Der Leichenraub: Eine historische und dogmatische Studie [Reprint 2022 ed.] 9783112625743

138 73 15MB

German Pages 33 [69] Year 2022

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Der Leichenraub: Eine historische und dogmatische Studie [Reprint 2022 ed.]
 9783112625743

Citation preview

DER

LEICHENRAUB. EINE HISTORISCHE UND DOGMATISCHE STUDIE.

LEIPZIGER JURISTISCHE INAUGURALDISSERTATION VON

ERICH MERKEL, REFERENDAR AUS GROSSENHAIN I. 8.

LEIPZIG VERLAG VON VEIT & COMP. 1904

DER

LEICHENRAFB. EINE HISTORISCHE UND DOGMATISCHE STUDIE.

LEIPZIGER JURISTISCHE INAUGURALDISSERTATION

VON

ERICH MERKEL, REFERENDAR AUS GROSSENHAIN I. S.

LEIPZIG VERLAG VON VEIT & COMP. 1904

Druck von Metzger A Wittig in Leipzig.

SEINEN LIEBEN ELTERN GEWIDMET.

Inhalt. Seite

3 1. Etymologie: Leichnam und Leiche S 2. Was alles ist Leiche? 1. Beginn der Leichnamsqualität 2. Ende der Leichnamsqualität § 3. Rechtliche Natur des Leichnams I. I s t der L e i c h n a m e i n e S a c h e ? a) Das römische Recht b) Das germanische Recht c) Das kanonische Recht d) Das gemeine Recht und das heutige deutsche gemeine Strafrecht «) Der Leichnam steht extra commercium . . . . ß) Der Leichnam ist schlechthin eigentumsfähige Sache e) Das Recht des BGB II. D e r L e i c h n a m k a n n zur S a c h e w e r d e n S 4. Objekt des Leichendiebstahls und seine Bestrafung . . . . A. G e s c h i c h t e a) Römisches Recht b) Germanisches Recht c) Kanonisches Recht d) Gemeines Recht e) Deutsche Partikulargesetze f) § 168 des Reichsstrafgesetzbuchs K. O b j e k t des D e l i k t e s n a c h h e u t i g e m R e c h t c . . . 1. G e w a h r s a m . . . . 2. A. D i e b e r e c h t i g t e P e r s o n a) Vom Tode bis zur Bestattung ß) Nach der Bestattung

1 3 3 6 8 8 9 11 11 12 12 14 15 22 24 25 25 25 27 28 28 30 31 34 36 36 37

VI

Inhalt. Seite

B. Der Leichnam steht im Gewahrsam eines Nichtberechtigten 39 C. Der Leichnam steht in niemandes Gewahrsam . . . 40 D. Der Leichnam steht im eigenen Gewahrsam des Täters 41 3. V e r l e t z u n g des r e l i g i ö s e n G e f ü h l s 42 § 5.

§ ß.

Wegnahme [. Wegnahme schlechthin II. Unbefugte Wegnahme Mängel des § 168 und ihre Besserung

42 42 45 46

Literatur. L e h r - und H a n d b ü c h e r . Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 18. Aufl. Leipzig 1898. Die Normen und ihre Übertretung. I . 2. Aufl. ' Leipzig 1890. II. 1. Aufl. Leipzig 1877. — — Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafechts, besonderer Teil. 2. Aufl. Leipzig 1902. — — Handbuch des Strafrechts. I. Leipzig 1885. C O S A C K , Lehrbuch des deutschen bürgerlichen Rechts auf der Grundlage des bürgerlichen Gesetzbuches. 4. Aufl. Jena 1903. C R O M E - L I L I E N T H A L , Handbuch des französischen Zivilrechts. 8. Aufl. Freiburg i. B. 1894. D E R N B U R G , Die allgemeinen Lehren des bürgerlichen Rechts etc. Halle a. S. 1902. — — Pandekten. 7. Aufl. Berlin 1902. ENDEMANN, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts. 8 . Aufl. Berlin 1 9 0 1 . F R I E D B E R G , Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenreclits. 5. Aufl. Leipzig 1903. G I E R K E , Deutsches Privatrecht I . Leipzig 1895, in B I N D I N Q S Handbuch, 2. Abt. 3. Teil. H X L S C H N E R , Das gemeine deutsche Strafrecht. I. Bonn 1881. II, 1 u. 2. Bonn 1884, 1887. H I N S C H I U S , System des katholischen Kirchenrechts. IV, V. Berlin 1895. LEHMANN-ENNECCERDS, Das bürgerliche Recht von L . ENNECCERUS und H . 0 . LEHMANN. 2. Aufl. Marburg 1901 VON L I S Z T , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 12. u. 13. Aufl. Berlin 1903. MATTHIASS, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts. 4. Aufl. Berlin 1900. M E Y E R , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 5. Aufl. Erlangen 1895.

BERNER,

BINDING,

Literatur.

vni

Lehrbuch des deutschen Strafrechts. «Stuttgart 1 8 8 9 . Römisches Strafrecht. Leipzig 1 8 9 9 , im Syst. Handb. der Rechtswissenschaft von B I N D I N Q . 1 . Abt. 4 . Teil. P Ü C H T A , Pandekten. 1 2 . Aufl. von SCHIRMER. Leipzig 1 8 7 7 . R I C H T E R , Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts. 8. Aufl. bearbeitet von D O V E und K A H L . Leipzig 1 8 8 6 . SALKOWSKI, Lehrbuch der Institutionen. 7 . Aufl. Leipzig 1 8 9 8 . S C H Ü T Z E , Lehrbuch des deutschen Strafrechts auf Grund des Reichsstrafgesetzbuches. 2 . Aufl. Leipzig 1 8 7 4 — 1 8 7 7 . U N G E R , System des österreichischen allgemeinen Privatrechts. 5. Aufl. Leipzig 1892.

MERKEL,

MOMMSEN,

Pandekten. Herausgeg. vtm 0 . v. W Ä C H T E R . Leipzig 1880—1881. — — Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts. Stuttgart 1842. W I L D A , Strafrecht der Germanen. Halle 1 8 4 2 . W I N D S C H E I D , Lehrbuch des Pandektenrechts. 8. Aufl. bearbeitet von Dr. K I P P . Frankfurt a. M. 1900—1901.

WÄCHTER,

Kommentare. Kommentar zum allgemeinen Teil des bürgerlichen Gesetzbuchs. München 1900. O L S H A D S E N , Kommentar zum Strafgesetzbuche für das Deutsche Reich. 6. Aufl. Berlin 1901. O P P E N H O F F , Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich . . . erläutert. 14. Aufl. Berlin 1901. R Ü B O , Kommentar über das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1879.

HOLDER,

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 4. Aufl. von STENGI.KIN. Berlin 1892. S C H W A R Z E , Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 5. Aufl. Leipzig 1884.

RUDORFF,

VON

D i s s e r t a t i o n e n und Abhandlungen. Die Religion und ihr strafrechtlicher Schutz nach dem deutschen Reichsstrafgesetzbuch. Erlanger Dissertation. Berlin 1898. Die Behandlung des menschlichen Leichnams im Zivil- und Strafrecht. Zürich 1885.

BLUMENSATH,

CRAMER,

Literatur. CUUSEN,

Der strafrechtliche Schutz des Rechtsgutes der Pietät (in den Abhandlungen des kriminalistischen Seminars von v. L I S Z T , Bd. I I , Heft 1). Berlin 1890. Die Leichenversorgung der Universitätsanatomien, Tübingen 1 8 7 4 — in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 30. Jahrgang, 2. Heft.

FRICKER,

GAREIS,

TX

Das Recht am menschlichen Körper. In den Festgaben für Königsberg 1900.

KOHLER, KRAMER,

SCHIRMER.

Studien aus dem Strafrechte. Bd. I. Mannheim 1890. Über das Recht in Beziehung auf den menschlichen Körper. Inaug.-Diss. Berlin 1887.

Das Reichsstrafgesetzbuch in seinem Verhältnis zur Religion, im Gerichtssaal Bd. 27. Stuttgart 1875. M I T T E L S T E I N , Mensch und Leichnam als Rechtsobjekt, in GOLTDAMMER, Archiv für gemeines deutsches und preußisches Strafrecht, Bd. 34, S. 172 ff. O P P E N H E I M , Die Objekte des Verbrechens. Basel 1894.

MEVES,

Über die Möglichkeit von Privatrechtsverhältnissen am menschlichen Leichnam und Teilen desselben. Inaug.-Diss. Halle a. S. 1888.

SCHULTHEISS,

VILLNOW,

Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen. Besonderer Teil (Schluß) im Gerichtssaal, Bd. 31. Stuttgart 1879. Die Lehre von den dem Rechtsverkehr entzogenen Sachen u. s. w. Göttingen 1867.

WAPPAEÜS,

Verschiedenes. Handbuch der gerichtlichen Medizin, Bd. I u. I I . 8 . Aufl. bearbeitet von LI MAN. Berlin 1889. D E Ü S S E N , Elemente der Metaphysik. 2. Aufl. Leipzig 1890. G R I M M , Deutsches Wörterbuch von J A E O B G R I M M und W I L H E L M GRIMM. Leipzig 1885. G R I M M , J . , Deutsche Rechtsaltertümer. 4. Aufl. Bd. I I . Leipig 1899. G O E T H E , Wilhelm Meisters Lehrjahre. GOLTDAMMER, Materialien zum preußischen Strafgesetzbuch. Bd. I u. I I . Berlin 1851/52. KLUGE, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 6 . Aufl. Straßburg 1898. M A S C H K A , Handbuch der gerichtlichen Medizin I. Tübingen 1881. M Ü L L E R , W. und F. Z A R N C K E , Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Leipzig 1854—66. CASPER-LIMAN,

X

Muodan ,

Die Berlin Sachs-Villatte, schen

Literatur. gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch. 1899. Encyklopädisches Wörterbuch der französischen und deutSprache, große Ausgabe. 5. Aufl. Berlin 1883—1894.

Skrzeczka, Leichnam, Lebensfähigkeit, Monstrum, aus der Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin. Neue Folge, Bd. III, abgedruckt in Goltdammer, Archiv für preußisches Strafrecht, Bd. 14. Tieck, Der Runenberg, abgedruckt im „Türmer".

V. Jahrg., Heft 7.

§ 1. Leichnam und Leiche.

Etymologie.

Das Wort „Leiche", wie es in § 168 des StGB, gebraucht ist, bedeutet dasselbe, wie „Leichnam" in § 367 Die zahlreichen Versuche, zwischen Leichnam und Leiche einen Unterschied zu treffen, so etwa, daß Leichnam nur für den toten Menschenleib gebraucht werde, während Leiche auch als Bezeichnung für Tierkadaver diene, sind gegenstandslos, denn man redet ebenso von Menschenleichen, wie vom Leichnam z. B. eines Hundes. Ebenso willkürlich ist es, das unterscheidende Moment zwischen Leiche und Leichnam in ihrer Nichtbestattung bezw. Bestattung zu suchen, wie RUBO, Kommentar S. 676, tut, der als Leiche den unbestatteten, als Leichnam dagegen den bestatteten, oder den überhaupt nicht zu bestattenden Körper bezeichnet. 1 Eine derartige Unterscheidung ist gekünstelt und widerspricht auch der Ausdrucksweise des StGB., das in § 367 1 sagt: „Wer . . . einen Leichnam beerdigt. . ." Das StGB, gebraucht die Ausdrücke Leiche in § 168 und Leichnam in § 367 1 . ohne irgend eine Unterscheidung zu beabsichtigen. 2 Hingegen ist nicht abzuweisen der mehr etymologische Unterschied, wie er sich im deutsch-französischen Lexikon von SACHSVILLATTE findet, wonach Leichnam mehr die Person, Leiche mehr das Materielle ins Auge fasse. 3 Diese Annahme wird für das Althochdeutsche bestätigt durch das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache von F. KLUGE in Jena. Danach bezeichnet lieh, liehe = Leiche, in den alten germanischen Dialekten all1

Das Gegenteil behauptet C R A M E R S . 2 0 . Ebenso werden in der folgenden Darstellung die Worte: Leichnam und Leiche unterschiedslos nebeneinander gebraucht. 8 Vgl. O L S H A U S E N , Kommentar zu § 168 unter 2a. 2

MERKEL,

Leichenraub.

1

§ 1.

2

Leichnam und Leiche.

Etymologie.

gemein den Leib als S u b s t a n z („Leich"dorn ist noch heute der Ausdruck für den hornigen Dorn in der lebenden Fleischsubstanz). Nach den Wörterbüchern von Gbimm und Zabncke ist die ursprüngliche Form für Leichnam im Althochdeutschen lih-hamo oder llchamo = Körperhülle, sc. für die Seele (lih = gotisch leik; vielleicht hängt das englische like, ähnlich, sowie unsere Anhängsilbe „-lieh" mit diesem alten Stamme lih zusammen), im Mittelhochdeutschen schon abgeschwächt: licham(e). Von der schwachen Form ist lichen-hamo, lichnam gebildet, woraus im Neuhochdeutschen Leichnam geworden ist. Beide Formen, licham und lichnam, finden sich gleichbedeutend nebeneinander. 1 Leichnam bezeichnete zunächst den lebenden Menschenleib. Den Ubergang zu der heutigen Bedeutung bildet die Formel „toter Leichnam", wie sie sich beispielsweise in Luthees Schriften findet, so „sterblicher Leichnam", Weish. Salom. 9, 15, und im Kanzelstile hie und da wohl noch heute gebraucht wird. 2 Die wörtliche Ubersetzung von lih-hamo ist: Fleischhülle — lih = Fleisch, Körpersubstanz , hämo = Hülle, heute noch in „Hemd" erhalten .— oder Fleischsubstanz, insofern sie die Lebensform besitzt. 3 lih-hamo ist höchstwahrscheinlich eine dichterische Umschreibung für Menschenleib gewesen und dann aus der poetischen Diktion in die Vulgärsprache übergegangen. Anhangsweise sei hier noch bemerkt, daß das corpus iuris Iustinians von corpus, cadaver, reliquiae, mortuus spricht 4 , daß corpus die Bezeichnung für Leiche auch im corpus iuris canonici und den Volksrechten ist, in letzteren auch cadaver. Das ALR. spricht von Leiche, Leichnam, toter Körper, entsprechend auch die modernen Partikulargesetze. 1

Vgl. Cramer, S. 20. Anm. 1. Ebenso Crusen, S. 27 ff. Vgl. Constitutiones Saxonicae von 1572, c. XXIII: „Da sie den toten Leichnam unbegraben ließen." Dazu eine interessante Stelle bei Ludwig Tieck „Der Runenberg", im Anfange: „. . . der Ton durchdrang sein innerstes Herz, er ergriff ihn, als wenn er unvermutet die Wunde berührt habe, an der der s t e r b e n d e L e i c h n a m der Natur in Schmerzen verscheiden wolle . . ." Auch noch heute: „seinen Leichnam pflegen." 3 Kluge, Wörterbuch. 4 Belegstellen bei A. Kramer S. 11, 12. 2

§ 2.

3

Was alles ist Leiche?

§

2.

Was alles ist Leiche?

Schon die Etymologie des Wortes Leichnam, nämlich lihhamo: „Fleischhülle als Kleid der Seele" weist darauf hin, daß im Menschenleibe vordem eine Seele, Leben gewohnt haben muß, ehe er durch den Tod, d. h. das Entweichen der Seele, des Willens zum Leben, aus dem Körper zum Leichnam werden kann In diesem Sinne können wir mit GEUSEN, S. 27, definieren: Leichnam ist die entseelte Hülle eines Menschen vom Eintritte des Todes bis zu dem Zeitpunkte, wo der Zusammenhang zwischen den Teilen des Körpers gelöst ist. 1 Hierbei sei darauf hingewiesen, daß sich die Begriffe „Leiche" und „Toter" durchaus nicht decken. Wohl ist jeder Leichnam ein Toter, allein nicht jeder Tote ist ein Leichnam; Cäsar z. B. ist ein Toter, aber keine Leiche. Was also ist erforderlich, um einen Toten als Leichnam bezeichnen zu können und ihn des Schutzes eines solchen im Sinne von § 168 des StGB, teilhaftig werden zu lassen? — Zweierlei ist nötig: A) der Mensch muß g e l e b t haben; B) die menschliche G e s t a l t muß noch vorhanden sein. Von diesen beiden Gesichtspunkten aus wird sich Anfang und Ende der Leichnamsqualität ohne Schwierigkeiten bestimmen lassen. 1. B e g i n n d e r L e i c h n a m s q u a l i t ä t . Menschliches Leben, wenn auch nur während einer Sekunde, muß im Körper, als in einer individuellen Persönlichkeit, gewohnt haben, ehe dieser zur Leiche werden kann, denn „Leichnam ist die entseelte Hülle eines Menschen, der gelebt hat" definiert 2 BIKDING, Lehrbuch I S . 184 treffend. 1

Dazu CRAMER, S. 21, der merkwürdigerweise behauptet, der Leichnam entstehe im Momente des Todes eines Menschen und gehe unter mit der Bestattung, nach dieser sei er integrierender Bestandteil des Erdbodens. 2

Ebenso:

CRAMER S . 21.

CRÜSEN S . 2 7 ,

3 1 ; a. M. KOHLER, S t u d i e n I

S. 2 0 5 . 1*

§ 2.

4

Was

alles ist

Leiche?

