Papstwahl und Kaiserthum: Eine historische Studie aus dem Staats- und Kirchenrecht [Reprint 2014 ed.] 9783111492605, 9783111126234

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Papstwahl und Kaiserthum: Eine historische Studie aus dem Staats- und Kirchenrecht [Reprint 2014 ed.]
 9783111492605, 9783111126234

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Hapstwahl mib Kaiserthum.

Eine historische Studie

aus dem Staats- und Kirchenrecht von

Ottokar Lorenr.

Berlin. Truck mit- Perlag von Ge o r g R e i me r .

1874.

Seinem Freunde

Gustav Hartenstein in Jena.

V o r w

o v t.

Die Grundlinien der vorliegenden Abhandlung ivnrden zuerst tu dem Jnlihefte des 32. Bandes der preußischen Jahrbücher veröffentlicht. Ob die letztere Llrbeit als ein Auszug aus der gegenwärtigen, oder diese als eine erweiterte Umarbeitung jener anzusehen sei, wäre mir kaum möglich anzugeben. Denn schon seit längerer Zeit schien eine Lücke in den neueren staatsrechtlichen sowohl, wie kirchenrechtlicheu Werken beachtenswert!) zu sein, deren Ausfüllung als eine dank­ bare Ausgabe für den Historiker gelten konnte. Soviel vortreffliches die kirchenrechtlichen Darstellungen über die Papstwahl darbieten, so ist doch das Ver häl t ni ß der weltlichen Gewal t en znm P o n t i f i k a t s ­ wechsel in zusammenhängender Weise nicht genügend untersucht. Die Unsicherheit, tuetche auch in politischen Erörterungen über das seit Jahren disentirte und mtit bevorstehende Ereigniß überall hervortritt, beweist wohl, wie schwer man sich selbst in den besten Werken über diese spezielle Frage Belehrung verschaffen mag. Aus dem Wunsche und dem Vergnügen eigener Orientierung über den Gegenstand sind die nachfolgenden Unter­ suchungen entstanden, deren Resultate in dem erwähnten Aussätze im letzten Sommer, da man den PontifikatsWechsel sehr nahe glaubte, mitgetheilt wurden. Hiedurch erhält mtit die vorliegende umfangreichere Darstellung den Charakter einer Gelegeuheitsschrist, ob-

wohl sie es nur insofern ist, als das historische S tu ­ dium in jedem Momente die Beziehungen zu der Gegenwart nicht abzuweisen vermag. Je länger man sich mit den historischen Quellen beschäftigt, desto reich­ haltiger erweisen sich die Anknüpfungspunkte des täg­ lichen Lebens an die alten und ältesten Vorstellungen der Menschen. Wenn der Zusammenhang der Vergangen­ heit und Gegenwart in der Geschichtswissenschaft nicht bei weitem mehr gepflegt erscheint, so hat dies nicht methodische Gründe, sondern beruht auf der psychologi­ schen Schwierigkeit das zeitlich getrennte neben einander erscheinen zu lassen, also räumlich zu verbinden. Wer aber darin eine größere Uebung erlangt hat, bemerkt bald, daß zwischen den in den Jahrhunderten nachein­ ander auftretenden oder vorwiegenden Meinungen, Ueberzeugungen und Tendenzen der Menschen und den in einem bestimmten Momente neben einander beste­ henden Ansichten kaum ein Unterschied vorhanden ist. Wenn man von den fünfzig oder sechzig Genera­ tionen, die seit Constantins Zeit das hier zu erörternde Problem ganz genau kannten, je einen Repräsentanten in ein Parlament setzte, so würde ihr Gespräch sich genau in demselben Rahmen bewegen, in welchem die Diskussion heute das Bild eines scharfen Parteikampfs bietet. Aber man darf behaupten, daß wenn jene fünfzig Vertreter der Vergangenheit gezwungen werden könnten, die Summe ihrer Erfahrungen in bestimmten Sätzen zum Ausdrucke zu bringen, das Resultat der Berathung ein fruchtbareres, reineres und gewisseres sein würde.

Die Wissenschaft, welche die vergangenen Zeiten vorführt und die Todten sprechen, die Zeitalter mit einander Parlamentären läßt, kann nichts anderes wollen, als jene großen, zuverlässigeren und wahreren Entschei­ dungen gewinnen^ oder doch sich ihnen nähern. In den folgenden Blättern sind die wichtigsten Stellen, welche in jedem Zeitalter für d as V e rh ä lt­ niß der w eltlichen M acht zu den P ap stw a h len entscheidend sind, großentheils wörtlich angeführt wor­ den, um das Material unmittelbar und mit Bequem­ lichkeit an die Hand zu geben, welches für die weitere Discussion zu verwerthen wäre. Wichtige Belege für diese B e z i e h u n g e n der P a p s t w a h l zum Kaiser­ thum wünschte ich nicht übersehen zu haben. Dagegen wurden die Verweisungen auf die neuere Litteratur nur auf das nothwendigste beschränkt und polemische Erörterungen- gänzlich ausgeschlossen. Die. zahlreichen kritischen Fragen, welche besonders über die älteren Partieen sich ergeben, sind mit erfreulicher Kürze be­ handelt und werden daher in manchen Kleinigkeiten Widerspruch finden, am meisten von solchen, welche mit dem Wesen der Sache übereinstimmen könnten. Die politischen Consequenzen der historischen Unter­ suchung sind nicht gezogen worden. Das Buch wollte nicht etwa Rathschläge ertheilen, oder Wege und Stege für den Gang der Politik aufsuchen. Dazu hedarf es neben der historischen Kenntniß der Sache, um frucht­ bar zu wirken, noch eines anderweitigen Einblickes und Ueberblickes, der dem Verfasser in jeder Weife geman­ gelt hätte.

Das was die Abhandlung leisten sollte, ist die klare Feststellung der rechtlichen Beziehungen des Staates zu der Papstwahl, wie dieselben in der Geschichte der Kirche selbst, und in den kirchenrechtlichen, sogut wie in den staatsrechtlichen Ueberzeugungen wurzeln. In dieser Richtung dürfen die Ergebnisse als überraschend ergiebig bezeichnet werden. Tenn durch viele Beweise erscheint es nunmehr als gesichert, daß die Pap stw äh l keine rein kirchliche Angelegenheit sei und auch von keiner Seite jemals als solche betrachtet wurde; daß der S t a a t stets einen gewissen, wenn auch in den Formen sehr wechselnden A n t h e i l an dem P o n t i f i k a t s ­ wechsel nahm; daß den staatlichen Gewalten unter all en Umständen ein auf einem freien Willensakt beruhendes Entschließungsrecht der Papstwahl gegenüber vorbehalten blieb; daß die dem Papste im S ta a te eingeräumten Rechte auf derAnerkennung des P o n t i f i k a t s ­ wechsels als solchem und drr durch die Wahl erhobenen Person andererseits beruhten und daß endlich hierin bei allem Wechsel der F o r ­ men eine ununterbrochene P r a x is seit (Kon­ stantin dem Großen bis auf unsere Zeit im wesentlichen unverändert fortdauerte. Di?se Grundsätze der Papstwahl, und hierin liegt ein besonders eingreifendes Moment, ergeben sich aber nicht in einseitiger Weise blos aus dem Staatsrecht, oder ans dem Kirchenrecht, sie repräsentieren nicht die einseitige Anschauungsweise des einen Theils, sondern

in der Papstwahl liegt wirklich derjenige Punkt, wo die Grenzlinien von Staats- und Kirchenrecht sich schnei­ den und zusammentreffen, wie sich schon ans bett Quellen des Verhältnisses, einerseits den Cartonen der Kirche, andererseits den Constitutionen und Privilegien der Kaiser und aus der bis auf unsere Tage beiderseits geübten Praxis unzweifelhaft ergibt. Daß es nützlich und nothwendig und im Inter­ esse des Friedens der Kirche selbst wäre, sich dieser Sach­ lage zu erinnern und die. Grundsätze eines fast zwei­ tausendjährigen Verhältnisses zu beherzigen, ist ebenso sicher, als der umgekehrte Fall wahrscheinlich, wornach die in immer tiefere Irrwege sich verlierende römische Curie die Zerstörung und Vernichtung des uralten Rechtsstandpunktes anstrebt. An und für sich wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn der Papst, das Beispiel seiner Vorfahren nach­ ahmend, Aenderungen an den rein kirchlichen und in­ ternen Wahlmodalitäten, dem „Cäremoniale" zu machen beabsichtigte: die gesammte heutige Papstwahl beruht auf dem Dekretalenrechte, und es wäre nicht einzusehn, wie es dem Papste verwehrt sein sollte, neue Dekrete über diesen Gegenstand zu schaffen, welcher unausgesetzt im Wege des Dekrets geordnet worden ist. Hiemit stehen die neuen vatikanischen Glaubenssätze — und dies braucht wohl kaum bemerkt zu werben — ohnehin nicht in dem mindesten Zusammenhange. Was dagegen von jedem neuen Wahldekrete eines Papstes unzweifel­ haft und mit entschiedenster Strenge gerade in unserer Zeit gefordert werden muß, ist die Aufrechthaltung und

stricte Observanz der Formen, unter welchen einzig und allein eine Aenderung, oder neue Ordnung, Rechts­ wirksam werden kann. Im vollsten Gegensatz hiezu scheint die Thatsache festzustehen, daß ein Dekret über die Papstwahl verheimlicht wurde und noch verheimlicht wird. Während der Staat, nicht etwa bloß auf Grund' seiner eigenen Lebensinteressen, sondern durch eine Reihe von Canonen und Papstdekreten aufgefordert ist, beim Pontifikatswechsel in mannigfaltiger Weise sich zu be­ theiligen, werden durch heimliche Verordnung, durch unbekannte Hände die alten Formen umgestoßen, welche der Welt bisher als Zeugnisse der Rechtmäßigkeit einer Papstwahl vorgestellt worden sind. I n den folgenden Blättern wird sich zeigen, daß der Staat die internen Modalitäten der Papstwahlen nicht für unverrückbar ansah, und einer die Rechte des Staates fast gvnz ver­ schlingenden Maschinerie sehr wenig in den Weg legte, allein die geringfügigsten Wahlveränderungen von Seite der Päpste sind niemals auf anderm Wege als auf dem der offiziellen Mittheilung an alle Staats- und Kirchengewalten vor sich gegangen. Die meisten (Sottstitutionen sind auf allgemeinen oder auf römischen Synoden publicirt worden. D as Dekret Juliu s II. über die Papstwahl ist eines der wenigen, welche nicht in Anwesenheit weltlicher Bevollmächtigter vor versam­ melten Kirchenvätern bekannt geworden ist. Aber aus­ drücklich bezieht es sich auf die erforderliche zur Rechts­ giltigkeit nothwendige Kundmachung und entschuldigt die Unterlassung der „ s o l e n n e n Publikation."') ') Ut autem praesentis coustitutionis, decreti, statu ti, ordiua«

I n demselben Dekrete Julius Is. werden die welt­ lichen Mächte aufgefordert, die kirchlichen Gesetze über Simonie zu handhaben, ja der Simonist verliert nach diesem Dekrete seine sämmtlichen Güter und Lehen an den Fism s desjenigen weltlichen Herrn, in dessen Land fie liegen.') Ob es unter diesen'Umständen gestattet sein kann, Wahldekrete früherer Päpste einfach zu kas­ sieren, dürfte eine nicht leichthin rechtlich zu entschei­ dende Frage sein.' Und wenn man auf die Geschichte blickt, so dürfte im Falle von Wahlveränderungen das Recht der Einrede und des Bedenkens den weltlichen Mächten kaum bestritten werden können, falls ein Papst zur Aufstellung von neuen Ordnungen der Wahl des Nachfolgers schreiten sollte. Jedenfalls dürste in dem Wortlaut des angeb­ lichen Dekretes, welches kürzlich in nichtamtlicher Form bekannt geworden ist, sich sehr, viel Anlaß zum Ein­ spruch von Seite der weltlichen Mächte Europas er­ heben. Denn auch der, welcher sich aus der Geschichte belehrt, daß die internen Gebräuche der Papstwähl, das Cäremoniale zunächst keineswegs für die Stellung des Pontifikats zu den Staatsgewalten eine allzu tiefe Bedeutung habe, wird doch nicht umhin können über die sehr radikalen Vorschläge, welche das Dekret enttionis, ac inhibitionis nostrae htiiusmodi tenor ad omnium notitiam dedneatur — das wird also verlangt — volum us praesentes litte ras nostras in v a l v i s B asilicae P rincipis Apostolorum , nec non Cancellariae, ac acie cam pi florae a f f i g i , nec aliam earundem litterarnm pu blicatiouis solem nitatem req u iri, aut expectari debere, sed huiusmodi affixionem pro solem ni publicatione et perpetuo robore sufficere. 2) § M ediatores . - tisco s e c u l a r i s p r i n c i p i s %iu cuius territorio bona sita suerint.

hält, zu erstaunen. Denn wenn es in der Urkunde beschönigend heißt, daß durch dieselbe das substantielle der Papstwahlgesetze nicht verändert werde, so dürfte kein Kenner der Sache dem beizupflichten im Stande sein. Insbesondere der Umstand, daß es in jedem Falle Sache der Cardinäle sei, die Einrichtungen der nächsten Papstwahlen zu bestimmen, falls der Papst nicht selbst vor seinem Tode Anordnung getroffen, setzt an die Stelle eines ein für allemal giftigen W ahl­ rechtes, die jedesmalige Opportunität und die Willkühr der Cardinäle. Dieselben erhalten überdies für die nächstbevorstehende W ahl schon jetzt die Erlaubniß über die nächst zu treffenden Einrichtungen zu sprechen und zu berathen und können in Bezug auf den O rt und die Zeit der Wahl Beschlüsse fassen, welche den älteren Wahlconstitutionen widersprechen. Ohne auf die heutige Sachlage allzu tief eingehen zu wollen, mag es dennoch gestattet sein,einige Punkte diesen angeblichen oder beabsichtigten Neuerungen gegen­ über hervorzuheben.. Die jüngst veröffentlichte Consti­ tution P ius JX. stellt es den Cardinälen frei, und sie sollen darüber Beschluß fassen, ob sie sich an die Conclaveordnung halten, oder dieselbe aufheben wollen. Merkwürdigerweise ist nun aber gerade dieser Vorgang und zwar ganz speziell in der Clementine, Ne Romani, als ein Mißbrauch bezeichnet; und so wenig man auch vom Standpunkte des Staatsrechts eine Einmischung in die internen Angelegenheiten der Papstwahlen be­ fürworten möchte, so werden doch darüber alle P a r­ teien klar sein, daß eine Wahl, bei welcher die Wähler

zugleich als Gesetzgeber der Formen erscheinen, etwas sehr bedenkliches hätte. Hiemit wird übrigens ein Zustand erneuert, der schon in der Wahlgeschichte einmal vorhanden war. Denn das Dekret Gregors X. wurde bald nach seinem Erscheinen von den während der Sedisvacanz mit den Geschäften betrauten Cardinälen mehrfach beseitigt, und eine Anzahl von Wahlen geschahen, ohne daß sich die Cardinäle der Clausur unterzogen hätten. Diese Ab­ weichungen von dem Gesetze wurden durch das an­ gebliche Verordnungsrecht der Cardinäle während der Sedisvacanz gerechtfertigt. Die Constitution Clemens V. (siehe S . 124) richtet sich unter an­ dern gegen dieses letztere Prinzip, und sie erklärt es als kirchliches Verbrechen, wenn die Cardinäle eigen­ mächtig darüber zu entscheiden wagen, ob sie sich an die Conclaveordnung Gregors X. halten mögen oder nicht. Consequenterweise mußte P iu s IX., wollte er den alten Mißbrauch zum Gesetze erheben, die betref­ fenden Bestimmungen der Clementine Ne Romani auf­ heben und es geschieht dies in der jüngst veröffent­ lichten Urkunde wirklich ; allein vergessen hat man hie­ bei, daß es nothwendig gewesen wäre, auch die Bulle CoelestinsV. Quia futurorum vom Jahre 1294 aus­ drücklich außer Kraft zu setzen. Denn in dieser päpst­ lichen Verfügung wird in noch viel bestimmterer Weise als in der Clementine, gerade jener Vorgang, den die neue Constitution zum Gesetz erheben will, verdammt, mit dem größer» Barm und mit Rechtsungiltigkeit bedroht.

Bonifaz VIII. meinte Gregors X. Wahlconstitution, Ubi periculum , vor jedem künftigen Angriff am besten zu bewahren, indem er dieselbe dem sechsten Buche des Dekrets tit. V I. C. 3 einfügte. M an konnte wirklich glauben, daß schon dadurch jeder Radicalismus bei allenfalls nothwendigen Wahlreformen wenigstens vom kirchenrechtlichen Standpunkt unmöglich wäre. S ta ats­ rechtlich betrachtet war zudem die Conclaveordnung nach allen Seiten mehr, als jedes andere Gesetz, mit Garantieen umgeben. Denn dieselbe war von Gregor X. auf dem Concile von Lyon eben jetzt vor 600 Jahren vor den Vertretern der gesummten Kirche und vor den Botschaftern aller weltlichen Mächte des Occidents und selbst des Orients feierlich publicirt und erfuhr von keiner Seite Widerspruch. Vielmehr war sehr bald und bis auf unsere Zeit die Wahrnehmung zu machen, daß die weltlichen Mächte auf die pünktliche Erfüllung der Conclavevorschrift ein sehr großes Gewicht zu legen pflegten. Aus der Beseitigung der Gregorianischen Consti­ tution erwächst aber noch eine weitere Schwierigkeit. M it derselben steht und fällt eine ganze Reihe von Gebräuchen, ja das ganze Cäremoniale für die Zeit der Sedisvacanz, welches letztere durch zahlreiche päpst­ liche Dekrete besonders geordnet wurde. Folgerichtig mußte demnach mit der Conclaveordnung auch das D e­ kret Clemens XII. vom Jahre 1732, Apostolatus offi­ cium, aufgehoben werden. Nun leuchtet aber ein, daß auf diese Weise eine Lücke im Gesetz, eine Rechts­ unsicherheit während der gestimmten Sedisvacanz ent-

steht. Den Cardinälen wurden durch das jüngst an das Licht getretene Dekret gewaltige Vollmachten er­ theilt, aber es mangelt, nachdem die alte Ordnung auf­ gehoben ist, durchaus an einer Instruction, von wem und in welcher Art die neue Maschine dirigirt werden soll. Es wird in dieser Beziehung genügen, eine Frage auszuwerfen mit Rücksicht darauf, daß den Cardinälen frei stehen solle, den Ort und die'Zeit der „Wahlcomitien" nach eigenem Ermessen auszuschreiben. Aber welche unter ihnen werden hiezu berechtigt sein und welche nicht? — Oder werden alle zur Lösung der Vorfragen in einem Vorparlament zusammentreten? Die gewünschte Beschleunigung des Wahlgeschäftes dürste schwerlich auf diesem Wege zu erwarten sein. Wenn man es in dem jüngst veröffentlichten Akten­ stücke nicht etwa mit einer sehr geschickten Täuschung zu thun hat, so ist durch die geheimen Vorschriften des Papstes Pius IX. eine radikale Veränderung der innern Wahleinrichtungen geplant. Nun ist, wie schon be­ merkt, das letztere Gebiet ein solches, welches dem Dekretalenrechte nicht entzogen werden kann. Gewiß sind keine Anhaltspunkte im Kirchen- oder Staatsrechte zu finden, daß die gegenwärtigen Wahlformen absolut unumstößlich seien. Man könnte ja manchen alten Ca­ non nennen, dessen einfache Erneuerung sehr verdienst­ lich und vom Standpunkte des Staatsrechts nur wünschmswerth erschiene. Was aber unter allen Umständen bei allfälligen dekretalen Neuerungen der Papstwahlen ans das pünktlichste beachtet werden müßte, ist die ord­ nungsmäßige Vorbereitung, Mittheilung und Publica-

tion solcher Verfügungen und ohne Zweifel bliebe das Recht des Einspruchs den -weltlichen Gewalten nach fünfzehnhundertjähriger P raxis unbenommen. I m andern Falle tritt an jeden S ta a t, der sich nicht selbst aufgibt, die schwerwiegende Frage der Ver­ weigerung der Anerkennung des Pontifikatswechsels und Wahlakts mit unausbleiblicher Nothwendigkeit heran. Die folgende Abhandlung bietet nach dieser Seite vielleicht einiges schätzbare M aterial. Die Geschichte der Obedienzverweigerungen ist hier zwar nur mit Rück­ sicht auf das deutsche Reich, aber wenigstens in einem Zusammenhange vorgeführt, wie er sich nicht gerade ohne Mühe und gleichsam von selbst ans den Geschichts­ werken ergibt. Es war mich in diesem Punkte nöthig, auf die Quellen zurückzugehn, um die alten Zeugen nach ihrem eigenen und wirklichen Sinne sprechen zu lassen. Indessen ist in dieser Partie deutscher Geschichte sovieles treffliche gearbeitet worden, daß es schwer fällt, nicht alles anführen zu können, woraus man dankbar Belehrung schöpfte. Im ganzen und großen zeigt sich doch auch hier, daß die Hauptergebnisse der Wissen­ schaft nicht gar so ferne von einander liegen, als man manchmal glaubt. Die genauere hier versuchte Feststellung von sol­ chen Resultaten, über welche möglichst größte Ueber­ einstimmung schon besteht, dürfte vielleicht ein allge­ meineres Interesse erregen und einiges zur richtigen Würdigung von Fragen beitragen, welche allerorten in gewaltige Gährnng gerathen sind.

Inhaltsübersicht. Einleitung 1—7. Ueber das V erhältniß von S taat-rech t itnb Kirchenrecht, über die B e ­ deutung des römischen Pontifikats, seine Geschichte und Politik. I. Capitel. G r u n d l a g e n u n d B e d i n g u n g e n d e r P a p s t w a h l 8 — 56. Ueber die verschiedenen S eiten und Beziehungen einer Papstw ahl S . 9. I h r e Betrachtung m ehr nach den innern oder den äußern Verhältnisse« 1 0 —12. E in tritt der Kirche in die staatsrechtliche S te llu n g und d as V er­ halten der römischen Kaiser zu den Papstwahlen 1 2 — 17. D ie germanischen Könige in R om nehmen dieselben und noch strengere Rechte in Anspruch 17 —21. D ie oströmischen Kaiser üben ein unbedingtes BestätignngSrecht über die römischen Papflw ahlen 21— 25 und übertragen unter C onstantin PogonatnS dasselbe wegen Abkürzung des Geschäftsganges auf den Exarchen von R avenna als PatriziuS von R om 2 6 —31. H ierauf gehn die Rechte des Exarchen auf den fränkischen PatriziuS über 3 1 — 38, und bei B eg rü n ­ dung des fränkischen KaiserthnmS werden durch m annigfaltige V erträge die Rechte über die Papstw ahl beiderseitig geordnet 3 8 - 5 4 , wobei sich ein öfterer Wechsel in den M odalitäten der B estätigung und Genehm igung der W ahl durch den Kaiser nachweisen läßt 55, 56. II. Capitel. O b e r h o h e i t d e s K a i s e r t h n m S 5 7 - 8 2 . O tto I. w ird Kaiser und eS w ird ihm geschworen, daß niem and ohne seine Genehm igung zum Papst geweiht werden dürfe 57 — 61. Nachdem er Leo V I I I . eingesetzt, erhält er von diesem hierüber ein P rivilegium , welches aber in unechter F orm vorliegt 62 - 6 8 . Unter O tto III w ird das V er­ hältniß im S in n e einer der W ahl vorhergehenden Bezeichnung des Papstes durch den Kaiser verschoben 69, w as nachher von Heinrich III. zu einer sehr ausgedehnten In itia tiv e benutzt w ird, wvlche w ir als D enom inationörecht bezeichnen 7 0 - 7 4 , worauf sich aber die kirchliche Reform P artei bem üht, die alte O rdnung der Akte und die In itia tiv e des canoniscben W ahlrechts wieder beizustellen 74 82

X V III

M . Capitel.

Inhaltsübersicht. D e r K am p f um

d ie h ie ra rc h isc h e W a h l 83 — LSI.

Nikolaus II. ordnet die Papstwahl durch ein Dekret, welches die kaiser­ lichen Rechte in zweite Linie stellt, aber noch gelten laßt 83 —95. Hiildebrand und seine Partei dagegen zielen auf eine ausschließlich hierarchische W ahl 9 6 —99, welche durch die Spaltungen des römischen CleruS und Volkes noch verhindert wird 1 0 0 —105, aber durch Alexanders I I I . Deekretale in die rechte Dahn gelangt 105—112, worauf den weltlichen Mäckhten n u r ein indirekter Einfluß offen bleibt 1 1 2 —116; während Gregor X. das hierarchische Wahlsystem durch die Conclaveordnung fortbildet 116—1118, reißt Frankreich daS politische Uebergewicht an sich 116—121.

IV. Capitel.

V o l l e n d u n g d e r Wa h l g e s e t z g e b u n g 122—153.

Die päpstliche Gesetzgebung sichert die hierarchische Wahl nach imnen und außen 122 —124 a) durch die Clementinen 1 2 4 —126, b) die Dekrete PiuS IV . und Gregors X V . 12 6 —129 — J u liu s II. und Paul IV . tcntwickeln den Begriff der S im onie in feindlichem S in n e gegen die StacatSgemalt 1 2 9 —139, welcher letzteren nur ein wenig bedeutender Gebramch, die Exclusive, übrig bleibt 1 3 9 —148 und die daher auf J&a« einzig nmantastbare aber immerhin ausgiebige Recht der Anerkennung oder der Obedienzverweigerung beschränkt ist 1 4 9 - 1 5 3 .

V. Capitel.

Ges c hi cht e

de r

Obedienzverweigerung

1 5 4 — 253.

Wiewohl daS Kaiserthum seine überragende Weltstellung verlor S . 1 54 wird von der königlichen Gewalt dennoch seit Rudolf von Habsburg d a s nationale Recht zu wahren gesucht 155— 159, bis Bonifaz V III. das gefammte Verhältniß auf die Spitze stellt 1 5 9 - 1 6 1 , worauf die deutsche N a ­ tion unter Ludwig dem Baier gegen Joh an n X X II. zur ObedienzverRveigernng schreitet 162— 191 Gegen die Ansprüche der avignonischen Papste bildet sich der Kurverein von Reuse 191— 194. DaS große Schisma in der Papstkirche bringt die Frage der staatlichen Obedienz neuerdings in Fluß 195 —201. Die Gegenpäpste machen sich m it allen M itteln die Obedienzen streitig 202 - 208, bis man endlich den Weg der Concilien betritt 2 0 9 —218. Einführung des Begriffs der bedingten Obedienzleistung 2 1 4 —225 D aS Constanzer Reformatorium und die Rechte der Nationen 225—233. Die Obedienzverweigerung unter Eugen IV . und die deutsche Fürften-Neutralität 2 3 4 - 2 4 5 . Bedingungsweise Anerkennung Nikolaus V . 245—249 D ie Versprechungen der Curie werden schon durch die Concordate verletzt 250, die letzteren selbst aber durch die folgenden Päpste systematisch beseitigt 251. Die deutsche Kirchengeschichte treibt dem Protestantism us zu 252 , 253. Dennoch aber halten Karl V. und seine Nachfolger im Reiche daS S ta a tsreckt gegenüber den Papstwahlen m it anerkennnngSwerther Conseqnenz aufrecht.

Einleitung. Wenn es eine M anu in Europa gibt, für deren politische Thätigkeit die eigene Geschichte maßgebend ist, so darf man dies von der römischen Curie behaupten. Auch ihre Gegner sind an eine Reihe historischer Betrachtungen gewiesen, wenn sie die Schritte de- römischen Papstthums richtig beurtheilen oder be­ kämpfen wollen.

Ueberall ruht die Stärke und Sicherheit der

apostolischen Macht auf der festen Tradition und der verwickelten juristischen Basis ihrer Politik.

S ie hat sich stets auf eine

eigenartige, besondere Stellung gegenüber dem Staate berufen, und dabei den größten Einfluß auf den S ta at geübt.

S ie hat

ein eigenthümliches in sich beruhendes Recht ausgebildet, und diesem dann wieder im Böller- und Staatsrecht Geltung ver­ schafft.

Und dabei ist es dock nie ;u einer vollkommenen recht­

lichen Auseinandersetzung mit dem Staate gekommen. Wer die Geschichte des Papstthums verfolgt und die große Elasticität seiner Doctrinen, die Unsicherheit der Quelle« des Rechts und die Conseqnen; in der Dnrcksühruug gewonnener Sätze beachtet, dem ersckeint es vielmebr, daü das Berbältniü von S taat und ' c o i c i u . 'I m v u u m Iu u n r .ti.ineulMiui.

1

Kirche wie mit Absicht eine offene Frage bleibt imb daß es der Kampf selbst ist, der das Wesen der kirckenrechtlichen Anschauung von den Grenzen der beiden Gewalten bezeichnet. Fast ohne Ausnahme ist jedes der Jahrhunderte von S trei­ tigkeiten zwischen S taat und Kirche erfüllt und in den manigsaltigsten Formen tritt derselbe Gegensatz in steter Wiederholung auf, so daß man die gleiche Erscheinung, nur mit wechselnden Formen, vor sich zu haben meint. Obgleich die heutige Politik nicht mehr von Belehnung mit Ring und Stab handelt, so nennen unsere Kippen bei ähnlichem Anlaß doch gleichsam me­ chanisch Eanossa nur Heinrich IV. D a s Wesen des Kampfes ist gleich geblieben, und für t-ic Gleichartigkeit der Ansprüche, welche heute aus dem Neckt der Kircke abgeleitet werden, ist be­ zeichnend , daß kein Staatsm ann Behauptungen, die sich auf Decrete Gregor'S V II. over Jnnocenz III. berufen, zu erwägen und zu widerlegen sich für enthoben halten samt, während man den Ernst von Forderungen mit Reckt bezweifelte, welche eine Macht auf Grund von Staats-Acten Karl's des Großen oder Ludwigs IX . erheben würde. Staats-Recht und Kirckeu-Reckt stehen sich noch heute in derselben Weise gegenüber wie vor tausend Jahren, und eine glückliche Lösung dieser Beziehungen wird noch immer vergeb­ lich gesucht. E s ist hier nicht der O rt, aus die Versuche ein­ zugehen, welche vornehmlich das letzte Jahrhundert machte, um die schwierige Frage radikal zu lösen. Dock dürfen wir be­ merken, daß sich der starre Absolutismus und die demokratisch­ formale Lehre von der freien Kirche im freien Staate in bett Resultaten ähnlich waren. D ie Gesetzgebung, welckc das kano­ nische Reckt einfach negirte, konnte dock nirgend verhindern, daß ein großer Tbeil desselben durch Seitenthüren eindrang, und

in dem freien S taate ist da- StaatS-Recht dem der Kirche im offenen Kampfe erlegen. Ebenso hat aber auch die Veränderurig, welche der welt­ liche Besitz des Papstes erfahren, fogut wie gar keinen Einfluß auf das Verhältniß von S ta at und Kirche geübt.

Wenn man

sich noch vor Kurzem der Täuschung hingab, daß das Zusammen­ brechen der weltlichen Macht auch die Stärke und Sicherheit' der absoluten Kirchenregierung, gegenüber S taaten und welt­ lichem Rechte, ermäßigen oder vernichten werde, so beweist der heute vorliegende Kampf, daß es sich um unveränderliche Punkte handle, welche die gleiche Schwärze zeigen, mag der oberste Priester feine Macht von einem kleinen oder kleinsten T erri­ torium der Erde ausüben'. D er Sitz der Krankheit, welche da­ moderne Staat-recht mit den verschiedensten Methoden nicht zu heilen vermochte, scheint tiefer zu liegen, und ein Blick in den historischen Gang der römischen Weltmacht wird immer wieder feine Berechigungt haben. Bezeichnend für die nngefchwächte Bedeutung des Pontificats ist der Umstand, daß fast alle Mächte Europa'- au'der bevorstehenden Papstwahl ein kaum geahnte- Interesse nehmen. WaS ist der Grund hievon? vermag der „Gefangene Italien-" da- siegreiche Deutschland und da- gedemüthigte Frankreich so gleichermaßen zu beunruhigen? — Von Jahrhundert zu Jahrhundert ist mit der steigenden Macht des römischen Oberpriesters Wunsch und 'Nothwendigkeit einer Einflußnahme auf feine Wahl von Seite der weltlichen Mächte gestiegen.

E s ist nur eine

natürliche Folge, wenn in dem Momente, wo dem Papste eine noch ausgedehntere Gewalt übertragen und die Summe der tirchenrechtlichen Prätentionen

in der

Unfehlbarkeit gezogen

wurde, die Sorge der Staaten uni ihre inneren Angelegenheiten

einen strengeren Blick auf die vaticanischen Ereignisse fordert. D ie Rechte m Kirchen und Bischöfe sind durch die kirchenrecht­ liche Zauberformel in immer ausgedehnterem M aße auf den päpstlichen S tu h l übergegangen. Jegliches selbstständige Veben katholischer Gemeinden ist bis auf die Knochen vom römischen Primate ausgesogen worden. D ie eherne Consequenz des Kirckenreckts stellt den katholischen Menschen unter die unmittelbare Bevormundung der päpstlichen Macht. M ag man die gegen­ wärtig geltende Velin1 und Definition vom Primat als eine A us­ geburt der D octrin, oder als die Krönung des Gebäudes be­ trachten, gewiß ist nur, daß ein neuer Hebel an die inneren Angelegenheiten jedes einzelnen S taates, in welchem katholische Menschen lebe», gesetzt worden ist. D er Papst mit seinen Satzungen hat sich über — wenn man will außer die gesammte Staatenwklt gestellt und erklärt, daß er auf seinem Boden nur Freiheit wolle. Aber die Wirklichkeit der Dinge lehrt, daß es der S taat nicht mit einer fremde» Macht, sondern mit den eigenen inneren Angelegenheiten hier ;n thun habe. D a s Papst­ thum wird niemand für eine auswärtige Potenz betrachten, der sieht, wie der Papst überall thront und in jeder Dorskircke sick geltend macht. Sollen nun die Staate» abwarten, bis der ent­ fesselte Strom in's Haus eingedrungen ist, muß es nickt a ls das nützlichere erscheinen, hinauf zur Duelle zu gehen und die kleine Defiuung zu verstopfe»? Wie oft find die deutscheil Kaiser mit der guten Absicht, das letztere zu erreichen, über die Alpen gestiegen und haben die schlimme lind der nationalen Entwicklung nur zu oft schädliche Heerfahrt nicht gescheut, um sich im Cen­ trum der Welt solcher Menschen zu versickern, die nur sanft« fließendes Wasser in die Vander herablassen sollten. Später zog und tonnte tuan nicht mein- nach Rom ziehen, und die

Diplomatie mußte allein mit den Nymphen der heiligen Quelle ihr Glück versuchen, damit eS der tückischen Gottheit nicht etwa gefalle, basd da bald dort die Länder zu überschwemmen. S in d die Staaten Europa'« nicht heute noch genau in demselben Falle wie die alten Kaiser? Werden sie nicht genöthigt sein, dieselben Erwägungen zu machen, wenn der neue Papst gewählt wird, wie man sie schon am Hofe Karl'« des Großen angestellt h at? W er heute den unbotmäßigen, organisirten, an M itteln reichen, gewaltigen CleruS in den verschiedensten S taaten E uropa'-, und besonder- in Deutschland, zum Kampfe gerüstet sieht, dem kann es wohl nicht schwer sein zu begreifen, warum die alten Kaiser zuweilen nach Rom gingen, um dort lieber den Einen, a ls in Deutschland ein paar Dutzend Bischöfe, a u - dem S a tte l zu heben.

Und wenn man heute in Deutschland durch einen

glücklichen G riff in die W ahl de- nächsten Papste- die Oppo­ sition im Lande zu brechen vermöchte, wer könnte e- verant­ worten, an der Quelle müßig gewesen zu sein? — die großen politischen Gegensätze in der W elt bieten zu allen Zeiten A na­ logien, die man nicht wörtlich zu verstehen h at, die aber das Berständniß der Lage jedesmal erleichtern. D as moderne Kaiser­ thum ist kein römisches Kaiserthum. Italien so gut wie Deutsch­ land haben eine mächtig verschiedene Grundlage ihrer staatlichen Existenz und ihrer welthistorischen Berechtigung erlangt, allein in ihrem V erhältniß zur Kirche ist Vieles gleick geblieben oder regt zur Vergleichung an. D aß sich demnach in dem bestehenden Kampfe zwischen staatlicher und kirchlicher Gewalt die Aufmerksamkeit der prak­ tischen Politik der Papstwahl zulenkt und daß man die Frage, ob und welche Lösung der S treit zwischen „tanonisckeiit Reckt mid S t a a t s - Reckt" erfahren könne und werde, in Zusammen-

hang mit der W ahl des Papstes bringt, ist erklärlich und wohl begründet. Allgemein betrachtet kommen bei dem Wechsel der Ponti­ fikate sachliche und persönliche Fragen in Betracht, und zu allen Zeilen haben die S taatsm änner verschiedene Antworten darauf gegeben, ob sie diesen oder jenen im entscheidenden Augenblicke größeres Gewicht beizulegen hätten. Zu allen Zeiten betrachtete es die Diplomatie als einen Trium ph, die W ahl eines persön­ lich befreundeten und wohlgeneigten Hauptes der katholischen Kirche bewirkt zu haben. I n W ahrheit aber wird der Kenner der Papstgeschichte sehr geneigt sei», der Personenfrage bei der Papstwahl keine allzu große Bedeutung beizumesse». Nicht als ob die Geschichte zwischen den persönlichen Eigenschaften und Anschauungen der Päpste, zwischen ihren individuellen Eharakterzügen, geringere Unterschiede erkennen ließe, als bei Königen und Fürsten der Fall ist. Wem treten nicht vielmehr bei der Erinnerung an diese reiche hochbewegte Papstgeschichte nur scharfgeschnittene, markirte Gestalten in voller Lebendigkeit vor vaS innere Auge? Persönlichkeiten von lasterhafter Größe in den Zeiten der M arozia oder der Renaissance, Herrschernature» von imposanter Willensstärke im Ansturm gegen die alte deutsche Kaisermacht, staatSkluge, schlaue Diplomaten der ReformationSEpoche, Organisationstalente und Meister der Verwaltung, Mönchsgestalteil und Einsiedler, Gelehrte und Doktrinäre, F a­ natiker des Glaubens neben heidnisch-gearteten Philosophen, schlichte einfache M änner mit einem Zuge der Erm attung und M ärtyrer der Ueberzeugung, — alle nur immer möglichen Schattiruiigen des Charakters sind hier vertreten. Keine andere Rcgenten-Reihe hat eine gleiche Mannigfaltigkeit auszuweisen. Und dennock, muß man von den 262 Papstregierungen sagen,

daß sie in einer Richtung eine erstaunliche Verwandtschaft und Ähnlichkeit zeigen, und diese liegt in ihrem Verhältniß zu den weltlichen Mächten, zum Staate überhaupt. M it wenigen Aus­ nahmen behandeln sie die großen Fragen von S ta a t und Kirche nach wesentlich gleichen Gesichtspunkten. I n ihrem Verhalten gegen die Staatsgewalt mögen die einen gemäßigtere, die an­ dern gewaltsamere Ansprüche erhoben haben, die Prinzipien ihrer Politik waren immer dieselben. Manche Zeiträume hin­ durch scheinen die höchsten Ideale päpstlicher Stellung fast auS der Welt der Thatsachen verschwunden, aber sie waren jederzeit vorhanden, um bei guter Gelegenheit in den Vordergrund der abendländischen Geschichte zu treten. I n diesem Punkte lag eine unverwüstliche Stärke der Tradition, an deren Ausbildung und Verwirklichung die verschiedensten Persönlichkeiten mit gleichem Eifer arbeiteten. W ar eS daher auch manchem Staatsm ann gelungen, nach schwerem Ringen den Papst seines Herzens aus der Wahl hervorgehen zu sehen, dem Recht der Staaten gegen­ über galt immer derselbe Codex römischer Macht und Auf­ fassung. An der realen Durchführung deS Ideals hatten ver­ schiedene Zeiten den mannigfaltigsten Antheil, aber im Ganzen ist die Stetigkeit der Entwicklung nicht gu verkenne». Im m er stärker und geschlossener erhebt sich der Geist der Kirche, immer mächtiger erbaut sich von Jahrhundert zu Jahrhundert die Schutz­ mauer, welche die Päpste ihr Recht nennen. D er einzelne Mensch tritt zurück, das Persönliche verschwindet hinter dem Papste, der immer der Papst bleibt. Will man die Natur dieser durchgreifendsten politischen Tradition kenne» lernen, so muß man sie in ihrer Entwickelung und in den verschiedenen Formen und Zeiten ihrer Erscheinung beobachten.

I Capitel. Grundlagen

nnd

B e d in g u n g e n der Papstw ahl.

Wenn man die Borgänge betrachtet, tvelche bei dein Wechsel der römischen Pontifikate während einer fast zweilausendjährigen Geschichte stattgeflinden haben, so läßt sich der Blick nach sehr verschiedenen Seiten hin wenden. Schon an und für sich bilden die Gewohnheiten und Gebräuche rer Wahlen ein reiches Feld historischer Betrachtung. Zudem man die mit Gesetzeskraft ausgestatteten kanonischen Bestimmungen und Erklärungen über den wichtigen Gegenstand erörtert, vermag man gleichsam eine Norm aufzustellen, welche auch in künftigen Fällen für die W ahlhandlung maßgebend sein wird. Solche Untersuchungen werden Kennzeichen für die Drdnungsmäßigteit des Hergangs der Wahlen entnehmen lassen, sie werden überhaupt alles das, w as für den inneren kirchlichen Eharakter des PontifikatSWechsels entscheidend sein mag, in Evidenz erhalten, sie w eiten vorzugsweise als kanonische, kirchenrechtliche gelten müssen. Allein der gesammte kirchliche Akt, den man kurz mit dem 'Namen rer Papstwahl bezeichnet, bietet der Betrachtung noch eine andere Seite dar, deren Erkenntniß und Würdigung eben­ falls einen sehr hohen Werth in Anspruch nimmt. Denn indem

die Wahl des Papstes als sich vollziehende oder als vollzogene Thatsache eine ganze Reihe von weiteren Beziehungen und Ver­ hältnissen wachruft, kommen auch noch andere Gesetze, Rechte, Bedürfnisse und Gewohnheiten der Völker und Staaten in Be­ tracht.

Die rein kir.chenrechtlichen Untersuchungen werden daher,

obwohl sie besonders in neuerer Zeit ebenfalls mehr auf all­ gemeine historische Grundlagen zurückgeführt worden sind, ihrer Natur nach die Fragen, welche sich aus Anlaß der Papstwahl erheben, nicht nach allen Seiten hin zur Lösung bringen können. Für den, welcher das Ereigniß einer Papstwahl der Gegenwart oder Vergangenheit in seiner Totalität studieren w ill, fängt eigentlich die Arbeit erst da an, wo sie der Canonist gemeinig­ lich abbricht.

Beide Betrachtungsweisen aber ergänzen .sich

nothwendig und niemand könnte die eine oder andere völlig entbehren, oder die eine von der andern ganz absondern. Wohl aber läßt sich nicht läugnen, daß die Rücksicht auf jene innern kirchlichen Umstände, welche bei den Papstwahlen in Geltung kommen, in der heutigen Wissenschaft vorherrscht und schon häufig zu systematischen Darstellungen führte, während zusammen­ hängende Untersuchungen über die Papstwahlen nach ihren äußern Beziehungen und nach ihren rechtlichen Verhältnissen zu andern geschichtlichen Mäcbten fast gänzlich fehlen.') ') Von der älteren Litteratur gilt die« nicht und es ist für den Unter­ schied de« wissenschaftlichen Interesse«, welche« im vorigen Jahrhundert be­ stand, bezeichnend, daß genau dieselbe Frage, die ich hier zu behandeln vor­ habe, ehedem häufig abgehandelt wurde, neuerer Zeit in m o n o g ra p h i­ scher G estalt nicht. Otto, de iure imperatoris circa electionem pontificie Romani 1723, und noch besser Kemmerich, progr. de iure imperatoris circa consritutionem pontificis 1724 zeichnen sich bei höchst mangelhaftem historischen Inhalt durch den im vorigen Jahrhundert noch vorhandenen Reichsinstinkt und praktische Gesichtspunkte .nt«. Allgemeiner gehalten ist Burchord Maii, dissertatio de Romani pontificis electione.

Insbesondere ist die Stellung, welche da- Kaiserthum den Papstwahlen gegenüber einnahm, vermöge der besondern B e­ ziehungen der beiden höchsten Gewalten zu einander von ein­ greifender Wichtigkeit, ja wenn man von den Papstwahlen in historischem Sinne spricht, so wird sich in den meisten Fällen der Schlüssel des Verständnisses erst von dieser Seite her gewinnen lassen. M an darf ungescheut hinzufügen, daß auch der sttutzen, welchen die Politik and der Geschichte in diesem Falle ziehen mag, vornehmlich in der richtigen Erkenntniß des Verhältnisses liegen w ird, in welchen die beiden großen Potenzen bei dem Pontifikatswechsel zu einander stände». An diesem Punkte die Rechte des Einzelnen und die Gesetze des Ganzen klar darzu­ legen, darf man als eine Hauptforderung der Wissenschaft sogut, wie der Politik erachten. Von dieser Seite gesehn, bedürfen vielleicht auch die bisherigen Untersuchungen und Darstellungen des Gegenstandes am meisten und dringendsten einer Ergänzung. Denn die Fragen, welche sich auf die innere Einrichtung der Papstwahlen und diejenigen, welche sich mehr auf die mit dem PontifikatSwechsel verbundenen allgemeinrechtliche» ilmstände M ich. Ign. S ch m id t, de fatis juv. im p. in den Acten der Mainzer Akad. 1777 sehr werthvoll, reicht bis Alexander III. Unbedeutender ist G eisa u , h isto rica narratio ju ris, quod Im p eratores in approb an d is pontificib u s habuerunt, W ien 1782. D a s praktische und viel benutzte Buch von S t a u d e u m a i e r , Geschichte der Bischofswahlen, Tübingen 1830 widmet ma ncheS Capitel den Papstwahlen. I n neuerer Zeit ist der Gegen­ stand in den allgemeinen Werken über das Verhältniß von Kaiserthum und Papstthum ebenso oft und gründlich, wie in den kirchengeschichtlichen und kirchenrechtlichen Darstellungen, insbesondere von 'Phillips und HinschiuS behandelt worden. E s gilt gegenwärtig nur die Frage aus der historischen Fülle der Litteratur in ihrer monographischen Gestalt nach Art jener älteren Dissertationen herauszuheben und zu gestalten, w as Angesichts der heutigen historischen Forschungen gewiß eine leichtere Aufgabe geworden ist.

beziehen, nehmen zwar mannigfaltigen Einfluß auf einander, decken sich aber weder in Bezug auf die Sache selbst, noch auf die Zeit ihres Ursprungs. Wer die Geschichte der Wahlen als solcher, ihre Organisation und Entwickelung studieren wollte, der würde kaum eines B ilde- der ältesten Zustände der Kirche entbehren können, und so unsicher auf diesem Gebiete seine Quellen auch wären und so schwer eS auch sein möchte eine sichere Vorstellung von den Wahlen der Bischöfe in den ältesten christlichen und apostolischen Zeiten zu gewinnen, so wenig dürste doch der, welcher dieser Grundlage entbehrte, ein richtige- Ver­ ständniß für die späteren Veränderungen der Papstwahlen be­ haupten können. Wer dagegen sein Augenmerk auf die Stellung der weltlichen Mächte gegenüber dem kirchlichen Akte richtet, für den sind die Wahlverhältnisse, wie sie in den Zeiten der Grün­ dung der Kirche bestanden ohne fruchtbare Au-beute; erst mit dem Heraustreten der christlichen Gemeinde in die Sphäre der allgemeinen staatlichen Einrichtungen beginnt sich da- in B e­ tracht kommende Verhältniß zu bilden und nimmt dann mit jedem Jahrhunderte an Gewicht und Bedeutung zu. Aus den Beziehungen zwischen dem Staate und der christ­ lichen Kirche ergaben sich auch in Rücksicht auf die Bischofs­ wahlen überhaupt und auf die des römischen Papstes insbeson­ dere gewisse Gewohnheiten und Feststellungen, welche von Ge­ schlecht zu Geschlecht, von Papstwahl zu Papstwahl die Ueber­ zeugung fortpflanzten, daß die weltliche Gewalt an beut wichtigen Akte der Kirche einen nothwendigen Antheil, oder wenigstenein zur Mitwirkung auffordernde- Interesse besitze. Die Gesetz­ gebungen von S taat und Kirche griffen so sehr in einander, daß auch die Besetzung der kirchlichen Aemter zu einer Lebens­ frage beiter Theile werde» mußte. Der Staat hatte der christ-

lichen Kirche die umfassendsten Zugeständnisse gemacht, deren die heidnischen Culte immer mehr beraubt worden w aren: die christliche Gemeinde erhielt das Reckt des Erwerbes von Eigen­ thum, ihre Tempel wurden mit besondern Privilegien ausge­ stattet, die kirchlichen Vorschriften waren unter den Schutz der kaiserlichen Gewalt gestellt worden. W ird das römische Kaiser­ thum die Frage, welche Personen mit der Ausführung dieser ungeheuern Borrechte betraut seien, nicht andererseits vor sein Forum gezogen haben? M an wird nicht behaupte» wolle», daß in dem Wechselverkehr, welcher zwiscken dem römischen S taate und der christlichen Kirche entstanden w ar, der erstere nur Pflichten, die letztere nur Reckte erlangt hätte. Auch die ch ristlichen K a i s e r fuhren fort den Titel der höcksten r ö m i ­ schen P r i e s t e r w ü r d e sich beizulegen. Bon E o n s t a n t i n dem G r o ß e n wird berichtet, daß er in Betreff der den B i­ schöfen eingeräumten Gewalt einen sehr feinen Unterschied zu machen wußte zwischen dem Forum internum , welckeS er diesen und dem Forum externum , welckes er nur seiner kaiserlichen Hoheit zuerkannt sehen wollte. Wenn sich auch nicht die juristische Stellung des römischen Kaisers gegenüber den Bischofswahlen im einzelnen gleich von Anfang an in volle Klarheit setzen läßt, so beweist doch die Geschichte Constantins und seiner'Rachfolger, daß die kaiserliche Gewalt sich bei diesen Anlässen sehr deutlich fühlbar machte. D ie N atur der uns vorliegenden Berichte aus jener Zeit bringt es mit sich, daß wir in vollkommener Weise nur über jene Fälle unterrichtet sind, wo durch entstandene Streitigkeiten der Einfluß der Kaiser unmittelbar entscheidend wurde. Aber es ist daraus nicht etwa der Schluß zu ziehen, daß nicht jedesmal bei dem Pontifikatswechsel irgend ein Akt k ai s e r l i c he r

G e n e h m i g u n g vollzogen worden sei. DaS was sich regel­ mäßig und ohne S treit der Parteien im Geschäftsgänge des Staates zutrug, wurde seiner Natur nach kaum besonders werth erachtet aufgezeichnet zu werden. Um so mehr ist man berech­ tigt au- den Mittheilungen und Acten über außerordentliche Vorkommnisse des Pontifikatswechsels einen Rückschluß auf die Rechte des Kaisers zu machen, welche in der Regel geübt wurden. Die römische Kirche war während der Dauer deS west­ römischen KaiserthumS dreimal durch schismatische Wahlen in ihrem innersten Bestände bedroht. W ir sehen jedesmal die ge­ waltigsten Eingriffe der Im peratoren, jedesmal entscheidet däS Machtwort derselben über den Besitz des apostolischen Stuhles. Daß zuweilen die kaiserlichen Entscheidungen einen dogmatischen Hintergrund hatten, ändert wenig au dem thatsächlichen und rechtlichen Vorgang, welcher die Wahl deS Papstes doch immer unter die Controlle des Kaiser- gestellt erscheinen läßt. Wenn F e l i x II. gegen L i b e r i u S erhoben wurde, weil K a i s e r Cons t a n t i u s der arianischen Glaubensform anhing, so beweist diedoch sicher für die Stellung der weltlichen Macht der Papstwahl gegenüber nicht weniger, als wenn Kaiser Valentinian I. den römisch-rechtgläubigen Bischöfen den Vorzug gab. Bei der D o p p e l w a h l B o n i f a c i u s l. und E u l a l i u s fallen indessen alle ans dogmatischen Streitigkeiten entstandenen Motive hin­ weg, und das Verhalten des Kaisers H o n o r i u s bei diesem Schisma darf umsomehr als ein Maßstab für die zu Recht be­ stehenden Verhältnisse angesehen werden, als die aus Anlaß dieses Streites entstandenen Acten frühzeitig die Beachtung der C a n o n e n s a mml n » g e n gefunden haben. Schon die W ahlhandlung selbst w ar nicht ganz unbeeinflußt von rui weltlichen G ew alt. Allen Nactmcbte» zufolge hatte

zwar nicht der Kaiser HonoriuS, aber sein Stadtpräsect S ym machuS auf die W ahl des Archiviacon EulaliuS in der lateranischen Kirche hingewirkt, während der Römer B onifacius, wie wenigstens behauptet wurde, von einem weit größeren Theil deS Volkes und C lerus in der Kircke des heil. M arcelluS zum Papste ausgerufen wurde.

Zunächst ertheilte der Kaiser dem

C ulalius seine Bestätigung, aber die Unruhen in Rom und das Bittgesuch der P artei Bonifacills deS I. bestimmten die Regie­ rung zu einer vollständigen synodalen Revision deS Processes, welche Honorills angeordnet hatte.

D aß G ulalius fallen gelassen

wurde, mochte die Synode von Spoleto vielleicht durch sorg­ fältigere Feststellung des jedem Theile anhängenden größeren oder kleineren Kreises von W ählern motivirt haben, die E nt­ schließung des Kaisers lvar sicherlich wesentlich dadurch bestimmt, daß sich EulaliuS dem angeordneten synodalen Verfahren, dem sich Bonifacills vollständig unterwarf, widersetzte. B onifacius

hatte

Boten

an

Honorinö

gesendet

nnd

dessen Anerkennung und Schutz angesprochen. D a s in den Canonensammlungen aufbewahrte Schreiben scheint der Zeit nach der s y n o d a l e n E n t s c h e i d u n g von S p o l e t o anzugehören.') ') C. 1. D. 97. E c clesia e meae. Darin heißt es: A ogeretur pluribus P rincep s C bristianissim e, water e c c le sia , nisi apud te suaruni e s s e t cura causarum, et nisi in opp ression ibus idolorum, in bacrelicorum correctionibus fide tua divino cultu pariter cum Im perio sem per florente v ic iss e t religio. I n dem Rescripte des KaiserHonorius C. 2. D. 97. ist die entscheidende Stelle folgendermaßen ausge­ drückt: E t ideo revertentibus venerabilibus viris gaudium nostrum , sacrornm apicum a ttestation e signam us ac petim us, uti q u otid ianis orationibua apostolatu s tuus Studium ac votum auum circa salutem atque Imperium nostrum dignetur im pendere. Hieraus folgt noch die Verordnung wegen der vorzunehmenden Neuwahlen im Falle eines Schisma, d. i. canon. Si duo 8. D. 79. Daß das Reseriptni» eine unmittelbare

D araus geht hervor, daß die von HonoriuS berufene Shnode itur den Wahlact selbst zu prüfen hatte, die schließliche Ent­ scheidung, die Bestätigung aber durchaus dem Kaiser vorbehalten blieb.

M an trennte mithin in streng sachlicher Weise kanoni­

sches Wahlrecht und staatliche Anerkennung.

Wie die früheren

römischen Kaiser, so scheint auch HonoriuS in die eigentliche interne kirchliche Wahlangelegenheit sich nicht eingemischt zu haben.

Indem er die Prüfung

der rein kirchlichen Frage

der Synode überließ, wurde der PontifikatSwechsel durch den staatlichen Akt der Bestätigung nur vollendet und abgeschlossen. Allerdings geht BonifaciuS in seinem Schreiben um einen kleinen Schritt weiter, wenn er sagt, an dem Kaiser hienge die Sorge der Angelegenheiten der Kirche, allein unschwer wird man dies auf das nothwendige Schutzverhältniß deuten dürfen, ohne wel­ ches die Kirche nicht bestehen könnte. Auch in dem Rescrtpte des Kaisers an BonifaciuS erscheint die Wahl als solche nicht weiter ein Gegenstand der Untersuchung.

HonoriuS macht die

Voraussetzung, daß die rechtmäßige Wahl auf Bonifaz gefallen wäre, waS er hinzufügt, ist die Bestätigung und der Auftrag an den Papst daS Wohl des Staates im Auge zu behalten und alle Parteiungen und Störungen des Friedens zu beseitigen. Von demselben Geiste ist die Bestimmung getragen, welche Antwort auf die ep isto la supplicationis sei, ist nicht zweifelhaft. D a nun in beiden Stücken der S treit der beiden Gegenpapste als geschlichtet erscheint und da« Rescript BonifaciuS bereit- im Besitze deS Papstthum­ erscheinen läßt, (daher die Anrede „san cto e t ven erab ili“, so ist zu schließen, daß die synodale Entscheidung schon erfolgt war Die Wahl war ranonisch rectificirt, eS stand daher nur die Bestätigung de- Kaiser- noch auS. Bgl. Jaffe Reg. a. a 419. A pril 10. B aronius N o. 33 u. 34: Einzug deBonifacius in Folge de- Schreiben- de- Kaiser- ain 10. April, als» »ach dvt synodale» Entscheid»

16

I

Grundlagen und Bedingungen der Papstwahl.

der Kaiser hinzufügte, daß im Falle künftig entstehender Doppel­ wahlen keiner der Gewählten als Papst angesehen, sondern eine Neuwahl vorgenommen werden solle. Dieser Canon ist von der spätern Kirche verworfen worden, weil er von einem Laien her­ rührte, allein wenn man die Tendenz erfaßt, die sich in dem­ selben ausspricht, so kann man nicbt leickt eine zuverlässigere Grundlage für das Verhältniß finden, wie cs in jenem Augen­ blicke in Betreff der Papstwahl thatsächlich zu Reckt bestand. Der römische Staat wollte sich unter keiner Bedingung in die internen Fragen der Wahlvorgänge einmischen. So wenig mochte er über diesen Akt des Pontifilätswecksels entscheiden lind Partei nehmen, daß er eine Neuwahl anordnete, wenn Zwiespalt entstanden war, allein der Gewählte erhielt doch vom Kaiser seine Gewalt und wurde daher von diesem in sein Amt eingesetzt, genehmigt oder bestätigt. Faßt man das Resultat der Untersuchung über die Acten der Papstwahl Bonifacius I. zusammen, so zeigt sich eine voll­ kommene Uebereinstimmung mir dem, wao auch sonst berichtet wird, daß die ältern römischen Kaiser die Wahlen der Päpste frei gegeben haben. Aber damit ist nicht gesagt, daß sie den PontifikatSwcchscl überhaupt als einen Gegenstand betrachtet hätten, der ihrer Jurisdiction nicht unterstand. Sie mischten sich prinzipiell in die Wahlrechte von Bolk unk Cleruö keines­ wegs ein. Ih r Recht begann in Wirksamkeit zu trete», sobald der Wahlact in vollendeter Gestalt vorlag. Tenn dann war es die Pflicht des Neugewählten den Kaiser um die Bestätigung und um die Einsetzung in das Amt des obersten Priesters zu bitten. Um zwei Pole drehte sich mithin der Pontifikatswechsel in Rom in seiner ältesten Gestalt: Freie Wabl, unbedingtes

B e s tä tig u n g -re c h t.

Wenn da- bilaterale Verhältniß, da­

zwischen S ta a t und Kirche seit Coitstantin dem Großen ange­ knüpft wurde, sich auch auf die Frage de- Pontifikat-Wechselbezog, so ist eS richtig, daß die Wahl de- Papste- dem kirch­ lichen Gemeinwesen, dem unter seinem CleruS versammelten Volke frei gegeben war, allein nur die Meinung müßte zurück­ gewiesen werden, daß jemals irgend ein Gewählter im alten Rom sein Amt auszuüben vermocht hätte, wenn e- ihm nicht vom Kaiser aufgetragen worden wäre. Die Bestätigung in der unbedingten Form, wie sie Honoriu- in seinem Rescript auf­ spricht, und wie sie der gewählte Papst in seiner Supplik an­ sucht, läßt uns einen so klaren Blick in die älteste Gestalt dePontifikats Wechsels thun, daß sich hieran- nun leicht die weiteren Entwickelungen de- bilateralen Verhältnisse- ergeben werden, welche-, da e- einmal unter Constantin dem Großen angeknüpft war, bei allen Schwankungen der äußern Formen in seinem Wesen, wie sich zeigen wird, niemals wieder aufgehoben werden konnte.

