine Paradiesbewohnerin in einem Paradiesschloß. X è 883

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Eine Paradiesbewohnerin sah er in einem (Paradieses-jS'cAZosse sitzen. Das ist zunächst ganz äußerlich dekorativ. weiter heißt: ajlj

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uñe ein Paradiesbewohner die Tür den Menschen verschlossen haltend, so wird die seelische Lage Chosraus, die durch die äußere Situation in der Tat veranlaßt ist, nunmehr durch diese Deutung der äußeren Lage symbolisch ausgedrückt.



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Ein andermal besucht Schäpür dieselbe Schïrïn im gleichen Schlosse. E r sieht nur das unglückliche Wesen, das unter der Einsamkeit in dem Steinschloß leidet. Wieder wird Schïrïn zur Paradiesbewohnerin gesteigert. Auch das Schloß wird umgedeutet, aber nicht zum Paradi-esschloß, sondern zur Hölle und in dieser Umdeutung wird wieder die äußere Situation zum Symbol dessen, was Schïrïn seelisch erleidet : X ê 3417 ΛΡ" ^ ^ ö y ^ o c L ¿ òjz In dieser Hölle wie kann eine Paradiesesjungfrau sich zufrieden geben? Der folgende Vers zeigt sehr gut, wie die dekorative Deutung als eine zur symbolischen im Gegensatz stehende empfunden wird: Es sei denn eine Entschuldigung, und auch die Entschuldigung ist lahm: Du bist der Rubin und es ruht der Rubin im Stein. Die dekorative Metapher wird also als der seelischen Lage nicht gemäß abgelehnt. Die metaphorische Umdeutung einer Situation kann dazu dienen, einen Menschen zu ironisieren: Chosraus Liebeswerben bleibt unerhört. Als er zudringlich wird, wendet Schïrïn ihm den Rücken und geht fort. x è 46®

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Sie zeigte auf der Flucht dem Könige den Rücken : Mit weißem Schwefel löschte sie das Feuer! (ungelöste Aporie). Nein, ich irrte mich: sie zeigte ihm eine Platte von Elfenbein : der Schah braucht auch einen (Elfenbein-) Thron zur Krone.

Noch eine andere Rechnung war ihr in diesem Dorfe (zu diesem Ausdruck vgl. oben S. 10). „Mein Rücken ist auch eine Gebetsnische wie mein Gesicht". In dem nächsten Verse braucht das gegebene Material nicht erst metaphorisch bearbeitet zu werden, um die neue Sinngebung zu ermöglichen; der Doppelsinn des Ausdrucks wegh „Seite" und „Art und Weise" ermöglicht hier den Übergang zur Ironie und von da zum Ernst: Eine andere TFei.se (der Erklärung): Wenn die eine Seite (zugleich Weise mich zu gewinnen) aus der Hand geglitten, eine schönere



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andere Seite gibt es noch (zugleich: Weise, mich zu gewinnen, nämlich ordentliches Werben um meine Hand). Natürlich will ihm das ja Schirm mit ihrem Weggehen auch andeuten, aber gewiß nicht in dieser symbolischen Form. 1 ) Ebenfalls ohne jede metaphorische Verwandlung der einzelnen Glieder des Zusammenhangs wird die Umdeutung erreicht in einem Verse des Alexanderbuchs Philipp von Mazedonien findet auf der Jagd neben einer toten Frau ein neugeborenes Kind (es ist der künftige Alexander): SN 194 v. u. Juj^"

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Hundert Seelen (oder Leben) wert ist jene Stunde, ,,Ich will nicht" spricht und will mit hundert Seelen.

da die Geliebte

Der antithetische Epanadiplosis (jstJI Jl j-uJl j / j am Schluß ist meisterhaft. (Diese persönliche Schlußbetrachtung des Dichters entspricht der oben angeführten mit jji ü^i-, s. S. 47.)



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5. Die persuasive Wirkung des dichterischen Bildes.