Wann beginnt das Leben aber, und wann endet es? Schlechthin lautet die Antwort: Mit der Geburt, mit dem Tode — und für das Zivilrecht, wo der Mensch fast ausschließlich als Rechtss u b j e k t , nicht als Rechtsobjekt in Betracht kommt, trifft diese Antwort auch zu. Vor der Geburt existiert für das zivile Recht wohl eine Leibesfrucht — gemeinrechtlich gar nur als pars viscerum matris! — deren Interessen ein Pfleger nach § 1912 des BGB. wahrt, ein rechtsfähiger Mensch entsteht jedoch erst mit Vollendung der Geburt, und in diesem Augenblicke hört auch die Pflegschaft auf, vgl. § 1918 des BGB. 1 Allein das Strafrecht zieht die rechtlich schützenden Grenzen zwischen der Leibesfrucht und dem lebenden Menschen anders, als das Privatrecht. Der im Mutterleibe sich entwickelnde Mensch wird vom Strafrecht als selbständiges Subjekt und Angriffsobjekt geschützt gegen Abtreibung und Tötung im Mutterleibe gemäß § 218 des StGB., das beide eben genannte Verbrechen in § 217 in Gegensatz zur Tötung in oder g l e i c h n a c h der Geburt setzt. Hieraus ergibt sich, daß das StGB, die Tötung in der Geburt als Tötung eines l e b e n d e n Menschen auffaßt. In dem Augenblicke, wo das lebende Kind sich vom Mutterleibe zu lösen beginnt, fängt es ein selbständiges Dasein an, hat eigenes Leben und wird Objekt eines besonderen Tötungsdeliktes. Als Leiche wird man, dem Beispiele von O L S H A T J S E N , K O H L E R , M E Y E E , S. 7 5 9 , B L U M E N S A T H , S. 2 9 , H Ä L S C H N E R , II, 2 1 — der als Mensch j e d e lebende menschliche Leibesfrucht ansieht — und anderer folgend, auch das totgeborene, entwickelte Kind ansehen müssen. Das Erfordernis des selbständigen Lebens fehlt hier zwar, allein dem Totgeborenen nur aus diesem Grunde den strafrechtlichen Schutz des § 168 versagen zu wollen, wäre hart und gegen die Volksanschauung. Denn der allgemein geübte Brauch, tote Mißgeburten und Früchte wegzuwerfen, oder zu verscharren, totgeborene Kinder indessen regelrecht zu beerdigen, beweist, daß auch das totgeborene Kind als Leichnam betrachtet wird. Selbst eine Mißgeburt, sofern sie nur menschliche Gestalt hat — und nur Menschen können zum mindesten menschen1

V g l . HOLDER, A l l g e m e i n e r T e i l d e s B G B . S . 7 0 .

8 2.

Was alles ist Leiche?

5

ä h n l i c h e Wesen zur Welt bringen — wird, wenn sie gelebt hat, zum Leichnam; war sie freilich zugleich eine Frühgeburt, ein Fötus, so ist ihr toter Körper kein Leichnam. 1 Menschliche Gestalt ist also stets ein Haupterfordernis, das, was die Carolina „glidmessig" nennt. Die CCC. legt auch bei Abtreibung und Kindestötung das entscheidende Gewicht auf Leben und menschliche Gestalt, welche beiden Erfordernisse auch für unsere Betrachtung wesentlich sind, wenn sie Artikel 137 sagt: Item welches weib jre kind, das leben vnd g l i d m a s s empfangen hett, heymlicher, bosshafftiger, williger weiss ertötet . . . etc. Dazu Absatz II: So aber eyn weybsbild, als obsteht, eyn l e b e n d i g glidm e s s i g kindlein, das nachmals todt erfunden, heymlich geborn und verborgen h e t t . . . und weiter im Texte art. 131 II: . . . mit tödtung des vnschuldigen kindtleins, daran sie vor, inn oder n a c h der geburt schuldig wirt. Auf dieser Bezeichnung: „glidmessig" der CCC. beruht auch die gemeinrechtliche Definition von „Lebensfähigkeit". Dieselben Grundsätze spricht übrigens auch ein Arzt, Prof. Dr. SKRZEOZKA aus, wenn er in GOLTDAMMEBS Archiv Band 14, S. 514 sagt: „Jedes lebendgeborene Kind kann getötet werden, kann Objekt eines Kindsmordes werden, und kommt es dabei gar nicht in Betracht, ob dasselbe mit Bildungsfehlern behaftet ist, oder nicht, ob es reif und ausgetragen ist, oder nicht, wenn es n u r lebt. Der tote Körper eines jeden Kindes, an dem sich das stattgehabte Leben nach der Geburt nachweisen läßt, ist ein Leichnam." Leider dehnt er dies inkonsequent auf S. 515 auf jede Leibesfrucht aus. 1 Ebenso CRUSEN S. 31, 22. Vgl. hiermit eine interessante Stelle bei ULPIAN, liber XXV. ad edictum, wo er sagt, daß der Ort, wo ein ostentum, id est contra naturam natum prodigium beerdigt ist, nicht zum locus religiosus wird, da dem bestatteten Körper die Leichnamseigenschaft fehlt; denn nur die illatio eines mortuus macht einen locus zum religiosus.

6

§ 2.

Was alles ist Leiche?

Der Begriff Leiche setzt eben erloschenes Leben, setzt eine untergegangene Individualität, Persönlichkeit voraus: Leichnam ist also, was einmal Objekt eines Tötungsdeliktes hat sein können. Ist somit festgestellt, von welchem Zeitpunkte frühestens an man von einer Leiche reden kann, so liegt andrerseits die Frage nahe, wann die Körpersubstanz a u f h ö r t , Leichnam zu sein. Diese Frage beantwortet sich hauptsächlich nach denselben Gesichtspunkten, die für den Beginn der Leichnamsqualität maßgebend waren. 2. E n d e der

Leichnamsqualität.

Leichnam ist ein entseelter Menschenleib, eine gewesene Person, und solange sich aus Substanz und Gestalt der menschlichen Überreste ein Bild gewinnen läßt von der Persönlichkeit, wie sie lebend gewesen ist, ist ein Leichnam vorhanden. Menschliche Gestalt ist also auch hier, wie beim Beginne der Leichnamsqualität, Erfordernis. Eine gewisse Subjektivität ist in der Leiche gewahrt, sie ist eine Scheinpersönlichkeit, und „mortuus" wird die Leiche in den Digesten meist schlechthin genannt. Freilich ist ein Zusammenhang der Körperteile erforderlich, ist er gelöst — gewaltsam oder durch Verwesung — so existieren nur noch Leichenteile, also Gebeine, Haut, Haare, Nägel, Zähne, Schädel u. s. w. Ist die Verwesung so weit fortgeschritten, daß man nicht mehr erkennen kann, ob und welch eine Persönlichkeit existiert hat, so kann von einem Leichnam schlechterdings nicht mehr die Rede sein, wenn auch alle Teile in Resten, aber eben unkenntlich, erhalten sind. 1 An solchen Leichenteilen ist das Delikt des § 168 StGB, nicht begehbar; ihre Entwendung 1 Im Prinzip gleicher Ansicht, wenn auch in den Polgerungen weitergehend ist Goethe in Wilhelm Meisters Lehrjahren, 2. Buch, 1. Kapitel: „. . . wie man einen Körper, solange die Verwesung dauert, nicht ganz tot nennen kann, solange die Kräfte, die vergebens nach ihren alten Bestimmungen zu wirken suchen, an der Zerstörung der Teile, die sie sonst belebten, sich abarbeiten; nur dann, wenn sich alles aneinander aufgerieben hat, w e n n w i r d a s G a n z e in g l e i c h g ü l t i g e n S t a u b z e r l e g t s e h e n , dann entsteht das erbärmliche, leere Gefühl des Todes in uns, nur durch den Atem des Ewiglebenden zu erquicken."

S 2.

Was alles ist Leiche?

7

wird nach § 3(571 StGB, geahndet, oder auch nach § 242 StGB., da Leichenteile im Privateigentum stehen können, was bei Leichnamen nie möglich ist. Andrerseits wird der Leichnam des Schutzes des § 168 StGB, teilhaftig, selbst wenn ihm einzelne Teile fehlen, solange er nur noch ein Gesamtbild der einst lebendigen Persönlichkeit zu bieten vermag, Kopf und Rumpf müssen freilich mindestens erhalten sein1, das fordern schon die Römer 1. 44 dig. de relig. XI, 7: . . . Cum in diversis locis sepultus est, uterque quidem locus religiosus non fit, quia una sepultura plura sepulcra efficere non potest; mihi autem videtur, illum religiosum esse, ubi quod est principale noscimus.2

conditum est, id est caput,

cuius imago

sit, unde cog-

Sind also die Bänder und Sehnen, die die Glieder zusammenhielten, gelöst, so ist kein Ganzes, ist kein Leichnam mehr vorhanden. Selbst wo der Zusammenhang der einzelnen Teile künstlich gewahrt ist, wie bei der Mumie, an der Zeit und Menschenhand gleichsam eine Spezifikation vorgenommen haben 3 , wird man von einem „Leichnam" nicht mehr reden können; die Mumie ist mehr Kuriosität als toter Mensch. Allerdings ist der Mumie eines Ramses II. noch immer der Adel der kraftvollen Persönlichkeit aufgedrückt, die vor Jahrtausenden gewirkt hat, doch kann an einer ägyptischen Mumie, zumal sie kein Gegenstand religiöser Achtung mehr ist, das Pietätsgefühl nicht verletzt werden; Mumien sind keine Leichname mehr. 4 Außer Zweifel dürfte stehen, daß die Mumien deutscher Herrscher, von Heiligen der katholischen Kirche u. s. w. als Leichname zu be1

Zu vag CRAMEH S. 20 Anm. 3, der nur „fleischliche Uberreste" fordert. * Einen interessanten Beleg für diese Ansicht bietet die von KOHLEB S. 220 angeführte Bestimmung des § 187 im Strafgesetzbuche von Venezuela, das den Leichenraub zwei Jahre nach der Beerdigung milder straft, eben weil der Tote dann bis zur Unkenntlichkeit verwest und kein Gegenstand voller Pietät mehr ist.

S.

3

GRAMER S .

4

Ebenso:

185; a. M.:

20, A n m .

GRÜSEN

S.

CRAMER S .

3.

39, 20.

OLSHAÜSEN,

Kom. zu §

VILLNOW, G S .

31

S.

168,

525

u.

BINDING, a.

Lehrb. I

§ 3. Rechtliche Natui- des Leichnams.

8

trachten und zu schützen sind, denn die Pietät der Volksgenossen und der Gläubigen achtet sie heilig. Da nicht der Schimmer einer Persönlichkeit im Ofen des Krematoriums zurückbleibt, ist die Asche eines Feuerbestatteten kein Leichnam mehr, entbehrt also des strafrechtlichen Schutzes.1) Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, daß der Schutz des § 1 6 8 StGB, nicht mehr gewährt werden kann, wenn ein Leichnam nicht mehr vorhanden ist, wenn in den verwesenden Überresten niemand mehr die einstige Persönlichkeit erkennt noch ehrt, mit anderen Worten, wenn der Leichnam kein Gegenstand der Pietät mehr ist.2 — Es gibt nun noch einen Fall, in dem der Leichnam, wenn auch vollkommen erhalten, aufhört, Pietätsobjekt zu sein und den Schutz des § 168 StGB, nicht mehr genießt, das ist der Fall, wenn der Leichnam zur Sache wird. Der Untersuchung, ob und wann der Leichnam zur Sache wird, sollen die folgenden Seiten gewidmet sein. § 3. Rechtliche Natur des Leichnams.

I. I s t der L e i c h n a m eine S a c h e ? Uber die rechtliche Qualifikation der Leiche, über die Frage, ob sie Sache sei oder nicht, ob res in commercio oder extra commercium, ob extra Patrimonium oder nicht, stehen die Ansichten zu den verschiedenen Zeiten, in den verschiedenen Rechten und bei uns noch jetzt einander oft diametral gegenüber. So doktrinär diese Fragen auch auf den ersten Blick scheinen mögen, so bedeutsam und praktisch sind sie doch und daher im Laufe der Jahrhunderte stets von neuem ventiliert worden; das römische, germanische, gemeine, die mannigfachsten Landesrechte, das moderne Recht beschäftigt sich, sei es implicite, sei es explicite, mit ihr. Denn faßt man den Leichnam schlechthin als Sache auf, so kann man auch über ihn privatrechtlich, wie über andere Sachen verfügen, ihn veräußern u. s. w., dann sind bei der 1

Vgl. u. S. 47. 48.

1

V g l . CBUSEN S. 35.

§ 3. Rechtliche Natui- des Leichnams.

8

trachten und zu schützen sind, denn die Pietät der Volksgenossen und der Gläubigen achtet sie heilig. Da nicht der Schimmer einer Persönlichkeit im Ofen des Krematoriums zurückbleibt, ist die Asche eines Feuerbestatteten kein Leichnam mehr, entbehrt also des strafrechtlichen Schutzes.1) Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, daß der Schutz des § 1 6 8 StGB, nicht mehr gewährt werden kann, wenn ein Leichnam nicht mehr vorhanden ist, wenn in den verwesenden Überresten niemand mehr die einstige Persönlichkeit erkennt noch ehrt, mit anderen Worten, wenn der Leichnam kein Gegenstand der Pietät mehr ist.2 — Es gibt nun noch einen Fall, in dem der Leichnam, wenn auch vollkommen erhalten, aufhört, Pietätsobjekt zu sein und den Schutz des § 168 StGB, nicht mehr genießt, das ist der Fall, wenn der Leichnam zur Sache wird. Der Untersuchung, ob und wann der Leichnam zur Sache wird, sollen die folgenden Seiten gewidmet sein. § 3. Rechtliche Natur des Leichnams.

I. I s t der L e i c h n a m eine S a c h e ? Uber die rechtliche Qualifikation der Leiche, über die Frage, ob sie Sache sei oder nicht, ob res in commercio oder extra commercium, ob extra Patrimonium oder nicht, stehen die Ansichten zu den verschiedenen Zeiten, in den verschiedenen Rechten und bei uns noch jetzt einander oft diametral gegenüber. So doktrinär diese Fragen auch auf den ersten Blick scheinen mögen, so bedeutsam und praktisch sind sie doch und daher im Laufe der Jahrhunderte stets von neuem ventiliert worden; das römische, germanische, gemeine, die mannigfachsten Landesrechte, das moderne Recht beschäftigt sich, sei es implicite, sei es explicite, mit ihr. Denn faßt man den Leichnam schlechthin als Sache auf, so kann man auch über ihn privatrechtlich, wie über andere Sachen verfügen, ihn veräußern u. s. w., dann sind bei der 1

Vgl. u. S. 47. 48.

1

V g l . CBUSEN S. 35.

§ 3. Rechtliche Natur des Leichnams.

9

Konnexität zwischen Zivil- und Strafrecht, welch letzteres die Begriffe des ersteren herübernimmt und adoptiert, 1 alle Sachdelikte am Leichnam möglich, Diebstahl, Raub, Unterschlagung, Sachbeschädigung — man könnte diese Aufzählung leicht ad absurdum führen! Eine eingehende Behandlung zivilrechtlicher Fragen wird also nicht zu vermeiden sein, auch erörtern gerade Zivilrechtslehrer in großer Zahl die Sachqualität des Leichnams, und mit ihnen hat sich auch der Kriminalist auseinanderzusetzen. Da weiter die Betrachtung privates und öffentliches, profanes und sakrales Recht umfaßt, da sie der ausführlichen Behandlung, die dieser Frage in den verschiedenen Rechten zu den verschiedenen Zeiten widerfahren ist, besondere Aufmerksamkeit widmet, wird man ihre Ausführlichkeit entschuldigen, zumal sie zugleich einen Uberblick über die Entwickelungsgeschichte des Deliktes gibt, die sich getrennt davon schwer behandeln ließe, und auch für später zu erörternde Fragen, so über das Objekt des „Leichendiebstahls" von Wesenheit ist. a) Das römische Recht.

Ausdrückliche Bestimmungen darüber, ob der Leichnam Sache sei, oder nicht, finden sich im römischen Rechte ebensowenig, wie im unsrigen. Die Römer waren bei aller Subtilität in Rechtsfragen doch ein zu religiöses, um nicht zu sagen bigottes Volk, als daß sie den menschlichen Leichnam, der in der ältesten Zeit, wie wohl bei jedem Volke, fast göttliche Ehren genossen haben mag, in den Kreis vermögensrechtlicher Beziehungen gezogen hätten. Die religio, die achtungsvolle Scheu vor dem Toten, die Furcht vor der Rache der abgeschiedenen Seelen, der di manes, etwas Gespensterglaube . . . all das wirkte zusammen, dem Leichnam eine extraordinäre Stellung zu schaffen, ihn zu einem Hauptgegenstande nicht nur des sakralen Rechtes, sondern der rechtlichen Fürsorge überhaupt zu machen. Daher sprechen 1

Auch für das Strafrecht iet „Sache" ein körperlicher Gegenstand, übereinstimmend mit §90 des BGB., vgl. auch RG. XXIX., 11, wenn auch der Sachbegriff des Strafrechts der weitere sein mag, vgl. BINDING, Lehrb. § 69b im Anfang, S. 257.

§ 3. Rechtliche Natur des Leichnams.