Bei dem Verfalle der weströmischen Kaisergewalt erlangten die g e rm a n isc h e n M a c h t h a b e r in Rom genau die Stellung, welche nach dem alten römischen S taat-begriff dem Im perator gegenüber der Kircbe zukam, ja sie erweiterten und dehnten die­ selbe in erheblicher Weise aus. O d o v a k e r übte sein Herrscher­ recht bei der Papstwahl des Jahres 483, indem er durch B a s i l i u s den P r ä f e k t e n von Rom die W ahl Felix des III. veranlaßte oder gebot. Indem man jedoch durch diesen Eingriff einen starten Schritt über das Bestätigungsreebt hinaus unter­ nahm, HvlcboS die römischen Im peratoren übten, suchte inan x

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j v m e ii h u m .

2

auch für die Zukunft der weltlichen Macht einen festeren Boden zu gewinnen. M an stellte den Grundsatz gesetzlich fest, vast nicht ohne des Königs Theilnahme die Papstwahl vollzogen werden sollte.') Dagegen erhob fiel) zwar die römische Synode des Ja h res 502, doch muß man genau im Auge behalten, wel­ ches der Standpunkt war, den m an lircblickrseitS bei der Ab­ lehnung der Verfügung des Söldnerkönigs festhielt. D as Ge­ setz von 483 berief sich auf eine Aufforderung, welcke P a p s t S i m p lic iu S noch vor seinem Tode an den Präfccten richtete, die Papstwahl gesetzlich zu überwache»; dieser verstand darunter die unmittelbare Betheiligung an der W ahlhandlung selbst, die Synode von 502 dagegen beschränkte das staatliche Recht auf die Aufsicht und nahm die Freiheit der W ahl als solcher in Anspruch. D ie Frage der B e s t ä t i g u n g d e s G e w ä h l t e n durch die weltliche das Kaiserthmn in Rom vertretende Macht blieb bei der gesäumten Verhandlung des Gegenstandes unbe­ rührt und es wurde, wie sich sogleich ergeben dürfte, an diesem den S ta a t betreffenden Verhältniß auch in keiner Weise gerüttelt. Vielmehr tritt schon bei diesem die Grenzen zwischen S ta a t und Kirche berührenden Streite ein Amt hervor, welches für die weitere Geschichte der Papstwahlen wichtig wurde. E s ist der P a t r i z i a t , dem von allen Theilen eine gewisse Bedeutung für die Wahlhandlung beigelegt wurde. M ag Papst Sim pli!) Sublimis et eminentissimus vir Pracfectus Praetor io atque Patricias agens etiam iu vices praecelleotissimi regis Odoacris, Basiliu s dixit: . . . admonitione beatissimi viri Papae nostri Simplicii, quam ante oculos semper habere debemus, hoc vobis meministis sub ohtestatione fuisse mandatuni, nt propter illum strepitum e t venerabilis ecclesiac detrimentum. cum de hac leg e transiro contigerit, n o n s i n e n o s t r a c o n s u l t a t i o n e c u j u s l i b c t c e l e braretur ele cti o Baronin? a. a. ISO 10 IT.

ciuS nur die Herstellung der Ordnung durch den römischen Präfecten und PatriciuS gewünscht haben, oder dachte er an eine sachlich eingehende Prüfung der Wahl, jedenfalls zeigt sich hier ein frühes Beispiel für die später oftmals erhärtete B e­ hauptung, daß der Kaiser als PatriziuS von Rom unter allen weltlichen Mächten die wichtigste Stellung bei den Papstwahlen einnehme. M an darf hiebei absehen davon, daß OdovakerS Stellvertreter Basilius auch sonst sehr eingreifende Verfügungen über Rom's kirchliche Verhältnisse traf; seine Amtsgewalt gegen­ über dem ganzen Akte des Pontifikatswechsels wurde von keiner Seite bestritten. Denn eine Opposition zeigt sich in der römi­ schen Geistlichkeit durchaus nur gegen die Form, in welcher im Jahre 483 die PSahlhandlung als solche beeinflußt wurde. Daß man aber entfernt nicht dachte mit dem Beschlusse der Synode von 502 den gesammten Pontifikatswechsel über jegliche staat­ liche Autorität hinweg zu heben, zeigt sich in der Geschichte der folgenden Zeit. Zwar dürfte die Regierung T h e o d o r ichs des G r o ß e n von manchen Kirchenrechtslehrern vielleicht nicht gerne als Norm für den rechtlichen Brauch beim Pontifikatswechsel angesehen werden, doch sollen die Thatsachen, die als solche ja nicht geläugnet werden können, der Vollständigkeit wegen angeführt sein. I n dem schismatischen S treit zwischen S ymma chu S u n d L a u ­ r e n t i u s wurde die Entscheidung zu Gunsten des erster» von König Theodorich getroffen. E r motivirte dieselbe, indem er den Wahlvorgang prüfte und indem er dem Prinzip der M a­ jorität Anerkennung gewährte. Diese Bestätigung des welt­ lichen Machthabers wurde von der Kirche alter Jahrhunderte als entscheidend für die Rechtmässigkeit deS Papstthums des Svmmacbus betrachtet, obwo! eer golbische König A r i a n e r 2

*

20

I. Grundlagen und Bedingungen der Papstwahl.

war und daher lediglich als Vertreter des weltlichen Rechtes, lediglich als Herrscher im Staate und sicherlich nicht als schieds­ richterliche Person von der römischen Kirche aufgerufen sein konnte, den Streit zu schlichten. Später griff Theodorich der Große gewaltsamer und un­ mittelbarer in die kirchlichen Dinge ein und die Wahl des Papstes F e l i x IV. wurde von ihm den gehorchenden Römern befohlen/) Man braucht sich nicht der Wahrheit zu verschließen, daß in diesem letzteren Vorgänge eine Unregelmäßigkeit lag, welche vielleicht noch stärker als jene durch die Synode von 502 bekämpfte Maßregel Odovakers war, dagegen aber dürfte man sich nicht auf die Wahldekrete des Papstes Symmachus berufen, imt das Eingreifen Theodorichs als m iciw m j$ zu bezeichnen, denn dessen Verordnungen Mer die Papstwahl betreffen die in­ neren Fragen des Wahlsystems, enthalten die erste schüchterne Erklärung, daß in jedem Falle eingetretener Doppelwahl die Majorität als entscheidend zu betrachten wäre, aber sie berühren *) Die bekannten Thatsachen bei GregoroviuS Gesch RomS I. 315 mit Berufung auf Var. hb. V I I I . 15 oportebat enim arbitrio boni principis obediri,*qui quam vis in aliena religione talem vieus est pontificem delegisse. Auch macht GregorovinS ebd. auf Var. lib. IX . 15 und die daselbst erwähnte Taxe der Wahl aufmerksam, welche der Papst wie alle Bischöfe zu zahlen hatte. Wenn dagegen GrcgorovinS über daö Ereigniß selbst noch die Bemerkung hinzufügt: „Dieser Act königlicher Macht, welchen daS Buch der Päpste mit tiefem Stillschweigen übergeht, war von den wichtigsten folgen, denn seither bestanden Theodorichö Nachfolger auf dem Recht der königlichen Bestätigung jedes neuen Papstes und dasselbe Recht ging nach dem Erlöschen der gothischen Herrschaft aus die griechischen Kaiser über" — so wird dem nicht vollständig beizustimmen sein. Bestä­ tigung der Wahl war daS historisch normale aus der weströmischen Zeit überkommene und in Ostrom immer aufrechterhaltene Prinzip, daS „poutificem delegisse“ blieb auch in der Zukunft eine Abweichung der Form, welche freilich Analogien in dem Verfahren Odovakers und in späterer Zeit deS Kaisers Heinrich II I. darbietet.

da- b i l a t e r a l e V e r h ä l t n i ß , in welchem die weltliche Macht zur Papstwahl steht, überhaupt gar nicht und entscheiden nichts für oder gegen die Rechte der weltlichen Macht beim Wechsel des Pontifikats.') I n der Zeit nach Theodorichs Tod nahmen die Wahlen mehr und mehr den Charakter politischer Ereignisse an. D ie Eingriffe der gothischen Machthaber wurden gewaltsamer, die Wahlhandlungen selbst geriethen unter den unmittelbaren Ein­ fluß derselben. D a s Beispiel, welches Theodorich der Große mit der Erhebung Felix IV. gegeben, wurde von T h e o d a t nachgeahmt. Auch gesetzliche Anordnungen über Vorgänge bei den Wahlhandlungen selbst lagen im Wirkungskreise deS Staates. D ie Fernhaltung von Simonie wird durch Verordnung des Königs geboten?) ES ist kein Zweifel, daß von Freiheit der Wahl in dieser Epoche nicht gesprochen werden kann. Man war über das alte Staatsrecht der Bestätigung der Wahlen wesentlich hinausgegangen. E s darf daher nicht überraschen, daß der römischen Kirche die Widerherstellung eines staats­ rechtlich gesicherten Verhältnisses zu dem byzantinischen Kaiser­ thum im hohen Grade erwünscht sein mußte. J u s t in i a n berührte in der pragmatischen S a n c t i o n auch die Verhältnisse der römischen Kirche, und er begünstigte dieselbe in auffallender Weise. Der römische Bischof gewann ') E s handelte sich aus der Synode von 499 um ganz andere Differenzen. W as die Majoritäts-Wahl selbst betrifft, so ist sie doch nur sehr bedingt zu­ gelassen. 10 D. 79. Sehr bezeichnend scheint zu sein, daß eigentlich überhaupt noch nicht von Zählung der Stim m en, auch nicht von der einfachen oder absoluten Mehrheit, sondern von der relativen Majorität die Rede, — die meisten Stim m en schlechtweg entscheiden, wer den größte» Anhang findet tm b Papst Var l,b. VIII. 15.

22

1. Grundlagen und Bedingungen der Papstwahl.

durch die Wiedervereinigung Ita lie n s mit dem römischen Kaiser­ thum nicht nur Schutz, sondern sogar einen gewissen Einfluß auf die Regiernng selbst, auf die Beamten des Kaisers, auf die Gesetzgebung. Aber je großer die Macht w ar, welche Kaiser Justinian dem römischeil Pontifikat einräumte, desto sicherer mußte er seine Obergewalt wahren, wenn es sich um den Wechsel der Personen ans dem päpstlichen S tuhle handelte. Im Jahre 554 ertheilte er die pragmatische Sanction, im folgenden bestimmte er PelaginS I. zum Bischof von Rom. Wieder war es der P atrizius, der einen besondern Antheil an dem Ereignisse nahm und die Anerkennung des vom Kaiser dcnominirlcn Papstes bei CleruS und Volk durchsetzte. D ie Wahlgeschichle desselben be­ weist aber, daß zunächst eine viel größere Klarheit, als sie zu Zeiten Odovakers oder Theodorichs bestand, durch den oströmifchen Einfluß nicht hervorgebracht wurde. Wie sich in dem bi­ lateralen Verhältniß eine klar formulirte Gewohnheit in der Form des Antheils des S taates am Pontisikatswechsel bisher nicht halte gewinnen lassen, so bestand auch unter der Herrschaft des byzantinischen Kaiserthums eine solche mit nickten. Wenn mail die Stellung des Kaiserthums zur Papstwahl zuweilen dahin definirt, es hätten die Römer die W ahl und rer Kaiser die Bestätigung des Gewählten geübt, so befindet man sich auch in dieser Epoche nicht einem bestimmten Gesetz noch weniger einem Vertrag gegenüber. I n den Thatsachen aber bemerkt man ein fortwährendes Schwanken zwischen Denomination und Bestä­ tigungsrecht auf Seite des S ta a ts, zwischen Wahlrecht und Znstimmullgsrecht auf Seite der Römer. A ls prinzipiell und un­ zweifelhaft in allen Fällen kan» man, wie es scheint, nur be­ zeichnen, daß eine Wahl ohne des Kaisers Genehmigung und eine Denomination ohne die W ahl des Elerutz und Volkes nicht

für perfekt betrachtet wurde. Anerkannt und durch den Gebrauch der Jahrhunderte gesichert war die Betheiligung des S taates am Pontifikatswechsel; zweifelhaft und wandelbar blieb die Form, unter welcher sich dieselbe geltend machte. Für die letztere Frage waren nicht selten bloß zufällige histo­ rische Umstände und die jeweiligen Machtverhältnisse entscheidend. S o wurde P e l a g i u s II. mitten in schwerer Belagerung Roms erwählt, wo von einer Bestätigung des Kaisers nicht die Rede sein konnte, aber um so mehr dürfte G r e g o r d e s G r o ß e n Wahl als Muster betrachtet werden, nach welchem die zum Pon­ tifikatswechsel erforderlichen Faktoren ihr Mitwirkungsrecht übten. Die Akten des letzter» Ereignisses liegen auch uns verhältnis­ mäßig vollständiger vor, als in anderen Fällen, und doppelt wichtig ist es daher die Form festzustellen, unter welcher einer der größten Päpste den S tuhl Petri bestieg. Gleich nach dem Tode PelagiuS II. (6. Febr. 590) wurde der D i a c o n u s G r e g o r von „Clerus, Senat und Volk" der Römer zum Papste ausersehen.

Daß der Antheil des CleruS

an der Wahl kein hervorragender war, wird durch mehrere Umstände bewiesen und einer der bedeutendsten Schriftsteller der Zeit legt alles Gewicht gerade bei der Erhebung Gregors des Großen auf die Volkswahl.')

Es ist aber nicht die Auf-

') Gewiß ist hier auf Gregor von Tours das größte Gewicht z» legen, welcher den Ausdruck braucht p leb s om nis e l e g i t ;Gregor X . 1), wahrend die Formel clerus, sen atu s populusque R om anus, welche Joh. Diac. in vita G reg. 1 .39 gebraucht, kaum als die offizielle Wahlformel gelten könnte, weil der Senat nicht mehr die Bedeutung einer besonder« wählenden Körper­ schaft hatte, vgl. GregoroviuS I. 46 5, II. 32 N . und weil im L iber diuruus kein cinzigeSmal diese Formel vorkommt, wo von vollzogener Wahl die Rede ist. Die späteren Wahlformen der Dorberathnng der eigentlichen Er­ wählung und der Zustimmung, oder wie ein Neuerer es nennt, der T ractaiio und L au datio wird man schwerlich für die Wahl Gregor« de« Großen quellenmäßig beweisen können.

gäbe dieser Abhandlung die Wahlgeschichte in dieser Richtung w eiter 51t verfolgen. W a s für das V erhältniß der Papstwahl zum Kaiscrthum festgehalten sein w ill, ist der Umstand, daß jener Akt, den man schlechtweg die W ahl zu nennen pflegt, sich thatsächlich ohne irgend einen Einfluß von S e ite des byzanti­ nischen Reicks und Kaisers vollzog. Allein eine Anzahl von B riefen , von niemand geringerem a ls G regor dem Großen selbst, belehrt über die Tragw eite und Bedeutung der W ahl und zeigt, daß mit dieser der Pontifikatswecksel selbst noch keines­ w egs a ls perfekt anzusehen war, und daß man in dem oströmi­ schen Kaiser einen Faktor der W ahl im weiteren S in n e beach­ tete, dessen Einverständniß a ls unerläßlich galt. T enn Gregor, der fick gegen die Annahme der W ahl sträubte, schrieb an den K a i s e r M a u r i t i u s , er m ö g e s e i n e W a h l a b l e h n e n . ' ) E in solcher B r ie f läßt keinen Zw eifel darüber aufkommen, daß die Verweigerung der B estätigung von S eite der weltlichen G ew alt den Antritt des Pontifikats verhindern kennte, und daß die O rdination des Papstes erst erfolgen durste, weint die B e ­ stätigung eingetroffen war. E s ist an diesem Orte überflüssig für den Fall G regors des Großen zu untersuchen, ob die B itt­ schrift des Gewählten um M cktbestätigung unterschlagen worden sei, oder ob der byzantinische H of an der W ahl ein so großes W ohlgefallen fand, daß er Gregor zur Annahme der Pontifikats1) Die bestimmte Mittheilung Gregors von TourS wird durch den Brief Gregors an Johann von Constantinopel bestens bestätigt: Gregor v. T ours X 1. H uuc apicem ad ten tiu s fuge re tentaus . . . factum est ut epistolam ad imperatorem Mauricium dirigeret, conjurans et multa prece p oscen s, ne unquam conseusum praeberet p op u lo, ut hunc Imjus honoris gloria sublim aret. Vgl. 8 . G r e g o r iiO p p .to m .il. Ep. 1. I„ 4. S i caritatis . . . . Quo euim ardore, quo Studio episcopatus pondera fugere voluerit scio . . .

Verzögerungen im Geschäftsgänge und SediSvacanzen.

würde nöthigte.

25

Auf alle Fälle ist sicher, daß die Bestallung

von Seite des Kaisers den Ausschlag in der Sache gab und daß die Ordination erst am 3. September geschah, nachdem die Genehmigung der Wahl durch Kaiser MauriciuS vollzogen worden war.

M an erfährt auch von einer Taxe, welche die

Kirche von Rom dem byzantinischen Kaiser bei dem PontifikatSwechsel zu bezahlen hatte. In

dieser Form deS strenggeübten Bestätigungsrechtes

der römischen Papstwahlen sah das Kaiserthum den ihm noth­ wendigen Einfluß hinreichend gewahrt.

Und wie sehr dieS

mich wirklich der Fall war, ersieht man aus den oft längeren SediSvacanzen, welche bei der Erhebung B o n ifa z I I I . und im Laufe deS siebenten Jahrhunderts ziemlich häufig eintraten, da die Bestätigungen von Constantinopel nicht allsobald eintrafen. Die Erledigung des apostolischen Stuhles verzeichnet das Papstbuch in solchen Fällen in derselben Weise, wie wenn eine Wahl gar nicht stattgefunden hätte, ein Beweis, daß der Besitz des päpstlichen Amtes von jener Bestätigung abhing, wie denn auch darauf gehalten wurde, daß Ordination und Consecration nicht vor derselben vorgenommen wurde. Als im Jahre 649 M a r t i n I. ohne Genehmigung des Kaisers die Consecration erhielt, schritt der Exarch von Ravenna gegen denselben wie gegen einen Empörer ein.

Wenn man nach seiner Gefangennahme dem

Papste in Constantinopel die Zeichen seiner Würde Herabriß, so wird man hierin, ganz abgesehen von dessen sonstiger poli­ tischer und dogmatischer Stellung, den Beweis finden dürfen, daß seine Erhebung als illegitim galt.

Je strenger nun aber

das Recht des Kaisers gehandhabt wurde, desto drückender für den römisck'cn Stubl mußten die so entstandenen SediSvacanzen werden, und vielleicht hangt es mit dem Bestreben die damit

26

I. Grundlagen und Bedingungen der Papstwahl.

verbundenen Uebel zu ermäßigen, zusammen, wenn Verfügungen der Päpste vor der Consecration zu erscheinen begannen. Doch gebrauchte der Papst den ungefährlichen Titel eines „Erwählten", so lange ihm die Bestätigung des Kaisers fehlte. B en ed ik t II. soll aber von C o n s ta n tin P o g o n a l u S ein Privilegium er­ halten haben, wonach die Ordination unmittelbar nach der Wahl hätte stattfinden dürfen.') D ie a u ß e r o r d e n t l i c h e V e r f ü g u n g des Kaisers E on s t a n t i n scheint auf den ersten Blick so sehr mit den Anstren­ gungen eines Jahrhunderts, daS kaiserliche Reckt bei dein Pontifikatsweckscl zu wahren, im Widersprüche zu stehen, daß spä­ tere kirchliche Schriftsteller zuweilen darin einen Alt der Ein­ führung, oder wie sie sagen der Wiederherstellung einer absoluten kirchlichen Wahlfreiheit erblickten, allein in diesem S inn e dürfte die kurze und ungenügende M ittheilung des Buckes der Päpste nickt verstanden werden. S ow oh l die Thatsachen der nack­ folgenden Papstwahlcn wie auch die ans der päpstlichen Kanzlei uns erhaltenen Urkundensormnlare der nächsten Jahrzehnte be­ weisen, daß eine wesentliche Veränderung in dem bilateralen Verhältniß zwischen S taat und Kirche in Betreff des Pontisikatswechsels nicht stattgefunden hatte. E s wird fick fegtet* zeigen, daß das GenehmigungSreckl der weltlichen Macht unbe­ schränkt fortdauerte und daß die päpstlichen Kanzleiformulare, die uns erhalten sind, unzweideutiges Zeugniß für den Vorgang in althergebrachter Weise gerade bei der Papstwahl Gregors II. im Jahre 715 ablegen. ') Lib. pont. I. 293. H ie su sc ep it divalem jussionem clem entissim i principis C onstantini ad venerabilem clcrum e t populum atque felicissinium exercitum Rom anae c iv ita tis, per quam conc e ssit, ut qui electu s fuerit iu se d e A p o sto lica e v estig io absque tarditate P o u tile x ordiuaretur.

Dennoch aber wird man nicht behaupten wollen, daß die Nachricht von einer Erleichterung der Einrichtungen deS Pon­ tifikatswechsels durch C onsta n t in P o g o n a t u s völlig aus der Luft gegriffen wäre.

Sieht man genauer zu, so ist in dem

angeblichen Privilegium des Kaisers nur das Versprechen ent­ halten, daß die bisherige Trägheit des Geschäftsganges ver­ schwinden sollte.

Hoffte man vielleicht dieses Ziel dadurch zu

erreichen, daß dem Exar chen v o n R a v e n n a dem Beamten des Kaisers jener große und allein maßgebende Einfluß aus die Papstwahl eingeräumt wurde, welchen die gleich nachher zu be­ sprechenden Quellen wirklich erkennen lassen, und durch welchen allerdings die Entscheidung deS byzantinischen Kaisers vorweg genommen wurde? M an erinnere sich, daß auch in früheren Fällen dem Patrizius von Rom durch ältere Herrscher des Lan­ des besondere Vorrechte bei der Papstwahl zugestanden wurden; und so dürfte das Privilegium Constantins vielmehr den S in n gehabt haben, daß der Exarch von Ravenna und Patrizius von Rom, dessen Macht in jener Zeit ohnehin im Wachsen begriffen war, besondere Vollmachten erhielt, welche die Consecration in rascherer Folge an die Wahl anzuschließen gestatteten.

Wenn

die so oft durch die Einholung der Genehmigung von Constantinopel entstandenen Sedisvacanzen') schließen lassen, daß der Exarch in früherer Zeit die Vollmachten nicht besaß, die ihm später im kurzen Geschäftsweg die Bestätigung der Wahlen zu ertheilen erlaubten, so muß wohl in irgend einem Zeitpunkte eine Wendung eingetreten sein, welche den Intervall zwischen Wahl und Consecration des Papstes zu verkürzen geeignet war. Dies aber konnte der Fall fein, wenn der Exarch im laufenden ') Quia de ( ouitantiriopoli le g a h o oxpectahatiir, Herim. A u g. Pertz SS. V, 01.

28

I. Grundlagen und Bedingungen der Papstwahl.

Geschäftsgang als Beam ter des Kaisers die Gewalt erhielt, die geschehene W ahl sofort zu bestätigen. Eben in dieser Form erscheint u»S nun der ganze Hergang wirklich nach jenem merkwürdigen Kanzleibuckw, welches die rechtlichen Verhältnisse dcS PontifikatSwechsclS in seinen B e­ ziehungen zum S taate in voller Klarheit erkennen läßt. Nach geschehener W ahl wurde von den während der Sedisvacanz die Geschäfte führenden W ürdenträgern der römischen Kirche, die Bestätigung dcS ganzen Aktes von dem Exarchen in einer Form verlangt, aus welcher hervorgeht, daß ihm wenigstens zu der Zeit, als das Form ular in sicherem Gebrauch war — mithin zur Zeit der W a h l G r e g o r s II. — alle Gewalt über die Papstwahl zustand. Auch im übrigen zeig! das Kanzleibuch, daß der ordentliche Geschäftsgang nach Ravenna und nicht mehr nach Konstantinopel geht: die Papstwahl wird wohl durch Gesandtschaft dem Kaiser angezeigt, aber die Genehmigung er­ wartet man ausschließlich von Ravenna, wie die Schreiben an den Erzbischof, an den R ath und an den Apocrisiar von R a ­ venna beweisen, welche neben dem Bittgesuch um Bestätigung der W ahl an den Exarchen vorhanden sind. Sieht man nun von allen in dem letzter» Aktenstücke enthaltenen Mittheilungen über jene Punkte ab, welche die interne Geschichte der Papstwahl an­ gehen, so ist die 'Frage, ob die O rdination des Gewählten auch ohne Zustimmung der weltlichen Gewalt geschehen durfte, zu­ nächst zu beantworten. D abei kommt es uns weniger auf eine Entscheidung über die Reihenfolge der Gebräuche und Ceremo­ nie» an, als vielmehr auf die sachliche Feststellung jener kirch­ lichen Funktionen, welche der Papst erst in Folge der vom Exarchen erlangten Bestätigung ausübt. Glücklicherweise sind wir hierüber durch das B riefform ular des päpstlichen Kanzlei-

D er Exarch von Ravenna.

buches vollkommen unterrichtet.

Der ü b e r diurnus.

29

I n diesem werden die drin­

gendstell B itten an den Exarchen gerichtet, die Bestätigung der W ahl so rasch a ls möglich vollziehen zu wollen, und es fehlt nicht all den G ründen, welche mit Rücksicht auf die kirchliche O rdnung für diese Eile sprächen.

Eine Reihe von Angelegen­

heiten, heißt e s, harrten der Erledigung durch die päpstliche Gewalt.

E s wird die Nothwendigkeit betont, daß die päpstliche

A utorität perfect sein müsse, um für die Provinzen S o rge tragen zu können.

W enn an die erfolgte Consecration des Papstes

sodann die Hoffnung geknüpft w ird, daß er geeigneter und mächtiger sein werde durch sein W ort und seine M ahnung ben Feillden der Kirche entgegenzutreten, so liegt zugleich darin der B ew eis, daß die Bestätigung durch den Exarchen nicht bloß die rechtliche S te llu n g , sondern auch die moralische Autorität des Papstes wesentlich berührte.')

Wenn demnach nicht bloß die

’) S o lehrreich da- Briefformular auch für die inneren Wahlangelegenheiten erscheint, so heben wir hier auS demselben nur die Stellen au-, welche das bilaterale Verhältniß der kirchlichen und weltlichen Macht kennzeichnen und lenken die Aufmerksamkeit auf die Stellen; welche die Sistierung der PontifikatSgeschäfte vor erlangter Bestätigung des Gewählten beweisen: L ib e r dinrnas ed R oziere p. 114: E t ideo aupplicantes quaeaum us ut, inapirante Deo celaae eius dom inationi, noa famulos voti compotea celeriter fieri p ra e c ip ia t; p raesertim cum plura sin t capitula e t alia ex aliis quotidie p ro creen tu r, quae curae aollicitudinem e t poDtificalis favoris ex p ectan t rem edium P ro v in ciales vero curae vel quaeque sunt subinde causavum u tilitates perfectae au cto ritatis ceusuram expetunt et ex p ectan t. P ropinquantium quoque inimicorum, ferocitatem , quam nisi sola virtus atque apostolorum principis p e r suum vicarium hoc e st ac Rom anae urbis poutificem , u t omnibus notum est, aliquando m onitis comprim it, aliquatido vero e t flectit ac m odigerat hortatus, singulärem interveulum in d ig e a t, cuius solius pontiticalibus m onitis ob reverentiam apostolorum principis parieutiam offerant voluntariam e t quos non virtus arm orum humiliat. pontißcalis increjiat'u cum oosecratione inelinat — Also auch bi-: p'Miiific'ili« increputio cum obsccratm ue ist vor der lveltlidien Be­ st älignng nicht möglich Was die Titulatur betrifft, so scheint aus der Formel

Amtsführung, sondern auch die Consecration und die mit der letzter» als

verbunden betrachtete höhere Autorität deS Papste

thumS in dem amtlichen Schreiben an den Exarchen erst als eine Consequen; der zu erwartenden Bestätigung bezeichnet ist, so bedarf es keines weiteren EommentarS über das Verhältniß zwischen weltlicher und geistlicher G ew alt, wie cs im achten Jahrhundert bestand.

Als bezeichnend darf man die Formel

noch hervorheben, unter welcher vom Exarchen die Bestätigung erwartet wird, wenn es heißt supplicam us, ut c eleriu s, Deo cooperante vestrisgue p raeco rd iis in sp iran te

apostolicam

sedem de p e r f e e t a eiusdem nostri p a tris o r d i n a t i o n e ad o rn a rc praecipiatis. D ie Bestimmtheit, mit welcher die Bestätigung des Papstes von dem Exarchen erbeten w ird, sticht erheblich von der mehr erzählenden Form ab, in welcker sich das Briefform nlar an den K a i s e r von C o n s t a n t i n o p c l hält.

D aß der letztere eine

besondere Genehmigung der zwischen dem Papst und dem Ex­ archen

getroffenen

Vereinbarungen

seinerseits

ertheilte,

ist

möglich,') war aber fortan um so weniger von entscheidender Bedeutung, je selbstständiger und gewaltsamer die Exarchen aufzutreten begannen.

Wenn wenige Jahrzehnte nachher die

Anlehnung des päpstlichen S tu h ls an die Franken ihren An­ sang nahm , so konnte das Verhältniß tun so leickter Wurzel fassen, als eö anfänglich eben nur seine Spitze gegen den P a ­ tricia!

dcö E x a r c h en v o n R a v e n n a kehrte und erst am

Ende des Jahrhunderts zur Gründung des römischen Kaiser83 hervorzugeben, baß der gewählte aber niie Erneuerung der ältern

Anordnung war dringend nöthig und durch die Ereignisse von drei Jahrzehnten nur allzu begründet.') Ueberhaupt zeigte Johann IX. und die Synode von Ravenna (898) das Streben, die ältere Ordnung noch einmal in Geltung zu bringen.

Wie

man die kaiserlichen Gesandten bei der Consecration wieder herbeizuziehen sich entschloß, so wurde das Pactum auch wieder erneuert, welches zwischen Lothar und Eugen 824 geschlossen !) Bekanntlich wird von einigen Seiten behauptet» der 10. Canon des Concils von 898 sei ein völliges novum lind daß derselbe: „ Q u ia s a n c ta “ von G ra tia n Stephan V . zugeschrieben worden sei, beruhe aus einem I r r ­ thum des gelehrten M annes. Wie sich gezeigt hat, stimmen aber alle Um­ stände m it der Existenz einer Verfügung, wie sie Stephan V . zugeschrieben wird, auf das Genaueste überein, ja sie setzen dieselbe gleichsam voraus. Alle Q uellen, namentlich die Angaben der A n n a le s E in h a rd i lassen er­ kennen, daß man eine ähnliche Anordnung gekannt haben müsse, die cons titu tio ro m a n a kommt auf durchaus analoge Einrichtungen zurück, es ist daher nicht einzusehn, warum nicht vielmehr der 10. Canon des Concils von 898 als eine Wiederholung der ältern Bestimmung zu gelten hätte, so lange wenigstens nicht bessere G ründe vorgebracht sind. D ie Gründe, weshalb der Canon ursprünglich Stephan V I. ( V I I ) zukommen sollte, sind allerdings noch weniger begreiflich. W enn schon ein Irrth u m GratianS oouiegcn sollte, so liegt er gewiß in der Verwechslung zwischen Stephan V . ltub Johann IX .

54

V . Grundlagen und Bedingungen der Papstwahl.

worden war.') Man sieht, auch die ausschweifendsten Versuche eine völlige Unabhängigkeit von den weltlichen Mächten zu be­ gründen, führten die römische Kirche unter veränderten Ver­ hältnissen und Umständen doch wieder zu dem Schutzverhältniß des Kaiserthums zurück. In der Theorie freilich fehlte es schon im neunten Jahrhundert nickt an einer starken Opposition gegen die Rechte des Staates in Betreff der Bischofswahlen. Man citirt einen Schriftsteller Namens Florus, der als Magister an der Domschule von l'tyon schon im Jahre 8(30 gestorben sein soll und nickts geringeres, als die völlige Unabhängigkeit aller bischöflichen Wahlen in jeder Richtung von der weltlichen Gewalt forderte. Dabei steht es ihm als eine anerkannte That­ sache fest, daß bei dem römischen Stichle diese unbedingte Frei­ heit des Pontifikatswecksels bestehe.3) Wiewohl nun diese Vor­ stellung mit den wirtlichen Ereignissen sehr ungenau zusammenj) Auch die spätern Kaiser haben solche Pacta ausgestellt. Daß man dabei, wenn nicht besondere Gründe zu Aenderungen vorlagen, einfach das vorhergehende wiederholte, ist an und fiir sich anzunehmen Auf eine fest* stehende Fassung des Pactumö wird bestimmter hingewiesen, als es sich 898 aus der Synode von Ravenna um E r n e u e r üg desselben für den neu er­ hobenen Papst Johann handelte, wo vom K. Lambert gefordert wird: ut privilegiurn s. Rornauae ecclesiae quod a priscis ternporibus per piissirnos iraperatores stabiliturn est atque firmatura, ita d u n c a V o ­ bis tirm etur; und: ut pactum, quod a. b. m. vestro genitore d. W idone et a vobis iuxta praecedeutem consuetudiuem factum est nunc reintegretur et inviolatum servetur.

Noch 916 bei der Krönung

Berengars wird die Ausstellung des Pactumö erwähnt. F ic k e r, Forschungen zur R. u. Rgscb. Italiens. I I . 356. 2) Der letztere Umstand macht es freilich sehr wünschenöwerth die Zeit, wann der Tractat geschrieben sein könnte, näher zu untersuchen. ES ist die Schrift de electioue episcoporum, auf welche Phillips Kirch-R. V . 765 großes Gewicht legt.

Ich führe dies an, ohne das fragliche Buch selbst zu

kennen, zumal als in den m ir sonst zur Hand liegenden Werken jede nähere Angabe über die dock) unzweifelhafte „Geschichtsquelle" mangelt.

stimmt, so mag man doch aus derselben entnehmen, was in manchen kirchlichen Kreisen als Ziel und Absicht verfolgt wurde. Aber sich so vollständig von dem bilateralen Verhältniß der beiden Gewalten im Punkte der Bischofswahlen loS zu machen, konnte der Kirche niemals gelingen, so lange sie nicht auf welt­ lichen Besitz und staatlichen Schutz gänzlich verzichten wollte. Den letzteren in Anspruch zu nehmen, war insbesondere das Papstthum nur zu häufig genöthigt, und so findet man am Ende des neunten Jahrhunderts trotz aller Anläufe zur gänz­ lichen Emancipation, die faktische und rechtliche Lage der Dinge selbst einem Schattenkaiser gegenüber ziemlich unverändert. D a s entscheidende dabei war- allerdings mehr von politischen Macht­ verhältnissen, als von unwandelbaren Rechtsüberzeugungen ab­ hängig, allein von jener durch Constanttn den Großen bereits geschaffenen Grundlage der kirchlichen Anerkennung unter der Bedingung des staatlichen Gehorsams vermochte man sich nicht dauernd zu trennen.

Blickt man auf die sechs Jahrhunderte zurück, seit die Kirche im Staate zu einer rechtlichen Stellung gelangt war, so zeigen sich die Formen, unter welchen die jedesmalige Anerken­ nung, Bestätigung, Genehmigung des Wahlaktes durch die welt­ lichen Mächte geschah, schwankend, ohne daß deshalb das P rin­ zip selbst irgend verloren gegangen oder dauernd außer Gebrauch gekommen wäre. Veränderungen persönlicher und sachlicher N atur waren in dieser ersten Epoche der Papstwahlen zu be­ merken. Die Bestätigung des Poutifikatswcchsels wurde von den römischen Kaisern des Westens und des Ostens, von deut­ schen Heerkönige», von dem jedesmaligen Patrizius oder Exar­ chen, von dem fränkischen König auf Grund seiner Würde als Pam zlus rer Römer, von fränkischen Kaisern und selbst von

den Gesandten und Botschaftern der letzten» ertheilt und angenoinmen.

D ie Bestätigung geschah bald vor, bald nach der

Consecration, bald wurde der Wahlakt selbst, bald nur die Consecration unter mächtigem Einfluß der weltliche»» Gewalten voll­ zogen. Endlich erfolgte die Bestätigung entweder in Folge eines geleisteten Treueides, oder eines brieflichen Versprechens, oder eines abgeschlossenen Vertrages. D aß in all diesem Wechsel der Erscheinungen »vesentlich politische Gründe mitwirkten, hindert doch nicht daS bleibende und dauernde darin zuerkennen. W ie d ie R e p r ä s e n t a n t e n d e r we l t l i c he n Ma c h t , so ä n d e r t e n sich auch di e M o ­ d a l i t ä t e n der A n e r k e n n u n g des P a p s t e s , aber u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n b l i e b doch i m m e r e i n Akt s e l bs t s t ä n­ diger

Prüfung

und' freier

Willensäußerung

de n

»veltlicbcn M a c h t h a b e r n v o r b e h a l t e n , durch we l c he n der

Pontisikaiswcchsel

erst

im

volle»

Sinne

W o r t e s a l s p e r f e c t be t r a c ht e t tv er beit konnt e. '

des

n. Capitel. O berh oh eit des K a iserth u m s. Eine neue Weltlage wurde durch O t t o S K a is e rth u m 962 geschaffen.

Ein neues Recht in dem Verhältnisse von Kaiser­

thum und Papstthum, welches auch auf den Pontifikatswechsel Einfluß nehmen mußte, war im Entstehn begriffen.

M it ju­

gendlichem Muthe trat die deutsche Nation an die Spitze der abendländischen Welt, in welcher sich das Papstthum im unbe­ strittenen Besitze des kirchlichen Prim ats befand. Ihm gegen­ über Stellung zu nehmen, war in jener Zeit nicht mehr eine willkührlich zu lösende Frage der äußern Politik, sondern eine sehr bestimmte Aufgabe der innern Verhältnisse des Reichs und seiner Regierung. Denn die Beziehungen des S taates zu der Kirche waren mitten in Deutschland allgegenwärtige, und ihre Ordnung und Lösung suchte die Welt in Rom. Dazu gehörte die Frage über die Papstwahl, für den deutschen Kaiser ein Corollar der Frage über die Bischofswahlcn im Reiche.

Sollte nun Otto nicht an

die alten Traditionen anknüpfen und die alten kaiserlichen Reckte mit starker Hand wiederbeleben?

I n der That kündigt sich das Kaiserthum des Sachsen als eine W ie d e rh e rs te llu n g d e s R eiches K a r ls deS G ro ß e n an. M ehr an die Ideen des fränkischen Monarchen, als an die Erinnerungen deö west- und oströmischen Im perium s schließt die neue Form deS bilateralen Verhältnisses sich an, das bei der Papstwahl sogleich zur Geltung kommt. Wenn aber der Grundsatz, daß der Herrscher zu dem berechtigt sei, was seine Vorfahren besessen und geübt haben, Anwendung finden sollte, so hätte man besser gethan, die Verhältnisse der früheren Jah r­ hunderte mehr in Betracht zu ziehen, als die der letzter». Denn zur Zeit, als man den Liber dium us in Rom zusammenstellte, waren die Beziehungen zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt viel klarer, wenn man will viel unbefangener, als zu jener Epoche, wo man aus der „translatio imperii“ in Rom begann eine Quelle neuer Ansprüche zu machen. Dessen ungeachtet be­ rief man sich im Staats- und Kirchenrecht von beiden Seiten mit Vorliebe aus Karl den Großen und man suchte Wahrheit und Fälschung aus diese Epoche zu gründen. W as nun die An­ knüpfung, die bcivußte Uebertragung und wörtliche Anlehnung an die karolingischen Akten bei der Gründung von Ottos Kaiserthum betrifft, so bedarf cs nur des Hinweises auf 817 und 824, um sogleich zu finden, daß man auch 962 auf Grund der alten Parten vorgieng?) Vorsichtig gestehen die Vertragsmächte sich alles zu, was ehedem zwischen Kaiser Ludwig, Kaiser Lothar und den Päpsten vertragen worden war; Otto fügt nur hinzu, daß seine Boten bei der Wahl des Papstes dem Recht der Rö­ mer nicht hinderlich werden sollten. S o schien alles geebnet, um genau die Bahnen zu verfolgen, ') Ficker a. a. O. II 356 u 6.

welche das fränkische Kaiserthum gegangen war; und als strenge Fortsetzung des Reichs Karls des Großen sollte die deutsche Herrschaft sich gestalten.

Aber die Politischen und augenblick­

lichen Verhältnisse drängten sofort zu neuen Anstalten und An­ ordnungen. J o h a n n X II., welcher Otto rief, rüttelte selbst an dem geschlossenen Bund; der starke deutsche M ann, den er zum Gebietiger erhob, zum Kaiser krönte, scheute nicht den zweiten Schritt, der ihm eine Folge des ersten zu sein schien. vertrieb den Papst und ließ ihn absetzen.

Otto

Der Antheil, den er

sofort bei der Papstwahl in Anspruch nahm, hob sich merklich über das Hergebrachte empor.

D ie alten Verträge, die alten

Verhältnisse von Papst und Kaiserthum wurdxn durch eine po­ litisch gewaltige Macht interpretirt.

Jeder Zweifel mußte wei­

chen, daß die Kirche einen Schutzvogt habe, der von Schatten­ hastigkeit eben so weit entferitt w ar, als seine nächsten Vor­ gänger schwach und unbedeutend dem Papstthum gegenüber sich erwiesen. Bevor wir indessen zur Darstellung des Verhältnisses über­ gehn, wie es sich bei der Papstwahl in den nächsten hundert Jahren einer gewaltigen Oberherrlichkeit des KaiserthumS ent­ wickelte, mag eS gestattet sein über die Quellen unserer Kennt­ niß eine allgemeine Bemerkung vorauszuschicken.

Kaum einen

Schritt vermag der Forscher auf diesem Gebiete zu machen, ohne auf zweifelhafte Aktenstücke zu stoßen.

Eine Reihe von solchen

Urkunden haben sogar den Weg in die Sammlungen des Sachen­ rechts gefunden, und ihre Echtheit muß dennoch bestritten wer­ den.

Während man aber die wichtigsten Grundlagen der E r­

kenntniß res bilateralen Verhältnisses auf solche Weise verliert, läßt fiel) andererseits kaum verkennen, daß die thatsächliche Mackttausübung rer Kaiser über die Papstwahle» während eines

vollen Jahrhunderts den unechten Acten völlig entspricht. Wären die Zugeständnisse richtig, weiche das Papstthilm dem Kaisergemacht haben soll und umgekehrt, wären die Privilegien alle echt, welche die Kaiser den Päpsten verliehen haben sollten, so wäre es um vieles leichter, das Borgehn der beiden Gewalten zu verstehen und zu rechtfertigen. Hier liegt aber der besondere Fall vor, daß die Thaten und Handlungen der Menschen eine Reihe vor, nachträglichen Falsifikaten hervorgebracht haben. Unter allen Umständen wird man sich daher bei der D ar­ stellung der Papstwahlen von Otto I. bis Heinrich IV. aus die Berichte der Schriftsteller angewiesen sehen, dennoch aber wird cs erforderlich sein, aus der, Inhalt der unechten Urkunden ge­ nauer einzugehn. Als Kaiser Ot t o I. nach dem rasch und unerwartet er­ folgten Abfall des Papstes J o h a n n X II. nach Rom zurück­ kehrte , ließ er sich von den Römern Geisel der Treue stellen und außerdem mußten sie ihm schwören, daß sie niemals einen Papst wählen und ordinieren wollten außer m it Z u s t i m mu n g und W a h l i h r e s H e r r n des Kaisers Otto I. und seines Sohnes des Königs Otto II. Daß der Eid eine sehr ernste Bedeutung hatte, lehrten die nachfolgenden Ereignisse. Auf das Geheiß Ottos mußten die Römer einen neuen Papst wählen, der unter dem Namen Leos VIII. den apostolischen S tuhl be­ stieg. Aber als der Kaiser der ewiger. Stadt abermals den Rüden kehrte, vertrieben die Römer den „kaiserlichen Papst" und wählten nach Johannes X II. Tode gegen ihren 'Schwur und gegen den Willen deö deutschen Herrschers den unglücklichen Benedikt V. zum Papste. Sofort kehrte Otto zurück und berief eine S h n o d e , welche Ende Juli 964 int L at e r a n tagte. Bei dem Prozesse, der dem Papste Benedikt gemacht wurde, war

Leo V III. Lateransynode von 964.

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eine der Anklagen die, daß er den Eid, welchen er selbst, wie die übrigen Römer dem Kaiser wegen der Papstwahl geschworen, durch seine Inthronisation freventlich gebrochen habe. Benedict wurde seiner Würden und Kleider beraubt und nach Deutschland in Gefangenschaft gebracht, Leo VIII. blieb Papst. Einen er­ schütternden Eindruck machte das Schicksal des unglücklichen Be­ nedikt auf den Kaiser selbst, wie auf den Leser des Berichtes eines Augenzeugen noch heute. Wichtiger dagegen und für das staatskirchliche Recht entscheidender ist die Wahrnehmung, daß nicht nur deutsche Bischöfe, sondern auch die römischen, sowie Presbyter, Diacone und der ganze CleruS von Rom an der Lat er ansynode von 964 Theil nahmen, und dadurch nicht nur das Verfahren Ottos fanctionirten, sondern vor allem die rechtliche Basis der Papstwahlen im Sinne des Eides der Rö­ mer vom Jahre 962 sicherstellten.') J) F ü r die Vorgänge überhaupt ist der Bericht LiudprandS am wich­ tigsten, zumal eine w e s e n tlic h e Differenz zwischen seiner Darstellung und anderen Zeugnissen nicht besteht. Bei der offiziellen S tellung, welche Liudprand in den gesammten Angelegenheiten einnahm, muß m an insbesondere, wo eS sich um die rechtlichen Fragen handelt, das größte Gewicht auf seine Mittheilungen legen. S ie ersetzen einigermaßen den M angel von urkund­ lichen Ueberlieferungen. Die Hauptstellen finden sich in der h isto ria O ttonis C ap. 8 und 22, von welchen m ir die zweite noch wichtiger scheint als die erste, weil durch die Öffentlichkeit der Anklage und durch die Widersprnchslosigkeit des gefällten Urtheils sich ergibt, daß der hier ausgesprochene Grundsatz rechtlich alö unanfechtbar galt. D ie Stellen LiudprandS müssen daher an diesem wichtigen Wendepunkte der staatskirchlichen Frage statt der Urkunden dienen: C ap. 8. C ives vero im p e ra to re m sa n c tu m cum suis om nibus in urbem euscip iu u t, fidelitatem re p ro m ittu n t, hoc a d d e n te s e t firm iter iu ran tes, num quam se papam electu v o a a u t ovdiuaturos p ra e te r cousensum e t eleeiionem dom ni im p e ra to ris O tto n is C a e ­ sa r is augnsti. (iliique ip siu s reg is O tto n is. Cap ° 2 Dem Papste Benedikt wurden die Anklagepnnkte vorgelegt > ' Ulm dei päpstt'chen B'itrde 2^ Niim inficiari p o te s p ra e se u ti

I n der Formel, welche der Eid der Römer in Betreff der Papstwahl enthielt, muß man die echte Grundlage deS Ver­ fahrens der deutschen Kaiser in den nächsten hundert Jahren erkennen. Nun wäre es aber freilich sehr auffallend, daß keine der Synoden, die unter Otto in Rom gehalten wurden, das Verhältniß des Kaisers zur Kirche kanonisch definirt haben sollte, und man ist daher von mancher Seite geneigt, den Acten, welche der Synode von 964 durch spätere Sammler des Rechtes zu­ getheilt werden, die Echtheit zuzugestehen, obwohl sie nicht nur in Betreff der Papstwahl weitere und größere Zugeständnisse machen, als der Eid von 962, sondern auch über die Investitur der Bischöfe mit Stab und Ring und über die Stellung des Kaisers im weltlichen Gebiete des Papstthums die auffallendsten Dinge enthalten. Spuren davon, daß man wirklich auf der Synode von 964 eine Reihe von Canoncn verkündete, welche das Verhältniß von Kirche und Staat zu ordnen bestimmt waren, lassen sich indessen gewiß nicht verkennen. Denn wel­ chen Sinn sollte es in späterer Zeit gehabt haben, eine Reihe von S ätzen ä l t e r e r S y n o d e n , und zwar der spanischen von Toledo von 638 und 684 und einer fränkischen von 843, auf Leo VIII. zu schreiben, wenn es dem Fälscher um die Fragen der Investitur und Papstwahl zu thun war. So sicher eS dem­ nach auck sein wird, daß die echten Acten der laterauischen S y ­ node LeoS VIII. verloren gegangen und durch die Unbilden der Interpolation bis zur Unkenntlichkeit vertilgt worden sind, so wahrscheinlich ist, daß das sieghafte Kaiserthum die Lateran­ synode nicht unbenutzt ließ, um mit Hilfe des befreundeten dom oo imperatori iuramento prom isisse, numquam te cum ceteria Romania papam electurum aut ordinaturum absque illiu s filiique eius regis O ttonis con sen su ?

Der Canon: In eynodo.

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Papstes den unbotmäßigen Römern gegenüber seine Stellung durch conciliare Beschlüsse zu sichern.

Und in der That, die

Beschlüsse des sechsten telefonischen Concils waren zu Rom in so guter Sammlung zur Hand, daß man im Jahre 964 nur darnach zur greifen brauchte, um die für die monarchische Ge­ walt so günstigen Bestimmungen auf die neue Lage des deut­ schen Kaiserthums anzuwenden.') ‘) W ir theilen die Ansicht, daß das von Floß, Papstwahl, S - 147 ff. abgedruckte Stück in seiner vorliegenden Gestalt kein echte- Privilegium sei. W ir halten aber die Frage, ob die ausführlichere Fassung, welche Floß m it­ theilt , oder die kürzere von Sasse 2842 verzeichnete, die P rio ritä t besitze, nicht für entscheidend. M an muß sich zunächst fragen, welchen Charakter tragt die größere Fassung. S ie enthält außer dem, in der Pannorm ie zu­ erst vorkommenden, C anon.- Io eynodo (G ra tia n C. 23. D . 6 3 \ die Canone- der sechsten toletanischen Synode von 638, eine Verfügung de7. (richtiger de- 14 ) von 684 und eine S telle a u - einer fränkischen S y ­ node vom I . 8 4 3 ; ferner einen Bericht über die Vorfälle in Rom bi- zur Lateransynode von 9 6 4 ; endlich verschiedene gelehrte kirchenrechtliche Deductionen, welche zur Rechtfertigung der Beschlüsse dienen sollten. D aß diese letzteren Auseinandersetzungen den Charakter einer staat-kirchlichen Deduction-schrift tragen, ist von allen S eiten zugestanden und setzt m an deshalb die Abfassung in die Zeit des JnvestiturstreiteS. W as dagegen die einlei­ tende Darstellung der Vorgänge in Rom anbelangt, so werden die Ereig­ nisse bis zur Synode von 964 (es ist ja der Tod des Papstes Johann schon eingetreten und Benedikt ist ausgeliefert) genau, aber durchaus eigenthümlich erzählt. Hieraus folgen die Canonen. Dieselben hervorzusuchen, hätte im 11. J a h r ­ hundert gar keinen G rund gehabt, sie konnten n u r den Zweck der Fälschung stören. N un kann aber glücklicherweise erwiesen werden, daß die toletani­ schen Canonen, welche sich so trefflich der S itu atio n von 964 in Betreff ver­ weltlichen Gewalt de- neuen Kaisers anpaffen ließen, wirklich feit dem IX. Jahrhunoert in Ita lie n bekannt waren. Floß hat schon auf die S a m m ­ lung A nselm o d e d ic a ta aufmerksam gemacht, wo aber die Beschlüsse in anderer Ordnung vorliegen. Diel merkwürdiger ist es, daß die Handschrift von Novara jnst die Beschlüsse deS V I. Concils von Toledo enthält - Ma u sse n I 718 n. § 2 4 3 \ Doch kann die Novareser S a m m lu n g nickt Quelle hcS ganzen gewesen sein, weil sick das Concil von f>*4 m iv in der j ungern

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II. Oberhoheit de» Kaisertums,

Hier erscheint nun der Fürst als der I n b e g r i f f a lle r höchsten A u t o r i t ä t , welcher Geistliche und Laien unterworfen und Gehorsam schuldig sind.

Nicht aus dem alten römischen

Recht, sondern aus Satzungen des germanischen Reiches von Spanien baut der neue deutsche Kaiser seine Stellung in der Welt auf — ein Gedanke, der so anregend und groß ist, daß man sich wohl saunt vorzustellen vermag, daß er einer müssigen, jedem praktischen Zwecke im Grunde fernliegenden Erfindung entsprungen sein sollte.

Denn jener, welcher zur Zeit des Jii-

vestiturstrats im 11. Jahrhundert ein Interesse hatte,die Frage der BisckofS- und Papstwahlen im Sinne eines sehr ausschweiHiSpana findet, woraus wieder wahrscheinlich wird, daß auch in dieser B e ­ ziehung eine Interpolation des Verfassers des Privilegium s LeoS V III. vor­ liegt. D aö Concil von 964 kann aber auch seine Kenntniß der toletanischen Bestimmungen aus der HiSpana selbst .M a a sse n C od. 3) entnommen haben. Hieraus ergibt sich zur vollen Evidenz, daß das, waS Floß vorlegt, ein rein compilatorischeS Werk-ist. WaS nun den für uns an dieser Stelle wich­ tigsten Punkt den C auon In sy n o d o betrifft, so bleibt die Untersuchung über denselben von der compilatorischen Arbeit des Floßschen sogenannten P riv i­ legiums unberührt. D er Compilator hat den Canon offenbar vorgefunden, sogut wie er die toletanischen vorfand. D aß dieser Canon aber unecht sei, bleibt nach wie vor lediglich dem Nachweis innerer Gründe vorbehalten. W enn zu seiner Rettung angeführt w ird, daß die Investitur der Bischöfe im 10. Jahrhundert bestand, so rettet ihn das schwerlich gegenüber feiner sehr späten Beglaubigung. Auch geht die Tendenz des ganzen Canons viel­ mehr auf die streitige Frage über die Bischofswahlen, als auf die Papst­ wahlen. Aber die Frage der Bischofswahlen im Reiche wurde 964 gar nicht ventilirt — cS konnte sich ja rein nur um das Verhältniß O ttos zur Papstwahl und zu den Röm ern, S en at, Volk und CleruS handeln Wie dagegen der Canon gelautet hat, falls ein solcher neben der Wieder holung der toletanischen ConcilSbeschlüffe festgestellt worden ist, ließe sich un­ schwer bestimmen. E r wird nicht viel anders gelautet haben als der Canon Stephans V . und die Bestätigung desselben von Johann IX. ^Canon X. C oncil Rom 898), denn das, was sich Otto, wie w ir oben gezeigt, von den Römern beschwören ließ, ist durch die besagten Canonen hinlänglich ge­ währleistet

senden kaiserlichen Anspruchs zu lösen und zu diesem Zwecke ein Aktenstück fälschte, hatte wahrlich keine Ursache, seinen Fall dadurch zu komplicieren, daß er einen Ballast von Sätzen auf­ nahm, die doch nur sehr indirekt zur Sache gehörten.

Erleich­

tert hätte sich der gelehrte Fälscher dadurch seine Sache nicht, während er seiner Tendenz den Eingang in die Sammlungen des Rechts gar sehr erschwert haben würde. Anders aber stand es, wenn in die. echten Sammlungen der Lateransynode von 964 eine Anzahl von Sätzen nur eingeschoben zu werden brauchte, welche d ie I n v e s t i t u r der Bi schöfe u n d des P a p s t e im S inne des 11. Jahrhunderts begründen sollten. S o sind wir denn zu dem Resultate gekommen, daß die lateranische Synode die Rechte des Kaisers wirklich näher definirt und die Stellung de« neuen Herrschers in Rom durch conciliare Autorität geschützt haben wird. Auch die unecht uns überlie­ ferten Akten sprechen als laute Zeugen hiefür, aber sollte in den echten Canonen der Synode nicht auch des Verhältnisses des Kaisers zur Papstwahl gedacht worden sein? Es ist schwer anzunehmen, daß eine Synode, welche die weltliche Gewalt nach allen Seiten durch die kirchlichen Strafbestimmungen schützte und deckte, nicht auch über jenen Punkt cndgiltige Feststellung ge­ macht haben sollte, der am meisten zu den Streitigkeiten Anlaß gab — über die Papstwahl.

Einen Canon über den Pontifi-

katswechsel dürfte man daher mit einiger Zuversicht Leo V III. zuschreiben dürfen, wenn auch jener, welchen zuerst die Panormie und nach ihr G ratian überliefern, sicherlich aus den ge­ fälschten Akten des Jnvestiturstreites stammt. D er Canon, den Leo "VIII. über die Theilnahme des Kaisers am Pontifikats­ wechsel verkündete, entsprach ohne Zweifel dem Eide, den die Römer 962 geleistet, und stand m Uebereinstimmung mit dem V v v c u ^ 'J m v Ü u m M u n s V u u fa tV m n

f)

Pakt des Kaisers bei der Kaiserkrönung durch Johann X II. und mithin mit der römischen Constitution von 824 und dem Pakte Ludwigs von 817. D ie Continuität des deutschen Rechtes in Rom wurde so durch einen kirchlichen Akt besiegelt, dessen untadelhafteS, historisch begründetes Wesen sogleich bei der nächsten Wahl des Papstes und durch daS streng begrenzte Verhalten Ottos I. bei der E r h e b u n g I o h a n n e s X III. bestätigt wird. Denn wenn auch die Ottonen sehr, ernstlich darauf sahen, daß die Person deS gewählten Papstes dem Kaiserthum treu und ergeben sei, so hoben sie doch die kanonische Wahl nicht auf, wie cs in Ausführung des angeblichen Canons Leos V III. ge­ schehen sein würde. Sicherlich vermögen die Ereignisse nach dem schon im .Iahte 965 e r f o l g t e n Tode h e o s V III. Auskunft darüber zu geben, wie man zur Zeit der Begründung des deutschen Kaiser­ thums das staatskirchliche Verhältniß beim Pontifikatswechsel aussagte. Denn ein Jah r nach der laterauischen Synode wer­ den doch wohl Bestimmungen derselben »och nicht in Vergessen­ heit gekommen sein. D a ist nun wahrzunehmen, daß Otto I. sich von jedem Gewaltstreich bei der Besetzung des Pontifikats eben so fern hält, wie von Schwäche oder Nachgiebigkeit. Sei» Benehmen zeigt, daß die Stellung der weltlichen '-Macht bei dem Pontifikatswechscl eine feste, wohlbegründete, ihres Rechtes be­ wußte war, zugleich aber den kanonische» Gesetzen der Kirche und des römischen Volkes in nichts präjudicirte. W ir sind über die W a h l J o h a n n e s X III. ganz zuverlässig unterrichtet. Wenn in Deutschland erzählt wurde, die Römer hätten Boten gesendet, um den Kaiser zur E r n e n n u n g eines Papstes zu bestimmen, so beweist die Ablehnung von seiner Seite, daß zu einem solchen Akte in den vorhergegangenen Verträgen und Dekreten kein An-

Johannes XIII. und feine Nachfolger.

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haltSpunkt gewesen wäre. Wohl aber entspricht eS ganz dem Dekrete Stephans V. und dem älteren Herkommen unter den Karolin­ gern, wenn der Kaiser zwei Gesandte nach Rom schickte, damit dieselben die Wahl beaufsichtigen und die Ordination des Ge­ wählten veranlassen möchten. I n dieser Weise wurde denn auch Johann X III. erwählt und consecrirt.