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ir haben bei der Besprechung des Bildes von dem Weinstock, der, keck die Mütze schräg gesetzt, stolz auf die „Schwarzen und Weißen" herabschaut, uns klar gemacht, daß die Funktion der Metapher, sofern sie mehrgliedrig ist, sich nicht darauf beschränkt, die einzelnen Glieder in eine neue Sphäre umzudeuten, sondern daß gerade die neue Verknüpfung, die sie in dieser Sphäre erfahren, von Bedeutung sein kann. Denn in der neuen Sphäre erscheinen die Elemente stärker, notwendiger verknüpft als in der ursprünglichen. Dasselbe kann auch dann eintreten, wenn es sich nicht um einen Übergang von einer sinnlichen Sphäre in eine mythische, sondern um einen solchen aus einer gedanklichen in eine sinnliche oder andere gedankliche handelt. Menschliche Handlungen und Erlebnisse, gegen die sich das Gefühl sträubt, werden in dieser neuen Sphäre begreiflich, das Sinnlose erhält einen Sinn; was zu tun oder zu ertragen dem Gefühl schwer wird, erscheint in der Umdeutung als das Gemäße, Selbstverständliche. Behräm Gör kommt durch einen Unglücksfall ums Leben. Er verirrt sich bei der Verfolgung einer Gazelle und springt mit seinem Reittier ihr nach in eine Höhle, in der er für immer verschwindet. Es ist hier noch nicht der Ort, darzulegen, wie dieses zufällige Ende des Helden in Nizämis Dichtung dem Leben des Königs als ein notwendiges Schlußglied angefügt wird, nur an einigen Versen möchte ich zeigen, wie schon durch die Umdeutung in der Metapher das sinnlose Geschehen erträglich gemacht wird.

Das Roß in die tiefe Höhle sprengte der Reiter, den Schatz des Keichosrau gab er der (Schatz-) Höhle zurück. Der Schah durch diese Höhle zum Vorhanghüter ward, er wurde der Umarmung des Freundes der Höhle teilhaftig (d. h. ihm wurde die gleiche Ehre zuteil wie Abü Bekr, der mit Muhammed auf der Flucht den Aufenthalt in der Höhle teilte). Wieder knüpft hier die innere Deutung und Sinngebung des Vorgangs an die Umdeutung der äußeren Situation an. Doch auch ohne eine solche Anlehnung an die äußere Situation wird das Verschwinden des Königs im Bilde begreiflich gemacht : Am Eingang der Höhle sind zwei Pagen zurückgeblieben, die dem herbeieilenden Jagdgefolge das Geschehene mitteilen. Sie finden aber keinen Glauben, denn:

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Der elefantenleibige Chosrau, um Gottes Willen, wie in dieser engen Schlucht soll er Platz finden? Dies ist wiederum nicht wörtlich zu verstehen. Es ist in Wirklichkeit Platz genug da. Erst die bildliche Steigerung Chosraus „Elefantenleibigen" ermöglicht die äußere Aporie, die wiederum nur ein Symbol für die innere ist. Doch an eben dies Bild anknüpfend, gibt Nizâmï die Lösung: J ¿ J 3 l j ¿ - dui

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Sie wußtens nicht: Der Elefant jenes Gartens1) sah einen Traum und eilte nach Hindustan. In diesem tiefsinnigen Bilde wird die Sehnsucht des Königs nach jener Urheimat, die man nur mit dem inneren Auge schauen kann, als der Grund seines Verschwindens hingestellt, und damit das Entsetzliche begreiflich, das Sinnlose erträglich gemacht. Gewiß ist solche bildliche Deutung für den Verstand nicht zwingend, aber es ist, als ob die Sphäre des „früheren Geliebten" gleichsam einlüde und lockte, sich ihr anzuvertrauen, in ihr den Sinn zu finden, der sonst nirgends zu finden ist. Ein solches Locken durch das Bild dient nun auch Chosrau dazu, Schirm die Gewährung seiner Liebeswünsche annehmbar zu machen. X S 42 u. I^LXIxí JÏ Ol»

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