10

die römischen Juristen von einem eigenen favor religionis. 1 Die logische Überlegung, die doch in so reichem Maße den nüchternen Römern eigen war, hätte vielleicht nicht zu diesem Totenkulte geführt, allein schön erklärt dies P a p i n i a n , wenn er sagt, summam esse causam, quae pro religione facit. Das römische Recht f ü h r t nun den Leichnam oft in Verbindung mit den res religiosae, d. h. den Sachen auf, quae dis manibus relictae sunt, ohne ihn jedoch als solche res zu bezeichnen. Der „mortuus", diese Scheinperson, ist keine Sache. Gtaius II, 4 und 6 sagt: wir machen einen locus nostra voluntate — also durch private Handlung, nicht wie sonst durch den feierlichen, öffentlich-rechtlichen Akt der consecratio — mortuum inferentes 2 zum religiosus. Die Anwesenheit des Leichnams heiligt das Grab und macht es extrakommerziell. Die Quasiperson des mortuus hat dann gleichsam Eigentum am Grabe, niemand sonst. 3 I n der schon oben S. 7 angeführten Stelle 1. 44 dig. 11, 7 f ä h r t P a u l u s fort „ . . . cum autem impetratur, ut reliquiae transferantur, desinit locus religiosus esse." Macht also der Leichnam einen Platz, solange er dort ruht, heilig und extrakommerziell, und zwar durch seine bloße Anwesenheit, so liegt der Schluß, daß er selbst heilig und extra commercium, daß er keine Sache sei, sehr nahe. E s könnte verwunderlich erscheinen, daß die in Rechtsfolgerungen so scharfsinnigen Römer diesen naheliegenden Schluß nicht gezogen haben, er ist aber diesem religiösen, bigotten Volke wohl zu selbstverständlich gewesen, als daß er ausdrücklicher Fixierung bedurft hätte. Selbst die Leichen von Sklaven, die doch zu ihren Lebzeiten als Sachen galten, machten ihren Beerdigungsplatz zum locus religiosus. 4 So gewann der Sklav, der keine Person war 5 1

1. 17 pr. dig. VII, 1. Natürlich muß der Inferierende zur illatio auch berechtigt sein, Inst. II, 1 § 9. 1. 4, 6, 1. 7 pr., 1. 8 pr. dig. de relig. XI, 7. 3 1. 4 dig. 11, 7. 1. 4 Cod. de sep. viol. IX, 19. * 1. 2 pr. dig. XI, 7: locum in quo servus sepultus est, religiosum esse, Aristo ait. — hingegen war das Grab des hostis kein locus religiosus! 6 Vgl. Theophil, ad pr. J. de stip. serv. III, 17, angeführt von Salkowski, Instit. § 29 II: ot oixeiai tinQoaanoi ovxeg ex z&v ngoadmav w oixeiuv Stanoxnv xaqaxTrjQi'Qoviai,. 8

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

11

mit dem Tode eine Art Persönlichkeit — es war dies der Einfluß des Sakralrechtes, nach welchem auch den Sklaven Gelübde und Eid rechtsgültig offen standen. Endlich bestimmt 1. 4. cod. 9, 19, daß ebenso wie Gräberschänder, qui sepultos (die Leiche wieder als Verbrechensobjekt, als Person gedacht) spoliant destruendo, diejenigen bestraft werden sollen, qui corpora sepulta aut reliquias contrectaverint. Also war an Leichen kein furtum möglich, sondern nur das Spezialdelikt der sepulcri violatio. Dadurch, daß die Leiche kein Objekt des Diebstahls sein konnte, wurde sie über die Sphäre der Sachen hinausgehoben. 1 b) Das germanische Recht.

Da die Volksrechte fast sämtlich den Leichendiebstahl niemals unter dem Gesichtspunkte eines Vermögens- oder Sachdeliktes auffassen, vielmehr ihn den Religionsvergehen unterstellen, so liegt der Schluß nahe, daß sie den Leichnam nicht als Sache angesehen haben. Übrigens war in jenen ursprünglichen Zeiten das Privatrecht so wenig ausgebildet, daß derartige subtile zivilrechtliche Sachqualifizierungen unmöglich waren; nur implicite, in der ganzen Auffassung der Leichendelikte liegt der'Schluß begründet, daß der Leichnam auch bei den Germanen nicht als Sache angesehen worden ist. Im übrigen sei betreffs dieser Fragen auf die Ausführungen unten S. 24 ff. verwiesen, wo sich unter der Überschrift „Objekt des Leichendiebstahls" manches auch hierfür Beachtliche findet. c) Das kanonische Recht.

Auch der Natur des kanonischen Rechtes und den darin vertretenen potenziert religiösen Anschauungen würde eine Auffassung der Leiche als Sache direkt zuwider laufen, daher auch vom Leichnam schlechthin als von einer Sache nirgend die Rede ist. Nur bei Leichnamen von Heiligen als Reliquien werden privatrechtliche Fragen erörtert, doch ist dies eine ganz singulare Er1

Nach 1. 15 cod. III, 44 ist der Leichnam auch von der Verzollung befreit, der sonst die Sachen unterworfen sind. Der Leichnam ist eben keine Sache.

12

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

scheinung. Solche reliquiae insignes, bestehend aus ganzen Körpern, sind res sacrae, es ist Eigentum an ihnen möglich; aber nur Kirchen, Fürsten und Bischöfe können dergestalt privilegierte Eigentümer sein. Im übrigen sind diejenigen Eechte und Rechtsverhältnisse an diesen reliquiae insignes ausgeschlossen, die eine der ihnen gebührenden Verehrung widersprechende Behandlung bedingen. 1 d) Das g e m e i n e R e c h t u n d das h e u t i g e deutsche g e m e i n e Strafrecht.

Im gemeinen Rechte gehen die Ansichten sowohl der Zivilais auch der Strafrechtslehrer über Sach- oder Nichtsachqualität des Leichnams so verschiedenartig auseinander, daß es fast unmöglich ist, sie im Zusammenhange einer geschlossenen systematischen Darstellung aufzuführen. Wir folgen daher dem Beispiele von SCHULTHEISS und führen die betreffenden Ansichten einzeln und in Gruppen geordnet auf. Zwei stehen einander diametral gegenüber; die eine spricht dem Leichnam jede Sacheigenschaft ab, erklärt ihn für extrakommerziell (auch oft für eine res extra commercium), bequemt sich jedoch hie und da zu dem Zugeständnis, daß diese Nichts sache unter gewissen Umständen zur Sache werden kann. Die andere Ansicht nennt den Leichnam schlechtweg eine verkehrsfällige Sache. a) D e r L e i c h n a m s t e h t e x t r a c o m m e r c i u m .

WÄCHTER, Württemb. Priv.R. I I S. 285 § 44: „Der Leichnam eines Menschen i s t . . . in niemandes Eigentum." Daß WÄCHTER den Leichnam unter die res extra commercium stellt, beweisen die Ausführungen in seinen Pandekten Bd. I, § 60. Bd. II, S. 276/77. WINDSCHEID nennt Pand. I § 147 Anm. C, S. 637 die Leiche eine res cuius commercium non est. CRAMER, S. 3 5 : Der Leichnam ist nicht nur res extra commercium, sondern Sache im unjuristischen Sinne. VILLNOW, G-S. 31, S. 524ff.: Der Eigentümer des toten Körpers, die Vernunft (!), fehlt zwar, aber deshalb ist die Leiche, 1

Vgl.

HINSCHIUS,

Bd. IV S. 268 Note 5, S. 269.

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

13

wenn auch herrenlos, so doch nicht herrenlose Sache gleich den Leichen der Tiere, die keinen Eigentümer haben. UROME- LILIENTHAL , Handbuch des französischen Civ.R. S. 3 0 6 / 7 rechnet unter die „Sachen, welche dem menschlichen Gebrauche mehr oder weniger entzogen sind", die menschlichen Leichen. Der Leichnam ist nach diesem Lehrbuche eine res extra commercium mit Modifikationen. CRAMER, S. 2 7 , bezeichnet den Leichnam ebenfalls als unjuristische, bezüglich Nicht-Sache, und in der Revision vom preußischen StGB, von 1845 heißt es, daß an Leichen Diebstahl überhaupt nicht begangen werden könne. Die Ansicht, daß der Leichnam zur Sache werden kann, vertreten folgende Zivilisten und Kriminalisten, auch für das geltende .Recht: KRAMER, S. 47, nennt den beerdigten Leichnam, da er „Frieden", den Totenfrieden hat, eine res extra commercium, doch spricht er auch von der Möglichkeit von „Eigentumsleichen". MEVES, GS. 27, S. 363ff., faßt Leichen prinzipiell auch als extrakommerziell auf, gibt aber S. 369 zu, daß Leichen diese Eigenschaft verlieren und Objekte von Eigentumsdelikten werden können. UNGEÄ, Osterreich. P r i v . R . § 4 6 Nr. 2 8 : „Der Leichnam steht in der Regel in niemandes Eigentum, doch kann unter Umständen auch der Leichnam (Skelett) im Privateigentum stehen und Gegenstand des Verkehrs werden. RÜUORFF, Kommentar zu § 1 6 8 StGB. Nr. I I : „Von einer Anatomie erworbene Leichen können, wenn die diebische Absicht hinzutritt, Gegenstand eines Diebstahls sein." Dieser Ansicht sind die meisten Strafrechtslehrer der Gegenwart, so OPPENHOFF, Kommentar zu § 1 6 8 Nr. 3 , SCHWARZE, Kommentar zu § 1 6 8 Nr. 4, HÄLSCHNER Bd. II S. 7 1 7 , CRÜSEN S. 51, so daß diese Ansicht wohl als die herrschende bezeichnet werden darf. 1 So auch vor allem: OLSHAUSEN, Kommentar zu § 242 Nr. 7: „. . . wenn auch die Ansicht, daß eine Leiche extra commercium sei, tür die Regel 1

S. u. 8. 24.

14

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

dem geltenden Rechte entspricht, so ist doch andrerseits nicht zu zweifeln, daß Leichen unter Umständen Gegenstände des Handels und Verkehrs werden, daß demnach an ihnen auch Eigentumsrechte erworben werden können. 3 B I N D I N G , Handb. I S. 707 § 143 : Es ist endlich denkbar, daß gewisse Gegenstände zwar regelmäßig nicht, wohl aber ausnahmsweise taugliche Objekte bestimmter Delikte sein sollen. So dürften Leichen im Besitze der Anatomie dieser eigentümlich gehören, ihr also auch durch Diebstahl und Unterschlagung entwendet werden können. 1 ß) D e r L e i c h n a m i s t s c h l e c h t h i n e i g e n t u m s f ä h i g e S a c h e . B E K K E K , Pandekten § 7 1 : „... Als Sache gilt nicht der lebende Körper des Menschen, wohl aber ein abgesondertes Stück desselben2, auch der Leichnam des Verstorbenen." § 77: „...Dispositionen, die der Verstorbene bei Lebzeiten über den Leichnam getroffen, sind rechtsverbindlich, falls sie nicht wider die guten Sitten laufen. Fehlen solche Dispositionen, so steht er im Eigentume der Erben (rei vindicatio gegen dritte). Doch ist die Veräußerung (entgeltlich oder unentgeltlich) wider die gute Sitte (könnte also auch unter besonderen Umständen zulässig sein)." C K U S E N : „... daß der Leichnam eine Sache ist, kann nicht widersprochen werden." 3 D E E N B U K G , Bd. I § 6 9 : Was aufgehört hat, Teil des lebenden menschlichen Organismus zu sein, wird unmittelbar des Eigentums fähige Sache.4 Das jemand abgeschnittene Haar wird sein Eigentum. Folgerecht ist auch der Leichnam Sache.4 Man darf ihn sogar im voraus zu wissenschaftlichen Zwecken auf den Todesfall veräußern. Erben aber dürfen den Leichnam ihres Erblassers nicht verhandeln, weil dies gegen die guten Sitten wäre.

1 2 8 4

Weitere Literaturangaben s. unten S. 24. Vgl. auch WÄCHTER, Pand. I § 60. Bd. II S. 276 a. E., 277. Eine „verkehrsfähige" Sache nennt CRUSEN jedoch den Leichnam nicht. Im preußischen Landrecht sagt er: „eine verkehrsfähige Sache".

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

15

e) Das Hecht des BGB.

Das BGB. selbst sagt über die rechtliche Qualifizierung des Leichnams nichts 1 , es spricht auch nicht von verkehrsunfähigen Sachen, worunter im gemeinen Rechte und den Landesrechten der Leichnam meist rubriziert wird. Hieraus freilich den Schluß ziehen zu wollen, daß es nach jetzigem Zivilrechte nur verkehrsfähige Sachen gibt, wäre verfehlt. Für das BGB. kommen eben nur Sachen in Betracht, die Gegenstand von Privatrechten sein können, positive Bestimmungen, welche die Privatrechts- und Verkehrsfähigkeit von Sachen ausschließen, finden sich außerhalb des BGB. Demnach hätten für den Leichnam, soweit dies angängig, die Landesrechte zu gelten, also Anschauungen, wie sie das gemeine Recht, das preußische Landrecht, der Code civile kennt. 2 Freilich bezeichnen die meisten Lehrbücher über das BGB. den Leichnam schlechtweg als Sache, gehen also der schwierigen Frage, wie der früher fast allgemein als extrakommerziell aufgefaßte Leichnam jetzt zu qualifizieren sei, aus dem Wege, indem sie ihn eben eine Sache nennen, freilich diese kühne Behauptung sofort dadurch einschränken, daß sie ihm die prinzipalen Sacheigenschaften absprechen, so daß man sich fragt, wie denn noch von einer Sache schlechthin die Rede sein kann. Die hauptsächlichsten Ansichten seien hier aufgeführt: DEBNBUKG, Bürgerl. R. III S. 3 Nr. 4: Der Leichnam des Menschen ist Sache, der Lebende kann ihn, wie man annehmen darf, im voraus als künftige Sache zu wissenschaftlichen Zwecken auf den Todesfall, insbesondere an Anatomien, veräußern. Im übrigen ist er herrenlos, aber auch der willkürlichen Aneignung entzogen; Erben insbesondere dürfen den Leichnam ihres Erblassers nicht okkupieren und verhandeln, das wäre gegen die guten Sitten. W I N D S C H E I D T , Pandekten S. 6 3 9 Nr. 4 , im Anfang von § 1 4 7 : Der Körper des Lebenden und seine Bestandteile sind im Sinne des BGB. sicher keine Sachen, abgetrennte Stücke sind es unbedenklich; ob es der Leichnam ist, kann als durch das BGB. entschieden nicht angesehen werden; der alte Streit wird also wohl fortdauern. 1 Vgl. auch Art. 58—64, 83 EG. zum BGB. 1

§ 3.

16

Rechtliche Natur des Leichnams.

S. 1 4 3 : Der Leichnam ist Sache und kann Gegenstand dinglicher Eechte sein. MATTHIASS S . 1 3 0 , § 8 8 : „...abgetrennte Teile des Körpers sind rechtsfähig, ebenso der Leichnam." HOLDER, allg. Teil, S. 2 0 6 : Der menschliche Leichnam ist eine Sache, die jedoch weder zum Nachlaß des Verstorbenen gehört, noch beliebiger Verfügung preisgegeben ist. Die Verfügung über denselben steht zum Zwecke seiner Bestattung den Personen zu, denen diese zusteht. Außerdem ist er ein Gegenstand der eigenen rechtlichen Verfügung der Person, deren Körper er war, soweit dieselbe nicht den guten Sitten zuwider läuft. 1 LEHMANN-ENNECCERUS, I § 45 S. 118: „. . . auch der Leichnam des Menschen ist Sache, wenn er auch freilich weder dem Erben gehört, wie die Beerdigungspfiicht zeigt, noch der Okkupation unterliegt." Aus der angeführten Literatur erhellt, daß fast allgemein der Leichnam zivilrechtlich als Sache bezeichnet wird; weshalb er eine Sache sei, erklärt jedoch keiner. Sache im juristischen Sinne ist nach BGB. § 90 ein körperlicher Gegenstand, „ein Stück der unfreien Natur", das als selbständiges Rechtsobjekt anerkannt wird — nicht „Wirtschaftsobjekt", wie REGELSBERGER in seinen Pandekten I § 96 meint. Objekt von Rechten muß also ein Gegenstand sein können, der „Sache" genannt wird. Die Tatsache nun, daß am Leichnam Privatrechte nicht möglich sind, ja man könnte soweit gehen, zu behaupten, daß am Leichnam selbst überhaupt keinerlei Rechte möglich sind, beweist, daß er keine Sache ist, oder gibt es ein einziges klagbares Rechtsgeschäft des zivilen Rechts an Leichen? BINDING, Lehrbuch S. 185 Anm. 1 verneint dies entschieden, wenn er sagt: „Nichts ist irreführender als die Behauptung, durch Anerkennung dieser ganz singulären Eigentumsfähigkeit 2 werde die Leiche res in commercio: Es gibt kein einziges gültiges Privatrechtsgeschäft über Leichen!" Auch die treffliche Ausgabe des BGB. von FISCHER-HENLE sagt in Anm. 2 zu § 90 treffend: „Der Körper des lebenden und zunächst COSACK I

1 Ebenso ENDEMANN, Bd. I S. 231 Nr. 19; vgl. auch Bd. I I S. 605 § 103" 3, Absatz 2. 9 Der Anatomieleichen!

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

17

auch der des toten Menschen ist keine Sache im Rechtssinne.'' Privatrechtliche Verfügungen über den Leichnam, sowohl durch den Erblasser, wie von Seiten der Uberlebenden, sind rechtlich u n m ö g l i c h , nicht nur unsittlich. Wenn jemand testiert, daß seine Erben seinen Leichnam der Anatomie übergeben sollen, so würde diese, selbst wenn sie dem Verfügenden zu dessen Lebzeiten ein Entgelt gezahlt, ihrerseits also den „Vertrag" erfüllt hätte, nimmermehr mit einer Klage gegen die, die Herausgabe des Leichnams weigernden Erben Erfolg haben — oder gibt es in der Judikatur e i n e n Fall, wo diese und ähnliche Geschäfte klagbar und rechtsgültig wären ? Der Leichnam ist der Sphäre privatrechtlicher Beziehungen weit entrückt, höchstens öffentlich-rechtliche Beziehungen sind für ihn möglich. Warum aber ist der Leichnam keine „Sache" im Rechtssinne? Er ist doch ein Ding, ein lebloser Körper? Der Körper des lebenden Menschen ist zivilrechtlich Rechtss u b j e k t , niemals Rechtsobjekt. Der Wille, dessen sichtbare Verkörperung, dessen Inkarnation der Leib ist, teilt sie in Klassen, 1 bezeichnet sie als Sachen — das Medium, durch das er in der Welt der Erscheinung erst wirken kann, den menschlichen Leib, sich selbst also, wird er nie als Sache bezeichnen, er müßte sich denn in Gegensatz zu sich selber setzen. Zieht sich nun der Wille zum Leben aus einer seiner ungezähltenErscheinungen zurück, stirbt einMensch, so lebt doch dieser selbe Wille in anderem Körper wieder auf, wie er in Milliarden von Erscheinungen auch lebt — er ist einer und unteilbar. Hat nun dieser Wille zu Lebzeiten des A, in diesem wirkend, das Objekt, durch welches er sich darstellte, den Leib des A, nicht als Sache bezeichnet, so darf er konsequenterweise, in B weiterwirkend, den toten A nicht zur Sache stempeln. Was einmal Person gewesen ist, kann nicht Sache werden, das Subjekt läßt sich nicht zum Objekt degradieren, der tote Herr der Dinge läßt sich nicht den einst von ihm beherrschten Sachen gleichstellen, es umkleidet den Leichnam noch derjenige Schimmer von Subjektivität, die Majestät des Todes, die uns hindert, in 1

Der Schöpfungsmythus in der Genesis läßt Adam, den Menschen, Tieren und Pflanzen Namen geben. MERKEL, Leichenraub.