D er Akt stimmte wohl

mit dem Satze des angeblichen Canons Leos V III. überein, wo eS heißt, daß der Gewählte erst nach erfolgter Zustimmung des Kaisers ordinirt werden solle, aber nicht mit jenem Satze des­ selben Canons, nach welchem Wahl und Ordination durch den Kaiser selbst geschehen sollte.') Genau in derselben Weise entsprach die W a h l B e n e ­ di kt s VI. diesen älteren Formen der Bestätigung durch den Kaiser, worauf die Ordination erfolgte. Auch bei B e n e d i k t s VII. Erhebung läßt O t t o II. ordnungsmäßige W ahl vollziehen und wenn er seinen Kanzler Petrus von Pavia als J o h a n n XIV. auf den apostolischen S tuhl setzte, so ist wenigstens nicht sicher ') Des Widerspruchs zwischen diesen beiden Satze» in dem Canon In synodo ist sicher noch nicht hinlänglich gedacht worden; vielleicht ist man geneigt hierin einen Beweis dafür zu erkennen, daß der Tanon eine echte Grundlage habe. Erst heißt eS: concedim us atque largim ur Domino Ol ton i p r i m o (!) R egi T eutonicorum ejuaqne successoribus bujtis regni Italiae in perpetuum facultatem eligendi successorem atque sumraae sedis apostolicae Pontificem ordinandi (successorem kann nur de» Nachfolger des redenden Papste- bedeuten, nicht etwa den Nach­ folger de- Kaisers) — während eS später heißt: Quod si a clero e t populo quis eligatur e p isc o p u s, nisi a supradicto rege laudetur, et iuvestiatur, non consecretur. Setzt man an die Stelle von episcopus, summoe sedis apostolicae Pontifex,und steht man von dem Worte investiatur ab, so stimmt der Tatz ganz wohl mit dem überein, was in Stephan- V . Dekret ausgesprochen ist. Die L au d atio nach erfolgter Wahl ist es, weiche das Kaifcrthi»» in Anspruch nimmt, genau wie der Borgang bei Johanns X III. Wahl von Reginas iycvtjebev a. a. 965 erzählt ist.

zü behaupten, ob er dem kanonischen Wahlrecht zu nahe getreten sei. B is zum Tode Ottos II. bewegt sich demnach der PontifikatSwechsel in seinem Verhältniß zum Kaiserthum in den ur­ alten Formen des römischen Reiches. Aber allmählich gewinnt die Bestätigung oder Laudatio durch den Kaiser den Schein einer vor der Wahl erfolgten Denomination. Bezeichnend für das Umsichgreifen der kaiserlichen Gewalt ist die Er he bung G r e g o r s V., dessen Denomination vor stattgefundener Wahl keinem Zweifel unterliegt. War ja doch der 24 jährige Enkel OttoS I. von seinem Better Otto III. in Begleitung deutscher Beamten und Soldaten nach Rom gesendet worden, damit man mit Hilfe einer Schcinwahl ihn dort ordiniere. S o war man schließlich zu einem Prinzipe gelangt, welches, wenn auch keineswegs ohne Beispiel, doch dem kirchlichen Her­ kommen der letzten Jahrhunderte entgegenstand. D ie Neuerung war nickt Mjt einem male, nicht durch Aufstellung eines Canons, sondern durch eine Reihe von Umständen gleichsam unmerklich entstanden. Aus der straffen Handhabung des Rechtes der Lau­ datio entwickelte sich unter den Ottoncn die Denomination, und ging dann als neues Gewohnheitsrecht auf die nächsten Kaiserregierungen über. Doch hieng die Denomination jedesmal von dem wirklichen Machtbesitze ab. Nur ein Kaiser, der in Rom herrschte, konnte O t t o s III. P o l i t i k verfolgen und nur eine Papstwahl die durch deutsche Truppen beaufsichtigt wurde, konnte im Sinne des neuen kaiserlichen Machtanspruchs ausfallen. That­ sächlich aber traten in Rom Zeiten stürmischer Adelsherrschaft ein und die Kirche des XI. Jahrhunderts verfiel unter den Streichen zuchtloser Päpste. Die Gegenströmung des römischen Adels gegen die Politik der Kaiser hatte schon unter den Ottonen furchtbare Verbrechen

zu Tage gefördert.

N ur die Strenge des deutschen Herrschers

dämmte den Ehrgeiz der römischen Großen ein, welche nach den Schätzen der Kirche zu greifen, -ls ihr vornehmstes ererbtes Recht betrachteten.

Ein gräßliches Geschick-ereilte Benedikt VI.

und Johann XIV. D er Pontifikat Gregors V. wurde durch des CreScentiuS gewaltige Revolution bedroht und dessen Hinrichtung wurde nur allzu wahrscheinlich an dem jungen Kaiserpapste durch Gift gerächt.

Noch vermochte Kaiser Otto III. den gelehrtesten

M ann des Jahrhunderts, G e r b e r t , zum Nachfolger Gregors V. zu ernennen, ohne daß auch nur ein Versuch von selbständiger Regung durch die Wahl deS Volles und CleruS geschehen wäre, aber mit dem Tode Ottos III. und Sylvesters II. g e l a n g t e die feindliche Adelsfaction zur unbestrittenen Herrschaft in Rom und an die Stelle der kaiserlichen Uebergriffe zum Wohle der Kirche, trat der wüste Lärm der Adelswahlen und der schändlichste Wucher mit Papstthum und kirchlichen Würden. Als entscheidenden Wendepunkt für die Machtstellung des Kaiserthums darf man betrachten, daß demselben die Würde des Patrizius abhanden gekommen war.

Zwar handelte es sich,

wie sich von selbst versteht, um reine Machtftagen, aber unter dem Schutze des Patriziats gewann doch der Sohn des Crescentius den Schein eines formellen Rechts Päpste einzusetzen, ohne daß der Kaiser betheiligt war.

Gegen die Crescentier er­

hoben sich bald die T u s c u l a n e r , Benedikt V III. Johann XIX . Der päpstliche Stuhl war das Erbstück der letztem geworden. Im Jahre 1033 hatte die tuSculanische Partei den zehn­ jährigen Knaben B e n e d i k t IX. ohne Rücksicht auf die deutsche Kaisermacht zum Papste erhoben. Es war eine wüste Zeit, sagt ein neuerer Geschichtsschreiber, wo ein Papst kiudiscl'er als Caligula, lasterhaft wie HeliogabaluS, rer Stellvertreter Ehvisli war.

Nach dem Aufstand, der sich gegen ihn erhob und seine erste Vertreibung zur Folge hatte, wählten die Römer S y l v e s t e r III., und nach Benedikts Zurückberufung wurde durch einen schmäh­ lichen Handel G r e g o r VI. m it der päpstlichen Krone geschmückt, die er durch zwei Ja h re unbestritten trug.

Aber das Eingreifen

K a i s e r H e i n r i c h s III. bezeichnete eine neue Epoche für Kirche und kirchliches Leben überhaupt.

Indem dieser gewaltige Kaiser

die Kirche völlig beherrschte, legte er bekanntlich den Grund zu ihrer Reform. Noch der Absetzung aller drei Päpste, Benedikt's, Sylvester'« und G reg o rs, ans der S y n o d e zu S n t r i , im Dezember 1046 w ar e« der deutsche Clerus, der die verlorne Zuckt in der rö­ mischen Kirche herzustellen bestimmt schien.

Heinrich III. war

entschlossen, den Bischof von B am berg auf den päpstlichen S tu h l zit erheben.

D ie Verhandlungen hierüber, welche mit etwas

rednerischem Schwulst überliefert sind, lassen soviel erkennen, daß eö' noch immer zwei Potenzen w aren, welche bei Papst­ wahlen in Betracht kamen.

D ie römische Signoric mit ihrem

Einfluß auf die Volkswahl und der Kaiser mit seinem Bestäti­ gungsrecht standen sich mit gleichen Waffen gegenüber.

Hein­

rich III. will dem altrömischcn Verhältniß des hohen Priesters zum römischen Volke nicht Gewalt anthun, und die römischen Signoren scheuen sich dem Recht, das sich auf Karl den Großen und Otto I. begründet in einem Augenblicke entgegenzutreten, wo der deutsche Machthaber in der Lage ist über die S ta d t seinen Z orn zu verhängen. I n den« Augenblicke, wo Heinrich III. unmittelbar vor dem Weihnacktsfeste die Kirche von S t. Peter betrat, um die kirchlichen W irren durch Erhebung seines Bischofs S u i d g e r vo n B a m b e r g zu schlichten, mußte nothwendig ir­ gend eine Verhandlung, irgend ein Vertragsverhältniß gesucht

werden, wenn man mit einiger Rücksicht und Hoffnung auf dauernde Einrichtungen vorgehn wollte.

Nun liegt aber auch

kein Grund vor das wesentliche unseres Hauptberichtes über die Ereignisse zu bezweifeln.

Daß die uralte Vorstellung von der

Wichtigkeit des PatriziuS-AmteS in voller Lebendigkeit vorhan­ den war, wird von allen Zeugen bestätigt. Wollte Heinrich III. irgend einen Einfluß auf die vorzunehmende Papstwahl üben, so konnte er dies n u r,

wenn ihm der Patriziat übertragen,

oder wenn er in seiner Würde als PatriziuS anerkannt wurde. Und in der That das letztere scheint der Fall gewesen zu sein, als die römischen Signoren in S t. Peter vor Heinrich H I. die Erklärung abgaben, daß es die Sache des Königs wäre den Papst zu ernennen.

Denn, wie es scheint, begnügte sich Hein­

rich III. mit dieser Erklärung der Römer nicht, er forderte den Patriziat als solchen und erst da man ihn selbst zum PatriziuS gemacht hatte, nahm er den Bischof von Bamberg bei der Hand, stellte ihn als Papst dem Volke vor und ließ ihrt consecriren.')

Der Akt der Wahl trat ganz in den Hintergrund

') Ich vermag die Ansicht nicht zu theilen, daß Benzo« Bericht in dem Punkte der Ertheilung des Patriziat- unrichtig sei. Sieht man in der höchst merkwürdigen Relation Benzo» V H . 2. von dem Wortschwall ab, so ist der Zusammenhang folgender: Die Römer räumen dem König die Papstwahl für diesmal ein, — sie wollen sich aber den Patriziat wahren und geben daher die verlockende Erklärung: U bi adeat praeaentia regiae m ajeatatis, non e st e le c tio n is conscnaua in arbitrio nostrae voluntatia. E t si forte aliq uocieus abaens eatis tarnen per officium p a tr icii, qui eat v e s t e r v i c a r i u a eem per ap oatolicae promotioui interestia. N eq u e enim patricius eat papae patricina, v e r u m a d p r o c u r a n d a r e i p u b l i c a e n e g o t i a e s t i m p e r a t o r it p a t r i c i u s . “ Man sieht leicht, um was eS sich handelte; man will für die Römer den Patri­ ziat um jeden Preis retten Nun aber ist das, was Benzo erzählt in seiner »othneudige.i Aufeuianderfolge ganz unmöglich eine Erfindung: den» nun wird neuerdings Rath gehalten; der König hatte rfieubar sucht die Absicht,

gegenüber dem Einfluß, welchen der König sofort a ls Patriziuausübte. M au wird aber nicht behaupten dürfen, daß ein reiner Gewaltstreich von Seiten des Königs vorlag, w as allerdings der Fall gewesen wäre, wenn er weder auf Grund der Rechte des Kaiserthums — und dieses besaß er noch nicht — noch auch auf Grund des Patriziats die synodale Versammlung und die W ahl des Papstes geleitet hätte. D ie wiedererlangte Gewalt Heinrichs III. über Rom und die römische Kirche baute sich demnach genau aus denselben Ele­ menten auf, aus welchen die Macht Karls des Großen und Ottos I. emporgestiegen war. D ie andere Frage ist die, ob er auch von den wiedererworbenen Rechten denselben Gebrauch machte, wie jene und ob er seine Stellung beim Pontifikatswechsel in den altgewohnten Formen zur Geltung brachte? I n den meisten Berichten heißt e s, Heinrich III. habe die W ahl Suidgers von Bamberg angeordnet; mehr oder weniger bestimmt hielt man in der ganzen Welt dafür der neue Papst sei durch Heinrich III. eingesetzt worden.') Daß diese Form den Rath der Römer, der von zweifelhafter Loyalität gewesen wäre, zu be­ folgen; die Folge davon ist: d ecretu m e st, ut rex H ein ricu s cuin univ ersis iu m onarchia im perii sib i su cce d e n tib u s fieret p a triciu s sicuti de K arolo factum leg im u s. Diese Darstellung Benzos ist im gan­ zen und großen gewiß treu. D ie Stellen bei Petrus D annani sind unter andern Gesichtspunkten und Verhältnissen zu fassen und können kaum BenzoS Bericht widerlegen. Auch die A n u a le s R om ani S S . V . 469 werden damit zu vereinen fein, wenn sie sagen: circulum (p a tricia tu s) in c a p ite p o su it su o. Doch nicht nach der Krönung. Und ist eS denkbar, daß sich Heinrich nach D am tan is W orten principatum ordinandi pontisicis geben läßt, nachdem er schon Clemens II. zum Papste erhoben? Also eine Vollmacht nach gethaner Arbeit? Ueber den '2 mit der letzteren Stelle vgl. übrigens Zöpfscl, die Papstwahlen S . 78. l) Interessant ist die Fassung Herrn. A u g., wenn er sagt: H en ricu s . . . S u idgeruin nim ium relu cta n tem e le g it. Er stellt sich vor, daß da-

Heinrich III. und die „Denomination".

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des Einflusses weltlicher Macht auf den Pontifikatswechsel mehr Ähnlichkeit darbot mit dem, waS zuletzt unter Otto III. als was unter Karl dem Großen geschehen war, läßt sich nicht läugnen.

Noch bestimmter trat bei dem nächsten nur zu rasch

folgenden Pontifikatswechsel das nackte Prinzip der D e n o m i ­ n a t i o n des Papstes durch Kaiser Heinrich III. zu Tage.') Die Frage war aber, ob sich dasselbe behaupten und durchführen ließ. M an steht an einem Wendepunkte der S taats- und Kir-

Wahlgefchäst auf den Kaiser überLegangen sei. Bonitho wirst dem Kaiser im Grunde von anderm Standpunkte da- gleiche vor: p er p atriciatu s ordinem se Romaoum posse ordinäre pontificem. Die sonst in Annalen vorkommenden Ausdrücke lauten für die Wahl Suidgerö substituir, constitu it. N ür die A nn. Romualdi 8 8 . XIX. 404 behaupten ganz abson­ derlich Clemens a clero et populo canonice electus eet, ipso imperatore, quemadmodum in canonibus statutum e st assensum p raeb ente. Sonstige Stellen vgl. noch bei Baxmann ziemlich vollständig II. 206 u. 207.

') W ir bleiben hier mit Rücksicht aus Zöpfsel Papstwahlen S . 75 ff. bei der Bezeichnung de- in Anspruch genommenen sogenannten Rechte- als „D enom ination", da es sich zwischen ihm und Giesebrecht, wenn w ir nicht irren, um einen reinen Wortstreit handelt. W ir verstehen demnach unter Denomination denjenigen Vorgang, welcher nach den im wesentlichen über­ einstimmenden Q uellen bei der Erhebung der Päpste von Clemens II. bis ans Nikolaus ü . beobachtet worden ist, und welcher darin bestand, daß die Bezeichnung des Kaisers vorangeht, la u d a tio oder electio , was, wie schon Böhmer vor vielen Jah ren richtig gesehen hat, im M ittelalter dasselbe ist, nachfolgt, und hierauf O rdination eintritt. Diese Reihenfolge der Akte be­ zeichnen w ir m it Denom ination: d. H. da- vollständige Vorherrschen der äußern Momente der Papstwahl über die innern. Bei unserer Frage kommt eö glücklicherweise nicht auf die ängstliche Prüfung der W orte jedes Schrift­ steller- und seine- höchst zweifelhaften Sprachgebrauches an, sondern darauf, daß die erwähnte Form der D enom ination. gegenüber der gebräuchlichsten Form der letzten Jahrhunderte als ein unzweifelhaftes novum erschien. Allein die ganz ähnlichen Fälle haben wir auch unter den römischen Kaisern unter Cbcafer unter den Gothen im fr dann in neuer Auflage bei Otto I II. gesunden. Vgl. die Uebersicht am Ende des frühern Capitels.

chengeschichte, welcher die Aufmerksamkeit aller folgenden Gene­ rationen in steter S pannung erhielt, und der von neuern Ge­ schichtsforschern so oftmals und oft so vortrefflich zur D a r­ stellung gebracht wurde, daß man fast nur aus Rücksicht auf den Zusammenhang sich entschließen kann, die Hailptpunkte noch einmal zusammenzufassen. D er erste Angriff gegen das kaiserliche Verfahren gieng von M ännern aus, welche dem kirchlichen R e f o r m g e d a n k e n Heinrichs III. selbst so nahe als möglich standen. Gleichsam unter seinen nächsten Freunden erhob sich die Dppositio» gegen die OctroyirungSgelüste der kaiserlichen Regierung, denn von welcher Seite man auch die Denomination betrachtete, mochte sic zum Heil der Kirche gerathen oder nicht, so war sie ein ge­ fährliches Prinzip für die Kirche, welches wol geduldet werden konnte, solange cs von einem am Gängelband der kirchlichen Rcformpartei geleiteten König geübt wurde, aber unerträglich werden konnte, wenn eine andere Ström ung die Staatsgew alt beherrschte. Selbstverständlich war aber zunächst der deutsche Kaiser der einzige H ort des aufstrebenden Kirchenthums gegen den römischen Adel und wurde daher als Werkzeug gebraucht, um die kirchlichen Führer, um die Häupter der Refdrm in die höchsten Aemter und Würden zu setzen und so allmählich der kirchlichen P artei B ahn zu machen. S o kam es also darauf an, den päpstlichen S tu h l mit den entsprechenden M ännern zu besetzen, um nachher anderen GesinnlingSgenossen die höchsten Stellen in Rom und vor allen den Cardinalat zu verschaffen. D a der Reformpartei zu diesem Zwecke jedes M ittet recht war, so drückte man auch die Augen vor der tiefgreifenden V erän­ derung der Formen des PontifilatSwechsels zunächst zu. Aber die wahre Gesinnung der Reformmänner zeigte sich schon bei

Bestrebungen der Reformpartei. der E rn en n u n g LeoS IX.

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Als dieser, B r u n o von T o u l,

von dem Kaiser Heinrich ausersehen wurde, den päpstlichen Stuhl zu besteigen, erklärte er, daß er von der canonischen Wahl nicht absehen könne. Wie er hierauf in Begleitung Hildebrands als Pilger in Rom einzog und wie er sich unter strenger Auf­ rechthaltung der kanonischen Formen Wahl und Ordination er­ warb, ist oftmals geschildert worden?) Noch bestimmter mußte sich der Kaiser von G eb h art von Eichstädt über die Gren­ zen seiner weltlichen Macht belehren lassen.

Schon wagten eS

diese kirchlichen Heißsporne dem frommen Kaiser ins Gesicht zu sagen, er müßte dem heiligen Petrus überhaupt zurückerstatten, was feines Rechtes wäre?) Man sieht, daß die Bedingungen, ’) Die Stellen, auf die e- ankommt, sind Bonitho Jaffe bibl. II. 632) und W ib ert, v ita L eo n is M uratori scriptt. III. 1. 292 und sind jüngst von Zöpsfel a. a. O. S . 82, 83 zusammengestellt worden. Doch vermöchte ich mich nicht mit der Ansicht zu befreunden, daß hier nun eine wesentliche Aenderung gegenüber dem Wahlvorgang bei Clemens II. vorliege. Leo IX . ist nur so gewissenhaft dem Kaiser gleich von vornherein zu erklären, daß auf seine Wahl es nicht allein ankomme, ja daß er, wenn er die canonische Wahl nicht erlangen sollte, sich nicht als rechtmäßigen Papst ansehn würde. Keineswegs aber sah die deutsche Regierung in dieser Aeußerung irgend etwa- besonderes: denn nachdem Leo erklärt: E go, inquit, Rom am vado ibique ei clerus et p opulas sua sponte me sibi in Pontificem elegerit, faciam quod ro g atis, aliter autem electionem nullam suscipio, heißt eS: A t illi g a v i s i , confirm ant sententiam e t lau d an t conditionem. Bruno v. Segni. Mur S criptt. III. 347. Man sieht, in aller Leute Bewußtsein ist eS, daß der Pontifikatswechsel aus einem bilateralen Verhältniß beruht. Dieses Wesen der Sache ist nur in den Formen ver­ schoben. N un muß sich schon der Kaiser gefallen lassen, daß einer der vor­ nehmsten Kirchenmänner seine Wahl, seine Denomination zurückstellt gegen die des andern Faktors. Im m erhin sehr charakteristisch für den Gang und Wechsel der Dinge, aber wie hieraus ein verändertes juristisches Prinzip deduzirt werden wollte, ist mir nicht klar geworden. 2) Bei der Papstwahl Victors II. sind die Stellen des A nonym us H stserensis M G. S V II 2l>^> und B om thvs ebenfalls von Zöpsfel passend hervorgehoben, und tcf> meine auch, daß der Satz des A nonym us

unter welchen die Freunde Heinrichs III. auf feine Politik eingiengen, in der Wiederherstellung der alten kanonischen Bestim­ mungen des PontifikatSwechsels gesucht wurden. D aß Hein­ rich III. nicht ein für allemale, sondern nur von Fall zu Fall sich bereitwillig zeigte eine möglichst freie W ahl zuzulassen, wird sehr erklärlich, wenn man nur nicht glaubt, daß politische V or­ gänge anders als nach augenblicklichen Im pulsen vor sich zu gehen pflegen. Große Ueberlegungen juristischer Art, wie sie der heutige Geschichtsforscher zuweilen erklügelt, sind damals nicht angestellt worden, wenn man die W orte der Geschichtschrei­ ber schlicht und einfach nimmt: dem Kaiser wurde einleuchtend gemacht, daß in den neueren Vorgängen einige kanonische G e­ brechen zu finden wären, es wurde ihm vorgehalten, daß die kanonische Wahlfreiheit für die Rechtmäßigkeil des Pontifikats unerläßlich wäre, — er konnte eS ja selbst nur gerne hören, wenn sein B runo von Toul, sein Gebhart von Eichstädt auch von CleruS und Volk ohne sein besonderes ausdrückliches Z u­ thun erwählt worden seien. Hatte sich bei dem ersten Auftreten v estr is ju esio n ib u s obtem pero ea s c ilic e t p a c tio n e, u t e t vos sa n cto P e tr o red d a tis, quae sui ju ris su n t, im weitesten S in n e ausgelegt wer­ den darf. Aber man sieht auch, daß der Kaiser gar nicht aus der Fassung zu bringen ist: H a c sp o n sio n e a b e n ig n issim o im peratore su sc e p ta . DaS klingt nicht so, als wenn man das Bewußtsein einer tiefgreifenden prinzipiellen Aenderung gehabt hätte. Keinem Theile war es unbekannt, daß der Patriziat bei der Papstwahl ebensowenig wie daS Kaiserthum und eben­ sowenig wie römischer CleruS und Volk allein entscheiden D aS Zusam m en­ wirken der Faktoren der gestimmten W ahl w nd von allen Parteien in all den angezogenen Stellen geradezu als etwas selbstverständliches behandelt. E s ist nur der verschiedene Accent, den die einen aus den einen, die andern auf den andern Faktor des bilateralen Verhältnisses legen. Aber wegen dieses leise hervortretenden Unterschiedes entsteht natürlich zwischen Hein­ rich III. und den Kirchlichen nicht einmal eine Verstimmung, geschweige ein prinzipieller Streit.

Heinrichs III. in Rom, wie wir gesehen haben, die Maschi­ nerie des PontifikatSwechselS gleichsam unmerklich im S inne der Priorität kaiserlicher Entscheidung verschoben, so strebte nun umgekehrt die Aufeinanderfolge der Akte wieder in das ältere Geleise zurück. Die Hauptsache war, daß die Faktoren der Papst­ wahl im großen und ganzen auch durch die Wiederherstellung der kaiserlichen Macht in Rom im wesentlichen nicht geändert wurden.

D as bilaterale Verhältniß, welches in der N atur des

PontifikatSwechselS lag,

machte sich immer wieder geltend,

wenn auch der Kaiser die Stellung der weltlichen Macht stärker be­ tonte. Bei seinem Vorgänge der Denomination hatte er den Erfolg, immer auf seiner Seite. Seinen Candidaten setzte er durch, als er den Bischof von Brixen patriarchalisch bei der Hand nahm und den zustimmenden Römern denominirte.

D a-

masuS II. octrohirte er in barscheren Formen, aber auch ihn wählten die Römer widerspruchslos. Wenn Leo IX . sich de­ müthig Rom zu nahen vorzog und die Wahl als ein Geschenk der Römer betrachten wollte, so war eS doch die kaiserliche D e­ nomination in Folge deren dieS geschehen durfte.

Bei der

Wahl Victors II. trat daS Selbstgefühl der kirchlichen Partei noch stärker und mächtiger hervor, aber immer noch hielt Hein­ rich III. die Zügel der Gewalt unverrückt in seinen Händen. Daß er ein förmliches Zugeständniß jemals gemacht hätte, durch welches das bilaterale Verhältniß der staatlichen und weltlichen Gewalt wesentlich geändert worden wäre, davon sucht man ver­ geblich eine S p u r in den reichlich fließenden Quellen der Zeit. Wenn aber die kirchliche Partei mit Hilfe der befreundeten und alle» ihren Wünschen zugänglichen Kaiscrmacht in Rom wieder zu Ansehn und Herrschaft gelangt war und wenn dem Treiben des römiscken Adels Schranken gezogen »uivdc», so darf es

nicht Wunder nehmen, daß sich die alten Ideen der W ahlfrei­ heit wieder zu kräftigen begannen und daß man daran gehn konnte jene Akte der Papstwahl mehr in den Vordergrund zu schieben, welche die kirchliche Selbständigkeit mehr zu sichern vermochten. Gaben sich diese staatsklugen, hochkirchlichen M än ­ ner, welche unter dem E i n f l u ß H i l d e b r a n d s standen, auch nicht der unpractischen Täuschung hin, daß die kaiserliche G e­ walt beim PontifikatSwechsel zunächst beseitigt, oder gar ganz entbehrlich gemacht werden könnte, so arbeiteten sie doch unver­ drossen an der allmählichen Verschiebung der bisherigen Reihen­ folge der Wahlakte. D aß der Im puls nicht von der zweifel­ haften weltlichen Macht, sondern von den kirchlichen Faktoren der W ahl seinen Ausgang nehme, dies war zunächst daS Ziel der H i l d e b r a n d i n i s c b e n K i r c h e n b e w e g u n g in Rom. Und in dieser Beziehung wird Heinrich III., wie man es auch drehen und wenden mag, immer als der Getauschte seiner Freunde er­ scheinen müssen. Denn indem man die erdenklich vorwicgendste Stellung beim Pontifikatswechsel unter Heinrich III. für das Kaiserthnm in Anspruch nahm , fehlte cs dennoch am deutschen Hofe an einem Staatsm ann, welcher die Frage der Papstwahl ans dem Provisorium heraus zu einer abgeschlossenen und in ihren einzelnen Theilen und Akten rechtlich geordneten Gestalt zu bringen vermocht hätte. W ie die Dinge faktisch lagen, konnte am Ende der Regierung Heinrichs III., während welcher Zeit drei Päpste abgesetzt und vier Papste ernannt worden sind, nie­ mand sagen, was einfach Rechtens sei in Bezug auf die I n i ­ tiative, auf die P riorität der verschiedenen Wahlacte und Fak­ toren der Wahl. Niemand konnte ein klar formnlirtes Recht in Betreff des loyalen Vorganges der W ahl und der Reihen­ folge der einzelnen Akte derselben geltend machen. Weder d as

Geringe Bedeutung Heinrich« III. für die Papftwahl.

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Denominationsrecht war allseitig anerkannt unb ein für alle­ mal als geheiligt betrachtet worden, noch auch die kanonische Wahl hatte eine runde volle Bestätigung erlangt, alles war so unklar geblieben, daß man sich schließlich nicht wundern darf, wenn spätere Dezennien, wenn spätere Stürm er und Dränger selbst an dem Wesen des Pontifikatswechsels, an den Grundpfeilern, welche die Geschichte seit ConstantinS Regierung erbaut hatte, zu rütteln versuchten.

Gewiß ein klägliches Resultat großer po­

litischer Anstrengungen einer gewaltigen Krastepoche der deut­ schen Nation. Diese Betrachtung, welche vielleicht nicht genau mit der geläufigen Vorstellung von der Regierung Heinrichs HI. stimmt, w ill, indeß nicht unter dem Gesichtspunkt einer bloßen Frage nach Lob und Tadel gefaßt werden.

ES müßte vielmehr immer

als etwaS Bedenkliches gelten, vergangenen Zeiten gegenüber den Ton des Borwurfs anzustimmen, wenn nicht das Bedürf­ niß realer Erkenntniß zu solcher Erörterung einlüde. 'Denn hiebei handelt es sich um den Thatbestand selbst. Niemals wieder ist in der Geschichte des Verhältnisses von S ta a t und Kirche ein Moment gekommen, wie der unter Heinrich III. Nie wieder vermochte da- Kaiserthum eine ähnliche Gewalt bei den Papstwahlen auszuüben.

Keine zweite Gelegenheit eröffnete sich

die damals noch von beiden Seiten anerkannten Prinzipien in gesetzlich feststehende allgemein giltige Formen zu bringen. M an erhob einen überspannten Anspruch von Seite der weltlichen Gewalt in Bezug auf die Initiative und man widersprach nicht von Seite der Kirche, weil man unter günstigeren Umständen mit weitschauendem Blicke noch viel extravagantere Absichten zu erreichen hoffte.

Indem alles auf halbem Wege stehen blieb,

(am die Hi l d e b r a n r i n i s c h c We l t a n s c h a u u n g an die T a -

g e S o rd n u n g . D ie Hierarchie, welche lauernd den Gegensatz zwischen Volkswahl und Kaiserwahl beobachtete, hielt sich zum Angriffe bereit, um den Versuch zu machen, daS Laienelement, den S ta a t, das Kaiserthum in der kirchlichen Rechtsanschauung auszumerzen und als mitherrschenden Faktor überhaupt zu ver­ tilgen. Langsam und beschwerlich war indessen der W eg, auf wel­ chem dieses Ziel erreicht wurde. Selbst als Heinrich III. starb, war die hierarchische P artei noch weit entfernt mit dem deutschen Hofe zu brechen. M an sollte auch nur zu bald be­ lehrt werden, daß man gegenüber dem römischen Adel die nor­ dische» Fäuste noch lange nicht entbehren konnte. S o wurde S t e p h a n IX. (X.) zwar ohne vorhergegangene Denomination von dem Volke gewaltsam zur Wahlstätte gebracht und hierauf auf den päpstlichen S tu h l gesetzt, aber die Zustimmung des kaiserlichen Hofes wurde sogleich eingeholt. M an brauchte nur ältere Briefe von Päpsten zu wiederholen, um das Geschehene in Deutschland durch die Macht der Umstände zu entschuldigen. D er Andrang deS wüthenden Volkes war so groß, daß sich die Annahme der W ahl nicht ablehnen ließ. D ie Zeit konnte- aber nicht günstiger sein, um die kaiserliche Initiative bei dem PontifikatSwechsel zunächst außer Acht zu lassen. I n Deutschland aber muß dennoch das Ereigniß nicht besonders günstig aufge­ nommen worden sein, wenigstens hört man von mancherlei Gesandschaften, die hin und hergiengen, ohne daß man actenmäßig über die Verhandlungen selbst unterrichtet wäre.') D aß aber ') D ie entscheidenden Legationen 'sind die, welche G uadechar L ib e r p o n t. E ic h st. 8 8 . V II 2 46 erwähnt. Indessen bleiben die Verhältnisse tu der ersten Zeit der Vormundschaft trotz W illS nnd GiesebrechtS sorgfäl­ tiger Erörterungen dunkel genug. Für die Auffassung in Deutschland darf

Gerhard von Florenz als Papst Nikolaus II.

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die Kirche den Schutz des Kaisertums „och immer nicht ganz entbehren konnte zeigte die Erhebung der TuSculanen nach Stephans raschem Tode. Der Versuch, B e n e d i c t X. zum Papst zu erheben, scheiterte schon an der Versicherung, der Candidat der hierarchischen Richtung Ge r h a r d von Fl or enz habe die Denominirung der Kaiserin AgneS erlangt. S o scheint der Schrecken deS deutschen Namens schon hingereicht zu haben, dem letzteren, N i k o l a u s II., im Kampfe gegen Be n e d i c t X. und den römischen Adel die päpstliche Macht zu sichern, wenn es auch zweifelhaft bleibt, ob und in welchem Stadium der Wahl deS neuen Papstes die Zustimmung auS Deutschland eingetroffen ist.1) Noch immer nimmt man die Einwirkung der Regierung Heinrichs III. wahr, aber derselbe Nikolaus, welcher zu seiner Erhebung den Namen der kaiserlichen Gewalt nicht entbehren konnte, führte den entscheidenden Streich gegen die Initiative des Kaisers beim Pontifikatswechfel und stellte im Sinne der hierar­ chischen Richtung und Ordnung jene Maximen fest, welche der Giesebrecht mit Recht die Stelle aus seinen A nnal. A ltah. anführen, die jetzt so vorliegt: Stephanus a Rom anis subrogatus rege ignorante, p o stea tarnen electionem ejus com probante.

ES ist schwer an diesem Punkte sich jeder Polemik zu enthalten, welche durchaus dem Zwecke dieser Schrift widerstrebt, allein bemerkt muß doch werden, daß über die W ahl Gerhards von Florenz jedenfalls erst am deutschen Hofe verhandelt werden konnte, nachdem Stephan todt war. Aber die Gesandten und Boten hatten keine Flügel. Hildebrand erfuhr erst den Tod Stephans, wie W ill II. 149 schon richtig hervorhebt, in Florenz. Gleich darauf ist aber von der Zustimmung des kaiserlichen Hofeö die Rede. Lam­ berts Angaben können schwerlich gegen die italienischen inö Gewicht fallen. W ill man sich mit einer H y p o t h e s e helfen, so würde man die Widersprüche am besten durch die Annahme vereinbaren, daß Hildebrand die Zustimmung der Kaiserin antizipirt haben w ird, was seine eben erfolgte Rückkehr vom Hose ja sehr ermöglichte. G

Ausgangspunkt einer völligen Freiheit der Papstwahl zu wer­ den bestimmt waren.

WaS die kirchlichen Freunde Heinrichs III.

vielleicht nicht unabsichtlich in einer flüssigen, unsicheren Form gelassen, so lange er lebte, das erhielt in den Zeiten eineS un­ mündigen Königs Gestalt und Zielpunkt, so daß eS nicht wun­ derbar scheint, wenn das weltliche Recht allmählich verdrängt wurde.

m. bapitel. D e r Kam"pf tim die hierarchische W a h l . Die la teran isch e O stersy n o d e des Jahres 1059 ver­ sammelte 113 hohe Würdenträger der Kirche, Erzbischöfe und Bischöfe überwiegend aus Italien, keinen einzigen aus Deutsch­ land.')

Unser Interesse nimmt hier in erster Linie die D e -

*) Vgl. die Darstellung Baxm annS I I. 276 ff. W as die kritische Frag über daS D e c re t N ic o la u s I I. In nom ine dom ini betrifft, so darf m an im Resultate vollkommen dem beistimmen, waS Zöpffel S . 93 bemerkt: „WaS Nikolaus II. Heinrich IV . gewährte, war nichts m ehr, als w as die Kaiser schon im 9. Jahrhundert besessen hatten, nämlich daS Zustim m ungs­ recht zu der bereits in Rom getroffenen W ahl. D ie Betheiligung des Kaisers auf dieses M aß wieder hinabzusetzen, konnte Nikolaus II. in diesem Augen­ blicke wagen, wo ein Knabe daS Szepter hielt und ein Weib im Namen eines Kindes sich vergeblich bemühte, die Schöpfungen Heinrich I I I für die D auer zu erhalten." M an könnte vielleicht noch einfacher sagen: DaS D e­ kret Nikolaus führt auf den S tandpunkt der Papstw ahl, wie sie im L ib e r d iu rn u s erscheint, daS staatskirchliche Verhältniß zurück Aber dieses ist nicht der Fall in dem Texte des Hugo und der kirchenrechtlichen Sam m lungen, sondern im Texte des Cod V a tic . D a indessen die neueren In te rp re ta ­ toren mit Recht mehr auf die Aussprüche gleichzeitiger Schriftsteller über daS Dekret geben, als die frühern, so kann man an der Hand von Waitz trefflicher Zusammenstellung dieser Ansprüche, F o rsc h u n g e n IV S . 105 ff. die Frage nach dieser Seite hin d. h in Betreff der Stellung des Kaiser lbums zur Papstwaht atS gelöst betrachten. Wenn daneben eine M einungs tiffaen^ darüber besteht, ob tie sehr abgeschwächte g v i m , in welche^ daS 6*

84

III. Der Kampf em die hierarchische Wahl.

c r e t a l e : I n n o m i n e d o m i n i in Anspruch, durch welche die Papstwahlen sowol in Rücksicht auf ihre innere Organisation, als auch in Bezug auf ihre äußeren Momente in umfassenderer Weise, als jemals, geordnet worden sind.

D ie Thatsache eines

solchen auf der Synode publicirten Wahldekretes steht fest, obwol es sehr wahrscheinlich ist, daß alle Ueberlieferungen des Textes mangelhaft sind und willkürliche Aenderungen enthalten. Glück­ licherweise ist man aber durch eine Reihe von Aussprüchen dar­ über unterrichtet, wie die kirchliche P artei in Folge und Consequen; des Wahldekrets über das bilaterale Verhältniß von S ta a t und Kircke bei dem Poutifikatswechsel dachte. S o schreibt P e t r u s D a m i a u i schon im Fahre 1062 au C a d a l u s , daß nach vollzogener W ahl durch die Cardinalbischöfe, den Clerus und das Volt die Erhebung des Papstes so lange zu verzögern sei, bis die Genehmigung der königlichen Majestät erfolgt w äre.') Roch deutlicher sagt der Verfasser der Lebensbeschreibung Alexctn-

salv o d cb ito lionore e t re v e re n tia bei G ra tia n erscheint, die ursprüng­ liche Fassung sein könne, ober nicht, so muß m an sich erinnern, daß ja Waitz die Stelle non a p o sto lic u s se d a p o s ta tic u s auch für das Dekret in Anspruch nim m t, und daß daher im G runde nur W i l l S M einung, daß beide Fassungen unecht seien, Bestand gewonnen habe. D a wir unsererseits ZöpffelS M einung in den auf das Kaiserthum bezüglichen Resultaten vollkommen beistimmen und die Fragen über c a rd in a le s und card in ale a ep isc o p i als auf das innere Wahlgeschäft bezüglich, hier nicht zu erörtern haben, so mag es im folgenden genügen, die Ansprüche der bedeutendsten Autoritäten der Zeit möglichst wortgetreu über daS bilaterale Verhältniß bei der Papstwahl anzuführen. ') W a tte ric b 241. W aitz, F o rs c h . IV". 11 LJ S e h r bezeichnend ist eine andere Stelle non p o tu e rit ab au la re g ia p v ag m aticae sa n c tio n is vobis ap o c h a re p o rta ri oder die andere Stelle ut sib im et in daudo co u sen su m iius e p isto la e g lo ria p ro v e n ire t. Diese und alle folgenden Stellen hat Waitz zusammengestellt — auf dessen Abhandlung statt einzelner Citate biemit verwiesen wird

bet* II.: „M an versichert, daß der Papst Nicola»* in seinen Dekreten ein S tatu t habe, wornach fernerhin niemand al* Bischof betrachtet werden dürfe, wenn er nicht mit der Ueber­ einstimmung des König* zuvor gewählt sein würde."

Etwa*

anders drückt sich ein Brief Anselm* aus, wenn es dort heißt, daß durch bas Wahldekret bestimmt worden sei, es solle die Wahl des Papstes dem Könige notifizirt werden, und erst nach der gemachteil Anzeige dürfte die Consecration stattfinden. Aus einem amtlichen Schreiben der Bischöfe an Gregor VII. läßt sich die zur Zeit de- Jnvestiturstreites in WormS herrschende Ueberzeugung erkennen: auf der Synode Nikolaus II. sei dekretirt worden, daß niemand Papst werden solle, der nicht durch die Wahl der Cardinäle, die Zustimmung des Volkes und die Einwilligung und Autorität des Königs dazu berufen wäre. Noch durch viele andere ähnliche Stellen gleichzeitiger Schrift­ steller ist sichergestellt, daß in dem Dekrete Nikolaus II. die Theilnahme des Königs an dem Pontifikatswechsel erwähnt wurde. Allein der Wortlaut über die Modalitäten der Theil­ nahme des Königs an der Wahl schwankt bei allen diesen zeitgenössischen Erklärern, wenn man will den G l o s s a t o r e n be* D e k r e t s , in erstaunlicher Weise. Gerade über die Haupt­ frage, in welchem Augenblicke der Wahlverhandlung die könig­ liche Autorität mit ihrem Machtwort eingreift, findet sich eine volle Uebereinstimmung unter unsern Berichterstattern nicht. Wie kann man unter diesen Umständen einen Schluß auf die Fassung des Dekrets von 1059 selber machen wollen? Betrachtet man den Wortlaut des Dekrets, wie es in zwei verschiedenen Fassungen überliefert ist, so findet sich, daß weder die eine »och die andere eine bessere Antwort auf die Frage gibt, wann

86

III. D«r Äemff am die hierarchische Wahl.

wo und wie die königliche Gewalt in den PoutifikatSwechsel ein­ greift.') ') Z u r Erleichterung des Lesers glauben w ir die entscheidenden S tellen hier beifügen zu sollen und zw ar nach W aitz a. a. O . Quapropter instructi praedeceaaorum noatrorum aliorumque sanctorum patrum auctoritate, decernimua atque atatuimua, u t obeunte hujua Romaoae eccle siae univeraalis pontifice, inprimia ca rd in a le a , diligentiaaima aimul conaideratione tractaotes aalvo debito honore et reverentia dilectisaimi filii noatri Heiurici, qui iupreaentiarum rex h a ­ betur, et futurua Imperator Deo concedente aperatur, sicut jam aibi mediante ejus nuutio L ongobardie cancellario W. conceasimua et successorum illiua, qui ab hac apoatolica sede p e rs o ­ naliter hoc ju s impetravcrint ad conaensum novae electionia accedant: ut \iimirum ne venalitatis morbna qualibet occasione subripiat, religiosi viri cum reverentissimo filio nostro rege Ueinrico preducea sint in promovenda pontificia electione, reliqui vero sequaces.

Q uapropter . . . . inprimia cardinalea epiacopi diligentiaaima aimul conaideratione tractantee, mox aibi clericoa cardinalea adhibeant sicque reliquua clerus et populua ad conaensum novae electionia accedant, ut nimirum ne venalitatia morbus qualibet occasione subripiat religiosi viri praeduces sint in promovendi pontificia electione reliqui autom sequaces . . . Salvo debito honore et reverentia dilecti noatri filii H en ­ ri ci , qui impraeaentiarum rex habetur et futurua imperatorDeo concedente aperatur, sicut jam aibi concessimua et succeasoruin illiua, qui ab hac apoatolica sede personaliter hoc ius impetraveriut.

I n den P rio ritä tsü re it der beiden Faffungen einzugehn. dazu sehe ich hier keinerlei A n laß , dagegen glaube ich der E rklärung wegen 311 Text I. bemerken zu müssen, daß von einem M itw ählen deS Kaisers 311 sprechen auch nicht der leiseste A nlaß ist. W enn m an schon im In te rp retie re n der dun­ keln S te lle weit gehen w ollte, so käme m an doch im m er n u r auf den M o ­ dus, welcher noch heute bei den meisten P rälatenw ahlen unter der I n t e r ­ vention des LandeSsürsten üblich ist. Aber das nennt m an doch nicht einen „M itw äh ler". Ich gestehe meinerseits, daß ich m ir weder nach T e rt I. noch nach Text II. eine genügende Vorstellung über die Theilnahm e des Kaisers zu machen

Allerdings vermag sich die Wissenschaft nur selten bei dem Resultate zu begnügen, daß eine Sache unklar sei. Insbeson­ dere der kritische Forscher, welcher heute seinen Scharfsinn an diese Fragen wendet, geht häufig von der allzubescheidenen An­ sicht aus, daß eine Unsicherheit über eine rechtliche Frage nur Folge eigenen mangelnden Verständnisses sei, und indem er sich bemüht eine Interpretation zu suchen, welche als eine feste Norm gelten könnte, thut er oft das Gegentheil von dem, was in der Absicht des Gesetzes lag. Nikolaus II. berührte in dem Wahldekrete die Frage der Theilnahme deS Kaiserthums, da es wol unmöglich war, bei dem Stande der politischen Dinge die­ selbe auf dem Concil zu ignoriren. Aber muß die Voraus­ setzung bestehn, daß das Dekret die Frage in klarer, endgilttger Weise lösen wollte, eine Frage, welche bereits durch tausend Jahre hindurch in der peinlichsten Schwebe erhalten worden war? Wenn demnach die Ausdrücke der beiden Fassungen des Dekrets bei den verschiedensten Schriftstellern die verschiedensten Deutungen erfahren haben, so beurtheilt man den Gegenstand falsch, wenn man meint, daß nicht alle gleich scharf in den Geist der Sache einzudringen vermochten. Vielmehr war die Absicht des Dekrets keine andere, als eine möglichste Unklarheit eben über die Modalitäten des kaiserlichen Einflusses auf die Wahl bestehn zu lassen. Wenn die Theilnahme des Kaisers an dem Pontifikatswechsel in der einen Fassung etwas schärfer und in unmittelbarerem Zusammenhang mit dem Wahlgeschäft bezeich­ net, in der andern Fassung, welche die Rechtssammlungen auf­ genommen haben, aber völlig unbestimmt gelassen wurde, so ist im Stande bin. Ich sehe nur, daß T e x til, noch unbestimmter und nichts­ sagender ist, als Text I. — und folglich — in den Rechtssammlungen den Vorzug erhielt.

die eine, wie die andere Fassung insofern willkommen als sie einen neuen Beweis der immer wieder von der Curie selbst gewährten Anerkennung des bilateralen Verhältnisses von S ta at und Kirche beim Pontifikatswechsel darbietet.

Aber einen An­

haltspunkt für den praktischen Vorgang bei den nächsten Papst­ wahlen gab daS Dekret dem Kaiser nicht.

M ag eS in der

einen oder in der andern, oder was vielleicht das wahrschein­ lichste ist, in einer dritten Fassung ans der Synode publicirt sein: dem Kaiscrlhtnn bot cs nichts dar, als eine sehr allgemein gehaltene Anerkennung von Rechten, welche seit lausend Jahren in Bezug auf die Form ihrer Ausübung beständig schwankten und ein ganzes Archiv von höchst widersprechenden Gesetzen und Canonen im Gefolge hatten. Unter diesen Umständen wird man es wol als vergebliche Mühe betrachten müssen, die Modalitäten nach dem De k r e t e feststellen zu wollen, unter welchen die kaiserlichen Rechte beim Pontifikatswccbsel wirksam werden sollten. Daß cs Nikolaus II. Absicht nicht gewesen ist, über diesen Punkt eine klare Bestim­ mung zu schasse», dafür haben wir übrigens einen Beweis in einem S c h r e i b e n , welches er selbst über die Synode von 1059 verfaßte und zur Erklärung des Wahldckzets ausgchn ließ. S o unglaublich es nämlich klingt, so sicher ist cö, daß der Papst in dem Rundschreiben, in welchem er eben über die Beschlüsse der römischen Synode Rachricht gab, die ganze Frage über die Theilnahme des Kaisers an der Wahl unerwähnt ließ. E r selbst dachte nicht mit einem Worte der kaiserlichen Rechte, da er die Christenheit darüber belehrte, wie man in Rom die Formen der Papstwahl neu geordnet habe.') Wer unter diesen Umständen '■') M ausi C onc. X IX . 897. W a itz a. a. £>• 109, hat schon bemerkt, daß das Rundschreiben den merkwürdigen Satz, welcher nur im Texte I.

noch zweifelt, welche Bedeutung eS hat, daß des Kaisers in dem Dekrete zwar gedacht wird, eine genauere Bezeichnung sei­ ner Stellung zum Pontifikatswechsel jedoch fehlt, der wird sich allerdings auch schwerlich durch die Erscheinung beirren lassen, daß gerade in den kirchlichen S a m m l u n g e n die nichtssa­ gendere und unbedeutendere Fassung des Dekretes Auf­ nahme gefunden hat. Wenn dagegen diese Erwägungen geeignet erscheinen die Tendenz des Dekrets zu enthüllen, so wird man leicht zu dem Resultate gelangen, daß ein positiver neuer Inhalt in das alte Verhältniß zwischen Kirche und S taat in Betreff der Papst­ wahlen auch jetzt nicht gebracht werden sollte. DaS was Ni­ kolaus beabsichtigte, war lediglich etwas negatives und läßt sich daher auch nur negativ bezeichnen. Er suchte daS Maß des Einflusses, welchen der Kaiser bei den letzten Papstwahlen geübt, zu beschränken, rechtlich einzudämmen, durch die Organisation der hierarchischen Wahl abzuwehren und für die Zukunft immer mehr entbehrlich zu machen. Er suchte die kaiserliche Macht von der Stellung, die sie unter Heinrich III. eingenommen auf das Niveau des achten oder neunten Jahrhunderts zunächst zu­ rückzudrängen.') Historiker und gesetzeskundige Zeitgenossen er­ innerten sich der Bestätigungsrechte des Patrizius, wie sie im vorkommt und der trotzdem in den mannigfaltigsten Berichten wieder er­ scheint >8 nvn papa vel a p o sto licu s sed a p ostaticu s habeatur enthält, während Text II. ihn nicht enthält Dagegen ist die innere Wahleinrichtung soviel übereinstimmender in Text II. geschildert, daß sich Waitz schließlich dahin entschied, den angeführten Satz als echt aber auch den Text II. als echt zn betrachten. Am auffallendsten ist, daß das Verhältniß zu König Heinrich weder nach Text I. noch nach Text II Erwähnung findet. Vgl. die oben eiterten Worte Zöpffels, mit denen wir, wie gesagt, ganz einverstanden find, wenn wir auch auf einein gani andern Wege der Betracktung m diesem Resultate gelangt sind.

L iber diurnus und in älteren Canonen erwähnt werden. Kein W under, daß man sich auf die, wie wir gesehen haben, vielfach angeregte Frage, waS denn nun von S eite des Concils über die kaiserlichen Rechte bestimmt worden wäre, eine Antwort gab, U'clche mit den älteren Satzungen der Kirche ohngefähr stimmte. M an darf an der Hand Petrus D am ianis, Anselms, Bonithos und anderer wol behaupten, daß sich die öffentliche Meinung stark dahin geneigt habe, daß dem Kaiser ein zwischen Wahl und Ordination einzuschicbendeS Bestätigungsrecht zukomme. Doch darf man nickt vergessen, daß auch im Gebiete dieser mehr t heor et i schen Ans icht en einzelner gelehrter M änner jener Zeit eine feste dauernde Ueberzeugung nickt geschaffen wurde und daß bereits vereinzelte Stimmen laut wurden, welche fragten, wozu auch nur die Bestätigung de§ hierarchisch gewählten Papstes? Alles war schwankend, alles war unklar gelassen worden waS sich auf die definitive Ordnung des bilaterale» Verhält­ nisses beziehen konnte. Daß König Heinrich in dem Dekrete überhaupt erwähnt wurde, war dem Umstande zu verdanken, daß man gegenüber von Benedikt X. und den Tusculanen das Schreckbild der furchtbaren Deutschen noch brauchte. Und die H arm onie, deren sich der Papst mit dem Kaiser in beiden Fassungen des Dekretes rühmte, war ihm zugleich eilte G arantie für seinen eigelten Erfolg. Aber gerade in dieser Beziehung verräth das Dekret, daß man die staatskirchliche Frage über­ haupt nicht prinzipiell lösen wollte, sondern den Standpunkt fest hielt, auf welchen die Kirche des achten und neunten J a h r­ hunderts gegenüber den Karolingern sich gestellt hatte. E s ist erforderlich dieser Seite des Dekrets noch einige Aufmerksam­ keit zuzuwenden. Denn nachdem wir bewiesen zu habeil glau-

beit, daß eine allgemeingiltige Normirmig des bilateralen Ver­ hältnisses durch die Synode von 1059 weder angestrebt, noch gewünscht worden, ist, wird es doch für die Entwickelung der Dinge von größter Wichtigkeit sein, die beiderseitigen Waffen für den bevorstehenden Kampf im Momente der Unmündigkeit Heinrichs IV. festzustellen. B e i d e F a s s u n g e n des D e k r e t e s sprechen davon, daß zwischen Heinrich IV. und der römischen Curie ein Vertrag ge­ schlossen worden sei.

ES ist kein Grund vorhanden an dieser

Angabe zu zweifeln.

Allerdings kann dieser Vertrag ebenso­

wenig mit der R e i s e H i l d e b r a n d S an den Deutschen Hof in Zusammenhang gebracht werden, als die Wahl Gerhards von Florenz durch dieselbe herbeigeführt wurde. Allein zwischen dem Tode Stephans und der Wahl Nikolaus II. verstrich mehr als ein halbes Jah r.

Während dieser Zeit hatte d er K a n z ­

l e r W i b e r t reichliche Gelegenheit sich alle nöthigen Vollmach­ ten von der Regentin des Reiches geben zu lassen.

UeberdieS

hatte Wibert seit Victors II. Tode die Stellung eines kaiserlichen BicarS in Italien inne. Ob es nicht schon in feinem eigenen W ir­ kungskreise gelegen hätte, in der Frage der Papstwahl Verträge abzuschließen, wäre nicht undenkbar.

Nun besitzen wir überdies

ein ausdrückliches Zeugniß dafür, daß der kaiserliche Hof dem Markgrafen Gottfried von Toscana Auftrag gegeben habe den Bischof Gerhard nach Rom zu begleiten und seine Weihe zu veranlassen.')

D aß ein solches Gebot auf Bedingungen hin

*) Die Stelle bei L a m b e rt a. a. 1059, die wir in ihrem ersten Theile, welcher sich ans das Verlangen einer Denomination bezieht, als ein M iß ­ verständnis; bezeichnen m ußten, wird doch in ihrer thatsächlichen Meldung aus volle Beweisfähigkeit Anspruch machen dürfen: R ex lia b ita cum p rim eribus d e lib ira tio n e G e rh ard u m F lo re n tim m i episcopv.m, iu quem et R um anorum et T cu to n ic o ru m stu d ia c u n se n sera u t, pontificem

erfolgt fein wird, läßt sich von vornherein annehmen. Die Mittheilung des Wahldekrets wornach ein Pact zwischen den beiden Gewalten durch den Kanzler Wibert abgeschlossen worden sei, erhält durch diese Umstände einen großen Grad von Glaubwürdigkeit. Liegt nun die Antwort auf die Frage, welche Veränderungcn in Betreff der Theilnahme des Kaisers an der Papstwahl vor sich gegangen seien, nicht in dieser Thatsache eines abge­ schlossenen BertrageS klar und deutlich ausgesprochen? Ist d a s P a c t u m , dem wir schon so oft begegnet sind, etwas so unbe­ kanntes gewesen? Und worin bestand eS? W ir erinnern uns, daß cö seil Ludwig dem Frommen stets wiederholt wurde und daß der gewählte Papst dem Kaiser einen Eid leistete — nach dessen Ablegung erst die Consecration folgen durste. Vielleicht werden durch diesen Rückblick die Vorgänge bei der Wahl RifolcmS II. selbst nun klarer werden. Kaiser und Papst erneuerten das alte Pactum; der kaiserliche Hof verzichtete dadurch auf die unter Heinrich III. üblich gewordene Denomi­ nation. M an kehrte zu dem alten Vertragsverhältniß zurück, welches durch Schirmherrschaft und Treueid charakterisirt wird. Ist dieses Resultat der Betrachtung richtig, so findet die in dem Wahlbetret mystisch angedeutete Wahrung der kaiserlichen Ehren d esig n a t Rom ainque per Gotefridum m arcliiouem transm ittit. W as Lambert hier mit Designation bezeichnet, ist nicht zutreffend. M an muß es als eine von dem Hofe ertheilte Bollmacht betrachten mit Gerhard von Flo­ renz über die Wahl zn verhandeln. Allerdings sagt Lambert nichts von der Intervention WibertS, allein auch der Auftrag an Gotfried wird durch den Kanzler gegangen fein J a man kann sich überhaupt kaum denken, daß der Kanzler bei diesen Beschlüssen am Hose tiidst gegenwärtig gewesen sein sollte. Stephan IX. starb am 29. März. Am 12. Juni ist Wibert in Augsburg am kaiserlichen Hoslager, wo eine Reihe von italienische» Angelegenheiten ihre Erledigung finden. Stum pf 2554 —2557.

und Rechte ihre Erklärung, und die vorsichtige Bezugnahme auf den Bertrag schützte die Curie vor allen weiteren Consequenzen, welche etwa die weltliche Macht aus dem Dekrete ziehen konnte. Ohne Präjudiz für die Zukunft berief man sich bloß auf das Thatsächliche. D a man das bilaterale Verhältniß in Rom

auf den

von Fall zu Fall zu verhandelnden Vertragsstandpunkt herab­ gedrückt hatte, vermied man es consequenterweise eine all­ gemein bindende Bestimmung über die kaiserliche Stellung in daS Wahldekret aufzunehmen. Nicht auf Grund einer kanonisch allgemein gütigen Satzung, sondern auf der Basis des von Fall zu Fall zu erneuernden Pottum s, sollte das bilaterale Verhält­ niß zwischen Papstthum und Kaiserthum beim Pontifikatswechsel geordnet sein. AuS diesem Grunde hielt eS denn auch NicolauS II. nicht für nöthig von den Rechten des Kaiserthums in seinem Rundschreiben zu sprechen.

Denn nur die kanonisch all­

gemein gütigen Bestimmungen machte er bekannt, nicht das Paktum, welches zwischen S ta a t und Kirche nach Art älterer Vorgänge abgeschlossen wurde. DaS Wahlrecht der hierarchischen Stände sollte ein für allemal als ewiges Gesetz gelten, daS Paktum trat als zeitliche Einrichtung hinzu, und war nach der Ansicht der Kirche kein Gegenstand der kanonischen Gesetzgebung. Daß aber in Deutschland diese Auffassung des PontisikatswechselS nicht genügte und nicht genügen konnte, ist wol sehr erklärlich.

Denn in einem organischen Statute über die Wahl

sollte der kaiserlichen Macht ihre bestimmte Stellung angewiesen werden.

M an verlangte kaiserlicherseitS die Anerkennung des

Einflusses auf die Wahl in kanonisch gütiger Weise. W ar auf das Denominationsprinzip durch daS Paktum WibertS von Seite des deutschen Hofes ein für allemal verzichtet worden, so war

allerdings zu verlangen, daß das BestättgungSreckt ein für allemale anerkannt worden wäre. Und wie sehr nöthig eine solche kanonische Bestimmung über die staatskirchliche Frage im Wahldekret gewesen wäre, bewiesen die Zeiten Hildebrands und seiner Nachfolger deutlich genug. I n welcher Fasiung man auch daS Wahldckret für echt ansehn mag, die eine wie die an­ dere war durch ihre Unklarheit und durch die rein persönliche Beziehung zu Heinrich IV. gleich geeignet den Eindruck des Schreckens am deutschen Hofe hervorzubringen. Noch war an Gegnern der hierarchischen Auffassung in Deutschland und I ta ­ lien kein Mangel,') wenn man auch seither von den Ultras gänzlich beherrscht gewesen war, und sich in die unter Heinrich III. gangbaren FricdenSphrase» der Kirchenrcform völlig eingelebt hatte. Nun aber schien sich plötzlich und unerwartet der Ab­ grund zu öffnen. Die Zeit der Bormundschaft Heinrichs IV. war von Hildebrand und seiner Partei mit Klugheit benutzt worden, um den ersten Schritt zur Emancipation der Papstwahl zu thun. Schon zwei Jahre nach dem Wahldekret konnte man l) Hieher beziehe ich m it B a x m a n n die S telle bei P e t r u s D a m ia n i. W a t t e r i c h I. 2 4 8 c o n s p ir a n te s c o n tr a R o m a n a m e c c le s ia m C o n c i­ liu m c o lle g is tis , q u o p a p a m q u a s i p e r sy n o d a le m s e n te n tia m c o u d e m n a s t is e t o m n ia , q u a e a b eo f u e ra n t s t a t u t a c a e s a r e in c r e d ib ili

p r o r s u s a u d a c i a p r a e s u m p s is tis .

W ann

die S y n o d e stattgefunden, ist

bekanntlich fraglich. H ier sei sie n u r a ls Zeichen der Opposition gegen das W ahldekret erw ähnt, und zugleich um d arauf aufmerksam zu machen, daß die Verdächtigungen, welche häufig gegen W ibert ausgesprochen werden, er hätte d as W ahldekret N ikolaus I I . zu seinen Gunsten gefälscht, schwerlich haltbar sind, w enn m an bedenkt, daß ja von S e ite der kaiserlichen P a rte i die Beschlüsse der Lateransynode cassirt worden w aren. W ie sollte jem and aus die Id e e kommen, ein Dekret zu fabriziren, dessen W o rtlau t von den eigenen A nhängern als null und nichtig erklärt ist. W ozu dann der F älr schungsversuch, um d ie. dasselbe zu g ew in n en ?

welche das Wahldekret überhaupt verw arfen, fü r

in Rom beim neuen PontifikatSwechsel fast ohne jede Rücksicht auf die weltliche Macht vorgehn. Alexander II. erhielt bis Weihe, ohne daß man die den Glossatoren des Wahldekretes zu folge nothwendige Bestätigung des Königs abgewartet hätte.

In

der Erhebung des Bischofs Cädalus von P arm a, als Gegen­ papst Honorius II., feierte auf der Synode zu Basel Okto­ ber 1061 die kaiserliche Auffassung des Pontifikatswechsels noch einmal einen Triumph, aber schon trat auch in Deutschland die verhängnißvolle Wendung ein, welche den größeren Theil des Volkes und CleruS dem gewaltigen H ild e b ra n d in die Arme trieb. D as große politische und vielleicht noch niemals genug gewürdigte Verdienst des päpstlichen StaatSsecretärs bestand darin, die über das Wahldekret aufgeregten staatlichen Ge­ walten wieder einzuschläfern und zu beruhigen, um nachher bei ungeschwächter Wirksamkeit der neuen Constitution den Schein des Angriffs von der Kirche abzuwälzen und alle Schuld des Conflicts otif die kaiserliche Gewalt werfen zu können.

Daß

dies der römischen Curie in außerordentlichster Weise gelungen, daß wirklich der größte Theil der Menschen an die Unter­ drückung der Kirche durch die Staatsgewalt nachher glaubte, daß insbesondre die guten deutschen Fürsten und Völker zwanzig Jahre später kaum eine Ahnung von der unglaublichen Verän­ derung der kirchen- und staatsrechtlichen Verhältnisse hatten, daß daö Papstthum so vollkommen richtig auf die Unzurechnungs­ fähigkeit der Menschen in politischen Dingen und ans das rasche Vergessen gerechnet und Recht behalten, hierin liegt der große 'Zug der kirchlichen Praxis im Zeitalter Hildebrands, wie es in der Politik fast nie oder nur höchst selten wieder zu Tage getreten ist

Tie heutige Geschichtsforschung vermag nur müh-

sam die Regungen der Opposition in Deutschland gegen das Dekret vom Ja h re 1059 aus den zur päpstlichen Fahne schwö­ renden Geschichtsschreibern der Zeit zu rcconstruiren, und schon die damalige W elt hatte oben und unten über den S tre it den Anfang deS S treites aus den Augen verloren. Gleich als wäre H e in r ic h IV. d e r N e u e r e r , der Bösewicht, der die Verän­ derung hervorgebracht, fanden sich die „Unparteiischen", die we­ der in Politik noch in Geschichtschreibung einem Jahrhundert fehlten, sogleich in Masse und schüttelten ängstlich die Köpfe, a ls der Kaiser von seinem unzweideutigen alten Rechte G e­ brauch

machte und den

einsetzen ließ.

D enn das

Papst

absetzen und seinen Wibert

w ar wider das Dekret, wider die ka­

nonische O rdnung, es w ar wider die Verträge, welche aber nie vertragen worden, wider die Kirchenfreiheit, welche aber das Kaiserthum niemals gewährt, wider den angeblichen Geist deS Christenthums, welcher aber nie einer S taatsgew alt einleuch­ tete,

ja cs

schien

selbst gegen die

langjährige Tradition

des salischen Kaisergeschlechts, gegen die guten und frommen Anschauungen des eigenen V aters zu verstoßen — w as Hein­ rich IV. that und in sprunghaften Nothlagen, dem gefangenen Vogel gleich flatternd, thun mußte. W ir vermögen nicht die große und merkwürdige Zeit zu schildern.

W ir wünschen auch

nicht

den Verdacht zuerregen,

a ls ob mit den angedeuteten Gesichtspunkten die Lobredner Hein­ richs IV. verstärkt, oder die gewöhnlichen ehedem sogenannten aufgeklärten oder liberalen Ankläger G regors VII. gelobt wer­ den sollten. E s sollte nur bemerkt werden, daß vieles von dem, was in diesem entscheidenden Jahrhundert gelang, lediglich der politischen Ueberlegenheit, dem Geschick, der Mache zuzuschreiben war.

I n dem weltlichen Regiment fehlte es an durckgreifender

Präcision, nicht an einzelnen hervorragenden Menschen; die kirch­ liche Leitung des Kampfes hatte die feste Tradition für sich, sie war es, welche ihrerseits auch kleinere Menschen groß machen konnte.

D ie kirchliche Kunst lag immer in der paffenden Appli­

cation Eine« Systems, die Staatskunst dagegen erlag durch da« Schwanken vieler Systeme. Bon Heinrich IV. würde eine solche Darstellung der politischen Motive und M ittet vielleicht ein im ganzen noch ungünstigere« B ild entwerfen müssen, als selbst die stärksten kirchlichen Eiferer gethan, denn er war ein Haupt­ held des Systemwechsels, der politischen Unbeständigkeit und Wetterweüdigkeit, aber seine Sache als solche systematisch erfaßt, zum klaren Bewußtsein erhoben — diese Sache in ihrem Ge­ gensatz gegen die starre kanonische Rechtsentwicklung ist cs, welche die moderne Geschichtschreibung aus lauter Unparteilich­ keit fast parteiisch zu Boden fallen ließ. Die Gründlichkeit un­ seres Wesens hat unsern Scharfsinn geschwächt für den gefähr­ lichen Gegensatz, der sich seit Gregors VII. Zeit im Mark der Gesellschaft zur verdorrenden Krankheit entwickelte. N ur sehr all­ mählich zuckt das erwachende Bewußtsein, daß die Nerven des S ta ate- durch diesen Gregor gelähmt worden sein könnten. S o lange der P r o t e s t a n t i s m u s in territorialer Abgeschlossenheit sein Romfreies Dasein als a u s r e i c h e n d e s H e i l m i t t e l da­ gegen betrachtete, mochte Deutschland in seinen k l e i n e r e n G ä n g e n die L a h m h e i t nicht allzu tief empfinden, aber in dem Augenblicke, wo der große gewaltige S ta a t, die deutsche Weltmacht entsteht, pocht Gregor VII. noch heute so heftig auf sein kanonisches Recht, als zur Zeit von Canossa. Wenn das Dekret Nikolaus II. die Absicht verfolgte, de»» Pontifikatswecbsel ans eine durch die Wabl gesicherte, unabhän­ gige und festere Grundlage zu stellen, so zeigte sich in den folv c i e n j , P u v jtw a h l und Jxiv.feu lu im .

7

genden Zeiten dennoch eine Reihe von inneren Stürm en und Kämpfen, welche den Einfluß der weltlichen Gewalt in jedem Augenblicke wieder aufleben machen konnten. Die durch das Dekret g estärk te H ie ra rc h ie war zwar in der Tendenz ge­ gen die kaiserlichen Rechte einig, aber sie war es nicht in allen Fragen, die sich auf die innere Organisation ihrer Wah­ len bezogen. W ir sehen es zwar nicht als unsere Aufgabe an, die in­ ternen Vorgänge der Papstwahlen ihrer selbst wegen zu erör­ tern, aber bei dem Gange der Dinge in dem hierarchischen Rom hieng die schon durch das Dekret Nikolaus II. a n g e s tre b te B e­ seitigung des kaiserlichen Einflusses eben davon ab, daß es ge­ lang, das innere Wahlgeschäft so gut als möglich zu organi­ sieren. Sollte das bilaterale Verhältniß zwischen S taat und Kirche im Punkte des Pontifikatswechsels dem ausschließlichen Prinzip der hierarchischen Papstwahl weichen, so mußte die letz­ tere eine zuverlässig arbeitende Maschine sein, der gegenüber fremder, staatlicher Eingriff unmöglich wurde. Nun konnte aber die Vollkommenheit der inneren Wahleinrichtungen nicht so rasch erreicht werden, als man wünschte. E s bedurfte der Ge­ setzgebung und Consequenz von mehreren hundert Jahren, um den h ie ra rc h isc h e n G e d a n k e n der fre ie n P a p s tw a h l endlich zu verwirklichen. Und insofern, als die Verbesserung der inneren Organisation die Stellung des S taates beim Pontifikatswechsel von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr verdrängte, wird es auch für unsere Betrachtung nöthig, den Hauptpunkten der Entwickelung unsere Aufmerksamkeit zu widmen. D as Jahrhundert von Nikolaus II. bis zu Alexander III. kann man in Rücksicht auf die Papstwahl die E poche d e s S t r e i t e s der hi erarchi schen O r d i n e s nennen. Bei der

W a h l A le x a n d e r - II. scheinen die Cardinaldischöfe einen entschieden vorwiegenden Einfluß usurpirt zu haben/) bei der W a h l H i l d e b r a n d S , de- gewaltigen Gregor VII., dem doch der Haupteinfluß bei Abfassung de- Dekrete- MkolauS II. zu­ geschrieben wird, stieß man die Bestimmungen desselben um, fall- eS richtig ist, daß die Cardinaldischöfe den Vorschlag zu machen hatten und an die unteren OrdineS bloß zum Zwecke der Zustimmung gelangen kaffen sollten. B ei den spätern Papst­ wahlen vermochten die Cardinaldischöfe ihr Uebergewicht über die beiden unteren Stände nie mehr zu behaupten.

Auch der

übrige CleruS, ja selbst da- Volk war noch durchaus nicht völlig beseitigt. Es kam bei manchen Papstwahlen der folgenden Zeit sehr viel auf die Stimmung der untersten Stufen der hierar­ chischen Welt an, obwohl die Stimmen dieser päpstlichen Wähler erst erschollen, wenn da- Hauptgeschäft der Wahlver­ handlungen vorüber war. Ja als höchst beachtenöwerth muß man eS hervorheben, daß bei der Uneinigkeit der Cardinäle U r b a n II. sogar den Schritt wagte, seinen Nachfolger zu de­ signieren, welcher nnter dem Namen Pascha! II. den päpst­ lichen Stuhl bestieg.') ') Dagegen hält Zöpffcl S 103 die W ahl Alexanders II. für die ein­ zig legitime, die überhaupt nach dem — seiner Ansicht zufolge echten — Text II. des Dekrets vorgekommen ist. Darnach hatte also das Wahldekret NicolauS nur die Bedeutung, daß eS nie befolgt wurde. Ich wähle den Ausdruck: usurpieren nicht in der Absicht, als Kielt« ich das Gegentheil von dem, wa» Zöpffel festzustellen bemüht ist, für richtig, sondern lediglich im Hinblick ans die ganze frühere und nachfolgende tausendjährige Papstwahl­ geschichte, bei der nie ein solcher vorwiegender Einfluß der Cardinaldischöfe vorkam, wie bei der W ahl Alexander- II. E s ist ein Borsall, der nachmals bei den Canoniste» und Kirchen­ historikern sehr verpönt w u rd e, weshalb B a ro n iu s a. a. 1100 X II. 4 einen andern Bericht vorzieht. Allein die M ittheilung Kkkebardi a. a. 1099 wird sich schwerlich bestreiten lasse»: Seil a o te q u am ex liac vita m ig ra -

100

ITT. Der Km iU um die hierarchische Wahl.

W aren demnach die neuen Wahlformen keineswegs als eine hinlängliche Garantie für die Herrschaft des hierarchischen P rin ­ zips erschienen, so vermochte man auch den Kampf und Gegen­ satz der römischen Adelsgeschlechter nicht durchaus von allem Einflüsse auf die wählenden Eardinäle fern zu halten. W aren früher die hierarchischen W ahlen von Gegnern des Systems überhaupt, von weltlichen Machthabern bestritten, und waren Gegenpäpste aufgestanden, weil, wie man sich ausdrückte, die B osheit der Staatsgew alt dazu reizte, so konnte das unter die Rubrik der Verfolgung der Kirche gesetzt werden; wenn aber die neue Wahlmaschine selbst den Dienst vedsagte, so w ar dies vielleicht noch schmerzlicher, als die kaum erst beseitigte E in­ mischung deS Kaisers tu den Pontifikatswechsel. Nach dem T o d e C a l i xt uö II. maßen die beiden einflußreichsten Geschlechter Rom s die Frangipane und Pierleoni zum erstenmale ihre Kräfte bei der P a p s t w a h l H o n o r i u S I I., welcher gegen Coe l esti n II. schließlich das Feld behauptete. Sieht man dabei von allen politischen Nebenumständen ab, so beweist der W ahl­ vorgang, daß keineswegs die der eigentlichen W ahl vorher­ gehende Verhandlung der Cardinäle die ausschließliche Entschei­ dung herbeiführte.') Noch w ar der Antheil der Masse des r e t , s p i r l t u i n s t r u c t u s d i v i n o , R e giuhe rum c a rd in a le m de s a n c t o C l e m e u t e n o b i l e m R o m a n u m d e s i g n a v i t in r e g i m e n a p o e t o l i c u m e Ü g e n d u m , q u e m e t i a m r e v e l a t i o n i b u g aliis i n s a p e r d e n o t a tu m , u ni v e r s a R o m a n a E c c l e s i a

p astorem

sibi c o n s e c r a t , l i c e t in -

v itum , P a s c a le m a p p e lla n s eum . ’) Zöpffel a. a O unterscheidet zwar sehr schön zwischen der t r a c t a t i o nnd l a u d a t i o , aber da8 Wesen der letzteren ist unterschätzt. Diese L a u d a t i o ist nämlich auch noch im 12. J a h rh u n d e r t die v l e c t i o . und alle S c h r ift­ steller verstehen eben unter dem e l e c t n s gerade den Akt, welchen der heutige J u r i s t immerhin l a u d a t i o nennen mag, aber er muß sich vergegenwärtigen, daß er bis aus Alexander l l l das entscbeidende blieb Vgl S 107 n. 1

Coeleftin II. und Honorius II.

101

CleruS und Volkes so groß, daß Frangipane die von den Car­ dinälen getroffene Wahl umstoßen und die Erhebung seines Candidaten, des Lambert, Bischofs von Ostia, bewirken konnte. Die Cardinäle erkannten aber die Gefahr, welche in diesem Vorgänge für sie lag, und so wurde HonoriuS II. am siebenten Tage nach seiner Inthronisation bestimmt, Mitra und Purpur wieder abzulegen und hierauf eine neue Wahl der Cardinäle vornehmen zu lassen. Diese fiel nun selbstverständlich auf Lam­ bert von Ostia, denn es handelte sich eben nur darum, daß kein Präjudiz geschaffen und die Stimme des Volkes nicht wieder zu einem die Wahl entscheidenden Momente werde. Man sollte nicht sagen dürfen, die Wahl der Cardinäle habe der Wahl des Volkes weichen müssen, Honorius II. habe im Widerspruche gegen die CardinalSwahl seifte M itra durch den Zuruf des Volkes erhalten?) !) Ueber den Hergang muß man die v ita von P ad u lp h mit der ß o so s vergleichen. W atterich II. 157. E piscopi e t cardinales intrarnnt, ibique p o st verba aliquot, Jo n a th a s sanctorum Cosm ae e t D am iani diaconus cardinalis collaudantibus o m nibus, ipso etiam domino L am berto episco p o , T heobaldum cardiualem presbiterum . . . . etc. Hierauf beginnt schon daS te deuro laudam us, da kommt nun R obertus im pios F raiap an e . . cum quibusdam consentaneis suis e t aliquibus de curia L am bertum O stieusem episcopum P a p am acclam averunt. Man sieht: BolkSwahl gegen einstimmige CardinalSwahl. Unbemerkt sollte man auch nicht lasten, daß hier der Ausdruck laudare oder collaudare nicht von dem zweiten, sondern von dem ersten Akt gebraucht ist, wozu man Parallelstellen genug fände. B oso erzählt bezeichnend für den Standpunkt der Cardinäle: Sed quia electio eius H ooorii minus canonice p ro cesserat p o st septem dies in conspectn fratrum sponte mitram e t mantum refutavit atque deposuit. F ra tre s vero tarn episcopi-,quam presbyteri- e t diaconicardinales videntes ipsius humilitatem e t prospiciesttes in posterum , ne in R o m an am e c c l e s i a i n a l i q u a m i n d u c e r e u t n o v i t a t c m, quod perperaiu factum fuerat. in melius reform arunt e t eundeiii Hoüonum . . . etc.

102

III. Der Kampf tun die hierarchische Wahl

War auf diese Weise da« Aergerniß einer Doppeüoahl gleichsam im Keime erstickt, so trat der Zwiespalt unter den Cardinälen bei der Wahl Jn n o c e n z ll. und A n aclet'S un­ verhüllt vor die Welt. Au« den Wahlakten geht hervor, daß die Cardinalbischöfe der Mehrzahl nach für Jnnocenz II. einge­ treten waren, während von den Presbytern und Diaconen ohne Zweifel die größere Menge auf Seite Anaclet'S stand. Unter den Wählern Anaclet'S wird aber auch der übrige CleruS von Rom sehr genau verzeichnet, während Jnnocenz II. auf Zustim­ mung des Clerus und Bolkes wohl niemals rechnen konnte und dieselbe auch nicht erlangte. I n dieser Richtung darf daher die Wahl Jnnocenz II. als eine der frühesten hervorgehoben wer­ den, wo das Moment der.Zustimmung von Clerus und Volk von den wählenden Cardinälen als'überflüssig betrachtet wurde.') Wichtiger aber für die staatskirchliche Frage erscheint nun der Umstand, daß beide Parteien und beide Päpste sich genö­ thigt sahen, noch einmal an die weltlichen Mächte zu appelliren, auf deren Anerkennung doch schließlich die Ausübung der Pon­ tifikatsgewalt beruhte. Seit die hierarchische Richtung den Sieg über die von Heinrich IV. aufgestellten Gegenpäpste davonge­ tragen hatte, touren thatsächlich die Pontifikatswechsel ohne direkte Einwirkung des Kaiserthnms geblieben. D as päpstliche Schisma dagegen konnte Heilung nur durch die weltliche Gewalt finden. Daß das Papstthum ohne diese Anerkennung des Kaiserthums nicht bestehen könne und Bestand finden würde, war von bei­ den Parteien gleichermaßen zugegeben. Aber bezeichnend ist eS, daß sich beide römischen Päpste nicht mehr ausschließlich an den ') D ie W ähler Jnnoce»; II. nennt B o so gleich im Ansang der vita. D ie W ähler AnacletS dagegen lernt m an ans dem Schreiben an Lothar kennen. Vgl. W a ttu rie b I I. 174 u. 185.

deutschen König und künftigen Kaiser halten zu müssen glaubten. Anaclet wandte sich an alle Welt, zuweilen in recht demüthigen Schreiben, um Anerkennung seiner päpstlichen Gewalt.

Jnno-

cenz H. verhandelte nach seiner Flucht au« Italien zuerst undvor allem mit Frankreich und trat erst hierauf zu K ö ni g Lo­ thar in Beziehungen, doch leider sind die Verhandlungen nicht genau genug bekannt, um ein Urtheil begründen zu können, wie man in den streng kirchlichen Kreisen da« bilaterale Verhältniß zwischen Staat und Kirche bei der Papstwahl nach Beendigung de« Jnvestiturstreit« auffaßte.

Au« dem Schreiben der Wähler

Anaclet« an König Lothar dagegen geht deutlich hervor, daß may den Standpunkt de« Wahldekrets Nicolau« II. bereit« vollständig über Bord geworfen hatte.

Wa« die Wähler Ana-

clet'S von Lothar verlangen, ist die einfache Anerkennung, wie sie in päpstlichen Briefen de« 15. Jahrhundert« nicht mit an­ dern Worten von den staatlichen Gewalten gefordert wurde, oder wie sich dieselbe bi« auf den heutigen Tag im diplomatischen Wege zu vollziehen pflegt.

S o rasch und gründlich war man

von der Anschauung, die noch im Wahldekret Mcolau« II. vor­ herrschte, abgekommen, und so entschieden hatte man da« bila­ terale Verhältniß auf die einfache An er ke n nu ng s fr a ge zu­ rückgeführt.') ') Der sonst von Parteilichkeit strotzende Bries an Lothar faßt die Stel­ lung de« Kaiser« folgendermaßen ans: Rogamus itaque discretiouem tuam e t in Domino commonemus, ut si Romanam ecclesiam piis optaa solatiis et etndiis confouere, si imperii tui moderamina per sedem cupis Apostolicam roborari, cum Rornana simul ecclesia sapias, aequa nobis pietate concordea et dominum Anacletum, quem nanimi omnes devotioue praefecimus catbolicum Papam, feliciter recognoscas et debitam ei praedecessorum tuorum more affectionem reverenter exbibeas. Nicht ohne die Drohung schließt der Brief: Me­ mento etiam, quod Roboam regi illi contigit, qui coneilio iuvenum uequievit, al sacerdotum nolnit consiliis obedire.

10 4

III. Der Jfompt um die hierarchische Wahl.

D aß indeß selbst in dieser abgeschwächten Form die S te l­ lung der weltlichen Macht immerhin in Betreff des PontifikatSwechselS ein schwerwiegendes M oment blieb, mußten Anaclet II. und seine Anhänger nur zu schmerzlich erfahren. D enn in dem B eitrage, welchen In n e re n ; II. mit Lothar schloß, lag das A b s e t z u n g s u r t h e i l d e s G e g e n p a p s t e S .

Znnocenz II.

w ar kein Kaiserpapst, allein ohne Lothars Röm erfahrt wäre er nie zur Herrschaft gelangt.

D aß ihn der Kaiser anerkannte,,

daß ihm die Schutzherrlichkeit desselben zu Theil wurde, w ar doch in W ahrheit die B asis seines ganzen wichtigen und ein­ greifenden Pontifikats.

O b der Vertrag dinieren; mit Lothar

den alten karolingischen Patten beim PoutifikatSwechsel nicht we­ nigstens als Analogie zur S eite gestellt werden dürfte, wäre eine Frage, die der Untersuchung werth wäre.

F ü r die kirch­

liche P artei aber lag schon in der Doppelwahl des JahreS 1130 ein mächtiger Antrieb, durch Verbesserungen der Wahlmaschine­ rie dem erneuten Einfluß weltlicher Mächte nach Möglichkeit entgegenzuarbeiten. Roch schlimmeres aber sollte sich ereignen, bevor es zu einem neuen Dekrete kam, welches das Nebergewicht des Cardinalcollegiums und die Unabhängigkeit und Einheit der W ahl dauernder und fester begründete. Rach dem Tode H a d r i a n s IV. trat daS verderbliche Schisma zwischen A l e x a n d e r III. und V i c t o r IV. ein.

Die Wahlvorgänge waren sehr tumultuarisch

und sind bei dem Widersweit der Parteien auch heute kaum sicher festzustellen.

Die Anhänger des C ardinals Roland waren

jedenfalls in der M ajorität, aber die Behauptung derselben, der C ardinal O ctavianus habe selbdritt die Jn m an tiru ng RolandS verhindert und feine eigene Erhebung durch materielle Gewalt bewerkstelligt, ist mit so unwahrscheinlicher, alö auch das außer-

halb harrende Volk nach denselben Berichten sich gegen Victor IV. mit Spott und Drohung erhob.') Wichtiger als die in Folge der Doppelwahl entstandenen Kämpfe in Rom ist für uns die Frage, wie man dreißig Jahre nach der Einsetzung Jnnocenz II. durch Lothar, die Stellung des Kaisers von Seite Alexan­ ders III. beurtheilte. Friedrich I. wollte eine Entscheidung auf synodalem Wege treffen lassen, aber die Anhänger MlexanderS verwarfen eine Prüfung dieser Art als uncanonisch. S ie mochten sich an die unter kaiserlicher Autorität versammel­ ten Concilien vorhergegangener Jahrhunderte erinnern, auf de­ nen Wahlfragen entschieden worden sind, und welche das ge­ waltigste Uebergewicht der weltlichen Macht zur Folge hatten. Der Fortschritt, welchen Alerander III. in dem hierarchischen System bezeichnet, liegt darin, daß er der erste war, welcher das bilaterale Verhältniß zwischen Papstthum und Kaiserthum in Betreff der Wahl überhaupt läugnete und selbst die Aner­ kennung der weltlichen Macht für entbehrlich erachtete. I n der That muß man das Wahldekret, das er am Ende seiner Regierung-auf dem lateranischen Concil von 1179 publicirte, eben unter diesem Gesichtspunkte seiner durch Zwanzig Jahre hindurch praktisch geübten Politik betracbten. Wenn aber behauptet wird, die D e kr e ta le L i c e t de v i t a n d a vervoll­ ständigte bloß die Gesetzgebung über die Papstwahlen, so ist dies nur in dem ideellen Sinne richtig, wornach die ganze Ten­ denz der Kirche nach einer ausschließlichen Herrschaft des hierar]) B o s o s B e r ic h t, v ita A le x a n d r i, W a tte ric h I t . 378 ist durch den verkehrt angelegten M antel V ictors IV . und durch die Parteinahm e des Volkes für Alexander I I I . so lebendig und eindringend in seiner Schilde­ rung, daß man ihn fast überall wiederholt findet. Wie ist aber möglich, daß o m n c s

iju otqu ot

»*i G u i d u n e m . . . .

fuerunt

praeter

O ctavian nm

. . . .

J o h a n n um

ihren Gewählten nicht durcknisetren V e n n e a e n ?

106

III. Der Kamps nm dir hierarchisch« Wahl.

chischen Elements über das staatliche und Datenelement strebte. Im übrigen aber schnitt die Dekretale Alexanders III. in ihren Cousequenzen viel tiefer in daS bilaterale Verhältniß von S ta at und Kirche in Betreff der Papstwahlen ein, als irgend eines der andern schon erwähnten, oder noch zu besprechendrn Wahl­ gesetze.

Und diese gewaltige Wirkung erreichte die Dekretale

Licet de vitanda durch eine sehr unscheinbare Maßregel, welche nach ihrer positiven Seite betrachtet kaum als eine erhebliche Neuerung angesehen werden konnte, dagegen aber in der Ne­ gation aller Faktoren des Pontifikatswechsels außer dem Cardinalcollegium geradezu epochemachend ist. Denn die Dekretalc schließt jeden Widerspruch gegen den von zwei Dritteln der Cardinäle gewählten Papst, von welcher Seite sich auch ein solcher erheben mag, gesetzlich aus. Zugleich wird zum erstenmale bei Papstwahlen das Prinzip des Skrutiniums anerkannt, und ferner die für eine einhellige Wahl wesentliche Erleichterung geschaffen, daß auahtbefret N 'kolau s II Bezug genom m en warb.

HI. Der Kampf um die hierarchische Wahl.

11 6

Theodowald schon zu Clemens IV. Zeit nicht entziehen.

Als

G r e g o r X. setzte er die große Maßregel durch, welche unter dem Namen der C o n c l a v e o r d n u n g , wenn auch nicht in ihrer Strenge, so doch in den wesentlichsten Punkten heute aufrecht steht.

E s war auf dem Lyo ner C o n c i l vom Jahre 1274,

wo diese merkwürdige Constitution gegeben wurde.

S ie will

nur das, was von den-frühern Päpsten und zur Vermeidung veS Zwiespalts insbesondere von Alexander III. verfügt worden ist, ergänzen.

Nicht eine Veränderung, sondern eine Verbesse­

rung sollte in dem System der Papstwahlen vor sich gehen.') Den Bestimmungen der neuen Ordnung liegen zwei Hauptgedanken zu Grunde: Absperrung der Wähler und B e­ schleunigung des Wahlgeschäfteö.

W as das erstere anbelangt,

so verlangt Gregor X. gemeinschaftliche Wohnung der Wähler ohne Abtheilungen für jeden einzelnen bei mäßiger Kost, Vor­ sichtsmaßregeln gegen Eintritt fremder Personen und gegen Verkehr überhaupt; in Bezug auf die letzteren Zwecke sind die ') D ie Constitution Gregors X . ist sehr umfangreich und bezieht sich in sehr merkwürdiger Weise auf die früheren Wahlverordnungen: Id eoq ac om nia, quae pro evitan da discord ia in electio n e Romani pontificis a n ostris praedecessoribu s e t praecipue a fei. rec. A lexandro P ap a III. salubriter in stitu ta : om nino im m ota in sua firmitate manere c en se n tes: nih il enim illis detrahere intendim us, sed quod experientia d e e sse probavit, praesen ti constitutione supplere. Die Bestimmung über die Wahl an jenem Orte, wo sich der Papst mit der Curie zuletzt befand »ud die weitere, daß die anwesenden Cardinäle die abwesenden durch zehn Tage erwarten, geht der strengen Conclaveordnung voran. Wichtig wird min in dieser und in den folgenden Constitutionen die Vorschrift über legales Verhalten der Wähler: E t nos nihilom inus p a c tio n e s, c o n v e n tio n e s, o b lig n tio n e s, com licta e t iuteudim enta omnia, siv e iiiramenti, siv c cn ju slib et nlterius fucrint vincnlo firmitatis in n ixa, c a ssa m u s, irritam us, e t viribus decernim us omnin carere.

Vorschriften über den Zusammentritt des Conclaves zehn Tage nach dem Tode des Papstes und die Voraussetzung, daß die Wahl ordnungsmäßig binnen drei Tagen beendigt sein sollte, als maßgebend zu betrachten.

D ie allmähliche Entziehung der

Speisen bis zu Wein, Wasser und B rot darf als eine Zwangs­ maßregel im eigentlichsten Sinne aufgefaßt werden, um Eile und Einigung zu bewirken.

Auch die Anordnung, daß das

Conclave dort zu halten sei, wo sich der Papst zuletzt mit der Curie befand, hatte ebenfalls nur den Zweck, um Zeit zu er­ sparen und um die SediSvacanz nicht durch Zwischenfälle der sonst nach Rom reifenden Wähler zu verlängern.

I n ihrer

ganzen Tragweite wurde diese Bestimmung kaum zur Zeit des Lyoner Concils erfaßt.

Denn durch dieselbe ist später die bau­

ernde Verlegung des päpstlichen Stuhles von Rom rechtlich möglich geworden. Wie die Dinge aber im Jahre 1274 lagen, schienen strengkirchlich gesinnte M änner lange- Sedisvacanzen unter allen Umständen für das gefährlichste und bedenklichste zu halten, und diesen sollte die neue Ordnung entgegenwirken. Im übrigen ist in der Constitution selbst nicht viel über die Motive einer so strengen und auffallenden Maßregel gesagt. Den meisten Cardinälen selbst war sie nicht erwünscht.

M it

der Approbation des versammelten Concils publicirt, hatte die Constitution gerade unter jenen, welche sie ausführen sollten, zahlreiche Feinde.

W ar vor der Erhebung Gregors X. eine

SediSvacanz von mehr als zwei Jahren eingetreten, so schien diese Thatsache daS harte Gesetz hinlänglich zu rechtfertigen. Nichtsdestoweniger mußten sich zwei der nachfolgenden Päpste bequemen, die Wahlconstitutiou Gregors X. aufzuheben. Erneuerung derselben erfolgte erst

Eine

nachdem eine abermalige

lange SediSvacau; gleichsam den Beweis ihrer Nützlichkeit gab.

118

III. Der Kampf um die hierarchische Wahl

Wenn sie aber den Zweck hatte, durch Beschleunigung deWahlgeschäfteö zugleich den Einfluß der fremden Staaten auf die Wähler zu verhindern, so föimte man schwerlich behaupten, daß dieses Ziel erreicht worden sei. Nach dem Tode B e n e d i k t s X I. im Ju li 1304 versam­ melten sich die Cardinäle in Perugia, wo sich die Curie zuletzt befand. Allein ihre Verhandlungen währten elf M onate, bis es gelang, dem Erzbischof B e r t r a n d von B o r d e a u x die nöthige Zweidrittel M ajorität zu verschaffen. ES war C l e ­ m e n s V., der die Uebertragung des päpstlichen Stuhles nach Avignon vollzog. Die Geschichte seiner Wahl ist nach der Ueberlieferung eines populären italienischen Geschichtsschreibers bekannt genug: da sich die Italiener und Franzosen nicht zu einigen vermochten, so schlugen die erster» endlich drei franzö­ sische Candidaten — aber M änner von der entschiedensten Feind­ seligkeit gegen König Philipp von Frankreich vor. Nach 40 T a­ gen, so lautete der Vertrag, sollten die französischen Cardinäle sich für einen der drei von den Italienern bezeichneten Franzosen, entscheiden. Aber diesen Zwischenraum benutzte König Philipp, versöhnte und verständigte sich mit Bertrand de Got, welcher einer der drei Candidaten war, und so wählten ihn zum großen Erstaunen der. getäuschten Italiener die Franzosen am 5. Juni 1305.') Von dieser Erzählung ist soviel wahr, daß zwischen König P h i l i p p und seinem vom Papste BonifaziuS V III. zum Erz’) Billanis Darstellung nur zu erwähnen, möchte vielleicht heute mehr al» je als „unkritisch" erscheinen, indeß wer auch die Erzählung zuerst auf­ geschrieben, eine gewisse Beachtung wird sie stets finde», beim sie entspricht in vorzüglichem Maße der Situation und ist daher sicher eine sehr alte ita­ lienische Anekdote.

bischof erhobenen kirchlichen Gegner Bertrand de Got eine Aussöhnung stattgefunden, und daß die Franzosen unter den Cardinälen ihre italienischen Genoffen und vor allem die ColonnaS getäuscht hatten.') I n Italien war man allgemein überzeugt, daß hier eine der unerhörtesten Wahlintriguen ge­ spielt habe, und die öffentliche Meinung bezeichnete Clemens V. als Simonisten der unzweifelhaftesten Art. Eine vollständige Klarheit über die Wahlvorgänge aber besitzt man nicht, wenn auch der Umstand, daß die Kirche die Legalität des Papstthums Clemens V. niemals bestritten, keinen Beweis für die strenge Beobachtung der kanonischen Vorschriften bei seiner Wahl zu liefern geeignet wäre. Gleich nach der Wahl BertrandS muß unter den Italienern die Vermuthung entstanden sein, daß Cle­ mens V. sich weigern könnte, seinen S itz in Rom zu neh­ men, denn gleich mit dem Wahldekrete sendeten die Cardinäle eine dringende Aufforderung, die italienischen Angelegenheiten vor allen Dingen wahrzunehmen und die Reise nach Italien anzutreten. „Kein Zweifel, so stellten sie Clemens vor,') daß ’) D ie Erzählung der Wahl in der H isto ire des con claves I . — ich benutze die Ausgabe Lyon 1691 — ist im allgemeinen der französischen Ueberlieferung entsprechend, aber ebenfalls sehr belehrend und zugebend, daß Jakob Colonna eigentlich der Getäuschte war. 2) Der Brief der Cärdinäle an Bertrand de Got, „Erzbischof von Bor­ deaux (electio n is decretum una cum presentibus litteris tranem ittimus' verräth allerdings deutlich, daß man die Absichten der französischen Regierung kannte: Succurrite, inquimus, succnrrite pater e t sau ciatorum vulnera presentialiter purgate vino et purgata oleo confovete. N ou dubium quippe quod in sed e P etri sed eb itis sortier e t lucebitis clarior, in terra eins vivetis quietior, et rem otis Regibns principibus atque populis admirabilior oritis e t ipsornm devotionem e t obedientiam plenius acquiretis. In sua namque domo e st unusquisque planeta potentior. E o sis iuxta capulnm minus eiu squ e parsque m agis distat a capulo plus in cid it Et. visa frequenter

120

HI-

Der Kamps um

die

hierarchische Wahl

er auf dem Stuhle Petri sitzend mächtiger und glänzender re­ gieren, ruhiger leben und wenn er die Ansprüche der Könige und Fürsten zurückgewiesen haben werde, ihre Obedienz und Unterthänigkcit in vollständigster Weise erlangen werde. Denn nur in seiner eigenen Bahn besitze ein Himmelsgestirn seine Kraft." ES war ein Versuch, das Papstthum dem italienischen B o­ den zu erhalten. Wenn auch der Vertrag, welchen Philipp mit Clemens abgeschlossen haben sollte, in der überlieferten Weise kaum glaubwürdig erscheint, so ist eS der französischen S t a a t s k u n s t doch gelungen, den päpstlichen S t u h l in Fr ankr ei ch festzuhalten und einheimisch zu machen. Trotz aller Vorsicht der päpstlichen Wahlgesetzgcbung war die franzö­ sische Krone Meister des PontifikatSwechsclS geworden. Selbst­ verständlich trat nun das bilaterale Verhältniß der Kirche zum Kaiserthum als solchem gänzlich in den Hintergrund, allein für die nationale Entwickelung der deutschen Angelegenheiten brachte die dauernde Uebcrsiedlung des päpstlichen Stuhles nach Frank­ reich nicht zu unterschätzende V o r t h e i l e . Indem der altherge­ brachte Einfluß deö deutschen Kaiserthums auf den PontifikatSwechsel an Frankreich gefallen war, blieb dem deutschen gleiche eine objektivere und daher freiere Entschließung den Papstwahlen gegenüber anheimgestellt. Die Frage deS PoutifikatSwcchselö begann für Deutschland seine bisherigen Verwickelungen zu ver­ lieren und die einfache Form der Anerkennung oder der Obedienzverweigeruug anzunehmen. Und wenn nun die Weltstellung gpernuntur sep iu s, ac facilius adita vel quesita vilescunt. Venite ergo et quod nostris in hac parte votis asseutiat vestra benignitaa, quam bene diuque valere cupimus iterum suplicamus. D oenniges Acta Henrici VII. S . 229.

des Papstthums von den avignonischen Päpsten keineswegs in bescheidenerer Weise in Anspruch genommen worden ist, als von den römischen, so erleichterte doch sein französischer Charakter der deutschen Nation die ihr so schwer fallende oppositionelle Strö­ mung. Die Erscheinungen, welche unter diesen Umständen in dem Verhältnisse des Papstthums zum deutschen Kaiserthum zu Tage traten, gehören zu den interessantesten und lehrreichsten, vielleicht noch lange nicht von Geschichte und Politik hinreichend gewürdigten Epochen. Es wird daher unsere Aufgabe sein, die Stellung des KaiserlhumS zu dem französischen Papstthum im Zusammenhange in einem nächsten Capitel zu beleuchten. Doch mag es zuvor gestattet sein, die Papstwahlgesetzgebung, wie sie in Avignon und nachfolgend in Rom im Anschlüsse an die hie­ rarchischen Prinzipien Alexanders III. und Gregors X. vollendet worden ist, übersichtlich vorzuführen.

IV. Capitel. V o l l e n d u n g der W a h l g e s e t z g e b u n g . Die Papstwahlen wurden durch eine Reihe von Constitu­ tionen der Päpste des 14. bis 17. Jahrhunderts immer wieder von neuem geregelt. Die kirchliche Gesetzgebung ward nicht müde eine Maschine zu verbessern, von deren sicherem und ge­ nauerem Eingreifen das Wohl des Papstthums erfahrungsgemäß am meisten abhing. Durch die Dccrete Clemens V. vom Jahre 1310, Clemens VI. 1351, Julius II. 1505, Pauls IV. 1558, P ius IV. 1562 und Gregors XV. 1621 erscheint die päpstliche Wahlordnung abgeschlossen, und erhielt schließlich einen so hohen Grad der Vervollkommnung und Vollendung, daß es für die weltlichen Mächte und insbesondere für das Kaiser thum schwer, wenn nicht unmöglich wurde, einen auch nur einigermaßen ent­ sprechenden Einfluß unmittelbar auf die Wahlen zu üben. I n s ­ besondere die Constitutionen der drei letztgenannten Päpste sind so umfassender N atur und mit so vorsichtigen Clauseln umgeben, daß eS als eine vergebliche Arbeit erscheint, eine von einer welt­ lichen Macht abhängige Person ohne Verletzung kanonischer B e­ stimmungen auf den päpstlichen S tu h l erheben zu wollen. Zwar konnten Bemühungen dieser Art noch immer zu manchem Er-

folge führen, aber im ganzen und großen betrachtet, muß man gestehen, daß sich die Papstwahlen faftisch von Jahrhundert zu Ja h r­ hundert zu immer größerer Unabhängigkeit durchgearbeitet haben. An diesem großen Ergebniß nach Kräften mitgewirkt zu haben, dieses Verdienst im S inne der Kirche, kann auch den avignonischen Päpsten nicht abgesprochen werden.

Die franzö­

sischen Kirchenhäupter waren zwar eifrig bemüht, die Interessen und die Stellung der Curie überhaupt möglichst enge mit dem französischen Volke und S ta a t zu verknüpfen und dem päpstlichen S tu h l statt des bisherigen italienischen ein vorwiegend franzö­ sisches Kleid anzuziehen, allein in Bezug auf die Papstwahl wünschten sie durchaus nicht dem französischen S taate eine Ge­ walt einzuräumen, wie sie sich bei der Erhebung Clemens V. geltend gemacht, hatte.

D a s Interesse der französischen Nation

schien gesichert werden zu können durch eine entsprechende M a ­ jorität von Cardinälen französischer Abkunft, durch den Wohnsitz der Päpste inmitten französischer Bevölkerung, durch die verhättnißmäßig viel größere Ruhe und Sicherheit, welche der aposto­ lische S tu h l unter dem Schutze der französischen Monarchie genießen konnte und wirklich genoß, allein was die Ausschließlich­ keit der geistlichen Führung, waS die Obergewalt des Apostelfürsten, die Unabhängigkeit von weltlicher und staatlicher Ge­ walt betraf, so dachten die avignonischen Päpste nicht anders, als die italienischen und deutschen der frühern oder spätern Zeit.

M an kann nicht leugnen, daß in dieser Richtung oft

unbegründete Borwürfe gegen die französischen Päpste erhoben worden.sind und daß besonders kirchliche Schriftsteller die B e­ ziehungen derselben zur französischen Staatsgewalt in etwas zu schwarzen Farben malen. und Franzosen dazu.

ES waren und sollten Päpste bleiben

Vielleicht war Clemens V. von idealen' Gesichtspunkten dieser Art erfüllt, da er auf dem Concil von Vienne Anstalten traf, jene Umstände bei künftigen Wahlen zu beseitigen, welche seine Erhebung allein möglich gemacht hatten.

C lem en s V.,

der unter dem französischen Episkopat die ausschweifendsten Vor­ stellungen clericaler Rechte gegenüber der Krone Jahre hindurch vertreten, hatte niemals vergessen, daß er durch ein caubinifches Joch zu dem höchsten Sitze der Kirche gelangt war. Seine na­ tional-französischen Sympathien waren aber mindestens ebenso groß, als seine kirchlichen Hoheits-Ansprüche.

Die letzteren

mußte er, da er einmal die Sünde, auf sich genommen, in sich verschließen, aber er hoffte einen französischen Rachfolger haben zu können, der ohne die Intervention deö Königs rein und un­ gebunden aus dem Conclave hervorgegangen sein sollte.

Er

war wie der Pelikan, der für seine Nachkommen die Brust öffnet. Wer hätte auch beweisen können, daß das hierarchische System in Frankreich schlechter gedeihen müsse, als in Rom. D ie C o n s t i t u t i o n C l e m e n s V. ist nach den zwei an­ gedeuteten Richtungen zu betrachten.') S ie strebt durch Bindung deö Wahlorts das französische Uebergewicht im Cardinal-Collegium zu behaupten und sie versucht durch erneuerte Feststellung ') Clementine N e Romani beginnt mit bet Bestimmung, baß baS Cardinal-Collegium aede vacaute jurisdictionem papalem non exercet. Die wichtigste weitete Bestimmung scheint mir folgenbe: Sane cum iuxta conetitutionem praedictam, Papa extra civitatem, in qua cum eua erat curia moriente, in civitate, in cuius districtu, seu territorio moritur, sit regulär iter successoris electio celebranda, districtus seu territorii nomine Diocoesim hoc casu intelligendam fore censeyius. Eo untern adjecto, quod si in certo loco causarum et literarum apostolicarum audientia remanente, Papam alibi mori contingat, non ibi, sed ubi praedicta fuerit audientia, memorata electio celebretur, etiam si eadem audientia tempore mortis hujus vacare noscatur, nisi forte ante mortem eandem, ordinatum esset per Papaui de cu-

des Gregorianischen ConclaveS den weltlichen Einfluß, der nun nicht mehr von Deutschland, sondern von Frankreich drohte, zu verhindern.

Die P a p s tw a h l, so verordnet Clemens V., soll

jedesmal dort stattfinden, wo der o rd e n tlic h e P ro c e ß d er C u r ie geführt zu werden pflegt, vorausgesetzt, daß nicht wegen der Uebersiedlung des römischen S tu h ls überhaupt vom Papste selbst etwa- verfügt worden wäre.

ES ist deutlich, wohin die

Verordnung zielt; dem zufälligen Wechsel des Aufenthaltsortes des päpstlichen HofS sollte die Wahlfrage entzogen werden. Daß aber nicht auf Rom als dem Sitze der päpstlichen Behörden gezielt ist, wird durch die ängstliche Vermeidung jede- Ausdruckes klar, der in diesem S in n gedeutet werden könnte; wo in den früheren Wahlgesetzen von Rom die Rede war, da spricht das Clementinische Gesetz vom apostolischen Sitz ganz allgemein. Wenn aber bei früheren Sedisvacanzen die Durchbrechung der strengen Ordnung Gregors X. dadurch möglich geworden, daß die Cardinäle nach dem Tode des Papstes das Recht zu haben wähnten, päpstliche Dekrete zu verändern oder aufzuheben, so widerspricht die Clementine diesem Vorgang.

S ie will die

strikteste Durchführung der Conclaveordnung. Indessen blieb die Abneigung gegen die strengen Gesetze Gregors X. und Clemens V. im Cardinalcollegium auch in Avignon vorherrschend. Die Beschränkungen, welche die Conclave­ ordnung den einzelnen Wählern auferlegte, erschienen nicht bloß unwürdig, sondern auch der Wahlfreiheit nachtheilig.

Sollte

ria tra n sferen d a, quo ca su serv etu r p ro v isio c o n stitu tio n is p ra ed icta e . Hiedurch waren zunächst die Papstwahlen an Avignon constitutionM gebun­ den D ie Cardinäle tonnten auch nicht vermöge Art. 1 eine gegentbeilige Bestimmung se’deS sechzehnten hatten für daS Gewebe von Beeinflussung ein schärferes Auge, als jene des neunten/ Je besser die Cardinäle die Hinterthüren der Wahlordnungen kennen zu lernen Gele­ genheit hatten, desto nothwendiger erschien den strenger Ge­ sinnten eine schärfere Fassung der bestehenden Verbote. So kam es zu der merkwürdigen und äußerst wichtigen Decretale Julius II. schon im ersten Jahre von dessen Pontifikat.') Das neue Wahlgesetz erklärt zunächst die Simonie als einen Ausschließungsgrund des G e w ä h l t e n von der päpstlichen Würde. Selbst nach erfolgter Inthronisation bleibt die Wahl ungültig. Die mitschuldigen Wähler können ihr Verbrechen sühnen, wenn sie die Gemeinschaft mit dem simoni­ stischen Papste sofort meiden; die Cardinäle aber, welche rein geblieben, werden aufgefordert, die Einsetzung eines anderen Papstes zu bewirken und die Berufung eines allgemeinen Con') Entschieden unrichtig aber scheint cS zn sein, die B u lle J u l iu s I I . a ls eine ledigliche Folge der Bestechungen bei A lexanders V I . W ah l d arzu­ stellen. D e r Gegensatz der F am ilien R o v e re und B o rg ia beruht doch w ohl aus etwas tieferen politischen G rü n d en . W enn P h illip s V . 8 3 9 die C on­ stitution C um tarn d itiin o bloß aus die V orgänge bei A lexanders V I . W ahl zurückführt, so w ürde er schwerlich die scgleidi hervorzuhebenden S te lle n zu erklären vermögen.

cils zu veranlassen. D ie letzteren werden deshalb nicht als Schismatiker betrachtet werden dürfen, sie sollen vielmehr nicht unterlassen, den weltlichen Arm zur Vertreibnng des unrecht­ mäßig Gewählten aufzubieten. Wer dagegen dein Sim onistm anhängt, soll alle Bencficien und Würden und den Cardinalat für immer verwirkt haben. M it diesen scharfen, aber sehr allgemeinen Bestimmungen wäre jedoch die Absicht des Dekrets um so weniger vollständig bezeichnet, als dieselben eigentlich bloße Wiederholungen älterer kanonischer Borschrifren gegen die Sim onie enthalten. W ill man das Ziel der Constitution J u liu s II. erfassen, so muß man sich an die Bestimmungen halten, welche völlig neue Gesichtspunkte eröffnen. D en wichtigsten Zusatz zu älteren Definitionen der S im on ie wird man im sechsten Abschnitte der Constitution fin­ den, welcher von den Vermittlern und Mittelspersonen deö Stimmcnkaufs handelt: „Alle Unterhändler, Makler und Wechsler, geistliche so gut wie Laie», welcher W ürde, Charakters und S tandes sie seien, sic mögen ein Patriarchen, erzbischöfliches, bischöfliches oder anderes weltpriesterlickeS, ein weltliches oder kirchliches Amt bekleiden, f e r n e r di e O r a t o r e n und G e ­ s a n d t e n v o n w a s i m m e r f ü r K ö n i g e n und F ü r s t e n sollen, wenn sie einer simoniskischen W ahl theilhaftig sind, aller ihrer Kirchen, Bencficien, Prälaturen und Lehen und jeglicher anderen Ehren und Güter verlnstig, und ähnliche zu bekleiden unfähig sein." D ie Güter geistlicher Personen fallen dem rö­ mischen FiscuS, die Güter weltlicher dem Fürsten, in dessen Lande sie liegen, anheim. Fa, wenn die weltliche Macht nicht binnen drei Monaten die Cxecution vollzieht, so beansprncht die römische Kammer das confiscirte Vermöge». Eben so scharf wendet sich das Dekret hierauf gegen alles, w as zum Zwecke

der Wahl in Verträgen und Obligationen versprochen worden ist.

Auch waS in dieser Beziehung außerhalb des Cardinal-

CollegiumS zwischen waS immer für Personen abgemacht wurde, wird für null und nichtig erklärt.') Gegen wen und wogegen die Spitze des Dekrets, wenn man von der Wiederholung oft ausgestellter Grundsätze des ka­ nonischen Rechts absieht, sich richtet, ist unschwer zu erkennen. Noch deutlicher aber erhebt sich das D e k r e t P a p s t P a u l s IV. wider den Einfluß weltlicher Mächte. E s war die Zeit, wo sich die im römischen Geiste reformirte Papstkirche zu fühlen anfieng und auf dem päpstlichen S tuhle eine Reihe von M ännern der strengsten Schule mit dem Cardinal Caraffa ihr starres Regi­ ment begann.

E s war jener entschlossene Papst, dem das treue

Oesterreich noch nicht katholisch genug w ar, und welcher die Uebertragung der Kaisergewalt von Karl V. auf Ferdinand I. bestritt.

D as Concil von Trient schickte sich an, die Reinigung

der Kirche von allen bedenklichen Elementen zu vollziehen. Die Politik der Verwerfung und Ausschließung, der Zurückweisung jedes Gedankens an Transaktionen nahm ihren Anfang.

In

diesein Momente lag mehr, als je an der Reinheit der Papst­ wahl im römisch-kirchlichen S inn. ') M ediatores vero proxenetae trapezitae - declaration e. Auch der nächste § ist sehr beachtenSwerth' P ro m issio n es quoque et ob ligation es, sive sp on sion es propterea quandocunque etiam aute tem pus dictae e lectio n is, etiam extra personas Cardioalium per quoscunque alios quom odocunque factae, cum quavis in exeogitab ili solcm n itate et forma, etiam juratae c o n d itio n a le s, sive even tuales, e t in forma exeom m issarum ex quacunque causa, etiam d ep ositi, mutui, cam bii, con fession i de recep tis d o n a tio n is, arrendam enti vel ven d ition is, perm utationis vel alterius cuiuscunque contractus etiam in ampliori forma cam erae A p o sto lica e factae sint nullae et iuvalidae etc. . . Man sieht, der ganze Scharfsinn deö römischen Privatrechtö ist herbeigeholt, um die Hinterthüren der Diplomatie 311 schließen

134

IV. Vollendung der Wahlgrsetzgebung. Wenn in dem Dekrete J u liu s II. der schädliche Einfluß

weltlicher Mächte noch mit einer gewissen Schonung des Kaiser­ thums bezeichnet worden w ar, so fällt gerade in den Stellen, welche ähnliches zum Theil mit wörtlicher Entlehnung hervor­ heben, die ausdrückliche W a r n u n g v o r d e m K a i s e r , so gut wie vor den übrigen K ö n i g e n und F ü r s t e n auf. niginneu

Auch K ö ­

und überhaupt Unterhändler beiderlei Geschlechts

scheinen P au l IV. nicht wenig gefährlich, denn er will auch deren Einfluß nicht unerwähnt lassen, ja er versteigt sich zu dem Ausspruch, daß jeder, der in eine Perhandlung über die Papst­ wahl treten wollte, selbst seine herzogliche, königliche oder kaiser­ liche Würde verwirke, nicht anders, als der Geistliche, der durch das bezeichnete Verbrechen Patriarchat und Bisthum und jedes Beneficiitm verliert, sieben den M aklern und Wechslern, welche die Tugend der Cardinäle bedrohen, wird jetzt auch vor B o t­ schaftern, M inistem und Diplom aten ausdrücklich gew arnt.') J) Der I n h a lt der Bulle Cum se c u n d u m vom Ja hre 1558 ist gegen daS „weltliche Schwert" so leidenschaftlich, daß eS der Mühe werth ist, sich des verhältnißmäßig sanften gregorianischen Wahldekrets von 1274 zu er­ innern. Die drei wichtigsten Absätze muß sich auch der heutige Publicist fortwährend vergegenwärtigen: N e c u o n q u o sc u n q u e in p ra e m is sis, tain nostro, quam sucessorum u o stro ru m p ra ed icto ru m t e m p o re, public e vel occulte, a u t alias q u o m o d o lib e t d e lin q u c n te s c u ju s c u u q u e S t a ­ tus, gra d u s, ordiuis, c onditiouis e t p ra ee in in e n tia e e x i s t a u t , e t s i e p isco pa li, A vchiepiscopali, P a t r ia r c h a l i, a u t alia m ajori e c c le sia s t i c a d ig u ita te , seu C a rd in a la tu s ho nore , vel m u n d an a etiam ducali, regali, regiuali a u t imperiali a u c t o r i t a t e sive e xc e lle u tia pra efulge an t, e t eo rum quemlibet, s e n t e n t i a s , c e n s u r a s e t p o e n a s p r a e d i c t a s i n c u rre re volumus a tq u e d e c e r n im u s . . . . sta tu im u s . . om nes e t singuli tarn clerici q u a m u t r i u s q u e s e x u s l a i c i qui p e r se vel alios nobis viventibus et in c o n s u ltis vel sc rip tis a u t nuueiis . . . t r a c t a r u u t . . seu i m p o s te r u m R o m a n o pontifice v ivente traot a b u n t . . . eint ip so iure e t fa cto . . . e x c om m unic ation e majori e t m a lc d ic ti o n e a e te rn a da m na ti . . . . in cu rre rin tq u e e t in c u r r a n t

Jnsoserne nun die Constitution P auls IV. gegen die Ein­ flüsse der fremden Elemente und insbesondere der weltlichen Mächte im Augenblicke der faktisch eingetretenen Wahlverhand­ lungen sich erhebt, kann man sie als eine verschärfte mit stär­ kern Farben zeichnende, mit heftigeren Strafen drohende Wieder­ holung der Bulle Ju liu s II. bezeichnen.

Als ein neues imb

höchst wichtiges Moment tritt das Verbot jeder Unterhandlung über die Papstwahl hinzu, während der frühere Papst noch lebt. D aS Verhältniß des Papstes zur Kirche wird von P aul unter dem Gleichniß der Ehe behandelt.

E r beruft sich auf Absalon

und dessen göttliches Strafgericht, um die Schwere des Verbre­ chens zu bezeichnen. Und nicht bei diesen frommen Worten bleibt es. Ein stärkeres Mittel gegen Wahlberathungen vor dem Tode des Papstes liegt in der Aufmunterung der Denunciation, für welche die neue

Constitution eine Prämie setzt.

Wer Ab­

machungen von dieser Art unter den Cardinälen oder zwischen Cardinälen und fremden Personen zur Anzeige bringt, ist nicht nur straflos, sondern darf auch auf Belohnung hoffen. Selbst­ verständlich war die Zeit vor Abgang eines Papstes geeigneter zum Abschluß von Verträgen, als die wenigen Tage nach seinem Tode bis zum Zusammentritte des Conclaves, falls die Consti­ tutionen darüber gehalten wurden.

Hatte man dafür gesorgt,

daß nicht vorher die neue Papstwahl abgekartet wurde, so war nach dem Tode des Papstes die Gefahr gar sehr vermindert. WaS aber als Simonie in diesem Falle gelten sollte, geht um r e s p e c t iv e crim en

sim o n ia c a e

h aereseos

et

la e s a e M a je sta tis

in

prim o c a p ite a c p riv a tio n em om n is etiam e p is c o p a lis , A r c h ie p is c o p alig e t P a tr ia r c h a lis , ac c u iu sv e a lte r iu s m a io ris v e l m iu o r is d ig n ita tis ac C a rd in a la tu s honoris» n o c n o n D u c a l i s , R e g a l i s . R o g i n a 1 i s e t i u i p c ri a 1 1 s a u c t o r i 1 a t i s , e t e \ c e 11 u n t i a e , . .

diese» weiter, als der Begriff, den >wch die Decretale Ju liu s II. festhält. Unter den Delikten, welche das Perbrechen der S i ­ m o n i e begründen, erscheint nicht bloß der Kauf und das V er­ spreche», sondern auch ein b l o ß e r R a t h , di e U e b e r r e d u n g , ja j egliche M ü h e , die sich jemand in Worten oder Schriften zu Gunsten einer Papstwahl geben würde.') I n der That muß man bekennen, wenn die Constitution des Papstes P aul getreu befolgt wurde, so war jeder fremde Einfluß so bestimmt ausgeschlossen, als bei einem Akte mensch­ licher Wesen nur immer möglich ist. D ie Cardinäle treten, losgelöst von allen Beziehungen nur immer denkbarer Art, in das Wahleouelave, nach dem Tode des Papstes über sich selbst emporgehoben, wenn sie dem Geiste der Dekrete entsprechen wollen. D ie Gesetzgebung der Papstwahl hatte eine ideale Höhe erstiegen, wie sie kaum von einer andern Institution in dieser Rick'tnng gerühmt werden dürfte. Wurde im Conelave der früher erwähnte Geschäftsgang deS Caeremouials der W ahl, wie es durch P iu s IV. und Gregor XV. vervollkommnet worden, genau ' ) ................. quodvis auxilium, cousilium vel favorem seu operam, verbis vel scriptis aut re, vel facto, seu prom issioue, p o llicitation e, suasione vel bis omnibus insimul aut quovis alio modo, directe vel indirecte principaliter vel iocidentaliter pravstiterunt, seu in futurum quovis etiam successorum nostrorum ßom anorum Poutificum tem ­ pore praestabuut, aut in praem issis m e d i a t o r e s , p r o x e n e t a e , n u n t i i , m a n d a t a ri i , pr o c u r a t o r c s , seu t r a p e z i t a e fuerunt vel in posterum , ut praefertur, eru n t, seu alias se in praem issis q u o v i s m o d o i n t r o m i s e r u n t , v e l i m m i s c u e r u n t , seu in postvrum etiam tem pore successorum bujusmodi babebunt, nisi ea nobis aut su ccessorib u s n o s tr is, quorum tem pore id con tin git vel alteri, cui id per nos, vel su c c e sso r es praedictos com m issum fuerit, per se vel alium seu alios cum primum com m ode potuerunt, revelaverunt, etiam sic in praem issis aliquod aliud auxilium , Consilium vel favorem aut opem non praestiterint.

beachtet, so mußte die Maschine das Höchste im Dienste des Systems leisten. Seit dreihundert Jahren ist wirklich jeder Zwiespalt ferne gehalten worden. Nie wieder ist ein Schisma entstanden. Kaum eine Wahl seit Paul IV. könnte als ganz mißglückt bezeichnet werden. Nicht die größten und bedeutendsten, aber eine große Zahl gleich eifriger, gleich strebsamer, gleich­ artig gesinnter, systematisch fortarbeitender Menschen hat den päpstlichen Stuhl bestiegen. Ganz ohne Antheil blieb bei der Papstwahl der letzten Zeiten die Politik zwar nicht, doch machte sie sich mehr im Rahmen der kirchlichen Interessen selbst geltend. Daß man Päpste wählte, welche bald der einen, bald der an­ dern politischen Richtung, die in Europa herrschte, sich geneigter zeigten, war doch nicht ganz schädlich und unvereinbar mit der kirchlichen Regierung. Auch lag cs nicht im Sinne der Päpste, deren Dekrete so kräftig wirkten, alle politischen Gesichtspunkte bei neuen Wahlen ferne zu halten; der Zweck war nur, durch freie Wahl über alle einzelnen Potenzen sich empor zu heben. Eben die Unabhängigkeit der Kirche — das war das ewige Ziel — sollte ihre Herrschaft garantiren. Der letztere Gesichtspunkt gab in Rom zur Zeit deS Papstes Paul noch zu einer weiter» Ueberlegung Anlaß, welche nicht unbeachtet bleiben darf. Gerade die Rücksicht auf die allgemeine politische Lage war cs, welche die Frage nahe legte, ob nicht nach dem Ausschluß jedes weltlichen Einflusses eine Art von Bezeichnung des Nachf ol ge r s Platz greifen sollte. Ohne Zweifel war der regierende Papst mehr in der Lage, als eine unbestimmte Zahl von sehr verschiedenen Männern, die politi­ schen Dinge der Welt verläßlich und sicher zu beurtheilen. Von einer Bezeichnung des 'Nachfolgers durch den Papst selbst war daher oftmals die Rede. Doch griff diese Ansicht nicht durch;

und selbst auf den ausgesprochenen Wunsch des Borgängers brauchte rechtlich im Conclave keinerlei Rücksicht genommen zu werden. Dagegen aber hat sich in dem in Rede stehenden D e­ krete P au ls IV. wirklich eine leise Andeutung des Anspruchs der Designation des Papstes erhalten, wenn es ausdrücklich heißt, daß der lebende Papst die einzige Person sei, mit welcher über den nachher zu Wählenden Rath gehalten werde» dürfe. D a s Recht der Ernennung eines 'Nachfolgers aber bezeichnete P iu s IV. alö eine häretische Lehre.') I n der zusammenfassenden B u lle aber, welche P iu s IV. im Jahre 1562 publicirte, wurde dieses Gegenstandes nicht weiter Erwähnung gethan, und ein besonderes Dekret, welches er mit dem Eonscnse der Eardinäle vorbereitete, um das Recht der Designation deö Papstes durch den Borgänger ein für allemale zu beseitigen, ward durch den Tod P iu s IV. verhindert. ltm so wichtiger schien es daher auch P i u s IV . zu sei», die Bestimmungen seiner Borgänger gegen die Wahleinflüsse der weltlichen Mächte mit entsprechender Schärfe zu wiederholen und zu bestätige». Indem er den Cardinälen die erhabenen Pflichten eindringlich vorstellt, welche sie durch ihr Wahlrecht auf sich genommen hätten, warnt er im Interesse der Kirche vor allen Beziehungen zu außerkirchlichen Elementen auf das bestimmteste?) E s liegt eine Art von Größe darin, wie diese >) Vgl. P h illip s V . 729 ff., doch finde ich hier nicht auf C. 10. D. 79, vgl. oben S . 53, Rücksicht genommen, wo es doch heißt: Si transitus papae quod a b sit inopinatus e ven erit et de sui e le ctio n e su ccesso ris, nt supra placuit, non p o ssit ante decernere, woraus doch hervorgeht, daß man zu Symmachu« Zeit darüber anders dachte. Daß sich PiuS IV . einen Coadjutor setzen wollte cum jure su cced en d i und daß die Frage wegen Designation des Papstes unter Paul IV . behandelt wurde, erzählt P a g i. B reviar. Rom. P on t. V I. 449 Vgl. Reum ont, G esch. v. Rom. III. -) B ulle In eligen d is § Cardinales autem . . . rogam us et bor-

strengen Kirchenmänner auf die Staatsgewalten herabsehen, und in ihren Ideen von Kirchenfreiheit bis znr vollständigen und radicalen Berläugnung aller bilateralen Verhältnisse fortschreiten, auf denen seit Constantin dem Großen die Rechte der Kirche im S taate beruhten. I n dem langen Prozeß der Geschichte hatte das Kaiserthum, überhaupt die Staatsgewalt, jedes der großen Rechte beim PontifikatSwechsel verloren, welche dasselbe unzweifelhaft einstens besaß.