2

18

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

ihm eine Sache zu erblicken. Daher kommt es, daß die Rechtslehrer, die den Leichnam als verkehrsfähige oder -unfähige, juristische oder nichtjuristische, jedenfalls aber als „Sache" bezeichnen, diese mannigfachen Einschränkungen machen, welche die Sacheigenschaften des Leichnams im wesentlichen wieder negieren. Der Leichnam läßt sich rechtlich nicht qualifizieren. Der Mensch, das Subjekt, qualifiziert und rubriziert die Dinge außer ihm, die Objekte; sich selbst und seinesgleichen darunter zu reihen, widerstreitet seiner Herrennatur, denn die Dinge der Erde sind dem Menschen Untertan — „herrschet über sie!" Der tote Herr der Dinge läßt sich also nicht unter die von ihm selbst geschaffenen ßechtsbegriffe einreihen, es ist dies auch gar nicht nötig, denn die Uberlebenden, Menschen wie er einer war, an die er seine Herrschaft über die Dinge abgegeben hat, achten im Leichnam den einstigen Herrscher, „in ihm reichen sich die Majestät des Lebens und des Todes die Abschiedshand" 1 ; diese ehrfürchtige Scheu, die Pietät ehrt und schützt den Leichnam. Gegen den Leichnam als solchen richtet sich auch das Delikt des § 168 des StGB, nicht, sondern gegen das Pietätsgefühl der Überlebenden. Von ganz anderen Gesichtspunkten aus hat neuerdings GABEIS in den Festgaben für SCHIKMEB den Versuch gemacht, Verfügungsrechte über Leichen zu begründen. Da wir privatrechtliche Verfügungen jeder Art am Leichnam für unmöglich erklären, so haben wir uns mit dieser Ansicht, die äußerst geistvoll konstruiert und belegt ist, im folgenden auseinanderzusetzen. Die Begründung von GABEIS ist singulär und neu, es ist darum tiefer einzugehen und weiter auszuholen rätlich. GABEIS konstruiert nämlich, dem Beispiele von PUCHTA und 2 GIEBKE folgend, ein „Recht der Persönlichkeit", das sich durchaus in Gegensatz zu den übrigen Arten der PrivatLehrbuch S. 184 § 45. G-IERKE, Deutsches Privatrecht Bd. I § 82 S. 708/9, auch K r a m er S. 17 spricht von einem Rechte, das dem Menschen an seinem Körper zusteht. 1

2

BINDING,

§ 3.

19

Rechtliche Natur des Leichnams.

rechte stellt, selbst aber zu ihnen gehört.1 Danach hat der freie Mensch an seinem lebendigen Körper ein sogenanntes „Persönlichkeitsrecht", ein Recht auf körperliche und geistige Integrität, ein persönliches Herrschaftsrecht über das Äußere seines Ichs, wie es in der Auffassung der germanischen Selbmuntschaft und der der römischen potestas sui, welche neben der als dominium, wirklichem Eigentume, zu charakterisierenden Rechtsgewalt an Sklaven bestehe, sowie der actio iniuriarum zugrunde liegenden Eigenberechtigung zu finden sei. Zur Anerkennung dieses Rechtes der Persönlichkeit gelange man aber durch logische Spaltung des rechtsfähigen Menschen in das berechtigte Subjekt, das abstrakte und zugleich konkrete Ich (metaphysisch: der Wille) einer- und das von diesem beherrschte Objektive im freien Menschen, die dem Ich dienenden körperlichen und geistigen Kräfte des Menschen andrerseits. 2 Dieses Recht der Persönlichkeit werde sonach praktisch und symbolisch zuerst in dem Rechte über den eigenen Körper anerkannt, in der Befugnis, über denselben zu verfügen. Auch eine Verfügung über den Körper im ganzen für den Fall des Todes sei zulässig. Diese Verfügungsmöglichkeit und die Grenzen derselben ließen sich gar nicht anders erklären, als durch Zuhilfenahme des Persönlichkeitsrechtes und seiner Konsequenzen. Wenn das innerste, das wirkliche Subjekt, das wollende Ich vom Körper schwinde, so werde dieser allerdings, wie jedes von ihm vor oder nach dem Tode getrennte einzelne Stück zur Sache, zur herrenlosen Sache, die jedoch nicht zum Nachlaß gehöre, an der überhaupt kein Sachen- und Vermögens-

1 POCHTA klassifiziert schon 1829 die Privatrechte folgendermaßen: 1. Rechte an Sachen. 2. Rechte an Handlungen (Obligationen). 3. Rechte an Personen außer uns (Familienrechte). 4. Rechte an in uns übergegangnen Personen (Erbrecht). 5. Rechte an der eigenen Person. 2 In dieser Spaltung liegt der Grundirrtum der GAREisschen Ausführungen. Der Wille ist einer und unteilbar, er stellt sich dar im Körper sowohl, wie in dessen Kräften und Bewegungen, er tut sich kund in seelischen und geistigen Kräften, er ist Leib und Geist, Materie und Kraft, Gott und Welt — wenn einmal philosophische Wahrheiten zur Erklärung von rechtlichen Begriffen angezogen werden, so sollen sie auch vollständig und mit allen Konsequenzen aufgeführt werden.

2*

§ 3.

20

Rechtliche Natur des Leichnams.

recht Platz greife 1, nur das über den Tod hinauswirkende Persönlichkeitsrecht stehe dem freien Menschen an seinem Leichnam zu. Die Ausübung dieses Rechtes für den Fall des Todes habe genau dieselben Grenzen, wie die vertragsmäßige Beschränkung des Gebrauches der Körperkraft, oder die rechtsgeschäftliche Verfügung über die körperliche Betätigung: Die Verfügung über die dereinstige herrenlose Gesamtsache, welche die Leiche sei, oder vorstelle, müsse ungültig sein, soweit sie unsittlich sei, und diese Unsittlichkeit könne liegen 1. in der A r t und W e i s e , wie nach dem Willen des Verfügenden mit dem Leichnam verfahren werden solle, 2. in dem Z i e l e und Z w e c k e der Verfügung. Des weiteren führt G A B E I S aus, daß ein „Verkauf" der Leiche unsittlich sei, man dürfe „den noch nicht fälligen Körper nicht diskontieren", über ihn verfügen, wie wenn er eine Sache wäre.2 Bei nicht gewinnsüchtigem Motive jedoch läge die Sache anders. Vom Standpunkte des unentgeltlich über seine Leiche Verfügenden sei diese Verfügung nicht unsittlich und daher gültig, doch komme nunmehr das sittliche Empfinden der zur Bestattung verpflichteten Personen in Betracht, das auch dem Verfügenden selbst sittlich erscheinende Verfügungen über seinen Leichnam nichtig machen könne. Mit einem Worte: Auch bei G A B E I S und seinem Persönlichkeitsrechte läuft alles auf die Anerkennung des Schutzes des Pietätsgefühls hinaus, dem gegenüber keinerlei privatrechtliche Verfügung Gültigkeit hat. Im übrigen sei gegen das Persönlichkeitsrecht und seine behaupteten Wirkungen über den Tod hinaus folgendes ausgeführt: Das Persönlichkeitsrecht faßt G A R E I S auf als ein Verfügungsrecht des Menschen über irgend ein positives Tun seines Körpers, über Kraft und Bewegung desselben, über seine motorischen Nerven — so sagt G A B E I S selbst. Über den Körper als Substanz 1

So dient auch dieses G-AEEissche Recht der Persönlichkeit als Beweis dafür, daß am Leichnam Privatrechte nicht möglich sind; denn auch dieses Persönlichkeitsrecht, worauf G-AKEIS einzig eine Verfügungsmöglichkeit über den Leichnam aufbaut, läßt sich insoweit nicht halten. 2 S. o. Zeile 7 , wo G A R E I S den Leichnam eine herrenlose „Sache" nennt — also ein offener Widerspruch!

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

21

verfüge ich damit nicht. 1 Selbst wenn ich in eine Operation willige, verfüge ich über den Leib als Substanz nicht; ich dulde freilich einen erheblichen Eingriff in meine Körperintegrität, doch es ist dies ein bewußt gewolltes Sichbeschränken, eine Handlung, die in Passivität, in Dulden besteht, und Handlungen definiert auch GAREIS als „bewußt gewollte körperliche Bewegungen oder Nichtbewegungen". Ein Dulden oder Unterlassen ist auch Handlung. Von einer Verfügung über die Körpersubstanz ist also keine Rede und kann keine Rede sein auch für die Zeit, wann die Trennung von Seele und Leib im Tode stattgefunden hat. Wo keine Persönlichkeit mehr, da auch kein Persönlichkeitsrecht. Wenn ich im Leben nicht über meine Körpermaterie gültig verfügen darf, darf ich es für den Fall des Todes auch nicht. Selbst durch eine Parallele mit dem Erbrecht, die GABEIS zu ziehen scheint, wenn er von „Verfügung über die dereinstige herrenlose Gesamtsache" redet, würde sich diese behauptete Fortwirkung des Persönlichkeitsrechts nicht begründen lassen. Uber Sachen verfügt der Testator zu seinen Lebzeiten auf den Fall seines Todes, wie er über sie verfügt auf irgend einen Zeitpunkt. Den toten Gegenstand berührt ein Wechsel seines Besitzers und Eigentümers nicht. Durch den Tod wird aber eine Person vernichtet, es entsteht etwas, das als ein futurum, etwas Neues jeder Einwirkung und Verfügung des Testators entzogen ist; an einer Scheinpersönlichkeit, zu der ein Mensch im Tode wird, können nur Scheinrechte, Scheinverfügungen möglich sein, nicht aber Persönlichkeitsrechte. Welcherlei Verfügungen über den Leichnam getroffen werden, kann ferner keinen Menschen weniger kümmern, als den Verstorbenen selbst. Nur die Uberlebenden nehmen Teil am Schicksal der Leiche; nicht der Individualwille, der einst im Leichnam gewohnt hat, spricht mehr, sondern der Wille der Uberlebenden „und der Lebende hat Recht", nämlich das Recht, in seinen heiligen Gefühlen, seiner Pietät nicht verletzt zu werden. Die Pietät schützt den Leichnam vor unwürdiger Behandlung, sie leidet

1

Vgl. 1. 13 pr. dig. ad leg. Aquil. I X , 2: dominus membrorum suorum

nemo videtur.

22

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

aber auch nicht, daß ein vor dem Tode geäußerter, ihr zuwider laufender Wille des Verstorbenen, am Leichnam vollzogen werde. Was der Verstorbene nicht für unsittlich hielt, was aber der Pietät der Uberlebenden widerspricht, ist ungültig — wo bleibt da ein R e c h t der Persönlichkeit? Es sind also, um aus dem Gesagten den Schluß zu ziehen privatrechtliche Verfügungen jeder Art, mögen sie nun vom Verstorbenen, oder dessen Angehörigen, oder sonstwem ausgehen, über den Leichnam u n m ö g l i c h , nicht nur u n s i t t l i c h ; auch aus einem behaupteten Persönlichkeitsrechte kann das Gegenteil nicht gefolgert werden. Der Leichnam ist keine Sache. II. D e r L e i c h n a m k a n n z u r S a c h e w e r d e n . Einen Fall gibt es, aber auch nur einen, in dem der Leichnam zur Sache werden kann und das nicht auf Grund irgend welchen Privatrechtes, überhaupt auf Grund keines Rechtes sondern durch einen Gewaltakt, hervorgerufen durch eine Notlage. Der Gebrauch von Leichen zu wissenschaftlichen Zwecken auf Anatomien, in Museen, durch Arzte und Gelehrte degradiert die Leiche zur Sache. Hier ist es aber nicht der individuelle einer Person, der den Leichnam zur Sache macht, sondern die gebieterische Forderung der Gesamtheit, die dem Messer des Anatomen einen Teil ihrer Mitglieder überläßt, damit er an deren Leichen lerne, wie er den andern nützen könne. Die menschliche Gesellschaft opfert einem allgemeinen, der Menschheit dienlichen Zwecke, den Anspruch auf Wahrung der Pietät. Das Leichenwesen ist ein Teil der öffentlichen Ordnung, über die der Individualwille sich nicht hinwegsetzen darf, nur im Kreise öffentlich-rechtlicher Beziehungen kann der Leichnam stehen, nicht in der Sphäre privatrechtlicher. 1 1

Vgl. F R I C K E R , a. a. 0 . S. 211 ff., der den sog. Leichenkauf, überhaupt privatrechtliche Verfügungen über Leichen verwirft und sagt: „Der Leichenkauf muß sich in Formen kleiden, welche sich der öffentlichen Ordnung scheinbar einfügen, während sie ihr in Wahrheit widersprechen. Moral und Recht, Anatomieinteresse und ökonomisches Interesse müssen diese Quelle gleichmäßig verwerfen. Wo der Leichenkauf vorkommt, ist er ein Unfug, der von der Polizei aus irgend einem Grunde übersehen wird.

§ 3.

Rechtliche Natur des Leichnams.

23

Weil es sich also um einen hohen, humanitären Zweck handelt, muß das sittliche Gefühl des Volkes in diesem Zwiespalt mit der medizinischen Wissenschaft zurücktreten, und damit diese Pietätsverletzung eine möglichst geringe sei, decken die Anatomien ihren Leichenbedarf aus solchen Leichen, um die sich die menschliche Gesellschaft nicht mehr kümmert, die sie desavouiert, die weder Angehörige noch sonst jemand zur Beerdigung reklamiert, also die Leichname hingerichteter Verbrecher, Strafgefangener, Selbstmörder, in Kranken- und Armenhäusern Verstorbener. 1 Der Machtspruch der Menschen verurteilt diese Elenden und Erbärmlichen zu tiefster Entwürdigung, und doch kommt das sittliche Gefühl bei der entwürdigenden Behandlung selbst dieser Leichen von Menschen zweiter und dritter Klasse nicht zum Schweigen. Es ist noch so stark, daß es private Rechtsgeschäfte selbst an solchen Leichen für unzulässig erklärt. Zu dem einen Zwecke, zur anatomischen Sezierung gibt die Menschheit die Leichen, wenn auch widerstrebend, hin und duldet einen Gewaltakt und eine Pietätsverletzung, allein ein Verhandeln, Verkaufen, ein privatrechtliches Verfügen über diese Leichen duldet sie nicht. Die Anatomie hat zwar Eigentum an derartigen Leichnamen, doch kann sie privatrechtliche Verfügungen darüber nicht treffen, aber das Strafrecht schützt dieses Eigentum, darum sind Sachdelikte an Anatomieleichen möglich: Sachbeschädigung, Diebstahl, Raub, Unterschlagung u. s. w. Eine Idealkonkurrenz zwischen den §§ 168 und 242 des StGB, würde allerdings unmöglich sein, nur § 242 würde hier Anwendung finden. 2 Derselben Ansicht, d. h. daß Leichen unter Umständen, also 1 Uber die Quellen, aus denen Anatomien Leichen erhalten, vgl. C r a m e r S. 19. Interessante historische Zusammenstellung! Vgl. F B I C K E K S. 2 3 7 , wenn er sagt, daß das sittliche Gefühl der Anatomie gegenüber nie zum Schweigen kommen werde, eben weil die Behandlung der Leiche als Sache dort besonders hervorträte, die Frofanation überaus stark sei, denn die A n a t ö m i e z e r s t ö r t d a s I n d i v i d u u m , die Sektion erhält wenigstens die Persönlichkeit! 2 Vgl. bezüglich des Leichenverkaufes auch MITTELSTEIN in Goltd. Archiv 34 S. 180: „Es kann durch Leichenverkauf kein juristisches, sondern nur ein tatsächliches Verhältnis begründet werden, dem eine Zwangsgewalt nicht zur Seite steht."

24

§ 4. Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

als Anatomieleichen, taugliches Objekt von Sachdelikten 1 werden können, sind die meisten Strafrechtslehrer: so OLSHAUSEN, Kommentar zu § 242 Nr. 7, O P P E N H O P F , Kommentar zu § 168 Nr. 3, v. L I S Z T S. 401, B I N D I N G , Handb. I S. 707 § 147 III, R Ü D O B F F , Kommentar zu § 168 Nr. I I , SCHÜTZE S . 348 Nr. 18, HÄLSCHNER II,

7 1 7 , H . M E Y E R S . 5 3 4 , MEVES, G S . 2 7

a. M . CBAMER handlung.

S.

S. 869,

59, vgl. dazu im übrigen

S.

CRUSEN S . 5 1 ;

13 dieser Ab-

§ 4. Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

Die voraufgehenden Betrachtungen haben ergeben, daß der Leichnam keine Sache ist; den Ausnahmefall, daß er in der Anatomie zur Sache werden kann, lassen wir fernerhin beiseite. Nun haben wir bereits in unserer Betrachtung S. 8 ff. gesehen, daß der Leichnam zu den verschiedenen Zeiten in den verschiedenen Rechten bald als Sache, bald als Nichtsache behandelt worden ist; entsprechend ist ein Verbrechen am Leichnam bald Sachbald Religionsdelikt gewesen. Darum soll die folgende Betrachtung der Beantwortung der Fragen gewidmet sein: Was war früher Objekt des Deliktes des „Leichendiebstahls" 2 und was ist es jetzt? Wie wurde und wird letzterer gestraft? Chronologisch vorzugehen empfiehlt sich auch hier, da aus der geschichtlichen Betrachtung klar hervorgeht, wie im Laufe der Jahrhunderte eine anfänglich gesunde und durchaus zutreffende Ansicht nach mehrfachen unerquicklichen, zum Teile krassen Wandlungen ihren Niederschlag in unzureichender und ungeschickter Form in unsrem RStGB. gefunden h a t 1

Wird jedoch eine Anatomieleiche den Angehörigen zur Bestattung zurückgegeben, so wird sie wieder zum Gegenstand voller religiöser Achtung, und das Delikt des § 168 wird wieder daran begehbar. a Im folgenden, gleichbedeutend mit Leichenraub, mit letzterem Ausdruck abwechselnd gebraucht.