Die Prärogative der deutschen Krone war zunächst auf

die Linie eines thatsächlichen aber vorherrschend diplomatischen Einflusses, den bald auch Frankreich und andere Mächte übten, herabgesunken, und verschwand endlich unter den hohen An­ sprüchen der römischen Freiheit vollständig. D as staatliche Recht war im Punkte der Papstwahl aus der kirchlichen Rechts­ lehre ausgetilgt, verwischt: die ausschweifendsten Träume des hildebrandinischen Zeitalters über kanonisches Wahlrecht sind just in der Epoche, welche die Zeit der aufgeklärten Jahrhunderte genannt zu werden pflegt, wenigstens in einem B isthum , in dem größten und ersten, zu Rom, in Erfüllung gegangen. Rom herrschte und herrscht weiter. Wie aber der Reichthum sich nicht zu fühlen vermöchte, wenn er nicht Bedürftigen Almosen spen­ dete, so fiel eben in diesen Zeiten der Allmacht von dem rö­ mischen Tische uoch citt Brosamen für mehrere Staaten herab, welcher kümmerlich fortkeimt.

M an nennt es, will man hoch­

trabend sprechen, datz Recht der Ex c l u s i v e ; genauere Kenner tamur, . . . ut attendentea m agnitudinem m iniaterii, quod per eoa tractatur in daudia auffragiia ac aliia omnibua et aingulia election em quom odolibet concerneDtibua, omni dolo, ac fraude, factionibua et animorum pasaionibua rem otia, ac P r i n c i p u m a a e c u l a r i u m i n t c r c e s s i o n i b u b c a u t e r i d q a e mui i dun ;s r c s p e c t i b u s r ni ui me a t t e n t i s . . .

der Sache werden jedoch nur von einer sehr unbestimmten nnd zweifelhaften Gewohnheit zu reden vermögen. V i e r S t a a t e n brachten im Laufe der neuern Zeit den Gebrauch zur

Anerkennung,

einzelne

namhaft zu machende

C a r d i n ä l e von der Papstwahl auszuschließen: das deutsche Reich, seit Neuerem Oesterreich, Frankreich, Spanien und Neapel. Nach heutiger Meinung üben dieselben ein Recht des Veto gegen den einen oder anderen Candidaten der Papstwahl, wozu aller­ dings nöthig wäre, daß irgend einer der Wähler die Vollmacht der Exclusive in das Conclave mitnähme und im entscheidenden Augenblicke Gebrauch von derselben machte. de» Ursprung und die P r a x i s

Allein, wenn man

der Excl usi ve betrachtet, so

wird man von ihrem Werthe nicht eben besonders überzeugt werden.'). Wenn man die Ansicht aufgestellt findet, daß die Exclusive ein letzter Rest der ehemaligen Rechte dcS KaiserthnmS bei der Papstwahl sei, so ist in einem gewissen historischen Sinne da­ gegen nicht eben viel einzuwenden.

Allerdings ist die Präro­

gative, welche einst vom Kaiserthum ausgeübt ward, definitiv verloren gegangen.

Wie hätten auch Frankreich und Spanien

und Neapel Rechte des deutschen Reiches erben können! Aber ') Die Litteratur über die Exclusive ist sehr durstig nnd unzulänglich; das Beste über den Gegenstand findet sich bei Jakobson in Herzog« Encvclop. s. v. Exclueiva. I n den ältern geschichtlichen und staatsrechtlichen Werken ist zwar allerdings viel mehr Sorgsalt aus strenge Disciplin der politischen und Praktischen Fragen verwendet, als dies zuweilen heute der Fall ist, allein die historischen Vorarbeiten waren zu mangelhaft. Was Barthel opuscula juridica It. 447 über die Exclusive bemerkt, ist nur eine allgemeine Ablei­ tung derselben aus den früheren Rechten der Kaiser, die in der von ihm ausgesprochenen Weise ebensowenig Stich hält als Estor, Progr. de iure exclueivae. Marburg 1670 eine Schrift, die aber manches beachtenswerthe thatsächliche Moment anführt.

daS Bedürfniß, mit den weltlichen Mächten in einer steten und nicht feindseligen Berührung zu bleiben, ließ Rom bei aller Strenge der Wahlgesetze doch niemals zu einer völligen Rück­ sichtslosigkeit gegen befreundete Staaten gelangen.

Dieser Um­

stand erklärt, daß den Cardinälen auch nach den Constitutionen IuliuS II., P au ls IV. und Gregors XV. eine gewisse Vertre­ tung der politischen Interessen ihrer Nationen oder ihrer S o u ­ veräne unbenommen blieb. Doch konnte das nur, wenn man sich streng an die kanonische Regel hielt, in Form einer von dem betreffenden Wähler nach eigener Ueberzeugung gegebenen Erklärung geschehen, daß eine beabsichtigte Wahl deshalb unter­ bleiben sollte, weil sie von einem befreundeten Monarchen aus­ drücklich verboten worden war.

Von einem Rechte war hier

ebensowenig die Rede, als man in früheren Zeiten von einem Oicchtc des Wahlkaufs zu sprechen vermöchte. E s war eine po­ litische Erwägung, die man gelten lassen oder verwerfen konnte. P h i l i p p III. bezeichnete im Conclave von 1605 ganz speziell den C a r d i n a l v o n M e d i c i für den, welchen er ausschloß, und eben derselbe wurde gewählt.')

Gegen Paul IV. hatte

F e r d i n a n d v o n Oesterreich sich auf das Bestimmteste erklärt und die Ansschließnngsversuche Maximilians II. waren bei der W a h l P i u s V. überhaupt abgewiesen worden.

P h i l i p p II.

von Spanien war glücklicher in seiner römischen Politik, aber er dankte einige Erfolge doch lediglich dem Umstande, daß die *) R a n k e , P ä p s te II. 3 1 6 : C e p a p e de la m aison d e s M ed icis d it L e o n X I , qui a v ait c o u ste au roi 300,000 esc u s a faire. Pgl. die für die Exclusive und Inclusive überhaupt lehrreiche Abhandlung von Gindely, Papstwahlen, in Sitzb. d. Wiener Akd. 36 251. D er gleiche V or­ gang mit Verwerfung der spanischen Einflüsse bei der Wahl P au ls V. Die H s . -s t oiiv d i ' t c o n d a ’-«*? b e ' t b l . ' i b t d i e I M v i r m i i i v M i u r g d c i S p a n - e i tehi

eingehend

II. 1 — 6 5 .

spanischen Cardinäle eine geschlossene Partei bildeten. Auch Frankreich blieb nicht selten unbeachtet. Ausdrücklich erklärte es sich gegen F a b io C h ig i, der als A le x a n d e r VII. den päpstlichen S tu h l bestieg.') W ann die eigenthümliche Institution des V eto, von wel­ chem die katholischen Staate» mit Vorliebe Gebrauch machte», aufgekommen sei, läßt sich sehr schwer entscheiden, vergeblich würde man aber nack einer Bestimmung suchen, durch die das­ selbe eingeführt worden ist. Je mehr sich die weltliche Macht überhaupt von ihrem Rcchtsboden bei der Papstwahl verdrängt sah, desto nothwendiger zog sic sich auf die schmale Linie einer bloßen Negative zurück. D ie der Curie befreundeten Könige konnten mit Entziehung ihres W ohlwollens drohen, sie hatten das M ittel in der Hand, durch Verweigerung der Anerkennung des gewählten Papstes die Cardinäle nachgiebig und vorsichtig zu machen. Durch diplomatische HilfSmittclchcn suchten sie, so­ viel sic tonnten, die W ahl feindseliger Päpste zu verhindern. D er Ursprung des Veto liegt daher ohne Zweifel bloß kn den allgemeine» politischen Erwägungen, von denen man schwerlich sagen kann, daß sic in einem bestimmten Augenblicke ihren An­ fang genommen hätten. D ie früher angeführten Dekrete J u ­ lius II. und P a u ls IV. waren aber sicherlich auch in dieser Beziehung von eingreifender gewissermaßen umgestaltender W ir­ kung. D ie direkte Agitation für bestimmte Candidaten war mehr und mehr unmöglich. Doch ward deshalb der Versuch, auf andere» Wegen zum Ziel zu kommen, niemals ausgegeben. Versprechungen und Verträge waren verboten. Allgemeine po­ litische Erwägungen solcher Cardinäle, die sich als Advokaten ') Ranke. H l. 50. Vgl die mir leider »»bekannt gebliebene Schrift: C onclave, in qno F ab in s (Niisius . . . crealus eat. S lesv ici 1656.

deS einen oder andern Königs freiwillig im Conclave geltend machten, liefen den Constitutionen nicht entgegen. Waren eS Mächte, deren Namen in Rom nicht unbeachtet bleiben konnten, so fanden ihre Vertreter auch nach Paul IV. zuweilen Gehör. PiuS V. dankte dem König Philipp großentheils seine Erhebung. Nicht anders war es bei G r e g o r s XIV. Wahl.') Doch fand man schon zuweilen anstößig, wenn weltliche Mächte durch ihre Freunde im Conclave eine Anzahl Cardinäle positiv empfahlen. Die Frage war dann, ob ein solches Vorgehen noch mit den Constitutionen vereinbar sei. Indessen brachten einzelne der Cardinäle im 16. und 17. Jahrhundert noch ganze Verzeich­ nisse von Empfohlenen oder Ausgeschlossenen in daS Conclave mit. Man sprach von einer I n c l u s i v e und einer Exclusive. Doch waren es Wünsche, keine Rechte, die da zur Kenntniß der Wahlversammlung gebracht worden waren. P h i li p p II. ließ sich die Inclusive neben der Exclusive nicht entreißen. Eben im Conclave, welches Gregor XIV. erhob, waren von Spanien sieben Cardinäle als tauglich bezeichnet worden?) Bei C l e ­ mens VIII. Wahl gab cö Namen, die die Inclusive und die die Exclusive hatten. Unter den von Spanien zur Wahl empfohlenen fünf Cardinälcn ward keiner Papst, doch achtete man darauf, daß Clemens VIII. diesmal von Philipp- wenigstens nicht cxcludirt worden, was ihm ein frühercsmal geschehen war?) Indessen wurde auch dieser Gebrauch mehr und mehr be­ schränkt; eS mochte wenigstens als verdächtig gelten, wenn zu ') R a n k e. I. 3f>5, gegen die Darstellung der H is io ir e d e s c o n c la v es. II. 220. -) Cbd. 2 1 8 . P g l. H is io ir e d e s e o n c ln v v s : p arce qu’il ie n a i i Io s e c o n d e rancr parm i o eu x quo lo s K sp a g n o h av oien t n o m m e s . D en ersten P la v Kitte Maden ) R anko ebb 2?f>

Gunsten einer W ahl im positiven S in n e gewirkt wurde. B e­ sondere Verordnungen schienen daher fast unvermeidlich ju wer­ den, allein niem als entschloß sich ein Papst, einen Gebrauch förmlich anzuerkennen, welcher thatsächlich und) wie sich sogleich nachher zeigen wird, mit zweifelhafter kanonischer Legalität fort­ während geübt wurde. Auch die Frage, welche Mächte empfehlen und ausschließen durften, welche Stim m en zu beachten und welche zu ignoriren wären, blieb stets eine offene und es ist eine voll­ kommen willkührliche und auf nichts beruhende Behauptung der neuern kirchenrechtlichen Handbücher, daß die Exclusive den schon erwähnten vier S taaten zukomme. Auch viel k l e i n e r e i t a ­ l i e ni s che Mä c k t e ließen sich zuweilen mit einem Veto im Cardinals- Collegium vernehmen. Im ganzen kann man nur sagen: das Couclave verschloß sich niemals der öffentlichen M ei­ nung gänzlich, welche wohlbefreundete Fürsten ans legalem Wege durch die Cardiuäle geltend machten. Alles aber w ar vollständig der D iseretion der W ähler überlassen. W aren die vorgebrachten Ansichten nur nicht als Rechte in Anspruch genommen mW haf­ tete au denselben nicht daö Verbrechen der Sim onie in Form von Wahlversprechen oder V ertrag, von Kauf mW Bestechung ganz abgesehen, so konnte eine mn die Kirche sonst verdiente Macht auf einige Rücksicht rechnen. S o traten denn in unserm Jahrhundert die modernen S taaten mit einer Art von diplomatischer Gefühlsseligkeit den großen Fragen des Pontifikätswechsels gegenüber. Gestützt auf eine unbestimmte historische Erinnerung an das für sehr wichtig angesehene Recht der Exclusive, betrachtete sich Oes t er rei ch als E r b e der a l t e n Ka i s e r ma c h t im Besitze der ausrei­ chendsten Garantieeu seines Einflusses auf die Papstwahlen. M it Vergnügen verzeichnete man die Erfolge, welche Oesterreich

viel durchgreifender, als das deutsche Kaiserthum der letzten Jahrhunderte, Lei einer Reihe von Pontifikatswechseln davon getragen hatte. Nach dem Tode PiuS VII. hatte es die hohe Genugthuung, im Conclave LeoS X II. sein Veto beachtet zu finden.

Bei der W a h l P i u S V III. wurde der Candidat der

Partei Bernetti durch Neapel und Oesterreich beseitigt, und der von letzterem bezeichnete Cardinal Castiglione bestieg den päpst­ lichen Stuhl. D er Cardinal Albani war bei G r e g o r s XVI. W a h l mit dem österreichischen Veto beauftragt, und gab seine Zustimmung zu CapellariS Erhebung, da derselbe aus Oesterreichisch-Jtalien stammte.') Auch der Cardinal M a sta i F e r r e t t i war wenigstens nicht persönlich von einer Exclusive getroffen, wenn auch Oesterreich und Neapel mehr zu den LambruSchiniS geneigt hätten. S o konnte denn wenigstens unter den kat hol ischen Hauptmächten Europas die täuschende Zuversicht entstehen, daß das alte bilaterale Verhältniß von S ta at und Kirche beim PontifikatSwechsel auch in unseren Tagen immer noch entsprechend ge­ wahrt werde, und kaum war bemerkt worden, daß man sich in diesem Punkte in einem großen kirchenrechtlichen Irrthum be­ fand, und daß dem Veto auch der katholischen Mächte einige kanonische Vorschriften entgegenstanden, welche jeden Augenblick geltend gemacht werden konnten, denn G r e g o r XV. unterzog in seiner oftgenannten Constitution auch diesen Gegenstand seiner besondern Beachtung. I n dem Abschnitt, wo die Bestimmungen der früheren Päpste über Wahlverträge und Wahlversprechen wiederholt werden, ist ein Zusatz gemacht, der sich auf den Ge­ brauch bezieht, der seither eingetreten war. Den C a r d in ä l en ') Uouchlm, (»V^rli. ftaliens I. 219, 223, 228, 288V v i u i}

m it .ti.uü'iibum.

10

wird v e rb o te n , mündliche oder schriftliche Aufträge in Hinsicht der In c lu s iv e oder E x c lu siv e anzunehmen oder zu ver­ langen.') Wenn die Einrichtung trotz dieser bestimmten Ablehnung einer päpstlichen Constitution sich dennoch forterhielt, so ist dies im Sinne des strengen Gesetzes entschieden als ein Mißbrauch zu betrachten, und niemand wird sich beschweren dürfen, wenn die Staatsgewalten für Wünsche dieser Art keine Uebcrmittlcr im Conclave finden. DaS Wahlgesetz der römischen Kirche in sei­ ner vollen Ausbildung sorgt dafür, daß selbst der letzte Schatten einer Rücksichtnahme auf weltliche Dinge und Personen in der Idee verschwinde. Die Praxis war freilich in diesem nnd in anderen Punkten nicht immer so genau, als die Theorie. E s ist nicht unsere Sache, zu untersuchen wie man in Rom die Auslegung der eigenen Gesetze betreibt; als Thatsache nur gilt zu constatiren, daß selbst in dieser zarten Form, ans die sich katholische Staaten zuweilen noch etwas zu Gute thaten, Pflichten von Seite Roms nicht bestehen, sondern lediglich Gefälligkeiten, nnd daß man sich darüber zu täusche» nicht vermag: der S taat, der sich der Curie gegenüber i» diesen Dinge» auf Rechte stützen ]) Bulle A eterni patris: § Cardinales. — Cardinales prneterea omumo abstineant ab omnihus pactiouibns, conventionibus, prom issionibus, intendim entis, con d ictis, foederibus, aliisq ue quibuseuuque obligation ib us, miuis, sig n is, contrasignis suffragiorum, seu schedularum, aut aliis tarn verbo, quam scripto, aut quoinoducunque daodis, aut petendis, tarn r e s p e c t u i n c l u s i o n i s q u a m e x c l u s i o n i s , tarn unius persoDae, quam plurium , aut certi generis, velnti creaturarum, aut huiusmodi seu de suffragio dando vel non dando, quae ornnia et siugula, si de facto intervenerint, etiarn iuramento adjecto, nulla et irrita, ueque ad eorum observantiam queinquam teneri aut ex trausgressione notam incurrere tid^i non servatae decernim us et declaram us.

wollte, wäre vor die Thüre gesetzt und dürfte nicht hoffen, 4m Conclave je verstanden zu werden. Auffallend bleibt eS aber immer, daß sich für die Aus­ führung einer Gewohnheit, deren kanonische Legalität höchst zweifelhaft ist,') jederzeit eine hinreichende Anzahl von M ttgliedern des CardinalS-CollegiumS fand, die, wenn auch ohne vertragsmäßigen Lohn, Aufträge befreundeter Monarchen im Conclave übermittelten. Vielleicht erblickte man eine Rechtfer­ tigung deS Verhaltens dieser Cardinäle in dem Umstande, daß in neuerer Zeit die Exclusivbriefe der weltlichen Mächte im Conclave versiegelt überreicht zu werden pflegten. Möglich, daß man die Bestimmung Gregors so verstand, als sei durch dieselbe nur verboten, Aufträge solcher Art zu übernehmen, nicht aber verschlossene S c h r e i b e n . uns nicht gelungen.

Sicheres darüber aufzufinden ist

Doch möchte es gestattet sein, einige po­

litische Erwägungen, welche die Fortdauer deS Gebrauchs er­ klären, hinzuzufügen. Ohne Frage lag in der E x c l u s i v e von Seite der katho­ lischen Mächte Europa« auch ein p o s i t i v e s Z u g e s t ä n d n i s Wer unter vielen Wahlberechtigten Einen von der passiven Wahl ausschließt, der gibt — so darf angenommen werden — seine Zustimmung zur Wahl der Uebrigen. Diese schon vorher ausgesprochene Anerkennung hat aber ohne Zweifel für die Wählenden den größten Werth. S ind nur der Ausgeschlossenen nicht allzuviele, und die neuern Kirchenlehrer betonen deshalb ausdrücklich, daß die Exclusive nur Einen treffen dürfe, so ist der Nutzen dieses Ausschlusses für den nachher Gewählten un') Jedenfalls kann nämlich auch im gewissen S in n e der C an on 8 i q uis P a p a 2 1 ). 79 bieher bezogen w erden, dessen weitere Entwickelung durch die Bulle P a u ls IV . gegeben war

ermeßlich.

Konnte die römische Kirche dadurch, daß m an eine

Gefälligkeit oder ein Entgegenkommen dieser A rt den katholischen Mächten, auf welche doch schließlich sehr Vieles ankommt, ge­ währt, im V oraus die Anerkennung der W ahl erlangen, so war daS O pfer wahrlich des Preises werth.

Indem man die mehr

und mehr zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkencn Betoschrciben im Conclave empfing, hatte man die katholischen Hauptmächte doch zu Complicen der jedesmaligen W ahl gemacht. D er Papst hatte von diesen S eiten keine weiteren Einwendungen mehr zu befürchten, und es wurden in Folge davon seit jener Zeit auch niem als solche erhoben.

Außerdem erschien noch die Papstwahl

als eine Art Familienfest der katholischen Hauptmächte, an wel­ chem denselben, gleichsam um ihre Gesinnungen zu bethätigen, ein unschuldiger Antheil gestattet wurde. briefen der dazu berufenen S ta a te n

W a r den Exclusiv­

überdies Folge gegeben

worden, so hinderte nichts die Gesandten der fremden Mächte, sogleich dem neuen Papste zu huldigen und bei dem Pompe der Krönung die passive Assistenz der staatlichen Gewalt zu leiste», deren M angel doch immer empfindlich gewesen wäre.

E s sollte

ja nicht jede Gelegenheit entrissen werden, dem P ontifex m axim us den Steigbügel zu halten; nur der Ausschluß der P rä ro ­ gative der weltlichen Macht w ar der mit wunderbarer Consequenz durchgesetzte Zweck der langen Gesetzgebung über die Wahlen. Nicht den Kaiser, der sich zum Lehnsmann macht, sondern den Kaiser, welcher den H errn zeigt, wollte man verscheucht wissen, nicht Lothar von Sachsen sollte in Nom vergessen werde», son­ dern Friedrich der Stauffer. Wenn die katholischen Mächte die Exclusive als etwas Werthvolles bewahrten, so hatten die Vortheile, welche dieselbe dem Papstthum andererseits brachte, dieses letztere bestimmt trotz

entgegengesetzter Anordnung der Wahlconstitutionen bisher kei­ nen Einspruch zu erheben. D araus erklärt sich somit der schein­ bare Widerspruch, der zwischen dem Dekrete Gregors XV. und den Thatsachen der Geschichte besieht.

M an mochte nur allzu­

bald eingesehen haben, daß die Vereinsamung der Cardinäle im Conclave bei gänzlicher Zurücksetzung der Völker und Könige doch etwaS Unheimliches hätte, wie ein Festmahl ohne Mufik. D enn ohnehin hatten die Zeiten die Reihen derer gelichtet, welche sich um den neueil päpstlichen Thron schaarten, um dem Gewählten die O b e d i e n z zu e r k l ä r e n . Und an diesem Punkte deS Pontifikatswechsels angelangt, beginnt allerdings das überaus stolze Gemälde, welches eine tausendjährige, sorgfältige, consequente Arbeit geschaffen, Flecken zu bekommen, und der kühne Aufbau der Wahldecretalen des sechzehnten Jahrhunderts steht in argem Gegensatz gegen den Abfall der Völker in der­ selben Z eit.') Lag nicht etwa in

d er A n e r k e n n u n g s f r a g e

der

P a p s t w a h l der archimedische Punkt verborgen, wo auch diesefesteste System des kanonischen Rechts gefaßt werden konnte, zeigt nicht vielleicht der starke tausendjährige Panzer des Pontifikatswechfels hier eine verwundbare Stelle? M an mag uns gestatten, das Thatsächliche der Geschichte zunächst kurz und ein­ fach festzustellen. I n der ältern Zeit lag die A n e r k e n n u n g

des neuen

') M an vgl. den Artikel Obedienz von Jakobson in Herzog« Encyelopaedie, wo der Abfall der protestantischen S ta aten ebenfalls unter de» Begriff der Obedienzverweigernng gesetzt w ird, — doch scheint hier mit Rücksicht auf die auch von protestantischen Monarchen gewöhnlich erfolgte Anerkennung de« neuen Pontifikat« nicht hinreichend beachtet zu sein, daß auch schon durch letzteren Akt eine Art von Obedienz wenigsten« im Falle paritätischer Gesetzgebung geschaffen werden ist.

Pontifikats in der Bestätigung der Wahl . Die griechischen, fränkischen und die deutschen Kaiser übten, wie sich gezeigt hat, i>aS Recht der Bestätigung und daS Recht der Absetzung aus. Die Obedienzerkl är ung wurde schon frühzeitig als ein be­ sonderer Staatsact in besonderer Form von den fränkischen und deutschen Kaisern dem päpstlichen Stuhl gegeben.

M it der

Angelobung der „schuldigen Unterwerfung" in Sachen des Glaubens verband sich der Eid und das Versprechen deS Schutzes, welchen die Kaiser nicht selten schon vor ihrer Krönung lei­ steten. ')

Daß die Kirche die staatliche Obedienz nicht entbehren

könne, war jedem Papste einleuchtend, und sie zu erlangen, mußte sei» hauptsächliches Streben sein.')

Als nun aber die

Kirche sich einseitig von der staatliche» Gewalt losmachte und die Wahl dem Einfluß deS Kaiserthum- ganz entzog, war es schwer, die von der andern Seite geforderten Pflichten in Gel­ tung zu erhalten.

Dennoch ist eS den Päpsten gelungen, von

dem Kaiserthum bis in die neuesten Zeiten die alten Obedicnzerklärungen zu erlangen.

M a x i m i l i a n II. weigerte sich an­

fänglich die Obedienz zu leisten, endlich ließ auch er sich dazu in gemilderter Form bereit finden. Die besondern Obedienz' ) P h illip s V. 683. I I I . 115. von den dort angeführten Schriften kenne ich Buder, de legationibus obedientiae Romain missis, wo aber Buder ganz Recht hat, wenn er eine wesentliche Veränderung nach dem Wormser Concordat findet. Natürlich der Sache nach liegt m den für die früheren Zeiten maßgebenden Pactum die Obedienzerklärung ausgesprochen, der Form nach ist aber ein großer Unterschied eingetreten. - ) So heißt es in der B ulle Uuutn sanctam : P orru subesse R o­ mano P u n tifici omni humanae creaturae declaramus, diciinus, definimus et pronunciamiis omnino esse de n e c e e s i t a t e s a l u t i s . Daraus geht doch hervor, daß der Papst die Pflicht hat um die Anerken­ nung des Staats sich zu bewerben, da er ja sonst viele Gläubige verloren gehen läßt.

gesandtschaften wurden aber seit dem 18. Jahrhundert außer Gebrauch gesetzt.

ES war Leopold I., dem man Mangel an

katholischem Sinn nicht zum Borwurf machen dürste, welcher wegen der zu großen Kostspieligkeit- die Form veränderte und von der Ausrüstung einer besondern Gesandtschaft Umgang nehmen wollte.

Alexander V II. forderte aber die Erklärung der

Obedien; durch eigens entsendete Botschaft.') Gebrauch wurde nicht aufrecht erhalten.

Allein dieser alte

Auch die deutschen

Kaiser begnügten sich seit Joseph I. mit der Anerkennungs­ form , wie sie seither von den anderen Mächten geleistet wurde. Zwar beschönigte man von Seite des österreichischen HofS den Abgang vom früheren Gebrauch dadurch, daß gewisse offizielle Besuche die frühere feierliche Obedienzgesandtschast ersetzten, aber zu einer Eidesleistung nach älteren Formen ist eS nicht mehr gekommen.

So wurde nach der W ahl P ius V I. 1775 E rz ­

herzog M ax nach Rom entsendet, und die Feierlichkeiten seiner Audienz waren, ganz nach dem Muster der alten Obedienz­ gesandschaften eingerichtet worden?) Die staatliche Anerkennung, welche der neue Papst jeweils erhielt, hatte nicht mehr die Form der Huldigung, aber die Anerkennung des Papstes von Seite des deutschen Reichs blieb ein Erforderniß des Pontifikats­ wechsels, so gut wie die Anerkennung einer neuen Regierung in einem der weltlichen Staaten.

Manche der übrigen Mächte

') Alle voraiistehenden Angabe» finden sich bei P h illip s V . 683 ff. ■'

M a ria Theresia hatte Befehl gegeben,

znr Ceremonie

des FußknsfeS bereit

finde,

daß der Erzherzog sich auch was aber PinS V I . nachließ.

Bericht HerzanS aus Rom vom 6. S ep t. 1775 bei B rnnner, Theol. D ien er­ schaft S . ‘2 4 ff.

D ie Festlichkeit wurde, um die Bedeutung derselben zn er­

höhen in einer gedruckten Broschüre beschrieben,

sie fiel — auch nicht ohne

Interesse — genau m it der von Neapel erforderten ZiiiScntrichrnng a» den neuen Papst der Zeit nach zusammen.

hatten aus Anlaß deS PonttfikatSwechselS ältere Formen noch bis in die neueste Zeit conservirt, wie Neapel, welche- die Ce­ remonie der Zinsentrichtmig mit derselben Feierlichkeit fortsetzte, wie sie in alten Jahrhunderten stattfand.') D ie A n e r k e n n u n g der durch die C a r d i n ä l e v o l l ­ zogenen P a p s t w a h l e n v on S e i t e der weltlichen Mächte ist der letzte historische A u s l ä u f e r d e s seit C o n s t a n t i n dem G r o ß e n zu Recht bestehenden b i l a t e r a l e n V e r h ä l t n i s s e s von Kirche u nd S t a a t in B e t r e f f d e s P o n ­ t ifikatswechsels. Wie der S taat dem gewählte» römischen Papste dadurch, daß er seine Anerkennung feierlich ausspricht, die Ausübung der durch das kanonische Recht begrenzten Ju ris­ diction ermöglicht, so ist der Papst andererseits verpflichtet, diese Anerkennung zu erstreben, wenn er seine» Pflichten entsprechen will. I n dieser bis auf die neuesten Zeiten fortentwickelten Formel drückt sich aber das Wesen deS bilateralen Verhältnisses begreiflich eben so scharf aus, wie in den älteren Formen der Bestätigung oder Ernennung des Papstes durch die oberste welt­ liche Gewalt. R uf ist die Beziehung, die zwischen S taat und Kirche in diesem Punkte durch eine große historische Entwickelung eingetreten ist, genau um so vieles feiner und abstrakter, als der moderne Staatsbegriff gegenüber dem lci:,a«t> Ä gnino aufgekommen ist V gl S tz « b . d W iener Äkad 3 3 E in leitu n g.

leistete, politisch und national viel tiefer gieng und allseitiger einheitlicher und bedeutender war, als in den Zeiten der alten Kaiser.

Nach dieser Richtung hat man daher nicht über Verfall

zu klagen.

D a s 14. und die folgenden Jahrhunderte haben

geistige und litterarische Hilfsmittel dem Staate zur Verfügung gestellt, wie sie weder den Heinrichen noch den Friedrichen zu Gebote standen.

Auch präsentirte sich der n a t i o n a l e S t a a t

im ganzen genommen viel ei nhei t l i cher der Kirche gegenüber als eS die kaiserliche Gewalt vermochte.

Denn der strenger ge­

regelte Antheil, welchen die S t ä n d e au der V e r f a s s u n g des S taats nahmen, gab den gegen die Uebergriffe des Pontifikats pr ot es t i r e n de n Mo n a r c h e n ein größeres Gewicht und stär­ keren Nachdruck. Nachdem R u d o l f von H a b S b u r g zum deutsche» Könige erwählt worden war, fanden die Verhandlungen wegen der An­ erkennung des Königs und wegen der Berufung zur römischen K a i s e r k r ö n u n g in Lyon statt.

Eben in diese Zeit fällt die

C o i i c l a v e o r d n u n g G r e g o r s X., von welcher wir früher ge­ sprochen haben. (S . 116). Die Zugeständnisse, welche bei der Erneuerung der Reichsgewalt von König Rudolf dem Papste Gregor X. gemacht wurden, enthielten die umfassendste Bestä­ tigung älterer Kaiserprivilegien, welche je vorgekommen ist. M it großer Sorgfalt wurde von der Curie das gestimmte kirchen­ rechtliche Material, wie cs sich damals bereits in den Canonensammluugen fand, den Unterhandlungen zu Grunde gelegt, welche König Rudolfs Kanzl er , der Probst O t t o von S p e i e r persönlich führte.

Aber auch die Reichsfürsten, welche in Lyon

gegenwärtig waren, mußten die abgeschlossenen Verträge mit unterzeichnen und beschwören.

Die unerschöpflichsten Ansprüche

hatte die Curie seit Jnnoccnz III. in Betreff ihres weltlichen

Besitze- erhoben.

Rudolf von Hab-burg garantirte denselben

in der unbedingtesten Weise. Äber auch die staat-kirchlichen V e r h ä l t n i s s e waren nicht unbesprochen geblieben. J a e- ist für unsere Erörterung von größtem Interesse, daß sich die Verträge zwischen Rudolf und Gregor X. unter spezieller Be­ rufung auf die kirchenrechtlichen Sammlungen ans zwei Canon e n beziehen, wovon der eine zwar nur die weltliche Stellung de- Kaiser- in Rom , der andere aber die P a p st w ä h l in'Auge faßt.

Daß nun bei der reichen Auswahl, welche die

kanonischen Sammlungen für da- bilaterale Verhältniß in B e­ treff de- Pontifikat-Wechsels darboten, gerade nach jenen Be­ stimmungen gegriffen wurde, welche dem Staate einen möglichst geringen Antheil sicherten, darf freilich in der Zeit, wo die Conclaveordnung festgestellt wurde, nicht Verwunderung erregen. Vielmehr möchte man darüber erstaunen, daß das bilaterale Verhältniß in Betreff de- Pontifikat-Wechsel- selbst einem Kö­ nige, wie Rudolf, gegenüber, der sich zu so gewaltigen Zuge­ ständnissen bereit finden ließ, nicht ganz umgangen werden konnte. Allein der Wortlaut der V e r t r a g - u r k u n d e n ist k lar'), d e r C a n o n E g o L u c l o v i c u s wurde noch von Gregor X. im Jahre 1274 bei der Erneuerung der deutschen Reich-gewalt a l- durchaus m a ß g e b e n d a n e r k a n n t , und aldie G r u n d l a g e der Stellung de- Kaiserthums zur P a p st­ w a h l bezeichnet.

S o unlöslich war alle- was kirchliche Insti­

tutionen betraf mit dem Begriff de- Kaiserthnms verwachsen, daß man immer wieder auf da- alte Verhältniß des Pactum') L e g e s IT. 3 9 5 —398. Servnbit praeterea et faciet omnia e t singula, quae in canonibus p o sitis 63 D istin ction e quorum quidem ca non u oi a l t e r F g o L ndovicua alter vero T ib i dom ino papae incipit cnntinentui.

zurückzugreifen genöchigt war. Zwischen Kaiser Ludwig dem Frommen und dem Papste wurde 817 durch daS große Privi­ legium, welches wir kennen (s. oben S . 43 ff.) und welches neben anderen Bestimmungen den citirten Canon enthält, ein Aus­ gleich gefunden, der zwar in Rücksicht auf die früheren weiter gehenden Zugeständnisse des Papstes Stephan V. eine Wieder­ herstellung völliger Selbständigkeit von Clerus und Volk in Betreff der Wahl und Consecration zu bedeuten hatte, dennoch aber das kaiserliche Genehmigungsrecht des gestimmten Pontifikatswcchsels nicht ausschloß. Wenn die Curie sich wirklich au den Canon, der die Basis der Verhandlungen in Lyon bildete, gehalten hätte, so wäre es ihre Pflicht gewesen »ach stattgehabter Wahl und Consecration des Papstes jedesmal eine G esandtschaft an den deutschen Kaiser zu senden, deren Aufgabe die Erneuerung des Pactums sein sollte. S o erheblich demnach auch die Zugeständnisse des Königs Rudolf I. an die römische Curie in Lyon waren, die Grundlagen des bilateralen Verhältnisses beim PontiftkatSwechsel blieben dennoch fast unwillkührlich durch den Umstand gewahrt, daß man kein einziges älteres Aktenstück in den RechtSsammlungen zu finden vermochte, welches dem Prinzipe der kaiserlichen Anerkennung und Genehmigung des Pontifikatswechsels geradezu widersprochen hätte. War die römische Curie dieser Verpflichtungen nach Gregors X. Tode eingedenk? Wir wagen die Frage nicht bestimmt zu ver!) dum co n a ecra tu s fu erit le g a ti ad n o s v eT ad u o str o s s u c c e s so r e a r e g e s F ran coru m d irigan tu r, qui in ter n o s e t illum am icitiam e t ca rita te m ac p a ccm s o c ie n t, C. 30. D . 63.

D aS ausdrückliche Eitat

dieses C anons in den Lyoner Verträgen wird man ohne weiteres gegenüber den gewaltigen Zugeständnissen deS Kanzlers als einen Vortheil staatlicher» seits betrachten dürfen.

«einen. JnnocenzV. sendete wirklich eine Ge s a n dt s c ha f t , um die alten Verträge, wie eS in dem Schreiben heißt, zu verbessern und zu vervollkommnen.') Auch N i k o l a u s III. bemühte sich um ein neues Pactum mit dem deutschen Reiche.')

Freilich war die in dem

Canon Ego Lndovicue bezeichnete Observanz schwerlich stricte befolgt worden, und der Legat des Papstes Nikolaus III. war mit einer Reihe von Urkunden ausgerüstet, welche mehr den Zweck zu haben schienen, die Machtstellung des Papstthums zu erweitern und zu entwickeln, als eine einfache und schlichte An­ erkennung deS Pontifikatswechsels zu verlangen.

Daß aber der

Gedanke des bilateralen Verhältnisses in Betreff der Papstwahl durchaus lebendig war und immer wieder nach einem staats­ rechtlichen und diplomatischen Ausdruck strebte, zeigt sich auS einem uns zufällig erhaltenen Schreiben der königlichen Kanzlei nach dem Tode des Papstes M a r t i n IV., in welchem R u d o l f von H a b s b u r g die C a r d i n ä l e ernstlich, wenn auch in sehr zarten und bescheidenen Formen aufforderte, die baldige und ent s pr echenbe W a h l eines neuen Papstes vorzunehmen?) Diesem diplomatischen Wechselverkehre, welcher sich über die Grenzen der staatlichen und kirchlichen Mächt in einer sich gegen­ seitig bedingenden Form bewegte, wurde ein heftiger Stoß durch den P o n t i f i k a t

B o n i f a c i u ö V III.

versetzt.

Schon die

Enchclica des anspruchsvollen „Rechtsgelehrten", welcher den S tuhl Petri bestiegen hatte, ließ erkennen, daß ein besonderes *) Böhm er, R eg. In oocen z V . N o. 227. Eine Legation wurde also doch wenigsten» abgeschickt. z) Nicolaus III. schreibt allerdings schon vor der Consecration — aber nicht» weniger als im S in ne einer Bestätigung der Wahl. Bgl. Raynald 54 ii. 57. Böhm er 233 u. 235. 3) T er von mir gesunde»« Br>es Rudols» in Slzgsb^r. der W ien er AkaU. Bd 33. 475

160

V. Geschichte der Obedienzoerweigenwg

Vertragsverhältniß mit irgend einer weltlichen Macht dem Papste, welcher die H e r r s c h a f t ü b e r a l l e menschliche C r e a t u r von Gott erhalten zu haben behauptete, ganz ferne lag.

D ie deut­

schen Verhältnisse begünstigten die Uebergriffe BonifaciuS VIII. und Albrecht I. unterwarf sich und seine Wahl in einer Weise dem römischen Stuhle, welche den G r un d sä t ze n d e r B u l l e U n a m s a n c t a m Staatsgiltigkeit zu verleihen schien.')

In ­

dem sich Frankreich hierauf zur Abwehr gegen die römische All­ gewalt rüstete, eroberte cd den päpstlichen S tuhl für sein Gebiet, für seine Nation, für seine Interessen. Unter französischem Schutze konnte C l e m e n s V. nachdem Tode Albrechts von Oesterreich Schreiben in das Reich ent­ senden, welche an die schlimmsten Zeiten päpstliche» Uebergewichts erinnerten und eine Sprache führten, als ob die deutsche K r o n e durch das P a p s t t h u m zu v e r g e b e n w ä r e ? ) Auch die Erneuerung der Kaiserwürde durch He in ri ch VII. vermochte keinen Ertrag für die Stellung des Kaiscrthums in Betreff der ’) BonisaciuS anerkannte Albrecht I. am 30. April 1303, nachdem die Bulle U nam sa n c ta m im November 1302 alle S taaten als Dependenzen der Kirche erklärt hatte. Albrecht hatte sich zu derselben Zeit in der nnbe dingteste» Weise durch Bries und Eid dem römischen S tuhle verpflichtet. I n der Anerkennungsbnlle de« König« ist natürlich von einem bilateralen Vertragsverhältniß nicht entfernt die Rede- Au« „M ilde und E rbarm en" lediglich wurde der deutsche König anerkannt, vgl. K o p p . I II. 127 ff. Selbst­ verständlich war auch bei der W ahl BenediktS X I. von einer Gesandtschaft an da« Reich nicht die Rede. Außer dem Erlaffe der Eneyclira verstand sich der Papst zu keinem Schritte, der an die alten Vertrags- und Recht»verhältniff« auch nur erinnern konnte. R a y n ald a. a. 1303. N o . 47. s) B ö h m er, R e g . C lem ens V . N o . 218, 321 und das N otariats-P ro­ tokoll in L e g e s I I . 493 nebst dem Schreiben an Heinrich V I I . ebd. 595. D a s Verhältniß w ar nun vollständig umgedreht worden und die einseitige Inanspruchnahm e der päpstlichen Gewalt über die Besetzung de« Kaiserthums schien unter französischem Schutze empfindlicher und energischer.

Papstwahlen zu liefern.

D er Eid, welchen Heinrich VII. zu

L a u s a n n e dem Papste schwören mußte, war für da- Kaiser­ thum in vollständiger Einseitigkeit verbindlich, ohne daß auch nur der geringsten Gegenleistungen oder Verpflichtungen der Curie gedacht worden wäre.

Vielmehr trat noch ein neues

Moment päpstlicher Ansprüche hinzu, indem Clemens V. Hein­ rich VII. auch die Constant ini sche Schenkung bestätigen und beschwören ließ. Officiell war der letzteren E r d i c h t u n g noch bis dahin in keinem kaiserlichen Aktenstücke gedacht worden.') Auch wenn man nur die rein weltlichen Besitzfragen ins Auge faßt und von den staatskirchlichen Beziehungen und Verhält­ nissen ganz absieht, so dürste man in Zweifel ziehen, ob das, was Heinrich VII. dem französischen Papste versprach, je aus­ führbar gewesen wäre.

Doch haben wir diese Seite der päpst­

lichen Ansprüche an diesem Orte nur insofern zu berühren, um zu zeigen, daß die stetige Steigerung des einseitigen Macht* anspruchS der Päpste gegenüber dem Kaiserthum in ihrer höch­ sten Entfaltung mit der Uebersiedlung des heiligen S tuhls nach Frankreich zusammenfällt.

Indem das deutsche Reich mit allen

seinen rechtlichen Ansprüchen zurückgewiesen wurde, war in der That der Moment gekommen, wo sich der n a t i o n a l e p o l i ­ tische G eist zum W i d e r s t a n d e r üs ten , oder u n t e r g e h e n mußte. *) F o rm a iuram enti preatiti p a p e p e r im p e rato rc m a p u d L a u sannam L e g e s II. 501. D ü n n ig e s II . 123. ES unterscheidet sich von dem lu ram en tu m Rudolfs in Lyon besonder- dadurch, daß die altere» Canone», welche eine Doppelseitigkeit des Verhältnisses nach ursprünglicher A n ­ schauung der Kirche voraussetzen, gar nicht mehr ausdrücklich erwähnt sindD er P riv ile g ia C o n sta n tin i ist an zwei Stellen gedacht, der Besitzstand der Kirche besonders auf die Inseln, sowie au> D»seien imo Spoceto aus­ gedehnt Vgl D ollm gpr, P a p s t I h ü p I ii September

Böliiner. Reg. Vubiv. Johann X X I I Nr. 2.

E r le d ig u n g des K aiserthum S a lle und sämmtliche staatshoheitlich en Rechte d esselb en auf den päpst­ lichen S t u h l übergiengen. Es mangelte nicht an ganz bestimmten Befehlsschreiben der Curie insbesondere in italieni­ schen Angelegenheiten, welche darthaten, daß es dem Franzosen mit seiner päpstlich-kaiserlichen Theorie völlig Ernst sei.') Als einer der wichtigsten Gesichtspunkte für das Verhältniß Ludwigs des Baiern zum päpstlichen Stuhle muß der Umstand festgehalten werden, daß eine Aufforderung den Streit zwischen den zwiespältig gewählten Königen durch päpstliche Machtvoll­ kommenheit zu entscheiden, gar nicht v o rla g . DaS Vorgehn Johanns XXII. war daher nicht einmal in der Weise zu er­ klären, wie die ähnlichen Maßregeln der großen Päpste des früheren Jahrhunderts, die wenigstens von den streitenden Parteien selbst zu einer Art von SchiedSrichteram t aufge­ fordert worden waren. Hier war vielmehr das Verhältniß geradezu umgekehrt worden; Johann XXII. war es, der die Anerkennung seiner Macht von dem Reiche zu erlangen hatte und statt dessen nahm er die Rechte des K aiserthum S in Person.und ganz im Ernste thatsächlich in Anspruch. Lud-1) K o p p I V . 405. u. 2 u. 3. A n den Kirchenthüren in A vignon wurde angeschlagen: ES sei klares Recht und seit altem stetsgeübter Brauch, daß bei Erledigung des K aiserthum s, wie gegenw ärtig durch den T od des K aisers Heinrich, zur Zeit, da niem and an den weltlichen Richter sich wenden könne, deS KaiserthumS G e r i c h t s b a r k e i t , R e g i e r u n g und V erw altung auf den römischen Papst übergehen. O b Jo h a n n X X I I . sich bei dieser I n ­ anspruchnahm e der kaiserlichen Rechte auch der In sig n ien deS Kaiserthum S bedient habe, ist nicht sicher. Gewiß dagegen ist es von P on ifaz V I I I ., der bekanntlich die päpstliche und kaiserliche K rone abwechselnd trug. J o h a n n berief sich übrigens zu seiner Rechtfertigung speziell aus C lem ens V ., der in der T h a t bereits m it der E rnen n u n g eines kaiserlichen ReichsvicarS fü r qan; Ita lie n den Anfang gemacht hatte. „ N o s ad q uob ro m a n i v a c a n lis i m n m i rpgim un p ev tiiierv d in o s c itu r R a y n a ld 1314. N o . 2.

wig der B a ie r legte niemals die Akten seiner Wahl dem Papste zur Prüfung vor, und auch Friedrich der Schöne unterließ es einen in dieser Richtung vorübergehend gefaßten Gedanken wirklich auszuführen.

Denn österreichischcrseits waren

zwar Schreiben dieser Art an die römische Curie um Prüfung und Genehmigung der Wahl in Erwägung gezogen werden, aber niemals nach Avignon abgegangen.') Als die entscheidende Schlacht von M ü ld o r f um den Besitz der Krone zwischen Oesterreich und Baiern geschlagen wurde, warm die Verhältnisse zwischen der kirchlichen und Reichs­ gewalt noch völlig ungeordnet und man darf sagen, trotz aller Uebergriffe der avignonischen Curie warai die Brücken nicht abgebrochen, worden, welche zu einem Vertrage führen konnten. Diese günstige Aussicht blieb so lange geöffnet, als die Ent­ scheidung über die deutsche Königswahl, welche beide Parteien auf deutschem Boden suchten, nickt gefalle» war. '.Nachdem das Schlachtenglück für Ludwig von B a i e r n entschieden hatte, war nun aber keine Zeit 311 verlieren, um in der Frage des Kaiserthums Stellung zum Papste zu nehme».

Die deutsche

Regierung konnte entweder den ohne jede Rücksicht ans die Rechte des Reiches vollzogenen Pontifikatswechsel von vornherein bekämpfen, oder mit stillschweigender Anerkennung der That­ sachen sofort das mehr politische Z i e l einer Verständigung mit dem päpstlichen Stuhle ins Auge fassen.

Daß man auch

die erstere Möglichkeit in Kreisen, welche Ludwig dem Baier nahe standen, in Erwägung zog, beweist der Umstand, daß in den Schriften der Minoriten ans die alten historischen Verhält\

Gegen Kurz,

welcher diesen Umstand übersah, hat schon Kopp be-

merllich gemacht, daß die betreffenden Schreiben ja noch heute in OriginalAusfertigung in Wien und nicht in Rom liegen.

nisse des Kaiserthums großes Gewicht gelegt und das Recht des K aisers'Päpste einzusetzen, sehr scharf betont wurde. Und daß Johann XXII. sich selbst mit Entsetzen von einer Lehre be­ droht glaubte, welche Einmischung der kaiserlichen Gewalt in die Papstwahlen gleichsam als Recht zu fordern schien, ersieht man auS seiner Berurtheilung der minoritischen Anschauungen gerade in dem erwähnten Punkte.') Trotz der naheliegenden Frage, ob es nicht gerathen wäre vom ReichSstandpnnkte die Anerkennung des Pontifikatswechsels schon auf Grund einer Prüfung der W ahl des französischen Papstes zu verweigern, zog es Ludwig der B a ie r vor U n te r ­ h a n d l u n g e n zu versuchen. Indem er J o h a n n XXII. über seinen S ieg und die im Reich gefallene Entscheidung unterrich­ tete, forderte er des Papstes Einwilligung zum Römerzuge des deutschen Königs, zur K a i s e r k r ö n u n g . Aber Johann XXH. lehnte ab , auf etwas anderes als einen päpstlichen Prozeß der beiden Könige vor seinem Forum, auf eine souveräne Entschei­ dung in den Angelegenheiten des Reiches einzugehen. Gleich­ sam als ob die Ereignisse sowenig wie die Stimmen der Reichs­ stände zu sagen und zu bedeuten hätten, nahm Johann XXII. das alleinige oberste Richteramt in den Angelegenheiten Deutsch­ lands in Anspruch. E r wollte die vollkommene und unbedingte Unterwerfung unter seinen Richterstuhl?) Hiermit war der ■) Der D efensor pacis, von dem noch später zu sprechen sein wird, enthalt auch die Erörterung über die Einsetzung der Päpste durch die Kaiser, worüber Johann XXII. in der Bulle bei Rymer II. 2. 271. unter anberm sagt: P ra e te re a legaut isti homines pestiferi historiaa approbatas, quis unquam papa catholicus ab im peratore in stitu tu s fuerit. Die historische» Studien Johann» scheinen nicht sehr gründlich gewesen zu fein. -') Leider ist miv die Antwort des Papste« vom 18. Dezember 1322 vorhanden, Ravnalil mm selben Jabre Nr. Iü Sehr »ngenüaend wäre,

168

V . Geschichte der Obedienzverweigerung.

Standpunkt des Vertrages, die Hoffnung auf ein Pactum ab­ geworfen; der Versuch des deutschen Königs auf'diesem Wege ein Verständniß zu erlangen, hatte sich a ls eine Täuschung er­ wiesen, doch war der M ä ß i g k e i t und B e r e i t w i l l i g k e i t von S eite des Königs wenigstens ein ehrenvoller Tribut gebracht, den auch die Reichsfürsten anerkennen mußten. Am 8. October 1323 eröffnete Johann X X II. ein s o ­ g e n a n n t e s R e c h t s v e r f a h r e n gegen den deutschen König, in welchem er, der selbst niemals die Anerkennung seines Papst­ thums durch das Reich erlangt hatte, Ludwig dem B aier jede Regierungsgewalt bestritt, und die Reichsfürsten aufforderte, sich solange jeder Theilnahme an den Maßregeln des Königs zu enthalten, bis dieser sich förmlich unterworfen und die Bestäti­ gung des päpstlichen S tu hles erworben haben würde?) D ie wenn man den In h a lt der Ablehnung aus Böhm ers Reg. 13 entnehmen wollte. Besser gewürdigt findet man die Antwort von Z iro g ib l, K a ise r L u d w ig , S . 165. *) R a y u ald 1323. N o. 30. Ich habe O ie n sc h la g e r S . 81 vor m ir: Id e m etiam L u d o v ic u s eodem p ra e su m p to titu lo non c o u te n tu s adm in istra tio n e m ju riu m reg n i e t im perii p ra e d ic to ru m , in grav em D ci oflensam e t con tem p tu ra ac m anifestam injuriam R om anae e cc le sia e m a tris su a e a d q u a m eiusdem v a ca tio u is te m p o re i m p e r i i r e g i m e n , s ic u t e t in p ra ese n tia ru m vacat, p e r t i u e r e d in o sc itu r, ncc non e t plurim orum scandalum e t rei tu rb a tio n e m ac laesionem p u b lic a e ac su a e anim ae d etrim entum p ro silire , se q u e illi im m iscere ir re v e re n te r ac in d e b ite p ra e su m p sit h a c te n u s e t p ra e su m it, exigendo e t re c ip ie n d o sub p ra e fa to titu lo reg io fid elita tis in A l e m a n n i a o e t n o n n u llis Ita lia e p a rtib u s tarn a p e rso n is e c c le s ia s tic is , quam s e c u la rib u s v a sa llis Im p erii, p e r se et a lio s ju ra m e n ta ac de dign ita tib u s e t h o n o rib u s e t officiis a d e iu sd em R om ani re g n i seu Im ­ p e rii d isp o sitio n e m s p e c ta n tib u s , pro suo lib itu d is p o n e re ; etc. M an sieht, hier liegt die Kehrseite deö alten bilateralen Verhältnisses vor. W enn m an die Verwahrungen, welche hingegen von Kaiser Ludwig erhoben wurden, in heutiger Zeit noch als bloße Deklamationen bezeichnet findet, so sieht man deutlich, wie schwer sich im deutschen Volke die nationalen Ideen durchsetzen.

Motivinmg dieser päpstlichen Ent schei dung darf man als ein historisches E r e i g n i s bezeichnen. Denn die neue kirchliche Lehre, daß die Rechte des KaiserthumS während der Erledigung des Reiche- einfach auf den päpstlichen S tuhl übergiengen, und die Ausübung der kaiserlichen Souveränität während des I n ­ terregnum- vollgehaltlich dem Papste zukäme, gab der S e n ­ tenz J o h a n n e s X X II. noch einen bei weitem tieferen Hinter­ grund, als ihn ähnliche Vorgänge der großen Päpste des frü­ heren Jahrhunderts hatte». Staatsrechtlich konnte kaum eine einschneidendere Doctrin erfunden werden, als diese, welche die gefammte geistliche und weltliche Macht, nach gänzlicher Abwei­ sung de- bilateralen Verhältnisses von S ta at und Kirche, in der H a n d d e - P o n t i f e x vereinte.

Wenn aber in der Ge­

schichte der Staaten und Völker es jederzeit als ein die Ideen reinigender G e w i n n betrachtet werden muß, die Consequenzen der in der Zeit und de» Umständen liegenden Prinzipien in voller Schärfe zum Ausdruck zu bringen, so möchte man den von Johann X X II. eingeleiteten Prozeß als ein Verdienst der pontificalen Regierung betrachten können. Denn diesen Grund­ sätzen der Curie gegenüber waren alle staatlichen Gewalten in Deutschland genöthigt Stellung zu nehmen.

Nach dem, waö in

Avignon an den Kirchenthüren angeschlagen worden war, konnte sich kein deutscher Fürst mehr über Unklarheit beklagen und hinter die abgebrauchte Schwertertheorie des sächsischen Landrechts ver­ kriechen.

Der von den Ständen des Reiches in früheren J a h r­

hunderten sehr gerne zu einer bloßen Personalfrage gestempelte Conflict zwischen Kaisern und Päpsten, war durch die Sentenzen deS französischen Papstes zu einer eingreifenden und unzweifel­ haften Angelegenheit für das Reick, als solchem geworden. Durch Johann XXII. wurre de» ReickSstänke» gleicksam ge-

waltsan« der Mliiid geöffnet. Doch muß man hinzufügen, daß das letztere erst nach einer ziemlich langen Reihe von Jah ren durch die Rechtsweisung des Kurvereins von Rense und für das persönliche Schicksal Ludwigs des B aiern zu spät geschah. B ei seinen e rsten S c h r itte n gegen die päpstliche Sentenz war Ludwig der B aier nicht wie Philipp der Schöne von Frankreich, von se in e n S t ä n d e n u n te rstü tz t. Gerade die ersten Fürsten des Reiches beharrten in Theilnahmslosigkeit bei dem Kampfe Ludwigs von B a ie rn , eine Erscheinung, welche ohne Zweifel dadurch zu erklären ist, daß in der deutschen V er­ fassung das höchste S taatsam t an eine Person und an ein geist­ liches Fürstenthum geknüpft w ar, welches den Interessen des Reiches nur zum Theil gehorchte und mit dem Könige nicht nothwendig Hand in Hand gieng. S o war auf den M ainzer erzbischöflichen S tuhl eben dam als ein M ann durch p äp stlich e P r o v i s i o n erhoben worden, welcher das E r z k a n z l e r a m t des Re ic hes in Anspruch nahm, aber als Eindringling gelten mußte tmd daher dem Könige feind, aber auch bei den M ilstän­ den ohne Einfluß und Ansehe» war. Eine Abwehr der päpst­ lichen Usurpationen mit Hilfe und auf dem breiten Grunde der Reichsgcsetzgebung war unter diesen Umständen dem Könige Ludwig zunächst leider versagt. E r war genöthigt seine V er­ wahrung gegen die Sentenz Johannes XXII. lediglich als einen Ausdruck s ei n er kö ni g l i c h e n S o u v e r ä n e t ä t s r e c h t e ohne Herbeiziehung einer Reichsvcrsammlung, als einen p e r s ö n ­ l ichen Act unter dem Siegel eines öffentlichen N otars in die Welt zu senden.') Auch darin lag ein schwacher Punkt der ') Notariatsinstrument in dom o A lb e r ti E b n er zu Nürnberg vom 18. Dezember O lcn sch la g er 85. D ie Zurückweisung der oben besonders hervorgehobenen Stellen geschieht 1. durch die Darstellung der faktischen

Ludwig« Protest

171

Zurückweisung der päpstlichen Usurpationen, daß der König an ein allgemeines Concilium appellirte und dadurch gleichsam die Möglichkeit einer 'Untersuchung des staatsrechtlichen Falles durch die kirchliche Autorität zugestand.