24

§ 4. Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

als Anatomieleichen, taugliches Objekt von Sachdelikten 1 werden können, sind die meisten Strafrechtslehrer: so OLSHAUSEN, Kommentar zu § 242 Nr. 7, O P P E N H O P F , Kommentar zu § 168 Nr. 3, v. L I S Z T S. 401, B I N D I N G , Handb. I S. 707 § 147 III, R Ü D O B F F , Kommentar zu § 168 Nr. I I , SCHÜTZE S . 348 Nr. 18, HÄLSCHNER II,

7 1 7 , H . M E Y E R S . 5 3 4 , MEVES, G S . 2 7

a. M . CBAMER handlung.

S.

S. 869,

59, vgl. dazu im übrigen

S.

CRUSEN S . 5 1 ;

13 dieser Ab-

§ 4. Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

Die voraufgehenden Betrachtungen haben ergeben, daß der Leichnam keine Sache ist; den Ausnahmefall, daß er in der Anatomie zur Sache werden kann, lassen wir fernerhin beiseite. Nun haben wir bereits in unserer Betrachtung S. 8 ff. gesehen, daß der Leichnam zu den verschiedenen Zeiten in den verschiedenen Rechten bald als Sache, bald als Nichtsache behandelt worden ist; entsprechend ist ein Verbrechen am Leichnam bald Sachbald Religionsdelikt gewesen. Darum soll die folgende Betrachtung der Beantwortung der Fragen gewidmet sein: Was war früher Objekt des Deliktes des „Leichendiebstahls" 2 und was ist es jetzt? Wie wurde und wird letzterer gestraft? Chronologisch vorzugehen empfiehlt sich auch hier, da aus der geschichtlichen Betrachtung klar hervorgeht, wie im Laufe der Jahrhunderte eine anfänglich gesunde und durchaus zutreffende Ansicht nach mehrfachen unerquicklichen, zum Teile krassen Wandlungen ihren Niederschlag in unzureichender und ungeschickter Form in unsrem RStGB. gefunden h a t 1

Wird jedoch eine Anatomieleiche den Angehörigen zur Bestattung zurückgegeben, so wird sie wieder zum Gegenstand voller religiöser Achtung, und das Delikt des § 168 wird wieder daran begehbar. a Im folgenden, gleichbedeutend mit Leichenraub, mit letzterem Ausdruck abwechselnd gebraucht.

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

25

A. G e s c h i c h t e . a) Römisches R e c h t . 1

In Rom war das Delikt des Leichendiebstahls oder -raubes die sepulcri violatio, auf der Todesstrafe stand, Dig. 47, 12, Cod. IX, 19; nur durch sie war das Verbrechen begehbar. Was in älterer Zeit als eigentliches Objekt des Delikts angesehen wurde, ist nicht belegt; indesen wird man nicht fehlgehen, wenn man es bei dem streng religiösen Charakter der Römer als sakrales Verbrechen auffaßt. Im zweiten Jahrhundert n. Chr. findet sich der Leichenraub unter den delicta publica, was daraus erhellt, daß gegen die Täter eine Popularklage gegeben war; die Verurteilung zog Infamie nach sich. Paulus 1, 21 Dig. 47, 12 reiht den Leichen- und Gräberfrevel besser unter die delicta extraordinaria, und G O B D I A N bezeichnet ihn, christlichen Anschauungen entsprechend, Cod. IX, 19 als crimen laesae religionis. So bildete bereits in Rom die achtungsvolle Scheu vor dem Toten, das Gefühl seiner Unverletzlichkeit das Objekt des Leichenraubes; wahrlich eine sittlich hochstehende Auffassung, vor der sich das Strafgesetzbuch manches modernen Staates beugen muß! b) Germanisches R e c h t . 2

Auch das alte deutsche Recht in den Kreis unserer Betrachtung zu ziehen, verlohnt sich insofern, als es überraschend viele und zum Teil sehr eingehende Bestimmungen gerade über den Leichenfrevel und seine Ahndung bietet. 3 Zwar um die genaue rechtliche Qualifizierung des Deliktes kümmert es sich kaum, dazu ist es zu ursprünglich und rudimentär; der Gedanke jedoch, daß Leichenraub als Sachdelikt aufgefaßt werde, taucht 1

Vgl. hauptsächlich MOMMSEN, Köm. StR. in BINDINQS Handbuch 1, IV,

S. 812 f. 2 Vgl. hauptsächlich WILDA, Strafrecht der Germanen.

Literatur und

Zitate a u c h bei CBAMER S. 5 1 / 5 2 . 3

Uberhaupt erscheint die Verletzung des Totenfriedens bei vielen noch auf niedriger Kulturstufe stehenden Völkern, wo der Totenkultus einen Hauptbestandteil der Keligion ausmacht, als eines der schwersten Verbrechen.

26

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

nirgends auf. Gerade in diesem Punkte hat das germanische Strafrecht vielmehr seinen ursprünglich sakralen Charakter gewahrt. Die irdische Gerechtigkeit leiht dem rächenden Zorne der beleidigten Gottheit ihren Arm; daher auch die oft gräßlichen Strafen, so Opferung nach der lex Frisionum, add. XII, 1! Doch wurde nicht das religiöse Gefühl der Uberlebenden geschützt, man suchte vielmehr direkt die zürnenden Götter zu versöhnen, j a vielleicht auch den Groll dessen, der zu Odin gefahren war und eine Verunglimpfung seines Leichnams schwer gerächt haben würde. Aberglaube und Gespensterfurcht wirkten also auch hier zusammen, um dem Delikte den Charakter eines Religionsverbrechens aufzudrücken. Nach dem salischen Gesetze 1 ist die Strafe des Leichenraubes und der Gräberschändung die Friedlosigkeit, wie sie auf allen Friedensbrüchen, so auch auf dem des Totenfriedens steht: . . . si quis corpus iam sepultum effoderit ant exspoliaverit, wargus sit, . . . Die lex ßibuariorum 85, 2 ed. SOHM hat die Strafe der Friedlosigkeit für Leichenraub nur noch an zweiter Stelle. Und nicht nur Leichenraub, sondern die damit meist zusammenhängende Mißhandlung und Ausplünderung von Leichen wurden mit strengen Strafen und hoher Buße geahndet. In jenen fehdelustigen Zeiten der Blutrache und Selbsthilfe mag j a auch öfter ein Erschlagener im Wald, oder auf der Weide zu finden gewesen sein, und die Gottheit forderte, keinen Leichnam, auch den des Unbekannten, des Feindes, j a des Friedlosen nicht draußen unbedeckt zum Fräße der Vögel und wilder Tiere liegen zu lassen. Darum galt es auch als schwerster Frevel, den Leichnam dessen, den man getötet, oder nur als Leiche gefunden hatte, weiter zu beschädigen und zu verstümmeln. 2 So sagt lex Baiuvarorum XVIII, cap. 5: Simili modo, quicunque cadaver hominis laeserit, quem alter 1

Lex Sal. emend. 55, II editis B E H R E N D . Im Kampf brachten die Kecken jener rauflustigen Zeit einander die schwersten Wunden und Verstümmelungen bei, vgl. das Waltharilied, doch am Leichnam des Feindes ihren Zorn auszulassen, verschmähten sie. In diesem Punkte steht ein germanischer Held höher als Achill,' der die Leiche Hektors schleift. 2

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

27

interfec[er]it, si Caput mutaverit, si manum praeciderit, si pedes, si aurem, si tantum quod profusionem sanguinis reputamus de mortuo, tarn minima tarn maxima plaga, Semper cum XII solidis . . . etc.1 Ausplünderung von Leichen, „valrof" wird auch in den Volksrechten erwähnt, die Strafen für deren Verstümmelung und Mißhandlung nicht kennen. In den sogenannten Gesetzen König Heinrichs heißt es einmal: . . . qui aliquem quocunque modo peremit, videat ne „weilref" faciat. Weilref dicimus, si quis mortuum resabit armis aut vestibus, aut prorsus aliquibus, aut tumulatum aut tumulandum. § 4: Et quis corpus in terra vel nosso vel petra, sub Pyramide vel structura qualibet positum sceleratus infamationibus effodere vel exspoliare praesumpserit, wargus habeatur. Nach manchen Volksrechten wirkt der nach der Bestattung verübte Leichenraub straferhöhend. c) Das kanonische R e c h t . '

Das kanonische Recht faßt natürlich den Leichenraub als reines Religionsverbrechen auf, gerichtet gegen die Heiligkeit der Kirche und des Todes. Es zählt den Leichenraub zu den sacrilegia, unter welchen Begriff ja die verschiedensten Delikte fielen, so daß stets näher spezialisiert wurde und nur selten sacrilegium schlechthin die Bezeichnung eines kirchlichen Verbrechens war. Einbrechen in Kirchen, Plündern der Grüfte, Herausnehmen von Leichen aus Gräbern — all das waren sacrilegia. So heißt es Hincm. Rhem. cap. superadd. 857, c. 2 M 15, 492 (von HINSCHIUS V S. 228 zitiert): Sacrilegium est, corpus indevote ac irreligiöse propter cupiditatem sepulcro eicere. Unter den Sakrilegien finden sich viele Verbrechen, die schon in den alten germanischen Volksrechten mit dem Tode und im Verlaufe des Mittelalters ebenfalls mit Strafen an Leib und Leben bedroht waren; alte heidnische Anschauungen haben hier lange Zeit fortgewirkt, wenn auch in christlichem Gewände. In der Folgezeit wurden Sakrilegien auch von weltlichen Gerichten 1 In dieser Hinsicht steht dieses uralte Volksgesetz höher als unser StGB., das keine speziellen Strafen für Mißhandlung von Leichen kennt. Vgl. u. S. 48. 2 Vgl. HINSCHIUS, Bd. V S. 227/228, S. 321.

28

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

abgeurteilt, und die Kirche trat dieser Kompetenzerweiterung, die ja in ihrem Interesse war, nicht entgegen. So entwickelte sich teils eine elektive, teils eine kumulative Konkurrenz des weltlichen und des geistlichen Forums, teils wurden nur gewisse Fälle des Sakrilegs vor das weltliche Gericht gezogen und die Ahndung der übrigen dem geistlichen Richter überlassen. Unter letzteren findet sich zumeist der Leichenraub, der mit den kirchlichen Strafen der excommunicatio und Infamie belegt ist, soweit nicht im Mittelalter strengere Strafen eingetreten sind. d) Das gemeine Hecht.

Das Delikt der sepulcri violatio ohne Modifizierungen zu rezipieren, ging schon deshalb nicht an, da diese ein spezifisch römisches Delikt war. So wurde denn nach gemeinem Rechte der Leichenraub in Deutschland zwar nach den Grundsätzen bestraft, die für die sepulcri violatio und ihre Ahndung leitend gewesen waren, aber nie als solche selbst, keinesfalls jedoch als Sachbeschädigung, wie von mancher Seite gelehrt wurde. Man kann also behaupten, daß der Leichenraub im gemeinen Rechte als Religionsverbrechen bestraft worden ist, analog der römischen sepulcri violatio. Spezielle Bestimmungen finden sich weder in der Carolina, noch in den deutschen Reichsgesetzen. Die Strafe war eine poena arbitraria. Die schweren römischen Strafen, die besonders seit Constantin, also seit Einführung des Christentums, in Anwendung gelangt waren, fielen weg, doch strafte Preußen z. B. noch 1620 den Leichenraub mit dem Tode. e) Deutsche Partikulargesetze. 1

Der im römischen, germanischen und gemeinen Rechte als reines Religionsdelikt aufgefaßte Leichenraub wurde in vielen deutschen Partikulargesetzgebungen des 19. Jahrhunderts in bedauerlicher Verkennung der durchaus religiösen Natur des Deliktes zum Sachverbrechen gestempelt. Die Bezeichnung „Leichendiebstahl" ist hier im eigentlichen Sinne des Wortes voll an1

Ausführliche Literaturangaben bei GRÜSEN S . 13, der auch die ausländische Gesetzesliteratur nach Völkergruppen geordnet in §§ 1 8 — 2 4 sorgfältig zusammenstellt. Vgl. auch BERNEB § 2 4 5 .

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

29

wendbar, vielleicht liegt hier der Ursprung dieses jetzt irreführenden und schlechten Ausdrucks. In den Strafgesetzbüchern Sachsens, Badens und Württembergs wird der Leichenraub unter den Eigentumsvergehen aufgeführt. So sagt z. B. das StGB. des Königreichs Sachsen in Kap. 15: —Von anderen B e e i n t r ä c h t i g u n g e n f r e m d e n E i g e n t u m s — Art. 331: „Die Entwendung von Leichen oder Teilen derselben aus Gräbern, Grabgewölben, Leichenhäusern oder dem Gewahrsam derer, welche die Leichen in ihrer Obhut haben, wird mit Gefängnis . . . bestraft. Baden fixiert in § 571 eine besondere Strafe auf Entwendung und Verstümmelung einer Leiche; in der dabei verübten Beschädigung von Kirchhöfen, Gräbern oder Grabmälern sieht es einen Erschwerungsgrund. Hannover straft den Leichenraub als privilegierten Diebstahl erster Klasse (290), es setzt auf Entwendung eines Leichnams drei bis sechs Monate Arbeitshaus, welche Strafe sich verdoppelt, wenn Totengräber oder Aufseher die Täter sind. Braun schweig 219, Darmstadt 377/78, Thüringen 219, Osterreich 278, 306 — sie alle rechnen den Leichendiebstahl unter die Sachdelikte. Das StGB, von Bayern von 1861 unterscheidet in § 250 zwei Grade: 1. Entwendung, Mißhandlung, Mißbrauch einer Leiche zu unerlaubten Zwecken. — Strafe: Gefängnis bis zu sechs Monaten, oder Geldbuße bis zu 500 fl. 2. Unbefugten Gebrauch einer Leiche zu unerlaubten Zwecken. — Strafe: Arrest oder Geldbuße bis zu 150 fl. Auch das preußische Landrecht stempelt Titel 20, 14. Abschnitt 1 den Leichenraub zu einer besonderen Art des Diebstahls. Ist der Totengräber Täter, so erhöht sich die Strafe bedeutend, vgl. § 1153. Doch mengt das preußische Landrecht bereits zwei Auffassungen in der rechtlichen Qualifizierung des Leichenraubes durcheinander und bildet so gewissermaßen die Brücke zum preußischen StGB. Die §§ 1154/55 bestimmen nämlich, daß, wenn andere Personen Leichen entwenden, sie auf Antrag der 1

Der „von Entwendungen" handelt.

30

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

Angehörigen des Verstorbenen als I n j u r i a n t e n , ohne einen solchen Antrag jedoch wegen Leichendiebstahls bestraft werden sollen. Eine rühmliche Ausnahme bildet nun der code pénal und das preußische StGB., das den Leichenraub im 10. Titel unter den „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen", aufführt und in § 137 sagt: „Wer unbefugt eine Leiche oder einen Teil derselben aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person 1 wegnimmt, ingleichen wer unbefugt Gräber zerstört oder beschädigt, oder an denselben beschimpfenden Unfug verübt, soll mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft werden. Liegt der Handlung gewinnsüchtige Absicht zugrunde, so ist zugleich auf zeitige Entziehung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen." Die Fassung dieses Paragraphen ist um deswillen bedeutsam, weil das Reichsstrafgesetzbuch, wie im allgemeinen, so auch in Inhalt und Fassung dieses Paragraphen sich auf das preußische Strafgesetzbuch stützt. f) § 168 des Reich.sstrafgesetzbu.chs.

Schon bei der Beratung des preußischen StGB, war die rechtliche Qualifizierung des Leichenraubs Gegenstand heftiger Debatten. Hier Sachdelikt, Diebstahl — hier Entweihung des Totenfriedens, Religionsvergehen. Letztere Ansicht drang durch. 2 Da nun in vielen Fällen Leichenraub erst durch Gräberschändung begehbar ist, beide Delikte also oft in Konkurrenz treten, so wurde auch die Gräberschändung mehr als Religions- als Sachdelikt aufgefaßt. Deshalb bestraft das preußische StGB, in § 137 Gräberzerstörung und Leichenraub gleich; Zerstörung eines Grabmals dagegen wurde mehr als Sachbeschädigung geahndet. Das RStGB. hat nun die Gründe, die für § 137 des preußischen StGB maßgebend waren, stillschweigend auch für sich 1

Hier taucht zum ersten Male der vage Begriff: „Gewahrsam der dazu berechtigten Person" als Objekt des Deliktes auf. 2 Vgl MEVES, GS. XXVII, S. 324 ff, Goltd. Materialien zum preuß. StGB. Bd. I I S. 2 7 1 . OLSHAUSEN ZU § 2 4 2 Nr. 7.

§ 4.

Objekt , des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

31

anerkannt. Nur eine Änderung trifft es: Es bestraft die Wegnahme von Leichenteilen in § 367 1 als besonderes Vergehen, offenbar um allzugroße Härte gegen Arzte und Studierende der Medizin zu vermeiden. Es stempelt also dieses Vergehen zu einem „Standesdelikt der Mediziner". Unser RStGB. führt nun im 11. Abschnitt unter der Uberschrift: „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen" den Leichenraub in § 168 auf; es sagt: „Wer unbefugt eine Leiche aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person wegnimmt, . . . wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden." Nach dem Wortlaute des Paragraphen ist Objekt des Deliktes „der Gewahrsam der dazu berechtigten Person", nach Auffassung, Geschichte und Anordnung des Deliktes darf man wohl sagen, daß das eigentliche Objekt das religiöse Gefühl, speziell die Pietät der Uberlebenden ist. 1 B. O b j e k t des D e l i k t e s n a c h h e u t i g e m

Rechte.