Zwar war Ludwigs Protest,

sowohl was die Einzelheiten, als auch die allgemeinen Grund­ sätze betraf, eine mit Sachkenntniß und Geschick gearbeitete StaatSschrift, aber es fehlte ihr der Nachdruck eines Reichs­ beschlusses, die Kraft einer n a t i o n a l e n Rechte,

E r k l ä r u n g der

durch welche die westlichen Nationen in wichtigen

Sachlage, nach welcher Ludwig da- Reich regiert und diese- daher nicht er­ ledigt sei; 2. aber auch principiell: N ee concedim us ita sim pliciter, nt propooitur, ad sedem apostolicatn exam inationem etc. pertinere sicut asserit. Als bedeutungsvollstes Moment muß aber hervorgehoben werden, daß der später von den Ständen adoptirte Grundsatz bereit- hier leioer vom König vereinzelt mit voller Klarheit ausgesprochen ist: respondemus, quod hactenua a tem pore cuins non e st m em oria, circa electoe Romanorum reges et principes sic e st de ju re e t conauetudine observatum , e t sic ten en t, dicunt . . . . u t non sit, qui dubitet vel ignoret: quod R om anus rex eo solum, quod electus est a principibus electoribus, ad quos p ertin et ipsius e le c tio , omuibus vel majori uumero eorundem e t coronatus covona regia in solitis locis e t consuetis, rex e st e t pro rege habetur, e t rex nominatur et eidem ab omnibus paretu r e t in ten d itu r sicut regi ac ju ra regni libere adm inistrat . . . .

Zwischen die päpstliche Sentenz und die königliche Protestalion fällt eine Gesandtschaft Ludwig- m it Urkunde vom 12 Nov. 1323. Dieselbe war ab­ gegangen und wurde vom Papst durch das sogenannte zweite Recht-verfahren 2. J a n u a r 1324 abwei-lich befchieden D ie Chronologie der Aktenstücke weist auf folgenden Zusam m enhang: Erste- Rechtsverfahren. Protestation vom 18. Dez. Bannbulle vom 23. M ärz 1324, zweiter Protest v. 22 M a i; — Absendung der Gesandten am 12. Nov. sogenannte- zweite- Recht-ver­ fahren vom 2 Ja n u a r. Zwischen den beiden letzten und den vier ersten Aktenstücken ist kein Zusam m enhang, da sie in die Zwischenzeit fallen, inner­ halb welcher zwischen Avignon und N ürnberg resp. Frankfurt keine Nachrichten einliefen. Hiemit ei ledigen sich die von Raynald und Bnchner angeregten Bedenken

Augenblicken ihrer Geschichte groß dastehen. D ie Kurfürsten hatten Lwar am E n d e , wie sich zeigen wird, ihren Ausspruch gethan, aber die königliche Protestation war zu Boden gefallen, weil die ständische Mitwirkung fehlte; und als die Stände sich aufgerafft hatten, war die königliche Macht schon im Ansehn geschwächt und epecutirte daher nur ohnmächtig, was die Stände über die Rechte erklärten. Hierin lag der Unsegen der unfer­ tigen Verfassungsverhältnisse des Reichs, aber auch die Haupt­ quelle des Unglücks Ludwigs des Baiern. A ls die unmittelbare Antwort des Papstes auf den Protest Ludwigs erfolgte die B a n n b u ll e vom 23. M ä r z 1324, welche ihre Begründung in der Fortführung des T itels und Amtes eines römischen Königs und in dessen fortdauernder Unterstützung der Feinde der Kirche in Italien finden sollte.') M it Verkennung des wahre» Sachverhaltes stellte Johann X X II. den Hergang seines Verfahrens so dar, als ob Ludwig durch Entsendung von Boten dem obersten Richteramt der Curie sich unterworfen, aber dann rückfällig geworden und tu Folge dessen die Strafen der Kirche auf sich gezogen hätte. Er entband nicht nur jedermann, wie üblich, vermöge apostolischer Machtvoll­ kommenheit des Gehorsams und aller geschworenen Eide und Versprechungen gegen den teutschen König, sondern er verbot auch bei S trafe der Excommunication a lle n V erk eh r und je d w e d e U n terstü tzu n g und D ie n s tle is tu n g . Nur auS Gnade sah er den deutschen Kirchen, Fürsten und Gemeinwesen nach, was dieselben bisher dem Gebannten gethan oder ge­ schworen lind erklärte den Tag der Verkündigung der BannVon O ienschlager als drittes Verjähre» bezeichnet S . 9ti. Urgct uos euritas.

bulle als den äußersten Termin, von welchem an jedermann seinen Verkehr mit Ludwig von Vatern abzubrechen hätte. Die Nachricht von der in Avignon geschehenen That traf den König in Frankfurt, wo er im Frühjahre 1324 weilte und wo sich aus allen deutschen Landen zahlreichere Anhänger ein­ zufinden begannen, als bisher. Zu S a c h s e n h a u s e n im De nt sc h or de nS h au s e verkündete er wahrscheinlich am 22. M ai seinen zweiten Protest.

Nach der Bulle vom 23. März gab eS

nur eine würdige Erwiederung von Seite des Reichsoberhaupts und das war die V e r w e i g e r u n g der Obe die nz. I n merk­ barer Verschiedenheit von den früheren Aktenstücken wird J o ­ hann X X II. nicht mehr als Papst anerkannt, sondern einfach mit s ei n em N a m e n bezeichnet, wobei nur hinzugefügt wird, daß sich derselbe einen Papst nenne.') Die Rechtmäßigkeit des Pontifikats wird nicht auf Grund der vor acht Jahren vorge­ kommenen Wahlumtriebe, sondern lediglich in Folge des un­ gesetzlichen Verfahrens gegen Ludwig von Baiern

und

das

deutsche Reich bestritten. Die höchst verderblichen s taat sre cht ­ lichen G r u n d s ä t z e , welche Zohann X X II. zur S c h ä d i g u n g des K a is e r t h u m s

und der Stände des Reiches erfunden

hätte, die willkührliche Behauptung von einem Prüfungsrechte der Kirche in Betreff der Personen und Gesetze des Kaiserthums, die Anmaßung, welche in der Einmischung in die Angelegen!) N o s L udovicus dei gratia R R. sem per Augnstus proponimus contra J o h a n n e n , qui se d icit Papam X X II. quod inim icus sit pacis, et in tendit ad discordias et scandala su scitan da non solum in Italia, quod notorinm e s t, sed etiam in Alem annia su scitan do P ra ela to s et P rin cip es, comraovendo per nnncios frequenter et littera s, so llic ita n d o , nt contra sacrum imperium et uos debeant goerram m overe et pro viribus rebellare. Am vollständigsten und besten bei B aluze. V«tae II. No. 75.

heiten nicht nur Italiens, sondern auch Deutschlands und die Ruchlosigkeit, welche in der Aufreizung der Unterthanen zur Eid­ brüchigkeit und Rebellion sich anSsprächen, — dies sind die Gründe für die Aufkündigung des staatlichen Gehorsams gegen­ über dem Papste. Nur im uneigentlichen S inne kann man das Aktenstück eine A p p e l l a t i o n an ei n C o n c i l nennen; Ludwig gibt die Erklärung ab, daß er sich und seine Sache der Entscheidung eines Concils unterwerfen wollte, sobald sich ein solches an einem sichern lind tauglichen Orte versammeln würde.')

Aber

es liegt eine Schwäche des damaligen Staatsbegriffs darin, daß Ludwig eine Lösung des Conflikts in Aussicht nahm, die er ohne die Grenzen seiner Gewalt einseitig zu überschreiten nicht herbeiführen konnte.

Denn wer sollte das allgemeine

Concil versammeln? Johann XXII. war in seinem sichern französischen Winkel selbstverständlich durch den Vorgang Lud­ wigs nicht einen Augenblick irre gemacht worden.

E r setzte im

M ärz und April die Excommunication gegen einzelne oder be­ stimmte Classen von Personen nngeschwächt fort und sprach im Ju li gegen Ludwig eine förmliche Ungiltigkeitscrklärung seiner Wahl und die Absetzung aus, citirte ihn im Gegensatze zu der Idee einer conciliaren Lösung auf den ersten Oktober persönlich ') D ie geschraubten Wendungen, welche daS Aktenstück in dem Punkte der Concilsberufung zum Unterschiede von der sonstigen Prägnanz desselben enthält, zeigen, daß man sich an Ludwigs Hofe der Schwierigkeit wohl be­ wußt war: Juramus ctiam d o s contra eundera pro viribus persecntores praedicta in con cilio general! eongregando in loco tuto atque securo ad honorem dei e t exaltationem fidei christianae et sanctae D e l e c c le sia e et sacri imperii et principum et devotorum . . . in quo nop favente dom ino iuteudim us personaliter Interesse. Aber wie und wo die Zusammenkunft des Concils ermöglicht werden sollte, dafür sucht man in diese» und allen ander» Stellen vergebliche Aufkläniiig.

vor fein Gericht, ermunterte auch den Oesterreicher zum Bruche seiner Ludwig dem Baier geschworenen Eide und Versprechungen und rüstete den Krieg gegen den König durch Kreuzzugs-Privilegien und Ablaßbullen. Eine couciliare Lösung des ConfliktS, wie sie Lud­ wig der Baier und feine Staatsmänner und Theologen forderten, war demnach in der That unausführbar, wenn sich die kaiser­ liche Gewalt nicht gleichzeitig zutraute, wie zur Zeit der Ottöneu, Kirchenversammlungen selbstständig zu berufen. Mochte man nun am deutschen Hofe ans Furcht vor der Erfolglosigkeit einer Maßregel dieser Art oder aus anderen Gründen eine bloß theoretische Forderung nach einem Concil aufgestellt haben, die Sache erhielt den Charakter der Halbheit, welche Johann XXII. sehr gut benutzte. Zugleich aber trat in der Proklamation Ludwigs vom 22. M ai noch ein anderes kirchliches Moment zum ersten male hervor, welches den Streit mit dem Papstthum von der rein staatsrechtlichen Basis einigermaßen verschob. Denn wenn wir in der angeführten Zurückweisung der Eingriffe des Papstes in die Reichsangelegenheiten analog der Nürnberger Erklärung Ludwigs eine klar gezogene Linie der Grenzen zwi­ schen Staats- und Kirchengewalt constatieren konnten, so lag schon in der Hindeutung auf den conciliaren Weg der Lösung eine Klippe vor, welche verschärft und gefährlich wurde, wenn der König das weite Gebiet der in jenem Augenblicke schwebenden dog­ matischen Streitigkeiten in sein Bereich zog. I n unmittelbar­ stem Anschluß an die streng juristischen Deduktionen des Königs, unter denen wieder die Zurückweisung des päpstlichen Anspruchs ans die Reichsregierung während des Interregnums den erheb­ lichsten Eindruck macht,') bricht gleichsam mit phänomenaler M )> ifiiib u laßt

h e ucttvffvith' £ ie t i c an junsuscher K la rh e it

176

V . Geschichte der Obedienzverwergerung,

Gewalt die Frage der Glaubenslehren und der evangelischen Wahrheiten in die deutsche StaatSschrist herein. I n dieser verhängnißvollen Thatsache lag vielleicht ein echt nationaler, wenn man will v o r r e f o r nt «t or i scher C h a r a k t e r z u g .

E s war,

als ob es dem deutschen Gemüthe schwer fiele, die Obedienz auS rein politischen und rechtlichen Motiven zu verweigern, als bedürfte eS zur Begründung der Abwehr geistlicher Usurpationen auch noch besonders des Nachweises offenbarer Irrlehren und falschmünzerischen Glaubens. E s war, als ob die deutsche Re­ gierung die Gewissensbedenken der Nation bei dem großen Schritte der Aufkündigung deS kirchlichen Gehorsams nicht für hinreichend beruhigt hielte, wenn sie nicht auch die gleichsam ans der innern Rechtfertigung des Glaubens hervorgehenden Gründe ihres Abfalls feierlich erklärt hätte. Die kanonische Lehre über das ausschließliche E n t s c h e i ­ d u n g s r e c h t des päpst l i chen S t u h l e s in Sachen des G lau­ bens und der Lehre war immer ein Gegenstand mächtiger nicht« zu wünschen: Ite m ille c ru d e l is U surp ator iu ra p r in sip u m imperii p r iv a ta n e g o tio i n d is c u s so p a r te in a u d i t a nititur u su r p a r e . Cum enim v a c a n te im p erio com iti P a l a t i n o R h e n i de iure e t app r o b a t a imperii c o n su e tu d in e o b s e r v a t a h a c t e n u s inconcnsse p r a e sertim in p a r ti b u s A la m a n n ia e c o m p e t a t j u s a d m in istra n d i j u r a imperii, fe o d a e c c le s ia s tic a e t t e m p o r a lia c onserendi, e t e u u e ta alia n e g o lia d ispo ne nd i, ipse in dicti p r i n c i p a t u s e t principum su orum iniuriam c on te nd it, qu o d in nullum caaum sibi c o m p e tit ad se a d m in istra tione m v a ca n tis im perii p e r tin e r e . Hieran schließt sich eine Stelle, welche oben S . 163 erwähnt ist: Id e m in c o nsistorio m anifeste dixit, qu od ipse ad con cu lea n d u m s e r p e n t e m aeneum Imperium Ala mannornm omni t e m p o r e suo pro viribus l a b o r a re vellet e t inte n d e r e to to posse, s ic u t effectu o p e r is d e c l a r a t e t c o m p r o b a t t o ta die. Hierauf beginnt mit den Worten N o n suffecit untern sibi das Resnme der kirchlichen und dogmatischen Streitigkeiten zwischen den Minoriten und dem Papste und die Berurtbeilung des letztem als Irrgläubigen.

D i f f e r e n z e n unter den Theologen.

Die Frage hatte im da­

maligen Augenblicke eine sehr tiefgehende Bedeutung durch die Verurtheikung de- durch frühere Päpste anerkannten G r u n d ­ sätze- von der v o l l k o m m e n e n A r m u t h C h r i s t i und der Apostel erlangt.

D aß die M i n o r i t e n einige Consequenzen

hierau- auf die wünschen-werthe A r m u t h der Kirche über­ haupt gezogen hatten, bestimmte Johann X X II., welcher25 M illio­ nen gesammelt und hinterlassen haben soll, die früher approbirte Ansicht durch kachedrale Entscheidung zu verwerfen.

D er ge­

waltige S t r e i t m i t d e n M i n o r i t e n brach au-. Allerding­ schien die Forderung eine- Concil- vermöge der innern Un­ sicherheit der katholischen Lehre, welche durch eine Entscheidung de- Papste- schwankend geworden w ar, besser und allseitiger begründet werden zu können, allein die Angelegenheit betraf nicht unmittelbar da- staatliche Grenzgebiet.

Allerdings konnte

der Widerspruch, der zwischen kathedralen Au-sprüchen nun ein­ mal vorlag, nur durch Berufung eine- Concil- gelöst werden, aber die päpstliche Curie war natürlich weit entfernt davon, sich einer solchen Versammlung zu unterwerfen und zwischen der Durchführung und dem Wunsche nach einer solchen M aß­ regel war eine Kluft, welche die Worte und Beweise der könig­ lichen Proklamationen nicht zu überbrücken vermochten. I n der That ist eS aber persönlich und sachlich leicht zu erklären, warum der staatsrechtliche S treit Ludwig- de- BaicrN zu dieser theologisch dogmatischen Umarmung gelangte.

Eben

jene M inoriten, welche den Papst als Jrrlehrer bekämpften, waren auch die Rathgeber Ludwigs de- Baiern in Sachen deS taate-.

M a r s i l i u s vo n P a d u a , J o h a n n

von G e n t

und ihre Freunde verfochten in ihren Schriften die Rechte des Staates gegen die Usurpationen des Papstthums; ihrer Gelehr12

samkeit waren die tiefeinschneidenden Rechtsnachweisungen aus alter und neuer Geschichte zu verdanken; sie waren es, die den Staatsschriften Ludwigs die prinzipielle Grundlage gaben, welche dieselben in seltenem M aße vor allen früheren ähnlichen Akten­ stücken im Kampfe der alten Kaiser mit Rom auszeichnet. M it welchem Bewußtsein überlegener historischer Kenntniß vermochten sie den Papst auf die Stellung der Kirche zur Zeit des Kaisers Constantin zu verweisen; welche Fülle von staunenswürdig scholastischer Schlagfertigkeit zeigte sich in ihren litterarischen Leistungen, die sie unter dem Titel der „Fricdensveitheidigung" gesammelt in die W elt schleuderten. Johann X X II. kannte nur zu gut die geistige Uebcrlegeuheit seiner minoritiscken Gegner, gegen die er im Grunde keine andere Widerlegung a ls die deS Fluches hatte: B e s t i e n d e s h ö l l i s c h e n P f u h l e s seien sie, heraufgestiegen, um die Menschheit zu verderben. D iese Männer nun waren nicht nur die Bundesgenossen des Königs, sie waren auch seine v o r n e h m s t e n R ä t h e , sie standen ihm persönlich nahe, — einer davon war sein Arzt; war cö da wohl ;» ver­ wundern, wenn sich Ludwig neben dem kaiserlichen Schwerte auch die Waffen des Glaubens umgürtete, mit in dem feindlick gesinnten Papst zugleich den Reitern- und Zerstörer der evan­ gelischen Wahrheit anzugreifen? Und auch manche sachliche M otive schienen für die Herein­ ziehung des dogmatischen Standpunktes i» die staatsrechtliche Streitfrage zu sprechen. I n einem Zeitalter, welches zwischen Staatssachen und Kirckenangelegenheiten, zwischen Glauben und Wissen, zwischen Geistlichem und Weltlichem nur sehr schwache Unterschiede machte, mußte es erscheine», als ob der politischen und staatsrechtlichen S eite des Kampfes ein tieferer Hintergrund in der religiösen Ueberzeugung der Masse des Belkes gewonnen

werden müßte.

Die Weltanschauung der Menschen wurzelte zu

tief in dem Gefühle der Abhängigkeit von den überirdischen Dingen, als daß es leicht möglich gewesen wäre die juristische und politische Frage rein und säuberlich und in selbständiger Weise zur Lösung zu bringen. Nicht nur auf die Gemächer der Menschen sollte es einen großen Eindruck machen, wen» man nachweisen konnte der Papst habe sein höchstes kathedrales Entscheidungsrecht mißbraucht und sei selbst zum Häretiker ge­ worden ; ohne Zweifel für den König Ludwig selbst war es ein Sporn zur Ausdauer, ein M ittel eigener Beruhigung, wenn man ihm sagte, der Papst sei von der kirchlichen und dogma­ tischen Wahrheit abgefallen und zu verwerfen. Aber freilich war der König nunmehr auf eine Bahn gezogen, welche sich als schlüpfrig und abschüssig erweisen sollte und aus der Ludwig von B aiern daS volle Gleichgewicht nicht behauptete, weil er die ganze Tiefe der Frage kaum zu fassen vermochte, weil er die Conscquenzen der ungeheuren Anklage wohl auch nicht völl° ständig überblickte. DaS Ur t h e i l der Geschichte war gegen Ludwig den B aier im Allgemeinen ungleich härter, als man bei genauer Betrachtung begründet finden kann. E s war eine gewaltig ver­ wickelte Zeit von ständischen Kämpfen, theologischen S treitig­ keiten, fürstlicher Nebenbuhlerschaft, geringen Machtmitteln und finanziellen' Krisen, mächtigen europäischen Coalitionen.

Die

allgemeine europäische Lage war unendlich verworrener und für die Deutschen schwieriger, als zur Zeit Kaiser Friedrichs II. oder gar Ottos I.

Kein Wunder, daß Ludwig de.r B aier um soviel

kleiner und unbedeutender erschien, als diese letzteren.

D as

Urtheil der Geschichte über seine Persönlichkeit, über sei» Wollen und Können war immer nur das Rcflexbilk der damaligen 1-211

chaotischen Weltlage. Ludwig der B aier gehörte nicht zu den durchgreifenden Menschen in der Geschichte, welche den Dingen auf Jahre hinaus eine bestimmte Gestalt und Richtung geben, aber seine Regierung bildet ein unvertilgbares Glied in der staatsrechtlichen Entwickelung des Reiches. Indem man ihü erfüllt sieht von den großen Doctrinen seiner Zeit, die zum erstenmale einen durchaus modernen Charakter, wenn auch noch in scholastischer Form, tragen, ist man fortwährend im voll­ sten Zllge sich für seine Geschichte wie für einen Gegenstand, der unS unmittelbar angeht, zu interessiren. Indem er in seinem Kampfe gegen Avignon Ideen mit gewaltigem Anlauf, M uth und ernstem Sinne vertritt, welche die Theilnahme des modernen Menschen erregen, wird man sich unwillkührlich für ihn erwärmen, und eS als ein tragisches Geschick beklagen, daß man ihn zuweilen erlahmen sicht, und daß er nicht den letzten kräf­ tigen Sprung wagte, wo er schon so nahe am Ziele zu stehen schien. I n manchen Augenblicken seiner Geschichte erregt er die Zuversicht, als wäre er der M ann gewesen die reformatorische» Tendenzen, welche zwei Jahrhunderte später von den Ständen des Reiches getragen wurden, aus dem Centrum der königlichen und kaiserlichen Gewalt heraus zu entwickeln. E s hat etwas Großartiges, wie sich Ludwig gegen den Papst erhebt, gegen den „Abtrünnigen, welcher sich in boshafter Wuth gegen den H errn, gegen die allerseligste M utter, gegen die Apostel und die int Leben und Handel» bewährte evangelische Lehre des seraphischen FranciSkus von der vollkommenen Armuth der Kirche" versündigt, habe. Aber cS war auch sehr erklärlich, daß sich in dem Jahre­ langen schicksalsvollen Streite, ein Charakter wie Ludwig von Baier» nicht stets auf dieser Höhe der Ausck'auung nnd Kraft

zu behaupten vermochte.

E r hatte ein festes und beharrliches

Gefühl von seiner hohen Stellung, seinem Rechte, allein wer konnte läugnen, daß hier ein Kampf mitspielte, den die Seele des Königs nicht ganz umfaßte.

Wenn ihm die Theologen und

Juristen seiner Umgebung von der Verworfenheit jenes Papstes erzählten, so mochte er wohl an seine Mission glauben, dem S ta at wie der Kirche zu helfen. Aber in Augenblicken, wo er a « Abgrund stand, und die Dinge schief gegangen waren, be­ unruhigte sich der königliche Herr gar sehr über die Richtigkeit seines Vorgangs und über die dogmatischen Streitigkeiten. Mißmuthig erklärte er dann, er hätte nichts von dem Latein verstanden, das man ihm vorgelesen und das er ungern unter­ schrieben hätte.

E r wollte dann nichts von den Minoriten und

ihrem theologischen Gezänke wissen, er sei ein weltlicher M ann, kenne bloß Reich und Recht und sei geneigt sich zu vertragen und zu versöhnen. Aber trotz aller Schwankungen kam eS doch nie dazu, daß er sich unterworfen hätte, wobei eS unbestimmt bleiben mag, ob mehr durch Ueberzeugungstreue des Königoder Starrsinn des Papstes die- verhindert wurde.')

Wie

') E - würde mit den Zwecken dieser Abhandlung nicht stimmen, alle die Akten zu wiederholen, welche für die so oft und hart getadelten Schwan­ kungen Ludwig« bezeichnet sind. Daß in der Vertheidigung de« König« Büchner, Zirngibl und andere zu weit gegangen sein mögen, kann doch nicht den Abscheu gerade vor den gelehrtesten Werken über diesen König vermin­ dern, in denen die Undeutschheit gewisser Gelehrten bis zur förmlichen An­ erkennung der französisch-päpstlichen Usurpationen sich steigert. D as trau­ rigste Zeugniß des Wankelmuth« ist Ludwigs Verbaltnngsbrief für die kais. Gesandten vom Jahre 1331 und daS Augsburger Schreiben S anctiasim o in C hristo P a tri et domino suo J o h a n n i: Sepe fit. O lenschlager, S taatsg . No. 63 u. 64: Und daucht dan den Stul das si (die Minoriten) ich t tä te n , das wider den glauben wäre . . . so wolten wir den glauben schirmen

Ludwig die letzten Schritte nach links nicht that, so vermied er sie auch nach rechts. Denn es war eben nicht leicht vom bairi­ schen Hochland, bedroht von allen Seiten und Stämmen, die Welt ;u beherrschen; der König war nur zu häufig eingeschüch­ tert und brauchte dann fremde Ermunterung und Hilfe. E r verfiel in Schwermuth und Trauer und die Thatkraft verließ ihn in solchen Momenten. E r war kein M ann von starker, eigener Initiative, ein breilangelegter tapferer Charakter voll momentaner Ueberzeugungen und von einem gewissen Selbst­ bewußtsein seiner guten Absichten und seiner Bravheit. E r war gerne bereit seinen gelehrten Freunden und seinen M ini­ stern aus voller Seele zu vertraue», aber auch ohne das leben­ dige Gefühl der vollen Verantwortlichkeit für sein Thun und Lassen, welches starken Herrschernatureu eigen ist. I n den d e u t s c h e n S t ä d t e n und B ü r ge r s c h a f t e n fand Ludwig in seinem Kampfe gegen Avignon den meisten und stärksten Rückhalt. M it Eifer und Entschlossenheit folgte man dem Könige auf der Bahn der Obedienzverweigerung. Je schwankender und unsicherer die Fürsten sich zeigten, desto popu­ lärer war die Opposition gegen das Papstthum in den weiteren Kreisen der Nation. Wenn sich die Bischöfe nicht dem Wider­ stande des Königs anschlössen, obwohl sie deutliche Beweise gaben, daß sie im Herzen' und nach ihrer Gesinnung den An­ sprüchen des Papstthums abgeneigt waren, so fanden die Reichsstädte hierin nur desto mehr Grund zur Ausdauer und treuen Hingabe an den König. I n den rheinischen Städten waren List und Drohungen der Curie vergeblich aufgewendet worden, um die Bannbullen Johanns X X II. zu publiciren. Die Stadtmagistrate gestatteten nicht, daß man der schmählichen Usurpation des avignonischen Priesters auf den Kanzeln Aus-

druck gab, oder.das sogenannte Rechtsverfahren an die Kircheuthore heftete. Auch bei den K u rfü rsten schien eine Ahnung vorhanden zu fein, wohin es - mit ihren Rechten käme, wenn die staats­ rechtlichen Ansprüche des Papstes geduldet würden. Johann X X II. selbst bezeichnete cs als ein verläumderisches Gerücht, daß er den Deutschen die Wahl des Kaisers entziehen wolle.')

Aber

es konnte doch niemand sich täuschen, daß seine Behauptung die Päpste hätten im Falle der Erledigung des Thrones daS Reich zu regieren allen Gewohnheiten und Rechten der Kur­ fürsten präjudicirte.

D as K urcollegium

nahm freilich an

den Akten des Königs nicht unmittelbar Antheil, aber eS war doch sehr weit davon entfernt, sich auf S eite de« Papstes zu stellen.

Durch alle Mittel der Gefälligkeit und Verführung

vermochte die avignonische Curie doch nichts weiter, als den rechtlichen Ausspruch des Kurfürstencollegiums um mehrere Jahre zu verzögern und zu verschieben.

Mancherlei Gründe hielten

das letztere ab, sich mit der königlichen Gewalt zu identifiziren und dieselbe durch eine verfassungsmäßige Zustimmung unbedingt zu vertreten, allein eS kam doch endlich die Zeit, wo die Kur­ herren nicht länger zu schweigen vermochten.

E s war lediglich

der seit fünfzig Jahren schwebende innere DerfassungSstreit über die Stellung und Bedeutung des H o f k a n z l e r S in der Regie­ rung des Reichs, wenn das E r z k a n z l e r a m t von Mainz sich •) Schon im Jahre 1324 muß die Stim mung unter den Kurfürsten sehr bedenklich gewesen sein, wenn sich Johann herbeilaßt an dieselben be­ schwichtigend zu schreiben, sie möchten nicht glauben, daß er ihre Rechte an­ greifen wollte: Q uocirca serenitatem . . atten tius deprecamur, quatenus tu um animum ad cuiscuoque sinistrae su g g estio n is instantiam super bis non incliues, ded pot.ius su ggeb toies eosdem fabricatores mendaciurum veputes et m cndacce.

V . Geschichte der ObcdienzvcrWeigerung.

184

zurückhaltend und antheilslos in der tiefemgreifenden Frage ver­ hielt.')

Aber selbst der Erzbischof M a tth ia s, der ferne» Sitz

der päpstlichen Provision verdankte, hütete sich wohl die Behaup­ tungen des Papstes gutzuheißen.

D a s Kurcollegium, dessen

S tellung in der Verfassung seit fünfzig Jah ren immer wichtiger und

eingreifender

geworden

w ar,

nahm

nun

dem

gegenüber einen mehr staatsmännischen Standpunkt ein.

Papst B e­

sonders die drei geistlichen Fürsten mochten sich wohl der poli­ tischen S eite des S treites

bemächtigen, aber sie waren weit

entfernt sich von den dogmatischen Angriffen Ludwigs gegen den Papst fortreißen Baldewins

zu lassen.

von T r i e r ,

M an darf es dem E i n f l u ß des staatsklugen B ru ders Kaiser

Heinrichs V II. zuschreiben, wenn die Kurfürsten ihrerseits das sogenannte Rechtsverfahrerl gegen den deutscher: König verwarfen?)

') Zirngibl will zwar nicht zugeben, daß die Regierung Ludwigs das Gepräge seiner Minister trug, allein das ändert doch nicht, daß die beiden Kanzler Ulrich von Hagenohr und Berthold von Tuttlingen noch bei weitem nicht hinreichend gewürdigt worden sind. Es lag aber der alte S treit vor, daß die Erzkanzler'von Mainz sich beeinträchtigt wähnten, und in Folge dessen ihre ständische Mitwirkung häufig versagten. Selbstverständlich ist diese Seite der Geschichte Ludwigs bisher ganz unbeachtet. Auch war der E in­ fluß, welchen die Grafen Henneberg, Dettingen, Nürnberg auf Ludwig hatten, dem Fürstenstand nicht ganz erwünscht. 2) Baldewin von T rier hat jetzt eine gute Biographie erhalten, aus der man leicht sich unterrichten kann, wie derselbe auch stark hin und her diplomatisirte. Als die entscheidende Richtung behielt er doch seit 1326 Ableh­ nung jeder päpstlichen Einmischung in deutsche Angelegenheiten bei. Er publicirte die päpstlichen Bullen gegen Ludwig trotz der Vermahnungen vgl. R ayuald 1326. No. 7 nicht. M atthias von Mainz wollte wegen Oesterreichs mit dem Papste nicht brechen, aber die französischen Gedanken auf das Reich scheint er energisch abgelehnt zu haben; wie man insbesondere aus der Kurfürstenversammlung von Reuse 1324 oder 1325 sieht, über welche freilich dürftige Nachrichten, vgl. K opp V . 1. 218. Ebensowenig reussirten die Bestrebungen für eine neue Wahl im Jahre 1328 ebd. 412.

Hieran ward wenig geändert,, als Matthias von Mainz nachher einem Bunde beitrat, dessen Tendenzen Friedrich dem Schönen noch einmal zu Gute kommen sollten, denn auch der österreichische Gegner Ludwigs blieb nach wie vor entschlossen, den französischpäpstlichen Usurpationen sich nicht zu unterwerfen. I n der rechtlichen Frage waren im allgemeinen die Kurfürsten einig und blieben es auch, obschon sie zu einem selbständigen Schritte sich erst viele Jahre spater entschlossen. Aber die Opposition gegen Johann XXII. verstärkte sich schon in diesem Kreise, als ein V i r n e b u r g er G r a f an die Stelle des Erzbischofs Matthias in M ain z getreten war. Ohne die dogmatische Seite des Kampfes je zu berühren, hielten sich die maßgebenden Reichs­ gewalten streng auf der Linie der Abweisung der rechtlich un­ begründeten Ansprüche des Papstthums und bildeten, wie sich bald zeigen wird, die politische Grundlage des ConfliktS zu einer höchst fruchtbaren deutschen Staatsauffassung aus. Indessen dürste man keineswegs glauben, daß Ludwig der Baier in seinen weitergehenden auch das interne Gebiet deS Glaubens berührenden Angriffen gegen die Curie von niemandem, als von den Minoriten und den Bürgerschaften der Städte unterstützt gewesen wäre. Auch Bischöfe, wie die von S p e i e t und Eichstädt und der M e is t e r des deutschen O r d e n s waren Verbündete des Königs. Als Ludwig in Trient die Vorbereitungen zum Römerzuge traf, waren sehr viele G eist­ liche, italienische und deutsche, um ihn geschaart. Alles was gegen die Ommpotenz des päpstlichen Stuhles, sei es auö po­ litischen und nationalen, sei es aus dogmatischen und Gewissens­ gründen, Widerstand erhob, setzte die größten Hoffnungen auf Ludwig, welcher durch keinerlei eingegangene Verträge und Ver­ pflichtungen gebunden, vielmehr frei und gewaltig schien, um

die staatliche und kirchliche Verworrenheit durch eine große reformatorische T hat zu lösen. Schon waren nicht nur unter den Feinden des französischen Papstthum s in Italie n , sondern auch in Deutschland Fälle vorgekommen, wo m an bei Neubesetzung geistlicher Stellen nach den Gewohnheiten einer päpstlichen S cdisvacan; verfuhr.') E s war eine n a t i o n a l e R e a c t i o n in Deutschland, wie in Italien nnlängbar vorhanden, von welcher Ludwig, mochte er persönlich noch so zaghaft sein, immer wieder geschoben und gedrängt wurde. E s gab in diesem Streite M o­ mente, wo man aus eine a l l g e m e i n e O b e d i e n t e r W e i g e ­ r u n g hoffen durfte. I n einem solchen Augenblicke begann Ludwig sein U n t e r ­ n e h m e n in I t a l i e n . D er staatsrechtliche Thatbestand war der, daß es keine» vom Reich anerkannten Papst gab. Allein das Kaiserthum konnte nicht ohne Papstthum gedacht werden. I n dieser Schwäche und Unselbstständigkeit des Staatsbegrisfs, welcher dem mittelalterlichen Kaiserthum anklebte, lagen die Keime verhängnißvoller M aßregeln. D ie K r ö n u n g des K a i s e r s in Italie n war zwar zu Kaiser Heinrichs V II. Zeit nicht mehr vom Papste selbst besorgt worden, und man zog daraus die Lehre, daß auch diesmal die Feierlichkeit „secle vacan te“ von Stellvertreter» vollzogen werden könnte, allein die Kirche sollte nach der M einung der M inoriten nicht ohne Ober­ haupt bleiben. M an stellte Ludwig vor, daß es seine Sache wäre, Vorsorge zu treffen und den päps tl ichen S t u h l zu besetzen. M an wußte so gut, wie wir es heute wissen, daß ') S o in Freising, wo das Capitel den bischöflichen Stu h l für erledigt erklärte, einen StiflSpfleger ernannte und ihm auftrug, weder Urtheil, Spruch noch Botschaft von dem Papste anzunehmen. Aehiiliche« in Bamberg. Vgl. K opp ebd. 192.

ÄeifttM nung uhb Papfternennung.

187

ein altes Recht des Kaiserthums durch ein Jahrhundert that­ sächlich geübt werde« ist, und daß viele Päpste durch kaiserliche Bestallung auf den Thron erheben wurden.

D ie Beweise für

das Recht de- Kaisers ließen an historischer Gelehrsamkeit nichts zu wünschen übrig; aber nicht immer sind gelehrte Argumente auch praktisch und geschäftlich richtig. Ben den deutschen Fürsten, welche der politischen Seite der Frage, wie wir gesehen, die größere Beachtung widmeten, betheiligte sich nicht Einer an den Maßregeln, die in Italien folgten.

Deutlich trat der Einfluß

italienischer Parteien auf die Regierung verhängnißvoll hervor. ES war, als ob sich der Dunstkreis Roms über eine deutsche Rechtsfrage gelagert hätte. Indem der Kaiser, in das unmittel­ bare Kirchengebiet einzugreifen anfing, ward seine Stellung immer schwieriger und verworrener; bald zeigte sich, daß eine dreihundertjährige Geschichte sich nicht mehr auf die Zeiten vor Gregor VII. zurückschrauben lasse.') Der erste Schritt, den Ludwig that, lag noch innerhalb der ') Es genüge hier für die gesummte Darstellung der Borgange auf K opp V. 233 ff zu verweisen, wo man die urkundlichen Quellen meist in wortgetreuer Uebersetzung findet. Doch kann man die Darstellung trotz schein­ barer Objektivität natürlich nur als vollständig einseitig bezeichne». M an gestatte mir die Bemerkung, daß ich mich viel lieber auf die alten Werke berufe, um meine Darstellung zu rechtfertigen. Dieselbe beansprucht auS dem trefflichen Reichstreuen Geiste eines O ienschlager hervorgegangen zu fein, dessen hohe und ehrwürdige Gesinnung gemeiniglich von der neuern und neuesten Geschichtsschreibung nicht entfernt erreicht wird. S taatsg esch . § 82 S . 188—90. S . 214. Da« Verfahren des Kaisers gegen den Papst, Rom 18. April 1328 ebd. Nr. 58, aber besser bei Baluze II. 512 Gloriosus deos. Am beachtenswerthesten erscheint die Stelle: praedecessorum liostrorum videlicet O ttonis prim i, qui cum clero e t populo Romano Johannem X II. deposuit de papatu e t cum clero e t populo de alio pastore urbi e t urbi piovidit et alionim quamplurium Im peratorum vcstigiis inhaereic \o le n te s, ipsum Jacobum etc.

Grenzen des von den Meiste,« anerkannten kaiserlichen RecbtS, und sehr vorsichtig und klug ging man bei dem Verfahre,« gegen J o h a n n XXII. zu Werke. Er wurde nicht als Papst in der V e r s a m m l u n g zu S t . Peter aufgerufen. Der Priester Jacob von Cahors ward beschuldigt, sich des Päpstthurns angemaßt zu haben und unter dem Namen Johann XXII. die Rechte eines Asterpapstes auszuüben. Noch stand man auf der ganz und gar berechtigten Linie der Verweigerung der Obedienz. Der Wahlakt selbst konnte als null und nichtig ange­ sehen «verden, da die Anerkennung des deutschen Kaisers als Corollar der Wahl niemals erlangt worden war. Nicht etwa eine Absetzung des Papstes wurde in Rom ausgesprochen und vollzogen. B l o s eine Rechtserklärung sollte die Erledigung des päpstlichen S tuhles1sicherstellen. Ganz klug und staatsmännisch erschien auch das Gesetz, welches die Giltigkeit von Urkunden bestritt, bei denen Jahr und Regierungszeit des Kaisers nicht ausgedrückt waren. Dadurch wurde den Akten der Anhänger von Avignon die Legalität entzogen, über «velche zu bestimmen doch unzweifelhaft das Recht des Staates war. Allein schon in der Motivirung des Verfahrens gegen Johann hatte Kaiser Ludwig die Grenze des staatlichen und kirchlichen Gebietes überschritten. Wenn die kaiserliche Erklärung sagte, daß der Priester Jacob von Cahors als Jrrlehrer unfähig z,«r päpstlichen Regierung wäre, so lag hierin der Anspruch einer Ent­ scheidung in Glarlbcnssachen, «velche den Minoriten und vielen Italienern hoch willkommen sein mochte, von der es jedoch mehr als zweifelhaft war, ob nicht der größere Theil der Welt hierdurch vom Kaiser abgedrängt wurde. Unzweideutig wurde im Streite mit dem Papst die reine Rechtssphäre vom Kaiser aufgege­ ben, er griff in einen kirchlich-inneren Streit, bei dem es fraglich

schien, ob nicht der S ta at den Kürzeren ziehen mußte.

Und

selbst die Römer, die Ludwig durch ein Dekret zu gewinnen hoffte, nach welchem der Sitz des Papstthums nirgend anders, als in Rom sein sollte, begannen der Enttäuschung Raum zu geben, als nun der M i n o r i t e P e te r zum K a ise rp ap st er­ hoben worden war.

Ein M ann, der den römischen. Faktionen

ebenso ferne stand, wie der Franzose in Avignon, konnte nichts anderes erwarten, als die vereinte Opposition der sämmtlichen Familien und Parteien Roms. D er gesammte Vorgang bei der Wahl des MiuoritenbruderS war überdies ein direkter Angriff gegen alle kanonischen Bestimmungen, welche seit dreihundert Jahren in Fleisch und B lut der Kirche übergegangen waren. Längst waren die Erinnerungen an daS alte Wahlrecht deS römischen Volkes verloren gegangen. Hatten Kaiser und Volk einst Päpste gemacht, so hatte die Kirche das Laienelement so gründlich überwunden, daß sich der uralte Rechtsgebrauch nicht mehr galvanisiren ließ. Die Erhebung deS Mannes, der sich N ik o la u s V. nannte, trug genau denselben romantischen Charakter, wie ein paar Jahre später der Wieder­ aufbau der altrömischen Republik durch Cola Rienzi, den letzten der Tribunen.

D a s neue Rom ließ sich durch Tribunen eben­

sowenig mehr beherrschen, wie durch Kaiserpäpste. D as schlimmste war, daß die deutschen Reichsgewalten Ge­ fahr liefe», durch Ludwigs Vorgang in Italien von ihrer ein­ geschlagenen Richtung abgedrängt zn werden.

Je weniger das

Kurcollegium an Ludwigs Eingriff in das Kirchenrecht betheiligt war, desto mehr hoffte Johann X X II., auf die Bahnen desselben Einfluß nehmen zu können.

Nichts wurde unversucht gelassen,

um die rheinischen Politiker im Netz von Avignon zu fangen. Was mir an Wünschen u n k weltliche» Bestrebungen der Kur-

Herren von M ainz, Trier und Köln dem Papst zu Ohren kam, das wurde iu verschwenderischen Privilegien und Bullen ihnen unbesehen zu Theil. Nie strömte eine verführerische Masse von Gnaden auf das Fürstenthum herab, a ls wenn die Curie seiner Bundesgenossenschaft gegen Reich und Kaiser bedurfte. D aß es in diesem Augenblicke zu einem vollkommenen Z u­ sammenbruch des deutschen Reichs nicht kam, daß Johann X X II. nicht nock glücklicher als Gregor VII. unter den Fürsten operirte, daß die Reichsgewaltcn sich vielmehr zu einem strengeren B e ­ wußtsein ihres Rechts gegenüber der Curie erhoben, das war eine Wirkung der nationalen Kräfte, die sich, im Gegensatz von Frankreich und französischem Papstthum, allemal am stärksten regten. D a s ReichSrecht, abgesehen von allen dogmatischen Fragen, in dieser 'Noth verworrenster Verhältnisse zu wahren, war mehr und mehr die Sache des Kurfürstenraths geworden. A ls das vornehmste Resultat der Kämpfe Ludwigs mit dem Papstthum in den letzte» Jahren Johanns X X II. darf man das einträchtigere Zusammengehen des Königs mit den Ständen und insbesondere den Kurfürsten des Reiches bezeichnen. Häu­ figere zum Theil gut besuchte Reichsvcrsammlung und das Einverständniß Ludwigs mit dem Er zbi s c ho f B a l d e w i n v o n T r i e r charakterisiren diese Epoche. D er letztere war durch die unerträglich gewordenen Provisionen des päpstlichen S tu h les bei Erledigung deutscher Pfründen unmittelbar in seinen Interessen aus Anlaß der Mainzer Kirchcnverhältnisse geschädigt worden. Denn nach dem Tode des Erzbischofs M atthias war von J o ­ hann X X II. der schon erwähnte Graf Heinrich von Virneburg auf den M ainzer Stuhl erhoben worden, in welchem letzteren sich der Papst freilich sehr verrechnete, da derselbe sofort nach seiner Einsetzung zur Reichspartei übertrat und einer ihrer her-

vorragendsten Führer wurde.

Interessant war es nun, daß ein

neuer Versuch die tief verworrenen Verhältnisse durch ein C o n c i l lösen 311 wollen, von Baldewin von Trier selbst un­ ternommen wurde, der sich hierzu mit den italienischen Cardi­ nälen in Verbindung setzte.') I n diesem Augenblicke starb aberIohann X XI I . (1334,4. De­ zember) und ein Mann von der gemäßigten Gesinnung B en e­ dikts X II. wurde gewählt. Dieser Pontikatswechsel wurde von allen Theilet: gleich freudig begrüßt, weil er die Möglichkeit eröffnete zu Frieden und Vertrag zwischen dem Kaiserthum und dem päpstlichen Stuhle zu gelangen. Die außerordentlichen Umstände der Zeitlage mochten es rechtfertigen, wenn die ersten Schritte zur Wiederherstellung des bilateralen Verhältnisses nicht durch eine von den älteren Canonen geforderte päpstliche Gesandtschaft eingeleitet wurden, sondern vielmehr von Kaiser und Reich geschahen. Doch hatte Benedikt X II. seine Ab­ sicht der Versöhnung und seinen sehnlichen Wunsch, die Obedienz des Reiches zu erlangen, wenigstens indirekt durch mehrfache Vermittlung, insbesondere durch die des Herzogs Albrecht von Oesterreick) zu erkennen gegeben. Man sieht, der Pontifikatswechsel hatte einen ungeheuren l ) Ueber die Stellung Baldewins zur Coueilsberufung vgl. O le n sclila g e r

S . 251 ff., wo auch m it richtigem Einblicke in die verwickelten Reichsver hältnisse ans die Provisionsfragen überhaupt und wie viel es dem Kaiser genützt, daß er sich derselben bemächtigte, hingewiesen wird. M an vgl. auch das Schreiben Benedikts vom 16. Dez. 1336. An diesem Orte w ill ich indeß der angeblichen Extravagante N e p ra e te rea gedenken, welche O lenschlager N o . 71 m ittheilt, „wornach Johann X X IT . Ita lie n von dem Kaiserthum und dem deutschen Reiche gänzlich abzusondern sich anmaßet. Baluze, V ita e I. 704 hält aber diese Constitution fü r falsch und unter­ geschoben, was man zwar durchaus nickt der Sacke, aber der Form wegen wahrscheinlich finden muß.

Umschwung der Dinge herbeigeführt: die dem Papste Jo ­ hann XXII. verweigerte Obedienz suchte Benedikt XII. in auf­ richtigster Gesinnung von dem deutschen Kaiser zu erlangen. W ir unterlassen es die Verhandlungen zu schildern, welche zu einem Vertragsverhältniß führen sollten.

Daß der Kaiser Zu­

geständnisse zu machen bereit war, welche einer Rücknahme aller jener Schritte gleichkamen, die man als ein Uebergreifen der weltlichen Macht in die rein kirchliche und dogmatische Sphäre ansehen durfte, war nicht beschwerlicher geachtet worden, als die Forderung an Benedikt XII. die Eingriffe seines Vorgängers in die Reichsrechte feierlick, förmlich und prinzipiell zu cassiren.') Daß es dazu nicht kam, daß das beiden Theilen erwünschte Vertragsverhältniß nicht hergestellt wurde, daran war ohne Zweifel die Abhängigkeit des päpstlichen Stuhles von der ftranzösischen Politik, von dem französischen Königthum und seinen Interessen Ursache.

B e n e d i k t XII. wird von der Gesckichte

einstimmig zu jenen Päpsten gerechnet, welche dem alten bilate­ ralen Verhältniß von Papstthum und Kaiserthum persönlich zugethan gewesen, aber für die Herstellung desselben nickts zu thun vermochten. S o lag die Entscheidung der Dinge nun wieder bei den Ständen des Reichs.

Daß Ludwig der Baier in den

Verhandlungen mit Benedikt XII. nicht bis zur äußersten Grenze persönlicher Demüthigung gegangen sei, konnte Freund und ’) Wie weit in diesen Unterhandlungen Ludwig gieng, mag man daran« ersehen, daß er sich anklagte, den S treit der Schriftgelehrten nicht verstanden ju habe». R aynald a. a. 1336 No. 14. O ienschlager 265. Doch re« fumirt Ludwig in seiner nach dem Kurverein von Rense, 8. Ang. 1338 gegebenen Erklärung die Punkte, welche der Papst unrechtmäßig von Reichs­ rechten an sich gezogen und deren Berzichtleistnng unbedingt gefordert wird. Da« Reich verlangte also eine vollständig principielle Cassierung der Aus­ sprüche Johann« X X II.

Feind nicht läugnen.

Wenn sich ein Friede nicht gewinnen ließ,

so lag' dies in den principiellen Ansprüchen, welche die Curie selbst unter einem so gemäßigten Haupte, wie Benedikt X II. nicht aufzugeben vermochte. D a versammelten sich am 15. J u li 1338 die Kurfürsten zu L ahnst ei n und verbanden sich eidlich zur Aufrechthaltung und Vertheidigung der Rechte deS Reiches und der ihrigen und am folgenden Tage setzten sie zu R e n s e unter notarieller B e ­ glaubigung die E r k l ä r u n g auf, daß nach altem Recht und Gewohnheit der durch die Kurfürsten des Kaiserreichs einmüthig oder durch Mehrheit gewählte König zur Verwaltung der Güter und Rechte des Kaiserreichs und zur Führung des königlichen Titels auf Grund und Anlaß dieser Wahl berechtigt und hierin von keinerlei Approbation, Zustimmung oder Autorität deS päpst­ lichen Stuhles abhängig sei.

Hierin waren a l l e

F ü r st e n

e i n i g und niemals ist wohl ein Staatsgrundgesetz mit größerer und vollkommenerer Befriedigung aller Stände angenommen worden.

Nur in der Form, in welcher der angeregte Beschluß

dem päpstlichen Stuhle mitzutheilen und in den Consequenzen, welche aus demselben für die persönlichen Verhältnisse Ludwigs und die augenblickliche politische Lage zu ziehen wären, ver­ mochte sich eine Differenz zwischen Baldewin von Trier und mehreren anderen Kurfürsten zu ergeben, in deren Folge beson­ dere und getrennte Schreiben an die Curie ergingen.')

Für

') Die reiche Litteratur Über de» Kurverein von Rense gibt mir nur Gelegenheit zu bemerken, daß ich der Auseinandersetzung Fickers über die Stellung BaldewinS folge, S itzg sb er. d. W ien er A kad. X I. 6 7 3 , wo auch der beste Abdruck der Akten. D ie deutsche Ausfertigung ist am 16. Ju li 1338 zu Rense und kann nach meiner Meinung nur als eine Uebersetzung des TagS zuvor ausgestellten Lahnsteiner Briefes zum Zwecke größerer Pnvlicnät gellen. Ich denke, daß die kurfürstliche Erklärung eben Ü v t e tt $, P a p s i w a h l und Jvaiieuhuin. 13

das Resultat waren die Bemühungen beider Fraktionen gleich vergeblich.

Denn die Curie entschloß sich nicht dem deutschen

Kaiserthum ein Recht zuznerkinnen, welches dein System des neueren Papstthums widersprach.

Erst war es der Einfluß der

französischen Cardinäle, bald nachher die gewaltthätige Gesinmmg des Nachfol gers

Ben e d i kt s

X II.

jenes

C l e me n s V I.,

wodurch die Wiederherstellung der Obedien; verhindert wurde. Ludwig der Baier sollte unversöhnt mit dem Papstthum abscheiden.

Aber das gewonnene Reichsrecht gieng seiner

Fortbildung und Entwickelung nach.

Die große Reichsversamm­

lung von F r a n k f u r t , die erneuerten Erklärungen der Kurfürsten zu Reuse

und Bacharach gegen Clemens V I.

später die

goldene B u l l e K a r l s IV. bezeichnen den Gang der staat­ lichen Emancipation von der päpstlichen Bevorniundung.

Bald

kam auch der Augenblick, wo die Frage der staatlichen Obedienz für die Kirche eine empfindlichere und eingreifendere Gestalt ge­ wann, und wo die Existenz der abendländischen Kirche nur mit Hilfe und durch den Schutz der staatlichen Gewalten vor innerer Auslösung bewahrt werden konnte.

Unter Vutlvig von Baiern

aber hatte in Deutschland zum ersten male die Obcdienzverweigerung eine» Reichsverfassungsmäßigen, ständischen Charakter erhalten.

Es war das erstemal, daß die Mitwirkung der Stänke

eine große Rolle in den Kirchenangelegenheiten spielte; und es ist daher wahrhaft unbegreiflich, daß unsere teutsche Historik nicht davon abläßt eine Zeit, welche sich de» merkwürdigsten Epochen e»g-

in deutscher Sprache de» gesammte» versammelten Rcichsstä»de» vor­ gelesen wurde, — woraus die ganze Bersammlung den durch den Notariats­ akt beglaubigte» Beschluß faßte. Die Boiberathnng vom 15. stellt sick dem nach als die B ill dar, welche am IC. von der gesammte» ReichSvenammlung applaudirt wird

lischer Parlament-geschichte würdig an die Seite stellt, die Zeit Ludwig- von Baiern unter die zahlreichen und wiederholten „Verfall-capitel" der endlos „verfallenden" deutschen S ta a ts­ geschichte zu zählen.

D a s päpstliche Schisma. Am 27. März 1378 starb der avignonische Papst Gregor XI. in Rom , wohin er die Curie zurückgeführt hatte. I n B e­ kümmerniß und Siechthum verlebte er seine letzten Tage, bedroht und angegriffen von den Italienern, angefeindet und verwünscht von den Franzosen. E r wäre gleich Urban V. wieder nach A v i g n o n entflohen, wenn ihn der Tod nicht daran verhindert hätte.

In

Rom erscholl der Ruf nach einem römischen oder wenigstens italienischen Papst und unter dem Aufruhr der Bevölkerung wurden die anwesenden Cardinäle in da- Conclave gezwungen. Schrecklich klingen die Beschreibungen der Franzosen von dem drohenden Treiben des römischen Pöbels, welcher mit Waffen nnd Brandlegung die freie Wahl der Cardinäle vereitelte.') ■' D aß den sorgfältig geschriebenen Darstellungen der Wahl Urbans V I . von S e ite der Avignonesen oft mit inehr kirchlichem Eifer als strenger histo­ rischer Kritik entgegentreten wird, ist sicher, und wir theilen die M einung Gregorovius V I . 481) n o t« , daß B a lu z e II. N o . 192 eine durchaus unver­ dächtige Beschreibung der allgemeinen Lage enthält: Item p ra efa ti o fficia lea m a ü d a v er u u t oin u ib u s u o b ilib u s u rb is, p er q u o s furor p o p u li reprim i p o te r a t s a b p o e n is m a x iin is n t iufra tr e s d ie s e.xirent urbem , quod m a n d atu in , pro parte Ü om inorum O ardiiialiiun r e q u isiti nunquam rev o ca re v o lu eru n t nnd w eiter: Kt tun e fortiu s p o p u lu s m ore so lito cum m a g n o fu rn r e in c e p il c la m a r e : B om u u n In v n lem o al m auco Ila lia iiu

Die römischen Behörden wurden angeklagt, für den Schutz des Conclaves nicht ordnungsmäßig gesorgt zu haben; schon wollten die Franzosen ihr Heil in der Flucht suchen, aber niemand ver­ mochte zu fliehen, bevor nicht das geflügelte Wort: „W ir haben den Papst" die harrende Menge beruhigt hatte. man zur Papstwahl gekommen?

Und wie war

Es war ein verbrecherisches

Spiel, welches die gerühmten Säulen der Kirche mit ihrer wichtigsten Pflicht getrieben hatten. 9m Eonclavc waren 16 Eardinälc unter denen nur vier Italiener und ein Spanier, aber die Franzosen waren getheilt, sieben von der Vimusinischen, vier von der avignonischen Fraction. Führer der letzteren war Robert von Genf, welcher im Falle einer Secession noch auf sechs in Avignon zurückgebliebene Cardinäle zu rechnen vermochte.

Aber die von den Franzosen be­

absichtigte Sprengung der Wahlversammlung wußte der Cardinal Orsini zu verhindern, welcher nicht anders meinte, als daß ihm selbst bei dem durch Wort und That offenbarem Wunsche der Bevölkerung die Tiara zufallen müßte, allein die Limusiner er­ klärten ihn für zu jung, den Cardinal Tibaldeschi für zu alt, den Cardinal von Florenz und den von Mailand wegen ihrer Beziehungen zu kirchcnfeindlichen Mächten ausgeschlossen.

So

war es unmöglich unter den Cardinälen einen Italiener zum Papste zu erheben. Man entschloß sich eine Scheinwahl vor­ zunehmen, welche bloß Gelegenheit geben sollte das Conclave nach einem anderen T ne zu verlegen. Man erwartete von dem N e ap ol i t a ne r

B a r t h o l o m ä u s P r i g n a n o , Erzbischof

von B a r i nichts geringeres, als daß er sich zur Ausführung dieser Comödie herbeilassen würde.')

Allein man täuschte sich

l) Die I lis lo ir c rivs conclaves faßt hüt fvagftcftoit tiitotcitpm ift, ans welchen sich baö nvümmti* Uubeil über die Wabl llib a ite Vs. stutzen muß,

D ie Wahl UrbanS V I .

in ihm.

197

Einmal gewählt nahm er die päpstliche Tiara in vollem

Ernste in Besitz und als Urban IV . wußte er sich in Rom zu be­ haupten, wenn er gleichwohl den Abfall derAvignonesen nicht hindern konnte und auf solche Art Miturheber des gewaltigsten Schismas wurde, welches die Papstkirche jemals erfuhr. DaS Verhalten der avignouischen Cardinäle nach der am 18. April erfolgten Inthronisation Urbans V I. auf ihre spätere Wahlhandlung

mußte indeß

unter allen Umständen ein

schiefes Licht werfen; und sie vermochten sich in der That nie* mals von dem Vorwürfe zu reinigen, daß sie dem von ihnen im Herzen verworfenen Papste Monate lange gehorchten.

Erst

am 2. August verfaßten sie den Wahlprotest, dessen verspä­ tetes Erscheinen doch kaum mit der Erklärung, daß sie bis zu diesem Momente unter dem Drucke der Verhältnisse gestanden hätten, entschuldigt werden konnte.

Interessant ist es, daß bei

der Entstehung des kirchlichen Schismas die Znlässigkeit der in dem Satze zusammen: L es cardinaux Lim ousins cumpriveut aisement la pensee du Cardinal des Ursins et lui repondirent eu ces term es: N o us ne voulons qiVamuser cette populace en lui donnant Vombre d'un Pape, je veiix dire un homrne, qui ne conservera dette dignite, que jusqu’ä ce, que nous soyous dans un heu, oü nous puissious proceder a une election libre.

Auch die Scene, welche die französischen

Berichte über die durch das Volk erfolgte Inthronisation des CardinalTibaldeSchi schildern, kann nicht erfunden sein, obwohl sie die römischen Be­ richte sorgfältig verschweigen.

Im

ganzen ist der offizielle römische Apparat

dadurch sehr verdächtigt, daß er sich bemüht, alle Ordnungswidrigkeit zu läugnen: nimium probat. Die französischen Cardinale waren so sehrinder Ueberzahl, daß es ja thöricht ist, die Wahl Urbans V I. canonisch zu verthei­ digen : entweder war sie eine erpreßte — oder eine Scheinwahl; aber in Urban V I hatten sie sich freilich sehr verrechnet, wenn sie hofften, daß er ihre Comödie mitspielen werde. Die Franzosen sind darin ungerecht beur­ theilt, daß man ihre schwierige Lage ebenso, wie ihre gewiß ehrenwerthe na­ tionale Gesinnung gering schätzt, ein Standpunkt, zn welchem der unbefangene Viftcrifer durch seine Quellen nicht genötbigt ist.