Die geschichtliche Darstellung hat den Beweis für die Natur des Leichenraubes als eines Religionsvergehens erbracht, denn römisches, germanisches, kanonisches, gemeines, französisches und modernes deutsches Recht führen den Leichenraub unter den Religionsverbrechen auf. Die Auffassung der Partikulargesetze, siehe oben S. 28, 29 ist abwegig, singulär und als Ausnahme zu betrachten. Ein Sachdelikt an Leichen ist unmöglich, denn der Leichnam ist keine Sache. Die Verunglimpfung des Toten verletzt diesen ebensowenig, wie eine Verletzung Gottes möglich ist, der Tote als solcher ist demnach auch nicht Objekt des Deliktes. Auch gegen die Angehörigen als solche richtet sich das Delikt nicht, denn die verwandtschaftlichen Beziehungen werden nur bei Lebzeiten der Angehörigen vom Gesetze besonders geschützt. Der Unfug an Leichen ist eine Art MajestätsVerletzung — „im Leichnam reichen sich die Majestät des Lebens und des Todes die 1

Vgl.

CRUSEN,

Rechtsgut der Pietät.

32

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

Abschiedshand", sagt B I N D I N G poetisch und treffend — nicht Beleidigung, wie ja auch die MajestätsVerletzung nicht die Person des Landesherrn schlechthin, sondern vielmehr die Majestät der Krone trifft, die Unantastbarkeit des Fürsten, das Gefühl ehrerbietiger Scheu verletzt, die das Volk vor seinem Herrscher hegt. So verletzt das gottlose Tun des Leichenräubers das den Uberlebenden innewohnende tiefreligiöse, sittliche Gefühl von der Unnahbarkeit der Majestät des Todes — einer Feststellung, wie vieler Menschen Pietät, oder ob überhaupt eines Menschen Pietät verletzt ist, bedarf es nicht! 1 Die Pietät ist Objekt des Deliktes und zwar die aller Überlebenden, nicht nur der Angehörigen des Verstorbenen, denn das Gefühl der Unantastbarkeit des Toten lebt in jeder, auch der verrohtesten Menschenbrust. Die Nichtachtung des Totenfriedens eines Individuums verletzt die Gattung in ihren heiligsten Gefühlen, nicht verwandtschaftliche, noch konfessionelle 2, sondern allgemein menschliche, moralische Gesichtspunkte sind hier maßgebend. 3 Der Ausdruck „Störung des Totenfriedens, der Totenruhe", wie er mehrfach, so auch RG. 12. III. 1885, Bd. XII S. 168 gebraucht wird, um das Objekt des Deliktes zu bezeichnen, will zwar im Grunde dasselbe bedeuten, wie die hier eben dargelegte Anschauung — denn die Uberlebenden halten die Toten und ihre Grabstätten heilig, sie umkleiden dieselben mit dem schützenden Totenfrieden — doch kann er leicht mißverstanden werden, insofern als man eine Verletzung des Toten selbst darin sieht, die doch unmöglich ist; der Tote ist nicht Subjekt, sondern Objekt des Totenfriedens, er wird befriedet. C R U S E N führt in seiner Analyse des Pietätsgefühls treffend aus, wie zu dem Pietätsgefühle, das im Gedenken der Uberlebenden die 1

Vgl. u. S. 42. So KOHLER S. 205: „Dieses Friedensinteresse der Leiche ist ein Interesse religiöser Art, aber allerdings ohne Rücksicht auf eine spezielle Religion; es ist ein Interesse ohne bestimmtes Interessesubjekt; die Leiche ist nicht Subjekt, auch nicht die Seele des Verstorbenen, denn sie steht nicht mehr im Kreise des Rechtsverkehrs. 2

3

A . M. CRUSEN, HÄLSCHNER I I S. 716, MEYER S. 1 0 1 6 ; e b e n s o v. LISZT

S. 400, MEVES, G S . 27 S. 3 2 4 ff.

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

33

Persönlichkeit des Verstorbenen fortleben läßt, ein rein religiöses Moment hinzutritt. Er führt aus, daß der Lebensprozeß, das Zusammenwirken mit Natur und Menschheit, ein langer Kampf sei von dem der Tod erst erlöse. Daher fordern wir am Grabe unbedingten Frieden. Wie das Urteil der Menschen verstummt — de mortuis nil nisi bene! — so soll auch der Leib Ruhe haben, zwar nicht vor der Zerstörung durch elementare Kräfte, denn es soll zu Erde werden, was von der Erde genommen ist, wohl aber vor jedem Eingriffe menschlicher Handlungen. So kommt C K U S E N zum Erfordernis des Schutzes des Totenfriedens, der seinen Grund und Ursprung eben im Pietätsgefühl der Uberlebenden findet. Beiläufig sei hier erwähnt, daß das Strafrecht des Mittelalters den Totenfrieden bei den Leichen derer nicht schützte, die unehrlich gelebt hatten, oder unehrlich gestorben waren, so der Huren, Selbstmörder und der Hingerichteten; an den Körpern der letzteren wurden sogar noch oft Strafen vollzogen: AufsRad-Flechten, Verbrennen, Vierteilen, Zwicken und Zerreißen mit Zangen. Die Profanation dieser Leichname verletzte also das Pietätsgefühl nicht. Aus diesen Leichen wurde auch zuerst der Bedarf der Anatomie gedeckt, es spricht sich also auch hierin der Gedanke aus, daß solche Menschen dritter und letzter Klasse nicht voll berechtigt, auch im Tode nicht, sind, vgl. oben S. 23. Das RStGB. setzt nun an die Stelle des Pietätsgefühls, oder sonst eines immateriellen Rechtsgutes 2 als Objekt des Deliktes 1

Vgl KOHLEB S. 204: „Der Lebende steht im Kampfe individuellen Daseins; eine Menge von individuellen Aspirationen umhüllen die göttliche Bestimmung, und erst, wenn die Schlacke des Daseins gelöst, der Mensch aus dem Kampfe getreten ist, erst dann tritt das Individuelle zurück und der Körper als eine Emanation eines durchgeistigten Bildungstriebes tritt in seine neuen Rechte" (etwas phantastisch!). * Vgl. OPPENHEIM, Die Objekte des Verbrechens, S. 307: „Der Mischtatbestand des § 168 umfaßt drei Fälle: 1. die unbefugte Wegnahme einer Leiche aus fremder Gewahrsam, 2. die unbefugte Zerstörung oder Beschädigung eines Grabes, 3. die Vermutung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe. Schutzobjekt dieser drei Fälle ist das Pietätsgefühl, welches die Überlebenden mit den Toten verknüpft, im 2. und 3. Falle ist das Objekt ein Grab, im 3. Fall aber enthält die Beziehung der Unfugshandlung zu ihrem räumlichen Objekte (dem Grabe) den Angriff auf das Schutzobjekt (die Pietät). MERKEL, L e i c h e n r a u b .

3

34

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

des § 168 den Gewahrsam der dazu berechtigten Person ein, man könnte also mit O P P E N H E I M (vgl. Anm. 2 auf S. 33) sagen: Die Beziehung der Handlung zu ihrem Objekte (dem Gewahrsam) enthält den Angriff auf das zu schützende, nicht genannte Objekt: das Pietätsgefühl. Doch setzt der klare Wortlaut des § 168 einzig und allein den „Gewahrsam" als Objekt ein — ein unzureichender Ersatz für die Pietät, und ein ziemlich vager Begriff dazu! Es fragt sich nun, welche Handlungen sich unter die Formel des § 168 subsummieren lassen. Nicht die Wegnahme einer jeden Leiche ist danach strafbar, sondern nur derjenigen, wo folgende drei Bedingungen erfüllt sind: 1. die Leiche muß sich im G e w a h r s a m eines anderen befinden, und zwar 2. desjenigen, der d a z u b e r e c h t i g t ist. 3. Durch die Wegnahme muß das Pietätsgefühl verletzt werden. Letzteres Erfordernis ist aus der Stellung des § 168 unter den Religionsvergehen zu folgern. 1. Gewahrsam.

Sich anlehnend an den Wortlaut des § 137 des preußischen StGB, nimmt § 168 des RStGB. den Ausdruck „Gewahrsam der dazu berechtigten Person" herüber. „Damit scheint der Gesetzgeber ganz die Vertretung des öffentlichen Interesses aufzugeben und nur die Verletzung des Privatinteresses zu bestrafen. Die Öffentlichkeit wird doch durch die Wegnahme einer Leiche ebenso alteriert, wenn sie dem Berechtigten, wie wenn sie einem anderen weggenommen wird, ja der wirklich Berechtigte ist häufig überhaupt schwer festzustellen." 1 Der Gesetzgeber hat den Ausdruck „Gewahrsam" und nicht „Besitz" oder „Eigentum" gewählt, denn die Leiche ist keine Sache und unfähig, Gegenstand von privatrechtlichen Machtäußerungen zu sein. Darum gebraucht der Gesetzgeber eben den schwächsten 1

Vgl.

RLUMENSATH S .

30.

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

35

Ausdruck: „Gewahrsam", vgl. § 246 StGB, und drückt auch damit aus, daß Leichenraub kein Sachdelikt ist. Der Begriff' „Gewahrsam" gehört nun aber vorwiegend dem Sachenrechte, dem Privatrechte an. Ist jedoch der zivilrechtliche Begriff des Gewahrsams derselbe, wie der strafrechtliche? Das BGB. kennt den Gewahrsam nicht mehr (vgl. aber CPO. §§ 808.809), wohl aber definiert ihn D E K N B U E G für das gemeine Recht als das Machtverhältnis über eine Sache, welches des possessorischen Schutzes entbehrt. An dem Leichnam ist dieser Gewahrsam unmöglich, denn er ist keine Sache, und an ihm kann kein Machtverhältnis bestehen, die einzigen Handlungen, die mit ihm vorgenommen werden sollen, sind die Beerdigung und die Vorbereitungen dazu. Gewahrsam im strafrechtlichen Sinne ist ein rein tatsächliches Verhältnis — eam enim rem facti, non iuris esse — er ist nach VILLNOW, GS. 31, S. 584 ff. „das tatsächliche Innehaben der Leiche ohne die Absicht, sie für sich zu haben". Jede privatrechtliche Willensäußerung fällt fort, und es bleibt ein bloßer Zustand, ein bloßes Obhutsverhältnis übrig. 1 Nur die rein faktische Seite hat der strafrechtliche Gewahrsam also mit dem zivilrechtlichen gemein, mag man letzteren nun mehr der possessio, oder der detentio als verwandt auffassen. Wollte man aber auf jeden Fall eine Analogie mit dem Sachenrechte haben, so muß man mit K Ö H L E R den Gewahrsam nicht mit der detentio, sondern mit der possessio des gemeinen Sachenrechts in Parallele setzen; vor allem hat die Mittelsperson, durch die jemand den Gewahrsam an der Leiche ausübt, nicht selbst den Gewahrsam, sie ist in dieser Hinsicht als Besitzdiener oder -gehilfe des BGB. § 835 anzusehen. 2 1

Darum will C R U S E N S . 4 2 das Wort „Gewahrsam", eben der Verwandtschaft mit dem Privatrecht halber, durch „Obhut" ersetzt wissen, ebenso v. L I S Z T S . 401, V I L L N O W , G S . 3 1 , 584, K O H L E R I , 2 1 1 , O L S H A U S E N zu S

168,

Nr.

4"; a.

M.

HÜLSCHNER

II,

S.

717

u.

a.

2

Vgl. zur Bekräftigung dieser Ansicht auch F I S C H E R - H E N L E , Anm. 4 zu § 835, wo der Besitzdiener als unselbständiger Detentor im Gegensatze zum Besitzmittler oder selbständigen Detentor des S 868 des BGB. bezeichnet wird. 3"

36

§

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung. 2. A. Die berechtigte Person.

In der Berechtigung zum Gewahrsam und dessen Ausübung sind zwei Stadien zu unterscheiden: ot) Vom T o d e bis zur B e s t a t t u n g .

Berechtigt zum Gewahrsam können die mannigfachsten Personen sein, denn da der Gewahrsam ein rein faktisches Verhältnis ist, können auch die verschiedensten tatsächlichen Beziehungen zu einem Leichname Platz greifen. Von einem Rechte auf die Leiche spricht das StGB, nicht, und kann es nicht sprechen, sondern einem Rechte auf Gewahrsam, und dieses Recht ist ein Ausfluß vor allem der familienrechtlichen Beziehungen zur Leiche. Übrigens korrespondieren, wie fast stets, Berechtigung und Verpflichtung auch hier: Wer zur Bestattung verpflichtet ist, ist zum Gewahrsam berechtigt. Voraussetzung ist dabei natürlich, daß die betreffende Person auch imstande ist, den Gewahrsam auszuüben. Dazu sind aber Unmündige, Geisteskranke und Entmündigte nicht fähig, trotzdem der Gewahrsam nur ein tatsächliches Verhältnis ist, denn die daraus entspringenden rechtlichen Verpflichtungen vermögen die eben genannten Personen gültig nicht zu erfüllen. Verpflichtet zur Beerdigung sind nun nach dem BGB. folgende Personen: In erster Linie der Erbe, vgl. § 16152. § 1968 führt ja unter den Nachlaßverbindlichkeiten auch die standesgemäße Beerdigung des Erblassers auf. 1 Sterbekassen und Begräbnisvereine, die durch Vertrag die Beerdigung übernommen haben, sind natürlich vor allen anderen zur Bestattung verpflichtet. Uber die Beerdigungspflicht unehelicher Kinder bestimmt § 1713 a des BGB.: „Die Kosten der Beerdigung hat der Vater zu tragen, soweit ihre Bezahlung nicht von dem Erben des Kindes zu erlangen ist." Ferner muß nach § 844 1 der Töter dem sonst Verpflichteten die Beerdigungskosten ersetzen. Subsidiär liegt die Bestattungs1

ALR. II, Tit. 1 § 434 legt dem überlebenden Ehegatten die Beerdigungspflicht auf.

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

37

pflicht und entsprechend der Gewahrsam jedem ob, der dem Verstorbenen, wenn er noch lebte, Alimente schulden würde, also das Kranken-, das Armenhaus, das Gefängnis, die politische Gemeinde u. s. w. Mehrere Verpflichtete üben den Gewahrsam gemeinsam aus, Prävention entscheidet auch hier. Erfordernis des berechtigten Gewahrsams ist auch die räumliche Beziehung des Leichnams zu den betreffenden Verpflichteten und Berechtigten. Wird der Leichnam schon vor der Beisetzung auf den Friedhof, in die Parentationshalle aus den Räumlichkeiten des Verpflichteten übergeführt, so erhält der Eigentümer des Kirchhofes den Gewahrsam —• jede Veränderung des Ortes hat auch meist eine Änderung der Person des zum Gewahrsam Berechtigten zur Folge. Der die Überführung ausübende Fuhrwerksbesitzer, die Grabzunft u. s. w. ist als Mittelsperson zum Gewahrsam nicht berechtigt, vielmehr wird je nach der Lage des Falles entweder der Bestattungsverpflichtete, oder der Kirchhofseigentümer die zum Gewahrsam berechtigte Person sein. Bei einem Eisenbahntransport dagegen hat die Eisenbahnverwaltung den berechtigten Gewahrsam an der Leiche. ß) N a c h der B e s t a t t u n g .

Mit der Beisetzung erhält der Eigentümer des Begräbnisplatzes den Gewahrsam an der Leiche, also die Kirche, die politische Gemeinde, oder sonst eine juristische, oder private Person. 1 Nach K Ö H L E R ist dies ein publizistisches Recht, beruhend auf der öffentlichen Aufgabe des Gemeindeverbandes, Anstalten zur Wahrung des Totenfriedens zu halten. Dieses öffentliche Recht der Gemeinde ist weniger widerstandsfähig, als das private; Eingriffe der Staatsgewalt in ihren berechtigten Gewahrsam an den Kirchhofsleichen wird die Gemeinde also wohl dulden müssen. 2 Der Eigentümer des einzelnen Grabes hat den Gewahrsam 1

Ebenso RÜDORFF, Kommentar zu § 168 Nr. 3, OLSHAUSEN, Kommentar

z u § 168 N r . 4 b , CRUSEN S. 45. 8

R G . I V . 28. J a n . 96 E n t s c h . 28, 139.

So bei Ausgrabungen der Leichen berühmter Männer und Überführung derselben in Kirchengrüfte oder Mausoleen.