G e w i s s e n s r e s e r v a t i o n eine so große Rolle spielt, von welcher sich die katholische M oralphilosophie selten ganz frei zu machen wußte. N u r sehr allmählich und erst nachdem eS ihnen gelungen w ar zu Fundi einen sichern Aufenthaltsort zu finden und nach­ dem sie sich der Zustimmung Frankreichs versichert halten konnten, entschlossen sich die Avignonesen zu dem entscheidenden Schritte den C ardinal R o b e r t v o n G e n f zum Papste zu wählen und der staunenden W elt die vollzogene W a h l und Inthronisation C l e m e n s VII. anzuzeigen. M it zum T heil wörtlicher W ieder­ holung ihres früheren M anifestes erklärten fast dieselben 16 C ardinäle, welche U rban VI. erhoben hatten, seinen P o n ti­ fikat für nichtig und die W ahl R oberts von Genf als den allein rechtmäßigen und canonisch vollzogenen Akt.') D ie katholische W elt w ar bereits durch die Erklärung der Cardinäle vom 2. August in fieberhafte Bewegung gerathen. M a n begann aller O rten die Frage nach der Rechtmäßigkeit der W ahl U rbans VI. auszuwerfen und zu studiren. D ie staat­ lichen Gewalten standen vor einer seit geraum er Z eit nicht mehr erinnerlichen Thatsache. S ie waren genöthigt, ih r Gedächtniß durch schrifkkundige M änner auffrischen zu lassen, die daun mit *) L ittera cardinalium U n iversis Christi fidelihus Bnluze U. p. 847 N o. 194. . . diversis super iis tractatibus habitis, die XXL m ensis Septem bris Dom inus noster Clem ens , tuue R obertus basilicae X II. apostolorum presbyter cardinalis ex isten s in civitatc Fundodorum praedicta in Romanum pontificem rite et canonice fuit electu s et consensum suum hujusmodi election i de se factae p raestitit, inthronizatus et ut e st moris solem niter c o r o n a tu s........... P raem issis a u t e m Dominum Clem entem praefatum pro vero Christi vicario ac universalis e c c le sia e summo pontifice ac patre teneat, s i b i o b e d i e n t i a m e t r e v e r e n t i a m debitas exliibendo, ac a ssisten d o eidem et praedictae ecclesiac matri vestrae contra praefatum virum pestiferum

der etwas umständlichen Weise der Gelehrsamkeit erst an das Ziel der Untersuchung kamen, als daS praktische Bedürfniß der Tagespolitik längst genöthigt hatte in der brennenden Frage Partei und Stellung zu nehmen. S o war die P a r is e r U n i­ v e r sitä t erst nach vier Jahren mit der Prüfung der Wahl­ akten so weit-gekommen, um sich für Clemens VII. als den rechtmäßigen Papst zu entscheiden/) und wenn die spätere For­ schung gegen diesen AuSspruch die triftigsten kanonischen Grund­ sätze in daS Treffen führte, und es schließlich den Anschein ge­ wann, als ob nicht nur vor dem Forum der späteren römischen Päpste, sondern auch in den Augen der Welt- und GotteSgelehrten Urban VI. da» juridische Feld zu behaupten vermöchte, so lag hier nur einer der vielen Fälle vor, wo die Jurisprudenz den Beweis liefert, daß sie die höchsten Höhe» des geschicht­ lichen Lebens, daß sie die entscheidenden Entwickelungen der Menschheit nicht zu beherrschen im Stande ist. Für das praktische Bedürft,iß, welches wie allemal rasche und sichere Entschlüsse und Lösungen forderte, war die Frage der Anerkennung der Papstwahl längst aus der Sphäre de» Rechtsstandpunktes hinaus getreten und löste sich in eine rein ') Unter den weitläufigern Gutachten ist da» englische zu Gunsten Ur­ ban» bei R aynald a. a. 1378 N o 51. Ziemlich eingehend ist anch die D eclaratio regia C astellae pro Cleroente bei B aluze II. 920 N o . 216. Die Declaration der Pariser Universität aber erst vom 3. Febr. 1382 ist eine Entscheidung ohne Motive. Charakteristisch heißt es darin: E apropter veraciter coneulti deliberato anirno e t dinturno, non praecipitato sed rnaturo, a philosopho ernditi quod serrnonee in principio d ebent e sse longi ex ecu cio vero velox notorietate praernissorurn pensata et rnatre rerurn experien tia declarata . . . eine zweite Declaration vom 11. Febr 1386 gegen die Wahl B onifacius IX ., beide bei B alu ze II. 943—946. I n gewissem Sinne muß man übrigen» auch die Quellen, wie die beiden V ita e Olcrncntis bei B aluze und ebenso T heodorich von N iem wesentlich unter juristischen Gesichtspunkten beurtheilen.

politische Erwägung auf. Aber die Entscheidungen der S taaten entbehrten deshalb keineswegs einer sehr breiten historisch ge­ rechtfertigten Grundlage. E s war ein Moment, wo die natür­ lichen und einfachsten Prinzipien des bilateralen Verhältnisses von S ta a t und Kirche mit geschichtlicher Nothwendigkeit ihre Sprache wieder erhielten. E s war dieselbe Sprache, welche Kaiser HonoriuS zu B onifacius und E ulalius redete und welche Heinrich III. auf der Synode von S lltri mit ehernem Tone vernehmen ließ. Auch Ludwig der B aier erinnerte standhaft an die Freiheit des S ta a te s in Ertheilung der Obedienz, als der gewaltige Papst das bilaterale Bertragsverhältniß vor den Altgen des Reiches zerriß. Und wo hätte die Entscheidung ztvischen Urban VI. und Clemens VII. gesucht werden sollen, als in jenen Händen, welchen schon Constantin der Große die äußere Macht und Stellung der Kirche allein anvertraut glaubte. D ie Papstkirche gieng einem vierzigjährigen Schisma ent­ gegen: Vierzig Jah re hindurch ist die Geschichte der Päpste nichts anderes, als eine fortgesetzte Kette der O b e d i e n z b e we r b u n g , und es wird niemand behaupten wollen, daß in diesem Bestreben ein nncanomsches oder verderbliches Moment der päpstlichen Politik gesucht werden könne. Im Gegentheil wird die Geschichte hervorheben müssen, daß so Pflicht wie Recht des gewählten Papstes dahin giengen, die Anerkennung der S taaten und ihrer Unterthanen zu erlangen, da ja dem Hirten das Amt obliegt, die Heerde zu führen nnd zu sammeln. S o waren denn die schismatischen Päpste in der eigenthümlichen Lage, mit allen erdenklichen M itteln die Obedienzen erkaufen zu müssen und nicht darin, sondern in der Unsicherheit nnd der eigenen Ueber­ zeugung der Hinfälligkeit ihrer Wahlen lag die eigenthümliche Schwäche und Verfallenheit der katholischen Kirche in dieser Epoche.

E s ist von höchster Wichtigkeit, an dieser Stelle der Ge­ schichte der Papstwahlen die Natur und den Charakter der kirch­ lichen Institution genauer ins Auge zu fassen, welche man sehr passend mit dem Namen der O b e d i e n z b e w e r b u n g bezeichnen könnte.

Denn während in andern Jahrhunderten Fälle dieser

Art nur vereinzelt vorkamen, so bildete sich in dieser Zeit die Sache zu einem förmlichen Shsteme aus, welches einen aber­ maligen Beweis liefert, daß das bilaterale Verhältniß von S ta a t und Kirche in Betreff des Pontifikatswechsels zwar zuweilen bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt werden konnte, aber in den ent­ scheidenden Momenten der Noth der Kirche, oder deS starken und selbstbewußten StaatSwillenS immer wieder zur Geltung kommen mußte.

DaS welthistorisch bedeutsamste Moment der

Entwickelung während des 40 jährigen Schismas und darüber hinaus lag in dem Umstand, daß Obedienzbewerbung und Obedienzerklärung anfänglich fast jeder tieferen kirchlichen und staatlichen Rücksichten entbehrten, aber im Laufe der Zeit zu immer fruchtbareren und häufigeren V e r t r ä g e n führten, welche endlich den nationalen und staatlichen Rechten ein nicht mehr zu bestreitendes Gebiet sicherten.

Auf dem Wege der O b e d i e n z -

v e r w e i g e r u n g setzte sich das m o d e r n e e ur opäi sche S t a a t s ­ recht in seinem Wesen durch und verschaffte sich zuweilen, wenn auch widerwillige Anerkennung der um die Obedienz werbenden Päpste. Es mag gestattet sein, diese Erscheinung in der Geschichte des 14. und 15. Jahrhunderts etwas genauer zu verfolgen. Als Urban VI. von den Avignonesen verlassen wurde, hatte er einen großen Borsprung vor seinem Nebenbuhler voraus. Bor allen Dingen war ihm die A n e r k e n n u n g des K a i s e r s K a r l IV. rasck und kräftig zu Theil geworden, bevor' noch ra* Manifest ton Anagni Seitens der abgefallenen Cardinäle

veröffentlicht worden w ar.') ES war eine der letzten und wie es scheint merkwürdigsten Unterhandlungen KarlS IV., bevor er am 29. November 1378 starb. D ie Verhältnisse zwischen dem Kaiser und der römischen Curie waren seit der W ahl seines Sohnes Wenzel zum römi­ schen König nicht durchaus glatter N atur. D ie päpstliche Macht beanspruchte, getreu ihren vom Reich angefochtenen Traditionen ein Genehmigungsrccht zur Vornahme der W ahl, welches Karl ohne der Stellung des Kaiserthums etwas zu vergeben, nicht zugestehen durfte. Die W a h l W e n z e l s wurde wirklich ohne irgend welche Rücksicht auf die Curie vorgenommen. Aber durch eine eigenthümliche Verknüpfung von Umständen mtd durch eine Reihe von diplomatischen Unterhandlungen wurde nachträglich noch die Zustimmung Gregors X I. zur Erhebung Wenzels er­ langt ; und die betreffenden Urkunden erhielten, um die an­ geblichen Rechte der Curie für die Zukunft nicht zu schädigen, eine D atierung, als wären dieselben vor der W ahl Wenzels ausgestellt worden.') Als nun Gregor X I. starb, war cs für den böhmischen Hof eine Frage von großer Zweifelhaftigkeit, wie sich der neue Papst den zuletzt geführten Verhandlungen gegenüber verhalten werde. Nun beeilte sich aber Urban VI., die Anerkennung Wenzels als römischen Königs und künftigen Kaisers auszusprechen und umgekehrt gewann er selbst auf diese Weise rasch die Anerkennung Karls IV., dem es zu großer B e­ ruhigung diente, das bilaterale Verhältniß zwischen Papst und Kaiserthum vor seinem Tode auf eine gute Grundlage gestellt zu sehen. Urban VI. hatte schon am 20. J u li 1378 in einen, öf fent l i c he» C o n s i s t o r i u m den Akt der Verkündigung Wenzels ■) Diese „Ergebnisse" einer glücklichen Forschung sind da« Verdienst Weizsäcker« i» den Reichtag«akte» Vorwort 8 6 —91.

Karl IV . und Urban V I

203

vollzogen und gab ihm am 29. hierüber Brief und Urkunde.') Auch gieng eine G e s a n d t s c h a f t deS P ap s t e s an den kaiser­ lichen Hof, welche ohne Zweifel ein vollkommenes Einverständniß zwischen Urban VI. und den Luxenburgern erzielte.

Auch

von Seite Karls IV. muß eine öffentliche Erklärung erfolgt sein, in welcher er die Wahl Urbans VI. agnoScirte.')

Aller­

dings konnte eS Karl IV. unter diesen Umständen in seinen letzten Tagen als einen großen Erfolg betrachten, daß er daS bilaterale Verhältniß in einer so klaren Form, wie seit lange nicht geschehen war, zum Ausdruck gebracht sah. Indem die Zukunft des KaiserthnmS, soweit der Papst darauf Einfluß nehmen konnte, durch Urban VI. vollkommen gesichert schien, mußte der W a h l p r o t e s t der Cardinäle vom 2. August in Prag den übelsten Eindruck hervorbringen und ') W eizsäcker S . XCI. und N r 92: . . . te in regem pronunciavimna Romanorum . . . si autem videmur prononciatioaem hujusmodi diatulisae, non nos in culpa aumua, qui a primordiia noatri apoatolatua rem iatam super cetera deaiderabilia cupivimua feliciter consum m are, sed dilationem hanc pepererunt alia im pedim enta, que venerabilia noater frater Pavo epiacopua Polom anensis dilecti filii nobilea viri Carolus Carazulua dictus Caraffa et Carolus B ranckaaius m ilites N eapolitani consanguinei n o a tri, ho rum latorea tibi referent . . . worauf die Einladung zur Kaiserkrönung sehr dringend und eindringlich folgt. ') Daß eine öffentliche Erklärung stattgefunden, möchte aus manchen Urkunden Wenzels hervorgehen, in welchen er sich immer wieder ans den von seinem Vater vollzogenen Anerkennungsakt bezieht. Jedenfalls sind auch die 'Ausdrücke sehr wichtig, welche Wenzel z. B. in dem Schreiben an daS Capitel von Breslau bei Palacky, F orm elbücher II. So. 21 gebraucht: Urbannm papam VI. electum et promotum canonice verum esse summum pontificem . . . quem etiam talem divae memoriae quondam dominus et genitor noster carissim us dominus Carolus Im pe­ rator . . . r e o o g n o v i t , n o s verum a p o s ^ o Ü c n m et p a p a m r e c o g n ? c i m ’i 3

in der That verwahrte sich noch Karl IV. in einem Schreiben an die schismatischen Cardinäle sehr bestimmt und sofort gegen jeden Angriff aus die Rechtmäßigkeit der W ahl Urbans V I., welchem er den vollkommenen Schutz des Kaiserthums angedeihen lassen wollte.') Dennoch gaben die schismatischen Cardinäte, nachdem sie nun weiter zur W ahl Clemens V II. geschritten waren, den Versuch nicht auf sich mit dem kaiserlichen Hanse zu vertragen und dasselbe zur O b e d i e n z C l e m e n s VII. her­ überzuziehen. Schon im Oktober 1378 sendete die schismatische Curie ans Fondi eine Gesandtschaft, welche mit allen möglichen Behelfen urid mit den vollständig ausgeführten Bertragsinstrumenten ausgerüstet war, um den deutschen Kaiserhof für sich zu gewinnen. Um die Concurren; mit den Anerkennungsdctreten Urbans VI. zu Gunsten Wenzels bestehen zu tonnen, bot Cle­ mens V II. ein wörtlich gleichlautendes Schreiben an. Um die Anerkennung und Obedienz seinerseits von dem Kaiser und König zu erlangen, zeigte er sich genau zu denselben Zugeständnissen, wie Urban V I., bereit. Allein die Entwürfe zu den gern gewährten Urkunden und Briefen mußten an die schisinatische Curie zurückwandern, Verträge wurden nicht geschlossen, die Obedienz nicht geleistet?) Auch nach Karls IV. Tode wurde in

') K arl IV . an die schismatischen Cardinäle P a la c k y , F o rm e lb u c h e r II. N o . 15 offenbar in Folge de« Wahlproteste« vom 2. August. Man sieht, da« Schreiben ist noch nicht mit dem ganzen Umfang der Sezession vertraut. E« gehört daher sicher in den Anfang September oder noch in de» August. B on Urban V I. heißt e«: electnm c o n c o rd ite r e t ad a p o sto la tu s ap ic em dndum m ultorum tarn dom inorum C ard in aliu m , quam aliorum fide digoorum verid ico sc rip tu ra nos d o c u it can o n ice sublim atum . ') Da« Schreiben Stenten« V II., W eiz sä c k e r N o. 93, hat nur den Ausstellungsort Fondi und den M onat Oktober. Ueber die eigenthümlichen Verhältnisse desselben vgl. V o rre d e S . 62. Wenn c« ebd. S 63 beißt:

dieser Richtung nicht« geändert.

Die königliche Kanzlei zeigte

sich fleißig, Urban VI. die Obedienz vor allem von Seite ita­ lienischer Fürsten zu verschaffen. S ie schrieb in drohender Weise an die Königin von Sizilien Johanna, sie möge von der Obe­ dienz des Gegenpapste« ablassen.

S ie richtete Ermahnungen

aller Art an Fürsten und Prälaten zu Gunsten Urban« VI. Eine offene Frage war es jedoch noch immer geblieben, wie sich die Reichsstände, da« Kurfürstencollegium, die Städte bei dem Schisma verhalten würden.

D ie Politik des Königs

war keine ausreichende Garantie für die Stellung des Reiches und seiner Stände. An der Curie, welche nach Avignon zurück­ verlegt worden w ar, gab man sich noch immer der Hoffnung hin, Wenzel von Böhmen mit Hilfe des befreundeten Königs von Frankreich und der noch nicht fest engagierten Reichsstände ums t i mme n und von der erklärten Obedienz a b b r i n g e n zu können. Wenn man die unermüdliche Thätigkeit der päpstlichen Kanzleien und die keinen Augenblick ermattende Obedienzwerbung der sckismatischen Oberpriester betrachtet, so wird man an die alten päpstlichen Gesandtschaften erinnert, welche einst an den Hof Karls des Großen und Ludwigs des Frommen unaufhörlich in Bewegung waren, um sich des Schutzes und Schirms der mächtigen Herrscker der Franken zu versichern, und es nimmt den Anschein, als hätte das Schisma den alten oft hervorge„D ie Approbation desselben (W enzels) durch den Gegenpapst ist also nicht ;»r Ausführung gekommen, die Urkunde kann nur als ein für eine eintre­ tende Gelegenheit bereit gehaltener Entwurf anfgesaßt werden; diese G ele­ genheit mag im Okt. 1378 nahe geschienen haben;" so scheint mir der Schluß noch wahrscheinlicher, daß die llifim be von der Gesandtschaft mitgenommen worden ist, um sogleich alle Förmlichkeiten zu vollenden. solle Wenzel die Anerkennung Llemeiis V II sich abringen ließ

hobenen Canon dem Gedächtniß der Kirche gewaltsam aufge­ zwungen, wo es heißt: „und sobald der Papst consecrirt ist, hat er die Pflicht Legaten zu senden, damit sie Frieden und Freund­ schaft zwischen ihm und uns vertragsmäßig feststellen." B ei der Entwickelung, welche die Berfassung deS Reiches inzwischen genommen hatte, kam es nicht mehr auf das persön­ liche Verhältniß des Kaisers zum Pontifikatswechsel in dem M aße mi, wie ehedem. D ie von Karl IV. und Wenzel ge­ währte Anerkennung Urbans VI. konnte nur durch den H in z u ­ t r i t t der K u r- und R e ic h sfü rste n wahre Bedeutung erlan­ gen, falls die Curie ihre Rechte und kirchlichen Ansprüche in dem Reiche selbst wirklich ausüben wollte. D ie Regierung Wenzels bemühte sich daher für ihren Schützling schon auf dem F r a n k f u r t e r R e i c h s t a g vom Februar und M ärz 1370. Aber nur die rheinischen Kurfürsten traten der Obedienzerkläruug zu Gunsten Urbans VI. bei. Unter diesen war aber M ainz durch einen Erzbischof vertreten, der selbst schismatisch gewählt worden war, und dessen zweifelhafte Stellung im Reiche die Schwierigkeiten der Anerkennung Urbans VI. nickt wenig vermehrte. Denn sein Gegner Bischof Adolf von Speicr hielt sich zu Clemens V II. gleich dem Herzog Leopold III. von Oester­ reich.') Die verwickelte Lage der reichsständischen Verhältnisse erschwerte eine durchgreifende Regierungsmaßregcl über die rö­ mische Obedienz, doch wäre es sehr voreilig hierin ein besonde­ res Unglück für daS Reick zu erblicken. W enn man beachtet, warum sich die Reichsstädte so schwer gewinnen ließen der Po­ litik des Kaisers zu folgen, so wird man sehr geneigt sein, dem Gedanken Raum zu geben, daß eine Obedienzverweigerung l) Dieses und das folgende beruht selbstverständlich auf W eizsä ck ers R . A . vgl. V o r w o r t S 9 4 — 96.

gegenüber beiden Päpsten weit mehr im Interesse vieler Stände de- Reiches gelegen haben würde. Nicht auf die allgemeinen geistigen Gesichtspunkte, welche der ausgesprochenen Indifferenz der S t ä d t e zu Grunde lagen, wollen wir dabei unser Augen­ merk richten, sondern auf die materiellen Verhältnisse, welche der Politik der kaiserlichen Regierung zu widerstreben«schienen. Denn indem Wenzel die Neigung für Urban VI. so weit trieb, daß er den Versuch fortwährend nicht scheute, die Anerkennung dieseh Papstes zu einem sogar in den Landfrieden zu be­ schwörenden Artikel des öffentlichen Rechts umzugestalten, hatte die ständische Opposition neben ihren idealen Gründen und von diesen ganz abgesehen, eine sehr materielle Berech­ tigung. Denn die Städte nahmen das größte Interesse an dem Landfrieden, aber sie konnten keine Lust verspüren für Urban VI. Geld und Truppen in Deutschland und vielleicht gar für einen Krieg in Italien zu verwenden und polizeiliche Dienste zu lei­ sten. Deshalb widerstrebte man an vielen Orten der Aner­ kennung des Papstes mit gutem Grunde; und in diesem V e r ­ halten der S t ä d t e den schismatischen Curien Italiens und Frankreichs gegenüber darf man ohne weiteres ein frühzeitiges Beispiel reichsständischer N e u t r a l i t ä t erblicken, welche sich in ihrer späteren Ausbildung als eine der fruchtbarsten kirchen­ politischen Maßregeln der deutschen Reichsgewalten darstellen wird. Wenn man die Erklärung König Wenzels und der vier rheinischen Kurfürsten vom 27. Februar 1379 zu Frankfurt näher betrachtet, so bemerkt man leicht, weshalb die Reichsstädte eine neutrale Haltung in dem schismatischen Streite vorzogen, denn die von der Reichsgewalt ausgesprochene Anerkennung und C bvbiuiu wurde sel,r ernstlich mit dem alten Begriffe des

Schutzes in Verbindung gebracht, welcher dem rechtmäßigen Oberhaupte der Kirche geleistet werden sollte.')

A ls sich nach­

her Frankfurt, M ainz und Köln zur Obedienz UrbanS VI. be­ kannten, wurden die Artikel, auS welchen n u r zu leicht eine Verpflichtung

m a t e r i e l l e r Art gefolgert werden konnte,

sorgfältig aus den Beitrittserklärungen weggelassen. I n Frankreich scheint man indessen die geringe Begeiste­ rung der meisten deutschen Reichsstände für Urban VI. in einem andern S in n e aufgefaßt zu haben.

Im

Ja h re 1383 benutzte

Clemens V II. die politischen U n t e r h a n d l u n g e n , welche zwi­ schen dem französischen Könige und dem Könige Wenzel schweb­ ten, um einen abermaligen Versuch zu machen, die Obedienz des deutschen Reiches zu erlangen.

E r wies den f r a n z ö ­

sischen G e s a n d t e n 50,000 Franken Gold auf die päpstliche Kammer an, um die R ä t h e dcS K ö n i g s W e n z e l und andere Personen desto besser zu seinen Gunsten bearbeiten zu können. M it staunenswerther Offenheit wird hier der P reis bestimmt, um welchen man die deutsche Obedienz zu erlangen hoffte. Einige Erfolge wurden denn auch wirklich von den Franzosen erreicht.

König Wenzel gab seinen nach Ita lie n

beorderten

G e n e r a l v i c a r J o s t den Auftrag sich näher zu informiren, w e r der w a h r e P a p s t wäre und vor allem dahin zu streben, ') Auch in der Erklärung Wenzelsvom 27. Febr. 1379 (antet die AnerkennnngSformel: Urbanum papam V I. verum viearium in hoc mundo domini noetri J esu C hristi recognovim us et firmiter recogn o scim u s, auch deutsch: hem Urban den sech sten ignen rechten p ab st . . . erkant haben und vcsticlich en erk en n en ; weiter heißt es: e t sib i (Urbano) astabim us e t talib ns scism aticis erroribus anted ic tis ip sin s antipapae R oberti de G enneva suorumque coadjutorum, qni se cardinales nomiuant., e t omnium aliorum adherencium et sequacium obviabimus et d icto s schism aticos errores evellere e t destruere volumns et debem us.

daß die Einheit der Kirche wieder hergestellt würde. Beilegung des Schisma- durch ein C o n c i l war seit einiger Zeit die Lo­ sung, welche von der Pariser Universität ausgegeben und von der französischen Diplomatie sehr geschickt benutzt wurde, um die Anhänger der Obedienz UrbanS VI. einigermaßen zu er­ schüttern.

Schwankungen waren in Folge dessen in der Auf­

fassung Wenzels und seiner Räthe unverkennbar eingetreten, und eS giebt Schreiben der deutschen Reichskanzlei, in welchen beide Päpste nur mit ihren Namen und nicht mit ihren Titeln genannt werden, und UrbanS Recht als ebenso zweifelhaft hin­ gestellt wird, wie daS Clemens V II.1) Zu einem Bruche mit Urban VI. kam eS jedoch nicht. Auf demselben R e i c h s t a g zu N ü r n b e r g , auf welchem die Unterhandlungen mit den F ran­ zosen geführt wurden, gab Wenzel noch eine neue E r k l ä r u n g zu G u n s t e n U r b a n S VI. und zerstreute alle Gerüchte, welche über die Aenderung der Obedienz von Seite de- deutschen Reiche- entstanden waren. I n Süddeutschland, wo die Annähe­ rung an den französischen Papst bereit- weiter gediehen war, griff die Regierung energischer zu Gunsten UrbanS VI. ein. Die Befürchtung der Städte, daß das Schisma auch auf die inneren Verhältnisse des deutschen Reiches einen gefährlichen und die Ruhe störenden Einfluß nehmen könnte, zeigte sich alsbald ’) D aß die betreffenden Entwürfe den Standpunkt der französischen P o ­ litik bezeichnen, ist klar, daß dieselben aber mit Umgehung der deutschen Kanzlei von Avignon und den Franzosen in Wenzels Namen vorbereitet worden wären, scheint doch einen sehr unwahrscheinlichen diplomatischen G e ­ branch vorauszusetzen. Vgl. W e iz sä c k e r S . 395 Diplomatische Beilagen solcher Art in Eingaben an eine fremde Regierung scheinen mir — unm aß­ geblich — doch auch damals ganz ungewöhnlich. W arum sollten solche BrouiltonS im Lause der Unterhandlungen nicht von der eigenen Kanzlei ausgearbeitet fein? 14

nur zu sehr gerechtfertigt. Schon waren aus der Reichskanzlei ausdrückliche Aufforderungen ergangen, die Widersacher Ur­ bans V I. anzugreifen und von Reichswegen zu strafen. Zu einer einheitlichen Reichspolitik konnte es bei der Zerfahrenheit deS ständischen Wesens nicht kommen, aber die hauptsächlichsten Faktoren der Verfassung blieben der einmal erklärten O be­ dien; treu. D a s Obedienzverhältniß des Reichs zum römischen S tuh le änderte sich im wesentlichen auch nicht, als Urban V I. starb und B o n if a z IX . sein Nachfolger wurde, und a ls die Reichs­ stände Wenzel deS römischen Königthums entsetzt und R u p ­ recht v on der P f a lz an seine Stelle gewählt hatten. Zur Zeit des letzteren Ereignisses hatte Avignon bereits seit fünf Jahren ein neues Kirchenhaupt in P e t r u s de L una erhalten und die Bemühungen desselben, Benedikts X III., seine Obedicn; auszudehnen, waren ebenso erfolglos als die Clemens V II. Doch begannen seit 1394 alle weltlichen Mächte ihren Obedienzerklärungen einen wesentlich andern Charakter zu geben, welcher durch die Voraussetzung begründet war, daß die Einheit der Kirche auf dem W e g e der C e s s i o n beider schismatischen Päpste wieder hergestellt werden könnte. Petrus de Luna hatte sich gleich bei seiner Wahl zur eventuellen Cession verpflichten müssen. Frankreich leistete ihm daher nur eine b e d i n g u n g s ­ w e i s e O b e d i e n z , welche ihre ernsthafte Bedeutung dadurch erhielt, daß es wirklich zweimal von der Obedienz zurückt rat und nur durch die Resultatlosigkeit der Unionsbestrebungen immer wieder zu derselben zurückgeführt wurde. D ie franzö­ sische Regierung im Vereine mit den französischen Ständen, im ganzen viel einheitlicher gegliedert und viel kräftiger auftretend, erlangte in Folge dessen einen weit größeren Einfluß aus die

Kirchenfrage, als Deutschland, ja man kann bemerken, daß das Uebergewicht der Franzosen in der Zeit der großen Concilien nicht nur auf der theoretischen Entwickelung der französischen Wissenschaft, sondern eben so sehr auf der konsequenten Politik deS Königreichs beruhte. König und Stände, in sehr energischer Uebereinstimmung, machten von der staatlichen Freiheit der Ge­ währung oder Verweigerung der Obedienz einen ausgedehnte­ ren Gebrauch als das deutsche Reich, welchem die ständischen Kämpfe eine noch größere Passivität aufnöthigten, als sie selbst England in der Kirchenftage behauptete. Ueberhaupt ist hier der O rt, wo man den Ertrag des päpstlichen Schismas für das europäische S ta a ts r e c h t teergleichungsweise bezeichnen darf.

I n I t a l i e n mehr noch, als

in Deutschland, führten die verschiedenen Obedienzen zu einer starken Entwickelung der kleineren Staateil und Herrschaften und die nationale Zersplitterung erhielt in den sehr eifrig ergriffe­ nen Obedienzen bald für Rom und bald für Avignon einen noch schärferen Ausdruck als in Deutschland.

In S p a n ie n

wechselte die Obedienz mehrfach, doch giengen die beiden großen Königreiche vorwiegend gemeinsam in der Kirchenfrage vor. I n E n g la n d hielt man sich im ganzen ebenso bestimmt an die römische Obedienz wie in S c h o ttla n d an die französische. Daß für die schismatischen Päpste auch die Obedienzen der unbedeu­ tenderen Mächte des Ostens und Nordens Gegenstände von großer Bedeutung waren, hatte nicht sowohl einen politischen, als vielmehr einen materiellen Grund, denn wenn auch Länder wie Ungarn, Polen, die skandinavischen Reiche keinen unmittel­ baren Einfluß auf die Gestaltung der Kirchenfrage zu nehmen vermochten, so waren die Einkünfte aus denselben für die päpst­ liche Kammer desto w ichtige', und die Obedienz derselben wurve 14 -

daher von den schismatischen Päpsten ebenso eifrig und ange­ strengt gesucht, wie die der großen Mächte. Betrachtet man die Obedienzwerbnngcn der Päpste nach allen diesen Seiten hin, so ergiebt sich leicht die Ueberzeugung, daß das nationale, staat­ liche Recht durch das Schisma iu bester Weise gefördert worden ist. Allerdings war mit der Ablösung der einzelnen Staaten von der Einheit der Kirche auch die Unabhängigkeit derselben von dem Begriffe der kaiserlichen Gewalt mehr und mehr zur Evidenz gebracht worden. Aber das deutsche Reich konnte seinerseits, was es an äußerer Geltung verlor, ohne Frage an innerer Entwickelung gewinnen, wenn es die Kirchenange­ legenheit konsequent zu einem Gegenstände der ständischen Ge­ setzgebung umgestaltete. Eine starke Neigung für irgend eine Obedienz in der ganzen Welt thätig zu sein, findet sich in Deutsch­ land nicht, doch läßt sich nicht verkennen, daß auch die deutschen Reichsstände auf ihre besondere Art das staatsrechtliche Verhält­ niß gegenüber den schismatischen Päpsten zu wahren wußten. Allerdings ließ man die Führung der großen Angelegenheiten mehr den Franzosen, man erhitzte sich nicht in dem Maße über die Obedienzeit, wie man es in Frankreich that; auch auf den Weg einer conciliaren Lösung der Frage setzten die deutschen Reichsstände nur geringes Vertraue», aber mau dürfte nicht behaupten, daß die Stände und König Ruprecht die Interessen des Reiches nicht sehr wohl verstanden hätten.') ') Es ist nicht- leichter als diese Epoche der deutschen Geschichte unter dem Gesichtspunkte der Rivalität Frankreichs in der Führung der kirchlichen Angelegenheit sehr zu Ungnnsten und zum Nachtheil de» Reich» darzustellen. I n den meisten GeschichtSwcrken dieser Zeit herrscht denn auch die Klage „über den Beifall des Reicks" vor. ES wäre wunderbar, wen» sich unsere Gelehrten diese schickliche Gelegenheit hätte» entgehen lassen, wieder einmal da» deutsche R e ty liicktig „bei iallen" zu lassen.

Die bevillgmigSweise Obedienz, welche Frankreich seinem Papste Benedikt X III. bald gewährte und bald entzog, je nach­ dem sich derselbe dem Concilsgedanken näherte, oder demselben auSwich, war politisch für die leitenden Kreise der Pariser Ge­ lehrten und für die Staatsm änner Frankreichs ein überaus fruchtbares Prinzip, aber man dürfte keineswegs den Gang der deutschen Geschichte in diesem und dem folgenden Zeitraum aus dem Gesichtspunkte des französischen Ehrgeizes in der Führung der kirchlichen Frage beurtheilen.

Für Ruprecht von der Pfalz

war wenig Grund vorhanden die Unionsfrage mit rücksichtloser Härte gegen das römische Papstthum zu betreiben, da er sich bereits mit Bonifaz IX. verständigt hatte und die Bereitwillig­ keit des letzter« sowie seines

Nachfolgers, Ruprecht von der

Pfalz zum K a i s e r zu krönen, falls es zu einem Römerzuge gekommen wäre, jeden triftigeren Grund beseitigte von der Obe­ dienz des römischen Papstes abzuspringen. Indessen hatte G r e g o r X II. bei seiner Wahl, welche am 30. November 1406 einstimmig durch die Cardinäle Roms er­ folgte , selbst und freiwillig auf eine u n b e d i n g t e Obedienz Berz ic ht geleistet, und konnte daher eine solche auch von dem römischen Könige und dem deutschen Reiche nicht in Anspruch nehmen.

Denn schon im Conclave hatten die Cardinäle eine

W a h l k a p i t u l a t i o n entworfen und beschworen, in welcher der Neugewählte verpflichtet wurde, innerhalb eines MonalS von seiner Inthronisation an in Schreiben an den römischen König, an den Gegenpapst, an den französischen und alle andern Kö­ nige, Fürsten und Prälaten zu erklären, daß er zur Cession und zu jedem andern Wege bereit sei, um das Schisma zu besei­ tigen. Wirklich hielt Gregor X II. sein Versprechen und erließ seine Ciiichduvt und feine Wahlmittheilungen an die einzelnen

Mächte genau in dem S in n e der beschwor»«» Wahlkapitulation. Wenn dennoch auch die Giltigkeit von Wahlkapitulationen, wie sie erst seit wenigen Dezennien in Aufnahme gekommen »raren, kanonisch bestritten werden konnte,') so »rar doch durch die nach seiner Inthronisation von Gregor XII. gegebene Erklärung an die Fürsten und insbesondere an den römischen König sein P o n t i f i k a t mir als b e d i n g t anzusehen. I n dem Schreiben an Ruprecht verlangte der römische Papst nur insofern anerkannt zu werden, als sich sein Gegner Peter de Luna weigerte, zur H e r s t e l l u n g d er U n i o n gleich ihm selbst den W eg d er S e s s i o n zn betreten?) Um die Tragweite eines solchen Z u­ geständnisses von Seite des römischen Papstes ganz zu würdigen, muß man sich an die Streitigkeiten erinnern, »velche in der Kirche theoretisch und praktisch oftmals darüber entstanden waren, ob ein gewählter und inthronisirter Papst überhaupt seine Würde resignieren könne. Wollte man diese schwer zu entscheidende Frage umgehen und die Pontifikate Stellung G regors XII. doch nicht geradezu gefährden, so lag ein anderes M ittel im Bereiche der kanonischen Bestimmungen nicht vor, als die freiwillige V e r z i c h t l e i s t u n g d e s P a p s t e s auf die unbedingte Obedienz?) ') D er erste E ntw urf einer Wahlkapilulation kommt bei der W ahl ElemenS VI. vor, dagegen spricht sich aber die C o n st. Iu e lig e o d is au«: o m isea om iiino c a p itu lo ru m c o n fe c tio n e p rim is d ieb u s Lori solitorum . 6 . P h illip s V. © . 832 u. 866. -) R ayn ald a. a. 1406 N o . 16. M a rten e vet. sc rip t. V II. 719 ff. 3) Die kirchen rechtliche Definition der W ahl Gregor« X I I . macht den Canonisten einige Schwierigkeiten, vgl. H e fe le , C onc. Gesch. V I. 758: „Diese Verpflichtungen waren derart, daß der Gewählte nicht sowohl al« ein Papst, sondern vielmehr al« ein m it Resignation auf« Papstthum beauf­ tragter Prokurator erscheinen sollte", aber man vgl. über da« Resignation«» recht die Geschichte Coelestins V . Dunkel bleibt die Berufung aus den u n ­ auslöschliche» Charakter de« zwar bischöflichen aber nicht päpstlichen Amte« auch nach P h illip s Auseinandersetzung V . 717.

E s war nun von Seite beider Päpste ein Verhältniß zur S ta a ts­ gewalt in Aufnahme gekommen, das uns klar den Beweis lie­ fert, daß der Akt der Anerkennung ein bestimmtes Erforderniß des Pontifikatswechsels w ar, und auch bann nicht entbehrlich schien, wenn eS sich nur um eine vorübergehende Obedienz han­ delte.

Und zugleich kommt noch ein anderes Moment in Be­

tracht: Beide Päpste, sowohl der römische, wie der französische hatten sich mit einer bedingungsweise geleisteten Obedienz be­ gnügt; welchen man daher auch vom Standpunkt des innerkirchlichen Rechte- als den w a h r e n a n s e h n mochte, immer erhielt die bedingte Obedienzleistung eine geschichtliche Berech­ tigung, deren man sich in späteren Momenten auch zum Nutzen de- Staates bedienen konnte. Wenn die deutsche Regierung zunächst von den Vortheilen, welche sie durch die bedingungsweise geleistete Obedienz erlangte, nicht einen so ausgedehnten Gebrauch in der Kirchenfrage machte, wie Frankreich, so konnte die-, wenn man das Beispiel der alten Kaiser au- dem sächsischen und salischen Geschlecht ins Auge faßte, leicht als eine Schwäche angesehen werden. I n der That aber lag dieser Zurückhaltung ein anderes Motiv zu Grunde, welches unsere Beachtung verdient. Die deutsche Ver­ fassung hatte sich seit dem 10. und 11. Jahrhundert mächtig geändert, die königliche Macht war durch ein großes s t ä n d i ­ sche- P r i n z i p in erfreulichster Weise beschränkt; König Rup­ recht von der Pfalz vermochte weit weniger noch als es Lud­ wig der B aier thun konnte, von der ständischen Mitwirkung bei seinen Maßnahmen abzusehen. Nun war aber die Stimmung der Stände in Deutschland zu allen Zeiten den Angelegenheiten der römischen Kirche gegenüber mehr eine ablehnende. Der weit­ aus grösste Theil der Nation erblickte seine Stärke in der ein--

fachen Negation. Zu einem unmittelbaren und thatsächlichen Eingreifen in die Pontifikaten Fragen, an denen die fremden romanischen Nationen viel mehr Interesse zu haben schienen, wie die deutsche, zeigte sich unter den Reichsständen niemals große Neigung. Gleichwie die Kurfürsten unter Ludwig dem B aier über die Linie der rcichsrechtlichen Z u r ü c k w e i s u n g päps t l i che r Ans pr üch e nicht hinaus giengen, so sträubten sich schon bei der Entstehung des Schism as die Städte gegen jede positive Parteinahme, und wehrten cs tapfer ab, die Kirchen­ frage zu einem Gegenstände der inner» Gesetzgebung des R ei­ ches zu machen. M an hoffte und wünschte am meisten durch die fortschreitende ständische Entwickelung der äußern Kirchen­ frage die Spitze abzubrechen. Bon entscheidender Bedeutung für diese Ström ung und Richtung Deutschlands waren die R e i c h s t a g e zu N ü r n b e r g u n d F r a n k f u r t unter König Ruprecht. D ie Regierung be­ strebte sich mit Hilfe der Reichsstände zu einer positiven Stellung in der Kirchenfrage zu gelangen. Ruprecht wurde von allen Seiten gedrängt, sich zu entscheiden und durch sein Machtwort der einen oder andern kirchlichen P artei das Uebergewicht zu geben. Gregor X II., der französische König und endlich die zahl­ reichen Freunde einer conciliaren Wiederherstellung der Einheit stürmten gleichermaßen auf die deutsche Regierung ein. Aber der N ü r n b e r g e r R e i c h s t a g konnte keinen Zweifel darüber zurücklassen, daß man in Deutschlands politischen Kreisen weder für Gregor X II. noch für den Concilsgedanken noch für Bene­ dikt X III. irgend welche Sympathien empfand. I n dieser schwie­ rigen Lage eröffnete Ruprecht den R e i c h s t a g von F r a n k ­ f u r t im Jahre 1409, aus welchem sich ein sehr ansehnlicher Theil der deutschen Stände endlich zu einem der folgenreichsten

Beschlüsse erhob.

W ir dürfen in dieser - wichtigen Reichsver­

sammlung einen Vorläufer späterer Ereignisse erblicken. Schon am 14. J u li 1408 hatten jene Cardinäle beider Obe» dienzen, welche sich von ihren Päpsten getrennt hatten, ein U n i o n SC o n c i l nach P i s a auf den 25. März 1409 berufen.

Inner­

halb der Kirche schien in diesem Augenblicke keine Partei so stark, wie diese Pisanische.

Biel lag daran, daß nun die Deut­

schen sich entschieden der Pisaner annahmen, allein eine große Aussicht dazu war nicht vorhanden, zumal der abgesetzte König W e n z e l Neigung zeigte als S c h i r m h e r r der Unionssynode aufzutreten. Die Cardinäle sandten einen ihrer College« Lan­ d u l f v on B a r i nach Deutschland, der zunächst an einzelnen fürstlichen Höfen Bundesgenossen warb und endlich auch in Frankfurt erschien.

Aber das Resultat der Verhandlungen war

den Pisanern nicht günstig.

Eine Beschickung ihres Concils

durch König Ruprecht befürworteten die Stände nicht, und stärkten den letztem in Folge dessen t» seiner Neigung Gregor X II. einstweilen die Obedienz zu bewahren; die Reichsstände selbst aber erklärten sich weder für Gregor X II. noch für Benedikt X III.; alle Obedienzen waren in ihren Augen abgethan und nichtig. Der Erzbischof von M a i n z , der sich anfänglich Landulf von B ari geneigt zeigte, war es selbst der den Beschluß der d e u t ­ schen N e u t r a l i t ä t herbeigeführt hatte.

D as praktische und

fruchtbare der Frankfurter Beschlüsse lag darin, daß sie von der Ueberzeugung getragen waren, man könne in Deutschland zu­ nächst jedenfalls auch ohne a l l e päpstliche A u t o r i t ä t aus­ kommen; ohne eine prinzipielle Entscheidung über Papstthum und Prim at zu fällen, leisteten die deutschen Neichsstände den thatsächlichen Beweis, daß die staatlichen und kirchlichen Ver­ hältnisse Dentschlcmr« nicht eie pomifitale Cmheu rer Kirche

zur nothwendigen Voraussetzung hätten.

D ie damalige große

W elt, die vorwiegenden europäischen Mächte waren von der g e t h e i l t e n Obedienz übergegangen und gedrängt worden zur b e d i n g t e n Obedienz.

D ie deutschen Reichsstände zeigten nun

in einer unscheinbaren und unauffälligen Form , aber sehr ein­ dringlich, daß man auch oh n e a l l e O b e d i e n z in den Ge­ meinwesen des deutschen Reiches bestehn könne. Indem die Pisaner den Fehler begiengen, daß sie im Ge­ gensatze zu Ruprecht

und den Reichsständen mit dem von

den letztem rechtmäßig abgesetzten Böhmen einen V ertrag ab­ schlössen, nach welchem dieser in P isa als römischer König an­ erkannt werden sollte, bewiesen sie vollständig, daß ihnen jedes Verständniß für die deutschen Verhältnisse und Bedürfnisse abgieng und daß Deutschland von den ConcilSvätern ebensowenig zu erwarten hatte, a ls von den beiden Obedienzwerbern Rom s und Avignons. Dennoch ist die Thätigkeit der Pisaner und besonders VaudulsS von B a r i in Deutschland mehr durch die Gelehrten, als durch Politiker in ein unverdient günstiges Andenken gebracht worden.

Ein Geschichtschreiber jener Zeit, weit mehr von kirch­

lichen als staatlichen Interessen erfüllt, stellte schon damals die reichsständische Richtung in ungünstigem Lichte dar, wie sie unS noch heute in den meisten Büchern erscheint, aber cs ist kein staatsmännischer Gedanke, aus welchem diese Beurtheilung ent­ sprang.

D ie Reichsstände hatten den Pisaner Concilsbestre­

bungen keineswegs präjudiciren wollen.

D ie Unionscardinäle

waren durch das Verhalten Deutschlands in keiner Weise be­ hindert worden zu einer einhelligen W ahl und Obedienz zurück­ zukehren, aber von einer ständisch gegliederten Reichsgewalt durfte man nicht verlangen, daß sie irgend wie der unbekannten Größe

Nothwendigkeit einer pragmatischen Gesetzgebung.

219

zuzujubeln Grund gehabt hätte. M an hatte in der That Zeit ge­ nug abzuwarten, wohin es auf dem UnionSconcil kommen werde, und welche G a r a n t i e r n einer bessern K i r c h e nv e rw a l t u ng etwa der neu zu wählende Papst geben würde. B is dahin aber war die N e u t r a l i t ä t entschieden als die einzig staatsmännisch gerechtfertigte Form anzusehn, nach welcher in Deutschland die Kirchenfrage behandelt werden durste. Vielleicht wäre eS schon damals möglich gewesen durch ein­ gehendere ständische Verhandlungen des Gegenstandes zur Auf­ stellung von B e d i n g u n g e n zu gelangen, unter denen ein für allemal die Obedienz einem Kirchenoberhaupte, möge dasselbe in Avignon, Rom oder Pisa eingesetzt worden sein, vom deutschen Reiche geleistet oder verweigert werden konnte, aber zu so all­ gemeinen Grundgesetzen verstand man sich damals noch nicht, und vielleicht lag es in der Natur der Sache, daß eben erst aus dem Begriffe der Neutralität heraus der weitere G eda nk e einer pr ag m at i sc he n

Gesetzgebung in Kirchenangelegen-

hetten entwickelt wurde, welche als B asis künftiger Obedienzen betrachtet werden konnte.

Aber bis zu diesem Entschlüsse reichS-

ständischer Körperschaften war von den Verhandlungen des Reichs­ tags von Frankfurt doch nur mehr ein Schritt, und er wurde gethan wenn auch erst nach manchen Jahren.

D i e W a h l e n de r C o n c i l s - P ä p s t e .

I n der großartigen Flngschriftenlitteratur, welche durch das päpstliche Schism a und die Conciliarbestrebungen entstand, be­ gegnet man der dlnschaunng, daß es A u f g a b e de r we l t l i chen

G e w a l t sei ein Concilium zu versammeln, wenn es an einem ordnungsmäßig gewählten Oberhaupt der Kirche fehle, oder dessen BerufungSrecht in Zweifel gezogen werden könnte.') So sehr hatten sich die Verhältnisse geändert, so durchaus staaten­ freundlich war die kirchliche Rechtsanschauung und Litteratur, waren die geistlichen Würdenträger geworden.

Daß die Kirche

wirklich unfähig war, sich selbst zu helfen, zeigte das Concil von Pisa, welches weder die Union noch die Reform zu erreichen vermochte.

Es schien dadurch der Beweis geliefert zu sein, daß

auch der conciliare Weg fruchtlos bleibe, da nicht gleichzeitig die staatlichen Gewalten die Hand zur Lösung der kirchlichen Frage boten.

Und in der That, nach der Aufstellung eines dritten

Papstes zu Pisa hieng das Schicksal aller Unionsbestrebungen von der Uebereinstimmung der staatlichen Gewalten in Betreff der Obedienz ausschließlich ab.

Wenn man von der Wieder­

herstellung der kirchlichen Einheit sprach, so war dies im Grunde nichts als ein bequemem Ausdruck dafür, daß die katholische Kirche die Anerkennung Eines Papstes durch die sämmtlichen weltlichen Mächte zur Voraussetzung habe.

Thatsächlich war

nun aber das Schisma durch das Pisaner Concil vergrößert, indem auch der von dieser Versammlung erhobene Papst die einheitliche Obedien; nicht erlangte. Bei der Wahl Alexanders V. trat aber ein '.Woment in !) F ran c, de Z ab arellis: De schism , Scliavd 691. »Si eveniat, quod collegium Cardinalium sit divisum et nou concordat in convocando Concilium, vel ex quacunque causa non convocat ad quem spectabit talis convocatio. Respondeo, quod ad Im peratorem . . . Convocatio conciliorum ab iuitio fiebat per Im peratorem , sed postea reservata est papae.

Deficiente

igitur

ipso papa seu non couvo-

cante deficientibusque iis, qui succedunt loco papae scilicet Car­ dinalibus seu non convocantibus revertim ur ad ius pristinum.

der kirchlichen Entwickelung hervor, welches vielleicht zu wenig beachtet wurde, obwohl seine Gesetzlichkeit durch einen conciliaren Beschluß sicher gestellt ist.

Die Aufstellung von V o r b e d i n ­

g u n g e n f ü r di e A n e r k e n n u n g e i n e r P a p s t w a h l , wie sie durch das Pisaner Concil festgesetzt worden sind, mußte unter allen Umständen als ein Gegenstand von großer Tragweite für daS kanonische Recht betrachtet werden. I n der 16. Sitzung des Pisaner Concils wurde -von den Cardinälen, welche zur Wahl des neuen Papstes schritten, ein Eid geleistet, daß das Concil nicht aufgelöst werden sollte, bevor nicht die Reformation der ganzen Kirche vollendet wäre.

Wer

immer von den Cardinälen zum römischen Papste gewählt würde, sollte sich persönlich durch diesen Schwur gebunden erachten träfe aber die Wahl einen außerhalb des Cardinalscollegiums stehenden Bischof, so sollte dieselbe erst dann in Giltigkeit treten, wenn von dem Gewählten derselbe Eid geleistet sein würde.') Der Sache nach fand hier ein ähnlicher Vorgang statt, wie er später auf dem Concil von Costnitz vorkam, in der Form dagegen weicht der spätere Versuch, wie wir sehen werden, die Reformation durch eine Verclausulirung der Papstwahl zu retten, nicht unerheblich ab. WaS in Pisa geschah, kann man unter den Begriff einer Wahlcapitulation bringen, nur daß dieselbe nicht den Wählern, sondern von den Cardinälen der durch das Concil repräsentirten allgemeinen Kirche geleistet worden ist. ’) . . . . quod, si quis nostrorum in summum Romanum Pontificem eligetur, praesens Concilium conlinuabit nec d issolvet neque d issolvi perm ittet, quantum in eo erit, usquequo per ipsum cum consilio ejusdem concilii sit facta debita, rationalis e t sufficiens reform atio tm iversalis e cc le sia e , et Status ejus tarn in capite quam in membris. M a n sieht, der Eld ist bindend — für jem and, der kein Papst sein

m ü ß ti. Di» S te lle ist iricbtiq ;nr richtigen und allseitige'! W in d ign n g des Constanze! Kautionsdekietes. wovon nachbei.

DaS Concil setzte fest, daß der Papst nicht die volle, son­ dern die durch die Reformatio» zu begründende beschränkte Ge­ walt erhalten werde. Die Cardinäle beschwuren diese vertrags­ mäßige Bedingung, unter welcher die Papstwahl vor sich gieng. Allein wenn jemals auf die Stellung der weltlichen Mächte ge­ genüber dem Pontifikatswechsel ein Gewicht fiel, so war es eben damals, wo es jedem der P äp ste ledi gl ich auf die O b e di enz ankam, und die Abmachungen innerhalb der Kirche, auck wenn sie conciliarer Natur waren, gar wenig Ansehn bei den drei verschiedenen Curien genossen.

Auch die kirchliche R e ­

f o r m a t i o n war nur dann und insofern möglich, als sie eine Bedingung

der st aat l i chen Obe di e n z wurde.

Als ein

bloßer Wunsch und Gedanke der kardinalen oder conciliarcn Be­ strebungen dagegen fiel sie in Pisa tonlos zu Boden: Alexan­ der V. löste die Pisaner Versammlung so rasch wie möglich auf, und es ist zweifelhaft, ob er die neue von ihm verheißene S y ­ node berufen hätte, wenn er auch nicht schon am 3. M ai 1410 in Bologna gestorben wäre. Die Cardinäle Alexanders V. wähltten B a l t h a s a r Cos s a, J o h a n n X X III. zum Papste, dessen Per­ sönlichkeit zu manchem Tadel, vielleicht auch zu vielen Berlciumdungen Anlaß gab, und dem gegenüber Gregor X II. und Be­ nedikt X III. unschwer ihre Obedienzen aufrecht zu erhalten vermochten. Indessen war aber Ruprecht von der P f a l z tu Deutsch­ land gestorben und S i g i s m u n d zur Regierung des Reiches berufen worden, einer jener Kaiser, welcher durch außerordent­ liche Ereignisse eines sehr merkwürdigen Zeitalters auf eine hohe Stufe der Bedeutung für die deutsche und allgemeine Geschichte gehoben wurden. Doch war er auch persönlich über die schwie­ rigen Fragen hinreichend unterrichtet, um seinem berechtigten

Ehrgeiz eine auf ein große- Ziel hinwirkende Richtung geben zu können.

I n ihm erscheint das luxemburgische Interesse natur­

gemäß mit demjenigen der allgemeinen Kirchenangelegenheiten enger verknüpft, als bei Ruprecht von der Pfalz.

Seine große

HauSmacht nöthigte ihm Gesichtspunkte auf, die über die näch­ sten deutschen und nationalen Bedürfnisse weit Hinausgiengen. Daß die Reichsstände mit dem Prinzip der Neutralität vortreff­ lich für ihre engeren und kleineren Verhältnisse sich helfen konn­ ten, war nun schon gleichsam historisch bewiesen, aber eine weitergreifende große Politik eineS Kaisers vermochte nicht auf dem passiven Standpunkte deS Reichstags von 1409 zu be­ harren.

I n allen Ländern, welche westlich, südlich und östlich

an Deutschland grenzten, brannte die heillose Kirchenfrage in viel empfindlicherer Weise als in dem durch starke Territorial­ gewalten reichsständisch geschützten Mittelland.

Die Luxembur­

ger hatten schon in Pisa die Obedienz Alexanders ergriffen; allerlei Hoffnungen knüpften diese Fürsten sowohl in persönlicher wie in sachlicher Beziehung an die conciliare Richtung. M it Balthasar Cossa hatte eS Sigismund leicht, ein Verständniß herbeizuführen, denn in diesem fand jener hart angefeindete Concilspapst seine einzige wirksame Stütze.

I n Sigism und

machte sich nun aber auch der Anspruch der alten Kaiserhoheit der Kirche gegenüber in behaglicher Breite geltend.

I n dem

Verkehr zwischen den beiden fast gleichzeitig gewählten Ober­ häuptern des Reiches und der Kirche lag etwas bilaterales, das an die ältesten Zeiten der Kirche erinnerte.

Dem ConcilSpapst

wird alle Obedienz geleistet, man gewährt ihm alle Pontifikaten Ehren, aber die Staatsgewalt hält ihn scharf im Zügel: er wird strenge in der conciliaren Richtung erhalten und darf aus den (Meisen incbt abspringen, er wird geschoben, gedrängt, ge-

legentlich tüchtig abgekanzelt. S o kommt das Kon st a n ; e r C o n cil zu Stande. Die Berufung desselben war allerdings vom Papste Johann ausgegangen, aber sehr unbestimmt und ohne Angabe de« O rts. S ig is m u n d aber verkündigte am 30. Oktober 1413, daß das Concil am 1. November des fol­ genden Jahres zu Konstanz eröffnet werden solle, und daß er dabei anwesend sein werde. Er berief sich auf die mit Johann hierüber gepflogenen Unterhandlungen, aber in sehr souveräner Weise gedachte er nur nebenbei der Zustimmung Johanns zu der Wahl des deutschen O rtes als Sitzes des Concils. In der That eine so gewaltige Erinnerung an das bilaterale Verhält­ niß, wie es in den Zeiten des alten römischen Reiches, oder in denen der strammsten kaiserlichen Oberhoheit gedacht wurde, vermochte mit allem Grund bei Johann trübe Ahnungen her­ vorzurufen, wie er sie, sich selbst wegen seiner Nachgiebigkeit verwünschend, ausgesprochen haben soll. Wie sollte unter diesen Umständen der S treit der Päpste anders, als ungünstig für alle drei entschieden werden? Wie war von so rücksichtsloser Staatsgewalt eine Sicherung und Ver­ mehrung der Obedienz auch nur zu erwarten. E s leuchtete ein, daß die Einheit der Kirche Opfer fordern werde, zu denen B al­ thasar Cossa keineswegs bereit war. E s liegt aber nicht im Bereiche dieser Darstellung, den Gang des Konstanzer Concils und seiner Verhandlungen zu verfolgen, was uns beschäftigt, ist die W a h l M a r t i n s V., welche in mannigfaltigem Betracht eine der merkwürdigsten w ar, welche die achtzehnhnndertjährige Papstgeschichte aufzuweisen hat. Nachdem das Concil von Sigismund gegen Johann X X III. in so energischer Weise geschützt wurde, daß dessen Anschläge zu Boden fielen, erfolgte die Absetzung Johanns in der zwölf-

ten Sitzung am 29. M ai 1415. Die Resignation Gregors X II. geschah durch dessen Bevollmächtigte in der vierzehnten Sitzung am 4. J u li 1415. Peter de Luna dagegen verweigerte die (Session, und gegen ihn wurde erst am 26. J u li 1417 in der 37. allge­ meinen Sitzung die Absetzung-sentenz ausgesprochen, nachdem alle Verhandlungen sich als fruchtlos erwiesen hatten. Für die Anhänger der Obedienz Johanns X X III. und Gregors X II. er­ gab sich demnach eine mehr a l s z w e i j ä h r i g e S e d i s v a c a n z , da die neue Wahl erst am M artinstag 1417 zu Constanz er­ folgte. Die Verzögerung in der Besetzung des päpstlichen S tuhlewar wesentlich durch den tiefgreifenden P r i o r i t ä t s s t r e i t um die R e f o r m a t i o n begründet.

Die Weigerung Benedikts sich

dem Concile zu fügen, war für jene, welche das Reformations­ werk gefördert wissen wollten, ein Gewinn der Zeit, der nicht hoch genug angeschlagen werden konnte, weil unterdessen we­ nigstens die Arbeiten der einzelnen Nationen soweit fortschrei­ ten konnten, daß man nach der Absetzung Benedikts nicht mit gänzlich leeren Händen der neuen Papstwahl gegenüberstand. Denn die in Konstanz versammelten Cardinäle und ihre An­ hänger wollten um jeden P reis die Papstwahl vornehmen, wäh­ rend Kaiser Sigism nnd und die Deutschen sich nicht von dem im M ai 1417 festgestellten Programm abbringen ließen, wornach auch nach erfolgter Absetzung Benedikts zuerst die Refor­ mation und dann die Papstwahl vorgenommen werden sollte. D ie R e f o r m a t i o n s a r b e i t e n übergab man zur besseren B e­ schleunigung derselben einem neuen, aus wenigeren Mitgliedern bestehenden Ausschusse, aber schon Anfangs September drängten die Cardinäle abermals zur sofortigen Vornahme der PapstV V 1 CI . .

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W ahl.')

Dieser z w e ite P r i o r i t ä t s s t r e i t um die Durchfüh­

rung der Reformation w ar noch heftiger und gefährlicker a ls der erste, weil die Cardinäle die Stim m en der Italiener und Franzosen zu gewinne» wußten.

Allein die deutsche Nation

blieb unerschütterlich in ihrem Verlangen nach der Reformation und Sigism und schreckte nicht vor Gewaltmaßregeln gegen die widerspenstigen Cardinäle zurück.

S e h r beachtenswerth ist die

Antwort, welche die deutsche N ation am 14. September auf die Denkschrift der Cardinäle gab, weil darin die volle Ueberzeu­ gung von dem bilateralen Verhältniß zwischen S ta a t und Kirche in Betreff der Papstwahl auch von S eite der der deutschen N a­ tion angehörenden Väter des Concils ausgesprochen ist: „ D ie deutsche Nation, sagten die V äter zu den C ard in älen/) hat die vielen In ju rien lind Calumnien, die man gegen sic vorgebracht im Interesse des Friedens bis jetzt geduldig ertragen.

Cs ist

nicht w ahr, daß sie wie Huß g laubt, die Kirche könne eines H auptes entbehre», aber d e r P a p st w ä h l mu ß di e R e f o r m vorangehen.

D a die in Pisa versprochene Reform nach zwei

neuen Papstwahlen eigentlich nur verhindert mit- die Sache schlimmer geworden ist, als zuvor, so erachtet sich die Nation ') V gl. Dr. B ernh. H tihler, D ie C o n sta n z es R efo rm a tio n uitb die C o n cord a te von 1418. Der erste Prioritätsstreit lim die c a u sa rc form atio n is S . 16 ff. Der zweite Prioritätsstreit um die ca u sa refo rm a tio o is S . 25. Durch dieses vortreffliche Werk, welches sich durch eine um fassende Gelehrsamkeit ebenso, wie durch seltenen juristischen Scharfsinn auszeichnet, ist zum ersten male in das ChaoS der Constanzer ConcilSacten Ordnung und Licht gebracht worden. M an wird kaum eine erheblichere Leistung auf diesem Gebiete zu verzeichnen haben. D a s folgende hat bloß die Ausgabe, diesem Werke die aus die Geschichte der Papstwahl bezüglichen Momente zu entnehmen. waS hiernit statt aller weiteren Citate bemerkt wird. 2) Ich entlehne den W ortlaut der Uebersetzung (v. d. H ardt IY . 1419) gerne dem in der Sache gewiß als zuverlässig geltenden H e fe le , C on cilien g esc h ic h te Y II., 1. 319 ff.

für getäuscht, und will die schrecklichen Mißstände nicht länger ertragen. ES ist g ut , we n n d e r römische S t u h l , während da- Concil die Kirche leitet, e i n i g e Z e i t v a c a n t bleibt, er kann dann sorgfältig gereinigt und die römische Kirche wieder mit guten Sitten geschmückt werben; ohne dieß aber würde der Neugewählte, und wenn er auch der tugendhafteste wäre, von dem Unrath, in den man ihn hineinsetzt, nothwendig beschmutzt werden. Die Cardinäle sollen darum der Priorität des Reform­ werkes beistimmen." Allein Sigismund und die Deutschen drangen mit ihrem Reformeifer nicht durch.

Nachdem auch die Engländer zu der

Partei der Cardinäle übergetreten und selbst einige deutsche Bischöfe abgefallen waren, kam es zu einem C o m p r o m i s s e , wornach diejenigen R e f o r m d e k r e t e , über welche sich alle N a­ tionen geeinigt hätten ungesäumt publicirt, dann aber ein C au t i on S d e k r e t durch die Synode erlassen werden sollte, welches die R e f o r m a t i o n auch nach d e r P a p s t w a h l zu sichern im Stande wäre.

Am 9. Oktober in der 39. Sitzung wurden fünf

Dekrete publicirt, welche trotz aller entgegengesetzter Tendenzen immerhin als eine Sicherung gegen die absolute Willkühr des zu wählenden Papstes gelten mochten.')

Am wichtigsten aber

war das Cautionsdekret, welches dem neu zu wählenden Papste die Verpflichtung auferlegte, das Concil nicht aufzulösen, solange *) D ie definitive Erledigung derjenigen Reformartikel, über welche sich die Nationen innerhalb der Reformatorien bereit» geeinigt hatten, kam zuerst zur Ausführung. S ie erfolgte unmittelbar nach dem Abschlüsse der Unter­ handlungen am 9. Okt. 1417 in der se ss. gen. X X X IX . und zwar durch Publication von fünf conciliarischen Generalreformdekreten. 1- D e co n ciliis g en er a lib u s: Periodisiernng der allgemeinen Synoden mit einer 5- resp 7 resp. 19jährigen ConvocatidnSfnst. 2. P r c v isio adversus Futura Schismata p ru ecaveu d a: Pr>ive»nvdcsti»imnngen gegen den AnSbrnch eine» Schisma»

228

V. Geschichte der Obedieazderweigernng

nicht über achtzehn namentlich bezeichnete M aterien deS Kirckenrechts mit den Nationen Verträge geschlossen worden seien.') E s ist mithin klar, daß auch durch das Constanzer Concil die Z u l ä s s i g k e i t

bedingungsweiser Papstwahlen

und

folglich auch b e d i n g t e r O b e d i e n ; en anerkannt wurde und daß die von dem nachher gewählten Papste ertheilten und be­ stätigten Concordate als der rechtliche G rund der ihm geleisteten Obedienz zu betrachten war.

D a s Constanzer Concil leitete

durch das angeführte Cautionsdekret die gesammte Papstwahl auf das alte bilaterale Verhältniß des V ertrags zurück.

Die

durch das Cautionsdekret garantirten Rechte der Nationen war der zu wählende Papst anzuerkennen bemüssigt, falls er aus die Obedien; derselben rechnen wollte.

Hierbei ist es im Grmide

gleichgültig, welchen Werth man dem auf diese Weise entstan­ denen Reformatorium beimißt.

F ü r die prinzipielle Stellung

der W a h l f r a g c und der O b e d i e n z l e i s t u n g kommt es selbst3. D e p ro fe ssio n e fa cien d a p e r P a p a m : Glaubensbekenntniß des neu gewählten Papstes vor der Krönung. 4. N e p ra e la ti tra o s fe ra n tu r inv i ti : Unversetzbarkeit deS höher» CleruS. 5 De sp o liis e t p ro c u ra tio n ib u s; Aufhebung des päpstlichen Spolien- und ProcurationenrechtS. Hübler S . 33. v. d. H a r d t IV . 1452, Hübler 35. S a c ro sa n c ta sy nodus Cons ta n tie n s is s ta tu it e t d e ce rn it, quod futurus sum m us P o n tife x p e r Dei g ra tiam de proxim o a ssu m e u d u s, cum hoc sa c ro con cilio vel d e p u ta n d is p e r sin g u las n a tio n e s d e b ea t re form a re ecc le sia in iu cap ite e t cu ria R o m an a secundum a eq u itatem e t bonum regim en e c c le sia e , a n te q u a m hoc sacrum Concilium d isso lv a tu r, su p e r m ate riis a rticu lo ru m a lia s p e r n a tio n e s in refo rm ato riis o b iato ru m , qui seq u u n tu r: unter den folgenden 18 Titeln berühren N r. 2, 3, 4, 5, 6, 11, 15, 16 u. 18 staatskirchliche Verhältnisse, die ohne Zustimmung der welt­ lichen Mächte nicht einseitig zu lösen waren. Der Artikel 13 bezog sich auf die Absetzbarkeit des Papstes M an sieht also, daß die Bedingungen der Papstwahl so eingreifend waren, als möglich und durch die Concordate eine vollständige Lösung allerdings nicht erhielten.

verständlich nicht so sehr auf den Inhalt der Bedingungen, als vielmehr darauf an, daß solche gestellt, von dem Coüstanzer Concil als zulässig erklärt, und vom gewählten Papste nachher anerkannt wurden.

3 nt übrigen aber wurde doch selbst der I n ­

halt der fünf Reformdekrete der 39. Sitzung und noch mehr derjenige der Nationsconcordate stark unterschätzt.

Wenn die

Reform nicht allen Wünschen entsprach, so war doch wesentliches erreicht, das nur deshalb nicht in seinen Wirkungen sich geltend machte, weil sich die römische Curie nicht an die Dekrete hielt. Bedenkt man aber, welcher Entschluß unmittelbar und persönlich von dem auf Grund des CautionsdekretS zu wählenden Papste erwartet wurde, so ersieht man leicht, daß die Zugeständnisse erheblich und gewiß nur im M o m e n t e ei ne r P a p s t w a h l erreichbar waren.

Denn niemals hätte ein Papst, dem die un­

bedingte Obedienz gesichert gewesen wäre, Concordate wie die Constanzer bestätigt?)

S ie umfassen den größten Theil der

päpstlichen Rechte, sie verringern sowohl in autoritativer, wie in materieller Beziehung den Besitzstand der römischen Curie, sie erkennen die Sonderstellungen der einzelnen Staaten und Nationen in unbedingtester Weise an, sie enthalten die erste und canonistisch einzige bedeutendere Grundlage für ein nationales Kirchenrecht. I n den Vorgängen des Constanzer Concils zeigt sich die Bedeutung

der P a p s t w a h l für die G e s t a l t u n g und

') Hübler bemerkt, daß da« CantionSdekret in der Ausführung der R e­ formation den Fall der Concordate nicht geradezu vorgesehen habe, er w ill daher S . 3 6 das v el d ep a ta n d is p er siü g u la s n a tio n es nicht im S in n e einer Alternative verstanden wissen Doch ist eS vielleicht gestattet, daraus aufmerksam zu machen, daß die 3 9. u. 40. Session bereits einen ziemlich klaren Einblick davon habe» mußte, daß es zu einer vollkommnen Einigung der Nationen iiichl kommen werde.

O rd n u n g d e r staatsk irch lich en V e rh ä ltn is s e . Die deut­ sche Station vermochte zwar nicht in jener durchgreifenden Weise wie sie es im Vereine mit Kaiser Sigismund beabsichtigt hatte, die Sedisvacanz zur Reformation der Kirche zu benutzen, aber das Prinzip einer bedingungsweisen Anerkennung des Pontifi­ kats erhielt durch die conciliare Autorität eine unvergleichliche Grundlage. Nachdem der Pontifikatswechsel sich wirklich voll­ zog, kam es lediglich darauf an, daß die staatlichen Gewalten hinreichende Energie zeigten, um die Durchführung des CautionSdekrets zu veranlassen. Indessen war über die vorzunehmende Papstwahl auf dem Constanzer Conzil auch in Betreff der internen Modalitäten eine Uebereinstimmung nicht von vornherein vorhanden, mtd eS ist hier nöthig auch auf diesen Gegenstand einige Rücksicht zu neh­ men, obwohl derselbe in erster Linie nicht den Kreis unserer Aufgabe berührt. D ie A e n d e r u n g e n in dem her gebr ach­ ten Wahl sys tem, welche in dem Conclave des Eonstanzer Concils zu Tage traten, betrafen das Wahlcollegium.') Die Eoinmission zur Berathung der Modalitäten der vorzunehmen­ den Papstwahl einigte sich im Oktober 1417 im Anschlüsse an die im M ai von den Cardinälen selbst gemachten Propositionen dahin, daß »eben den C a r d i n ä l e n ein aus den Nationen g e w ä h l t e s Co mi t e an der Papstwahl Theil nehmen sollte. Diese Bestimmung trug den Charakter einer vorübergehenden Maaßregel und sollte den Wahlgesetzen der römischen Curie nicht für die Zukunft präjudiciren. Auch wurde in sehr ge­ schickter Weise eine Form ausfindig gemacht, durch welche die ') D ie Verhandlungen über den Wahlnwdu« dauerten 18 Tage. Im ganze» waren zu de» 23 Cardinälen 30 Deputirte getreten. Mithin hätte» die Cardinäle majorisirt werden können. Vgl. Hefele a. a. O. 327.

Konstitution Alexanders III. ihre volle Geltung behielt.

Denn

die Cardinäle bildeten neben den NationSdeputirten eine selbst­ ständige Wahlkammer, innerhalb welcher die erforderliche Zweidrittel-Majorität streng nach dem alten Rechte von Seite der Cardinäle ohne Rücksicht auf die andere von den Nationen ge­ bildete Wahlkammer gesichert blieb. D er neu zu wählende Papst sollte in jeder Wahlkammer die zweidrittel M ajorität erhalten; es konnte daher wohl geschehen, daß ein von den Cardinälen bezeichneter Candidat wegen des Widerspruches der andern Wahl­ kammer nicht durchzubringen war, aber es konnte nicht der Fall eintreten, daß aus dem Constanzer Conclave ein Papst hervorgieng, welchen nicht zwei Drittheile der Cardinäle wirklich ge­ wählt hatten.

Und so wurde die Wahlordnung Alexanders III.

wirklich aufrecht erhalten und gesichert. WaS aber die Conclavevorschristen Gregors X., Clemens V. und VI. betraf, so war ihre Giltigkeit ausdrücklich als eine Vorbedingung deS Eintritts auch für die NationSdeputirten erklärt worden. M it der W a h l O t t o s von C o l o n n a , der mit Rücksicht auf seinen Wahltag den Namen M artin, vielleicht auch deshalb, um an keinerlei politisches Programm zu erinnern, annahm, waren übrigens alle Parteien im hohen Grade zufrieden, und König Sigism und ließ cs an nichts fehlen, was zu den Cere­ monien der Anerkennung «nd Obedienzleistung gehörte.

Die

Tage »ach M artins V. Wahl werde» als die festlichsten und be­ wegtesten der langjährigen Versammlung geschildert.

Die Re­

formation schien durch das Cantionsdekret und den festen Willen der weltlichen Macht hinreichend gesichert.

I n der That trat

die Reformationscommission deS Concils zu neuer- Arbeit zu­ sammen. Die Periodizität der Kirchenversammlungen wurde von M a n i i ! V. auf Grund der Erledigung der Generalrefocm-

betrete in bet 43. Sitzung anerkannt. D ie Bebingungen seiner W ahl waren badurch wenigstens in beit Hauptpunkten erfüllt. Auf beit Weg ber Partieulargesetzgebung aber hatte innerhalb der Reformationseommission zuerst bie beutsche Nation hinge­ wiesen unb hiebnreh den Abschluß der NatiouSeoncorbate erreicht.') Indessen wurden diese Perträge mit Ausnahme des englischen Coneorbats nur auf fünf Jahre abgeschlossen, offenbar in ber Hoffnung, daß man bei einer fortgesetzten coneiliaren Thätig­ keit zu einer Vereinbarung aller Nationen in Bezug auf die Reform und mithin zu einer neuen Einheit gelangen könne. S o großes und wichtiges nun aber auch durch bie Eoueorbate mit den Nationen erreicht war, und so sehr sich bie be­ dingungsweise Papstwahl M artins vom Standpunkte ber Kir­ chenreform zu bewähren schien, so darf doch nicht vergessen werden, daß es in Kons tanz eigentlich kei ne b i l a t e r a l e n Verträge zwiscken S t a a t und Kirche waren, welche aus An­ laß des Pontifikatswechsels entstanden. E s war nur eine G rund­ lage gegeben worden, aus welcher von Seite ber politischen G e­ walten nachher fortgebaut werden konnte. D ie Reformartikel ber Coneordate behandelten eine Reihe von Dingen, welche tief in das politische Leben eingrisien, in welcher Beziehung nur an die Bestimmungen des geistlichen Censurrechtes erinnert zu ') Grundlegend auch für die späteren Zeiten blieben die A v isa m en ta n a tio n is G erm an icae super a rtic u lis ju x ta d ecretu m c o n c ilii reform a n d is ex h ib eu d a dom ino nostro S a n ctissim o v. d. H a rd t I. 199 mit Zugrundelegung der 18 Artikel des CautionSdekreteS Dem Beispiele der deutschen Nation folgten bald auch die andern nach, besonders die fran­ zösische und spanische Hiebei muß noch besonders auf daS hingewiesen wer­ den, w as Hübler S . 2 60 über die RechtSgiltigkeit der Synodalbeschlüffe auch ohne päpstliche Approbation, oder im Falle der Verweigerung derselben sagt; anders lag es freilich mit den Concordaten, die doch ein einstimmiges Placet aller Nationen und also eine Allgemeingiltigkeit nicht hatten.

werden braucht,') allein die „Nationen," mit welchen die Ver­ träge des Konstanzer Concils vereinbart wurden, waren nur in sehr ungenügender Weise als Repräsentanten der staatsrechtlichen Gewalten zu betrachten. ES bedurfte erst der außerordentlichen Ereignisse des BaSler Concils, um die staatlich en M ächte a l s solche zu un­ mittelbaren ConpaciScenten von Verträgen zu erheben, welche die kirchliche Reformgesetzgebung betrafen. Die Streitigkeiten zwischen dem BaSler Concil und dem Papste Eugen IV. führ­ ten den erheblichen Fortschritt herbei, daß die kirchliche Gesetz­ gebung auf die Voraussetzungslose Basis eines von den Reichs­ gewalten abgeschlossenen Vertrages gestellt wurde. Und wieder war eS ein Pontifikatswechsel, welcher in dieser Entwickelung der Dinge die entscheidende Wendung herbeiführte, eine Papst­ wahl, deren nur bedingungsweise Anerkennung durch daS deutsche Reich auch den Konstanzer Concordaten erst zu einer späten und gerechten Würdigung verhalf. ') E s handelt sich um den im Gap. V II . des deutsche» Eoncorbats enthaltenen Generalindult, welcher mit einer einzigen Ausnahm e, in den Fällen einer c eu su ra e c c le sia e tic a a ju re vel ab hom ine g e n e ra lite r p ro m u lg a ta die Gemeinschaft m it dem von ihr betroffenen frei gab, ein« so eingreifende Bestimmung de« deutschen Toncordat«, «16 m an von Seite der Reichsstände gewiß nur wünschen konnte; deshalb ist die M einung Aschbach« Gesch. ©iß. II. 339 zu verwerfen, daß daS Constanzer Loncordat niemals praktische G eltung erhallen hätt«, weil e« von den ReichSständen nicht rezipirt war. D aß da« Reich von den Zugeständnissen de» ReformatoriumS Besitz ergriff, beweisen die gleich später zu besprechenden Verhandlungen über die pragmatische Sanction, in der ja großentheilS wieder die A v ie a m e n ta Quelle waren-

Eu g e n IV. und die W a h l N i c o l a n S V.

W ir versetzen unS in den M om ent, wo zwischen P a p s t E u g e n IV. und dem B a S l e r C o n c il der lange vorbereitete Conflikt zum vollen Ausbruch kam, und die Suspension Eugens durch die große Kirchenversammlung ausgesprochen worden w ar (24. Ja n u a r 1438), welcher in nothwendiger Cousequeu; die Ab­ setzung des Papstes am 25. Ju n i 1439 folgte. Ein neues Schism a mW die alte, schon bekannte Bewerbung um die Dbedienzen begann. D ie Stellung der Staatsgew alten zu den beiden streitenden Theilen war eine sehr verschiedene, zunächst haben wir unser Augenmerk auf das deutsche Reich und seine Stände zu siebten. S o wenig eifrig die deutsche "Ration vergleichsweise an den B e­ rathungen der B a sler B ätet unmittelbaren Antheil nahm , so wachsam waren die großen ständischen Körperschaften in der W ahrung ihrer staatlichen Rechte. Rach dem Tode Kaiser S i ­ gism unds traten im Frühlinge 1438 die K u rfü rs te n zu F r a n k f u r t zusammen. I n ihrem Gefolge befanden sich die beiden Rechtsgelehrten, deren "Rainen in unvergänglicher Weise mit den nachfolgenden großen Ereignissen verknüpft ist: J o h a n n v o n L y s u r a u n d G r e g o r von H e i m b u r g . W as sie zur Herbeiführung des kurfürstlichen Beschlusses vom 17. M ärz tha­ ten, mag in der geschichtlichen Litteratur ebenso oft unter- als überschätzt worden sein.') Sicherlich aber dürfte die beschlossene ') Der Gegenstand ist in neuester Zeit wiederholt und trefflich behandelt worden. Ich verweise hier ein für astemale aus G. V o ig t, E n ea S ilv io I. 150 ff. B rock h au s, G rego r von H eim b a rg und P u c k e r t, die kurfürst­ liche Neutralität während des B asler Göncife. Unterschiede in der Ä»sfassung des Gegenstandes zu bezeichnen, würde hier kaum am Platze sei». D ie folgenden Citate beabsichtigen nur den Leser in die unmittelbare Kennt­ niß der Richtung und des Geistes einiger der wichtigsten Aktenstücke zu setzen.

Neutralität des Reiche- in dem Streite der kirchlichen Gewalt-?» nicht als ein neuer Gedanke oder eine E r f i n d u n g der S t a a t s ­ m ä n n e r der letzten Zeiten angesehen werden. Die Neutralität gieng im 14. Jahrhundert von den Städten auS, sie erfaßte später die obern Stände, sie fand zur Zeit des B asler Con­ cils in dem Kurfürstencollegium ihre Stütze und ihren Schwer­ punkt.

Indem nun der erste Stand des Reiche- so energisch

die Vertretung der alten, gleichsam nationalen Recht-überzeu­ gungen übernahm, so erhielt die Neutralität de- Jah re- 1438 eine so große Bedeutung, daß alle früheren Bestrebungen und Beschlüsse ähnlicher Art fast ganz vergessen schienen. D er Wortlaut, der unter dem Namen einer Appellation bekannten Erklärung der Kurfürsten von Frankfurt, war aller­ dings keine Kriegserklärung gegen den Papst, oder da- Concil in dem Sinne, wie der eine oder der andere Theil, oder wei­ ter fortgeschrittene Parteigänger erwartet haben mochten, aber von einem rein staatlichen und politischen Gesichtspunkte aufge­ faßt, waren die Maßregeln einer einfachen Obedienzverweigerung ohne positive Vorschläge zu einer Reform der Kirche zu­ nächst als ausreichend betrachtet worden. Vom 18. Februar 1438 hörte im Reiche jeder kirchliche Gehorsam sowohl gegenüber dem Papst, wie gegenüber dem Concil auf.

Alle Erlasse und Ver­

fügungen beider Autoritäten, welche seit diesem Termine er­ schienen waren, wurden staatlicherseits als rechtsungültig imd wirkungslos erklärt.')

M an wollte zunächst nur ein Provi-

') Nachdem die von beiden Seiten erhobenen Forderungen der Obedienz reserirt woroen sind, fahren die Kurfürsten fort: Cumque dietim iu diocesib u s et territoriis oostrie noonulla edicta, processu s et man data penalia tarn a prefato domino oostro papa, quam a sacro B a silie o si co Dcilio m aoarc noacuntur, quibus sim ile periculum io esse vi de t nr . . . . deo p ro lesta ti sumus animos uostros quoad oinnia luijiismodi

fori um schaffen und sich nach keiner S e ite die H ände binden, aber in W ahrheit wurde unter unscheinbarer Form eine der wichtigsten und einflußreichsten Entscheidungen getroffen. D enn d ie O b e d i e n z v e r w e i g e r u n g , welche dam als beschlossen wurde, d a u e r t e neun J a h r e und brachte die erstaunlichsten W i rkungen hervor. I m Hinblicke auf die Ereignisse, welche hundert Ja h re spä­ ter eintraten, w ar die Geschichtschreibung zuweilen geneigt, den kurfürstlichen M aßregeln des fünfzehnten Ja h rh u n d erts Schwäche und Halbheit vorzuwerfen. Aber an Klarheit und Bestim m t­ heit der Ziele fehlte es den Reichsständen, welche die N eu trali­ tät beschlossen, durchaus nickt. D e r vorherrsckende GesichtsPunkt w ar aber der, die innern Angelegenheiten der Kircke so wenig wie möglich unm ittelbar zu beeinflussen, aber in diesem Punkte auf die Concilien ebenso wenig Hoffnungen zu setzen, a ls auf die Papste. A ls das wesentliche sah m an die B e r­ fassungsfragen a n , in welchen m an der deutschen N ation eine allseitige Unabhängigkeit von Rom zu sichern strebte. D a s, aduersancia, que a die 18 F ebruarii proxime preteriti ab ipso domino uostro, sacroue con cilio em anasse contigerit de praeseoti su sp en so r etin ere, nosque et su b d itos nostros in so la ordinaria iurisdictione in cou cu sse, c o n se r u a r e , regere et m anuteoere. Sed quia veremur, ne ipse dominus papa, sacrumque B a silie n se Conci­ lium, aut ille vel illi, in quorum fauorem m and ata, ed icta et pruc essu s huiusmodi emanaruut, req uisicionibu s suis inherere non desistan t, ex quibus scandala in d iocesib u s ac territoriis nostris ac universo Romano Imperio su scitari veremur, et e le c tio u i, cui iam habemus incumbere pretextu censurarura, que pretendi p o ssen t contra personas eligeocium aut electi quom odolibet cauillari. H iis itaque periculis occurrere . . . . ed ictis, m andatis, p raecep tis e t proc essib u s et penis ac censurarum e t penarum com m unicationibus, quas a die . . . pronocamus et appellam us conjunctim et diuisim pro nobis ac nostris e t quibuslibet nostrorum subditis ac fautoribus etc.

Die Lonstanzer Eoncordate als Reich-gesetze.

237

was im Reiche am schwersten empfunden wurde, war der Um­ stand, daß die Bestimmungen des Konstanzer Concordats seit Ablauf deS fünfjährigen Termins nicht erneuert worden und weitere Reformen an der Schwäche der conciliaren Entwickelung schon unter M artin V. gescheitert waren.

S eit jener Zeit ver­

folgte die reichsständische Politik das Ziel, jene Avisamente, welche einst von der deutschen Nation des Konstanzer Concils entwor­ fen worden sind, zu einem integrirenden B e s ta n d th e il d er deutschen R eichsgesetzgebung zu machen. Auf dem Reichs­ tage von 1424 hatten die Kurfürsten dem Zaudern der rö­ mischen Curie gegenüber die Berufung des Concils in die deutsche S tad t Basel gefordert, indem sie die Erneuerung und Befestigung der in dem NationSconcordat festgestellten Bestim­ mungen nur durch ein deutsches Concil gesichert glaubten. Zwei Jahre später wurden die Avisamente deS Konstanzer Concils zur Grundlage eines kurfürstlichen Neutralitätsbundes erklärt. Immer wieder erblickten die Reichsstände in diesen Avisamenten die Basis einer zweckmäßigen ReichSgesetzgebung; sie wieder­ holten im Jahre 1440 die Bestimmungen, auf welche schon 1426 König Sigismund hingewiesen wurde, und sie verschärften die Bedeutung und Kraft dieser verfassungsmäßigen Einrichtungen durch die Erklärung, daß man nur einem solchen Papste Ge­ horsam schuldig sei, welcher den der deutschen Nation vorzugs­ weise zukommenden Rechten und Prärogativen uneingeschränkte Anerkennung zu Theil werden ließe.

S ehr bezeichnend ist in

dieser Beziehung ein Capitel der Avisamente von 1426 und 1440, wo es übereinstimmend heißt: „Darnach, was die M in­ derung und Aufhebung ver Beschwerden belangt, ist avisirt, weil gemelte Nation vor allen andern Nationen und Pölkern

von eer römische» Kirche zu obren und zu erheben ist, wegen

238

V . Geschichte der Obedien-verweigerung.

großer und vielfältiger H ilf und dann auch wegen de- Röm. Reichs, welches Macht und Gewalt auf gemelter Nation stehet, das die Röm. Kirch mit vielen und mancherlei Gaben gezieret hat: d a ß d e r j e n i g e P a p s t , dem m a n w i r d a n h a n g e n , gemelter Nation zu W i d e r l a g

ihrer Gutthaten für sich und

seine Nachsannt und dem heiligen apost. © tuet, aus Gunst und Verwilligung der Cardinälen mit seiner eigenen Hand unter­ schreibend, statnire, ordne, befehle und sonderlicher Freyheit und Privilegi gebe, und verehre, durch sich und feine Nachkommen zu ewigen Zeiten unumstößlich zu halten, wie hernach geschrie­ ben stehet."') M it diesen Worten ist der Reicksstandpunkt so klar wie möglich bezeichnet.

D ie Obediettz, welche man einem Papste

leisten wird, erklärt das deutsche Reckt als eine Folge der durch das Constanzer Concil gewährleisteten und eröffneten verfassungs­ mäßigen Bestimmungen.

Indem die zuerst von der deutschen

Nation in Constanz aufgestellten Avisamente in das deutsche ') L ü n ig und nach ihm H o rix , A d c o n c o rd a ta n a tio n is G errnan ic a e In te g ra fase. I. 31 veröffentlichen unter dem Titel Bedenken der S ta n d des Röm. Reiches über des Pabsts und der geistl. Eintrag, aus dem Reichstag zu Maintz vor Anfang des Concilii zu Basel von den Ständen deliberirt und Ih re r Majestät Kaiser S i g i S m u n d o zu exequiren über­ geben." Diese Avisamente stimmen allerdings m it den lateinischen von 1440 großentheilS aber nicht vollständig überein, vgl. M üller, R e ic h sth . I. S . 52, aber auch die HrSg. bemerken schon diese Uebereinstimmung. (Horix S . 51). D er W ortlaut im Anfang, wo man sich ganz im Gegensatze zu den Reichs­ abschieden von 1439 nicht auf die P aS ler, sondern durchaus nur auf die Konstanzer Dekrete beruft, läßt schließen, daß hier keine I rru n g vorliegt, außerdem ersieht man aus Cap II., daß das B asler Concil noch unsicher ist. DaS würde allerdings auf daö J a h r 1426 paffen; aber da m ir die Uebersicht über den handschfl. A pparat dieser Akten abgeht, so ist hiemit nur eine Verm uthung ausgesprochen. D er in Cap IV . ausgesprochene oben mitgetheilte W ortlaut, bezeichnet gewiß den Charakter der ganzen Neutralitätssrage besser und unbefangener als manches Buch.

Staatsrecht aufgenommen und übergegangen waren, hieng nun die Frage, „welchem P a p s te m an a n h a n g e n w i r d " , von »essen Anerkennung der gesetzlich feststehenden Bestimmungen »er deutschen Verfassung ab.

M an sieht leicht, es ist der unS

schon öfter in diesen Betrachtungen vorgekommene Grundsatz »eS bilateralen Verhältnisses, wornach die Anerkennung des Pon­ tifikats auf der Pontifikaten Anerkennung des deutschen S ta a ts­ rechts beruht.

Wo diese« Prinzip verletzt worden ist, dort setzt

man der einseitigen Forderung des Kirchenoberhauptes die staat­ liche Obevienzverweigerung oder im Falle eines Streites kirch­ licher Autoritäten die N e u t r a l i t ä t entgegen.

Wenn man nicht

überhaupt die Existenz von Staat«- und Völkerrecht läugnet, so wird man sagen müssen, daß ein so tief in der deutschen Ge­ schichte wurzelnder und

wiederholt

geltend

gemachter

Grundsat z als ein C a p i t e l de r se lbe n zu betrachten sein wird.

Der kurfürstliche Beschluß von 1438 bewegt sich genau

innerhalb bet Grenzen dieser Auffassung, man kann denselben daher weder als eine unerwartete Neuerung noch als eine halbe Maaßregel bezeichnen, vielmehr ist derselbe nichts als eine An­ wendung eines allgemeinen Prinzips auf den bestimmten Fall der Entzweiung der kirchlichen Autoritäten. Waren die Reichsgcwalten fest und entschieden in der Durch­ führung dieses Grundgedankens, so durften sie allerdings die innerkircklichen Streitigkeiten nicht allzusehr in den Kreis ihrer Entscheidungen ziehen.

Wie die Kurfürsten von Reuse ein J a h r­

hundert vorher sich nicht in die Frage der päpstlichen Defini­ tionen über die Armuth Christi einmischten, so folgten sie auch dem Basler Concil nickt in allen Irrgänger, der Glaubenslehre über die Stellung der Concilien und des Prim ats. I n beiden F ä lle n ober sebten sie sei: wao Rechtens in d e r deutschen

Verfassung

in Bezug auf kirchliche und die Grenzen von

S ta a t und Kirche betreffende Angelegenheiten sei.

D ie Reichs­

stände zeigten sich im Ja h re 1431 gleich bei den ersten Schritten des Basler Concils gegen Eugen IV. mehr zur Vermittlung ge­ neigt,') sie ließen sich durch die ausgezeichnetsten Redner und Schriften im Jah re 1438 nicht zu einer Parteinahm e bestim­ men, sie vertheidigten das Prinzip der N eutralität und man hoffte, daß eS sich in staatsrechtlicher Beziehung ausreichend und fruchtbar erweisen müsse?) Indessen blieb es nicht bei bloßen allgemeinen Worten. E s kam darauf an, die kirchenrechtlichen Verhältnisse im Wege der Gesetzgebung um so mehr zu ordnen und zu stylten, je größere Verwirrungen in dem Kreise der rein kirchlichen G e­ walten einrissen.

Am Tage nach der Neutralitätserklärung

(18. M ä r; 1438) wählten die Kurfürsten zu Frankfurt K ö n i g Al b r e c h t II. v o n Oe s t e r r e i c h , einen M an n , welcher auf die reicksständifcke Auffassung der Dinge verständnißvoll einzugehen vermochte.

E r w ar der Erbe der Länder und der Grundsätze

Kaiser Sigism unds.

Seine weitgreifende Politik, die so vieler­

lei Verhältnisse und Richtungen zu berücksichtigen hatte, machte ihn zu einem natürlichen Bundesgenossen der kurfürstlichen ge­ mäßigten Anschauungen, allein, so wenig er sich zu einer P a r ­ teinahme entschloß, so sehr war er doch seiner kurzen Regierung nach zu schließen, ein Gegner des Friedens und Ausgleichs um ]) V gl. M üller, R e ic h s tg s th . 1. S . 2 2 das Schreiben der BaSler Väter on die Kurfürsten. 2) D ie kurfürstliche Neutralität erscheint vielleicht nirgends besser gerecht­ fertigt als in dem BaSler Tractat gegen dieselbe, Horix I. 410, vgl. beson­ ders 4 2 3 : q u o d su b tr a c tio o b ed iu n c ie in c a s u s c ism a tis , und 442 A lle g a b a tu r c a u sa ju s tific a tiv a d i e l e n e u tr a lita tis , quia d i s r e p t i o iu te r C o n c iliu m e t p ap ain e s s e t d ubium , p ro b a b ile etc.

Die pragmatische Sanction.

241

jeden Preis, so wenig ein Fanatiker der Ruhe gleich seinem Nachfolger, dem gelehrteren und unterrichteten aber energielosen und unverläßlichen Friedrich I I I.

Ein Verdienst Albrecht- II.

bleibt eS unter allen Umständen, daß eines der umfassendsten Reichsgesetze, welches die kirchlichen Angelegenheiten ordnete, durch seine Mitwirkung, jedenfalls ohne sein Widerstreben zu Stande kam. D e r Reichstag, welcher die pragmatische Sanction') beschloß, wurde zum 1. März 1439 nach Frankfurt berufen aber in M a i n z abgehalten.

Es wäre sehr verlockend in eine ge­

naue Schilderung der interessanten Verhandlungen des Reichs­ tags einzugehn, auf welchem neben Johann Lhsura eine Reihe der hervorragendsten Staatsmänner und kirchlichen Autoritäten als Gesandte des Kaisers, der Stände und des Concils thätig 9 Koch hat bekanntlich den Ausdruck eingeführt, welchen wir beibe­ halten. Pückert S . 97 spricht demselben die Berechtigung ab, indem er den detr sran-ösischen pragm. Sanction zukommenden gesetzt. Charakter nicht auch bei der deutschen anerkennt. Hierin scheint aber eine Verkennung der stän­ dischen Gebräuche in Deutschland. Auf diese Art hätte auch der Kurverein vom Rensie keine gesetzliche Kraft, ja eine Reihe von wichtigsten Reichsgesetzen träogt den rein föderalen Charakter der deutschen Verfassung an der Stirne. Allerdings hat sich leider nur zu wenig die kaiserliche Gewalt an die ständi­ schem Beschlüsse gekehrt, allein daS war ein Malheur für die Deutschen, aber nicht ein gesetzliches Gebrechen des Mainzer Beschlusses, der denn doch die Zusstimmung der kaiserlichen Bevollmächtigten und Principal-Commissare des ReiichStagS gleich an der Spitze trägt. Ich wüßte daher nicht, was an der Forrm auszusetzen wäre. Daß man 1444 noch immer an Friedrich I I I . ar­ beitete, ut (die Dekrete von 1439) firmisaime cuatodiantur et manuteneamtur kann doch nicht gegen die ordnungsmäßige Form des Abschieds geltend gemacht werden. Die pragm. Sanction fehlt denn auch kanm in einerr Ausgabe der ReichStagSakten; daß man daS Reichsgesetz aber nach dem Mntster deö französischen ebenfalls pragm. Sanction genannt - das ist eben nn Rome, der an der Sacke nicktS ändert, aber jedenfalls den Vortheil der Beqniemlickteil mit Dcmlicklm ha: e ! ere

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V a r üw al'1

u m jl m ie i tl -u m .

16

waren. Auch die a u s w ä r t i g e n Mä c ht e schickten ihre B o t­ schafter nach der deutschen S tad t, um über die Beschlüsse fceS Reichstags genaue Inform ation ju erhalten. E s war eine je­ ner großen deutschen Versammlungen, welche den Beweis liefer­ ten, daß diese S tände des Reiches, trotz aller Zerfahrenheit, trotz allem vielbeklagten Verfalle, trotz vieler wirklicher Schäden und Mißgriffe einer föderalistischen Entwickelung, dennoch von ganz Europa ohne weiters in ver großen Politik als der Ncrbel des W elttheils angesehen wurden, und man kann auch bei die­ ser Gelegenheit nicht verkennen, daß unsern neueren historischen Darstellungen, zum Unterschiede von der hohen M einung, welche noch die alten Staatsrechtslehrer des vorigen Jahrhundert- da­ von festhielten, nicht selten der würdige Begriff dieser D inge abhanden gekommen ist. Ein solches vornehm absprechendes Verfahren unserer neuern Litteratur gegenüber den alten Reichs« einrichtungen h a t t e a b e r d e n Na c h t h e i l , daß die deutsche Nation tu den praktischen Fragen insbesondere der Kirche ge­ genüber in unseren Tagen bei weitem nicht mit dent historischen Gewicht aufzutreten vermochte, welcher in der Sache begründet wäre und daß — so dürfen wir hinzusetzen — eine N ation, welche vor vierhundert Jahren bereits ein pragmatisches Gesetz, wie das von 1439 feststellte, in heutiger Zeit erst noch ihr ge­ setzgeberisches Recht in Kirchcnsachen erkämpfen muß. Betrachten wir nun das Reichsgesetz in seinem Geiste und in seinen einzelnen Bestimmungen, so zeigt sich darin zwar eine prinzipielle Anerkennung des römischen Papstthums aber eine bedingte Anerkennung seiner Wirksamkeit. Waö das Constanzer und Basler Concil an Resormdekreten geschaffen, welche die Ver­ fassungsverhältnisse der Kirche berührten, wurde s t a a t s r e c h t ­ lich v e r w e r t b e t , und in die Gesetze aufgenommen. H ier be-

gegnä man zunächst dem Grundsatz der Wiederherstellung der unabhängigen Pfründenverleihung durch kanonische Wahlen, der Zurückweisung aller päpstlichen Eingriffe in die Selbständigkeit der teutschen Kirchen, der Einschränkung der Confirmation der gewählten Prälaten durch den Papst, vor allem aber einer durchgreifmden Reform des Gerichtswesens, indem kein Prozeß fürderhir dem ordentlichen Richter durch Appellationen an die rö­ misch« Curie entzogen werden durfte. Rechnet man hierzu noch die Gnschränkung des ExcommunicaUonsrechteS, so übertraf die Summe der Mainzer Gesetzgebung in kirchlichen Angelegenheiten bei weitem den In h alt der Konstanzer Concordate, und hatte zugleich den Vortheil vor jenen voraus, daß die Basis für ein allge­ meines Reichskirchenrecht verfassungsmäßig festgestellt worden war.') Daß Eugen IV. in der Reichsgesetzgebung vom Jahre 1439 nicht bloß den Inhalt der kirchenrechtlichen Bestimmungen, son­ dern auch das principielle Vorgehen der Reichsstände ver') Bezeichnend für bett Charakter des Reichsgesetzes ist: N o e ora to rea R om ani r e g i i , P r in c ip e s E le c to r e s h ic p r e s e n te s alioru m q u e E le c tornm sa c ri Im p erii e t A lm a n u ie N letrop olitan oru m a b sen tiu m O ra­ le r e s , D e c r e ta sa cri B a s ilie n s is C o u c ilii a c c e p ta m u s , cum om ni h on o re, rev er en tia e t d e v o tio n e q u a d e c e t, S a lv is tarnen in q u ib u sd am e x e is d e c la r a tio n ib u s m o d ifica tio u ib u s ac lim ita c io u ib u s n o str e G erm a u ice n a c io u i a c c u ilib e t nostrum siu g u la r ite r in su is p rovin c iis , d y o c e s ib u s , se u territo riis c o n g ru cn lib u s e t a c c o m o d is f a c t i 8 e t f i e n d i s su 's lo c o e t tem p o re o p o rtu u is e x p r im e u d is ; . . . e tc . S eh r beachtenswerth ist ferner die S te lle , wo dem päpstlichen Rechte gegen­ über in Ehesachen aus daS gemeine deutsche Recht Bezug genommen wird: n o n u u lla . . . p er d e c r e ta sa c ri B a s ilie u s is c o n c ilii uondum su n t reform ata . . p er sed e n i a p o sto lic a m c u ttid ie p rivilegist e is c o n ced u n tu r . . . con tra formam J u r is com m u n is S . 95 n 99.

K o ch , S y 11. d ocu m .

Poii diesen Bcstlmmnugen wird man cd allerdings glinbhast

finden, datz sie reu 2il>;«’i h n irn öu gen ioim erlegten.

dämmte, beweist der Widerstand, den er gegen dieselbe bis zu den letzten Momenten seines Lebens erhob, beweisen die gewal­ tigen Anstrengungen der römischen Curie vermittelst de- E in ­ flusses des Königs Friedrich die fürstliche Neutralität zu durch­ brechen, beweisen die zahlreichen Sntrigucit, die man ins Werk setzte, um die pragmatische Sanction in ihrer rechtlichen und faktischen Wirksamkeit noch vor der Erhebung eines neuen Papstes zu beseitigen. F ür den Fortgang der deutschen Kirchen­ gesetzgebung war die W ahl Friedrichs III. ein Hinderniß. Wenn aber trotz des entschiedenen Abfalls der kaiserlichen Gewalt von der Politik der ReichSständc die Neutralität noch bis zum Tode EugeuS IV. aufrecht erhalten wurde, so war dies ein Verdienst von M ännern, deren Würdigung anderen Orten und D a r­ stellungen überlassen bleiben muß, aber zugleich eine wohlthä­ tige Folge der zähen, wenn auch schwerfälligen Festigkeit und Stärke der deutschen Verfassung, welche selbst bei ungünstiger Constellation der Umstände den Übeln Absichten eines Kaisers, von der Art Friedrichs I I I ., einen Zaum anzulegen vermochte. Friedrich III. konnte seinen Einfluß geltend machen, um die Reichsstände von der Neutralität abzubringen, aber eine Obedienzerklärung für de» Papst war durchaus nur in Folge der Anerkennung der deutsche» Reichsgesetze durch diesen zu er­ langen. Verweigerte Eugen IV. die Bestätigung der kirchlichen Gesetze, so vermochte auch die größte Bereitwilligkeit des habs­ burgischen Königs ihm die Obcdienz des Reiches nicht wieder zu gewinnen. S o dauerte denn die Neutralität fort und sie w ar keineswegs unempfindlich, da in der That jeder Verkehr mit dem Papste sogut wie ausgeschlossen war und wenigstens das Lickt deS Tages zu scheuen hatte, wenn es auch selbstver­ ständlich Leute genug gab, die sick dem römische» Hofe heimlich

verkauften.') Indessen hatte Eugen IV. seine Bannbulle gegen die Erzbischöfe von Köln und Trier geschleudert und dem Kai­ ser die persönliche Obedienzerklärung abgekauft; aber die Kur­ fürsten blieben fest und schlossen den Verein von Frankfurt am 21. März 1446. Viel erreichte Eugen IV. auf seinem Tobtenbette nicht. E r mußte vertragsmäßig den Gesandten deS deut­ schen Reiches die Bestätigung der Reichsgesetze zusagen und empfieng dafür doch nur die O b e d ien z le istu n g e in e s T h e ils d e r deutschen N a tio n . ES war eine Zeit großer Ereignisse, leidenschaftlicher Kämpfe, welche mit dem Tode deS hart angefeindeten Papstes schloß. I n den weitverzweigten Jrrgängen der Politik, der Con­ cil-verhandlungen, der Reichsversammlungen erscheint es dem Leser der umfangreichen litterarischen Denkmäler oft kaum mög­ lich die leitenden Gedanken, ja nur den Faden und Zusammen­ hang der Dinge festzuhalten. Und auch an diesem Orte kann man sich fragen, was denn die 'Neutralität, die Obedienzverweigerung, die pragmatische Sanction mit der Geschichte der Papstivahlen zu schaffen habe? Die Papstwahl 'Nikolaus V. aber giebt hierauf eine un­ zweideutige Antwort. Am zehnten Tage nach E ngenS T ode traten ordnungs­ mäßig nach den Wahlvorschriftcn achtzehn Cardinälc in d a s ') S elb st Puckert, der alle H aare, die sich in der N eu tralität finden, sorgfältig herausgezogen, m uß doch gestehen S . 1 4 0, „seit der letzten A u s­ bildung der N eutralität hat sich in P fründen- und Rechtssachen kein Kurfürst an E n gen gewandt und auch von den andern P rälaten und Fürsten des Reichs geschah das nur da, wo ein Gegner beim Concil zuvorgekommen war." I m übrigen sind in PückertS Werk diese deutschen ReichSaugelegenheitcn im einzelnsten und ganz vortrefflich zu finden. A llerdings — die Reichömiiere v \tr ijicsz!

Conclave im Prädicantenkloster St. Maria sopra Minerva. Die Abschließung desselben war auf das sorgfältigste angeordnet worden, da es darauf ankam, daß gegen die Regelmäßigkeit des Wahlvorgangs keine Einwendungen erhoben werden. Neben den Stadtbehörden wurden auch die Gesandten der weltlichen Mächte, insbesondere die des römischen Königs und des Königs von Arragonien aufgefordert die ^Überwachung zu übernehmen. Als Wahlcandidat erschien in erster Reihe Prospero Colonna, welcher zehn Stimmen für sich hatte, aber die zur zwei Drittel Majorität fehlenden weiteren zwei weder durch Acceß noch bei spätern Skrutinien zu erreichen im Stande war.') Am 6. März wählten die Cardinäle abermals und zur Ueberraschung aller den Mann, welcher als der erste Vertreter der humanistischen Stildien auf dem päpstlichen Throne saß, und wohl unter allen Cardinälen am wenigsten dachte, daß er als Papst das Conclave verlassen werde. P a r e n t u c e l l i erhielt zwölf Stimmen. Man behauptet, daß das Slrv.tininm zu Gunsten desselben dem Car­ dinal Dominikus voll Fermo so unglaubwürdig erschien, daß er vor der Verbrennung der Stimmzettel dieselben noch einmal durchsah.

Nachdem aber die zwei Drittel "Majorität nnlängbar

') V oigt, Enea Sylvio I 4Ul läßt beim ersten Sfrutinium 10 S tim ­ men »ms Colonna, 8 auf Capraurca, 5 auf Parentneellr fallen; hiebei sind aber offenbar die beiden Handlungen dev Wahl und des Accesses zufaminen«gezogen. Daß es auch schon vor der Constitution Aeterni patris verboten war, zwei Namen aufzuschreiben, scheint m ir trotz BoigtS entgegengesetzter Bemerkung wahrscheinlicher. — I m vorliegenden Falle verstehe ich den Gang der Dinge nach den altem Darstellungen dahin (vgl. auch die H ist, des couclaves , daß beim ersten Wahlgang die genannten drei eine nicht näher bezeichnete Anzahl Stimmen erhielten, hierauf folgten die Beitrittserklärungen, wobei eS dann freilich möglich war, daß sich für Colonna im ganzen 10, für Capranica 8 und für Parentucelli 5 Stimmen ergaben, aber gewiß nicht so, als ob alle aufgeschriebenen Namen, — auch zu zweien auf einem Zettel ohne weiteres gezählt worden wären.

todt, traten sämmtliche Cardinäle der W ahl bei, so daß dieselbe a ls eine e i n s t i m m i g e bekannt gemacht werden konnte. D ie Frage war nun, ob der neugewählte Papst die Obedienz der Fürsten und insbesondere der Deutschen erlangen werde. W ir wissen, daß König Friedrich und ein Theil der Reichsstände dem Papst Eugen unter der Bedingung der B e­ stätigung der pragmatischen Sanction in den letzten Augenblicken die Obedienz geleistet hatten. D ie Kanzlei vermochte noch die nöthigen Urkunden vor dem Tode des Papstes wirklich auszu­ fertigen. Schon w ar der Erzbischof von M ainz bevollmächtigt worden, die Anerkennung der pragmatischen Sanctionsgesetze S eiten- des römischen S tu h ls zu promulgieren. Nun aber w ar ein neuer Papst gewählt. Wie er sich in der Frage der deut­ schen Reichsgesetze verhalten würde, mußte abgewartet werden, denn davon hieng die Obedienzerklärung der Reichsstände ab. Selbst ein König von der Art Friedrichs III. hätte nicht ver­ mocht in diesem Augenblicke eine unbedingte Obedienz zuzuge­ stehen, da ja noch die meisten deutschen Fürsten selbst für die früheren Unterhandlungen mit Eugen IV. nicht gewonnen waren. Eine unbedingte Obedicnzerklärui^ vermochte selbst die theolo­ gisch italienische Gesandschaft Friedrichs III. unter welcher sich Aeneas ShlviuS befand in Gegenwart deutscher Fürsten nicht anzusprechen. Nachdem jedoch der Papst sofort nach seiner W ahl das mündliche Versprechen gegeben, alles was sein Vorgänger mit der deutsche» Nation vertragen hätte, zu bestätigen, nahmen die deutschen Gesandten auf ausdrückliche Bitte des Papstes an der K r ö n u n g s f c i e r S onntag 19. M ärz 1447 Theil. Aeneas S y l­ vins durfte nach guter Kenntniß seines Herren seinen eigenen Genihlen und Wünschen im Entgegenkommen, in der Annähe-

rung an den Papst jeden Zügel schießen lassen. Aber dazu war er selbstverständlich zu wohl bewandert in den deutschen Reichs­ verhältnissen, als daß er sich über die Tragweite seines Schrittes täuschen sonnte. Hätte er nichts nach Deutschland zu bringen vermocht, als die Nachricht von der W ahl Parentucellis, so wäre seine Obedienzerklärung ein eitles S piel ohne Werth ge­ blieben, welches den deutschen König persönlich binden konnte, aber die Reichsstände nicht. Allein auch N i k o l a u s V. erkannte den G r u n d s a t z an, daß die deutsche N a t i o n di e O b e d i e n z n u r u n t e r d er B e d i n g u n g d er B e s t ä t i g u n g d e r deutschen Recht e u nd F r e i h e i t e n leistete. Wenige Tage nach seiner Krönung confirmirtc 'Nikolaus V. unter der im Kanzlei­ stil wi cht i gen F o r m e l „zum e w i g e » Gedächt ni ß" — a d futuram rei m cm oriam , alle Abmachungen seines Borgängerö mit der deutschen 'Nation, durch welche die pragmatische Sanction auch von kirchlicher und päpstlicher Seite Rechtsgiltigkeit erhielt. Nikolaus V. gab die vollkommenste Garantie, daß alle Statuten, Gewohnheiten, Gesetze, wie sie bei der deutschen Nation seit A lters bestanden, von ihm und dem römischen S tuhle anerkannt und aufrecht erhalten würde». Selbst an solchen Versprechen fehlte in der Urkunde es nickt, womach die Reformation der päpstlichen Curie mW insbesondere der sehr verhaßten Kauzlei­ gebräuche in Aussicht genommen wurde?) ') Wir glaube» die merkwürdige Urkunde dem Leser zur Bequemlichkeit vorlegen zu solle», welche 9titotaii8 V. am 28. März 1447 zu dem Zwecke der Erlangung der seinem Pontifikat zu leistende» Obedienz, gewährte: N ico la u s, episcopus, servus servorum dei. Ad futuram rei m emoriam. D e c e t sed is ap o sto lica e providentiam , que ab ein s auctoritate proced unt taliter moderari, ut per ipsam con cessa statu ta et ordinata in suo robore inviolata perdurent; cum igitur fe licis recordatio n is E ugenius papa IV . predecessor noster ad requisitionem et

Di« Garantiern der PapKwahl

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Die Papstwahl Nikolaus V. hatte mit diesem Akte ihren Abschluß erlangt, indem in F o lg e d ie s e r Z u g estän d n isse dem neuen Papste die Obedienz in derselben Weise geleistet wurde, wie seinem Vorgänger Eugen IV. Und fü r die F ra g e d e r F o rm , in welcher sich seit den Zeiten der großen Concilien d a s b i l a t e r a l e V e r h ä l t n i ß zwischen S ta at und Kirche beim P o n t i f i k a t s w e c h s e l gestaltete, kann die Untersuchung auch hier als abgeschlossen betrachtet werden. Bupplicationem carissim i in C hristo filii nostri F red erici Romanorom Regie illustris ac venerabilis fratris nostri T heodorici archiepiscopi M aguntini e t dilecti filii N obilis viri F rid erici M archiouis B ran d e, burgensis nonnullorumqne aliorum nationis eiusdem nonnulla pro comm odo, statu e t utilitate nationis G erm anice, eiusque P relatorum ecclesiarum ac ecclesiasticarum personarum sta tu e rit et ordinaverit, nec non P re la tis B aronibus e t singularibus personis dicte nationis nonnulla concesserit ac indulserit, ac quasdam uniones et incorporationes fecerit, gratias expectativas concesserit, prout in diversis litteris desuper confectis, quarum tenores presentibus haberi volumus pro expressis plenius continetur, ac nos postmodum dicto predecessore sublato de medio divina clem entia ad apicem summi apostolatus assum pti, post nostram de more subsecutam coronationem pro Curie Romane reform atione, uniones e t incorporationes beneficiorum, que non fuerunt so rtite effectum, ac etiam e x p ec ta ti­ vas om nes duxerim us revocaudas, reservationes quoque aliquos fecerim us e t nonnulla alia s ta tu ta , ordinationes e t regulas in Cancellaria nostra describi mandaverim us, que volumus observari, N os ne p er ipsum predecessorem sta tu ta concessa facta e t ord in ata in ipsa natione G erm anica in dubium revocari p o s s in t, e t ne ipsis aliquod preiudicium generetur, au cto ritate apostolica tenore presentium declaram us nostre intentionis fuisse et esse quod p er quecunque statuta, decreta, ordinationes regulas e t signaturas . . . . in nullo derogotur factis, gestis . . . neque eis aliquod in p a rle vel in totum preiudicium generetur, cum intentionis nostre s i t ............. in uulla re contraire, quin potius . . . decernim us inviolabiliter ob­ servari . . . folgt die Strassanction. Datum Incarnationis et Pontificatus.

indessen wird es dein Leser wüiischetiSwerth erscheine», an die fenicren Schicksale der Concordate erinnert zu werden. B e­ kanntlich wurden die Verheißungen dcS Papstes und die Hoff­ nungen der deutschen Stände nur zum geringsten Theile erfüllt. D ie weitern Verhandlungen über die Ausführung der Vertrags­ punkte zwischen dem römischen Stuhle und dein König Friedrich sind ein großartiger Versuch die deutsche Nation um das pragma­ tische Gesetz vom Jahre 1439 zu betrügen.

Wichtige und un­

erläßliche Punkte der Constanzcr und Basler Reforindckretc, wurden in den Aschasfenburger Abmachungen, denen nur ein kleiner Theil der Stände beiwohnte und in den Wiener Coiicordaten fallen gelassen; der Staat verhandelte durch Persön­ lichkeiten, welche dem Papstthum offen in die Hände arbeiteten, der König war am wenigsten geeignet, sich mit dem päpstlichen Stuhle zu veruneinigen; Friedrich I I I . opferte in dem Cenflilt zwischen seinen Haus- und ReichSintercssen, die letzteren in den Concordaten dem römischen Stuhle auf.

Die Ungeschicklichkeit

oder Unredlichkeit, mit welcher die Concordate von Seile der staatlichen Gewalten zu Ende geführt worden sind, ließ das Sprichwort entstehen: der That

„Concordiren heißt verlieren."

Und in

nie wieder vermochte man in der deutsche» Nation

einen lebendigen Glauben an Verträge mit dem römischen Stuhle zu erwecken.

Daß das W i e n e r Concordat den von NikotanS

gemachten Versprechungen nicht entsprach, tonnte den ReichSständen auch nicht entgangen sein.

Die Folge davon war, daß

eine Reihe von deutschen Fürsten, welche sich mit der Herstellung der päpstlichen A n n a l e n , mit der thei l wei sen W i e d e r ­ einführung

der R e s e r v a ti on en und P r o v i s i o n e n und

vielen andern Eingriffen des Papstthums in die deutsche Kir­ chenverfassung nicht zu versöhnen vermochten, ihren Beitritt zu

den Wiener Concordaten versagten, aber die vereinzelten Stim ­ men, wie die der Erzbischöfe von Trier und Köln, der Bischöfe von Straßburg, Würzburg, Bamberg sanken ohnmächtig zu B o­ den. D a - Wiener Concordat war vom päpstlichen Standpunkte betrachtet ein Meisterstück des Legaten Carvajal, welcher die ge­ theilte» Meinungen der Stände und des Königs trefflich aus­ zunutzen wußte und nachher unermüdlich für Aussöhnung jedes Einzelnen der Opponenten thätig war. Noch schlimmer aber war es ohne Zweifel, daß auch die Bestimmungen des W iener C oncordatS mehr und mehr in V ergessen h eit gerieth en . Hiedurch war die deutsche Re­ formation auf eine Bahn gelenkt, welche über das staatsrecht­ liche Prinzip der einfachen Obedienzverweigerung bei weitem hinaus gehen mußte. Dem römischen Papstthum trat die aus den Fundamenten des Glaubens reorganisirte Kirche der prote­ stierenden Stände entgegen, aber die Kirchengesetzgebung hörte auf ein gemeinsames Gebiet aller Reichsstände, der Gesammtgesetzgebung und der Reichsverfassung zu sein. Die kaiserliche Gewalt der neuern Jahrhunderte suchte zwar noch den Papstwahlen gegenüber die alten Rechtsansprüche zu­ weilen energisch geltend zu machen, aber viel zu sicher waren die Päpste der Obedien; des habsburgischen Geschlechtes, als daß der kaiserliche Einfluß auf den Pontifikatswechsel von großer Bedeutung sein konnte. Dennoch aber muß es als ein V e r ­ dienst auch der spätern deutschen Kaiser anerkannt bleiben, daß sie die Rechte des Reiches wenigstens formell durch­ aus niemals völlig fallen oder in Vergessenheit gerathen ließen. Kai s e r Karl V., welcher den Versuch vergeblich machte, die einheitliche Entwicklung des Kirchenrechts zu wahren, und welcher in Deutschland den Abfall von der römische» Kirche

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V . Geschichte der Obedienzverwrigerung.

vergeben- mit dem Schwerte bekämpft hatte, unterließ e- doch nicht, seinen lauten kaiserlichen Ruf und Befehl vor dem Conclave vom Februar 1550 vernehmen zu lassen. M an möge, schrieb er au die Cardinäle, eine passende und entsprechende Wahl treffen, und er berief sich hiebei mit voller Kenntniß der Geschichte auf die alten Rechte der Kaiser, denen als Advokaten der Kirche zustand, die Wahlen der Päpste zu leiten und zu überwachen.') Karl- Nachfolger am „römischen Reiche deutscher Nation" waren zwar nicht in der Lage und meistens auch nicht in der GemüthSstimmuitg durch Schreiben ähnlicher Art so günstige W ahlen, wie diejenige Julius I I I., hervorzuzaubern, dennoch aber ließen sie keine Gelegenheit vorbeigehen, ohne in mannig­ faltiger Weise an die alte Stellung des Reiches bei den Papstwahlen zu erinnern.') D ie Obedienzleistungen geschahen noch ') Schon in der Abhandl. v M. 3- Schmidt ist auf das merkwürdige Schreiben Karls V. aufmerksam gemacht: „tam etai nihil dubitam ua vestraa reverendisaim as p atern itates pro suo in rem publicam Chriatianam officio, zelo pietate (electionem novi Pontificis) ea prudentia et d ex teritate geaturaa esse, quetnadmodum et p raesens rei publicao Status, ac omnium de se ex p ectatio postulat, e t licet neque nostra, neque alterius comm onitione ad hanc rem opus esse arbitrem ur, attam en Noa quem scimus a d v o c a t i e c c l e s i a e m u n u s e t provinciam austinere eoque nomine — e x v e t e r i m a j o r u m i n s t i t u t o in partem huius solicitudinis esse advocatos, neque debuimus nostro officio deesae, quin huic rei omnium maximae et gravisainiae partea quoque nostras interponerem us.“ Schmidt fügt die Bemerkung hinzu: Id prae cetvria u otatu dignum in hac epiatola videtur, quod Im perator non tantum ad titulum advocati sed e t ad v etera majo­ rum iu stitu ta provocat. 2) Schmidt meint auch von den spätern Kaisern, daß sie ähnliche Auf­ forderungen an die Cardinäle ergehn ließen: Caroli vestigia deinceps processerunt ipsius e familia au striac a succesaores, quamquam quae legatis ad conclave m issis instructiones fueriut datae non aeque actis publicis proditum fuerit. H aud absque fundam cnto tarnen divinare licet, quod a Carolina parum abludant.

durch längere Zeit in feierlicher Weise, zuletzt auf diplomatischem Wege (oben S . 151). Verweigert wurde die Anerkennung von Seite Oesterreichs bei keinem PontifikatSwechsel, doch machte eS redlichen Gebrauch, wie früher schon gezeigt wurde, von dem noch immer hochgehaltenen Recht der Exclusive, und hatte da­ durch daS Verdienst, den staatsrechtlichen Charakter der Theil­ nahme der weltlichen Gewalten an der Papstwahl, wenn auch in sehr abgeschwächten und häufig trügerischen Formen in un­ ausgesetzter Continuität vor der Verjährung zu bewahren. S o gieng dem deutschen Kaiserthum der G r u n d g e d a n k e d e s u r ­ a l t e n b i l a t e r a l e n V e r h ä l t n i s s e s bei keinem PontifikatS­ wechsel ganz verloren, und der ehernen Tradition der k a n o ­ nischen W a h l b e s t i m m u n g e n steht seit den Tagen ConstantinS des Großen eine nicht minder ausgeprägte hist ori sche U e b e r l i e f e r u n g d e r weltlichen G e w a l t in u n v e r l o r ­ n er R e c h t s k r a f t h e u t e noch zur S e i t e .