38

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

nicht. Wenn freilich die Begräbnisstätte von den übrigen Gräbern durch Gitter, Zäune, Mauern u. dergl. getrennt ist, so daß nur der Eigentümer zu der betreffenden Gruft oder Grabstätte unter Ausschluß der anderen Zutritt hat, so hat nur der Eigentümer den berechtigten Gewahrsam. C H Ü S E N S. 45 führt noch den Fall an, daß der Eigentümer der Grabstelle dann zugleich Detentor ist, wenn sich dieselbe auf seinem Grund und Boden befindet. An solchen Leichen, die in abgesonderten Gräbern, Grüften u. dergl. bestattet sind, kann unzweifelhaft auch der Totengräber, der Friedhofsbeamte das Delikt des § 168 begehen, denn an diesen Leichen steht ihm unbestritten kein Gewahrsam zu.1 Nach den Ausführungen oben S. 35 ist der Totengräber nur die Mittelsperson, durch die der Eigentümer des Kirchhofs seinen Gewahrsam ausübt, er hat eine dem Besitzdiener des BGB. analoge Stellung, dem ja der Besitz selbst auch nicht zusteht. Ist die Leiche noch unbeerdigt, steht sie in der Parentationshalle, oder sonst einem zur zeitweiligen Aufbewahrung bestimmten Räume, so könnte es zweifelhaft sein, ob nicht doch der Totengräber, der mit der Beaufsichtigung der betreffenden Räumlichkeiten betraut ist, damit auch den Gewahrsam an der Leiche hat. Doch wird auch hier in Analogie des Besitzdieners und in Anbetracht dessen, daß der Totengräber diesen Gewahrsam nur in einem Abhängigkeitsverhältnis für den Berechtigten ausübt, die Ansicht sich halten lassen, daß der Gewahrsam dem Eigentümer der betreffenden Räumlichkeiten allein zusteht. Nach alledem kann auch der Totengräber Subjekt des Deliktes aus § 168 sein.2 1

S o MEVES, G S . 27, 3 6 8 , VILLNOW, G S . 3 1 , 5 8 4 , OPPENHOFF ZU §

168,

N r . 2, RUDORFF, K o m m , z u § 168, N r . 3, OLSHAUSEN, K o m m , z u § 168, N r . 4 B , KOHLER S. 2 1 7 ; a. M . : CRUSEN S. 4 5 , d e r

den Totengräber

nur

eines

dis-

ziplinar zu ahndenden Amtsvergehens schuldig spricht, SCHWARZE, Komm, zu § 1 6 8 N r . 2, MERKEL S. 3 7 3 . 2

Das italienische StGB, straft in Art. 144 die Wegnahme von Leichen durch den Totengräber sogar als qualifiziert, indem es das Strafmaximum erhöht. Ebenso hatten die früheren Entwürfe des preußischen StGB, den Fall, daß der Totengräber das Delikt begeht, teils ausdrücklich, teils stillschweigend durch fakultative Androhung einer härteren Strafe vorgesehn, v g l . GOLTD. M a t . I I S. 2 7 1 N r . 3.

§ 4.

Objekt des „Leiohendiebstahls" und seine Bestrafung.

39

Das Gesetz redet nur von Leichen, die aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person weggenommen werden; wie nun, wenn sich der Leichnam im Gewahrsam eines dazu n i c h t Berechtigten, oder überhaupt in niemandes Gewahrsam befand, oder endlich, wenn der Täter das Delikt an einer Leiche begeht, die er in seinem eignen Gewahrsam hat? Alle diese Fälle lassen sich aus dem Wortlaute des § 168 ableiten, und alle drei werden sie durch § 168 nicht betroffen. B. D e r L e i c h n a m steht im G e w a h r s a m eines N i c h t b e r e c h t i g t e n .

Es ist der Fall leicht möglich, daß Leichenraub an einer Leiche verübt wird, die im Gewahrsam einer dazu nicht berechtigten Person steht. Gewahrsam ist ja ein rein tatsächliches Verhältnis, und das ist auch die Auffassung des Gesetzgebers, denn andernfalls hätte er ja sagen können: „Wer eine Leiche aus dem Gewahrsam eines anderen wegnimmt . . ." u. s. w.; auf eine Berechtigung oder Nichtberechtigung wäre es dann gar nicht angekommen.1 Bei diesen Folgerungen kann man sich übrigens nur an den Wortlaut des § 168 halten; die Motive zum RStGB., ebenso die Materialien zum preußischen StGB, geben keinen Aufschluß über die Ansicht des Gesetzgebers. Nicht berechtigt zum Gewahrsam ist aber, wer ohne dazu verpflichtet zu sein 2 , oder ohne freiwillig die Beerdigungspflicht, oder den Gewahrsam übernommen zu haben, vielleicht durch Zufall, oder sonstwie den Gewahrsam über die Leiche erhalten hat. Zu den Unberechtigten würden also diejenigen zu zählen sein, die selbst die Leiche unbefugt weggenommen haben, wohl 1

CRUSEN S. 48 f. empfiehlt auch, das Erfordernis der Berechtigung ganz fallen zu lassen, da das Delikt des § 168 nicht als gegen das Recht des Gewahrsamsberechtigten gerichtet aufzufassen sei, sondern gegen die Pietät der Überlebenden, die nicht danach fragt, ob der Gewahrsamsinhaber auch dazu berechtigt war, sondern schon in der bloßen Wegnahme eine Rechtsverletzung erblickt. 2 Die zum Gewahrsam Berechtigten und zur Beerdigung Verpflichteten sind oben S. 36 ff. aufgeführt.

40

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

auch die, denen ohne ihr Vorwissen eine Leiche ins Haus, oder sonst in den Bereich ihrer Machtsphäre gebracht worden ist. Eine Wegnahme aus dem Gewahrsam eines solchen Unberechtigten fällt also nicht unter § 168 1 und zwar selbst dann nicht, wenn der Wegnehmende ganz rechtswidrig und unbefugt handelt — ein weiterer Mangel der Fassung des § 168! C. Der Leichnam steht in niemandes Gewahrsam.

Ein zweiter Fall, der sich aus der Fassung des § 168 ableiten läßt, ist der der Wegnahme einer Leiche, die überhaupt in niemandes Gewahrsam steht, so beim Leichenfund. Wenn ein Mensch auf freiem Felde, im Walde, im Wasser, an der Landstraße umkommt, so steht seine Leiche in niemandes Gewahrsam.2 Der Eigentümer des Ortes, wo die Leiche sich befindet, bekommt durch die bloße Tatsache, daß die Leiche sich auf seinem Grund und Boden befindet, keinen Gewahrsam daran. Wer eine solche Leiche an sich nimmt, verletzt nicht den Gewahrsam der dazu berechtigten, oder überhaupt einer Person, begeht also nicht das Delikt des § 168, sondern macht sich höchstens einer Übertretung im Sinne von § 367 1 schuldig: „Wer ohne Vorwissen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder beiseite schafft, — wird mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft bestraft." Aus § 157 der StPO., welcher sagt: „Wird der Leichnam eines Unbekannten gefunden, so sind die Polizei und Gemeindebehörde zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft, oder an den Amtsrichter verpflichtet — l i e ß e sich vielleicht schließen, 1

Ebenso C R A M E R S. 57, C R U S E N S. 48 ff. * Ebenso v. L I S Z T S . 4 0 1 , C R U S E N S . 43 f., der dabei völlig den ersten Teil von § 3671 übersieht; CRAMER S . 57, R U D O R F F , Komm, zu § 168 Nr. 3. B I N D I N G , Grdr. II, 87. V I L L N O W , GS. 3 1 S . 5 8 6 , nimmt eine Pflicht eines jeden an, solchc Leichen in Gewahrsam zu nehmen. H Ä L S C H N E R II, S. 717 verneint, daß es Leichen gäbe, die in niemandes Gewahrsam stünden; das ausdrückliche In-Gewahrsam-Nehmen unerwartet Verstorbener sei kaum Voraussetzung für die Erlangung des Gewahrsams an der Leiche.

§ 4.

Objekt des „Leichendiebstahls" und seine Bestrafung.

41

daß die P o l i z e i b e z . die Gemeindebehörde an derartigen Leichen Gewahrsam habe. Doch dürfte sich ein solches Gewahrsamsverhältnis zwischen einem wer weiß wo Verstorbenen und der hiervon nichts ahnenden Behörde wohl kaum konstruieren lassen! Berechtigt, sich den Gewahrsam zu verschaffen, sind die genannten Behörden jedenfalls. D. Die Leiche steht im eigenen Gewahrsam des Täters.

Endlich macht sich aus § 168 nicht strafbar, wer über die in seinem eigenen Gewahrsam befindliche Leiche rechtswidrige Verfügungen trifft, sei es aus Gewinnsucht, sei es aus Rachsucht, oder sonstigen Motiven. Unter dieser Rubrik lassen sich die relativ häufigen Fälle aufführen — soweit man bei Leichendelikten überhaupt von Häufigkeit reden kann —, wo Angehörige, oder Erben den Leichnam des Erblassers veräußern, verschenken, oder sonstwie über ihn verfügen — etwa um Verbrechen, die an dem nun Verstorbenen begangen worden sind, zu vertuschen. Zivilrechtlich sind derartige Manipulationen, wie jede private Verfügung über die Leiche, ja ungültig, aber strafrechtlich können solche Handlungen höchstens nach § 367 1 gestraft werden, und Geldoder Haftstrafe ist eine viel zu geringe Ahndung für derartige, oft scheußliche Handlungen. Auch wegen Unterschlagung kann der Täter nicht bestraft werden, da Leichen nicht Objekte von Vermögensdelikten sein können. Das StGB, trifft somit eine Reihe von Handlungen nicht, die denen in § 168 unter Strafe gestellten nahe verwandt sind. Man kann jedoch als Entschuldigung für diesen Mangel anführen, daß ein dringendes Bedürfnis für die Erstreckung des § 168 auch auf solche Fälle nicht vorliegt, da sie relativ selten sind. Die im Volke allenthalben lebende Scheu vor den Toten ist eben zu groß, als daß Leichendelikte öfters begangen würden. Ferner sind aber auch in den Landesgesetzen genügend viele Polizeivorschriften enthalten über Anzeigepflicht bei Todesfällen und Auffindung einer Leiche, über die Pflicht, 1

So

OPPENHOPF

S.

404.

42

§ 5.

Wegnahme.

den Leichnam nach dem Friedhofe zu bringen u. s. w., so daß der Fall, daß eine Leiche längere Zeit in niemandes Gewahrsam sich befindet, sehr selten sein wird. 1 3. V e r l e t z u n g des religiösen Gefühls.

Wir haben oben S. 34 als drittes Erfordernis beim Leichenraube aufgestellt, daß neben dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person das religiöse Gefühl der Überlebenden verletzt werden müsse und dies daraus gefolgert, daß der § 168 seine Stelle unter den Vergehen, die sich auf die Religion beziehen, gefunden hat. Wir sagen vielleicht besser: Durch die Wegnahme aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person muß das Pietätsgefühl der Uberlebenden verletzt werden. Allein dieses Erfordernis besonders als Tatbestandsmoment aufzustellen und etwa den Nachweis zu verlangen, daß das Pietätsgefühl so und so vieler Personen verletzt sei, erübrigt sich schon deshalb, weil aus den oben S. 32 ff. angeführten Gründen die Pietät aller Menschen verletzt wird, denn allgemein menschliche, nicht nur verwandtschaftliche und religiöse Empfindungen kommen hier in Frage. Es bedarf also, um aus § 168 zu strafen, nicht der Feststellung, ob und wessen Pietätsgefühl verletzt ist, denn jede ungebührliche Handlung an Leichen verletzt die Pietät der Uberlebenden, ausgenommen die Profanation der Menschenleichen in der Anatomie, s. o. S. 22 ff. Verübt wird das Delikt des § 168 durch § 5. Wegnahme aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person und zwar muß diese Wegnahme unbefugt geschehen. I. Wegnahme ist schlechthin Entfernung aus dem GewahrUber vorzeitiges Beerdigen vgl. auch code civile, livre I , tit. II, art. 79: aucune inhumation ne sera faite sans une autorisation — etc. 1

42

§ 5.

Wegnahme.

den Leichnam nach dem Friedhofe zu bringen u. s. w., so daß der Fall, daß eine Leiche längere Zeit in niemandes Gewahrsam sich befindet, sehr selten sein wird. 1 3. V e r l e t z u n g des religiösen Gefühls.

Wir haben oben S. 34 als drittes Erfordernis beim Leichenraube aufgestellt, daß neben dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person das religiöse Gefühl der Überlebenden verletzt werden müsse und dies daraus gefolgert, daß der § 168 seine Stelle unter den Vergehen, die sich auf die Religion beziehen, gefunden hat. Wir sagen vielleicht besser: Durch die Wegnahme aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person muß das Pietätsgefühl der Uberlebenden verletzt werden. Allein dieses Erfordernis besonders als Tatbestandsmoment aufzustellen und etwa den Nachweis zu verlangen, daß das Pietätsgefühl so und so vieler Personen verletzt sei, erübrigt sich schon deshalb, weil aus den oben S. 32 ff. angeführten Gründen die Pietät aller Menschen verletzt wird, denn allgemein menschliche, nicht nur verwandtschaftliche und religiöse Empfindungen kommen hier in Frage. Es bedarf also, um aus § 168 zu strafen, nicht der Feststellung, ob und wessen Pietätsgefühl verletzt ist, denn jede ungebührliche Handlung an Leichen verletzt die Pietät der Uberlebenden, ausgenommen die Profanation der Menschenleichen in der Anatomie, s. o. S. 22 ff. Verübt wird das Delikt des § 168 durch § 5. Wegnahme aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person und zwar muß diese Wegnahme unbefugt geschehen. I. Wegnahme ist schlechthin Entfernung aus dem GewahrUber vorzeitiges Beerdigen vgl. auch code civile, livre I , tit. II, art. 79: aucune inhumation ne sera faite sans une autorisation — etc. 1

§ 5.

Wegnahme.

43

sarn eines anderen. Diese Wegnahme unterscheidet sich von der beim Diebstahl wesentlich. Letztere geschieht in der Absicht rechtswidriger Zueignung, durch Aufhebung des fremden Gewahrsams erwirbt der Täter selbst einen solchen.1 Als Wegnahme im Sinne von § 168 ist jedoch nur das Entziehen aus dem Gewahrsam eines anderen zu verstehen, ohne daß der Täter selbst gleichzeitig Gewahrsam erwirbt; auch ist diese Wegnahme keine „Enteignung", denn Besitz- oder Eigentumsverhältnisse sind am Leichnam unmöglich — diese Folgerungen sind zu ziehen eben aus dem nicht erforderten und auch unmöglichen Aneignungsdolus.2 Entgegen der Ansicht von GRAMER ist die Wegnahme vollendet nicht erst mit der örtlichen Entfernung — eine analoge Anwendung der Ablationstheorie hat also keinen Raum —, sondern bereits mit dem Rücken in eine andere Machtsphäre, mit dem Entziehen des Gewahrsams, nach C R U S E N S. 4 9 würde sogar Zerstören der Leiche an Ort und Stelle genügen. Eine bloße Veränderung der Lage, trotz deren der Berechtigte den Gewahrsam behält, ist zur Vollendung nicht hinreichend. Die Apprehensionstheorie dürfte nach alledem entsprechend zu adoptieren sein; eine bloße Kontrektation genügt hier zur Vollendung ebensowenig, wie beim Diebstahl. Im übrigen ist die Art, wie der Gewahrsam verletzt wird, gleichgültig. So ist Heimlichkeit ebensowenig, wie bei Diebstahl Erfordernis. 3 Während letzterer jedoch, begangen mit Anwendung von Drohung und Gewalt zum Raube wird, kann Leichenraub auch mit diesen Mitteln begangen werden, ohne daß sich seine Natur veränderte. Es würde in gegebenem Falle höchstens Idealkonkurrenz zwischen § 168 und §§ 123 bez. 240 vorliegen. Auch ist nicht notwendig, daß der Täter den Gewahrsam des anderen in eigener Person verletzt, er kann dies ebensogut durch einen gutgläubigen Dritten tun, dessen er sich als Werkzeug bedient.4, 1

Ebenso OLSHAUSEN, Komm, zu § 232, Nr. 21. Ebenso B I N D I N Ö , Lehrbuch S . 186, CRUSEN S . 49, VILLNOW, G S . 31, 584; a. M. CRAMER S . 58 Anm. 1, der Verbringung der Leiche a loco in alium locum fordert, wenn die Gewahrsamsentziehung vollendet sein soll. 2

3

4

A.

M.

HÄISCHNER I I ,

S.

288.

So etwa, wenn ein Arzt seinen Diener beauftragt, die Leiche eines verstorbenen Patienten zu holen, mit dem er vereinbart hatte, daß sein

§ 5.

44

Wegnahme.

Ferner ist gleichgültig, aus welchen Motiven 1 die Wegnahme erfolgt, ob aus Haß gegen den Toten, oder dessen Familie, aus Habsucht u. s. w. Doch ist eine Wegnahme auch aus edlen Motiven, z. B. aus wissenschaftlichem Forschungsdrange strafbar. Oder wenn etwa jemand aus Pietät den Leichnam eines teuren Toten wegnähme, um ihn angemessen zu beerdigen — eine Handlung, die weit entfernt ist, das öffentliche Gefühl zu verletzen, die im Gegenteil gepriesen wird —, so wäre er (vgl. Antigone) nach § 168 mit Gefängnis zu bestrafen. 2 Ebenso gleichgültig ist der Zweck der Wegnahme, so Kränkung der Familie des Verstorbenen, Mißbrauch des Leichnams zu Schaustellungen, oder noch ärgerer Profanation, oder gar zu gewinnsüchtiger Verwertung seiner Substanz, der Haare, Zähneu. s. w. Doch wirkt derart niedere Gesinnung straferhöhend, besonders wird dann auch auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen sein. 3 Interessant ist die Frage, welche Wirkung die Qualifikationsmomente des schweren Diebstahls in § 243 haben, wenn sie entsprechend bei Leichenraub vorliegen. Leichenraub aus einer Kirchengruft, einem umschlossenen Raum mittels Einbruchs, Einsteigens, oder Erbrechens von Behältnissen (Särgen)4, mit Hilfe von falschen Schlüsseln, bandenmäßig, oder zur Nachtzeit ausgeführt, kann — auch wenn mehrere dieser Qualifikationen zusammentreffen — nicht mit Zuchthaus, sondern höchstens zwei Jahren Gefängnis und Ehrenrechtsverlust gestraft werden, vorausgesetzt, daß nur der Leichnam, nicht etwa auch Kleider und Schmuckgegenstände entwendet werden. In diesem Falle würde Konkurrenz von schwerem Diebstahl und Leichenraub vorliegen. Eine Dereliktion von Kleidern und Schmuck der Leiche vor ihrer Bestattung ist unbestritten nicht anzunehmen. Doch auch nach der

Körper ihm gehören solle, während die gewahrsamsberechtigten Erben die Herausgabe verweigern. 1 Interessante Angaben bei K Ö H L E R I, S. 212/213. 7

8

Vgl.

BLUMENSATH

S.

28;

a.

M.

KOHLER

I,

S.

205.

Vgl. § 137 des preuß. StGB, und § 250 des bayrischen StGB, von 1861. * Konkurrenz mit Sachbeschädigung würde unzweifelhaft hier vorliegen.

§ 5.

Wegnahme.

45

Beerdigung dürften derartige einer Leiche, zumal in eine Familiengruft mitgegebene Gegenstände noch Objekt eines Diebstahls werden können. An solchen, der Leiche mitgegebenen Sachen hat der Friedhofseigentümer, oder Besitzer der Gruft zum mindesten den Gewahrsam, wenn nicht gar Besitz. Im übrigen sei erwähnt, daß über die rechtliche Qualität der einer Leiche mitgegebenen Sachen die verschiedensten Ansichten existieren. Endlich muß die Wegnahme II. u n b e f u g t geschehen. In § 123 braucht das Gesetz den Ausdruck „unbefugt" parallel mit „widerrechtlich", es stellt somit beide Ausdrücke als gleichbedeutend auf. Der Wegnehmende darf also kein Recht, keine Befugnis zur Wegnahme haben, auch gehört das Bewußtsein der mangelnden Befugnis zum Vorsatze.1 Nicht strafbar ist die Wegnahme einer Leiche, sobald der Berechtigte einwilligt; dadurch wird „jeder Schacher mit Leichen seitens der Angehörigen für straflos erklärt. . ." 2 Straflos ist ferner die Wegnahme einer Leiche, wenn der Wegnehmende kraft Amtes (so Totengräber auf Geheiß der vorgesetzten Behörde), oder speziellen Auftrags dazu berechtigt ist.3 Es ist ferner möglich, daß die Berechtigung zum Ergreifen des Gewahrsam das Eecht zur Wegnahme in sich schließt, so bei Aufhebung einer gefundenen Leiche durch die davon benachrichtigte Polizeibehörde.4 In vielen Fällen ist Wegnahme einer Leiche aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person nur durch Zerstörung, oder Beschädigung eines Grabes möglich, so daß Leichenraub und Grabschändung konkurrieren. Auf das Delikt der Gräber1

Vgl.

BLUMENSATH S .

30.

2

Vgl. B I N D I N G , Lehrbuch I, S. 1 8 6 . — G e g e n den Willen des Berechtigten darf die Wegnahme nur zum Zwecke der Bestattung erfolgen. 3 Befugt dürfte eine Wegnahme auch dann sein, wenn sie geschieht, um den Leichnam in Sicherheit zu bringen; denn der Betreffende tritt dann als negotiorum gestor der Polizei, oder sonst einer Behörde auf, die die Obhut über Fundleichen ergreift. 4

Vgl.

CRUSEN S .

49,

50.

46

§ 6.

Mängel des § 168 und ihre Besserung.

Zerstörung und -beschädigung einzugehen, oder zu untersuchen, was alles Grab ist, gehört nicht in den Rahmen unserer Untersuchung. 1 § 6. Mängel des § 168 und ihre Besserung.

In der vorstehenden Betrachtung ist mehrfach auf die Schäden der mangelhaften Fassung des § 168 hingewiesen worden; an dieser Stelle seien sie nochmals ausdrücklich im Zusammenhange aufgeführt. 1. Der Hauptmangel des § 168 ist der, daß als Objekt des Deliktes der vage Begriff: „Gewahrsam der dazu berechtigten Person" hingestellt wird. Wie bereits mehrfach, so besonders S. 31 ff. ausgeführt ist, enthält der Leichenraub nach § 168 gar keine Verletzung irgend welcher Herrschaftsrechte jemandes, er ist kein Sachdelikt, sondern die Wegnahme einer Leiche verletzt ein immaterielles Rechtsgut, die Pietät der Uberlebenden; die Strafbarkeit liegt in dem pietätlosen Handeln des Täters. Bei jeder unbefugten Wegnahme eines menschlichen Leichnams ist es für das verletzte Pietätsgefühl der Uberlebenden gleichgültig, ob die Leiche im Gewahrsam eines Berechtigten, oder Unberechtigten, ja ob sie überhaupt in irgend jemandes Gewahrsam stand. Es ist daher rätlich, das Erfordernis des Gewahrsams gänzlich fallen zu lassen, dann würden sich auch die mannigfachen Streitfragen über die Natur des Gewahrsams, Berechtigung und Nichtberechtigung dazu u. s. w. erübrigen. 2 Das Erfordernis des Gewahrsams stammt übrigens aus dem preußischen Strafgesetzbuche von 1851, Art. 137 und findet sich entsprechend in den diesem verwandten Strafgesetzbüchern von 1 SATH

a. 2

Uber diese Fragen vgl. a.

0.

u.

s.

KÖHLER

S.

215

ff.,

CRUSEN,

CRAMER,

BLUMEN-

w.

Zumal die alte Streitfrage: „Kann der Totengräber, der Leichenraub verübte, aus § 168 gestraft werden?" wäre dann gegenstandslos, denn er würde Leichenraub dann durch eine der Unterschlagung ähnliche Handlung begehen können. — Nach unserer Ansicht ist er ja bereits de lege lata strafbar aus § 168, s. o. S. 38.

46

§ 6.

Mängel des § 168 und ihre Besserung.

Zerstörung und -beschädigung einzugehen, oder zu untersuchen, was alles Grab ist, gehört nicht in den Rahmen unserer Untersuchung. 1 § 6. Mängel des § 168 und ihre Besserung.

In der vorstehenden Betrachtung ist mehrfach auf die Schäden der mangelhaften Fassung des § 168 hingewiesen worden; an dieser Stelle seien sie nochmals ausdrücklich im Zusammenhange aufgeführt. 1. Der Hauptmangel des § 168 ist der, daß als Objekt des Deliktes der vage Begriff: „Gewahrsam der dazu berechtigten Person" hingestellt wird. Wie bereits mehrfach, so besonders S. 31 ff. ausgeführt ist, enthält der Leichenraub nach § 168 gar keine Verletzung irgend welcher Herrschaftsrechte jemandes, er ist kein Sachdelikt, sondern die Wegnahme einer Leiche verletzt ein immaterielles Rechtsgut, die Pietät der Uberlebenden; die Strafbarkeit liegt in dem pietätlosen Handeln des Täters. Bei jeder unbefugten Wegnahme eines menschlichen Leichnams ist es für das verletzte Pietätsgefühl der Uberlebenden gleichgültig, ob die Leiche im Gewahrsam eines Berechtigten, oder Unberechtigten, ja ob sie überhaupt in irgend jemandes Gewahrsam stand. Es ist daher rätlich, das Erfordernis des Gewahrsams gänzlich fallen zu lassen, dann würden sich auch die mannigfachen Streitfragen über die Natur des Gewahrsams, Berechtigung und Nichtberechtigung dazu u. s. w. erübrigen. 2 Das Erfordernis des Gewahrsams stammt übrigens aus dem preußischen Strafgesetzbuche von 1851, Art. 137 und findet sich entsprechend in den diesem verwandten Strafgesetzbüchern von 1 SATH

a. 2

Uber diese Fragen vgl. a.

0.

u.

s.

KÖHLER

S.

215

ff.,

CRUSEN,

CRAMER,

BLUMEN-

w.

Zumal die alte Streitfrage: „Kann der Totengräber, der Leichenraub verübte, aus § 168 gestraft werden?" wäre dann gegenstandslos, denn er würde Leichenraub dann durch eine der Unterschlagung ähnliche Handlung begehen können. — Nach unserer Ansicht ist er ja bereits de lege lata strafbar aus § 168, s. o. S. 38.

§ 6.

Mängel des § 168 und ihre Besserung.

47

Sachsen von 1855 (Art. 331: „ . . . aus dem Gewahrsam derer, welche die Leiche in ihrer Obhut haben . . .") und dem Hamburger Kriminalgesetzbuche von 1869, Art. 183. Andere Gesetzgebungen, zumal die nichtdeutschen, kennen das Erfordernis des Gewahrsams nicht. 2. Ein weiterer Mangel unseres Strafgesetzbuches nach dieser Richtung hin ist der, daß die logisch zusammengehörigen Bestimmungen über Wegnahme von Leichen und Leichenteilen auseinander gerissen sind. H ä l s c h n e r s Vorschlag Bd. I I , S. 7 0 3 , die diesbezügliche Bestimmung des § 367 1 als Schlußsatz in § 1 6 8 aufzunehmen, ist daher wohl zu empfehlen. Man hat die Übertretung des § 367 1 ein Standesdelikt der Mediziner genannt; wenn Arzte und Studenten Leichenteile der wissenschaftlichen Forschung halber aus dem Seziersale mit fortnehmen, soll sie nicht die Gefängnisstrafe des § 168 treffen. Doch dieser an sich lobenswerte kriminalpolitische Gedanke trifft nicht allenthalben zu, denn Entwendungen von Leichenteilen, die gar nicht durch Mediziner und aus Wissenseifer, sondern aus total verwerflichen Motiven geschehen, so namentlich bei Verstümmelungen von Leichen aus Rachsucht und Bosheit, müssen auch mit der m i l d e n S t r a f e des § 367 1 belegt werden, während dafür Gefängnisstrafe am Platze wäre! Daher würde sich empfehlen, die Entwendung von Leichenteilen auch unter die Gefängnisstrafe des § 168 zu stellen, jedoch mit dem Zusätze, daß bei Entwendungen zu wissenschaftlichen Zwecken die mildere Geld- oder Haftstrafe einzutreten habe. Andrerseits ist aber auch zu erwägen, ob nicht die Wegnahme selbst einer ganzen Leiche, wenn sie Studien halber aus wissenschaftlichem Forschungsdrange geschieht, besser mit der Gefängnisstrafe des § 168 verschont bliebe und nur mit Haft geahndet würde. 3. De lege lata ist auch die bei der Feuerbestattung zurückbleibende Asche nicht geschützt. Die Aschenreste sind Überreste eines Menschen so gut, wie fleischliche, verwesende, ihre Wegnahme müßte zum mindesten der von Leichenteilen gleich geahndet werden! Italien, wo allerdings die Leichenverbrennung hoch in Blüte steht — es hat an die vierzig Krematorien! —

48

8 6.

Mängel des § 168 und ihre Besserung.

ist Deutschland in dieser Hinsicht weit voraus, sein Strafgesetzbuch von 1889 stellt in Artikel 144 die cineri den cadaveri gleich, ebenso wie schon die Römer die ossa mortuorum den corpora gleichgeachtet haben. Eine ausdrückliche Bestimmung, kraft deren auch die Reste der Feuerbestatteten geschützt werden, würde zur Aufnahme bei einer Revision unsres Strafgesetzbuches also wohl zu empfehlen sein. zumal die Feuerbestattung auch in Deutschland immer mehr Boden gewinnt. 4. Ein fernerer Mangel unseres Strafgesetzbuches hinsichtlich der Leichenvergehen ist der, daß direkt gegen den Leichnam gerichtete Handlungen, die an Lebenden begangen, als Körperverletzung, tätliche Beleidigung, Unzucht, oder dem ähnlich gestraft werden würden, als solche straflos bleiben.1 Das StGB, kennt leider kein Verbrechen der Leichenschändung, § 168 spricht nur von unbefugter Wegnahme von Leichen! Dagegen strafen in- und ausländische Strafgesetzgebungen die Verstümmelung, Mißhandlung, Schändung und sonstigen Mißbrauch von Leichen zum Teil mit sehr hohen Strafen. 2 Würde das deutsche Strafgesetzbuch diesen Beispielen folgen, so würden zumal unangemessene Handlungen, die der Gewahrsamsinhaber selbst an der Leiche vornimmt, entsprechende Ahndung finden. Unzucht an Leichen, wie sie das badische und portugiesische StGB, und wohl auch ALR. 1069 3 straft, würde dann als besonders nichtswürdiger Fall der Leichenschändung erhöhte Strafe finden und brauchte nicht als besonderes Delikt bestraft zu werden. Jetzt ist sie aus § 175 nicht strafbar, wohl aber, wenn 1 Über entehrende Handlungen, gegen den Leichnam selbst gerichtet, als Strafen im Mittelalter, vgl. J. GRIMM, Deutsche Bechtsaltertümer, S. 325 FL. Vgl. S. 33 d. Abhdlg. 2 Badisches StGB, von 1845, § 579: „. . . wer einen solchen Leichnam unbefugterweise verstümmelt." Vgl. die bei CRUSEN a. a. 0. angeführte ausländische Gesetzesliteratur. 8 Bei „Sodomiterei und andern dergleichen unnatürlichen Sünden, welche wegen ihrer Scheußlichkeit hier gar nicht genannt werden können" wird „gänzliche Vertilgung des Andenkens", also Verbannung des Täters ge-

fordert.

Vgl. v. LISZT S. 385.

§ 6.

Mängel des § 168 und ihre Besserung.

49

dadurch ein öffentliches Ärgernis gegeben wird, unter Umständen aus § 183. Im Anschluß hieran sei noch bemerkt, daß Unzucht an Leichen jetzt ein ziemlich seltenes Verbrechen ist, und daß, wo sie vorkommt, wie etwa bei einem Lustmorde, wohl stets ein psychopathischer Zustand vorliegt.1 Im Altertume, so besonders bei den Ägyptern, scheint dieses scheußliche Verbrechen häufiger gewesen zu sein. So wurden den ägyptischen Leichenbalsamierern die Leichen schöner Frauen und Mädchen erst einige Zeit nach dem Tode, wenn die Verwesung bereits begann, ausgeliefert, damit sie vor geschlechtlicher Verunglimpfung sicher wären. 5. Endlich sind Handlungen, die zwar keinen tätlichen Angriff auf den Leichnam, aber doch eine Beschimpfung desselben enthalten, so Anspeien, ostentatives Ausspeien vor ihm, Schimpfreden gegen ihn u. s. w. an sich nicht strafbar. Gegebenenfalls könnte zwar nach § 189 des StGB. Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten eintreten, doch ist dann erforderlich, daß der Täter wider besseres Wissen unwahre Tatsachen behauptet oder verbreitet, welche den Toten bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen, oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wären. Die Beschimpfung eines Leichnams kann auch in der Form geschehen, daß die Beerdigungsfeierlichkeit oder der Leichenzug gestört wird. Erstere Handlung wird nach § 167 gestraft, letztere als öffentlicher grober Unfug nach § 360 11 im eigentlichen Sinne des Wortes. 1

So berichteten die Zeitungen im Frühjahr 1903 von einem Grabschänder, der in der französischen Schweiz sein entsetzliches Unwesen trieb und stets nur die Leichen junger Mädchen oder Frauen den Gräbirn entriß um sie zu gebrauchen. Der letzte Fall ereignete sich damals bei M£zi£res im Waadtlande, und stets blieb der Täter unentdeckt. Übrigens registriert die Geschichte der gerichtlichen Medizin aller Länder ähnliche Vorkommnisse, die sich darin gleichen, daß die Entdeckung des Täters äußerst selten gelingt. Diese sind stets Geisteskranke, die ein entsetzlich perverser Trieb, dem sie nicht widerstehen können, zu jenen Scheußlichkeiten treibt, die aber andrerseits mit der Raffiniertheit, die geisteskranken Verbrechern innewohnt, es verstehen, sich für lange Zeit oder gar für immer der Entdeckung zu entziehen. MERKEL, Leichenraub.

4

50

§ 6.

Mängel des § 168 und ihre Besserung.

In außerdeutschen Gesetzgebungen ist die Beschimpfung eines Leichnams nach CBUSEN S. 77/78 ausdrücklich unter Strafe gestellt, dem deutschen Strafgesetzbuch fehlt eine besondere Bestimmung hierüber. 6. Angesichts der unglaublich rohen Gesinnung, mit der oft der Leichenraub, oder sonstige Delikte an Leichen begangen werden und in Hinblick auf die Scheußlichkeiten, die sich dabei ergeben können, wäre es nicht unangebracht, den Strafrahmen zu erweitern und Gefängnisstrafe schlechthin für derartige Leichendelikte zu fixieren. Dem Richter wäre dann genügend Gelegenheit geboten, angemessene Strafen auszuwerfen, was ihm bei dem jetzigen engen Strafrahmen von Gefängnis bis nur zu zwei Jahren unmöglich ist, wenigstens für gravierende Fälle. 7. Endlich würde es sich empfehlen, aus redaktionellen Gründen die Bestimmungen des § 168 des StGB, über Gräberzerstörung und -beschädigung, sowie Verübung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe, von denen über Wegnahme von Leichen zu trennen. Der neue Paragraph würde also unter Berücksichtigung alles dessen etwa folgendermaßen lauten können: Wer unbefugt eine Leiche, oder Leichenteile wegnimmt, ingleichen wer Leichen mißhandelt, mißbraucht oder beschimpft, wird mit Gefängnis bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Die Asche Feuerbestatteter steht insoweit den Leichen gleich. Geschieht die Wegnahme zu wissenschaftlichen Zwecken, so kann auf Haft oder Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark erkannt werden.

Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.

BEITRÄGE ZUR

THEORIE DES STRAFRECHTS UND ZUM STRAFGESETZBUCHE. Gesammelte Abhandlungen von

Dr. M. von Buri, Reichsgerichtsrat.

gr. 8.

1894.

geh. 11 Jt.

GEFAHR UND GEFÄHRDUNGSVORSATZ IN DER

DOGMATIK

DES

MODERNEN

STRAFRECHTS.

Von

Dr. iur. Oskar Busch. gr. 8.

1897.

geh. 2 Jt 20 Sp.

DAS MOSAISCHE STRÄFRECHT IN SEINER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNCt. Von

Dr. iur. Gerhard Förster. gr. 8.

1900.

geh. 2 Jt 80 3?.

Über öBtt £a

M t i j e r l t ^ e n (SefePwijfB auf HB Jtrafredjt unter befonberer ßfiiickftd)tignng bre ßrll^ee. Son Dr. mturlf %obt. flr. 8.

1898. fiel). 1 Jt 20

DIE

ALLGEMEINEN STRAFRECHTLICHEN BEGRIFFE NACH CARPZOV. Von

Dr. iur. Adolf Lobe. gr. 8.

1894.

geh. 1 Jt 50 3/.

Druck von Mctzgßr tfc Wittig in Leipzig.